Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Bitte bleiben Sie noch einenAugenblick von Ihren Plätzen erhoben.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen undHerren! Gestern ist Shimon Peres im Alter von 93 Jahrengestorben. Wir trauern mit den Menschen in Israel umeinen bedeutenden Staatsmann und Friedensnobelpreis-träger, der uns als unermüdlicher Mittler zwischen denVölkern unvergessen bleibt.Shimon Peres war überzeugt davon, dass sich Kon-flikte dauerhaft nicht mit Waffen, sondern nur mit Ver-einbarungen und Verträgen lösen lassen. Dafür setzte ersich mit ganzer Kraft ein, als Außenminister, als Minis-terpräsident und als Staatsoberhaupt. Im Verhältnis zuden Deutschen brauchte es noch mehr – das wusste ge-rade Shimon Peres, dessen Großvater und andere Fami-lienmitglieder in der Shoah auf brutale Weise ermordetworden waren.In unserem jungen Staat– hat Shimon Peres nach der Staatsgründung einmal ge-sagt –überwog die Auffassung, dass der Bruch mitDeutschland endgültig und für ewig sein müsse.Umso dankbarer sind wir denen, die dazu beitrugen,dass trotz der tiefen Gräben zwischen beiden Völkernwieder Vertrauen aufgebaut und die Grundlagen dafürgelegt wurden, was man heute die „besonderen Bezie-hungen“ zwischen Israel und Deutschland nennt. ShimonPeres war einer dieser Brückenbauer über den „Abgrundder Geschichte“, die unser Land mit Israel verbindet.Die Shoa– sagte Peres, als er im Januar 2010 am Gedenktag für dieOpfer des Nationalsozialismus hier im Deutschen Bun-destag sprach –muss dem menschlichen Gewissen stets als ewigesWarnzeichen vor Augen stehen: als Verpflichtungzur Heiligkeit des Lebens, zur Gleichberechtigungaller Menschen, zur Freiheit und zum Frieden.Diese Worte sind nicht nur der bleibende Appell analle, die heute und zukünftig Verantwortung dafür tragen,gegen jede Form der Ausgrenzung und Diskriminierungaufzustehen. Seine Worte drückten auch aus, nach wel-cher Maxime er selbst handelte: sich für die gleichenRechte aller Menschen einzusetzen – egal welcher Her-kunft oder Religion.Unvergessen ist mir und sicher vielen von Ihnen, diedamals dabei gewesen sind, vor allem ein Satz seinerRede, der mich tief bewegt hat:Die Shoa darf uns aber auch nicht davon abhalten,an das Gute zu glauben, an die Hoffnung, an dasLeben.Eine Botschaft von ungebrochener Zuversicht und be-rührender Menschlichkeit – das geistige Erbe einer be-merkenswerten Persönlichkeit.Wir Deutsche sind Shimon Peres zu großem Dankverpflichtet und werden ihm ein ehrendes Gedenken be-wahren.Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in unsereTagesordnung eintreten, mache ich Sie auf die interfrak-tionelle Vereinbarung aufmerksam, die verbundene Ta-gesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführ-ten Punkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Konsequenzen aus Berichten über nicht trag-bare Verhältnisse in Tierställen
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIELINKE:Ergebnisse zur Reform der ErbschaftsteuerZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Tabea Rößner, Kerstin
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Andreae, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENTelekomanteile veräußern – In Breitbandaus-bau investierenDrucksache 18/9799Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungAusschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale AgendaZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung und Land-wirtschaft zu dem Antrag derAbgeordneten Friedrich Ostendorff, KordulaSchulz-Asche, Harald Ebner, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENWirksamkeit von Antibiotika erhalten – Ein-satz in der Tierhaltung auf vernünftiges MaßreduzierenDrucksachen 18/3152, 18/4704Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweiterforderlich, abgewichen werden.Außerdem möchte ich Sie auf einige Umstellungen inder Tagesordnung aufmerksam machen: Der Tagesord-nungspunkt 4 e wird heute abgesetzt. Hier geht es umeine Beschlussempfehlung zu einem Antrag über Speku-lationen mit Immobilien und Land. Der Tagesordnungs-punkt 12 soll ebenfalls abgesetzt werden. Stattdessen sollder Tagesordnungspunkt 16 aufgerufen werden, wobeidie vorgesehene Redezeit von 25 Minuten für diesen Ta-gesordnungspunkt beibehalten werden soll. Anstelle desTagesordnungspunktes 16 soll der Antrag mit dem Titel„Telekomanteile veräußern – In Breitbandausbau inves-tieren“ mit einer Redezeit von 25 Minuten debattiert wer-den.Schließlich mache ich noch auf drei nachträglicheAusschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-punkteliste aufmerksam:Der am 22. September 2016 überwiese-ne nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-schuss für Tourismus zur Mitberatungüberwiesen werden:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzeszur Änderung des FernstraßenausbaugesetzesDrucksache 18/9523Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit Ausschuss für Tourismus HaushaltsausschussDer am 22. September 2016 überwie-sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich demAusschuss Digitale Agenda zur Mitbe-ratung überwiesen werden:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-gelung des BundesarchivrechtsDrucksache 18/9633Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien
Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung Ausschuss Digitale AgendaDer am 22. September 2016 überwie-sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich demAusschuss für Wirtschaft und Energie zurMitberatung überwiesen werden:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-setzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherr-schung der Gefahren schwerer Unfälle mitgefährlichen Stoffen, zur Änderung und an-schließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des RatesDrucksache 18/9417Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit
Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und EnergieIch frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen ein-verstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dannkönnen wir so verfahren.Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierung19. Bericht der Bundesregierung zur Auswär-tigen Kultur- und BildungspolitikDrucksache 18/7888Hierzu liegt ein gemeinsamer Entschließungsantragder Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/DieGrünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ichkeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wortdem Bundesminister des Auswärtigen, Frank-WalterSteinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ImDeutschen Bundestag und in den Ausschüssen redenwir in diesen Tagen täglich über Syrien, über Bombar-dements, über das militärische Lagebild, über die huma-Präsident Dr. Norbert Lammert
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nitäre Not, die humanitäre Katastrophe, die fast unver-meidbar scheint. Gleichzeitig richten wir Expertentreffenzum Schutz syrischen Kulturerbes oder Ausstellungensyrischer Künstler im Berliner Exil aus. Beides, meineDamen und Herren, hat mehr mit einander zu tun, als esauf den ersten Blick scheint.Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, über die wirheute reden, ist nicht „nice to have“, ist nicht irgendwieeine Schönwetterpolitik, sondern sie ist unverzichtbarerBestandteil von Außenpolitik, gerade dann, wenn dieZeiten schwierig sind und die Partner noch mehr.Klar ist auch: Innen und Außen lassen sich im 21. Jahr-hundert eben nicht mehr längs der Grenzen von National-staaten trennen wie noch im 19. und in großen Teilen des20. Jahrhunderts. Wir erleben es täglich: Politische Kri-sen und wirtschaftliche Interessenskonflikte – das sinddie Konflikte des 21. Jahrhunderts – werden zunehmendunterlegt durch religiöse und ethnische Konflikte, ob siedie Ukraine nehmen oder Syrien oder die Situation rundum die großen Seen in Ostafrika – das sind längst nichtmehr die einzigen Beispiele dafür.Deswegen gilt: Wenn wir Chancen zur Verständigungin all diesen Konflikten überhaupt erhalten wollen, dannspielt Kultur- und Bildungsarbeit, dann spielt die Zusam-menarbeit mit den Zivilgesellschaften anderer Länder,gerade auch in den Krisenregionen, eine entscheidendeRolle.
Deshalb haben wir unsere Bemühungen um Kulturund Bildung im Ausland an zwei entscheidenden Punk-ten verändert und erweitert. Ich will ganz zu Anfang Ih-nen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz herz-lich dafür danken, dass Sie das durch Ihre Unterstützungmöglich gemacht haben.Erstens wollen wir den Zugang zu Kultur und Bildungim Ausland erleichtern. Dazu gehört, dass wir helfen, kul-turelles Erbe zu schützen. Die Mörder und Räuber vomIS versuchen im Mittleren Osten, kulturelle Identitätenradikal auszulöschen. Um dagegen anzugehen, haben wirinternational und national die Gesetzgebung, insbeson-dere die Gesetze gegen die Zerstörung von Kulturgüternund das Handeln mit gestohlenen Kulturgütern, deutlichverschärft. Staatsministerin Böhmer hat sich um diesesThema als Vorsitzende des Welterbekomitees besondersverdient gemacht. – Herzlichen Dank, Frau Böhmer.
Wir tun noch mehr: Mit dem „Syrian Heritage Archi-ve Project“ des Deutschen Archäologischen Instituts unddes Berliner Museums für Islamische Kunst wird erstma-lig ein digitales Register archäologischer Stätten in Syri-en erstellt, und zwar in Zusammenarbeit mit deutschen,syrischen und internationalen Wissenschaftskollegen.Mehr als 100 000 Datensätze haben sie auf diese Wei-se zusammengetragen. Das wird die Grundlage für einespätere Restaurierung, wenn sie denn hoffentlich mög-lich ist, in Syrien sein.Mit diesen Initiativen sind wir Vorbild. Aus Frank-reich, den USA, Russland und der Türkei hören wir jetztden Wunsch nach engerer Kooperation. Ich versichereIhnen: Das Deutsche Archäologische Institut und dieStiftung Preußischer Kulturbesitz arbeiten daran, wiewir gemeinsam mit den anderen noch besser zum Erhaltdes kulturellen Erbes in dieser Krisenregion im MittlerenOsten – nicht nur in Syrien, sondern in der gesamten Kri-senregion – beitragen können.Unsere Kulturarbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen,steht dabei nicht isoliert. Wir brüten nicht jeden Tag inverschlossenen Zimmern über der Frage der Wieder-herstellung beschädigter Tempel, während Tag für TagMenschen sterben. Nein, unsere Kulturarbeit ist, wie ichgesagt habe, unverzichtbarer Bestandteil eines umfassen-den politischen Ansatzes. Das Engagement – Sie merkenes, spüren es, verfolgen es – reicht vom kräftezehrendenRingen um eine politische Lösung des Konflikts überakute humanitäre Hilfe bis hin zu einer Vielzahl von Ein-zelmaßnahmen, etwa zur Aus- und Fortbildung syrischerFlüchtlinge jenseits der Sprachausbildung. Im vergange-nen Jahr haben sich zum Beispiel 20 Organisationen, vonder Deutsch-Jordanischen Universität über den UNHCRbis zum Deutschen Archäologischen Institut, zusammen-gefunden. „Stunde Null“ heißt dieses Projekt. So habensie dieses Projekt zur Vorbereitung eines Wiederaufbausin Syrien genannt. Auch wenn diese „Stunde Null“ der-zeit noch in weiter Ferne zu sein scheint, ist es wichtig,einen Beitrag zu leisten, zum Beispiel durch die Aufnah-me von Wissenschaftlern und Studenten hier in Deutsch-land, die ihre wissenschaftliche Karriere in Syrien ange-sichts der Kriegsereignisse unterbrechen mussten, oderdurch „Goethe-Institut Damaskus | Im Exil“, einer Veran-staltung, die dieser Tage hier in Berlin eröffnet wird. Mitall diesen Maßnahmen zeigen wir: Kulturarbeit ist Hoff-nungsarbeit, aber sie ist mit Blick auf die einbezogenenMenschen eben auch Arbeit an ganz konkreten Chancen.Das steht im Vordergrund der Initiativen unserer Wis-senschaftsorganisationen, des DAAD, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, und das gilt weit über Syrienhinaus. So bemühen sich große deutsche Stiftungen,etwa nach dem Vorbild der Deutsch-Jordanischen Uni-versität eine Fachhochschule in Ostafrika aufzubauen,um die Lücke zwischen schulischer und akademischerAusbildung zu füllen, um stärker anwendungsbezogenauszubilden, weil in diesen Regionen ein entsprechenderBedarf vorhanden ist. Mit Blick auf die Flüchtlingskri-se – den wir natürlich von hier aus einnehmen – werdendurch Zugang zu Bildung Perspektiven für die Menschenin ihrer Heimat geschaffen. Zugang zu Kultur und Bil-dung ist in weiten Teilen Afrikas und Asiens häufig dereinzige Ausweg aus Armut und Perspektivlosigkeit.Meine Damen und Herren, die zweite wichtige Ver-änderung in unserer Arbeit setzt da an, wo der Freiraumfür Kultur und Wissenschaft bedroht ist, dort, wo Unver-ständnis zu falschen Vorstellungen führt, wo IdeologienVerständigung untergraben. Gegen Ideologisierung hilftnur Differenzierung, und dafür brauchen wir kulturelleFreiheitsräume; denn nur durch Auseinandersetzung, woBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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wir sie zulassen und möglich machen, kann am Endeauch Verstehen und Verständigung entstehen.
Diese vorpolitischen Freiheitsräume zu schützen, Zu-gang zu Denk- und Deutungsmustern einer Gesellschaftzu schaffen, das genau ist unser Ziel, wenn wir zum Bei-spiel ein deutsch-russisches Jugendjahr veranstalten,wenn wir Kultur- und Spracharbeit in Saudi-Arabienleisten, wenn wir mit Kuba um ein Kulturabkommenringen und wenn wir gemeinsam mit Frau Grütters undder Stiftung Preußischer Kulturbesitz helfen, ein Ausstel-lungsprojekt mit dem Teheraner Museum für zeitgenössi-sche Kunst auf die Beine zu stellen.Bei diesem Austausch geht es nicht darum, die Posi-tion des anderen zu akzeptieren oder die eigene Positi-on zu relativieren. Aber es darf auch in der Diplomatieals Erfahrungssatz gelten, dass es unklug ist, das eigeneHandeln zu bestimmen, ohne die Wahrnehmung des Ge-genübers zu kennen. Deshalb brauchen wir die kulturelleIntelligenz, deshalb sitzen wir nicht nur in Konferenzräu-men, sondern hören, wo immer es geht, auch Künstlernund Kulturschaffenden, Angehörigen der Zivilgesell-schaft zu.Die Räume, die wir öffnen, sind durchaus auch wört-lich zu verstehen. Jedes Goethe-Institut, jede Pasch-Schu-le ist Teil einer kulturellen Infrastruktur, die uns mit denPartnern in der Welt verbindet. Ich darf Ihnen sagen, daskostet Geld, ja, aber viel weniger Geld als Verkehrsinfra-struktur, und Gedankenstau ist nicht weniger risikoreichals Verkehrsstau.
Deshalb müssen wir diese kulturelle Infrastruktur, die-se Räume erhalten, fördern und ergänzen, so wie wir esdemnächst hoffentlich mit dem Thomas-Mann-Haus inKalifornien tun und gemeinsam mit der Villa Aurora tunwerden können. Hier geht mein Dank an Frau Grüttersund auch an das Hohe Haus, an alle, die mitgeholfen ha-ben, dass wir hoffentlich die drohende private Veräuße-rung des Thomas-Mann-Hauses verhindern konnten.Ich glaube, jeder, der im Augenblick in die USAschaut, weiß, dass es dringend notwendig ist, dass wirunsere Präsenz, unsere Anwesenheit dort erhöhen. Des-halb arbeiten wir auch daran, dass wir das lange leerste-hende sogenannte Goethe-Haus in New York wieder mitLeben und mit kulturellen Angeboten aus Deutschlandfüllen.
Aber es geht nicht nur um Erweiterung unserer eige-nen Selbstdarstellungsmöglichkeiten, sondern es gehtauch darum, dass wir Kooperationen mit europäischenPartnern suchen. Deshalb suchen wir gemeinsam mitFrankreich nach Möglichkeiten – insbesondere in Län-dern Afrikas, in denen nur der eine oder der andere ver-treten ist –, unsere Kulturarbeit miteinander zu verabre-den und dafür zu sorgen, dass der eine mit dem anderenund gelegentlich sogar für den anderen in afrikanischenStaaten arbeiten kann.Genauso unerlässlich, um zum Schluss zu kommen,ist es aber, dass wir auch hier bei uns zu Hause, auf unse-rem Kontinent, Raum für Auseinandersetzung über unse-re Herausforderungen in Europa schaffen; dies halte ichfür dringend notwendig. Mit diesen Räumen meine icheben nicht nur Brüsseler Sitzungssäle und nicht nur denDeutschen Bundestag, sondern Räume, in denen EuropasBürger darüber streiten können, welches Europa wir wol-len, Townhall-Gespräche, Bürgerwerkstätten. Gemein-sam mit der Mercator-Stiftung wollen wir solche Räumeschaffen, und mit der VW- und Robert-Bosch-Stiftunghaben wir gemeinsame Forschungsprojekte, um zu ana-lysieren, wo der Skeptizismus gegen Europa bei den Bür-gern genau liegt und wo Politik vielleicht stärker als inder Vergangenheit ansetzen muss.All diese Arbeit ist wichtig, meine Damen und Herren,um dieses Europa in schwierigen Zeiten zusammenzu-halten.Ich danke Ihnen. Ich danke dem Unterausschuss fürAuswärtige Kultur- und Bildungspolitik für diesen wirk-lich wichtigen und klugen Entschließungsantrag, auf des-sen Grundlage wir hier heute beraten können.Ganz herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertri-
büne möchte ich eine Delegation von Mitgliedern des
slowenischen Parlaments herzlich begrüßen. Wir freu-
en uns über Ihr Interesse an unserer Arbeit.
Gerade der Tagesordnungspunkt, den Sie heute Morgen
verfolgen, macht deutlich, dass uns die kulturelle Zu-
sammenarbeit mit unseren Nachbarländern nicht weni-
ger wichtig ist als die wirtschaftlichen Beziehungen. Wir
freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit zwischen un-
seren Parlamenten.
Nächster Redner ist der Kollege Diether Dehm für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Lassen Sie mich zunächst über Kultur in diesem Hausesprechen. Unser Unterausschuss wird vielerorts als Bio-top belächelt; denn die allermeisten Anträge werden vonuns fraktionsübergreifend eingebracht, egal ob es um dieNöte von Goethe, die Besoldung der Lehrkräfte in Aus-landsschulen und die entsprechenden Verdi-Forderungen,das Haus der Kulturen der Welt oder die GedenkstätteSobibor geht. Der Ton untereinander ist freundschaftlich.Begründet wurde dieser Umgang in der Zeit, als nochDr. Peter Gauweiler den Ausschussvorsitz inne hatte undLuc Jochimsen mit dabei war.
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Dort durfte ich dann stellvertretender Vorsitzender desAusschusses werden. Mit Bernd Fabritius versuchen wir,weiter auf diesem gemeinsamen und einvernehmlichenWeg zu bleiben, und bleiben es auch.
Zugrunde liegt unserer Kulturarbeit ein Verständ-nis, wonach jeder Euro mehr für Kultur einer wenigerim Krieg ist; denn gerade wenn die Diplomatie versagt,kann die Kultur Brücken bauen. Die letzte Reise mitPeter Gauweiler als Ausschussvorsitzendem führte unsgemeinsam nach Kiew und Moskau. Dort versuchtender Rechte Gauweiler und der Linke Dehm Russen undUkra inern ein wenig am persönlichen Beispiel zu zeigen,dass man über Gräben auch reden kann.
Dazu gehört, dass keiner dem anderen seine Leitkulturvon oben überzustülpen sucht, dass keiner dem anderenseinen Lebensstil oder seinen Bildungskanon mit Gewaltüberhelfen will.Aber es gibt gemeinsame Werte für Demokraten, dieein offensives Eintreten verlohnen: gegen Faschisten,gegen islamistische Terroristen, gegen Säbelrasseln undmenschenfeindliche Marktfanatiker, also für unser gutesGrundgesetz. Es enthält zum Beispiel ein Angriffskriegs-verbot, welches Krieg vom deutschen Boden als UltimaIrratio verbietet, den Sozialstaatsgedanken, die Bindungdes Eigentums an das Gemeinwohl und die Prinzipiender Gewaltenteilung und der Unschuldsvermutung, diewir Aufklärung und Code Napoléon verdanken. DennRechtsstaatlichkeit steht diametral gegen Scharia undgegen Lynchjustiz, die auch im Namen anderer Religi-onen gepriesen wird, Stichwort „Ku-Klux-Klan“. Dieserdemokratische Konsens wird auszubauen sein, sollte tat-sächlich, was mein atheistischer Gott verhindern möge,die AfD demnächst im Bundestag sitzen.Lassen Sie mich Ihnen verraten, dass das Kopfschüt-teln in unserem Unterausschuss auch fraktionsübergrei-fend ist, wenn namentlich von Herrn Kauder durchge-prügelt wird, dass es keine gemeinsamen Anträge mitden Linken geben darf. Dies führt zu Skurrilitäten, wennwir dann zehn Änderungsanträge zum Haushalt zweimalverabschieden müssen, einmal mit Linken, einmal ohneLinke, aber ansonsten wortgetreu, damit der CDU-Füh-rung nicht zugemutet wird, einen von den Linken mitunterschriebenen Antrag einbringen zu müssen. MeinAppell an Herrn Kauder und andere lautet: Ersparen Sieuns bitte in Zukunft solche Kindereien!
Verschärft hat sich das, nachdem wieder über Rot-Rot-Grün diskutiert wird. Dabei geht es in unseremUnterausschuss kein bisschen um künftige Koalitionen,sondern um die Gesprächs- und Handlungsbereitschaftvon Demokraten, schwarzen, grünen und roten. Denn obwir es wollen oder nicht: Wir alle sind Nachgeborene dergroßen bürgerlichen Französischen Revolution und derproletarischen Oktoberrevolution – ob wir wollen odernicht.
Der vorliegende Entschließungsantrag wurde so auchvon uns gemeinsam erarbeitet; aber die Linke als Koau-tor wurde wieder gestrichen. Natürlich haben wir Linkeauch unterschiedliche Akzentsetzungen, zum Beispiel inder Bewertung der Europäischen Nachbarschaftspolitikim vorliegenden Antrag. Meine Fraktion hat lange kriti-siert, dass die ENP als Instrument zur Durchsetzung po-litischer, imperialer und wirtschaftlicher Interessen derEU und ihrer Mitgliedstaaten fungiert und darum auchspaltet. Nicht nur an den Rändern der EU brennt es.
In allen sechs Ländern der Östlichen Partnerschaft ha-ben die Konflikte zugenommen. Wir sagen 70 Jahre nachdem Überfall auf die Sowjetunion: Macht uns die Russennicht wieder zum Feind!
Zu ähnlicher Einschätzung sind auch die EU-Kom-mission und die Hohe Vertreterin Mogherini gekommen.Die Überarbeitung der ENP begann selbstkritisch. Eshieß, die EU betreibe keine wirklich konsequente Part-nerschaft und dergleichen und – Zitat –:Die Nachbarschaft ist heute weniger stabil als nochvor zehn Jahren.Wir finden es übereilt, die Auswärtige Bildungspolitikmit ihrem Sechs-Augen-Prinzip bruchlos in den Dienstder ENP als Kernstück europäischer Diplomatie zustellen, zumal der anfänglichen Selbstkritik keine Kon-sequenz folgte. Noch immer haben Assoziierungs- undFreihandelsabkommen Priorität.Desintegrative Tendenzen sind in der sozialen Fragebegründet. Die EU dagegen hält an der dominierendenMonopolkonkurrenz fest, die sie dann als Wettbewerbverklärt, die aber weitestgehend gar kein Wettbewerbmehr ist. Dem steht keine adäquate europäische Sozi-alstaatlichkeit in der EU gegenüber. Desintegrierendwerden auch die Auswirkungen von CETA und späterTTIP auf die Auswärtige Kulturpolitik sein. Die Kultur-schaffenden haben dagegen schon Position bezogen. DerDeutsche Kulturrat hatte am 18. September dieses Jahreseinen offenen Brief an die Delegierten des SPD-Kon-vents zu CETA geschrieben – ich zitiere –:Der europäische Kulturbereich wird schlechtergestellt als der kanadische. Die Europäische Uni-on unterwirft die gesamte Kulturwirtschaft ... demCETA-Abkommen. ... Bei den sogenannten Libera-lisierungsverpflichtungen geht Kanada noch weiterund stellt seine gesamte nationale Kulturpolitik– und jetzt steht dort –vernünftigerweise unter Schutz.Dr. Diether Dehm
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Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Kulturrates, be-findet, dass die EU-Kommission die europäische Kultur-wirtschaft im Stich gelassen hat.Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas Gemeinsa-mes aus unserem Unterausschuss erwähnen – der Bun-desminister ist darauf eingegangen –: Unlängst wurdebekannt, dass die Exilvilla von Thomas Mann in PacificPalisades zum Verkauf steht. Zu verhindern, dass dieserOrt, von dem aus Thomas Mann über zehn Jahre im intel-lektuellen Austausch mit anderen Antifaschisten künstle-risch wirkte, an unbedarfte Hände überschrieben werdenkönnte, dafür setzt sich dieser Unterausschuss vehementein. Ich danke dem Auswärtigen Amt hier ausdrücklichfür seine Bemühungen.Fraktionsübergreifend bestand Einigkeit, dass dasHaus eines der großen deutschen Dichter – nebenGoethe, Hölderlin und Brecht –, der mit 25 Jahren be-reits die Buddenbrooks geschrieben und damit eine prä-zise Innenarchitektur der deutschen kleinbürgerlichenSeelenlandschaft gespiegelt hat, unbedingt erworben underhalten gehört.
Die Umstände und Umständlichkeiten in dieser Villahört man gleichsam heute noch knistern, wenn man siebetritt – als Erika Mann damals ihr 20-Minuten-Grun-dig-Tonbandgerät aufstellte, damit ihr Vater dort ausJoseph und seine Brüder las, als dann im Land Jakobsund Abrahams ein Bootsmann plötzlich hanseatischesPlatt spricht. Ja, dieser Thomas Mann trug am Sehnennach Deutschland, auch als er unter brennenden Tränendeutsche Städte zu bombardieren empfahl als kollektiveBestrafung für Adolf Hitler, wofür er von Bertolt Brechtals antideutsches Reptil geziehen wurde. Dieses Hausder deutschen Tragik im Exil wollen wir behalten. Dennist es nicht die verbittert gebrochene Heimatliebe dieserFlüchtlinge, die uns die Wirkmacht der deutschen Worteund den Humanismus des anderen Deutschland neu ler-nen lässt?Im guten Sinne des Emigranten Bert Brecht:Und weil wir dies Land verbessernLieben und beschirmen wir’sUnd das liebste mag’s uns scheinen– scheinen! –So wie andern Völkern ihrs.... daß ein gutes Deutschland blühe,wie ein andres gutes Land.Dies gemeinsam mit dem VerfassungspatriotismusGustav Heinemanns sollte uns einen – in in- und auswär-tiger Kultur.Ich danke Ihnen.
Bernd Fabritius ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen undHerren! „Was wir tun“, so ist der klare und gleichzeitigselbstbewusste und entschlossene Titel des 19. Berichtsder Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bil-dungspolitik, die selbst, wie der Titel des Berichts, klar,selbstbewusst und entschlossen sein muss. Deswegenentscheiden wir, lieber Kollege Dehm, stets anhand vonSachargumenten.Unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik befin-det sich – so eine Erkenntnis aus dem Bericht – in einemWandel. Sie muss sich verändern, weil neue außenpoliti-sche Herausforderungen aufgetreten sind, aufgetreten inLändern und Regionen, die zuletzt weniger im Fokus derAuswärtigen Kultur- und Bildungspolitik standen. DieseFeststellung mag banal klingen. Die deutsche Außenpo-litik und insbesondere die deutsche AKBP sind ständigim Wandel. Der Bundesaußenminister hat es im Zuge desReview-Prozesses formuliert:Die Welt hat sich verändert, und auch das Auswärti-ge Amt muss sich verändern.Sie, Herr Außenminister, haben heute sehr zutreffend dieVielfalt aktueller Konflikte aufgezeigt.Europa spielte und spielt in der Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik dieser Legislaturperiode eine wich-tige Rolle. Der Bundestag hat als Reaktion auf die Krisein der Ukraine zum Beispiel mit der deutlichen Erhöhungder Mittel für die Östliche Partnerschaft einen Schwer-punkt gesetzt.Gerade in der Ukraine-Krise und den diplomatischenBemühungen zu ihrer Lösung drückte sich eine neueErwartung an Deutschland aus, mehr Verantwortungzu übernehmen. Lassen Sie uns erneut gemeinsam dieAuswärtige Kultur- und Bildungspolitik weiterdenken,indem wir diese Verantwortung für das Weltgeschehenanerkennen, diese aber zugleich wieder stärker auch inEuropa wahrnehmen.Wir können und müssen heute Kultur- und Bildungs-projekte weltweit verwirklichen, ohne unsere eigene eu-ropäische Wertefamilie zu vernachlässigen. So sehe iches als eine nationale Aufgabe an, die Thomas-Mann-Vil-la in Los Angeles als nicht denkmalgeschütztes Gebäudedavor zu bewahren, an einen anderen Käufer als die Bun-desrepublik veräußert zu werden, damit sie dann eventu-ell abgerissen wird. So weit wird es nicht kommen. DerBundestag und die Bundesregierung wissen um die Ge-fahr dieses unwiederbringlichen Verlustes.Zugleich muss die AKBP Antworten auf die politi-schen und gesellschaftlichen Herausforderungen in derdirekten Nachbarschaft innerhalb und außerhalb der EUgeben. Es ist erschreckend, mit welchen Mitteln und wieeffektiv Zivilgesellschaften in unserer östlichen Nach-barschaft einerseits beeinflusst, andererseits in ihrer Frei-heit beschnitten werden.Auch auf diese Herausforderungen müssen Antwortengefunden werden, ohne dass wir uns auf einen konfronta-tiven Weg, den Weg einer AKBP gegen Staaten, begeben;denn das ist es, was uns offenkundig aufgezwungen wer-Dr. Diether Dehm
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den soll: ein erneutes Denken von „Wir gegen sie“. – Damachen wir nicht mit.Wie dies gelingen kann, zeigt zum Beispiel die Deut-sche Welle. Sie hat neue Nachrichtensendungen in russi-scher und ukrainischer Sprache gestartet und hilft bera-tend bei einer Reform des ukrainischen Fernsehens, umden Pluralismus im Land zu stärken. Sie sorgt zudem imBereich der Auslandskommunikation für die Vermittlungeines realistischen und aktuellen Deutschland-Bildesund trägt so zur Berichtigung von Desinformationskam-pagnen bei. Dazu gehören neben einer Darstellung derWillkommenskultur insbesondere die Aufklärung überdie Rechts- und Faktenlage von Einwanderung und Asylin Deutschland sowie die Gefahren illegaler Migrationund auch die Korrektur der von Schleppern und anderenKriminellen gezeichneten Scheinwirklichkeit.Es ist ein sensibler Raum, ein vorpolitischer, am Men-schen und der Gesellschaft ansetzender Bereich, in demsich die AKBP bewegt. Die Arbeit unserer Mittlerorga-nisationen, des Goethe-Instituts, des DAAD, des ifa, derAlexander-von-Humboldt-Stiftung – um nur einige zunennen –, ist deshalb hoch verantwortungsvoll. Für dieseArbeit sei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an die-ser Stelle ausdrücklich gedankt.
Dank gilt auch den deutschen Auslandslehrkräften.Ich bin sehr froh, dass die Neuregelung der Besoldungder Auslandslehrkräfte, die wir 2015 beschlossen haben,seit diesem Monat nun endlich umgesetzt wird und dieErhöhung rückwirkend zum 1. Januar 2016 ausgezahltwird.
Die AKBP kann und muss heute Hilfe in den Fluchtre-gionen dieser Welt leisten, um Bleibeperspektiven aufzu-zeigen. Was derzeit in Syrien, in Aleppo geschieht, sindbarbarische Verbrechen. Luftangriffe, denen in hoherZahl Kinder zum Opfer fallen und die die letzten Kran-kenhäuser zum Einstellen ihrer Arbeit zwingen, sinddurch nichts zu rechtfertigen.
Die AKBP, meine Damen und Herren, kann in derHölle von Aleppo leider nichts tun. Sie kann aber denMenschen, die aus ihr geflohen sind, Hilfe leisten. Diemit kriegerischen und religiösen Konflikten verbun-dene Zerstörung von Kulturgütern stellt ebenfalls einebesondere Herausforderung dar. Das Deutsche Archäo-logische Institut hat mit dem „Stunde Null“-Projekt, dasSie, Herr Außenminister, bereits angesprochen haben,für den Wiederaufbau Syriens beide Aufgabenbereicheverbunden, indem es zum Beispiel geflüchtete Syrer inder Konservierung und Restaurierung mittelalterlicherRuinenstädte ausbildet. Die zusätzliche berufliche Qua-lifizierung sowie die gedankliche Beschäftigung mit ei-nem Wiederaufbau ihrer Heimat sind beste Grundlagenfür Zukunftsperspektiven und Identitätsstärkung.Dass das Auswärtige Amt seit 2016 in Person vonStaatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer nun eineSonderbeauftragte für UNESCO-Welterbe, UNESCO-Kulturkonventionen und UNESCO-Bildungs- und Wis-senschaftsprogramme hat, unterstreicht die Verantwor-tung Deutschlands im Bereich des Kulturerbeschutzes.
Die von Staatsministerin Professor Monika Grütterseingebrachte und durch den Deutschen Bundestag ver-abschiedete Novelle des Kulturgutschutzgesetzes formu-liert neue Sorgfaltspflichten beim Erwerb und beim Ver-kauf von Kulturgut. Dieses erschwert unter anderem denillegalen Handel mit aus Raubgrabungen stammendenKulturgütern. Zugleich – ich komme zurück auf unsereVerantwortung für die direkte Nachbarschaft – tragenwir nicht nur Verantwortung für das weltweite, sonderninsbesondere auch für das europäische Kulturerbe als ge-meinsame, identitätsstiftende Basis. Dieses gilt es wiederverstärkt in unseren Fokus zu rücken.Die AKBP kann sich auch deshalb wieder stärker aufunsere europäische Nachbarschaft konzentrieren, weilauf EU-Ebene derzeit etwas entsteht, das als „gemein-same europäische Auswärtige Kultur- und Bildungspoli-tik“ bezeichnet werden kann. Mit einer starken Stellungin den entstehenden Strukturen, zum Beispiel der „Cul-tural Diplomacy Platform“ und EUNIC, ist Deutschlandfederführend an der Ausgestaltung der von der HohenVertreterin Mogherini eingebrachten EU-Strategie fürdie internationalen Kulturbeziehungen beteiligt.Mit der Union für den Mittelmeerraum, mit demWestbalkan und insbesondere auch mit den Ländern derÖstlichen Partnerschaft identifizieren wir im vorliegen-den Antrag jene Regionen in der EU-Nachbarschaft, inwelchen verstärktes Engagement der AKBP notwendigist. Das Auswärtige Amt steht dabei nicht allein. In demvom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung jüngst veröffentlichten Positi-onspapier „Fokus Europa“ werden mit den Schwerpunk-tregionen Südosteuropa und den Ländern der ÖstlichenPartnerschaft sehr ähnliche Handlungsfelder identifi-ziert.Doch auch innerhalb der EU muss die AKBP wiedermehr Wirkung entfalten. Wir sprechen in unserem Antragvon der Notwendigkeit einer Stärkung des Zusammen-halts und des gemeinsamen Wertebezugs der Mitglied-staaten der Europäischen Union.Das Infragestellen der europäischen Idee erreichte ei-nen vorläufigen Höhepunkt im Austrittsvotum Großbri-tanniens. Eine Ursache dieser Entscheidung und ebensoeine Ursache für EU-Skepsis in weiteren Mitgliedstaa-ten ist mit Sicherheit ein eklatantes Identifikationsdefizitmit der EU. Unser gemeinsames europäisches kulturellesErbe sowie eine AKBP, die die einende Wirkung diesesErbes betont und gleichzeitig neue gemeinsame Projekteim Kultur- und Bildungsbereich fördert, sind wie kaumDr. Bernd Fabritius
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etwas anderes dazu geeignet, dieses Identifikationsdefi-zit zu beheben. Die AKBP ist in den vergangenen Jahrenweit in die Welt hinausgetragen worden; das ist gut so.Holen wir sie ergänzend auch ein Stück weit zurück nachEuropa, in unser Zuhause.Danke.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nundie Kollegin Claudia Roth.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir leben in einer Welt, die in Unordnunggeraten ist, in der wir die Auflösung der postkolonialenStaatenordnung beobachten, ohne dass wir schon klarerkennen könnten, welche neue Ordnung entsteht. DieseUmordnung der Welt hat ganz konkrete Auswirkungen.65 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Fürchter-liche Kriege und Konflikte sorgen für Leid und Elend,weil der internationalen Gemeinschaft die Mittel undInstrumenten fehlen, aber oftmals auch der Wille, kon-krete Lösungen zu erreichen. Das erleben wir gerade inSyrien, wo ein unfassbar brutaler Stellvertreterkrieg Zi-vilisten zu Tausenden aushungert und tötet, während sichdie Weltgemeinschaft gegenseitig blockiert. Oder wir er-leben es im Jemen, dessen Horror fast überhaupt nichtwahrgenommen wird. Staaten zerfallen. Terror gefährdetFrieden, und in vielen Ländern wendet man sich einemautoritären und nationalistischen Albtraum zu, als wäredas die richtige Antwort in einer globalisierten Welt.Einige mögen sich jetzt fragen: Was kann in einer sol-chen Welt die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitikausrichten? Ist das nicht Nischenpolitik für Kulturroman-tiker, für Träumer, ein dekoratives Sahnehäubchen, vorallem etwas für das gute Gewissen? Nein!
Ich sage Ihnen: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitikist Realpolitik. Wenn Kanäle der klassischen Diplomatieverschlossen und Kontakte eingefroren sind, wenn Hoff-nungslosigkeit um sich greift, wenn am Verhandlungs-tisch nur Blockade und in der Heimat nur Verderbenherrschen, dann braucht es neue Wege, andere Zugänge.Dann braucht es genau diese „soft power for hard poli-tics“.
Die „soft power“, von der wir hier sprechen, nutztKunst und Kultur. Sie nutzt Bildung und Sport und zieltdamit genau auf die Menschen. Damit vermitteln wir dieWerte, die uns wichtig sind und von denen wir überzeugtsind, dass sie die Welt zu einem besseren Ort machen. Essind die Werte einer toleranten, einer vielfältigen, eineroffenen Gesellschaft, die Demokratie und Menschen-rechte, die Frieden und Entwicklung, die internationaleKooperation und Solidarität in den Mittelpunkt stellt.Damit richtet sich die Auswärtige Kultur- und Bildungs-politik nicht so sehr an ganze Gesellschaften oder an Re-gime oder an bestimmte Machtkonstellationen, sondernsie stellt den Menschen, seine Werte und seine Entwick-lung in den Mittelpunkt.
Getreu dem Motto der UNESCO entstehen Kriege imGeist der Menschen. Deswegen muss auch der Friedenim Geist der Menschen verankert werden.
Es geht bei der AKBP sozusagen um wertegeleiteteAußenpolitik auf individueller Ebene, weil sie Köpfe undHerzen erreicht und damit ganze Welten verändern kann.Durch die Brückenbauer der Auswärtigen Kultur- undBildungspolitik wird oftmals Vertrauen wiederhergestelltund damit erst die Voraussetzung für die klassische Au-ßenpolitik geschaffen. Ich sage Ihnen: Wir brauchen indieser Welt viel mehr Brückenbauer. Sprengmeister gibtes nämlich schon genug.
Diese Art der zivilen Krisenprävention und der Deeska-lation, diese Friedens- und Demokratiepolitik hat vieleAkteure: die Mittlerorganisationen, die vor Ort Men-schen erreichen und damit Türen öffnen, die politischenStiftungen, die die Zivilgesellschaft stärken, Initiativen,NGOs, Künstlerinnen und Künstler, Kreative, Pädago-gen, Wissenschaftler, die alle mit viel Engagement undmit wenig Geld Menschen zusammenbringen und im-mer wieder dorthin gehen, wo es wirklich wehtut, dasAuswärtige Amt, das diese dritte Säule der Außenpolitikkontinuierlich fördert und unterstützt, und nicht zuletztauch unser sehr engagierter Unterausschuss hier im Bun-destag.Ich möchte an dieser Stelle die Mittlerorganisationeneinmal nennen, weil man sie für ihre Arbeit gar nichtgenug ehren kann: das Goethe-Institut, das mit 159 In-stituten weltweit Schutzräume sowie Raum für kritischeGedanken schafft und sich seit 2013 in den neu entstan-denen großen Städten des Nahen Ostens, in den großenFlüchtlingslagern mit konkreten Kultur- und Bildungs-projekten dafür engagiert, dass keine weiteren verlorenenGenerationen entstehen; die Auslandsschulen, die Men-schen und Gesellschaften verbinden und Leuchttürmefür Demokratie sein können; das Institut für Auslands-beziehungen; die Deutsche Welle mitsamt ihrer Akade-mie, die – etwa mit der Sendung Shababtalk oder demOnlineportal Qantara, das sind wichtige Plattformenfür den Austausch mit der arabischen bzw. islamischenWelt – ein Wegbereiter für Toleranz und Meinungs-freiheit ist; das Deutsche Archäologische Institut, dasDr. Bernd Fabritius
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mit dem Projekt „Stunde Null“ eine, wie Frank-WalterSteinmeier ja gesagt hat, wichtige Voraussetzung fürden hoffentlich möglichen Wiederaufbau Syriens leistet;der DAAD mit seinen Stipendienprogrammen, die gera-de für Schwellen- und Krisenländer ausgebaut werden;die Deutsche Akademische Flüchtlingsinitiative Albert Einstein, die Geflüchteten ein Studium ermöglicht, sowiedie Alexander-von-Humboldt-Stiftung mit ihrer Initia-tive zur Unterstützung gefährdeter Wissenschaftler undWissenschaftlerinnen.Ihnen gebühren Anerkennung und Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der zu Beginn be-schriebene Zustand der Welt erschwert aber leider er-heblich die Arbeit der AKBP. So schränken immer mehrStaaten die Meinungs-, die Presse-, die Versammlungs-,die Kunst- und die Lehrfreiheit dramatisch ein. Akteureder Zivilgesellschaft, Künstler, Wissenschaftler, Journa-listen und Blogger werden mit NGO-Gesetzen in über60 Staaten kriminalisiert und ihrer Handlungsräume be-raubt.All das passiert jedoch längst nicht mehr nur in Dik-taturen oder autoritären Regimen wie etwa in Ägyptenoder in Russland, sondern es geschieht zunehmend auchin Demokratien, zum Beispiel in Lateinamerika oderauch in Israel. Man könnte nun ein wenig zynisch sa-gen, dass die Angst der Staatschefs vor der Zivilgesell-schaft ja erst zeigt, welche Kraft, welchen Einfluss undwelche Macht zivilgesellschaftliches Handeln entfaltenkann. Aber diese Entwicklung muss uns aufschrecken,und wir müssen wirklich alle Anstrengungen verstärken,um Zivilgesellschaft auch und gerade über die Mittel derAKBP zu stärken.
Gleichfalls besorgniserregend sind Berichte, wonachdas kulturelle Erbe der Menschheit weltweit immer stär-ker in Gefahr ist. Gerade in Syrien, im Irak, im Jemenund in Afghanistan drohen der kulturelle Ausverkauf, derVerlust des kulturellen Gedächtnisses sowie der Verlustund die Zerstörung der kulturellen Wurzeln. Deswegenwar es so wichtig, dass der Internationale Strafgerichts-hof in Den Haag vor zwei Tagen ein historisches Urteilsprach und zum ersten Mal in seiner Geschichte einenAngeklagten wegen der Zerstörung von Weltkulturerbe-stätten der Kriegsverbrechen für schuldig befunden hat.Die Chefanklägerin Fatou Bensouda nannte die Vernich-tung von neun mittelalterlichen Heiliggräbern und einerMoschee im malischen Timbuktu einen feigen Angriffauf die Würde und die Identität ganzer Völker.
Damit machte sie klar, was auf dem Spiel steht, wennKulturgüter zerstört, geraubt und geplündert oder als blo-ße Geldanlage missbraucht werden. Auch dieses Urteil,liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt: Auswärtige Kul-tur- und Bildungspolitik ist „high politics“.
Lassen Sie mich bitte zum Schluss noch eine weitereAufgabe nennen, die mir, die uns besonders am Herzenliegen muss und auch liegt. Das ist die lebendige Erinne-rungskultur. Wir können mit unserer Expertise, durch un-sere Erfahrung mit der Aufarbeitung der Shoah und derVerbrechen der Nationalsozialisten vielen Gesellschaftennach der Überwindung von Diktaturen beim Aufbau ei-ner eigenen Erinnerungskultur zur Seite stehen. Genausomüssen aber auch wir selbst weiter an unserer deutschenGeschichte arbeiten, die ja gerade schlimmste Verbre-chen in anderen Ländern beinhaltet. Ich nenne als Stich-worte den Genozid an den Herero und Nama in Namibia.
Ich nenne die Mitschuld am Völkermord an den Arme-niern. Ich nenne die Verbrechen der Nationalsozialistenund der Wehrmacht in Griechenland, in Italien
oder dieses schreckliche Massaker heute vor 75 Jahren inBabi Jar in der Ukraine.
Auch hier kann die Auswärtige Kultur- und Bildungs-politik Wege aufzeigen, wie wir mit diesem schreckli-chen Erbe umgehen können und umgehen müssen, wiewir Verantwortung übernehmen und so ein Erinnern indie Zukunft erst ermöglichen.
Wir sollten die Kraft der Auswärtigen Kultur- und Bil-dungspolitik gerade in diesen schwierigen, harten Zeitennicht unterschätzen. Deshalb muss sie uns im wahrstenSinne des Wortes sehr viel wert sein.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Elisabeth
Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Es ist vielfach angeklungen:Kulturpolitik wird unterschätzt. Auswärtige Kulturpo-litik wird ebenfalls unterschätzt. Sie gilt als freiwilligeAufgabe des Staates, als weicher Standortfaktor, als nichthoheitliche Aufgabe, als – Claudia Roth hat es gesagt –„Sahnehäubchen“ oder, wie der Außenminister gesagthat, „nice to have“.Nein, meine Damen und Herren, Kulturpolitik, wo im-mer sie stattfindet, ist ein harter Standortfaktor. Das mussin die Köpfe auch vieler politischer Entscheider getragenwerden. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist einewichtige Säule unserer Außenpolitik. Gerade wenn dieClaudia Roth
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Welt so durcheinandergeraten ist wie im Augenblick, istsie von großer Bedeutung. Vielen Dank für den Berichtder Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik. Esist gut, dass wir über einen solchen Antrag hier disku-tieren.Herr Dehm, solange Sie immer noch so rückwärtsge-wandt das ganze Vokabular des Marxismus auspacken,
so lange geht es nicht mit Ihnen. – Nein, Thomas Mannmeine ich ganz bestimmt nicht. – Ich glaube, sie müssenda noch ein bisschen lernen und von mancher ideolo-gischen Verklemmung aus der Vergangenheit Abschiednehmen.
Jeden Tag hören und lesen wir von den Konflikten inder Welt, von Verfolgung, Unterdrückung, Unfreiheit,kurz gesagt: von den fehlenden freiheitlichen Werten.Gerade dahinein tragen wir Kultur. Das ist eine durchund durch schöne Aufgabe und ebenso eine wichtigeAufgabe. Diese Werte, unsere Vorstellung von Presse-und Religionsfreiheit, von Rechtsstaatlichkeit, von ge-sellschaftlicher und kultureller Vielfalt, sind Zeichen vonVölkerverständigung, von Austausch, von Ideen und vonBrückenbauen in einer teilweise heillosen Welt.Mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik tra-gen wir eben nicht nur die deutsche Sprache in die Welt.Wir vermitteln auch kulturelle, gesellschaftliche Werte,fördern den Austausch von Kunst und Kultur. ClaudiaRoth hat aufgezählt, was alles in diesem Bereich getanwird, und das ist unglaublich viel. Wir zeigen damit na-türlich auch der Welt ein gutes, positives, authentisches,lebendiges Bild von Deutschland und Europa.Eine grundsätzliche Bemerkung vorweg: AuswärtigeKulturpolitik ist nicht statisch und muss sich angesichtseiner sich schnell wandelnden Welt verändern. Deshalbmüssen neue Schwerpunkte gesetzt werden.Das heißt, dass wir stärker auf die Krisen Osteuropasblicken müssen. Wir müssen überlegen, was wir zu derenÜberwindung beitragen können. Die arabische Welt gibtuns neue Aufgaben auf. Das gilt natürlich auch für Afri-ka. Daher begrüße ich sehr, dass das Goethe-Institut aufdie Arbeit dort einen – gar nicht so neuen – Schwerpunktsetzt. Mit Sprache, Musik und Film macht es Angebo-te auf diesem großen Kontinent. Man könnte jetzt einenVortrag darüber halten, wie Musik Brücken baut und wieMusik verbindet. Leider kann ich das jetzt nicht tun. Zu-mindest aber ein herzliches Dankeschön geht von dieserStelle an das Goethe-Institut.
Ich greife drei Bereiche aus unserem Entschließungs-antrag heraus; schließlich kann man nicht über alles re-den: erstens die Förderung von Presse- und Meinungs-freiheit, zweitens die Förderung von internationalemJugendaustausch und drittens die Einigungs- und Nach-barschaftspolitik.Zum ersten Punkt: die Förderung von Presse- undMeinungsfreiheit. Wir sehen in diesen Tagen, wie gestörtPresse- und Meinungsfreiheit in vielen Ländern unsererWelt sind. Ich brauche mir nur zu überlegen, wie über dieUkraine, über Aleppo oder über den Absturz der MH17berichtet wird, um zu wissen, wie wichtig es ist, dasswir unsere Maßstäbe von Presse- und Meinungsfreiheitmithilfe der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitikin andere Länder tragen. Die Propaganda aus dem Os-ten macht uns das Leben schwer; aber sie macht in nochhöherem Maße das Leben anderer Völker schwer, diedirekt am Rande des großen russischen Reiches liegen.Ich weiß, wie sehr sich die baltischen Länder vor demfürchten, was über die russische Propaganda in ihr Landgetragen wird und dafür sorgt, dass die Menschen in un-terschiedlichen Medienwelten leben.Die Deutsche Welle ist deshalb ein ganz wichtigerBestandteil unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungs-politik. Sie bringt viele wichtige Berichte in die Welt.Aber was ich fast noch wichtiger finde, ist: Sie führtSchulungen und Beratungen von Journalisten und vonangehenden Vermittlern von Meinungen durch. Insofernnimmt sie eine wichtige Aufgabe wahr, um Journalistenin aller Welt auf den Weg in eine freie Medienlandschaftzu bringen. Schwer genug, aber sie tut es, und deshalb istdie Deutsche Welle ein wichtiger Träger der AuswärtigenKultur- und Bildungspolitik.
Damit bin ich beim zweiten Punkt, nämlich bei derFörderung des internationalen Jugendaustauschs. Ich fin-de, auch dies ist ein ganz wichtiger Baustein für Frie-den in Europa, in der Welt. Wir erinnern uns, dass zumBeispiel der deutsch-französische Jugendaustausch einwichtiger Bestandteil der Aussöhnung mit Frankreichwar und ist und dass Frankreich heute zu unseren bestenFreunden zählt.Ähnlich müssen wir natürlich auch gegenüber demOsten vorgehen; deshalb arbeite ich mit Freude an einerdeutsch-baltischen Jugendstiftung. Wir müssen in dieserRegion nämlich aktiv werden, um sie zu stärken, auchin der Auseinandersetzung und in ihrem Freiheitswillen.Das halte ich für enorm wichtig. Angesichts der Tatsa-che, dass die betroffenen Staaten in der unmittelbarenNachbarschaft von Russland große Probleme haben, istdas, finde ich, gut angelegtes Geld. Das Gleiche gilt fürdas Deutsch-Polnische Jugendwerk. Mit dieser Art vonAustauschprogrammen, die ja integraler Bestandteil un-serer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sind, kön-nen wir viel erreichen. Die nächsten Generationen habenes dadurch leichter.Drittens: Einigungs- und Nachbarschaftspolitik. Wirhaben uns vielleicht ein wenig zu wenig um unsere ei-gene Identität, um unser eigenes Land und um EuropaElisabeth Motschmann
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gekümmert. Wir meinten, dass wir Europa nur über denEuro definieren können. Aber es geht eben nicht nur umGeldwerte, sondern es geht um ganz andere Werte. Hät-ten wir uns intensiver um unser eigenes Land und umEuropa gekümmert, dann hätten wir vielleicht manchesProblem der Desintegration oder auch des EU-AustrittsGroßbritanniens nicht gehabt.Auch die Tatsache, dass Solidarität hinsichtlich derAufnahme von Flüchtlingen leider nicht überall oder zuwenig geübt wird und einige Länder dabei alleingelassenwerden, zeigt ja, dass hier ein Defizit von Werten entstan-den ist. Wir müssen uns darum kümmern, dass wir siewieder implementieren. Deshalb ist es gut, dass übrigensauch das Goethe-Institut sagt: Wir müssen auch im In-land, in Europa etwas tun.Letzter Punkt. Die Berufung von StaatsministerinMaria Böhmer zur Sonderbeauftragten für das UNESCO-Welterbe halte ich für einen enorm guten Schritt, zumeinen für uns hier, zum anderen aber auch für den Erhaltbzw. für den Wiederaufbau des Kulturguts in Syrien, imIrak und in anderen Ländern.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Meine Redezeit ist zu Ende – das ist mir klar –; deshalb
bringe ich die Rede auch zu Ende. – Meine Damen und
Herren, ich schließe damit: Ich hoffe, dass jeder weiß,
dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik kein
weicher Standortfaktor ist, sondern dass wir sie brauchen
zum Brückenbau und zum Frieden in dieser Welt.
Danke schön.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Peer
Steinbrück, der heute zum letzten Mal für die SPD-Frak-
tion in diesem Hause spricht.
Sehr geehrter Präsident! Meine lieben Kolleginnenund Kollegen! Es ist sehr begrüßenswert, dass die Aus-wärtige Kultur- und Bildungspolitik heute so prominentauf der Tagesordnung steht und dabei hoffentlich auchdie ihr gebührende öffentliche Aufmerksamkeit erfährt.Ich will versuchen, sie aus meinem Blickwinkel etwaseinzuordnen.Es gibt nicht wenige, die wegen der Gleichzeitigkeiteiner Reihe von Entwicklungen seit 2014/2015 von ei-ner Zeitenwende oder einer Zäsur sprechen. Sie beziehensich dabei auf die Auflösung, mindestens auf die tiefe Er-schütterung der postsowjetischen Friedensordnung mitder erstmaligen und nach wie vor andauernden territori-alen Infragestellung eines Landes im Nachkriegseuropa.Sie beziehen sich auf den Zusammenbruch staatlicherStrukturen – das geht weit über den Nahen Osten hi-naus – mit der Folge einer Flüchtlingsbewegung, die inunserem Land korrespondierend zweierlei ausgelöst hat:eine bewundernswürdige Willkommenskultur und auchÜberfremdungsängste. Sie beziehen sich auf die Renati-onalisierungstendenzen auch in Europa, die im Rückzugin die eigene Wagenburg – Schotten runter! alles dicht-machen! – die Antwort für die Bewahrung von Statusund auch Identität sehen. Und sie beziehen sich auf denAufstieg von autoritären Regimen und die offenbar ver-breitete Sehnsucht nach autokratischen Führungsfiguren.Ja, wenn man so will, hat sich das normative Projektdes Westens, von dem der Historiker Heinrich AugustWinkler redet und schreibt und dem wir übrigens selberkeineswegs immer entsprochen haben und entsprechen,nach der letzten Zeitenwende 1990/91 nicht so durchge-setzt, wie das viele von uns damals euphorisch nach derAuflösung einer ideologischen Systemkonkurrenz ange-nommen haben. Im Gegenteil: Es steht unter Druck – voninnen und von außen. Es ist umgeben von einer Reihevon gesellschaftlichen und politischen Modellen, die sichunseren Werten – den unveräußerlichen Freiheitsrechten,der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, den Menschen-rechten, auch der Trennung von Staat und Kirche – ent-ziehen. Und wir sind umgeben von militärisch und hybridgeführten Konflikten, von Menschenrechtsverletzungen,von humanitären Notlagen, ja vielleicht sogar von huma-nitären Katastrophen.In diesen Zeiten über die klassische Außen- und Si-cherheitspolitik, über die Kunst, aber auch den Frust derDiplomatie und über die Entwicklungspolitik und hu-manitäre Hilfe hinaus den Stellenwert der AuswärtigenKultur- und Bildungspolitik herauszustreichen, ist in derTat des Schweißes der Edlen wert –
wenn dem Schweiß dann auch die entsprechenden Mittelfolgen.
Worum handelt es sich, wenn wir über die Bedeu-tung und die Ausstattung der Auswärtigen Kultur- undBildungspolitik reden und auch entscheiden? Es geht da-rum, mithilfe von Sprache, von kulturellem und wissen-schaftlichem Austausch die Verständigung und Zusam-menarbeit zu ermöglichen und darüber hinaus auch dieKraft von Zivilgesellschaften gegenüber dem Zynismusautoritärer Herrscher und Regime zu stärken, indem wirJugendliche, indem wir beruflich und akademisch Aus-zubildende, indem wir Wissenschaftler, Künstler, Intel-lektuelle zu erreichen und zu fördern suchen. Was wir mitunserer Sprache, unserer Kultur, unserer WissenschaftElisabeth Motschmann
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und auch unseren zivilen Konfliktlösungsmöglichkeitenanbieten können – nicht in deutscher Besserwisserei auf-drängen, sondern anbieten können –, kann man im Ge-gensatz zu militärischen Mitteln als – das ist inzwischenein gängiger Begriff – unsere Soft Power bezeichnen.Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik kannauch der zivilen Krisenprävention dienen. Dabei spieltdas Netzwerk der Mittlerorganisationen eine unverzicht-bare Rolle. Ich bin Frau Roth dankbar, dass sie in ihrerbreiten Aufzählung viele davon genannt hat. Denn ihrerhervorragenden Arbeit – nicht nur Ihrer, sondern auchder der Mittlerorganisationen –,
gehört unabweisbar unser Dank.
Aber in dieser Reihenfolge.
Das wird Frau Roth nicht ablehnen, wie ich glaube.
Aber dieser Dank ist umso aufrichtiger, je stärker wir siein dieser Arbeit unterstützen.Auf die Vielzahl gelungener Projekte der AuswärtigenKultur- und Bildungspolitik und auch auf die Erwartun-gen an weitere Projekte, siehe die Thomas-Mann-Villaoder auch das Stadthaus an der Fifth Avenue in New York,will ich nun aus Zeitgründen nicht eingehen. Das stehtalles und lesenswert in dem gemeinsamen Antrag vonCDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Vielmehrsei mir erlaubt, die restliche Zeit zu nutzen, um mich vonIhnen als ein aktiver Politiker und Parlamentarier zu ver-abschieden. Das lädt nun zu einem längeren, hoffentlichnicht langatmigen Resümee ein, das der Präsident aber ingenau 4 Minuten und 57 Sekunden unterbrechen würde.
Deshalb nur so viel:Ich deutete mit der Wahrnehmung einer Zeitenwendeoder einer Zäsur an, dass wir in fragilen Zeiten leben –auch in Europa. Gemessen allerdings am Zustand Euro-pas vor nur zwei Generationen relativiert sich das; manmöge zurückdenken. Ich gehöre nach der Generationmeines Urgroßvaters und meines Großvaters und meinesVaters als jemand, der 1947 geboren ist, zu der erstenGeneration, die nicht auf den Schlachtfeldern Europasgeopfert worden ist. Dieses europäische Einigungswerk,das mir und meiner Generation das ermöglicht hat, istein Glücksfall, der jeden Einsatz dafür rechtfertigt, dasses so bleibt.
Das bedeutet aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dasswir dafür sorgen müssen, dass dieser wunderbare Konti-nent nicht auf den Euro, nicht auf die EZB-Zinspolitik,nicht auf nächtliche Sitzungen des Europäischen Rates,nicht einmal auf den Brexit und schon gar nicht auf denKrümmungsgrad der Salatgurke reduziert wird.
Nun ist dieses Europa nicht nur die Antwort auf dieKatastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, son-dern auch auf die Herausforderungen des 21. Jahrhun-derts – vor dem Hintergrund einer ungeheuren Dynamikim Muster globaler, ökonomischer, politischer und mili-tärischer Kräfte, von denen ich manchmal den Eindruckhabe, dass sie sich unserer Wahrnehmung und Aufmerk-samkeit entziehen in ihren Rückwirkungen auf unsereGesellschaft und auf unsere Lage in Europa.Deutschland – übrigens das Land mit den meistendirekten europäischen Nachbarn; nach meiner Zählungneun – hat in dieser zentraleuropäischen Geografie fürden europäischen Zusammenhalt – ja, ich versteige michzu der Bemerkung: für die Selbstbehauptung Europas –einen besonderen Beitrag zu leisten und auch einen Preisdafür zu bezahlen, im ureigenen Interesse.
Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss den Bürgernmit Verstand, aber offenbar mit noch sehr viel mehr Herzerklärt werden – gegen alle Angebote des Rückzugesin die eigene Wagenburg aus populistischen oder sogarchauvinistischen Lagern.Angesichts der spürbaren Desorientierung und Verun-sicherung in nicht zu vernachlässigenden Teilen unsererGesellschaft müssen wir in unseren Parteien und in die-sem Parlament, nicht nur bezogen auf Europa, der Ortsein, die Bühne liefern, auf der die zentralen Zukunftsfra-gen debattiert werden, und zwar kontrovers, spannend,laut, leidenschaftlich, repolitisierend, nicht alternativlos.
Die Debatten müssen so geführt werden, weil damit dieNeugier an Politik wieder wächst, weil es darüber Kom-munikation gibt, weil es Engagement provoziert – auchüber ganz gegensätzliche Positionen, die ausgetragenwerden. Tun wir das nicht, übernehmen diese Debattesehr dumpfbackige Kräfte in unserer Gesellschaft.
An diesen Zukunftsthemen besteht in meinen Augenkein Mangel, über eine notwendige, gelegentlich auchtagespolitisch orientierte Tagesordnung hinaus. Einigedieser Zukunftsthemen in meinen Augen sind:Peer Steinbrück
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Was ist mit Freiheit und individueller Selbstbestim-mung in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung?Wie steht es um die Rückgewinnung des Primats de-mokratisch legitimierter Institutionen gegenüber einementgrenzten digitalen Finanzkapitalismus?
Was ist mit der Zukunft Europas – ich deutete es an –oder des Generationsvertrags vor dem Hintergrund derDemografie? Es sagt sich leicht: „Das Rentenniveaumuss gesteigert werden“, aber ich müsste der Generationmeiner Kinder und jetzt auch meiner vier Enkelkindererzählen, wer das denn eines Tages wie mit Steuern undRentenversicherungsbeiträgen bezahlen soll.
Ein anderes Thema ist der Zusammenhalt unsererGesellschaft vor dem Hintergrund unabweisbarer inter-ner Spaltungstendenzen, aber auch der Jahrzehntaufga-be, Zuwanderer und Flüchtlinge zu integrieren, wofürwahrscheinlich Bildung, Jobs und vor allen Dingen auchWohnungen der Schlüssel sind.Ein weiteres Thema – vielleicht etwas unterbeleuch-tet – ist in meinen Augen zunehmend die Frage nach demZusammenleben der großen Weltreligionen.Ich wünsche Ihnen und mir, dass die politischen Par-teien diesseits der Ausfransungen an den politischenRändern in ihrer Unterschiedlichkeit und ihrer Unter-scheidbarkeit und dieses Haus der Ort sind, wo dieseAuseinandersetzungen in Zukunft stärker stattfinden.Wir dürfen von den Bürgern nicht als ein Politikkartellverstanden werden, das ihre Befindlichkeiten wegfiltert.Und dieses Risiko besteht.Ich möchte gerne abschließen mit zwei eher banalenErkenntnissen.Als ich vor 47 Jahren in die SPD eintrat, dachte ich,dass die Verteilung, sagen wir einmal, von Sumpfhüh-nern und Schlaubergern ziemlich einseitig auf die Partei-en verteilt ist.
Ich gehörte natürlich zur Partei der Schlauberger.
Inzwischen weiß ich nach einer, wie ich zugebe, längerenLernkurve, Herr Kauder,
dass die Verteilung solcher Sumpfhühner und Schlauber-ger in und zwischen den Parteien der Normalverteilungder Bevölkerung folgt.
Diese Erkenntnis hat mir die fraktions- und parteiüber-greifende Zusammenarbeit erleichtert, wofür ich michsehr herzlich bedanken möchte.
Die zweite Erkenntnis ist vielleicht gar nicht so banal.Ich lernte sehr spät, dass es in der Politik nicht nur daraufankommt, was man sagt und was man macht, sondernauch darauf, wie man dabei guckt.
Dies habe ich in einer Laudation vor wenigen Wochenauch dem Kollegen Schäuble noch einmal gesagt.
Dies, Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen undHerren, war der letzte Ton aus meinem Jagdhorn.Vielen Dank.
Lieber Kollege Steinbrück, Sie gehören dem Deut-schen Bundestag, aus dem Sie durch eigenen Entschlusszum Ende dieses Monats ausscheiden, seit 2009 an – vielweniger lang, als die allermeisten innerhalb und außer-halb des Parlaments vermuten werden. Aber als Staatsse-kretär, als Landesminister, als Ministerpräsident und alsBundesfinanzminister waren Sie mehr als 25 Jahre so-wohl im Bundestag wie auch im Bundesrat präsent undhaben das politische Leben in Deutschland über ein gutesVierteljahrhundert maßgeblich mitbestimmt.Die Art und Weise Ihrer Arbeit, Ihrer Reden und IhrerSchriften über Ihre Arbeit haben breite Beachtung gefun-den,
wenn auch nicht immer nur schiere Zustimmung. Das hatSie erkennbar weder überrascht noch wirklich erschüt-tert.
Sie haben sich den Widerspruch, gelegentlich vielleichtauch das Misstrauen Ihrer eigenen Parteifreunde ebensohart erarbeitet wie den Respekt Ihrer politischen Gegner.
Ihre scheinbar ironische Bemerkung vorhin in IhrenSchlussbemerkungen hat die Repräsentativität diesesPeer Steinbrück
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Parlaments für das deutsche Volk noch einmal in unnach-ahmlicher Weise unterstrichen.
Als Bundesfinanzminister haben Sie auf dem Höhe-punkt der Weltfinanzkrise an entscheidender Stelle zu-sammen mit der Bundeskanzlerin einen wesentlichenBeitrag zur Bewältigung der Krise und zur Beruhigungder Öffentlichkeit geleistet.
Wir verabschieden Sie heute mit Dank und Respektaus dem Bundestag in Ihr drittes Leben nach der Politik.Und falls Sie weiterhin Reden halten und/oder Bücherschreiben: Reden bzw. schreiben Sie gut über uns!
Wir haben es verdient. Sie aber auch. Alles, alles Gute!
Thomas Feist ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! PeerSteinbrück hat gerade über die neue Neugier an der Po-litik gesprochen. Und dort oben auf den Tribünen sitzenjunge Menschen – neugierig, gespannt, bereit, sich in ei-ner repolitisierten Gesellschaft einzubringen.Genau für diese jungen Leute machen wir das, wo-rüber wir heute sprechen, nämlich Auswärtige Kul-tur- und Bildungspolitik. Und wir als Parlament, HerrMinister, haben uns ja fraktionsübergreifend darauf ver-ständigt, einen Entschließungsantrag zu dem Bericht derBundesregierung einzubringen, um auch von unsererSeite zu zeigen: Dies ist für uns, und zwar nicht nur fürden Unterausschuss, sondern für das gesamte Haus, einwichtiges Thema.Wenn es die eigene Fraktion schon nicht macht, dannmache ich es mal: Ich bedanke mich bei den Co-Au-torinnen dieses Antrags, bei Frau Schmidt und FrauMüntefering. So sind wir Kultur- und Bildungspolitik-leute eben: Wir schauen über den Tellerrand hinaus. Vie-len Dank!
– Bei Diether Dehm kann ich mich leider nicht bedan-ken, Stichwort „marxistisches Gedankengut“. Mein lie-ber Diether, ich kann dir nur sagen: Ich habe 25 Jahremeines Lebens in einem Land verbracht, das es zumGlück nicht mehr gibt. Und heute sind einige Worte ge-fallen, gegen die ich so eine innere Abscheu habe. Alsoan diesen Punkten kann ich nicht mitgehen. Wenn deinproletarisches Selbstbewusstsein es erlaubt, über deineneigenen Schatten zu springen und ohne dieses Kampfvo-kabular auszukommen, dann können wir vielleicht auchmal weitersehen.
Ich will jetzt mal versuchen, über Auswärtige Kultur-und Bildungspolitik nicht so zu reden, wie es sonst üblichist – mit wichtigen und gestelzten Worten –, sondern sieso zu erklären, wie man es einem Bürger oder einer Bür-gerin im Wahlkreis erklärt; denn für sie hat AuswärtigeKultur- und Bildungspolitik – ich würde es mal so sa-gen – nicht oberste Priorität. Ich will das anhand einigerverschiedener Punkte machen, gerade auch im Hinblickdarauf, dass die jungen Leute auf der Tribüne zu einerpolitischen Bildungsfahrt nach Berlin gekommen sindund somit auch etwas mitnehmen sollen. Deswegen willich versuchen, es so zu erklären, dass es jeder verstehenkann.Wir haben schon mehrere Beispiele aus dem Bereichder Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gehört.Ein Beispiel ist die Östliche Partnerschaft. In der Östli-chen Partnerschaft beschäftigen wir uns mit Staaten, dieim Bereich der ehemaligen Sowjetunion liegen; Ukrai-ne, Moldau, Georgien und andere gehören dazu. Waswir dort tun, ist etwas, was sich Stärkung der Zivilge-sellschaft nennt. Das ist nun auch ein Begriff, den manwahrscheinlich erklären müsste. Aber Stärkung der Zivil-gesellschaft meint, dass wir jungen Leuten, die sich fürihre Länder engagieren, die ihre Länder aufbauen wol-len, die ihre Länder beispielsweise von Vetternwirtschaftund Korruption wegführen wollen, aber auch denjenigen,die sich darum kümmern, ein gutes Bildungs- und Wis-senschaftssystem einzuführen, eine Möglichkeit geben,beispielsweise über Stipendien, auch hier in Deutschlandzu studieren. Genau darum kümmert sich die AuswärtigeKultur- und Bildungspolitik. Der Deutsche AkademischeAustauschdienst ist ganz vorne dabei, aber auch die po-litischen Stiftungen will ich nicht unerwähnt lassen. Sieleisten einen Beitrag dazu, dass wir es nicht mit den je-weils Regierenden zu tun haben. Vielmehr entscheidenwir im Parlament: Wir brauchen Programme für dieMenschen.Die Östliche Partnerschaft ist nur ein Beispiel. Wirhaben andere Beispiele. Das Goethe-Institut ist genanntworden. Es hat verschiedene Sachen für das Handyentwickelt. Ihr könnt ja nachher mal – ich glaube, ihrmusstet eure Handys abgeben oder zumindest leise stel-len – draußen schauen, welche Apps das Goethe-Insti-tut zum Beispiel entwickelt hat. Damit kann man nichtnur Deutsch lernen, sondern es so lernen, dass es ganzanwendungspraktisch ist. Anwendungspraktisch heißt,dass man beispielsweise jungen Leuten, die aus anderenLändern nach Deutschland geflüchtet sind, Angebotemacht, die es erleichtern, sich im Bereich der beruflichenBildung oder auch in der Alltagspraxis zu verständigen.Das Goethe-Institut will unter dem Stichwort „Digitali-sierung“ noch mehr; es will entsprechende Beiträge nochPräsident Dr. Norbert Lammert
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ausbauen. Ich denke, das ist das richtige Signal, geradefür die jungen Leute.
Wie wird Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auchvor Ort in Deutschland erlebbar? Wir haben beispiels-weise eine internationale Sportförderung. Ja, warum nunSport? Das machen doch andere auch. Sport deswegen,weil man für Sport erst mal keine Worte braucht, weilbeim Sport ein Teamgeist dahintersteht. Und natürlichdarf es auch Spaß machen; das ist ja nicht verboten. In-sofern geht es um Außenpolitik, die auch Spaß machendarf. Was wir dort tun, ist, dass wir beispielsweise jun-gen Trainern aus aller Welt die Möglichkeit geben, sichgemeinsam fortzubilden und in den Fortbildungslehrgän-gen nicht nur etwas über Sport zu lernen, sondern auchüber unser Land und unsere Kultur.Nun komme ich aus Leipzig; das liegt in Sachsen.Wenn man sich mal anschaut, was die internationalePresse über Sachsen schreibt, dann stellt man fest: Das istnicht unbedingt nur das, was ich wahrnehme. Insofern istes wichtig, dass wir jungen Leuten in diesem Bereich dieMöglichkeit geben, zu uns zu kommen und sich mal vorOrt anzuschauen, was es da für Menschen gibt. Dass wirdiese Möglichkeit bieten, ist eine gute Sache. Da solltenwir in Zukunft noch etwas stärker investieren.
Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, hat nunwirklich ganz speziell mit euch zu tun. Es gibt ja vieleJugendfreiwilligendienste. Das heißt, man kann nach derSchule ein Freiwilliges Soziales Jahr im Bereich der Kul-tur oder in der Politik machen; auch ein Freiwilliges Öko-logisches Jahr gibt es. Wir haben seit einiger Zeit auchbeim Auswärtigen Amt so ein Freiwilligenprogramm; esheißt „kulturweit“. Dieses Programm „kulturweit“ gibtjährlich ungefähr 500 jungen Menschen die Möglich-keit, nicht nur ins Ausland zu gehen, sondern auch dortzu arbeiten, unterstützend tätig zu sein, wo AuswärtigeKultur- und Bildungspolitik geschieht. Sie werden zumBeispiel im großen Netzwerk der PASCH-Schulen ein-gesetzt; das sind Schulpartnerschaften zwischen Schu-len im Inland und solchen im Ausland, in denen es einbesonderes Angebot für das Unterrichten der deutschenSprache gibt. Es ist natürlich richtig, dass die Motivationvon jungen Menschen, die deutsche Sprache zu erlernen,dann, wenn sie als Schüler dort auf Gleichaltrige treffen,wesentlich größer ist, als wenn wir Berufspolitiker oderLehrer erzählen, wie wichtig das ist. Es ist eine gute Sa-che, dass wir in diesem Bereich initiativ geworden sind.Man kann zum Beispiel auch beim Goethe-Institutarbeiten oder bei der Deutschen UNESCO-Kommissi-on, die für das Programm selbst verantwortlich ist. DieDeutsche UNESCO-Kommission – es ist angesprochenworden – setzt sich für das Weltkulturerbe ein; aber dasWeltkulturerbe ist nicht nur in Stein gehauen, das sindauch wir. Wir selbst sind doch Teil unserer Kultur.Mit dem „kulturweit“-Programm sorgen wir nun da-für – das ist fast eine Werbeveranstaltung, aber es lohntsich –, dass junge Menschen für ein halbes Jahr oder einJahr ins Ausland geschickt werden. Und wenn sie zurück-kommen, sind sie völlig ausgewechselt. Ich selber habelange Jahre Jugendaustauschprogramme organisiert. DasSchönste ist erstens, die jungen Menschen wachsen zusehen, und zweitens, ihre Gesichter zu sehen, wenn siewiederkommen.Ich teile mit dem Bundesaußenminister einen Lieb-lingssatz. Er stammt von Alexander von Humboldt undlautet:Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltan-schauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.Uns geht es mit der Auswärtigen Kultur- und Bil-dungspolitik also darum, dass wir jungen Menschendie Möglichkeit geben, sich selbst vor Ort ein Bild zumachen und mit anderen Eindrücken zurückzukommen,aber auch darum, im Ausland ein anderes, ein differen-zierteres Deutschlandbild vermitteln. Wir zeigen mitunserem fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag,dass wir gewillt sind, hier noch mehr zu tun. Ich denke,das sollte, nachdem wir, wie gesagt, schon einen frak-tionsübergreifenden Entschließungsantrag vorgelegt ha-ben, ein Anliegen aller Parlamentarier hier im DeutschenBundestag sein.
Zum Abschluss dieser Aussprache hat das Wort der
Kollege Dr. Christoph Bergner für die CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alsletzter Redner einer breiten, facettenreichen Debatte imSchatten der beeindruckenden Abschiedsrede von PeerSteinbrück ist es natürlich nicht so ganz leicht, sich the-matisch auf etwas zu konzentrieren, was vielleicht einenSchlussakzent setzen kann. Ich habe mich entschlossen,ein Thema aufzugreifen, das bei der Erarbeitung unseresAntrags durchaus kontrovers diskutiert wurde, und dasist die Frage des europäischen Zusammenhalts als einekulturpolitische Herausforderung.Wir haben uns daran gewöhnt, zu sagen, dass der Bre-xit gewissermaßen einen Wendepunkt markiert, dass erein Weckruf für Europa ist und dass die europäische Po-litik auf diesen Weckruf reagieren muss. Die inzwischenstattgefundenen Treffen und Gipfel – Bratislava, um nurein Beispiel zu nennen – zeigen, wie man – im Bereichder Wirtschaftsmarktpolitik, wie man im Bereich derFreizügigkeit und wie man im Bereich der Währungs-politik sowie der Verteidigungs- und Sicherheitspolitikversucht – auf diesen Weckruf reagieren kann.
Meine Fragen in dieser Debatte sind: Ist der Brexitauch ein Weckruf für die Auswärtige Kultur- und Bil-dungspolitik, und wie sollen wir dann, wenn wir dies be-jahen, diesen Weckruf aufnehmen?Dr. Thomas Feist
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Die Antwort auf die erste Frage scheint mir relativnaheliegend zu sein. Wir tun gut daran, diesen Weckrufauch als einen kulturpolitischen Weckruf zu betrachten;denn – das ist deutlich geworden, und Peer Steinbrückhat es ja auch gesagt – allein die Bindekräfte des gemein-samen Marktes, allein die Bindekräfte der gemeinsamenWährung, allein die Bindekräfte der Freizügigkeit rei-chen erkennbar nicht aus, um das Gemeinschaftsgefühlzu festigen, das wir in Form von europäischer Solidarität,geschlossener Außenpolitik und wechselseitigem Ver-ständnis bei Herausforderungen wie der Flüchtlingskrisebrauchen.
Deshalb würde ich die erste Frage uneingeschränkt beja-hen und sagen: Ja, wir sind gut beraten, auch in der Aus-wärtigen Kultur- und Bildungspolitik Handlungsbedarfzu sehen und diesen Handlungsbedarf aufzugreifen. Diesist Gegenstand unseres Entschließungsantrags geworden.Damit stellt sich natürlich die zweite Frage: In welcherWeise soll der Handlungsbedarf aufgegriffen werden?Ich möchte es riskieren, zu sagen: Wir müssen um einegemeinsame europäische Identität ringen, die wir nichtin ausreichendem Maße haben. Wenn wir dies als eineAufgabe der Kulturmittler betrachten, dann stellt sich na-türlich die Frage: Wie sollen wir zu den angemessenenAntworten kommen? Diese Diskussion ist nicht einfach;denn sie fällt in eine Zeit, in der identitäre Bewegungenund Ideologien sich mal nationalistisch, mal ausschließ-lich europäisch-abendländisch, mal islamophob abzu-grenzen und so Identitätsmuster aufzubauen versuchen;jedenfalls suchen diese Ideologien bewusst den Konfliktmit der Grundwertecharta der Europäischen Union.Die Antwort ist auch deshalb schwer, weil wir – davonbin ich überzeugt – Identität nicht in der Grenzenlosigkeitfinden, weil wir, wenn wir Identität suchen, die Grenzenunserer Identitätsbezüge suchen müssen, Grenzen, diePeer Steinbrück das „normative Projekt des Westens“genannt hat. Viele wohlmeinende Akteure, auch in derAuswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, flüchten sichgeradezu in die Grenzenlosigkeit und weichen der Frage:„Was ist typisch europäisch?“ in einer Weise aus, die ichnicht nachvollziehen kann.Die Debatte über die europäische Identität fällt in eineZeit, in der nationalstaatliche Leitbilder im Sinne einerantieuropäischen Zielstellung in den Parteienlandschaf-ten Europas revitalisiert werden. Die Lehre, die wir da-raus ziehen können, ist, dass europäische Identität immernur als Konglomerat nationaler und regionaler Identifika-tionen verstanden werden kann. Es wäre unklug, weil wireine europäische Identität pflegen wollen, die nationalenIdentitäten zu verteufeln. Wir müssen die Bindekräftedieses Konglomerats suchen. Dies halte ich für eine sehrwichtige Herausforderung.
Die Suche nach der europäischen Identifikation fälltin eine Zeit, in der die östlichen EU-Mitgliedstaaten inder Flüchtlingsfrage Identitätskriterien geltend machen –keine muslimischen Zuwanderer –, die im westlichenEuropa längst zur Disposition gestellt wurden. Auch hierempfehle ich uns sehr, gegenüber den Osteuropäern nichtdie Schulmeister zu spielen, sondern diese Identitätsfra-gen, die mit den osteuropäischen Kulturkonzepten ver-bunden sind, zum Gegenstand eines ehrlichen Dialogs zumachen.All diese Probleme und Schwierigkeiten unterstrei-chen aus meiner Sicht, dass europäische Identifikation alsein Arbeitsgebiet der Auswärtigen Kultur- und Bildungs-politik ernst genommen werden muss. Hier sind einigeAnsätze schon genannt worden: Netzwerke wie EUNIC,Kulturhauptstädte Europas. In der letzten Sitzung desUnterausschusses wurde das Projekt „Europäisches Kul-turerbejahr 2018“ vorgestellt. Ich muss zugeben, dass ichvon den Darstellungen der brandenburgischen Wissen-schaftsministerin und des zuständigen Geschäftsführersetwas enttäuscht war. Ich hätte mir gewünscht, dass siekonkreter und programmatischer gewesen wären. DerGrundsatz des Europäischen Kulturerbejahres „Europaskulturelles Erbe“ ist aber ein maßgeblicher und unver-zichtbarer Bestandteil unserer gemeinsamen europä-ischen wie auch lokalen Identität. Dieser Grundsatz istim Sinne des Anliegens nur zu unterstreichen. Ich appel-liere, dass wir aus diesem Europäischen Kulturerbejahretwas machen.Es lassen sich weitere Beispiele nennen. Ein beliebtesBeispiel von mir sind die deutschen Minderheiten, dienicht als Außenstellen nationaler deutscher Selbstdarstel-lung, sondern als Zeugen der Vielfalt europäischer Sied-lungsgeschichte betrachtet werden können. Ich will nurbeispielhaft erwähnen, dass die „Stiftung Kirchenbur-gen“ in Rumänien – wie ich gerade in diesen Tagen ge-hört habe – unter der Schirmherrschaft des rumänischenStaatspräsidenten und des deutschen Bundespräsidentensteht. Dies begrüße ich sehr und betrachte ich auch alseine besondere Verpflichtung.Ich will weiterhin, um auf die Polemik von HerrnDehm zu reagieren, die östliche Nachbarschaftspolitikerwähnen; für die Aufstockung der entsprechenden Mit-tel haben wir uns eingesetzt. Die Frage, wie wir zu un-seren östlichen Nachbarn die Hand ausstrecken und wiewir gesellschaftspolitische Konzepte mit ihnen disku-tieren, ist eine entscheidende Frage für das europäischeSelbstverständnis und eine große Bewährungsprobe fürdie europäische Identitätssuche.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Dankeschön.
Damit schließe ich die Aussprache.Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag derFraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/DieGrünen sowie zum 19. Bericht der Bundesregierung zurAuswärtigen Kultur- und Bildungspolitik auf der Druck-sache 18/7888. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD undBündnis 90/Die Grünen wünschen Kenntnisnahme desBerichtes in Verbindung mit der Abstimmung über ihrenEntschließungsantrag. Die Fraktion Die Linke wünschtDr. Christoph Bergner
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Überweisung des Berichts an die in der verteilten Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse. Deshalb stimmen wirnach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Aus-schussüberweisung ab.Wer für die von der Fraktion Die Linke beantrag-te Überweisung stimmt, den bitte ich um ein Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Ich sehekeine Enthaltungen. Dann ist diese Überweisung mit denStimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/DieGrünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ab-gelehnt.Deshalb kommen wir jetzt zum nächsten Schritt.Wer in Kenntnis des genannten Berichts, den wir gera-de diskutiert haben, für den Entschließungsantrag aufder Drucksache 18/9796 stimmt, den bitte ich um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal-tungen? – Dann ist dieser Entschließungsantrag mit denStimmen des gesamten Hohen Hauses angenommen.
Das kommt nicht so häufig vor und ist auch nicht selbst-verständlich; es zeugt von einem hohen Maß an Ge-schlossenheit.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten CarenLay, Halina Wawzyniak, Frank Tempel, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEMietpreisbremse wirkungsvoll ausgestaltenDrucksache 18/9123Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitb) Beratung des Antrags der Abgeordneten CarenLay, Dr. Gesine Lötzsch, Halina Wawzyniak,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEDragoner-Areal dem Land Berlin zum KaufanbietenDrucksache 18/9790Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-cherschutz zu dem Antrag der Ab-geordneten Caren Lay, Herbert Behrens, KarinBinder, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEMieterinnen und Mieter besser schützen –Zweite Mietrechtsnovelle vorlegenDrucksachen 18/8863, 18/9696d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. GesineLötzsch, Heidrun Bluhm, Caren Lay, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEPrivatisierung von Bundesliegenschaftenstoppen – Liegenschaftspolitik des Bundesnachhaltig reformierenDrucksachen 18/4419, 18/6686Über zwei Beschlussempfehlungen zu den Anträgender Fraktion Die Linke werden wir am Ende dieser Aus-sprache namentlich abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Widerspruchdagegen erhebt sich nicht; somit ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin der Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linkedas Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Die Mieten in den Großstädten explodieren. Sie stie-gen in den letzten Jahren in manchen Städten um 30, 40,in Berlin mancherorts sogar um 50 Prozent. Da dürfenwir als Politik nicht länger zusehen. Diesen Mietenan-stieg müssen wir bremsen. Dieser Mietenanstieg mussendlich gedeckelt werden.
Die Mietpreisbremse, die genau das eigentlich tunsollte, entpuppt sich leider immer mehr als ein Flop.Hier in Berlin zum Beispiel sind trotz Einführung derMietpreisbremse im selben Jahr die Mieten um bis zu17 Prozent gestiegen. Drei Studien infolge, zuletzt diedes Deutschen Mieterbundes, kommen zu dem Ergebnis:Die Mietpreisbremse ist größtenteils wirkungslos. – Ichfreue mich natürlich, dass es jetzt aus der SPD hieß, dieMietpreisbremse müsse nachgebessert werden. Auch vonder CDU, von Herrn Luczak, hieß es, er würde sich demnicht verweigern. Da bin ich tatsächlich gespannt.
Ich hoffe, dass diese späte Einsicht ernst gemeint istund nicht zufällig der Tatsache geschuldet war, dass inBerlin zwei Wochen später gewählt wurde. Wir müsseneinfach feststellen: An diesem Gesetz stimmt nur dieÜberschrift. Das muss sich endlich ändern.
Dem Vorschlag, der im Raum steht, nämlich mehrTransparenz über die Höhe der Vormiete zu schaffen,würden wir uns als Linke nicht verweigern. Ich mussaber auch ganz klar sagen: Das würde die Verantwortungnatürlich immer noch beim Mieter belassen. Deswegenwäre es aus unserer Sicht viel zielführender, wenn wirendlich die ganzen Ausnahmen streichen. Egal ob beiNeubau, ob bei Modernisierung oder bei möbliertenWohnungen, streichen Sie diese Ausnahmen. Das wäreder richtige Weg.
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Es kann natürlich auch nicht sein, dass ein Vermieter,der die Mietpreisbremse ganz bewusst unterläuft, nichtmit Strafen rechnen muss. Deswegen sagen wir als Lin-ke: Wir brauchen hier empfindliche Sanktionen. Das sindwir den Mieterinnen und Mietern schuldig.
Wir dürfen sehr gespannt sein, ob in dieser Legislatur-periode von der Koalition noch etwas zu diesem Themakommt. Unser Antrag liegt auf dem Tisch. Ich bin ge-spannt, wie Sie sich dazu verhalten.Ein nächster Punkt. Seit November letzten Jahresverspricht uns Heiko Maas einen besseren Schutz vonMieterinnen und Mietern, zum Beispiel vor zu hohenModernisierungskosten. Dieser Vorschlag – er nennt sichim Fachjargon zweite Mietrechtsnovelle – dümpelt seiteinem Dreivierteljahr in den Ministerien vor sich hin. DieCDU/CSU läuft dagegen Sturm und blockt diesen Ge-setzentwurf ab. Das kann einfach nicht sein.Es gibt einen wirklich sehr guten Film. Diesen möchteich Ihnen, der CDU/CSU-Fraktion, und auch Ihnen, HerrLuczak, ganz persönlich als eine Art kollektive Weiter-bildungsmaßnahme empfehlen.
Denn ich habe nicht das Gefühl, dass Sie wirklich wis-sen, was in unseren Städten eigentlich los ist.
