3) Anlage 7
        4) Anlage 8
        Vizepräsidentin Claudia Roth
        (A) (C)
        (B) (D)
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19289
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29.09.2016
        Bär, Dorothee CDU/CSU 29.09.2016
        Ferner, Elke SPD 29.09.2016
        Fuchs, Dr. Michael CDU/CSU 29.09.2016
        Hellmich, Wolfgang SPD 29.09.2016
        Hendricks, Dr. Barbara SPD 29.09.2016
        Hintze, Peter CDU/CSU 29.09.2016
        Ilgen, Matthias SPD 29.09.2016
        Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29.09.2016
        Kunert, Katrin DIE LINKE 29.09.2016
        Lach, Günter CDU/CSU 29.09.2016
        Lerchenfeld, Philipp
        Graf
        CDU/CSU 29.09.2016
        Liebing, Ingbert CDU/CSU 29.09.2016
        Möhring, Cornelia DIE LINKE 29.09.2016
        Movassat, Niema DIE LINKE 29.09.2016
        Müller (Chemnitz),
        Detlef
        SPD 29.09.2016
        Nahles, Andrea SPD 29.09.2016
        Nietan, Dietmar SPD 29.09.2016
        Özoğuz, Aydan SPD 29.09.2016
        Rode-Bosse, Petra SPD 29.09.2016
        Schlecht, Michael DIE LINKE 29.09.2016
        Schröder (Wiesbaden),
        Dr. Kristina
        CDU/CSU 29.09.2016
        Schwarzelühr-Sutter,
        Rita
        SPD 29.09.2016
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29.09.2016
        Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 29.09.2016
        Weber, Gabi SPD 29.09.2016
        Wegner, Kai CDU/CSU 29.09.2016
        Anlage 2
        Erklärungen nach § 31 GO
        zu den namentlichen Abstimmungen über
        – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
        Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag
        der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens,
        Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der
        Fraktion DIE LINKE: Mieterinnen und Mieter
        besser schützen – Zweite Mietrechtsnovelle vor-
        legen
        und
        – die Beschlussempfehlung des Haushaltsaus-
        schusses zu dem Antrag der Abgeordneten
        Dr. Gesine Lötzsch, Heidrun Bluhm, Caren Lay,
        weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
        LINKE: Privatisierung von Bundesliegenschaf-
        ten stoppen – Liegenschaftspolitik des Bundes
        nachhaltig reformieren
        (Tagesordnungspunkte 4 c und 4 d)
        Cansel Kiziltepe (SPD): Die SPD-Fraktion hat zu-
        sammen mit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bun-
        destag eine Reihe von Regelungen auf den Weg gebracht,
        die den Preisanstieg von Mietwohnungen dämpfen,
        Neubau von Wohnungen ankurbeln und Wohnraum be-
        zahlbar halten sollen. Hierzu gehören unter anderem die
        Mietpreisbremse, das Bündnis für bezahlbares Wohnen
        und Bauen sowie die Erhöhung des Wohngelds.
        Der Bedarf an weiteren Änderungen ist klar erkennbar.
        Daher befinden wir uns in einem Dialogprozess mit dem
        Koalitionspartner. Der Gesetzentwurf zur Novellierung
        des Mietrechts wird jedoch aktuell vonseiten der Union
        blockiert.
        Aus diesem Grund hat die SPD-Bundestagsfraktion am
        01.09.2016 das Positionspapier „Bezahlbare Wohnungen
        schaffen und Mietrecht sozial gestalten“ beschlossen.
        Darin wird auch eine Änderung des BImA-Gesetzes ge-
        fordert. Wir wollen eine Abkehr vom Höchstpreisverfah-
        ren und ein kommunales Vorkaufsrecht.
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 201619290
        (A) (C)
        (B) (D)
        Auch hierzu stehen wir in Verhandlungen mit dem Koa-
        litionspartner.
        Daher stimme ich den Beschlussempfehlungen der
        Ausschüsse zu.
        Klaus Mindrup (SPD): Die SPD-Fraktion hat zusam-
        men mit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundes-
        tag eine Reihe von Regelungen auf den Weg gebracht,
        die den Preisanstieg von Mietwohnungen dämpfen,
        Neubau von Wohnungen ankurbeln und Wohnraum be-
        zahlbar halten sollen. Hierzu gehören unter anderem die
        Mietpreisbremse, das Bündnis für bezahlbares Wohnen
        und Bauen sowie die Erhöhung des Wohngelds.
        Der Bedarf an weiteren Änderungen ist klar erkennbar.
        Daher befinden wir uns in einem Dialogprozess mit dem
        Koalitionspartner. Der Gesetzentwurf zur Novellierung
        des Mietrechts wird jedoch aktuell vonseiten der Union
        blockiert.
        Aus diesem Grund hat die SPD-Bundestagsfraktion am
        01.09.2016 das Positionspapier „Bezahlbare Wohnungen
        schaffen und Mietrecht sozial gestalten“ beschlossen.
        Darin wird auch eine Änderung des BImA-Gesetzes ge-
        fordert. Wir wollen eine Abkehr vom Höchstpreisverfah-
        ren und ein kommunales Vorkaufsrecht.
        Auch hierzu stehen wir in Verhandlungen mit dem Koa-
        litionspartner. Sollten diese jedoch scheitern, so wird die
        SPD-Bundestagsfraktion Gesetzentwürfe in den Deut-
        schen Bundestag einbringen.
        Daher stimme ich den Beschlussempfehlungen der Aus-
        schüsse zu.
        Mechthild Rawert (SPD): Die SPD-Fraktion hat
        zusammen mit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen
        Bundestag eine Reihe von Regelungen auf den Weg ge-
        bracht, die den Preisanstieg von Mietwohnungen dämp-
        fen, Neubau von Wohnungen ankurbeln und Wohnraum
        bezahlbar halten sollen. Hierzu gehören unter anderem
        die Mietpreisbremse, das Bündnis für bezahlbares Woh-
        nen und Bauen sowie die Erhöhung des Wohngelds.
        Der Bedarf an weiteren Änderungen ist klar erkennbar.
        Daher befinden wir uns in einem Dialogprozess mit dem
        Koalitionspartner. Der Gesetzentwurf zur Novellierung
        des Mietrechts wird jedoch aktuell vonseiten der Union
        blockiert.
        Wir teilen die Anliegen der Fraktion Die Linke in den
        oben genannten Anträgen. Aus diesem Grund hat die
        SPD-Bundestagsfraktion am 01.09.2016 das Positions-
        papier „Bezahlbare Wohnungen schaffen und Mietrecht
        sozial gestalten“ beschlossen. Darin wird auch eine Än-
        derung des BImA-Gesetzes gefordert. Wir wollen eine
        Abkehr vom Höchstpreisverfahren und ein kommunales
        Vorkaufsrecht.
        Auch hierzu stehen wir in Verhandlungen mit dem Koa-
        litionspartner. Sollten diese jedoch scheitern, so wird die
        SPD-Bundestagsfraktion Gesetzentwürfe in den Deut-
        schen Bundestag einbringen.
        Daher lehne ich die Anträge der Opposition ab.
        Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die SPD-Fraktion
        hat zusammen mit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen
        Bundestag eine Reihe von Regelungen auf den Weg ge-
        bracht, die den Preisanstieg von Mietwohnungen dämp-
        fen, Neubau von Wohnungen ankurbeln und Wohnraum
        bezahlbar halten sollen. Hierzu gehören unter anderem
        die Mietpreisbremse, das Bündnis für bezahlbares Woh-
        nen und Bauen sowie die Erhöhung des Wohngelds.
        Der Bedarf an weiteren Änderungen ist klar erkennbar.
        Daher befinden wir uns in einem Dialogprozess mit dem
        Koalitionspartner. Der Gesetzentwurf zur Novellierung
        des Mietrechts wird jedoch aktuell vonseiten der Union
        blockiert.
        Wir teilen die Anliegen der Fraktion Die Linke in den
        oben genannten Anträgen. Aus diesem Grund hat die
        SPD-Bundestagsfraktion am 01.09.2016 das Positions-
        papier „Bezahlbare Wohnungen schaffen und Mietrecht
        sozial gestalten“ beschlossen. Darin wird auch eine Än-
        derung des BImA-Gesetzes gefordert. Wir wollen eine
        Abkehr vom Höchstpreisverfahren und ein kommunales
        Vorkaufsrecht.
        Auch hierzu stehen wir in Verhandlungen mit dem Koa-
        litionspartner. Sollten diese jedoch scheitern, so wird die
        SPD-Bundestagsfraktion Gesetzentwürfe in den Deut-
        schen Bundestag einbringen. Deswegen stimme ich der
        Ausschussempfehlung zu.
        Anlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Cansel Kiziltepe (SPD) zu der
        Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
        Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur An-
        passung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteu-
        ergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesver-
        fassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 6)
        Der im Vermittlungsausschuss gefundene Kompromiss
        zur Erbschaftsteuer ist eine Verbesserung gegenüber dem
        Beschluss des Bundestags. Er ist ein tragfähiger, aber
        kein zufriedenstellender Kompromiss.
        – Statt 30 Prozent wird der Unternehmenswert im
        Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens
        nur noch um 23 Prozent pauschal abgesenkt.
        – Die Voraussetzungen für den Vorababschlag für
        Familienunternehmen von bis zu 30 Prozent wur-
        den verschärft.
        – Unternehmen können nun nur noch dann die
        100-Prozent-Verschonung erhalten, wenn ihr Ver-
        waltungsvermögensanteil unter 20 Prozent liegt.
        – Die Verschonungen für vermögensverwaltende
        Gesellschaften wurden eingeschränkt.
        – Private Luxusgüter wie Yachten oder Oldtimer
        werden nicht mehr begünstigt.
        Dieser Erfolg geht maßgeblich auf die sozialdemokra-
        tisch geführten Länder zurück, die aus staatspolitischer
        Verantwortung zu diesem Kompromiss bereit waren. Es
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19291
        (A) (C)
        (B) (D)
        wäre ein verheerendes Signal und eine Missachtung des
        Bundesverfassungsgerichts gewesen, wenn es trotz deut-
        licher Fristüberschreitung keine Einigung gegeben hätte.
        Die Union und insbesondere die CSU haben in unver-
        antwortlicher Weise mit dem Feuer gespielt. Mit ihrer
        kompromisslosen Haltung im Interesse der Unterneh-
        merlobby waren sie bereit, unserer Demokratie Schaden
        zuzufügen.
        Gleichwohl ändert der Kompromiss nichts an der vertei-
        lungspolitischen Schieflage. In den letzten Jahren betru-
        gen die Steuerausfälle durch die Privilegierung des Be-
        triebsvermögens jährlich durchschnittlich 12 Milliarden
        Euro. Das ist doppelt so viel wie die Einnahmen an Erb-
        schaftsteuer. Das neue Recht wird hieran nichts ändern.
        Eine große Chance, Millionäre und Milliardäre an der
        Finanzierung des Gemeinwesens angemessen zu betei-
        ligen, wurde vertan.
        Es bestehen zudem Zweifel, ob das neue Recht verfas-
        sungskonform ist. Auch allergrößte Betriebe können
        weiterhin steuerfrei übertragen werden, wenn die Kinder
        noch kein Privatvermögen besitzen. Durch frühe Schen-
        kungen kann die eigentlich vorgesehene Bedürfnisprü-
        fung problemlos umgangen werden. Zudem wird es zu
        Bewertungsabschlägen von bis 45 Prozent kommen.
        Damit wird das alte, bis 2008 geltende und bereits als
        verfassungswidrig gerügte Bewertungsniveau wieder-
        hergestellt.
        Als Sozialdemokratin ist es mir immer wichtig gewesen,
        dass Arbeitsplätze nicht durch die Erbschaftsteuer ge-
        fährdet werden. Dieses Ziel war, ist und bleibt richtig.
        Diese Zielsetzung ist jedoch problemlos auch mit höhe-
        ren Steuern für große und sehr große Erbschaften ver-
        einbar. Der Vorschlag des Instituts für Makroökonomie
        und Konjunkturforschung (IMK), eine Mindestbesteue-
        rung für Erbschaften ab 26 Millionen Euro in Höhe von
        15 Prozent einzuführen, weist in die richtige Richtung.
        Mit dieser Erklärung mache ich deutlich, dass ich subs-
        tanzielle Zweifel habe, ob das neue Erbschaftsteuerge-
        setz verfassungsgemäß ist. Daher setze ich mich für eine
        zügige Novellierung des Gesetzes in der nächsten Legis-
        latur ein, um die Überprivilegierung großer und größter
        Vermögen zu beenden und einen Beitrag für mehr Vertei-
        lungsgerechtigkeit zu leisten.
        Dem Vermittlungsergebnis des Vermittlungsausschus-
        ses stimme ich zu.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
        brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än-
        derung des Berufskraftfahrer-Qualifikations-Ge-
        setzes (Tagesordnungspunkt 15)
        Thomas Viesehon (CDU/CSU): Das Zweite Gesetz
        zur Änderung des Berufskraftfahrer-Qualifikations-Ge-
        setzes, das wir heute im Bundestag verabschieden wol-
        len, ist ein notwendiger Schritt zur Sicherung einer guten
        und verlässlichen Ausbildung der Berufskraftfahrer in
        unserem Land. Mit diesem Gesetz verhindern wir zum
        einen den sich häufenden missbräuchlichen Umgang
        bei der Aus- und Weiterbildung im Güter- und Perso-
        nenverkehr. Zum anderen beheben wir ein in der Praxis
        aufgetretenes Nachweisproblem der Fahrerqualifikation
        bei sogenannten Grenzgängern, die im Grenzverkehr
        zwischen Deutschland und Frankreich als Kraftfahrer
        arbeiten, und die wegen der unterschiedlichen Nach-
        weisdokumente der beiden Länder Probleme haben, ihre
        erforderliche Qualifikation im Ausland nach den jeweili-
        gen Bestimmungen nachzuweisen.
        Lassen Sie mich zunächst auf das Thema Missbrauch
        eingehen. Das Bundesamt für Güterverkehr hat im Zuge
        der Bereitstellung von Fördermitteln für die beschleu-
        nigte Grundqualifikation und Weiterbildung von Berufs-
        kraftfahrern festgestellt, dass abgerechnete und bestätigte
        Weiterbildungen bescheinigt worden sind, ohne dass sie
        nach den gesetzlichen Anforderungen tatsächlich durch-
        geführt wurden. In der Praxis werden so zum Beispiel
        von unseriösen, aber zugelassenen Anbietern Qualifikati-
        onsbescheinigungen gegen reine Geldleistung ausgehän-
        digt. Dies hat neben den augenscheinlichen kriminellen
        Aspekten, die es schnellstmöglich einzudämmen gilt,
        Folgen für die gesamte Ausbildungsbranche der Berufs-
        kraftfahrer.
        Letztendlich nehmen die seriösen und redlichen An-
        bieter, wenn ihnen die Kunden, die sich die Zeit für die
        Schulungen sparen wollen, wegbleiben, ebenfalls Scha-
        den. Es handelt sich noch um Einzeltäter, und keinesfalls
        möchte ich hier eine ganze Branche in Verruf bringen,
        die vorbildliche Arbeit leistet und dafür Sorge trägt, dass
        wir in Deutschland Kraftfahrer mit der bestmöglichen
        Ausbildung auf die Straße bringen. Diese leistet mit ihrer
        Arbeit einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu unser
        aller Verkehrssicherheit. Aber die durch die Bundesregie-
        rung vorgelegte Zahl von 600 Missbrauchsfällen inner-
        halb von 15 Monaten in einem einzelnen Bundesland und
        der geschätzte Schaden für den Bundeshaushalt, der sich
        aus den zu Unrecht in Anspruch genommenen Fördergel-
        dern in der Höhe von mehreren Millionen Euro ergibt,
        machen deutlich, dass wir als Gesetzgeber aufgefordert
        sind, hier tätig zu werden.
        Wir schaffen mit diesem Gesetz die notwendigen und
        konkreten Vorgaben für die Anerkennung und Überwa-
        chung von Aus- und Weiterbildungsstätten, Unterrichts-
        orten, Teilnehmerzahl und die Mitteilung von Daten und
        Zeit der geplanten Weiterbildungsveranstaltungen. Wir
        schaffen neue und erweiterte Bußgeldtatbestände, um die
        schwarzen Schafe der Branche und diejenigen, die die
        vorgeschriebenen Schulungen umgehen, angemessen zu
        bestrafen und vor weiterem Missbrauch abzuschrecken.
        Neben der Verhängung von Bußgeldern kann zu-
        künftig der Unterricht nach Verstößen untersagt oder
        die notwendige Anerkennung als Ausbildungsstätte wi-
        derrufen werden. Bei wiederholt unrichtig ausgestellten
        Teilnahmebescheinigungen, zum Beispiel durch Verkauf,
        ist nach dem Gesetz nun ein zwingender Widerruf der
        Anerkennung oder eine zwingende Untersagung der
        Durchführung des Unterrichts vorgesehen. Damit folgen
        wir dem ausdrücklichen Wunsch der Bundesländer. Denn
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 201619292
        (A) (C)
        (B) (D)
        nur bei tatsächlicher und vollständiger Teilnahme an den
        Kursen kann weiterhin zum Wohle aller Verkehrsteilneh-
        mer ein hohes Maß an Sicherheit auf unseren Straßen
        realisiert werden. Hier verzeichnen wir in Deutschland
        erfreuliche Fortschritte. Nach historischer Gesamtbe-
        trachtung der Verkehrsstatistik hat sich so zum Beispiel
        die Zahl der bei Lkw-Unfällen ums Leben gekommenen
        Menschen seit 1992 um circa 60 Prozent verringert. Das
        ist auch Ergebnis einer hierzulande sehr guten und pro-
        fessionellen Ausbildung unserer Fahrer, die wir weiter
        durch Bundesmittel fördern wollen.
        Das zweite Problem, das ich eingangs meiner Rede
        erwähnt habe, hat mit der grenzüberschreitenden Aner-
        kennung und dem Nachweis der Qualifikation als Berufs-
        kraftfahrer zu tun. Die EU hat ihren Mitgliedstaaten zwei
        Möglichkeiten des Nachweises vorgegeben, den Ver-
        merk des entsprechenden Gemeinschaftscode 95 im Füh-
        rerschein oder die Ausstellung eines separaten Fahrer-
        qualifikationsdokumentes mit entsprechendem Vermerk.
        Deutschland weist die Qualifikation im Führerschein aus,
        während unser Nachbar Frankreich sich eines separaten
        Dokumentes bedient. Damit stehen wir im Zeitalter of-
        fener Grenzen in Europa vor dem Problem, dass Grenz-
        gänger, die in Frankreich ihren ordentlichen Wohnsitz
        haben und in Deutschland beschäftigt sind und dort ihre
        Ausbildung absolvieren, keinen Eintrag nach deutschem
        Recht im französischen Führerschein und in Deutsch-
        land, weil nicht vorgesehen, keinen in Frankreich übli-
        chen Fahrerqualifikationsausweis erhalten können. Dies
        beheben wir nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf.
