Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sieherzlich zu unserer Plenarsitzung .Ich rufe zunächst die Tagesordnungspunkte 1 a und1 b auf:a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zu dem Übereinkommen von Paris vom12. Dezember 2015Drucksache 18/9650Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demÜbereinkommen von Paris vom 12. Dezember2015Drucksache 18/9520Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionEine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen . Des-wegen haben wir über die Überweisung zu befinden.Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfeauf den Drucksachen 18/9650 und 18/9520 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .Hat jemand andere Vorschläge? – Diesmal nicht . OderEinwände? – Auch nicht . Dann sind die Überweisungenso beschlossen .Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zurErmittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderungdes Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetz-buch.Hierzu erteile ich das Wort für einen einleitendenfünfminütigen Bericht der zuständigen Bundesministerinfür Arbeit und Soziales, Frau Nahles . Ich bitte die Frak-tionen, soweit erkennbar, mir vielleicht schon einmalgewünschte Nachfragen mitzuteilen, damit wir sie einbisschen vorsortieren können . – Frau Nahles, bitte schön .Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Bundesregierung hat heute den Entwurfdes Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes auf den Weg ge-bracht . Damit setzen wir die Regelbedarfe für das SGB IIund das SGB XII ab 1 . Januar 2017 fest . Die Festsetzungder Regelbedarfe beruht auf der Einkommens- und Ver-brauchsstichprobe aus dem Jahr 2013 . Wichtig ist es mir,hier festzuhalten: Der Entwurf stellt niemanden schlech-ter . Im Gegenteil: Die Beträge für die meisten Bedarfs-stufen steigen an, zum Teil deutlich .Die Methode, die wir bei der Berechnung der Regel-bedarfe anwenden, hat das Bundesverfassungsgerichterst im Jahr 2014 grundsätzlich bestätigt . Die Kritik-punkte des Gerichtes haben wir bei der Neuberechnungberücksichtigt . Das betraf zum einen die Ermittlung derVerbrauchsausgaben für Mobilität und zum anderen dieJugendlichen zugeordneten Ausgaben für alkoholischeGetränke und Tabakwaren sowie weitere Prüfaufträge .Die Regelbedarfe sollen zum 1 . Januar 2017 wiefolgt erhöht werden: Der Regelbedarf für eine alleinste-hende Person steigt ab 1 . Januar 2017 um 5 Euro von404 Euro auf 409 Euro; für Partner in Paarhaushalten um4 Euro von 364 Euro auf 368 Euro . Für Kinder im Altervon 6 bis 13 Jahren steigt der Regelbedarf von bislang270 Euro auf 291 Euro, also eine ordentliche Steigerungum 21 Euro . Bei den unter Sechsjährigen wird die Höhedes bisherigen Regelbedarfes durch eine Besitzstandsre-gelung gesichert .
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Maßgeblich für die Zuordnung in die Regelbedarfs-stufe 1 oder 2 – das ist eine wichtige Neuerung – wird inZukunft sein, ob Personen zusammen mit ihrem Partnerin einer Wohnung leben oder nicht . Das bisherige Merk-mal, nämlich eine „gemeinsame Haushaltsführung“, ent-fällt, um Schwierigkeiten bei der Zuordnung künftig zuvermeiden . Das gilt auch für erwachsene Menschen mitBehinderungen im Haushalt der Eltern, der Freunde oderVerwandten . Künftig gilt für sie dauerhaft die höhere Re-gelbedarfsstufe 1 . Das ist eine wesentliche Verbesserung .Außerdem berücksichtigt der vorliegende Entwurf,dass es den Begriff der „Unterbringung in einer stationä-ren Einrichtung“ für Menschen mit Behinderungen nachVerabschiedung des Bundesteilhabegesetzes, das nochdiese Woche ins Parlament eingebracht wird, ab 2020nicht mehr geben wird .Die neuen Wohnformen, in denen auch Leistungender Eingliederungshilfe erbracht werden, werden wegenihrer Ausstattung mit einem Paarhaushalt vergleichbarsein . Damit gilt für ihre Bewohner Regelbedarfsstufe 2 .Neu und wichtig als Verbesserung haben wir einge-führt, dass Erwerbsunfähige und Ältere im Haushaltnaher Angehöriger künftig auch pauschale Aufwendun-gen für Unterkunft und Heizung erhalten . Diese werdenanerkannt; das war bisher oftmals nicht so . Diese Rege-lung stellt sicher, dass die nahen Angehörigen finanziellnicht belastet werden, da sie für Leistungsberechtigte inder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderunggrundsätzlich kein eigenes Einkommen und Vermögeneinsetzen müssen .Damit die neuen Regelbedarfe zum 1 . Januar 2017 inKraft treten können, muss der Gesetzentwurf nun zügigden Bundestag und den Bundesrat passieren .Vielen Dank .