Schauen Sie sich diesen Dokumentarfilm bitte an.Er heißt Die Stadt als Beute . Er ist vom FilmemacherAndreas Wilcke und läuft im Moment in den Kinos. DerFilm dokumentiert die Gier der Spekulanten und dasVersagen der Politik. Er zeigt auch auf, wo das Problembei der Modernisierungsumlage liegt. Ein Makler sagtvöllig unverblümt zu Investoren: Nehmen Sie ein biss-chen Geld in die Hand, machen Sie die Wohnung schön.Modernisierung ist die beste Kapitalanlage. – Leider hater da völlig recht. 11 Prozent der Modernisierungskostenkann der Vermieter Jahr für Jahr auf die Miete umlegen.Wo sonst gibt es solch eine hohe Rendite und dann auchnoch staatlich garantiert? Das muss sich endlich ändern.
Im Ergebnis heißt das doch – das wissen auch Sie –,dass der Mieter für einen neuen Balkon, den er gar nichthaben will und gegen den er sich aber nicht wehren kann,im Laufe der Zeit einmal, zweimal, dreimal und viermalan den Vermieter zahlen muss. Das hat doch mit sozialerGerechtigkeit nichts zu tun. Das ist einfach nur Ausbeu-tung.
Wissen Sie, ich bin der festen Überzeugung, dass wirdiese Modernisierungsumlage abschaffen müssen. Wirhaben das hier schon beantragt. Das haben Sie leider ab-gelehnt. Wir haben heute einen neuen Antrag vorgelegt,in dem wir versuchen, das festzuhalten, was eigentlichKonsens sein müsste, nämlich zum Beispiel dass mandiese Modernisierungsumlage zumindest absenkt unddass man den Mietspiegel neu berechnet; denn so, wie erbis jetzt berechnet wird, macht er Mieterhöhungen zumGesetz. Das darf doch nicht wahr sein.
– Natürlich ist es so. Wenn man die Mieten der letztenvier Jahre in die Berechnung hineinnimmt und die Mie-ten in diesen vier Jahren um 30 oder 40 Prozent steigen,dann macht man Mieterhöhungen zum Gesetz. Das kön-nen Sie nicht abstreiten. So ist es einfach. Das muss sichändern.
Das ist genau der Grund, warum wir hier eine For-mulierung gewählt haben, wie sie auch die SPD wählenwürde, wie sie auch im Gesetzentwurf von Herrn Maassteht. Wissen Sie, diesen Widerspruch wie gerade aus derSPD-Fraktion brauche ich jetzt wirklich nicht. Wir sagenganz klar: Warten Sie nicht auf Ihren Koalitionspartner.Wenn Sie warten, bis die Union irgendeine Verbesserungfür die Mieterinnen und Mieter vorlegt, dann wird es indieser Legislatur nichts mehr. Ich glaube, wir könnenfeststellen: Wenn dieses Gesetz zum besseren Schutzder Mieterinnen und Mieter nicht bald eingebracht wird,dann wird es in dieser Legislatur nichts mehr. Dann müs-sen die Mieterinnen und Mieter bis 2018 warten, bis sichirgendetwas verbessert. Das kann einfach nicht sein.
Wir geben Ihnen die Chance, unserem Antrag – der soformuliert ist, dass er nicht nur für uns, sondern auch fürSPD und Grünen zustimmungsfähig ist – zuzustimmen,sodass er hier eine Mehrheit findet.
Da muss sich natürlich auch die Union Gedanken ma-chen. Auch Sie müssen sich langsam einmal die Fragestellen: Machen Sie hier weiter Politik für die Kapitalan-leger oder endlich einmal für die Mieterinnen und Mie-ter?
Das tun Sie aber nicht; das ist das zentrale Problem.
Aber auch die SPD möchte ich daran erinnern, dassfür die Vorschläge, die wir gemeinsam teilen, in diesemHohen Hause eine Mehrheit da wäre. Wir hätten ja zu-sammen eine Mehrheit für diesen Antrag.
Ich weiß, dass es ungewöhnlich ist, Anträgen der Oppo-sition zuzustimmen. Sie könnten hier und heute für einenbesseren Schutz der Mieterinnen und Mieter stimmen,aber aus Gründen der Koalitionsdisziplin tun sie es nicht.Erklären Sie das bitte einmal den Leuten. Das versteht,ehrlich gesagt, wirklich kein Mensch. Deswegen mussCaren Lay
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ich an die Adresse der SPD sagen: Haben Sie ein biss-chen Mut, und stimmen Sie unseren Anträgen zu!
Die Mieterinnen und Mieter würden es Ihnen danken, dieWählerinnen und Wähler übrigens auch.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Jan-
Marco Luczak.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen undKollegen! Wir haben in Deutschland etwa 42 MillionenWohnungen. Etwa die Hälfte davon sind Mietwohnun-gen. Klar ist: Eine Wohnung ist weit mehr als nur einDach über dem Kopf; sie ist auch Rückzugsraum undStätte persönlicher Entfaltung. Deswegen ist für uns alsUnion völlig klar: Wir wollen nicht, dass Menschen ausihren angestammten Wohnvierteln verdrängt werden,weil sie sich – gerade in großen Städten und Ballungs-zentren – ihre Miete nicht mehr leisten können. Wir wol-len auch nicht, dass junge Familien aus ihren Wohnungen„herausmodernisiert“ werden. Was wir wollen, ist, dasswir in den angestammten Wohnvierteln sozial ausgewo-gene Mischungen haben. Das ist für uns als Union eineSelbstverständlichkeit.
Dazu brauchen wir die Anträge der Opposition an dieserStelle nicht.Was das Ziel betrifft, besteht zwischen allen Fraktio-nen im Hohen Haus Einigkeit, dass wir in Deutschlandmehr bezahlbaren Wohnraum brauchen. Nur, die Frageist: Wie erreichen wir denn dieses Ziel? Klar ist: Hier gibtes keine einfachen Lösungen. Es gäbe auch keine Lösun-gen, wenn wir den populistischen Forderungen, die unsdie Linke hier präsentiert, folgen würden.
Es gibt deswegen keine einfachen Lösungen, weil wirunterschiedliche Zielsetzungen haben, die allesamt wich-tig sind und die wir zusammenführen müssen. Natürlichgeht es um bezahlbaren Wohnraum. Aber es geht in glei-cher Weise auch um die energetische Sanierung unseresWohnungsbestandes; denn wir haben wichtige Klima-ziele, die wir alle miteinander erreichen wollen. Es gehtauch um den altersgerechten Umbau. Unsere Gesell-schaft wird älter. Wir müssen auf diesen demografischenWandel reagieren. Deswegen müssen wir die Vorausset-zungen dafür schaffen, dass altersgerechter Umbau mög-lich ist. Welche Maßnahmen zielführend und richtig sindund welche nicht, darüber diskutieren wir gerade inner-halb der Koalition.Ich fange beim bezahlbaren Wohnraum an. Da habenwir als Koalition bereits reagiert. Wir haben im letztenJahr die Mietpreisbremse eingeführt, um die Mieterkurzfristig vor steigenden Mieten zu schützen. Linke undauch Grüne fordern jetzt, die Mietpreisbremse zu ver-schärfen und die Ausnahmen zu streichen.
Richtig ist: Die Wirkung der Mietpreisbremse – das sa-gen uns verschiedene Studien – ist umstritten.
Aber ich will mich jetzt gar nicht so sehr bei den ein-zelnen Studien aufhalten. Man könnte nämlich bei jederStudie sehr viel zur Methodik sagen, die in Teilbereichensehr angreifbar ist. Deswegen finde ich es richtig, dassdas Justizministerium eine unabhängige Studie in Auf-trag gegeben hat, um die Wirksamkeit der Mietpreis-bremse zu hinterfragen. Klar ist jedenfalls für uns alsUnion: Die Mietpreisbremse muss in der Praxis funkti-onieren; deswegen schauen wir da auch sehr genau hin.
Wir als Gesetzgeber haben an Vermieter die klareErwartung, dass sie sich an die Mietpreisbremse hal-ten. Deswegen haben wir den Mietern auch Rechte andie Hand gegeben. Sie können gegen überhöhte Mietevorgehen und dann die zu viel gezahlte Miete zurück-verlangen. Das ist auch gut und richtig. Ich kann nur alleMieter auffordern: Nehmt die Rechte, die wir euch gege-ben haben, wahr!
Klar ist auch – das wird hier immer falsch darge-stellt –: Wenn ein Vermieter falsche Angaben zur Vor-miete macht, dann ist das strafbar. Das ist glasklar alsBetrug strafbar. Deswegen stimmt es einfach nicht, wennhier immer behauptet wird, es gebe keine Sanktionen beider Mietpreisbremse. Wir haben hier das Strafrecht alsInstrument. Das ist sogar die schärfste Sanktionsmög-lichkeit, die wir als Gesetzgeber vorsehen können.
Die Linke fordert hier trotzdem eine Verschärfung derMietpreisbremse, nämlich die Abschaffung aller Ausnah-men.
Caren Lay
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Richtig ist: Natürlich gibt es bei der MietpreisbremseAusnahmen. Jede dieser Ausnahmen ist aber berechtigtund hat auch gute Gründe.Ich komme zum Neubau. Ein Neubau ist heutzutageteuer. Sie können einfach nicht neue Wohnungen bauen,die zu einer Miete in Höhe von 10 Prozent über der orts-üblichen Vergleichsmiete angeboten werden. Das schaf-fen Sie einfach nicht. Wenn wir keine Ausnahme für denNeubau hätten, dann hätte das zur Folge, dass niemandmehr neue Wohnungen bauen würde. Wir hätten weni-ger Angebot auf dem Markt, und deswegen würden dieMieten weiter steigen. Deshalb ist die Ausnahme für denNeubau, die wir hineinverhandelt haben, genau richtig.
Genauso richtig ist es im Übrigen, dass es eine Aus-nahme bei bestehender Vormiete gibt. Wir müssen denBestandsschutz gewährleisten, weil das eine Frage derRechts- und Finanzierungssicherheit ist. Wir können hiernicht auf laufende Vertragsverhältnisse einwirken. Dasist auch mit Blick auf Artikel 14 unseres Grundgesetzeseine zwingende verfassungsrechtliche Voraussetzung.Ebenso richtig ist schließlich auch die Ausnahme beiumfassenden Modernisierungen. Ich habe es gerade ge-sagt: Wir wollen doch alle miteinander, dass die Woh-nungen modernisiert werden. Wir wollen den altersge-rechten Umbau und die energetische Sanierung. Das istaber teuer. Wenn wir den Vermietern sagen: „Ja, du sollstmodernisieren“, während er die Modernisierung in kei-ner Weise finanzieren und wirtschaftlich tragfähig dar-stellen kann, dann wird doch hinterher die Folge sein,dass niemand mehr modernisiert, und das kann dochnicht das Ziel sein.Frau Lay, an dieser Stelle sage ich Ihnen: Sie streu-en hier den Leuten Sand in die Augen, indem Sie sagen,man könne jetzt 11 Prozent auf die Miete umlegen, wasgleichzusetzen sei mit der Rendite. Ich glaube, Sie wis-sen es besser, dass das natürlich überhaupt nichts mitei-nander zu tun hat.
Es geht darum, die Kosten umzulegen. Hier müssen wirnatürlich ran. Es gibt ein niedriges Zinsniveau, und wirsind auch gesprächsbereit, wenn es darum geht, dieseModernisierungsumlage zu senken.
Streuen Sie den Menschen hier aber nicht Sand in dieAugen, indem Sie sagen, dass eine Modernisierungsum-lage von 11 Prozent gleichzeitig die Rendite ist, die dieVermieter erzielen. Das, was Sie hier machen, ist einfachnicht redlich, und das könnten Sie einmal korrigieren undzurücknehmen.
Noch einmal: Jede dieser Ausnahmen – es geht umden Neubau, die Vormiete und die umfassende Moderni-sierung – hat ihre Berechtigung. Deswegen sagen wir alsUnion an dieser Stelle auch ganz klar: Mit uns wird eskeine Streichung dieser Ausnahmen und auch keine an-dere Verschärfung der Mietpreisbremse geben, weil wirnicht wollen, dass die Mietpreisbremse zu einer Investi-tionsbremse wird.Ich will trotzdem sagen: Wir geben unser Ziel, bezahl-baren Wohnraum zu schaffen, hier nicht auf. Klar mussaber auch sein: Die Mietpreisbremse ist kein Allheilmit-tel gegen steigende Mieten. Das war uns doch allen mit-einander klar. Wir müssen nicht nur an den Symptomenansetzen, sondern auch die Ursachen von steigendenMieten bekämpfen. Das Mietrecht im Allgemeinen unddie Mietpreisbremse im Speziellen können dazu aber nureinen ganz kleinen Beitrag leisten. Sie sind zwei Bau-steine in einem ganzen Bündel von Maßnahmen, die wirdurchführen müssen.Im Kern geht es doch darum: Wir haben in unseremLand zu wenig Wohnungsbau. Deswegen hilft nur eines,wenn wir steigende Mieten nachhaltig bekämpfen wol-len: Wir müssen bauen, bauen, bauen, und zwar mehrund schneller.
Hier sind vor allen Dingen auch die Länder und Kom-munen in der Pflicht. Wir haben bei der Einführung derMietpreisbremse gesagt: Die Länder, die das einführen,müssen ein Maßnahmenpaket beschließen und sagen,wie sie mehr Wohnungsneubau schaffen wollen. Wennich mir die einzelnen Länder einmal anschaue, muss ichsagen: Da ist relativ wenig passiert. – Ich gucke hierauch einmal auf meine eigene Stadt, Berlin: Berlin bautim Verhältnis zu Hamburg nur halb so viele Wohnungen.Dann muss man sich auch nicht wundern, dass die Mie-ten hier ansteigen.
Wir müssen mehr für den Wohnungsbau tun. Wir alsBund nehmen hier auch unsere Verantwortung wahr. Wirhaben die Mittel für die soziale Wohnraumförderung inden letzten Jahren massiv erhöht. Ab 2017 werden jedesJahr 1,5 Milliarden Euro dafür zur Verfügung stehen.
Wir geben den Ländern diese Mittel, damit sie dafür so-zialen Wohnungsbau betreiben. Und was tun die Länder?Sie machen damit alles Mögliche, aber sie bauen kei-ne neuen Wohnungen. Deswegen sage ich: Das geht sonicht. Wir brauchen eine klare Zweckbindung für dieseMittel, damit sie auch da ankommen, wo sie ankommensollen. Das müssen wir als Bund auch kontrollieren.
Es gibt noch ganz viele Punkte, bei denen die Länderin der Verantwortung sind. Es geht darum, mehr Bau-land auszuweisen und die bauordnungsrechtlichen Vor-schriften zu entschlacken, sodass man im urbanen Raumnachverdichten und auf den Dächern die Potenziale fürWohnungen heben kann. Es muss einfacher werden,und wir müssen schneller werden. Wir müssen an denDr. Jan-Marco Luczak
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Standards ansetzen. Wir können es daran sehen: Nur dieEnEV 2016 verteuert das Bauen um bis zu 8 Prozent.
Meine Damen und Herren, natürlich ist es so, dassdiese Verteuerung hinterher bei den Mietern ankommt.Wenn ich das Bauen teurer mache, dann werden hinterherauch die Mieten höher sein. So einfach ist die Rechnung.
Deswegen müssen wir alles tun, damit sich das Inves-titionsklima für Wohnungsneubau nicht verschlechtert,sondern es muss sich verbessern.
Da müssen wir dann auch über steuerliche Förderungnachdenken.Es gab ein Projekt, das wir in der Koalition fast schonbis zum Abschluss gebracht haben. Das ist leider auf denletzten Metern, auf der Zielgeraden, an der SPD geschei-tert. Ich bedaure es sehr, dass wir keine Einigung mit demKoalitionspartner hinbekommen haben.
Da kann ich nur hoffen, dass die SPD zur Einsichtkommt. Wir brauchen mehr steuerliche Förderung, da-mit wir mehr Wohnungen neu bauen können. Das ist zumWohle der Mieterinnen und Mieter in unserem Land,meine Damen und Herren.
Natürlich müssen sich auch die Länder an die eige-ne Nase fassen und sehen, was sie sonst alles machen.Ich denke zum Beispiel an die Grunderwerbsteuer. DasAufkommen aus dieser Steuer ist in den letzten Jahrenmassiv angestiegen, weil fast alle Länder, bis auf Sach-sen und Bayern – da liegt die Grunderwerbsteuer immernoch bei 3 Prozent –, die Grunderwerbsteuer massiverhöht haben. Die Linke in Thüringen plant gerade, dieGrunderwerbsteuer zum Anfang nächsten Jahres zu er-höhen. Das rot-rot-grüne Bündnis, das sich hier in Berlinanschickt, die Macht zu ergreifen
– das war eine schlechte Formulierung, das gebe ich ger-ne zu –, plant ebenfalls, die Grunderwerbsteuer zu erhö-hen.
Da muss man schon einmal, liebe Kollegen von denLinken, Ihrem thüringischen Ministerpräsidenten sagen:Wenn Sie das Bauen so teuer machen, dann werden auchdie Mieten steigen.Das ist das Gegenteil dessen, was wir brauchen. Wirbrauchen stattdessen ein ausgewogenes Paket, von demwir sagen können: Natürlich nehmen wir den Anspruchauf bezahlbaren Wohnraum ernst. Wir wollen den Mie-terinnen und Mietern helfen, damit sie nicht verdrängtwerden. Aber wir brauchen Investitionsbedingungen, mitdenen Neubau ermöglicht wird. Dafür brauchen wir einausgewogenes Paket.In dem Paket, das uns als Mietrechtspaket II vorliegt,ist nicht alles falsch.
Aber in der Summe führt es dazu, dass sich die Inves-titionsbedingungen massiv verschlechtern werden. Des-wegen rufe ich die SPD auf: Setzen wir uns zusammen,um ein vernünftiges Paket zu schnüren, mit dem wir dieunterschiedlichen Interessen – bezahlbarer Wohnraum,altersgerechter Umbau und energetische Sanierung – zu-sammenbringen können.
Dann können wir auch wirklich etwas für die Menschenin unserem Land tun.Vielen Dank.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der KollegeChristian Kühn.Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Besuche-rinnen und Besucher auf der Tribüne! Werte Kolleginnenund Kollegen! Herr Luczak, ich lade Sie ein, im Internetdie Seite von Immobilienscout aufzurufen.
Das können wir auch gemeinsam machen.
Schauen wir uns einfach einmal an, was in Berlin, Ih-rer Stadt, beispielsweise in Kreuzberg, angeboten wird:10 Quadratmeter kosten 590 Euro, 59 Euro der Quadrat-meter. Skandalös, oder?
Ich sage Ihnen eins: Dieser Preis gilt für eine Woh-nung in einem Gebiet mit Mietpreisbremse. Wie ist dasmöglich? Weil diese Wohnung möbliert ist. Das ist nurDr. Jan-Marco Luczak
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ein Beispiel für die vielen Schlupflöcher und Ausnah-men, die Sie in dieses Gesetz hineingeschrieben haben.
Deswegen funktioniert die Mietpreisbremse nicht.
Die Schlupflöcher sind: umfassende Modernisierung,Neubau, Rügepflicht, fehlende Transparenz; das habenSie alles beschrieben. Diese Schlupflöcher müssen Siestopfen, sonst wird diese Bremse nicht bremsen.
Die Menschen auf den 300 angespannten Wohnungs-märkten, auf denen die Mietpreisbremse gilt, warten da-rauf, dass Sie von der Union Ihr Versprechen aus demletzten Bundestagswahlkampf, die Mieten in Deutsch-land zu begrenzen, endlich wahrmachen. Ansonsten pro-duzieren Sie Politikverdrossenheit und schützen ebennicht Mieterinnen und Mieter, sondern stellen sich vordiejenigen, die in Deutschland die asoziale Praxis desHeraussanierens betreiben und die Menschen übervor-teilen.
Herr Luczak, nach Ihrer Rede ist mir eins klar gewor-den: Sie wollen einfach nicht, dass die Mietpreisbremsefunktioniert. Das ist die Position der Union. Ich finde, dasist heute sehr deutlich geworden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle, die Mieten-politik machen – ich meine die vielen Kolleginnen undKollegen aus der Linkspartei und der SPD und andere –,bekommen Briefe von verzweifelten Mieterinnen undMietern in Deutschland, weil sie Ankündigungen für eineModernisierung, verbunden mit einer Mietpreissteige-rung von bis zu 200 Prozent, erhalten haben. Sie wissennicht, ob sie in den nächsten Monaten noch in ihrer Woh-nung, in der sie 10 oder 15 Jahre gewohnt haben, bleibenkönnen. Diese Mieterinnen und Mieter wissen, dass sieaus ihrem Quartier, ihrem Stadtteil oder manchmal sogaraus ihrer Stadt wegziehen müssen und dass sie dann ihreKinder in eine andere Schule oder in eine andere Kitaschicken müssen. Diese Menschen müssen ihr vertrautesUmfeld verlassen. Das liegt an der im Mietrecht veran-kerten Modernisierungsumlage. Dieser Paragraf führtdazu, dass Mieterinnen und Mieter heraussaniert werden.Diese asoziale Geschäftspraxis muss beendet werden.
Herr Luczak, Sie haben nicht mehr viel Zeit, in derGroßen Koalition zu verhandeln. Sie haben gesagt: Wirreden darüber. – Wie lange wollen Sie denn noch darüberreden? Die Legislaturperiode ist bald zu Ende. Wenn Siesich nicht beeilen, dann wird in diesem Punkt gar nichtsmehr passieren. Dann schauen die Mieterinnen und Mie-ter auf den 300 angespannten Wohnungsmärkten amEnde in die Röhre.Das Mietrecht ist in eine Schieflage geraten, weildas Mietrecht kein Schutzrecht ist, wie die Mieterinnenund Mieter glauben, sondern ein Ausgleichsrecht. Aberauf angespannten Wohnungsmärkten funktioniert diesesRecht nicht mehr. Deswegen müssen wir es grundsätz-lich ändern. Wir müssen die Ursachen bekämpfen, die zusteigenden Mieten in unseren Metropolen führen.
Eine der Ursachen ist Spekulation. Dazu haben Sie garkein Wort verloren; das ist peinlich.
Gegen diese Spekulation müssen wir vorgehen. Deswe-gen ist es umso peinlicher, dass einer der größten Spe-kulanten in dieser Republik hier auf der Regierungsbanksitzt. Das ist Herr Schäuble, der mit der Bundesanstalt fürImmobilienaufgaben nichts anderes macht, als Grundstü-cke spekulativ zu verwerten.
Das ist offenkundig geworden, weil wir seit drei Jahreneine Debatte darüber führen. Es gibt zwar eine Verbil-ligungsrichtlinie betreffend die verbilligte Abgabe vonLiegenschaften an Kommunen. Aber leider profitierenbislang nur sechs Kommunen davon, weil die Umset-zung durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgabenskandalös ist. Sie umgeht eigentlich den entsprechendenHaushaltsbeschluss und setzt ihn nicht um. Damit mussendlich Schluss ein.
Wir brauchen dringend eine Gesetzesreform bei derBImA. Wir brauchen ein neues BImA-Gesetz. Wir brau-chen eine andere Liegenschaftspolitik des Bundes.
In Zeiten, in denen wir hohe Steuereinnahmen haben,müssen wir Geld für den sozialen Zusammenhalt ausge-ben. Das heißt, wir geben den Kommunen verbilligt un-sere Liegenschaften für sozialen Wohnungsbau, Flücht-lingsunterbringung und bezahlbares Wohnen, damit sieauf diesen Grundstücken günstig bauen können, HerrLuczak.
Christian Kühn
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Herr Schäuble tut nichts gegen die Spekulation auf un-seren Wohnungsmärkten. Er schließt nicht die Schlupflö-cher beispielsweise bei den Share Deals, bei denen dieGrunderwerbsteuer umgangen wird. Damit heizt er wei-terhin die Spekulation in Deutschland an und schadet denMieterinnen und Mietern in Deutschland.
Wenn wir Familien mit kleinen Einkommen schützenund den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nicht ge-fährden wollen, dann müssen wir jetzt in den sozialenZusammenhalt investieren. Dann müssen wir Wohnenals Daseinsvorsorge begreifen und nicht als einen Markt,auf dem Wohnungen wie Waren gehandelt und Menschenhin und her geschoben werden. Wenn wir darauf keineAntwort finden, Herr Luczak – ich meine die Union ge-nerell –, dann schüren wir damit Ängste. Die Menschen,die mir Briefe schreiben, haben konkrete Ängste, insbe-sondere die Menschen, die in den abgehängten Stadttei-len am Stadtrand leben. Wir sollten ihre Ängste nichtschüren, indem wir uns im politischen Hickhack verlie-ren und am Ende keine Lösungen präsentieren. Wir müs-sen Antworten auf die Ängste geben, die diese Menschenhaben, und damit den Rechtspopulisten in Deutschlandden Nährboden entziehen.
Wohnen ist ein soziales Grundrecht. Wir in der Poli-tik, insbesondere im Deutschen Bundestag, tragen Ver-antwortung dafür, dass die Wohnungsmärkte nicht weiteraus dem Ruder geraten. Deswegen brauchen wir eineMietpreisbremse, die tatsächlich bremst. Wir brauchenein Mietrechtspaket II, das die asoziale Praxis des He-raussanierens beendet. Wir brauchen eine Wohnungs-wirtschaft, die sich am Gemeinwohl orientiert. Deswegenhaben wir Grüne gemeinsam mit der Linken die Debatteüber Wohnungsgemeinnützigkeit angestoßen. Da werdenwir Sie weiterhin vor uns hertreiben; denn wir brauchenWohnungsmärkte, die nicht mehr Spekulanten dienen,sondern sich am Gemeinwohl orientieren.Danke schön.
Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort der Parla-
mentarische Staatssekretär Ulrich Kelber.
U
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! In den Regionen Deutschlands mit Bevölkerungs-wachstum erleben wir jetzt seit einigen Jahren stark stei-gende Mieten und stark steigende Kaufpreise für die, diesich Wohneigentum schaffen wollen. Das hat sich längstzu sozialem Sprengstoff entwickelt – zuallererst für dieMenschen mit niedrigem Einkommen. Es hat aber auchlängst die Mittelschicht erfasst. Nachhaltig werden wirdas nur ändern können, wenn wir sehr viel mehr bezahl-bare Wohnungen bauen.Aus diesem Grund hat die Koalition seit 2013, also seitdem Regierungswechsel, die Mittel für den Wohnungs-bau verdreifacht. Wir sehen natürlich erste Wirkungen.Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen hat sich seitdemschon fast verdoppelt. Der Trend geht übrigens weiter.In den ersten sieben Monaten des Jahres 2016, also vonJanuar bis Juli, ist die Zahl der genehmigten Wohnungengegenüber dem Vorjahr noch einmal um 26 Prozent auf215 000 Wohnungen gestiegen.Den Auswirkungen dieser Wohnungsnot wollen wiraber auch mit sozialem Mietrecht begegnen.
Der Entwurf des Justiz- und Verbraucherschutzminis-teriums wurde ja von dritter Seite veröffentlicht. Vondaher kann jeder sehen, wofür wir uns einsetzen. Dafürbrauchen wir dann auch keinen zusätzlichen Bundestags-beschluss, sondern jeder kann sehen, mit welchen Vor-schlägen wir innerhalb der Regierung bzw. innerhalb derKoalition werben.
Ich will das an Beispielen aus meiner HeimatstadtBonn deutlich machen. Es kommen Menschen zu mirin die Bürgersprechstunde, die mit ihrer Mietzahlungin Verzug geraten sind, zum Beispiel, weil sie arbeits-los geworden sind und es gedauert hat, bis das Jobcen-ter die Zahlung in die Wege geleitet hat. Wenn das Gelddann wieder verlässlich fließt, wird die fristlose Kündi-gung zurückgenommen. Die hilfsweise ausgesprocheneordentliche Kündigung läuft aber weiter. Das heißt, dieMenschen haben nicht nur ihren Job verloren, sondernauch die Wohnung, obwohl sie sie bezahlen könnten.Deswegen wollen wir das Kündigungsrecht angleichenund auch hier helfen, dass in solchen Fällen nicht gekün-digt werden kann.
Wenn ich in den Außenbezirken meiner Stadt – wo esdie Hochhäuser gibt – unterwegs bin, treffe ich immerhäufiger auf Rentnerinnen und Rentner, die mir erzählen,dass sie früher innenstadtnäher gewohnt haben, sich aberden Umzug in eine kleinere Wohnung dort nicht leistenkonnten, weil eben beim Mieterwechsel Aufschläge von20, 30 oder 40 Prozent genommen werden. Deswegenbrauchen wir eine Mietpreisbremse, die so etwas verhin-dert. Wir wollen nicht, dass die Menschen aus ihren Vier-teln wegziehen müssen, sondern wir wollen, dass es dortgute Nachbarschaft gibt.
Gerade habe ich gesagt, dass das Problem längst auchdie Mittelschicht erfasst hat. Ich unterstütze Anwohne-Christian Kühn
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rinitiativen, die erleben, dass modernisiert werden soll,aufgrund dessen ihre Kaltmiete von 8 Euro auf 15 Europro Quadratmeter erhöht werden soll. Jedem ist klar: Dasoll nicht modernisiert werden, sondern die Leute sollenkündigen, damit dieses Haus danach von dem Eigentü-mer – in diesem Fall eine Kapitalgesellschaft – verkauftwerden kann. Damit wollen die ihren Gewinn machen.Deswegen brauchen wir eine Kappungsgrenze für sol-che Verdrängungsmodernisierungen. Das ist unser Vor-schlag, den wir gemacht haben.
In der gemeinsamen Heimatzeitung meiner CDU-Kol-legin Frau Winkelmeier-Becker und mir stand vor zweiTagen ein interessanter Bericht über eine Familie mitzwei Erwachsenen und zwei Kindern. Es handelt sich beiden Erwachsenen um durchaus schon gut verdienendeAkademiker. Die haben berichtet, warum sie jetzt finan-ziell überfordert sind. Sie müssen einen Studienkredit fürihre Studiengebühren – die wir als SPD jetzt in Nord-rhein-Westfalen Gott sei Dank abgeschafft haben –
in Höhe von 15 000 Euro zurückzahlen. Weil sie in unse-rer Heimatstadt Bonn – übrigens schwarz-grün regiert –keinen Platz in einem öffentlichen Kindergarten gefun-den haben,
zahlen sie jetzt 460 Euro allein für die Betreuung einesKindes. Und weil es eine leichte Lohnerhöhung gege-ben hat, werden sie jetzt noch einmal nachzahlen müs-sen, weil sie in die nächsthöhere Beitragsklasse gekom-men sind. Obwohl sie sich bescheiden und zu viert auf73 Quadratmeter wohnen, haben sie eine Warmmiete von1 033 Euro zu bezahlen. Deswegen sind längst auch sol-che Mittelschichtfamilien überfordert.Das sind die Menschen, denen wir mit den Vorschlä-gen, die wir vorgelegt haben, helfen wollen. Dafür wer-ben wir in der Regierung bzw. in der Koalition. Bitte un-terstützen Sie uns.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Lay?
U
Aber selbstverständlich.
Verehrter Herr Kollege Kelber, in Bezug auf die For-
derungen, die Sie hier präsentieren, kann ich fast alles
unterschreiben. Da kann ich, glaube ich, auch für die
Fraktion Die Linke sprechen. Das entspricht ja auch in
etwa dem, was wir heute als Antrag vorgelegt haben.
Nun haben Sie ja vorhin von Ihrem Koalitionspartner,
von Herrn Luczak, gehört, dass es mit ihm eine Nachbes-
serung der Mietpreisbremse nicht geben wird. Deswegen
meine Frage: Glauben Sie allen Ernstes, dass Sie auch
nur eine dieser richtigen Forderungen, die Sie hier heute
vorgetragen haben, mit diesem Koalitionspartner in die-
ser Legislaturperiode noch beschließen können? Oder
denken Sie, dass das mit diesem Koalitionspartner wohl
nicht zu machen und das wirklich ein Jammer ist?
U
Frau Lay, Sie legen heute einen Antrag vor, mit dem
Sie die Regierung auffordern, etwas vorzulegen. Genau
das hat das Justiz- und Verbraucherschutzministerium
gemacht. Es hat einen Vorschlag vorgelegt.
Selbstverständlich bin ich als Sozialdemokrat immer
davon überzeugt, dass ich Menschen mit guten Argu-
menten zu den richtigen Taten überzeugen kann.
Das heißt, ich diskutiere mit Herrn Luczak nicht nur im
Deutschen Bundestag, sondern ich treffe mich mit ihm
auch in anderen Räumen und versuche, ihn davon zu
überzeugen.
Ich bin mir sicher: Wir werden auch noch beim Miet-
rechtspaket II etwas bewegen können.
Herr Präsident, Sie hatten mich gefragt, ob ich eine
Zwischenfrage zulasse. Mit meinem Appell, uns zu un-
terstützen und unsere Vorschläge umzusetzen, war ich
allerdings am Ende meines Redebeitrags angekommen.
Daher war das sozusagen eine Nachfrage.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Bitte unterstüt-
zen Sie uns, öffnen Sie sich für die richtigen Vorschläge.
Die Menschen draußen haben es verdient.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die präzise Ein-
haltung der Redezeit. – Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Hans Michelbach für die CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieAnträge der Linken und auch der Grünen zulasten desParl. Staatssekretär Ulrich Kelber
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privaten Wohnungsbaus entlarven, dass sie unsere freiesoziale Marktwirtschaft
aus reiner Ideologie ablehnen.
Für die CDU/CSU-Fraktion steht fest: Privatwirt-schaft geht vor Staatswirtschaft. Das sollten Sie sich ein-mal merken, weil dieses Prinzip die besseren Lösungenfür die Menschen und auch für die Mieter entfaltet, esdienlicher für die Menschen und auch für die Mieter ist.
Stattdessen hängen Sie immer wieder einer Art sozialisti-scher Voodooökonomie und Staatswirtschaft an.
Das beste Beispiel dafür ist die von Ihnen gewünschteGrundstückspolitik gegen Bundeseigentum.
Die ist an Doppelzüngigkeit nicht mehr zu überbieten:einerseits beim Bund billig einkaufen, andererseits eige-ne Grundstücke teuer verkaufen und Bauherren mit einerhöheren Grunderwerbsteuer gleichzeitig noch abkassie-ren. Das ist die Wahrheit über Sie, Frau Künast, und überSie von den Linken.
Das ist eine Politik zulasten der Mieter. Warum wirddenn in Bayern mehr in Wohnungen investiert? Weilwir die Bauherren nur mit einer Grunderwerbsteuer von3,5 Prozent besteuern, in anderen Ländern beträgt diese6 Prozent und mehr.
Sie wollen weitere Steuererhöhungen. Das trifft die Mie-ter. Weil Sie das Steuerkarussell immer weiter antreiben,haben die Mieter die Zeche zu zahlen. Das ist die Wahr-heit in unserem Land.
Berlin hat genug eigene Flächen und erhält eine aus-reichende Bundesförderung für den Wohnungsbau, umden dringend notwendigen Bau bezahlbarer Wohnungenvoranzubringen.Nun – das möchte ich besonders in meiner Rede an-sprechen – zur Veräußerungspraxis der BImA. Das Ge-setz ist hier eindeutig. Die BImA ist dazu verpflichtet,die benötigte Bundesliegenschaft zum vollen Wert zuveräußern.
Dies gilt für alle Bundesliegenschaften, auch für dassogenannte Dragoner-Areal in Berlin, für das es einengültigen Kaufvertrag gibt. Es geht hier für den Bundes-haushalt um 36 Millionen Euro, also um bedeutendeHaushaltsmittel. Das Geld können Sie doch dem Bundnicht einfach abnehmen. Die BImA ist dazu verpflichtet,diese Mittel und diese Liegenschaften treuhänderisch zuverwalten, darf aber keine Untreue begehen. Ihre Vor-schläge sind doch nichts anderes als eine Aufforderungzur Untreue gegenüber dem deutschen Steuerzahler. Dasist doch die Wahrheit.
Eine Rückabwicklung und ein Verkaufsmoratorium,was Sie fordern, sind für mich ausgeschlossen, weil dieseine nicht hinnehmbare Bevorteilung der öffentlichenHand zulasten der Privatwirtschaft wäre.
Bundesminister Schäuble ist allein den gültigen Geset-zen verpflichtet. Wir können doch nicht Verträge revi-dieren, nur weil ein Land damit nicht einverstanden ist.Warum der Bund sein Eigentum dem Land Berlin unterWert geben soll, obwohl in unmittelbarer Nähe landes-eigene Grundstücke vorhanden sind, erschließt sich mirnicht. Wer es nicht fertigbringt, das Tempelhofer Feld fürdie notwendige Stadtentwicklung zu generieren, solltezunächst vor der eigenen Tür kehren. Das ist doch dieWahrheit. Sie können doch nicht stattdessen dem Bundin die Tasche greifen.
Eindeutig ist natürlich, dass wir in Deutschland einenMangel an Mietwohnraum haben. Doch sollten wir unseinmal genau anschauen, wer dafür verantwortlich ist.
In erster Linie haben die Länder und Kommunen dafürzu sorgen, dass es ausreichend bezahlbaren Wohnraumgibt, natürlich auch die richtige Bebauungsplanung undletzten Endes auch die nötige Anzahl an Grundstücken.
Sie erhalten dafür vom Bund erhebliche Mittel. Leidernutzen einige Länder den Geldsegen des Bundes für an-Dr. h. c. Hans Michelbach
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dere Belange. Das heißt, sie machen eine Art Verschie-bebahnhof: Sie machen Schulden auf anderen Feldernund wollen zum Tilgen dieser Schulden Bundesgelderbenutzen.Meine Damen und Herren, die Verschärfung der Miet-preisbremse bedeutet nach meiner Ansicht eher eineStrangulierung des Mietwohnungsbaus durch Überre-gulierungen. Sie kriminalisieren mit Ihren Vorschlägenzur Einführung von Sanktionen und zur Streichung derAusnahmen im Wirtschaftsstrafgesetz die Vermieter. DieMietpreisbremse ist gerade für Investitionen in Neubau-wohnungen absolut kontraproduktiv.
Herr Kollege Michelbach, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Liebich?
Gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Michelbach. – Ich habe
jetzt Ihrer Rede aufmerksam zugehört und davor der
Rede des Vertreters der Bundesregierung. Das, was hier
gesagt worden ist, war nicht so ganz deckungsgleich.
Der Staatssekretär hat auf die Frage meiner Kolle-
gin Lay geantwortet, dass er davon ausgeht, dass er
die CDU/CSU-Fraktion mit guten Argumenten von der
Richtigkeit seiner Position überzeugen wird. Wie sehen
Sie das denn?
Wir haben Gesetze verabschiedet, zu denen wir ge-meinsam stehen. Nur, Sie müssen doch einmal die Ur-sache für die heutige Debatte zur Kenntnis nehmen. Siewollen Verschärfungen. Sie wollen dem Bund in die Ta-sche greifen. Sie wollen Steuererhöhungen. Sie wollenkeine steuerlichen Anreize für den Mietwohnungsbau.
Sie wollen eine Politik, die in die falsche Richtung geht.Wir haben geliefert. Dazu stehen wir, und letzten Endesbetreiben Sie hier nichts anderes als reinen Mieterpopu-lismus.
Einzelne Fälle von Wildwuchs wie die von Ihnen dar-gestellten Beispiele bekämpfen wir natürlich; aber wirziehen nicht die falschen Schlussfolgerungen.Ich glaube, es ist zu erkennen, dass Sie am liebstender privaten Immobilienwirtschaft weitere Zumutungen,weitere Folterwerkzeuge androhen.
Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Damit sind Sie denMietern in keiner Stadt wirklich dienlich. Sie bewirkennichts, außer dass Sie hier Ihre politischen Ziele verkün-den. Auch alles Weitere, was Sie hier an Staatsdirigismusverkünden, ist ein falscher Ansatz.
Ich bin der Auffassung, dass es für mehr Mietwoh-nungsbau Anreize in Form steuerlicher Abschreibungengeben muss. Hier muss geliefert werden. Wir haben diesim Finanzausschuss intensiv beraten. Wir waren der Auf-fassung, dass das Ganze dringlich ist und dass dies auchWirkungen zeigen wird.
Deswegen bitte ich noch einmal, in sich zu gehen unddem steuerlichen Anreiz für mehr Mietwohnungsbau zu-zustimmen, weil so die absolut notwendigen Ergebnisseerzielt werden.Hingegen sollten wir dagegen eintreten, dass die Län-der die Grunderwerbsteuer weiter erhöhen.
In Berlin hat man angekündigt, dass die Grunderwerb-steuer auf 6,5 Prozent steigen soll. Ich kann nur sagen:Das ist der falsche Weg. Es ist ein Bärendienst für dieMieter, wenn eine solche Steuererhöhung in Kraft tritt.Wir müssen alles dafür tun, dass es in der Zukunftauch bei der Wohnimmobilienkreditrichtlinie Verände-rungen gibt. Wir haben es hier mit der Umsetzung einerEU-Richtlinie zu tun, wodurch die Eigentumsschaffung,wodurch Mietwohnungen frei werden, letzten Endeserschwert wird. Das Gesetz zur Umsetzung der Wohn-immobilienkreditrichtlinie muss noch einmal verändertwerden. Andere Länder haben dies besser gelöst.
Dr. h. c. Hans Michelbach
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Es kann nicht sein, dass junge Familien und ältereMenschen von ihrer Sparkasse oder von ihrer VR-Bankkeine Kredite bekommen,
nur weil die Begründung zu diesem Gesetz unbestimmteRechtsbegriffe enthält, weil wir hier die Dinge nicht soumgesetzt haben, wie andere Länder in Europa das getanhaben.
Unsere Bürger haben nichts mit der Immobilienbla-se in Spanien zu tun. Bei uns war die Unterlegung desImmobilienwerts bei den Krediten immer wichtig undrichtig. Das ist das Prinzip. Warum sollte der Wert einerImmobilie bei der Kreditierung keine Rolle mehr spie-len? Das muss in das Gesetz hinein, und das muss letztenEndes revidiert werden. Das ist ein wichtiger Punkt, da-mit wir bei der Umsetzung der Wohnimmobilienkredit-richtlinie die Schaffung von Wohneigentum begünstigen
und damit auch Freiräume für den Mietwohnungsbauschaffen.Ich glaube, es gibt eine ganze Menge zu tun – aberdies nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen,
weil das den Menschen, den Mietern mehr dienlich ist.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch,
Fraktion Die Linke.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr ge-ehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kelber und alleanderen Kollegen von der SPD, Sie haben es eben vonIhrem Koalitionspartner sehr deutlich gesagt bekommen.Er teilt Ihre Position überhaupt nicht. Ich kann Ihnen nursagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Zie-hen Sie daraus endlich die richtigen Schlussfolgerungen!
Lange ist dafür gekämpft worden, auch in der Öffent-lichkeit ist es unterstützt worden, und es ist ein kleinerErfolg erzielt worden: Der Haushaltsausschuss – KollegeKühn von den Grünen ist schon darauf eingegangen –hat eine sogenannte Verbilligungsrichtlinie beschlossen.Das bedeutet, dass Grundstücke des Bundes verbilligt anStädte und Gemeinden abgegeben werden können, umden sozialen Wohnungsbau dort zu ermöglichen.Der Finanzminister hat sich lange dagegen gesperrt.Er sah die Grundstücke nur als reine Geldquelle. Werden höchsten Preis bot, bekam den Zuschlag. Das ist dasDenken von Spekulanten und nicht von verantwortungs-vollen Politikern. Ein Finanzminister muss ein verant-wortungsvoller Politiker sein, meine Damen und Herren.
Wir brauchen vor allen Dingen in den Großstädtenpreiswerte Wohnungen; da fehlen sie nämlich. Im Bun-destag, mehr oder weniger deutlich auch in dieser Debat-te, aber auch in den Medien ist viel über eine rechtsex-treme Partei gesprochen worden, die in vielen Ländern,leider auch in Berlin, Zulauf hat. Wir sollten vor allenDingen über die Ursachen der Wahlerfolge dieser Parteinachdenken.Dabei ist auch der Wohnungsmangel ein großes The-ma. Viele Menschen finden keine preiswerte Wohnung,und manche fürchten, dass geflüchtete Menschen bevor-zugt Wohnungen erhalten. Wir alle wissen, dass das nichtder Fall ist. Aber der Wohnungsmangel ist real, und zwarfür alle Menschen in Deutschland, die wenig Geld ha-ben – für die, die schon lange hier wohnen, und für dieGeflüchteten. Wir wollen, dass alle in vernünftigen Woh-nungen wohnen, meine Damen und Herren.
Grundlage für preiswerte Wohnungen sind preiswerteGrundstücke. Der Verkauf von Grundstücken zu Markt-preisen führt automatisch zu Eigentumswohnungen undzu teuren Wohnungen. Auch wenn die mögliche verbil-ligte Abgabe – es ist schon geschildert worden, dass esin den vergangenen Monaten zu ganz wenigen Übertra-gungen kam – ein richtiger Schritt ist: Dieser Schritt istin Anbetracht des existierenden Wohnungsmangels vielzu klein.Wir brauchen grundlegende Veränderungen, und da-rum wollen wir auch das BImA-Gesetz ändern. Werwenn nicht die Abgeordneten des Deutschen Bundesta-ges können es ändern? Manche Abgeordnete tun immerso, als hätten sie mit Gesetzen nichts zu tun. Ich kanndem Publikum sagen: Gesetze werden hier im Bundestagbeschlossen.
Da kann sich kein Abgeordneter rausreden.
In wenigen Tagen, am 3. Oktober, werden wir wiederden Tag der Deutschen Einheit begehen. Ich will einmalin die Geschichte zurückgehen und daran erinnern, dassder Bund Liegenschaften, die der damaligen DDR ge-hörten, zu 1 Euro an Betriebe abgeben konnte, wenn da-durch Arbeitsplätze gesichert werden konnten. Das warDr. h. c. Hans Michelbach
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zwar nicht immer der Fall, aber an dieser Position kannman sich ja einmal orientieren.Liebe Kolleginnen und Kollegen, von vielen hier wur-de gesagt, auch von Herrn Michelbach wieder: Berlinmacht es auch nicht richtig. Der Berliner Senat aus CDUund SPD – die CSU ist am Berliner Senat natürlich nichtbeteiligt gewesen; das wissen wir –
verkauft zum Höchstpreis. Das ist natürlich kritikwürdig.Dieser Senat, der jetzt abgewählt wurde, hat die Interes-sen der Mieterinnen und Mieter nicht adäquat vertreten.Aber das wird sich in Berlin jetzt ändern, meine Damenund Herren.
Ich kann Ihnen nur sagen: Unabhängig von falschenpolitischen Entscheidungen in den Ländern sollte derBund die richtigen Entscheidungen treffen. Damit kom-me ich zu unserem Antrag zum Dragoner-Areal in Ber-lin-Kreuzberg.
Frau Kollegin Lötzsch, gestatten Sie zuvor eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Luczak?
Ich kann sie fast voraussehen. Aber trotzdem können
Sie das gerne tun.
Frau Kollegin Lötzsch, nachdem Sie hier gerade den
Senat aus CDU und SPD angegriffen haben, will ich Sie
schon fragen, wie Sie denn eigentlich Ihre Verantwor-
tung einschätzen. Ihre Partei war ja von 2001 bis 2011 im
Senat in Verantwortung. In dieser Zeit haben Sie massiv
landeseigene Wohnungen verkauft – über 60 000 Woh-
nungen –,
weil Sie gesagt haben: Wir brauchen die alle nicht mehr. –
Das war eine absolut kurzsichtige Sichtweise. Selber zu
sagen: „Wir haben überhaupt kein Problem mit steigen-
den Mieten“, und uns hinterher vorzuwerfen, dass wir
nichts für den Wohnungsmarkt getan hätten, obwohl wir
die Wende eingeleitet haben und jetzt mehr gebaut wird,
finde ich schon einigermaßen erstaunlich. Darauf hätte
ich gerne einmal eine Antwort von Ihnen, Frau Lötzsch.
Ich kann Ihnen darauf gerne eine Antwort geben.Erstens. Der Verkauf der GSW war ein schwerer Feh-ler.
Zweitens. Ihre Fraktion – die CDU war damals diegrößte Oppositionsfraktion – hat vor dem Verfassungs-gericht den Berliner Senat verklagt und gefordert, Priva-tisierungen durchzusetzen.
Drittens. Berlin hat ja vor dem Bundesverfassungs-gericht versucht, sich entschulden zu lassen. Das istgescheitert. Das war eine Entscheidung, die dem LandBerlin sehr wehgetan hat, und zwar nicht der Regierung,sondern vor allen Dingen den Bürgerinnen und Bürgerndieses Landes. Ich kann mich noch gut erinnern: Ich habedamals als Berliner Abgeordnete im Haushaltsausschussgesessen, als diese Entscheidung verkündet wurde. IhreKolleginnen und Kollegen haben da gejubelt. Das wareine Schande; das kann ich Ihnen sagen.
Ich sage noch einmal: Das Entscheidende, damit manpreiswert Wohnungen bauen kann, ist eine vernünftigeBodenpolitik. Und wenn man weiter Spekulationen zu-lässt und zulässt, dass die Preise in die Höhe gehen, dannist man auf dem falschen Dampfer. Und wenn man sagt,wir würden die Privatwirtschaft schädigen wollen, dannist man auch auf dem falschen Dampfer.
Wir wollen ein soziales Gemeinwesen, und wir wollen,dass das Recht auf Wohnen ins Grundgesetz kommt unddass alle Menschen etwas davon haben und nicht nur dieLobbygruppen, die Sie vertreten, Kollege Michelbach.
Zurück zum Dragoner-Areal in Berlin-Kreuzberg.Der Bund hat das Grundstück an einen Finanzinvestorverkauft. Der Bundesrat hat die Zustimmung verweigert.Eine sehr gute Entscheidung!
Aber seit einem Jahr ist das Verfahren in der Schwebe.Das grenzt an Arbeitsverweigerung. Das können wirnicht länger hinnehmen, meine Damen und Herren.
Dr. Gesine Lötzsch
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Wir müssen erreichen, dass der Kaufvertrag rückabge-wickelt wird. Berlin braucht das Grundstück,
um preiswerten Wohnraum vorzuhalten. Der Kollege undVorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Oppermann, war jaim Wahlkampf vor Ort. Darum ist nichts logischer undsinnvoller, meine lieben Kolleginnen und Kollegen aufder rechten Seite des Hauses, endlich unseren Anträgenzuzustimmen. Denn Sie haben ja gehört: Der Koalitions-partner trägt Ihre Position, wie Herr Kelber vorgetragenhat, nicht mit.Herzlichen Dank.
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Ulli Nissen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Gäste! Grüße an meine Frank-furter Besuchergruppe. Ich freue mich sehr, dass diesmalauch Flüchtlinge dabei sind, und ich freue mich, euchbzw. Sie später zu treffen.Die Entwicklung der Mietpreise ist ein Thema, dasuns zu Recht durchgängig beschäftigt. Wer wie ich auseinem Ballungsraum kommt, weiß, welche Priorität be-zahlbares Wohnen vor Ort hat. In Frankfurt fehlen schonjetzt mehr als 30 000 Wohnungen. Hochrechnungen ge-hen davon aus, dass bis 2030 die Bevölkerung noch ein-mal um 100 000 Personen steigt. Dann würden bei uns90 000 Wohnungen fehlen. In diesen Berechnungen sindnoch nicht einmal die Folgen des Zuzugs aufgrund desBrexits enthalten.Der Druck auf den sowieso schon engen und teurenWohnungsmarkt steigt weiter. Das sieht in vielen anderenBallungsgebieten nicht anders aus. Zum Glück hat dieBundesregierung reagiert. Wir reden nicht nur, wir han-deln auch. Wir haben in dieser Legislaturperiode schoneiniges auf den Weg gebracht. Wohnungsbau ist leidergemäß Föderalismus Aufgabe der Länder. Deshalb ist derBund in seinem Handeln eingeschränkt. Dennoch unter-stützen wir den sozialen Wohnungsbau mit 1,5 Milliar-den Euro und hoffen, dass die Länder das Geld zweckge-bunden dafür nutzen.
Es wäre gut, wenn der Bund wieder die Zuständigkeit fürden Wohnungsbau bekäme.Neben direktem Ankurbeln haben wir auch einigesim Mietrecht geändert. Zum 1. Juni 2015 haben wir dieMietpreisbremse auf den Weg gebracht. Dass diese nichtrichtig greift, liegt auch daran, dass es an der Umsetzungmangelt. Zum Beispiel wurde in Frankfurt die Mietpreis-bremse durch die schwarz-grüne Landesregierung erstEnde 2015 eingeführt. Sie gilt aber nicht in ganz Frank-furt. Wichtige Stadtteile sind von der Mietpreisbremseausgenommen. Warum darf im Stadtteil Eckenheim dieMiete um mehr als 10 Prozent über die Vergleichsmietesteigen? Das hat mir noch niemand erklären können. Au-ßerdem sind viele Menschen nicht über die Regelungender Mietpreisbremse informiert. Dies merke ich, wennich mit den Bürgerinnen und Bürgern rede. Viele wissennicht, dass sie auch nach Vertragsabschluss gegen den er-höhten Mietpreis vorgehen können. Mein Vorschlag: Zujedem neuen Mietvertrag im Geltungsbereich der Miet-preisbremse muss ein Informationsblatt darüber ausge-händigt werden. Das fände ich eine tolle Idee.
Die SPD-Bundestagsfraktion will die Mietpreis-bremse weiterentwickeln. Wir wollen Vermieter dazuverpflichten, die Vormiete offenzulegen. Das ist schonangesprochen worden. Außerdem wollen wir, dass derRückzahlungsanspruch, Herr Luczak, ab Vertragsab-schluss gilt und nicht erst, wie derzeit, ab dem Zeitpunktdes Widerspruchs. Ganz klar. Dann müsste der Vermietereigentlich ab erster überhöhter Mietzahlung Rücklagenbilden, damit er die Rückzahlung leisten kann.Wir wollen die bestehende Härtefallklausel konkreti-sieren. Diese Maßnahmen werden eine deutliche Verbes-serung für die Mieterschaft bringen.Wir müssen die Sorgen der Menschen in angespanntenWohnungsmärkten ernst nehmen, Herr Luczak. Anfangdes Jahres ergab eine Umfrage in Frankfurt, dass dies diegrößte Sorge von 40 Prozent der Bevölkerung ist. Das hatdie schwarz-grüne Stadtregierung nicht ernstgenommen.
Schon 2012 hatte der SPD-Oberbürgermeister PeterFeldmann mit dem Ernstnehmen dieses Themas dieWahl gegen den hoch favorisierten CDU-Kandidatengewonnen. Bei der Kommunalwahl 2016 wurde dieschwarz-grüne Stadtregierung abgewählt. Dies sollteeine Warnung an die sein, die die Sorgen und Ängste derMieter nicht ernstnehmen. Herr Luczak, das gilt ganz be-sonders für Sie.
Jetzt stellt die SPD unter anderem mit Mike Josef denPlanungsdezernenten. Wir haben bei der städtischenWohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holdingeine eigene Mietpreisbremse eingeführt. Das bedeutet,dass für etwa 25 Prozent der Frankfurter Mietwohnun-gen die Miete in den nächsten fünf Jahren um maximal1 Prozent jährlich angehoben wird. Das wirkt sich auchauf den Mietspiegel aus. Außerdem wird die ABG bis2020 1,2 Milliarden Euro in die Hand nehmen und gut6 600 Wohnungen bauen, davon 40 Prozent im öffentlichgeförderten Wohnungsbau. Das ist sozialdemokratischeWohnungspolitik, vielleicht ein Vorbild für andere Städ-te.
Dr. Gesine Lötzsch
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Wir brauchen nicht nur mehr bezahlbare Wohnungen,wir wollen auch, dass Menschen keine Sorgen haben,dass sie aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Dasversucht beispielsweise ein Miethai in der Wingertstra-ße 21. Die Mietergemeinschaft wehrt sich weiter. Sie hatmeine große Hochachtung. Ich bin nach wie vor auf ihrerSeite.Unsere wachsenden Städte stehen, unter anderemdurch die Integrationsaufgabe, vor großen Herausforde-rungen. Für alle gilt die Aufforderung, Wohnen bezahlbarzu machen, aber auch altersgerechten und energetischenUmbau zu unterstützen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch aus den Län-dern: Lassen Sie uns diese gewaltige Aufgabe im Inte-resse der Bürgerinnen und Bürger gemeinsam anpacken.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Renate Künast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-leginnen und Kollegen der Fraktion der CDU/CSU! Ichfinde, Sie haben hier ein sehr doppelbödiges Stück abge-liefert. Ich habe ein bisschen das Gefühl, Sie haben ver-sucht, die Mieterinnen und Mieter in diesem Land hinterdie Fichte zu führen. Sie erzählen mit Verve: Wir wollenetwas für die Mieterinnen und Mieter tun,
und wir müssen bauen, bauen, bauen, neu bauen, dannwird alles wunderbar. Gleichzeitig nehmen Sie aber denNeubau aus einer – wenn auch unzureichenden – Miet-preisbremse komplett heraus, und zwar nicht nur bei derNeuvermietung, sondern immer. Das organisiert aucheine Schieflage in den Städten, die Druck bei den Mietenhaben.
Sie machen doch hier eine totale Double-Bind-Num-mer. Und Herr Michelbach bringt dann noch das BeispielTempelhofer Feld. Tja, Herr Michelbach: Dumm gelau-fen! Auch die CDU war in Berlin in der Regierung.
Ich kann Ihnen sagen: Ich habe nachher dafür gekämpft,dass gar nicht gebaut wird. Und ich will Ihnen auch sa-gen, warum: Weil ich die Nase voll hatte, und viele Mie-terinnen und Mieter hatten das auch. Vor dem Hinter-grund dieser verlogenen Angebote ist der Volksentscheidja durchgegangen. Auch Sie haben von 5 000 Wohnun-gen am Rande des Tempelhofer Feldes gesprochen. Daswäre eine total dichte Bebauung.
Sie haben behauptet, da würde bezahlbarer Wohnraumentstehen. Aber Sie haben in diesen Gesetzentwurf nichtreingeschrieben – keinen Prozentsatz! –, dass ein Mini-mum an bezahlbarem Wohnraum gebaut werden muss.Warum sollte Ihnen das dann irgendein Bürger in derStadt Berlin glauben?
Das haben sie auch zu Recht nicht geglaubt.Sie tun immer erst so, als wollten Sie das, und danachwollen Sie ohne eine Bindung an den Bau von bezahlba-rem Wohnraum bauen lassen, oder Sie machen Ausnah-men ohne Ende – beim Neubau, bei umfassender Moder-nisierung usw.Und die Sozialdemokraten – sorry, aber ich kann Sieda nicht auslassen – weisen dann immer großartig daraufhin, dass es Eckpunkte hier und Referentenentwürfe dagibt. Liebe Sozialdemokraten, ich sehe, Sie mühen sich.Ich sehe auch, dass Herr Maas sich müht. Ich würde aberauch einmal gerne sehen, dass diese Dinge in der Origi-nalfassung das Bundesgesetzblatt erblicken.
– Ich weiß, wie schwierig es ist. Aber man muss in Koali-tionen am Ende auch einmal Druck ausüben. Ich glaube,das ist bei der CDU/CSU an dieser Stelle nötig. Dennman darf es nicht nur gut meinen, sondern am Ende mussauch etwas Gutes dabei herauskommen.Ich sage Ihnen – und das ist doch nicht nur beim Bau-en, sondern grundsätzlich so –: Wir loben uns für unserMietrecht und die Situation der Mieter in Deutschland,aber Tatsache ist, dass über Jahre und Jahrzehnte durchGesetze und Rechtsprechung die Situation für die Mie-terinnen und Mieter systematisch immer schwieriger ge-worden ist.
– Nein, nicht das Gegenteil ist der Fall. Das behauptenSie immer, aber denken Sie doch an die Ausnahmen undSchlupflöcher, zum Beispiel bei der Wohnflächenberech-nung. Und unter dem Deckmantel des Themas Mietno-maden wurde gleich die Zwangsvollstreckung gegenüberallen Mieterinnen und Mietern erleichtert.
Eine Vielzahl von kleinen Nadelstichen und Ausnah-men hier und da führt dazu, dass es den Mieterinnen undMietern heute nicht besser geht. Man kann auch bei Zah-lungsverzug, wenn zum Beispiel das Jobcenter einmaleinen Fehler macht und zu spät zahlt, eine KündigungUlli Nissen
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nicht durch Nachzahlung einfach wieder rückgängigmachen, wie es früher möglich war. Man hat die Mieter,auch wenn sie in Notsituationen sind, schon richtig ein-gezingelt, meine Damen und Herren. Das ist nicht sozial.Ich sage Ihnen an der Stelle auch: Gucken Sie mal insGrundgesetz! Da gibt es außer Artikel 14 noch andereArtikel, in denen davon die Rede ist, dass wir ein Sozial-staat sind und deshalb soziale Grundstrukturen schaffenmüssen, zum Beispiel beim Wohnen. Man darf das Dachüber dem Kopf nicht sofort verlieren.
Wir brauchen an dieser Stelle massive Gesetzesän-derungen. Bei dem sogenannten ersten Mietrechtspaketmuss es bei der sogenannten Mietpreisbremse Korrek-turen geben. Die Ausnahme bei der umfassenden Mo-dernisierung muss abgeschafft werden. Es muss eineAuskunftspflicht des Vermieters geben; denn Ihre Rüge-pflicht funktioniert doch gar nicht, wenn der Vermieterkeine Auskunft darüber gibt, wie hoch die Vormiete war.
Deshalb sage ich ja: Sie versuchen, uns hinter dieFichte zu führen. Was bringt eine Rügepflicht, wenn mankeine materiellen Informationen hat, um die Möglichkeitder Rüge überhaupt nutzen zu können?Wir brauchen eine niedrigere Kappungsgrenze von15 Prozent; wir brauchen Änderungen bei der Duldungvon Modernisierungsmaßnahmen, meine Damen undHerren.
Dann bleibt immer noch genug Gewinn für die Investo-ren.Wir wollen vor allem auch sehen, dass das zweiteMietrechtspaket jetzt endlich kommt. Ich fordere an derStelle auch die CDU/CSU und das Kanzleramt sowieFrau Merkel auf, nicht weiter zu blockieren. Meine Da-men und Herren, bezahlbares Wohnen ist eine der zentra-len Fragen des Sozialen. Und gerade in diesen Zeiten, indenen der Verdruss in dieser Gesellschaft so anwächst,müssen wir zeigen, dass wir die sozialen und Alltagsfra-gen der Menschen wahrnehmen, endlich darauf reagierenund nicht nur an die reichen Investoren denken, meineDamen und Herren.
Ich bin überzeugt: Wer bei den Reden hier nur Arti-kel 14 des Grundgesetzes zitiert, der ist nicht wirklichmieterfreundlich und hat das Problem nicht verstanden.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Volker
Ullrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist zu Rechtvon sozialen Gesichtspunkten geprägt.
Aber dennoch, Frau Lay, Frau Künast, können Sie grund-legende Aspekte von Angebot und Nachfrage, des Funk-tionierens unserer Ökonomie, nicht völlig von Ihrer Ar-gumentation entkoppeln.
In vielen Regionen sind Leerstände mit einem deutlichenAngebotsüberhang zu verzeichnen. In den großen Bal-lungsgebieten dagegen, insbesondere in den Unistädten,ist bezahlbarer Wohnraum ein knappes und begehrtesGut. Mit ihren Angeboten in den Bereichen Bildung,Arbeitsplätze und Kultur sind viele Städte hochattrak-tiv, und ihre Einwohnerzahlen sind in den letzten Jahrensprunghaft angestiegen. Das bleibt natürlich nicht ohneFolgen für den Wohnungsmarkt.Wir stehen an der Seite etwa der Erzieher, der Polizis-ten, der Handwerker, der Angestellten, der Studenten, derKrankenschwestern,
also der Menschen, die für das Funktionieren einer Stadt-gesellschaft verantwortlich sind und sich, wie andereMenschen mit normalem Einkommen, zunehmend dieFrage stellen, wie sie in den Städten eine Wohnung fin-den oder finanzieren können.
Die Städte sind für alle da.Wir haben als Gesetzgeber die Aufgabe, die schwie-rigen und komplexen Herausforderungen zu lösen. Daswird nicht allein durch Schwarz-Weiß-Denken gehen,durch Gegensätze wie: der böse Spekulant und der guteMieter. Das geht durch kluges Mietrecht, das geht durchNeubau, das geht durch eine angemessene Anwendungder Mietpreisbremse. Das geht aber nicht durch falscheund vorschnelle Antworten auf komplexe Fragestellun-gen. Das ist schlichtweg Populismus.
Die Mietpreisbremse begrenzt den Anstieg der Mietebei Neuvermietungen gegenüber der ortsüblichen Ver-Renate Künast
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gleichsmiete auf 10 Prozent. Aber ich bitte Sie, auch zurKenntnis zu nehmen, dass eine Preisregulierung alleinnichts an dem Umstand ändert, dass die Nachfrage dasAngebot weit übersteigt. Der erhöhte Preis ergibt sichaus der Knappheit des Wohnraums. Wer die Knappheitalso nicht beseitigt, der wird nicht dauerhaft erfolgreichgegen steigende Mieten kämpfen können. Die Regulie-rung der Miethöhe alleine ist ein wichtiges Signal, abersie schafft dauerhaft keinen neuen Wohnraum.
Deswegen warnen wir auch davor, dass Sie zukünftigweiter Investitionen blockieren.
Wir sollten nicht den Fehler machen, dass die Schaffungvon neuem oder die Sanierung von bestehendem Wohn-raum zukünftig gehemmt wird. Das wäre das ErgebnisIhrer Politik.
Wir brauchen ordnungspolitische Maßnahmen, die einendeutlich spürbaren Effekt auf die Bautätigkeit in diesemLand haben.
Eine wirksame Maßnahme ist die soziale Wohnraum-förderung. Im Gegensatz zum Wohngeld, das Zuschüssezur Miete leistet und in dieser Legislaturperiode übrigenserhöht wurde, schafft der soziale Wohnungsbau einen ef-fektiven Mehrbestand an Wohnungen. Es ist daher rich-tig – ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen –, dass derBund in den nächsten Jahren die Mittel für den sozialenWohnungsbau der Länder mit 1,5 Milliarden Euro jähr-lich fördert und damit die Zuwendungen verdreifacht hat.Wichtig ist aber auch, dass dieses Geld für Zwecke desWohnungsbaus ausgegeben wird. Manche Länder habenbislang Fördergelder des Bundes für den sozialen Woh-nungsbau gerne entgegengenommen, ohne aber die Woh-nungen zu errichten, für die das Geld eigentlich gedachtwar. Das darf zukünftig nicht mehr der Fall sein.Wir müssen auch darüber sprechen, wie die sozialeWohnraumförderung auch nach 2019 garantiert werdenkann,
wenn nach dem Grundgesetz diese Aufgabe komplett aufdie Länder übergeht. Das ist eine Frage, bei der wir eineGrundgesetzänderung brauchen, und die sollten wir sehrbesonnen und bald angehen.Wir müssen, meine Damen und Herren, auch einenBlick auf die Baukosten werfen. In den letzten Jahrensind die Baustandards erheblich gestiegen: Umweltver-träglichkeitsprüfung, Stellplatznachweis, Vorschriftender Energieeinsparverordnung. Das alles sind nachvoll-ziehbare und politisch ehrbare Motive, die sich eineGesellschaft aus guten Gründen leisten muss, aber daskostet und hat nicht unerheblich zu höheren Baukostenbeigetragen. Wir brauchen also Antworten auf die Frage,wie wir durch kluge Überarbeitung der Standards zu ei-ner Senkung der Baukosten kommen.Im Zusammenhang mit den Baukosten darf nichtverschwiegen werden, dass zahlreiche Länder seit derFöderalismusreform die in ihrer eigenen Zuständigkeitliegende Grunderwerbsteuer deutlich erhöht haben. Nurnoch in Bayern und in Sachsen verharrt die Grunder-werbsteuer mit einem Steuersatz von 3,5 Prozent aufdem Niveau des Jahres 2006. Alle anderen Bundesländerhaben diese Sätze seitdem kräftig erhöht, manche habensie nahezu verdoppelt.Beim Kauf einer Eigentumswohnung beispielsweise,die mit einem Kaufpreis von 250 000 Euro zu Bucheschlägt, werden bei einem Grunderwerbsteuersatz von6,5 Prozent 16 250 Euro Grunderwerbsteuer fällig.
Das sind 7 500 Euro mehr, als wenn ein Grunderwerb-steuersatz von nur 3,5 Prozent gelten würde.
Es ist nicht akzeptabel, dass diese höheren Kosten dannauf die Mieten umgelegt werden. Deswegen müssen wirklar und deutlich formulieren: Die Länder sollten dieGrunderwerbsteuer nicht nur als Einnahmequelle sehen,sondern verstehen, dass sie durch eine kluge Senkung derSteuersätze ein weiteres wirksames Instrument zur Sen-kung der Baukosten in den Händen halten. Das müssendie Länder zur Kenntnis nehmen und auch umsetzen.
Herr Kollege Dr. Ullrich, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Kühn?
Ja, bitte.Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Danke, Herr Kollege, für die Möglichkeit, eine Zwi-schenfrage zu stellen. Sie haben gerade die Grunder-werbsteuer angesprochen. Wenn man heute eine Eigen-tumswohnung oder ein kleines Häuschen erwirbt, dannzahlt man Grunderwerbsteuer. Wenn ich heute aber alsInvestor in Deutschland unterwegs bin und größereWohnanlagen kaufe, ein Hochhaus in Frankfurt oder grö-ßere Einkaufszentren in Deutschland und das Instrumentdes Share Deals benutze, also den Tausch von Aktien,dann zahle ich keine Grunderwerbsteuer, wenn die ent-sprechenden Prozentzahlen erfüllt sind.
Ich glaube, wir haben hier eine massive Gerechtigkeits-lücke. Dadurch entgeht den Ländern eine halbe MilliardeDr. Volker Ullrich
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Euro. Ich frage mich, warum Sie als CDU sich dieser Ge-rechtigkeitsfrage nicht stellen
und dafür sorgen, dass die Besitzer kleiner Eigentums-wohnungen nicht die Gelackmeierten sind.
Vielmehr sollten alle in Deutschland, die Grund erwer-ben, Grunderwerbsteuer zahlen. Dann können die Sätzeauch wieder gesenkt werden.
Denn dann haben die Länder auch entsprechende Ein-nahmen.
Herr Kollege Kühn, die Ausnahme, die Sie genannt
haben, der Share Deal, bezieht sich auf die Übereignung
von Aktienanteilen und hat damit rein rechtlich nichts
mit dem Erwerb von Grundstücken zu tun. Sie sollten
nicht Dinge vermischen, die nicht zusammengehören.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass es kein Land in
der Bundesrepublik Deutschland gibt, in dem die Grünen
an der Regierung sind und in dem in den letzten Jahren
die Grunderwerbsteuer nicht teilweise massiv erhöht
worden wäre.
In Nordrhein-Westfalen liegt der Satz für die Grund-
erwerbsteuer mittlerweile bei 6,5 Prozent. Gehen Sie mit
gutem Beispiel voran und senken Sie die Grunderwerb-
steuer. Die Mieterinnen und Mieter werden es Ihnen dan-
ken.
Die Länder und die Kommunen sind übrigens auch
in der Pflicht, im Bereich des Baurechts bei Fragen der
Nachverdichtung und der Bebauungspläne dafür zu sor-
gen, dass neue Wohnungen in den Zentren unserer Städte
entstehen können.
Meine Damen und Herren, für viele Millionen Deut-
sche ist der Kauf eines Eigenheims mehr als nur der Er-
werb von vier Wänden. Es ist für sie ein Zeichen von
Sicherheit, eine Investition in eine gute, beständige
Nachbarschaft und in die eigene Zukunft. Ein Eigenheim
stellt auch die beste Form der eigenen Altersvorsorge dar.
Damit der Traum vom eigenen Zuhause nicht uner-
reicht bleibt, haben wir die Menschen dabei zu unterstüt-
zen. Das ist Kern unserer Politik. Dazu brauchen wir eine
Wiedereinführung der Eigenheimzulage und des Baukin-
dergeldes, damit der Staat denjenigen helfen kann, die
Verantwortung für sich und ihre Familien übernehmen.
Weiterhin brauchen wir eine gute wirtschaftliche Ent-
wicklung, wie wir sie derzeit verzeichnen, mit einer or-
dentlichen Beschäftigungslage und guten Löhnen, damit
die Menschen sich das Eigenheim leisten können bzw.
die Mieten aus ihren Einkommen bestreitbar sind.
Wir werden die Herausforderungen des Wohnungs-
marktes nicht durch Schwarz-Weiß-Denken lösen, son-
dern durch kluges Handeln, durch Verantwortung, ge-
meinsam getragen von Bund und Ländern. Dafür stehen
wir.
Vielen Dank.
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Cansel Kiziltepe.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Herr Luczak, ichmeine, ich hätte seit langem nicht so viel widersprüchli-chen Unfug gehört, wie von Ihnen vorhin.
Wenn man Ihrer Analyse folgt, könnte man meinen, Siehätten die Alarmsignale gehört. Aber Pustekuchen! Siewollen nichts tun gegen die soziale Verdrängung infolgevon Mietsteigerungen. Sie tun nichts gegen das Heraus-modernisieren, und Sie tun auch nichts gegen die exor-bitanten Mietsteigerungen. Der eigentliche Populist undGauner sind Sie, Herr Luczak.
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Frau Kollegin, bei der Wortwahl „Gauner“ bitte ich,
sehr zurückhaltend zu sein. Ich halte sie nicht für parla-
mentarisch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zu ei-nem konkreten Beispiel kommen, zum Dragoner-Arealin meinem Wahlkreis, in Kreuzberg. Es gibt eine Ent-scheidung des Finanzausschusses des Bundesrats, undzwar seit dem 10. September 2015, den Verkauf desDragoner-Areals zu stoppen. Doch vonseiten des Bundesist nichts passiert. Es heißt, die Willensbildung sei nochnicht abgeschlossen. Für mich als Kreuzberger Abgeord-nete drängt sich die Frage auf: Wie lange dauert es denn,bis sich eine Meinung gebildet hat?
Nach einem Jahr sollte das Finanzministerium doch zuder Erkenntnis gekommen sein, dass die Entscheidungdes Bundesrates eine bindende ist.Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Forderung istdie logische Konsequenz daraus: Ich fordere die Rückab-wicklung der Verträge.
Wir alle wissen, nicht nur in Kreuzberg, nicht nur in Ber-lin haben wir einen angespannten Mietwohnungsmarkt.Viele Menschen sind nach unnötigen Sanierungen ge-zwungen, ihre Wohnungen zu verlassen. Wir haben einenriesigen Missstand. Es gibt nicht genügend bezahlbareWohnungen, und zwar in unserem ganzen Land. DerBund ist gefordert, die Voraussetzungen für eine sozialeStadtentwicklungspolitik zu schaffen.
– Der Bund, Herr Michelbach.
Das Dragoner-Areal muss der Wegweiser für eine Lie-genschafts- und Stadtentwicklungspolitik sein, die nichtauf den Mammon setzt, sondern auf eine Politik, die ers-tens und letztens das Wohlergehen der Bevölkerung zumZiel hat.Für uns als SPD-Fraktion steht fest: Das BImA-Ge-setz und die Bundeshaushaltsordnung müssen geändertwerden.
Erstens. Bundeseigentum darf nicht länger zum Höchst-preis verkauft werden; denn nur so ist es möglich, be-zahlbaren Wohnraum zu schaffen. Und da wir von finanz-starken Spekulanten nicht wirklich ein soziales Konzepterwarten, fordere ich zweitens für die Kommunen einErstzugriffsrecht zum Wohle einer gut durchdachtenStadtentwicklungspolitik.
So müssen wir drittens auch die Zustimmungspflichtdes Bundesrates bei BImA-Verkäufen mit einem Umfangvon über 15 Millionen Euro selbstverständlich beibehal-ten. An eine Abschaffung wage ich nicht zu denken. HerrSchäuble dachte daran; aber jetzt, nach meinen Ausfüh-rungen, denke ich, dass Herr Schäuble mir auch zustim-men wird.
– Ich habe ihn im Finanzausschuss in der letzten Wochegetroffen, und ich denke, er wird zur Vernunft kommen,Herr Luczak. – Erst durch das Mitspracherecht des Bun-desrates bei den BImA-Verkaufsentscheidungen ist einVerkaufsstopp überhaupt möglich gewesen. An dieserStelle möchte ich auch unserem Finanzsenator MatthiasKollatz-Ahnen für seinen Einsatz im Bundesrat ganzherzlich danken.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Dragoner-Are-al zum Sanierungsgebiet zu erklären, ist die bisher besteEntscheidung. Das ist SPD-Politik. Die Auflagen hier-zu zielen nämlich auf die Schaffung sozialverträglicherMieten. Bei einem anvisierten Höchstpreis von 36 Mil-lionen Euro sind dies keine realisierbaren Auflagen.Deshalb möchte ich die Rückabwicklung. Es ist zwarentschuldbar, wenn Fehler gemacht werden; aber wennwir jetzt erkennen, dass wir Fehler gemacht haben, ist esunverzeihlich, diese fortzuführen.
Deshalb wollen wir das BImA-Gesetz ändern; wir wollennicht, dass Tafelsilber verscherbelt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihr An-trag ist überflüssig; denn die darin enthaltenen Inhaltesind schon längst in unserer Politik auf Landesebene,
Cansel Kiziltepe
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aber auch auf Bundesebene festgelegt, und dafür setzenwir uns auch ein.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Christian
Haase.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In
den Städten fehlen bezahlbare Wohnungen; darüber sind
wir uns meines Erachtens nach einer so langen Debatte
einig. Ich hoffe, wir sind uns auch über den Grund dafür
einig: Es wurde in den vergangenen Jahren viel zu we-
nig gebaut. So sieht das auch der Direktor des Deutschen
Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Ich zitiere:
Steigende Nachfrage und ein nicht ausreichend
wachsendes Angebot führen in der Regel zu stei-
genden Mieten.
Hier helfen die Anträge der Opposition keinen Millime-
ter weiter. Weder sinken die Grundstückspreise, wenn
wir die Mietpreisbremse anpassen, noch sinken die Bau-
kosten, wenn der Bund seine Liegenschaftspolitik ändert.
Die Zauberwörter heißen nicht BImA und Bremse, son-
dern Bauen, Bauen, Bauen.
Stattdessen wird munter die Arbeit der BImA kriti-
siert. Das ist aber gar nicht nötig; denn erstens müssen
Grundstücke zu ihrem Wert verkauft werden. Meine
Damen und Herren, wir müssen uns doch einmal klar-
machen, wessen Eigentum wir hier verwalten. Es ist das
Eigentum der deutschen Bürger, und damit haben wir
verantwortungsvoll umzugehen.
Herr Haase, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol-
legin Lay?
Gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfra-
ge zulassen. Sie haben ja gerade das beliebte Mantra der
CDU wiederholt, dass Bauen, Bauen, Bauen die einzige
Lösung für eine soziale Wohnungspolitik sei.
Wie sehen Sie es denn vor diesem Hintergrund, dass erst
kürzlich eine Studie festgestellt hat, dass nur bei 5 Pro-
zent der Neubauten, die in den deutschen Großstädten
errichtet wurden, Wohnraum zu bezahlbaren Mieten ent-
standen ist, bezahlbar gemessen am Durchschnittsver-
dienst? In Berlin sind nur 2,5 Prozent aller Neubauten für
die Durchschnittsverdiener erschwinglich. Meinen Sie
nicht, dass Sie vor diesem Hintergrund Ihr Mantra „Bau-
en, Bauen, Bauen“ dringend überdenken müssen,
weil es in der Praxis Traumhäuser und Luxuswohnungen
bedeutet, mit denen weder den sozial schwachen Men-
schen noch irgendeinem Durchschnittsverdiener gedient
ist?
Frau Kollegin Lay, ich weiß nicht, welche Studien Sielesen. Wir könnten ja einmal Quartett spielen: Sie legenIhre Studie vor, ich lege Ihnen 20 andere Studien vor. Ichglaube, dass nach wie vor richtig ist: Nur dann, wenn wirden Bestand an Wohnungen erhöhen, werden wir auchwieder bezahlbaren Wohnraum bekommen.
Wenn wir das Angebot nicht erhöhen, wird das knappeGut noch stärker nachgefragt. Das ist ein marktwirt-schaftliches Prinzip;
dass Sie damit Ihre Schwierigkeiten haben, ist mir klar.Kommen wir zurück zur BImA. Ich glaube, es gehtan den eigentlichen Problemlagen vorbei, wenn manglaubt, mit der BImA Wohnungsbaupolitik betreiben zukönnen. Gucken wir nach Berlin: Die BImA unterhälthier 0,3 Prozent des Wohnungsbestandes. Ich glaube, daskönnen wir doch nicht ernsthaft in den Blick nehmen.Die BImA leistet bereits hervorragende Arbeit; das willich ausdrücklich loben: Die energetische Sanierung derBundesimmobilien kommt gut voran. Die BImA hat auchdie Vorgaben der Bundespolitik schnell umgesetzt. Seit2015 können Länder und Kommunen zum Zwecke dessozialen Wohnungsbaus Grundstücke und Immobilien zugünstigen Preisen erwerben, oder ihnen werden mietzins-frei Immobilien zur Unterbringung von Asylbewerbernzur Verfügung gestellt.
Für 2016, Herr Kühn, rechnet die BImA damit, dass dieLänder und Kommunen dadurch 500 Millionen Eurosparen. Da sagen Sie: Das ist nichts.Bei der Mietpreisbremse werden wir überprüfen, obsie in der Praxis so umgesetzt wird, wie wir das geplanthaben. Kollege Luczak – Frau Kiziltepe, ich würde ihnCansel Kiziltepe
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anders bezeichnen als Sie; für mich ist das ein klugerKopf unserer Fraktion –
hat bereits klargestellt, dass es hier nicht um Verschär-fungen gehen darf. Unser Ziel ist es, dass die Mietpreis-bremse erst einmal so gelten soll, wie wir sie im Gesetzfestgeschrieben haben. Um das festzustellen, brauchenwir Evaluationen; wir haben bisher noch gar nicht ge-nug Erfahrung dazu gesammelt. Das sagt uns im Übrigenauch unser eigenes Institut, das BBSR.Wenn wir uns die Probleme in den Städten anschauen,stelle ich mir schon die Frage, ob wir mit der Mietpreis-bremse nicht eine verfehlte Wohnungsbaupolitik und-planungspolitik von Ländern und Kommunen kaschie-ren. Wir sollten uns hier nicht hinter die Fichte führenlassen. Anstatt an den Symptomen herumzuwerkeln,lassen Sie uns das Problem doch einmal an der Wurzelanpacken. Wie schaffen wir bezahlbaren Wohnraum inDeutschland? Hier liegen doch die wahren Baustellen inunserem Land. Eine der größten Baustellen ist ohne jedenZweifel die soziale Wohnraumförderung. Die Zahl derSozialwohnungen in Deutschland ist gesunken. Das liegtsicherlich nicht an der Liegenschaftspolitik des Bundes,wie es uns der Antrag der Linkspartei weismachen will.Wofür zahlen wir den Ländern seit fast zehn JahrenKompensationsmittel von jährlich 518 Millionen Euro?
Das macht seit 2007 insgesamt 4,7 Milliarden Euro.
In diesen zehn Jahren haben die Länder insgesamt100 000 Wohnungen gebaut. Wir brauchen aber400 000 Wohnungen – und das jährlich. Mehrere Län-der haben es sogar geschafft, in diesem Zeitraum garkeine Wohnungen zu bauen. Da brauchen wir uns amEnde nicht zu wundern, wenn bezahlbarer Wohnraum inDeutschland fehlt.
Gemäß dem Prinzip Hoffnung geben wir den Ländernin diesem Jahr noch eine halbe Milliarde Euro obendrauf.Vielleicht geben sie dann das Geld so aus, wie wir unsdas vorstellen. Das müsste ich mal zu Hause machen:Ich gebe meiner Tochter 100 Euro für Klavierstunden,sie kauft sich davon irgendeinen Blödsinn, und ich gebeihr dann 200 Euro in der Hoffnung, dass irgendwas fürKlavierstunden übrig bleibt. Und wenn das immer nochnicht klappt, dann gebe ich ihr 300 Euro. – So machenwir das nämlich im Bundeshaushalt 2017, in dem wirnoch einmal eine halbe Milliarde Euro obendrauf legen.
Das ist ein riesiger Vertrauensvorschuss, den wir denLändern geben. Frau Hendricks – sie ist leider abwesend;sie ist im Ausland –, Sie müssten einmal die Ländermi-nister an einen Tisch bringen, damit wir detailliert hören,was mit unserem Geld in den Ländern passiert.
Wenn die Länder es schon nicht schaffen, mit unseremGeld Sozialwohnungen zu bauen, dann hätten sie in derVergangenheit dieses Geld nehmen sollen, um auf die Er-höhung der Grunderwerbsteuer zu verzichten.
Das wäre auch jetzt noch eine kluge Möglichkeit, sofortetwas zu unternehmen, um die Baukonjunktur in unse-rem Land anzukurbeln.
Es gibt auch viele andere vernünftige Vorschläge, dieman jetzt einfach nur umsetzen müsste. Das Zehn-Punk-te-Programm der Wohnungsbau-Offensive hat viel besse-re Ideen als Mietpreisbremse oder BImA-Bashing: Bau-landausweisung, Nachverdichtung, Vereinfachung desBaurechts und nicht zuletzt – es ist schon angesprochenworden – eine steuerliche Förderung. Sonderabschrei-bungen für den Bau neuer Wohnungen in Ballungszen-tren wurden in den letzten Jahren immer mal wiederdiskutiert. Jetzt stellen Sie sich einmal vor: Sie wolleninvestieren und bekommen die Diskussion mit. Ja, dannwarten Sie doch erst einmal ab, ob irgendwann einmalentschieden wird oder ob der Vorschlag wieder auf dasAbstellgleis geschoben wird. Deshalb kann ich das ganzeHaus nur auffordern: Lassen Sie uns gemeinsam darübernachdenken und den Knoten durchschlagen! Wir brau-chen eine steuerliche Förderung, um mehr bezahlbareWohnungen in Deutschland entstehen zu lassen.
Ein anderer Aspekt – ich will auch ein wenig für diekommunale Seite sprechen –: Ich war selbst als Bürger-meister Aufsichtsrat in einer kommunalen Baugenos-senschaft. Dort wird hervorragende Arbeit geleistet. Ichfinde es richtig, dass die eine oder andere Stadt darübernachdenkt, ob sie wieder mit so etwas beginnt. Was wirnicht brauchen, sind die großen Kraken. Das ist für dieKommunen viel zu groß. Das kann die Privatwirtschaftwirklich besser. Aber wenn lokal, vor Ort, kleine Woh-nungsbaugenossenschaften existieren, macht das in mei-nen Augen Sinn.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch aufeinen Aspekt eingehen, der mir in der ganzen Debatte umWohnungsnot in den Großstädten zu kurz kommt. AlsBundespolitiker müssen wir die Entwicklung aller Re-gionen voranbringen, des städtischen Raums, aber auchdes ländlichen Raums. Wenn ich die Debatte über diesesThema hier verfolge, stelle ich fest: Es wird schnell derEindruck erweckt – er ist falsch –, als gäbe es ein Men-schenrecht auf ein Leben in der Stadt. Ich persönlich binChristian Haase
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vom Gegenteil überzeugt: Es ist ein Privileg, im ländli-chen Raum zu leben.
Deshalb steigen die Mieten nach den neuesten Studienim Augenblick gerade in den ländlichen Räumen, und inden städtischen Ballungszentren sehen wir ein Abflachender Mietsteigerungskurve.Viele Menschen suchen aber immer noch den Weg indie Stadt, weil dort das Arbeitsplatzangebot vermeint-lich besser sei. Mit Blick auf mein Bundesland Nord-rhein-Westfalen kann ich das nicht bestätigen. Leiderbilden wir mit einem Nullwachstum bei der Wirtschafts-entwicklung das Schlusslicht in Deutschland. Das giltaber nicht für das ganze Bundesland. Während die Kom-munen im Ruhrgebiet mit einer hohen Arbeitslosigkeitkämpfen, suchen Unternehmen in den ländlichen Räu-men, in Südwestfalen oder in Ostwestfalen-Lippe, Ar-beitskräfte.Meine Damen und Herren, dieses Beispiel zeigt, dasses viel zu einseitig ist, über Großstädte zu diskutieren,ohne dabei auch die Folgen für den ländlichen Raumzu berücksichtigen. Selbstverständlich ist die anhalten-de Urbanisierung ein Trend, auf den die Politik reagie-ren muss. Aber anstatt diesen Trend zu fördern, könnteman dem Ganzen ja auch einmal etwas entgegensetzenund die ländlichen Räume fördern. Wenn noch mehrMenschen vom Land in die Städte ziehen, weil in ihrerHeimat Leistungen wegzubrechen drohen – ich denke anBusverbindungen, Kulturangebote oder den Dorfarzt –,dann verschärft das die Probleme sowohl auf dem Landals auch in der Stadt. Denn wenn in den Städten immermehr Menschen auf engstem Raum zusammenleben,bringt das auch viele Probleme mit sich.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit?
Mehr Menschen bedeuten mehr Verkehr, mehr Lärm
und mehr Konflikte.
Schließen will ich mit dem Zitat einer jungen Frau, die
aus Hamburg in meine Region, in ein 400-Seelen-Dorf,
zurückgekehrt ist:
In der Stadt habe ich auch nicht alles vor der Haus-
tür, und in den Großstädten ist das Leben unglaub-
lich teuer. Wir mussten beide arbeiten, um die hohe
Miete und die anderen Kosten überhaupt tragen zu
können. In der Stadt glitzert auch nicht alles. Und
wenn man eine Gesamtbilanz zieht, stellt man fest,
dass das Land durchaus etwas zu bieten hat.