        Danach können die betroffenen Bundesländer in Zukunft
        durch entsprechende Rechtsverordnung das Ausstellen
        eines solchen Ausweises für betroffene Grenzgänger er-
        möglichen.
        Mit der heutigen Verabschiedung dieses Gesetzent-
        wurfs im Plenum lösen wir damit erst einmal die akuten
        Probleme der Ausbildungsbranche und der Grenzgänger.
        Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung.
        Oliver Wittke (CDU/CSU): Wir beschließen heute
        das Zweite Gesetz zur Änderung des Berufskraftfah-
        rer-Qualifikations-Gesetzes und leisten dadurch einen
        wesentlichen Beitrag, um missbräuchliches Verhalten im
        Rahmen der Grundqualifikation und der Weiterbildung
        von Berufskraftfahrern im Güter- und Personenverkehr
        zu verhindern. Dies ist ein wichtiger Schritt zur weite-
        ren Verbesserung der Qualifikation des Fahrpersonals
        und dient nicht zuletzt auch der Sicherheit auf unseren
        Straßen.
        Besonders freue ich mich, dass die Bundesregierung
        auf Betreiben der Koalitionsfraktionen bereits im Gesetz-
        entwurf den Anwendungsbereich des Gesetzes im Sinne
        einer Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinie 2003/59/
        EG klarer definiert hat. So sind die beschleunigte
        Grundqualifikation und die Weiterbildung – wie in an-
        deren EU-Staaten auch – nicht mehr erforderlich, wenn
        keine Güter oder Fahrgäste befördert werden. Besondere
        Probleme in der Anwendung des Gesetzes, wie zum Bei-
        spiel bei den Autovermietern, werden dadurch gelöst.
        Nach intensiver Befassung mit dem vorliegenden Ge-
        setzentwurf im Rahmen des parlamentarischen Verfah-
        rens bleiben gleichwohl einige noch nicht gelöste Bau-
        stellen, die im laufenden Gesetzgebungsverfahren nicht
        berücksichtigt werden konnten. Gespräche mit Ländern,
        Verbänden und Experten haben aufgezeigt, dass es wei-
        ter gehender Änderungen bedarf. Auch die Anhörung
        des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
        hat dies bestätigt. Aus diesem Grund haben CDU/CSU
        und SPD den heute auch zur Abstimmung stehenden
        Entschließungsantrag eingebracht. Ich bin froh, dass die
        Bundesregierung diese Punkte auf die Agenda nimmt
        und dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruk-
        tur bis März nächsten Jahres Vorschläge zur Umsetzung
        macht.
        Wir sind davon überzeugt, dass es klarer bundesein-
        heitlicher Regeln bedarf, um den mit der Umsetzung des
        Gesetzes befassten Behörden die nötigen Instrumente an
        die Hand zu geben, mögliche Verstöße und Missbrauch
        effektiv, aber auch effizient zu kontrollieren. Ein zen-
        trales Register, das die Daten von Ausbildungsteilneh-
        mern und -stätten sowie Nachweisen bundesweit vereint,
        scheint aus unserer Sicht ein geeigneter Weg, um die
        Kontrollmechanismen des Berufskraftfahrer-Qualifika-
        tions-Gesetzes weiterzuentwickeln.
        Einer bundeseinheitlichen Regelung bedarf es unse-
        rer Meinung auch bei der Frage, ob die Qualifikation
        mittels Eintragung mit der Schlüsselzahl „95“ in den
        Führerschein oder einem separaten Fahrerqualifikations-
        nachweis erfolgt. Ein bundesweit als Karte ausgegebe-
        ner Fahrerqualifikationsnachweis würde unserer Ansicht
        nach nicht nur das heute bestehende Problem einiger
        Tausend Grenzgänger lösen, in deren ausländischen Füh-
        rerscheinen die deutschen Behörden keine Eintragung
        vornehmen dürfen, sondern die Branche erhofft sich zu-
        dem eine Reduktion von bürokratischem Aufwand und
        entsprechende Kosteneinsparungen.
        Darüber hinaus freue ich mich, dass das Bundesmi-
        nisterium für Verkehr und digitale Infrastruktur die Ein-
        führung von zusätzlichen Ausbildungs- und Prüfungs-
        sprachen prüft, ähnlich wie dies beim Führerschein heute
        schon ist. Es besteht nach wie vor großer Personalbedarf
        in der Branche, und der Beruf des Kraftfahrers ist prä-
        destiniert für die Integration von Einwanderern in unser
        Land. Die heute bestehenden Hürden sollten wir in die-
        sem Sinne abbauen.
        Auch wenn wir uns im kommenden Jahr erneut mit
        dem Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz befassen
        werden, so nehmen wir heute bereits eine wichtige Hürde
        auf dem Weg zu einer deutlichen Verbesserung der Qua-
        lität und der besseren Kontrollierbarkeit der beschleu-
        nigten Grundqualifikation und Weiterbildung. Daher
        stimmen wir dem von der Bundesregierung vorgelegten
        Gesetzentwurf und dem damit verbundenen Entschlie-
        ßungsantrag zu.
        Udo Schiefner (SPD): Wir erwarten von Transpor-
        teuren, dass sie schnell, effizient und zuverlässig liefern.
        Transport und Logistik bilden das Rückgrat unserer
        Wirtschaft und unseres täglichen Lebens. Unser Wirt-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19293
        (A) (C)
        (B) (D)
        schaftsstandort Deutschland hängt in hohem Maße von
        leistungsfähiger Logistik ab. Die Branche ist dazu auf
        nachweisbar gut qualifizierte Berufskraftfahrende ange-
        wiesen.
        In der Vergangenheit häuften sich jedoch Hinweise auf
        unberechtigt ausgestellte Nachweise zu Aus- und Weiter-
        bildungen für Berufskraftfahrende. Die gesetzlich vor-
        geschriebenen Weiterbildungspflichten werden immer
        wieder gar nicht oder in nur unzureichender Form erfüllt.
        Die Überwachung der Ausbildungsstätten gestaltet sich
        bislang jedoch sehr schwierig. Das liegt auch an der zer-
        klüfteten unübersichtlichen Struktur in Deutschland. Zu
        wissen, welche Behörde in welchem Bundesland zustän-
        dig ist, ist eine Wissenschaft für sich.
        Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird auf diese
        Probleme, wenigstens zum Teil, reagiert. Es ist richtig
        und wichtig, dass wir nun Möglichkeiten zur Kontrolle
        und zum Verhängen von Bußgeldern verbessern. Nur mit
        strengeren Sanktionen können wir die schwarzen Schafe
        der Branche härter treffen und den ehrlichen Fahrerinnen
        und Fahrern, Unternehmen und Fahrschulen helfen.
        Wir hätten aber noch weiter gehen können. Weiter
        gehenden Vorschlägen aus der Transport- und Logis-
        tikbranche wollen wir in einem nächsten Schritt ent-
        sprechen. Wir wollen einheitliche Anerkennungs- und
        Überwachungssysteme, ein zentrales Register der Aus-
        bildungsstätten mit Teilnehmerdokumentation und einen
        bundesweiten Fahrer-Qualifikationsnachweis als Ersatz
        für die Eintragung der Schlüsselzahl „95“ einführen. Un-
        ser Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen greift
        damit die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung auf. Un-
        ser Antrag trifft auf breite Zustimmung, auch aus der Op-
        position. Wir sind uns alle einig, dass es mit dem Gesetz
        zur Berufskraftfahrerqualifikation weitergehen muss. Es
        ist ein „work in progress“.
        Dabei ist es wichtig, dass die zu planenden Systeme
        von Anfang an modernen Ansprüchen an Digitalisierung
        gerecht werden. Mit einem dezentral einsehbaren zentra-
        len Register kann vor allem die geforderte und für ef-
        fektive Kontrollen notwendige Transparenz geschaffen
        werden. Die Genehmigungs- und die Prüfungsbehörden
        würden ihnen vorgelegte Nachweise nachvollziehbar,
        unbürokratisch und schnell überprüfen können.
        Erst mit moderner Kommunikations- und Datenbank-
        technik werden wir den Betrugsmöglichkeiten wirk-
        lich einen Riegel vorschieben. In einem Zentralregister
        können die Daten der Ausbildungsteilnehmer und der
        Ausbildungsstätten mit geringem Aufwand miteinander
        abgeglichen werden. Wir wollen Manipulationen ver-
        hindern und Bürokratien abbauen. Dazu gehört auch,
        dass ein bundesweit als Karte ausgegebener Fahrerqua-
        lifikationsnachweis den bürokratischen Aufwand für alle
        Betroffenen reduzieren wird. Werden auch für die Karte
        digitale Einsatzmöglichkeiten zukunftsoffen ermöglicht,
        kann sie ein großer Gewinn gegenüber der aktuell gängi-
        gen Praxis werden.
        Dieses „work in progress“ sollte jetzt mit Hochdruck
        vorangetrieben werden. Wir erwarten, dass wir noch in
        dieser Legislaturperiode Planungsergebnisse mit Umset-
        zungsperspektive vorgelegt bekommen. Wir wollen noch
        gesetzgeberisch tätig werden. Deshalb ist es wichtig,
        dass wir spätestens Ende März nächsten Jahres im Aus-
        schuss informiert werden.
        Durchaus zu Recht werden nun einige fragen: Warum
        wurde der Hochdruck nicht schon früher eingesetzt und
        das heute zu beschließende Gesetz entsprechend geän-
        dert? Schnell, effizient und zuverlässig sollte ja nicht nur
        die Transportbranche sein, sondern auch unsere Gesetz-
        gebungsprozesse. Von uns hier im Bundestag und von
        der Regierung erwartet die Bevölkerung eine hohe Leis-
        tungsfähigkeit und hervorragende Produkte. Wie passt
        das zu einem Gesetzbeschluss, der direkt die nächste
        Änderung einfordert?
        Einerseits passt das durchaus; denn selbstverständ-
        lich müssen wir Gesetze auf ihre Wirksamkeit überprü-
        fen und gegebenenfalls weiter verbessern. Andererseits
        wussten wir seit langem, was wir in diesem Fall noch
        besser machen sollten.
        Dies verleitet mich zu einer kleinen Randnotiz: Als
        ich hier im Bundestag in dieser Legislaturperiode neu
        anfing, wir dann die große Koalition bildeten und uns
        fortan auf eine überwältigende Mehrheit im Parlament
        stützen konnten, kam das Gefühl auf, jetzt können wir
        etwas bewegen. Wir haben auch sehr viel bewegt und
        wichtige Beschlüsse gefasst. Aber seien wir ehrlich: Wir
        haben auch vieles noch nicht hinbekommen. Und dafür
        werden wir kritisiert. Wir werden selten auch gelobt für
        die Dinge die vorangehen, häufiger aber kritisiert für das,
        was liegen blieb.
        Bereits vor über zwei Jahren besprachen wir in klei-
        ner Runde mit den Fachleuten des Ministeriums unsere
        Vorstellungen bezüglich eines Zentralregisters. Als zu-
        ständige Berichterstatter der Koalitionsfraktionen waren
        wir uns einig. Wir wollten diese Möglichkeit und Um-
        setzungsvorschläge dazu geprüft sehen. Bei mehreren
        Folgegesprächen unter Beteiligung der thematisch ver-
        antwortlichen politischen Führung des Hauses haben wir
        unsere Erwartungen wiederholt unterstrichen.
        Mit dem heute beschlossenen parlamentarischen Auf-
        trag an die Regierung gehen wir einen Weg, der meines
        Erachtens nicht nötig gewesen wäre. Wir könnten schon
        viel weiter sein. Wenn wir schnell, effizient und zuver-
        lässig sein wollen, wie es uns die Fahrerinnen und Fahrer
        auf ihren Lkws vormachen, müssen wir auch unsere ei-
        genen Prozesse noch deutlich verbessern – hier im Haus
        und in der Zusammenarbeit zwischen Parlament und Mi-
        nisterien.
        Thomas Lutze (DIE LINKE): Zum einen besteht
        für die Gruppe der insbesondere französischen „Grenz-
        gänger“, also französische Berufskraftfahrer, die bei ei-
        ner deutschen Firma beschäftigt sind, ein Problem beim
        Nachweis der in Deutschland erworbenen Grundquali-
        fikation. In Deutschland wird diese durch Eintrag eines
        Schlüsselcodes im Führerschein nachgewiesen, in Frank-
        reich ausschließlich durch einen separaten Fahrerquali-
        fizierungsnachweis, der wiederum in Deutschland nicht
        ausgestellt wird. Durch den Gesetzentwurf soll ermög-
        licht werden, auch in Deutschland Fahrerqualifizierungs-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 201619294
        (A) (C)
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        nachweise ausstellen zu können, die in Frankreich aner-
        kannt werden.
        Zum anderen führt der Gesetzentwurf neue Kontroll-
        möglichkeiten ein bzw. verbessert die bestehenden Kon-
        trollmöglichkeiten bei der tatsächlichen Durchführung
        der Weiterbildungsmaßnahmen für Berufskraftfahrer, da
        dem Bundesamt für Güterverkehr Hinweise vorliegen,
        dass es vermehrt Missbrauch bei der Durchführung von
        Qualifikationsmaßnahmen gegeben hat.
        Die Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten bei der
        Durchführung von Qualifikationen für Berufskraftfahrer
        dürfte zu einer Erhöhung der Qualität der Weiterbildung
        von Berufskraftfahrern und damit zu einer Verbesserung
        der Sicherheit im Straßenverkehr beitragen. Die Mög-
        lichkeit der Ausstellung eines Fahrerqualifikationsnach-
        weises führt zu einer deutlichen Erleichterung der grenz-
        übergreifenden Berufstätigkeit.
        Alles in allem sinnvolle Maßnahmen. Leider gibt es
        in diesem Bereich noch mehr offene Baustellen, die Sie
        unsinnigerweise nicht gleich mit angepackt haben. Hier
        hätte man von Anfang ordentlich arbeiten sollen, statt die
        Bundesregierung in einer Entschließung dazu aufzufor-
        dern.
        Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer
        müssen eine besondere Qualifikation nachweisen, um im
        Personen- oder Güterkraftverkehr tätig werden zu kön-
        nen. Geregelt wird dies mit der EU-Richtlinie 2003/59/
        EG, die Deutschland mit dem Berufskraftfahrer-Quali-
        fikations-Gesetz in nationales Recht umgesetzt hat. Im
        Gesetz finden sich Regelungen zur Grundqualifikation
        und regelmäßigen Weiterbildung von Fahrerinnen und
        Fahrern.
        Lassen Sie mich schlaglichtartig die wesentlichen
        Mängel und Lücken des bisherigen Gesetzes benennen:
        Daten der Teilnehmenden und Ausbildungsstätten sind
        aufgrund eines fehlenden Zentralregisters nicht abgleich-
        bar, was Missbrauch Tür und Tor öffnet. Es fehlt eine
        Meldepflicht der Teilnehmerlisten, sodass nicht anwe-
        sende Personen einfach nachträglich in Listen eingetra-
        gen werden können.
        Einheitliche Kriterien für die Anerkennung von Aus-
        bildungsstätten und ihrer Überwachung fehlen. Wir wis-
        sen nicht, wie viele Ausbildungsstätten es eigentlich gibt.
        Dozenten müssen bisher weder pädagogisch noch
        fachlich verbindlich an Fortbildungen teilnehmen. Es
        fehlt ein Kriterienkatalog für Dozenten in der Grundqua-
        lifikation und Weiterbildung.
        Statt die Missstände bei den Weiterbildungen für die
        Berufskraftfahrer zu beseitigen, wird eine Lösung seit
        Jahren hinausgezögert. Bereits Ende 2013 haben sich
        selbst Branchenvertreter auf gemeinsame Empfehlungen
        geeinigt, die im Sommer 2014 dem Bundesministerium
        für Verkehr und digitale Infrastruktur überreicht wurden.
        Wichtigste Forderung war die Einführung eines zentra-
        len Registers zur Onlineverwaltung der Weiterbildungen.
        Nur mit der Einführung eines solchen Registers können
        wir den Missbrauch mit den Teilnahmebescheinigungen
        wirksam unterbinden.
        Doch genau diese wichtige Forderung nach einem
        Zentralregister, die sowohl politisch als auch von Ver-
        bänden im Bereich der Verkehrssicherheit und Weiter-
        bildung für Kraftfahrer breit mitgetragen wird, wird in
        Ihrem Gesetzentwurf nicht aufgegriffen.
        Dieser zentrale Mangel und weitere Defizite sind jetzt
        immerhin auch Union und SPD aufgefallen, sodass noch
        ein Entschließungsantrag mit notwendigen Ergänzungen
        zusammengezimmert wurde. Sauberer wäre es gewesen,
        Sie hätten uns einen Änderungsantrag zum Gesetzent-
        wurf vorgelegt. Denn mit dem Entschließungsantrag im
        Ausschuss bleibt das Ganze unverbindlich, auch wenn
        die Stoßrichtung grundsätzlich richtig ist.
        Indirekt räumen Sie damit ein, dass die drängenden
        Fragen beim Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz
        nicht gelöst sind. Im Entschließungsantrag wird der
        Wunsch formuliert, dass das BMVI innerhalb weni-
        ger Monate den Sachverhalt neu regeln und dann im
        März 2017 „Planungsergebnisse“ vorlegen solle. Man
        darf ernsthaft bezweifeln, dass in dieser Legislaturperio-
        de noch eine akzeptable Lösung erreicht wird.
        Aus unserer Sicht reichen die in Ihrem Entschlie-
        ßungsantrag genannten Ergänzungen nicht aus. Wenn
        wir im Sinne einer verbesserten Verkehrssicherheit die
        bestmögliche Qualifikation unserer Berufskraftfahrerin-
        nen und Berufskraftfahrer erreichen wollen, ist mehr als
        das unzweifelhaft wichtige Zentralregister notwendig.
        Der Bund muss einheitliche Kriterien für die Anerken-
        nung und Überwachung der Weiterbildungseinrichtun-
        gen definieren. Und zusätzlich muss nach unserer Auf-
        fassung auch die regelmäßige Fortbildung der Dozenten
        nach einem ebenfalls vereinheitlichten Kriterienkatalog
        aufgenommen werden.
        Wir werden das Verfahren im Blick behalten und sind
        gespannt, welche Ergebnisse uns der Bundesverkehrsmi-
        nister bis Ende März 2017 tatsächlich vorlegen wird.