Die erste Nachfrage geht an den Kollegen Wunderlich .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, bei
den Regelbedarfen haben sich zahlreiche Verbände für
die Einführung eines Unterhaltsmehrbedarfs bei Kindern
getrennt lebender Eltern ausgesprochen . Dieser wurde
bisher nicht berücksichtigt . Was spricht aus Sicht der
Bundesregierung gegen eine Berücksichtigung des spe-
zifischen Bedarfs von Kindern getrennt lebender Eltern?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Aus meiner Sicht ist das eine wünschenswerte Ergän-
zung, und wir sind an dieser Stelle in enger Beratung mit
den Regierungsfraktionen . Das könnte man im Laufe des
parlamentarischen Verfahrens noch klären .
Dagmar Schmidt .
Sehr geehrte Ministerin, es gab bereits bei der letzten
Neuermittlung der Regelbedarfe Kritik auch vonseiten
der SPD . Vielleicht können Sie noch einmal darstellen,
was bei der Neuermittlung der Regelbedarfe in diesem
Jahr im Vergleich zur letzten Ermittlung geändert wurde .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Bei der Neuermittlung der Regelbedarfe wurde grund-
sätzlich die gleiche Vorgehensweise angewendet wie bei
der Bemessung nach der Einkommens- und Verbrauchs-
stichprobe 2008 . Warum? Zunächst wurde damals die-
ses Verfahren kritisiert und dann vor das Bundesverfas-
sungsgericht gebracht, das es im Juli 2014 im Grundsatz
bestätigt hat . Es gibt zwar andere Methoden der Berech-
nung, die man heranziehen könnte, zum Beispiel den Wa-
renkorb, der vor 20 Jahren Grundlage der Berechnung
war . Ich bin aber, ehrlich gesagt, froh, dass wir von die-
sem Verfahren weggekommen sind, weil der Staat mit
imaginären Warenkörben, die er befüllt, am Ende nicht
wirklich besser gefahren ist, als wenn reale Ausgaben zu-
grunde gelegt werden .
Eine wirkliche Änderung und Verbesserung ist ins-
besondere, dass wir das Merkmal der Haushaltsführung
abschaffen . Es hat auch immer wieder für Irritationen
gesorgt – es wurde auch als Schnüffelei betrachtet –,
warum gerade in der Sozialhilfe nachgewiesen werden
musste, ob jemand allein den Haushalt führt oder ob eine
gemeinsame Haushaltsführung vorliegt . Das ist nun eine
massive Veränderung .
Frau Kollegin .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Auch dass die Kosten der Unterkunft in der Weise,
wie ich es eben dargelegt habe, angerechnet werden, ist
eine wesentliche Veränderung gegenüber der bisherigen
Ermittlung .
Es ist halt alles kompliziert . Das ist wahr . – NächsteFrage: Kollege Strengmann-Kuhn .
Vielen Dank . – Es geht um 8 Millionen Menschen, dieGrundsicherungsleistungen beziehen, und das Verfahrenist eigentlich so, dass als Referenzgruppe eine Niedrig-einkommensgruppe betrachtet wird, die selber schon einsehr geringes Einkommen hat . Es ist aber nicht so, wieSie gesagt haben, dass einfach deren Ausgaben genom-men werden, sondern Sie machen es wie beim Waren-korbmodell, dass Sie zusätzliche Sachen herausrechnen .Darunter sind zum Beispiel Zimmerpflanzen, Haustiere,Gartenpflege, der Weihnachtsbaum, ein Handy, der Ba-bysitter bei Schichtdienst, aber auch ein Gaststättenbe-such .Bundesministerin Andrea Nahles
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Wie rechtfertigen Sie diese massive Einschränkungder sozialen und kulturellen Teilhabe gerade bei diesenMenschen mit geringen Einkommen – das ist, wie ge-sagt, ein großer Teil der Bevölkerung –, und trägt daszum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei? Diese Forde-rung trägt ja auch die SPD in Wahlkämpfen und Sonn-tagsreden vor sich her .Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Es gibt eine Unterscheidung, die auch das Bundesver-fassungsgericht bestätigt hat, zwischen den Leistungen,die für das Existenzminimum relevant und erforderlichsind – dabei haben wir allerdings wenig Spielraum, undda gab es auch Kritik an der letzten EVS 2008 und denBerechnungen, die zugrunde gelegt wurden, das hatteich vorgetragen, nämlich in Bezug auf Mobilitätskosten,die wir jetzt mit berücksichtigen –, und den darüber hi-nausgehenden Leistungen . Bei darüber hinausgehendenLeistungen – Sie haben von kulturellen gesprochen – ha-ben wir Spielraum . Die entsprechenden Entscheidungenmüssen von Mal zu Mal getroffen werden . Das rechtfer-tige ich damit, dass ich das, was wir vorschlagen, für an-gemessen und ausgewogen halte .