Diese Botschaft dürfen wir ruhig etwas offensiver vertre-
ten, meine Damen und Herren.
Danke.
Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die SPD-Frak-
tion der Kollege Dennis Rohde.
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wir sprechen erneut über die Situation aufdem Mietwohnungsmarkt in Deutschland, über die Miet-preisbremse, über Wohnungsneubau, über die Moderni-sierungsumlage, über Bezugszeiträume für Mietspiegelund viele weitere mietrechtliche Dinge. Das alles sindDinge, über die wir hier schon oft debattiert haben. Ichmöchte vorab betonen, dass ich sie, dass die SPD-Frakti-on sie unglaublich wichtig findet.
Ich habe mich gefragt, ob ich direkt etwas zum Inhaltder Anträge der Linksfraktion bemerken soll oder ob icheinen Ausblick auf die Aspekte geben soll, bei denen wirSozialdemokraten noch Handlungsbedarf im Hinblickauf den Schutz der Mieterinnen und Mieter sehen unddie sich zum Beispiel in dem aktuellen Referentenent-wurf des Justizministeriums befinden. Dazu ist in dieserDebatte von meinen Vorrednern schon viel Richtiges ge-sagt worden. Ich finde allerdings, man muss auch etwaszur Systematik dieser Debatte und zur gleich folgendennamentlichen Abstimmung sagen, insbesondere für dieinteressierten Zuschauerinnen und Zuschauer.Was erleben wir gerade? Die Kolleginnen und Kolle-gen von der Linkspartei haben die richtigen und wichti-gen Forderungen der SPD aufgegriffen,
die Justizminister Heiko Maas als Referentenentwurf aufGrundlage des Koalitionsvertrages vorgelegt hat. Dabeihaben sie, um das eigene Gesicht nicht zu verlieren, diekonkreten Zahlen herausgestrichen, den Inhalt ein biss-chen umgeschrieben und dann „Antrag der Linken“ obendrübergeschrieben. Das ist ein klassischer Schaufenster-antrag. Dagegen zu argumentieren, so jedenfalls das Kal-kül, ist ja auch schwer; denn der Antrag besteht ja eigent-lich nur aus unseren längst bekannten Forderungen, under befasst sich mit Umständen, die wir selbst kritisieren.
Sinn und Zweck dieser Debatte und insbesondere der fol-genden Abstimmung ist es daher, es möglichst so ausse-hen zu lassen, als hätten wir Sozialdemokraten die eigenePosition geräumt
und als wollten wir nichts mehr vom Schutz der Miete-rinnen und Mieter wissen, weil wir Ihren Antrag heuteablehnen werden. Genau das werden Sie den Mediengleich erzählen. – Um es an dieser Stelle deutlich zu sa-gen: Das ist natürlich totaler Quatsch. Der Schutz vonChristian Haase
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Mieterinnen und Mietern ist für uns eines der wichtigstenThemen, und das wissen Sie auch.
Ich frage mich: Wo ist dabei die Politik? Ich habe bis-her immer gedacht, Opposition bedeutet, eigene, alter-native Positionen zu formulieren, eine andere Perspek-tive einzunehmen und zur Vielfalt der Meinungen undAnsichten in unserer Demokratie beizutragen.
Das, was die Kolleginnen und Kollegen von der Links-partei hier seit Beginn der Legislaturperiode immer wie-der tun, ist aber oftmals eben nicht mehr, als sich dereben beschriebenen Systematik zu bedienen.Alle wissen doch, dass Sie gar nicht den Zweck ver-folgen, heute inhaltlich etwas zu erreichen.
Keiner von Ihnen hat doch beim Verfassen des Antragsauch nur ansatzweise daran geglaubt, dass eine Regie-rungsfraktion dem zustimmen wird.
Ich möchte noch einmal deutlich betonen: Hier gibt esauch nichts zu skandalisieren. Man muss sich nicht da-rüber aufregen. Die Ablehnung Ihres Antrages hat nichtsmit der Haltung der Sozialdemokraten zum Schutz vonMieterinnen und Mietern zu tun.
Dass Koalitionen gemeinsam abstimmen, ist wahrlichkeine Erfindung dieser Großen Koalition. Dass Koaliti-onen gemeinsam abstimmen, auch wenn der eine oderder andere Koalitionspartner inhaltlich einmal andererAuffassung ist, ist in jedem Parlament in diesem LandNormalität, und das ist ja auch gewollt, weil Koalitionenansonsten nicht funktionieren würden.
Ich sage: Man kann das auch nachlesen. Dort, wo Siein den Ländern mitregieren, machen Sie es keinen Deutanders, sondern ganz genau so.
Noch einmal: Mit diesem Antrag wird Bezug auf denGesetzentwurf unseres Justizministers genommen, undder Gesetzentwurf von Heiko Maas wird von der Frakti-on der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus-drücklich unterstützt.
Eines billige ich Ihnen abschließend aber doch zu: DieFrage, warum das gerade so lange dauert, ist in der Tatberechtigt. Diese Frage stellen wir uns in der SPD-Bun-destagsfraktion auch, und zigtausend betroffene Miete-rinnen und Mieter in unserem Land stellen sich dieselbeFrage.Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen vonder CDU: Der gute Gesetzentwurf von BundesministerHeiko Maas liegt seit Ewigkeiten im Bundeskanzleramt.Verwenden Sie sich endlich für die Mieterinnen und Mie-ter in unserem Land,
und sorgen Sie bei Ihrem Parteifreund Peter Altmaier da-für, dass der Gesetzentwurf endlich zur Beteiligung andie Länder und die entsprechenden Verbände übersandtwird!
Lassen Sie uns endlich dafür Sorge tragen, dass auseinem guten Gesetzentwurf auch ein gutes Gesetz wird!Die Mieterinnen und Mieter in Deutschland warten da-rauf.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Bevor ich jetzt dem Kollegen Michael
Groß als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
das Wort erteile, bitte ich Sie alle noch einmal um drei
Minuten Aufmerksamkeit.
Ich weiß, dass jeder Einzelne von Ihnen glaubt, dass sein
Gespräch besonders leise ist, aber in der Gesamtheit ist
das sehr laut. Also: Drei Minuten Aufmerksamkeit! –
Danke schön.
Bitte, Herr Kollege Groß.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, dass Sie allezur Abstimmung schreiten wollen. Deswegen braucheich die drei Minuten vielleicht gar nicht.Es war interessant, der Debatte heute Morgen zuzu-hören. Herr Haase macht schon Wahlkampf in NRW undbehauptet Tatsachen, die einfach falsch sind.
Das Wirtschaftswachstum in NRW betrug im erstenHalbjahr 2016 2,1 Prozent, wir haben 650 000 Arbeits-plätze mehr als vor 15 Jahren, nämlich über 6 Millio-nen, und ich kann Ihnen versichern: NRW ist deutscherMeister beim sozialen Wohnungsbau.
Dennis Rohde
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Wir haben jetzt einen Aufwuchs von 40 Prozent erreichtund insgesamt 30 Prozent mehr Wohnungsbau in NRW.NRW ist übrigens eines der Bundesländer, die dieBundesmittel noch aufstocken. NRW gibt jetzt 1,1 Mil-liarden Euro für den Wohnungsbau aus.
Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen haben.Herr Luczak, nachdem ich Herrn Dr. Michelbach ge-hört habe, bin ich sozusagen begeistert, dass Sie jetztmein neuer Hoffnungsträger sind.
Ich setze also sehr auf Sie, dass Sie sich dafür einsetzen,dass wir die soziale Funktion des Mietrechts wieder ein-führen und stärken, sodass die Mieter davon profitieren.Lassen Sie uns zusammenarbeiten und die Mietrechtspa-kete I und II auf den Weg bringen. Das dient den Men-schen und den Bürgern und sorgt dafür, dass niemandvertrieben wird. Morgen können wir anfangen, HerrLuczak!
Herr Michelbach, noch ein paar Sätze zu Ihnen: Siehaben in Ihrer ganzen Rede überhaupt nicht über die so-ziale Marktwirtschaft, sondern nur über die Marktwirt-schaft gesprochen. Ich weiß nicht, was Ludwig Erharddazu sagen würde.
Eine Errungenschaft dieses Landes ist es doch, dass wirbeides zusammenbringen wollen: Eigentum verpflichtet,und Eigentum ist zu schützen. Nur beides zusammen er-gibt Sinn, und wir müssen die Leitplanken so setzen, dassalle Menschen davon profitieren. Ich verstehe Sie nicht.In der nächsten Rede sagt Herr Dr. Ullrich: Wir wollendie Erzieherinnen und Kindergärtnerinnen schützen. –Wie wollen Sie das mit Ihrer Auffassung von Marktwirt-schaft in Einklang bringen? Das müssen Sie mir einmalerklären.
Ich will auf zwei Punkte eingehen, die neben Woh-nungsbau und der sozialen Funktion des Mietrechtswichtig sind. Der erste Punkt: Ich glaube, dass wir denkommunalen Wohnungsbau wieder stärken müssen.Es gibt 700 kommunale Wohnungsgesellschaften, die2,6 Millionen Wohnungen verwalten. 60 Prozent der ge-bundenen Wohnungen sind in der Hand der kommunalenWohnungsunternehmen. Sie müssen wir unterstützen.Die Studie, die hier immer zitiert wird, besagt eindeutig,dass sich die kommunalen Wohnungsgesellschaften andie Vorschriften der Mietrechtsreform und damit an dieMietpreisbremse halten. Diese Gesellschaften müssenwir unterstützen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Der zweite Punkt: die Baukosten. Die Baukosten sindein wesentlicher Treiber bei der aktuellen Entwicklung.Seit circa 15 Jahren steigen die Baukosten immens: umbis zu 70 Prozent bei Neubauwohnungen. Die Steigerungbeim mittleren Einkommensniveau über diesen Zeitraumliegt dagegen bei 15 Prozent. Es ist wichtig, dass wir unsden Fakten zuwenden und sehr genau betrachten, waswichtig ist: Das Erste ist die Energieeinsparverordnung,die EnEV, die deutlich dazu beiträgt, dass die Mietkostensteigen. Das Zweite sind die Bodenpreise. Wir müssendafür sorgen, dass die Städte wieder in die Lage versetztwerden, Flächenmanagement und Bodenvorratspolitikzu betreiben.
Wir als Bundesregierung haben die Städte entlastet.Das müssen wir weiter tun, damit eine vernünftige Po-litik vor Ort möglich ist. Wir dürfen Menschen nichtvertreiben. Bezahlbare Mietpreise sind eine Grundlagefür gutes Wohnen in sozialen Quartieren. Dafür lasst unsschnell arbeiten! Herr Luczak ist leider nicht mehr da.Aber ich hoffe, dass er in den nächsten Tagen ein Ge-spräch führt, das Ergebnisse bringt.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b. Interfraktionellwird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa-chen 18/9123 und 18/9790 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damiteinverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind dieÜberweisungen so beschlossen.Tagesordnungspunkt 4 c. Zu dieser und der folgendennamentlichen Abstimmung liegen eine Reihe von Erklä-rungen gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1)Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem An-trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mieterinnenund Mieter besser schützen – Zweite Mietrechtsnovellevorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 18/9696, den Antrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 18/8863 abzulehnen.Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung aufVerlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Eineweitere namentliche Abstimmung folgt unmittelbar da-nach.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihrePlätze einzunehmen. – Sind jetzt die Plätze an den Urnenbesetzt? – Alle Plätze sind besetzt. Ich eröffne die Ab-stimmung über die Beschlussempfehlung.1) Anlage 2Michael Groß
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Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seineStimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen späterbekannt gegeben.1)Tagesordnungspunkt 4 d. Beschlussempfehlung desHaushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion DieLinke mit dem Titel „Privatisierung von Bundesliegen-schaften stoppen – Liegenschaftspolitik des Bundesnachhaltig reformieren“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6686, denAntrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4419abzulehnen. Wir stimmen über diese Beschlussempfeh-lung auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlichab.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze be-setzt? – Ich sehe, dass das der Fall ist, und eröffne diezweite namentliche Abstimmung über die Beschluss-empfehlung.Haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? – Ich sehe,das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung undbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmungwird Ihnen später bekannt gegeben.2)Ich bitte, jetzt wieder die Plätze einzunehmen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Flexibilisierung des Übergangs vomErwerbsleben in den Ruhestand und zur Stär-kung von Prävention und Rehabilitation imErwerbsleben
Drucksache 18/9787Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GONach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen und die dringen-den Gespräche außerhalb des Plenarsaals weiterzufüh-ren. – Danke schön.Dann eröffne ich die Aussprache, und das Wort hat dieKollegin Katja Mast, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Rente und Erwerbsleben sind eng mitei-nander verzahnt; denn wir wissen: Rente ist der Spiegel1) Ergebnis Seite 19177 D2) Ergebnis Seite 19180 Cgelebten Lebens, genauer: gelebten Arbeitens. Beide Be-reiche haben wir in dieser Legislatur – beispielsweise mitdem Rentenpaket I sowie mit dem Mindestlohngesetz –gestaltet. Es kommt aber auch noch die Regulierung vonWerkverträgen und Leiharbeit hinzu.Heute diskutieren wir, wie wir Arbeit und Rente bes-ser miteinander verzahnen können, also wie wir einengleitenden, ja sogar einen fließenden Übergang zwischenArbeit und Rente, zwischen beiden Lebensphasen er-möglichen können. Für uns von der SPD ist dabei beson-ders wichtig, wie man gesund und fit, aber auch vor allemselbstbestimmt das Rentenalter erreicht.
Das ist für uns eine Frage sozialer Gerechtigkeit.Drei Punkte will ich nennen, wieso unser Gesetz –jetzt nenne ich für alle nach mir folgenden Rednerinnenund Redner noch einmal den vollständigen Titel; es istdas „Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vomErwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung vonPrävention und Rehabilitation im Erwerbsleben“ – mehrSelbstbestimmtheit möglich macht.Erstens. Selbstbestimmter Übergang in Rente ist nurmöglich, wenn ich mein Renteneintrittsalter gesund er-reiche und nicht durch Krankheit gezwungen werde, ausdem Erwerbsleben auszuscheiden. Denn heute ist es ja oftso, dass zwischen Erwerbsleben und Rente noch Phasenvon Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Erwerbsminderungliegen. Deshalb gibt es heute schon den Grundsatz: Rehavor Rente. Diesen Ansatz stärken wir mit diesem Gesetz,indem wir dafür sorgen, dass die Rehabedarfe früher fest-gestellt werden und mehr Personen von Reha profitierenkönnen, und wir stärken die Rolle der Selbstverwaltung.
Wir gehen mit diesem Gesetz aber noch einen Schrittweiter. Vorsorgende Sozialpolitik bedeutet, vor der Rehaanzusetzen, nämlich Prävention zu stärken. Deshalb sa-gen wir: Prävention vor Reha und Reha vor Rente.
Wir werden dafür sorgen, dass mehr Menschen von denPräventionsleistungen der Rentenversicherung profitie-ren können. Wir führen einen Ü-45-Check-up ein, einfreiwilliges Angebot, um sich berufsbezogen durchche-cken zu lassen, und zwar sowohl gesundheitlich als auch,was die Qualifikation betrifft. Denn wann entscheidetsich im Leben, ob man bis zur Rente fit und qualifiziertist? Meistens in der Mitte des Lebens, ungefähr mit45 Jahren. Deshalb der Ü-45-Check-up. Wir unterstützendamit die Menschen, ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten –und das selbstbestimmt.
Zweiter Punkt. Selbstbestimmt bedeutet auch, selbstentscheiden zu können, wann ich in Rente gehe und wieich in Rente gehe. Nicht jeder und jede will gleich in Ren-te gehen; manche wollen vielleicht teilweise arbeiten, 40,50, 60 oder 70 Prozent. Das Instrument dafür heißt Teil-rente. Diese machen wir endlich transparenter, flexiblerVizepräsidentin Ulla Schmidt
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und damit attraktiver; denn die bisherigen Teilrentenre-gelungen bestrafen meist die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer, wenn diese hinzuverdienen, manchmal sogardann, wenn sie nur 1 Euro hinzuverdienen. Deshalb istes kein Wunder, dass die Teilrente heute kaum genutztwird. Wir wollen die seit vielen Jahren andauernde De-batte über die Reform der Teilrente mit unserem Gesetzund unserem tragfähigen Konzept endlich beenden. Ichwill an dieser Stelle nicht verhehlen: Die SPD hätte sichgut vorstellen können, dass die Teilrente nicht erst mit63, sondern mit 60 Jahren beginnt. Aber das können wirin Zukunft in die Hand nehmen.Wenn ich über die Verzahnung rede, geht es auch da-rum, wie man nach dem Eintritt in das Rentenalter wei-terarbeiten kann. Da wird es künftig so sein, dass manvon der Rente profitieren kann, wenn man seine eigenenArbeitnehmerbeiträge in die Rentenversicherung ein-zahlt. Auch das ist Selbstbestimmtheit.
Drittens bedeutet für uns selbstbestimmt, dass wir beidem Problem der sogenannten Zwangsverrentung – daswar uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokratenbesonders wichtig – endlich eine Verbesserung für dieMenschen erreicht haben. Künftig kann niemand mehrgezwungen werden, aus dem Arbeitslosengeld-II-Bezugin Rente mit Abschlägen geschickt zu werden, wenn da-durch dauerhafte Altersarmut droht.
Sie sehen: Das ist ein großes und auch ein komplexesPaket. Es war kein einfacher Prozess. Es gab intensiveBeratungen mit dem Bundesarbeitsministerium, mit un-serer Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, vor allemmit der zuständigen Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller, aber auch mit allen anderen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern im Bundesarbeitsministerium, mit Expertender Rentenversicherung, mit der Bundesagentur für Ar-beit und den Gewerkschaften. All denen will ich an die-ser Stelle ausdrücklich für ihre kompetente Beratung indiesem Prozess danken.
Bedanken will ich mich natürlich auch bei den Kollegin-nen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, bei den Kol-leginnen und Kollegen der Union ebenso wie bei denenmeiner Fraktion, aber auch bei den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern, die daran mitgearbeitet haben; denn auchsie haben diesen Prozess mit uns gemeinsam gestaltet.Ich bin froh, dass wir diesen Gesetzentwurf heutevorlegen und beraten können; denn beide Bereiche müs-sen gestaltet werden: die Rentenpolitik und die Arbeits-marktpolitik. Nur dann können wir verzahnen, und nur soschaffen wir Gerechtigkeit.
Vielen Dank. – Ich gebe Ihnen jetzt die von denSchriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergeb-nisse der namentlichen Abstimmungen bekannt.Ergebnis der Abstimmung über den Antrag mit demTitel „Mieterinnen und Mieter besser schützen – ZweiteMietrechtsnovelle vorlegen“: abgegebene Stimmen 580.Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt114. Damit ist dieser Antrag angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 581;davonja: 467nein: 114enthalten: 0JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E. Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderKatja Mast
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Helmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingDr. Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr. Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneUwe LagoskyDr. Dr. h. c. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h.c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerVolker MosblechElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberIris RipsamJohannes RöringKathrin RöselErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja SchmittPatrick SchniederNadine Schön
Dr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe SchummerArmin Schuster
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr. von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlLena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Volker UllrichArnold VaatzThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKarl-Heinz WangeNina WarkenDr. h.c. Albert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Elisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannKlaus Barthel
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Dr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerDr. h. c. Edelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciJürgen CoßePetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr. Eva HöglChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Dr. Rolf MützenichUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr. Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNorbert Müller
Dr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize Tank
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Frank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsErgebnis der Abstimmung über den Antrag „Priva-tisierung von Bundesliegenschaften stoppen – Liegen-schaftspolitik des Bundes nachhaltig reformieren“: abge-gebene Stimmen 581. Mit Ja haben gestimmt 467, mitNein haben gestimmt 57, Enthaltungen 57. Damit ist die-ser Antrag angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 580;davonja: 466nein: 57enthalten: 57JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E. Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingDr. Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr. Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner Kammer
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Steffen KanitzAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneUwe LagoskyDr. Dr. h. c. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h.c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerVolker MosblechElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberIris RipsamJohannes RöringKathrin RöselErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja SchmittPatrick SchniederNadine Schön
Dr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe SchummerArmin Schuster
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr. von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlLena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Volker UllrichArnold VaatzThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKarl-Heinz WangeNina WarkenDr. h.c. Albert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Elisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerDr. h. c. Edelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciJürgen CoßePetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich Freese
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Dagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr. Eva HöglChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Dr. Rolf MützenichUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr. Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNorbert Müller
Dr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelSabine Zimmermann
EnthaltenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel Höhn
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19183
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Uwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsAls Nächstes hat jetzt der Kollege Matthias W.Birkwald, Fraktion Die Linke, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Ab dem kommenden Jahr wird es für ab 1952Geborene erstens die Altersrente wegen Arbeitslosigkeitnicht mehr geben, zweitens die Altersrente wegen Alters-teilzeit nicht mehr geben, und drittens wird es auch dieabschlagsfreie Altersrente für Frauen ab 65 nicht mehrgeben. All diese flexiblen Übergänge wurden von Uni-on, SPD und Grünen abgeschafft. Sie alle haben damitden flexiblen Übergang aus dem Erwerbsleben für vieleverbaut.
Schlimmer noch: Sie haben die gute Berufsunfä-higkeitsrente abgeschafft und durch eine schlechtereErwerbsminderungsrente mit Abschlägen ersetzt. Siealle – außer der Linken natürlich – haben das Rentenni-veau Anfang des Jahrtausends in den Sinkflug geschickt.Seit gestern wissen wir: Das Rentenniveau wird biszum Jahr 2035 sogar von einstmals 53 Prozent auf un-ter 43 Prozent absinken. Ich sage Ihnen: Viele Menschenmit durchschnittlichen Einkommen werden künftig keineauskömmliche Rente mehr erreichen.Damit immer noch nicht genug: Viele Menschen wer-den trotz hoher Belastungen und gesundheitlicher Pro-bleme – dank Franz Müntefering, dank SPD und CDU –erst ab 67 in Rente gehen dürfen.Das alles ist doch ein sozialpolitischer Dauerskandal.
Daran, liebe Koalition, wird Ihre Flexirente nur eines än-dern: Für die Älteren soll es leichter werden, all die Ren-tenkürzungen der vergangenen Jahre durch Dazuverdie-nen bis ins hohe Alter etwas abzumildern. Zu Deutsch:noch mehr und noch länger arbeiten. Diese zynische Po-litik lehnt die Linksfraktion ab.
Ich frage Sie: Was ist mit dem Bauarbeiter, der im Durch-schnitt mit knapp 58 Jahren, liebe Katja Mast, seinenBeruf aufgeben muss? Was ist denn mit der Kranken-schwester, die durchschnittlich im Alter von 61 Jahrennicht mehr kann? Die beiden gucken in die Röhre. Ihnendrohen auf den letzten Metern ihres Berufslebens Ar-beitslosigkeit, Hartz IV und ab 63 dann die Zwangsver-rentung.
Die wollen Sie nämlich nur einschränken, und da sage ich:Das reicht nicht. Die Zwangsverrentung Hartz-IV-Be-troffener gehört abgeschafft, voll und ganz.
Meine Damen und Herren, das Heer der älteren Ar-beitslosen von 60 bis 64 Jahren ist von 2010 bis 2015von 137 000 auf 228 000 angestiegen. Das sind sage undschreibe 66 Prozent, und die Hälfte davon ist langzeit-arbeitslos. Warum habe ich diese Zahlen herausgesucht?Weil die IG BAU in ihrer Stellungnahme zum Entwurfdes Flexi-Rentengesetzes schreibt – Zitat –:Eine Ursache für die eingeschränkte Realitätstaug-lichkeit der Reformvorschläge des Gesetzentwurfsist, dass die zugrundeliegende Problemanalyse we-nig differenziert ist. Langzeitarbeitslosigkeit undSGB-II-Bedürftigkeit kurz vor der Altersrente alsFolge gesundheitlicher Einschränkungen werdennicht ausreichend in den Blick genommen.Eingeschränkte Realitätstauglichkeit, was ist das dennin Schulnoten? Drei minus, Vier, Fünf plus? Suchen Siesich etwas aus.
Aber hören Sie bitte auf, so zu tun, als hätten Sie für Ih-ren Gesetzentwurf eine glatte Eins verdient. Nein, sehrviele Menschen werden von Ihrem Gesetz nicht erreichtwerden.Liebe SPD, ich zitiere einmal die Arbeiterwohlfahrt:Die Teilrenten stehen damit als Instrument nur den-jenigen Versicherten zur Verfügung, die sich eineum lebenslange Abschläge geminderte Rente leistenkönnen.Man muss sich die Teilrente und vor allem die lebens-langen Abschläge also erst einmal leisten können. Werbeispielsweise 1 000 Euro Rente oder weniger zu erwar-ten hat, kann sich die Abschläge aber gar nicht leisten.
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Das ist das Problem, und darum sagen wir Linken: DieTeilrente ist mit größter Vorsicht zu genießen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,halten Sie die Abschläge eigentlich für gerechtfertigt,wenn jemand gesundheitlich eingeschränkt ist, wenneine ältere Schlecker-Verkäuferin trotz intensiver langerSuche keinen Job gefunden hat oder wenn ein BochumerOpel-Arbeiter nach einem langen Berufsleben unfreiwil-lig vorzeitig in Rente gehen muss? Ich nicht. Wer seinenJob verliert, soll nicht auch noch mit Abschlägen bestraftwerden.
Können die beiden nach Erreichen ihrer Regelaltersgren-ze überhaupt weiterarbeiten, um die Abschläge auszu-gleichen? Ich bezweifle das. Wird eine Krankenschwesteroder ein Bauarbeiter überhaupt einen Teilzeitarbeitsplatzerhalten, um die Abschläge mit einer Teilrente abmil-dern zu können? Die Antwort der Industriegewerk-schaft BAU: Viele Ältere haben gar keine Chance aufeinen auskömmlichen und dauerhaften Teilzeitarbeits-platz; denn in Betrieben mit weniger als 15 Beschäftigtenbesteht auch kein Rechtsanspruch, oder ein bestehenderRechtsanspruch wird regelmäßig mit dem Verweis aufbetriebliche Gründe ausgehebelt.Nein, liebe Katja Mast, die Lebenswirklichkeit wirddie hochkomplizierte Teilrente ins Leere laufen lassen,
bevor sich überhaupt ein einziger Mensch dieses sehrkomplexe Modell erklärt haben lassen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,haben Sie gelesen, was die Deutsche Rentenversicherungschreibt? Sie schreibt, die Teilrente sei schwer vermit-telbar und könne zu sozialpolitisch höchst fragwürdigenErgebnissen führen. Sie wird dazu führen, dass ständigRentenzahlungen zurückgefordert werden müssen. Demabschließenden Urteil der IG BAU kann ich mich des-halb nur anschließen – Zitat –:Die vom Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelun-gen schaffen für viele besonders belastete Beschäf-tigtengruppen keine realitätstauglichen Möglichkei-ten für flexible Altersübergänge.Nicht realitätstauglich, schwer vermittelbar, sozialpo-litisch höchst fragwürdig – so kritisch äußern sich Ge-werkschaften, Sozialverbände und die Rentenversiche-rung zur Teilrente. Ich finde: Grund genug, die Teilrenteauf Eis zu legen!
Lieber Martin Rosemann, die Arbeiterwohlfahrt, derDeutsche Gewerkschaftsbund und die katholische Cari-tas lehnen auch die befristete Abschaffung des Arbeitge-berbeitrags zur Arbeitslosenversicherung für arbeiten-de Rentnerinnen und Rentner ab. Die Caritas kritisiert:Damit werden Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt be-nachteiligt; denn sie werden zukünftig gegen billigereÄltere ausgespielt, die weiterarbeiten können und wol-len. – AWO, DGB und Caritas, sie haben recht.
Darum sollte man den Arbeitgeberbeitrag beibehalten.Meine Damen und Herren, nach so viel Kritik nun eindreifaches Lob:
Erstens. Wer vorzeitig in Rente geht und weiterarbeitet,wird künftig auch weiter Rentenbeiträge zahlen müssen.
Damit steigt dann auch die Rente. Gut so! Zweitens.Wer nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiterarbei-ten möchte, darf freiwillig weiter Rentenbeiträge zahlen.Auch das erhöht die Rente. Gut so! Drittens sollen dieBeschäftigten künftig ab 50 die Möglichkeit haben, zu-sätzlich und freiwillig in die Rentenkasse einzuzahlen.Auch da sage ich: Gut so!
– Ja, da darf man auch mal klatschen.Ich empfehle allen Versicherten, statt kapitalgedeckterprivater Vorsorge freiwillige Zusatzbeiträge auf ihr per-sönliches Rentenkonto einzuzahlen. Bei der gesetzlichenRentenversicherung ist ihr Geld sicher. Wer von Riesterdie Nase voll hat oder so klug war, keinen Vertrag zurRiester-Rente abzuschließen, hat hier eine seriöse Alter-native. So weit, so gut.Aber, liebe Koalition, warum begrenzen Sie die Zu-satzbeiträge auf den Ausgleich der Abschläge und warumauf das 50. Lebensjahr?
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Frau Präsidentin, das wird sofort erledigt. – Wir hät-ten hier die perfekte und sichere Alternative zur Ries-ter-Rente, wenn man ab dem ersten Arbeitstag zusätzlichauf sein persönliches Konto bei der Rentenversicherungeinzahlen könnte.Ich komme zum Schluss. Dieser Gesetzentwurf ist eintypischer „Nahles“: Er hat etwas Licht und viel Schatten.Der Gesetzentwurf ist viel zu kompliziert. Reden Sie malmit der Rentenversicherung und den Rentenberaterinnenund -beratern! Ich sage Ihnen: Wir brauchen drei Punk-te – damit ende ich –: Die Abschläge bei den Erwerbs-minderungsrenten müssen gestrichen werden; dennniemand wird freiwillig krank. Nach 40 Beitragsjahrensollen die Menschen ab 60 in Rente gehen können – ohneAbschläge. Und wir Linken fordern die komplette Ab-Matthias W. Birkwald
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schaffung der Zwangsverrentung von Hartz-IV-Bezie-henden – ohne Wenn und Aber.Danke schön.
Vielen Dank. – Als Nächstes hat jetzt der Kollege Karl
Schiewerling, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Idee der Flexirente istnichts anderes als eine Antwort auf die großen Heraus-forderungen in der Rentenversicherung, vor denen wirin Zukunft stehen. Wir wollen die Menschen motivieren,länger zu arbeiten und den Übergang in die Rente nichtabrupt zu gestalten. Wir wollen, dass sie ihre Arbeitskraftweiterhin einsetzen können und so die Möglichkeit ha-ben, ihre Rente aufzubessern. Die Flexirente ist nach vor-ne gerichtet, nicht nach hinten. Sie ermöglicht längeresArbeiten. Wir belohnen längeres Arbeiten. Der Übergangvon der Arbeit in den Ruhestand lässt sich fließender undindividueller gestalten. Die Flexirente ist ideologiefreiund dient daher den Menschen.
Herr Kollege Birkwald, lassen Sie mich eine Bemer-kung zu Ihrer Rede machen; ich will nicht auf alle Punkteeingehen.
Es war ja wieder ein Feuerwerk von Vermischungen,Vertuschungen und Verwirrungen.
Das war dazu angetan, alle Menschen wuschelig zumachen, und vor allen Dingen dazu, das blanke ElendDeutschlands präzise zu beschreiben. Es ist nur leiderdanebengegangen.
– Ich habe Ihre Rede gehört. – Ich will Ihnen eines sagen:Wir sollten uns darauf verständigen, dass wir es bei derRentenversicherung mit einem Sozialversicherungssys-tem zu tun haben und nicht mit einem Fürsorgesystem.Je mehr wir bei der Rente Fürsorge und Versicherungvermischen, umso unklarer wird für die Menschen, dassdas, was sie in die Rentenkasse einzahlen, ihre eigeneLebensleistung ist und dass das, was der Arbeitgeber ein-zahlt, der Beitrag der Arbeitgeber zur Alterssicherung ist.Das ist das Prinzip der Versicherung, und der Bund, derStaat, gibt Geld dazu. Wenn wir anfangen, all die Wün-sche, die Sie aufgezählt haben, in das System der Ren-tenversicherung aufzunehmen, werden wir die Renten-versicherung überfordern. Deswegen bin ich ein großerFreund davon, diese Dinge präzise auseinanderzuhalten.
Das machen wir mit diesem Gesetz.In dem Gesetzentwurf geht es um drei Bereiche; dieKollegin Katja Mast hat bereits richtigerweise daraufhingewiesen.Erstens geht es um die Phase des Übergangs. Wennjemand 63 ist, aber nicht aus dem Beruf aussteigen, son-dern nur schon einmal einen Teil der Rente in Anspruchnehmen will und den weiteren Teil bis zu der Höhe desletzten Verdiensts hinzuverdienen möchte, dann bietetdieses Gesetz, glaube ich, ein attraktives Angebot. Dassdas für die Rentenversicherung möglicherweise nichteinfach zu berechnen ist und sie Schwierigkeiten hat, dasfür den individuellen Fall zu berechnen, das will ich jagerne glauben. Aber die Deutsche Rentenversicherungsteht im Dienst der Versicherten, und sie hat die Aufga-be, die Versicherten ordentlich zu beraten. Das wird sieauch auf Grundlage dieses Gesetzes tun; davon bin ichfest überzeugt.
Zweitens wollen wir diejenigen mobilisieren, die sa-gen: Ich bin schon in Rente gegangen, habe aber festge-stellt, dass ich noch fit bin. Ich bin gerne bereit, weiter zuarbeiten. – Das ist der Punkt, auf den der Kollege CarstenLinnemann immer wieder hingewiesen hat. Deswegensteckt auch viel Herzblut von ihm in diesem Gesetz; erwird ja gleich noch reden. In diesem Fall wollen wir dieMöglichkeit eröffnen, wieder ins Berufsleben zurück-zukehren. Wenn man für die Arbeit, die man dann ver-richtet – vielleicht 10, 15 oder 20 Stunden pro Woche –,noch selbst Geld in die Rentenversicherung einzahlt unddadurch den Arbeitgeberbeitrag aktiviert, bringt dies ent-sprechende Vorteile. Das ist ein Angebot, keine Pflichtoder Verpflichtung. Es ist ein Anreiz. Ich halte diesen An-reiz für eine gute Antwort auf die Herausforderungen, vordenen wir stehen. Im Übrigen: So aus der Welt gegriffenist das nicht, wie es manche darzustellen pflegen. Es gibtschon heute einen deutlichen Aufwuchs an Menschen,die im Rentenalter länger arbeiten. Mittlerweile sind esfast 15 Prozent. Diese Zahl ist nicht zu unterschätzen.Deshalb wollen wir diesen Anreiz verstärken, indem wirdie Rahmenbedingungen begünstigen.
Drittens. Wir halten es zwar für notwendig, länger zuarbeiten, wissen aber auch, dass es nicht wenige Men-schen gibt, die sich aufgrund gesundheitlicher Einschrän-kungen damit schwertun. Wir wollen ihnen helfen, durchrechtzeitige präventive gesundheitliche Vorsorge, durchvernünftige gesundheitliche und berufliche Rehabili-tation für den Arbeitsmarkt wieder gesund zu werden.Aber ich sage auch sehr deutlich: Wenn im Zusammen-hang mit dem Fachkräftemangel die Arbeitgeber sagenlängeres Arbeiten sei richtig, dann setzt das voraus, dassdie Betriebe die entsprechenden Voraussetzungen dafürMatthias W. Birkwald
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schaffen, dass dies möglich ist. Dieser Gesetzentwurf istso ausgerichtet, dass er sich in Kooperation mit den Ta-rifpartnern, mit den Betrieben zu einem guten Instrumententwickeln kann, um Menschen länger in Beschäftigungzu halten. Unter diesem Gesichtspunkt geht alles, waswir in Bezug auf Rehabilitation und Prävention vorha-ben, in die richtige Richtung.Meine Damen und Herren, unter welchen Gesichts-punkten diskutieren wir über dieses Thema? Wir disku-tieren es unter dem Gesamtgesichtspunkt der demografi-schen Entwicklung. Vor dieser Herausforderung stehenwir bei allen Altersvorsorgesystemen, sowohl den kapi-talgedeckten Systemen als auch den umlagefinanziertenSystemen, bei allen Fragen, mit denen wir uns in Zukunftbei der Alterssicherung beschäftigen. Deswegen ist es einguter Ansatzpunkt, dass wir den Menschen sagen: DasAngebot der Flexirente, das wir hiermit unterbreiten, istein Angebot, sich für einen fließenden Übergang in dieRente zu entscheiden, und bezieht sich auf die Gestaltungdes Alltags und den Eintritt in die Ruhephase.Ich sage das auch vor dem Hintergrund der aktuelllaufenden Rentendebatte; das ist ja im Augenblick einTopthema. Ich finde es sehr gut, dass die Bundesarbeits-ministerin von sich aus gesagt hat, dass sie im Herbstden Rentenbericht vorlegen wird – auf diesen warten wirjetzt – und auf dieser Grundlage Vorschläge unterbreitenwird, wie es mit der Rente weitergeht. Damit haben wirdann eine gute Grundlage für eine gescheite Diskussion.Für wenig zweckdienlich halte ich die augenblicklicheAufgeregtheit, indem man punktuell ein Thema heraus-greift – wie zum Beispiel im Augenblick das Thema Ren-tenniveau –
und dieses in den Vordergrund stellt, aber alle anderenFragen zur Rente in der öffentlichen Debatte völlig aus-blendet. Es geht nicht nur um das Rentenniveau.
Wenn wir das Rentenniveau möglichst hoch halten wol-len, wird das nur gehen, indem mehr Geld in das Ren-tensystem eingezahlt wird – egal ob über Beiträge oderüber Steuern – oder indem die Menschen länger arbei-ten. Wir müssen den Menschen die Wahrheit sagen: DieRentenversicherung ist kein Wünsch-dir-was, sondernein mathematisches System, das aus vier Stellschraubenbesteht. Das ist die Ordnung in diesem alten System. Ichkann uns nur raten, davon nicht abzuweichen und offen,klar und entschieden zu sagen, unter welchen Rahmen-bedingungen wir die zukünftige Alterssicherung organi-sieren.
Wir sagen aber auch in aller Deutlichkeit: Wir wollen,dass die Menschen Sicherheit haben. Ohne Sicherheit,ohne Verlässlichkeit wird man nicht frohgemut in die Zu-kunft schauen können. Die Menschen brauchen Planbar-keit. Diese Planbarkeit aber muss auf realen Grundlagenstehen; sonst täuschen wir die Menschen. Das haben wirnicht vor. Die Unionsfraktion steht dazu: Rente ist Lohnfür Lebensleistung. Wir wollen alles tun, dass die Men-schen im Alter vernünftig leben können. Dazu aber ge-hören alle Säulen: die gesetzliche Rente, die private Vor-sorge und die betriebliche Vorsorge. An diesen Dingenarbeiten wir. Die Flexirente ist ein wichtiger Baustein.Wir hoffen und wünschen sehr, dass sie entsprechendeResonanz bei der Bevölkerung findet.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. – Für Bünd-
nis 90/Die Grünen hat jetzt Markus Kurth das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Von den Regierungsfraktionen haben wir nun einigewohlmeinende, wohlklingende Absichtserklärungen ge-hört: Flexibel und selbstbestimmt in den Ruhestand – werwollte das nicht? Allein: Der vorliegende Gesetzentwurfgeht komplett am Problem vorbei.Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht; aber bei mir imWahlkreisbüro stehen die Bürgerinnen und Bürger jeden-falls nicht Schlage, um sich darüber zu beklagen, dass sienicht bis 70 arbeiten können. Im Gegenteil: Sie fragenmich mit Ende 50, Anfang 60: Wie kann ich es schaffen,wenn das Renteneintrittsalter demnächst auf 67 Jahresteigt, dieses auch zu erreichen? – Das ist die entschei-dende Frage, die gesellschaftspolitisch und rentenpoli-tisch geklärt werden muss.
Ich sage Ihnen auch, was es dafür aus Sicht von Bünd-nis 90/Die Grünen ganz klar braucht, nämlich die Mög-lichkeit einer Belastungsreduzierung, einer Belastungs-anpassung schon ab dem 60. Lebensjahr durch eineTeilrente ab dem 60. Lebensjahr.
Diesen Vorschlag haben wir übrigens schon einigeMonate vor Ihrem Gesetzentwurf zur Flexirente einge-bracht; er befindet sich im Beratungsverfahren im Aus-schuss. Ich sage es Ihnen noch einmal ganz klar: Wirschlagen damit keine Frühverrentung vor, wie es man-che Wirtschaftsredakteure und Wirtschaftspolitiker nichtmüde werden zu behaupten, sondern die Zielsetzungeiner Belastungsreduzierung ab dem 60. Lebensjahrist, unter dem Strich länger arbeiten zu können und dieChance zu haben, auch das 67. Lebensjahr als zukünftigeRuhestandsgrenze zu erreichen. Das ist der Clou an derSache.
Der Kollege Matthias Birkwald hat – nicht ganz zuUnrecht – gesagt: Dann sind die Abschläge das Problem,Karl Schiewerling
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und zwar natürlich insbesondere bei denjenigen Beschäf-tigten, die besonderen gesundheitlichen Belastungenausgesetzt sind. Hierzu machen wir von Bündnis 90/DieGrünen ebenfalls Vorschläge. Wir sagen nämlich, dass esnoch eine Zwischenlösung zwischen der Erwerbsminde-rungsrente und dem Eintritt in die Teilrente mit vollenAbschlägen geben muss.
Wir sagen: Wir brauchen eine Lösung für die Gruppeder besonders belasteten Beschäftigten. Auch diejenigen,die zu gesund für die Erwerbsminderungsrente, aber zueingeschränkt sind, um im Job 100 Prozent „Stoff“ zugeben, brauchen eine abschlagsfreie Teilrente. Auch dasbedeutet keine Frühverrentung und keinen ungerechtfer-tigten sozialpolitischen Bonus, sondern ist eine Hilfestel-lung, um es auch dieser Beschäftigtengruppe zu ermög-lichen, unter dem Strich länger zu arbeiten und im Jobbesser dazustehen.
Davon profitiert natürlich auch die Krankenversicherung,weil sie dann weniger Ausgaben hat. Das ist unter demStrich volkswirtschaftlich und für die Sozialversicherungeine sinnvolle Geschichte.Da mir der Kollege Martin Rosemann, der nach mirreden wird, eben zugerufen hat, wir hätten das – angeb-lich – von der SPD abgeschrieben, möchte ich dann dochgerne einmal wissen, wovon wir das abgeschrieben ha-ben sollen.
Ich weiß, dass die SPD immer vom Alterssicherungsgeldgeredet hat.
– Ja, wie auch immer. – Sie haben jedenfalls einen ähn-lich gelagerten Vorschlag gemacht, wie ihn Bündnis 90/Die Grünen im Verfahren hat. Sie haben als Koalitionauch einen Prüfauftrag für dieses Geld beschlossen. Ichhabe einmal bei der Bundesregierung nachgefragt, wasdenn das Ergebnis dieser Prüfung sei. Da heißt es lapidar:„Ergebnisse zu dem Prüfauftrag liegen noch nicht vor.“
Das ist die Leistung des sozialdemokratischen Arbeits-ministeriums zu diesem Punkt. Dazu brauchen wir, glau-be ich, wenig zu sagen.
Aber wenn man schon eine Teilrente ab 63 vorsieht –na gut, da konnten Sie in Ihrer Koalition eben nicht wei-terkommen –, dann doch um Himmels willen, bitte sehr,unkompliziert! Wissen Sie, was die Präsidentin des Bun-desverbands der Rentenberater sagt?Die vorgeschlagene Abrechnungsmethode wird beiMenschen, die sich ein flexibles Modell wünschen,zu Verunsicherung und Frustration führen. Sie ist sokompliziert, dass viele Menschen abgeschreckt wer-den und die Flexirente nicht nutzen.Völlig unflexibel und kompliziert – das ist das Fazit, dasdie Rentenberater, die in der Praxis zu Hause sind, mitBlick auf Ihren Gesetzentwurf ziehen.
Und die Deutsche Rentenversicherung sagt, in der Praxiswürden „bei nahezu allen Teilrenten nachträgliche Kor-rekturen erforderlich sein“. Fazit der Deutschen Renten-versicherung:Das Verfahren wird bei den Betroffenen Verunsiche-rung und Unverständnis auslösen.So viel zum Punkt Vereinfachung. Herr Linnemann vomWirtschaftsflügel der Union, Sie sind doch immer fürBürokratieabbau. Was haben Sie denn da gemacht? Garnichts.
Dann noch zum Punkt Flexibilität. Kann man dennwenigstens frühzeitig im Berufsleben auf so etwas wiedie Teilrente hinarbeiten und sie einplanen?
Kann man beispielsweise schon frühzeitiger im Berufs-leben freiwillige Beiträge zahlen, um spätere Abschlägeauszugleichen?
Könnte man das mit Arbeitgebern branchenübergreifendim Tarifvertrag vereinbaren und so eine atmende Renten-versicherung hinbekommen?
Nein, kann man nicht. Die SPD ruft „Ja!“, aber es istnicht die Wahrheit. Kann man mit 40 Jahren etwa schonvorzeitig Rentenbeiträge auf freiwilliger Basis zahlenoder mit dem Betrieb vereinbaren?
Nein, das kann man nicht.
Das ist die Wahrheit, und das ändern Sie auch nicht mitIhrem Gesetzentwurf, auch wenn Sie noch so laut vonder Seite rufen.
Markus Kurth
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Und warum das alles? Warum versagt diese GroßeKoalition auf ganzer Linie, wo sie doch angeblich dasZiel hat, einen längeren Verbleib im Erwerbsleben zu be-fördern? Weil sie kein wirkliches Interesse daran hat undvon Anfang an keinen wirklichen Zugang zum Problemgesucht hat. Denn das, was hier als Flexirente präsentiertwird, ist ein Koppelgeschäft mit der sogenannten Rentemit 63, es ist ein Wundpflaster für den Wirtschaftsflügelder Union. Sie haben sich da von Anfang an ideologischverhakt, und deswegen sind Sie da nicht mit einem Blickdas Problem herangegangen. Im Hintergrund galt immernoch: Es muss dabei ein taktischer Vorteil, eine Gesichts-wahrung für Sie, Herr Linnemann, herauskommen. Dasmerkt man diesem Gesetzentwurf auf ganzer Linie an.
Ich frage mich auch, was das soll, warum Sie von derUnion bei der Teilrente nicht praktikablere Vorschlägegemacht haben. Sie sagen, das sei eine Frühverrentung.Das Ergebnis, wenn man die Belastungsreduzierungnicht ermöglicht, ist doch eigentlich das Gegenteil vondem, was Sie wollen. Das Ergebnis ist tatsächlich, dassLeute zu früh in die Erwerbsminderungsrente, zu frühin die Arbeitslosigkeit gehen oder sich irgendwie mit450-Euro-Jobs durchhangeln. Das wollen wir nicht; wirwollen einen Verbleib im Erwerbsleben.
Meine Damen und Herren, mancher Protagonist vonder Großen Koalition verunsichert die Bürgerinnen undBürger mit Gerede von der Rente mit 70. Sie schaffenkeine Lösungen für die besonders belasteten Beschäf-tigten. Sie produzieren mit der Flexirente ein Placebo.Dabei wären tatsächliche Schritte für eine längere Er-werbszeit nötig. Wir müssen diese Diskussion weiterhinführen; das prognostiziere ich ganz persönlich.Ich hoffe an dieser Stelle auch auf die Wirtschaft, da-rauf, dass sie die Notwendigkeit erkennt, da von ihrerSeite her etwas zu tun. Sie weiß ab dem heutigen Tag:Von der Großen Koalition ist an dieser Stelle nichts zu er-warten, aber sehr viel mehr von Bündnis 90/Die Grünen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Ich erteile jetzt dem Kollegen
Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mussschon sagen: Ich bin schon ein bisschen stolz auf diesesGesetz. Denn zum einen greifen wir mit diesem Gesetzganz zentrale gesellschaftliche Herausforderungen auf.Die Erwerbsbiografien werden immer individueller, im-mer unterschiedlicher. Es gibt eben immer mehr Leute indiesem Land, die nicht mit einem bestimmten Alter – von100 auf null – einfach aus dem Erwerbsleben ausschei-den wollen.Das Zweite ist: Es ist ein Gesetz aus der Mitte desBundestages, das Ergebnis einer Koalitionsarbeitsgrup-pe, ein Gesetz der Koalitionsfraktionen.
Ich finde, wir haben mehr erreicht, als die meisten Skep-tiker uns zugetraut haben. Das offenbart die Einigungsfä-higkeit dieser Koalition. Ich muss zu Ihrem Redebeitrag,lieber Markus Kurth, schon sagen: Da springt doch wirk-lich aus jeder Pore der Neid, dass Sie nicht dabei seindurften.
Das Dritte ist: Dieses Gesetz trägt eine klare sozial-demokratische Handschrift. Denn neben Anreizen fürlängeres Arbeiten
und flexibleren Möglichkeiten, früher in Rente zu gehen,schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass die Leutees erst einmal gesund bis zur Regelaltersgrenze schaffen,
dass sie nämlich nicht darauf angewiesen sind, in dieErwerbsminderungsrente oder in die Arbeitslosigkeit zufallen. Deswegen stärken wir Prävention und Rehabili-tation.
Da haben Sie, Markus Kurth, das Gesetz offenbar nichtrichtig gelesen. Wir machen Nachsorge und Präventionzu Pflichtleistungen, wir machen Kinder- und Jugendre-habilitation zu einer Pflichtleistung der gesetzlichenRentenversicherung, wir stärken Kinder- und Jugendre-habilitation, und wir führen einen individuellen, berufs-bezogenen Gesundheitscheck ab dem 45. Lebensjahr ein;meine Kollegin Dagmar Schmidt wird noch näher daraufeingehen.Meine Damen und Herren, ich bin auf vielen Veran-staltungen, bei denen es um das Thema Rentenpolitikgeht, und da begegnet mir immer wieder, dass Menschenglauben, sie müssen mit Erreichen der Regelaltersgrenzein den Ruhestand gehen. Sie wissen häufig gar nicht, dasses für eine spätere Inanspruchnahme der Rente sogar Zu-schläge gibt, für jeden Monat 0,5 Prozent, für jedes Jahr6 Prozent. Deshalb ist es so wichtig – auch das steht indem vorliegenden Gesetzentwurf –, als Allererstes dieInformation der Rentenversicherung zu verbessern. Dasgilt für die zukünftige Möglichkeit als Vollrentner, Ren-tenanwartschaften zu erwerben, und das gilt auch für dieMarkus Kurth
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Möglichkeit, früher teilweise auszusteigen und Teilrentein Anspruch zu nehmen. Dafür gestalten wir die Teilrentedeutlich flexibler und attraktiver.Im Gegensatz zu dem, was Sie hier sagen, ersetzenwir das bisherige Dreistufenmodell in der Teilrente. DieTeilrente ist in Zukunft stufenlos wählbar. Die Stufen-abstürze, unter denen die Menschen mit Hinzuverdienstbisher leiden, wird es in Zukunft nicht mehr geben. Vonjedem Euro, den ich als Teilrentner mehr verdiene, habeich 60 Cent mehr in der Tasche. 40 Cent werden freilichauf die Rente angerechnet, aber damit werden wenigerRentenleistungen in Anspruch genommen, auf die dannspäter auch keine Abschläge gezahlt werden müssen.Man hat also mit der neuen Regelung bei der Teilrentebei mehr Zuverdienst einen doppelten Vorteil: Wer alsTeilrentner mehr verdient, hat unter dem Strich direktmehr in der Tasche und später mehr Rente, weil Abschlä-ge reduziert und zusätzliche Rentenanwartschaften er-worben werden.
Wir gehen von der Monats- zur Jahresbetrachtungüber. Auch das führt zu mehr Bürokratieabbau und zuVereinfachung. Was viele auch nicht wissen, ist, dass dieganzen Zuverdienstregelungen nur bei Inanspruchnahmeeiner Rente vor der Regelaltersgrenze gelten.
Erreiche ich die Regelaltersgrenze, dann kann ich so vieldazuverdienen, wie ich will.Wir machen den vorzeitigen Ausstieg planbarer, in-dem wir den Abkauf von Abschlägen bereits ab 50 Jah-ren ermöglichen statt wie bisher ab 55 Jahren. Und daverstehe ich Sie nicht, Markus Kurth:
Wer hier sagt, man will schon mit 40 den Menschen dieMöglichkeit geben, den Ausstieg zu planen, der setzt dievöllig falschen Anreize und die völlig falschen Signale.
Leute, ich werde in diesem Jahr 40 – ob mir das passtoder nicht: es sind nur noch wenige Wochen –, aber ichwill jetzt noch nicht über den Ausstieg aus dem Erwerbs-leben nachdenken. Ich glaube, das wäre angesichts derdemografischen Entwicklung auch das völlig falsche Si-gnal.
Zusammengefasst: Wir schaffen mehr Anreize für län-geres Arbeiten. Wir sorgen dafür, dass mehr Menschendie Regelaltersgrenze gesund erreichen. Wir schaffenmehr, bessere und flexiblere Ausstiegsmöglichkeitenfür die, die das nicht können. Natürlich ist richtig: DieseAusstiegsmöglichkeiten beginnen erst mit dem 63. Ge-burtstag. Aber natürlich können gesundheitliche Pro-bleme auch schon vorher vorkommen. Dem wirken wirmit Prävention und Rehabilitation entgegen, aber mitSicherheit wird es nicht bei allen reichen. Das Problemist: Wenn es dann nicht für eine Erwerbsminderungsren-te reicht, droht Arbeitslosigkeit. Hier mit einem anderenAngebot wie dem Arbeitssicherungsgeld anzusetzen, dasbleibt für uns auf der Tagesordnung. Denn wir meinen:Teilzeitarbeit ist besser als Arbeitslosigkeit, und dies fi-nanziell abzufedern, ist und bleibt die Idee des Arbeitssi-cherungsgeldes.
Es geht darum, den Lohnverlust, der dadurch entsteht,dass Menschen nur noch in Teilzeit arbeiten können, teil-weise auszugleichen. Natürlich ist es bedauerlich – dassage ich für meine Fraktion –, dass man bei dem Prüfauf-trag stehen geblieben ist. Ich sage aber auch: Wir werdendieses Konzept weiterverfolgen und gerne mit Ihnen inder nächsten Legislaturperiode umsetzen.
Und Sie kommen dann zum Schluss, lieber Herr Kol-
lege.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Insge-
samt ist dieses Gesetz ein wichtiger Beitrag, um den
Übergang von Erwerbsarbeit in Rente flexibler auszuge-
stalten und den unterschiedlichen individuellen Bedürf-
nissen gerecht zu werden.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Stephan Stracke,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Vor zwei Tagen war der Internationa-le Tag der älteren Menschen. Das Statistische Bundesamthat dies zum Anlass genommen, Zahlen zur Erwerbstäti-genquote der 65- bis 69-Jährigen zu veröffentlichen. DieQuote hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Je-der Siebte der 65- bis 69-Jährigen geht inzwischen einerErwerbstätigkeit nach. Dies ist eine sehr erfreuliche Ent-wicklung. Offenbar will Deutschlands Generation „65plus“ das Arbeiten nicht lassen.
Diese Entwicklung dürfte weniger damit zu tun haben,dass die Menschen neben ihrer Rente arbeiten müssen,sondern ganz überwiegend damit, dass sie arbeiten wol-Dr. Martin Rosemann
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len . Natürlich ist der eine oder andere Senior in einer al-les andere als komfortablen Lage, Herr Kollege.
Deswegen müssen sie zum Teil verdienen, um über dieRunden zu kommen.Aber für die neue Generation der tüchtigen Rentnerist das Müssen nicht der vornehmliche Grund. Das zeigtbeispielsweise die Tatsache, dass die Neigung zur Arbeitsprunghaft ansteigt, wenn die Berufsqualifikation einehohe ist. Sie ist bei Menschen mit einer hohen Berufs-qualifikation höher als bei denjenigen, die ohne abge-schlossene Berufsausbildung dastehen. Vermeidung vonArmut ist also sicherlich nicht die alleinige Triebfeder.Auch der Schaukelstuhl scheint für viele keine Perspek-tive für das Alter zu sein, jedenfalls nicht ausschließlich.Andere Motivationen sind ursächlich: Freude an der Ar-beit, Kontakt zu anderen Menschen, sich geistig und kör-perlich fit zu halten, natürlich auch, einen Hinzuverdienstzu haben, um sich die eine oder andere Annehmlichkeitleisten zu können. Das sind Motivationen, die es nicht zukritisieren gilt, sondern die – ganz im Gegenteil – zu un-terstützen sind. Wir sollten den Menschen mit Spaß undFreude an der Arbeit hier nicht Steine in den Weg legen,sondern wir sollten vielmehr Anreize schaffen, damit dasArbeiten im Alter noch besser wird. Wir wollen Anreizesetzen, damit Menschen, die das wollen, länger arbeiten.
Das ist die Philosophie des Flexibonus, den wir alsUnion in die Verhandlungen eingebracht haben und mitdem wir an die vor zwei Jahren beschlossenen Erleichte-rungen bei befristeten Arbeitsverträgen nach der Regel-altersgrenze anknüpfen.Mit dem Flexibonus schaffen wir für Rentner jenseitsder Regelaltersgrenze Möglichkeiten, ihre Rente aufzu-stocken, mehr in der Tasche zu haben. In Zukunft kannder isolierte Arbeitgeberbeitrag zur Rentenversicherungaktiviert werden. Heute zahlen die Arbeitgeber die Bei-träge ausschließlich in die Rentenkasse. Damit machenwir Schluss. Das ist künftig anders, wenn der Arbeitneh-mer es wünscht. Der isolierte Arbeitgeberbeitrag zur Ar-beitslosenversicherung entfällt gleichfalls, befristet auffünf Jahre. Die Entfristung bleibt dabei unser Ziel.
Damit entlasten wir die Wirtschaft. – Das ist keinschlechtes Ziel, ganz im Gegenteil. Oftmals wird dasWettbewerbsargument angeführt, das jedoch längst über-holt ist. Wir müssen den Arbeitsmarkt nicht vor den äl-teren Arbeitnehmern schützen. Ganz im Gegenteil: Wirmüssen vielmehr darauf achten, dass die älteren Arbeit-nehmer gebraucht werden, und wir müssen die nötigenAnreize setzen. Das ist der Paradigmenwechsel, den wirmit dem Flexibonus vornehmen. Das ist ein klares Signaldafür, dass sich längeres Arbeiten künftig deutlich mehrlohnen wird. Genau daran, diesen Paradigmenwechselnnoch stärker herauszuarbeiten, arbeiten wir als Union,daran, ihn als klares Signal in all den Dingen durchzuwe-ben, die wir uns vorgenommen haben.
Auch das Arbeiten bis zur Regelsaltersgrenze wollenwir deutlich verbessern. Wir wollen echte flexible Über-gänge in den Ruhestand, wir wollen Teilzeitarbeit undTeilrenten besser als heute miteinander verzahnen. Heutegibt es lediglich einige wenige Tausend Teilrentner, unddies ganz überwiegend aus Versehen, weil die Betroffe-nen einige Euro über den starren Hinzuverdienstgrenzenliegen, womit ein Teil ihrer Rente dann wegfällt. Daswollen wir ändern.Künftig soll es keine zufälligen Teilrenten mehr ge-ben, sondern Teilrenten, für die sich die Betroffenen ganzbewusst entschieden haben. Dazu vereinfachen wir dasgeltende Hinzuverdienstrecht. Anstelle von starren Stu-fen gilt zukünftig eine flexible Anrechnungsregelung. Ichhalte das für gut; denn sie ist gerecht, sie ist transparent,und mit einer Obergrenze sorgen wir auch dafür, dass esnicht zu Überversorgungen in diesen Bereichen kommt.Im Übrigen ist es auch ein Beitrag zur Entbürokratisie-rung. Viele haben darüber jahrelang geredet. Wir als Uni-on, als diese Koalition machen es.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir ist auchnoch ganz wichtig, zu betonen, dass wir auch keinenfalschen Rezepten folgen, die lauten, wir machen eineTeilrente ab 60 oder ein Arbeitssicherungsgeld oder vie-les mehr. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass dieMenschen gesund bleiben und länger im Erwerbslebenverbleiben können. Dazu haben wir als Koalition jetztein ganzes Bündel an Maßnahmen auf den Weg gebracht,das vor allem die medizinische und berufliche Rehabi-litation stärkt und das zeigt, dass wir den Eintritt in dieErwerbsminderungsrente vermeiden wollen. Auch hiergilt: Wir sind diejenige Koalition, die die Erwerbsminde-rungsrenten spürbar verbessert haben.
Insofern setzen wir hier mit unserem Maßnahmenbündelentsprechend an.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,dass der vorliegende Gesetzentwurf, den die Koalitions-fraktionen ausgearbeitet haben, ein guter Entwurf ist,der die wesentlichen Zielrichtungen in den Blick nimmt,insbesondere für diejenigen, die länger arbeiten wollen,flexiblere Übergänge in den Ruhestand zu organisieren.Das ist genau die Zielrichtung, um die es geht. Lassen Sieuns vor diesem Hintergrund weiter daran arbeiten, dassdiese Zielrichtung verstetigt wird. Meines Erachtens istsie richtig.Ein herzliches Dankeschön.
Stephan Stracke
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Vielen Dank. – Jetzt erhält die Kollegin Dagmar
Schmidt, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schonviel zu dem Gesetz gesagt worden. Uns als SPD war esbesonders wichtig, Verbesserungen zu erreichen, damitMenschen gesund bis zur Rente, bis zur Regelaltersgren-ze arbeiten können. Wenn wir darüber reden, wie einegute Rente zu erreichen ist, dann ist die beste Voraus-setzung ein langes, möglichst lückenloses und gesundesErwerbsleben bei gutem Lohn.Betrachten wir das durchschnittliche Rentenein-trittsalter inklusive aller Rentenarten, so lag es 2015 bei61,9 Jahren. Im Vergleich dazu lag das durchschnittlicheZugangsalter nur in die Altersrente bei 64 Jahren. Diehohe Zahl der Eintritte in die Erwerbsminderungsrentesenkt das durchschnittliche Rentenalter also um mehr alszwei Jahre. Dies wäre nur reine Statistik, würde sich hin-ter dem frühen Zugangsalter in die Erwerbsminderungs-rente, nämlich einem durchschnittlichen Alter von geradeeinmal 51,6 Jahren, nicht eines der größten Risiken fürAltersarmut verbergen.Wir haben schon viel gemacht; das ist gesagt worden.Die sogenannte Zurechnungszeit bei der Berechnung derErwerbsminderungsrente wurde von 60 auf 62 Jahre ver-längert,
und mit der sogenannten Günstiger-Prüfung, die wir ein-geführt haben, wird geschaut, ob die meist ja schon we-gen der Krankheit schlechter bezahlten letzten vier Jahrevor der Erwerbsminderungsrente die Rente senken. Istdies der Fall, werden sie nicht berücksichtigt.Aber der beste Beitrag für eine gute Rente ist, zu ver-meiden, dass jemand aus gesundheitlichen Gründen nichtweiter arbeiten kann.
Für uns gilt der Grundsatz „Prävention vor Reha undReha vor Rente“. Was machen wir da? Es ist bereits an-gedeutet worden: Die Leistungen zur Teilhabe in der ge-setzlichen Rentenversicherung werden eine Pflichtleis-tung. Wir machen aus der Kannleistung für Teilhabe eineMussleistung, auch wenn bisher die Leistungen regelmä-ßig auf Antrag erbracht wurden. Jetzt gibt es den indi-viduellen Anspruch. Wir haben ergänzt, dass Leistungenzur Teilhabe nicht nur dann erbracht werden, wenn da-mit der Arbeitsplatz erhalten werden kann, sondern auchdann, wenn es möglich ist, einen anderen Arbeitsplatz zubekommen.
Wir führen eine bundeseinheitliche Regelung zurNachsorge ein und beseitigen die Begrenzung der Ausga-ben für die Nachsorge. Denn wer möchte, dass eine RehaErfolg hat, dass die oftmals notwendigen Verhaltensän-derungen und Änderungen der Lebensweise nachhaltigsind, der muss auch die Nachsorge stärken.
Dass wir es mit der Prävention sehr ernst meinen,sieht man daran, dass wir mit unserem Gesetz auch dieReha für Kinder stärken.
Was haben wir verbessert? Die Träger der Rentenversi-cherung dürfen die Leistungen der Kinderreha jetzt auchambulant erbringen, was das Leben der Familien deutlicherleichtern dürfte. Genauso haben wir nun den Anspruchgesetzlich verankert, dass eine Begleitperson mitkom-men darf oder auch die Familienangehörigen mitkom-men dürfen, wenn dies für die Durchführung der Rehanotwendig ist. Das sind kleine Änderungen im Gesetz,die aber große Erleichterungen für die betroffenen Kin-der und ihre Familien darstellen. Auch darauf können wirstolz sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Ü-45-Check-up haben wir eine weitere präventive Maßnahmein der Lebensmitte in Gang gebracht. Ich bin ja bald indem Alter, und ich kann feststellen, dass es nicht mehrwie mit 20 ist. Die ersten Verschleißerscheinungen ma-chen sich bemerkbar.
Je nach Tätigkeit sind diese unterschiedlich stark undunterschiedlich in ihren Auswirkungen auf den aktuellenArbeitsplatz. Wir sind der Auffassung, dass es, wenn derRücken oder die Knie erst kaputt sind oder die psychi-sche Belastung zu einer psychischen Erkrankung geführthat, schwer ist, sich noch einmal umzuorientieren, nocheinmal einen neuen Anlauf zu nehmen oder sich umzu-stellen. Deswegen wollen wir rechtzeitig einen individu-ellen Anspruch auf eine umfassende Gesundheitsuntersu-chung sowie eine Gefährdungs- und Potenzialanalyse inBezug auf die ausgeübte Tätigkeit. Aus den Ergebnissenund Gesprächen sollen Maßnahmen resultieren und un-terstützt werden, entweder in Bezug auf den Arbeitsplatz,auf die berufliche Weiterbildung oder aber auch, wenn esnicht anders geht, eine Umschulung für eine Tätigkeit,die ohne die zu erwartenden gesundheitlichen Schädi-gungen ausgeführt werden kann.Wir haben lange und mit vielen Fachleuten darübergeredet, wie genau solch ein Check-up aussehen kann.Wir mussten feststellen, dass es eine sowohl auf Arbeits-medizin als auch auf den Arbeitsmarkt ausgerichteteFachkompetenz bisher in dieser Form nicht gibt. Des-wegen wird die Deutsche Rentenversicherung entspre-chende Modellprojekte mit unterschiedlichen Partnernstarten, um die bestmögliche Umsetzung des Check-upszu gewährleisten. Wir sind sehr gespannt, was dabei he-rauskommt. Ich glaube, das ist eine wirklich gute Sache.
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Mit all diesen Maßnahmen stärken wir die Vorsorgeund den Gesundheitsschutz. Das ist nicht nur gut in Be-zug auf eine gute Rente, sondern das ist auch vor allemgut für das persönliche Wohlbefinden. Denn die Belas-tung am Arbeitsplatz steigt. Immer mehr Arbeitnehmerfehlen aufgrund von psychischen Erkrankungen oderleiden unter größerem Druck bei der Arbeit. Deswegenbleiben wir nicht stehen: erst das Präventionsgesetz,jetzt weitere wichtige Schritte im Rahmen der gesetzli-chen Rentenversicherung. Aber es ist auch notwendig,die Arbeitgeber mehr in die Verantwortung zu nehmen.Wir wollen das betriebliche Eingliederungsmanagementverbessern und verbreitern sowie perspektivisch eine An-tistressverordnung erarbeiten. Auch der von Arbeitsmi-nisterin Nahles angestoßene Dialog „Arbeiten 4.0“ wirduns noch einige Arbeitsaufträge mitgeben.
Packen wir es an – ohne Stress und bei bester Gesund-heit.
Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist der Kollege Dr. Carsten Linnemann,
CDU/CSU-Fraktion.
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Lieber Herr Rosemann, vielleicht darf ich das sagen:Auch wir sind ein bisschen stolz, dass wir gemeinsam alsKoalition jetzt die Flexirente auf den Weg bringen. Wirhaben das in toller Zusammenarbeit gemacht. Wir habengezeigt, dass das geht. Ich glaube, auch so weit gehen zuwollen, dass ich sage, dass die Flexirente – dies geschiehtnatürlich nicht von heute auf morgen – einen Mentalitäts-wechsel einleitet. Wir wollen die Menschen in die Lageversetzen, a) länger arbeiten zu können – Stichwort „Prä-vention“ – und b) länger arbeiten zu wollen. Wir wollenalso, dass Arbeit auch im Alter attraktiv ist und längeresArbeiten belohnt wird. Das ist gut so. Diesen Weg wollenwir jetzt gehen.
Ich meine, man muss sich einmal die Frage stellen,wo wir herkommen. Wir kommen aus einer Zeit, in derdie Rentenversicherung – bis vor kurzem war es nochso – an 55-Jährige Briefe verschickt und sie faktisch auf-gefordert hat, einen Rentenantrag, einen Antrag auf Al-terssicherung zu stellen. Die Alternative, dass man auchlänger arbeiten kann, hat man nicht beschrieben. Schlim-mer noch: Man hat so getan, als ob es zu der Möglichkeit,in Rente zu gehen, gar keine Alternative gäbe. Das zeigt,glaube ich, dass diese Denke, diese Geisteshaltung, diewir in Deutschland über Jahrzehnte gelebt haben, falschist.Wir tun so, als ob diejenigen, die 65 sind, zum altenEisen gehören, sodass derjenige, der jetzt in Rente geht,eine Vollbremsung von 100 auf null hinlegen muss. Dasstimmt nicht. Deshalb brauchen wir einen Mentalitäts-wechsel in die Richtung, die beispielsweise in Japan zubeobachten ist. Ich habe mir vor vier, fünf Jahren imRahmen einer Reise der Konrad-Adenauer-Stiftung diedemografische Situation in Japan angesehen. Das war in-teressant. In Deutschland haben wir ja ein Klima, dasswir denken, derjenige, der länger arbeitet, tut dies nurdeshalb, weil er das Geld benötigt.
In Japan war es aber so, dass viele Menschen – die übri-gens bis knapp 70 arbeiten, nicht nur in Vollzeit, sondernauch in Teilzeit – sagen: Es geht mir gar nicht um denfinanziellen Aspekt, sondern um die Teilhabe und denKontakt zu den Kollegen; ich möchte weiter im Lebenstehen. – Ich weiß noch, wie einer zu mir gesagt hat: Ar-beit hält fit und ist gesund.Als ich nach Deutschland zurückgekommen bin, istmir eine Studie in die Hand gefallen, keine vom ifo-In-stitut oder vom Institut der deutschen Wirtschaft, sonderneine der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. DieHans-Böckler-Stiftung hat eine Umfrage durchgeführtund alle über 65-Jährigen in Deutschland, die noch arbei-ten – entweder in einem Minijob oder im welchem Rah-men auch immer –, gefragt: Warum arbeitet ihr länger?Auf Platz eins der Antworten stand: Spaß an der Arbeit.Auf Platz zwei stand: Wunsch nach einer Aufgabe. AufPlatz drei stand: Kontakt zu Menschen. Erst auf Platz vierstand der finanzielle Aspekt. Ich will gar nicht in Abredestellen, dass viele Menschen länger arbeiten müssen, umfinanziell über die Runden zu kommen.
Aber der Großteil – das zeigt doch diese Studie – möchtenicht zum alten Eisen gehören, möchte weiter im Lebenstehen. Wenn es geht, möchte man gerne weiterarbeiten,wenn nicht in Vollzeit, dann in Teilzeit. Ich glaube, dieseMenschen müssen wir unterstützen.
Es ist richtig – deswegen kann man von einem Menta-litätswechsel sprechen –, dass die Briefe der Rentenversi-cherung jetzt geändert werden. Dort steht jetzt beispiels-weise drin – ein Redner vor mir hat das angesprochen –,dass man dann, wenn man länger arbeitet und die Rentenicht bezieht, im Monat Zuschläge von 0,5 Prozent be-kommt – das sind 6 Prozent im Jahr – plus die eingezahl-ten Beiträge; das entspricht 8,5 Prozent.
– Das steht jetzt drin, Herr Birkwald.Es ist aber so, dass die meisten Menschen im Ren-tenalter aus verständlichen Gründen erst einmal die Ren-te beziehen und dann zusätzlich arbeiten wollen. DasDagmar Schmidt
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wollen wir mit der Flexirente attraktiver machen. Heutezahlt der Arbeitgeber Rentenversicherungsbeiträge, diesekommen in einen großen Topf, und dann sind sie weg. InZukunft ist es so, dass diese Beiträge aktiviert werden,wenn auch der Rentner einzahlt. Das heißt, er bekommtdann jedes Jahr – ich glaube, zum 1. Juli – eine zusätzli-che Rentenerhöhung. Das ist auch richtig, weil er ja auchzusätzlich dafür arbeitet. Die Arbeitslosenversicherungs-beiträge der Rentner fallen weg; warum ein Rentner Ar-beitslosenversicherungsbeiträge zahlen muss, habe ichübrigens bis heute nicht verstanden, weil ein Rentnernicht mehr arbeitslos werden kann. Das ist, glaube ich,der richtige Weg. Das heißt für mich: Alter neu denken.Das ist die Flexirente: Alter neu denken. Das geht nichtvon heute auf morgen. Sie ist aber ein wichtiger Schritt.Ich glaube, das müssen wir jetzt leben.Ja, zur Ehrlichkeit gehört auch, zu sagen, dass hiermitnicht diejenigen angesprochen werden, die mit 55 unver-schuldet in die Arbeitslosigkeit rutschen. Wir sprechenhiermit die Menschen an – das hat Frau Mast richtig zumAusdruck gebracht –, die erst einmal in die Lage versetztwerden müssen, länger zu arbeiten, und diejenigen, dieauch im Rentenalter länger arbeiten wollen.
Was diejenigen betrifft, die mit 55 arbeitslos werden, istes richtig, den Appell an die Wirtschaft loszuwerden, denMut zu haben, diese Menschen einzustellen, statt von ei-nem flächendeckenden Fachkräftemangel zu reden.
Das hat mit der Flexirente aber überhaupt nichts zu tun.Hiermit wollen wir den Ansatz verfolgen, dass wir dasArbeiten im Alter für diejenigen, die es können und wol-len, attraktiver machen. Dass es einen Zusammenhangzwischen der Lebenszeit und der Lebensarbeitszeit gibt,ist, glaube ich, offenkundig.Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Diese Renten-debatte zeigt seit langem zum ersten Mal, dass Renten-politik kein Kampf zwischen den Generationen ist. Ichweiß nicht, wer immer davon spricht. Die Rentner, diewir treffen, haben natürlich Verständnis dafür, dass wirdie nächsten Generationen nie über Gebühr belastenkönnen.Dieser Gesetzentwurf zur Flexirente ist ein Beispieldafür, dass es geht. Dieser Gesetzentwurf denkt nämlichan beide, sowohl an die Jüngeren, die ihre Beiträge leis-ten, als auch an die Älteren.
Durch diesen Gesetzentwurf werden keine Schulden zu-lasten der zukünftigen Generationen in die Zukunft ver-lagert, sondern es ist ein ehrlicher Gesetzentwurf und einSchritt in die richtige Richtung.Diesen sollten wir jetzt gehen, und jetzt freue ich michauf die Debatte im Ausschuss.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/9787 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nichtder Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen jetzt zu einer Reihe von Abstimmungen,für die ich noch einmal Ihre ganze Aufmerksamkeit er-bitte.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 f auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes überdie Feststellung des Wirtschaftsplans desERP-Sondervermögens für das Jahr 2017
Drucksache 18/9753Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demAbkommen vom 22. März 2016 zwischen derRegierung der Bundesrepublik Deutschlandund der Regierung der Republik Serbien überdie Zusammenarbeit im SicherheitsbereichDrucksache 18/9754Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Re-gierung der Bundesrepublik Deutschland unddem Ministerrat der Republik Albanien überdie Zusammenarbeit im SicherheitsbereichDrucksache 18/9755Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uniond) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demAbkommen vom 9. Juli 2014 zwischen derRegierung der Bundesrepublik Deutschlandund der Regierung von Georgien über die Zu-Dr. Carsten Linnemann
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sammenarbeit bei der Bekämpfung der Orga-nisierten Kriminalität, des Terrorismus undanderer Straftaten von erheblicher BedeutungDrucksache 18/9756Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unione) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-derung des Gesetzes über die internationaleRechtshilfe in StrafsachenDrucksache 18/9757Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzf) Beratung des Antrags der Abgeordneten HubertusZdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEExportverbot für hochradioaktive AbfälleDrucksache 18/9791Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und EnergieEs handelt sich hierbei um Überweisungen im ver-einfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe,das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-schlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 j auf. Eshandelt sich hierbei um Beschlussfassungen zu Vorla-gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 28 a:Beratung des Antrags der Abgeordneten IngeHöger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEIn der UN-Vollversammlung für Atomwaffen-verbot stimmenDrucksache 18/9792Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-tion abgelehnt.Tagesordnungspunkt 28 b:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit zuder Verordnung der BundesregierungFünfte Verordnung zur Änderung der Elek-tro- und Elektronikgeräte-Stoff-VerordnungDrucksachen 18/9500, 18/9596 Nr. 2, 18/9775Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 18/9775, der Verordnung aufDrucksache 18/9500 zuzustimmen. – Wer stimmt für die-se Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmigangenommen.Tagesordnungspunkt 28 c:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-gie zu der Verordnung der Bun-desregierungErste Verordnung zur Änderung der Verord-nung über Vereinbarungen zu abschaltbarenLastenDrucksachen 18/9631, 18/9733 Nr. 2, 18/9839Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 18/9839, der Verordnung aufDrucksache 18/9631 zuzustimmen. – Wer stimmt da-für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DieBeschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.Bei den Tagesordnungspunkten 28 d bis 28 j geht esum die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschus-ses.Tagesordnungspunkt 28 d:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 357 zu PetitionenDrucksache 18/9679Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 357 ist einstimmig an-genommen.Tagesordnungspunkt 28 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 358 zu PetitionenDrucksache 18/9680Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 358 ist bei Enthal-tung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen derFraktion Die Linke angenommen.Tagesordnungspunkt 28 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 359 zu PetitionenDrucksache 18/9681Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 359 ist bei Enthaltungder Fraktion Die Linke angenommen.Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Tagesordnungspunkt 28 g:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 360 zu PetitionenDrucksache 18/9682Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 360 ist einstimmig an-genommen.Tagesordnungspunkt 28 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 361 zu PetitionenDrucksache 18/9683Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht ist gegen die Stimmenvon Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt 28 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 362 zu PetitionenDrucksache 18/9684Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht ist gegen die Stimmender Fraktion Die Linke angenommen.Tagesordnungspunkt 28 j:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 363 zu PetitionenDrucksache 18/9685Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo-sition angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Vermitt-lungsausschusses zu dem Gesetz zur Anpassungdes Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerge-setzes an die Rechtsprechung des Bundesver-fassungsgerichtsDrucksachen 18/5923, 18/6279, 18/8911,18/8912, 18/9155, 18/9690Berichterstatter im Bundestag: der AbgeordneteMichael Grosse-Brömer, Berichterstatter im Bundesrat:Minister Dr. Norbert Walter-Borjans.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Ichsehe, das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungengewünscht? – Ich sehe, auch das ist nicht der Fall.1)1) Anlage 3Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt-lungsausschuss hat gemäß § 10 Absatz 3 Satz 1 seinerGeschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bun-destag über die Änderungen gemeinsam abzustimmenist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ver-mittlungsausschusses auf Drucksache 18/9690? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-nen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion DIE LINKEErgebnisse zur Reform der ErbschaftsteuerIch bitte darum, die Plätze einzunehmen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Dietmar Bartsch, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Wir haben hier eben einenBeschluss gefasst. Offensichtlich sollte zu dieser Ent-scheidung, die nicht irgendeine ist, weiter keine Debattegeführt werden. Ich kenne die Geschäftsordnung. Aberich finde, diese relevante Veränderung bzw. Nichtverän-derung muss hier im Plenum des Deutschen Bundestagesdiskutiert werden.
Es gibt in der ganzen Legislatur nicht eine wirklicheVeränderung im Steuerrecht. Die gesamten Südstaatensetzen Sie, was Reformen betrifft, unter Druck, aber hierin Deutschland, meinen Sie, müsse gar nichts passieren.Das, was jetzt als Ergebnis herausgekommen ist, verdientden Titel „Erbschaftsteuerreform“ nicht. Das ist maximalein Erbschaftsteuerreförmchen.Wir haben heute früh hier im Deutschen BundestagPeer Steinbrück verabschiedet. Ich will deshalb HerrnSteinbrück mit dem zitieren, was er zum Thema Erb-schaftsteuer in einem Interview im Juli 2015 gesagt hat:Damit der Staat aber genug Geld für Investitionen inBildung hat, sollte die Erbschaftsteuer erhöht wer-den. In Deutschland werden jedes Jahr 250 Milliar-den Euro Privatvermögen vererbt.
Die Erbschaftsteuer beträgt nur 2 Prozent davon,also 5 Milliarden Euro. Das darf man weiß Gott ver-doppeln für den zentralen Zukunftsfaktor Bildungeinschließlich Kinderbetreuung.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Ich finde, Peer Steinbrück hat ausdrücklich recht. Siehaben ihm hier ein übles Abschiedsgeschenk gemacht. Erist wahrhaftig kein Linker,
aber dass Sie diesen Beschluss an diesem Tag fassen, istwirklich völlig inakzeptabel.
Ich will etwas zum Verfahren sagen und daran erin-nern, dass das Bundesverfassungsgericht 2014 wesent-liche Teile der Steuervergünstigungen für Erben kassierthat – 2014! Dann haben sich die Spitzen der drei Parteienin der Koalition ewig nicht einigen können. Es gab einpermanentes Hin und Her, und die Erbschaftsteuer wurdemit anderen Dingen verhandelt.Bis zum 30. Juni 2016 hatte Ihnen das Bundesverfas-sungsgericht die Frist gesetzt. Sie haben diese Frist ein-fach ignoriert. Das ist inakzeptabel, meine Damen undHerren. Jeder Parksünder, dessen Parkschein seit zehnMinuten abgelaufen ist, bekommt ein Ticket. Und Siemachen monatelang einen Verschiebebahnhof. Damitdesavouieren Sie den Rechtsstaat, meine Damen undHerren von der Großen Koalition.
Auch im Vermittlungsausschuss wird gepokert. ZumSchluss gibt es dann eine Nachtsitzung;
das alles will ich gar nicht weiter bewerten. Am Ende sagtdann der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer:„Ich bin zufrieden, sogar sehr zufrieden.“
Das sagt eigentlich alles. Am Ende wurden die Forderun-gen der Unternehmenslobby nahezu vollständig bedient.Bei der Reform geht es nicht um kleine Familienun-ternehmen, sondern um Riesenkonzerne wie zum Bei-spiel den im Eigentum der Familie Quandt. Durch IhreEinigung werden Firmenerben auch künftig steuerlichbegünstigt. Sie verweisen in diesem Zusammenhangständig auf die Arbeitsplätze. Niemand hier im Haus willmit der Erbschaftsteuer Arbeitsplätze gefährden odervernichten.
Das ist ein absurder Vorwurf. Aber Fakt ist, dass das Ar-gument, die Verschonung des Unternehmensvermögenssei notwendig, um Arbeitsplätze zu erhalten, falsch ist.Es gab noch nicht einen einzigen Fall, in dem ein Un-ternehmen wegen der Erbschaftsteuer pleitegegangen ist.
Es gibt keinen Fall. Also bringen Sie die Arbeitsplätzenicht als Argument.
Das Problem besteht ganz woanders. Wir sehen doch,dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschlandimmer weiter auseinandergeht. 10 Prozent der Deut-schen besitzen 60 Prozent des Gesamtvermögens. Die500 reichsten Familien verfügen über ein Vermögen von732 Milliarden Euro. Die Erbschaftsteuer wäre ein pro-bates Mittel, hier endlich einzugreifen.
Wie wir alle wissen, stehen die Einnahmen aus derErbschaftsteuer den Ländern zu. Liebe Grüne, es stimmt,dass Sie hier tapfer dagegen gestimmt haben. Aber imVermittlungsausschuss hat nur eine der Landesregie-rungen, an denen die Grünen beteiligt sind, dagegen ge-stimmt, nämlich Thüringen. Auch Brandenburg hat nichtzugestimmt. Meine Damen und Herren von den Grünen,es ist nur begrenzt glaubwürdig, hier dagegen zu stim-men, es aber im Vermittlungsausschuss einfach durch-laufen zu lassen. Das ist meines Erachtens so nicht zuakzeptieren.
Diese Reform hat den Namen nicht verdient. Es han-delt sich maximal um ein Reförmchen. So bleibt die Erb-schaftsteuer eine Bagatellsteuer.
Finanzdynastien werden begünstigt, wenn nicht endlichumgesteuert wird. Wenn es aber solche Riesenvermögenin unserem Land gibt und wenn wir gleichzeitig Kinder-armut und Altersarmut zu verzeichnen haben, dann müs-sen die Mittel, die uns hier im Hohen Haus zur Verfügungstehen, endlich ausgeschöpft werden.
Lassen Sie mich zum Schluss die bayerische Landes-verfassung zitieren – ich mache das sehr gerne –:Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, dieAnsammlung von Riesenvermögen in den Händeneinzelner zu verhindern.
Halten Sie sich bitte an die bayerische Landesverfassungund der bayerische Ministerpräsident bitte auch! AberSie machen genau das Gegenteil. Das darf nicht sein.Wir brauchen eine Veränderung bei der Erbschaftsteuer,die grundlegender Natur ist. Wir werden das zum Wahl-kampfthema machen und hoffentlich in der nächsten Le-gislaturperiode eine entsprechende Reform angehen. Esist schade, dass die Mehrheit im Deutschen Bundestag,die eine andere Sicht als die Regierung hat, hier nichtzum Tragen kommt.Herzlichen Dank.
Dr. Dietmar Bartsch
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der gemeinsame Vermittlungsausschuss des Bundesta-ges und des Bundesrates hat sich auf einen Kompromisszur Neuregelung der Erbschaft- und Schenkungsteuergeeinigt. Die im Vermittlungsausschuss gefundene Ei-nigung zur Erbschaft- und Schenkungsteuer schafft jetztPlanungs- und Rechtssicherheit für unsere Unternehmen.
Das Betriebsvermögen unterliegt weiterhin der Verscho-nungsregelung, wenn der Betrieb gemeinwohlpflichtigweitergeführt wird. Das ist ein Erfolg. Das waren wir un-seren Arbeitsplätzen und unseren Betrieben in Deutsch-land schuldig. Wir sollten noch einmal verdeutlichen: Esgeht um Betriebsvermögen und nicht, wie Herr Bartschbehauptet hat, um Privatvermögen. Letzteres wird wei-terhin voll besteuert. Sie sollten hier keine Neidkampag-ne gegen Großfamilien schüren; die müssen ihre Privat-vermögen selbstverständlich in Deutschland versteuern.Ihre Neidkampagne läuft völlig ins Leere, weil es um Be-triebsvermögen und den Erhalt von Arbeitsplätzen geht.
Wichtig ist, dass die Politik Handlungsfähigkeit be-wiesen hat. Bei diesem schwierigen Thema wurde eineEntscheidung auf dem Kompromissweg gefunden.
Hätte sich das Bundesverfassungsgericht wieder einge-schaltet, wäre das ein falsches Signal für den Wirtschafts-standort und sogar eine Blamage für die Politik gewesen.Es ist wichtig, dass wir mit Vernunft über die Ideolo-gie, die bei dieser Reform immer wieder zum Ausdruckkommt, letzten Endes gesiegt haben. Meine Damen undHerren, wir haben bewiesen, dass bei uns Vernunft vorIdeologie kommt.
Wir haben zweifelsfrei auch Kompromisse eingehenmüssen. Im Rahmen des Kompromisses zum Beispiel beider Unternehmensbewertung nach dem vereinfachten Er-tragswertverfahren liegt der pauschale Kapitalisierungs-faktor jetzt beim 13,75-Fachen des Gewinns. Er ist nachunserer Auffassung sehr hoch und liegt über dem Markt-wert vieler Unternehmen. Wir wollen Substanzbesteue-rung verhindern; aber wir kommen vom 18-Fachen desGewinns, sodass wir mit dem 13,75-Fachen die richtigeRichtung eingeschlagen haben.
Damit werden letzten Endes in Zukunft die Unterneh-menswerte planungssicher und realistisch veranschlagt.Auch das, meine Damen und Herren, ist ein Erfolg fürunsere Familienbetriebe.Ein weiterer Erfolg ist, dass unsere Kleinbetriebe mitbis zu fünf Mitarbeitern von der Lohnsummenpflichtbefreit werden. Das entlastet diese Betriebe von erhebli-chem Bürokratieaufwand. Die rot-rot-grünen Bundeslän-der wollten die Bagatellgrenze schon bei drei Mitarbei-tern ziehen. Es war ein Kernanliegen, hier letzten Endeseine Entbürokratisierung vorzunehmen. Ich glaube, es istwichtig, dass wir das Signal aussenden: Betriebe mit biszu fünf Mitarbeitern brauchen keine Lohnsummenrege-lungsbürokratie. Deswegen ist das ein richtiger Weg.Ein zusätzliches Kernanliegen war die Durchsetzungder Investitionsklausel. Durch sie kann Verwaltungsver-mögen im Investitionsfall in Betriebsvermögen umge-wandelt werden. Es dient natürlich der Zukunftsgestal-tung, wenn Investitionen für Arbeitsplätze und für dieWettbewerbsfähigkeit getätigt werden.Das sind wichtige Aspekte; denn wir wollen mit einerfunktionsfähigen Generationenbrücke die Zukunft ge-winnen. Und dazu braucht es Investitionen, die wir mitdiesem Investitionsklauselparagrafen begünstigen. Dasist ein wichtiger Erfolg für die mittelständische Wirt-schaft.