        Angesichts der bestehenden Lücken in Ihrem Gesetz-
        entwurf wird sich meine Fraktion enthalten.
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
        zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann,
        Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Ab-
        geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Befris-
        tungen im öffentlichen Dienst stoppen (Tagesord-
        nungspunkt 18)
        Wilfried Oellers (CDU/CSU): Erneut diskutieren wir
        den Antrag der Fraktion Die Linke „Befristungen im öf-
        fentlichen Dienst stoppen“. Ihre Forderungen sind trotz
        geänderter Überschrift die gleichen geblieben. Sie wol-
        len die sachgrundlose Befristung, den Befristungsgrund
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19295
        (A) (C)
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        zur Erprobung und die Möglichkeit der sogenannten
        Haushaltsmittelbefristungen abschaffen. Der Katalog der
        Sachgründe soll als abschließend angesehen werden und
        eine Sachgrundbefristung nur einmalig verlängert wer-
        den können. Darüber hinaus fordern Sie nun die Bundes-
        regierung auf, darauf einzuwirken, dass im öffentlichen
        Dienst grundsätzlich unbefristete Stellen vorgehalten
        werden. Natürlich sehen wir von der Union auch am
        liebsten nur unbefristete Arbeitsverhältnisse. Aus unter-
        schiedlichsten Gründen ist dies jedoch, das zeigt uns die
        Realität, nicht immer möglich.
        Richtigerweise stellen Sie fest, dass Befristungen von
        Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst häufiger vor-
        zufinden sind als in der Privatwirtschaft. Um die Befris-
        tungen dennoch in einer Gesamtschau darzustellen, sei
        erwähnt, dass nach den Erhebungen des Statistischen
        Bundesamtes für das Jahr 2014 die Befristungsquote
        der Kernerwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahre bei
        6,9 Prozent lag (ab 25 Jahre bei 8,1 Prozent). Dies ist
        der niedrigste Stand seit 2005. Damit zeigen die Zahlen
        bei genauer Betrachtung deutlich, dass das unbefristete
        Arbeitsverhältnis die Regel ist und das befristete Arbeits-
        verhältnis die Ausnahme ist.
        Berücksichtigt man, dass vor 2005 die Erhebungen
        aufgrund einer ungenaueren Methode ermittelt wurden,
        so kommt man zu dem Ergebnis, dass die derzeitigen
        Werte sogar die niedrigsten der letzten 25 Jahre sind,
        und das, obwohl zwischenzeitlich ein Anstieg auf circa
        9 Prozent zu verzeichnen war. Stiegen die Befristungen
        bis 2010 im Rahmen der Wirtschaftskrise an, so ist seit
        2010 ein stetiger Rückgang zu verzeichnen. So kommen
        Menschen auch in schwierigen Zeiten in Arbeit.
        Diese Entwicklung kann doch nur als positiv bezeich-
        net werden. Sie zeigt vor allem auch, dass die Befristung
        ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument ist, um in wirt-
        schaftlich schwierigen Zeiten angemessen reagieren zu
        können. Wenn dann in wirtschaftlich guten Zeiten die
        Befristungen rückläufig sind, dann zeigt dies auch, dass
        die Arbeitgeber verantwortungsvoll mit diesem Flexibili-
        sierungsinstrument umgehen und es der wirtschaftlichen
        Situation angemessen anpassen.
        Mit dieser Feststellung kann ich natürlich nicht aus-
        schließen, dass in Einzelfällen Missbrauch betrieben wor-
        den ist bzw. betrieben wird. Diese Fälle sind aber mit der
        derzeitigen Rechtslage lösbar. Hierzu gilt es jedoch, die
        Gerichte anzurufen. Einzelne Missbrauchsfälle dürfen in
        meinen Augen nicht dazu führen, dass gesetzliche Rege-
        lungen verschärft werden. Damit verhindert man nicht
        die Missbrauchsfälle. Man verhindert sie nur dadurch,
        indem sie gerichtlich aufgeklärt und sanktioniert werden.
        Mit einer Verschärfung trifft man zuallererst diejenigen,
        die sich redlich verhalten, und schränkt diese weiter ein,
        da sie die neue Gesetzeslage umsetzen werden. Es kann
        aber nicht das Ziel sein, den Großteil der redlichen Un-
        ternehmer durch schärfere Regelungen zu bestrafen, nur
        weil es einige „schwarze Schafe“ gibt und diese mit dem
        geltenden Recht sanktioniert werden können.
        Denn im Rahmen der Gesamtbetrachtung darf auch
        nicht außer Acht gelassen werden, dass die Befristung
        neben ihrer Flexibilisierungsfunktion auch eine Brücke
        für Arbeitslose in den Arbeitsmarkt darstellt. Die Über-
        nahmequote ist bemerkenswert. Bei 43 Prozent befriste-
        ten Neueinstellungen im Jahr 2014 wurde eine Übernah-
        mequote von 58 Prozent erreicht, Tendenz steigend.
        Das IAB kommt in seinem Forschungsbericht von
        Dezember 2015 zu der Feststellung, dass gerade die
        Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung häufiger als
        Brücke in den Arbeitsmarkt fungiert als andere Befris-
        tungsformen. Das ist darauf zurückzuführen, dass sie
        eine unbürokratische und rechtssichere befristete Einstel-
        lungsmöglichkeit darstellt.
        Berücksichtigt man all dies vor dem Hintergrund
        von Rekordbeschäftigungszahlen – über 43 Millionen
        Erwerbstätige und über 31 Millionen sozialversiche-
        rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bei aktuell
        2,608 Millionen Arbeitslosen; das ist eine Arbeitslosen-
        quote von 5,9 Prozent, dem tiefsten Stand seit 25 Jah-
        ren –, so zeigt dies, dass die derzeitige Rechtslage gepaart
        mit der guten wirtschaftlichen Situation die Menschen in
        Arbeit bringt. Und genau das ist doch unser Ziel.
        Dem steht auch nicht entgegen, dass die Altersgruppe
        von 15 bis 24 Jahren eine Befristungsquote von 23 Pro-
        zent ausweist, da sie in den folgenden Altersgruppen bis
        hin zur Altersgruppe von 55 bis 64 Jahren auf 3,7 Prozent
        sinkt. Dies zeigt: Auch wenn der Berufseinstieg zunächst
        durch eine Befristung erfolgt, so geht er in der Regel in
        ein unbefristetes Arbeitsverhältnis über.
        Im öffentlichen Dienst ist festzustellen, dass bei einem
        Gesamtbefristungsanteil im Jahre 2014 von 10,3 Prozent
        der Schwerpunkt der Befristungen im wissenschaftlichen
        Bereich liegt. So stellt das IAB in seinem Forschungsbe-
        richt fest, dass die Befristungen dort lediglich 5,6 Prozent
        ausmachen, wenn man den wissenschaftlichen Bereich
        einmal ausklammert. Betrachtet man die Entwicklung
        von 2004 bis 2014, so stellt man zwar einen Anstieg von
        4,3 Prozent auf 5,6 Prozent fest. Allerdings ist der Befris-
        tungsanteil seit 2010 leicht rückläufig (von 5,8 Prozent
        auf 5,6 Prozent bei einem Anstieg im letzten Jahr um
        0,3 Prozent). Eine derartige Quote ist vertretbar und er-
        fordert keine gesetzlichen Veränderungen und schon gar
        keine Verschärfung der Rechtslage.
        Anders muss man dies bewerten, wenn man die Be-
        fristungsanteile in wissenschaftlichen Einrichtungen an-
        sieht, die etwa 50 Prozent der Befristungen im öffent-
        lichen Dienst ausmachen. Die Entwicklung an dieser
        Stelle ist als sehr kritisch zu betrachten. Lag der Befris-
        tungsanteil im Jahre 2004 insgesamt bei 26,3 Prozent,
        stieg er bis 2014 auf insgesamt 43,6 Prozent an.
        Die Entwicklung im wissenschaftlichen Bereich be-
        durfte also einer gesonderten Betrachtung. Daher haben
        wir uns in der Koalition das Wissenschaftszeitvertrags-
        gesetz von 2007 genauer angeschaut. Es regelt die Bedin-
        gungen für befristete Arbeitsverträge wissenschaftlicher
        Mitarbeiter während der Qualifizierungsphase.
        Die rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen des Geset-
        zes führten dazu, dass junge Wissenschaftlerinnen und
        Wissenschaftler nur Einjahresverträge erhielten und der
        erste Vertrag meist eine Laufzeit von unter einem Jahr
        hatte. Diesen Fehlentwicklungen ist die unionsgeführte
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 201619296
        (A) (C)
        (B) (D)
        Koalition im letzten Jahr durch ein Änderungsgesetz ent-
        gegengetreten, mit dem unsachgemäße Kurzbefristungen
        für junge Wissenschaftler künftig verhindert werden.
        Damit ist ein wesentlicher Bereich der Befristungen
        im öffentlichen Dienst durch die unionsgeführte Koali-
        tion verbessert worden. Dies wird die Zahl der Befris-
        tungen insgesamt, aber besonders im öffentlichen Dienst
        reduzieren und den Menschen daher eine bessere Pla-
        nungssicherheit geben.
        Das IAB kommt in seinem Forschungsbericht zu dem
        Ergebnis, dass befristete Beschäftigung im öffentlichen
        Sektor vielfach eingesetzt wird, um unter anderem tem-
        poräre Personalausfälle zu kompensieren. Hier freut es
        mich, ein positives Beispiel aus meinem Wahlkreis nen-
        nen zu können. Eine Behörde hatte insgesamt vier Mitar-
        beiter im Wege der Schwangerschaftsvertretung befristet
        beschäftigt. Rechtlich war dies nicht zu beanstanden.
        Nach einigen Verlängerungen der Arbeitsverträge erneut
        im Wege der Schwangerschaftsvertretung entschied sich
        der Behördenleiter, diese vier Mitarbeiter unbefristet
        einzustellen, um den Mitarbeitern Planungssicherheit zu
        geben und weil er der berechtigten Annahme war, dass
        Schwangerschaftsvertretungen auch zukünftig erforder-
        lich seien. Und besonders erfreut es mich, dass der Be-
        hördenleiter Mitglied der Union ist.
        Sie sehen, meine Damen und Herren der Linken, die
        Union geht sehr verantwortungsbewusst mit dem Thema
        „Befristung“ um.
        Die notwendigen Rechtsänderungen wurden bereits
        vorgenommen. Natürlich müssen wir als Gesetzgeber die
        Entwicklung weiter beobachten und gegebenenfalls wei-
        tere Änderungen veranlassen, aber mit Augenmaß. Ihre
        Vorschläge haben dieses Augenmaß nicht. Als bewähr-
        tes Flexibilisierungsinstrument und als Brückenfunktion
        ist die Befristung in der jetzigen Form zu erhalten und
        kommt den Menschen damit im Ergebnis zugute.
        Matthäus Strebl (CDU/CSU): Ein zufriedenstellen-
        der Arbeitsplatz spielt für die Menschen eine große Rol-
        le. Für viele ist der ausgeübte Beruf ein wichtiger Teil der
        persönlichen Selbstentfaltung und Verwirklichung. Es ist
        einleuchtend, dass unbefristete Arbeitsverhältnisse für
        Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen hohen Stel-
        lenwert besitzen. Sie ermöglichen Planungssicherheit so-
        wohl in privaten als auch in beruflichen Fragen.
        Voraussetzung ist eine gute wirtschaftliche Lage. In
        Deutschland ist diese positiv, und die Zahl der Erwerbs-
        tätigen ist bemerkenswert gut.
        Gleichwohl gibt es in der Privatwirtschaft als auch
        im öffentlichen Dienst befristete Arbeitsverträge. Doch
        wenn die Befristungen im öffentlichen Dienst angepran-
        gert werden, darf nicht vorschnell geurteilt werden. Denn
        es gibt dafür auch hier nachvollziehbare Gründe.
        Die hohe Anzahl der Befristungen finden und fanden
        sich vor allem im Hochschulwesen. Viele junge Wissen-
        schaftlerinnen und Wissenschaftler haben in der Vergan-
        genheit unangemessen kurze Verträge erhalten; manche
        liefen nur wenige Monate. Diese Entwicklung im Hoch-
        schulbereich halte ich nur für bedingt vertretbar.
        Umso mehr begrüße ich die Änderungen des Wissen-
        schaftszeitvertragsgesetzes durch die Bundesregierung.
        Damit sind Verbesserungen insbesondere für den Wis-
        senschaftsnachwuchs verbunden, ohne die erforderliche
        Flexibilität und Dynamik einer Forschungseinrichtung
        zu beeinträchtigen.
        Wenn man sich die Befristungen im öffentlichen
        Dienst genauer anschaut, so werden hier verschiedenste
        Gründe aufgeführt: haushalterische Bedingungen, Ver-
        tretungen aufgrund von Krankheit und Mutterschutz,
        Projekte und temporärer Mehrbedarf, wie wir ihn beim
        BAMF aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen erleben.
        Ein weiterer Grund, warum befristete Verträge im öf-
        fentlichen Dienst zu finden sind, sind die unterschiedli-
        chen Erwerbsformen. Die Möglichkeiten, wie Minijobs,
        Leiharbeit oder freie Mitarbeit, werden im Gegensatz zur
        Privatwirtschaft im öffentlichen Dienst nämlich kaum
        genutzt. Zwar spielen befristete Arbeitsverhältnisse
        eine größere Rolle bei Neueinstellungen im öffentlichen
        Dienst, jedoch kann nicht von einem Massenphänomen
        gesprochen werden.
        Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Be-
        rufsforschung, IAB, hat ergeben, dass der Anteil befris-
        teter Beschäftigungsverhältnisse seit 2010 rückläufig ist.
        Inzwischen liegt der Befristungsanteil im öffentlichen
        Dienst unter 10 Prozent.
        Wir sprechen hier also von rückläufigen Zahlen und
        nicht von einer gravierenden Zunahme, wie es die Frak-
        tion Die Linke suggerieren will. Auch dürfen wir nicht
        vergessen, dass eine befristete Tätigkeit auch eine Brü-
        cke in eine dauerhafte Tätigkeit sein kann, besonders im
        öffentlichen Dienst.
        Ich bin der Auffassung, dass die Handlungsfähigkeit
        des deutschen Staates auch wesentlich durch den öffent-
        lichen Dienst mit seinen qualifizierten Mitarbeitern und
        Beamten gesichert ist. Diese Handlungsfähigkeit muss
        eben auch in besonderen Zeiten, wie jetzt durch die
        Flüchtlingskrise, durch befristete Arbeitsverträge gesi-
        chert sein. Ohne Bedenken bleibt daneben die Fachkräf-
        tesicherung auch ein wesentlicher Punkt auf der öffent-
        lichen Agenda.
        Zusammenfassend: Befristete Arbeitsverträge sind
        sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privat-
        wirtschaft unter bestimmten Bedingungen sinnvoll und
        notwendig. Eine komplette Abschaffung von befristeten
        Verträgen sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der
        Privatwirtschaft wird keine Unterstützung der CDU/
        CSU-Fraktion finden.
        Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Zum fünften Mal de-
        battieren wir nun in dieser Legislaturperiode im Plenum
        einen Antrag der Linken zur Problematik befristeter
        Arbeitsverträge – und mindestens genauso oft natürlich
        auch im Ausschuss. Das ist gut; denn so können wir heu-
        te alle Argumente dazu noch einmal austauschen und un-
        sere Position zum wiederholten Mal klarstellen.
        Die SPD-Position ist – ich zitiere aus unserem Wahl-
        programm –:
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19297
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von
        Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Kata-
        log möglicher Befristungsgründe überprüfen.
        Gerade Neueinstellungen erfolgen oft befristet. Jün-
        gere und Frauen sind besonders häufig davon betroffen.
        Oft geschieht dies sogar ohne jegliche Begründung. Das
        ist unwürdig für die Beschäftigten. Durch sachgrundlose
        Befristungen bleiben Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
        mer ohne Not im Ungewissen über ihre berufliche Zu-
        kunft.
        Jede und jeder, der dies schon einmal erlebt hat, weiß,
        wie es sich anfühlt, zu warten und zu hoffen und nicht zu
        wissen, wie es weitergehen wird. Das, liebe Kolleginnen
        und Kollegen, müssen wir ändern!
        Arbeitgeber sollten doch froh sein, gutes Personal zu
        bekommen, und das sollten sie dann auch mit vernünfti-
        gen Verträgen und guter Bezahlung halten. Befristete Ar-
        beitsverträge ohne Angabe eines Grundes haben weder
        in der Wirtschaft noch im öffentlichen Dienst etwas zu
        suchen.
        Befristungen insgesamt können wir jedoch nicht ab-
        schaffen. Denn Elternzeit- und Krankheitsvertretungen
        zum Beispiel wird es weiterhin geben müssen.
        Und auch wenn man auf den Wissenschaftsbereich
        schaut, werden wir nicht alle befristeten Arbeitsverhält-
        nisse abschaffen können. So können sie durchaus sinn-
        voll sein, damit zum Beispiel junge Nachwuchskräfte
        weiterhin ihren Doktortitel erwerben können.
        Allerdings sind wir aber mit unserer Reform des Wis-
        senschaftszeitvertragsgesetzes, die im März dieses Jah-
        res in Kraft getreten ist, gegen Befristungsmissbrauch
        im Wissenschaftsbereich vorgegangen. Unsachgemäße
        Kurzbefristungen sind nun untersagt.
        Und nichtwissenschaftliches Personal fällt überhaupt
        nicht mehr unter das Wissenschaftszeitvertragsgesetz.
        Denn diese Personengruppe leistet Daueraufgaben,
        die auch mit Dauerstellen zu besetzen sind. Das ist ein
        Schritt in die richtige Richtung.
        Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich bin
        mir sicher, unsere Reform wird die Befristungen im öf-
        fentlichen Dienst verringern. Ja, es ist richtig: Der öffent-
        liche Dienst sollte mit gutem Beispiel vorangehen und
        seinen Beschäftigten vernünftige Perspektiven bieten.
        Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, es
        lohnt auch ein differenzierter Blick auf die Zahlen und
        Fakten des öffentlichen Dienstes und vor allem auf den
        in Ihrem Antrag genannten Forschungsbericht des Insti-
        tuts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB. Denn
        der auf den ersten Blick sehr große Befristungsanteil
        des öffentlichen Dienstes ist vor allem auf den Wissen-
        schaftsbereich zurückzuführen. Zudem wird im IAB-For-
        schungsbericht davon berichtet, dass viele Sachgrundbe-
        fristungen als sachgrundlose Befristungen durchgeführt
        werden – weil es schlicht einfacher ist.
        Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass im öffent-
        lichen Dienst vor allem temporäre Personalausfälle
        durch befristete Beschäftigung ausgeglichen werden. So
        kommt es beispielsweise durch den hohen Frauenanteil
        auch zu mehr Elternzeitvertretungen.