Die nächste Fragestellerin ist Frau Schimke .
Frau Ministerin, anhand der gestellten Fragen wurde
deutlich, dass das Statistikmodell von vielen kritisiert
und die Warenkorbmethode favorisiert wird . Könnten
Sie vielleicht noch einmal die besonderen Vorteile der
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe darlegen?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Wie schon Herr Strengmann-Kuhn gesagt hat, liegen
den Berechnungen reale Ausgaben zugrunde . Das reale
Ausgabeverhalten von 15 bis 20 Prozent der einkom-
mensschwachen Haushalte bzw . der unteren Einkom-
mensgruppen wird hier zugrunde gelegt . Übrigens wer-
den die Hartz-IV-Bezieher nicht berücksichtigt, damit es
keinen Karusselleffekt nach unten gibt .
Das ist realitätsnäher als ein imaginärer Warenkorb, den
der Staat zusammenstellt . Ich bin in der Sozialpolitik mit
einem solchen Warenkorbmodell groß geworden . Ein
solches Modell gab es noch zu Beginn meiner sozialpo-
litischen Tätigkeit . Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Der
Streit war immer sehr groß, beispielsweise darüber, ob
die Ausgaben für eine halbe Kinokarte berücksichtigt
werden sollten oder nicht . Wie Sie aber sehen, können
wir solche Auseinandersetzungen auch mit der jetzigen
Methode nicht völlig auflösen. Die grundlegende Auf-
gabe ist, die Existenz zu sichern und bis zu einem be-
stimmten Grad eine kulturelle Teilhabe zu ermöglichen .
Es lohnt sich jedenfalls, das Ganze immer wieder zu
überprüfen . Das haben wir auch gemacht, bevor wir die
nun zur Diskussion stehenden Änderungen vorgenom-
men haben .
Frau Kipping, bitte .
Frau Ministerin, als das letzte Mal die Hartz-IV-Re-
gelsätze neu berechnet wurden, waren Sie noch in der
Opposition . Das passierte damals unter Ursula von der
Leyen . Sie haben im Jahr 2010 gegenüber der Rheini-
schen Post und anderen Zeitungen gesagt, das sei künst-
lich heruntergerechnet . Nun haben Sie als Ministerin
dieselben Parameter zugrunde gelegt . Warum handelt es
sich jetzt nicht um ein künstliches Herunterrechnen des
Hartz-IV-Regelsatzes?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Wir haben intensiv geprüft und festgestellt – genauso
wie damals das Bundesverfassungsgericht –, dass insbe-
sondere Mobilitätskosten nicht in ausreichendem Um-
fang sowie Ausgaben für Tabak- und Alkoholkonsum für
Jugendliche in zu hohem Umfang berücksichtigt werden .
Das haben wir jetzt korrigiert . Darüber hinaus ist wich-
tig – ich betone das –, dass nun die KdU, die bei nahen
Verwandten angefallen sind, berücksichtigt werden . Ich
kann also guten Gewissens sagen, dass wir das, was aus
unserer Sicht begründbar ist, einbeziehen . Wir rechnen
nichts herunter . Was wir tun, hat Hand und Fuß .
Frau Kolbe .
Sehr verehrte Frau Ministerin, es gibt noch einen Kri-
tikpunkt betreffend die Bemessungsgrundlage . Es wird
darauf hingewiesen, dass sich in der Referenzgruppe
auch Menschen befinden, die eigentlich Ansprüche auf
Sozialleistungen haben, Stichwort „verdeckte Armut“ .
Was entgegnen Sie dieser Kritik?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Das haben wir sehr intensiv geprüft . Das war einer der
Prüfaufträge, die das Bundesverfassungsgericht ange-
mahnt hatte . Ich halte das für eine wichtige Frage . Aber
ich muss leider zugeben, dass wir dies nicht befriedigend
lösen können, weil es uns nicht gelungen ist, herauszu-
finden, wie viel verdeckte Armut es wirklich gibt. Die
hier herrschende Unsicherheit ist so erheblich, dass wir
nicht zu Schätzungen mit einer gewissen Substanz kom-
men konnten . Die hieran geäußerte Kritik kann ich leider
nicht völlig ausräumen . Es gibt verdeckte Armut . Aber
wir können sie methodisch nicht erfassen und daher kei-
ne entsprechenden Einschätzungen vornehmen . Wie der
Name schon sagt: verdeckte Armut .