Ich komme jetzt zum Thema Großfamilien. Es gibt daeine Abschmelzkurve, die im Bereich von 26 MillionenEuro bis 90 Millionen Euro liegt. Das hatten wir schonvorher in den Verhandlungen durchgesetzt, und es wurdeim Vermittlungsverfahren erhalten. Das ist ein wichtigerAspekt, weil hier letzten Endes entschieden wird, ob imRahmen einer Bedarfsprüfung das Privatvermögen of-fengelegt werden muss oder ob letzten Endes pauschaleine Steuerbefreiung in Anspruch genommen werdenkann. Das ist genau das, was wir wollen. Wir wollen,dass es hier eine Wahlmöglichkeit gibt. Es geht um mit-telständische Unternehmen.
Von daher ist es völlig falsch, hier die Neidkeule gegenGroßfamilien – wie Quandt und andere, die Sie ange-sprochen haben – zu schwingen.In diesem Sinne glaube ich, dass es ein großen Erfolgwar, in diese Richtung zu gehen. Es handelt sich dabeium einen Kompromiss. Kompromisse müssen wir immerwieder eingehen. Wir haben uns aber stetig verbessert.Vor allem die Anerkennung von Verschonungsregelnwurde letzten Endes immer wieder bestätigt. Sie wurdezunächst als verfassungswidrig angesehen. Das ist nichtder Fall. Die Verschonungsregel für Betriebsvermögenist ein wichtiger Schritt hin zur Schaffung einer Genera-tionenbrücke. Darauf sollten wir stolz sein. Damit habenwir für die Zukunft der Unternehmen in Deutschland ge-sorgt.Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Ich darf vielleicht noch einmal daran
erinnern, dass in der Aktuellen Stunde die Debattenzeit
fünf Minuten beträgt. Sie muss nicht ausgenutzt werden,
aber sie darf nicht überschritten werden.
Die Kollegin Anja Hajduk, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, macht das jetzt beispielhaft vor.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Das Thema Erbschaftsteuer hat ja in der Tatschon eine erhebliche Vorgeschichte, denn das Bundes-verfassungsgericht hat wiederholt – zuletzt im Dezem-ber 2014 – entschieden, dass die Erbschaftsteuer in dieserForm gegen das Grundgesetz verstößt. Herr Michelbach,da ging es genau um die Privilegierung von Betriebsver-mögen. Das ist genau das Thema. Sie müssen gar nichtdenken, dass hier jemand etwas ausgeblendet hat.Es ist schon bemerkenswert, wie sich die Unionsseitedieser Fragestellung nur äußerst widerwillig stellt, ganzim Unterschied zum Finanzminister. Der hat sich näm-lich in seinem Vorschlag mit dem Verfassungsgerichtsur-teil sehr ernsthaft auseinandergesetzt.
Ich will jetzt noch einen Punkt benennen. Die Ableh-nung im Bundesrat war sehr breit. Wir glauben, dass derKompromiss, den Sie nunmehr vorgelegt haben, wiede-rum große Zweifel lässt, ob er mit den Verfassungsge-richtsurteilen, die wir haben, in Einklang steht.
Ich will eines vorausschicken: Ziel der Begünstigungvon Unternehmen ist es, eine Weiterführung des Betriebsdurch die Erbschaftsteuer nicht zu gefährden und Ar-beitsplätze vollständig zu erhalten. Das ist unstrittig. Dassehen auch wir so. Das ist nicht der Punkt.Aber das, was Sie uns vorgelegt haben, besagt, dassgenerell die Unternehmensbewertung pauschal um23 Prozent abgesenkt wird. Das steht im Widerspruchzu dem Verfassungsgerichtsurteil von 2014, wonach esdazu einer Bedürfnisprüfung bedarf und eine generelleRegelung nicht zulässig ist. Schauen wir uns das Urteilvon 2006 an. Ich zitiere aus der Urteilsbegründung desVerfassungsgerichts:Zur Verfolgung außerfiskalischer Förderungs- undLenkungsziele im Erbschaftsteuerrecht ist die Be-wertungsebene daher aus verfassungsrechtlichenGründen bereits vom Ansatz her ungeeignet.Das heißt schlicht, Begünstigungen müssen transparentsein und dürfen eben nicht im Wege der Unternehmens-bewertung gewährt werden. Das ist der Hauptpunkt, derdiese Lösung äußerst kritisch macht.
Des Weiteren bleibt es auch nach dem Kompromissdabei, dass bis zu einem Betriebsvermögen von sage undschreibe 90 Millionen Euro eine Verschonung auch danngewährt werden soll, wenn es gar keinen Nachweis da-für gibt, dass die Erben das wirklich brauchen, um Ar-beitsplätze zu schützen oder die Zukunft des Betriebeszu sichern. Auch da gibt es wiederum keine Bedürfnis-prüfung.Da kann ich Ihnen nur sagen: Bei diesem Punkt gab esnull Bewegung im Vermittlungsausschuss. Dass sich dieSPD-Seite damit zufriedengegeben hat, bedaure ich zu-tiefst. Aber auch dieser Punkt macht wieder deutlich: Dasist ein sehr verfassungskritisches Gesetz. Eine Überprü-fung, die wir wahrscheinlich haben werden, könnte dazuführen, dass wir wiederum keine Rechtssicherheit haben.
Vor diesem Hintergrund werden wir im Bundestagdieses Gesetz ablehnen.
Wie gesagt: Wir bedauern, dass von den vier wesentli-chen Punkten, die jenseits der anderen sieben Punkte ver-handelt wurden, mit der Stundung nur einer befriedigendgelöst wurde.
Es ist jetzt für die Grünen in den Bundesländern –um darauf einzugehen, Herr Bartsch, Sie haben uns daangesprochen – ein schwieriges Problem, abzuwägen,weil ein Kompromiss aus dem Vermittlungsausschussvorliegt, dem alle anwesenden Ministerpräsidenten zu-gestimmt haben. Herr Kretschmann hat zu dieser Frageeine andere Auffassung als ich.
Daraus machen wir auch kein Geheimnis. Aber die an-deren Länder, an deren Regierung die Grünen beteiligtsind, haben mit der SPD-Seite einen sehr klaren Katalogvorgelegt, über den verhandelt wurde. Aus unserer Sichtund auch aus Sicht der Länder, in denen die Grünen mit-regieren, ist das kein besonders befriedigendes Ergebnis.Deswegen wird es noch eine sehr schwierige Abwägungin den Bundesländern sein, wie man sich tatsächlich imBundesrat verhalten soll.
Das hält die Bundestagsfraktion nicht davon ab, hiersehr deutlich zu benennen, wo faktisch die gravierendenSchwächen Ihres Vorschlags liegen.
Herr Michelbach, Sie sind gar nicht imstande, die Argu-mente, die ich hier vorgetragen habe, zu widerlegen, weilSie sich mit dem Verfassungsgerichtsurteil nicht ernst-haft auseinandersetzen.Am Ende möchte ich sagen: Es ist in der Tat davonauszugehen, dass Erben von Geld- oder Immobilienver-mögen, die diese Steuer voll zahlen werden müssen, we-
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gen der Ungleichbehandlung verschiedener Vermögens-arten klagen werden. Es wäre dann wieder eine Blamagefür die Politik, wenn das Verfassungsgericht sagt: Daskönnen wir so nicht durchlaufen lassen.
Dann gibt es keine Rechtssicherheit für die Unterneh-men. Aber vielleicht gibt es dann die Chance für einerichtige Erbschaftsteuerreform, mit einem niedrigen,moderaten Steuersatz für alle Vermögensarten, mit einerbreiten Bemessungsgrundlage. Das wäre eine ernsthafteReform. Das wäre die positive Aussicht bei einem Schei-tern vor dem Verfassungsgericht, das wir leider erwartenmüssen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Carsten Schneider spricht jetzt für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Kollegin Hajduk, ich bin kein Jurist.
Wenn Klagen da sind, hat sich das Verfassungsgerichtdamit zu beschäftigen. Allerdings hat das Verfassungs-gericht klar gesagt: Der Gesetzgeber – also wir – kannUnternehmen, wenn es um den Fortbestand von Arbeits-plätzen geht, schützen; allerdings müssen Ausnahme-tatbestände bei höchstem Erbvermögen gestrichen wer-den. – Genau das haben wir gemacht.
Was die Verfassungsmäßigkeit angeht, zitiere ich nurden grünen Ministerpräsidenten Kretschmann, der nachder Einigung im Vermittlungsausschuss gesagt hat:Das Ergebnis ist nach unserer Prüfung verfassungs-fest und zugleich ein guter Kompromiss für unsereFamilienunternehmen.
Setzen Sie sich im Zweifel mit der Staatskanzlei in Stutt-gart in Verbindung.Ich möchte auf das Ergebnis des Vermittlungsaus-schusses eingehen. Wir haben hier im Bundestag zwi-schen CDU/CSU und SPD eine Einigung erzielt. Daswar ein Kompromiss. Ich glaube, wenn die Union alleinentschieden hätte, wäre das Ergebnis anders gewesen,und wenn die SPD allein entschieden hätte, wäre dassteuerliche Aufkommen wahrscheinlich höher. Es istkein Geheimnis, dass wir der Meinung sind, dass mit derErbschaftsteuer durchaus Verteilungswirkungen verbun-den sind und dass insbesondere die höheren Vermögensteuerlich stärker herangezogen werden sollten.Das, was vereinbart worden ist, entspricht dem Weseneines Kompromisses. Wir, die SPD, hatten uns vorge-nommen, den Unternehmensübergang in Deutschland –es ist eh schwierig, Nachfolger zu finden – zu erleichtern,sodass Arbeitsplätze im Kern erhalten bleiben, und diekleinen und mittleren Unternehmen nicht weiter zu be-lasten. Die Grünen und die Linken haben im Bundesratund im Bundestag, in beiden Häusern, keinen einzigenÄnderungsantrag eingebracht.
Man kann anderer Auffassung sein, keine Frage.Frau Hajduk, den Vorschlag, den Sie eben gemachthaben – ich weiß nicht, ob er parteiprogrammatischschon beschlossen ist –, eine Flat Tax, also einen einheit-lichen Steuersatz auf alles, von 15 Prozent zu beschlie-ßen, ist im Vergleich zu dem, was wir vorhaben, unge-recht. Denn jeder kleine Krauter, jeder kleine Bäcker,jede Wäscherei würde bei Umsetzung Ihres Vorschlagsbei Unternehmensfortführung eine Erbschaftsteuer von15 Prozent zahlen, während die Reichen, diejenigen, dieein Unternehmen im Wert von über 90 Millionen Euroerben, auch nur 15 Prozent zahlen, nach Verabschiedungunseres Gesetzentwurfes aber 30 Prozent. Das heißt, dieUmsetzung Ihres Modells würde dazu führen, dass dieobersten Vermögen geringer und die kleineren überhauptbesteuert werden. Wir jedenfalls wollen das nicht, unddeswegen haben wir uns zur Zustimmung zum Ergebnisdes Vermittlungsausschusses entschlossen.
Ich will jetzt nicht auf Ihre internen Parteiprobleme –Sie müssen sie lösen –, was Vermögen- und Erbschaft-steuer betrifft, eingehen. Aber ich finde es bezeichnend,wenn die Welt nach Bekanntgabe des Ergebnisses desVermittlungsausschusses titelt: „Winfried Kretschmannist die Hoffnung der Firmenerben“. Ohne aus der Vermitt-lungsausschusssitzung zu zitieren, kann ich sagen, dasser zumindest in dem, was er vorgetragen hat, diese Hoff-nung auch bestätigt hat. Wenn in dieser Frage kein Blattzwischen Herrn Seehofer und Herrn Kretschmann passt,dann kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch! –
Aber klären Sie das parteiintern.Wir im Bundestag müssen das Gesetzgebungsverfah-ren abschließen. Wenn wir nicht handeln, dann könntedie Konsequenz sein, dass wir gar keine Erbschaftsteuermehr haben, dass das Verfassungsgericht wegen unsererUntätigkeit zu dem gleichen Urteil käme wie im Zusam-menhang mit der Vermögensteuer. Der Bund hätte dannAnja Hajduk
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kein Erbschaftsteueraufkommen mehr. Die damit ver-bundene Abwägung müssen wir letztendlich vornehmen.Wir Sozialdemokraten haben uns klar dafür entschieden,in Deutschland das Instrument der Erbschaftsteuer zu er-halten und gerechter auszugestalten.
Ich finde, auch im Vermittlungsausschuss sind vieleVeränderungen vorgenommen worden. Etwa der Unter-nehmenswert – Kollege Michelbach hat das angespro-chen – ist im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf höher alsim ursprünglichen Gesetzentwurf. Es wurde also mehrgeändert, als nur ein Komma zu entfernen. Wir haben fürdie Klarstellung gesorgt, dass Oldtimer, Kunstgegenstän-de etc. nicht dem Betriebsvermögen zugerechnet werden.
Wir haben auch andere Dinge verhindert, die zu einemAufweichen der Bemessungsgrundlage geführt hätten.
Alles in allem kann ich für die SPD-Fraktion sagen:Wir haben dem Ergebnis des Vermittlungsausschusseszugestimmt. Wir geben den Arbeitnehmern mit dem Er-halt der Arbeitsplätze, aber auch den Unternehmern dieSicherheit, dass sie im Erbfall nicht in eine Schieflagekommen. Der Bund erhält nach Verabschiedung des Ge-setzentwurfs ein deutlich höheres Aufkommen aus derErbschaftsteuer. Wir tragen dies mit, auch wenn wir ander einen oder anderen Stelle uns eine bessere Regelunghätten vorstellen können. Aber die Verantwortung gebie-tet, dann auch zu der getroffenen Entscheidung zu stehen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Christian von
Stetten für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Was hier von der Linksfraktion, Herr Kollege Bartsch,an Thesen aufgestellt wurde, war wieder mal abenteu-erlich. Sie haben überhaupt nicht verstanden, worum esdie letzten 18 Monate bei der Diskussion über die Re-form der Erbschaftsteuer gegangen ist. Es ging nicht umdie Bewertung von millionenschwerem Privatvermögen,sondern es ging um Kapital, was in mittelständischenUnternehmen gebunden ist, es ging um die Wettbewerbs-fähigkeit dieser mittelständischen Unternehmen, undes ging um die Zukunft von Hunderttausenden von Ar-beitsplätzen. Sie haben dagegen durch die Anträge, dieSie schon in der letzten Legislaturperiode, aber auch inden letzten zwei Jahren gestellt haben, immer wieder dieWettbewerbsfähigkeit des deutschen Mittelstands infragegestellt.
Ich glaube, wir können uns einig sein: Das ist nicht dieAufgabe von deutschen Parlamentariern.
Es ist doch völlig klar: Börsennotierte Unternehmen,zum Beispiel DAX-Unternehmen, zahlen keine Erb-schaftsteuer.
Auch die ausländischen Unternehmen, die hier am Markttätig sind, die hier ihre Produkte anbieten, zahlen keineErbschaftsteuer. Es ist doch völlig klar: Wenn in ZukunftFamilienunternehmen bei der Preiskalkulation einenErbschaftsteueraufschlag berücksichtigen müssten, wür-de dies deren Wettbewerbssituation massiv verschlech-tern. Sie schlagen hier eine Politik vor, die gegen dieBetriebsräte ist und die gegen die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter dieser Familienunternehmen ist. Ich bin froh,dass das verhindert worden ist.
Es ist zwar richtig, dass wir auch mit den Familien-unternehmern über dieses Gesetz gesprochen haben. Wirsprechen immer mit den Betroffenen. Aber besondersbeeindruckend waren für mich die Gespräche mit denBetriebsräten und den betroffenen Mitarbeitern dieserFamilienunternehmen. Die haben uns geradezu bekniet,dafür zu sorgen, dass die über Jahrzehnte und Jahrhun-derte entstandene Kultur der Familienunternehmen nichtzerstört wird.
Es ist auch der soziale und kulturelle Beitrag der Fa-milienunternehmer, der eine Region stärkt. Es ist auchden Gewerkschaftern in der Krise deutlich geworden,dass gerade Familienunternehmer bei der Entlassungvon Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besonders rück-sichtsvoll vorgehen, weil es schwierig ist, in einer Regi-on, in der man selbst lebt, Mitarbeiter zu entlassen, derenKinder oder Verwandtschaft vielleicht in dem gleichenSportverein oder Gesangsverein engagiert sind wie manselbst.
Ich glaube, dabei ist deutlich geworden: Der Familien-unternehmer ist längst nicht bloß Arbeitgeber, sonderner kümmert sich vielfach auch um das Soziale und umprivate Probleme.Ich sage Ihnen: Selbst die eingefleischtesten Gewerk-schafter, die Streikwütigen, die, die bei jeder Gelegenheitmit der roten Fahne vorauslaufen, wollen nicht – das istin den Gesprächen mit ihnen klar geworden – von Groß-konzernen übernommen werden. Ihnen ist es lieber, dasssie bei Streiks und Demonstrationen wissen, wo der Ei-Carsten Schneider
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gentümer wohnt, vor welches Wohnhaus sie ziehen kön-nen. Bei Gesellschaftern im entfernten New York oderanonymen Chicago wüssten sie überhaupt nicht, wo siedemonstrieren sollen. Deswegen sind sie an unserer Seitegewesen und haben diesen konkreten Kompromiss er-möglicht.
Ich war Mitglied der Arbeitsgruppe des Vermittlungs-ausschusses und kann Ihnen sagen: Manche Vorschläge,die da vom Bundesrat gekommen sind, waren schonabenteuerlich. So wollte man die von Hans Michelbachschon erwähnte Reinvestitionsklausel aus dem Gesetzstreichen; dabei ist sie nötig, um im Falle des Todes desUnternehmers Ungerechtigkeiten zu verhindern. Der Todist ja in der Regel nicht planbar und kann ein Familienun-ternehmen schwer treffen, personell, aber natürlich auchfinanziell.Auch bei der Beurteilung der liquiden Mittel konntenwir uns durchsetzen und eine Lösung finden. Denken Siean den erfolgreichen Europa-Park in Rust, der als Frei-zeitpark seine Einnahmen hauptsächlich im Juni, Juli undAugust generiert und natürlich im September/Oktoberhohe Barmittel auf dem Konto hat. Diese braucht er, weiler seine Mitarbeiter auch in den schwächeren Wintermo-naten bezahlen muss. Wenn infolge eines Todesfalls imSeptember der Staat 30 Prozent dieser liquiden Mittelwegbesteuerte, wäre das eine unzumutbare Härte für dasUnternehmen. Hier konnten wir eine Lösung finden.Ich glaube, der Kompromiss ist so angelegt, dassDeutschland weiterhin ein familienunternehmerfreundli-ches Land bleibt. Wann immer wir im Ausland sind – daswissen Sie –, werden wir auf diese Familienunternehmenangesprochen. Sie sind die Stärke der deutschen Wirt-schaft. Auch der soziale Ausgleich dient unserem Land.Deswegen ist es ein vertretbarer Kompromiss. Herzli-chen Dank allen, die daran mitgewirkt haben!
Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Richard
Pitterle für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Was Sie uns hier als Kompromisspräsentieren, ist eine Missachtung der Auflagen, die dasBundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegebenhat.
Mir ist schon klar, dass Ihnen das nicht gefallen wird,was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, aber uns gefällt auchnicht, wie respektlos Sie mit dem Urteil des Bundesver-fassungsgerichts umgehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat Ende 2014 in sei-nem Urteil zur Erbschaftsteuer festgestellt, dass die bis-herigen Verschonungsregeln zugunsten der Erbinnen undErben großer Unternehmensvermögen nicht mit demGrundgesetz vereinbar sind. Die pauschale Steuerbefrei-ung der Sprösslinge schwerreicher Unternehmensdynas-tien ging einfach zu weit. Und schon wieder legen Sieuns eine pauschale und unangemessene Steuerbefreiungder Superreichen vor. Ich bin mir sicher: Das wird Ihnendas Bundesverfassungsgericht wieder um die Ohren hau-en. Das wissen Sie auch, meine Damen und Herren vonder Großen Koalition, und das lassen wir von der LinkenIhnen nicht einfach so durchgehen.
Dass Sie es nicht schaffen, ein verfassungsgemäßesGesetz auf den Weg zu bringen, ist das eine. Das andereist die Art und Weise, wie Sie unter dem Druck der Un-ternehmenslobby eingeknickt sind. Die letzten Wochenund Monate waren ein einziges Trauerspiel, in dem wie-der einmal der Einfluss der Superreichen auf die Politikdeutlich wurde. Die Lobby hält das Stöckchen, und Söderund Co. springen artig drüber. Dabei wurden, wie aucheben wieder, Märchen erzählt, apokalyptische Bilder ge-zeichnet, Schreckensszenarien verbreitet, zum Beispiel:Dem Wirtschaftsstandort Deutschland drohe Schlimmes,ja es drohe sogar eine Kernschmelze des deutschen Mit-telstands, wenn man die Erben von betrieblichen Vermö-gen belaste. Es gehe um den Fortbestand der Arbeitsplät-ze, die durch die Abschmelzung von Privilegien bedrohtwürden. Was für ein Quatsch! Meine Tochter würde sa-gen: Quatsch mit Soße!Es hat nachweislich noch nie einen Fall gegeben – da-rauf ist Dietmar Bartsch eingegangen –, in dem ein Un-ternehmen der Erbschaftsteuerlast wegen pleitegegangenwäre.
Und sollte ein Unternehmen wirklich einmal der Erb-schaftsteuer wegen in Schieflage geraten, wäre einegroßzügige Stundung völlig ausreichend.
Den Superreichen geht es einzig und allein darum, ihrePrivilegien zu sichern. Aber Union, SPD und leider nunauch einige Grüne gehen ihnen voll auf den Leim. Dasist, mit Verlaub, schlichtweg peinlich, liebe Kolleginnenund Kollegen.
Ebenfalls gerne bedient wurde das märchenhafte Bildder braven Familienunternehmen – auch das haben wirvorhin gehört –, die hier um ihre Existenz kämpfen. Dasist ebenfalls Quatsch. Es geht bei dieser Reform über-Christian Freiherr von Stetten
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haupt nicht um die kleine Bäckerei oder den Handwerks-betrieb von nebenan. Es geht um milliardenschwereKonzerne wie Volkswagen, BMW oder Metro, die unterder Flagge der Familienunternehmen fahren und der Gro-ßen Koalition ihre Forderungen diktieren.
Das ist Klientelpolitik aus der untersten Schublade, liebeKolleginnen und Kollegen.
Apropos Klientelpolitik: Dass die Union die Unter-nehmerlobby bedient, ist ja nicht weiter verwunderlich,auch wenn es schon bedenklich ist, wie sehr die eigent-lich kleinere Schwester CSU hier der CDU den Taktvorgegeben hat. Was aber machen die Kolleginnen undKollegen von der SPD? Sie tragen diesen unsäglichen,verfassungswidrigen Kompromiss mit und lassen gleich-zeitig durch Frau Nahles verkünden, dass man die Erb-schaftsteuerreform in der nächsten Wahlperiode gleichwieder auf die Tagesordnung setzen werde.
Ja warum denn nicht jetzt?
Frau Nahles hat doch vollkommen recht, wenn sie voneiner „Oligarchie der Reichen“ in diesem Lande spricht.Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, von der SPD: Rei-ßen Sie sich endlich am Riemen, und nehmen Sie sichein Beispiel an der Linken, die diesen Kompromiss vonAnfang an als das bezeichnet hat, was er ist: ein weiteresGeschenk an genau diese Oligarchie der Reichen.Zuletzt noch ein Wort zu Bündnis 90/Die Grünen.Liebe grüne Kolleginnen und Kollegen hier im Hause,ich schätze es sehr, dass Sie gleich angekündigt haben,den vorliegenden Kompromiss nicht mittragen zu wol-len. Aber was machen denn bloß Ihre Leute in den Län-dern? Entscheidend sind doch die grünen Stimmen imBundesrat. Und da hat Ihr Seehofer-Amigo Kretschmannja bereits voll auf die Linie der Unternehmenslobby ein-gelenkt.
Dadurch werden es am Ende wohl doch die Grünen sein,die dieser Klientelpolitik durch ihre Bundesratsstimmenzu Gesetzeskraft verhelfen,
und das ist nicht gut so.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Cansel
Kiziltepe von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Frau Hajduk, jetztso zu tun, als seien die Grünen gegen diesen Kompro-miss, ist, ehrlich gesagt, eine Verschleierung der Wahr-heit.
Die Grünen waren das Zünglein an der Waage, im Ver-mittlungsausschuss und im Bundesrat.
Leider hat sich Ministerpräsident Kretschmann für dieandere Seite entschieden. Damit ist kein besseres Ergeb-nis herausgekommen.
– Ihre Seite, meinetwegen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor uns liegt nunein Kompromiss des Vermittlungsausschusses. Wir allewissen: Kompromisse sind nie einfach. Der Kompro-missvorschlag des Vermittlungsausschusses hat deutlicheVerbesserungen herbeigeführt. Daher möchte ich mich andieser Stelle bei den sozialdemokratischen Finanzminis-terinnen und Finanzministern, insbesondere bei NorbertWalter-Borjans aus NRW und Senator Tschentscher ausHamburg, für die harte und konstruktive Arbeit bedan-ken.
Im Rahmen des Vermittlungsausschusses haben dieSPD-Länder in harten Verhandlungen wichtige Verbes-serungen und Klarstellungen erreicht. Die Überprivile-gierung der Unternehmenserben wird hiermit reduziert.Vor allem bei der Bewertung von Unternehmen hat eswichtige Verbesserungen gegeben. Es wurde nämlich er-reicht, dass der Wert nun um circa 10 Prozent höher liegt,als im Gesetz beschlossen war. Diese deutliche Nachbes-serung hat auch positive Auswirkungen auf das Steuer-aufkommen.
Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten istes immer wichtig gewesen, dass Arbeitsplätze durch dieErbschaftsteuer nicht gefährdet werden.
Dieses Ziel war, ist und bleibt richtig. Aus diesem Grundhaben wir auch darauf geachtet, dass Unternehmen, dienicht überwiegend produktiv arbeiten, von der 100-Pro-zent-Verschonung ausgenommen werden. Für Famili-enunternehmen führen wir eine konkrete Definition ein.Das ist auch gut so; denn dadurch soll nicht jedes Un-Richard Pitterle
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ternehmen die Möglichkeit haben, sich arm zu rechnen.Darüber hinaus sind durch Klarstellungen unsererseitsnoch zwei weitere Verbesserungen in das Gesetz aufge-nommen worden, die es ohne die Verhandlungen im Ver-mittlungsausschuss eben nicht geben würde.Zum einen stellen wir nun klar, dass Luxusgüter wieJachten oder Kunstsammlungen, Herr von Stetten, nichtals Betriebsvermögen angerechnet werden können. Wirwollen hiermit den Missbrauch, der in der Vergangenheitallzu oft betrieben wurde, verhindern. Beim Missbrauchin der Vergangenheit kommt jedem sofort die Konstruk-tion „Cash-GmbH“ in den Sinn. Auch hier wurden dieSchlupflöcher dichtgemacht.
Somit wird es in Zukunft nicht möglich sein, unbegüns-tigtes Vermögen in begünstigtes Vermögen umzuwan-deln.Was mir besonders wichtig ist und auch wegverhandeltwurde, ist die zinslose und voraussetzungslose Stundung.Auch hier haben wir diese Regelung, die ja vollkommengaga und nicht nachvollziehbar war, herausverhandelt.
Vor uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt nun einMinimalkonsens zwischen drei im Bundestag vertretenenFraktionen und den Bundesländern. Es ist nicht mehr undnicht weniger. Wir als Bundestagsfraktion wissen, hierwäre noch viel Luft nach oben. Deshalb unterstützen wirauch die Forderung von Andrea Nahles, in der nächstenLegislatur über eine Revision zu entscheiden,
damit wir endlich eine Erbschaftsteuer bekommen, dieauch den Namen verdient.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ergebnis ist esmit diesem Kompromiss gelungen, nichtproduktive Un-ternehmen und im Unternehmen versteckte Luxusgü-ter von der Verschonung auszunehmen. Und das ist einwichtiger Erfolg.Danke schön.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Britta
Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Erst einmal kann sich das ganze Haus, vorallen Dingen die die Regierung tragenden Fraktionen,nicht mit Ruhm bekleckern und das Beratungsverfahrenzur Erbschaftsteuer schon gar nicht als Musterbeispielnehmen.
Wir haben am 7. September 2015 den Gesetzentwurfbekommen. Anderthalb Jahre nach dem jüngsten Urteildes Bundesverfassungsgerichts dazu und seinem Schrei-ben vom Juli wurde auf der letzten Strecke klar, welcherDruck einfach zur Einigung besteht, weil Sie als GroßeKoalition ganz lange Zeit untätig und nicht in der Lagewaren, einen wirklich verfassungsfesten Gesetzentwurfzur Erbschaftsteuer vorzulegen. Das haben Sie sich zu-zuschreiben. Diese peinliche Situation, die auch in derÖffentlichkeit für viel Verunsicherung gesorgt hat, gehtvoll auf die Kappe der Großen Koalition.
Meine Damen und Herren, warum erwähne ich das?Weil ich finde, dass gerade an einem so kompliziertenGesetz wie dem Erbschaftsteuergesetz, das schon so oftbeklagt wurde, zu dem es zwei Bundesverfassungsge-richtsurteile gab, die uns den Auftrag gegeben haben,die Erbschaftsteuer gerechter zu machen, deutlich wird,welche Selbstüberschätzung vorhanden ist, wenn manglaubt, durch eine Handschlagpolitik von drei Männerndas Problem mal schnell regeln zu können.
Da treffen sich am 20. Juni 2016, sonntagabends,Schäuble, Seehofer und Gabriel und versprechen sich indie Hand: Wir regeln die Erbschaftsteuer.
Meine Damen und Herren, das hat dann einfach dazugeführt, dass man nicht ordentlich gearbeitet hat; denndiese Art von Kompromiss war in dem Gesetzgebungs-verfahren kaum umsetzbar. Das hat eigentlich all dieProbleme nach sich gezogen, mit denen wir bis heute,bis es im Vermittlungsausschuss zu einem Ergebnis kam,konfrontiert sind. Das haben Sie sich als Große Koaliti-on von CDU/CSU und SPD voll zuzuschreiben. Deshalbmuss das hier Erwähnung finden.
Meine Damen und Herren, verantwortlich für diesesDesaster war auch die langandauernde CSU-Blockade-politik. Von daher war doch vollkommen klar: In derErbschaftsteuer tut sich nichts. – Das war die Devise biszu den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss. Dashat der Sache geschadet, und das wissen auch alle, diedaran beteiligt sind.
Cansel Kiziltepe
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Ich finde es auch falsch, ein Bild in der Art zu zeich-nen, als ob einige von uns Familienunternehmen oder Er-ben knebeln wollten. Das will niemand von uns.
Aber wir wollen den Auftrag des Bundesverfassungs-gerichts umsetzen und eine verfassungsfeste, gerechteErbschaftsteuer im Deutschen Bundestag und im Bun-desrat – also gemeinsam – neu auf den Weg bringen. Da-hinter bleiben Sie einfach mit dem vorliegenden Vermitt-lungsausschussergebnis zurück.
Meine Damen und Herren, ich kann es der Kolleginund auch der SPD insgesamt nicht ersparen, zu sagen:Leute, das geht so gar nicht, was ihr hier abzieht!
Wir können mit den sechs Stimmen aus Baden-Württem-berg im Bundesrat ganz gut umgehen.
Denn wir wussten von Anfang an, dass sich Baden-Würt-temberg inhaltlich zu der Frage von Familienunterneh-men und der Frage der Erbschaftsteuer anders positio-niert als zum Beispiel wir oder manche grün mitregiertenLänder. Aber warum machen Sie sich eigentlich so klein?Sie haben 50 Stimmen im Bundesrat, Frau Kiziltepe, undda kommen Sie hier ans Mikro und erzählen mir was vonWinfried Kretschmann!
50 Stimmen!Im Gegensatz zu Ihnen saß ich im Vermittlungsaus-schuss. Ich weiß, wie Sie gekämpft haben. Aber Sie sindam Ende verantwortlich für dieses Vermittlungsausschus-sergebnis. Die A-Länder sind verantwortlich für diesesErgebnis. Bei aller Wertschätzung, die ich für NorbertWalter-Borjans habe: Am Ende war klar, dass Sie diesenKompromiss mitgeschmiedet, mitgetragen und mit zuverantworten haben. Deshalb verstehe ich gar nicht, wasdiese Rumeierei hier soll.
Über 50 Stimmen im Bundesrat! Warum haben Sie denKompromiss nicht verhindert, wenn Sie glauben, dass ernicht tragbar ist?
Was arbeiten Sie sich jetzt eigentlich an den Grünen ab?Das ist doch vollkommen verrückt!
Ich finde, das Ergebnis ist weder ein großer Erfolg
noch von Vernunft gezeichnet. Es führt am Ende dazu,dass wir Betriebsvermögen immer noch in zu großemUmfang schonen.
Wir haben zu starke Verschonungsregelungen, und das istdas Problem – auch wenn sich im Bereich der Stundungetwas getan hat. Jetzt ist es natürlich an den anderen, anden Ländern, zu entscheiden, wie sie damit umgehen. Ichglaube, nach der Erbschaftsteuerreform ist vor der nächs-ten Erbschaftsteuerreform,
und alle, die sich schon mal damit befasst haben, wissendas auch.
Als nächster Redner hat Fritz Güntzler für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! 21 Monate Beratung über Erbschaftsteuer liegenhinter uns, und man hat gespürt: Es wird nicht nur fach-bezogen argumentiert, sondern die Dinge werden oft sehrideologisch angegangen – so wie bei Frau Haßelmann,die anscheinend gerade die Flucht ergreift.
– Gut. Das wusste ich nicht. Entschuldigung! – Ich gebezu, dass in dem Zusammenhang manche Interessenver-bände mit manchen Forderungen an uns herangetretensind, deren Umsetzung auch nicht verfassungswidrig ge-wesen wäre. Im Ergebnis können wir aber, glaube ich,feststellen, dass wir nach diesen 21 Monaten einen gutenKompromiss gefunden haben.Wenn Frau Haßelmann dem Parlament oder den Re-gierungsfraktionen hier Untätigkeit vorwirft, dann mussich sagen: Untätig waren der Bundesrat und die Bundes-länder.
Denn es ist eine Ländersteuer; die Länder hätten hiereinen Entwurf vorlegen können und müssen. Sie hättennicht nur torpedieren sollen, sondern von vornherein sa-gen sollen: So stellen wir uns das vor. – Aber eine Eini-gung der Bundesländer war ja wohl nicht möglich.Herr Pitterle, Sie haben das Urteil ja sehr holzschnitt-artig dargestellt. Das kenne ich gar nicht von Ihnen; dennSie argumentieren sonst sehr genau. Man muss sich ver-gegenwärtigen, dass das Verfassungsgericht gesagt hat,Britta Haßelmann
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die Ziele der Steuerbefreiung nach §§ 13a und 13b Erb-schaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz seien verfas-sungskonform. Das ist die erste These des Bundesverfas-sungsgerichts.Es hat auch gesagt, Unternehmensvermögen könntensogar zu 100 Prozent verschont werden. Ich höre von Ih-nen, es sei eine Sauerei, dass Unternehmensvermögen zu100 Prozent verschont werden könnten. Das Bundesver-fassungsgericht hat aber festgestellt, dass wir das dürfen.Es hat zudem festgestellt, dass wir das bisherige Systembeibehalten können und kein neues System einführenmüssen.Natürlich ist die Übertragung großer Vermögen be-trachtet worden. Aber im Urteil stand nicht, dass wir die-se Vermögen unbedingt höher besteuern müssen. GuckenSie ins Urteil! Es gibt eine höhere Darlegungslast beimöglichen Verschonungen.
– Ja, eine Bedürfnisprüfung, eine höhere Darlegungs-last, wenn wir verschonen. – Es steht aber nicht drin: Ihrmüsst die größeren Vermögen besteuern. Das ist, glaubeich, ein feiner Unterschied.
Wenn wir uns einig sind, dass der Bestand der Unter-nehmen nicht gefährdet werden soll, dann bin ich schoneinmal froh, dass wir uns grundsätzlich im Ziel einigsind.Ich will auch darauf hinweisen: Es geht hier nicht umUnternehmer – das geht in der Diskussion oft durchei-nander –; es geht tatsächlich um Unternehmen, die wirschützen wollen. Damit wollen wir einen Schutz der Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen Unterneh-men gewährleisten. Darum haben wir die Regelungen jaan die Lohnsumme gekoppelt. Denn wir wollen, dass dieUnternehmen mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmern fortgeführt werden.Dann wird hier immer vorgetragen, es gebe ja nochgar kein Unternehmen, das aufgrund einer Erbschaftsteu-erzahlung in die Insolvenz gegangen sei.Es ist zunächst einmal so, dass das Bundesverfas-sungsgericht in seinem Urteil festgestellt hat, dass dieGefährdungsprognose, die der Gesetzgeber angestellthat, grundsätzlich plausibel ist. Das war ja in KarlsruheGegenstand; es ist ja darüber gesprochen worden, ob eseine Insolvenzgefahr gibt. Wenn Sie jetzt anführen, esgebe keine Zahlen oder keine Fälle, die Ihnen bekanntseien, dann liegt das natürlich daran, dass wir derzeitVerschonungsregelungen haben. Wir haben ja nur aufdie Gefahr hingewiesen: Wenn es diese Verschonungenin Zukunft nicht mehr gäbe, es zu Liquiditätsbelastungenkäme und den Unternehmen Liquidität entzogen würde,dann könnte es Insolvenzen geben. – Wir wollen Insol-venzen verhindern. Es ist schlimm, dass Sie erst dannbereit wären, zu handeln, wenn es schon Insolvenzen ge-geben hätte. Das ist nicht seriös, Herr Pitterle. Von daher:Wir gehen da schon in die richtige Richtung.
Ich glaube, es war klug, Herrn Minister Schäubleauch zu folgen, als er gesagt hat: Wir machen einen mi-nimalinvasiven Eingriff in das Erbschaftsteuerrecht underdenken kein völlig neues Modell. – Ich will nicht aus-schließen – das Steuerrecht bringt mir seit 20, 30 Jahrenwirklich Spaß –,
dass man über andere Modelle nachdenken und fabu-lieren kann. Aber ich möchte mir gar nicht vorstellen,wie es wäre, in der Gemengelage, die heute mehrfachbeschrieben worden ist, ein völlig neues Modell zu be-schließen. Wie wären wir da zu einem Ergebnis gekom-men? „Flat Tax“ hört sich toll an. Die Grünen haben auchein Modell, ein Stufenmodell; das ist kein reines Flat-Tax-Modell mehr. Der Kollege Schneider hat ja daraufhingewiesen, dass es da Gewinner und Verlierer gäbe.Hielten wir es aus, wenn große Privatvermögen auf ein-mal viel niedriger besteuert würden? Der Teufel stecktdort meines Erachtens im Detail. Von daher sollten wirda nicht zu schnell schießen.Im Ergebnis haben wir die vom Bundesverfassungs-gericht gestellten Aufgaben angenommen. Es ging da-rum, dass das Verwaltungsvermögen nicht mehr in demMaße übertragen und begünstigt werden darf. Wir hat-ten das Thema, dass wir den Lohnsummentest erst bei20 Arbeitnehmern nicht mehr akzeptieren können; jetztsind wir bei 5 Arbeitnehmern gelandet. Wir haben auchdie Bedürfnisprüfung und zu Recht ein Abschmelzungs-modell eingeführt, weil wir keinen Fallbeileffekt habenwollen, der dann entsteht, wenn es ab der Grenze von26 Millionen Euro gar keine Verschonung mehr gibt. Dasläuft jetzt bei 90 Millionen Euro aus. Irgendjemand hatvorhin gesagt: 90 Millionen Euro wären eine riesige Ver-schonung. Aber schauen Sie sich an, wie viel Verscho-nung Sie bei 89 Millionen Euro tatsächlich noch haben:eigentlich gar keine mehr. Sie sind ziemlich schnell beider vollen Besteuerung.Abschließend noch eine Bemerkung zur Bewertung.Sie sagen, es sei eine Begünstigung, dass es, nachdemwir vom 18-Fachen kommen, jetzt das 13,75-Fache seinwird. Ich kann Ihnen dazu sagen: Die 18 waren völligirre, sie entbehrten jeder Realität; und das sind die 13,75übrigens auch. Jetzt provozieren wir dadurch, dass jedesUnternehmen ein zusätzliches Gutachten in Auftrag ge-ben muss, also Kosten verursacht werden, Probleme ge-rade für kleinere Unternehmen. Wir zwingen sie nämlichdazu, Wirtschaftsprüfer zu beauftragen. Das kann mei-nen Berufsstand letztendlich freuen, aber ich glaube, dassollte nicht das Ziel des Gesetzgebers sein. Stattdessenwollten wir mit dem vereinfachten Ertragswertverfahrenden Steuerpflichtigen ein Verfahren an die Hand geben,durch das man zu realistischen Werten kommt. Von daherwäre ein niedrigerer Faktor viel besser gewesen.Fritz Güntzler
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Abschließend können wir feststellen – CarstenSchneider hat es so schön gesagt –: Wenn die SPD esalleine gemacht hätte, dann wäre etwas anderes heraus-gekommen. Wenn die CDU oder die CSU es alleine ge-macht hätte, dann wäre wieder etwas anderes herausge-kommen. Von daher ist die gefundene Lösung ein guterKompromiss. Die Diskussionen werden weitergehen.Das Beste ist aber, dass die Unternehmen derzeit Rechts-und Planungssicherheit haben.
Von daher können wir mit gutem Gewissen zustimmen.Ich glaube auch, dass wir uns in Karlsruhe irgendwannwiedersehen. Es ist egal, was wir heute beschließen: DerWeg nach Karlsruhe wird wieder beschritten werden;denn es gibt immer klagefreudige Steuerpflichtige undSteuerberater. Aber mit dem geplanten Gesetz werdenwir in Karlsruhe gut um die Ecke kommen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Lothar Binding hat für die SPD-Frak-
tion als nächster Redner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Carsten Schneider hat,wie ich glaube, vorhin auf einen ganz wichtigen Begriffabgehoben, und zwar auf den der Verantwortung. Er hatzwei Dinge genannt, für die wir große Verantwortung tra-gen. Das ist zum einen der Unternehmensübergang in dienächste Generation, und das ist zum anderen die Frage:Wie wichtig sind uns Arbeitsplätze? Dann wurde nocherwähnt, dass eine Flat Tax gefährlich ist, weil das eineaggressive Umverteilung von unten nach oben bedeutet,also die Schwachen geben den Starken. Auch das wollenwir nicht. Das bildet damit eigentlich die Grundlage, aufder wir diskutieren.Jetzt ist es so, dass 80 Prozent aller Vermögen aus Erb-schaften kommen. Es ist der ewige Denkfehler von HansMichelbach, man könne nur verteilen, was man erarbeitethat. Nein, das meiste wird durch Erben verteilt. Gemes-sen an der Unsicherheit, an dem Schwebezustand, denwir lange hatten, ist es sehr gut, dass wir uns jetzt auf einentsprechendes Gesetz geeinigt haben. Es erzeugt bei unseine gewisse Zufriedenheit; denn der Schwebezustandhat nun ein Ende.
– Natürlich, aber wir hätten mehr machen können.Vielleicht schauen die Bürgerinnen und Bürger, diehier sitzen, verwundert, wenn sie hören, dass wir im Zu-sammenhang mit Erbschaften bis zur Höhe von 90 Milli-onen Euro über eine Bedürfnisprüfung nachdenken. Fest-halten kann man, dass man ohne Bedürfnisprüfung eineErbschaft in Höhe von 90 Millionen Euro voll versteuernmuss. Da sagen sich die Leute jetzt wahrscheinlich: „Dakomme ich ja richtig in Gefahr“, und gehen ganz angst-besetzt nach Hause.
Dass es die Grünen nicht ganz leicht haben, ist ver-ständlich. Klar ist übrigens: Wir haben es auch nichtganz leicht. Man muss schon sagen: Vielleicht wird jadas Ross, auf dem man sitzt, kleiner, wenn man sich an-schaut, wie Herr Kretschmann agiert. Wir wollen uns garnicht hinter Herrn Kretschmann verstecken, wir sagennur: Auch er trägt Verantwortung, und die Ministerprä-sidenten beschließen einstimmig. – Es gibt also schonasymmetrische Machtverhältnisse, die wir in den Blicknehmen müssen. Auch haben wir mit der CDU, andersals die Grünen, keine geheimen Nebenabsprachen. Wiragieren ganz offen. Immerhin merkt man daran, dass Re-alpolitik manchmal dazu geeignet ist, wieder geerdet zuwerden, und dass wir alle hier ziemlich normal sind.
Wir hätten uns gewünscht, dass uns die Grünen undauch die Linken in diesem schwierigen Verfahren gezeigthätten, welchen Weg sie gehen wollen. Das wäre schöngewesen. Dann hätte ich heute über Anträge schimpfenkönnen, die sie gestellt haben. Das kann ich nicht, weilman über eine leere Menge schlecht etwas sagen kann.
– Vorsicht jetzt! – Ganz anders ist es bei der CSU.
Die CSU wollte ja die Steuer auf große Erbschaften zins-los und ohne Ratenzahlung einfach so zehn Jahre stun-den.
– Na ja, der Erbe ist ja nicht tot; er erbt doch. Und ihmsollen wir für zehn Jahre die Steuer stunden? Jetzt stelleich mir einmal vor, was los wäre, wenn ein Arbeitnehmersagen würde: Ich kann die Lohnsteuernachforderung indiesem Jahr nicht zahlen. Kann ich das später machen? –Da ist eine Asymmetrie in der Betrachtung.
Es geht um das Gefühl für Gerechtigkeit, und wir habendas Gefühl, dass das, was ihr wollt, ungerecht ist.
Fritz Güntzler
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– Ja, ich stimme Kompromissen immer zu, weil derKompromiss an sich einen eigenen Wert hat,
und wir werden alle hier sehr bescheiden; das habe ich jagerade gezeigt.Fänden Sie es richtig, die Cash-GmbH, eines der größ-ten Schlupflöcher, zu reaktivieren?
– Nein, ich rede von Zielen, die die CSU hatte. Im Ver-gleich zu diesen Zielen ist unser Erfolg ziemlich groß.
Wertvolle Immobilien von Brauereien und ähnlichgelagerten Unternehmen wollen wir per Gesetz begüns-tigen. Wir schreiben also ein Steuersparmodell für eineBranche ins Gesetz. Seit wann machen wir als Finanzerdenn so was?
Wir stehen hier immer und rufen: Steuerschlupflöcherstopfen! Die Reichen entweichen ärgerlicherweise durchdie Schlupflöcher! – Und jetzt wollt ihr die Schlupflöcherins Gesetz schreiben? Das ist eine Sache, die wir über-haupt nicht nachvollziehen können.Diese mehrfache Privilegierung, die es jetzt gibt, istnichts Tolles: Der Unternehmenswert sinkt bei Famili-enunternehmen um fast 30 Prozent; darüber kann manstreiten. Ein Kapitalisierungsfaktor von 18 war euch zuviel. Aber was ist mit 13,75?
– Ja, das ist eure Meinung. Die ist aber falsch. Deshalbtrage ich das ja vor.
Also, ein Abschlag von 30 Prozent bei Familienun-ternehmen ist schwierig. Das ist ein Abschmelzmodell.Wenn ein Arbeitnehmer sagen würde: „Lass uns mal überein Abschmelzmodell reden“, dann würde man sagen:Moment! Das hätte in fiskalischer Hinsicht, also auf derEinnahmeseite, riesige Konsequenzen. Das ist a prioriunmöglich. Das kommt überhaupt nicht infrage. – Übersolche Sachen haben wir aber nachgedacht.Dazu muss man auch sagen, dass die CSU die CDUmanchmal ein bisschen am Nasenring herumführt.
– Doch, das stimmt schon. – Wer versucht, vor dem Hin-tergrund der insgesamt schwierigen Lage und der Forde-rungen der CSU, diesen Kompromiss zu bewerten, derahnt, warum wir trotzdem einigermaßen zufrieden sind.Angesichts der Rahmenbedingungen schauen wir alsooptimistisch in die Zukunft.
Es ist richtig: Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz, undden Rest entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Anja
Karliczek für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! In derletzten Dreiviertelstunde haben wir die meisten Argu-mente schon gehört. Ich bin die Vorletzte, die hier vor-tragen darf, und will daher nur ein paar Punkte heraus-greifen.Lieber Lothar Binding, ich fange mit der Bewertungvon Betriebsvermögen an.
Unternehmenswerte bis zum 18-Fachen des Ertragswer-tes: Geh einmal hin und kauf zu diesen Bedingungen einUnternehmen und versuch, damit glücklich zu werdenund damit Geld zu erwirtschaften.
Frag mal die mittelständischen Unternehmer im Müns-terland, ob ihre Unternehmen so viel wert sind. Ich bingespannt, was sie dir dazu sagen.
Das ist total unrealistisch. Meiner Meinung nach ist auchdas 13,75-Fache noch sehr ambitioniert.
Das 12,5-Fache wäre besser gewesen; aber auch das wärenoch nicht gut gewesen; denn auch das wäre noch zu viel.
Zweiter Punkt. Zur Frage nach der Verfassungsfestig-keit, die hier ständig im Raum steht: Ich glaube nicht,dass es unsere Aufgabe ist, den Verfassungsrichtern ihreArbeit abzunehmen.
Wir sind der Gesetzgeber. Wir halten uns an das, was unsals Aufgabe ins Arbeitsbuch geschrieben wurde.
Diese Aufgabe haben wir erfüllt. Wir haben ein Gesetzauf den Weg gebracht, das die Verschonung größerer Be-Lothar Binding
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triebsvermögen am wirklichen Verschonungsbedarf aus-richtet – Punkt.
Drittens. Zur Beachtung gesellschaftlicher Verfü-gungsbeschränkungen – dieser Punkt ist bisher nochnicht angesprochen worden; aber er ist, wie ich finde, be-denkenswert –: Gesellschaftsverträge, die Gesellschaftereng an das Unternehmen binden, haben finanzielle Aus-wirkungen. Deswegen ist es richtig und wichtig, dassdies zukünftig bei der Berechnung der Steuer mit einemAbschlag berücksichtigt wird. Gerade solche Punkte zei-gen doch den Unterschied zwischen Kapitalgesellschaf-ten und Familienunternehmen oder Unternehmen, die inFamilienhand sind.So weit zu einigen der neuen Regelungen. Worumgeht es denn nun wirklich? Unser Land, Deutschland, istmittelständisch strukturiert. Es gibt ungefähr 3,7 Millio-nen Unternehmen in Deutschland. Davon haben 3,6 Mil-lionen weniger als 100 sozialversicherungspflichtig Be-schäftigte. Nur etwa 57 700 haben bis zu 250 Mitarbeiter,und nur 13 000 Firmen haben mehr Mitarbeiter. Diesekleinteilige mittelständische Struktur funktioniert wun-derbar.Wir brauchen aber auch die größeren familiengeführ-ten Unternehmen, und um die ging es jetzt bei den Än-derungen; denn das Bundesverfassungsgericht hat ganzklar gesagt: Es geht nicht um die Verschonungsnotwen-digkeit an sich, sondern nur um die Frage der Weite derVerschonung. – Der gesunde Mix, wie wir ihn heute ha-ben, hat uns so stark gemacht, und deshalb ist es auchwichtig, dass wir das erhalten, was wir haben. Damitbleiben wir, was wir gerade in dieser schwierigen Zeitsind: wirtschaftlich stark.Ein gesundes Unternehmen zahlt nämlich Steuern,stellt Arbeitsplätze bereit und – Christian von Stetten hates eben sehr schön gesagt – engagiert sich in der Regelauch vor Ort. Dies für die Zukunft zu erhalten, ist gera-de heute, gerade in einer sich schnell verändernden Weltmehr wert, als wir heute ermessen können.
In den kommenden Wochen, Monaten und Jahrenhaben wir aus meiner Sicht vielfältige große und klei-ne Aufgaben zu bewältigen, und wir brauchen an vielenStellen starke und leistungsfähige Unternehmen. Die Di-gitalisierung wird hohe Investitionen erfordern, unsereälter werdende Arbeitnehmerschaft braucht andere Ar-beitsplatzbedingungen, um gut und gesund arbeiten zukönnen. Auch die Integration, die wir bewältigen müssen,kann nur durch Arbeit zum Erfolg geführt werden. Wermacht das alles? Das machen in unserem Land unserestarken und innovativen Unternehmen. Dafür brauchenwir sie, und deswegen sollten wir ihnen immer schön dieHand schützend über dem Kopf halten.
Dass für all diese Aufgaben auch Zeit und finanziellerAtem da sein müssen, ist ja wohl klar. Daher ist es gutund richtig, dass der Vermittlungsausschuss ein Ergeb-nis gefunden hat, mit dem jetzt hoffentlich auch alle le-ben können; denn ich habe den Eindruck, dass niemandVerständnis dafür hat, wenn wir keine Lösungen für De-tailfragen finden und uns stattdessen immer wieder inideologischen Gefechten verbeißen. Die Menschen inunserem Land haben ein Recht darauf, dass wir uns nichtim Klein-Klein verheddern, sondern dass wir endlich denBlick nach vorn richten.Unsere mittelständische Unternehmenslandschaft mitihren vielen Familienunternehmen können wir nur dannerhalten, wenn die Belastungen gerade in einer Phase desÜbergangs nicht überhandnehmen. Familienunterneh-men investieren langfristig. Nur die wenigsten von ihnenkönnen eine hohe Erbschaftsteuer aus irgendwelchen Er-sparnissen bezahlen. Uns als politisch Verantwortlichenkann auf keinen Fall daran gelegen sein, dass Unterneh-mensanteile verkauft werden müssen, um Forderungendes Finanzamts gerecht zu werden.
Das würde unsere Unternehmenslandschaft definitiv ver-ändern, lieber Lothar Binding,
und zwar so, wie es weder euch noch den Linken gefallenkönnte.Wichtig ist doch vor allem, dass die Unternehmen nunendlich Klarheit bekommen und dass die Zeit der Unsi-cherheit für sie vorbei ist, dass sie wissen, worauf sie sicheinstellen müssen. Gerade in einer unsicheren Zeit sindPlanbarkeit und Verlässlichkeit schon ein Wert an sich.Dass es dabei bleibt, liegt nun am 14. Oktober in denHänden der Ländervertreter. Ich hoffe sehr, dass diesesGesetz auch dort Zustimmung findet.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat in dieser Run-
de Dr. Philipp Murmann für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erle-ben das durchaus: Die Erbschaftsteuer ist eine sehr emo-tionale Sache.
Das hat natürlich auch dazu beigetragen, dass der Prozessso lange gedauert hat, bis wir diese Einigung, die nun aufdem Tisch liegt, gefunden haben. Aber ich kann Ihnensagen: In den Familienunternehmen ist die Erbschaft einegenauso emotionale Sache.Frau Hajduk hat das betriebliche Vermögen dem Ver-mögen anderer Art gegenübergestellt. Das ist natürlichein Thema, das in der Diskussion aus meiner Sicht eineAnja Karliczek
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größere Rolle spielt; denn es ist natürlich ein Unterschied,ob ich ein betriebliches Vermögen oder sozusagen einenSack Geld erbe. In vielen Familien geht es um die Frage:Kann ich es eigentlich der nächsten Generation zumuten,diesen Betrieb erfolgreich weiterzuführen, oder wäre esnicht besser, ihn zu verkaufen, den Sack Geld zu nehmenund die 30 Prozent zu zahlen? – Das ist in jeder Familieeine große Diskussion, und diese Fragestellung kommtin der politischen Auseinandersetzung meines Erachtensviel zu kurz.
Sie haben es natürlich zu Recht gesagt – und es istauch so –: Familienunternehmen stehen in unserer Ge-sellschaft ganz anders da als Konzerne. Wir kennen javiele: Lürssen, Freudenberg, Boehringer Ingelheim undwie sie alle heißen. Einige von uns haben sie in ihrenWahlkreisen. Gerade bei den großen Unternehmen unterihnen, auf die ich gleich noch einmal zu sprechen kom-me, ist es natürlich noch etwas ganz Besonderes. Sie neh-men in der Regel eben auch eine große Verantwortungwahr, erstens gegenüber ihren Mitarbeitern und derenFamilien, aber zweitens auch in ihrer Region.Wir können eindeutig feststellen, dass gerade in Kri-senzeiten versucht wird, die Mitarbeiter zu halten, auchaus sozialen Gesichtspunkten und Aspekten. Auch das istein Wert an sich, und er geht auch mit diesem Betriebs-vermögen einher. Deswegen kann man nicht Betriebsver-mögen und Geldsäcke direkt miteinander vergleichen.Aus meiner Sicht sollte man sogar mit den Richtern, diesich mit diesen Fragen beschäftigen, noch einmal darü-ber diskutieren, wie das in Zukunft für die Gesellschaftinsgesamt zu sehen ist. Ich bin nun kein Jurist. In juris-tischer Hinsicht ist das sicherlich auch ein Thema. Dasverstehe ich schon.
– Die Arbeitnehmer könnten das auch erben. Das ist so-gar in vielen Betrieben so, aber meistens nur in Famili-enunternehmen. Über die Siemens-Stiftung zum Beispielgibt es auch einen Anteil für die Mitarbeiter, was bei Ak-tiengesellschaften völlig unüblich ist.Aus meiner Sicht gibt es auch noch ein anderes Ar-gument. Ich glaube, dass die Erbschaftsteuer ein relativkurzsichtiges Instrument ist. Denn wir haben etwa 3 Mil-lionen Familienunternehmen, und ungefähr alle 30 Jahrewird vererbt. Das heißt, es gibt etwa 100 000 Erbschaftenpro Jahr, bei denen dieses Thema eine Rolle spielt. Klar,es gibt die Verschonung bei den kleinen Unternehmen,die aus meiner Sicht sehr gerechtfertigt ist. Aber Sie müs-sen bei den großen Unternehmen 30 Prozent aus demUnternehmen nehmen.
– Nein, es sind in etwa 100 000 Erbschaften, die pro Jahranfallen. Viele werden natürlich verschont. Deswegenspielen sie im Moment keine Rolle.Mein Argument ist, dass die Erbschaftsteuer als solcheein relativ kurzsichtiges Instrument ist. Aus meiner Sichtwäre es viel sinnvoller, das Geld im Unternehmen zu be-lassen, statt die 30 Prozent in dem Moment aus dem Un-ternehmen zu nehmen und zu vereinnahmen. So könnenMitarbeiter eingestellt werden, die Lohnsteuer zahlenund konsumieren. Die Unternehmen müssen investieren.Sie zahlen Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und ande-res. Das ist über 30 Jahre gesehen aus meiner Sicht vieleinträglicher – auch für die Finanzminister der Länder –,als wenn der Staat einmalig die Erbschaftsteuer von denUnternehmen bekommt. Insofern, finde ich, sollte man,wenn man das Thema noch einmal aufmacht – ich hoffe,dass das jetzt erst einmal nicht passiert –, noch einmaldarüber nachdenken, ob es wirklich solch ein intelligen-tes Instrument ist, wie mancher jetzt aus dem Bauch he-raus argumentiert.Wir haben nun einen Kompromiss gefunden. Wir ha-ben über Alternativen, nämlich über die Einführung ei-nes einheitlichen Steuersatzes oder von vielleicht zweiSteuersätzen, diskutiert. Die Argumente dazu, denke ich,sind ausgetauscht. Ich persönlich habe auch eine gewis-se Sympathie für solch ein relativ einfaches Modell, dasnatürlich viel Planungssicherheit und Verlässlichkeit mitsich bringt.Wir haben jetzt den Kompromiss. Das ist erst einmalgut. Aber er hat aus meiner Sicht einen großen Nachteilfür Unternehmen ab einer Schwelle von 90 MillionenEuro, zumindest dort, wo nur ein oder zwei Erben nach-kommen; denn in diesen Fällen wird wirklich Geld ausden Unternehmen herausfließen. Das sind vielleicht nichtallzu viele Fälle, aber diese Fälle sind sehr relevant, weiles sich häufig um Unternehmen handelt, die Weltmarkt-führer sind. Dadurch werden sich ihre Strukturen verän-dern; ein paar Namen habe ich bereits genannt.Wir haben natürlich auch das Problem, dass es einesehr komplizierte Regelung ist und dass es wegen derBewertungsgeschichte sicherlich zusätzliche Verfahrenund zusätzliche Diskussionen geben wird. Jeder, derschon einmal eine Betriebsprüfung im Unternehmen mit-gemacht hat, weiß, wie da diskutiert und verhandelt wird.Das kostet die Finanzministerien Zeit, aber das kostetauch den Unternehmer Zeit.Ich möchte mit dem Positiven enden; auch das müs-sen wir natürlich erwähnen. Ich denke, dass das Verscho-nungsmodell bestehen bleibt und auch vom Verfassungs-gericht akzeptiert wurde, ist grundsätzlich richtig. Dasswir das Abschmelzmodell und keinen Fallbeileffekt ha-ben, ist sicherlich ein sehr positiver Aspekt. Dass die In-vestitionsklausel bleibt, ist absolut zu begrüßen; ich haltedas für notwendig und denke, das ist im Sinne aller. DerWertansatz hätte etwas anders und realistischer sein kön-nen. Wir sind uns jedenfalls in vielen Bereichen einig.Ich möchte noch einmal allen, die über viele Jahre da-ran mitgearbeitet haben, Dank sagen. Herr StaatssekretärMeister hat sich viel Mühe gegeben und musste mit vie-len, die hier sitzen, aber auch mit vielen anderen Perso-Dr. Philipp Murmann
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nen sehr viele Stunden über dieses Thema reden. CarstenSchneider, Ralph Brinkhaus und auch Gerda Hasselfeldthaben einen Kompromiss ausgehandelt, der die Basis da-für war, dass wir uns am Ende geeinigt haben.Die Stärke Deutschlands ist auch die Bereitschaft zumKompromiss. Insofern würde ich mich freuen, wenn die-ser nun errungene Kompromiss durchträgt und im Bun-destag, im Bundesrat, aber auch von den Gerichten undauch von der Gesellschaft mitgetragen wird.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Aktu-
elle Stunde beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Innovativer Staat – Potenziale einer digitalen
Verwaltung nutzen und elektronische Verwal-
tungsdienstleistungen ausbauen
Drucksache 18/9788
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Digitale Verwaltung 2020
Regierungsprogramm 18. Legislaturperiode
Drucksache 18/3074
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter
Janecek, Dr. Konstantin von Notz, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stillstand beim E-Government beheben – Für
einen innovativen Staat und eine moderne
Verwaltung
Drucksache 18/9056
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Dr. Tim Ostermann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Bereichedes Lebens laufen mittlerweile digital ab: Kommunikati-on, Information, Einkaufen, Lernen, um einige wenigeBeispiele zu nennen. Wenn es dann aber um den Kontaktmit Behörden geht, wird man vielfach noch auf den ana-logen Weg gezwungen.Ein Report der Europäischen Kommission zum The-ma „Digitale Verwaltung“ sagt, dass Deutschland unterden 28 EU-Staaten auf Platz 18 liegt, hinter Italien undknapp vor Zypern. Auch die Nutzerzahlen sind besorg-niserregend. Im vergangenen Jahr haben gerade einmal45 Prozent der befragten Deutschen E-Government-An-gebote in Anspruch genommen. Damit hinken wir denSchweizern um 20 und den Österreichern um fast 30 Pro-zentpunkte hinterher. Diese Umstände haben den Nati-onalen Normenkontrollrat zu dem harschen Urteil ver-anlasst, E-Government gebe es de facto in Deutschlandnicht. All dies macht deutlich: Deutschland muss, um denAnschluss nicht zu verlieren, schnell aufholen. DiesenRückstand können wir uns nicht dauerhaft erlauben.
Was sind die Vorteile einer digitalen Verwaltung fürden Nutzer, Bürger, Unternehmer? Zum einen ist es dieZeiteinsparung – weniger Behördengänge, kein Portomehr, schnellere Bearbeitung –, zum anderen der Kom-fort: Man kann von zu Hause aus oder von unterwegs aufdie digitalen Angebote zugreifen.Wesentliche Akteure sind die Verwaltungen. Machenwir uns nichts vor: Für die öffentliche Verwaltung ist dieDigitalisierung die größte Herausforderung der nächstenJahre. Viele Verwaltungen tun sich noch schwer. So siehtweniger als ein Viertel der Behördenleiter einen Nutzendarin, Bürger in die Gestaltung digitaler Verwaltungs-leistungen einzubeziehen. Da ist noch deutlich Luft nachoben. Wir brauchen einen Anschub für die digitale Ver-waltung. Wir brauchen Rahmenbedingungen für die Ver-waltung der Zukunft. Diesen Anschub, diese Rahmen-bedingungen bietet das Regierungsprogramm „DigitaleVerwaltung 2020“, das wir heute ebenfalls beraten.Die Bundesregierung möchte und muss Vorreiter fürdie übrigen Ebenen sein. Dies gilt übrigens auch für denGrundsatz, dass es bei der Organisation der eigenen ITeine einheitliche Zuständigkeit und übergreifende Pla-nung geben muss. Das Bundesinnenministerium gehtDr. Philipp Murmann
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hier mit gutem Beispiel voran; denn es bündelt seine ITin einem Rechenzentrum, das dem Bundesfinanzminis-terium unterstellt ist. Wer sich nur ein bisschen in derBundesverwaltung auskennt, der mag erahnen, was fürBrocken hierfür aus dem Weg geräumt werden mussten.Johannes Ludewig, der Vorsitzende des NationalenNormenkontrollrats, kennt sich in der Bundesverwaltungaus. Darum ist sein Lob nachvollziehbar und belegbar –er hat die entsprechenden Erfahrungen gesammelt –,wenn er sagt: „In unserem von Zuständigkeitsdenken ge-prägten System hat dies Mut erfordert.“ Wir geben ihmrecht und danken Ihnen, sehr geehrter Herr StaatssekretärKrings, stellvertretend für Ihr gesamtes Haus für diesenMut.
Ich zitiere nochmals Johannes Ludewig, wenn ich sage:Diesen Mut wünschen wir uns auch von anderen.
Mit unserem Antrag, den wir heute beraten, machenwir deutlich, dass wir das Regierungsprogramm unter-stützen. Wir setzen aber auch eigene Akzente,
zum Beispiel beim Thema eID, bei der Onlineausweis-funktion für den neuen Personalausweis. Wir müssenden Verbreitungsgrad der eID deutlich erhöhen. Derzeitbeißt sich dort die Katze in den Schwanz. Es gibt kaumNachfrage und daher auch kaum Angebot; umgekehrtist es natürlich ebenso. Darum sagen wir: Wir müssenhier deutlich besser werden. Wir schlagen vor, dass dieeID-Funktion grundsätzlich eingeschaltet sein und le-diglich auf ausdrücklichen Wunsch hiervon abgesehenwerden sollte.Über die eID hat man auch Zugang zu den geplantenBürgerkonten. Jeder Bürger soll Zugang zu einem digi-talen Konto erhalten, und zwar ebenenübergreifend. Dasheißt, es soll nicht nur für Dienstleistungen des Bundesgelten, sondern auch für Dienstleistungen der Länder undder Kommunen. Das muss medienbruchfrei erfolgen. Ichwill hier ausdrücklich sagen: Es macht keinen Sinn, wenndigital erstellte Dokumente ausgedruckt, unterschriebenund im Original übersendet werden müssen.Wir haben auch erkannt, dass der größte Hemmschuhbei der Digitalisierung der Verwaltung der oftmals feh-lende Wille zur Zusammenarbeit zwischen Bund, Län-dern und Kommunen ist. Wir brauchen eine bessere undverbindlichere Koordinierung. Darum ist unser Vor-schlag, den IT-Planungsrat zu stärken. Hier mangelt esnoch an politischer Durchschlagskraft.Wir brauchen eine föderale E-Government-Infra-struktur, wie auch vom Nationalen Normenkontrollratgefordert. Wir brauchen eine gemeinsame Plattform fürgemeinsame Entwicklungen über die föderalen Ebenenhinweg.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Ver-waltung gilt in vielen Ländern als Vorbild. Das mussaber auch für die digitale Verwaltung gelten. Im Zugeder Migrationskrise ist es uns gelungen, den Datenaus-tausch zwischen den verschiedenen Ebenen deutlich zuverbessern. Daran sieht man: Manchmal braucht es et-was Druck, dann ist der Aufbau einer digital vernetztenVerwaltung möglich. Vor allem aber ist es ermutigend,zu sehen, dass der Föderalismus kein unüberwindbaresHindernis darstellen muss.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster Redner hat Frank Tempel von der Frakti-
on Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Wenn wir über E-Government reden, alsoüber digitale Informationen und Leistungen vom Staat fürden Bürger, steht nicht die Frage im Vordergrund, ob dasgrundsätzlich gut oder schlecht ist, sondern im konkretenFall stellen sich die Fragen, ob sich daraus ein Nutzen fürden Bürger ergibt und ob das ein Gewinn für den Verwal-tungsablauf ist. Das sind die Fragen, die wir uns stellenmüssen. Wir Linken sehen vor allem das Potenzial, dasim E-Government steckt. Das muss dann aber auch zumVorteil der Bürgerinnen und Bürger genutzt und gestaltetwerden.Wie eine solche Gestaltung aussehen kann, haben wirin einem Sondervotum – gemeinsam mit SPD und Grü-nen; so etwas geht – der Projektgruppe „Demokratie undStaat“ der Enquete-Kommission „Internet- und digitaleGesellschaft“ aufgezeigt.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch einige Punktenennen.Gesetze und Prinzipien des Datenschutzes und derMitbestimmung der Beschäftigten müssen auf allen Ebe-nen verwirklicht werden. Die öffentliche Verwaltungmuss für den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgernverlässliche, transparente, demokratisch kontrollierteund umfassend interoperable Infrastrukturen anbieten. Essollten offene Standards, zum Beispiel bei Dokumenten-formaten, Signaturen oder Softwareanwendungen, ein-gesetzt werden. Im Idealfall wären das Standards ohnePatentrechte. Wenn Software entwickelt wird, ist auf einebreite Weiterverwendbarkeit zu drängen. Die Lizenzie-rung als freie Software bietet uns diese Möglichkeiten.Die Ausschreibungen im Bereich E-Government ha-ben soziale und technische Kriterien zu berücksichtigen,zum Beispiel die Innovationsfähigkeit des Netzes und dieStärkung der Grundrechte der Betroffenen. AußerdemDr. Tim Ostermann
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darf der Monopolbildung von Anbietern kein Vorschubgeleistet werden usw.Liebe Kolleginnen und Kollegen, einer Unterrichtungder Bundesregierung vor fast zwei Jahren konnten wirfolgende Vision entnehmen – ich zitiere –:Die Vision des E-Government ist, dass Informa-tions-, Kommunikations- und Transaktionsprozes-se zwischen Politik, Verwaltung, Bürgern und derWirtschaft von jedem Ort, zu jeder Zeit und mitjedem Medium erfolgen können, und zwar schnell,einfach, sicher und kostengünstig.Ein toller Satz!Wir schauen nun, was mit dieser Vision passiert ist.Der Breitbandausbau ist wohl die wichtigste Vorausset-zung, um digitale Angebote überhaupt nutzen zu können;darin sind wir uns einig. Während Großstädte dies meis-tens bereits haben, muss ich Ihnen leider sagen, dass aufdem Lande – ich komme von dort – die Kaffeemaschinehäufig immer noch schneller als das Internet ist.
Ganz nebenbei: Für junge Menschen und auch für Selbst-ständige – auch für Mittelständler – ist das übrigens einGrund dafür, ländliche Regionen zu verlassen.
Welche Entwicklungen gibt es noch? Als die Linkemit einem Antrag hier im Haus ein Informations- undTransparenzgesetz forderte, wurde von der Großen Ko-alition groß angekündigt, den Entwurf eines Open-Da-ta-Gesetzes vorzulegen. „Demnächst“ hieß es damals.„Demnächst“ ist meiner Ansicht nach längst vorbei. Woist dieser Gesetzentwurf? Für den Fall, dass Sie das dochnoch in dieser Wahlperiode anpacken wollen, möchte ichIhnen eine weitere Empfehlung aus dem Sondervotumder Opposition aus der Enquete-Kommission vorlesen.Dort steht:Dazu gehören auch Verträge der öffentlichen Hand,Public-private-Partnership-Verträge und andereVerwaltungsdokumente. Diese sollen jedermannzugänglich gemacht werden, wenn das öffentlicheInteresse an einer Einsicht das berechtigte Interes-se der Anbieter am Schutz von Betriebs- und Ge-schäftsgeheimnissen überwiegt. Das gilt insbeson-dere für die Unterlagen zu Vergabeverfahren, beidenen zum Teil hohe Haushaltsmittel verwendetwerden. Dazu zählen beispielsweise auch Gutachtenund Stellungnahmen, Verwaltungsvorschriften undVerwaltungsanweisungen.Das klingt zwar gut. Aber was haben wir bisher dazu?Derzeit gibt es das Portal govdata.de mit einem zentra-len Zugang zu Verwaltungsdaten aus Bund, Ländernund Kommunen. Richtig gelungen ist aber auch dasnoch nicht. Erstens. Dieses Portal ist noch zu unbekannt.Zweitens. Erst 10 von 16 Bundesländern sind dabei. Drit-tens. Bisher ist der Umfang der eingespeisten Daten vielzu gering.
Wir sehen aber die Notwendigkeit für mindestens zweiweitere Portale im Bereich Infrastruktur: für Großpro-jekte in Verbindung mit digitaler Bürgerbeteiligung undzum Bundeshaushalt.Im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gibt es weite-re Anforderungen an die Gestaltung von E-Government,die aus unserer Sicht durchaus sehr sinnvoll sind. Dazugehört unter anderem eine verpflichtende Ende-zu-En-de-Verschlüsselung bei allen IT-Großprojekten.
– Da könnten alle klatschen. – Kontraproduktiv für dasVertrauen in E-Government sind deshalb die Pläne zurSchaffung einer Bundesbehörde, die wiederum Metho-den entwickeln soll, verschlüsselte Kommunikation aus-zuhebeln, wie es der Innenminister angekündigt hat.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sagen ja nicht,dass nichts gemacht wurde. Aber wir sagen, dass deut-lich zu wenig gemacht wurde. Ideen für die Nutzung derPotenziale von E-Government liegen auf dem Tisch. Siemüssen nur aufgegriffen werden. Dazu habe ich einenVorschlag: Stellen Sie sich zur Motivation einfach vor,Sie würden mit E-Government die Deutsche Bank retten.Schon wird das mit dem Tempo kein Problem mehr sein.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Mahmut
Özdemir für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Informationstechnische Systeme haben dasVerhältnis von Staat, Bürgerschaft und Wirtschaft grund-legend verändert. Daten sind die neue Währung in derdigitalisierten Welt. Auch unsere Rechtsordnung ist da-von nicht unberührt geblieben; denn wir haben auf dieLebenswirklichkeit der Menschen reagiert oder besser:reagieren müssen.Bund und Länder haben mit Artikel 91c Grundgesetzeine notwendige Grundlage für die Zusammenarbeit ge-schaffen, die in den Vertrag zur Errichtung des IT-Pla-nungsrates mündete. Zwischen den schriftlichen und denmündlichen Erlass eines Verwaltungsaktes in § 37 Ab-satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz ist der elektronischegetreten. Die elektronische Aktenführung und Dokumen-tenübermittlung hat in §§ 55a und 55b Verwaltungsge-richtsordnung Einzug erhalten; eine zugegeben sehr zag-hafte Entwicklung.Frank Tempelhttps://www.govdata.de/
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Ein Attest für die gesetzgeberische Zaghaftigkeit war,dass sich das Bundesverfassungsgericht 2008 genötigtsah, ein Grundrecht neu zu entwickeln: das Grundrechtauf „Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informati-onstechnischer Systeme“. Acht Jahre später überschreibtdie Frankfurter Allgemeine Zeitung am 17. August 2016einen prominent platzierten, ganzseitigen Artikel immernoch: „Wir brauchen ein Digitalgesetz“.Deshalb ist es wichtig, dass wir mit unserem Antragdie Strategie der Bundesregierung unterstützen. DieWirtschaft hat es erkannt, den Komfort durch elektro-nische Dienste gewinnbringend einzusetzen. Nutzer-daten, elektronische Zahlungsmethoden und in Algo-rithmen verschwindende Suchbegriffe werden zu einerDienstleistung verschmolzen, die das Leben vereinfacht.Diese Lebenswirklichkeit der Menschen müssen wir alsStaat aufnehmen. Staatliche Dienstleistungen müssenkomfortabel, sicher und zeitgemäß werden.Die Sondernutzungsgenehmigung für Vereine, dasAn- und Abmelden eines Kraftfahrzeugs, die Beantra-gung eines Personalausweises oder die Erstellung einerSteuererklärung sind nur einige wenige Verwaltungsvor-gänge, die durch elektronische Datenverarbeitung erheb-lich beschleunigt werden und sowohl für die Verwaltungals auch für die Bürgerinnen und Bürger eine Vereinfa-chung darstellen – können. Ich betone bewusst „können“,weil der Postweg und das persönliche Erscheinen nachwie vor die Regel sind. Dies liegt auch, aber nicht nur ammangelnden Vertrauen in diesen Kommunikationskanal.Ein sicherer Zugang auf beiden Seiten, um persönli-che Verwaltungsgänge auch digital erledigen zu können,setzt eine sichere Authentifizierung voraus. Der neuePersonalausweis mit der eID stellt in der Anonymitätdes Netzes endlich eine staatliche Schnittstelle dar. Daswiederum bedeutet ein Mehr an Sicherheit. Zentralisiertwird diese in einem Bürgerkonto, das als Plattform fürdie sichere Übermittlung von Anträgen dient und demStaat die Möglichkeit gibt, demnächst Entscheidungenzügig und kostensparend zuzustellen.Rund 13 Milliarden Euro geben wir bundesweit für dieInformationstechnik aus. Die Bündelung der häufigstenVerwaltungsprozesse könnte diese Kosten um ein Drittelsenken, wenn wir einmalig eine Investition von knapp1,7 Milliarden Euro vornähmen. Die Interoperabilitätvon IT-Systemen ist hierfür unerlässlich, um den Daten-austausch zwischen den Behörden zu vereinfachen, diegemeinsam an einer Verwaltungsentscheidung arbeiten.Aber auch der gesetzlich vorgesehene Datenaustauschund die Amtshilfe unter den Behörden müssen hierbeiim Blick behalten werden. Die per Hand vorgenomme-ne Datenübertragung von einem System in das andere istschlicht nicht zeitgemäß. Insbesondere im Bereich derSicherheitsbehörden können IT-Systeme für eine Zeiter-sparnis sorgen, die lebenswichtig ist.
Der richtige Weg ist hier eine gemeinsame Beschaffungs-strategie für die elektronischen Datenverarbeitungssyste-me der am häufigsten in Anspruch genommenen Verwal-tungsdienstleistungen. Den digitalen Flickenteppich giltes in einem strategisch vernünftigen, gemeinsamen Ver-gaberecht zu bündeln, ohne dabei den Schutzbereich vonBund, Ländern und Kommunen zu verletzen.Die Kommunen sind die erste Anlaufstelle bei der In-anspruchnahme von Verwaltungsdienstleistungen. Daherbefürchten die kommunalen Spitzenverbände zu Recht,dass eine unverhältnismäßige Kostenbelastung durch dasE-Government entsteht. Ohne eine ständige, kosteninten-sive Fortbildung bei der Nutzung von IT-Systemen kön-nen wir dem öffentlichen Dienst eine solche Digitalwen-de nicht abverlangen. Die Garantie der Barrierefreiheitwiederum darf nicht unter dem Kostenaspekt bewertet,sondern muss als gesetzlicher Auftrag der Umsetzungvon Teilhabe betrachtet werden.Die Kommunen sind bei all diesen Reformgedankendie Instanz mit der notwendigerweise höchsten Anzahlan Schnittstellen, wenn es um die Potenziale der digita-len Verwaltung geht. Die kommunalen Spitzenverbändestärken wir daher bewusst mit einem mitentscheidendenMandat. Die Organisations- und Beschaffungshoheit dereinzelnen staatlichen Ebenen muss sich einem kollekti-ven Bewusstsein für Kostenersparnis und Verwaltungs-effizienz unterordnen. Es geht nicht um zentralisierte Lö-sungen, sondern um eine verbindliche Vereinbarung desEinsatzes von Modulen, die miteinander an den gesetz-lich zulässigen und entscheidenden Stellen im Datenaus-tausch gekoppelt werden können. Die Abhängigkeit vonHardware- und Softwaremonopolen zu durchbrechen,ist hierbei mindestens ein gleichrangiges Motiv, da dieIT-Sicherheit für die Verwaltung entscheidend davon ab-hängig ist, dass die höchst sensiblen Daten der Bürgerin-nen und Bürger nicht durch Backdoors abfließen können.Egoismen und Eitelkeiten können wir überwinden,wenn wir die Macht eines koordinierenden Vergaberechtsendlich ausüben. Nur so kann der Staat neue Maßstäbe inder digitalen Welt setzen sowie den Datenschutz und dasBewusstsein für den Datenschutz in den Mittelpunkt stel-len. Es wird Zeit, dass die Verwaltung mit ihrer Präsenzim Netz den Grundrechtsinhaber von einer vielleichtselbst gewählten Unmündigkeit wieder zum Souveränseiner eigenen digitalen Identität macht.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ein herzlichesGlückauf!
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dieter Janecek
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Dr. Ostermann,ich war ein bisschen verwundert, dass Sie Herrn Dr. Lu-dewig in Bezug auf das Lob an Ihre Regierung erwähnthaben. Ich kann mich noch gut an die Kernaussage sei-ner zwei Gutachten zum E-Government erinnern, die dalautet: Es gibt in Deutschland gar kein E-Government. –Man muss Ihnen aber zugutehalten: In der im Antrag Ih-rer Fraktion enthaltenen Analyse sind Sie schonungslosMahmut Özdemir
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und ehrlich. Die Daten, die uns vorliegen, können unsnicht glücklich stimmen. So ist die Nutzerquote beimE-Government im letzten Jahr von 45 auf 39 Prozentgesunken. Wie manche wissen, war ich einmal österrei-chischer Staatsbürger. In Österreich liegt die Nutzerquotebei 73 Prozent, in Schweden bei 75 Prozent und in Est-land bei rund 70 Prozent. Zugegeben, es handelt sich hierum kleinere Länder. Aber diese Länder sind beispielge-bend und sind vorangegangen. Schließlich hat Österreichebenfalls einen dreistufigen Aufbau. Wir müssen unsschon fragen – deshalb führen wir heute diese Debatte –:Warum gelingt es uns in Deutschland nicht, hier besserzu werden, und wie können wir endlich besser werden?
Kommen wir nun zu den Antworten. Einiges, was Siein Ihrem Antrag schreiben, ist durchaus richtig. Aber Siebekennen sich nicht klar zu zwei Prinzipien. Das einePrinzip lautet: Digital by default. Auf Deutsch bedeutetdas den Vorrang des Digitalen in der Verwaltung. Wenndieses Prinzip erst einmal gültig ist und die analogenVorgänge ergänzend erfolgen, weil Menschen nicht ab-gehängt werden dürfen, dann hätten wir eine ganz an-dere Verwaltungskultur. Das zweite Prinzip lautet: Onceonly. Das bedeutet: Wenn Sie einmal Daten abgegebenund freigegeben haben, dann muss die Verwaltung da-rauf zugreifen. Sie selber müssen die Daten nicht erneutliefern.Diese zwei Prinzipien muss man glasklar formulieren,in ein Gesetz hineinschreiben und umsetzen. Solangedas nicht auf allen Ebenen passiert, werden wir weiterso abgehängt bleiben, wie wir es heute sind. Das habenSie nicht getan. Dies ist, was Ihren Antrag anbelangt, einVersagen. Das steht aber in unserem Antrag. Deswegenwürden wir uns freuen, wenn Sie unserem Antrag heu-te zustimmen würden; denn dann würde es wirklich mitdem E-Government, mit der digitalen Verwaltung, inDeutschland vorangehen.
– Manche würden – das weiß ich – schon gerne applau-dieren. Im Ausschuss Digitale Agenda, lieber ThomasJarzombek, sind wir uns ja bei vielen Themen par-teiübergreifend nahe. Ich will aber heute sozusagen et-was Schub in die Diskussion hineinbringen; denn ichglaube, dass wir wirklich Potenziale auszuschöpfenhaben – auch Herr Tempel hat das angesprochen –, diegewaltig sind.Es ist ja nicht so, dass schon alles gut läuft. In Mün-chen zum Beispiel werden noch tausendfach Textpro-tokolle abgetippt. Das geschieht durch Mitarbeiter derStadtverwaltung, die das dann in Aktenordnern abhef-ten. Ist das heute noch zeitgemäß? Ist das eine schöneBeschäftigung? Ich glaube, die Verwaltung könnte statt-dessen viele andere schöne Dinge – beispielsweise imRahmen der Flüchtlingsbetreuung – tun. In diesem Zu-sammenhang hat die Verwaltung übrigens gemerkt, dassall die betreffenden Datensätze überhaupt nicht übertrag-bar waren. Das BAMF hat dann letztlich dafür gesorgt,dass diese Datensätze vereinheitlicht werden konntenund dass so eine Übertragung möglich wurde. Es wur-de also auf diese Weise aus einer Schwäche eine Stärkegemacht. Wir sollten versuchen, diesen Ansatz auch aufvielen anderen Ebenen zu verwirklichen.Man kann das auch einmal in Zahlen fassen: Wirt-schaft und Verwaltung könnten allein 3 Milliarden Eurodadurch sparen, wenn nur die Gewerbeanmeldungen, dieBaugenehmigungen und die Melderegistereinträge nichtmehr länger papiergebunden erstellt würden. Das wärealso eine ganze Menge Geld. Es ist auch gar nicht soschwer, das zu machen. Die Frage ist: Woran liegt das?Das liegt zum Teil – das haben Sie angesprochen – anden Steuerungsprozessen. Wir leben in einem födera-listischen Staat, wodurch das Ganze nicht so leicht ist.Deswegen muss der Bund, glaube ich, diese 1,7 Milli-arden Euro als Anschubfinanzierung investieren. Bei13 Milliarden Euro Gesamtbudget für IT-Kosten ist daskeine sehr hohe Summe. Das sollte aber nicht mehr imIT-Planungsrat gemacht werden; denn der allein schafftdas, glaube ich, nicht.Der österreichische Bundeskanzler hat die Zuständig-keit für E-Government damals ins Kanzleramt geholt. InÖsterreich gab es einen Beauftragten, der das koordinierthat. Wir würden Ihnen vorschlagen, das an eine Koordi-nierungsstelle zu geben, die Durchschlagskraft hat. Dashaben wir momentan nicht. Wenn das aber nicht passiert,kommen wir auch nicht wesentlich voran.
Ich komme – das wurde ja auch von Herrn Tempelrichtigerweise angesprochen – zum Thema Open Data.Ich glaube, wenn wir Vereinheitlichungen vornehmenund Synergien schaffen wollen, dann muss das auf derBasis geschehen, dass die Daten offen und die Schnitt-stellen kompatibel sind. Es hilft uns nicht weiter, wennwir tausend Insellösungen haben, von denen mancheja sehr beispielshaft und gut sind, wo wir es aber nichtschaffen, das Ganze zusammenzuführen. Solange dasnicht auf der Basis von Open Data geschieht, werden wirauch keinen Fortschritt erzielen.
Ich glaube, wir müssen uns bei dem Thema ein biss-chen was trauen. Deswegen bitte ich Sie heute, sichernsthaft mit dem zu befassen, was wir an Vorschlägenvorgelegt haben: Wir müssen bei den Investitionen vo-rangehen und eine Koordinierung schaffen. Es muss aberauch das Prinzip des Vorrangs des Digitalen in der Ver-waltung gelten. Weiter muss klar sein und verankert wer-den, dass der Bürger, wenn er Daten abgegeben hat, diesenicht noch ein drittes, viertes oder fünftes Mal abgebenmuss. Wenn wir da einmal hingelangen, werden wir beider Nutzerquote von den 39 Prozent – da sind wir heute –auf 50 Prozent oder 60 Prozent kommen. Es ist gut fürdie Demokratie, die Wirtschaft und den Bürger, wenn wirendlich eine gute digitale Verwaltung in unserem LandDieter Janecek
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bekommen. Das hilft allen, es hilft uns insgesamt. Ichfreue mich auf die Debatte.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Parlamen-
tarische Staatssekretär Dr. Günter Krings für die Bundes-
regierung das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben in den letzten Monaten hier an dieserStelle viel über Veränderungen gesprochen – über Kri-sen, Reformen und Neuordnungen in unserem Land. Ausdieser Zeit haben wir Lehren gezogen, aber wir habenauch – gerade im letzten Jahr – aufs Neue den Wert einerguten Verwaltung schätzen gelernt. Die Digitalisierungder Verwaltung ist eben viel mehr als ein Wettbewerb derschönen Worte, sie ist Ergebnis harter Arbeit. Dazu willich Ihnen ein paar Beispiele nennen.Wir haben – das haben wir hier oft diskutiert – dasAsylverfahren digitalisiert. Der Kollege Ostermann hatdas angesprochen. All das haben wir innerhalb kürzesterZeit an einem Tisch mit Bund, Ländern und Kommunengeschafft. Das zeigt, dass so etwas geht, wenn die Sachedrängt.Wir haben im Kabinett die Absenkung HunderterFormvorgaben beschlossen. Auch das waren große Hin-dernisse für eine elektronische Verwaltung. Mit demGesetzentwurf zur E-Rechnung sorgen wir dafür, dassUnternehmen ihre Rechnungen an Behörden künftigelektronisch stellen können.Wir arbeiten – auch mit dem Bundestag – daran, dasGesetzgebungsverfahren zu digitalisieren. Noch in dieserLegislaturperiode werden wir erste Pilotanwendungentesten.Ich könnte jetzt meine komplette restliche Redezeitmit der Aufzählung von kleinen und großen Fortschrittenbestreiten.