        Und der Bericht stellt allgemein wie auch für den öf-
        fentlichen Dienst fest, dass die befristete Beschäftigung
        in den letzten Jahren wieder zurückgegangen ist. Das ist
        eine erfreuliche Entwicklung in die richtige Richtung.
        Trotzdem würden wir Sozialdemokraten und Sozial-
        demokratinnen die sachgrundlose Befristung gern ab-
        schaffen und die Auswüchse bei befristeten Verträgen
        mit Sachgrund angehen. Ich fürchte aber, wir können in
        dieser Legislaturperiode mit unserem derzeitigen Koa-
        litionspartner dazu keine Einigung herstellen und auch
        kein Gesetz mehr dazu auf die Beine stellen. Deshalb,
        meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken, wer-
        den wir Ihrem Antrag auch diesmal nicht zustimmen.
        Wir haben in dieser Koalition eine ganze Menge
        Verbesserungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
        nehmer in unserem Land erreicht, beispielsweise die
        Einführung des gesetzlichen Mindestlohns oder die Ver-
        besserungen bei der Rente oder beim Elterngeld. Und wir
        werden auch noch weitere schaffen, zum Beispiel weite-
        re Rentenverbesserungen, Missbrauchsbekämpfung bei
        Leiharbeit und Werkverträgen, und wir wollen auch noch
        das Entgeltgleichheitsgesetz durchsetzen.
        Dabei freuen wir uns auf Ihre Unterstützung, liebe
        Kolleginnen und Kollegen.
        Bernd Rützel (SPD): Es gibt zu viele Befristungen
        im öffentlichen Dienst! Diesen Satz unterschreibe ich
        Ihnen sofort. Die vielen Befristungen sind ein Nachteil:
        sowohl für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als
        auch für den Arbeitgeber, den Staat.
        Den Beschäftigten verbauen die vielen Befristungen
        Lebenschancen. Ihnen wird damit eine langfristige Per-
        spektive verweigert. Und der Staat als Arbeitgeber wird
        unattraktiver. Dabei braucht er dringend qualifizierte
        Nachwuchskräfte.
        Es gibt immer weniger junge Menschen im öffentli-
        chen Dienst, das Durchschnittsalter der Beschäftigten
        wird immer höher. Der Staatsdienst muss wieder attrak-
        tiver werden. Ein wichtiger Punkt dabei ist der Verzicht
        auf sachgrundlose Befristungen.
        Das hohe Durchschnittsalter der Beschäftigten ist
        auch ein Grund für die vielen Befristungen. Das IAB hat
        die Entwicklung und die Motive der befristeten Beschäf-
        tigung im öffentlichen Dienst betrachtet. Es kommt da-
        bei zu dem Schluss, dass sich ein Teil der Befristungen
        durch die Personalstruktur begründen lässt. Häufig sind
        es Vertretungsbefristungen, weil der Frauenanteil über-
        durchschnittlich hoch ist und oft Elternzeitvertretungen
        anfallen. Und wegen des Alters der Belegschaft spielen
        auch Vertretungen wegen Krankheit eine größere Rolle
        als in der Privatwirtschaft.
        Daher sage ich: Man muss genau hinschauen. Und wo
        es gute Sachgründe gibt, ist eine Befristung von Arbeits-
        verhältnissen in Ordnung. Es darf aber nicht sein, dass
        befristete Anstellungen heute der Normalfall bei einer
        Neueinstellung im öffentlichen Dienst sind.
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 201619298
        (A) (C)
        (B) (D)
        Der öffentliche Dienst war einmal ein Vorbild, was
        die Sicherheit für die Beschäftigten angeht. Der ausu-
        fernde Gebrauch sachgrundloser Befristungen hat diese
        Vorbildfunktion zunichtegemacht. Dabei wusste schon
        Goethe: „Wer Gutes will, der sei erst gut“.
        Wenn wir keine prekären Beschäftigungsverhältnisse
        in der Privatwirtschaft wollen, sollten wir sie auch nicht
        im Staatsdienst zulassen. Dahin müssen wir zurückkom-
        men: dass der öffentliche Dienst wieder ein Vorbild ist;
        dass die Menschen, die dort arbeiten, wieder eine lang-
        fristige Perspektive haben.
        Jutta Krellmann (DIE LINKE): Die Auswirkungen
        der katastrophalen Personalsituation in vielen Bereichen
        des öffentlichen Dienstes sind für jeden von uns allge-
        genwärtig: Wir stehen im Bürgeramt Schlange, um den
        Pass abzuholen, landen, wenn man beim örtlichen Job-
        center anruft, in einem zentralen Callcenter oder kom-
        men schwer in Kontakt mit unserem zuständigen Sach-
        bearbeiter vom Finanzamt.
        Dabei war der öffentliche Dienst einst Vorreiter in
        Sachen guter und sicherer Arbeit. Heute ist davon nicht
        mehr so viel übrig geblieben. Geschafft haben das Bund
        und kommunale Arbeitgeber durch die Anwendung
        von neoliberalen Blaupausen wie Einsparungen, Dere-
        gulierung und Lohneinbußen. Allein seit 1991 wurden
        2,5 Millionen Arbeitsplätze ersatzlos gestrichen, und das
        bei steigendem Arbeitsanfall und zunehmender gesell-
        schaftlicher Erwartungshaltung wie etwa eine moderne
        Verwaltung.
        Es kann aber nicht alles unkompliziert, papierlos und
        bürgerorientiert laufen, wenn gleichzeitig der Alltag der
        Beschäftigten von Arbeitsverdichtung, Personalabbau
        und Überstunden geprägt ist. In der jüngsten Tarifrunde
        des öffentlichen Dienstes forderten die Gewerkschaft
        Verdi und der dbb beamtenbund und tarifunion daher
        nicht nur mehr Lohn und Gehalt, eine verbindliche Über-
        nahmeregelung von Auszubildenden oder versuchten,
        geplante Einschnitte in die betriebliche Altersvorsorge
        der Beschäftigten zu verhindern. Eine weitere Tariffor-
        derung der Beschäftigten verdient genaueres Hinsehen.
        Auffallend viele Beschäftigungsverhältnisse im öf-
        fentlichen Dienst sind nicht nur befristet, sie werden
        obendrein auch nicht sachlich begründet. Im Jahr 2013
        waren drei von zehn Arbeitsverträgen sachgrundlos be-
        fristet, im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
        (BAMF) sogar acht von zehn!
        Die Folge: Die Betroffenen schleppen sich krank zur
        Arbeit oder gehen seltener zum Personalrat, immer in der
        Hoffnung, vielleicht den Vertrag verlängert zu kriegen.
        Dabei steht längst außer Frage, dass Befristung gute Ar-
        beit verhindert. Die Beschäftigten haben genau darauf
        keine Lust mehr und wollten die sachgrundlose Befris-
        tung per Tarifvertrag im öffentlichen Dienst verbieten.
        Damit folgten sie einer neuen Entwicklung; denn sie
        versuchen, Verbesserungen bei bestimmten Arbeitsbe-
        dingungen zumindest für ihren Bereich durchzusetzen,
        die eigentlich Aufgabe des Gesetzgebers wären und für
        alle Beschäftigten geregelt gehören.
        Wurden früher Tarifforderungen in Gesetze gegos-
        sen, wie zum Beispiel die Entgeltfortzahlung im Krank-
        heitsfall, scheint es nun umgekehrt: Beschäftigte müssen
        heutzutage wichtige gesetzliche Verbesserungen im Ar-
        beitsrecht auf die Tarifebene verlagern, weil sie mit ihren
        Sorgen bei der Bundesregierung kein Gehör mehr finden.
        Das ist ein Skandal und zugleich eine Bankrotterklärung
        für die Große Koalition.
        Wo kommen wir denn hin, wenn künftig die Arbeit-
        geberverbände mit ihrem Gequatsche von Wettbewerb
        und Flexibilität allein bestimmen, wie die gesetzlichen
        Grundlagen von Arbeitsrecht und Arbeitsschutz ausse-
        hen? Dem müssen wir schnellstmöglich einen Riegel
        vorschieben und gute Arbeit gesetzlich umfassend auch
        im Sinne der Beschäftigten regeln. Die Linke hat da ganz
        konkrete Vorschläge.
        Wie kurzsichtig ist dieser Staat eigentlich, wenn er
        seinen Nachwuchs kleinhält durch systematische Befris-
        tungen? So setzt man sich selbst schachmatt. Allein die
        Personalpolitik im Bundesamt für Migration und Flücht-
        linge zeigt doch ganz deutlich, dass mit befristetem Per-
        sonal zentrale staatliche Anforderungen nicht durchge-
        führt werden können.
        Davor können wir doch hier im Bundestag nicht un-
        sere Augen verschließen. Denn genau diese Ignoranz
        schürt Frust bei den Menschen.
        Die Beschäftigten in unseren Verwaltungen machen
        gerade angesichts der desolaten Situation einen ver-
        dammt guten Job. Die entsprechenden Rahmenbedin-
        gungen für ihre Arbeit werden aber hier im Bundestag
        gemacht.
        Wir fordern in unserem Antrag die ersatzlose Strei-
        chung der Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung.
        Darüber hinaus ist von einem unbefristeten Arbeitsbe-
        darf auszugehen, wenn bei demselben Arbeitgeber zwei-
        mal aufeinanderfolgend aus sachlichen Gründen befristet
        wurde.
        Nachdem die „Befristung zur Erprobung“ zusammen
        mit der „Haushaltsmittelbefristung“ zusätzlich aus dem
        Teilzeit- und Befristungsgesetz gestrichen wurden, han-
        delt es sich bei den restlichen Sachgründen um einen ab-
        schließenden Katalog.
        Wir sind der Überzeugung, dass man auch immer
        zuerst vor der eigenen Tür zu kehren hat. Die Bundes-
        regierung kann ein positives Beispiel setzen und direkt
        in ihren Ministerien und Behörden damit beginnen, für
        staatliche Regelaufgaben grundsätzlich unbefristete
        Planstellen vorzuhalten.
        Es ist ureigenes Interesse von Staat und öffentlicher
        Verwaltung, dass dort gute Arbeit geleistet wird. Das
        setzt allerdings gute Arbeitsbedingungen voraus.
        Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem
        Antrag.
        Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Es ist gut, mit welcher Hartnäckigkeit die Linken
        das wichtige Thema Befristung immer wieder bearbeiten
        und auf die Tagesordnung setzen. Und gleichzeitig ist
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19299
        (A) (C)
        (B) (D)
        es ärgerlich, weil Sie – die Regierungsfraktion – nichts,
        aber auch wirklich nichts seitdem getan haben. Wir kön-
        nen hier eigentlich immer die gleiche Rede halten. Sie
        reden das Thema klein. Sie ignorieren die Realität, ver-
        weisen auf einen hohen Anteil an Beschäftigten mit un-
        befristeten Arbeitsverträgen, sprechen von angeblichen
        „Brücken“ irgendwohin. Dabei sind die Probleme offen-
        sichtlich.
        Der Antrag der Linken heute befasst sich mit der Vor-
        bildfunktion des öffentlichen Dienstes und seiner Verant-
        wortung gegenüber den Beschäftigten. Die Bundesmi-
        nisterien als Arbeitgeber sind hier spitze – allerdings nur
        bei Befristungen. 50 Prozent aller Neueinstellungen sind
        befristet, 2/3 davon auch noch sachgrundlos.
        Dieser Zustand ist unhaltbar. Die sachgrundlose Be-
        fristung gehört abgeschafft. Da sind wir der gleichen
        Meinung wie die Linken. In diesem Punkt unterstützen
        wir den Antrag.
        Befristungen haben ganz grundsätzlich negative Fol-
        gen für die Beschäftigten:
        Erstens. Eine Befristung bedeutet oft weniger Gehalt.
        Das gilt nicht nur am Anfang, wenn die Beschäftigten be-
        fristet in die Arbeitswelt einsteigen. Sie verdienen auch
        danach weniger.
        Zweitens. Wer befristet angestellt ist, steht unter grö-
        ßerem Druck. Befristet Beschäftigte machen mehr Über-
        stunden, sie nehmen weniger Urlaub, sie übernehmen
        mehr zusätzliche Aufgaben, und sie fordern, wie gesagt,
        auch weniger Geld – das alles, damit ein möglicher unbe-
        fristeter Arbeitsvertrag nicht in Gefahr gerät. So werden
        Beschäftigte gefügig gemacht. Das geht gar nicht.
        Drittens. Gerade für Berufseinsteigende ist die Situa-
        tion besonders schwierig. Alle Jugendstudien berichten
        von einer Generation, die durchaus optimistisch in die
        Zukunft schaut. Einzige Ausnahme ist die Jobsituation.
        Junge Menschen, die immer wieder nur einen Job auf Zeit
        haben, kommen in der Arbeitswelt nie richtig an. Sie wis-
        sen nicht, ob sie nach einiger Zeit wieder auf der Suche
        sind. Sie wissen auch nicht, ob sie in eine andere Stadt
        ziehen müssen. Es erfordert einigen Mut, sich in dieser
        Situation beispielsweise für ein Kind zu entscheiden. Der
        Berufseinstieg gestaltet sich für junge Menschen zuneh-
        mend schwieriger und brüchiger. Job und Einkommens-
        sicherheit sind aber schlichtweg ökonomische Vorausset-
        zungen für eine eigenständige Lebensgestaltung. Genau
        das fehlt vielen jungen Menschen. Das ist für uns nicht
        akzeptabel.
        Viertens. Befristungen verschärfen natürlich auch
        den Fachkräftemangel. Die Möglichkeit, einen festen
        Arbeitsvertrag zu bekommen, ist im öffentlichen Dienst
        geringer als in der Privatwirtschaft. Da werden junge
        Menschen häufig lange hingehalten. Natürlich wechseln
        die jungen Menschen dann zwangsläufig in die Wirt-
        schaft. Wer nur auf Zeit angestellt ist, kann sich nur sel-
        tener weiterbilden. Es gibt auch kaum Aufstiegschancen.
        In der Konsequenz wird der öffentliche Dienst für junge
        Menschen, die besonders motiviert sind, unattraktiv. Sie
        wenden sich stattdessen lieber der Privatwirtschaft zu.
        Mit Blick auf den demografischen Wandel und auf die
        Altersstruktur im öffentlichen Dienst ist das fatal.
        Sehr geehrte Koalitionsfraktionen, natürlich brauchen
        wir befristete Verträge: für temporäre Projektarbeit, für
        Schwangerschaftsvertretungen, für Vertretung bei lan-
        ger Krankheit usw. Aber für Daueraufgaben – für Pfle-
        gepersonal, Erzieherinnen, aber auch Verwaltungsper-
        sonal – brauchen wir keine befristeten Verträge. Wenn
        die Verantwortlichen des öffentlichen Dienstes das nicht
        von sich aus begreifen, dann muss eben der Gesetzgeber
        handeln.
        Die Lösung der Linken im Hinblick auf die Kettenver-
        träge überzeugt mich nicht; das habe ich bereits in den
        letzten Debatten und im Ausschuss gesagt. Dazu wäre
        eine Anhörung im Ausschuss interessant gewesen. Bei
        der sachgrundlosen Befristung sind wir uns aber einig:
        Sie sollte schleunigst abgeschafft werden. Flexibilität
        darf keine Einbahnstraße sein; denn die Menschen brau-
        chen soziale Sicherheit! Werden Sie endlich tätig!
        Anlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
        brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
        der Artikel 8 und 39 des Übereinkommens vom
        8. November 1968 über den Straßenverkehr (Ta-
        gesordnungspunkt 19)
        Steffen Bilger (CDU/CSU): Es ist spannend, die ak-
        tuellen Entwicklungen im Bereich der Mobilität zu be-
        gleiten und mitzugestalten. Die Elektromobilität gehört
        dazu, aber selbstverständlich auch das automatisierte
        Fahren. Mittelfristig kann man diese beiden Zukunftsfel-
        der ohnehin nur zusammen denken.
        Es mag sein, dass Deutschland bei der Elektromobili-
        tät erst einmal einiges verschlafen hat. Mittlerweile sind
        aber alle aufgewacht, und wir haben ordentlich aufgeholt
        bzw. bereits wieder die Spitze übernommen.
        Bei der Automatisierung des Fahrens hingegen sind
        wir von Anfang an vorne mit dabei. Sicherlich wird es
        ganz neue Marktteilnehmer geben, aber es gibt keinen
        Grund zur Verzagtheit, sondern wir können selbstbe-
        wusst in die Zukunft blicken. Dazu braucht es den Bei-
        trag ganz verschiedener Beteiligter: die Offenheit der
        Nutzer in Deutschland, die Innovationsfreudigkeit der
        Industrie, die guten Einfälle der Wissenschaft und nicht
        zuletzt die Politik, die rechtzeitig die notwendigen Rah-
        menbedingungen setzt.
        Dabei kommen wir heute einen großen Schritt weiter.
        Es ist richtig, dass wesentliche Fragen, die alle entwickel-
        ten Länder auf der Welt betreffen, möglichst gemeinsam
        geregelt werden. Das „Wiener Übereinkommen über den
        Straßenverkehr“ von 1968 hat viele Jahrzehnte lang ei-
        nen Rahmen gegeben, mit dem wir gut arbeiten konnten.
        Nun überholt jedoch die technologische Entwicklung die
        althergebrachten Übereinkünfte. Folglich war es richtig,
        auf diese Veränderungen zu reagieren. Als Deutscher
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 201619300
        (A) (C)
        (B) (D)
        Bundestag hatten wir uns ja bereits in unserem Koaliti-
        onsantrag zur intelligenten Mobilität dazu bekannt.
        Durch die Änderung des Wiener Übereinkommens,
        die wir nun für Deutschland umsetzen, wird geklärt, dass
        Systeme, welche die Führung eines Fahrzeugs beeinflus-
        sen, als zulässig erachtet werden, wenn diese den ein-
        schlägigen Regelungen der Wirtschaftskommission der
        Vereinten Nationen für Europa entsprechen oder die Sys-
        teme so geschaltet sind, dass sie durch den Fahrer über-
        steuerbar oder abschaltbar sind. Wir schaffen durch die
        Änderung des Wiener Übereinkommens Rechtssicher-
        heit für bereits im Verkehr befindliche Assistenz- bzw.
        automatisierte Systeme und unterstützen die weitere Ent-
        wicklung automatisierter Fahrsysteme.
        Dabei sollten wir zukünftige Entwicklungen ganz ge-
        nau im Blick behalten: Es muss sichergestellt sein, dass
        auch höhere Entwicklungsstufen des automatisierten
        Fahrens in Deutschland schon bald in vollem Umfang
        genutzt werden können.