Frau Brantner .Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Sie haben gerade auf die Frage von Herrn Wunderlichgeantwortet, dass Sie als Regierung die Einführung einesAnspruchs auf Umgangsmehrbedarf als sehr positiv be-trachten . Frau Schwesig hatte dies schon am 4 . Mai 2016angekündigt . Das Parlament könnte es ja einbringen .Trotzdem würde ich gerne verstehen: Warum ist es dennbisher von Ihnen noch nicht gekommen, wenn Sie alle eseigentlich richtig finden? Wo liegen denn die Probleme?Warum ist es noch nicht Teil Ihrer Vorlage?Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Wir diskutieren darüber mit den Regierungsfrakti-onen, und hoffentlich gibt es da bald eine Einigung .Es gab ja einen Vorlauf dergestalt, dass in der Öffent-lichkeit Behauptungen umgingen, dass wir hier – wasüberhaupt nicht stimmt – eine Leistungskürzung vor-nehmen würden . Wir wollten hier lediglich – basierendauf einem Bundessozialgerichtsurteil – im sogenanntenSGB-II-Rechtsvereinfachungsgesetz eine Klarstellungvornehmen . Dabei ist dann eben auch herausgekommen,dass es durchaus berechtigte Gründe gibt, diesen Mehr-bedarf anders zu behandeln, als wir es bisher gemachthaben . Ich bin zuversichtlich, dass wir das noch zu einempositiven Abschluss bringen werden .
Matthäus Strebl .
Frau Ministerin, meine Frage geht auch in diese Rich-
tung: Wie wir ja wissen, hat das Bundesverfassungsge-
richt vorgegeben, dass der Gesetzgeber dafür Sorge zu
tragen hat, dass erkennbare Risiken einer Unterdeckung
existenzsichernder Bedarfe im Einzelfall vermieden wer-
den müssen . Meine Frage an Sie: Wie wird dieser Forde-
rung nachgekommen?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Das ist etwas, wo es in der Praxis tatsächlich immer
wieder erhebliche Bedarfe gibt . Wir haben hier, wie ich
finde, im SGB II eine angemessene Darlehenslösung, und
zwar sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen für die Be-
antragung von Darlehen zur Überbrückung schwieriger
Situationen als auch hinsichtlich der sehr großzügigen
Rückzahlungsmodalitäten . Das ist für die Betroffenen,
glaube ich, bewältigbar ausgestaltet worden . Damit ver-
suchen wir, das jetzt in den Griff zu kriegen . Ich glaube,
das funktioniert auch . Insoweit hoffe ich, dass wir das
auch in einigen Jahren in der Rückbetrachtung so bilan-
zieren können .
Frau Müller-Gemmeke .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Sehr geehrte Frau
Ministerin, ist es richtig, dass beim Regelsatz für Kin-
der und Jugendliche beispielsweise Kosten für Malstifte,
einen Regenschirm oder Handys nicht vorgesehen sind?
Und ist es auch richtig, dass es kein Geld dafür gibt, da-
mit Kinder im Sommer beispielsweise mit Freundinnen
einmal ein Eis essen gehen können? Wenn das so stimmt,
sind Sie dann der Auffassung, dass damit das Existenz-
minimum und die gesellschaftliche Teilhabe gesichert
sind?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Nun, das alles ist richtig, und Sie wissen das auch . Sie
knüpfen die Frage daran an: Ist das gerechtfertigt? Ich
muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Es gibt ganz viele Leu-
te, die in Arbeit sind und wenig Einkommen – vielleicht
den Mindestlohn – haben . Auch diese müssen da abwä-
gen und können auch nur eingeschränkt Teilhabe wahr-
nehmen . Ich denke, das ist deswegen ein grundsätzliches
Problem .
Wir haben versucht, im Rahmen des Bildungs- und
Teilhabepaketes gerade junge Leute in Bezug auf Schul-
ausflüge, Mittagessen und anderes zu unterstützen. Auch
Nachhilfe wird mittlerweile in diesem Bereich finanziert.
Das alles sind unsere Maßnahmen, um genau die Teilha-
be, von der Sie reden, auch zu ermöglichen . Aber natür-
lich hat das auch Grenzen .
Es ist nicht schön, wenn ich Folgendes sagen muss:
Das hat nicht nur Grenzen, weil der Finanzminister viel-
leicht zu wenig Geld hat, sondern weil es natürlich auch
um eine Relation geht . Es geht um die Relation zwischen
denen, die wir im Rahmen des SGB-II- und SGB-XII-Re-
gelkreises unterstützen, und denen, die für ihren Lebens-
unterhalt arbeiten und vielleicht keine hohen Löhne bzw .