Zu den Lehren aus den großen Kraftanstrengungen,insbesondere was die Hochzeit der Flüchtlingskrise imletzten Jahr betrifft, gehört auch, dass wir gut daran tun,nicht nur über ungelöste Aufgaben zu reden – das tue ichgleich auch noch –, sondern auch das herauszustellen,was funktioniert und was wir geleistet haben.An der Stelle würde ich gerne nicht nur den Kolle-gen, die hier bei Anträgen und vielen anderen Bereichenmitgewirkt haben, sondern auch den vielen Verwaltungs-mitarbeitern meinen Dank ausrichten, die bei diesen Pro-jekten Digitalisierungserfolge überhaupt erst möglichgemacht haben.
Aber ich will auch Themen nennen, bei denen wir inpuncto Digitalisierung besser werden müssen und besserwerden können. Ich will drei Punkte zur digitalen Ver-waltung herausgreifen.Erstens. Digitalisierung von Arbeitsabläufen. Viele sa-gen einfach: In der Verwaltung müssen wir die Abläufedigitalisieren. Deshalb heißt das digitale Verwaltung. –Das ist richtig, aber genauso richtig ist, dass Digitali-sierung kein Selbstzweck ist. Deshalb müssen wir alslogische Vorfragen klären, ob die bestehenden Abläufein der Verwaltung in jedem Einzelfall überhaupt so sind,dass man sie digitalisieren kann und vor allem dass mansie auch digitalisieren sollte. Um es klar zu sagen: Einschlechter Prozess, der digitalisiert wird, ist einfach eindigitalisierter schlechter Prozess. Da wird durch Digitali-sierung an sich noch nichts besser.
Also stellt Digitalisierung auch eine große Chance dar,Abläufe zu optimieren. Erst Abläufe prüfen, dann ver-bessern und anschließend digitalisieren, das ist die Se-quenz, die richtig ist und Sinn macht.
Ich will einen zweiten, ganz wichtigen Punkt nennen:Bürger- und Unternehmenskonten bei der Verwaltung.Das ist ein wirklich dickes Brett, das es zu bohren gilt.Wir haben in Deutschland viele gute Ideen. Wir verfügenüber gute Techniken und gute Angebote. Aber damit dasAngebot in der Breite genutzt wird, müssen wir es besserzusammenbekommen. Es gibt viele Portale und viele In-sellösungen in Bund, Ländern und Kommunen.Aber auch hier kommen wir jetzt ein Stück weiter. Wirwerden einen Portalverbund einrichten, in dem wir alleVerwaltungsportale vereinen und in dem jeder von einemServiceportal auf alle Dienstleistungen des Verbundszugreifen kann. Das haben wir mit den Ländern undKommunen so verabredet. Man kommt dann sozusagenonline mit einem Schlüssel in jede Verwaltung. Die Zu-gangsdaten für das Portal in Berlin können dann genausofür das Portal in Mönchengladbach oder Herford genutztwerden. Eine einmalige Registrierung reicht dann aus.Mein dritter Punkt ist die IT-Sicherheit. Die ist nichtnur in der Verwaltung relevant, aber eben auch dort. DieCyberbedrohungslage wird von Jahr zu Jahr kritischer.Verfügbarkeit und Sicherheit der IT-Systeme haben eineimmer größere Bedeutung, auch bei der Modernisierungder Verwaltung. Auch hier haben wir einiges getan – ichnenne insbesondere das IT-Sicherheitsgesetz –, aber auchhier wollen wir noch mehr machen. Wir erarbeiten der-zeit eine neue Cybersicherheitsstrategie des Bundes, diewir noch in diesem Jahr vorstellen wollen. Damit werdendie IT-Systeme sicherer, und damit schaffen wir mehrVertrauen aufseiten der Nutzer. Auch das ist ein wichti-ger Punkt, um die Nutzerzahlen bei den vielen Verwal-Dieter Janecek
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tungsangeboten zu erhöhen. Die sind in der Tat noch zuniedrig, und die müssen wir verbessern.Ich habe jetzt hier nur einige Erfolge, aber eben auchoffene Baustellen der digitalen Verwaltung beschrieben.Lassen Sie mich aber auch aus meiner Erfahrung als Par-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei der Digitalisie-
rung geht es letztlich nicht nur um Nullen und Einsen,
sondern vor allem um Menschen, um ihre Arbeit und ihr
Kommunikationsverhalten. Wir müssen die Menschen in
der Verwaltung mitnehmen und motivieren und davon
überzeugen, dass diese Abläufe für sie besser werden.
Wenn wir Verwaltungsmitarbeiter vom Nutzen der Digi-
talisierung überzeugen wollen, dann geht das am besten,
wenn die Regierung mit gutem Beispiel vorangeht. Zur
digitalen Verwaltung gehört also auch die digitale Regie-
rung.
: Jawohl!)
Da – das müssen wir, glaube ich, ehrlich eingestehen –
haben wir auch noch eine große Baustelle vor uns. An of-
fensichtlichen Zielen wie dem papierlosen Kabinett oder
einem modernen, digitalen Wissensmanagementsystem
müssen wir mit noch mehr Nachdruck arbeiten. Als Zei-
chen dafür, dass wir sehen, dass wir noch einiges zu tun
haben, habe ich auch nicht, wie der Kollege Ostermann,
meine Rede von einem Tablet-PC abgelesen, sondern
ganz analog vom Papier. Das zeigt, dass noch einiges zu
tun ist, auch bei uns.
Letztlich gilt hier das Gleiche wie für die digitale Ver-
waltung. Die Digitalisierung ist kein Zweck an sich; aber
klug eingesetzt kann sie für die Menschen die Qualität
des Arbeitens und die Qualität des Lebens verbessern.
Der Einsatz dafür lohnt sich.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Saskia Esken
für die SPD-Fraktion das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit, die Handlungsfä-higkeit und die Durchsetzungsfähigkeit von Regierungund öffentlicher Verwaltung ist eine wichtige Grundlagefür Rechtsstaat und Demokratie. Das ergibt sich nicht nuraus der Entwicklung und Umsetzung großer politischerVorhaben; viel entscheidender ist dafür der alltäglicheUmgang des Staates mit seinen Bürgerinnen und Bür-gern.Eine moderne und effiziente öffentliche Verwaltungbegreift sich als Dienstleister. Als Nutzer erwarten wirheute, dass wir unsere Behördengänge online und amliebsten auch mobil erledigen können. Wir wollen unsdarauf verlassen können, dass es dabei sicher zugeht. DieDaten, die ich mit der Behörde austausche, gehen sonstniemanden etwas an.Die Arbeit in einer solchen modernen Verwaltung istauch für Stauballergiker geeignet, weil sie auf Papierak-ten so weit wie möglich verzichtet. Auch sonst entsprichtmoderne Verwaltungsarbeit den Anforderungen an einenArbeitsplatz von heute. Auch Verwaltungsmitarbeiterwollen zeitflexibel und auch einmal von zu Hause ausoder mobil arbeiten, und zwar in Teams, die ohne großeUmstände über Abteilungsgrenzen hinweg gemeinsameinen Auftrag erledigen, ein Problem lösen. Warum sollteVerwaltung das nicht können?Leider hängt Deutschland im internationalen Ver-gleich beim E-Government deutlich hinterher. Egal wel-che Studie wir zurate ziehen, sie alle kommen zu einemfast schon vernichtenden Urteil. Die Angebote der digi-talen Verwaltung in Deutschland sind dürftig: in Anzahlund Qualität, aber auch in ihrer Nutzung, also in der Ak-zeptanz.Mit dem 2013 in Kraft getretenen E-Government-Ge-setz, das jetzt nach und nach in den Bundesländern um-gesetzt wird, ebenso wie mit dem Programm DigitaleVerwaltung 2020 geht es quälend langsam voran. Dieseersten Schritte waren leider wenig konsequent und des-halb wenig wirksam. Ich bin deshalb dankbar, dass wiruns mit den Kollegen und Kolleginnen der Unionsfrakti-on jetzt auf den nun vorliegenden Antrag zum E-Govern-ment einigen konnten.Ein zentrales Vorhaben ist dabei das Bürgerkonto,über das wir als Nutzer sicher mit der Verwaltung kom-munizieren können. Als eindeutige Identifikation beimZugriff auf das Bürgerkonto dient die elektronische IDdes neuen Personalausweises. Bei allen neu ausgestell-ten Personalausweisen soll die eID deshalb voreingestelltsein und nur auf Wunsch abgeschaltet werden können.Damit dieses Bürgerkonto dann auch für weitere at-traktive Onlineangebote genutzt werden kann, müssendie wichtigsten Lebens- und Unternehmenslagen iden-tifiziert werden. Solche häufig genutzten Dienstleis-tungen sollen dann vollständig digitalisiert werden miteiner durchgängigen elektronischen Aktenführung undmit einer nutzerfreundlichen Bedienung und bitte ohneSchriftform und ohne persönliches Erscheinen zu verlan-gen, wenn das gar nicht notwendig ist.Weil der digitale Staat in seiner Funktions- und Hand-lungsfähigkeit – Herr Krings hat es gesagt – durch cy-berkriminelle Angriffe hoch gefährdet ist, muss er sichbesonders schützen. Die öffentliche Verwaltung mussdeshalb Vorreiter sein beim Umgang mit solchen Angrif-fen, beim Einsatz von IT-Sicherheitstechnik und bei derAnwendung von IT-Sicherheitsverfahren. Zudem mussdie Verwaltung den Bürgerinnen und Bürgern siche-re Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikationswegezur Verfügung stellen. Das Bundesamt für Sicherheit inder Informationstechnik wollen wir in seiner Dienstleis-Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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tungs- und Beratungsfunktion auch für die öffentlicheVerwaltung stärken.Wichtige Anliegen unseres Antrags sind zudem dieTransparenz staatlichen Handelns ebenso wie der Zu-gang zu und die Nutzung von Daten der Verwaltung. Wirverdeutlichen deshalb nochmals das Ziel der Offenle-gung von Verwaltungsdaten, und zwar nicht auf Antrag,sondern proaktiv in einheitlichen, maschinenlesbarenFormaten und unter freien Lizenzen. Herr Krings, Sie ha-ben es zwar nicht angemerkt, es ist dennoch zu begrüßen:Die Regierung wird bis Anfang 2017, wenn ich es richtigsehe, ein solches Open-Data-Gesetz vorlegen.
Wir freuen uns darauf.Auch in der öffentlichen Verwaltung ist der digitaleWandel ein Kulturwandel – auch das wurde schon ge-sagt –, sowohl im Umgang mit Bürgerinnen und Bürgernals auch in der Art, wie Behörden und Verwaltungsmit-arbeiter zusammenarbeiten. Es ist dabei unerlässlich, dasFachwissen und die Erfahrungen, aber auch die Bedürf-nisse von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von vornhe-rein in die Entwicklung von Organisationen, aber auchvon Verfahren einzubeziehen. Zudem müssen digitaleKompetenzen, die technische und rechtliche Grundlagenebenso wie Medienkompetenz, aber auch offene digitaleArbeitsformen umfassen, endlich Einzug halten in dieAus- und Weiterbildung von Verwaltungsfachleuten.Vom digitalen Staat, meine Damen und Herren, sindwir noch meilenweit entfernt. Mit dem vorliegendenAntrag fordern wir die Bundesregierung auf, sich konse-quent und gemeinsam mit den Ländern und Kommunenauf den Weg zu machen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Ausspra-
che hat Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es sind biblische Zeiten in Deutschland,
zumindest was die Verwaltung angeht, nicht paradiesi-sche; verstehen Sie mich nicht falsch. Unvorstellbar ei-gentlich, dass Menschen für manche Anliegen in ihrenGeburtsort zurückkehren müssen.
Wenn ein Kind geboren wird, steht eine wahre Ochsen-tour bevor: am ersten Tag zum Standesamt, am zweitenTag zur Krankenkasse, am dritten Tag gegebenenfallszum Jugendamt, am vierten Tag zur Kindergeldkasse.Das ist in Deutschland Realität.In der freien Wirtschaft dagegen können wir Tag undNacht jede digitale Dienstleistung in Anspruch nehmen,nachts ein Paket bei Zalando oder Amazon bestellen,und am nächsten Tag wird geliefert. Kredite online bean-tragen und genehmigt bekommen – alles kein Problem.Aber alltägliche Dinge, die mit der Verwaltung zu klärensind, brauchen länger. Eine einfache Wohnungsummel-dung hier in Berlin nimmt zum Beispiel einen Monat Zeitin Anspruch. Muss das so sein? Wir sagen: Nein. Mit un-serem Antrag „Innovativer Staat“ ergänzen wir jetzt dierichtigen Schritte, die die Bundesregierung mit der Digi-talen Agenda bereits getan hat.Schön und gut, wenn man die Steuererklärung am hei-mischen Computer machen kann; aber wenn man sie amEnde doch wieder ausdrucken muss, damit sie auf demFinanzamt entsprechend bearbeitet werden kann – dortmuss alles händisch eingetragen werden –, ist das keinSchritt zur Verwaltungsmodernisierung oder -vereinfa-chung. Solche Medienbrüche kosten viel Zeit und Geld.Sie müssen in Zukunft schleunigst und rigoros abgebautwerden.Viele Behörden, viele Datengrundlagen, viele kompli-zierte Plattformen – das bedeutet auch viel Aufwand, fürdie Menschen ebenso wie für die Verwaltung. Mit derFlüchtlingskarte und dem dazugehörigen Kerndaten-system haben wir es geschafft, alle diese kompliziertenDatengrundlagen, Schnittstellen und Plattformen auf derkommunalen Ebene, auf der Länderebene und auf derBundesebene zu vereinheitlichen und miteinander zuverknüpfen. Ich denke, es ist richtig, dass wir diesen Wegkonsequent weitergehen, so wie es die Kolleginnen undKollegen bereits angesprochen haben.Warum sollte solch ein System nicht für alle Bürgerin-nen und Bürger in Deutschland nutzbar sein? Nach unse-rem Antrag sollen daher Bürgerkonten angelegt werden,die als zentrale Zugangspunkte für alle Anliegen an dieVerwaltung genutzt werden sollen. Ein Zugang für alleAnliegen bei allen staatlichen Stellen, alle Daten parat –wie einfach könnte es dann sein! Wir müssten die Tagenach der Geburt eines Kindes nicht auf verschiedenenÄmtern verbringen, sondern könnten bei der Familiesein.Den Menschen in unserem Land ist es egal, ob derVerwaltungsprozess, der hinter dem Anliegen steckt, di-gital ist, wer ihn bearbeitet. Für sie ist wichtig: Es musseinfach sein, schnell gehen und funktionieren. Das istauch unsere Leitschnur für die digitale Verwaltung, näm-lich nicht Digitalisieren um der Digitalisierung willen,nicht die alten Prozesse einfach digital machen, einfachin Computer einpflegen, sondern neue, der Technologieangepasste Prozesse entwickeln, die der Funktion folgen.Wenn man einen Führerschein digital beantragen kann,stellt sich natürlich die Frage, ob das noch vom Land-kreis vor Ort bearbeitet werden muss oder ob das zumBeispiel zentral in Flensburg bearbeitet werden kann. EsSaskia Esken
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sind solche Fragen, die wir stellen müssen. Wir müssendie Prozesse grundsätzlich hinterfragen.Meine Damen und Herren, unser Antrag bringt diedigitale Verwaltung voran. Wir brauchen – um das zu-sammenfassend noch einmal festzustellen – einfachereund leichter zugängliche Verfahren, am besten durchdie Schaffung eines über alle staatlichen Ebenen hinwegnutzbaren Bürgerkontos, gekoppelt mit der eID-Funktionunseres Personalausweises. Außerdem brauchen wir einemöglichst umfassende zentrale Steuerung des digitalenWandels, damit die vielen kleinen Könige entmachtetwerden, die den Fortschritt derzeit behindern und an al-ten Systemen festhalten. Da ist – das muss ich leider fest-stellen – der Föderalismus in unserer Ausprägung – beialler Herrlichkeit – eine große Hürde, die wir hier zu neh-men haben. Wir brauchen weiterhin eine stete Evaluationund Verbesserung in der Verwaltungsarbeit; denn das,was heute richtig ist, kann morgen schon überholt sein.Ich freue mich, dass wir hier sehr einhellig über diesesThema in erster Lesung beraten haben. Ich freue michauf die Ausschussberatung und denke, dass wir im Er-gebnis unseren Antrag so beschließen können, damit dieLeute künftig nicht immer wieder in ihre Geburtsstäd-te zurückkehren müssen, um ihre Geburt nachzuweisenoder Ähnliches. All das wollen wir künftig nicht mehr.Ich wünsche uns viel Erfolg bei den jetzigen Beratungen.
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-
mit schließe ich diese Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf
den Drucksachen 18/9788, 18/3074 und 18/9056
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/9056 – Ta-
gesordnungspunkt 7 c – soll federführend beim Innen-
ausschuss beraten werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze
einzunehmen, und rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris
Wagner, Elisabeth Scharfenberg, Christian Kühn
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Partizipation und Selbstbestimmung älterer
Menschen stärken
Drucksache 18/9797
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
Doris Wagner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie soviele Menschen in Deutschland gehöre ich der Generati-on der Babyboomer an, und wenn ich mich hier bei unsso umschaue, kann ich sagen: viele von Ihnen auch.
Wir Babyboomer sind jetzt so in den 50ern. Wir sindeigentlich noch jung, fangen aber auch schon an, unsGedanken darüber zu machen, wie wir im Alter lebenwollen. Viele von uns jungen Alten sind noch fit und ge-sund. Wir sind familiär oder gesellschaftlich engagiert.Vielleicht arbeiten wir über das Rentenalter hinaus wei-ter. Manche von uns haben eine Migrationsgeschichte,manche leben in Familien, andere alleine, in größerenGemeinschaften, in Ehen oder in gleichgeschlechtlichenPartnerschaften. Wir haben das Glück, dass das Alterheute so bunt und vielfältig ist wie noch nie zuvor. Dasmuss sich aber auch endlich in den Altersbildern in unse-ren Köpfen niederschlagen.Übermorgen, am 1. Oktober, ist der Internationale Tagder älteren Menschen, ein guter Anlass, um über die Fra-ge nachzudenken: Was brauchen wir eigentlich, um imAlter selbstbestimmt leben und uns weiterhin aktiv in dieGesellschaft einbringen zu können? Die Voraussetzungfür gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung istnatürlich eine solide finanzielle Absicherung. Deshalbmüssen wir die gesetzliche Rentenversicherung stabili-sieren und eine Garantierente einführen.
Aber bei Partizipation und Selbstbestimmung geht esnatürlich nicht nur um finanzielle Ressourcen. Es gehtauch um die Möglichkeit, die ganz individuellen Vorstel-lungen von einem guten Leben im Alter umzusetzen. Ichwünsche mir, so lange wie möglich in meiner eigenenWohnung zu bleiben. Wählen zu können, wo und wie ichwohne, ist Grundlage meiner Selbstbestimmung.
Damit ich aber in meinen eigenen vier Wänden altwerden kann, muss meine Wohnung barrierearm oder ambesten sogar barrierefrei sein. Ich brauche eine Wohnungohne Türschwellen, in der Dusche sollte es stabile Griffegeben, und ich wünsche mir einen ebenerdigen Zugangzu meiner Haustür. Zum guten Leben im Alter gehörtaber auch, dass ich mich in meinem vertrauten Viertelfortbewegen und in der Gemeinschaft einbringen kann.Ich möchte den Supermarkt und meine Hausärztin gut zuFuß erreichen können, ohne Stufen zu überwinden. Aufdem Weg zur Bushaltestelle gibt es eine Bank, auf der ichmich ausruhen kann, und ich wünsche mir Orte, an denenich meine Nachbarn treffen und mit ihnen in Austauschgehen kann.Natürlich möchte ich im Alter auch mal raus aus mei-nem Quartier. Dafür brauche ich ein gut ausgebautesNahverkehrsnetz mit Rampen, Rolltreppen und Aufzü-gen an allen Haltestellen und Bahnhöfen. Selbstverständ-lich müssen die Fahrkartenautomaten leicht für mich zubedienen sein.Marian Wendt
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Und schließlich: Wenn ich eines Tages auf pflegeri-sche Unterstützung angewiesen bin, soll das nicht übermeinen Kopf hinweg geschehen. Ich will selber entschei-den, wie und von wem ich gepflegt werde, und wenn ichdas nicht mehr kann, sollen meine Familie und meineFreunde Sprachrohr für mich sein.
Damit alle Menschen im Alter gut leben können,brauchen wir eine grüne politische Strategie des aktivenAlterns. Wir wollen altersgerechtes und barrierefreiesWohnen stärker als bisher fördern. Dazu muss das Pro-gramm „Altersgerecht Umbauen“ der Kreditanstalt fürWiederaufbau finanziell so ausgestattet werden, dass esdem tatsächlichen Bedarf entspricht.
Wir möchten zudem einen Bewegungsfreiheitsbonuseinführen, der den Abbau von Barrieren auch im Wohn-umfeld finanziell unterstützt.Mit unserem Programm „Lotsen-, Informations- undVernetzungsbüros – LIVE“ fördern wir das Quartier alsKeimzelle des Zusammenlebens.
Die LIVE-Büros informieren über altersgerechtes Woh-nen, Weiterbildungsangebote, Pflege und soziale Siche-rung sowie Engagementmöglichkeiten. Außerdem sinddie LIVE-Büros ein Begegnungsort, der aktive Partizi-pation älterer Menschen ermöglicht. Man kann dort überUmbaumaßnahmen im Viertel diskutieren oder gemein-same Lösungen für lokale andere Probleme finden. Undwir wollen das Nahverkehrsangebot in Städten und aufdem Land ausbauen und barrierefrei gestalten. So ermög-lichen wir es älteren Menschen, auch ohne eigenes Autoselbstbestimmt mobil zu sein. Wir wollen das Recht aufSelbstbestimmung auch denjenigen garantieren, die be-einträchtigt sind. Pflegebedürftige haben einen Anspruchauf individuelles Fallmanagement und ein Pflegebudget.Damit können sich die Pflegebedürftigen und ihre An-gehörigen ihre Leistungen nach individuellen Wünschenund Bedürfnissen zusammenstellen. Ganz wichtig: Die-jenigen, die uns pflegen, sollen für ihre anspruchsvolleArbeit angemessen entlohnt werden.
Wenn wir heute an den zentralen Stellschrauben dre-hen – altersgerechtes Wohnen, Partizipationsmöglichkei-ten im Quartier, barrierefreier ÖPNV und individuellepflegerische Unterstützung –, können wir im Alter selbst-bestimmt und aktiv leben. Dann werden wir Babyboomerund die Generationen nach uns glückliche Alte sein.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Heinz Wiese
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Seit 1990begehen wir am 1. Oktober den Internationalen Tag derälteren Menschen, den die UNO eingeführt hat.Im Oktober wird der siebte Altenbericht vorgelegt;es ist tatsächlich schon der siebte. Er wird im Kabinettberaten und den Titel „Sorge und Mitverantwortung inder Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähigerGemeinschaften“ haben. Mit diesem Bericht werden wiruns auch hier im Plenum zu gegebener Zeit befassen.Im Vorfeld der Debatte zum siebten Altenbericht gehtes heute um den Antrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen mit dem Titel „Partizipation und Selbstbestim-mung älterer Menschen stärken“. Bei der Lektüre diesesAntrages könnte man allerdings den Eindruck gewinnen,in den letzten Jahren hätte sich in der Seniorenpolitik desBundesministeriums nichts getan. Dem ist bei weitemnicht so. Wir wissen ganz genau, liebe Kolleginnen undKollegen, dass wir bereits im fünften Altenbericht „Po-tenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft – DerBeitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Gene-rationen“ die Potenziale älterer Menschen in den Fokusgenommen haben. Damals wurden in den Bereichen Er-werbsarbeit, Bildung, Einkommenslage, Seniorenwirt-schaft, Familie und private Netzwerke, Engagement undTeilhabe viele Potenziale untersucht und Handlungsemp-fehlungen gegeben. Viele dieser Handlungsempfehlun-gen sind mittlerweile umgesetzt. Ich nenne nur beispiel-haft das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie,Pflege und Beruf, die Weiterentwicklung des Programms„Mehrgenerationenhaus“ und den Ausbau des Bundes-freiwilligendienstes.
Solche gesellschaftspolitischen Meilensteine sind Teilder Erfolgsgeschichte unserer Großen Koalition.Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch heutebestimmt der Mensch im Alter selbstständig, welche Le-bensqualität er sich vorstellt. Ältere Menschen möchtenmöglichst lange selbstbestimmt und in vertrautem Um-feld leben. Wenn sie gegebenenfalls irgendwann hilfe-bedürftig werden, müssen entsprechende Maßnahmenergriffen werden. Verschiedene Maßnahmen und Pro-gramme sind bereits in die Wege geleitet. Die Kolleginhat das Programm der KfW erwähnt, und es gibt nochmehr. Ich meine, wir sind mittlerweile auf einem ganzguten Weg.Meine Damen und Herren, erst seit Anfang der80er-Jahre wird der Eintritt in die Rente auch als Eintrittin eine neue und interessante Lebensphase gesehen. Unddiese Lebensphase sollte auch noch neue Zukunftspers-pektiven eröffnen. Wenn man heute aus dem Berufsle-ben ausscheidet, hat man oft noch ein Viertel, manchmalsogar noch ein Drittel seines Lebens vor sich, und zwarhäufig – Gott sei Dank! – auch bei guter Gesundheit.Gleichwohl hat das Alter viele Gesichter. Es gibt aufder einen Seite Hilfebedürftige, auf der anderen Seiteaber auch viele, die genauso alt und hoch kompetent sind.Dieses Potenzialreservoir ist sehr wichtig und vielseitig.Doris Wagner
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Die Älteren haben einen Erfahrungsschatz, den wir nichtmissen wollen. Die Erfahrungen der Älteren gepaart mitdem Wagemut der Jüngeren – das ergibt eine gesundeMischung.
Noch nie waren ältere Menschen so fit wie heutzutage.Altern heißt mehr denn je: Pläne schmieden, umsetzen,gewonnene Lebensjahre nutzen und mit Leben und Sinnerfüllen. Wir brauchen daher ein neues Verständnis fürdas Leben im Alter, das rüstige Senioren genauso wie hil-febedürftige Menschen im Fokus hat. Beide Facetten ge-hören dazu, wenn man die Lebenswirklichkeit betrachtet.Ich bleibe dabei, meine Damen und Herren: Es wirdzunehmend wichtiger, dass wir die Potenziale des Altersnutzen. Ältere Menschen sollten noch bessere Perspek-tiven bekommen. Wir sollten sie wissen lassen, dass wirsie schätzen und brauchen.Aus diesem Grund hat sich die Koalition – zunächsteinmal haben wir in der Fraktion beraten; die Beratungenmit der Mittelstandsvereinigung haben etwas länger ge-dauert – auf die Flexirente geeinigt. Den Gesetzentwurfzur Flexirente haben wir heute Mittag in erster Lesungberaten. Meine Damen und Herren, ich muss sagen: Da-mit wird jetzt auch das erfüllt, was wir immer avisiert ha-ben, nämlich dass sich längeres Arbeiten lohnt, und zwarauch für den Arbeitnehmer. Das ist auch ein Schritt, umdie drohende Altersarmut zu bekämpfen.
Wer neben der Rente arbeitet, kann künftig seine spä-teren Rentenansprüche, seine Entgeltpunkte, aufbessern.Zudem lässt sich der Übergang von Arbeit in Ruhestandfließender und individueller gestalten. Die Flexirente istsomit ein Gewinn für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Sowird es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern inZukunft auch erleichtert, Teilzeitarbeit und Teilrentenbe-zug zu kombinieren. Anstatt sich ganz aus dem Arbeitsle-ben zu verabschieden, können Arbeitnehmer in Teilrenteweiterarbeiten und so in den Ruhestand ausgleiten.Alle Versicherten – auch das ist ein Riesenfortschritt –werden künftig gezielt darüber informiert, welche Gestal-tungsmöglichkeiten es für den Übergang vom Erwerbsle-ben in den Ruhestand gibt. Ich meine, diese Transparenzwar überfällig.Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dervon Ihnen vorgelegte Antrag enthält zwar einige guteAnsätze. Das reicht aber nicht. Und nur immer mehr zufordern, ist auch ein bisschen einfach. Alles, was wir for-dern und durchsetzen wollen, muss auch solide finanziertwerden. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank.
Als nächster Redner hat Jörn Wunderlich für die Frak-
tion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Partizipation und Selbstbestimmung älterer Menschenstärken“ – welch schöner Titel! Bekenntnisse zur Verbes-serung der Lebenssituation von Seniorinnen und Senio-ren erklingen insbesondere vor Wahlkämpfen häufig lautund vernehmbar. Danach sind sie kaum mehr zu hören.Zu Unrecht, sage ich. Denn Seniorenpolitik ist angesichtsder demografischen und auch sozialen Entwicklung un-serer Gesellschaft ein dringendes und wichtiges Thema.Als seniorenpolitischer Sprecher meiner Fraktionkonnte ich mich in vielen Gesprächen auf Bundes-, aberauch auf Landesebene und besonders in meinem Wahl-kreis davon überzeugen, wie sehr die Lebensbedingun-gen vor Ort in den Kommunen und Städten die Qualitätdes Lebens im Alter beeinflussen.Jetzt fordern die Grünen in ihrem Antrag erstens, al-tersfreundliche Kultur und intergenerationelle Solidari-tät zu fördern, zweitens, diskriminierende Altersgrenzenabzuschaffen, drittens, altersgerechtes und barrierefreiesWohnen stärker als bisher zu fördern, viertens, älterenMenschen selbstbestimmte Mobilität zu ermöglichen
– hör erst mal zu! –,
fünftens, es Pflegebedürftigen zu erleichtern, länger inden eigenen vier Wänden zu leben. Mit diesen inhaltli-chen Forderungen liegen die Grünen ja voll auf linkerLinie; das sind ja die Forderungen, die wir schon immerhatten. Schön, dass sich die Grünen nun dazu durchge-rungen haben, das auch mal zu dokumentieren. Denn inder vorletzten Legislaturperiode, zum Beispiel auf demDeutschen Seniorentag in Leipzig, gab es noch nichtsSchriftliches. Und auf der letzten Seniorenmesse in Mün-chen wurde die Tatsache, dass es keine Leitlinien gab,damit entschuldigt, dass die Senioren keine Wählergrup-pe der Grünen seien. Na ja, Schwamm drüber!Die jetzt dargelegten Forderungen sind ja ganz gut.Und es tut auch immer mal wieder not, die Bundesre-gierung auf die mangelnde Seniorenpolitik hinzuweisen;denn dort ist sie ja auch nicht so das Thema. Wenn mansich die Tagesordnungen der letzten Legislaturperiodenmal anschaut,
dann sieht man, dass nur zweimal richtige Seniorenthe-men Gegenstand der Debatten waren, nämlich – das istHeinz Wiese
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vorhin schon angesprochen worden – der fünfte und dersechste Altenbericht.
Ansonsten werden hier im Hause Senioren in aller Regelmit Rente, Pflege und Gesundheit abgetan,
wobei in Erklärungen immer wieder dargelegt wird, dassmehr Potenziale des Alters als Defizite vorhanden sind –Potenziale nutzen, wie es so schön heißt.Letztlich ist auch der Umgang mit dem siebten Alten-bericht Indiz dafür, wie Seniorenpolitik behandelt wird.Jetzt bin ich ja richtig gespannt; denn beim siebten Al-tenbericht lautet der Auftrag, das Thema „Sorge und Mit-verantwortung in der Kommune“ zu bearbeiten. Er liegtder Regierung seit Dezember 2015 vor, dem Parlamentallerdings immer noch nicht; eine Stellungnahme gibt esnoch nicht, wurde dem Parlament noch nicht zugeleitet.Immerhin – das wissen wir aus den Vorbemerkungen zudiesem Auftrag – geht es im siebten Altenbericht darum,dass Seniorenpolitik primär in den Kommunen stattfin-det. Aufgrund der Vielfalt und der mannigfaltigen Un-terschiede in Deutschland kann ich mir nicht vorstellen,dass es vom Bund eine Blaupause oder ein Muster, eineallgemeine Regelung für die Seniorenpolitik geben kann.Im Antrag der Grünen gibt es unter den Punkten 6und 7 den mutigen Vorstoß, Forschungsvorhaben zu un-terstützen und auf die Länder entsprechend einzuwirken,dass ältere Menschen mehr beteiligt werden. Doch wirbrauchen im Grunde keine weitere Forschung, wir brau-chen keine Sachverständigengutachten, wir brauchenkeine Kongresse.
Wir wissen doch, was zu machen ist. Wir müssen endlicheinmal anfangen.
Wenn ihr fordert, auf die Länder einzuwirken, dann mussich euch, liebe Grüne, daran erinnern: Ihr seid – wenn ichmich nicht verzählt habe – in elf Ländern an der Regie-rung beteiligt; in einem Land stellt ihr den Ministerprä-sidenten.
Ja warum macht ihr denn nichts in den Ländern,
zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen?
– Ja. – Ich habe hier ein Papier mit dem Titel „Ziele undMöglichkeiten kommunaler Seniorenpolitik“ aus Nord-rhein-Westfalen. Das ist so alt; es ist aus dem letztenJahrhundert. Da wird noch von einem Durchschnittsein-kommen in D-Mark gesprochen. Da sind eure Forderun-gen drin. Es ist vom Städte- und Gemeindebund Nord-rhein-Westfalen. Alles, was da steht, wurde bislang nichtgemacht.Die Seniorenpolitischen Leitlinien der Fraktion DieLinke, die seniorenpolitischen Standpunkte meiner Par-tei und der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag,die Forderungen der BAGSO und die Ergebnisse derBertelsmann-Stiftung – all das ist deckungsgleich mitdem, was ihr jetzt aufgeschrieben habt.
Fangt mit der Umsetzung eurer Forderungen an, unddann könnt ihr nächstes Jahr auch punkten.Aber eins muss ich noch im Zusammenhang mit denPotenzialen des Alters sagen: Wir müssen aufpassen,dass ehrenamtliches Engagement bei allem Respekt – dasmöchte ich an dieser Stelle betonen; ich möchte da nichtfalsch verstanden werden – nicht als Ausfallbürge fürangeblich nicht mehr finanzierbare staatliche Aufgabenherhalten muss und letztlich Seniorinnen und Seniorenfür den Ausgleich klammer kommunaler Kassen sorgensollen.
Aber warten wir es ab. Vielleicht können wir ja einenentsprechenden Antrag gemeinsam mit dem siebten Al-tenbericht beraten. So, wie es angekündigt worden ist,soll er im Oktober beraten werden; letzte Gerüchte besa-gen, dass es im November so weit ist. Schauen wir mal,ob es in diesem Jahr noch etwas wird. Ich bin da nichtsonderlich guter Hoffnung; aber die Hoffnung stirbt jabekanntlich zuletzt.Danke für die Aufmerksamkeit.
Petra Crone hat als nächste Rednerin für die SPD-Frak-
tion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich finde, es ist doch ganzwunderbar. Das, was sich die Menschheit schon immergewünscht hat, das haben wir erreicht: Wir werden im-mer älter. Das ist ein ganz tolles Geschenk, vor allem,weil wir dabei immer besser gebildet, gesünder und fit-ter sind. Aber Achtung: Das „Wir“ ist kein Einheitsbrei.Schauen wir zurück auf den sechsten Altenbericht, dersich mit Altersbildern beschäftigt hat. Das Fazit ist: DieÄlteren gibt es nicht. Diese Altersgruppe ist genausovielfältig wie alle anderen auch, mit sehr unterschiedli-Jörn Wunderlich
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chen Vorstellungen von Leben, Alltag, Familie und Frei-zeitgestaltung. Wie sollte es auch anders sein.
Doch für alle gilt: Mitmischen, dabei sein und aktiv sein,das hält fit, im Oberstübchen und auch sonst.Zwingen können und wollen wir niemanden, aberRahmenbedingungen können wir schaffen. Als Beispielnenne ich die Flexirente – sie ist eben angesprochen wor-den –, eine Grundsicherung im Alter, die auch Teilhabean Kultur beinhaltet, und die Förderung des freiwilligenEngagements. Dabei dürfen weder geringere Bildungnoch schlaffer Geldbeutel oder Altersgrenzen im Wegestehen. Die Altersgrenzen für Schöffen und Schiedsleutesind in meinen Augen überholt und gehören abgeschafft.Sie sind eindeutig diskriminierend.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rahmenbedingun-gen für Teilhabe zu schaffen, das kostet. Darum hat dieSPD-Bundestagsfraktion dafür gesorgt, dass die Kom-munen strukturell, politisch und vor allem finanziellgestärkt werden. Wir werden auch weiter dafür sorgen;denn die Kommunen müssen vor Ort geeignete Struk-turen aufbauen. Dabei muss es nach dem Motto gehen:Lieber weniger, aber dafür dauerhafte Programme an-stelle von Leuchttürmen, denen schnell das Licht wiederausgeht. Deshalb freue ich mich, dass beispielsweise dieMehrgenerationenhäuser jetzt eine feste Förderung be-kommen; denn da geht es um das Miteinander von Jungund Alt.
Ja, Kollege Wunderlich, auch ich bin gespannt auf densiebten Altenbericht; denn der beschäftigt sich mit derRolle der Kommunen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ichstimme Ihnen zu: Besonders das Quartiersmanagementund das Programm „Soziale Stadt“ verdienen Stärkung.
Dazu gehören Mehrgenerationenhäuser, und zwar ambesten flächendeckend. Mehr Seniorenbüros und Frei-willigenagenturen fördern das freiwillige Engagement.
Denn diese niederschwelligen Angebote können in denRegionen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen ein-gesetzt werden. Mir ist es dabei wichtig, den Akteurenvon heute nicht mit neuen Programmen das Wasser abzu-graben, sondern Bewährtes zu fördern und zu vernetzen.
Was mitten in Berlin passt, das hat bei mir im Sau-erland vielleicht keine Wirkung oder umgekehrt. Genauwie Sie in Ihrem Antrag schreiben: Die Mobilität in mei-ner ländlichen Region ist ein nicht zu unterschätzendesProblem. Der Bürgerbus, Seniorentaxis und Hol- undBringdienste sind in jedem Fall wichtige Instrumente.Denn: Wo es die nicht gibt, sind die älteren Menschenvon der selbstbestimmten Teilhabe ausgeschlossen. Siesehen: Wir sind gar nicht so weit voneinander entfernt.
Eines ist mir jedoch wichtig. Bei aller Freude überdie gesunden und fitten Alten: Es darf kein Hype ähn-lich dem Jugendwahn entstehen. Auf diese Weise wächstbekanntermaßen nur die Angst vor der Zeit, in der Un-terstützung, Hilfe und Pflege gebraucht werden. DieseThemen dürfen keine Tabuthemen sein. Unterstützung,Hilfe, Pflege und eine Sterbe- und Abschiedskultur sindunentbehrlich für gute Altenarbeit.
Sie sprechen das Thema Pflege an, liebe Kolleginnenund Kollegen von den Bündnisgrünen. Sie haben absolutrecht: Wir brauchen ausreichend Personal, also mehr Per-sonal, um eine anspruchsvolle ambulante und stationärePflege gewährleisten zu können. Dafür muss der Alten-pflegeberuf dringend aufgewertet werden,
das heißt bessere Bezahlung, und zwar auch, weil es wie-der einmal die Frauen trifft, die diese kräftezehrende Ar-beit hauptsächlich erledigen.Alte und multimorbide Menschen kommen ins Kran-kenhaus und von dort zurück ins Seniorenheim. Deshalbsetze ich mich seit vielen Jahren für eine generalistischePflegeausbildung ein, für einen Zusammenschluss derdrei existierenden Ausbildungen in den Bereichen Al-tenpflege, Kinderkrankenpflege und Krankenpflege zueiner neuen, umfassenden und zukunftsfesten Berufs-ausbildung. Wir haben nun die Gelegenheit, diesen Ge-setzentwurf zu verabschieden. Dieses Gesetz wünschensich große Teile der Verbände und viele Pflegerinnen undPfleger. Glauben Sie mir; ich habe mit vielen gesprochen.Lassen Sie uns das gemeinsam machen, liebe Kollegin-nen und Kollegen. Und damit – hören Sie mir bitte gutzu – meine ich alle in diesem Hohen Haus: Die einensollen sich einen Ruck geben und die anderen aus denPuschen kommen. Pflegekräfte und diejenigen, die Pfle-ge benötigen, werden davon profitieren.Ich danke Ihnen.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat AstridTimmermann-Fechter für die CDU/CSU-Fraktion dasWort.
Petra Crone
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Herbert N. ist 65 Jahre alt und gehtwöchentlich in ein Altersheim. Dort spielt er mit den Be-wohnern Schach und liest Geschichten vor. Er engagiertsich, weil er das Gefühl hat, dort gebraucht zu werden. –Sandra M., 70 Jahre alt, ist Mitglied im städtischen Seni-orenbeirat. Mit großem Engagement setzt sie sich für diebesonderen Interessen und Belange der Seniorinnen undSenioren in ihrer Stadt ein. – Gisela S., 85 Jahre, ist eineleidenschaftliche Kulturliebhaberin. Jeden Montag fährtsie zusammen mit einer Seniorengruppe aus ihrem Stadt-teil mit der U-Bahn in die Innenstadt. Dort besuchen sieTheatervorstellungen, die Oper oder auch Museen. Kul-tur war schon immer ein wichtiger Bestandteil in ihremLeben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese fiktiven, aberrealitätsnahen Beispiele zeigen, dass Partizipation vieleGesichter hat. Sie findet unter anderem im ehrenamtli-chen und politischen Engagement oder auch in der Teil-habe am gesellschaftlichen Leben statt. Dabei wünschtsich die Mehrheit der Seniorinnen und Senioren, einselbstbestimmtes Leben im Alter zu führen und am ge-sellschaftlichen Leben teilzuhaben.Vor dem Hintergrund des demografischen Wandelsstehen wir jedoch vor neuen Herausforderungen. Immermehr Menschen erreichen bei guter körperlicher und geis-tiger Gesundheit ein höheres Lebensalter. Zugleich steigtder Anteil der Menschen, die hilfe- und pflegebedürftigsind. Wir stehen vor der Aufgabe, die Bedingungen zuerhalten, aber auch zu schaffen, die Partizipation und einselbstbestimmtes Leben älterer Menschen ermöglichen.
Hierzu zählen insbesondere ein altersgerechtes undbarrierearmes Wohnumfeld, Mobilität, Erreichbarkeitvon Sport- und Freizeitmöglichkeiten und kulturellenEinrichtungen, soziale Dienstleistungen, Prävention undPflege. Darüber hinaus wollen wir die aktive Teilhabe imSinne von Mitgestaltung und Engagement ermöglichenund fördern. An diesen Herausforderungen arbeiten wir;denn es ist ein zentrales Ziel unserer Seniorenpolitik,ältere Menschen dabei zu unterstützen, auch im hohenAlter selbstbestimmt leben zu können und an der Gesell-schaft teilzuhaben.Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenbeinhaltet Forderungen, die bereits Bestandteil derHandlungsagenda unserer Bundesregierung sind. Bei-spielsweise wird gefordert, „eine Strategie des ‚aktivenAlterns’, die Selbstbestimmung, Teilhabe und Partizipa-tion älterer Menschen in allen Lebensbereichen ermög-licht“, zu entwickeln. Diese Ziele werden bereits seit2012 mit der Demografiestrategie der Bundesregierungverfolgt. In diesem Zusammenhang wurde die Arbeits-gruppe „Selbstbestimmtes Leben im Alter“ eingesetzt,die ein strategisches Konzept erarbeitet hat. Dieses ver-bindet Dimensionen des aktiven Alterns mit dem Bedarfan Unterstützungs- und Gesundheits- oder Pflegeleistun-gen.Darüber hinaus fordern Sie mit Ihrem Antrag dieBundesregierung auf, ein Förderprogramm für „Lotsen-,Informations- und Vernetzungsbüros“ aufzulegen, dieunter anderem über altersgerechtes Wohnen und Wei-terbildungsangebote informieren sollen. Eine ähnlicheZielstellung hat neben dem Städtebauförderprogramm„Soziale Stadt“ das 2013 initiierte Bundesprogramm„Anlaufstellen für ältere Menschen“. Bundesweit wur-den über 300 Projekte ausgewählt, die das selbstständigeWohnen und Leben im Alter fördern.Ein Großteil Ihrer Forderungen betrifft das alters-gerechte und barrierefreie Wohnen. In diesem Zusam-menhang existieren, wie auch in Ihrem Antrag erwähnt,bereits wichtige und bewährte Maßnahmen und Bun-desprogramme. Mit dem Bundesprogramm „Altersge-recht Umbauen“ werden barrierereduzierende Baumaß-nahmen unterstützt. Daneben fördert das Modellprojekt„Gemeinschaftlich wohnen, selbstbestimmt leben“ inno-vative gemeinschaftliche Wohnprojekte.Sie fordern jedoch in Ihrem Antrag insbesondere einestärkere finanzielle Förderung. Der Anteil an Bundes-mitteln soll für das eben genannte Programm „Altersge-recht Umbauen“ aufgestockt werden. Es sollen verstärktFinanzierungszuschüsse gegenüber Zinsverbilligungenangeboten werden. Über einen höheren Zuschuss odereinen niedrigeren Zinssatz sollen die Kombinationsmög-lichkeiten mit der energetischen Gebäudemodernisierungweiter ausgebaut und attraktiver gemacht werden, unddurch eine finanzielle Förderung eines Bewegungsfrei-heitsbonus soll der Abbau von Barrieren im Wohnumfeldgefördert werden.Wenn ich mir nun diesen Forderungskatalog genaueranschaue, insbesondere die Wünsche an die Länder – Siestehen in vielen Landesregierungen in Verantwortungund können dort auch selbst Gespräche führen –,
wird für mich an dieser Stelle nicht deutlich, wie Sie die-se Maßnahmen denn finanzieren wollen. Diesbezüglichwerden von Ihnen keine Vorschläge eingebracht, undeinen Antrag, in dem die Belastung für den Bundeshaus-halt im Unklaren bleibt, können wir an dieser Stelle nurablehnen.
Darüber hinaus betreffen viele Forderungen Ihres An-trags insbesondere die Kommunen. Wie Sie sicherlichwissen und wie wir jetzt hier auch schon mehrfach gehörthaben, warten wir ja mit Spannung auf die Veröffentli-chung des von der Bundesregierung in Auftrag gegebe-nen siebten Altenberichts mit dem Titel „Sorge und Mit-verantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherungzukunftsfähiger Gemeinschaften“. Insofern überraschtmich natürlich ein wenig der Zeitpunkt Ihres Antrages;denn für mich gehört zu einem geregelten Ablauf dazu,dass wir dem Ergebnis der Altenberichtskommissionnicht vorgreifen wollen.Das Thema „Partizipation und Teilhabe älterer Men-schen und die Stärkung des selbstbestimmten Lebens imAlter“ ist und bleibt für uns ein zentraler Aspekt der Seni-
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orenpolitik. Aber aus den vorgenannten Gründen lehnenwir heute den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ab.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin spricht Ursula Schulte für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren aufder Tribüne! Meine diesjährige Sommertour führte michin zahlreiche Pflegeeinrichtungen. Bei diesen Besuchenstand immer auch ein Gespräch mit dem Bewohnerbeiratauf der Tagesordnung. Mich hat dabei vor allem interes-siert, wie Menschen den Weg in die Einrichtung gefun-den haben. In den seltensten Fällen war das eine selbstbe-stimmte Entscheidung, aber da, wo sie ganz eigenständiggetroffen wurde, hat dies ganz wesentlich zum Selbstbe-wusstsein der älteren Menschen beigetragen.Das zeigt mir, dass wir uns früher und offener mit demAltern auseinandersetzen müssen; denn Menschen sindja nicht erst dann alt, wenn sie in die Pflegeeinrichtungeinziehen. Wenn wir uns mit dem Älterwerden beschäfti-gen, sollten wir uns folgende Fragen stellen: Wie stellenwir uns ein Leben im Alter eigentlich vor? Welche Al-tersbilder hat die Gesellschaft vor Augen?Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Arbeitsweltwurden ältere Menschen lange Zeit als weniger leistungs-fähig eingestuft. Manche Unternehmen betrachteten siegar als Belastung. Dieses Bild wandelt sich allmählich.Das Wissen und die Erfahrung älterer Menschen sind zueinem wertvollen Rohstoff geworden, der von den Unter-nehmen immer mehr wertgeschätzt wird. Wie wertvolldie Arbeit älterer Menschen ist, hat sich zuletzt nocheinmal deutlich in der Arbeit für Flüchtlinge gezeigt, seies beim Sprachunterricht, beim Gang zum Arzt oder zuden Behörden oder einfach bei der Essensausgabe, umnur einige Beispiele zu nennen. Viele haben durch dieseehrenamtliche Arbeit einen neuen Sinn für ihr Leben ge-funden: Sie fühlen sich bestätigt und sind stolz auf ihreLeistung. Das Gefühl, gebraucht zu werden und Teil die-ser Gesellschaft zu sein, das macht Leben im Alter aus,liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ehrenamtliches Engagement ist ohne ältere Menschenkaum vorstellbar, und ohne dieses Engagement ist un-sere Gesellschaft nicht vorstellbar. Da befinde ich michdurchaus im Widerspruch zu Ihnen, Herr Wunderlich.
Älter werden und fit bleiben, das wünschen wir uns alle.Aber auch wenn man sich ungern damit auseinandersetztund am liebsten nicht darüber spricht, nimmt die Wahr-scheinlichkeit, dass man krank, unterstützungs- oder pfle-gebedürftig wird, im Alter leider zu. Barrierefreies Woh-nen ist deshalb ein zentrales Thema. Der ältere Menschmöchte natürlich – das ist ganz selbstverständlich – inder vertrauten Umgebung bleiben. Das KfW-Programm„Altersgerecht Umbauen“ hilft dabei und erfreut sichgroßer Nachfrage. Das zuständige Bundesministeriumhat für das kommende Jahr eine Mittelerhöhung vorge-sehen. Darüber freue ich mich.
Denn ohne selber entscheiden zu können, wo man wohnt,ist selbstbestimmtes Leben kaum möglich.In der Kindheit und im Alter wird soziale Ungleich-heit am deutlichsten sichtbar. Kinder und alte Menschenkönnen an diesem Zustand nichts ändern. Die einensind zu jung, die anderen sind zu alt. In diesen beidenLebensphasen benötigen die Menschen Hilfe, Unterstüt-zung und die Solidarität der Gesellschaft.
Gerade bei pflegebedürftigen Menschen zeigt sich diesoziale Ungleichheit deutlich: Derjenige, der die finan-ziellen Möglichkeiten hat, kann bis zum Schluss zu Hau-se bleiben. Die anderen – das ist die Mehrheit – habennicht die Wahl und ziehen in eine stationäre Einrichtung.Bei meinen Besuchen habe ich Menschen getroffen, diesich dort durchaus zu Hause und gut betreut fühlen. Auchdas muss einmal gesagt werden; das gehört zur Wahrheitdazu.
Am Ende unserer Gespräche haben mir aber einigeBewohner ganz verschämt gesagt: Frau Schulte, mit den100 Euro Taschengeld komme ich nicht hin. Manchmalhabe ich kein Geld mehr für den Friseur, die Fußpflegeoder für die Körperlotion. Meine Kinder mag ich nichtum Geld bitten. – Diese Worte haben mich beschämt. Ichhabe versprochen, dass ich sie in diesem Hause wieder-hole. Damit löse ich heute mein Versprechen ein.
Von einem selbstbestimmten Leben kann bei einem Ta-schengeld von 100 Euro keine Rede mehr sein. Wir allehier im Haus könnten das gemeinsam ändern. Bitte den-ken Sie noch einmal darüber nach! Das wäre ein schönesGeschenk zum nächsten Tag der älteren Menschen.
In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen vonden Grünen, sprechen Sie davon, dass Frauen häufigervon Altersarmut betroffen sind als Männer. Das entsprichtder Wahrheit. Eine auskömmliche Rente – das wissenwir – gehört unabdingbar zu einem selbstbestimmten Le-ben. In meinem Wahlkreis beziehen Frauen eine durch-schnittliche Rente von 400 Euro. Verdient hätten sie vielmehr; denn sie haben oft mehrere Kinder großgezogenAstrid Timmermann-Fechter
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und Eltern und Schwiegereltern gepflegt. Für diese Frau-en war die Mütterrente ein Schritt zu etwas mehr Gerech-tigkeit, Selbstbestimmung und Eigenständigkeit.
Ich bin auch froh, dass es die Grundsicherung im Altergibt, und erkläre den Frauen immer wieder, dass sie einenAnspruch darauf haben und keine Bittsteller sind.Die Zeit des Älterwerdens, des Altseins kann für vielewirklich schön und bereichernd sein. Man unterliegt kei-nen Zwängen. Man muss nicht mehr für Kinder sorgen.Man kann eigentlich tun und lassen, was man will. Manist frei. Allerdings müssen wir den Blick der Gesellschaftauf die älteren Menschen ändern. Ältere Männer werdenimmer noch wesentlich positiver betrachtet als ältereFrauen. Wenn wir von Geschlechtergerechtigkeit spre-chen, dürfen wir daher nicht immer nur an die Belangejüngerer Frauen denken.„Altwerden ist nichts für Feiglinge“, hat JoachimFuchsberger gesagt – ein wahres Wort. Auch das habeich bei meinen Besuchen gelernt. Altsein ist immer aucheine Zeit des Abschiednehmens, manchmal sogar Ab-schied von der Selbstbestimmung. Aber auch das kannman schaffen, selbstbestimmt und in Würde. Es ist un-sere Aufgabe, die entsprechenden Rahmenbedingungendafür zu schaffen.Wir werden heute den Antrag der Grünen ablehnen,obwohl ich mir sicher bin, dass sich einige Ihrer Anre-gungen irgendwo wiederfinden werden.
Sie sollten vielleicht einen Blick in die Kommunen undKreise werfen. Vieles von dem, was Sie fordern, ist dortschon passiert.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Schulte. – Einen schönen
Nachmittag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der letzte
Redner in der Debatte: der sehr geschätzte
– der beste nicht, sondern der geschätzte – Paul Lehrieder.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Auch ich darf Ihnen ei-nen schönen Nachmittag wünschen; ich bin froh, dass Sieda sind. – Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! 52,6 Jah-re – das ist das Durchschnittsalter der Abgeordneten desDeutschen Bundestages in der 18. Wahlperiode.
Zwar stellen die 50- bis 59-Jährigen die größte Gruppe,aber 46 Parlamentarier sind immerhin über 65. DieseKolleginnen und Kollegen sind selbstverständlich mitdem gleichen Engagement und Biss bei der Arbeit wiedie Jüngeren unter uns. Stimmt’s, Heinz?
Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutsch-land hat sich im letzten Jahrhundert fast verdoppelt. DieErhöhung der Lebenserwartung gehört zu den Errungen-schaften moderner Gesellschaften. Experten schätzen,dass im Jahr 2020 gut ein Drittel der Deutschen zur Ge-neration 65 plus gehören wird. Bis zum Jahr 2040 wirdsich die Zahl der über 80-Jährigen auf mehr als 8 Millio-nen verdoppeln. Diese Erfolgsgeschichte ist erst im Zugdes demografischen Wandels zum Gegenstand allgegen-wärtiger politischer und medialer Diskurse geworden.Deshalb, liebe Frau Kollegin Wagner, ist es Ihr An-trag, wie schon gesagt, durchaus wert, dass man ihnsich in Ruhe anschaut. Auch ich habe ihn natürlich sehrgründlich gelesen. Die Überschrift „Partizipation undSelbstbestimmung älterer Menschen stärken“ könnenwir, glaube ich, alle mittragen; das ist überhaupt keinThema. Das Altern hat sich verändert; das wissen wir.Die Menschen leben heute nicht nur deutlich länger, son-dern sie sind auch gesünder und länger agil. Gleichzeitigsteigt der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevöl-kerung kontinuierlich. Die Alterung ist also eine zentraleKomponente der demografischen Entwicklung Deutsch-lands; das ist Common Sense, und das haben wir alle aufdem Schirm.Wir werden Ihren Antrag – um das gleich vorwegzu-nehmen, damit Frau Dörner mich am Schluss nicht aus-schimpfen muss – natürlich nicht heute, aber in Zukunftablehnen.
Wir werden uns den Antrag im Ausschuss sehr gründlichdaraufhin anschauen, ob etwas Ordentliches, Vernünf-tiges und Sinnstiftendes darin enthalten ist. Ich will janicht unterstellen, dass nicht auch die Grünen eventuellgute Ideen zu den Potenzialen des Alters haben; das istkein Thema.
Die in vielen Köpfen vorherrschenden Altersbildersind keineswegs nur positiv; auch darauf wurde in dieserDebatte schon mehrfach hingewiesen. Oftmals wird dasAlter mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit gleichge-setzt. Natürlich gibt es ältere Menschen, die aus gesund-heitlichen Gründen nicht mehr aktiv am Leben teilneh-men können. Doch die Mehrzahl der Generation 65 plusist fit, steht mitten im Leben und fühlt sich noch langeUrsula Schulte
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nicht alt. Ganz im Gegenteil: Keine bisherige Generationälterer Menschen war besser qualifiziert und leistungsfä-higer als die heutige. Viele können und wollen deshalbüber das eigentliche Rentenalter hinaus noch arbeiten;Kollege Wiese hat bei der Debatte über die Flexirente,die wir heute früh in diesem Hohen Haus geführt haben,völlig zu Recht darauf hingewiesen.Es gibt aber auch Menschen, die nicht bis zur Regel-altersgrenze berufstätig bleiben können, selbst wenn siees wollten. Gerade weil die älteren Menschen in unseremLand keine homogene Gruppe darstellen, ist es wichtig,den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand indi-viduell gestalten zu können. Möglichkeiten hierzu schafftdas heute in erster Lesung beratene Flexi-Rentengesetz.Den Kolleginnen und Kollegen von den Grünenmöchte ich noch die Lektüre der weiterentwickelten De-mografiestrategie der Bundesregierung ans Herz legen.Darin gibt sie unter dem Titel „Für mehr Wohlstand undLebensqualität aller Generationen“ umfassende Antwor-ten auf die Bevölkerungsentwicklung und legt dar, wasbereits erreicht worden ist und wo weitere Anstrengun-gen unternommen werden müssen. So zeigt beispiels-weise das Handlungsfeld „Selbstbestimmtes Leben imAlter“ die vielfältigen Maßnahmen der Bundesregierungauf, damit Menschen bis ins hohe Alter aktiv am gesell-schaftlichen Leben teilnehmen können.Frau Kollegin Wagner, vergangene Woche haben wirim Ausschuss den Freiwilligensurvey 2014 beraten; wirhaben ihn uns dort vorstellen lassen. Da haben sicherlichauch Sie zur Kenntnis genommen: Im Jahr 1999 habensich immerhin 23 Prozent der über 65-Jährigen ehren-amtlich engagiert, im Jahr 2004 waren es 26,4 Prozentder über 65-Jährigen, im Jahr 2009 waren es 29,1 Prozentder über 65-Jährigen, und im Jahr 2014 waren es 34 Pro-zent der Menschen, die über 65 sind, die sich ehrenamt-lich und freiwillig in der Gesellschaft engagiert haben.Ich glaube, das ist eine tolle Zahl. Sie verdient einen Ap-plaus; dann habt ihr auch die Gelegenheit, zu klatschen.
Wenn Sie sich die Statistik zum Anteil der freiwilligEngagierten, aufgeteilt nach Fünf-Jahres-Altersgrenzen,anschauen, stellen Sie fest: Von den 50- bis 54-Jährigensind 46 Prozent freiwillig engagiert, von den 65- bis69-Jährigen 43,7 Prozent und von den 70- bis 74-Jäh-rigen 39,9 Prozent. Erst ab einem Alter von 75 Jahren,wenn die körperliche Leistungsfähigkeit verständlicher-weise etwas nachlässt, sind es nur noch 26 Prozent. Dasheißt, die Potenziale des Alters sind schon im Freiwil-ligensurvey unwahrscheinlich eindrucksvoll nachgewie-sen, meine Damen und Herren.Mit dem Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäu-ser trägt die Bundesregierung darüber hinaus – daraufwurde bereits hingewiesen – zur Entwicklung sorgenderGemeinschaften vor Ort bei. Die Parlamentarische Ge-schäftsführerin Michaela Noll – sie ist gerade hinausge-gangen – hat vorhin gestrahlt, weil sie heute die erfreuli-che Mitteilung bekommen hat, dass in ihrem Wahlkreisein neues Mehrgenerationenhaus geschaffen werdenkann. Ingrid Pahlmann strahlt jetzt noch, weil auch ihrWahlkreis ein neues Mehrgenerationenhaus bekommt.
Mein Wahlkreis bekommt leider keines, lieber Sönke.Ich werde mich bei der nächsten Runde wieder einmalmelden; vielleicht habe dann auch ich eine Chance.Frau Staatssekretärin, an diesem Programm müssenwir uns weiter entlanghangeln. Ich glaube, es ist ein Er-folgsprogramm. Wie der Name schon sagt, fördert einMehrgenerationenhaus den Zusammenhalt der Generati-onen. – Frau Präsidentin, Sie können den Schalter wiederausmachen. Ich habe gemerkt, dass Sie mich zum Endedrängen wollen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, freue michauf die Beratung Ihres Antrags im Ausschuss und wün-sche Ihnen noch einen schönen Abend.Danke schön.
Vielen Dank für den Hinweis auf die Betätigung derDruckknöpfe, Herr Lehrieder.
– Ja, freilich, das soll Sie auch nervös machen.Zur Erklärung: Wenn die Redezeit zu Ende ist und ichauf den Knopf drücke, sodass es bei Ihnen blinkt, dannsoll Sie das selbstverständlich nervös machen, lieberKollege Paul Lehrieder.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/9797 an den Ausschuss für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen. – Sie sindeinverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Möglicherweise gibt es jetzt einen Platzwechsel. –Dann bitte ich, ihn zu vollziehen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reformder strafrechtlichen VermögensabschöpfungDrucksache 18/9525Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
InnenausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre auchdazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe, nachdem dieinteressierten Kolleginnen und Kollegen nun Platz ge-Paul Lehrieder
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nommen haben, dem Parlamentarischen StaatssekretärChristian Lange das Wort.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Die strafrechtliche Vermögens-
abschöpfung ist ein wichtiger Baustein der Kriminali-
tätsbekämpfung. Straftaten dürfen sich nicht lohnen. Für
manche mag das schon abgedroschen klingen, und doch
ist der Satz uneingeschränkt richtig. Wir wollen deshalb
die Abschöpfung von Vermögen aus Straftaten mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf deutlich stärken. Deswegen
darf ich heute für die Bundesregierung diesen Gesetzent-
wurf einbringen.
Gleich zu Beginn möchte ich mich für die außerge-
wöhnlich gute und konstruktive Zusammenarbeit mit der
Justiz und der Polizei von Bund und Ländern bei diesem
Reformvorhaben bedanken. Vieles von dem, was aus die-
sem Kreis an uns herangetragen wurde, ist in unserem
Reformvorschlag berücksichtigt.
Unser Gesetzentwurf sieht eine vollständige Neufas-
sung des Rechts der Vermögensabschöpfung vor. Ich
will mich deshalb auf einige wesentliche Kernpunkte
beschränken:
Die Reform wird sowohl das staatsanwaltschaftliche
Ermittlungsverfahren als auch die gerichtliche Hauptver-
handlung spürbar erleichtern und vereinfachen.
Im materiellen Recht halte ich die gesetzliche Stär-
kung und Konkretisierung des sogenannten Bruttoprin-
zips für besonders wichtig. Im Kern geht es dabei um die
bislang strittige Frage, ob und – gegebenenfalls – in wel-
chem Umfang Aufwendungen des Täters berücksichtigt
werden sollen. Wir geben der Praxis nun eine klare Leit-
linie vor. Ihr liegt folgender Rechtsgedanke zugrunde:
Was in Verbotenes investiert wird, ist unwiederbringlich
verloren. Im Übrigen müssen Aufwendungen hingegen
berücksichtigt werden.
Wir gewährleisten damit eine umfassende Abschöp-
fung von Taterträgen. Zugleich verhindern wir, dass die
Vermögensabschöpfung in Teilbereichen Strafcharakter
erlangt. Wir sichern damit ihren Rechtscharakter als qua-
si-bereicherungsrechtliche Maßnahme.
Mag dies auf den ersten Blick vielleicht wie eine rein
akademische Frage wirken, so ist sie doch von immen-
ser Bedeutung; denn eine Veränderung ihrer Rechtsna-
tur würde das Recht der strafrechtlichen Vermögensab-
schöpfung in Gänze infrage stellen.
Von nicht minderer Bedeutung für die Strafrechtspra-
xis ist die grundlegende Reform der Opferentschädigung.
Das neue Modell gewährleistet eine gleichmäßige und
gerechte Entschädigung aller Verletzten. Zugleich entlas-
tet das Reformmodell Gerichte und Staatsanwaltschaften
im eigentlichen Strafverfahren von zeitaufwendigen Ent-
schädigungsfragen.
Wir schließen mit dem Gesetzentwurf aber vor al-
lem auch erhebliche Abschöpfungslücken. Ich will mich
aus Zeitgründen auf eine für unser Recht allerdings fast
schon revolutionäre Neuerung beschränken: Wir wollen
Polizei und Strafjustiz für den Bereich des Terrorismus
und der organisierten Kriminalität ein völlig neuartiges
Abschöpfungsinstrument an die Hand geben.
Künftig kann Vermögen unklarer Herkunft eingezogen
werden, ohne dass eine konkrete Straftat nachgewiesen
werden muss. Das Gericht muss lediglich davon über-
zeugt sein, dass der Vermögensgegenstand aus irgendei-
ner Straftat herrührt. Dabei ist Folgendes von besonderer
Bedeutung: Der Gesetzentwurf erlaubt dem Gericht aus-
drücklich, seine Überzeugung von der deliktischen Her-
kunft des Vermögens insbesondere auf ein grobes Miss-
verhältnis zwischen dem Wert des Gegenstandes und
den legalen Einkünften zu stützen. Liegt also ein solches
Missverhältnis vor, ist der Betroffene nach unserem Kon-
zept faktisch gezwungen, die legale Herkunft des Vermö-
gens darzulegen und im Zweifelsfall zu beweisen. Wir
setzen damit die Forderung des Koalitionsvertrages nach
einer verfassungskonformen Beweislastumkehr um.
Das deutsche Abschöpfungsrecht würde mit diesem
Instrument zu einem der schärfsten in Europa werden.
Zugleich markiert dies die Grenze des verfassungsrecht-
lich Zulässigen. Dies sollten diejenigen bedenken, die
gar eine weitergehende Beweiserleichterung und einen
Eingriff in den Grundsatz der freien Beweiswürdigung
für erwägenswert halten. Denn eines muss auch in die-
sem Zusammenhang klar sein: Kein noch so guter Zweck
kann im Rechtsstaat jedes Mittel heiligen.
Meine Damen und Herren, unsere Reformvorschläge
sind von hoher Bedeutung für die wirksame Kriminali-
tätsbekämpfung. Deshalb werbe ich gerne bei Ihnen für
Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf in den an-
stehenden Ausschussberatungen. Polizei und Strafjustiz
sollen baldmöglichst von den Erleichterungen profitieren
und mit dem neuen Abschöpfungsinstrument arbeiten
können.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Christian Lange. – Nächster Redner in
der Debatte: Jörn Wunderlich für die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Bei dem vorgelegten Entwurf eines Gesetzeszur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfunggeht es – vereinfacht – um die Frage, wie der vermögens-rechtliche Schaden aus einer Straftat dem Geschädigtenwieder zugeführt werden kann. In Fällen, in denen derBetroffene nicht ermittelt werden kann, soll der Vermö-Vizepräsidentin Claudia Roth
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gensvorteil aus der Straftat trotzdem nicht beim Täterverbleiben. Denn: Kriminalität soll sich nicht lohnen.
Das ist ein berechtigter und wirklich begrüßenswer-ter Ansatz. So sollen die Ansprüche der Geschädigtengrundsätzlich im Strafvollstreckungsverfahren befriedigtwerden. Das heißt, durch die Tat erlangte Gegenständeoder, soweit sie nicht mehr vorhanden sind, der entspre-chende Wert sollen im strafrechtlichen Urteil eingezogenund den Geschädigten zurückübertragen werden. DenGeschädigten wird somit, anders als bisher, der Weg überdie Zivilgerichte erspart. Das soll den Opferschutz stär-ken.Künftig soll Gewinnabschöpfung für jede Straftat inBetracht kommen. Es soll im Bereich der organisiertenKriminalität und des Terrorismus möglich sein – Sie ha-ben es gesagt, Herr Lange –, auch Vermögen unklarerHerkunft abzuschöpfen. Aber angesichts der Tatsache,dass es an einer belastbaren Datengrundlage im Hinblickauf die Geltendmachung von Entschädigungsansprü-chen durch Geschädigte fehlt, frage ich mich: Ist dasüberhaupt notwendig? Besteht hier ein Regelungsdefizitoder ein Vollstreckungsdefizit? Von daher sollten wir unswirklich die Zeit nehmen, diesen Gesetzentwurf gründ-lich zu beraten. In den mir zur Verfügung stehenden fünfMinuten Redezeit kann ich das heute nur knapp und an-satzweise anreißen.Erstens. So logisch es auf den ersten Blick erscheint,alle Straftaten in die Gewinnabschöpfung einzubeziehen,so sehe ich doch in der Praxis Schwierigkeiten. Ich den-ke nur an Beförderungserschleichung, Ladendiebstahl,an Kleinstkriminalität. Das ist eine andere Debatte. Abervielleicht sollten wir wirklich einmal überlegen, dasStGB zu entrümpeln und die Kleinstkriminalität als Ord-nungswidrigkeiten zu behandeln,
um nicht die Justiz über Gebühr zu belasten; denn dasschafft man personell einfach nicht mehr. Die Frage ist,ob es da nicht sinnvoll ist, bei der Vermögensabschöp-fung einen Straftatenkatalog für die Taten einzuführen,bei denen richtige Gewinne gemacht werden. Aber wirhaben ja noch die Beratung.Zweitens. Bei der Einziehung des Vermögens unklarerHerkunft ist die Frage: Kann das tatsächlich unabhängigvom Nachweis einer konkreten Straftat eingezogen wer-den? Herr Lange, Sie sprechen von „Abschöpfungslü-cken“, von Geldbeträgen, die – ich zitiere jetzt aus demGesetzentwurf – „allem Anschein nach aus Straftaten derorganisierten Kriminalität herrühren“. So ist es. Sie ma-chen auch eine Einschränkung, indem Sie einen Katalogvon Delikten anführen. Aber ich denke, hier müssen wirwirklich noch tiefer in die Materie gehen. Auch wenndas Bundesverfassungsgericht die Einziehung von Ver-mögenswerten nicht als originäre Strafe ansieht, findetdiese Einziehung jedoch in einem strafrechtlichen Er-mittlungsverfahren statt.Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatim Zusammenhang mit einer Entscheidung über Siche-rungsverwahrung deutlich gemacht, dass es eben nichtentscheidend ist, wie das nationale Recht eine Strafe dog-matisch einordnet. Wenn wir das berücksichtigen, kom-men wir hier vielleicht doch in Konflikte, was die Ein-ziehung von Vermögen unklarer Herkunft angeht. HerrLange, Sie haben gesagt: Hier sind wir an der Grenze derVerfassungsmäßigkeit. – Vielleicht sind wir auch schonleicht drüber; das müssen wir wirklich genau abcheckenund ganz gründlich diskutieren.Drittens. Bei der Erweiterung der Einziehung auf denErben habe ich auch so meine Probleme. Wenn der Tä-ter als solcher rechtskräftig festgestellt und im Urteil dieEinziehung angeordnet ist, dann stellt sich für mich dieFrage: Gehört dann das eingezogene Vermögen noch zurErbmasse? Ich denke mal, nein. Oder wenn das Erlangtenoch vor Schuldfeststellung vererbt wird, dann gibt eskeine Täterfeststellung mehr. Dann wird das Verfahrennach § 206a StPO eingestellt, weil der Täter ja gestorbenist; denn nur ein Toter kann etwas vererben. Oder ist da-mit der Fall gemeint, in dem der Täter vor Verkündigungdes Urteils seine Beute an einen Freund verschenkt, deres dann nach der Urteilsverkündung vererbt, sodass derunbeteiligte Erbe des Freundes mangels festgestelltenTäters den Vermögenseingriff erdulden muss? Artikel 14Grundgesetz schützt ja nun auch Erbe und Eigentum.Haben wir da vielleicht Probleme? Wir müssen darüberreden.Last, but not least stellt sich die Frage, was mit denzivilrechtlichen Ansprüchen geschieht – hier gibt es eineVermischung –, wenn bei der Streichung des § 73 Ab-satz 1 Satz 2 StPO die Subsidiarität des staatlichen Zu-griffs aufgehoben wird. Muss das Opfer möglicherweisebis zum rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens, alsomitunter Jahre, warten, um dann seine berechtigten An-sprüche bei der Staatsanwaltschaft geltend zu machen?
– Reden wir in den Beratungen darüber. – Hinzu kom-men die prozessualen Regelungen, diese Vermischungvon zivilprozessrechtlichen mit strafprozessrechtlichenSachen.Das ist kein leichtes Thema. Sie sehen die Vielzahl derFragen, die sich im Zusammenhang mit dem vorliegen-den Gesetzentwurf noch stellen. – Ich warte dauernd da-rauf, dass das Wort „Präsident“ auf meinem Rednerpultaufleuchtet.
Es müsste jetzt leuchten.
Ja, aber das ist falsch. Sie sind doch eine Präsidentin.
Gut, hier ist eine geschlechtergerechte Veränderungnotwendig.Jörn Wunderlich
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Ich komme zum Gesetzentwurf zurück. Es gilt noch
über eine Vielzahl von Fragen zu beraten. Ich freue mich
auf die Beratungen. Diese werden sicherlich intensiv
werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Jörn Wunderlich. Danke auch für den
Hinweis. Das werden wir natürlich klären. – Nächste
Rednerin: Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Crime does not pay. Auf Deutsch: Verbrechen darf sichnicht lohnen. So weit sind wir uns jedenfalls einig. Dasist ein Kernsatz eines jeden Rechtsstaats; das ist quasi einTeil der DNA auch in Deutschland. Das beschreibt denAnspruch, den die Gesetze schon heutzutage erheben.Deshalb werden Verbrecher verfolgt und bestraft, und dieBeute wird eingezogen. Alle drei Bereiche sind wichtig,vor allem dann, wenn es um die Bekämpfung der orga-nisierten Kriminalität geht. Wir dürfen hier nicht zu naivsein. Das Ausmaß der organisierten Kriminalität geradein Deutschland dürfen wir nicht unterschätzen. Gerade indieser Woche konnten wir wieder Berichte über Schlep-per lesen, die skrupellos und zynisch Menschen das Geldabnehmen. Es geht um Menschenhandel. Das war einSchwerpunkt unserer Arbeit vor der Sommerpause.Es geht des Weiteren um die Bekämpfung von Ein-bruchsbanden, deren Aktivitäten zugenommen haben,oder auch um die Mafia. Die italienische AbgeordneteLaura Garavini, die Mitglied des Antimafiaausschussesin Rom ist und einen Wohnsitz in Berlin hat, hat gesagt,dass die Mafia ihre Milliarden aus Drogen- und Waf-fenhandel sowie aus Erpressung dort investiert, wo dieBedingungen am günstigsten sind, die Profite am höchs-ten sind und das Risiko am kleinsten ist – und das istin Deutschland der Fall. Deutschland ist ein Rückzugs-raum zum Geldwaschen. Es geht hier um erheblicheVerbrechen, viel Leid und große Schäden. Hier müssenwir einen noch beherzteren Kampf führen. Dazu sind ef-fektivere Ermittlungsmaßnahmen notwendig. Laura Ga-ravini mahnte aufgrund der Erfahrungen in Italien mehrMöglichkeiten zur Kommunikationsüberwachung – al-lein aufgrund der Zugehörigkeit zu einem bestimmtenClan – an. Erforderlich sind zielgenaue Straftatbestände.Für solche haben wir in den vergangenen Wochen undMonaten schon bei Geldwäsche, Terrorismusfinanzie-rung und Menschenhandel gesorgt. Hinzu kommt dieFormulierung verschiedener Korruptionstatbestände.Wir brauchen als letztes Element effektive Möglich-keiten zur Abschöpfung von Gewinnen aus Straftaten. Al-len Straftaten, um die es hier geht, liegt nämlich das Mo-tiv zugrunde, Geld zu verdienen und Gewinn zu erzielen.Das Streben nach Profit ist die wichtigste Triebfeder dergrenzüberschreitenden organisierten Kriminalität ein-schließlich mafiaähnlicher, krimineller Organisationen.Das besagt die europäische Richtlinie, die wir mit die-sem Gesetz umsetzen. Das besagen auch unsere Gesetze.Aber der Blick in die Praxis zeigt, dass hier noch vielesbesser werden muss. Das sagt in aller Deutlichkeit auchdie Mafiaexpertin Garavini, nach deren Einschätzung dieMafia ihren Rückzugsraum in Deutschland sucht. DieZahlen des Bundeslagebildes Organisierte Kriminalitätbesagen, dass nur etwa in einem Viertel der Fälle Ver-fahren eröffnet werden, in denen Vermögen abgeschöpftwird. Es gibt Schätzungen, dass wir in Deutschland einillegales Vermögen von über 3 Milliarden Euro haben,und nur ein Bruchteil davon ist sichergestellt. Was sindhier die Gründe? Es gibt – sie wurden ja auch schon ge-nannt – unterschiedliche Gründe: Teilweise gibt es eineKonkurrenz zu Opferansprüchen, die natürlich vorgehensollen. Diese Ansprüche halten häufig ein Verfahren auf,werden zu oft dann aber nicht wirklich durchgesetzt. DesWeiteren gibt es Verschiebungen der Beute hin zu Ah-nungslosen oder auch kollusiv handelnden Dritten.Der wichtigste Grund, dass eine Vermögensabschöp-fung nicht erreicht werden kann, besteht darin, dass dievolle Beweislast dafür erbracht werden muss, dass eineBeute aus einer bestimmten kriminellen Tat resultiert.Dieser Beweis muss von der Staatsanwaltschaft erbrachtwerden. Er ist häufig nur sehr aufwendig zu führen. Inder Praxis führt das dazu, dass offenkundig gelogeneAusreden hingenommen werden müssen bzw. nicht wi-derlegt werden. Das kann so nicht stehen bleiben.Wer überführter Straftäter ist, hat eine andere Dar-legungs- und Beweislast. Er muss erklären, woher un-erklärliches Vermögen kommt. Das gilt zum Beispielfür jemanden, bei dem auf dem Dachboden Bargeld inEimern gefunden wird, der aber kein geregeltes legalesEinkommen hat. Wer zehn Rolex-Uhren hat, der kannsich nicht damit herausreden, dass er sie von seinem On-kel geschenkt bekommen hat, und dergleichen mehr.
Wir machen deshalb einen Vorschlag für eine deutli-che Erleichterung im Hinblick auf die Beweislast. Hiermüssen wir uns – weil wir uns dabei natürlich auch imSchutzbereich von Artikel 14 Grundgesetz bewegen –sehr genau anschauen, welche Voraussetzungen gegebensein müssen, welcher Grad von Verdacht bestehen mussund bei welchem Stand der Ermittlungen man zu einerBeweislastumkehr kommen kann. Das ist für einen Kata-log von sehr schweren Straftaten vorgesehen. Ich glaube,den müssen wir uns auch noch einmal anschauen. Dabeigeht es auch um die Frage: Gehören dazu nicht auch Zu-hälterei und Einbruchdiebstahl?Wichtig ist, dass wir eine Regelung hinbekommen,die in der Praxis klappt und natürlich auch den verfas-sungsmäßigen Anforderungen genügt. Wir müssen aberauch noch – ich glaube, der Hinweis des Richterbundesist wichtig – eines im Blick haben: Die Ressourcen beiPolizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten sind an dieserStelle sehr begrenzt. Deshalb muss man vielleicht dazuauch sagen, dass Behörden, die eigene Durchgriffsrechte
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haben, diese auch selber nutzen und ihre Probleme nichtbei der Staatsanwaltschaft abladen sollten.Weiter müssen wir überlegen, ob nicht eventuell,wenn es um aufwendige Ermittlungen geht, eine Priori-sierung schwerer Straftaten möglich ist. Wir werden alsogut daran tun, uns da auch weiterhin ganz eng mit derPraxis abzustimmen, damit wir eine gute Regelung hin-bekommen. In dem Sinne freue auch ich mich auf unsereBeratungen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Winkelmeier-Becker. – Nächs-
ter Redner für Bündnis 90/Die Grünen: Hans-Christian
Ströbele.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörer! Es handelt sich hier um eine etwas kom-
plizierte Materie. Über 100 Paragrafen sollen im Straf-
gesetzbuch, in der Strafprozessordnung sowie in vielen
anderen Gesetzen geändert werden. Es ist also nicht ganz
so einfach, wie es – auch vom Bundesjustizministerium –
dargestellt wird.
Der Minister selber hat in einem kürzlich der NJW –
das ist die Neue Juristische Wochenschrift – gegebenen
Interview erklärt, es gehe hier darum, Gerichte und
Staatsanwaltschaften spürbar zu entlasten. Genau das ist,
glaube ich, ein Ziel, das mit diesem Gesetzentwurf nicht
erreicht werden kann. Vielmehr werden vor allen Dingen
Gerichte, Staatsanwaltschaften und Rechtspfleger er-
heblich zusätzlich belastet. Das ist nicht nur meine Idee,
nicht nur ich lese das hier heraus. Dies kommt auch aus
den Ländern, zum Beispiel aus Niedersachsen.
Man muss sich doch einmal vorstellen: Es soll in der
Regel nach Straftaten etwas eingezogen werden, was aus
diesen erlangt wurde. Dabei geht es aber auch um Nut-
zungen, um Ersatz für aus der Tat Erlangtes, um Gegen-
stände aus der Tat, sogar um Wertersatz und – ich komme
gleich noch darauf – um selbstständige Einziehung dann,
wenn es einem Angeklagten überhaupt nicht zuzurech-
nen ist. Auch das kann dann eingezogen werden. Aber
wo bleibt das Ganze? Es geht – so steht es ausdrücklich
im Gesetz – erst einmal in das Eigentum des Staates über.
Dagegen kann man nichts haben. Ich kenne niemanden,
der der Meinung ist – auch wir sind nicht dieser Mei-
nung –, dass aus Straftaten erlangtes Vermögen, wenn
das ganz klar und konkret ist, bei den Straftätern ver-
bleiben soll. Natürlich nicht. Wir sind auch dafür, dass
die Opfer, die Geschädigten, wenn irgendwie möglich,
einfach an ihre Entschädigung kommen. Doch kommen
sie mit diesem Gesetz einfacher an die Entschädigung?
Heute kann man, wenn beispielsweise ein Einbruch
erfolgt und etwas weggekommen ist – wenn es vermö-
gende Leute sind –, sofort versuchen, zu klagen. Das
läuft dann parallel zum Strafverfahren. Möglicherweise
setzt die Zivilkammer das Verfahren aus; das kann sein.
Aber es gibt wenigstens diese Möglichkeit. Nach diesem
Gesetz ist es immer so, dass die Opfer, die Geschädigten,
abwarten müssen, bis das Urteil rechtskräftig geworden
ist. Wir wissen, dass gerade Wirtschaftsstrafverfahren,
aber auch Verfahren wegen Serieneinbrüchen jahrelang
dauern können, wenn die Beteiligten durch die Instanzen
gehen. Erst danach können die Leute versuchen, an ihr
Geld zu kommen.
Auch dann muss sich das Gericht damit beschäftigen,
wer wie viel verloren hat, wer um wie viel Geld geschä-
digt worden ist. Diese Arbeit bleibt bei den Gerichten.
Das heißt, sie müssen sich in jedem Verfahren, wenn sie
eine Einziehung anordnen, genau überlegen, was denn
nun konkret eingezogen wird. Das ist gerade dann der
Fall, wenn es nicht um einzelne Gegenstände wie ein ge-
klautes Auto geht, sondern um Vermögenswerte, die spä-
ter überhaupt erst entstanden sind, etwa aus dem Verkauf
oder aus Vererbung. Dann müssen die Gerichte prüfen,
ob dem tatsächlich so ist.
Die Staatsanwaltschaften verwalten dann diese 6 Mil-
liarden Euro. Herr Staatssekretär, wer verwaltet das Ver-
mögen denn, bis Geschädigte Anspruch anmelden oder
der Staat es verwertet? So liegen Milliardenwerte in der
Verfügungsgewalt des Staates. Damit muss umgegangen
werden, die Gelder müssen verwaltet werden. Deshalb
gehen die Länder davon aus, dass es einen erheblichen
Zusatz an Verwaltungsaufgaben geben wird. Sie machen
jetzt schon die Gegenrechnung auf und fragen, wie viel
bei ihnen aus der Verwertung der eingezogenen Gegen-
stände verbleibt. Da ist also noch vieles zu klären.
Sie haben das Beispiel genannt, dass eine selbststän-
dige Einziehung erfolgen kann, wenn zum Beispiel ein
grobes Missverhältnis zwischen Wert und regelmäßigem
Einkommen besteht. So steht es im Gesetz. Das ist auch
dann der Fall, wenn es gar keinen Angeklagten, keinen
strafrechtlich Verantwortlichen gibt. Sie nennen als Bei-
spiel dafür – Sie haben das auf eine ganze Reihe von
Straftaten beschränkt – den Terrorismus, verschweigen
aber, dass es noch 30, 40 weitere Straftatbestände aus an-
deren Gesetzen gibt, zum Beispiel aus dem Asylverfah-
rensgesetz oder dem Betäubungsmittelgesetz. Auch bei
diesen wollen Sie das anwenden. Deshalb kann ich hier
nur zum Abschluss sagen: Wir müssen uns ganz genau
überlegen und evaluieren – wir müssen uns möglicher-
weise von den Ländern Zahlen geben lassen –, in wel-
chem Umfang welche Arbeit auf die Strafverfolgungsbe-
hörden zukommt. Ist es wirklich eine Erleichterung für
die Opfer, oder muss man nicht mindestens noch andere
Wege freihalten?
Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele. – Der nächsteRedner: Dr. Johannes Fechner für die SPD.
Elisabeth Winkelmeier-Becker
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen auf den Tribünen!
In den letzten Tagen waren Zitate in den Zeitungen zu
lesen wie etwa: „Die Mafia zieht es nach Deutschland“,
„Die Mafia findet in Deutschland günstige Bedingungen
für illegale Geschäfte“ oder „Deutschland ist ein Eldora-
do für Mafiosi“. Wenn man sich vor Augen hält, dass nach
seriösen Schätzungen in Deutschland pro Jahr 100 Mil-
liarden Euro gewaschen werden und dass es leider auch
bei uns Milliardengewinne durch Menschenhandel gibt,
dann müssen wir das bekämpfen.
Die in Berlin lebende und schon genannte italienische
Abgeordnete und Antimafiaaktivistin, Frau Garavini,
nennt als eines der wirksamsten Mittel im Kampf gegen
die organisierte Kriminalität und die Mafia, die Gewinne
der Straftäter abzuschöpfen. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, genau hier setzen wir mit diesem Gesetz an. Wir
sorgen dafür, dass die Gewinne aus Straftaten endlich
leichter eingezogen werden können. Das ist eine überfäl-
lige Maßnahme. Deshalb ist dies ein gutes Gesetz. Auch
ich möchte sagen: Verbrechen darf sich nicht lohnen.
Oft waren nach der bisherigen Rechtslage Vermögens-
abschöpfungen nicht möglich. Das Verfahren war sehr
kompliziert, vor allem, weil oft schon im Strafprozess
schwierige zivilrechtliche Fragen zu debattieren waren,
weshalb die Gerichte von der Vermögensabschöpfung oft
abgesehen haben. Das führte leider dazu, dass Straftäter
möglicherweise verurteilt wurden, aber eben die Beute
nicht eingezogen werden konnte. Im schlimmsten Fall
stand dieses Geld dann wieder quasi als Investitionska-
pital für zukünftige Straftaten zur Verfügung. Genau das
müssen wir ändern.