        In unserem Koalitionsantrag hatten wir die weiteren
        rechtlichen Herausforderungen beschrieben: Haftungs-
        fragen sind zu klären. So haftet bisher der Fahrer im Falle
        eines Unfalls. Außerdem gilt die verschuldensunabhän-
        gige Gefährdungshaftung des Halters. Zukünftig könnten
        Fahrzeughersteller bzw. die Techniklieferanten – je nach
        Automatisierungsgrad – verstärkt in der Verantwortung
        stehen. Es ist zu prüfen, wie die bestehenden Haftungsre-
        geln diesen neuen technologischen Entwicklungen ange-
        passt werden müssen. Dabei sind auch Produkthaftungs-
        und Versicherungsrecht zu beleuchten.
        Verkehrsströme sind heute nicht mehr rein national zu
        denken – gerade bei uns in Europa. Daher benötigen wir
        einheitliche Standards und Verfahren europaweit bzw.
        auf internationaler Ebene.
        Auch beim automatisierten Fahren kommt es auf den
        Menschen an. Langfristig wird es ganz neue Chancen für
        eingeschränkte Menschen geben, die heute keine Fahr-
        erlaubnis besitzen oder beispielsweise aus Altersgrün-
        den darauf verzichten. Zum jetzigen Zeitpunkt kann auf
        Fahr erlaubnis und Fahrtüchtigkeit nicht verzichtet wer-
        den. Die Ausbildung der Fahranfänger und die Anforde-
        rungen an den Erwerb der Fahrerlaubnis müssen aber mit
        dem technologischen Fortschritt der Fahrzeuge einherge-
        hen. Daher muss die Bundesregierung prüfen, ob sich ein
        konkreter Änderungsbedarf sowohl im Rahmen der Aus-
        bildungsanforderungen als auch bei der Klassifizierung
        der Fahrzeuge ergibt, wobei gegebenenfalls zunächst das
        Unionsrecht angepasst werden muss.
        All diese weiteren rechtlichen Fragestellungen hat der
        Bundestag bereits erkannt und zum Inhalt unseres Be-
        schlusses zur intelligenten Mobilität gemacht. Der Bun-
        desverkehrsminister geht die Aufgaben in diesem Be-
        reich angefangen von der Einrichtung des Runden Tischs
        „Automatisiertes Fahren“ engagiert an.
        Ein ähnliches Engagement würde ich mir auch vom
        Bundesjustizminister wünschen; denn für diese ganzen
        rechtlichen Rahmenbedingungen brauchen wir ein Jus-
        tizministerium, das die Zukunft mitgestalten will. Wir
        können nicht immer abwarten, bis der Regelungsbedarf
        jedem endgültig klar geworden ist, sondern sollten be-
        reits jetzt weiterdenken, wie welche Rahmenbedingun-
        gen geschaffen werden können. Nur so erreichen wir,
        dass Spitzentechnologie zuerst auf deutschen Straßen
        Anwendung findet. Wichtig ist mir dabei, dass bei der
        Bundesförderung alle Regionen eingebunden werden.
        Alle Automobilregionen müssen von der Unterstützung
        des Bundes profitieren.
        Zum Schluss will ich mich einmal mehr auf unseren
        Koalitionsantrag beziehen: In diesem haben wir 21 For-
        derungen an die Bundesregierung formuliert. Einige sind
        schon umgesetzt worden; bei anderen müssen wir noch
        daran arbeiten. Aber ich bin sicher, dass wir weiter die
        richtigen Schritte unternehmen werden, damit die Zu-
        kunft des automatisierten Fahrens in Deutschland ge-
        prägt wird.
        Gero Storjohann (CDU/CSU): Die Koalition von
        CDU, CSU und SPD ist 2013 mit dem großen Ziel ange-
        treten, die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben
        und damit unser Land und unsere Wirtschaft zukunfts-
        fähig zu machen. Heute setzen wir einen weiteren Teil
        dieser Agenda um: Mit der Verabschiedung des vorlie-
        genden Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Ände-
        rung des Wiener Übereinkommens legen wir einen ersten
        Grundstein für die Mobilität der Zukunft.
        Das sogenannte Wiener Übereinkommen über den
        Straßenverkehr verfolgt das Ziel, durch die internationale
        Standardisierung der Verkehrsregeln den Straßenverkehr
        sicherer zu machen. Fast auf den Tag genau vor 39 Jah-
        ren, am 21. September 1977, wurde diese völkerrecht-
        liche Konvention in der Bundesrepublik Deutschland in
        nationales Recht überführt. Die Grundzüge des Straßen-
        verkehrs haben sich in den vergangenen 40 Jahren kaum
        verändert – unsere Kraftfahrzeuge schon.
        In der heutigen Zeit haben automatisierte Fahrsyste-
        me Einzug in die moderne Welt des Fahrens gehalten.
        Exemplarisch seien hier der Abstandsregeltempomat und
        die Spurhalteunterstützung erwähnt. Diese beiden Assis-
        tenzsysteme sorgen vor allem kombiniert als Stauassis-
        tent für ein hochautomatisiertes Fahren. Damit wird der
        Fahrzeugführer in alltäglichen und speziellen Situationen
        unterstützt, und das trägt somit zu einem komfortableren,
        aber in erster Linie vor allem sichereren Fahren bei. Na-
        hezu jedes neu zugelassene Fahrzeug auf unseren Stra-
        ßen verfügt über solche oder ähnliche technische Assis-
        tenzsysteme.
        Wir befürworten diese Form der Automatisierung des
        Fahrens ausdrücklich. Denn von Fahrassistenzsystemen
        profitieren nicht nur die Fahrer selbst, sondern auch die
        Verkehrssicherheit und der Verkehrsfluss insgesamt.
        Doch trotz der weitläufigen Verbreitung von Fahras-
        sistenzsystemen besaßen diese bislang noch keinen si-
        cheren Rechtsrahmen. Durch die am 23. März 2016 in
        Kraft getretene Änderung des Wiener Übereinkommens,
        die wir heute in nationales Recht umsetzen werden, wird
        diese Rechtsunsicherheit endlich beseitigt.
        Konkret werden die Artikel 8 und 39 des Wiener
        Übereinkommens angepasst. Nach Artikel 8 des Über-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19301
        (A) (C)
        (B) (D)
        einkommens muss jedes Fahrzeug, das sich in Bewegung
        befindet, einen Fahrzeugführer haben, der jederzeit die
        volle Kontrolle über das Fahrzeug ausübt.
        Mit der nun erfolgten Änderung werden erstmals Sys-
        teme erlaubt, die die Steuerung des Fahrzeugs beeinflus-
        sen können, vorausgesetzt, diese Fahrassistenzsysteme
        entsprechen den einschlägigen technischen Regelungen
        der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für
        Europa (UNECE), oder die Systeme sind so ausgestaltet,
        dass sie jederzeit durch den Fahrzeugführer übersteuer-
        bar oder abschaltbar sind. Wir schaffen damit einen si-
        cheren Rechtsrahmen für teilautonomes Fahren.
        Wenn wir heute über die rechtlichen Rahmenbe-
        dingungen von Fahrassistenzsystemen sprechen, dann
        müssen wir morgen über die rechtlichen Rahmenbe-
        dingungen für vollautomatisiertes Fahren sprechen. Die
        Themen Digitalisierung des Straßenverkehrs und autono-
        mes Fahren werden uns in den kommenden Jahren weiter
        beschäftigen. Vor dieser Zukunft sollten wir uns weder
        verschließen, noch sollten wir unnötig zaudern. Für die
        Zukunft unserer heimischen Automobilindustrie ist es
        entscheidend, dass wir eine Rechtsgrundlage für dieses
        Zukunftsfeld unserer Mobilität schaffen.
        Durch die heutige Verabschiedung des Vertragsgeset-
        zes zur Änderung des Wiener Übereinkommens legen
        wir einen wichtigen Grundstein für die digitale Zukunft
        des Straßenverkehrs. Ich freue mich, dass wir dieses Ge-
        setz heute mit einer breiten Mehrheit verabschieden wer-
        den, und bitte Sie um Ihre Zustimmung.
        Birgit Kömpel (SPD): Das Wiener Übereinkommen
        von 1968 ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der den Stra-
        ßenverkehr durch eine Vereinheitlichung der Verkehrs-
        regeln sicherer machen soll. Dieser Vertrag beruht noch
        auf dem Grundgedanken, dass die Autonomie einzig
        beim Fahrer eines Fahrzeugs liegt. Das bedeutet, dass
        jedes Fahrzeug, das sich in Bewegung befindet, einen
        (Fahrzeug-)Führer haben muss. Und dieser Fahrzeugfüh-
        rer muss das Fahrzeug jederzeit beherrschen und seine
        Geschwindigkeit an die Straßenverhältnisse so anpassen,
        dass er die Beherrschbarkeit des Fahrzeuges jederzeit ge-
        währleisten kann.
        Diese Grundsätze gelten seit der zunehmenden Ein-
        führung von sogenannten Fahrassistenzsystemen und au-
        tomatisierten Fahrfunktionen nicht mehr. Diese sich stän-
        dig weiterentwickelnden Assistenzsysteme unterstützen
        zunehmend den Fahrer und beschränken zum Teil sogar
        seine Autonomie. Daher war es wichtig, dieses Überein-
        kommen an die technischen Entwicklungen anzupassen.
        Die Arbeitsgruppe Straßenverkehrssicherheit bei der
        Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen in Euro-
        pa hat daher eine Änderung des Wiener Übereinkommens
        zum 26. März 2014 erarbeitet. Diese Änderung sieht vor,
        dass Systeme, welche die Führung eines Fahrzeuges be-
        einflussen, als zulässig erachtet werden, wenn diese den
        einschlägigen technischen Regelungen auf europäischer
        Ebene entsprechen oder so gestaltet sind, dass sie durch
        den Fahrer übersteuerbar oder abschaltbar sind.
        Durch diese Änderung wird Rechtssicherheit hinsicht-
        lich bereits im Verkehr befindlicher Assistenzsysteme
        oder automatisierter Fahrsysteme hergestellt. Die Ände-
        rung trat am 23. März 2016 in Kraft und muss nun inner-
        staatlich umgesetzt werden.
        Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf soll die
        Umsetzung in Form eines Bundesgesetzes erfolgen.
        Damit werden die erforderlichen Voraussetzungen für
        die Einführung von Systemen des automatisierten und
        vernetzten Fahrens geschaffen. Dieses kann nicht aus-
        schließlich national geschehen, sondern muss internati-
        onal betrieben werden.
        Neben der Rechtssicherheit wird aber auch die weite-
        re Entwicklung von automatisierten Fahrsystemen unter-
        stützt. Und diese Weiterentwicklung des automatisierten
        Fahrens liegt nicht nur im deutschen, sie liegt ganz sicher
        im europäischen und internationalen Interesse. Denn die
        Weiterentwicklung lässt ausschließlich positive Wirkun-
        gen erwarten:
        Die mobilitätsbedingten Emissionen werden sinken,
        die Verkehrssicherheit wird sich noch einmal verbessern,
        und die Zahl der Unfälle wird sinken.
        Fahrassistenzsysteme werden in der Zukunft dazu
        beitragen, dass der Verkehrsfluss optimiert wird. Auto-
        matische Abstandsregler werden ein zu dichtes Auffah-
        ren verhindern. Geschwindigkeiten werden besser aufei-
        nander abgestimmt, was Staubildungen entgegenwirkt.
        Dadurch werden mobilitätsbedingte Emissionen weiter
        gesenkt, und Mobilität wird deutlich umweltfreundlicher
        gestaltet. Und auch die Verkehrssicherheit wird sich wei-
        ter verbessern.
        Fahrassistenzsysteme unterstützen schon heute Fahrer
        und Fahrerinnen beim Führen ihrer Fahrzeuge. Beinahe
        jedem bekannt sind die Systeme ABS (Antiblockiersys-
        tem) und ESP (Elektronisches Stabilitätsprogramm),
        die beim Bremsen und im Falle des Schlingerns eines
        Fahrzeugs unterstützend eingreifen. Allein diesen bei-
        den Systemen ist es zu verdanken, dass sich die Zahl der
        Pkw- und zunehmend auch der Motorradunfälle deutlich
        reduziert hat.
        Hinzu kommen Systeme, die beim Bremsen, beim
        Einparken, beim Spurhalten oder im Falle einer Not-
        bremsung unterstützen. Auch gibt es Systeme zur intel-
        ligenten Geschwindigkeitsanpassung, Abstandsanpas-
        sung, Kurvenlicht, Reifendruckkontrollsystem, Schutz
        vor dem toten Winkel und vieles mehr. Die Liste wird
        fortlaufend erweitert werden, und die Kurve geht dabei
        steil nach oben.
        Auch der durchschnittliche Wert für Fahrassistenz-
        systeme pro Auto wächst in rasantem Tempo. Fahrassis-
        tenzsysteme sind im Hinblick auf mehr Verkehrssicher-
        heit ganz sicher ein entscheidender Zukunftsbaustein.
        Denn nachdem jahre- und jahrzehntelang die Zahl der
        Verkehrs toten immer weiter nach unten gegangen war,
        ist in den letzten Jahren bedauerlicherweise wieder eine
        Bewegung nach oben erkennbar. Diese darf sich nicht
        zu einer Trendumkehr verfestigen, sondern wir müssen
        auch weiterhin alles tun, um die Zahl der Verkehrstoten
        zu senken. Die Vision Zero, also die Überzeugung, dass
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 201619302
        (A) (C)
        (B) (D)
        jeder Verkehrstote einer zu viel ist, soll dabei unsere
        Richtschnur bleiben.
        Ich begrüße daher die Anpassung des Wiener Abkom-
        mens und die mit diesem Gesetz stattfindende Anpas-
        sung an nationales Recht ausdrücklich. Nur so wird der
        Weg frei für die weitere Einführung und Erprobung von
        Fahrassistenzsystemen und können weitere Schritte auto-
        nomes Fahren gegangen werden.
        Die Umwelt wird entlastet durch weniger Emissionen.
        Die Zahl der Verkehrstoten wird weiter gesenkt werden
        können. Und beides zusammen führt letztendlich dazu,
        dass der Verkehr in Deutschland effizienter wird zum
        Nutzen aller.
        Herbert Behrens (DIE LINKE): Mit dem vorliegen-
        den Gesetzentwurf soll das sogenannte Wiener Abkom-
        men ratifiziert werden. In dem Abkommen ist festgelegt,
        dass Fahrzeugführer von Autos und Lkw und allen an-
        deren Fahrzeugen jederzeit in der Lage sein müssen, das
        von ihnen gelenkte Fahrzeug im Betrieb jederzeit zu be-
        herrschen. Das Abkommen gilt global und ist ein völker-
        rechtlicher Vertrag.
        Hintergrund der Änderung, die von Deutschland zu-
        sammen mit anderen Staaten vorgeschlagen worden
        war, ist, dass bereits heute mögliche und in der Zukunft
        wahrscheinliche Fahrassistenzsysteme und automatisier-
        te Fahrfunktionen den Fahrer teilweise und zeitweise er-
        setzen können, dass also der Fahrer nicht jederzeit das
        Fahrzeug beherrscht, weil das System Funktionen über-
        nimmt.
        Der völkerrechtlichen Zulassung von Fahrassistenz-
        systemen und automatisierten Fahrfunktionen wollen wir
        uns nicht in den Weg stellen. Es gibt aber noch eine gan-
        ze Reihe offener Fragen, die unbedingt geklärt werden
        müssen, bevor dies auf den Straßen gelebte Praxis wird.
        Erstens. Der im Sommer 2016 öffentlich gewordene
        Arbeitsentwurf aus dem Bundesverkehrsministerium
        lässt einen Blick in die automatisierte Zukunft des Stra-
        ßenverkehrs zu. Da wird es datenschutzrechtlich brisant.
        Bekommen wir den „gläsernen“ Autofahrer, wenn dauer-
        haft protokolliert wird, ob der Fahrer oder „das System“
        am Steuer ist? Wie soll geprüft und gespeichert werden,
        dass der Fahrzeugführer „wahrnehmungsbereit“ ist – so
        steht es in dem Entwurf – und ob ihm eine angemessene
        Reaktionszeit zugestanden wird, für die ein „Mindest-
        maß an Aufmerksamkeit“ erforderlich ist?
        Ebenfalls aufgezeichnet werden soll, wann das Sys-
        tem den Fahrer aufforderte, das Lenkrad wieder zu über-
        nehmen. Was aber genau dieses Mindestmaß ist, was eine
        angemessene Reaktionszeit ist, klärt der Arbeitsentwurf
        nicht. Dies sollen die Gerichte tun. Zum einen würde
        damit eben keine Rechtssicherheit hergestellt, wie es an
        anderer Stelle in dem Papier heißt. Zum anderen stellt
        sich die Frage, wie attraktiv ein Fahrzeug ist, bei dem
        man mit einem Bein im Gefängnis steht, wenn die „Ma-
        schine“ Mist baut. Und dass das passieren kann, haben
        wir ja in den USA gesehen, als das Fahrassistenzsystem
        eines selbstfahrenden Autos einen Lkw nicht erkannte.
        Der nicht selbst steuernde Fahrer wurde bei diesem Un-
        fall getötet.
        Zweitens. Das Abkommen lässt zu, dass die gefor-
        derte Beherrschbarkeit des Fahrzeuges dann obsolet ist,
        wenn diese Funktionen den technischen Regelungen der
        Wirtschaftskommission für Europa UNECE entsprechen,
        oder sie so gestaltet sind, dass sie durch den Fahrer über-
        steuerbar oder abschaltbar sind. Der zweite Halbsatz ist
        eindeutig. Der erste Teil besagt aber, dass in dem Wirt-
        schaftsabkommen technische Regelungen für Radfahr-
        zeuge bestimmt werden können. Nach meinem Verständ-
        nis werden dadurch nicht nur bisherige, sondern auch
        zukünftige Änderungen dieser technischen Regelungen
        automatisch im Rahmen des Wiener Übereinkommens
        gültig, und zwar ohne dass es spezieller Anpassungen
        bedarf.
        Ich hatte die Bundesregierung in der Ausschusssit-
        zung zu diesem Punkt um eine Erläuterung gebeten. Bis
        heute habe ich dazu allerdings keine Antwort bekommen.
        So nachvollziehbar es ist, das Abkommen zu ratifizieren;
        ohne diese Aufklärung über den wirklichen Inhalt des
        Abkommens können wir uns bei der Abstimmung nur
        enthalten.
        Gerade in Bezug auf das von der Bundesregierung vo-
        rangetriebene Projekt autonomes Fahren haben wir noch
        viele Fragen zu klären. Der vorliegende Gesetzentwurf
        leistet für die Aufklärung keinen Beitrag. Einer „Black-
        box“ können wir aber nicht unsere Zustimmung geben.
        Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Das Wiener Übereinkommen über den Straßen-
        verkehr hat sich zuletzt als Innovationsbremse erwiesen:
        Automatisiertes Fahren war darin nicht vorgesehen; statt-
        dessen mussten Autofahrer ihr Fahrzeug jederzeit selbst
        führen. Die USA, die das Abkommen nicht unterzeichnet
        hatten, sind auch deshalb schon wesentlich erfahrener
        beim Einsatz automatisierter Fahrzeuge, während wir in
        Deutschland gezwungenermaßen auf der Bremse stan-
        den.
        Doch es hat auch etwas Gutes, dass wir Automati-
        sierungssysteme behutsam zulassen: So vermeiden wir,
        unreife Technik auf den Markt zu lassen. Stattdessen
        können wir mit Bedacht definieren, welche Systeme zu-
        lässig sind. Das ist jetzt mit der Änderung des Wiener
        Übereinkommens geschehen. Und wir hätten auch die
        Zeit gehabt, die noch vielen offenen Fragen zu klären,
        vor die uns das automatisierte Fahren stellt. Diese Zeit
        hat Verkehrsminister Dobrindt allerdings nicht genutzt.
        Zwar hat er uns ein Gesetz versprochen, um diese Fragen
        zu beantworten. Aber wie bei so vielen seiner Vorhaben
        hapert es erneut an der Umsetzung.
        Der jetzige Rechtsrahmen stellt alle Beteiligten vor
        große Unsicherheit – und ist vor allem zum Nachteil der
        Nutzer. So würde bislang wohl der Autofahrer haften,
        wenn das Automatisierungssystem einen Unfall baut.
        Wer will da schon die Hände vom Lenker nehmen, wenn
        er diese Verantwortung nicht ebenfalls abgeben kann?
        Autofahrer müssen deshalb wissen, was sie während der
        Fahrt tun dürfen, ohne fahrlässig zu handeln. Schlafen?
        Sicherlich ausgeschlossen. Aber auf den Terminkalender
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19303
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        schauen – das ist vorstellbar. Diese „Grundaufmerksam-
        keit“ muss Verkehrsminister Dobrindt im Interesse der
        Autofahrer definieren.
        Doch auch die Hersteller brauchen handfeste Re-
        geln: Wie misst das Auto eigentlich, ob der Fahrer noch
        aufmerksam genug ist? Mit Kameras im Cockpit oder
        Sensoren im Lenkrad? Und wie kann der Hersteller bei
        einem Unfall beweisen, dass dem Fahrer diese Grund-
        aufmerksamkeit fehlte? Dafür müssen wohl Fahrdaten
        gespeichert werden, die ebenfalls ungeklärt sind. Daraus
        ergeben sich sofort datenschutzrechtliche Fragen.
        Und was muss das Auto eigentlich tun, wenn der Fah-
        rer die Kontrolle doch nicht wieder übernimmt? Die viel
        diskutierten ethischen Fragen stellen sich eben nicht erst
        bei völlig autonomen Fahrzeugen, sondern bereits jetzt,
        da das Auto in diesem Fall eigenständig Entscheidungen
        treffen muss – Entscheidungen, die das Schicksal von
        Menschenleben betreffen können. Auch hier hat der Ver-
        kehrsminister bisher keine Antworten. Ohnehin braucht
        es statt der von ihm eingerichteten Ethik-Kommission
        eine breite gesellschaftliche Debatte.
        Mit einer Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
        allein ist es also nicht getan; die Automatisierung des
        Fahrens hat viel breitere Auswirkungen. So müssen wir
        uns beispielsweise auch Gedanken darüber machen, wie
        Möglichkeiten und Grenzen von Automatisierungssys-
        temen auch Teil der Fahrausbildung werden, um einen
        souveränen Umgang mit den Systemen sicherzustellen.
        Für uns ist deshalb klar: Wir müssen diese Fragen über
        Zulässigkeit, Grundaufmerksamkeit und Haftung sowie
        Ethik und Datenschutz gemeinsam betrachten. Und des-
        halb werden wir uns heute enthalten, weil die Änderun-
        gen des Wiener Übereinkommens zwar richtig sind, der
        wesentliche Rechtsrahmen zur Nutzung von Automati-
        sierungssystemen aber fehlt. Es ist jetzt dringend nötig,
        dass Dobrindt seinen Gesetzentwurf vorlegt, damit Ent-
        wicklung und vor allem Nutzung automatisierter Fahr-
        zeuge rechtlich wasserdicht sind, und damit wir die Vor-
        teile des zunehmend automatisierten Fahrens erschließen
        können.
        Es kann aber nicht nur darum gehen, neue Autos auf
        die Straße zu bringen. Das ist bloße Industriepolitik.
        Automatisiertes Fahren muss ebenso den öffentlichen
        Verkehr in den Fokus nehmen. Der Busverkehr kann
        beispielsweise von Systemen profitieren, die bei der Ab-
        standskontrolle, beim Spurwechsel oder beim Einfädeln
        helfen und präventiv auf Gefahrensituationen reagieren.
        Das erhöht die Verkehrssicherheit erheblich.
        Gänzlich autonome Fahrzeuge bieten auch neue Per-
        spektiven für ÖPNV-Betreiber, die damit beispielsweise
        ihren klassischen Betrieb punktuell ergänzen und so we-
        sentlich flexibler gestalten können. Das wird die nächs-
        te Aufgabe sein: mit Automatisierungssystemen nicht
        dafür zu sorgen, den Anteil des motorisierten Individu-
        alverkehrs noch weiter zu steigern, sondern Sicherheit,
        Attraktivität und Wirtschaftlichkeit öffentlicher Verkehre
        weiter zu verbessern.
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
        Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der
        Bundesregierung: Verordnung zur Umsetzung der
        Richtlinie 2014/99/EU und zur Änderung und An-
        passung weiterer immissionsschutzrechtlicher Ver-
        ordnungen (Tagesordnungspunkt 20)
        Karsten Möring (CDU/CSU): Lassen Sie mich ei-
        nes zunächst kurz vorwegschicken: Unser Auftrag in der
        Umweltpolitik, aber nicht nur dort, ist es, konsequent Po-
        litik zu machen und auch, sie den Bürgerinnen und Bür-
        gern viel mehr zu erklären. Daran orientiere ich mich,
        und die heutige Debatte ist dazu eine gute Gelegenheit.
        „Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2014/99/
        EU und zur Änderung und Anpassung weiterer immis-
        sionsschutzrechtlicher Verordnungen“: Hinter diesem
        zunächst trocken anmutenden Titel der zu behandelnden
        Vorlage und einem sperrig daherkommenden Sachverhalt
        mit vielen Paragrafen verbirgt sich ja nichts anderes als
        ein wichtiger Beitrag zu einem aktiven und praktischen
        Menschen- und Umweltschutz.
        Denn schließlich heißt Immissionsschutz nichts ande-
        res als Schutz der Menschen, der Tiere und Pflanzen, der
        Böden, des Wassers, der Atmosphäre sowie Kultur und
        sonstiger Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkun-
        gen. Er umfasst Maßnahmen zum Schutz vor schädlichen
        Einwirkungen in Form von Luftschadstoffen, Lärm, Er-
        schütterungen, Wärme, Licht oder elektromagnetischen
        Feldern, die zum Beispiel durch Industrieanlagen oder
        Verbrennungsprozesse freigesetzt wurden.
        Und Hauptinstrument des Immissionsschutzes in
        Deutschland ist das Bundes-Immissionsschutzgesetz
        mit seinen Verordnungen sowie den Technischen Anlei-
        tungen Luft und Lärm. Dieses Gesetz hat fast 40 darauf
        beruhende Verordnungen, von denen nach dem vorlie-
        genden Regierungsentwurf fünf heute sinnvoll zusam-
        mengeführt und nach EU-Vorgaben geändert und präzi-
        siert werden.
        Warum sind die heute zu beschließenden für den
        Vollzug notwendigen Klarstellungen, Anpassungen und
        Präzisierungen in Verordnungsform wichtig und sinn-
        voll? Die neue Mantelverordnung dient der Umsetzung
        verschiedener europarechtlicher Vorgaben, die der wich-
        tigen Vorsorge vor gesundheitsgefährdenden Emissionen
        in die Umgebungsluft dienen.
        Zur Umsetzung der Vorgaben der europäischen soge-
        nannten CLP-Verordnung, mit der ein EU-weit geltendes
        System für die Einstufung, Kennzeichnung und Verpa-
        ckung von Chemikalien eingeführt wurde, werden in den
        verschiedenen Rechtsverordnungen die chemikalien-
        rechtlichen Begriffe angepasst.
        In der Lösemittelverordnung werden die Anforderun-
        gen an den chemischen Stoff Formaldehyd verschärft.
        Formaldehyd dürfte den meisten Menschen aus Farbstof-
        fen, Kosmetika, Textilien, Arzneistoffen oder Möbeln
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        bekannt sein. Es ist einer der wichtigsten organischen
        Grundstoffe in der chemischen Industrie und wird unter
        anderem bei unvollständig ablaufenden Verbrennungs-
        prozessen in Kfz-Verbrennungsmotoren, in Gießereien,
        bei der Herstellung von Kunststoffartikeln emittiert.
        Weil die EU-Kommission Formaldehyd inzwischen
        als „wahrscheinlich beim Menschen karzinogen“, also
        krebs erregend, einstuft, ist diese Anpassung zwingend.
        Betroffen sein können Lackieranlagen der Autoindustrie
        oder Anlagen zur Drahtbeschichtung, wenn sie bestimm-
        te Stoffe zur Lacktrocknung verwenden.
        Des Weiteren wird ein EU-einheitliches Prüfverfah-
        ren für Gasrückführungssysteme für Tankstellen einge-
        führt. Das sind Vorrichtungen, die jeder an der Tankstel-
        le schon einmal gesehen hat. Sie sollen beim Betanken
        den Benzindampf absaugen. Damit werden für die Ty-
        penzulassung und Kontrolle solcher Systeme die bisher
        verwendeten Richtlinien des VDI durch europäische
        DIN-Normen ersetzt. Das Prüfverfahren stellt sicher,
        dass die Gasrückführungssysteme an den Zapfsäulen der
        Tankstellen nach gleichen Bedingungen geprüft werden.
        Weiter: Zur vollständigen Umsetzung der EU-Indus-
        trieemissions-Richtlinie, kurz IED, in der Titandioxid-In-
        dustrie wird die bestehende Vorgabe zur kontinuierlichen
        Überwachung der Schwefeldioxid-Emissionen zusätz-
        lich als Ordnungswidrigkeit normiert.
        Nächster Punkt: Die sogenannten besten verfügbaren
        Techniken, kurz BVT, werden für Anlagen der Lederin-
        dustrie umgesetzt. Damit wird ein entsprechender Grenz-
        wert für Anlagen zur Beschichtung von Leder, die unter
        die Industrieemissions-Richtlinie fallen, eingeführt.
        Das alles zeigt im Übrigen auch: Europa macht und
        einigt sich allen Unkenrufen zum Trotz auch auf sehr
        vernünftige Dinge, die wir heute umsetzen.
        Übrigens: Die Änderungen in den Verordnungen wer-
        den von der Industrie bereits heute erfreulicherweise
        schon überwiegend eingehalten. Das ist insofern rele-
        vant, und das ist mir wichtig, da wir dafür eintreten, eu-
        ropäische Vorgaben konsequent eins zu eins umzusetzen
        und auf nationale Alleingänge möglichst zu verzichten.
        Gerade unser Mittelstand leidet überproportional unter
        zusätzlicher Regulierung und damit verbundenen finan-
        ziellen und bürokratischen Kosten. Da wollen wir, wo es
        geht, ja abbauen, optimieren und nicht weiter verstärken.
        Denn gerade unsere mittelständischen Unternehmen be-
        weisen ja tagtäglich, wie ich auch aus meinem Wahlkreis
        in Köln weiß, dass industrielle Produktion und Umwelt-
        verträglichkeit nicht nur zusammenpassen, sondern dass
        sich umweltfreundliche Produktion für Unternehmen im
        Wettbewerb auszahlt. Diesen umweltpolitischen Erfolg
        des industriellen Mittelstands wollen wir nicht gefähr-
        den; das müssen wir bei allen Maßnahmen immer im
        Blick haben. Meine Bitte an das Umweltministerium
        wäre daher, bei allen neuen künftigen Verordnungen nie
        den Bürokratieabbau zu vernachlässigen.
        In diesem Sinne appelliere ich an die Kolleginnen und
        Kollegen der Grünen, die sich im Umweltausschuss lei-
        der nur enthalten haben, sich jetzt einen Ruck zu geben,
        über ihren Schatten zu springen und zuzustimmen. Ich
        sehe keinen Grund, der dagegen spricht. Ich denke, ein
        einstimmiges Votum wäre im Sinne der Sache und als
        positives Signal hier im Hause wünschenswert.
        Ulli Nissen (SPD): Das Bundes-Immissionsschutz-
        gesetz (BImSchG) – genau: das Gesetz zum Schutz vor
        schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreini-
        gungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vor-
        gänge – dient dazu, Menschen, Tiere und Pflanzen, den
        Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und
        sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkun-
        gen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelt-
        einwirkungen vorzubeugen.
        Es ist somit eins der wichtigsten Regelwerke im Um-
        weltbereich. Diverse Bundesimmissionsschutzverord-
        nungen (BImSchV) führen die gesetzlichen Regelungen
        weiter aus. So wird Störfallrecht geregelt (durch die
        12. BImSchV); Sportlärm wird durch die Sportanlagen-
        lärmschutzverordnung (18. BImSchV) und Verkehrslärm
        in der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV)
        behandelt.
        Heute befassen wir uns mit der Verordnung der Bun-
        desregierung, mit der die europäische Richtlinie 2014/99/
        EU ins nationale Recht umgesetzt wird. Dafür werden in
        einer Mantelverordnung insgesamt fünf Verordnungen
        zum Bundes-Immissionsschutzgesetz gemäß europäi-
        schen Vorgaben geändert.
        Bei den Änderungen dreht es sich in erster Linie um
        Regelungen die Befüllung und Lagerung von Ottokraft-
        stoffen betreffend. Der Gesundheitsschutz wird durch
        diese Regelungen verbessert
        Mit den Änderungen der 2. BImSchV und
        31. BImSchV wird auch das europaweit geltende neue
        System für die Einstufung, Kennzeichnung und Verpa-
        ckung von Stoffen und Gemischen eingeführt.
        Die Anforderungen zur ausschließlichen Untenbefül-
        lung von Straßentankfahrzeugen werden explizit in den
        Verordnungstext der 20. BImSchV übernommen. Dies ist
        bereits seit mehr als zehn Jahren eingeführt.
        Die Einführung eines einheitlichen europäischen Prüf-
        verfahrens für Gasrückführungssysteme für Tankstellen
        wird in der 21. BImSchV in nationales Recht umgesetzt.
        Die 25. BImSchV wird um eine Ordnungswidrigkeit
        ergänzt, damit ein Verstoß gegen die Pflicht der kontinu-
        ierlichen Messung geahndet werden kann.
        In die 31. BImSchV werden als Regelung bei Frei-
        setzung von Formaldehyd die europaweit geltenden
        Grenzwerte für karzinogene, keimzellmutagene oder re-
        produktionstoxische flüchtige organische Verbindungen
        aufgenommen. Ebenso wird ein zusätzlicher Emissions-
        grenzwert für Anlagen der Lederbeschichtung übernom-
        men.
        Alles in allem, wie Sie sehen, unkritische und vor al-
        lem unstrittige Änderungen und Ergänzungen.
        Ralph Lenkert (DIE LINKE): Die von der Bundes-
        regierung vorgelegte Verordnung ist eine von mehreren
        umweltpolitischen EU-Anpassungen, die zurzeit durchs
        Parlament gehen. Insgesamt werden hier fünf Verord-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19305
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        nungen des Bundesimmissionsschutzes angepasst, und
        schaut man sich die Regelungen an, wird deutlich, dass
        einige der Vorgaben in Deutschland in der Praxis bereits
        umgesetzt sind. Positiv hervorzuheben ist das Umdenken
        auf EU-Ebene, was die Einordnung von Formaldehyd als
        krebserregend angeht, das nun auch per Grenzwertrege-
        lung verwirklicht wird.
        Leider müssen wir Linken jedoch feststellen, dass trotz
        aller Verbesserungen im Immissionsschutz die Durchfüh-
        rung der Verordnungen an manchen Stellen – freundlich
        ausgedrückt – defizitär ist. Alle guten Vorschriften nüt-
        zen nichts, wenn es bestimmten Industrien gelingt, sie,
        wie auch immer, zu umgehen. Die Folgen sind dann oft
        kritisch, bedrohlich für die Gesundheit der Bevölkerung
        und für die Umwelt. Hier hat der Bund jede Menge Po-
        tenzial, seine eigenen Kompetenzen zu erweitern.
        Die Abgassituation in den Innenstädten ist an be-
        stimmten Tagen bedrohlich. Für Stickoxide gibt es feste
        Grenzwerte, und trotzdem kommt es immer wieder zu
        Überschreitungen. Verantwortlich für die Abgassituati-
        on in den Innenstädten sind Bundesregierung und Auto-
        mobilhersteller. Die Hersteller tricksten über Jahre, und
        die Bundesregierung verweigerte dem Kraftfahrt-Bun-
        desamt die Mittel, um eigene Tests mit eigener Technik
        durchführen zu können. Stattdessen bestimmten die Au-
        tomobilhersteller die Testverfahren selbst, und die Bun-
        desregierung half bei der Einführung der gewünschten
        Prüfstandards, was den Betrug erst in diesem Umfang
        ermöglichte.
        Das kommt einem Staatsversagen gleich, das dadurch
        entstanden ist, dass der Bund seine eigenen Kompeten-
        zen freundlich der Industrie übergeben hat, die er ja aber
        überwachen soll. Dass hier über Jahre erfolgreich Lob-
        byarbeit am Werk war, ist augenscheinlich. Wohin das
        führt, sehen wir jetzt, und weitere Skandale sind zu ver-
        muten – ich erinnere nur an die Einführung des hochpro-
        blematischen Kältemittels R1234yf in Pkw.
        Die Linke fordert ein unabhängiges staatliches Mess-
        wesen, das personell und finanziell gut aufgestellt ist.
        So könnten reale Abgastests verpflichtend eingeführt
        werden. Damit würde zukünftig die Einhaltung der Nor-
        men gesichert, und das Ausmaß der betrugsverursachten
        Feinstaub- und Stickoxidbelastungen würde bekannt.