Einkommen haben .
Genau diese Gruppe von Menschen ist ebenfalls in ihren
Möglichkeiten eingeschränkt . Sie mögen das anders se-
hen, aber es ist meine feste Überzeugung, dass wir auch
das insgesamt betrachten müssen .
Kollege Paschke .
Frau Ministerin, das Bundesverfassungsgericht hatauf die Notwendigkeit einer laufenden Überprüfungder Höhe der Regelbedarfe bei außergewöhnlich hohenPreissteigerungen hingewiesen . Das spielte ja eine Zeitlang in Bezug auf das Thema Stromkosten eine Rolle .Wie wurde dem im Entwurf Rechnung getragen?
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Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Das BMAS teilt die Auffassung, dass der Gesetzgeberganz klar verfassungsrechtlich verpflichtet ist, zu raschenAnpassungen zu kommen, wenn es extreme Preisent-wicklungen gibt . Diese sind in der Vergangenheit haupt-sächlich im Zusammenhang mit Stromkosten aufgetreten .Das Statistische Bundesamt stellt uns deswegen nicht nureinmal jährlich eine Übersicht über die Veränderungenbei dieser relevanten Personengruppe zur Verfügung –das wäre ein ziemlich langer Zeitraum –, sondern – daskann ich Ihnen versichern – das Statistische Bundesamtlegt uns monatlich Daten über diese Entwicklung vor, dieuns zur Verfügung stehen . Wir könnten deswegen unmit-telbar darauf reagieren .Es ergibt sich aus meiner Sicht keine Notwendigkeit,das gesondert zu regeln . Vielmehr können wir aufgrunddes sehr intensiven monatlichen Monitorings sicher-stellen, dass wir gegebenenfalls intervenieren . Die guteNachricht ist: Aufgrund der sehr verhaltenen Preisdyna-mik hat es solche Fälle in den letzten Jahren nicht gege-ben . Wir erwarten sie auch nicht für dieses oder nächstesJahr .
Frau Kollegin Haßelmann .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, es
klingt schon irgendwie zynisch, was die Grenze bei den
Malstiften und dem Adventsschmuck angeht, muss ich
Ihnen ehrlich sagen .
Es ist schwer zu verstehen, wie Sie die natürliche Grenze
begründen .
Meine Frage betrifft aber ein anderes Thema . Im mo-
natlichen Regelbedarf sind 3 Euro für die Anschaffung
von Kühlschränken und Waschmaschinen vorgesehen .
Jeder und jede von uns kann sich vorstellen, wie lange
man 3 Euro pro Monat ansparen muss, wenn man ein
einigermaßen energiesparendes Gerät kaufen will . Ich
befürchte, dass Sie mir die gleiche Antwort mit dem Hin-
weis auf das Lohnabstandsgebot geben wie gerade mei-
ner Kollegin zu den Malstiften . Dennoch meine Frage:
Sind Sie der Auffassung, dass es realistisch ist, mit dem
Ansparen von 3 Euro monatlich zu einer Waschmaschi-
ne, die einigermaßen modernen Energiestandards ent-
spricht, zu kommen? Was halten Sie von dem Vorschlag,
weiße Ware auf Antrag als einmalige Leistung beziehen
zu können und aus dem Regelsatz herauszunehmen?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Es gibt sicherlich viele ähnliche Beispiele . Würde man
das aufgreifen, würde das jedoch eine andere Systematik
nach sich ziehen . Wenn man das alles summiert, kommt
man am Ende doch wieder zu einem Waren korbmodell .
Darüber kann man diskutieren . Aber wenn Sie die ver-
schiedenen Waren, die Sie jetzt, durchaus plausibel, auf-
zählen, aus dem Regelsatz herausnehmen wollen, dann
ist das am Ende ein Warenkorbmodell .
Wir haben eine andere Herangehensweise . Man kann
über die Grundlagen streiten, und das haben wir auch
bis hin zum Bundesverfassungsgericht gemacht . Solan-
ge wir aber bei unserer Systematik bleiben – mit die-
sem Entwurf tun wir das –, ist der Bedarf erst einmal
abgedeckt . Das Ansparen ist mit den 3 Euro möglich .
Wenn das nicht geht, greift die Darlehensregelung, die
ich Ihnen eben dargelegt habe, womit Sonderbedarfe so
abgedeckt werden können, dass die Leute sie im Rahmen
ihrer Möglichkeiten finanzieren können. Im Übrigen ist
Ehrlichkeit nicht zynisch .