Mit diesem Gesetz wollen wir das Verfahren der Ver-
mögensabschöpfung, wie gesagt, vereinfachen. Die Op-
fer müssen nicht mehr vor einem Zivilgericht einen eige-
nen Titel erstreiten und dann mit ungewissen Aussichten
die Zwangsvollstreckung selber betreiben, sondern dies
kann über das Strafverfahren geschehen. Die Vermö-
gensabschöpfung wird dabei zum Regelfall. Wenn sich
der Strafprozess in die Länge zieht, kann das Verfahren
auch abgetrennt werden.
Die Abschöpfung kann auch nachgeholt werden.
Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche: Ich möchte
Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung
zulassen.
Ja.
Dann Frau Keul, bitte.
Vielen Dank für die Zulassung der Frage. – Dass wir
alle wollen, dass sich Straftaten nicht lohnen, ist, glau-
be ich, klar. Das haben wir hier auch mehrfach gehört.
Aber was sagen Sie denn zu den Darlegungen des Kol-
legen Ströbele, dass die Betroffenen im Prinzip dadurch
schlechtergestellt sind, dass man ihnen die Möglichkeit
nimmt, während des laufenden Strafverfahrens zivil-
rechtlich ihre Ansprüche einzuklagen?
Das scheint mir doch ein erheblicher Nachteil zu sein;
denn das stellt sie ja mehr oder weniger rechtlos für die
Dauer des Verfahrens. Was sagen Sie dazu?
Ich sehe die Grundlage für die Annahme von Herrn
Ströbele nicht. Ich glaube, dass er da fehlgeht. Wir wol-
len diese Einschränkung nicht. Wir werden uns das im
Verfahren genau anschauen. Wenn Sie der Meinung sind,
dass wir hier Dinge klarzustellen haben, dann werden wir
uns gern damit beschäftigen.
– Bitte schön.
Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie auch Herrn
Ströbele fragen lassen?
Na logo.
Gut. – „Na logo“ ist das gar nicht.
Doch, er ist freundlich. Er darf fragen.
Danke, Herr Kollege Fechner. – Es gibt heute schoneinen entsprechenden Paragrafen. § 73 StGB ist dieGrundlage. Nur heißt es da nicht „Einziehung“, sondern„Verfall“. Aber in § 73 Absatz 1 Satz 2 wird ausdrücklichgeregelt, dass dieses Verfallsverfahren, wenn das Opferbzw. der Geschädigte einen Anspruch hat, nicht eintritt.Warum streichen Sie das jetzt?
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Genau deswegen, Herr Ströbele. Ich glaube, wir haben
jetzt ein Interpretationsproblem. Wir wollen doch genau
Ihrem Anliegen nachkommen,
dass diese Situation nicht eintritt. – Ich freue mich auf
das Verfahren und auf die Beratungen mit Ihnen.
So, weiter geht’s.
Weiter geht’s, genau. – Wichtig ist auch – das ist schon
angesprochen worden – die Regelung für die unklaren
Herkünfte. Wenn also beispielsweise bei einer Grenz-
kontrolle eine Person erwischt wird, die einen hohen Bar-
geldbetrag bei sich hat, und das Gericht zu dem Ergebnis
kommt, dass sämtliche Umstände keinen anderen Schluss
zulassen, als dass dieses Geld durch eine Straftat erlangt
worden ist, dann kann dieses Geld zukünftig eingezogen
werden, auch wenn nicht genau festgestellt werden kann,
durch welche Straftat der Täter dies erlangt hat.
– Doch, Herr Ströbele. Lesen Sie es nach. Das steht aus-
drücklich so im Gesetzentwurf. – Das ist verfassungs-
rechtlich sicher. Das Gericht darf nicht ins Blaue hinein
vorgehen, sondern das Geld nur dann einziehen lassen,
wenn festgestellt wird, dass eine Straftat Grund für den
Vermögenszuwachs ist.
Ich will den zweiten wichtigen Aspekt dieses Gesetz-
entwurfs ansprechen: die Opferentschädigung. Ich glau-
be, dass wir hier wirklich einen Meilenstein für die Op-
ferentschädigung schaffen, allein schon deshalb, weil wir
das Windhundprinzip, das es bisher gibt, aufheben. Jetzt
bekommen wir eine gerechte Verteilung der Beträge, die
noch da sind. Diese Beträge werden aus meiner Sicht –
davon gehe ich aus – höher sein, weil wir zu mehr Ver-
mögensabschöpfungen kommen werden. Das heißt, für
die Opfer steht mehr Geld zur Verfügung.
Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir
mit diesem Gesetz viel für die Opfer tun. Wir vereinfa-
chen die Opferentschädigung. Wir ermöglichen die Ab-
schöpfung von Gewinnen aus Steuerbetrug, Geldwäsche
oder Menschenhandel, und wir verhindern damit, dass
die Täter ihre durch Straftaten erlangten Gewinne behal-
ten können. Stimmen wir also diesem Gesetz zu, helfen
wir den Opfern, verbessern wir die Entschädigung, und
lassen wir nicht zu, dass sich Verbrechen lohnt!
Vielen Dank.
Vielen Dank, Dr. Fechner. – Der nächste Redner in der
Debatte: Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-ten Damen und Herren! Als Gesetzgeber haben wir dieVerpflichtung, Menschen effektiv vor Kriminalität undVerbrechen zu schützen. Staatstheoretisch ist das eineunserer vornehmsten Aufgaben, weil wir damit den Ge-sellschaftsvertrag im Sinne von Thomas Hobbes erfüllen,nämlich den Menschen ihre Sicherheit, ihr Leben, ihr Ei-gentum zu garantieren. Unter dieser Prämisse unterwer-fen sich die Menschen der Staatsmacht. Daraus speistsich letztlich auch ein Stück weit die Legitimation einesstaatlichen Gebildes. Deswegen ist es so wichtig, dasswir die Strafverfolgung effektiv gewährleisten. Dazu ge-hören im Kern drei Punkte:Zum Ersten brauchen wir einen wirksamen rechtli-chen Regelungsrahmen. Insbesondere die Strafgesetzemüssen so ausgestaltet sein, dass Kriminalität nachhaltigbekämpft werden kann.Zum Zweiten gehört dazu, dass die Polizei, die Staats-anwaltschaften und die Gerichte ausreichende Befugnis-se haben. Natürlich müssen sie auch personell entspre-chend ausgestattet sein, um ihren Aufgaben nachkommenzu können.Zum Dritten – hier schließt sich der Kreis zum Gesetz-entwurf, den wir heute miteinander diskutieren – müssenwir die Folgen von Straftaten in den Blick nehmen. Hierspielt die Vermögensabschöpfung eine wirklich zentraleRolle für die effektive Strafverfolgung; denn nur dann,wenn Vermögenswerte aus strafbaren Handlungen demTäter schnell, wirksam und umfassend wieder entzogenwerden können, schwindet der Anreiz für die Begehungder Tat und entfällt der finanzielle Boden dafür, in Zu-kunft Straftaten zu begehen.Das ist gerade im Bereich der organisierten Krimi-nalität und im Bereich der Terrorismusbekämpfung einganz fundamentaler Satz. Weil das so ist und weil dieVermögensabschöpfung in der Praxis momentan nichtgut funktioniert – sie ist kompliziert, sie ist fehleranfäl-lig und weist Lücken auf; das ist ein in höchstem Maßeunbefriedigender Rechtszustand –, haben wir als Unionuns dieses Themas angenommen und gesagt: Das mussin den Koalitionsvertrag; das muss reformiert, das mussverbessert werden. – Insofern ist es gut, dass wir jetzteinen Gesetzentwurf haben, über den wir diskutierenkönnen.
Ich möchte gern kurz auf den Kollegen Ströbele ein-gehen. Es schien mir, Herr Kollege, als hätten Sie dasGesetz in einem Punkt nicht richtig verstanden. Sie ha-ben zu Recht auf § 73 Absatz 1 Satz 2 StGB hingewiesen.Darin ist festgelegt: Wenn ein Opfer vermögensrechtli-che Ansprüche, zivilrechtliche Ansprüche aus einerStraftat gegen den Täter hat, dann kommt es hier nicht
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zu einer Rückgewinnungshilfe, dann kann der Staat nichteingreifen, dem Opfer nicht zur Seite stehen. Man hatdiese Vorschrift deswegen „Totengräber des Verfalls“ ge-nannt. In allen Fällen, in denen es um Betrug, Untreueund Diebstahl geht, also im gesamten Bereich der Ver-mögenskriminalität, ist es so, dass man als Opfer einenzivilrechtlichen Anspruch gegen den Täter hat. Insoferngreift diese Vorschrift immer. Man muss immer den Zi-vilrechtsweg beschreiten; der Staat steht einem nicht zurSeite.Das wollen wir ändern. Diese Vorschrift wird ersatz-los gestrichen, sodass die Folge ist: Wir haben ein Ent-schädigungsverfahren, also ein staatliches Verfahren;das hat der Kollege Fechner schon dargestellt. Im straf-rechtlichen Verfahren, im Strafvollstreckungsverfahrenbekommt man Hilfe vom Staat. Gleichzeitig – insofernist es keine Verschlechterung – hat man die Möglichkeit,seine Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg durchzusetzen.Man kann also in Zukunft zweigleisig vorgehen, und dasist eine wirkliche Verbesserung für das Opfer. Deswegenist es gut, dass wir das so machen.
Das Gesetz enthält viele Punkte; ich könnte viel dazusagen. Ich möchte aber auf einen Punkt eingehen, derhier schon angesprochen worden ist, und zwar auf dasVermögen unklarer Herkunft, eines der Kernelementedieses Gesetzes. Heute ist es so: Wenn im Rahmen einesErmittlungsverfahrens Vermögenswerte festgestellt wer-den, bei denen klar ist, dass sie aus rechtswidrigen Tatenstammen müssen, man das dem Betroffenen aber nichtnachweisen kann, ihn entsprechend auch nicht verurtei-len kann, dann hat man keine Chance, an diese Vermö-genswerte heranzukommen. Das gilt selbst in den Fällen,in denen völlig klar ist, dass die Vermögenswerte nichtim Eigentum des Betroffenen stehen können. Das ist eineim höchsten Maße unbefriedigende Rechtslage, und dasmuss geändert werden.Deswegen gibt es zukünftig in § 76a StGB das neueInstrument der selbstständigen Einziehung. Selbst dann,wenn einem Verdächtigen die eigentliche Straftat nichtbis zur Verurteilung nachgewiesen werden kann, das Ge-richt aber dennoch von der illegalen Herkunft des Ver-mögenswertes überzeugt ist, wird zukünftig eine Einzie-hung möglich sein. Es gibt bestimmte Aspekte, auf diesich das Gericht berufen kann; wir haben schon davongehört. Wenn ein grobes Missverhältnis zwischen demWert des Gegenstandes und den regelmäßigen Einkünf-ten des Betroffenen besteht, dann liegt das ja ein Stückweit auf der Hand. Insofern gibt es hier eine Art Beweis-lastumkehr.Das ist – das will ich gar nicht verschweigen – verfas-sungsrechtlich nicht unproblematisch.
Daher gibt es auch erhebliche Kritik an diesem Gesetz-entwurf. Diese muss man sich genau anschauen. Dabeispielen die Eigentumsgarantie des Artikels 14 GG unddie Unschuldsvermutung eine Rolle.
Diese Kritik nehme ich durchaus ernst. Wir werden unsdas im parlamentarischen Verfahren im Rahmen der An-hörungen sicherlich sehr genau anschauen. Aber letztlichmuss klar sein: Das Strafrecht und die Vermögenseinzie-hung sind ein scharfes Schwert. Hier müssen wir größt-mögliche Sorgfalt an den Tag legen. Einerseits müssenwir im Interesse der Sicherheit der Menschen eine effek-tive Strafverfolgung gewährleisten, um der organisiertenKriminalität und dem Terrorismus den Boden zu entzie-hen. Andererseits müssen wir die Rechte der Beschuldig-ten wahren. Insofern ist das schon eine diffizile Gratwan-derung.Ich glaube aber, dass in der Abwägung die Kritik andiesem Instrument letztlich nicht greift. Die Vermögens-abschöpfung hat ja im Kern keinen Strafcharakter. Sie istauf den Vermögenswert bezogen – nicht auf die Person,sondern auf die Sache. Insofern ist auch die Unschulds-vermutung an dieser Stelle nicht tangiert.Letztlich wird auch Artikel 14 GG, also die Gewähr-leistung des Eigentums, nicht dagegen sprechen, einsolches Instrument zu installieren; denn die Einziehungerfolgt ja in einem rechtsstaatlichen Verfahren. Sie istan enge Voraussetzungen geknüpft. Insofern ist der Ge-währleistungsgehalt von Artikel 14 durch eine verfah-rensrechtliche Sicherung ausreichend geschützt. Trotz-dem werden wir uns das im parlamentarischen Verfahrengenau anschauen.Ich glaube, unter dem Strich sollte uns alle ein Zieleinen: Wir brauchen dieses Instrument der Vermögens-abschöpfung, damit wir effektiv gegen Kriminalität vor-gehen können. Es muss heißen – das wurde heute schonmehrfach gesagt –: Verbrechen darf sich nicht lohnen.Insofern ist es ein guter Gesetzentwurf, den wir hier vor-liegen haben.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Der letzte Redner ist
Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen undHerren auf den Besucherrängen! Es gibt unterschiedli-che Motivationen, warum Menschen zu Straftätern wer-den. Die einen handeln aus reiner Schädigungs- oderVerletzungsabsicht. Wieder andere nutzen die spontaneGelegenheit zu einer Straftat aus. Aber viele Straftatenhaben eine große Gemeinsamkeit: Die Grundmotivationist Geld. Der Täter möchte seine wirtschaftliche, seinemonetäre Situation verbessern. Deswegen ist es nahelie-gend, dass sich der Rechtsstaat Gedanken über die FrageDr. Jan-Marco Luczak
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macht: Wie können wir dem Täter diese Motivation neh-men? Insofern begrüße ich ausdrücklich, dass mit demuns vorliegenden Gesetzentwurf des Justizministeriumsder Versuch unternommen wird, das Recht der Vermö-gensabschöpfung grundlegend zu vereinfachen. Bisherwar es zu statisch, zu kompliziert und für die Praxisnicht wirklich tauglich. Es wird außerdem der Versuchunternommen, nicht vertretbare Abschöpfungslücken zuschließen. Das ist die eine Perspektive.Aber wo Straftaten begangen werden, da gibt es ebenauch Opfer. Das Gute an diesem Gesetzentwurf ist, dassauch das Thema Opferschutz in den Fokus gerückt wird;denn bei ehrlicher Betrachtung müssen wir feststellen,dass wir hier Schutzlücken haben. Nach der aktuellenRechtslage ist es so, dass die Strafjustiz zwar Vermögens-werte im Wege der sogenannten Rückgewinnungshilfesichern kann, aber das Opfer dann zivilrechtlich seinenAnspruch geltend machen muss. Herr Ströbele, das ha-ben Sie vorhin leider nicht beleuchtet: Dieser zivilrechtli-che Anspruch ist oftmals mit sehr vielen Schwierigkeitenbehaftet, von der psychischen Situation des Opfers ein-mal ganz abgesehen. Oftmals wird nach dem Windhund-prinzip agiert – das ist schon angeklungen –: Wer zuerstkommt, mahlt zuerst. Zudem besteht das Risiko, dass biszur zivilrechtlichen Realisierung eines Anspruchs Ver-mögenswerte beiseitegeschafft werden. Deswegen ist esgut, dass der Gesetzentwurf hier die Sicherstellung durchdie Justizbehörden vorsieht und nach Rechtskraft des Ur-teils die Verwertung und Auskehrung des Erlöses direktan das Opfer, und zwar unter Gleichbehandlung aller Ge-schädigten. Ich glaube, das ist der große Zugewinn diesesVorschlags.Wir begrüßen außerordentlich – auch das will ichbetonen –, dass der Instrumentenkasten der Vermögens-abschöpfung – so will ich es einmal nennen – für dieBereiche der organisierten Kriminalität und der Terro-rismusbekämpfung erweitert wird; denn hier ist die Ein-ziehung von Gegenständen, die aus einer rechtswidrigenTat stammen, auch dann vorgesehen, wenn eine Verurtei-lung wegen dieser konkreten Tat nicht erfolgen kann. Beikritischer Betrachtung möchte ich auch darauf hinwei-sen, dass nach wie vor für alle Instrumente gilt, dass dieStaatsanwaltschaft die deliktische Herkunft des Vermö-genswertes nachweisen muss.Gerade weil wir am Anfang dieses Verfahrens stehen,möchte ich dafür werben, dass wir den Versuch unterneh-men, uns im Rahmen der rechtsstaatlichen Grenzen einStück weiter aus dem Fenster zu lehnen. Wir sollten defi-nitiv vermeiden, hinter der aktuellen Rechtslage zurück-zubleiben. Im vorliegenden Gesetzentwurf bin ich mir daan einer Stelle nicht ganz sicher. In § 76a Absatz 4 desEntwurfs heißt es – in der Begründung steht es etwas an-ders –, dass es um einen Gegenstand gehen muss, der auseiner rechtswidrigen Tat herrührt. Diese Formulierung istnatürlich wesentlich zielgenauer als der bisherige § 73d.Hier hat es genügt, wenn Umstände die Annahme recht-fertigen, dass der Vermögenswert aus einer rechtswidri-gen Tat stammt. In der Begründung ist dies klargestellt.Aber wir wissen, dass die bisherige Formulierung schonauf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts stand.Deswegen sollten wir uns sehr gut überlegen, ob die Um-formulierung nicht zu dem Ergebnis führt, dass wir eineeher seichtere Regelung haben.Ich werbe ausdrücklich für eine Beweislastumkehr,die wir uns vielleicht etwas offensiver überlegen sollten.Ich begrüße den Vorstoß aus Bayern. In der PolizeilichenKriminalstatistik ist zu lesen, dass bei der organisiertenKriminalität die festgestellten kriminellen Erträge fürdas Jahr 2014 bei 335 Millionen Euro lagen; vorläufiggesichert werden konnten nur 90 Millionen Euro. ImJahr 2013 lag die Höhe der festgestellten kriminellen Er-träge bei 638 Millionen Euro; hier konnten nur Vermö-genswerte in Höhe von 85 Millionen Euro vorläufig ge-sichert werden. Das sollte für uns Motivation genug sein.Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und be-danke mich für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann. – Ich schließedie Aussprache und bedanke mich für die wirklich lehr-reiche und spannende Debatte. Es ist immer gut, wennman etwas lernt. Danke schön. Das hat uns hier im Prä-sidium gutgetan.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/9525 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibtdazu keinen weiteren Vorschlag. Dann ist die Überwei-sung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Weinberg, Sabine Zimmermann ,Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKEZusatzbeiträge abschaffen – Parität wieder-herstellenDrucksachen 18/7237, 18/9168b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg,Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLasten und Kosten fair teilen – ParitätischeBeteiligung der Arbeitgeberinnen und Arbeit-geber an den Beiträgen der gesetzlichen Kran-kenversicherung wiederherstellenDrucksachen 18/7241, 18/9169Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre undsehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wenn Sie alle sitzen und konzentriert sind, können Siedem ersten Redner zuhören. – Ich eröffne die Ausspra-Alexander Hoffmann
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che. Der erste Redner ist Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In beiden Anträgen, die wir heute diskutieren, führen dieOppositionsfraktionen steigende Zusatzbeiträge in denJahren 2015 und 2016 sowie erhebliche Mehrausgabender Krankenversicherungen zulasten der Arbeitnehmeran. Dadurch würden stärkere Belastungen der Bezieherkleinerer und mittlerer Einkommen entstehen sowie dieEntlastung der Arbeitgeber vertieft – so der Grundtenor.Wie wir nun schon häufiger gehört haben, sehen dieOppositionsfraktionen die Lösung des Problems in derRückkehr zur paritätischen Beitragsfinanzierung und inder Einführung einer Bürgerversicherung.
– Wenn ich von der Seite Applaus bekomme, kriege ichmeistens Angst.
Ob die Wiedereinführung des Buß- und Bettags als ge-setzlichen Feiertag, die auch gefordert wird,
die Frage der sozialen Ungerechtigkeiten an dieser Stellelöst, sei einmal dahingestellt.In der Tat können wir feststellen, dass die in den An-trägen der Oppositionsfraktionen aufgeführten Kosten-steigerungen innerhalb der gesetzlichen Krankenver-sicherungen in den vergangenen Jahren zu – in meinenAugen moderaten – Anstiegen der Zusatzbeiträge geführthaben. Hier ist es uns als Union wichtig, eine gerechteLastenverteilung zwischen Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmern auf der einen Seite und Arbeitgebern auf deranderen Seite zu gewährleisten.
Wir alle wissen, dass 2004 im Zuge der Agenda 2010Zusatzbeiträge von 0,9 Prozent erhoben worden sind.Das war Rot-Grün.
Ich glaube, dass Deutschland auch heute noch davonprofitiert. – Nehmen Sie dieses Lob einfach einmal zurKenntnis! – In meinen Augen ist das ganz in Ordnung.Wir dürfen aber auch nicht unter den Scheffel stellen,dass die Regierungsfraktionen aus CDU/CSU und SPDin ihrem Koalitionsvertrag ganz bewusst den Arbeitneh-meranteil von 8,2 Prozent auf 7,3 Prozent reduziert ha-ben. Damit haben wir ausdrücklich die Erhebung von Zu-satzbeiträgen fördern wollen, um unter den gesetzlichenKrankenkassen einen Preiswettbewerb zu ermöglichen –Stichwort „Beitragsautonomie“ –, meine sehr geehrtenDamen und Herren.
Die Krankenkassen – das dürfen Sie mir glauben; ich warselber 20 Jahre bei der AOK Bayern beschäftigt – sollenganz bewusst hinsichtlich der Kosten, aber auch der Qua-lität im Wettbewerb zueinander stehen. Wir wollen wirt-schaftliche Anreize setzen, weil das den Dienstleistungs-gedanken zugunsten der Versicherten aufrechterhält.
Gleichzeitig haben die Krankenkassenmitglieder einSonderkündigungsrecht usw.Dass Transparenz und Aufklärung gefordert werden,ist vollkommen normal. Ich glaube, da sind wir uns ei-nig. Aber darüber hinaus ist es aus meiner Sicht auchnotwendig, in dieser häufig sehr emotional geführten De-batte die Parität vollständig zu betrachten; denn bei derDiskussion über eine gerechte Lastenverteilung werdenbeispielsweise die Lohnfortzahlungen des Arbeitgebersim Krankheitsfall sowie die Versicherung der Arbeitneh-mer bei Unfällen auf dem Weg zum und am Arbeitsplatzgerne außen vor gelassen. Das möchte ich an dieser Stel-le erwähnen.Ich möchte es deutlich sagen: Wir haben ein gutes Ge-sundheitssystem – in meinen Augen eines der besten aufder Welt –,
und ich glaube, dass wir hier auch einmal sagen müs-sen, dass es gut funktionierende Sozialsysteme nicht zumNulltarif gibt.
Ich glaube natürlich auch, dass die Wirtschaft ihren Bei-trag dazu leisten muss. Das ist völlig normal. Am Endeist, was die Wirtschaft betrifft, die Schaffung von Ar-beitsplätzen zumindest für mich die beste Sozialpolitik.Der Satz von Edmund Stoiber: „Sozial ist, was Arbeitschafft“, hat auch 2016 noch Gültigkeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundes-republik Deutschland bewegt sich, was die Lohnneben-kosten betrifft, im europäischen Umfeld im Mittelfeld.Ich glaube auch, dass das angemessen ist. Die bestehen-den Beitragssätze haben CDU, CSU und SPD in ihremKoalitionsvertrag für diese Legislaturperiode gemeinsambeschlossen, und sie werden bis zu ihrem Ende auch be-stehen bleiben. Wir dürfen nicht vergessen – ich glaube,das ist schon wichtig –, dass es uns gelingen muss, nachaußen Verlässlichkeit in diesem System zu dokumentie-ren.
Das ist ein wesentlicher Wert, zumindest für uns.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen der Opposition, das soll aber nichtVizepräsidentin Claudia Roth
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heißen, dass diese Beitragssätze für immer in Stein ge-meißelt sind und wir nicht offen für Veränderungen sind.Gerne können wir uns über die Parteigrenzen hinwegkonstruktiv über Reformen der gesetzlichen Kranken-versicherung austauschen und darüber diskutieren. Je-doch sollte der Grundgedanke eines Wettbewerbs unterden Krankenkassen zugunsten der Versicherten nicht inZweifel gezogen werden. Das wünsche ich mir. ZumThema Bürgerversicherung habe ich eine ganz andereMeinung als Sie; aber ich glaube, das werden wir nochan einer anderen Stelle bereden.Der Grund der heutigen Debatte sind die beiden An-träge der Opposition. Sie sind für uns keine Alternativeund werden von uns nicht weiter verfolgt.In diesem Sinne herzlichen Dank.
Vielen Dank, Erich Irlstorfer. – Der nächste Redner:
Harald Weinberg für die Linke.
Ich glaube nicht, dass alles gesagt ist. – Sehr geehrteFrau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei-ne Damen und Herren! Man muss erst einmal feststellen:Die Messe ist gelesen, die Beschlussempfehlungen zuden beiden Anträgen liegen vor, und es ist klar, welchesSchicksal diese guten Anträge von den Grünen und unserleiden werden. Das ist relativ eindeutig.
Ich verstehe die SPD aber nicht. Sie fasst auf ihrer Klau-sur den Beschluss, dass die paritätische Finanzierung,also halbe-halbe, zwischen Arbeitgebern und Arbeitneh-mern wiederhergestellt werden soll, und wir bieten ihrdann die Chance, das umzusetzen und damit das positiveSignal auszusenden, dass sie auch tut, was sie sagt; abersie lässt diese Chance leider wieder verstreichen.
Wie lange, liebe SPD, wollt ihr noch im Bus der Uni-on auf der rechten Spur fahren? Ab und zu links zu blin-ken, hilft da nichts. Wenn ihr wirklich überholen wolltet,müsstet ihr aussteigen und mit uns zusammen links aus-scheren.
Die Chance ist da; sonst ist sie weg.Dann will ich meine Redezeit nutzen, um Ihnen undder Öffentlichkeit vorzurechnen, dass es sich nicht umKleinigkeiten handelt, sondern hier eine manifeste Um-verteilung organisiert wird und stattfindet. Die letzte grö-ßere Steuersenkung gab es 2014 und hatte ein Volumenvon 2,5 Milliarden Euro. Für diese Steuersenkung habenSie sich gefeiert, als wären Weihnachten und Neujahr aufeinen Tag gefallen.
In dem gleichen Jahr, nämlich 2014, hatten die Versi-chertenhaushalte durch den Sonderbeitrag von 0,9 Pro-zent insgesamt 10,5 Milliarden Euro selber aufzubrin-gen – 10,5 Milliarden Euro Belastung im Vergleich zu2,5 Milliarden Euro Entlastung. Hinzu kamen 3,6 Mil-liarden Euro Ausgaben für Zuzahlungen jeglicher Art,für Arzneimittel usw. usf., damals auch noch die unsäg-liche Praxisgebühr, die dann zum Glück weggefallen ist.2,5 Milliarden Euro Entlastung, fast 14 Milliarden EuroBelastung – das nennt sich dann Entlastung. In Wahrheitist es das Spiel „linke Tasche, rechte Tasche“: In die lin-ke Tasche kommt ein bisschen Klimpergeld rein, aus derrechten Tasche geht viel Geld raus. Und es ist eine Verar-schung der Menschen in diesem Lande.
Summiert man die Sonderbeiträge – damals ja nochmit freundlicher Unterstützung der Grünen eingeführt;wir vergessen das nicht, auch wenn wir sehen, dass siedazugelernt haben – und die Zusatzbeiträge von 2005bis 2016, in einem Zeitraum von elf Jahren, dann kommtman auf die stolze Summe von 116 Milliarden Euro – ichwiederhole: 116 Milliarden Euro. Rechnet man da dieZuzahlungen für Arzneimittel, Krankenhausaufenthalteusw. usf. noch drauf, dann reden wir über 168 MilliardenEuro – 168 Milliarden Euro! Das ist eine riesige Umver-teilung, die da stattfindet. Das ist aus unserer Sicht eingesellschafts- und sozialpolitischer Skandal ersten Ran-ges und darf auf keinen Fall so hingenommen werden.
Dieser Skandal bleibt auch nicht verborgen und ruftzu Recht den Widerstand, den Zorn, den Protest insbe-sondere der Kolleginnen und Kollegen in den Betriebenauf den Plan. Es gibt Aktionen und Kampagnen zur Wie-dereinführung der Parität. 15 000 Unterschriften sindallein in Nordrhein-Westfalen gesammelt worden. Unddas ist es auch, was die SPD fürchtet – deshalb diese Be-schlüsse auf der Fraktionsklausur. Aber Beschlüsse sinddas eine – die Menschen erwarten von euch, dass ihr sieauch umsetzt.
Ich höre schon Ihren Einwand – wir haben ihn im Üb-rigen auch gerade wieder gehört –: Die Menschen könn-ten ja die Kasse wechseln, hin zu einer mit keinem odergeringerem Zusatzbeitrag. – Sie wissen schon, was Sieda sagen?
Erich Irlstorfer
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Sie tönen doch immer, dass Sie gegen eine Einheitskassesind, tun aber per Wettbewerbsverschärfung alles dafür,dass die Zahl der Kassen über die Jahre stetig zurückgeht.
Verlängern wir diese Trendlinie, dann landen wir irgend-wann zwischen 2020 und 2025 bei ganz wenigen Kassen,womöglich bei nur einer Kasse. Sie sind der Totengräberder Kassenvielfalt, nicht wir.
Wir wollen gleiche Bedingungen für die Kassen undeine in den Kernbereichen gleich gute Gesundheitsver-sorgung für die Versicherten. Dazu gehört auch, dass wirnicht wollen, dass der Wettbewerb um die Vermeidungvon Zusatzbeiträgen weiter angeheizt wird; denn dasgeht zulasten einer guten Versorgung und ist nicht im In-teresse der Versicherten.
Zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; ich muss kurzdarauf eingehen, dafür lasse ich das Thema Lohnneben-kosten weg,
dazu habe ich bei der letzten Diskussion schon etwasgesagt. Regelmäßig kommt von Ihnen der Hinweis, dieArbeitgeber täten damit schon eine ganze Menge. Ichhabe mir einmal die Mühe gemacht, mir die Plenarpro-tokolle von 1956/57 zu diesem Thema anzuschauen. Daswar sehr interessant, kann ich Ihnen sagen, das kann ichIhnen nur empfehlen. Vorausgegangen war ein 114-tägi-ger Streik – ein 114-tägiger Streik! – um diese Frage, derbisher längste Streik in Deutschland, den wir überhauptgesehen haben. Es war ein erbitterter Streik. Bei die-sem Streik ging es darum, die immer noch existierendeDiskriminierung der Arbeiter gegenüber den Angestell-ten – die damals schon längst eine Lohnfortzahlung be-kamen – aufzuheben.
– Nein, das war der Kern dieses Streiks.Nach einem erfolgreichen Tarifabschluss gab es fürAdenauer einen eher positiven und einen eher defensivenGrund, dies gesetzlich zu regeln. Der positive Grund war,die Arbeiterschaft mit dem westdeutschen Staat zu ver-söhnen, indem er diese völlig unzeitgemäße Diskriminie-rung aufhebt. Der defensive Grund war, eine Ausbreitungder Streikbewegung auf andere Regionen und Branchenzu verhindern. Es ist also keine Wohltat der Arbeitgeber,sondern ein erkämpftes Recht gewesen.
Wer das infrage oder in einen schrägen Zusammenhangmit unserer heutigen Debatte um die paritätische Finan-zierung stellen will, der muss sich den Vorwurf gefallenlassen, nicht konservativ zu argumentieren, sondern re-aktionär zu argumentieren.Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege Weinberg. – Nächster Redner:
Dr. Edgar Franke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Stritzl, Sie wissen: Die Gesundheitspolitikder letzten Jahre trägt eine eindeutig sozialdemokratischeHandschrift, und nicht nur das: Sie hat auch einen rotenFaden im doppelten Sinn des Wortes.
Der rote Faden sozialdemokratischer Politik ist der ver-besserte Zugang der Menschen zur medizinischen Ver-sorgung, unabhängig vom Einkommen, unabhängig vomAlter und unabhängig vom Wohnort. Das ist ein Kernsozialdemokratischer Politik, und die haben wir in dieserLegislaturperiode auch durchgesetzt, meine sehr verehr-ten Damen und Herren.
Wir haben in dieser Legislaturperiode so viele Gesetzebeschlossen wie noch nie; das kann man wirklich sagen.
Wir haben die ambulante ärztliche Versorgung verbes-sert, wir haben Qualitätsverbesserungen in der Kran-kenhausversorgung auf den Weg gebracht, wir haben dieLeistungen in der Pflege mit Mehrausgaben in Höhe von5 Milliarden Euro verbessert, wir haben den einheitlichenPflegebedürftigkeitsbegriff für demenziell Erkrankte ein-geführt, und wir haben das Präventionsgesetz beschlos-sen. Gesundheitsförderung und Krankheitsvermeidungin den jeweiligen Lebenswelten – alles das waren epoch-ale Gesetze, die wir zusammen, liebe Kolleginnen undKollegen, beschlossen haben, und es waren gute Gesetze.
Es war vor allen Dingen eine Politik für die Versicherten,und das haben die Versicherten auch gemerkt.Ich will hinzufügen, liebe Linke, lieber HaraldWeinberg: Wir haben die pauschalen Zusatzbeiträge ab-geschafft, was eindeutig die Geringverdiener entlastet.Auch das haben wir gemacht, das darf man nicht ver-gessen.
Harald Weinberg
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Liebe Linke oder auch liebe Grüne, ihr habt immer ge-gen die vielen gesundheitlichen Verbesserungen, die wirbeschlossen haben, gestimmt. Das darf man in diesemKreis auch einmal sagen.
Da könnt ihr, liebe Schwarze, auch einmal klatschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich haben dieKrankenkassen Angst, dass sie Versicherte durch Zusatz-beiträge verlieren. Wenn wir einen reinen Preiswettbe-werb und keinen Qualitätswettbewerb haben, werden wirSchwierigkeiten bekommen. Wir brauchen beides. Wirbrauchen einen Preis- und einen Qualitätswettbewerb. Dasist der Unterschied zwischen unseren Positionen. OhneQualitätswettbewerb bekommt man keine guten Ergebnis-se; ohne Preiswettbewerb gelingt das aber auch nicht.
Deswegen haben wir zusammen die Qualitätsindikatorenbeschlossen, zum Beispiel im Krankenhausstrukturge-setz.
– Ja, ja, ja. Da habe ich ein besseres Gedächtnis, HerrStritzl.
Strukturreformen mit dem Ziel einer verbesserten ge-sundheitlichen Versorgung kosten aber Geld, sogar vielGeld. Dieses Geld wird nicht mehr hälftig durch die Bei-träge erbracht, weil der Arbeitgeberbeitrag bei 7,3 Pro-zent eingefroren ist. Im Schnitt zahlen die Arbeitnehmerüber 1 Prozentpunkt mehr. Das kann für einzelne Ver-sicherte mehr als 40 Euro im Monat bedeuten. Es kannnicht sein, dass die Beitragssteigerungen allein zulastender Versicherten gehen. Das muss man ganz klar sagen.
Es ist auch sozial ungerecht, wenn die Versichertenden medizinischen Fortschritt und die Reformen, diewir zusammen durchgesetzt haben, durch Zusatzbeiträ-ge alleine finanzieren. Das kann nicht richtig sein. Dasleuchtet jedem in unserem Land ein; das muss man auchsagen.
In der Anhörung, die wir dazu durchgeführt haben,haben fast alle Fachleute – Herr Stritzl, das wissen Sie –eine Rückkehr zur Parität befürwortet, und nicht nur das;sie haben auch gesagt, dass die Arbeitgeber kein Inte-resse an der Beitragsentwicklung haben, wenn wir dieArbeitgeberbeiträge einfrieren. Schon deswegen ist dieParität, wenn Sie so wollen, sinnvoll.Herr Irlstorfer, zum Thema Geschichtsklitterung könnteman noch sagen, dass ihr in Sachen Zahnersatz, über denwir ab 2003 verhandelt haben, im Vermittlungsausschusseinen Sonderbeitrag von 0,9 Prozent – ab 2005 – durch-gesetzt habt. 2005 war die Lage aber ganz anders, HaraldWeinberg. Wir hatten 5 Millionen Arbeitslose. Jetzt habenwir eine wirtschaftliche Lage und eine Beschäftigungszahlwie seit 25 Jahren nicht mehr. Deswegen sind wir jetzt,glaube ich, in der Lage, das paritätisch zu finanzieren,auch bei den Zusatzbeiträgen. Wir sind in der Lage, dieRentner und die Arbeitnehmer, also die Versicherten, zuentlasten. Das ist vernünftig und sozial gerecht. Ich sage esnoch einmal: In unserer Gesellschaft wird die Forderung,zur Parität zurückzukehren, wirklich geteilt.Zum Schluss meiner Rede sage ich: Es ist vernünf-tiger, zur Parität zurückzukommen, als in den Gesund-heitsfonds zu greifen und zu versuchen, die Höhe derZusatzbeiträge dadurch zu stabilisieren. Das ist ord-nungspolitisch schwierig, wenn nicht sogar ordnungspo-litisch falsch. Ich glaube, man sollte sauber vorgehen undaus dem Gesundheitsfonds keine Ausgaben finanzieren,die man mit Steuermitteln finanzieren muss. So sollteman das machen.
Sie haben angekündigt, dass das der Schluss ist. Bitte.
Zwei Sätze noch.
Einen Satz.
Einen. – Jetzt muss ich ja noch die Frage beantwor-
ten, warum die SPD dem vorliegenden Antrag nicht zu-
stimmt, Frau Präsidentin.
Nein. Einen Satz.
Ja. – Dafür gibt es zwei Gründe: Wir sind vertrags-treu. Wir haben im Koalitionsvertrag etwas anderes ver-einbart. Dazu stehen wir. Wir sagen aber auch, dass einWettbewerb zwischen den Kassen möglich ist und wirgegen einen Einheitsbeitrag sind. Wir Sozialdemokratensind für die Parität und hoffen, dass der geschätzte Koa-litionspartner noch einmal darüber nachdenkt. In diesemSinne stehen die Sozialdemokraten immer aufseiten derVersicherten bei uns in Deutschland.Danke schön.
Dr. Edgar Franke
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Vielen Dank, Herr Kollege, auch für die überlangenSätze. Das müssen Sie jetzt mit Ihrer Kollegin aushan-deln. Es tut mir leid, aber Ihre Rede war deutlich zu lang.Die nächste Rednerin in der Debatte: Maria Klein-Schmeink für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnenund Kollegen! Wir diskutieren nicht zum ersten Mal überdie Parität in der Krankenversicherung, über die sozialeSchräglage der Zusatzbeiträge. Das ist eine Debatte, dieuns seit drei Jahren ständig und immer wieder begleitet.Sie begleitet uns zu Recht, weil wir deutlich sehen, dassdiese Zusatzbeiträge nicht nur unsozial sind, indem sieeben hohe Belastungen auf die Versicherten abwälzen,sondern auch, dass es Nebenwirkungen für das gesamteGesundheitssystem gibt, die wir gar nicht wollen können.Gerade deshalb ist es wichtig, ganz grundsätzlich darü-ber nachzudenken und endlich wieder dahin zu kommen,dass wir die Arbeitgeber genauso wie die Arbeitnehmeran den Kosten der Gesundheitsversorgung beteiligen.
Es ist ja auch deutlich geworden: Wir schauen auf eineTradition, die mehr als 50 Jahre Bestand hatte, woraufauch gerade Sie vonseiten der Union eigentlich stolz seinkönnten,
aber auch Sie von der SPD, darauf, dass man weiß, dasses so etwas wie die Sozialpartnerschaft gab, das Einver-ständnis, dass man sagt, diese Lebensrisiken tragen wirals Gesellschaft gemeinsam, und wir haben ein gemein-sames Verständnis davon, was eigentlich sozialer Zusam-menhalt heißen soll. Daran haben Sie die Axt gelegt, unddas ist das, was daran so schwerwiegend ist und was esnötig macht, dass wir endlich wieder davon wegkommen.
Wenn ich dann sehe, welche Manöver Sie jetzt mitdem PsychVVG vorgelegt haben, so wird daraus einigesdeutlich. Letztendlich ging es ja um eine Haushaltsfra-ge: Wie bekomme ich es hin, dass ich im Wahljahr nichterneut deutlich ansteigende Zusatzbeiträge habe? Damacht man dann so einen Griff in die Rücklagen des Ge-sundheitsfonds und begründet dies ausgerechnet mit dengestiegenen Kosten der Versorgung von Flüchtlingen.Das zeigt erstens, dass es sachfremd ist, zweitens aberauch, wie stark Sie auf solche Tricks und auf Manöverangewiesen sind, die das Eigentliche kaschieren müssen:dass Sie kein stimmiges Finanzierungskonzept haben.Darum ging es nämlich.
Sie trauen sich nicht, mit diesem schrägen Zusatzbeitragim nächsten Jahr vor die Wählerinnen und vor die Wäh-ler zu treten. Das ist der Punkt, und das muss man ganzdeutlich kritisieren.
Ich bin froh, dass es von vielen Seiten gerade an die-ser Stelle eine Richtigstellung gegeben hat. Ich wünschemir, dass das auch hier im Hause noch einmal passiert.Gestern Abend auf dem AOK-Empfang ist das ja auchschon sehr deutlich richtiggestellt worden; das begrüßeich sehr. Aber wir sollten es auch für die Öffentlichkeittun, weil natürlich diese ganzen Manöver mit den Zusatz-beiträgen und dem durchschnittlichen Zusatzbeitrag, mitden hälftigen Beitragssätzen, die da angeblich wiederher-gestellt worden wären, damit, dass nur aus Preiswettbe-werbsgründen dann der Zusatzbeitrag für den Versicher-ten hinzukommt, natürlich auch zu Intransparenz führen.Am Ende bleibt für den Versicherten der Eindruck zu-rück: Ich werde geschröpft, ich muss immer mehr bezah-len, es geht nicht mehr gerecht zu, und in Zukunft drohtmir auch noch, dass vielleicht eine schlechtere Versor-gung ins Haus steht. Das dürfen wir gar nicht zulassen, damüssen wir einen Punkt machen, und deshalb ist es auchso wichtig, wieder zur hälftigen Finanzierung zurückzu-kehren. Es muss wieder ganz klar sein: Gemeinsam stem-men wir die Aufgabe von Gesundheitsversorgung, vonAbsicherung in Lebensrisiken, und dies ist nicht nur eineAufgabe der Versicherten und der Patienten, sondern esist eine Aufgabe von Sozialpartnern. Das sollte in dieserGesellschaft einfach grundlegend sein.
Zudem haben wir die Aufgabe noch längst nicht voll-ständig erfüllt. Ich nehme zur Kenntnis, dass die CDUerstmalig zumindest andeutet: Okay, mit diesem Kon-zept kommen wir wahrscheinlich nicht über die nächsteWahlperiode. – Ich lade Sie ein: Kommen Sie zu uns,zu unseren Veranstaltungen! Wir setzen uns mit vielenFacetten der Bürgerversicherung auseinander,
mit einem integrierten Versicherungsmarkt, womit wires schaffen, eine gute, nachhaltige und gerechte Finan-zierung für die Versicherten insgesamt sowie eine Kran-kenversicherung aufzubauen, die für alle Lebenslagentaugt und eben nicht dazu führt, dass Privatversicherte,so wie es heute in den Meldungen zu hören war, fürchtenmüssen, dass sie mit enormen Beitragssprüngen zu tunhaben und insgesamt in eine Situation kommen, die sieletztendlich nicht mehr stemmen können.
Es muss so sein, dass alle Versicherten so versichertsind, dass sie für alle Lebensrisiken ordentlich abgesi-chert sind und gleichzeitig darauf vertrauen können, dasseine gute gesundheitliche Versorgung für alle zugänglichist. Mit der paritätischen Beteiligung der Arbeitgeberwürden wir einen wichtigen Schritt genau in diese Rich-
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tung tun. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich die-sem Gedanken wieder öffnen würden.
Vielen Dank, Maria Klein-Schmeink. – Nächster Red-
ner: Thomas Stritzl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe meinem geschätzten Vorsitzenden aus
dem Gesundheitsausschuss, Herrn Professor Dr. Franke,
ausgesprochen gerne zugehört. Denn ich finde, er ver-
fügt über ein gerüttelt Maß an Ehrlichkeit, wenn er sagt:
Die erste Spreizung des Beitragssatzes für die gesetzliche
Krankenversicherung haben Sozialdemokraten und Grü-
ne im Jahr 2005 gemeinsam auf den Weg gebracht.
– Ja, ist doch schön. Das ist doch so.
Jetzt geht es aber ab hier.
Ja, genau. – Manchmal machen auch Leute, die Sie
gar nicht mögen, etwas Richtiges. Ich wollte doch nur
dem Eindruck entgegenwirken und dafür sorgen, dass
sich hier geschichtlich nicht falsch festsetzt, dass es die
Sozialdemokraten nicht gewesen sein können, die die
Beitragsspreizung eingeführt haben, und dass die Grünen
damals nicht zugestimmt haben können, als die Beitrags-
spreizung kam.
Ich möchte nur, dass wir die gleichen Erinnerungen ha-
ben.
Wissen Sie, was Kollegin Bender damals in der De-
batte gesagt hat? Ich zitiere auszugsweise mit Genehmi-
gung der Präsidentin:
Die einen erheben normalerweise einkommensab-
hängige Beiträge – das hätten wir in diesem Fall
geändert –, die anderen erheben sowieso risikoad-
äquate Beiträge. Ein weiterer Nachteil war ..., dass
wir den Wettbewerb innerhalb der gesetzlichen
Krankenkassen in diesem Bereich stillgelegt ha-
ben;
denn bei einem einheitlichen Betrag ... hat keine
Krankenkasse mehr wirklich Interesse daran, durch
gute Beratung der Versicherten für wirtschaftliche
Leistungserbringung zu sorgen. Das ist jetzt wieder
anders.
Das sagte Frau Bender, Ihre Kollegin.
Wenn Sie über diese Fragen nachdenken, müssen Sie
doch auch an die Interessen der Versicherten denken.
Wenn es im Interesse der Versicherten ist, eine besonders
wirtschaftliche und gute Leistungserbringung zu erhal-
ten, dann hat die Beitragsspreizung doch vielleicht ihren
Sinn, Herr Professor. Oder stimmt das nicht?
Jetzt frage ich Sie – jetzt springe ich rein –: Erlauben
Sie vom Professor eine Zwischenfrage oder eine Bemer-
kung?
Jederzeit.
Gut. – Dann Herr Professor Dr. Edgar Franke.
Wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Ich habe die Uhr natürlich angehalten. Das wird Ihnen
nicht zugerechnet.
Sehr gut.
Herr Stritzl, sind Sie mit mir einer Meinung, dass
2003 eine ganz andere wirtschaftliche Lage war? Wir
waren der kranke Mann in Europa.
Wir hatten 5 Millionen Arbeitslose. Momentan haben wir
Rekordbeschäftigungszahlen. Wir haben eine herausra-
gende wirtschaftliche Lage. Den Unternehmern geht
es so gut wie nie zuvor. Insofern kann man die beiden
ökonomischen Rahmenbedingungen und die Beschäfti-
gungszahlen nicht miteinander vergleichen. Sind Sie da
mit mir einer Meinung, hochverehrter Herr Stritzl?
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Franke, ich binmit Ihnen erstens einer Meinung, dass 2003, zu Zei-ten rot-grüner Bundesregierung unter BundeskanzlerGerhard Schröder, Deutschland in der Tat wirtschaftlichdem kranken Mann am Bosporus glich. Punkt eins.
Punkt zwei. Ich hatte es für mutig gehalten, dass derdamalige Kanzler das eigene Fehlverhalten eingeräumthat und gesagt hat: Dagegen muss ich etwas tun.Maria Klein-Schmeink
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Ich stimme mit Ihnen drittens überein, dass die Be-trachtung der Lohnnebenkosten für die Frage der Wett-bewerbsfähigkeit deutscher Arbeitsplätze von hoher Be-deutung ist.
Es ist nicht der einzige Faktor dabei, aber es ist von hoherBedeutung. Dieses Grundprinzip der Volkswirtschafts-lehre – auch ich habe dies ein wenig studiert – setzt sichaber nicht nur fort, wenn Arbeitsplätze fehlen, sondern essetzt sich auch dann fort, wenn es darum geht, die Wett-bewerbsfähigkeit von Arbeitsplätzen darüber hinaus zuerhalten und zu sichern. Genau in der Situation sind wirheute: Im Rahmen der Globalisierung müssen wir deut-sche Arbeitskräfte, Produktionsstätten in Deutschlandgegen ausländische Billigkonkurrenz verteidigen.
Deswegen ist es heute genauso richtig wie damals, dieLohnnebenkosten zu senken. Ich sehe mich mit Ihnen ei-nig, dass die Lohnnebenkosten ein entscheidender Faktorsind. Deswegen ist die Beitragsspreizung – darum gehtes heute – genau richtig.
– Frau Klein-Schmeink möchte eine Zwischenfrage stel-len.
Wollen Sie sie beantworten?
Natürlich. Das ist doch klar.
Aber dann reicht es.
Aber ich bin gerne in Ihrer Nähe.
Herr Stritzl, Sie haben jetzt sehr deutlich auf die
Lohnnebenkosten abgehoben. Das war ja Anfang der
2000er-Jahre sehr modern. Das war sozusagen das All-
heilmittel gegen den Globalisierungsdruck.
In Nachhinein sieht man, dass das ganz viele andere
Nebenwirkungen produziert hat, mit denen wir heute
angesichts der Finanzmarktkrise immer noch kämpfen
müssen.
Zu der Sache mit den Lohnnebenkosten. Bei einem
Handwerkerlohn von insgesamt 48 Euro die Stunde – die
Handwerkskammer Bayern hat das ja deutlich gemacht
und vorgerechnet – inklusive sämtlicher Sozialversi-
cherungslasten, Urlaubsgeld und allem Drum und Dran
kommen wir auf einen Betrag von 4,58 Euro. In Bezug
auf den Zusatzbeitrag und die Anpassung sprechen wir
über 0,42 Prozent des Handwerkerlohnes. Das kann doch
nicht der Faktor sein, der uns vor der Globalisierung und
vor dem globalen Markt rettet. Also geht es doch um et-
was anderes.
Sie müssen sich einmal fragen – das wäre auch meine
Frage an Sie –: Wie wichtig müssen wir denn die sozi-
ale Partnerschaft nehmen, und wie wichtig müssen wir
den sozialen Zusammenhalt nehmen? Sind es nicht letzt-
endlich stabile ökonomische und gesellschaftliche Rah-
menbedingungen, die eine Produktion auf hohem Niveau
möglich machen? Wäre nicht das eigentlich der richtige
Weg?
Sehr geehrte Frau Kollegin, bitte sehen Sie mir nach,dass ich Ihre Rechnung so im Schnellverfahren nichtnachvollziehen kann.
Aber ich will einmal generalisierend sagen – ich hatteschon in meiner Antwort auf die Frage zuvor versucht,das deutlich zu machen –: Die Spreizung bzw. Teilsprei-zung des Krankenkassenbeitrags ist nicht das Allheilmit-tel. Sie ist ein Teilaspekt.
In der Gegend, aus der ich komme – ich komme ausSchleswig-Holstein, vom Land –, sagt man: Auch Klein-vieh macht Mist.
Genau das ist der Punkt. Sie müssen nämlich die Ad-dition der verschiedenen Punkte sehen, wenn Sie überdie Lohnnebenkosten reden. Vorhin haben wir ja HerrnWeinberg, unseren Geschichtsmann, gehört; die Stich-worte waren „reaktionär“ und „konservativ“. Die Frageist: Welche weiteren Lasten werden im System eigentlichwie verteilt? Da tun wir so, als ob die Parität das Einzigeist, um das es geht, wenn wir über sozialen Ausgleich inder Wirtschaft reden.
Es geht aber nicht allein um die Parität. Die Disparität,Frau Kollegin, steht doch in vielen Bereichen eher Pateals die Parität.Ein Beispiel sind die Minijobber; denn den Versiche-rungsbeitrag zahlen die Arbeitgeber ganz alleine. Diegesetzliche Unfallversicherung kommt den Versicherten,den Arbeitnehmern, zugute; aber die Beiträge zahlen dieThomas Stritzl
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Arbeitgeber alleine. Ein anderes Beispiel ist die Lohn-fortzahlung. Wie auch immer Sie die Lohnfortzahlungzeitlich verankern und ob mit Schmerzen oder ohne: Dieersten sechs Wochen zahlen die Arbeitgeber alleine. Hierreden wir in Deutschland über einen Betrag von über50 Milliarden Euro. Da können Sie doch nicht sagen: Dasbringt alles nichts, und das ist alles nichts. – Das ist einegroße Leistung auch der Arbeitgeber in diesem Land.
Letztlich, Frau Kollegin, haben Sie völlig recht: Eingutes soziales Klima in einem Land ist ein wesentlicherWettbewerbsfaktor. Das hat Deutschland stark gemacht.Deswegen achten wir doch alle darauf, dass dieses guteKlima erhalten bleibt, und ringen um die besten Lö-sungen. Insofern, sage ich, kann man über einen Kran-kenkassenbeitragssatz von 14,6 Prozent, der paritätischfinanziert ist – das sind fast 200 Milliarden Euro imJahr –, nicht sagen: „Das ist nichts“, nur weil die letzten0,83 Prozentpunkte nicht paritätisch finanziert werden.Wir müssen immer auch ein Stück weit die Relationenim Blick haben. Das haben Sie vor ein paar Jahren auchselber so gesehen; das ist Ihnen ja nicht neu. Wenn Siesagen: „Es geht um den Wettbewerb; wir wollen, dass dieSituation der Versicherten bzw. der Kranken möglichstgut ist, dass es aber kostengünstig ist“, dann ist das eingutes Instrument. Wir wissen, dass wir in einer alterndenGesellschaft gezwungen sind, die gute Versorgung, diewir vorhalten wollen, nicht ausschließlich über Arbeit zufinanzieren, sondern dass wir Arbeit und Gesundheits-kosten ein Stück weit entkoppeln müssen.
– Ja, genau. – Wir müssen in diesem Bereich darauf ach-ten, dass wir Anreizsysteme schaffen, die zu Verbesse-rungen führen, um tatsächlich einen Fortschritt zu erzie-len.
Insofern, glaube ich, ist das, was damals, 2005, be-schlossen wurde, und zwar von Ihnen zusammen mitGerhard Schröder, richtig. Damals hat Ulla Schmidt ge-sagt:Heute treffen wir eine Entscheidung, die, im Inte-resse der Versicherten, sozialverträglich und un-bürokratisch ist. Es wäre gut, wenn Sie dabei mit-machten.Dies zeigte, dass auch Sie in schwierigen Zeiten Verant-wortung übernehmen.Mein Appell an Sie: Glauben Sie Ihrer damaligen Ge-sundheitsministerin, sehr geehrter Herr Professor – Siewaren damals schon im Parlament, ich nicht –, und stel-len Sie sich dieser Verantwortung. Versuchen Sie nicht,ihr auszuweichen. Das ist in der einen oder anderen Dis-kussion vielleicht geschmeidiger; das will ich gar nichtbestreiten. Jemandem zu sagen: „Du kriegst von mir1 Euro mehr“, ist immer sympathischer, als zu sagen:„Du kriegst von mir 1 Euro weniger“. – Das ist schonlogisch.Unsere Verantwortung bezieht sich aber auf die Ge-samtsituation und das Gesamtinteresse. Wir sind gegen-über der Allgemeinheit verantwortlich,
und deswegen müssen wir immer wieder alle Anstren-gungen dafür unternehmen, auch wenn es mal unbequemist. Wir müssen das Kreuz durchdrücken und sagen: Wirwaren, wir sind und wir bleiben bei der Überzeugung,dass ein Stück Wettbewerb im System der gesetzlichenKrankenkassen dem Versicherten nützt, und dem sindwir verpflichtet und wollen wir auch in Zukunft ver-pflichtet sein.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Thomas Stritzl. – Jetzt hat Sabine
Dittmar das Wort für die SPD.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte beginnen mit dem Auszug eines Zitats von WillyBrandt:Jede Zeit will ihre eigenen Antworten ...Warum habe ich mich für diesen Einstieg entschieden?Wir sprechen heute hier sehr leidenschaftlich über dieparitätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversi-cherung. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und der So-lidarität und deshalb für uns Sozialdemokraten ein ganzwichtiges Thema.Trotzdem haben wir – das ist heute schon mehrmalsangesprochen worden – im Jahre 2004 in der rot-grünenKoalition mit dem unionsdominierten Bundesrat, aberauch in vielen Arbeitsgruppen, die sich aus allen drei Par-teien zusammengesetzt haben, einen Sonderbeitrag von0,9 Prozentpunkten beschlossen.Jetzt komme ich auf mein Eingangszitat zurück: „JedeZeit will ihre eigenen Antworten ...“ – Erinnern wir unsan 2004 zurück – das ist auch schon von mehreren Red-nern erwähnt worden –: 5 Millionen Arbeitslose, eineschwierige wirtschaftliche Lage und davongaloppieren-de Kosten im Gesundheitswesen. – Hierauf musste eineAntwort gefunden werden.Der alternative Vorschlag, der von der rechten Seitedieses Hauses kam, nämlich den Leistungskatalog derGKV einzuschränken, kam für uns nicht infrage. Wir ha-ben die bittere Pille geschluckt und den Sonderbeitrag alsAntwort auf diese prekäre Finanz- und Wirtschaftslageakzeptiert.Thomas Stritzl
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Ich sage Ihnen: Das war eine schwere und schmerz-hafte Entscheidung für uns Sozialdemokraten, aber unswar damals auch klar, dass zukünftig weitere Beitrags-steigerungen wieder paritätisch zwischen den Arbeitneh-mern und Arbeitgebern verteilt werden. Das tatsächlicheEinfrieren auf 7,3 Prozent – das Festzurren – inklusiveeinkommensunabhängiger Zusatzbeiträge, also der klei-nen Kopfpauschale, war ein Produkt der letzten Bundes-regierung.Ich bin dankbar, dass wir jetzt mit dem GKV-FQWGerreichen konnten, dass die Zusatzbeiträge wieder ein-kommensabhängig sind. Das ist ein kleiner Trost, aberimmerhin! Mehr war mit unserem Koalitionspartnernicht zu machen.Die Zeit jetzt ist aber eine andere: Der Wirtschaft gehtes gut, sie ist stabil, wir haben Haushaltsüberschüsse, soviele sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnissewie noch nie, der Gesundheitsfonds ist gefüllt, und dieKrankenkassen haben Rücklagen gebildet. Deutschlandist ein starkes Land, gerade weil die Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer ihren Beitrag dazu geleistet haben.
Deshalb kann die Antwort, die diese Zeit einfordert, nurlauten: Zurück zur echten Parität.
Machen wir uns aber nichts vor: Die Gesundheitskos-ten und die Ausgaben der Krankenkassen werden steigen.Die Gründe dafür sind sehr vielfältig und wurden heuteauch schon angesprochen: Demografie, medizinischerFortschritt, Innovation in Diagnostik und Therapie. Ge-rade in den Bereichen Onkologie und Demenzforschungwurden bahnbrechende Fortschritte gemacht, die vielenPatienten und Patientinnen Hoffnung geben, aber auchzu sehr hohen Kosten führen. Diese Mehrkosten dürfenin Zukunft nicht alleine die Versicherten tragen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an zweiGesetze, die wir beschlossen haben, nämlich das Ge-setz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversor-gung und das Krankenhausstrukturgesetz, das EdgarFranke auch schon erwähnt hat und bei dem mir dieÜberleitungspflege besonders wichtig ist. Hier habenwir für Menschen, die nur einen kurzzeitigen Anspruchauf Kurzzeitpflege, Grundpflege oder hauswirtschaftli-che Versorgung haben, eine echte Versorgungslücke ge-schlossen. Viele wichtige Projekte wurden hier auf denWeg gebracht. Aber auch das muss finanziert werden. Inaller Deutlichkeit noch einmal: Das muss paritätisch fi-nanziert werden.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-legen von der CDU/CSU, Sie werden über kurz oder langschon Farbe bekennen müssen, was Sie bereit sind denGKV-Mitgliedern dauerhaft zuzumuten. Ich wünschemir, dass wir noch in dieser Legislaturperiode weiter-kommen. Vielleicht können der Arbeitnehmerflügel derUnion oder auch der Pflegebeauftragte, Herr Laumann,die sich für die Parität schon ausgesprochen haben, hierÜberzeugungsarbeit leisten.Ich sage auch in die Richtung der Linken und derGrünen: Wir sind vertragstreu. Aber wir setzen auf Über-zeugung. Wir setzen auf die Kraft der Argumente. LieberHerr Kollege Irlstorfer, Ihre Aussagen geben mir Anlass,hoffungsvoll auf die letzten Monate dieser Großen Koa-lition zu blicken.Ich sage noch einmal abschließend: Die SPD-Fraktionsteht zu ihrer Forderung nach einer Rückkehr zur paritä-tischen und solidarischen Finanzierung, für eine gleicheund gerechte Beitragsbelastung von Arbeitgebern undArbeitnehmern, am besten eingebettet in eine solidari-sche Bürgerversicherung.
Vielen Dank, Sabine Dittmar. – Der letzte Redner
in dieser Debatte ist Lothar Riebsamen für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin-nen und Kollegen! Auch ich glaube, dass das, was dierot-grüne Koalition 2005 gemacht hat, richtig war. Wirhatten damals 5 Millionen Arbeitslose; das ist schonmehrfach angeklungen. Die Wirtschaftsinstitute hattenprognostiziert: Wenn die Regierung nichts tut, dann wirddie Arbeitslosenquote noch weiter ansteigen. Im Übrigenwird auch die Jugendarbeitslosenquote ansteigen.Jetzt warne ich schon sehr davor – wir sind ja Gesund-heitspolitiker –, diese präventiven Maßnahmen, die wirdamals getroffen haben, nicht rückgängig zu machen. Esist so wie in der Prävention allgemein: Wenn ich 5 Ki-logramm durch Prävention abgenommen habe und mirdann sage: „So, jetzt habe ich 5 Kilogramm abgenommenund kann jetzt wieder fett essen“, dann geht das in dieHose.
Dann werden wir wieder in die Situation kommen, in derwir 2005 waren.
Frau Klein-Schmeink hat den Begriff „Globalisie-rung“ ins Spiel gebracht. So weit will ich gar nicht ge-hen. Es reicht doch schon, wenn wir uns Europa anse-hen. Gucken wir uns doch die Staaten in Europa an, diekeine Strukturmaßnahmen durchgeführt haben. Das wirduns doch jeden Tag vor Augen geführt. Wir sind heute inder Situation, dass wir zu einem beachtlichen Teil auchSabine Dittmar
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für die Staaten haften, die bisher nicht bereit oder in derLage waren, in ihren Sozialsystemen Strukturverbesse-rungen durchzuführen.
Wir sind in der Lage, weil Sie sie Gott sei Dank durch-geführt haben; wir haben es mitgetragen. Wir sind offen-bar die Einzigen, die dazu stehen, obwohl wir diese Ent-scheidung nur mitgetragen haben.
Aber das machen wir gerne. Wir sind heute in der Lage,den Staaten, die Probleme haben, ein Stück weit zu hel-fen. Unsere Steuereinnahmen sind so hoch wie noch nie.Wir können über Steuerentlastungen reden.
Das ist ein erfreuliches Thema.Frau Klein-Schmeink, Sie haben ausgerechnet, dassdieser Zusatzbeitrag bei einem Handwerker 0,42 Prozentseines Lohnes ausmachte; das seien Peanuts, das würdedie Handwerker im Wettbewerb nicht zurückwerfen.
Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Da haben Sie das Hand-werk nicht begriffen.
Wissen Sie, die Handwerker stehen nicht in erster Linieim Wettbewerb untereinander, also der eine Malerbetriebgegen den anderen. Die Handwerker stehen im Wettbe-werb gegenüber der Schwarzarbeit.
Wenn wir die Lohnnebenkosten nicht im Auge behal-ten, dann befördern wir die Schwarzarbeit. Das hat mitWettbewerb innerhalb des Handwerks so gut wie nichtszu tun. Da haben Sie schon recht. Das ist nicht das Pro-blem – um das einmal deutlich zu sagen.
Die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Hand-werk ist die eine Sache. Die andere Sache ist der Wettbe-werb zwischen den Krankenkassen. Mit dem Zusatzbei-trag – das Thema Parität hängt damit zusammen – habenwir für Wettbewerb zwischen den Krankenkassen ge-sorgt. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag steigt in die-sem Jahr – manche Krankenkassen erheben gar keinenZusatzbeitrag – um 0,2 Prozentpunkte. Wenn man voneinem Monatseinkommen in Höhe von 3 500 Euro aus-geht, dann sind das etwa 7 Euro. Man kann natürlich sa-gen, dass das viel Geld ist. Wenn man aber dieser Auffas-sung ist, dann darf man nicht wie Herr Weinberg sagen,dass die rein rechnerischen steuerlichen Entlastungen inHöhe von rund 7 Euro für jeden Bundesbürger in dieserLegislaturperiode – das Gesamtvolumen der Entlastun-gen beläuft sich bei 80 Millionen Menschen auf rund5 Milliarden Euro – Peanuts sind und dass das keinemweiterhilft.
Wenn es aber um 7 Euro Belastung durch einen Zusatz-beitrag geht, geht die Welt unter. So kann man es natür-lich nicht machen.
Sie haben von Verarschung gesprochen. Ich sage Ihnen:Genau das, was Sie machen, ist Verarschung.
Herr Riebsamen, erlauben Sie eine Zwischenbemer-
kung oder -frage – das ist definitiv die letzte; das habe
ich vorhin angedroht – des Kollegen Dr. Harald Terpe?
Ja, bitte schön.
Machen Sie das mit Ihren Kollegen aus, die heute
Abend um 22 Uhr noch immer hier sitzen, wahrschein-
lich im Gegensatz zu Ihnen.
– Gut, dann machen Sie das.
Bitte, Herr Terpe.
Herr Kollege Riebsamen, es ist mir eine Freude, Ihnen
eine Zwischenfrage zu stellen. Ich bin sehr dankbar, dass
Sie sie zulassen.
Immer gerne.
Da Redner von der Union zum zweiten Mal auf denWettbewerb zwischen den Krankenkassen hingewiesenhaben und das eine große Rolle spielt: Stimmen Sie mirzu, dass ein Wettbewerb zwischen den Krankenkassenauch möglich ist, wenn man die Parität einführt?Lothar Riebsamen
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Ja, ich stimme Ihnen ohne Weiteres zu, dass es Wett-
bewerb auch ohne Parität gibt.
Der finanzielle Wettbewerb wird aber erst dann deutlich,
wenn die eine Krankenkasse einen Zusatzbeitrag erhebt
und die andere nicht. Den Wettbewerb, den Sie meinen,
gab es bereits 50 Jahre. Bloß hat das niemanden interes-
siert. Nun wird durch die Zusatzbeiträge deutlich, dass es
tatsächlich einen Wettbewerb gibt.
Ich komme zum Schluss. Ich glaube, meine Redezeit
neigt sich ohnehin dem Ende zu.
22 haben Sie noch.
22 Minuten habe ich also noch.
Von wegen!
Ich fasse zusammen. Sie diskutieren über die Einfüh-
rung einer Bürgerversicherung
und wollen den Zusatzbeitrag abschaffen. Ich erinnere
daran, dass nicht wir, sondern Sie die Praxisgebühr und
die Kopfpauschale eingeführt haben.
Ich habe den Eindruck, dass Sie eine Salamitaktik verfol-
gen und Stück für Stück die wichtigen Strukturreformen
zurücknehmen wollen.
Wir lehnen das ab. Wir halten uns an den Koalitionsver-
trag. Diesen werden wir weiter abarbeiten. Dazu gehört
aber nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, eine Rückkehr zur Parität, weder in dieser Legisla-
turperiode noch später.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Riebsamen. – Damit schließeich die wirklich lebendige Aussprache.Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion DieLinke mit dem Titel „Zusatzbeiträge abschaffen – Paritätwiederherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 18/9168, den Antragder Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7237 abzuleh-nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegengestimmt hat die Linke. Enthal-ten hat sich Bündnis 90/Die Grünen.Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Lasten und Kosten fairverteilen – Paritätische Beteiligung der Arbeitgeberin-nen und Arbeitgeber an den Beiträgen der gesetzlichenKrankenversicherung wiederherstellen“. Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/9169, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7241 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen.Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen warenBündnis 90/Die Grünen und die Linke. Die Beschluss-empfehlung ist damit angenommen.Ich freue mich sehr auf heute Abend. Wir treffen unshier um 21.45 Uhr im Plenum.
– Ja, sagen Sie es mal Ihren Kollegen!
Damit rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des LuftsicherheitsgesetzesDrucksachen 18/9752, 18/9833Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für TourismusIch bitte, die Plätze zu tauschen oder einzunehmen. –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die nicht ander Debatte teilnehmen wollen, sich draußen weiter zuunterhalten.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort demBundesminister Dr. Thomas de Maizière.
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Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wie fragil unsere Sicherheit ist, das hat uns der Sommerdieses Jahres mit schrecklichen Anschlägen in Deutsch-land und anderswo allzu deutlich vor Augen geführt. Wasin Deutschland bei Bedrohungslagen zu tun ist, die sichauf Straßen und Plätze bzw. auf Feste – also auf den Bo-den – beziehen, darüber haben wir in den letzten Wochenund Monaten viel diskutiert. Wir haben in diesem Hausviel gemacht, aber wir müssen – darüber werden wir zusprechen haben – noch ein bisschen mehr machen. Dasist aber heute nicht Gegenstand der Debatte.Heute geht es um den Luftraum, und der ist nicht we-niger gefährdet. Die Motive für Anschläge in der Luftsind so vielfältig wie das Spektrum an Bedrohungen: Fa-natismus, Amok, Selbstmord, Erpressung. Vor allem fürislamistische Gruppierungen stellt der zivile Luftverkehrimmer noch ein attraktives Anschlagsziel dar. Die Sym-bolkraft solcher Angriffe und die hohe Zahl an Opfern,mit denen solche Angriffe einhergehen, sind nicht erstseit dem 11. September bekannt und bis heute zu spüren.Wie verletzbar der Passagier- und Frachtverkehr, aberauch sonstige Infrastruktureinrichtungen des zivilenLuftverkehrs – wie etwa Flughäfen – sind, haben uns dievergangenen Monate auf fürchterliche Weise gezeigt. Esgab den Absturz einer Maschine über der Sinaihalbinselim vergangenen Oktober mit erheblichen Auswirkungenetwa auf die ökonomische Lage des betroffenen Landes,den schrecklichen Selbstmordanschlag auf dem Brüsse-ler Flughafen im März dieses Jahres und die verheerendeExplosion im Istanbuler Flughafen in diesem Sommer.Ich habe mit Blick auf die Meldungen der letzten beidenTage diese Aufstellung jetzt bewusst nicht vollständiggemacht.Wir müssen deshalb alles daransetzen, den Luftver-kehr so sicher wie möglich zu machen. Sicherheit brauchtVerantwortung, und Verantwortung braucht Wachsam-keit, Vorbeugung, Wissen und Weitsicht. Das gilt fürdie Sicherheit am Boden, und das gilt für die Sicherheitin der Luft. Natürlich kann es nirgendwo eine hundert-prozentige Sicherheit geben, auch nicht im Luftverkehr.Aber die Bürgerinnen und Bürger und nicht zuletzt auchdie Wirtschaft haben Anspruch darauf, dass wir, die wirVerantwortung tragen, das uns Mögliche tun, damit esgelingt, diesem Ziel so nahe wie möglich zu kommen.Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiger Bau-stein auf diesem Weg.
Mit ihm passen wir das Luftsicherheitsgesetz übrigensauch an geänderte EU-rechtliche Bestimmungen an.Das ist also auch ein EU-Umsetzungsgesetz. Und wirjustieren nationales Flugverkehrssicherheitsrecht nach.Beides sind wichtige Beiträge, um das Sicherheitsniveauim Luftverkehr spürbar zu erhöhen. Künftig kann dasBundesministerium des Innern für einzelne Flugzeugeoder eine näher bestimmte Gruppe von Flugzeugen beierheblichen Gefährdungen ein Flugverbot für Einflüge,Überflüge, Starts oder Frachtbeförderungen verhängen.Das kann dann der Fall sein, wenn tatsächliche An-haltspunkte den Schluss zulassen, dass Flüge bestimmterLuftfahrtunternehmen aus bestimmten Drittstaaten odermit bestimmten Beiladungen eine Gefahr für die Sicher-heit der Bundesrepublik Deutschland darstellen.Zum besseren Schutz vor möglichen Innentätern ver-schärfen wir zudem die Vorschriften über die Zuverläs-sigkeitsprüfung. Künftig werden auch die Arbeitnehmer,für die bislang eine Überprüfung durch den Arbeitgeberausreichend war, einer behördlichen Zuverlässigkeits-überprüfung unterzogen. Das betrifft vor allem das imFrachtbereich tätige Personal, also die Beteiligten an dersogenannten sicheren Lieferkette. Sie unterliegen künf-tig einer stärkeren Kontrolle. Das ist wichtig; denn beider Luftfracht ist die Transportkette komplex und stör-anfällig: vom Versender über das Lager, Transporteureund Frachtanlagen bis hin zum Flugzeug. Diese Sicher-heitskette muss im Interesse größtmöglicher Sicherheitlückenlos sein.Dann gibt es etwas, was ein Minister, der für Sicher-heit verantwortlich ist, ambivalent sieht. Das ist die voll-ständige Transparenz jedes Pakets auf jedem Weg. Dasist für den Kunden gedacht, damit er weiß, wann das Pa-ket kommt. Aber ob es wirklich nötig ist, dass man genauweiß, in welchem Flugzeug und wo es sich gerade in derLuft befindet, da habe ich erhebliche Zweifel. Ich weißnicht, ob das als kundenfreundlich bezeichnet werdenkann.
Schließlich führen wir eine bundeseinheitliche Zertifi-zierungs- und Zulassungspflicht für Luftsicherheitskon-trolltechnik ein, damit in allen Bereichen, in denen die-se besondere Technik zum Einsatz kommt, einheitlicheQualitätsstandards gelten.Meine Damen und Herren, wenn wir ein Flugzeug be-steigen oder einen Flughafen betreten, dann hoffen wir,dass alles technisch einwandfrei funktioniert. Wir hoffen,dass der Pilot im Cockpit gut ausgebildet und ausgeruhtund auch nicht krank ist. Wir hoffen, dass es keine Wet-terturbulenzen gibt. Für einen sicheren Flug sind wir aberauch darauf angewiesen, dass die Behörden zusammenmit den Unternehmen die bestmöglichen Maßnahmengegen Kriminelle und Terroristen ergreifen. Größtmögli-che Sicherheit hat im Flugverkehr oberste Priorität.Ich bin dankbar, dass die Bevölkerung dafür großesVerständnis hat. Ich halte deshalb eine zügige Beratungund Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs der Bundes-regierung für erforderlich und im Interesse der Sicherheitunserer Landes und der Passagiere für geboten und bitte,dass Sie dementsprechend die Beratungen aufnehmen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Dr. de Maizière. – Nächster Redner:Thomas Lutze für die Linke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit den 90er-Jahren werden immer mehr öffentliche
Aufgaben in private Hände überführt. Große Umbrüche
gab es gerade bei der Bahn, bei der Post und bei der Te-
lekommunikation. Aber auch die Befürworter dieser Ent-
wicklung haben immer betont, dass hoheitliche Aufga-
ben, die ein hohes Sicherheitspotenzial haben, beim Staat
bleiben sollten. Davon wollen Sie sich nun endgültig ver-
abschieden. Das lehnen wir ab.
Derzeit liegt die Qualität der Sicherheit bei Flugkon-
trollen – immerhin auch eine hoheitliche Aufgabe – in
den Händen privater Unternehmen. Sie ist streng genom-
men damit der Logik der Profitmaximierung unterwor-
fen. Ein privates Unternehmen wird immer nur die Auf-
gaben ausführen, für die es beauftragt wird, nicht mehr
und nicht weniger.
Man darf sich aber wundern, dass bei Testkontrollen
Waffen von Prüfern in den Sicherheitsbereich gebracht
werden konnten. Erst letzten Monat musste der Frankfur-
ter Flughafen evakuiert werden, weil eine Person einfach
durch die Sicherheitskontrolle spazieren konnte. Doch
anstatt aus diesen Skandalen im Zusammenhang mit
Flughafenkontrollen zu lernen, legen Sie einen Gesetz-
entwurf vor, der privaten Unternehmen nun noch weiter
Tür und Tor öffnet.
Noch halbwegs sinnvoll ist die Beauftragung von pri-
vaten Unternehmen im Bereich der Luftfracht. Bei den
Gepäck- und Personenkontrollen bedeutet die fortge-
schrittene Privatisierung eine völlige Aufgabe staatlicher
Kontrolle bei der Sicherheit am Flughafen. Während
bisher jeder einzelne Luftsicherheitsassistent im Auf-
trag der Bundespolizei Sicherheitsaufgaben des Staates
übernommen hat, ermöglicht Ihr § 16a im Entwurf ei-
nes neuen Luftsicherheitsgesetzes die Beleihung von
Unternehmen, die Personaleinsatz und -steuerung dann
allein übernehmen. Die Bundespolizei hat dann nur noch
die Fachaufsicht, das heißt am Ende die Verantwortung,
wenn irgendetwas passiert. Das ist kein Schritt zu mehr
Sicherheit. Es besteht die Gefahr, dass die Sicherheits-
standards an deutschen Flughäfen noch mehr von den
Gewinninteressen einzelner Unternehmen abhängig wer-
den. Deshalb müssen die Personen- und Gepäckkontrol-
len von der Öffnung in § 16a im Entwurf eines neuen
Luftsicherheitsgesetzes unbedingt ausgenommen wer-
den.
In Verbindung mit den Änderungen an § 5 des Luft-
sicherheitsgesetzes, der den Einsatz bewaffneter priva-
ter Sicherheitsleute hinter den Kontrollen ermöglichen
soll, wird es dann übrigens richtig toll. Theoretisch ist
es möglich, dass im Sicherheitsbereich bewaffnetes Per-
sonal eines beliehenen, also privaten Unternehmens her-
umläuft, ohne dass die Bundespolizei irgendetwas davon
weiß, und das offenbar – sonst wäre dieses Personal nicht
bewaffnet –, um Terroristen abzuwehren. Es ist nicht zu
fassen, dass die Antwort des Innenministers auf die ter-
roristische Bedrohung auf Flughäfen die ist, die notwen-
digen Sicherheitsmaßnahmen von anderen erledigen zu
lassen. Lieber Herr Innenminister, das geht so gar nicht.
Wenn die terroristische Bedrohung tatsächlich so groß
ist, wie uns der Innenminister jeden Tag kommuniziert,
dann muss doch die Antwort eine personelle und finanzi-
elle Stärkung der Polizei sein
und nicht die weitere Privatisierung ihrer Aufgaben.
Deshalb unser Vorschlag: Stellen Sie das notwendi-
ge Sicherheitspersonal bei der Bundespolizei an. Damit
schlagen Sie mehrere Fliegen mit einer Klappe: Wir kön-
nen uns auf kontrollierbare und bewährte Standards bei
der Aus- und Weiterbildung des Personals tatsächlich
verlassen. Bundespolizeibeamte können bei Kontrollen
unmittelbar eingreifen. Nicht zuletzt: Das Personal stün-
de in einem sicheren Arbeitsverhältnis. Das fordert nicht
nur die Linke, sondern auch die Polizeigewerkschaften.
Übrigens: Die Polizeigewerkschaften haben errechnet,
dass die Anstellung bei der Bundespolizei noch nicht
einmal mit höheren Kosten verbunden wäre.
Grundsätzlich geht es also um die Frage: Wie viel
Aufwand und wie viel Geld wollen wir uns die Sicher-
heit kosten lassen? Gerade die Union kommt bei der Ter-
rorabwehr ständig mit neuen, teilweise sogar grundge-
setzwidrigen Vorschlägen. Ich nenne als Stichworte die
Vorratsdatenspeicherung und die Onlinedurchsuchung.
Bei den Sicherheitskontrollen an Flughäfen hätten Sie
die Möglichkeit, ganz konkret etwas für mehr Sicherheit
zu tun. Schade, dass Ihnen nichts Besseres eingefallen
ist, als wieder die Privatisierungskeule auszupacken.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Thomas Lutze. – Nächste Rednerin:
Susanne Mittag für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Zuschauer!
Auf deutschen Flughäfen sind im Jahre 2015 rund216 Millionen Passagiere angekommen oder abgeflogen.Das ist keine Kleinigkeit. Die Passagierzahlen steigenweiter, und das weltweit. Die Welt rückt damit immernäher zusammen, und Flughäfen sind oftmals auch schonvom Ausmaß her eine eigene Welt. Leider sind auchFlughäfen selbst, wie schon eingangs erwähnt, im Fokusvon Terroristen. Die Anschläge von 9/11, aber auch derAnschlag in Brüssel im März dieses Jahres machen die
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Notwendigkeit von guten und umfangreichen Sicher-heitsmaßnahmen auf Flughäfen und der Flugsicherheitinsgesamt deutlich. Deswegen ist es gut und längst über-fällig, dass wir nun den Entwurf der Bundesregierung fürdie Änderung des Luftsicherheitsgesetzes beraten undfür weiter gehende Sicherheit sorgen.
Der Gesetzentwurf beruht zum einen auf Änderungendes EU-Rechtsrahmens, und zum anderen justiert er un-ser nationales Luftsicherheitsrecht nach. Es bestand Be-darf, da etwas zu ändern. Mir ist im Zusammenhang mitdiesem Gesetz sehr wichtig, dass wir uns weiterhin damitbeschäftigen, den Flugverkehr vor sogenannten Innentä-tern zu schützen. Das heißt, dass in Zukunft alle, die insensiblen Bereichen arbeiten, einer behördlichen Zuver-lässigkeitsprüfung unterzogen werden; nicht die Arbeits-verhältnisse werden geändert, sondern es wird die Zuver-lässigkeit überprüft. Das betrifft auch die Beschäftigten,für die bisher nur eine beschäftigungsbezogene Überprü-fung durch den Arbeitgeber erfolgte. Das hat einfach aus-gereicht; doch es ist heutzutage nicht mehr ausreichend.
Überall steigen die Standards. Dies ist das Ergebnis vonErfahrungen und Erkenntnissen aus Vorfällen.Der Entwurf sieht vor, dass auch Personal im ständigwachsenden Frachtbereich sorgfältig überprüft wird undes klare und strenge Regelungen gibt, wer an solch si-cherheitssensiblen Stellen arbeiten darf und wer nicht.Nun gilt diese Zuverlässigkeitsprüfung für die Pilo-tin genauso wie für den Mann in der Reinigungsfirma,das Personal am Securitycheck und die Mitarbeiter imFrachtbereich. Alle werden nach dem gleichen Verfah-ren überprüft; der gesamte Bereich ist schließlich hochsicherheitsrelevant. Wir haben in der vergangenen Sit-zungswoche etwas Ähnliches für das Bewachungsge-werbe beschlossen. Auch das wurde befürwortet. Aberauch da war der Grund steigende Anforderungen undfestgestellte Mängel. Es ist selbstverständlich, im Luftsi-cherheitsbereich nachzuziehen und eine Angleichung derRegelungen zu erreichen.
Eine wichtige Neuerung – das hat Herr de Maizièreschon angesprochen – ist die Möglichkeit, bei möglichenGefährdungslagen Flugverbote auszusprechen. Das isteine ganz außergewöhnliche Sache. Das kann einmal füreinzelne Flugzeuge gelten, kann aber auch eine bestimm-te Gruppe von Flugzeugen, zum Beispiel Kleinflugzeu-ge, betreffen. Grundlage solch eines Verbots wird sein,dass tatsächliche Anhaltspunkte, die auf eine erheblicheGefahr für Leben, Gesundheit, Freiheit oder nicht unwe-sentliche Vermögenswerte schließen lassen, vorliegen.Es ist immer schön, wenn man solche Definitionen schoneinmal zur Hand hat.Die Verbote können für Flüge bestimmter Airlines,aus bestimmten Drittstaaten oder mit bestimmten Beila-dungen, also Fracht, gelten, die den geforderten Sicher-heitsstandards nicht entsprechen. Grundlage und Aus-löser können sehr kurzfristig vorliegende Erkenntnisseder Sicherheitsbehörden sein. Es ist wichtig und lage-entscheidend, dass dann auch Maßnahmen ergriffen wer-den können, um Menschenleben zu schützen oder großeSchadenslagen zu verhindern. Das muss manchmal sehrschnell gehen.Wir werden in den Beratungen zu diesem Gesetzent-wurf sicherlich auch intensiv über sichere Lieferketten,über Zertifizierung von Sicherheitsausrüstung, luftsi-cherheitsrechtliche Bestimmungen für Airlines, Flugha-fenbetreiber und Zulieferer diskutieren.Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion den Kolle-ginnen und Kollegen von der CDU/CSU vorgeschlagen,eine Anhörung zur Änderung des Luftsicherheitsgesetzesdurchzuführen. Da ist schon eine ganz positive Resonanzerfolgt. Es gibt nämlich so vielseitige Themen, die nochbesprochen werden müssen, dass wir dazu gerne nocheinmal Sachverstand von außen einholen wollen. Daskann ja bei der Beratung nur helfen. Es wird aber amEnde sicher so sein: Die Standards werden erhöht; daserfordert nun mal die Prävention. Das müssen wir dortalso leisten.Bei all diesen Diskussionen dürfen wir eines nicht ver-gessen: Alles, was wir hier für die Sicherheit beschlie-ßen, wird am Ende auch Geld kosten – mein KollegeArno Klare wird gleich noch darauf eingehen –; aber dasmuss uns die Sicherheit der 216 Millionen Passagiere inDeutschland schon wert sein.
Zur grundsätzlichen Diskussion gehört auch, dasswir uns mit den Beschäftigten auf den Flughäfen, diefür unser aller Sicherheit Tag und Nacht arbeiten, ausei-nandersetzen müssen. Viele Bundespolizisten und Mit-arbeiter im Sicherheitsbereich, die etwa nach Münchenoder Frankfurt ausgeliehen werden, sind zum Beispielalles andere als glücklich mit dieser Situation. Sie habenzum Teil sehr weite Anfahrtswege, sind fernab ihrer ei-gentlichen Wohnorte und Dienststellen, werden oft sehrkurzfristig eingesetzt, und zwar für eine lange und unbe-stimmte Zeit. Hier besteht meiner Ansicht nach ebenfallsRegelungsbedarf, um ein nachhaltiges, auf die Zukunftausgerichtetes, in allen Bereichen funktionierendes undineinander verzahntes Sicherheitskonzept verwirklichenzu können.Diese Diskussion hier wird wahrscheinlich nicht dieletzte zu dem Thema sein – abgesehen von der zweitenund dritten Lesung dieses Gesetzes –; dann kommen wirnoch einmal völlig neu in dieses Thema hinein.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen erhältjetzt Irene Mihalic das Wort.Susanne Mittag
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Herr Lutze, ich bin ganz bei Ihnen:
Wenn schon Sicherheitsaufgaben von privaten Dienst-
leistern wahrgenommen werden, dann muss selbstver-
ständlich auch die Qualität stimmen. Wir haben uns hier
im Hause schon entlang unseres Antrags, den wir seiner-
zeit eingebracht haben, aber auch entlang des Gesetzent-
wurfs zum Bewachungsgewerbe ziemlich damit ausein-
andergesetzt, wo eigentlich genau die Linien verlaufen
bzw. was im Bewachungsgewerbe eigentlich konkret
verändert werden muss, damit insbesondere auch in der
zivilen Luftfahrt die Bedingungen so sind, dass wir zu
mehr Sicherheit kommen. Ich persönlich hätte mir selbst-
verständlich gewünscht, dass unser Antrag damals eine
Mehrheit gefunden hätte; er hat sie leider nicht gefunden.
Ich glaube, dann hätten wir weitaus bessere Standards im
privaten Sicherheitsgewerbe, als wir sie heute haben.
Die Situation in der zivilen Luftfahrt, im Bereich der
Flughäfen und eben auch bei der Luftfracht ist aber nun
einmal so, wie sie aktuell ist, und ich sehe hier im Haus
keine Mehrheit, diese Dinge zu verändern. Deswegen bin
ich doch sehr dafür, dass wir uns mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf befassen und schauen, ob es da vielleicht
nicht auch Dinge zu verbessern gibt, die wiederum die
Sicherheit in der zivilen Luftfahrt erhöhen. Meine ehr-
liche Einschätzung dazu: Wenn es die entsprechende
EG-Verordnung nicht gegeben hätte, die jetzt mit diesem
Gesetzentwurf umgesetzt werden soll, und die Presse vor
knapp einem Jahr nicht wieder gravierende Sicherheits-
lücken im Bereich der Luftfahrt in Deutschland aufge-
deckt hätte, wäre die Bundesregierung – ich jedenfalls
habe da meine Zweifel – wohl nicht von allein auf die
Idee gekommen, an diesem Gesetz etwas zu verändern.