        Allein Bund-Länder-Arbeitskreise, die Empfehlungen
        erarbeiten, reichen nicht. Daher regt Die Linke an, bei
        EU-rechtlichen Anpassungen des Umweltrechts jedes
        Mal einen Aktionsplan beizulegen, in dem klar geregelt
        wird, welche Behörde mit welchen Mitteln die Einhal-
        tung der neuen Vorgaben durchsetzen soll.
        Das würde den Industrieverbänden klarmachen, dass
        Gesetzesumgehungen und Tricksereien nicht geduldet
        werden. Gleichzeitig würde dies das Umweltrecht so-
        wohl für die Bevölkerung als auch für Behörden nach-
        vollziehbarer gestalten. Es würde vermutlich auch dazu
        führen, dass klar wird, dass die Finanz- und Personal-
        ausstattung notwendiger Behörden für deren eigentliche
        Aufgaben bei weitem nicht ausreichend ist.
        Mein Fazit: Die vorgelegte Verordnung ist plausibel;
        die Neuerungen begrüßen wir. Damit der Bundesim-
        missionsschutz jedoch kein Papiertiger bleibt, muss er
        personell und finanziell untermauert werden, und Bun-
        desregierung und Ministerien müssen begreifen, dass
        letztendlich sie für die Einhaltung zuständig sind.
        Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heu-
        te diskutieren wir die Verordnung zur Umsetzung der
        Richtlinie 2014/99/EU und zur Änderung und Anpassung
        weiterer immissionsschutzrechtlicher Verordnungen. An-
        gesichts des eingedampften Klimaschutzplans 2050 und
        des ewigen Wartens auf eine Düngegesetzgebung im Sin-
        ne des Gewässerschutzes können wir ja froh sein, wenn
        überhaupt noch Immissionsschutz im Regierungshan-
        deln stattfindet.
        Nun werden mit der vorliegenden Mantelverordnung
        insgesamt fünf Verordnungen des Bundes-Immissions-
        schutzgesetzes geändert. Die Änderungen betreffen die
        zweite Verordnung zur Durchführung des Bundes-Im-
        missionsschutzgesetzes (2. BImschV) zur Emissions-
        begrenzung von leichtflüchtigen halogenierten organi-
        schen Verbindungen, die 20. BImSchV zur Begrenzung
        der Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen
        beim Umfüllen oder Lagern von Ottokraftstoffen, Kraft-
        stoffgemischen oder Rohbenzin, die 21. BImSchV zur
        Begrenzung der Kohlenwasserstoffemissionen bei der
        Betankung von Kraftfahrzeugen, die 25. BImSchV zur
        Begrenzung von Emissionen aus der Titandioxid-Indus-
        trie und schlussendlich die 31. BImSchV zur Begrenzung
        der Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen bei
        der Verwendung organischer Lösemittel in bestimmten
        Anlagen.
        Wir begrüßen diese europarechtskonformen Anpas-
        sungen verschiedener Bundesimmissionsschutzverord-
        nungen hinsichtlich der Einstufung, Kennzeichnung und
        Verpackung von Stoffen und Gemischen, der Begrenzung
        der Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen bei
        der Lagerung und Verteilung von Ottokraftstoff, eines
        europaeinheitlichen Prüfverfahrens für Gasrückfüh-
        rungssysteme für Tankstellen, der Pflicht der kontinuier-
        lichen Messung sowie der Grenzwerte für karzinogene,
        keimzellmutagene oder reproduktionstoxische flüchtige
        organische Verbindungen.
        Herzlichen Glückwunsch Frau Dr. Hendricks! Sie
        strotzen ja nur so vor Tatendrang.
        Auch die Ankündigung von Ihnen, den Kommunen
        ein Instrument in die Hand geben zu wollen, sodass
        diese die industrielle Tierhaltung mittels Planungsrecht
        einschränken können, ist zu begrüßen. Ich bin gespannt,
        ob es bei Ihrem Grünsprech bleibt oder wir eine entspre-
        chende Passage im Rahmen der Novelle des Baugesetz-
        buches finden werden.
        Bezüglich der heute zur Debatte stehenden Vorhaben
        stellt sich allerdings durchaus die Frage, wenn schon so
        viele Verordnungen im Bereich Immissionsschutz an-
        gefasst werden, warum Sie nicht beispielsweise noch
        die 4. BImschV über genehmigungsbedürftige Anlagen
        novelliert haben. Denn große Anlagen der industriellen
        Massentierhaltung, wie etwa große Schweine- und Ge-
        flügelhaltungsanlagen, haben oftmals nachteilige Aus-
        wirkungen für Mensch und Umwelt. Die entsprechenden
        Luftverunreinigungen durch Staub, Gerüche, Ammoniak
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 201619306
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        und Bioaerosole werden leider mit den heutigen Novel-
        len nicht adressiert.
        Mit einer Absenkung der Genehmigungsschwellen-
        werte für Tierhaltungsanlagen insgesamt würden auch
        kleinere Tierhaltungsanlagen der immissionsschutz-
        rechtlichen Genehmigungspflicht unterliegen und müss-
        ten dann die Vorsorgeanforderungen der TA Luft, gerade
        auch bezüglich der Minderung von Ammoniak und Ge-
        rüchen, erfüllen. So würde ein längst überfälliger Bei-
        trag zur Umsetzung der Stickstoffemissionsminderungs-
        pflichten der NEC-Richtlinie geleistet.
        Eine Senkung der Schwellenwerte würde zusätzlich
        zu einer Erweiterung der Öffentlichkeitsbeteiligung im
        Genehmigungsverfahren führen und so für mehr Trans-
        parenz und Akzeptanz der Landwirtschaft in der Bür-
        gerschaft führen. Was wiederum den Zielen der Aar-
        hus-Konvention entsprechen würde.
        Da dies mit der vorliegenden Mantelverordnung aus
        unerfindlichen Gründen nicht geregelt worden ist, aber
        dennoch ein Schritt im Sinne einer Verbesserung des Im-
        missionsschutzes gemacht wurde, werden wir uns enthal-
        ten.
        Anlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
        brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
        des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes und
        zur Änderung weiterer Gesetze (Tagesordnungs-
        punkt 21)
        Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Diese Legislatur-
        periode ist eine gute für die Kommunen in Deutschland.
        Viele der Maßnahmen der Bundesregierung unter Füh-
        rung von Angela Merkel haben gerade die Kommunen
        im großen Maßstab entlastet.
        Wesentlicher Bestandteil dieses Maßnahmenpakets
        waren Entlastungen im Sozialbereich wie etwa die voll-
        ständige Übernahme der Grundsicherung im Alter. Da-
        mit hat der Bund wesentlich zur positiven Entwicklung
        der Kommunalfinanzen beigetragen.
        Auch bei der Bewältigung der mit der Aufnahme von
        Flüchtlingen und Asylbewerbern verbundenen Heraus-
        forderungen lässt der Bund die Kommunen nicht alleine.
        Ein weiterer Schwerpunkt sind der Ausbau und die Ver-
        stetigung der Investitionen in die öffentliche Infrastruk-
        tur.
        Mit dem Gesetz zur Förderung von Investitionen fi-
        nanzschwacher Kommunen aus dem vergangenen Jahr
        haben wir das Sondervermögen „Kommunalinvestitions-
        förderungsfonds“ mit Mitteln in Höhe von 3,5 Milliarden
        Euro ausgestattet. Aus diesem Sondervermögen werden
        nach ursprünglicher Planung in den Jahren 2015 bis 2018
        Finanzhilfen an die Länder ausgezahlt, die diese für In-
        vestitionen finanzschwacher Kommunen weitergeben
        sollen. Die Förderquote beträgt bis zu 90 Prozent. Der
        Kofinanzierungsanteil der Kommunen von mindestens
        10 Prozent kann auch von den Ländern übernommen
        werden.
        Da die Mittel bisher ziemlich schleppend abgerufen
        wurden, hat die Bundesregierung im Mai dieses Jahres
        die Verlängerung des Förderzeitraums bis zum Jahr 2020
        beschlossen. Im Sommer dieses Jahres waren circa
        1,8 Milliarden Euro des Sondervermögens verplant. Dies
        entspricht etwa 52 Prozent der gesamten Finanzmittel
        des Sondervermögens. Ich denke, es herrscht in diesem
        Haus ein breiter Konsens darüber, dass die Verlängerung
        des Förderzeitraums sinnvoll ist.
        Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf
        einen weiteren Aspekt der finanziellen Verflechtungen
        von Bund, Ländern und Kommunen hinweisen. In den
        vergangenen Jahren sind nicht nur die Kommunen, son-
        dern auch die Länder umfassend durch den Bund entlas-
        tet worden. Die wichtigsten finanziellen Zugeständnisse
        des Bundes belaufen sich in den Jahren 2010 bis 2020 auf
        rund 200 Milliarden Euro.
        Vor dem Hintergrund der massiven Unterstützung der
        Länder und Kommunen durch den Bund halte ich es für
        höchst problematisch, dass wir in vielen Bereichen nicht
        mehr nachvollziehen können, was mit dem Geld wirklich
        passiert. In dieser Legislaturperiode betrifft das Mittel
        des Bundes von immerhin rund 35 Milliarden Euro.
        So gehen in diesem Zeitraum allein über 20 Milliar-
        den Euro über die Umsatzsteuerverteilung sowie die Er-
        stattungen für die Kosten der Unterkunft zusätzlich als
        gezielte Entlastung an Länder und Kommunen. Diese
        Mittel sind komplett ungebunden. In anderen Bereichen
        zahlt der Bund Mittel an die Länder, ohne dass er die
        Möglichkeit hat, den verabredeten Mitteleinsatz auch zu
        kontrollieren bzw. im Zweifelsfall auch durchzusetzen.
        Ein Beispiel ist die Übernahme des BAföG durch den
        Bund. Das sind immerhin 3,5 Milliarden Euro in dieser
        Legislaturperiode. Politisch verabredet war, dass die
        Länder die bei ihnen freiwerdenden Mittel für die Hoch-
        schulen einsetzen. Von dieser Zusage sind einige Länder
        dann, nachdem das Gesetz beschlossen war, ganz offen
        wieder abgerückt.
        Ein weiteres Beispiel sind die Entflechtungsmittel in
        Höhe von 11,3 Milliarden Euro in dieser Legislaturpe-
        riode. Diese haben zwar zumindest noch eine investive
        Zweckbindung im Gesetz. Aber auch hier besteht keine
        Möglichkeit der direkten Kontrolle durch den Bund.
        Ich sehe die Tendenz, dass der Bund zunehmend Auf-
        gaben von Ländern und Kommunen übernimmt und diese
        (mit-)finanziert, aus ganz grundsätzlichen Erwägungen
        sehr kritisch. Unabhängig davon brauchen wir in Zukunft
        wieder mehr gesetzlich definierte Zweckbindungen, de-
        ren Einhaltung der Bund dann auch kontrollieren kann.
        Ich hoffe, wir werden auch in diesem Bereich eine
        vernünftige Lösung finden – genauso wie wir sie mit der
        Verlängerung des Förderzeitraums des Kommunalin-
        vestitionsförderungsfonds gefunden haben. Ich bitte um
        möglichst breite Zustimmung zum Gesetzentwurf.
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19307
        (A) (C)
        (B) (D)
        Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir beraten heute
        über einen Gesetzentwurf zu Finanzhilfen aus dem Kom-
        munalinvestitionsförderungsfonds. Der Bund unterstützt
        finanzschwache Kommunen bei bedeutsamen Investitio-
        nen. Wir beraten über eine Verlängerung des Förderzeit-
        raums um zwei Jahre. Der Zeitrahmen des Kommu nalin-
        vestitionsförderungsgesetzes wird damit bis zum Ende
        des Jahres 2020 ausgeweitet. Finanzschwache Kommu-
        nen profitieren zwei weitere Jahre von der Möglichkeit
        der Förderung von wichtigen Investitionen.
        Die Verlängerung des Förderzeitraums ist der aktuel-
        len Lage geschuldet. Die Kommunen stehen derzeit vor
        einer großen Herausforderung. Die Unterbringung und
        Betreuung von Flüchtlingen erfordert große Anstrengun-
        gen. Finanzschwache Kommunen stoßen personell und
        finanziell an die Belastungsgrenze. Notwendige Investi-
        tionen müssen verschoben werden.
        Dem Bund ist es ein großes Anliegen, dass die Finanz-
        hilfen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro aus dem Kom-
        munalinvestitionsförderungsfonds den finanzschwachen
        Kommunen zufließen. Mit der sukzessiven Unterbrin-
        gung der Flüchtlinge und der Verlängerung des Förder-
        zeitraums bestehen wieder die personellen Kapazitäten
        vor Ort, sich den notwendigen Investitionsvorhaben
        zuzuwenden. Es ist unser Ziel, finanzschwachen Kom-
        munen mit diesem Gesetz die finanzielle Förderung zu
        ermöglichen und deren Haushalte zu entlasten.
        Ich möchte die heutige Rede auch zum Anlass neh-
        men, grundsätzlich über die Finanzen der Kommunen zu
        sprechen. In der Bundesrepublik gibt es 11 000 Gemein-
        den und Städte. So vielfältig wie Deutschland ist, so viel-
        fältig sind auch die Kommunen.
        Es gibt finanzstarke Gemeinden, die vom Tourismus in
        den Alpen, an der Küste oder an einem Binnengewässer
        profitieren. Es gibt Städte mit dichter Ansiedelung von
        Industrie und Gewerbe. Es gibt Gemeinden im Speck-
        gürtel, die von der Infrastruktur der Großstadt und den
        außerhalb angesiedelten Unternehmen profitieren.
        Es gibt aber auch Kommunen in strukturschwachen
        Regionen, die trotz größter Anstrengungen die Investitio-
        nen für notwendige Infrastrukturprojekte nicht stemmen
        können.
        Diese diametralen Unterschiede der Finanzstärke
        von Kommunen sind nicht auf boomende Regionen und
        strukturschwache Gegenden begrenzt. Sie finden sich
        innerhalb von Bundesländern und sogar innerhalb von
        Landkreisen.
        Die Finanzkraft von Kommunen hängt im Wesent-
        lichen vom Steueraufkommen ab. Neben dem Vertei-
        lungsschlüssel nach dem Gemeindefinanzreformgesetz
        möchten wir jedoch einen direkten Nachteilsausgleich
        gewähren. Aus diesem Grund wird die Unterstützung
        nach dem Kommunalinvestitionsförderungsgesetz für
        besondere Investitionen mit einem Volumen von 3,5 Mil-
        liarden Euro gewährt.
        Es sollte uns ein großes Anliegen sein, dass in Deutsch-
        land überall ein Mindeststandard für Lebensbedingungen
        herrscht. Auf lokaler Ebene müssen die kommunalen
        Haushalte entlastet werden, um den Weg für notwendige
        Investitionsvorhaben zu ebnen. Es ist mehr als nur ein
        Selbstzweck.
        Die Stärkung der lokalen Infrastruktur wirkt sich po-
        sitiv auf die demografische Entwicklung aus. Finanz-
        schwache Kommunen werden durch den Nachteilsaus-
        gleich ein Stück lebenswerter. Der Anreiz, in finanzstarke
        Kommunen wegzuziehen, wird abgemildert.
        Es kann nicht das Ziel sein, dass reiche Kommunen
        reicher und arme Kommunen ärmer werden. Ich bitte da-
        her um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
        Bernhard Daldrup (SPD): Vor eineinhalb Jahren
        haben wir ein gutes Gesetz beschlossen, mit dem wir in
        spürbarem Umfang Investitionen in den Kommunen för-
        dern. Wir fördern zielgerichtet besonders finanzschwa-
        che Kommunen. Dafür stellt der Bund 3,5 Milliarden
        Euro zur Verfügung.
        Heute ändern wir das Kommunalinvestitionsför-
        derungsgesetz und verlängern die Fristen für Anträge
        und Bau um zwei Jahre. Damit entsprechen wir einem
        Wunsch der Kommunen. Zwei Gründe sind für die Ver-
        längerung ausschlaggebend: erstens die Ausnahmesitua-
        tion durch die Aufnahme von Flüchtlingen, die sehr viel
        Verwaltungskraft gebunden hat, und zweitens die ausge-
        dünnte Personaldecke in vielen Planungs- und Bauäm-
        tern aufgrund von Sparzwängen der vergangenen Jahre,
        die die Planung und Umsetzung von Projekten verzögert
        haben.
        Anders als beim Konjunkturpaket II kommt es mit
        dem aktuellen Programm darauf an, die Investitionskraft
        der Kommunen zu stärken, weniger darauf, einen kon-
        junkturellen Impuls zu geben. Deshalb ist die Verlänge-
        rung des Programms auch aus ökonomischer Sicht un-
        problematisch.
        Tatsache ist, dass wir mehr Investitionen in eine leis-
        tungsfähige Infrastruktur brauchen, um unseren Wirt-
        schaftsstandort und Wohlstand langfristig zu sichern.
        Den Städten und Gemeinden kommt eine zentrale Rolle
        zu; denn sie tätigen etwa 50 Prozent aller Investitionen
        der öffentlichen Hand. Ihr Anteil war allerdings mal
        höher: Anfang der 90er-Jahre lag er noch über 60 Pro-
        zent. Die kommunale Investitionstätigkeit hat unter dem
        Strich abgenommen. Die Kommunalhaushalte haben
        sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr von Inves-
        titionshaushalten zu Sozialhaushalten entwickelt. So hat
        sich ein Investitionsstau aufgebaut, der sich mittlerweile
        auf über 140 Milliarden Euro beläuft.
        Aber das betrifft nicht alle Kommunen. Besonders be-
        troffen sind die strukturschwachen Kommunen. Im De-
        tail sieht man enorme Unterschiede. Das gilt sowohl im
        Ländervergleich als auch zwischen Kommunen einzel-
        ner Länder. In Bayern investieren die Kommunen durch-
        schnittlich 590 Euro je Einwohner, in Mecklenburg-Vor-
        pommern sind es nur 206 Euro/Einwohner, also gerade
        einmal ein Drittel.
        Noch drastischer ist der Vergleich zwischen einzelnen
        Kommunen: Der Landkreis München gab im Jahr 2013
        mit 724 Euro pro Einwohner fast 700 Euro mehr aus als
        die kreisfreie Stadt Wilhelmshaven in Niedersachsen mit
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 201619308
        (A) (C)
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        35 Euro pro Einwohner. Eklatante Unterschiede gibt es
        auch innerhalb eines Bundeslandes wie beispielsweise
        Bayern, das insgesamt durchaus finanzstark ist. Dieser
        Unterschied zwischen Strukturstarken und -schwachen
        wird in Zukunft noch steiler werden, wenn wir nicht ge-
        gensteuern.
        Zentrale Ursachen für den Rückgang der Investitions-
        quote liegen in den steigenden Sozialausgaben, sinken-
        den Einnahmen und einer steigenden Verschuldung. An
        allen diesen Punkten müssen wir ansetzen.