Frau Lezius .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Sehr geehrte Frau Mi-
nisterin, mit den Regelbedarfen wird ein Teil des sozio-
kulturellen Existenzminimums festgelegt . Dieser Bedarf
kann, wie wir gehört haben, auf unterschiedliche Weise
ermittelt werden . Das Bundesverfassungsgericht – das
haben Sie eben erklärt – hat kritisiert, dass durch die
Nichtberücksichtigung von Haushalten mit Kfz-Kosten
der Mobilitätsbedarf nur unzureichend abgebildet wird .
Mobilität sei aber zur Teilhabe an der Gesellschaft beson-
ders wichtig . Werden nunmehr Kfz-Kosten beim Mobili-
tätsbedarf berücksichtigt?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Das war nicht ganz präzise . Das Bundesverfassungs-
gericht hat nicht die Entscheidung kritisiert, Kfz-Kos-
ten nicht im Regelbedarf zu berücksichtigen . Das hat es
erst einmal akzeptiert . Wenn man das aber tue, was wir
gemacht haben, müsse berücksichtigt werden, dass der
Mobilitätsbedarf von Personen, die Kfz-Kosten hatten,
bei bloßer Nichtberücksichtigung statistisch unterfasst
bleibe . Das ist genau das, was ich immer mit Mobilitäts-
kosten beschreibe, bezüglich derer kritisiert wurde, dass
wir diese nicht ausreichend berücksichtigen .
Was haben wir jetzt gemacht? Wir haben uns mit
Fachleuten beraten . Dann haben wir gesagt: Wir be-
rücksichtigen bei den Regelbedarfen die ermittelten Ver-
brauchsausgaben im ÖPNV, und diese sind jetzt hier mit
eingeflossen.
Kollege Wunderlich .
Vielen Dank . – Ich muss jetzt eins sagen: Frau Minis-terin, Sie haben vorhin vorgetragen, der Hartz-IV-Regel-satz für Kinder in der Altersgruppe 6 bis 13 Jahre sol-le von 270 Euro auf 291 Euro angehoben werden, undbehauptet, dies sei ein richtig dicker Batzen . Ich meine,das ist der Beweis dafür, dass jahrelang unterfinanziertworden ist und dass das Existenzminimum dieser Alters-
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gruppe eben nicht bedarfsgerecht abgedeckt worden ist .Nur so viel dazu .Sie sprachen gerade das Bildungs- und Teilhabepa-ket an . Nach wie vor wird da nichts dynamisiert . Es gibtein schwieriges Antragsverfahren . Bleiben Sie dabei,dass der Regelbedarf für Schulmaterial 100 Euro proSchuljahr beträgt, obwohl eine aktuelle Studie des Sozi-alwissenschaftlichen Instituts der EKD besagt, es seienmindestens 150 Euro pro Schuljahr nötig? Das heißt, da-durch werden trotz eines Bildungs-und Teilhabepaketesdie Bildungs- und Startchancen für das Leben weiterhinverschlechtert .Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Ja, dabei bleiben wir .
Frau Verlinden .
Frau Ministerin, aus einer Studie zum Stromver-
brauch, die im Jahr 2015 erstellt wurde, geht hervor, dass
bei den Vergleichshaushalten der monatlich im Regel-
satz fehlende Betrag für Strom abhängig von der Größe
eines Haushalts zwischen 5 und 11 Euro liegt . Da der
Regelsatz nur um 5 Euro angehoben wurde im Vergleich
zu 2011, liegt womöglich eine Unterdeckung vor . Wie
wollen Sie sicherstellen, dass es in Zukunft trotz dieser
Diskrepanz – 5 Euro bis 11 Euro monatliche Unterde-
ckung bei den Stromkosten, je nach Haushaltsgröße; Sie
haben mit 5 Euro gerechnet – zu keiner Bedarfsunterde-
ckung kommen wird, zumal es ja für Menschen, die im
SGB-II-Bezug sind, gar nicht so einfach ist, ihren Strom-
anbieter zu wechseln? Es gibt zum Teil Tarife, die sehr
viel günstiger sind, womit man die Stromkosten redu-
zieren könnte; dennoch ist es aufgrund von Schufa-Ein-
trägen oder anderem für manche Menschen gar nicht so
einfach, den Stromanbieter zu wechseln . Deswegen ist
es sehr wichtig, zu schauen, dass die Grundversorgertari-
fe mit dem übereinstimmen, was Sie den Menschen mit
dem Regelsatz zur Verfügung stellen .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Es wird hier immer wieder der Eindruck erweckt, als
ob wir im Bundesarbeitsministerium die Regelsätze zu-
sammenwürfelten . Das ist aber nicht der Fall . Wenn Sie
behaupten, wir hätten 5 Euro für Stromkosten angesetzt,
obwohl eigentlich bis zu 11 Euro angemessen wären,
dann ist das nicht korrekt . Wir haben hier die realen Aus-
gaben der einkommensschwachen Haushalte zugrunde
gelegt, und diese Ausgaben haben wir uns nicht ausge-
dacht . Deswegen bestreite ich erst einmal, dass es diese
Diskrepanz in dieser Form gibt .