Beschäftigte bei Luftfahrtunternehmen werden aktuell
eben nicht hinreichend überprüft, und das, obwohl sie in
einem hochsensiblen Sicherheitsbereich arbeiten und di-
rekten, unkontrollierten Zugang zu Frachtgütern haben,
die dann später als Zuladungen in Passagiermaschinen
transportiert werden. Deshalb ist es zunächst einmal gut,
dass hier nun ein Gesetzentwurf vorliegt, mit dem sich
das ändern soll bzw. der zumindest das Ziel hat, das zu
ändern.
– Sie können das Lob gerne annehmen an dieser Stelle.
Zur Kritik komme ich gleich. Ich mache aber zunächst
noch ein bisschen weiter mit dem Lob;
denn ich finde, ein solches Gesetz ist die Art von pra-
xisbezogener Sicherheitspolitik, die wir in allen zuletzt
geschnürten großen Sicherheitspaketen, die wir hier im
Haus ja auch leidenschaftlich beraten haben, so vermisst
haben. Hier wird zumindest nicht pauschal und massiv in
die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingegrif-
fen, sondern eine bestimmte Gefahr für die öffentliche
Sicherheit in den Blick genommen. Das finde ich an die-
sem Gesetzentwurf ausnahmsweise einmal begrüßens-
wert.
Was aber die Detailarbeit angeht, finde ich, tun Sie
sich weiter schwer. Ich vermisse jedenfalls, dass die Vor-
gaben der EU mit einem echten Mehrwert für die Praxis
so umgesetzt werden, dass die Rechtsanwendung erleich-
tert und die Sicherheit nachhaltig gefördert wird. Das be-
trifft zum Beispiel die Nachberichtspflicht von Personen
mit Zuverlässigkeitsüberprüfung. Da haben Sie in Ihrem
Gesetzentwurf, wie ich finde, nicht ausreichend bedacht,
dass sich der Wohnsitz, der Arbeitgeber oder andere
Dinge auch einmal ändern können. Ich weiß, dass sich
zum Beispiel die IHK hier Sorgen macht, dass das Ganze
am Ende für die Unternehmen zu aufwendig wird. Aber
letztlich geht es hier um die Sicherheit im Flugverkehr.
Der Bundesrat hat, finde ich, da einen sehr sinnvollen
Vorschlag gemacht. Vielleicht greifen Sie den im Verfah-
ren ja noch auf.
Ich frage mich auch, ob Sie die Erfahrungen des Luft-
fahrt-Bundesamtes hier hinreichend berücksichtigt ha-
ben; denn in den letzten Jahren wurden ja durch behörd-
liche Prüfungen in regelmäßigen Abständen zahlreiche
Mängel festgestellt. Deshalb, finde ich, müsste zualler-
erst einmal die Frage beantwortet werden, welche Rege-
lungen denn hier tatsächlich geeignet sind, die Sicherheit
durch staatliche Kontrollen zu verbessern. Denn das Ziel
von solchen regelmäßigen Kontrollen ist ja nicht, Jahr für
Jahr Mängel festzustellen, sondern sie auch abzustellen
und so für ein hohes Maß an Sicherheit zu sorgen.
Es ist schließlich auch das erklärte Ziel dieses Ge-
setzentwurfs, für Sicherheit zu sorgen. Nach meiner Ein-
schätzung braucht es dazu aber eben mehr Praxisbezug.
Daran fehlt es in diesem Entwurf noch. Aber wir wer-
den ja im Innenausschuss noch Gelegenheit haben, über
diesen Gesetzentwurf zu beraten. Wir werden dazu auch
eine Expertenanhörung durchführen, auf die ich schon
sehr gespannt bin. Insofern werden wir noch genug Gele-
genheit haben, genau diese Dinge zu diskutieren.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Stephan Mayer,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kol-leginnen! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Frau KolleginMihalic, zunächst einmal darf ich mich wirklich sehr
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ernsthaft für Ihre anerkennenden und lobenden Worte zudiesem Gesetzentwurf bedanken.
Zum Kollegen Lutze darf ich sagen: Das war ja eineinteressante Rede, die Sie gehalten haben. Man kann zuIhrer Rede und zum Inhalt stehen, wie man will – ichmöchte die jetzt gar nicht bewerten –, nur eines steht fest,lieber Herr Kollege Lutze: Diese Rede hat sich auf denfalschen Gesetzentwurf bezogen.
Ich erkenne beim besten Willen keine Privatisierungs-keule in diesem Gesetzentwurf. Das Gegenteil ist derFall. Bei uns haben sich im Vorfeld die Vertreter derLuftfahrtwirtschaft bzw. der Luftfahrtunternehmen eherdarüber beschwert oder davor gewarnt, dass eine zu star-ke staatliche Regulierung bzw. eine zu starke behördlicheEinflussnahme bei der Zuverlässigkeitsprüfung stattfin-det. Also das Gegenteil dessen, wovor Sie in Ihrer Redegewarnt haben, ist mit diesem Gesetzentwurf intendiert.Ich weise an dieser Stelle noch einmal darauf hin: Siehaben gefordert, es müssten endlich mehr Stellen bei derBundespolizei geschaffen werden. Ich sage es hier ganznüchtern: Kein Bundesinnenminister hat in so kurzer Zeitso viele Stellen bei der Bundespolizei geschaffen wie un-ser heutiger Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
Wir schaffen allein zwischen 2016 und 2020 über 7 000neue Stellen bei der Bundespolizei. Das entspricht20 Prozent der Belegschaft der Bundespolizei. Ich sagedas hier ganz nüchtern und würde mir wünschen, dasssich manche Bundesländer ein Beispiel daran nehmen.
Wir legen also wirklich klaren Wert auf innere Sicher-heit, und zwar nicht auf eine Privatisierung innerer Si-cherheit, also keine Privatisierungskeule, wie sie hier alsHorrorszenario an die Wand gemalt wurde, sondern wirsetzen auf den Staat, wir setzen auch auf die Bundespo-lizei.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,Debatten über Luftverkehrssicherheit sind immer sehremotional. Das war auch in den letzten Jahren der Fall:bei der erstmaligen Verabschiedung des Luftsicherheits-gesetzes, bei der Frage der Zuverlässigkeitsprüfung vonPrivatpiloten, bei der Einführung der Körperscanner, beidem Verbot des Mitführens von Flüssigkeiten im Hand-gepäck. Ich denke, wir werden in wenigen Monaten,wenn wir die sogenannte PNR-Richtlinie, also die Flug-gastdatenrichtlinie, in deutsches Recht umsetzen, wiedereine ähnlich emotionale Debatte führen. Das ist natür-lich ein Ergebnis des Umstandes, dass es immer um einsehr großes Spannungsfeld geht. Millionen Menschen inDeutschland und außerhalb Deutschlands legen Wert da-rauf, dass sie reibungslos verreisen können. Der Luftver-kehr ist natürlich eine sehr wichtige Wirtschaftsbranche.Mobilität ist ein berechtigtes und auch sehr schutzwürdi-ges Interesse. Natürlich ist ein gutes Luftverkehrssystemein wesentlicher und unverzichtbarer Erfolgsfaktor füreine Volkswirtschaft wie die unsrige.
Ich bin aber auch der festen Überzeugung und sagedas auch ganz deutlich, dass der Gesetzentwurf demnicht widerspricht – ganz im Gegenteil. So sehr jedervon uns und die Bürger Wert darauf legen, möglichst un-kompliziert und reibungslos zu verreisen, so sehr legenalle Wert darauf, sicher zu verreisen. Die Vergangenheithat auf sehr schauderliche und sehr dramatische Weisegezeigt, dass sowohl Flughäfen als auch der Luftverkehrinsgesamt sehr sensitive Ziele, insbesondere für islamis-tische Terroristen, sind. Deshalb ist es richtig, dass mitdiesem Gesetzentwurf das Schutzniveau für die Bürgererhöht wird, ohne aber – darauf lege ich auch Wert – dieBelange der Luftverkehrswirtschaft außer Acht zu lassen.Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass jetztdie Möglichkeit geschaffen wird, dass bei bestimmten,insbesondere sehr akuten Gefährdungssachverhalten dasBundesinnenministerium Flugverbote unterschiedlicherArt erlässt: sowohl gegenüber einzelnen Flugzeugen,aber auch gegenüber Arten von Flugzeugen.Es werden die Vorschriften für die Zuverlässigkeits-prüfungen verschärft. Lieber Herr Kollege Lutze, das isteben genau das Gegenteil von dem, was Sie postulierthaben. Es reicht nicht mehr, dass es bei Mitarbeitern, dieim Frachtverkehr tätig sind – gerade der Frachtverkehrist ein sehr sensibler Bereich –, nur eine beschäftigungs-bezogene Zuverlässigkeitsprüfung des Arbeitgebers gibt.Nein, wir gehen jetzt weiter und verlangen behördlicheZuverlässigkeitsprüfungen bezüglich dieser Personen,die im Frachtbereich tätig sind. Ich glaube, dass dies einedeutliche Verbesserung ist.
Darüber hinaus setzen wir notwendigerweise aucheuropäisches Recht um. Wir schaffen erstmals eine na-tionale Regelung für die Vorschriften der Zulassung undder Überwachung der Unternehmen, die im Rahmen dersogenannten sicheren Lieferkette im Frachtbereich tä-tig sind, und wir konkretisieren die Verfahren, mit de-nen europäische Bestimmungen zur Kontrolle der Luft-fahrtunternehmen in Deutschland umgesetzt werden, dieentweder Luftfracht oder Luftpost von einem Drittstaa-ten-Flughafen außerhalb der Europäischen Union in dieEuropäische Union befördern.Darüber hinaus führen wir erstmals ein bundeseinheit-liches Zertifizierungs- und Zulassungsverfahren ein undschreiben eine Zertifizierungs- und Zulassungspflicht fürdie Unternehmen fest, die Luftsicherheitskontrolltechnikherstellen, um einheitliche hohe Qualitätsstandards beider Luftsicherheitskontrolltechnik zu gewährleisten. WirStephan Mayer
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werden es in Zukunft auch so handhaben, dass Luftfahrt-unternehmen und Flugplatzbetreiber jedweder Art allenluftsicherheitsrechtlichen Bestimmungen unterliegen,wobei es im Einzelfall die Möglichkeit von Ausnahmengibt.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,ich glaube, dies ist ein sehr sachgerechter, ein sehr an-gemessener Gesetzentwurf, der sich in einem, wie vonmir dargestellt, sehr schwierigen Spannungsfeld bewegt.Auf der einen Seite steht das klare Interesse, möglichstunkompliziert und reibungslos zu verreisen, und auf deranderen Seite stehen die berechtigten hohen Sicherheits-interessen sowohl der Passagiere als auch der Mitarbeiteran den Flughäfen.Ich glaube, es ist nun einmal in erster Linie die Auf-gabe des Staates – wohlgemerkt, lieber Herr KollegeLutze – für Sicherheit zu sorgen: für Sicherheit insge-samt, aber allem voran auch für Sicherheit im Luftver-kehr. Diesen Erfordernissen und Bedürfnissen trägt die-ser Gesetzentwurf aus meiner Sicht in vollem UmfangRechnung.Wir werden, liebe Frau Kollegin Mittag, eine Sach-verständigenanhörung durchführen; das ist auch richtigund sachgerecht.
Trotzdem sollten wir den Rat des Bundesinnenministersimmer mit beherzigen. Wir befinden uns in einer erhöh-ten Bedrohungssituation und sollten das parlamentari-sche Verfahren zu diesem wichtigen Gesetzentwurf inder notwendigen Sachlichkeit und Seriosität, aber auchZügigkeit durchführen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Arno
Klare das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Unterlage,die ich in der Hand habe, ist nicht mein Redemanuskript,sondern die einschlägige Drucksache von heute. Das sinddie 64 Seiten, die gleich noch eine Rolle spielen werden.Die Kollegin Mittag hat die Summe gerade genannt;ich nehme als Beispiel den August dieses Jahres: Im Au-gust sind 22 Millionen Passagiere – im Jargon der Luft-verkehrswirtschaft Paxe genannt – über bundesdeutscheVerkehrsflughäfen abgewickelt worden. Im Jahr sinddas – in der Tat kommt ungefähr diese Summe heraus –zwischen 216 und 218 Millionen Passagiere. Das ist na-türlich im Vergleich mit einem anderen Verkehrsträger,nämlich der Bahn, die 2 Milliarden Passagiere befördert,relativ wenig. Gleichwohl ist der Sicherheitsaufwand anFlughäfen gewaltig und äußerst massiert. Kein andererVerkehrsträger garantiert heute schon ein so hohes Maßan Sicherheit wie der Luftverkehr. Das ist auch richtigund wichtig so; denn Sicherheit im Luftverkehr ist dasoberste Gebot, weil die Paxe, die Kunden, die da fliegenwollen, genau das von uns auch erwarten. Wir müssenihnen das liefern, und dieses Gesetz liefert genau das.
Wir haben in der Tat bereits einen beachtlichen Auf-wand an Sicherheit: Es gibt nach Artikel 10 der Luftsi-cherheitsverordnung der EU ein nationales Sicherheits-programm für Flughäfen. Es gibt einen dazugehörigenLuftsicherheitsausschuss beim Bund; ich gehe davonaus, dass er im Innenministerium angesiedelt ist. Undes gibt an jedem Flughafen einen Sicherheitsausschuss.Man stelle sich einmal vor, den gäbe es an jedem Bahn-hof. Also an jedem Flughafen gibt es den; insofern ist dasschon beachtlich.Und in Köln/Bonn können Sie zum Beispiel alsbald –da ist schon real etwas gebaut – beobachten, wie die§-5-Kontrollen, die jeder Passagier über sich ergehenlassen muss, wenn er in ein Flugzeug steigt, wesentlichperfektionierter ablaufen, wesentlich kundenfreundlicherund im Übrigen mit einem wesentlich höheren Maß anSicherheit. Da steht inzwischen auch kein Holzdummymehr, wie früher mal. Nein, das ist real; das ist aus Alu-minium und Stahl gebaut und wird alsbald in Betrieb ge-hen.Ich möchte das Augenmerk auf zwei Punkte im Ge-setzentwurf richten, die vielleicht im Rahmen der parla-mentarischen Beratungen noch etwas verändert werdensollten. Der eine betrifft den § 17a Luftsicherheitsgesetz.Der § 17a produziert Kosten für die Verkehrsträger inder Luftfahrt. Ich will die Kosten gar nicht beziffern,aber die werden sich auf zweistellige Millionenbeträgebelaufen. Ich hoffe, dass man sich irgendwann darüberverständigen können wird, eine Ausnahmeregelung in§ 9 Absatz 4 Bundesgebührengesetz zu treffen, sodassdie Gebühren in diesem Fall nicht in voller Höhe erho-ben werden. Ich verweise darauf, dass dieser Betrag beider Bahn nicht bei 100 Prozent liegt, sondern nur bei20,83 Prozent. Darauf sollten wir als Verkehrspolitikereventuell Wert legen.
Ein zweiter Punkt betrifft § 8. Dort ist nämlich etwasgeändert worden. Bisher standen dort nämlich die Worte„Unternehmer eines Verkehrsflughafens“. In der Anpas-sung an die EU-Richtlinien sind sie durch die Worte „Be-treiber eines Flugplatzes“ ersetzt worden. Das ist sehr all-gemein. Betreiber eines Flugplatzes ist auch eine Klinik,die einen Helilandeplatz hat. Und der können wir natür-lich nicht zumuten, die gleichen Sicherheitsanforderun-gen zu erfüllen. Das geht ja gar nicht; wie sollte man zumBeispiel Luft- und Landseite trennen? Das wird äußerstschwierig. Diese Änderung muss aber nun vorgenommenwerden. Es gibt jedoch in dem genannten § 8 auch einenAbsatz 2, der die Ausnahmeregelung durchaus zulässt.Nur wäre es sinnvoll, wenn die Ausnahmeregelung nichtüber die 16 Luftsicherheitsbehörden der Länder liefe,Stephan Mayer
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sondern bundeseinheitlich geregelt würde. Da mache ichden Vorschlag, dass wir eventuell § 16 des Luftsicher-heitsgesetzes ändern und dort eine Ausnahmegenehmi-gung für das Luftrettungssystem in Deutschland – es istnicht unerheblich groß – unterbringen. Wenn uns das inden folgenden Debatten und der parlamentarischen Bera-tung gelänge, würde das Gesetz noch besser, als es jetztschon ist.Danke.
Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tages-
ordnungspunkt ist der Kollege Florian Oßner, CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir als Verkehrspolitiker der CDU/CSU-Frak-tion begrüßen grundsätzlich die Initiative des Bundesin-nenministeriums zur Revision des Luftsicherheitsgeset-zes; denn eine Anpassung des nationalen Rechts an dasEU-Recht war überfällig.Die Bombenanschläge – der Herr Bundesministerhat darauf hingewiesen – an den Flughäfen Brüssel undIstanbul in diesem Jahr sowie der durch eine Bombe her-beigeführte Absturz der russischen A321 im vergangenenJahr haben uns wieder einmal tragisch vor Augen ge-führt, wie sehr der Luftverkehr im Fokus terroristischerAngriffe steht. Auch der Name meiner Heimat Landshutwird immer mit der Entführung einer auf den Namen„Landshut“ getauften Lufthansa-Maschine durch palästi-nensische Terroristen im Jahr 1977 tief in der Geschichteder Bundesrepublik verwurzelt bleiben.Seitdem ist es immer die oberste Priorität der Politikvon CDU/CSU gewesen, das Schutzniveau unserer Bür-gerinnen und Bürger weiter zu verbessern. Gerade fürdie Unionsparteien ist das Thema der inneren Sicherheitein Kernanliegen. Hier möchte ich ein ganz großes Loban unseren Bundesinnenminister Thomas de Maizière,aber auch an unseren innenpolitischen Sprecher StephanMayer schicken. CDU und CSU stehen gemeinsam fürRecht und Ordnung in unserem Land.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein gutes Beispielfür die konsequente Weiterverfolgung dieses Ziels; denner wird zu einer noch größeren Sicherheit des Luftver-kehrs in Deutschland führen. Um schnell und effizient aufmögliche Gefährdungslagen reagieren zu können, erhältdas Bundesinnenministerium zukünftig die Befugnis, einFlugverbot für einzelne oder mehrere Luftfahrzeuge zuverhängen. Abhängig vom konkreten Sachverhalt kannes sich dabei, wie bereits besprochen, um ein Einflug-,Überflug-, Start- oder ein Frachtbeförderungsverbot han-deln.Auch die Vorschriften für die Zuverlässigkeitsüber-prüfung von Arbeitnehmern in sicherheitsrelevanten Be-reichen werden verschärft. Dies betrifft insbesondere dasim Frachtbereich tätige Personal, das damit in Zukunfteiner stärkeren Kontrolle unterliegt. Aus verkehrspoliti-scher Sicht wäre ein Schnellverfahren dazu wünschens-wert.Das ist unser aktiver Beitrag zur Sicherheit unsererFluggäste und an den Flughäfen in Deutschland.
Ebenfalls im Bereich der Luftfracht wird die soge-nannte sichere Lieferkette, also die Zulassung und Über-wachung der beteiligten Unternehmen geregelt. Ausverkehrspolitischer Sicht bedeutsam sind die Verord-nungsermächtigungen. Das bedeutet für uns eine trans-parente Gebührenpraxis in der Luftfahrtbranche. Da binich ganz beim Kollegen Klare, der das in ähnlicher Weiseangesprochen hat. Allerdings müssen wir darauf achten,bei den einzelnen Gebührentatbeständen mit Vernunftvorzugehen, um den Luftverkehrsstandort Deutschlandim internationalen Vergleich nicht zu benachteiligen.Meines Erachtens müssten wir zum Beispiel die Ab-schaffung der wettbewerbsfeindlichen Luftverkehrsteu-er noch stärker ins Auge fassen. Damit könnten wir denLuftverkehrsstandort Deutschland zusätzlich sichern. ImKoalitionsvertrag haben wir hierzu festgelegt – ich zi-tiere –:Wir werden den Luftverkehrsstandort Deutschlandstärken und setzen uns für den Erhalt seiner interna-tionalen Wettbewerbsfähigkeit ein. Bei der Einfüh-rung von fiskal- oder ordnungspolitischen Maßnah-men im Luftverkehr werden wir auf ein positivesNutzen-Kosten-Verhältnis achten. Die Folgen fürdie Mobilität in Deutschland und ihre Wirksamkeitfür einen effektiven Lärm- und Umweltschutz müs-sen in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen.Ich denke, exakt das trifft es im Kern, meine lieben Kol-leginnen und Kollegen. Wir brauchen für unsere Ent-scheidungen auch das richtige Augenmaß.Welche herausragende volkswirtschaftliche Bedeu-tung die Luftverkehrsbranche in Deutschland hat, kannman sehr gut an meiner Heimatregion Landshut undKelheim erkennen, da sie äußerst stark durch ihre di-rekte Nähe zum Flughafen München profitiert: Mit rund30 000 Beschäftigten ist der Flughafencampus die größteArbeitsstätte der Region. Viele davon haben ihren Le-bensmittelpunkt in Landshut und Umgebung, aber aucheine Vielzahl von Firmen hat sich extra aufgrund derunmittelbaren Nachbarschaft zum Flughafen dort ange-siedelt. Der Flughafen ist ganz klar einer unserer Jobmo-toren.Meine Damen und Herren, die Luftverkehrsbrancheist für unser Land von immenser Bedeutung, aber Kon-kurrenz aus den Golfstaaten und der Türkei setzt unsereFluggesellschaften und Flughäfen massiv unter Druck.Wir stehen daher in besonderer Verantwortung: zum ei-nen für die Sicherheit, zum anderen dafür, dass unsereLuftverkehrswirtschaft nicht über Gebühr belastet wird.Arno Klare
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Deshalb möchte ich Sie bitten – trotz aller Zustimmungzu der sehr guten Gesamtmaßnahme –, im Rahmen wei-terer Prozesse die gebührenrechtlichen Regelungen ge-nau zu überprüfen.Herzliches Vergelts Gott fürs Zuhören.
Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf den Drucksachen 18/9752 und 18/9833 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es von Ihrer Seite aus dazu andere Vorschläge? –
Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Kerstin Andreae, Kai Gehring,
Dr. Thomas Gambke, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur steuerlichen Förderung von Forschung
und Entwicklung kleinerer und mittlerer
Drucksache 18/7872
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses
Drucksache 18/9840
Drucksache 18/9841
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat der Kol-
lege Dr. Philipp Murmann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste! Von der Luftsicherheit zur For-schungsförderung: Das Feld im Bundestag ist weit. DerForschungsstandort Deutschland ist exzellent, innovativund leistungsfähig.
Dafür haben wir gemeinsam gesorgt. Wir haben das3-Prozent-Ziel fast erreicht; es sind etwas mehr als2,9 Prozent, also fast 3 Prozent.
600 000 Mitarbeiter arbeiten im Bereich Forschungund Entwicklung. Forscher kommen aus den USA nachDeutschland zurück.
Wir haben viele Hidden Champions, die stark technolo-giegetrieben sind. Wir sind Nummer zwei bei den Expor-ten forschungsintensiver Waren. Das EFI-Gutachten be-stätigt uns, dass wir immer noch Nummer eins in Europabei Prozess- und Produktinnovationen sind.
Insofern stehen wir gut da.Woher kommt das? Wir haben den Haushalt – wirnehmen zufällig das Jahr 2005 –
in den Jahren 2005 bis 2016 von 7 auf 17 Milliarden Euromehr als verdoppelt. Das schlägt sich natürlich auch da-rin nieder. Wir haben die Projektförderung stark ausge-weitet. Wir haben erfolgreiche Programme wie ZIM undKMU-innovativ. Wir haben die AiF als Forschungsge-meinschaft, gerade für den kleineren und mittleren Be-reich.
– Ja, das finden Sie auch gut, Frau Andreae. Wir kommengleich zum Thema.
– Genau. – Wir haben natürlich bei den Unternehmens-gründungen das eine oder andere verbessert, was unsauch in diesem Bereich nach vorne bringt.Brauchen wir also zusätzlich eine steuerliche For-schungs- und Entwicklungsförderung?
Das ist die Fragestellung, die Sie uns aufgeben. Es gibteiniges, was dafür spricht. Ich habe ja schon bei der ers-ten Lesung gesagt: Wir haben grundsätzlich durchausSympathien dafür. Die Projektförderung erfasst nämlichnur einen Teil der Unternehmen, etwa 3 000. Man könn-te sicherlich noch an die anderen herangehen. Man kannaber auch fragen: Warum forschen die eigentlich nicht?Gibt es vielleicht Gründe dafür?
Gleichzeitig gilt es – das haben uns die Sachverstän-digen auch mitgegeben –, einige Fragestellungen zu klä-ren. Die steuerliche Forschungsförderung hat den Vorteil,dass sie frei ist, das heißt, man kann frei entscheiden,was man mit den Mitteln macht, gleichzeitig ist sie aberauch nicht zielgenau. Das war andererseits sozusagenFlorian Oßner
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das Gegenargument. Dann wurde die Frage diskutiert:Kann man eine Doppelförderung völlig ausschließen?Wie groß ist der Aufwand, das gegenseitig abzugrenzen?Ist der Bezug auf Personalkosten alleine oder der Bezugauf Personal- und Sachkosten richtig? In der Anhörungkam auf jeden Fall heraus, dass der Vorschlag, den Siegemacht haben – 15 Prozent Steuerermäßigung auf alleFuE-Kosten für Unternehmen bis 50 Millionen EuroUmsatz und bis zu 249 Mitarbeiter –, nach Meinung dermeisten Sachverständigen nicht zielführend ist. Das liegtinsbesondere an der Problematik mit den großen und denkleinen Unternehmen.
– Es gab einige, die gesagt haben: „Für alle“; aber es gabauch Sachverständige, die gesagt haben, dass man die ge-wünschte Zielgruppe durch eine Begrenzung auf Unter-nehmen mit bis zu 249 Mitarbeiter wahrscheinlich nichterreichen kann. Für die kleineren Unternehmen gilt, dassdie Projektförderung besonders erfolgreich ist.Die Frage ist immer, ob große gegen kleine Unter-nehmen ausgespielt werden. Ein wesentliches Argumentwar, dass die großen und die kleinen Unternehmen geradeim Forschungsbereich intensiv zusammenarbeiten, waswir bei einer solchen Förderung besonders berücksich-tigen müssen. Deswegen sollten wir nicht entweder diekleinen oder die großen Unternehmen berücksichtigen.Man muss einen ausgewogenen Weg gehen, also sowohlkleine als auch große Unternehmen berücksichtigen, da-mit die sogenannten Spill-over-Effekte erzielt werdenkönnen. 1 000 Mitarbeiter könnte – das war zumindestmeine Conclusion aus der Anhörung – vielleicht eineRichtgröße sein, wobei dann wiederum die Beihilfefragezu klären wäre. Insofern ist das insgesamt ein nicht ganzeinfaches Thema.Ich möchte kurz auf vier andere Aspekte eingehen, diein der Anhörung eine Rolle gespielt haben:Erstens. Wie relevant ist die steuerliche Forschungs-förderung für Start-ups?
In der Anhörung kam für mich klar heraus: Wagniska-pital ist deutlich sinnvoller und wichtiger. Ich denke,unser Gesetzentwurf zu den Verlustvorträgen bringt daeinen zusätzlichen Schub. Insofern ist, wie ich denke, diesteuerliche Forschungsförderung an der Stelle nicht un-bedingt das richtige Instrument.Zweitens. Digitalisierung ist für uns alle ein großesThema. Kann man mit steuerlicher Forschungsförderungdie Digitalisierung massiv vorantreiben? Meiner Ansichtnach herrschte diesbezüglich die Meinung vor, dass dafürdie Projektförderung geeignet ist, weil sie zielgerichteteingesetzt werden kann. Auch dafür ist die steuerlicheFuE-Förderung also nicht unbedingt geeignet.Drittens. Die Zertifizierungsstelle, die Sie vorschla-gen,
ist auf der einen Seite natürlich mit Bürokratie verbun-den – man müsste überlegen, wie man das aufbaut –, siehätte auf der anderen Seite den Vorteil, dass man einegewisse Rechtssicherheit bekommt.Viertens. Die Patentboxen machen uns zunehmendProbleme. In meinem Wahlkreis sind gerade Gewerbe-steuereinnahmen weggebrochen, weil ein Unternehmendie Patentbox in Holland genutzt hat. Wir müssten unsim Finanzausschuss einmal überlegen, wie wir damitumgehen. Ich finde, man kann nicht einfach darüber hin-wegschauen.
Das auf europäischer Ebene zu lösen, wäre am allerbes-ten. Wenn das aber nicht so schnell geht, sollten wir über-legen, was wir bei uns machen können.
Fazit: FuE-Förderung ist der wichtigste StandortfaktorDeutschlands. Die Projektförderung ist ein sehr erfolg-reiches Instrument, das uns zu diesem Erfolg verholfenhat. Die steuerliche FuE-Förderung hat viele Fans – ichgehöre auch dazu –;
aber wir haben uns entschieden, dem Gesetzentwurf jetztnicht zuzustimmen. Wir haben aber bald wieder Wahlen,wie Sie vielleicht gehört haben.
Dann werden wir hoffentlich wieder in Koalitionsver-handlungen eintreten, vielleicht ja sogar mit Ihnen, FrauAndreae. Schauen wir einmal, was dabei herauskommt.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Als Nächste hat Dr. Petra Sitte, Frakti-
on Die Linke, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ummal gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Es bleibt da-bei – das hat auch die Anhörung ergeben –: Die Wirkungsteuerlicher Forschungsförderung ist umstritten. MancheStudien sehen keine positiven Effekte durch eine Zu-nahme von Forschungs- und Entwicklungsausgaben aufvolkswirtschaftlicher Ebene. Andere wiederum sehenimmerhin einen Zuwachs an Forschungsausgaben durchdie Privatwirtschaft. Dritte wiederum sehen diesen Effektgerade nicht bei den von diesem Gesetzentwurf adres-Dr. Philipp Murmann
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sierten Zielgruppen, und noch weniger angesichts desvorgeschlagenen Finanzvolumens. Unsicher ist auch, obsich der Zertifizierungsaufwand für kleine Unternehmen,von denen in diesem Gesetzentwurf vor allem die Redeist, nach dem vorgeschlagenen Modell überhaupt lohnt.Die Ökonomieprofessorin Marianne Mazzucato, diegestern gefeierte Gastrednerin beim SPD-Wirtschafts-empfang war
– und ich habe ihr Buch gelesen –,
hat in ihrem Buch Das Kapital des Staates die Ergebnissesteuerlicher Forschungsförderung wie folgt bilanziert –ich zitiere –:Steuererleichterungen sind eher ein willkommenesGeschenk für Firmen, die sowieso schon in For-schung und Entwicklung investieren.Es ist also durchaus verständlich, dass Unternehmer-verbände dieses Geschenk gern zusätzlich hätten. Aberweder ist es besonders geeignet, kleine und mittlere Un-ternehmen überhaupt zum Forschen anzuregen, noch istes ein Mittel – darum müsste es ja auch und gerade denGrünen gehen –, gezielt Innovationspotenziale einer be-stimmten Branche zu stärken.Frau Mazzucato zeigt an den Erfolgen beispielsweisevon Silicon Valley, der Medikamentenentwicklung unddem recht jungen Industriezweig Biotech, wer wirklichdie bahnbrechenden Innovationen finanziert.
Es sind gerade auch in den USA staatliche Förderpro-jekte, projektbezogene Kredite des Staates und staatlicheForschungseinrichtungen, die das eben tun, und wir soll-ten ja nach Ihrer Intention den Blick über den Tellerrandheben.Die bedeutende Eigenleistung der Unternehmen imInnovationsprozess beginnt erst mit der schlauen Kom-bination anwendungsreifer Technologien. Führend beider Vermarktung dieses Wissenstransfers von der öffent-lichen Hand in die Privatwirtschaft ist Apple. Mit demiPhone hat Apple 2007 die IT-Branche, unser Kommu-nikationsverhalten und die Digitalisierung auf den Kopfgestellt.
Grundlegend neu und anders und damit den Erfolg desheutigen Smartphones begründend, waren unter anderemdie Touchscreens und das Scrollen mit den Fingern. Bei-de Technologien aber wurden wie alle anderen Neuerun-gen durch programmatische staatliche Förderung ent-wickelt, das heißt teilweise auch mit jahrzehntelangemVorlauf. Das spricht also durchaus für langen Atem aufder staatlichen Seite.
Apple selbst wiederum verringerte trotz steuerlicherForschungsförderung seine eigenen FuE-Ausgaben zwi-schen 2001 und 2011 von 8 auf 2,2 Prozent des Umsat-zes.
– Ja, das sei in Rechnung gestellt; aber da haben wirschon aufgepasst. – Die letzte große Innovation im Ap-ple-Kosmos, die Sprachassistenz Siri, beruht wiederumauf Projektförderung durch den Staat.Dass grundlegende Innovation nicht aus der Privat-wirtschaft kommt, ist dabei also nur folgerichtig. DasAusfallrisiko für solche Investitionen ist von der Grund-lagenforschung bis zur Markteinführung schlicht und er-greifend – das wird jeder nachvollziehen können – vielzu hoch. Was für kalifornische Weltkonzerne gilt – des-halb habe ich das Beispiel auch hier angeführt –, gilt erstrecht für kleine und mittlere Unternehmen. Da helfen die15 Prozent Steuerbonus auch nicht weiter.Wir müssen uns also als Gesellschaft angesichts derglobalen ökologischen und sozialen Herausforderungenfragen, welche Innovationen wir tatsächlich brauchenund welche wir tatsächlich auch haben wollen,
und daran sollte sich Forschungsförderung ausrichten.Diese kann am Ende gerne vermarktbar sein; da sind dieLinken die Letzten, die etwas dagegen haben.
So können also dann wissenschaftliche Einrichtungenund Unternehmen durchaus nachhaltige Produkte undVerfahren herausbringen. Dies unterstützen wir als Po-litik allerdings nicht durch Steuergeschenke nach demGießkannenprinzip,
sondern vor allem durch Projektförderung, die eben ge-rade, wie ich zu belegen versucht habe, für kleine undmittlere Unternehmen besonders attraktiv ist.Danke.
Vielen Dank. – Als Nächster hat Lothar Binding,
SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Kollege Murmann hatDr. Petra Sitte
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ja schon die Leistung beschrieben, die in Deutschland inForschung und Entwicklung von kleinen und mittlerenUnternehmen erbracht wird. Von René Röspel gab es da-raufhin begeisterten Applaus.Wir sehen, dass auf diesem Gebiet sehr viel passiert.Dort gibt es enorme Leistungen. Deshalb ist vielleichteine Art digitaler Antwort nicht hinreichend, wie sie ges-tern gegeben wurde – Sie haben sie indirekt zitiert –, alseinerseits von „wasted money“, also Vergeudung vonGeld, und andererseits von Forschungsförderung alswünschenswertem Instrument gesprochen wurde. Da-zwischen könnte die Wahrheit liegen. Es gibt keine digi-talen Antworten.Immerhin entfallen auf KMUs ja im Moment 10 Pro-zent der gesamten FuE-Ausgaben in Deutschland – dasist eine ganze Menge – und 15 Prozent der Innovations-ausgaben aller deutschen Unternehmen. Dennoch sagteine Expertenkommission, dass die Innovationsanstren-gungen, also die Intensität von KMUs bei Forschung undEntwicklung, langfristig nachlassen. Darüber muss manmeines Erachtens nachdenken;
denn wenn das langfristig andauern würde, würde manmerken, dass wir Probleme bekommen könnten.Woran liegt das? Hohe Innovationskosten sind einHemmnis; das ist klar. Wirtschaftliche Risiken sind fürkleine Unternehmen schwerer zu tragen. Der Mangelan Fachkräften ist ein sehr ernstes Problem, ebenso derMangel an internen und externen Finanzierungsmög-lichkeiten, weil die Innenfinanzierung der Unternehmenhäufig nicht stark genug ist. Deshalb muss man sich dieSituation genau anschauen. Die Projektförderung greiftsehr zielgenau. Deshalb zeigt sie die guten Ergebnisse,die Sie beschreiben.Was wir noch nicht haben, ist eine steuerliche Förde-rung. Deshalb ist es klug, darüber nachzudenken. Wirfinden den Gesetzentwurf der Grünen im Großen undGanzen sehr gut.
Natürlich gibt es ein Aber; sonst würde ich ja gleich sa-gen, dass wir zustimmen. Übrigens, wenn wir in andereOECD-Länder schauen, sehen wir, dass es in 28 von 34eine Forschungsförderung gibt. Es ist also nicht so, dassdas eine Idee wäre, die man von vornherein ablehnenkann. Sie klingt auch irgendwie attraktiv.Forschungsförderung für kleine Unternehmen ist im-mer schwierig. Sie müssen einen Projektantrag stellenund tragen ein hohes Risiko, dass er abgelehnt wird. Esist aufwendig und bürokratisch. Man denkt immer, dieadministrativen Kosten bei der Forschungsförderung sei-en gering. Aber es ist ein Irrglaube, zu meinen, das seileicht administrierbar.
Denn die Abgrenzungsprobleme, die bei der Frage auf-treten, was eigentlich förderungswürdig ist, bleiben na-türlich bestehen und erschweren den gesamten Prozess.
Bezogen auf den konkreten Änderungsvorschlaghinsichtlich § 35c Einkommensteuergesetz sage ich: Erklingt harmlos, führt aber zu Belastungen von geschätzt770 Millionen Euro. Das ist kein Pappenstiel. Ich glaube,darüber muss man wirklich nachdenken. Von den ande-ren Bedingungen, die die Grünen formulieren, könnenwir viele mittragen. Eine Steuerermäßigung in Höhevon 15 Prozent für alle Aufwendungen zusätzlich zu denBetriebsausgaben ist eine ganz gute Idee. Eine Begren-zung auf 15 Millionen Euro pro Unternehmen und For-schungsvorhaben finden wir auch in Ordnung. Dass esfür denselben Zweck, also Forschungsförderung, keineandere Förderung aus öffentlichen Töpfen geben soll,finden wir ebenfalls gut. Wir merken schon, dass der Ge-setzentwurf ganz gut ist.
– Das brauche ich Ihnen nicht zu erklären. Sie sind jaauch in Koalitionen und wissen, wie so etwas funktio-niert.
Wir finden es auch gut, dass es, wenn die Steuerermä-ßigung höher ist als die Steuerzahlung, Tax Credits gibt.Die einzelnen Maßnahmen sind also ganz gut.Was Sie nicht geschafft haben – jetzt sollten Sie zu-hören –, ist, die Zielgenauigkeit zu erhöhen und Mitnah-meeffekte zu vermeiden. Das Ergebnis in der Anhörungwar tatsächlich, dass Unternehmen mit bis zu 249 Mitar-beitern möglicherweise die falsche Zielgruppe sind bzw.dass wir die allerwichtigste vergessen: Unternehmen mitetwa 250 bis 2 000 Mitarbeitern – ob genau das die rich-tige Zahl ist, ist egal –;
denn in diesen Unternehmen wird viel mehr geforscht.
Die Zielgenauigkeit lässt also zu wünschen übrig. Wennwir das noch hinbekommen, glaube ich, können wir ei-nen gemeinsamen Gesetzentwurf machen.Schöne Zeit.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Kerstin Andreae,Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.Lothar Binding
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon außergewöhnlich, wie sich die Vertreter der
Großen Koalition hier winden, um Argumente zu finden,
warum man jetzt nicht zustimmen kann.
Das ist sehr erhellend.
Wir haben am 15. März 2016 diesen Gesetzentwurf in
diesem Hause eingebracht. Was ist bisher passiert? Am
9. Mai hat die grün-schwarze Landesregierung in Ba-
den-Württemberg die steuerliche Forschungsförderung
in den Koalitionsvertrag geschrieben. Der Bundesrat hat
am 17. Juni eine Entschließung zu diesem Thema verab-
schiedet. Letzte Woche hat Wirtschaftsminister Gabriel
auf der BMWi-Homepage eine Pressemitteilung des
Bündnisses „Zukunft der Industrie“ veröffentlicht, in
der gefordert wird, dass die Bundesregierung jetzt doch
bitte eine steuerliche Forschungsförderung auf den Weg
bringt.
Am selben Tag hatten wir eine Sachverständigenan-
hörung im Finanzausschuss. Es war fast nicht möglich,
einen Sachverständigen zu finden, der die Meinung der
Koalition vertritt. Dies tat nur die Vertreterin des DIW,
die gesagt hat, dass steuerliche Forschungsförderung kei-
ne gute Idee ist. Schließlich lesen wir, dass Hubertus Heil
sagt, dass es für einen Forschungsbonus für kleine und
mittlere Unternehmen jetzt endlich Zeit ist. Ja, Himmel,
dann macht es doch endlich. Der Zug ist auf dem Gleis.
Das Thema steht jetzt an.
Das Zeitfenster für die Einführung einer steuerlichen
Forschungsförderung ist nicht unbegrenzt; es ist schmal.
Wenn Sie jetzt wieder argumentieren, dass wir erst ein-
mal Wahlkampf machen, dass es dann in die Koalitions-
verhandlungen geht und dass wir dann erst weiterschau-
en, muss ich sagen: Das ist genau das Gleiche wie vor
vier Jahren. Ihr hattet beide in euren Wahlprogrammen
stehen, dass ihr eine steuerliche Forschungsförderung
wollt. Jetzt gehen wir auf die Wahl 2017 zu, dann wird
es 2018. Wie lange sollen wir denn noch warten? Macht
es jetzt.
Alle zusammen beklagen, dass die Forschungsinten-
sität in den KMUs abnimmt. Ja, sie nimmt wirklich ab –
massiv. Das heißt, wir verzichten auf kreatives Potenzial,
wir verzichten auf Ideen, und wir verzichten auf das, was
in den KMUs entwickelt wird.
Und: Nein, wir wollen nicht, dass die Forschungsför-
derung die Projektförderung ersetzt; sie soll sie ergänzen.
Wenn man sieht, dass die Mittel aus dem ZIM, dem Zen-
tralen Innovationsprogramm Mittelstand, zur Jahresmit-
te 2016 schon komplett abgerufen sind, dann heißt das,
dass es einen großen Bedarf an Forschungsunterstützung
gibt.
Das könnte doch den Weg dafür freimachen, dass man
sagt: Zur Projektförderung und zum ZIM kommt jetzt
eine steuerliche Forschungsförderung hinzu, die mehr
Freiheit, mehr Freigeist, mehr Innovation möglich macht.
Dass ich der Union das sagen muss, zeigt wieder einmal,
dass Grüne für innovative Wirtschaftspolitik stehen und
nicht Sie.
Jetzt noch etwas zum Thema „Große und kleine Un-
ternehmen“. Herr Murmann, Sie sagen: Weil wir es nicht
für alle machen können, machen wir es jetzt für keinen.
Eine Superstrategie, eine ganz tolle Strategie! Dass die
Sachverständigen von BDI und DIHK sagen: „Das ist
uns zu eng gefasst; wir hätten das gern für alle“, hat
mich, ehrlich gesagt, nicht gewundert.
Wir sagen aber, dass große Unternehmen deutlich besser
in der Lage sind, sich an der Projektförderung zu beteili-
gen, weil sie die Manpower dafür haben und dies leisten
können, dass aber kleine Unternehmen eher aus der Pro-
jektförderung aussteigen, weil sie die ganzen Antragstel-
lungen und die Bürokratie von der Manpower her einfach
nicht stemmen können.
Deswegen sagen wir: Wir wollen für KMUs eine ziel-
genaue steuerliche Forschungsförderung, um hier Inno-
vationen anzutreiben. Das ist innovative Wirtschaftspoli-
tik. Das sollten Sie jetzt machen.
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion sprichtjetzt der Kollege Dr. Philipp Lengsfeld.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist ein tolles Timing, dass ich direkt nach Frau Andreae
reden darf.
Ich möchte zunächst sagen, dass ich anlässlich der zwei-
ten und dritten Beratung dieses Gesetzentwurfs der An-
tragstellerin, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, aus-
drücklich danken möchte. Ich finde es gut, dass Sie einen
Gesetzentwurf zu diesem Thema eingebracht haben.
Das sage ich nicht nur, weil wir im Grundsatz einer
Meinung sind, sondern auch und vor allem, weil wir auf
Grundlage Ihres Gesetzentwurfes noch einmal ausführ-
lich über diese Thematik diskutieren konnten. Ich finde,
das hat uns alle weitergebracht.
Zur Wiederholung noch einmal zum Grundsätzli-
chen – es ist hier schon mehrfach gesagt worden, aber
ich will es noch einmal ganz deutlich aussprechen –: Die
AG Bildung und Forschung der CDU/CSU-Fraktion,
für die ich hier spreche, hat eine glasklare Position. Wir
unterstützen die steuerliche FuE-Förderung. Die For-
schungspolitiker der Union sprechen sich übrigens schon
seit Jahren für sie aus, jetzt wieder mit Nachdruck. Wir
sehen hierin – das alles ist schon gesagt worden, aber ich
wiederhole es – einen wesentlichen Hebel, um die For-
schungs- und Entwicklungsaktivitäten von Unternehmen
zu stärken. Wir haben dabei für Deutschland ein Ziel von
3 Prozent plus fest im Blick.
Steuerliche Forschungsförderung ist – das ist ihr wich-
tigstes Prä – im Grundsatz themenoffen, branchenoffen
und breitenwirksam. Wenn sie richtig gemacht wird, ge-
neriert sie auch eine starke Hebelwirkung.
Aber wir reden über Geld, über sehr viel Geld.
Deshalb sind vermeintliche Detailfragen eben doch sehr
wichtig.
Im Verfahren haben wir – ich habe es schon gesagt – viel
gelernt. Übrigens war auch das schon zitierte Fachge-
spräch im Finanzausschuss sehr hilfreich.
Ich möchte zwei Punkte vertiefen.
Erster Punkt. Natürlich müssen wir auf die haushal-
terische Verhältnismäßigkeit achten, nicht nur – Frau
Andreae, zu Ihrem Punkt komme ich gleich –, aber vor
allem, da wir eine sehr gute, sehr auskömmlich finanzier-
te direkte Projektförderungsstruktur haben. Diese gilt es
im Kern zu erhalten. Aber die haushalterische Bremse,
die das Bündnis 90/Die Grünen vorschlägt, ist mit großer
Sicherheit – das haben die Diskussionen aus meiner Sicht
gezeigt – nicht die richtige. Wir sollten nicht zwischen
der Forschung in KMUs und der Forschung in größeren
Firmen unterscheiden.
Frau Andreae, da Sie mich direkt ansehen, wiederhole
ich es: Wir sollten nicht zwischen der Forschung in klei-
neren und in größeren Firmen unterscheiden.
Die steuerliche Forschungsförderung kann ihr volles Po-
tenzial innerhalb der deutschen Volkswirtschaft nur ent-
falten, wenn Unternehmen aller Größenklassen gefördert
werden. Das ist meine feste Überzeugung.
Die vorgeschlagenen Größenbeschränkungen bil-
den auch die Unternehmenswirklichkeit in Deutschland
nicht ausreichend ab; wir haben das schon diskutiert. Es
kommt zu Abgrenzungsproblemen. Daneben müssen wir
auch das Thema Standortvorteil im internationalen Wett-
bewerb – eigentlich haben wir momentan in Deutschland
eher einen Standortnachteil; das habe ich in meiner ersten
Rede auch schon gesagt – im Blick behalten. Das betrifft
vor allem die größeren Unternehmen, und das wissen Sie
ganz genau.
Ich muss Sie jetzt einmal ganz kurz unterbrechen: Ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gambke?
Ich gestatte normalerweise immer Zwischenfragen,aber ich glaube, heute Abend ist es nicht nötig, weil wirdas schon genug ausdiskutiert haben. Ich führe das kurzzu Ende.
Es haben sich alternative Ansätze herauskristallisiert.Es ist ja relativ deutlich geworden, dass es überhauptnicht alternativlos ist, diese von Ihnen vorgeschlageneUnterscheidung einzuführen, sondern wir können ande-
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re haushalterische Grenzen einziehen, zum Beispiel überdie Höhe des Fördersatzes oder den Personalaufwand.
Auch der zweite Punkt ist sehr wichtig, vor allemfür die KMUs, die Sie ja zu Recht im Fokus haben: Diesteuerliche FuE-Förderung ist nur dann attraktiver als diereine Projektförderung, wenn der bürokratische Aufwanddeutlich geringer ist. Das ist Ihnen vollkommen klar.
Es gibt in Ihrem Entwurf eine Idee, die sehr viele Fra-gen aufwirft, nämlich die berühmte Zertifizierungsstelle.Das mag für kontrollverliebte grüne Ohren harmlos klin-gen, aber für mich klingt das alles andere als harmlos. Ichwerde da sehr, sehr hellhörig, Frau Andreae; denn es darfnatürlich nicht passieren, dass wir hier ein neues bürokra-tisches Monster kreieren –
oder noch schlimmer: einen politischen Kontrollfilter.Mein starker Eindruck ist, dass das die eigentliche Ideeder Zertifizierungsstelle ist; denn Sie – das wissen Sienoch besser als ich – stehen ja mit der Forschungsfreiheitin diesem Land – Sie verzeihen mir die militärische Vo-kabel – teilweise regelrecht auf Kriegsfuß.
Wir sehen also, dass der vorgelegte Gesetzentwurftrotz prinzipieller Übereinstimmung zu viele Fragenaufwirft. Die offenen Punkte müssen und werden wir ineinem neuen Anlauf für die nächste Legislaturperiodeklären, und dann wird es in diesem Land auch eine gutesteuerliche Forschungsförderung geben; da bin ich mirsicher.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als Nächster erhält der Kollege René
Röspel, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Als Forschungspolitiker kann ich bekennen: SeitRot-Grün 1998 die Bundesregierung gestellt hat, hat For-schung und Entwicklung in diesem Land wieder einenrichtigen Stellenwert bekommen. Alle haben es fortge-führt, nicht erst seit 2005.Tatsächlich ist es so: Wir haben gerade ein Gesprächmit jungen Nachwuchswissenschaftlern aus Australien,den USA und Israel geführt, die absolut begeistert vomdeutschen Standort sind und fragen, wie sie eigentlich inDeutschland ihren Postdoc oder sonst etwas machen kön-nen. Das ist ein gutes Zeichen. Wir sind gut aufgestellt.
Allerdings erhalten wir zu Recht auch immer Mah-nungen von Expertenkommissionen, die sagen: Beihochwertigen Industriegütern seid ihr hervorragend, aberbei Spitzentechnologien hat Deutschland Nachholbedarf.Deutschland droht gelegentlich, gegenüber anderen Län-dern zurückzufallen. – Also brauchen wir Instrumente,um gezielte Impulse zu setzen und solche Technologienzu fördern.Das machen wir im Haushalt des Bundesministeriumsfür Bildung und Forschung und zum Beispiel auch imWirtschaftsministerium mithilfe unglaublich guter Pro-gramme wie ZIM und IGF, die bei den Unternehmenwirklich ankommen
und mit relativ wenig Aufwand dazu führen, dass klei-ne und mittelständische Unternehmen beispielsweiseSchrauben und Maschinen entwickeln und in ihrer Wett-bewerbsfähigkeit, aber auch im Bereich „Forschung undEntwicklung“ wirklich ein Stück weit weiterkommen.Dafür brauchen wir Geld.Da jetzt immer wieder gesagt wird, wir müsstendie Projektförderung und die zusätzliche steuerlicheFuE-Förderung miteinander kombinieren, will ich beimRealitäts-Check sagen: Das glaube ich nicht. Was wäredenn, wenn der Gesetzentwurf der Grünen jetzt schonRealität wäre? Dann hätten wir nicht 302 Milliarden Euroan Steuereinnahmen, sondern nur noch gut 301 Milliar-den Euro. Das heißt, die 770 Millionen Euro, die wir fürdie Förderung aufwenden müssten, wären nicht mehr inder Kasse. Dieses Minus von 770 Millionen Euro würdeauf die Ministerien verteilt werden. Bei 14 Ministerienwären das im Durchschnitt 55 Millionen Euro weniger.Das Wirtschaftsministerium müsste dieses Geld irgend-wo hernehmen.Sie haben gerade richtig gesagt: ZIM ist so erfolg-reich, dass es schon nach einem Dreivierteljahr gar keineMittel mehr gibt. Es käme noch die Kürzung von 55 Mil-lionen Euro hinzu. Ich finde, das ist kontraproduktiv. Daswürde das Land nicht weiterbringen.
Sie glauben, die Regelungen in Ihrem Gesetzentwurfseien unbürokratisch. Dieses Argument kommt immer,weil die Förderung für alle gleichermaßen gilt und dieAusgaben steuerlich geltend gemacht werden können.Diese Regelung ist aber in Ihrem Gesetzentwurf viel zuweitgehend. Wenn man es so machen will, wie Sie sa-Dr. Philipp Lengsfeld
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gen, dann muss man darüber reden, die Kosten für zu-sätzlich eingestelltes Forschungspersonal von der Steuerabzusetzen. Sie fordern aber Forschungsgelder und einesteuerliche FuE-Förderung für Gebäude, Investitionenund Instrumente.
Herr Kollege Röspel, ich darf Sie einmal unterbre-
chen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kai Gehring?
Gerne.
Bitte schön.
Ich war mitten im Satz. Ich versuche, ihn mir zu mer-
ken.
Ihre Redezeit war abgelaufen. Ich musste Sie mitten
im Satz unterbrechen.
Gut. Auch ich habe es gemerkt.
Da Herr Lengsfeld leider keine Frage zugelassen hat
und Ihre Redezeit so kurz ist, möchte ich Sie jetzt un-
heimlich gerne fragen, wie Sie als SPD-Bundestagsab-
geordneter zum Vorschlag von Hubertus Heil stehen, der
gestern im Handelsblatt erklärt hat, dass er einen For-
schungsbonus für KMU will. Vieles, was er dort äußert,
kommt mir sehr bekannt vor und ist mit unserem grünen
Gesetzentwurf, der heute zur Diskussion steht, in Ein-
klang zu bringen.
Wenn ich mir die Wahlprogramme von CDU/CSU
und SPD angucke, dann wird klar: Sie hätten sich schnell
zusammentun und einen kleinen Änderungsantrag zu
unserem Gesetzentwurf stellen können. Dann gäbe es ab
jetzt eine steuerliche Forschungsförderung für KMU in
der Republik.
Wenn man aber Sie und Herrn Lengsfeld reden hört, hat
man den Eindruck, Sie sind dagegen.
Sie kündigen ein Jahr vor der Bundestagswahl etwas
an, was vielleicht am Sankt-Nimmerleins-Tag kommt.
Deshalb frage ich Sie: Stehen Sie hinter den Vorschlä-
gen von Hubertus Heil zur steuerlichen Forschungsför-
derung? Wie ist das: Bekommen Sie gemeinsam mit dem
Koalitionspartner noch in diesem Jahr einen Gesetzent-
wurf hin?
Zum Vorschlag von Hubertus Heil, der anders aussiehtals das, was Sie hier vorschlagen: Auch er löst die Kern-frage, die ich gerade diskutiert habe, nicht. Also: Wieschaffen wir es, dass wirklich zusätzlich Geld fließt?
Ich finde, man müsste einen zusätzlichen Betrag aus-weisen, den man nicht nur hinterher im Subventionsbe-richt des Bundes nachlesen kann. Vielmehr soll damit si-chergestellt werden, dass diese Mittel nicht zulasten derProjektförderung gehen.
Auch da enthält der Vorschlag von Hubertus Heil einenPunkt, der noch zu klären ist.
Aber anders als Sie in Ihrem Gesetzentwurf sagt er: Wirwollen sehen, ob es eine Möglichkeit für zusätzlichesForschungspersonal gibt.
An dieser Stelle weist er aber nicht auf die vielen Schwä-chen Ihres Gesetzentwurfes hin.Sie müssen sich Folgendes überlegen: Fragen Sieeinmal einen Unternehmer: Was machst du lieber – eineAntragstellung mit guter Beratung im Rahmen eines Pro-gramms wie ZIM oder einen Besuch bei deinem örtli-chen Finanzamt? Die Mitarbeiter des Finanzamts sollennämlich entscheiden – ich bin mit der Beantwortung derFrage noch nicht fertig –, ob die Kosten für die Hälfte desGebäudes, in dem die Werkzeugmacherei ist, ob die Per-sonalkosten für den Meister, der in Teilen sowohl für dieEntwicklung zuständig ist als auch die Werkzeuge her-stellt, abzugsfähige Forschungsausgaben sind. Da kannich nur sagen: Jeder Mittelständler freut sich jetzt schonauf die Diskussion mit seinem Finanzamt vor Ort,
um die Förderung gemäß Ihrem Gesetzentwurf einiger-maßen zum Laufen zu kriegen. Das ist der deutliche Un-terschied.
Letzter Punkt. Ein Blick in die Realität: Bei mir inder Region in Südwestfalen verstehen sich Betriebe mitdeutlich mehr als 249 Mitarbeitern als Mittelständler.Es sind familiengeführte Unternehmen, die manchmalRené Röspel
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1 000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von mehr als50 Millionen Euro haben. Das sind innovierende Unter-nehmen. Sie wären von dieser Förderung überhaupt nichtbetroffen.
Das heißt, sie hätten von dieser Regelung keinen Nutzen.Sie profitieren aber von anderen Programmen. Deswegenglauben wir, dass Ihr Gesetzentwurf überhaupt nicht ge-eignet ist, unser Land in Sachen Innovation, Forschungund Entwicklung weiterzubringen.
Deswegen werden wir ihn heute ablehnen.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur steuerli-
chen Förderung von Forschung und Entwicklung klei-
nerer und mittlerer Unternehmen. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/9840, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7872 abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU-, SPD-Frak-
tion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesre-
gierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an der NATO-geführten Maritimen
Sicherheitsoperation SEA GUARDIAN im
Mittelmeer
Drucksachen 18/9632, 18/9793
Drucksache 18/9844
Hierzu liegt jeweils ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir
später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich bitte Sie, nun Ihre Plätze einzunehmen.
Bevor ich die Rednerliste eröffne, möchte ich gerne
die Soldatinnen und Soldaten vom Einsatzgruppenver-
sorger „Bonn“, Heimathafen Wilhelmshaven, auf der
Besuchertribüne begrüßen. Herzlich willkommen!
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Josip
Juratovic, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DieBundeswehr soll im Rahmen der NATO-Mission SeaGuardian aktiv werden. Das notwendige Mandat möchteder Deutsche Bundestag heute verabschieden.Lassen Sie uns einen Blick auf die Einsatzregion wer-fen. Wir sprechen über 2,5 Millionen Quadratkilometerim Mittelmeer und den dazugehörigen Luftraum. Das istalso kein Berliner Hinterhof. Gleichzeitig sprechen wirüber unterschiedliche Typen von Anrainerstaaten. Diesüdlichen Anrainer des Mittelmeers sind seit mehrerenJahren eine instabile Krisenregion. Wir sehen hier ge-scheiterte Staaten und Staaten in teilweise sehr schwie-rigen Transformationsprozessen. Das Mittelmeer wirdtrotz dieser Situation nach wie vor als Handelsroute starkgenutzt. Es wird zunehmend genutzt von all jenen, dievon den Krisen dieser Welt profitieren und sie damitweiter schüren, besonders von Menschen- und Waffen-schmugglern.Dieser Entwicklung können wir nicht tatenlos zu-schauen. Wir müssen dagegen auf rechtlich einwand-freier Grundlage – auch mit militärischen Mitteln – ak-tiv sein. Deswegen möchten wir heute die Mission SeaGuar dian auf den Weg bringen. Die einen bauen Mauern,die anderen beweinen die Toten, und wir handeln. Wirund unser Koalitionspartner wollen Sicherheit im und amMittelmeer für alle Anrainerstaaten. Dies gewährleistetSea Guardian, eine NATO-Mission, die die Zusammen-arbeit mit der EU und den Anrainerstaaten des Mittel-meers fördert. Wir unterstützen dieses Mandat, weil esdie Möglichkeit bietet, gegen Menschenschmuggel vor-zugehen. Wir unterstützen das Mandat auch, weil es denKampf gegen den Waffenschmuggel umfasst. Wir unter-stützen das Mandat, weil es die Zusammenarbeit mit denAnrainerstaaten umfasst, um deren eigenen Küsten- undSeeschutz aufzubauen bzw. auszubauen. Ganz selbstver-ständlich unterstützen wir das Mandat, um den noch im-mer sehr zahlreichen Schiffbrüchigen im Mittelmeer zuhelfen.Die Kritik an diesem Multifunktionsmandat kann ichnicht nachvollziehen. Ich halte es für eine Stärke desMandats, Sicherheit auf mehreren Feldern zu gewähr-leisten, gerade im Hinblick auf die Handlungsfähigkeitder betroffenen Soldatinnen und Soldaten, die täglichauf ihren Schiffen mit einer Vielfalt von Schwierigkeitenkonfrontiert sind.
René Röspel
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(C)
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Neben diesen ganz konkreten Zielen halten wir Sea Guar-dian politisch für den absolut richtigen nächsten Schritt.Das Mandat löst die Mission Active Endeavour ab undschließt vorhandene Lücken im Schutz des Mittelmeers.Damit wird das Engagement der deutschen Soldatinnenund Soldaten im Mittelmeer endlich auf eine ordentlichevölkerrechtliche Grundlage gestellt.Kolleginnen und Kollegen, wir leben nicht mehr imJahr 2001, und es war nicht richtig, dass der NATO-Bünd-nisfall – auch bekannt als Artikel 5 – so lange Grundlageder Mission war. Mit Sea Guardian vollziehen wir denSchritt weg von dem höchst problematischen Ansatz ausder Zeit des Krieges gegen Terror hin zu den heute not-wendigen Sicherheitsmaßnahmen im Mittelmeer.Als Basis für Sea Guardian dienen die Resolution 2292aus 2016 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen,das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationenvon 1982 und das Protokoll von 2005 zum Übereinkom-men zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen ge-gen die Sicherheit der Schifffahrt. Damit stellen wir dasneue Mandat auf eine rechtliche Grundlage der Weltge-meinschaft.Kolleginnen und Kollegen, das ist ein wichtiges undsehr richtiges politisches Signal für die Zukunft der in-ternationalen Zusammenarbeit im Mittelmeerraum unddarüber hinaus. Allerdings ist Sea Guardian nur einBaustein der Gesamtstrategie unserer Außen- und Si-cherheitspolitik. Wir müssen politisch breit aufgestelltsein, um der komplexen Herausforderung der Sicher-heit im Mittelmeerraum begegnen zu können. Nach wievor müssen wir Friedensprozesse unterstützen. An die-ser Stelle gilt mein ausdrücklicher Dank AußenministerSteinmeier, der sich unermüdlich für den Dialog zwi-schen Konfliktparteien gerade auch im Mittelmeerraumeinsetzt.
Denn alles, was durch Dialog gelöst wird, benötigt keinemilitärischen Mittel.Wir müssen weiterhin an der Wiederherstellung funk-tionierender Staaten auf der Grundlage von Rechtsstaat-lichkeit und Menschenrechten arbeiten. Gerade labileAnrainerstaaten brauchen Unterstützung beim Aufbauihrer Polizeikräfte und eine Stärkung der Justiz. Auf die-sem Gebiet sind wir tätig – und das nicht nur im Rah-men dieser Mission. Außerdem brauchen wir effizienteEntwicklungspolitik, Entwicklungshilfe, wirtschaftlicheUnterstützung, wirksame Strategien gegen Korruptionund nicht zuletzt fairen Handel, um die Fluchtursachenzu bekämpfen.
Wir liefern somit Außen- und Sicherheitspolitik aus ei-nem Guss. Zu all diesen Maßnahmen gehört eben auchmilitärische Absicherung.Kolleginnen und Kollegen, für mich als Abgeordnetenist die Abstimmung über ein Bundeswehrmandat immerbesonders schwierig. Uns muss bewusst sein, dass unsereSoldatinnen und Soldaten im Ernstfall ihr Leben riskie-ren werden. Deshalb gilt ihnen schon heute mein aller-größter Dank und Respekt für ihren Einsatz.
Sie brauchen als Parlamentsarmee auch ein klares Man-dat des Deutschen Bundestages.Mein Dank gilt ebenso den Vertreterinnen und Vertre-tern des Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsmi-nisteriums. Mein Kollege Niels Annen hat es bereits beider ersten Lesung gesagt: Die Debatte über Artikel 5 alsMandatsgrundlage wurde hauptsächlich in Deutschland –und hier vor allem von der SPD – geführt. Es bedurftevieler überzeugender Gespräche, um auf NATO-Ebeneeine neue Rechtsgrundlage sicherzustellen.Ich danke allen, die mit dafür gesorgt haben, dass wirnun eine vernünftige rechtliche Grundlage haben. Mitdieser Mission tragen wir zu mehr Sicherheit bei, die wiralle brauchen – in Deutschland, Europa und vor allemauch im Mittelmeerraum –, um die Zukunft angstfrei ge-stalten zu können. Daher bitte ich Sie um Ihre Zustim-mung für unseren Antrag.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön. – Für die Fraktion Die Linke spricht
jetzt Dr. Alexander Neu.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Der Antrag auf Beteiligung deutscher Streit-kräfte an der NATO-Mission Sea Guardian soll heuteverabschiedet werden. Lassen Sie mich dazu ein paarAnmerkungen machen.Erste Anmerkung. Deutschland rutscht immer schnel-ler in militärische Abenteuer hinein als wieder heraus,bzw. man möchte gar nicht mehr aus diesen militärischenAbenteuern herauskommen. Sea Guardian und die Vor-gängermission Operation Active Endeavour sind Muster-beispiele für einen Auslandseinsatz, der nicht enden soll.Der Antrag der Bundesregierung bezeugt das ja selbst.Ich zitiere:Die Maritime Sicherheitsoperation SEA GUARDI-AN ... ist die Nachfolgemission der Operation AC-TIVE ENDEAVOUR.Zweite Anmerkung. Worin besteht der Unterschiedzwischen der beendeten Operation Active Endeavourund der anstehenden Operation Sea Guardian? Im We-sentlichen besteht der Unterschied darin, dass die Bei-standsklausel – Artikel 5 der NATO-Satzung – nichtmehr fixiert wurde. Dass das von Anfang an nicht zuläs-sig war, erklärt die Linke der Bundesregierung schon seitüber zehn Jahren.
Josip Juratovic
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Denn die Inanspruchnahme des Selbstverteidigungs-rechts ist räumlich und zeitlich nur begrenzt möglich. ImFalle des Terroranschlages von 2001 in New York wardie Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht überhauptnicht zulässig; denn das war kein militärischer Angriff,sondern ein Terroranschlag. Somit gab es schon seiner-zeit keine Rechtsgrundlage für die Ausrufung des Bünd-nisfalls nach Artikel 5. Aber die Bundesregierung kapiertes bis heute und fortgesetzt nicht; das zeigt auch dasMandat für den Anti-IS-Kampf, in dem mit verschiede-nen Hilfskonstrukten gearbeitet wird, unter anderem mitArtikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags.Sea Guardian begründet sich nun unabhängig vonder Selbstverteidigungsnorm und vom Bündnisfall. Sea Guardian legt gewissermaßen einen universellen Be-gründungsansatz zugrunde. Um das einmal kurz darzu-stellen: Solange Instabilität, solange Terrorismus, ob echtoder vorgetäuscht, bestehen, so lange werden wir mit SeaGuardian im Mittelmeer bleiben.Dritte Anmerkung. Der von Ihnen seinerzeit so stolzverkündete Kampf um die Aufhebung der Beistandsklau-sel führt zwar dazu, dass sie im neuen Mandat nicht mehrenthalten ist, aber sie existiert weiter. Sie steht nach wievor im Raum; denn sie ist nicht aufgehoben. Sie ist le-diglich in eine Art Tiefschlaf versetzt worden und kannjederzeit wieder reaktiviert werden.Vierte Anmerkung. Wer den Terrorismus und dieFlüchtlingsherausforderung als Begründung für Sea Guardian und andere Einsätze militärischer Art heran-zieht, ohne auch nur ein Wort über die Mitschuld desWestens an der Entstehung von Terrorismus, an der Ent-stehung von Flucht zu benennen, ist schäbig.
Die fünf Friedensforschungsinstitute verweisen im Jah-resbericht 2016 genau auf diesen Zusammenhang, Stich-wort „Regimechange“. Diese Praktiken kommen be-kanntlich aus dem Westen.Fünfte Anmerkung. Das Ziel der NATO ist ganz of-fensichtlich eine expansive Raumkontrolle, das heißt, dasMittelmeer auf ein NATO-Meer, auf ein EU-Meer zu re-duzieren. Das Mittelmeer ist das typische Beispiel einerimperialen Politik der NATO und der EU. Wo sich NATOund EU festsetzen, wo sie okkupieren und kontrollieren,bleiben sie dauerhaft. Der Ausbau der Raumkontrolledurch die NATO und die EU im Mittelmeer ist über einenlangen Zeitraum beobachtbar.Es handelt sich jetzt im Mittelmeer um vier Mili-tärmissionen: Operation Active Endeavour seit 2003bis Mitte 2016, UNIFIL seit 2006 – Ende nicht abseh-bar –, EUNAVFOR MED seit 2015 – Ende nicht abseh-bar –, Ägäis-Einsatz ohne Bundestagsmandat seit An-fang 2016 – auch da ist das Ende nicht absehbar. Nunkommt künftig Sea Guardian, der ganz große Wurf.Sea Guardian umfasst nichts anderes als die kompletteKontrolle über das gesamte Mittelmeer plus die Kontrol-le der Zugänge zum Mittelmeer sowie des zugehörigenLuftraums und, das Einverständnis der Anrainerstaatenvorausgesetzt, deren Territorialgewässer. Ich bin sehroptimistisch, dass Sie bei den anderen nordafrikanischenStaaten so handeln werden wie bei Libyen, das heißtauch auf nordafrikanische Staaten entsprechend Druckausüben werden, damit sie ihre Territorialgewässer öff-nen werden. Die Linke lehnt diesen Antrag ab.Danke.
Danke. – Der nächste Redner ist Jürgen Hardt, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zu meinem Vorredner möchte ich nur so viel anmer-ken: Er hat den Eindruck erweckt, die BundesrepublikDeutschland würde sich immer tiefer in Militäreinsät-ze verstricken. Ich sage nur ganz klar: Wir haben imJahr 2010 bis zu 10 000 Soldaten in Auslandseinsätzengehabt. Nach Stand vom 19. September dieses Jahres,also vor gut einer Woche, waren es 3 510 Soldaten. Dasist eine deutliche Reduzierung der Zahl der Soldaten derBundeswehr im Einsatz, weil wir in Afghanistan voran-gekommen sind und weil wir im Balkan vorangekommensind. Ich finde, das ist ein Ausdruck dessen, dass wir mitunseren Einsätzen tatsächlich erfolgreich sind und dasswir auch wissen, wie wir diese Einsätze erfolgreich be-enden. Das finde ich einfach gut.
Mit Blick auf das Mandat Sea Guardian möchte ich,nachdem der Kollege Juratovic schon wesentliche Eck-punkte genannt hat, anmerken, was mir wichtig ist. DieEntkoppelung von Artikel 5 des NATO-Vertrags war eineForderung, die wir hier parteiübergreifend lange erhobenhaben. Es ist in Warschau gelungen, diese Entkoppelungdurchzuführen. Das Mandat stützt sich jetzt auf allgemei-nes Seerecht und Seerechtsabkommen und ist somit nichtmehr Teil des Verteidigungsfalls der NATO.Artikel 5 des NATO-Vertrages wird formal allerdingsnicht aufgehoben, weil der Kampf gegen den Terroris-mus natürlich nicht beendet ist. Aber es gibt jetzt mit SeaGuardian anstelle von OAE keine Operation der NATOmehr, die sich auf diesen Artikel 5 beruft.Das Zweite, was für mich bei diesem Einsatz von zen-traler Bedeutung ist, ist, dass sich die NATO an der Si-cherung der Verhältnisse im Mittelmeer aktiv beteiligt.Mit dieser neuen NATO-Mission haben wir ein weiteresverbindendes Element in dem Netzwerk, das sich um dieSicherheit im Mittelmeer kümmert. Ich verweise in die-sem Zusammenhang auf die Operation der EuropäischenUnion EUNAVFOR MED Sophia und die NATO-Ope-ration in der Ägäis. – Sie ist nicht mandatspflichtig; aberes ist trotzdem eine Operation der NATO unter maß-geblicher Beteiligung der Bundeswehr. Ich glaube, dasdeutsche Kriegsschiff „Bonn“ war in der Ägäis ebenfallsim Einsatz; sie ist auf jeden Fall ein Einsatzgruppenver-sorger. Ich betone noch einmal: Von zentraler BedeutungDr. Alexander S. Neu
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ist für mich, dass wir mit der Operation Sea Guardianein weiteres verbindendes Element haben, das für mehrEffizienz, für mehr Übersicht und für ein vollständige-res Bild der Lage im Mittelmeer sorgt. Das halte ich füreine ganz wichtige Sache. Das hilft uns insgesamt bei derGrenzsicherung.Das Nächste, was mir wichtig ist: Selbstverständlichwerden die Einheiten, die unter Sea Guardian im Mit-telmeer unterwegs sind, auch ihre humanitäre Pflichtder Rettung von Schiffbrüchigen wahrnehmen. Die Re-gel des internationalen Seeverkehrs, dass Schiffbrüchi-ge aufzunehmen und in den nächsten sicheren Hafen zubringen sind, gilt natürlich auch für die Einsatzkräfte,die unter Sea Guardian unterwegs sind, also auch für dieBundeswehrschiffe. Das ist, wie wir ja wissen, wiederumeine große humanitäre Aufgabe, die wir damit ein gutesStück bewältigen.Was unser langfristiges Ziel bleibt und was auch imZusammenhang mit Sea Guardian angesprochen wird,wo wir allerdings noch keine konkrete Chance auf Um-setzung haben: Wir müssen dafür sorgen, dass unter denMittelmeerstaaten insbesondere der Staat Libyen, derohne politische, ohne staatliche Führung dasteht, in dieLage versetzt wird, selbst seine Küste wirksam zu schüt-zen und gegen Terror, gegen Waffenschmuggel und ge-gen Menschenschmuggel entsprechend vorzugehen. Wirhaben den Plan, wir haben die Absicht, in schwimmen-den Klassenzimmern, wie wir es einmal genannt haben,Kräfte der Küstenwache Libyens auszubilden. Aber lei-der ist es bis dahin noch ein weiter Weg.Wir haben im Bundeshaushalt, den wir in diesen Ta-gen in den Ausschüssen beraten, Mittel bereitgestellt, dieermöglichen, dass eine solche Operation wie die Ausbil-dung von Küstenwachkräften von Partnern am Mittel-meer erfolgreich durchgeführt werden kann. Dafür sinddie Mittel also da; aber es sind angesichts der gegenwär-tigen Situation speziell in Libyen die Möglichkeiten, siezu investieren, leider noch nicht gegeben.Insgesamt trägt Sea Guardian aus meiner Sicht dazubei, dass wir zu einem humanitär verantwortbaren, dasMenschenleid im Mittelmeer vermindernden und ins-gesamt ordnenden Ansatz kommen, wie wir auf diesemMeer, das in erster Linie ein europäisches Meer ist, dasuns mit Afrika verbindet und auch von Afrika trennt, dieSicherheit erhöhen. Ich glaube, wir werden im Rahmendieses Einsatzes weitere positive Erfahrungen sammelnin der Zusammenarbeit und in der effizienten Bekämp-fung von Terror, von Schlepperunwesen und in der Ret-tung von Menschenleben dort, wo es dringend gebotenist.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen hat jetzt Dr. Tobias Lindner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, Herr Hardt,es ist richtig: Wir beraten hier heute zum ersten Mal die-ses Mandat Sea Guardian. Es wird oft so dargestellt – ge-rade haben auch Sie es versucht –, als sei es der Nachfol-ger von Active Endeavour.Was richtig ist und was hier auch alle Seiten gesagt ha-ben: Es ist gut, dass Artikel 5 des NATO-Vertrages nichtmehr als Begründung für ein solches Mandat herhaltenmuss. Meine Fraktion hat fast mantraartig Jahr für Jahrgenau darauf hingewiesen und als einzige konsequentgesagt: Wenn Artikel 5 des NATO-Vertrages nicht alsBegründung dienen kann, dann ist ein Mandat nicht zu-stimmungsfähig.
Aber wenn es so wäre, Herr Kollege Hardt, dass wires hier nur mit einem Nachfolgemandat zu tun hätten,dass die Erteilung dieses Mandats die größte Errungen-schaft dieser Koalition sei, dann frage ich Sie: Warumist man nicht hergegangen und hat einfach den Man-datstext genommen und die Begründung mit Artikel 5des NATO-Vertrages ersetzt, so wie Sie es eben in IhrenAusführungen gemacht haben?Wir haben es hier nicht mit einer Entkoppelung zu tun;vielmehr bedeutet dieses neue Mandat eine unglaublicheEntgrenzung der Möglichkeiten, was die Bundeswehrräumlich und von ihren Fähigkeiten her im und am Mit-telmeer tun kann, ohne dass dieses Parlament dafür zuvornoch einmal befragt werden muss.
Sie können dann quasi überall in der Region, in den An-rainerstaaten Ausbildung, Luftaufklärung, andere Dingebetreiben. Sie können ausbilden, ohne den Bundestag zufragen; sie brauchen lediglich die Einladung und die Ge-nehmigung des dortigen Staates. Es ist ein Blankoscheck,den Sie ausstellen wollen. Dieses riesige Aufgabenspek-trum hebelt auch parlamentarische Kontrolle aus. Dasverstößt gegen die gebotene Mandatsklarheit, die wirhier bei Bundeswehrmandaten zu Recht einfordern, liebeKolleginnen und Kollegen.
Man kann es auch anders formulieren: Sie haben sichlange Mühe gegeben, hier ein Parlamentsbeteiligungs-gesetz vorzulegen; man kann auch sagen: ein „Parla-ments-weniger-Beteiligungsgesetz“; denn das war vonAnfang an das Ansinnen der Union bei den durchgeführ-ten Anhörungen. Dann haben Sie nach langer Zeit, nachlangem Hin und Her zwischen den Koalitionspartnernetwas aufgeschrieben, eine Anhörung durchgeführt. Beidieser Anhörung sind Sie krachend auf die Nase gefallen.Den Sachverständigen, der sagt: „Das ist ein großer Fort-schritt; das Ganze ist verfassungskonform“, müssen Siemir noch nennen. Nachdem Sie damit also auf die Nasegefallen sind, probieren Sie nun einen anderen Weg. Siewollen den Parlamentsvorbehalt über solche MandateJürgen Hardt
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aushöhlen, und da wird meine Fraktion nicht mitmachen,liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dann gibt es noch einen anderen Punkt. Das könnenSie gern einmal nachprüfen, wenn Sie wollen.
– Herr Kauder, Sie als Jurist sollten das eigentlich schaf-fen; ich traue es Ihnen zu.
Gucken Sie sich einmal die bisherigen Bundeswehr-mandate, zum Beispiel UNIFIL, an! Gucken Sie sichan, was die Bundeswehr in der Ägäis macht! MöglicheAusbildung libyscher Kräfte – Herr Hardt, Sie sind da-rauf eingegangen –, dazu bräuchten Sie dieses Parlamentnicht mehr zu befragen. Sie bräuchten noch nicht einmalUNIFIL irgendwo zur Abstimmung zu bringen. DiesesMandat, das heute vorliegt und über das Sie heute ab-stimmen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen von derGroßen Koalition, soll und wird alles das ersetzen. Ichkann mir nicht erklären, warum Sie sich als Parlamentin dieser Art und Weise so unglaublich stark selbst be-schränken wollen.
Meine Fraktion – das wissen Sie – prüft jedes Mandat,das die Bundesregierung vorlegt, gründlich und ernst-haft. Das können Sie auch an unserem Abstimmungsver-halten bei den verschiedenen Mandaten ablesen. DiesenBlankoscheck, den Sie heute ausstellen wollen, dieseEntgrenzung, diese Vermeidung parlamentarischer Kon-trolle werden wir von Bündnis 90/Die Grünen nicht mit-tragen. Das ist nicht im Sinne des Parlaments und im Üb-rigen auch nicht im Sinne der Verantwortung gegenüberden Soldatinnen und Soldaten, die sich in diesen Einsatzbegeben. Wir lehnen den Antrag der Bundesregierungheute hier ab.Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Julia Obermeier.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es gibt einige Dinge, die man als Mitglieddes Deutschen Bundestages nicht so schnell vergisst,zum Beispiel das Thema seiner ersten Rede hier. Darumkann ich mich noch genau erinnern, wie wir im Novem-ber 2013 hier einen Antrag der Grünen mit dem Titel„Operation Active Endeavour beenden“ beraten haben.Damals haben Sie vor allem die Kopplung des Einsatzesan den Artikel 5 des NATO-Vertrages kritisiert, obwohlwir bereits 2013 als unser Ziel erklärt hatten, die Missionin eine „nicht-Artikel-5-gestützte Mission“ umwandelnzu wollen.Dieses Ziel zu erreichen, das war durchaus ein lan-ger und steiniger Weg, da in der NATO alle Beschlüs-se stets auf Einstimmigkeit beruhen müssen und wirmit 27 Bündnispartnern verhandeln. Aber beim letztenNATO-Gipfel in Warschau im Juli dieses Jahres ist dasschließlich gelungen.Mit der heutigen Abstimmung werden wir diesen Bun-deswehreinsatz endlich auf eine neue rechtliche Grund-lage stellen.
Der Bezug auf Artikel 5 des NATO-Vertrags fällt endgül-tig weg, und das, meine Damen und Herren, ist ein Er-folg. Aber obwohl wir den Einsatz im Rahmen der neuenOperation Sea Guardian auf eine neue Rechtsgrundla-ge stellen, sind Sie nun wieder gegen diesen wichtigen NATO-Einsatz im Mittelmeer.
Natürlich werden wir die operativen Ziele des Man-dats noch weiter mit Leben füllen. Aber die Ausrichtungist ganz klar: Es geht darum, die Sicherheit im Mittel-meer und die Sicherheit der Mittelmeeranrainerstaatenzu stärken.
Das hat auch positive Auswirkungen auf ganz Europa.Dazu stärken wir dieses Mandat gegenüber der OperationActive Endeavour. Mit Sea Guardian bauen wir die See-raumüberwachung aus, wir unterstützen den Aufbau vonFähigkeiten unserer Partner, und wir bekämpfen den ma-ritimen Terrorismus. Im Rahmen der Operation könnenverdächtige Schiffe kontrolliert und durchsucht werden.
Das hilft zum Beispiel auch, um das Waffenembargo ge-genüber Libyen durchzusetzen.Die Operation Sea Guardian ist ein wichtiges In-strument, um Waffenschmuggel, Schleusern und Terro-risten Einhalt zu gebieten. Die prekäre Sicherheitslageder südlichen Mittelmeerstaaten ist uns ja allen bekannt.Deshalb unterstützt die Operation Sea Guardian auch die-se Mittelmeeranrainerstaaten. Wir wollen diese Heraus-forderungen dort gemeinsam mit den anderen Ländernmeistern. Ja, die Bundeswehr ist bereits im Mittelmeervielfältig aktiv: bei der Seenotrettung im Rahmen vonEUNAVFOR MED Sophia, mit UNIFIL vor der KüsteLibanons, mit der NATO-Mission in der Ägäis und mitder Fregatte „Augsburg“, die aktuell dem französischenFlugzeugträger „Charles de Gaulle“ im Einsatz gegenden IS Geleitschutz gewährt. Unsere Soldatinnen undSoldaten leisten einen außerordentlichen Einsatz in die-sen vielfältigen Missionen. Dafür möchte ich ihnen andieser Stelle meinen persönlichen Dank und auch denDank der CDU/CSU-Fraktion aussprechen.
Dr. Tobias Lindner
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Auch bei der Operation Sea Guardian braucht es dieDeutsche Marine. Der Einsatz schließt Lücken zwischenden bisher bestehenden Missionen und ist daher eng mitden Partnern der NATO und der EU abgestimmt. DieOperation Sea Guardian dient also auch als Kooperati-onsplattform, sowohl für die maritimen Einsätze vonEU und NATO als auch für die Anrainerstaaten. Die NATO-Mission im Mittelmeer ist heute noch mehr alsvor drei Jahren ein wichtiger Baustein für Sicherheit imMittelmeer. Deshalb bitte ich Sie heute um Ihre Zustim-mung zur Operation Sea Guardian.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie-
rung mit dem Titel „Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der NATO-geführten Maritimen Sicher-
heitsoperation SEA GUARDIAN im Mittelmeer“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9793, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9632 anzunehmen.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind
jetzt alle Urnen besetzt? – Nein, noch nicht. Hier vorne
fehlt noch ein Vertreter der Opposition. Wenn sie schon
dagegen ist, dann sollte die Opposition jetzt auch hier zur
Urne kommen. Sind jetzt alle Urnen besetzt? – Ich sehe,
das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Gibt es jetzt noch einen Kollegen oder eine Kollegin
im Saal, der oder die die Stimmkarte nicht abgegeben
hat? – Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung wird Ihnen, wie immer, später bekannt gegeben.1)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/9845. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen
abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/9846. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen abgelehnt.
1) Ergebnis Seite 19268 D
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Kein Lobbyismus im Klassenzimmer
Drucksache 18/8887
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe hier
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Rosemarie
Hein, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gute Schule von heute öffnet sich in das gesellschaft-
liche Umfeld, ist vernetzt in der Region. Gute Schulen
arbeiten zusammen mit Vereinen, Verbänden, regionalen
Unternehmen – kleineren und größeren –, sie bieten An-
schauung, wo der Unterricht sonst trocken wäre.
Frau Kollegin, darf ich Sie kurz unterbrechen. All die-
jenigen, die sich noch unterhalten möchten oder etwas
zu bereden haben, bitte ich, den Plenarsaal zu verlassen.
Danke schön. Bitte, Frau Hein.
Danke schön. – Bis dahin gibt es gar nichts zu bean-standen. Doch in den vergangenen Jahren haben vor allemgroße Unternehmen und Wirtschaftsverbände die Schuleals Arbeitsfeld für sich entdeckt. Sie nehmen zunehmendEinfluss auf das, was in der Schule gelernt werden soll.Manche Unternehmen und Unternehmensgruppen habeninzwischen hoch professionelle Bildungsabteilungenaufgebaut. Sie bieten Unterrichtsmaterial, methodischeHandreichungen und umfangreiche Lehrerfortbildungenan. Sie beschäftigen sich mit Themen, bei denen sie einEigeninteresse haben – etwa der Umgang mit Geld oderAbläufe in der Wirtschaft –, aber auch mit ganz anderenThemen, die überhaupt nicht in ihr Portfolio passen. Sobietet zum Beispiel der Sparkassenverband – der Spar-kassen-SchulService – Arbeitsblätter über das Leben derSchmetterlinge an.Die Ziele der Unternehmen sind in den wenigsten Fäl-len uneigennützig – auch dann nicht, wenn UnternehmenSchulcups in unterschiedlichen Sportarten fördern. Daspoliert nämlich vor allem ihr Image auf.Aber wir kritisieren bei Weitem nicht nur diese Din-ge. Einseitig an Unternehmensinteressen orientierte Bil-Julia Obermeier
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dungsmaßnahmen haben die Bindung von Konsumentenund künftigen Kunden im Blick. Sie zielen aber auch aufdie Akzeptanz besonderer Unternehmensstrategien –
so etwa, wenn in einer Broschüre mit dem Titel „Ener-gie und Umweltschutz“ die Kritik an Kernkraftwerkenmit dem Hinweis auf die besondere Sicherheit deutscherKraftwerke vom Tisch gewischt wird. Einseitigkeitensind so vorprogrammiert und gewollt. Das Gleiche giltleider auch für das von der Bundesregierung ausgerufeneProgramm „Unternehmergeist in die Schulen“.
An diesem Programm beteiligt sich unter anderemdie Initiative „Wissensfabrik Unternehmen für Deutsch-land“, zu der 120 Unternehmen gehören. Sie bietet bun-desweit Bildungspartnerschaften an und wirbt mit Fol-gendem – ich zitiere –:Die Wissensfabrik beziehungsweise ihr Mitgliedstellt Materialien und Lehrerhandbücher sowie dieFortbildung kostenfrei zur Verfügung.Wer von Ihnen kann da noch sicher sein, dass im Unter-richt nicht versteckte Werbung oder einseitige Sichtwei-sen den Lernstoff prägen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-rung betont immer, dass sie für Schule nicht zuständigist. Dann aber sollte sie von der Beförderung solcher Ein-flussnahme besser die Finger lassen.
Für die Zulassung von Schulbüchern sind die Kultus-ministerien der Länder zuständig – immer noch. Dochviele Hunderttausend Unterrichtsmaterialien kann keinMinisterium sachgerecht prüfen.
Und auch Lehrkräfte können das nicht leisten – schonaus Zeitgründen nicht. Aber sie benutzen solche Materi-alen natürlich gerne, wenn zum Beispiel keine modernenSchulbücher zur Verfügung stehen. Ein gutes Mittel ge-gen solchen überbordenden Lobbyismus wäre, die Schu-len ausreichend mit Lehr- und Lernmaterialien auszustat-ten.
Wir fordern aber auch, für Lehrkräfte, Eltern und Ler-nende einen verlässlichen Orientierungsrahmen, nachdem man solches Material beurteilen kann, und Prinzipi-en, an die sich alle – auch die Unternehmen – zu haltenhaben, zu schaffen.
Seit Jahren gilt für die politische Bildung: Was in derGesellschaft kontrovers ist, muss auch in der Bildungkontrovers diskutiert werden. – Das sollte auch für dieSchule gelten.