        Ein Hebel ist die Investitionsförderung durch das
        kommunale Investitionsprogramm. Ursprünglich war die
        Förderung bis 2018 vorgesehen. Mit der heutigen Ände-
        rung können Projekte bis 2020 genehmigt werden. Das
        verschafft Luft zur Planung. Bereits jetzt zeichnet sich
        ab, dass die Förderung sehr gut in Anspruch genommen
        wird. Über die Hälfte der Mittel sind bereits verplant.
        Dabei gehen die Länder sehr unterschiedlich vor.
        Die Ausgestaltung liegt in ihrer Hand, genauso wie die
        Entscheidung, welche Kommunen in ihrem Bereich den
        größten Bedarf haben. Aus einer vorläufigen Liste über
        Projektanmeldungen auf die politische Qualität von Lan-
        desregierungen zu schließen, wie es die CDU/CSU in
        Rundbriefen tut, ist daher völliger Unsinn und schlicht
        unseriös.
        Niedersachsen, NRW und Hessen zum Beispiel ver-
        teilen die Mittel als Kontingente an die Kommunen, die
        sie als finanzschwach eingestuft haben, und lassen ihnen
        bei der Verwendung innerhalb des bundesgesetzlichen
        Rahmens volle Flexibilität. Bayern und Sachsen haben
        Antragsverfahren eingeführt, bei denen konkrete Einzel-
        projekte bewilligt werden. Mecklenburg-Vorpommern
        konzentriert die Förderung auf die Bereiche Breitband-
        ausbau und Städtebau, Schleswig-Holstein auf die Sanie-
        rung von Kitas und Schulen.
        Eines lässt sich an den bisher gemeldeten Projekten
        bereits ablesen: Mit dem Programm werden tausende
        Schulen und Kindergärten saniert und ausgebaut. Es wer-
        den Gemeindeeinrichtungen im ganzen Land energetisch
        saniert. Und es werden weiße Flecken auf der Landkarte
        mit Breitbandnetzen versorgt. Das ist gut, und ich nehme
        gerne in Anspruch, dass wir Sozialdemokraten uns sehr
        für dieses Programm eingesetzt haben.
        Der Bund hat die Spielräume weit gefasst. Er trägt
        90 Prozent der Investitionskosten, der kommunale Ei-
        genanteil beträgt lediglich 10 Prozent. Die Länder kön-
        nen, auch das ermöglicht das Gesetz, den kommunalen
        Anteil übernehmen, sodass auch Kommunen, die auf-
        grund ihrer Notlage nicht einmal diesen Anteil leisten
        können, die Förderung nutzen können. Es muss auch
        nicht – wie noch im Konjunkturpaket II – das Kriterium
        der Zusätzlichkeit erfüllt werden, eine weitere Erleichte-
        rung für die Kommunalpolitik vor Ort.
        Wir stimmen völlig mit der Expertenkommission
        „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ überein, die
        Sigmar Gabriel unter der Leitung von Michael Fratzscher
        eingesetzt hat: Auf Platz eins ihrer Empfehlungen steht:
        mehr öffentliches Geld für Investitionen. Außerdem
        schlägt sie einen nationalen Investitionspakt vor, der auf
        Dauer von Bund und Ländern finanziert wird. Das könn-
        te im Rahmen des geplanten gesamtdeutschen Fördersys-
        tems für strukturschwache Regionen umgesetzt werden.
        In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass
        der SPD-Parteivorstand vorgeschlagen hat, ein Bundes-
        programm zur Modernisierung der Schulgebäude in Mil-
        liardenhöhe einzurichten. Diesen Vorschlag unterstützte
        ich ausdrücklich. Und wenn wir dazu das Grundgesetz
        ändern müssen, um das Kooperationsverbot im Bil-
        dungsbereich aufzuheben, sollten wir das tun – möglichst
        noch in dieser Legislaturperiode.
        Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in
        unserem Land ist Verfassungsauftrag. Das ist die räumli-
        che Seite des Sozialstaatsgebotes und die Voraussetzung
        für Chancengleichheit.
        Wir können nicht von Chancengleichheit sprechen,
        wenn in der einen Kommune Kitas beitragsfrei sind und
        die Schulen I-Pads für alle ausgeben, während an ande-
        ren Orten wegen der Haushaltsnotlage die Beiträge für
        Kinderbetreuung in die Höhe schießen und die Eltern
        am Wochenende zum Putzdienst in der Schule anrücken
        müssen, weil die hygienischen Bedingungen so unterir-
        disch sind.
        Die Große Koalition hat in dieser Wahlperiode schon
        eine beachtliche Reihe von Entlastungen für die Kommu-
        nen beschlossen, die dieser Entwicklung entgegenwirken.
        Dazu gehören das kommunale Investitionsprogramm,
        aber auch das 10-Milliarden-Euro-Zukunftsinvestitions-
        programm, die Erhöhung der Städtebaumittel sowie die
        Entlastung bei den Sozialausgaben und nicht zuletzt die
        Unterstützung bei der Flüchtlingsaufnahme.
        Wir werden in diesem Herbst eine jährliche Entlastung
        der Kommunen im Volumen von 5 Milliarden Euro ab
        2018 beschließen. Das ist eines der wichtigsten Projekte,
        die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben – ohne Fi-
        nanzierungsvorbehalt. Der Vorschlag, den die Länder zur
        Umsetzung gemacht haben, entspricht allerdings nicht
        unseren Erwartungen. Die Entlastung muss vor allem
        bei den Kommunen ankommen, die sie am meisten brau-
        chen. Denn es gibt, um auf unser Thema heute zurück-
        zukommen, Kommunen, die in die Zukunft investieren
        können, und andere, die können es nicht.
        Investitionsprogramme wie das kommunale Investiti-
        onsprogramm sind ein Schritt in die richtige Richtung.
        Grundsätzlich aber müssen wir an einer Lösung arbeiten,
        die dauerhaft eine bessere und ausgeglichene Finanzaus-
        stattung der Kommunen sicherstellt.
        Kerstin Kassner (DIE LINKE): Die finanzielle Lage
        der Kommunen in Deutschland ist insgesamt sehr an-
        gespannt. Es gibt für viele Kommunen im ganzen Land
        kaum noch Möglichkeiten, jenseits der Pflichtaufgaben
        in irgendeiner Weise tätig zu werden. Die Höhe der
        Kassenkredite ist auf insgesamt fast 50 Milliarden Euro
        angestiegen. Dabei entfällt etwa die Hälfte des Kredit-
        volumens auf 25 der fast 400 Kommunen Deutschlands.
        Ein gewaltiger Investitionsstau ist über die Jahre und
        Jahrzehnte entstanden, der sich unter diesen Bedingun-
        gen von den Kommunen nicht auflösen lässt. Das betrifft
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2016 19309
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        kommunale Infrastruktur und Daseinsvorsorge und da-
        mit ganz wesentlich den Zustand von Schulen und Kin-
        dertagesstätten, Straßen und Brücken sowie kommunaler
        Betriebe in unseren Heimatstädten und Kreisen.
        Vor diesem Hintergrund hat Die Linke seinerzeit
        bereits die Einführung des Kommunalinvestitionsför-
        derungsgesetzes und des damit verbundenen Fonds zur
        Unterstützung finanzschwacher Kommunen begrüßt. Vor
        dem Hintergrund der starken finanziellen Herausforde-
        rungen für die Kommunen – insbesondere seit dem ver-
        gangenen Jahr – im Zusammenhang mit der Aufnahme,
        Unterbringung und Integration von Geflüchteten ist es
        richtig, dass die Bundesregierung mit dem vorliegenden
        Gesetzentwurf nun den Förderzeitraum und die Umset-
        zungsfristen des Fonds um jeweils zwei Jahre verlängert.
        Darum stimmen wir auch dem Entwurf zur Änderung des
        Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes zu.
        Die nötigen Investitionen werden die Kommunen nie
        aus eigener Kraft leisten können. Dass dafür von der
        Bundesregierung 3,5 Milliarden Euro – für die finanziell
        besonders schwachen Kommunen – zur Verfügung ge-
        stellt werden, ist zunächst einmal positiv zu bewerten.
        Es darf allerdings bezweifelt werden, ob dieser Betrag
        ausreicht, um das aufgestaute Defizit an Investitionen
        abzubauen.
        Wesentlich bedenklicher ist allerdings ein anderes
        Problem: Dass überhaupt ein derartiger Investitionsstau
        entstehen konnte, ist kein Ergebnis der Flüchtlingskrise.
        Und es hat sich auch nicht kurzfristig aus einer temporä-
        ren Schieflage der kommunalen Haushalte ergeben. Die
        Kommunen sind strukturell unterfinanziert. Über viele
        Jahre wurden ihnen immer mehr Aufgaben übertragen,
        ohne sie dafür mit den nötigen Finanzmitteln auszustat-
        ten. Insbesondere die Ausgaben im sozialen Bereich dro-
        hen die Kommunen finanziell zu erdrücken.
        So gut es daher ist, dass der Bund mit dem Kommu-
        nalinvestitionsförderungsgesetz und seiner neuen Über-
        arbeitung einen Teil seiner Verantwortung im kom-
        munalen Bereich wahrnimmt, so notwendig wäre eine
        generelle Neugestaltung der Kommunalfinanzen. Aus
        meiner Sicht kann die Lösung nun nicht für alle Zeit da-
        rin bestehen, dass der Bund Fonds und Förderprogram-
        me für die Kommunen auflegt, wenn er die Mittel dafür
        gerade bereithält bzw. wenn der Druck durch die Kom-
        munen – zuletzt etwa durch die Aktivitäten des Aktions-
        bündnisses „Für die Würde unserer Städte“ – so groß
        wird, dass Handlungsdruck auf die Bundesebene erzeugt
        wird. Die Kommunen dürfen nicht von spontanen Pro-
        grammen abhängig sein. Sie sind keine Almosenempfän-
        ger und können sich auf die kommunale Selbstverwal-
        tung berufen, die durch die Verankerung im Grundgesetz
        Verfassungsrang hat.
        Es gibt ganz offensichtlich ein Problem der struk-
        turellen Unterfinanzierung zahlreicher Kommunen im
        Land. Das gefährdet massiv die kommunale Selbstver-
        waltung und die Demokratie auf kommunaler Ebene.
        Diese Entwicklung hat nichts zu tun mit Bemühungen
        der Kommunen zur Haushaltskonsolidierung und zum
        Schuldenabbau. Die strukturellen Gegebenheiten vor Ort
        lassen in vielen Regionen eine andere Entwicklung unter
        den derzeitigen Bedingungen nicht zu. Hier müsste der
        Bund dringend aktiv werden und den Kommunen über
        eine reformierte Steuergesetzgebung eine stabile, bere-
        chenbare und dauerhafte Einnahmesituation verschaffen.
        Ein wichtiger Baustein dazu wäre die Weiterentwicklung
        der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer.
        Zudem fordern die Kommunen seit langem einen Alt-
        schuldenfonds. Ohne diesen werden die hoch verschul-
        deten Kommunen – wie etwa Oberhausen oder Offen-
        bach – niemals in eine andere Haushaltslage kommen.
        Da ganz offensichtlich ein direkter Zusammenhang zwi-
        schen hoher Arbeitslosigkeit und damit verbunden ho-
        hen Sozialaufgaben und finanziell starker Belastung der
        Kommunen besteht, könnte auch eine Übernahme der
        Kosten für die Unterkunft im SGB II und SGB XII einen
        wirklichen Neuanfang für die Kommunen eröffnen.
        Ich möchte diesen Gesetzentwurf der Bundesregie-
        rung und generell die Bemühungen im Zusammenhang
        mit dem Kommunalinvestitionsförderungsgesetz ver-
        stehen als Erkenntnis und Einsicht der Koalition in die
        drängende Notsituation vieler Kommunen im Land und
        als Beginn einer neuen Ausrichtung der Politik des Bun-
        des mit Bezug zu den Kommunen und hoffe, dass die
        Bundesregierung das Problem damit nicht als erledigt
        ansieht. Die Kommunen als Basis unserer Gesellschaft
        müssen es uns wert sein.
        Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Steuereinnahmen, Museen und Theater, sanierte Schu-
        len und intakte Quartiere sorgen in vielen Orten für eine
        hohe Lebensqualität. Marode Turnhallen, geschlossene
        Büchereien, schimmlige Schwimmbäder und Mangel-
        verwaltung konzentrieren sich in anderen. Dass alle ähn-
        liche Chancen und Möglichkeiten vor der eigenen Haus-
        tür vorfinden, ist nicht die Realität. Die Schere zwischen
        armen und reichen Städten, Gemeinden und Kreisen geht
        immer weiter auseinander.
        Eine spürbare Verbesserung der kommunalen Finanz-
        lage, erhöhte Investitionen und sinkende Neuverschul-
        dung können in erster Linie finanzstarke Kommunen
        realisieren. Gleichzeitig stehen strukturschwache Kom-
        munen vor einem riesigen Berg an Aufgaben. Denn die
        sozialen Pflichtaufgaben wachsen stetig weiter und mar-
        ginalisieren die spärlich steigenden Steuereinnahmen.
        Finanzschwache Kommunen können weiterhin erfor-
        derliche Investitionen zur Instandhaltung und Sanierung
        öffentlicher Infrastruktur nicht stemmen. Sie investie-
        ren bis zu einem Drittel weniger, und es fällt ihnen viel
        schwerer, die vorhandene Infrastruktur zu erhalten.
        Eine Zweiklassengesellschaft innerhalb der kommu-
        nalen Familie verfestigt sich. Das geht so nicht weiter.
        Wir wollen struktur- und finanzschwachen Kommunen
        unter die Arme greifen. Wir wollen eine angemessene fi-
        nanzielle Ausstattung für alle.
        Ein Ergebnis der Verarmung vieler Städte und Gemein-
        den ist der gigantische Investitionsstau. Der Rückstand
        für dringend notwendige Investitionen erreicht aktuell
        136 Milliarden Euro – trotz des idealen konjunkturellen
        Umfelds, trotz niedriger Zinsen und steigender Steuer-
        einnahmen. Hinzu kommt die äußerst schlechte Perfor-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. September 201619310
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        mance in den letzten Jahrzehnten. Die Kommunen muss-
        ten zwischen 2003 und 2013 deutlich mehr abschreiben,
        als sie investierten. Insgesamt überstiegen in diesem
        Zeitraum die Abschreibungen die Bruttoinvestitionen um
        42 Milliarden Euro.
        Seit Jahrzehnten fallen immer wieder Sanierungen
        und Instandsetzungen dem Rotstift zum Opfer. Deshalb
        ist es nicht überraschend: Der Zerfall öffentlicher Gebäu-
        de und Straßen ist vielerorts unübersehbar, und Investi-
        tionen in Klimaschutz sind nur schwer leistbar. Finanz-
        schwache Kommunen leben auf Kosten ihrer Substanz.
        Das zeigt: Wir brauchen dringend mehr Investitionen vor
        Ort.
        Einen Investitionsfonds für finanzschwache Kommu-
        nen aufzulegen war ein Schritt in die richtige Richtung.
        Auch die nun vorliegende Verlängerung des Fonds ist
        sinnvoll. So können die Projekte in Ruhe durchgeführt
        werden. Das tragen wir mit. Angesichts eines kommu-
        nalen Investitionsstaus in Höhe von 137 Milliarden Euro
        ist ein Fondsvolumen von 3,5 Milliarden Euro allerdings
        nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.
        Wir brauchen viel mehr Investitionen gerade in finanz-
        schwachen Kommunen. Denn diese sind die Leidtragen-
        den des kommunalen Investitionsstaus. Kommunen mit
        einer vergleichsweise guten Gesamtfinanzsituation kön-
        nen aktuell besonders viel investieren. Diese Disparitäten
        sind der Hauptgrund, warum der Investitionsstau nicht
        zurückgeht. So konnten 2015 Kommunen in westdeut-
        schen Ländern nur halb so viel investieren wie Kom-
        munen in Süddeutschland. Der Rückstand betrifft auch
        wichtige Zukunftsbereiche und ist so eine hohe Hürde für
        die Entwicklung benachteiligter Kommunen. Die Hälf-
        te des Rückstandes entfällt zu gleichen Teilen auf Ver-
        kehrs- und Schulinfrastruktur. Gerade der Rückstand bei
        der Bildungsinfrastruktur steigt stetig an. Dabei hat sich
        die Anzahl der Kommunen mit einem Stau im Bildungs-
        bereich gar nicht verändert. Die gebeutelten Kommunen
        bleiben also immer weiter zurück und tragen die Haupt-
        last des Nachholbedarfs von circa 34 Milliarden Euro.
        Gerade bei Schulen senden die Städte und Gemeinden
        SOS. Tausende von Schulen ohne Mensen oder Netzar-
        beitsplätze, mit baufälligen Sporthallen oder zugigen
        Klassenräumen, ohne Räume für naturwissenschaftli-
        chen oder handwerklichen Unterricht. Unvorstellbar,
        gerade im Hinblick auf die umfangreichen Aufgaben bei
        der Integration in nächster Zeit. Deshalb, so unsere Idee,
        soll der Bund in einem ersten Schritt ein Sofortprogramm
        allein für marode Schulen auflegen. 10 Milliarden Euro
        möchten wir bereitstellen, da hier vielen Orten das Was-
        ser bis zum Hals steht.
        Auch der Bund ist in der Verantwortung für die Kom-
        munen. Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass
        Städte und Gemeinden wieder in die Zukunft investieren
        können. Die kommunale Investitionshilfe von 3,5 Milli-
        arden Euro ist ein Einstieg. Hier muss mehr getan wer-
        den. Nicht kleckern, sondern klotzen muss es heißen,
        wenn es um Investitionen geht.
        193. Sitzung
        Inhaltsverzeichnis
        TOP 3 Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
        TOP 4 Mietpreispolitik und Mieterschutz
        TOP 5 Flexibilisierung des Übergangs in den Ruhestand
        TOP 27 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
        TOP 28 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
        TOP 6 Vermittlungsausschuss: Erbschaftsteuer
        ZP 2 Aktuelle Stunde zu den Ergebnissen zur Reform der Erbschaftsteuer
        TOP 7 Digitale Verwaltung
        TOP 8 Partizipation und Selbstbestimmung älterer Menschen
        TOP 9 Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung
        TOP 10 Paritätische Beteiligung an Krankenkassenbeiträgen
        TOP 11 Änderung des Luftsicherheitsgesetzes
        TOP 16 Steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen
        TOP 13 Bundeswehreinsatz SEA GUARDIAN im Mittelmeer
        TOP 14 Lobbyismus an Schulen
        TOP 15 Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz
        TOP 17 Elektromagnetische Verträglichkeit
        Anlagen
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8