Wir haben in den Gesetzentwurf Mechanismen einge-
baut, durch die zum Beispiel abgestellt wird, dass es an
einer Stelle eine Lücke gibt, nämlich dass KdU-Kosten
nicht übernommen werden, wenn jemand bei nahen Ver-
wandten lebt . Die Kritik, die es am bisherigen Zustand
gab, akzeptiere ich, und wir haben daraus die Konse-
quenzen gezogen . Aber grundsätzlich kann ich dem, was
Sie sagen, nicht folgen .
Interessant ist – das will ich gerne mitnehmen; wir
werden gerne noch einmal überlegen, was wir da tun
können – die mit dem Wechsel zu einem günstigeren An-
bieter verbundene Problematik . Die ist mir bekannt . Ich
finde Ihren Hinweis darauf erst einmal richtig. Ich würde
gerne schauen, ob es dafür nicht eine vernünftige Lösung
gibt, weil das ja eigentlich nicht in unser aller Interesse
sein kann .
Für die Zuhörer sollten wir vielleicht deutlich machen,
dass mit „KdU“ kein Sportverein, sondern „Kosten der
Unterkunft“ gemeint sind .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Natürlich . Entschuldigung .
Herr Kollege Kurth .
Frau Ministerin, Sie haben gerade auf die Frage der
Kollegin Britta Haßelmann, ob es nicht sinnvoll sei,
hochpreisigere Gebrauchsgüter als Pauschalleistung zu
bewilligen, geantwortet, das sei eine Abkehr vom Sta-
tistikmodell und eine Rückkehr zum Warenkorbmodell .
Meiner Auffassung nach ist es eher eine Differenzierung
des Statistikmodells, dass man bei umrissenen und genau
bestimmbaren Einzelgruppen – hier handelt es sich im
Wesentlichen ja um Kühlschränke und Herde, also um
sogenannte weiße Ware – sehr wohl in sehr engem Rah-
men entsprechend vorgehen kann, weil es ja erkennbar
realitätsfremd ist, 3 Euro im Monat für den Kauf einer
Waschmaschine anzusparen . Selbst wenn man ein Ge-
brauchtgerät kaufen möchte, müsste man dann drei oder
vier Jahre lang sparen .
Sie wollen die Unterdeckung über Darlehen kom-
pensieren . Ist Ihnen bekannt, wie hoch der Verwaltungs-
aufwand für Darlehen ist, die Hartz-IV-Beziehende mit
5 Euro im Monat über viele Monate tilgen müssen? Steht
dieser Verwaltungsaufwand nicht in einem großen Miss-
verhältnis zu der ausgereichten Leistung? Wäre es nicht
schon allein aufgrund dieses Verwaltungsaufwandes für
die Darlehen angezeigt, eine klare Lösung im Sinne einer
Pauschalierung zu finden?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Mir liegen dazu keine Erkenntnisse vor . Es ist aber
eine interessante Frage . Der gehe ich einmal nach .
Letzte Frage zu diesem Sachbereich von KolleginMüller-Gemmeke .
Jörn Wunderlich
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– Mir wurde ein weiterer Fragewunsch nicht signalisiert .
– Ach, Frau Kipping . Ich habe Sie anstelle vom KollegenWunderlich gestrichen . Aber Sie bekommen natürlichnoch das Wort .
– Offenkundig .
Man braucht nur das drohende Ende einer Debatte anzu-kündigen – schon kommen die Wortmeldungen wie Pilzeaus dem Boden geschossen .Bitte schön, Frau Müller-Gemmeke .