Nur so werden Menschen mündig und entscheidungsfä-hig und nicht einfach nur neue Kunden.Ich will zum Abschluss noch etwas ansprechen, dasich erst vor kurzem entdeckt habe: Auf dem Schulportalfür Verbraucherbildung findet sich ein Materialkompasszur Verbraucherbildung, und in einer Mitteilung vom24. August dieses Jahres kann man lesen, dass es ein neu-es Projekt gibt, nämlich ein Serviceportal für Lehrkräfte,auf dem auch neue Materialien zum Thema Digitale Me-dien untersucht werden. Wir finden das in Ordnung; derBund fördert dieses Projekt. Ich finde: Schneller hat einAntrag der Linken noch nie gewirkt.Vielen Dank.
Vielen Dank.
Als Nächster spricht Xaver Jung, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ja, wir sind selbstverständlich gegen jeglichesubtile und einseitige ideologische Beeinflussung anSchulen. Nach dem Durcharbeiten Ihres Antrags, FrauHein, bin ich mir aber bei Ihnen nicht mehr so ganz si-cher.Ja, junge Menschen müssen in Schulen einen neutralenRaum vorfinden, in welchem sie ihr Weltbild entwickelnkönnen. Hierzu gehört aber auch, dass die Schülerinnenund Schüler mit Demokratie, sozialer Marktwirtschaftund Pluralismus vertraut gemacht werden. Dieser Ansatzist uns als CDU/CSU besonders wichtig, haben doch NS-Zeit und DDR gezeigt, wie nachhaltig beeinflussbar Kin-der in der Schule sind.Produktwerbung ist zu Recht in fast allen Bundes-ländern verboten. Sponsoring ist dagegen erlaubt undoftmals dringend notwendig. Sie haben darauf hingewie-sen: Es gibt zu wenig Geld. In meiner Heimat bemüheich mich selbst gerade intensiv bei Verbänden und Un-ternehmen um Unterstützung bei der schulischen und au-ßerschulischen MINT-Bildung, und das mit sehr gutemGewissen, Frau Hein.
Selbstverständlich bemühen sich Unternehmen undVerbände wie Greenpeace und der BUND genauso wiedie AOK und die Sparkassen um die Aufmerksamkeitder Schulen. Im Vordergrund des Engagements steht da-bei sicher nicht immer die Kundenwerbung, sondern zuRecht auch die Sorge, dass Gesundheits- und Finanzbil-dung nicht ausreichend thematisiert werden.
Dr. Rosemarie Hein
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Selbstverständlich geht es dabei oftmals nicht ganz unei-gennützig auch um die Deutungshoheit bei bestimmtenThemen. Und selbstverständlich gibt es dabei auch großeUnterschiede hinsichtlich der Qualität der Angebote andie Schulen. Daher ist Kontrolle durchaus sinnvoll. Leh-rer und Schulleitungen sind dafür speziell ausgebildet.Die können das, und die machen das auch, Frau Hein.Gerade in jüngerer Zeit wird verstärkt über den häufignaiven und unkritischen Umgang unserer Kinder mit derKonsumwelt diskutiert. 16-Jährige können heute Begrif-fe wie „Glyphosat“ rauf- und runterdeklinieren, wissenaber nicht, was ein Kontokorrentkredit ist. Konsum- undVerbraucherschutzfragen aus dem Finanz- und Wirt-schaftsbereich gehören zweifellos zu den wichtigstenHerausforderungen einer lebensnahen Schulbildung. Daskommt meines Erachtens in unseren Schulen immer nochviel zu kurz.Sie haben es gesagt: Damit Unterricht begeistert, mussdieser aktuell sein. Schulbücher verweilen durchschnitt-lich sieben bis acht Jahre lang im Klassenzimmer. GehenSie acht Jahre zurück! Weder die Krisen in der Finanz-welt oder in der Ukraine, Griechenland und Syrien nochdie Flüchtlingskrise oder den Brexit findet man in einemaktuell verwendeten Schulbuch. Was spricht also dage-gen, sich der Kompetenz von außen zu bedienen? Dassentsprechende Inhalte fehlen, ist der Grund, warum sichgute Lehrerinnen und Lehrer auf die Suche nach aktuel-len und passenden Referenten und Unterrichtsmateriali-en machen. Meist werden aber nur einzelne Seiten aus-gewählt; sie müssen kein ganzes Werk prüfen. Da mussgeschaut werden, was für die Schule brauchbar ist, abereben auch, was außerhalb der Schule zu bleiben hat.
Und die Lehrer und die Schulleitungen können das tat-sächlich.
Zwischen dem Horrorszenario der von Ihnen vermute-ten einseitigen Manipulation durch die böse Wirtschafts-und Finanzwelt einerseits und der schulischen Realitätandererseits stehen Lehrende und Schulleitungen. Eszeugt, wie ich finde, von unerträglichem Misstrauengegenüber allen Lehrerinnen und Lehrern, dass Sie un-terstellen, sie wären nicht in der Lage, Materialien undHilfsmittel zu interpretieren und in einem ausgewogenenGleichgewicht zu präsentieren, ohne zusätzlichen staatli-chen TÜV. Klar, bequemer wäre das. Aber muss es wirk-lich eine Pflicht sein?Wenn im Sinne Ihres Antrags alles, was im Unterrichtverwendet wird, von einer Monitoringstelle beleuchtetund bewertet werden sollte, dann müssten die Lehrkräfteletztendlich jeden Zeitungskommentar zum aktuellen Ta-gesgeschehen einschicken und bewerten lassen, bevor erthematisiert würde.
Mir ist schon klar, dass Sie das nicht wollen; damit wärejede Prüfstelle überlastet. Aber jeder interessante Kom-mentar ist doch letztlich subjektiv.
Im Normalfall wird er als solcher vom Lehrer nicht nurerkannt, sondern oft auch gezielt als provozierender Im-puls verwendet, um ihn hinterher mit den Schülern kri-tisch zu reflektieren.
In Ihrem Antrag kritisieren Sie die angeblich einseiti-ge Präsentation von Themen. Leider argumentieren auchSie dabei sehr einseitig, und leider – wie immer – mit Ih-rem gewohnt wirtschaftskritischen Ansatz, der da lautet:Mehr Sozialismus à la Wagenknecht denn soziale Markt-wirtschaft à la Ludwig Erhard.
Sorry, Frau Hein, Ihr Antrag riecht verdächtig nach staat-licher Zensur.Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine oft zitierte an-geblich afrikanische Weisheit lautet: „Um ein Kind zuerziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ Dazu gehört nachunserem Verständnis auch der Teil, der den Wohlstandunserer Dörfer und ihrer Bewohner garantiert: die sozialeMarktwirtschaft. Da sind die Afrikaner schon weiter.
Vielen Dank. – Bevor ich jetzt dem nächsten Rednerdas Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schrift-führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis dernamentlichen Abstimmung zum Antrag der Bundes-regierung mit dem Titel „Beteiligung bewaffneter deut-scher Streitkräfte an der NATO-geführten MaritimenSicherheitsoperation SEA GUARDIAN im Mittelmeer“bekannt geben: abgegebene Stimmen 559. Mit Ja habengestimmt 441, mit Nein haben gestimmt 117, Enthaltun-gen 1. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 559;davonja: 441nein: 117enthalten: 1JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerXaver Jung
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Peter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E. Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr. Franz Josef JungAndreas JungXaver JungBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneUwe LagoskyDr. Dr. h. c. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h.c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerVolker MosblechElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberIris RipsamJohannes RöringKathrin RöselErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja SchmittPatrick SchniederNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe SchummerArmin Schuster
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr. von Stetten
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Dieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlLena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKarl-Heinz WangeNina WarkenDr. h.c. Albert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Elisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerDr. h. c. Edelgard BulmahnMartin BurkertDr. Lars CastellucciJürgen CoßePetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldHeidtrud HennGustav HerzogThomas HitschlerChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerBirgit KömpelDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagDetlef Müller
Dr. Rolf MützenichUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr. Martin RosemannDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothDr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr. Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerNeinSPDKlaus BarthelMarco BülowDr. Ute Finckh-KrämerWolfgang GunkelRalf KapschackCansel KiziltepeHilde Mattheis
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Christian PetryRené RöspelRüdiger VeitWaltraud Wolff
DIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr. Petra SitteDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeAnnalena BaerbockDr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsEnthaltenSPDGabriele Hiller-OhmJetzt hat der Kollege Özcan Mutlu, Bündnis 90/DieGrünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Grund-sätzlich kann man sagen: Die Aufsicht über das Schulwe-sen obliegt dem Staat und ist im Grundgesetz verankert.Dieser Pflicht müssen wir zum Wohle unserer Kinder undim Interesse unseres Landes ohne Wenn und Aber nach-kommen.
– Da dürft ihr klatschen; ihr von der CDU/CSU im Üb-rigen auch.Es ist zutreffend, dass in den letzten Jahren mit schein-bar unverfänglichen Angeboten wie Broschüren oder at-traktiven Wettbewerben einige Unternehmen versuchen,sich in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler, alsoder zukünftigen Konsumentinnen und Konsumentenfestzusetzen. Lobbyismus macht eben keinen Halt vorSchultoren. Mittlerweile ist dieser Bereich so professio-nalisiert, dass sich Agenturen ausschließlich darauf spe-zialisieren, Kinder und junge Menschen im Schulalltaginteressengeleitet zu gewinnen bzw. im Extremfall sogarzu manipulieren. Das Ziel hierbei ist es oft, eine früheProduktbindung zu sichern.Die Frage ist allerdings, wo Lobbyismus beginnt undwo die Grenzen zu ziehen sind. Mauern um die Schulenherum können wir uns nicht leisten. Klar aber ist, dasssystematische und einseitige Beeinflussung nicht insKlassenzimmer gehört und verboten ist. Hier müssen wirSorge tragen, dass für Lehrkräfte transparent wird, wel-che Interessen hinter den Materialien stecken, und dasskeine, insbesondere keine finanzielle Abhängigkeit ent-steht.
Die Gefahr ist gegeben, schließlich ist unser Bildungs-system chronisch unterfinanziert. Daher verwundert esauch nicht, wenn sich Schulen nach anderen Geldgebernoder Sponsoren umsehen.Es ist allgemein bekannt, dass Deutschland im inter-nationalen Vergleich zu wenig in sein Bildungssystem in-vestiert. Eine am Wochenende veröffentlichte KfW-Stu-die belegt: Der Investitionsstau in deutschen Schulenbeträgt 34 Milliarden Euro. Viele Kommunen und Ge-
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meinden sind nicht in der Lage, die dringend benötigtenInvestitionen allein zu tätigen. Stichwort „Kooperations-verbot“ sage ich an dieser Stelle.
Der Staat ist in der Pflicht, Schulen besser auszustatten,damit einseitige ökonomische Perspektiven nicht dieDeutungshoheit in Schulen übernehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,hier sollten Sie genau zuhören: Der öffentliche Bil-dungsauftrag darf nicht durch geschickt verpackte PRin Klassenzimmern verwässert werden. Ich habe grund-sätzlich nichts gegen Kooperationen. Die Wirtschaftkann sich gerne in Schulen einbringen: Betriebspraktika,Betriebserkundungen oder Jobmessen benötigen selbst-verständlich das Mitwirken von Unternehmen. Aber imUnterricht müssen Schüler und Schülerinnen kontroversund kritisch diskutieren können. Sie müssen befähigtwerden, sich ihre eigene Meinung zu bilden, um mündigeBürgerinnen und Bürger zu werden, ohne von bestimm-ten Unternehmensinteressen geleitet zu werden.
Nur so können wir unserem Leitbild, dem Humboldt’schenBildungsideal, gerecht werden. Daher benötigen wir eineMonitoringstelle für Unterrichtsmaterialien. Wir fordernauch eine Verstetigung und Verbreitung des Projekts„Materialkompass Verbraucherbildung“.
Wir dürfen Lehrkräfte und Schulen nicht mit der Auswer-tung der Materialfülle alleine lassen.In der PISA-Studie 2006 wurde beispielsweise fest-gestellt, dass in Deutschland der Einfluss von Wirtschaftund Industrie auf die Lehrinhalte in den Schulen enormgroß ist, Tendenz leider steigend. Deshalb besteht riesi-ger Handlungsbedarf seitens des Bildungsministeriums,der Länderminister und auch der KMK; denn Schulemuss weiterhin ein geschützter Raum für unsere Kinderbleiben.Ich freue mich auf die Debatte im Fachausschuss undhoffe, dass wir kreative und konstruktive Wege der Ko-operation mit der Wirtschaft finden, ohne Abhängigkei-ten zu schaffen und ohne zuzulassen, dass Lobbyismusmit dem schlichten Ziel der Produktvermarktung in un-seren Schulen Fuß fassen kann.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die
Kollegin Marianne Schieder.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Für den vorliegenden Antrag gibt es aus meinerSicht keine bessere Zusammenfassung als die Worte vonKurt Tucholsky: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Hört man allein den Titel dieses Antrags – „Kein Lob-byismus im Klassenzimmer“ –, kann man sicher schnellzu dem Schluss kommen: Ja, das ist doch gut. Wer willschon, dass der Unterricht an unseren Schulen zu ei-ner – zugespitzt formuliert – verkappten Verkaufsveran-staltung wird? Doch denkt man ein bisschen nach, fragtman sich sehr schnell: Was für ein Lobbyismus ist denngemeint? Ist Lobbyismus wirklich per se schlecht? Wo istdie Grenze, ab der Lobbyismus nicht mehr zulässig seinkann? Also wäre es gut bei einer solchen Forderung, einwenig zu differenzieren. Der Antrag hat mir aber gezeigt,dass Sie das nicht tun; denn gleich zu Beginn des Antragsist die Rede von einer seit den 90er-Jahren ständig wach-senden Einflussnahme auf die Unterrichtsinhalte.
Dabei werden in einem Atemzug Wirtschafts- und Fi-nanzverbände, Unternehmen, Stiftungen und Vereinegenannt, selbstverständlich, ohne zu unterscheiden, ge-schweige denn darzustellen, um welche Form von Ein-flussnahme es sich handelt.Später, im Zusammenhang mit dem Vorwurf, dasswirtschaftliche Interessen in die Schulen getragen wer-den, wird von der AOK gesprochen. Liebe Kolleginnenund Kollegen von den Linken, Sie wissen doch ebensogut wie ich, dass die AOK in Sachen Gesundheitspräven-tion eine ganze Menge macht,
dass sie eine ganze Menge Broschüren und Themenzu-sammenstellungen herausgibt, die man sehr wohl gut inder Schule verwenden kann.
Es kann doch nicht angehen, dass Sie in Ihrem Antrag einsolches Beispiel anführen.Was ist dagegen zu sagen, wenn der Landesbund fürVogelschutz oder der BUND, was oft geschieht, im Rah-men der Nachmittagsbetreuung Projekte und Aktionenpräsentiert, die bei Kindern und Jugendlichen das Inte-resse für Natur- und Artenschutz wecken sollen?Wieso ist es schlecht – so stellt Ihr Antrag das dar –,wenn die Bundesregierung das Anliegen teilt, unterneh-Özcan Mutlu
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merisches Denken und Handeln in Schulen früh fördernzu wollen?
Durch das vom BMWi betriebene Internetportal „Un-ternehmergeist in Schulen“ entsteht, so schreiben Sie,„durch den Bund eine Einflussnahme auf Bildungsinhal-te an der Verantwortung der Länder vorbei“. Abgesehendavon, dass dieses Internetportal nur ein Angebot ist undSie und die Länder dieses Angebot ganz genau kennen –da läuft nichts an den Ländern vorbei –, fordern Sie in Ih-rem Antrag selbst von der Bundesregierung eine massiveEinflussnahme auf die Länder. Lesen Sie Ihre Forderun-gen in Ihrem Antrag. Liebe Frau Kollegin Dr. Hein, wasist Ihr Rezept gegen den Lobbyismus?
Der Bund soll die Länder an einen Tisch holen und ihnenzeigen, wo es langgeht. Das steht in dem Antrag drin, beijedem Punkt. Ganz ehrlich, ich glaube, diesen erhobenenZeigefinger brauchen die Länder nicht.
Ich halte es auch nicht für angebracht, unsere Lehre-rinnen und Lehrer pauschal als unkritisch und unsensibelfür das Thema Lobbyismus abzustempeln.
– Das steht so drin. Lesen Sie es nach. In dem Antragsteht, es sei nicht verwunderlich, dass Lehrkräfte aufkostenloses Unterrichtsmaterial aus der Wirtschaft zu-rückgreifen, wenn die eigenen Schulbücher veraltet odernicht in ausreichender Menge vorhanden sind. So schrei-ben Sie das. Ich bin ziemlich sicher, da ich ziemlich vie-le kenne, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer ganz guterkennen können, ob kostenloses Lehrmaterial sinnvolleingesetzt werden kann oder ob es lediglich der Werbungdient.
Wenn es solche Fälle gibt – das will ich ja nicht aus-schließen, weil wir viele Schulen in Deutschland haben –,dann müssen Sie diesen Einzelfällen nachgehen, dürfenaber nicht pauschal in einem solchen Rundumschlag sotun, als würde an unseren Schulen nicht differenziert.
– Ich habe mir schon gedacht, dass Sie sich aufregen. Dasmüssen Sie sich halt anhören, wenn Sie solche Anträgeschreiben.Zu guter Letzt möchte ich betonen: Auch wenn manmit Leidenschaft Bildungspolitiker ist – das bin ichauch –, muss man seine Kompetenzen erkennen.
Alles, was in diesem Antrag steht, fällt sicherlich nichtunter die Bundeskompetenz, sondern unter die Kompe-tenz der Länder. Ehrlich gesagt, selbst wenn es kein Ko-operationsverbot gäbe, könnte es nicht angehen, dass derBund bis in die Details in die Schulgesetze der Länderhineinregiert.
Wenn die das hören, dann wollen sie von der Beseitigungdes Kooperationsverbots erst recht nichts mehr wissen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Sven Volmering, CDU/CSU-Fraktion,
hat jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In Ihrem Antrag, liebe Frau Hein, sprechen Sie ja sehrviel vom Beutelsbacher Konsens. Es wäre aber wirklichbesser gewesen, Sie hätten im Sinne des Konsenses zu-mindest im Feststellungsteil Ihres Antrags versucht, einwenig mehr Differenzierung statt ideologischer Einsei-tigkeit einzubringen.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die CDU/CSUmehr ökonomische Bildung an unseren Schulen für not-wendig hält, und dazu gehört natürlich die Kooperationmit der Wirtschaft in Form von Expertengesprächen,Wettbewerben, Praktika und anderen Projekten, dieselbstverständlich im Sinne des Beutelsbacher Konsen-ses eben auch pädagogisch gelungene Unterrichtsmateri-alien enthalten können.Ebenso begrüßen wir die Initiative des Wirtschaftsmi-nisteriums „Unternehmergeist in Schulen“. Sonst regenSie sich immer auf, dass sich der Bund angeblich nichtim Bildungsbereich engagiere. Hier findet nun – Sie ver-wenden in Ihrem Antrag den Begriff sogar selbst – einevom Bund geförderte Kooperation von Schule und Wirt-schaft statt; aber das passt Ihnen aus ideologischen Grün-den dann auch wieder nicht. Stringent ist das nicht.
In Ihrem Antrag zählen Sie dann einige Negativbei-spiele für einseitiges Unterrichtsmaterial auf und nennenzum Beispiel die Deutsche Bank und die Initiative NeueSoziale Marktwirtschaft. Bei Letzterer wundert mich,dass Sie deren Urteil anzweifeln, dass die Linkspartei„aus ... mehr oder weniger großen Skeptikern der Markt-wirtschaft“ bestehe. Wenn ich mir Ihre Politik anschaueMarianne Schieder
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und da ich Ihre Rede gerade angehört habe, würde ichdoch sagen, dass diese Initiative recht hat, dass das so ist.Von daher sollten Sie sich das vielleicht als Orden anhän-gen, aber nicht als Negativbeispiel sehen.Was mich allerdings viel mehr stört, ist die Tatsache,mit welcher Einseitigkeit Sie in diesem Antrag hier han-tieren und so tun, als ob praktisch an den Schulen derEinzug von Wallstreet-Turbokapitalisten droht. Sie spre-chen wie in der Kriminalitätsstatistik davon, dass – Zi-tat – „Die Dunkelziffer … auf etwa eine Million Materia-lien“ geschätzt wird, und malen mit dieser Formulierungwirklich einen Teufel an die Wand, der in dieser Formüberhaupt nicht existiert, wie der Kollege Jung geradeschon dargelegt hat.Außerdem ist es so, dass andere Organisationen, dienun nicht aus der Wirtschaft kommen, ebenfalls Lehrma-terialien zur Verfügung stellen: Auch Greenpeace und dieGEW, beides bekennende TTIP-Gegner, bieten beispiels-weise Unterrichtsmaterialien zu diesem Thema an, undes ist sicherlich nur Zufall, dass bei der GEW die Kon-tra-TTIP-Texte in diesen Materialien fast immer etwaslänger sind als die Pro-Texte.
Ich habe dann auch noch einmal etwas recherchiert,was so in Thüringen los ist. Dort existiert nach wie vordas Fach „Wirtschaft, Recht und Technik“. Da habe ichfestgestellt, dass das von der Linken geführte Ministeri-um für Bildung, Jugend und Sport heute vor einer Wo-che zehn bewegungsfreundliche Schulen ausgezeichnethat. Wissen Sie, mit wem? Mit der AOK, die Sie hier indiesem Antrag an den Pranger stellen. Stringent, meineDamen und Herren, ist das nicht.
Der Beutelsbacher Konsens wird sowohl in der Schuleals auch durch die KMK sehr ernst genommen. Letzterehat sich auch intensiv Gedanken zum Thema „Verbrau-cherschutz und Verbraucherbildung“, das auch in derSchule behandelt wird, gemacht. Dabei werden explizitabzulehnende Geschäftsmethoden und Tricks, die es jaebenso in der Wirtschaft gibt, zu Recht kritisch thema-tisiert.Aber als am erschreckendsten empfinde ich wirklich,dass Sie in Ihrem Antrag Direktoren, Lehrern, Schülernund Eltern überhaupt nichts zutrauen und ihnen de fac-to unterstellen, dass sie nicht in der Lage seien, kritischzu denken, sondern jedes x-beliebige Unterrichtsmate-rial unreflektiert einsetzten oder bei Kooperationen undSponsoring nur das Euro-Zeichen sähen.Sie stellen die These auf, dass kontroverse Auseinan-dersetzungen in der Schule überhaupt nicht mehr möglichseien, und das weise ich entschieden – auch als Lehrer –zurück. Die überwältigende Mehrheit meiner Kollegenlebt den Beutelsbacher Konsens. Sie evaluiert kritischUnterrichtsmaterialien und deren Inhalte, und falls diesnicht passiert, gibt es immer noch Schüler, die sehr wohlin der Lage sind, kritisch zu denken und zu handeln. Esgibt immer noch Eltern, die Fachkonferenzen, das Kolle-gium, die Schulleitung, die Schulkonferenz, die Ministe-rien und auch Lobbycontrol, die wirklich alle sehr raschreagieren, wenn etwas schiefläuft. Gott sei Dank ist eswirklich so, dass die KMK im Gegensatz zu Ihnen unse-ren Lehrern mehr zutraut
und grundsätzlich davon ausgeht – Zitat –, dass Lehr-kräfte bei Angeboten Dritter die Anbieter- und Veröf-fentlichungsabsicht quellenkritisch einordnen können.Ergänzend dazu wird schon seit Jahren und nicht erstseit dem Antrag der Linken auf den Materialkompass derVerbraucherschutzzentrale hingewiesen, der, wie schongesagt worden ist, durch das BMJV in diesem Jahr nochum Materialien ergänzt wird.Für die CDU/CSU halte ich fest, dass wir die bisherigePraxis der Länder, den Schulen in einem angemessenenRahmen Freiräume bei Kooperationen und Sponsoringszu geben, wenn sie den Bildungsauftrag nicht gefährden,befürworten und nicht einschränken wollen, schon garnicht durch den nicht zuständigen Bund. Lassen Sie bitteauch die Finger vom Beutelsbacher Konsens. Er ist so,wie er ist, gut.Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Schönen guten Abend!
Bevor ich der letzten Rednerin, Elfi Scho-Antwerpes,
das Wort gebe, begrüße ich recht herzlich die Realschule
Weißenburg. Ich begrüße euch recht herzlich und hoffe,
ihr findet diese Debatte spannend.
Letzte Rednerin: Elfi Scho-Antwerpes für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Schulbücher undUnterrichtsmaterialien werden von den Ländern strengkontrolliert und unterliegen starken qualitativen Aufla-gen. Sie müssen frei von Indoktrination sein und auchfrei von Werbung. Das ist gut so, und das muss auch sobleiben.
Zur Realität gehört auch, dass Lehrerinnen und Leh-rer Material zum Unterricht hinzuziehen, das über dasstaatliche Angebot hinausgeht. Das müssen sie zum Teilsogar, wenn sie auf aktuelle Themen oder Entwicklungeneingehen wollen. Nehmen Sie die schnelllebige Digita-lisierung als Beispiel. Das Internet bietet hier eine tau-sendfache Zahl an Unterrichtsmaterialien, in aller Regelstaatlich ungeprüft und vielfach durch Unternehmen unddie Industrie gerne kostenlos zur Verfügung gestellt. Mankann leider nicht davon ausgehen, dass externe Unter-Sven Volmering
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richtsmaterialien von hoher pädagogischer oder didakti-scher Qualität sind. Im Gegenteil: Die Verbraucherzen-trale hat nachgewiesen, dass drei Viertel der durch dieWirtschaft bereitgestellten Materialien für den Unterrichtungeeignet sind. Es ist nicht hinzunehmen, dass diesesMaterial an Schulen eingesetzt wird und erst recht nichtfür Marketing, Kindermarketing.
Es bedarf hier einer stärkeren Kontrolle. Wir müssengemeinsam mit den Ländern überlegen, wie wir ein Mo-nitoring hinbekommen. Nordrhein-Westfalen ist hier alspositives Beispiel zu nennen. Eine Sensibilisierung fürdieses Thema ist nicht nur in der Aus- und Weiterbildungder Lehrer und Lehrerinnen nötig, sondern auch bei El-tern und Jugendlichen selbst.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wirwollen auch nicht, dass Schulen Arbeitsblätter der Ener-giewirtschaft nutzen, die die Braunkohleförderung alsNonplusultra verkaufen
und gleichzeitig erneuerbare Energien verdammen.
Wir wollen nicht, dass Schulen zu Werbeträgern werdenund Unternehmen die Bildungspolitik beeinflussen.
Wir wollen allerdings auch nicht in ein Schwarz-Weiß-Denken verfallen. Gut gemachte, kontrollierte externeUnterstützung an Schulen kann durchaus positiv sein.Beispiele wurden genannt. Was spricht eigentlich dage-gen, wenn ein Naturwissenschaftler in einer Schulklasseneutral aus der Praxis berichtet,
wenn die jungen Menschen hören, wie spannend dieMINT-Fächer sein können, in denen wir so dringendNachwuchs brauchen – wir rufen immer danach –, oderwenn ein Elektromeister, der auch dringend Nachwuchsbraucht, seine Berufswelt spannend darstellt? Was sprichtdagegen, wenn NGOs oder die Bundeszentrale für poli-tische Bildung einbezogen werden, wenn es im Sinne ei-ner Partnerschaft, die transparent ist, zwischen externenAnbietern und Schulen zu einem sinnvollen Mehrwertbei den Lehrinhalten und der Schulausstattung kommt?Niemand will tendenziöse Inhalte oder Reklame an denSchulgebäuden. Aber wir wollen auch keine Verbote, diean der Realität vorbeigehen.
Übrigens rate ich den Schulen: Nutzen Sie das Ihnenvorliegende Werbe- und Lobbymaterial, um es im Unter-richt gegen Lobbyismus zu verwenden. So ist das Zeugdoch noch zu etwas nutze.
Liebe Linksfraktion, lassen Sie uns Ihren Antrag sinn-voll ergänzen. In dieser Schwarz-Weiß-Variante ist er je-denfalls nicht zustimmungsfähig.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Elfi Scho-Antwerpes. – Ich schließe da-mit die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/8887 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ZweitenGesetzes zur Änderung des Berufskraftfah-rer-Qualifikations-GesetzesDrucksache 18/8183Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
Drucksache 18/9851Die Reden sollen zu Protokoll genommen werden. –Auch damit sind Sie einverstanden. Dann kommen wirjetzt gleich zur Abstimmung. 1)Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastrukturempfiehlt unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 18/9851, den Gesetzentwurf der Bun-desregierung auf Drucksache 18/8183 anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSUund SPD, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünenund die Linke.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-ben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerGesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt habenCDU/CSU und SPD, dagegen war niemand, enthaltenhaben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke.Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/9851 empfiehlt der Ausschuss, eineEntschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-1) Anlage 4Elfi Scho-Antwerpes
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schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Wer enthältsich? – Die Beschlussempfehlung ist damit von allen an-genommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Tabea Rößner, KerstinAndreae, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENTelekomanteile veräußern – In Breitbandaus-bau investierenDrucksache 18/9799Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale AgendaNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Sie sind damiteinverstanden.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Sven-Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wir Grüne machen heute einen Vorschlagfür schnelles Internet. Das Internet und der Zugang zuschnellem Internet sind mehr als ein reines Vergnügen.Da geht es um mehr als um Katzenbilder bei Facebookoder um Musikvideos bei YouTube. Das Internet ist mitt-lerweile für viele Menschen ein zentraler Ort der Kom-munikation, Quelle von Wissen und der Arbeitsplatz.Die soziale und ökonomische Teilhabe ganzer Regionenhängt daran.Trotzdem gibt es Landstriche, die völlig abgeschnittensind, in denen die Geschwindigkeiten extrem gering sind.Das liegt nicht daran, dass die Menschen kein schnellesInternet wollen, sondern daran, dass es die entsprechen-de Infrastruktur nicht gibt. Ganze Landstriche in Sach-sen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsensind abgehängt. Da reicht es gerade noch für eine E-Mail;wenn man ein Foto anhängt, wird es schon schwer. Ichsage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: DieseRückständigkeit dürfen wir uns nicht länger leisten. Dasmuss sich dringend ändern.
Die Fragen sind: Was tut die Bundesregierung dage-gen? Was macht eigentlich das Bundesministerium fürVerkehr und digitale Infrastruktur?
Was macht der zuständige Bundesminister Dobrindt? Erhat eine neue Abteilung für digitale Infrastruktur einge-richtet. Das klingt erst einmal gut. Aber dann folgten:kein Plan, kein Sachverstand und großes Chaos. Das hatder Bundesrechnungshof im Hinblick auf den Aufbaudieser Abteilung scharf kritisiert. Die Quittung dafür ha-ben Sie jetzt bekommen. Ihre Förderprogramme werdenkaum abgerufen. Das Geld fließt nicht ab.
Es gibt extrem hohe Ausgabereste im Haushalt; sehen Siesich den Haushalt an! Klar ist: Diese Programme sindohne Plan und kommen viel zu spät. Schnelles Internet inder Fläche – das ist ein großes Problem, und das ist auchdas Versagen von Bundesminister Dobrindt.
Was hat die Bundesregierung außerdem gemacht? Siehat die Entscheidung der Bundesnetzagentur unterstützt,einen Exklusivvertrag mit der Telekom zu schließen, beidem es um das Vectoring geht. Das Vectoring ist eigent-lich eine überholte Technik, die mit alten Kupferkabelnarbeitet. Dies macht die Telekom im Nahbereich zu ei-nem Monopolisten. Die Verliererinnen und Verlierer sindhier die Verbraucherinnen und Verbraucher, Verlierersind auch die kleinen und mittleren Unternehmen. Wasaber noch viel schlimmer ist: Der wichtige schnelle Aus-bau von Glasfasernetzen wird dadurch verzögert. Ichsage Ihnen: So kann das mit dem Ausbau des Internetsnicht weitergehen.
Warum ist das so gekommen? Man muss sich einmaldas strukturelle Problem anschauen, das wir haben: Esgibt extreme Interessenskonflikte zwischen der Telekomund dem Bund, weil der Bund trotz der Privatisierungder Telekom noch immer einen großen Aktienanteil hält,weshalb die Telekom noch immer als staatsnaher Kon-zern agiert. Der Bund ist einerseits Anteilseigner, undandererseits kann er Aufträge vergeben. Aufgrund dieserDoppelrolle des Bundes gibt es einen Interessenskonflikt.Das kann auf Dauer nicht gut gehen, weil der Bund alsAktionär natürlich auch ein Interesse daran hat, zum Bei-spiel Dividende einzufahren.Wir sehen beim Vectoring, dass diese Verquickung eingroßes Problem ist, aber wir sehen das zum Beispiel auchbei Toll Collect, an der die Telekom beteiligt ist. Toll Col-lect – indirekt also die Telekom – und der Bund streitensich über Milliarden, und seit über zehn Jahren läuft einSchiedsverfahren, in dem der Bund seine Interessen ausmeiner Sicht nicht richtig wahrnimmt. Deswegen sagenwir Grüne: Wir wollen diese Interessenskonflikte, dieseVerquickung, endlich auflösen. Das muss sich ändern.
Deswegen haben wir heute einen Antrag vorgelegt,mit dem wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagenkönnen: Erstens wollen wir die Interessenskonflikte auf-lösen, und zweitens wollen wir durch die Veräußerungder Telekom-Anteile 10 Milliarden Euro für den schnel-len Glasfaserausbau bereitstellen. Deswegen schlagenwir einen Vermögenstausch im Haushalt vor.Hier geht es nicht um das Verscherbeln von Tafelsil-ber. Das ist uns ganz wichtig. Wir wollen das VermögenVizepräsidentin Claudia Roth
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des Bundes neu ausrichten und dafür sorgen, dass neueWerte geschaffen werden und dass die Menschen und dieUnternehmen hier im Land neue Möglichkeiten durchschnelles Internet erhalten. Deswegen sagen wir: DasVermögen des Bundes muss für die Zukunft neu ausge-richtet werden.
Wir haben uns auch ein Konzept überlegt, wie mandas umsetzen kann. Wir wollen, dass die Aktien erst ein-mal an die KfW verkauft werden. Der Erlös von rund10 Milliarden Euro für den Bund soll direkt in eine Breit-bandgesellschaft fließen. Diese Breitbandgesellschaftbleibt zu 100 Prozent in Bundesbesitz. Zusammen mitden Kommunen vor Ort wird sie die Infrastruktur im Be-reich Glasfaser ausbauen, und zwar an den Stellen, andenen es sich für Private nicht lohnt, nämlich im Bereichder weißen Flecken, im ländlichen Raum.
Der Bund baut also selbst die Infrastruktur, aberDiensteanbieter – das ist auch wichtig – bleiben diekommunalen und privaten Unternehmen. So können wireinen echten Breitbandausbau erhalten und schnelles In-ternet in die Fläche bringen.Ich fordere Sie auf, sich jetzt konstruktiv mit unseremAntrag auseinandersetzen. Wir haben einen Vorschlagdafür gemacht, wie man das schaffen, Interessenskon-flikte auflösen und schnelles Internet voranbringen kann.Ich freue mich auf die Debatte im Parlament und inden Ausschüssen. Lassen Sie uns doch diese Chance fürschnelles Internet in den Beratungen jetzt auch nutzen!Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Sven-Christian Kindler. – Der
nächste Redner ist Dr. André Berghegger für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! DerAntrag, der gerade eingebracht und vorgestellt wurde,veranlasst mich zu einer Bemerkung: Man kann ja unter-schiedlicher Meinung sein, lieber Herr Kindler, aber ichglaube, wir sollten bei der Sachlage bleiben. Ich versucheeinmal, das zumindest für meine Fraktion zu beschrei-ben.Ich denke, im Kern enthält der Antrag zwei Punkte,wie Sie es richtig beschrieben haben:Punkt eins. Die bis jetzt noch beim Bund verbliebenenAnteile an der Deutschen Telekom AG sollen an die Kre-ditanstalt für Wiederaufbau veräußert werden.Punkt zwei. Mit den Verkaufserlösen soll der Breit-bandausbau durch eine noch zu gründende staatliche Ge-sellschaft angeschoben werden.In der Situationsanalyse sind wir sogar durchaus einerMeinung, nur die Wege, wie wir das Ziel erreichen wol-len, unterscheiden sich deutlich. Zwei Gedanken dazu:Erstens. Der Bund hält aus meiner Sicht grundsätzlichan der Strategie fest, dass die Deutsche Telekom AG pri-vatisiert wird.Zweitens. Deutschland muss sich natürlich sputenund bewegen und in die digitale Zukunft investieren.Der Breitbandausbau ist zu beschleunigen. Hier sind wirvöllig einer Meinung: Das ist eine der wesentlichen Vo-raussetzungen für den wirtschaftlichen Erfolg in unseremLand.Aber wir sollten diese beiden Gedanken nicht vermi-schen. Als Haushälter wissen Sie, dass es den haushalte-rischen Grundsatz der Gesamtdeckung gibt. Das heißt,spezielle Einnahmen darf ich nicht für spezielle Ausga-ben nutzen. Auch wenn man dafür andere Begriffe wie„Vermögenstausch“ verwendet: Es gilt die Gesamtde-ckung. Einnahmen sind für die Gesamtdeckung, für dieErfüllung aller staatlichen Aufgaben, vorzusehen.
Jetzt aber im Einzelnen zur Privatisierungsstrategie.Was Mitte der 90er-Jahre durch den Börsengang undmit der Werbung von Manfred Krug – wir alle erinnernuns – anfing und in vielen Schritten fortgesetzt wordenist, hat jetzt einen Zwischenstand erreicht. Derzeit liegtder Bundesanteil an der Deutschen Telekom AG bei rund32 Prozent, aufgeteilt in die Anteile des Bundes und dieAnteile der KfW-Bank.Natürlich wird immer wieder nach weiteren Möglich-keiten der Privatisierung gesucht; das wird ständig ge-prüft. Aber die Kapitalmarktsituation muss berücksich-tigt werden. Die wirtschaftliche Situation der Telekomund natürlich auch die Interessen des Bundes müssen imBlick behalten werden; Stichwort ist hier: Netzsicherheit.Deswegen glaube ich: Ein Verkauf komplett an die KfWdarf nicht übers Knie gebrochen werden. Außerdem – dasals Anmerkung – ist das gar keine echte Privatisierung;denn die KfW wird wirtschaftlich dem Bund zugerech-net; das steht außer Frage.Aber selbst bei einer echten Privatisierung sollten wireinige Überlegungen berücksichtigen. Wenn wir ein Drit-tel des Aktienbestandes der Telekom AG an den Marktbringen, sorgt das natürlich für Unsicherheit.
Im Zweifel bewegt sich der Aktienkurs nach unten. Daswollen wir vermeiden. Wir müssen umsichtig handeln,Schritt für Schritt, und unsere Strategie zur Privatisie-rung der Telekom fortsetzen.Sven-Christian Kindler
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Das anzustrebende Ziel ist die Investition in den Breit-bandausbau. Bei dem Fachgespräch Ihrer Fraktion zudiesem Thema ist eines deutlich geworden: dass die For-derung nach Gründung einer Breitbandgesellschaft – ichformuliere es höflich – überwiegend keine sehr positiveResonanz gefunden hat.
Ich stelle auch infrage, ob überhaupt eine staatlich zugründende Gesellschaft den Innovationsschub und dieDynamik auslöst, wie wir sie gerade in diesem Themen-feld benötigen. Ich glaube nämlich, dass neue Markt-strukturen und die Gründung von Gesellschaften das Ri-siko bergen, den Markt für mehrere Jahre lahmzulegen.
Das können wir uns in diesem Themenfeld überhauptnicht leisten.
Deshalb glaube ich, dass die Zwischenlösung – so nen-ne ich sie einmal –, wie wir sie anstreben, die Förderungder Vectoring-Technologie und der Breitbandausbau imWege des Glasfaserausbaus, den Fortschritt bringt, denwir jetzt brauchen.
Überall Glasfaser zu verlegen, wäre ja technisch wün-schenswert; gar keine Frage. Aber das ist doch realis-tischerweise kurzfristig nicht zu erreichen. Deswegenbrauchen wir diesen sinnvollen Schritt.Viele von uns waren in den letzten Wochen im Ver-kehrsministerium bei der Übergabe der Förderbescheideentweder für die Untersuchungskosten oder für die Bau-maßnahmen im Rahmen der Breitbandförderung. Da ha-ben wir doch gesehen, dass staatliche Subventionen inder Situation, wie wir sie vorfinden, das beste Mittel sind,um den Breitbandausbau voranzubringen.Die individuelle Situation und der Sachstand vor Ortwerden berücksichtigt. Wirtschaftlichkeitslücken in denunterschiedlichsten Modellen werden vor Ort geschlos-sen.
Als ein Vertreter des ländlichen Raums sage ich: Derländliche Raum wird so gut wie möglich erschlossen,und weiße Flecken im Hinblick auf die Breitbandversor-gung werden beseitigt.Sie können doch auch sagen, dass sich das Förderpro-gramm, das seit geraumer Zeit in der Welt ist – 4 Milliar-den Euro für dieses Themenfeld bis 2020 –, sehen lassenkann.
– Lassen Sie mich doch ausreden. – Dieses Förderpro-gramm mit den 4 Milliarden Euro orientiert sich am po-tenziellen Bedarf. Es ist vor allen Dingen durch die Fi-nanzplanung abgesichert. Es ist auch nicht auf eventuelleVerkaufserlöse angewiesen. Mich stimmt die Dynamik,die wir in dieser Legislaturperiode erleben – noch niehaben wir da so viel gemacht wie jetzt –, positiv. Las-sen Sie uns diese Strategie Schritt für Schritt weiterver-folgen. Deswegen empfehle ich, den Antrag der Grünenabzulehnen.
Vielen Dank, Dr. Berghegger. – Nächster Redner:
Roland Claus für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerBreitbandausbau und die damit verbundene Digitalisie-rung von Gesellschaft und Wirtschaft werden wohl nichtzu Unrecht mit der Elektrifizierung im 20. Jahrhundertverglichen. Ich finde es immer total fantastisch, wenn frü-her geborene Menschen zu ihrem 70. oder 80. Geburtstageinen neuen PC und einen Computerkurs geschenkt be-kommen. Deshalb ist es lobenswert, dass die antragstel-lende Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen die Absichtverfolgt, die Digitalisierung und den Breitbandausbauschneller auf den Weg zu bringen. Es ist richtig – darinstimmen wir überein –, dass dies bitter nötig ist, weil dieBundesregierung bislang ihre Hausaufgaben überhauptnicht gemacht, sondern auf diesem Gebiet versagt hat;das muss man so deutlich sagen.
Sie von der Bundesregierung können sich zwar mitden jüngsten Zahlen ein bisschen ins Schaufenster stel-len. Aber bis vor kurzem hatte selbst der Agrarministermehr für digitale Entwicklung in seinem Etat als der zu-ständige Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur.Wir reden also nicht über Dinge, die schon ewig geplantgewesen sind. Deshalb geht der Antrag der Grünen in dierichtige Richtung.Natürlich kann jeder in den Statistiken das heraus-lesen, was ihm gefällt. Aber im europäischen Vergleichliegen wir als das Land der Ingenieure und Erfinder aufeinem bedauernswert weit hinten angesiedelten Platz.
Dr. André Berghegger
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Das muss sich, verdammt noch mal, ändern.
Deshalb haben wir Ihnen vorgeschlagen, die digitalen In-vestitionen vorwiegend im ländlichen Raum zu tätigen.Sie haben gesagt, dass Sie das machen. Das ist in Ord-nung; denn wir verstehen das als eine Art digitale Wie-dergutmachung wegen entgangener Daseinsvorsorge. Esgibt inzwischen eine gesellschaftliche Spaltung zwischenMetropolen und ländlichem Raum, die wir nicht schnellbeseitigen können. Aber mit einem vernünftigen undschnellen Breitbandausbau ist das durchaus zu machen.Nun gibt es auch eine Differenz zum Antrag der Grü-nen, die ich nicht verschweigen will. Datenautobahnenwerden schneller veralten als die Autobahnen, auf denendie meisten Menschen gelegentlich durch das Land rei-sen. Trotzdem ist die Deckung des vorhandenen Inves-titionsbedarfs eine Aufgabe, die zunächst einmal einengroßen, einmaligen Aufwand erfordert. Den Weg, dendie Grünen vorschlagen, halten wir für nicht richtig. Ichglaube, liebe Grüne, ihr habt einfach zu lange bei derSchuldenbremse mitgewirkt und leidet seitdem an einpaar Nachwirkungen.
Den Staatsanteil an der Telekom in eine staatliche Breit-bandgesellschaft zu überführen, ist nichts anderes alseine Privatisierung um sieben Ecken; darum kann mansich nicht herumdrücken. Nun habt ihr den Begriff derstaatsnahen Monopolisten von den Linken übernommen.Das finden wir in Ordnung; denn wir alleine schaffen esnicht, ihn gesellschaftsfähig zu machen. Aber ich sagedir, Sven Kindler: Staatsnahe Monopolisten werden nichtdadurch gezähmt, dass man aus einem zwei macht. Dasist keine Lösung des Problems.
Zudem ist es ein bisschen schwer verständlich. Aus derTelekom soll der besagte Anteil herausgelöst werden undvia KfW in eine staatliche Breitbandgesellschaft, sozusa-gen in eine Good Bank, überführt werden. Dann soll die-se Bank investieren. Die Investitionen sollen irgendwiedurch – wie habt ihr das genannt? – Verpachtung bzw.Vermarktung dieser Anteile refinanziert werden. Dasscheint uns ein wenig umständlich zu sein.
Es gäbe doch eine viel einfachere Alternative. Da wiruns hier um eine einmalige, große Investition Gedankenmachen: Folgt doch unserem Vorschlag, eine geringeprozentuale Einmalabgabe auf Vermögen – sagen wir: abder zweiten Million – zu erheben.
Das würde uns dann nicht 10 Milliarden Euro, sonderndie notwendigen 40 Milliarden oder 50 Milliarden Euroeinbringen, die wir laut den Berechnungen der Fachver-bände für den gesamten Glasfaserbreitbandausbau in derBundesrepublik brauchen. Das wäre doch ein Weg, aufdem wir gehen könnten.
Der kleine Unterschied ist also: Die Grünenfraktionwill Privatisierung um die Ecke. Die Linke will einegerechte Besteuerung zur Lösung des Problems. Einenschnellen Breitbandausbau wollen wir alle gemeinsam.Wenn wir den vorliegenden Antrag noch besser verstan-den haben – ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin –, wer-den wir uns in den Ausschussberatungen mit den Beweg-gründen weiter auseinandersetzen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Roland Claus. – Nächster Redner: Klaus
Barthel für die SPD.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istschon gut, dass wir heute über den Antrag der Grünendiskutieren; denn ich stelle fest, dass der Vorschlag fürviele sehr populär ist. Selbst die Linken finden diesenAnsatz überdenkenswert. Mich überrascht das etwas.Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Wo sind dieGrünen mit dieser Mischung aus neoliberaler Ideologie,Widersprüchlichkeiten, geweckten falschen Erwartun-gen und vor allen Dingen Nichtrealisierbarkeit plötzlichgelandet?
Also, ich muss sagen: Seitdem die FDP nicht mehr indiesem Haus ist, habe ich einen solchen telekommunika-tionspolitischen Unfug nicht mehr gelesen.
Auch machen Sie eine 180-Grad-Kehrtwende.
– Ich werde das darstellen. – Bisher haben Sie in IhrenAnträgen, Anfragen und Reden immer gefordert, dass derStaat seine Rolle als Eigentümer bei der Telekom ernsternehmen und verantwortungsvoller sein sollte.
Denken Sie an die Debatte über die Standorte, die Call-center und auch über den Infrastrukturausbau. Dafürhätte ich ja noch Verständnis. Aber das, was Sie hiervorlegen, würde zu geplantem und organisiertem Staats-versagen führen.Roland Claus
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Ich will das erklären. Fangen wir bei der Realisierbar-keit an. Sie wollen mit den Verkaufserlösen von 10 Mil-liarden Euro eine Breitbandinfrastrukturgesellschaftschaffen. Sie fordern die Bundesregierung – ich zitierewörtlich – auf, „mit der Breitbandinfrastrukturgesell-schaft in Zusammenarbeit mit den Kommunen europa-rechtskonform“ in die flächendeckende Breitbandversor-gung zu investieren.Erstens ist die Frage, wie das europarechtskonformgehen soll. Darüber gehen Sie souverän hinweg, obwohlman schon aus der Debatte über die von Ihnen ja zu Rechtals schwer umsetzbar bezeichneten Förderprogrammewissen müsste, wie kompliziert das Ganze europarecht-lich gesehen ist. Kompliziert sind ja schon die Zuschuss-programme. Wenn man das weiß, bekommt man erst denHauch einer Ahnung, was es bedeuten würde, wenn derStaat jetzt selber in diesem Bereich unternehmerisch tätigwerden würde.
Zweitens sind – das muss man doch auch wissen –10 Milliarden Euro für Glasfaserbreitbandausbau einTropfen auf den heißen Stein.
– Jetzt rufen Sie auch noch dazwischen, Herr Kindler.Sie wollen ja die 10 Milliarden Euro gar nicht auf ein-mal, sondern auch noch stückweise; denn man kann dieAktien ja nicht in einem Schwung auf den Markt bringen.
Das bringt also nicht mehr als den Tropfen auf den hei-ßen Stein.Drittens können Sie – man muss sich doch einmal vor-stellen, wie das praktisch gehen könnte – überhaupt nichtdarstellen, wie diese Breitbandgesellschaft flächende-ckend arbeiten soll. Denn wir haben doch heute schon fürviele Haushalte viel mehr als 50 Megabit oder 100 Me-gabit Geschwindigkeit. Da brauchen wir die Breitband-gesellschaft nicht.
Selbst in Teilen des ländlichen Raums brauchen wir sienicht.
Im Rest der Republik aber ist der Breitbandausbau gera-de nicht rentabel. Wenn Sie dann fordern, die geschaffeneBreitbandinfrastruktur durch Verpachtung zu refinanzie-ren, dann scheinen Sie zu glauben, dass hier plötzlich dasGeld vom Himmel regnet, obwohl es sich bisher für dieprivaten Investoren gerade nicht rentiert, weil das keineErträge abwirft.
Viertens komme ich, was die Realisierbarkeit betrifft,zu den Kommunen. Das Problem für die Kommunen istdoch gerade, dass sie gar nicht über die entsprechendenKomplementärmittel verfügen. Dort, wo der höchste Be-darf an Breitbandausbau besteht, sind die Finanzierungs-möglichkeiten, nämlich die Kofinanzierungsmöglichkei-ten der Kommunen, am schlechtesten. Das heißt, dassuns nach einem Bruchteil der notwendigen Investitionendie Puste ausgehen würde. Es gäbe dann keine Erlöse,sondern nur Kosten. Und die Gelder würden dann auchnicht dahin fließen, wo man sie wirklich braucht.Ich komme dann zu den Widersprüchen Ihres Antrags.Sie geißeln ja zuerst einmal die Interessenkonflikte, indenen sich der Staat als Miteigentümer des Unterneh-mens Telekom befinden würde. Ich frage Sie erst einmal:Wie stellen Sie sich denn Netzzugangsregulierungenbei der – das wird von Ihnen gefordert – zu 100 Prozentstaatlichen Breitbandgesellschaft vor, wo Sie ja Geldbzw. Einnahmen zur Refinanzierung sehen wollen, wennSie schon den 14-prozentigen Anteil an der DeutschenTelekom als große Gefahr für die Unabhängigkeit desStaates und die Regulierung proklamieren?Wenn man Ihren Hypothesen folgt, hätte ja in denAusbauregionen Ihre Breitbandgesellschaft ein hundert-prozentiges Monopol. Da würde es dann – das ist dochkomisch – nach Ihrer Ansicht keinen Interessenkonfliktgeben.
Das muss aber auch irgendwie reguliert werden.Damit sind wir bei der Ideologie, die Sie neuerdingsvertreten. Mir kommt das bekannt vor. Wir hatten vor2009 gefühlt jeden Monat einen FDP-Antrag auf demTisch, in dem auch immer von Ordnungspolitik die Redewar. Das steht auch in Ihrem Antrag.Jetzt kommen wir zur Ordnungspolitik. Sie verstri-cken sich schon im Text Ihres Antrags – ich verstehenicht, wie einem so etwas nicht auffallen kann – inner-halb weniger Zeilen in Widersprüche. Innerhalb dieserZeilen kommen drei Bezeichnungen für die Rolle derTelekom vor. Einmal sagen Sie, das ist ein marktbeherr-schendes Unternehmen. Zwei Zeilen weiter sprechen Sievon einem staatsnahen Oligopolisten. Und auf der nächs-ten Seite bezeichnen Sie die Telekom dann als Monopo-listen. Also, was ist sie nun?
Realität ist: Die Telekom ist allerhöchstens auf weni-gen Teilmärkten noch marktbeherrschend. Das kann manalles nachlesen. Dort unterliegt sie einer rigiden Regu-lierung. Dies führt dazu, dass die Telekom von Jahr zuJahr Marktanteile verliert. Wir haben auch beim Vecto-ring-Genehmigungsprozess gesehen, wie schwierig dieRegulierung europarechtlich ist. Das heißt, Sie gehen vonfalschen Grundannahmen aus. In Ihren Reden findet dieDigitalisierung gar nicht statt; denn die Digitalisierungführt dazu, dass es eine Konvergenz all dieser Bereichein der Internetwirtschaft gibt: Kabel, Glasfaser, Kupfer,Mobilkommunikation usw. In dieser GesamtlandschaftKlaus Barthel
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ist die Telekom nur noch ein Player von ganz vielen, unddeshalb kann von Monopol oder Ähnlichem überhauptnicht mehr die Rede sein.Dann kommt die Krönung. Sie wollen diese Breit-bandgesellschaft im Eigentum der KfW sehen.
Wem gehört denn bitte die KfW? Die KfW gehört zuvier Fünfteln dem Bund und zu einem Fünftel den Län-dern, sie ist also ein reiner Staatsbetrieb. Warum soll esdann diese Interessenkonflikte nicht mehr geben, zumalder Staatsmonopolist Deutsche Telekom – Sie beklagendoch das Staatsmonopol – zu einem privaten Monopolis-ten würde? Wie passt das ordnungspolitisch zusammen?Es wäre in der Tat sinnvoll, sich daran zu erinnern,warum die Liberalisierung und Privatisierung im Tele-kombereich stattfinden sollte. Man hat es gemacht, umprivate Investitionen in diesen Bereich zu locken. Damuss es andere Hebel geben, zum Beispiel in der Regu-lierungspolitik, zum Beispiel aber auch in der Umset-zung des Auftrags des Grundgesetzes zu einer flächen-deckenden Versorgung. Da sage ich nur: Ein Blick in dasTelekommunikationsgesetz wirkt Wunder. Da findet maneine Universaldienstmöglichkeit, die auch eine Finanzie-rung ohne Steuergelder vorsieht.
Im Übrigen, wenn Ihr Ansatz sein sollte, 10 Milliar-den Euro für schnelles Internet zu mobilisieren, dannsage ich Ihnen: Diesen Weg muss ich doch gar nicht ge-hen in Zeiten, in denen so eine Geldschwemme auf denFinanzmärkten ist. Ich muss doch nicht auch noch dasstaatliche Tafelsilber verscheuern, um zu Investitionen indie Infrastruktur zu kommen.
Darf ich Sie auf die Redezeit aufmerksam machen?
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin.
Gut, danke schön.
Vielen Dank. – Ich bin gespannt auf die Beratungen
im Ausschuss und darauf, ob Nachbesserungen kommen
oder der Unfug so stehen bleibt.
Vielen herzlichen Dank. – Ich weise noch einmal
darauf hin: Wenn die Lampe dort vorne leuchtet, dann
bedeutet das etwas. Das ist jetzt blöde; denn es betrifft
Herrn Holmeier. – Der letzte Redner in der Debatte: Karl
Holmeier für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Herr Kindler, was Sie erzählt haben, nämlich dass derBreitbandausbau in Deutschland nicht funktioniert, kannman Märchenstunde nennen. Das Internet und die digi-talen Technologien sind unverzichtbar; ich glaube, darinsind wir uns alle einig. Sie sind Wachstumstreiber fürunser Land. Das digitale Zeitalter ist eine neue Chancefür den Standort Deutschland, gerade für den ländlichenRaum.Wir wollen und werden Deutschland immer weiterzum führenden digitalen Standort in Europa ausbauen.Jeder in unserem Land soll – ich sage: muss – die Vor-teile des schnellen Breitbandes nutzen können. CDU,CSU und SPD haben daher im Koalitionsvertrag 2013vereinbart, dass es in Deutschland bis 2018 eine flächen-deckende Grundversorgung mit mindestens 50 Mbit/sgeben soll, vor allem im ländlichen Raum.Nach der Frequenzversteigerung im Rahmen der Di-gitalen Dividende II hat unser Bundesminister AlexanderDobrindt im Herbst 2015 den Startschuss für das milliar-denschwere – ich betone: milliardenschwere – Bundes-förderprogramm für den Breitbandausbau gegeben. Ob-wohl Deutschland bis dahin im europäischen Vergleichbereits höchste Dynamik beim Breitbandausbau hatte,hat Minister Dobrindt 2,7 Milliarden Euro in die Handgenommen, um Deutschland mit einem schnellen Inter-net zu versorgen. Wir werden den Breitbandausbau damitweiter vorantreiben.Dank unserer hervorragenden Haushalts- und Finanz-politik ist es möglich, noch mehr Geld in die bessereEntwicklung der Gigabitgesellschaft zu investieren. Sohaben wir das Bundesförderprogramm für den flächende-ckenden Ausbau der schnellen Netze im Haushalt 2017um zusätzliche 1,3 Milliarden Euro auf insgesamt 4 Mil-liarden Euro aufgestockt.Das Bundesförderprogramm für schnelles Internetist ein Riesenerfolg. Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurdenbundesweit knapp 750 Anträge auf Beratungsleistungenzum Breitbandausbau bewilligt. Das Bundesministeriumfür Verkehr und digitale Infrastruktur hat zudem in über170 Fällen Fördermittel für konkrete Infrastrukturprojek-te zum Breitbandausbau bewilligt. Das Fördervolumenbeläuft sich zum jetzigen Zeitpunkt auf 1,33 MilliardenEuro.Zusätzlich zum Breitbandförderprogramm des Bun-des wird das „Sonderförderprogramm Mittelstand“ inHöhe von 350 Millionen Euro aufgelegt werden.
Mit diesem Sonderförderprogramm sollen Gewerbe-gebiete mit superschneller Glasfaser im Gigabitbereichangeschlossen werden, die über den regulären Marktkeinen Zugang bekommen. Mit diesen Fördermitteln er-Klaus Barthel
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möglichen wir Investitionen in den Glasfaseranschlussvon kleinen und mittleren Unternehmen, vor allem imländlichen Raum, wo 60 Prozent der deutschen Wirt-schaft ansässig sind.Auch die Länder sind gefordert. Als Beispiel nenne ichden Freistaat Bayern: Bayern hat Mitte 2014 ein landes-eigenes Breitbandförderprogramm mit Mitteln in Höhevon 1,5 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Damitsteht jeder Gemeinde ein Betrag von etwa 900 000 Eurozu. Bayern macht vor, wie es geht. Andere Länder sollenoder könnten nachziehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habeIhnen dargelegt, dass die Bundesregierung viel Geld indie Hand nimmt, um den Breitbandausbau in Deutsch-land weiter auf europäischem Spitzenniveau fortzufüh-ren. Ihren Antrag, die Aktienbeteiligung des Bundes ander Deutschen Telekom zu verkaufen, kann ich nicht un-terstützen. Das Telekom-Aktienpaket des Bundes hat imGeschäftsjahr 2015 je Aktie eine Dividende von 55 Centgebracht. Bei einem aktuellen Aktienkurs von 14,96 Euroentspricht dies einer Rendite von 3,68 Prozent. Gerade ineiner Niedrigzinsphase wie jetzt sind 3,68 Prozent einetolle Verzinsung. Der Bundeshaushalt profitiert jährlichvon den Dividenden aus dem Telekom-Aktienpaket.2013 waren es 452 Millionen Euro. 2014 und 2015 warenes jeweils 323 Millionen Euro. 2016 stieg die Dividen-de auf 363,3 Millionen Euro. In nur vier Jahren hat derBund somit über 1,46 Milliarden Euro an Dividende ein-genommen. Es scheint daher nicht sehr vernünftig, diesesTelekom-Aktienpaket zu verkaufen und mit diesem Geldeine Breitbandinfrastrukturgesellschaft auf Bundesebenezu gründen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fassezusammen – geben Sie mir bitte noch eine Minute, FrauPräsidentin –: Unser Bundesminister Dobrindt hat daserste Breitbandförderprogramm des Bundes aufgelegt. Erist bei null gestartet, und jetzt stehen 4 Milliarden Eurozur Verfügung. Dieses Programm wird von den Kommu-nen sehr gut angenommen, ist unbürokratisch und wirdschnell umgesetzt.
Unser Breitbandförderprogramm ist zukunftsgerichtet;denn allein mit den ersten beiden Förderperioden wird inDeutschland der Bau von 120 000 Kilometern Glasfaser-leitung auf den Weg gebracht. Über 1 Million Menschenund knapp 100 000 Unternehmen können davon profitie-ren und schnelles Internet bekommen. Hinzu kommt dasMittelstandsförderprogramm, für das 350 Millionen Eurozur Verfügung gestellt werden. Das ist zukunftsgerichtet.Meine Damen und Herren, wir sind auf einem gutenWeg, das Ziel von 50 Megabit bis 2018 zu erreichen. DerVerkauf der Telekom-Aktien ist dazu nicht notwendig.Deshalb ist der Antrag der Grünen abzulehnen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Karl Holmeier. – Damit schließe ich die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9799 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die elektromagnetische Verträglichkeit
Drucksache 18/8960
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie
Drucksache 18/9848
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 – ich betone: 25 – Minuten vorgese-
hen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe Klaus Barthel das
Wort für die SPD.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute hierzur Verabschiedung stehenden Entwurf eines Gesetzesüber die elektromagnetische Verträglichkeit von Be-triebsmitteln schaffen wir kein neues Gesetz, sondernersetzen das geltende EMVG. Es geht hier nicht um dieauch oft diskutierte gesundheitliche Verträglichkeit vonsolchen Betriebsmitteln, sondern im Wesentlichen umtechnische Fragen. Erstere werden wir nicht aus den Au-gen verlieren; aber heute geht es um etwas anderes.Ich will darauf hinweisen – ich glaube, das muss manan einer solchen Stelle tun –, dass wir hier wieder einmaleuropäisches Recht umsetzen, was in diesem Fall nichtzu beklagen, sondern sehr zu begrüßen ist. Man musssich nur einmal vorstellen, was es bedeuten würde, wennjeder der 27 oder 28 Staaten seine eigenen Standards undMaßstäbe für elektromagnetische Verträglichkeit setzenwürde und wir die deutschen Regelungen allein gegen-über dem Rest der Welt durchsetzen müssten, wenn wirunsere Geräte im Ausland nicht verwenden könnten oderwenn wir Geräte aus dem Ausland hier nicht verwendenkönnten.Technische Fragen finden immer erst dann größereAufmerksamkeit, wenn die Technik nicht funktioniert.Das ist hier nicht zu beklagen. Der Gesetzentwurf bie-tet relativ wenig Anlass zu Kontroversen. Ich bin jetztauf die Diskussion gespannt; denn auch in der Fachweltgab es wenig Aufregung – mit einer Ausnahme, und diehaben wir durchaus zur Kenntnis genommen. Ich denke,dazu wird auch noch gesprochen.Karl Holmeier
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Wir haben viele Zuschriften, Gesprächswünsche, Pe-titionen aus dem Bereich des Amateurfunks bekommen.Ich würde mir manchmal wünschen, dass in anderen Be-reichen betroffene Bürgerinnen und Bürger sich ähnlichintensiv und kompetent in parlamentarische Verfahreneinbringen würden, gerade als ehrenamtliche Communi-ty und nicht als bezahlte Lobbyisten. Die Amateurfun-ker sind naturgemäß bestens vernetzt und auch politischengagiert, in verschiedenen Parteien. Sie haben uns alleirgendwie kontaktiert.Wir haben die Kritiken, die Vorschläge, die Ände-rungswünsche der Amateurfunker sorgfältig geprüft –soweit wir als Abgeordnete das technisch und im Einzel-fall überhaupt beurteilen können. Es geht dabei vor allenDingen um folgende Punkte:Erstens. Die Bundesnetzagentur soll stärker in diePflicht genommen werden, die notwendigen Maßnahmenzur Klärung von elektromagnetischen Unverträglichkei-ten zu ergreifen. Deswegen sollten ihre Befugnisse nocheinmal erweitert werden. – Aus unserer Sicht, muss ichallerdings sagen, handelt es sich hier vor allen Dingenum Probleme mit dem Vollzug der gesetzlichen Vorga-ben, die auch durch eine schärfere Formulierung des Ge-setzes nicht ohne Weiteres behoben würden.Zweitens. An mehreren Stellen des Gesetzes soll-ten ausdrücklich alle Funkdienste erwähnt werden undbeim Funkschutz absolut gleichgestellt sein, also auchder Amateurfunk den öffentlichen Telekommunikati-onsnetzen und den Sende- und Empfangsanlagen, die zuSicherheitszwecken in definierten Frequenzspektren be-trieben werden, gleichgestellt werden. – Die Frage dervölligen Gleichstellung des Amateurfunks mit öffentli-chen Telekommunikationsnetzen war schon beim erstenEMVG und bei der letzten Novelle Gegenstand der De-batten. Das Ergebnis war schon damals, dass eine völligeGleichstellung, wenn man die Bedeutung der anderenBereiche sieht, nicht gerechtfertigt erscheint,
auch nicht im europäischen Kontext. Von dort kann mandas auch nicht herleiten.Drittens. Das Auskunftsrecht der Bundesnetzagen-tur und die Beteiligungspflichten der Betreiber von Be-triebsmitteln bei der Störungsbearbeitung sollten erwei-tert werden. – Auch hier scheint es uns hauptsächlichum Probleme beim Vollzug der Störungsbearbeitung zugehen und nicht um Probleme, die man durch eine Geset-zesnachschärfung lösen könnte.Außerdem sagen die Amateurfunker, die Neufassungdieses Gesetzes sei nicht die Umsetzung der Vorgabender Richtlinie der Europäischen Union vom 26. Februar2014 zur Harmonisierung dieser Rechtsvorschriften, alsoder Richtlinie 2014/30/EU. – Wir sind zu dem Ergebnisgekommen, dass die Richtlinie eins zu eins, also inhalts-gleich, umgesetzt wird und die Kritik insofern überzogenist. Die Regelungen zur Störungsbearbeitung im EMVGsind unserer Auffassung nach fair und verstoßen geradenicht gegen internationales Recht.Aber wie bei vielen anderen Gesetzen auch – da, glau-be ich, haben die Amateurfunker schon recht – geht esam Ende um die Kontrolle und die Durchsetzung vongeltendem Recht, und dafür ist die Bundesnetzagenturverantwortlich. Wir sehen es deswegen als unsere Auf-gabe an – darüber diskutieren wir immer wieder mit derBundesnetzagentur, zum Beispiel im Beirat –, uns dafüreinzusetzen, dass sie diese Verantwortung auch wahr-nehmen kann. Dafür braucht die Bundesnetzagentur dieentsprechende technische, aber auch personelle Ausstat-tung – auch in den Außenstellen –, zum Beispiel für dieBearbeitung von Störungen in der Fläche; denn die fin-den ja gegebenenfalls überall in der Republik statt. Hiermüssen wir die Spitze der Bundesnetzagentur beim Wortnehmen, dass diese Außenstellen entsprechend ausge-stattet werden.Ansonsten will ich darauf hinweisen, dass wir dieEinwände des Bundesrats aufgenommen und umgesetzthaben. Diese waren im Wesentlichen redaktioneller Art.Aus gegebenem Anlass will ich noch darauf hinwei-sen, dass ich das Gesetz an einer Stelle für vorbildlichhalte – das sollte man für andere Gesetze im Hinterkopfbehalten –: In den §§ 7 bis 15 werden die Verantwort-lichkeiten von Produzenten, Einführern und Händlernvon Betriebsmitteln lückenlos benannt, das heißt überdie ganze Wertschöpfungskette. Bei Unterlassungen undZuwiderhandlungen gibt es Bußgelder. Ich würde mirwünschen, dass solche Verantwortlichkeiten auch in an-deren Wertschöpfungsketten gesetzlich und verbindlichgeregelt werden, zum Beispiel in der Handelspolitik.Hier, beim EMVG, geht das trotz der hohen Komplexitätvieler Geräte. Ich kann mir vorstellen, dass man das zumBeispiel bei Rohstoffen, Textilien, um nur zwei aktuelleBeispiele der Debatte zu nennen, auch tun sollte.Zum EMVG. Wir sind dafür, diesen Gesetzentwurf inzweiter und dritter Lesung mit den bedeutenden Ände-rungen der Koalitionsfraktionen anzunehmen, und bittenalle um Zustimmung zu diesem Gesetz.
Vielen Dank, Klaus Barthel. – Nächster Redner: Ralph
Lenkert für die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Sie haben leider nicht auf die Detailsgeachtet, zumindest bei diesem Gesetz. Hätten Sie dieEU-Richtlinie 2014/30 richtig gelesen, wäre das Gesetzzur elektromagnetischen Verträglichkeit von Betriebs-mitteln, EMVG genannt, auch im Detail gelungen. Ge-statten Sie mir, die Bedeutung von Details an einemtragischen Beispiel zu erläutern: Über 99,9 Prozent derRaumfähre „Columbia“ funktionierten einwandfrei. Nurein kleines Schaumstoffteil riss beim Start ab. Das koste-te sieben Menschenleben.Klaus Barthel
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Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Sie legen Ihr Smart-phone neben die Stereoanlage, und es pfeift unerträglich.Das ist elektromagnetische Unverträglichkeit.
Das EMVG fordert, dass alle Betriebsmittel und Geräteso gebaut und genutzt werden, dass sie keine ungewoll-ten Störungen verursachen.
Gut so! Wird eine Videoüberwachung gestört, reagiertdie Bundesnetzagentur – vielleicht. – Denn laut Gesetzkann die Bundesnetzagentur eingreifen, muss aber nicht.Wird die Mobiltelefonie gestört, kann die Bundesnetz-agentur eingreifen, muss aber nicht. Wird Ihr Radioemp-fang gestört, kann die Bundesnetzagentur eingreifen,muss aber nicht. Macht die Bundesnetzagentur nichts,bleibt den Betroffenen nur der Rechtsweg offen. Sie ge-hen zum Anwalt, der geht zum Gericht, aber das Gerichtkann ohne Bundesnetzagentur keinen Verursacher fest-stellen. Pech gehabt!Auch der Amateurfunk wird entgegen den Vorgabender Europäischen Union und des Internationalen Fern-meldevertrages mit diesem Gesetz, das im Entwurf vor-liegt, nicht ausreichend geschützt. Bei großen Naturka-tastrophen wie Stürmen, Überschwemmung, Erdbebenfallen oft die Kommunikationssysteme aus. Funkamateu-re sind oft die Ersten, manchmal die einzigen, die dannInformationen aus den Katastrophengebieten senden.Verlieren die Amateurfunker wegen zu starker Störungendie Lust an ihrem Hobby, dann verlieren wir alle diesesNotfallsystem.So etwas kann nicht passieren, meint die Regierung.Alle Hersteller müssen ihre Produkte so bauen, dass die-se keine Störungen verursachen; denn so steht es im Ge-setz. Alle Nutzer werden Geräte nur verwenden, wennkeine Störungen entstehen; denn so steht es im Gesetz.Und alle Pkw-Fahrer halten sich stets an die zulässigeGeschwindigkeit; denn so regelt es ein Gesetz. FalschesBeispiel, Entschuldigung!
Die Hersteller bestätigen sich selbst, alle elektromagne-tischen Grenzwerte einzuhalten; denn dies fordert dasGesetz. Die Einhaltung der Abgasgrenzwerte von Diesel-motoren wurde von den Pkw-Herstellern auch stets be-stätigt; denn so verlangte es das Gesetz. Entschuldigung,schon wieder falsch!Geehrte Kolleginnen und Kollegen, noch immer zuglauben, dass Gesetze ohne Kontrollen eingehalten wer-den, ist naiv. Die Bundesnetzagentur muss bei Störungenzum Handeln verpflichtet sein,
und sie muss die notwendigen materiellen und perso-nellen Mittel dafür erhalten. Die Linke wollte deshalbeine Anhörung vor Verabschiedung des EMVG. Wa-rum lehnten Sie von der Union, Sie von der SPD undSie von den Grünen dies ab? Hatten Sie keine Lust? Wares Ihnen zu kompliziert? Oder wollten Sie einfach nurden Schreibtisch freimachen? Ich garantiere Ihnen: DerBundestag wird nachsitzen müssen, entweder weil dieEU diese Mängel moniert oder Ihnen Amateurfunkerund Radiohörer aufs Dach steigen. Noch können Sie dieMängel beheben; Sie müssen nur mit uns diese Versiondes EMVG ablehnen und nachbessern.
Vielen Dank, Ralph Lenkert. – Der nächste Red-
ner: Hansjörg Durz für die CDU/CSU-Fraktion, Augs-
burg-Land.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Der freie Verkehr von Waren ist einer der wesentlichenGrundpfeiler des europäischen Binnenmarktes. Dazu ge-hört auch der freie Verkehr von elektrischen und elektro-nischen Geräten, ein Markt, der gerade auch für deutscheUnternehmen und Verbraucher von großer Bedeutung ist.Es hat sich gezeigt, dass das Funktionieren des Binnen-marktes für elektrische Betriebsmittel am besten durchRegelungen auf Ebene der Europäischen Union gewähr-leistet wird. Eine nationale Regelung durch die jeweili-gen Mitgliedstaaten ist einer gemeinsamen Regelung aufUnionsebene weit unterlegen, da hier ein erheblich grö-ßerer Aufwand nötig wäre, um Konformität und Verträg-lichkeit von Geräten herzustellen. Daher ist die Regelungein gutes Beispiel für Subsidiarität, wie sie Artikel 5 desVertrages von Lissabon vorsieht.Die Europäische Union hat bereits im Jahr 1989 eineerste EMV-Richtlinie veröffentlicht. Mittlerweile hatdie EU die Richtlinie zur Harmonisierung der Rechts-vorschriften der Mitgliedstaaten über die elektromagne-tische Verträglichkeit im Jahr 2014 neu gefasst, um dieHarmonisierung innerhalb Europas weiter voranzutrei-ben. Das Ziel ist ein möglichst störungsfreier Betrieballer elektrischen Geräte und Anlagen europaweit. Essoll damit verhindert werden, dass beim Betrieb elektro-nischer Geräte andere Geräte in ihrer Funktionsfähigkeitgestört werden. In Deutschland ist das Gesetz über dieelektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln,kurz: EMVG, grundlegend.Das Gesetz, das uns heute im Entwurf vorliegt, no-velliert das aus dem Jahr 2008 geltende EMVG, um denVorgaben der neuen EU-Richtlinie nachzukommen. Esgeht dabei in erster Linie um eine Anpassung des Ge-setzes an neue Gegebenheiten. Entsprechend werdenneue Definitionen und Pflichten der Wirtschaftsakteureaufgenommen sowie die Instrumente und Verfahren derMarkt überwachung überarbeitet und zur Harmonisie-rung der Verfahren an die entsprechenden Vorschriftendes Gesetzes über die Bereitstellung von Produkten aufdem Markt angeglichen. Die grundlegende Konzeptiondes EMVG mit seiner abgestuften Verantwortung ein-zelner Wirtschaftsakteure sowie der Privilegierung be-stimmter Anwendergruppen bleibt dagegen unverändert.Ralph Lenkert
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Ich komme nachher darauf zurück und werde kurz aufden Kollegen Lenkert eingehen.Grundsätzlich ist es Ziel des EMVG, ein verträglichesNebeneinander der wachsenden Vielfalt elektrischer Be-triebsmittel wie zum Beispiel Rasierer, Küchenmaschi-nen, TV-Geräte sowie Industrie- oder Breitbandkabelan-lagen zu schaffen. Das EMVG erfasst daher alle Geräte,die elektromagnetische Störfelder verursachen können,wie zum Beispiel Netzteile, Festplatten und Lautspre-cher, und alle Geräte, die solche Komponenten enthalten,also zum Beispiel Computer, Radios, Stereoanlagen undFernseher.Damit diese Geräte störungsfrei genutzt und betriebenwerden können, müssen sie bestimmte Anforderungenerfüllen. Das EMVG regelt sowohl die Bereitstellung aufdem Markt als auch das Lagern, Weitergeben, Ausstellen,In-Betrieb-Nehmen und Betreiben von Betriebsmitteln.Betriebsmittel sind Geräte und ortsfeste Anlagen, dieelektromagnetische Störungen verursachen können oderdurch elektromagnetische Ausstrahlungen gestört wer-den können.Prinzipiell verfolgt das Gesetz zwei Wege, wie dermöglichst störungsfreie Betrieb von Betriebsmittelngewährleistet werden kann. Zum einen sollen sie sobeschaffen sein, dass sie andere Geräte und Anlagenmöglichst wenig stören. Zum anderen sollen sie selbstzugleich von anderen Geräten möglichst wenig gestörtwerden können. Dies geschieht anhand europaweit har-monisierter technischer Normen, denen die Betriebsmit-tel entsprechen müssen – EU-Konformität und CE-Kenn-zeichnung –, bevor sie auf dem Markt bereitgestellt undbetrieben werden dürfen. Zur Sicherung des freien Wa-renverkehrs in Europa halte ich es für absolut sinnvoll,dass diese Anforderungen europaweit weiter harmoni-siert werden.Ich komme nun kurz auf das parlamentarische Ver-fahren zu sprechen. Wir haben im Wirtschaftsausschusseinen Änderungsantrag zu vier Punkten beschlossen, denwir heute als Beschlussempfehlung vorlegen. Dabei han-delt es sich durchweg um sprachliche Klarstellungen undAnpassungen des Gesetzestextes an die Vorgaben der eu-ropäischen Richtlinie.Die wichtigste Änderung betrifft dabei den Absatz 4des § 13. Darin werden Pflichten von Händlern formu-liert, falls diese feststellen, dass ein von ihnen angebo-tenes Gerät nicht den grundlegenden Anforderungen desEMVG entspricht. Hätten wir es bei der ursprünglichenFormulierung des Gesetzentwurfes belassen, wäre demHandel eine Verpflichtung zum Abstellen eines Zustan-des auferlegt worden, deren Erfüllung den Händlernohne Mitwirkung Dritter, wie zum Bespiel der Hersteller,nicht möglich gewesen wäre. Die nun gefundene Formu-lierung stellt genau dies sicher und sorgt für Rechtssi-cherheit bei den Beteiligten.Im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses haben sichvor allem – das haben meine beiden Vorredner erwähnt –die Funkamateure engagiert eingebracht. Auch wir alsUnion haben uns intensiv mit ihren Forderungen ausei-nandergesetzt, da wir die Arbeit der rund 70 000 aktivenFunkamateure in Deutschland wertschätzen. Dies beziehtsich nicht zuletzt auf die Bemühungen, die zum Beispielvonseiten der Funkamateure unternommen werden, umjunge Menschen für Technik zu begeistern.Nach Prüfung der eingegangenen Stellungnahmen sindwir aber zu dem Ergebnis gekommen, dass das bestehen-de Instrumentarium einen sinnvollen und vor allem ver-hältnismäßigen Ausgleich zwischen unterschiedlichenInteressen darstellt. Dass die gegenwärtige Regelungfunktioniert, wird nicht zuletzt durch die Statistik belegt;denn trotz der zunehmenden Verbreitung von EMV-re-levanten Produkten – sprich: Produkten, die prinzipielldazu neigen, als Störquelle zu fungieren – bleibt die Zahlder Störungsmeldungen aufseiten der Funkamateure inden letzten Jahren konstant. Es gibt also keine zusätzli-chen Störungsmeldungen in diesem Bereich.Die Zusammenarbeit der im Fall von Störungsmel-dungen zuständigen Bundesnetzagentur sowie der Ama-teurfunker hat sich in der Praxis bewährt. Und da derKollege Lenkert vorhin angesprochen hat, dass dann nurnoch der Klageweg bleibt: Es gab im letzten Jahr meinesWissens genau zwei Klagen.Gleiches gilt für die im EMVG angelegten Ermes-sensspielräume für die Bundesnetzagentur bei Abwä-gung kollidierender Interessen. Hier ist das EMVG ein-deutig und befindet sich damit in Einklang mit der neuenRichtlinie. Sowohl der europäische Richtliniengeber alsauch der deutsche Gesetzgeber trifft eine Abwägung, inwelchen Fällen ein Betriebsmittel Vorrang vor anderengenießt und folglich eine Anordnung gegen jenen zu er-gehen hat, der als Störquelle identifiziert wird. In diesemSinne kann ein Vorrang insbesondere zum Schutz öffent-licher Telekommunikationsnetze und zum Schutz vonLeib oder Leben festgestellt werden. Diese Fälle – undeben nur diese Fälle – sind bei der Störungsbeseitigungprivilegiert.Der Amateurfunk fällt nicht unter diese Kategorie.Hier geht es beispielsweise um Fälle, in denen ein Fern-sehgerät durch seine elektromagnetische Aussendungdas Amateurfunkgerät eines Nachbarn stört. Das EMVGgewährleistet hier auch in Zukunft, dass die Bundesnetz-agentur eine Abwägung der Interessen vornimmt und inZusammenarbeit mit den Beteiligten hilft, eine Lösungzu finden. In einem gemeinsamen Gespräch mit Funkernund auch mit der Bundesnetzagentur konnte man deutlichheraushören, dass das in den allermeisten Fällen absolutgelingt. Dieses Vorgehen hat sich in der Praxis bewährt.Dem Wunsch der Funkamateure, eine darüber hinaus-gehende Privilegierung zu erlangen, konnten wir uns ausGründen der Verhältnismäßigkeit nicht anschließen. Wirsind allerdings überzeugt, dass die Zusammenarbeit vonBundesnetzagentur als zuständiger Stelle für Marktüber-wachung und Störungsbearbeitung auf der einen Seitesowie den Funkamateuren auf der anderen Seite weiterkonstruktiv sein wird und in der Praxis zufriedenstel-lende Lösungen gefunden werden. Um es klar zu sagen:Durch die Neufassung des EMVG, wie wir sie heute vor-nehmen, findet keine Schlechterstellung des Amateur-funks im Vergleich zu seiner bisherigen Stellung statt. Esbleibt bei der gleichen Stellung wie im EMVG aus demJahre 2008.Hansjörg Durz
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Bei dem vorliegenden Gesetz handelt es sich um einenahezu inhaltsgleiche Umsetzung einer EU-Richtlinie innationales Recht. Ich bitte Sie um Zustimmung.Vielen Dank.
Vielen Dank, Hansjörg Durz. – Der letzte Redner in
dieser Debatte: Dieter Janecek für Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr
geehrter Herr Lenkert, auf Ihre Äußerungen möchte ich
direkt eingehen. Ich finde ja, dass Sie in diversen De-
batten immer einen sehr technikverständigen und manch-
mal auch sehr kreativen Ansatz pflegen. So war es beim
Smart-Metering-Gesetz, wo es um das Thema Schwarm-
intelligenz ging, und so ist es jetzt auch. Ich finde es rich-
tig und gut, dass Sie hier explizit auf die Einwendungen
der 70 000 Amateurfunker eingehen, weil wir sie in der
Tat ernst nehmen sollen; das tun wir auch.
Allerdings heißt das nicht zwangsläufig, dass wir dann
zur gleichen Abwägung kommen wie Sie und im Sinne
der Äußerungen bei einer Anhörung einzelne Interessen
über das Gemeinwohlinteresse stellen. Wir haben gele-
sen, was der Deutsche Amateur-Radio-Club e. V. über
den Runden Tisch Amateurfunk geschrieben hat. Wir
haben allerdings auch Gerichtsurteile gelesen – vom
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Bezug
nehmend auf den Verwaltungsgerichtshof Gelsenkir-
chen, wo jemand versucht hat, gegen die Bundesnetz-
agentur zu klagen; am Ende hat das Gericht entschieden,
dass die momentanen Regelungen sachgemäß sind. Das
ist die Ausgangslage. Noch einmal das klare Signal von
hier aus: Wir schätzen es wert, was die Amateurfunker
machen, und wollen wirklich jegliche Diskriminierung
abwehren.
Aber das wird mit diesem Gesetz gewährleistet. Deswe-
gen sind die Bedenken so nicht berechtigt.
Natürlich gibt es auch kein Recht auf Störungsfreiheit
in jeder Region Deutschlands; das ist nicht möglich, ein-
fach aufgrund der Betriebsmittel, die wir heute haben.
Ihre Zahl wird weiter zunehmen. Vielleicht werden wir
in einigen Jahren neue Diskussionen führen müssen, weil
die Strahlungsintensität in Deutschland natürlich nicht
abnimmt; das ist so. Aber auch deswegen nehmen wir
heute eine Novellierung vor. Sie ist im Kern auch richtig.
Es ist übrigens eine europäische Richtlinie, die wir hier
im Sinne der Vereinheitlichung umsetzen wollen. Inso-
fern ist das EMVG in der jetzigen Umsetzung im Kern
zu begrüßen.
Ich will jetzt auch gar nicht mehr im Detail ausführen,
was Sie zu den Umsetzungstatbeständen gesagt haben.
Vielleicht ganz kurz ein paar Punkte.
Entscheidend bei den Neuerungen für bestimmte
Wirtschaftsakteure ist, dass alle Akteure einer Handels-
kette formal als Hersteller gelten und zum Beispiel alle
Dokumente wie Betriebsanleitungen zu einem Produkt
vorhalten müssen. Damit soll gewährleistet werden, dass
sich Zwischenhändler nicht durch einen Verweis auf Pro-
duzenten in Übersee entlasten können, wenn ein Verstoß
gegen die Vorgaben des EMVG vorliegt. Ganz entschei-
dend ist auch, dass die Händler dadurch zur Kooperation
mit der Bundesnetzagentur als Marktüberwachungsbe-
hörde verpflichtet sind. Das bedeutet zum Beispiel: So-
bald ein Händler bei Inbetriebnahme eines Gerätes ein
Risiko feststellt, muss er unverzüglich die Bundesnetz-
agentur informieren. Das ist in dieser Form gut geregelt.
Wir achten, was den Amateurfunk angeht, natürlich
trotzdem darauf, dass wir hier nicht in eine Schieflage
geraten. Die ist momentan aber nicht gegeben. In diesem
Sinne sind wir bei Ihnen, dass das im Kern der richtige
Weg ist.
Danke schön.
Vielen Dank, Dieter Janecek. – Dann schließe ich dieAussprache.Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzesüber die elektromagnetische Verträglichkeit von Be-triebsmitteln. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energieempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/9848, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 18/8960 in der Ausschussfassung an-zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfin der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um ihrHandzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-nommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dage-gengestimmt hat die Linke, und die Grünen haben sichenthalten. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Bera-tung angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Es bleibtdabei: Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmthaben CDU/CSU und die SPD, dagegengestimmt hat dieLinke, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeord-
neten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, SusannaKarawanskij, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEBefristungen im öffentlichen Dienst stoppenDrucksachen 18/7567, 18/8376Hansjörg Durz
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Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Siesind damit einverstanden.1)Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschussfür Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 18/8376, den Antrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 18/7567 abzuleh-nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat die Linke, enthaltenhaben sich Bündnis 90/Die Grünen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Änderung der Artikel 8 und 39 desÜbereinkommens vom 8. November 1968 überden StraßenverkehrDrucksache 18/8951Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
Drucksache 18/9780Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Siesind einverstanden.2)Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung. Der Aus-schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehltin seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9780,den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-che 18/8951 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-men. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen-gestimmt hat niemand, enthalten haben sich die Linkenund Bündnis 90/Die Grünen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSUund SPD, dagegen war niemand, enthalten haben sichBündnis 90/Die Grünen und die Linken.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit zuder Verordnung der BundesregierungVerordnung zur Umsetzung der Richtli-nie 2014/99/EU und zur Änderung und An-passung weiterer immissionsschutzrechtlicherVerordnungenDrucksachen 18/8879, 18/9129 Nr. 2.1, 18/97131) Anlage 52) Anlage 6Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegebenwerden. – Sie sind damit einverstanden.3)Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss fürUmwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp-fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/9713, der Verordnung der Bundesregierung aufDrucksache 18/8879 zuzustimmen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Wer enthältsich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu-gestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke, dage-gen war niemand, enthalten haben sich Bündnis 90/DieGrünen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Änderung des Kommunalinvesti-tionsförderungsgesetzes und zur Änderungweiterer GesetzeDrucksache 18/9231Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-haltsausschusses
Drucksache 18/9849Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Siesind einverstanden.4)Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsaus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/9849, den Gesetzentwurf der Bundesre-gierung auf Drucksache 18/9231 anzunehmen. Ich bittediejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,um das Handzeichen. – Stimmt jemand dagegen? – Ent-hält sich jemand? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-ter Beratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Niemand stimmt dagegen? – Niemand enthält sich? –Damit ist dieser Gesetzentwurf tatsächlich einstimmigangenommen.Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 30. September 2016,9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen. Wir wünschen Ihnen vonHerzen noch einen schönen Restabend.