Vielen Dank . – Ich muss auf die Ausführungen zu-rückkommen, die Sie auf meine letzte Frage hin ge-macht haben; „Regelsätze für Kinder und Jugendliche“,„Malstifte“ waren die Stichworte . Diese Ausführungenhaben mich sehr irritiert; denn es geht momentan bei derRegelsatzberechnung ganz klar darum, dass das Exis-tenzminimum gesichert sein muss, und dazu gehört defi-nitiv auch die gesellschaftliche Teilhabe .Das Bundesverfassungsgericht hat sehr eindeutiggesagt, dass bei der Berechnung das Lohnabstandsge-bot – wie hoch ist der Regelsatz, und wie viel verdienenbeispielsweise Niedrigverdienende in Deutschland? –überhaupt keine Rolle spielen darf . Trotzdem habe ich,wenn ich Sie so reden höre, das Gefühl, dass Sie dieMenschen, die niedrige Einkommen beziehen, und dieMenschen, die momentan keine Arbeit haben, also er-werbslos und auf Leistungen angewiesen sind, gegenei-nander ausspielen . Sie müssten doch aber auf der einenSeite das Existenzminimum sichern und auf der anderenSeite genügend Maßnahmen auf den Weg bringen, dassdie Menschen, die Arbeit haben, davon tatsächlich auchleben können . Gegeneinander ausspielen, das geht garnicht .Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Ihnen ist bekannt, dass ich den Mindestlohn hier alsMinisterin durchgesetzt habe – gegen nicht ganz uner-hebliche Widerstände an einigen Stellen . Ich glaube, dabrauche ich keine Aufklärung . Ich kann leider auch IhreIrritation jetzt nicht auflösen.
Kollege Zech .
Herr Präsident! Frau Ministerin, wir erleben gerade,
dass wir bei der Ermittlung von Regelsätzen eine sehr
komplexe Vorgehensweise haben; bei jedem Komma
neigt man zu Diskussionen . Könnten Sie uns – neben
einzelnen Regelsätzen – vielleicht noch kurz erläutern,
was sich durch den Entwurf noch verändert, welche Neu-
erungen Sie noch vorsehen?
Vielen Dank .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Wichtig scheint mir auch Folgendes zu sein: Bisher
hatten wir die Situation, dass für Menschen mit Behinde-
rungen, die meist bei ihren Eltern oder Verwandten leben,
keine Gleichbehandlung vorgesehen war . Wir behandeln
sie jetzt in den Regelbedarfsstufen gleich; sie werden wie
alle anderen behandelt. Das, finde ich, ist ein wichtiger
Schritt, der übrigens auch von vielen Behindertenverbän-
den und den Kirchen seit Jahren gefordert wurde . Wir
hatten eine Übergangsregelung, und diese wird jetzt auf
Dauer gelten . Darüber bin ich sehr froh . Das ist eine wei-
tere Verbesserung im jetzigen Entwurf .
Frau Kipping .
Frau Nahles, Sie haben selber ausgeführt: Bei derErmittlung der Hartz-IV-Regelsätze sind die Ausgabender ärmeren Haushalte zugrunde gelegt worden . DieseMethode nennt sich „Statistikmodell“, und sie birgt eineGefahr: Wenn den ärmeren Haushalten, also den ärmeren15 Prozent, das Geld für wirklich wichtige Dinge fehlt,finden wir uns in einer Verarmungsspirale wieder, weilvon deren Ausgaben die Regelsätze abgeleitet werden .Ich will das an zwei Beispielen aus der aktuellen Statis-tik illustrieren:Jugendliche über 15 Jahre haben nach dem Statistik-modell im Monat durchschnittlich 22 Cent für Bildungs-wesen ausgegeben – 22 Cent für Bildungswesen! Dasist doch ein Ausdruck dafür, dass den Familien das Geldfehlt, um ihren Kindern auch mal irgendeinen Kurs zufinanzieren.Erwachsene haben rund 26 Euro für die Benutzungvon Bus und Bahn ausgegeben . In welcher Stadt kannman dafür, bitte schön, eine Monatskarte kaufen? Auchdas ist ein Ausdruck dafür, dass Geld für Wichtiges fehlt .Vor diesem Hintergrund meine Frage: Wäre es nichtsinnvoll, das Statistikmodell wenigstens mit einer ArtBedarfs-TÜV zu kombinieren?Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Was Sie jetzt genau unter „Bedarfs-TÜV“ verstehen,kann ich nicht nachvollziehen . Ich möchte Ihnen aller-dings sagen, dass ich die Verantwortung für bezahlbareSchülertickets – und solche Angebote halte ich für not-wendig – nicht alleine auf der Bundesebene sehe . Ich habePräsident Dr. Norbert Lammert
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mit großer Irritation gesehen, dass bezahlbare Sozialti-ckets und Schülertickets in den letzten Jahren nicht mehrso weit verbreitet waren wie zu meiner Schülerzeit . Ichkann und muss an dieser Stelle sehr deutlich dazu auffor-dern, dass man sich auf der kommunalen Ebene wiederverstärkt darum kümmert . Da müssen auch die Ländergegebenenfalls unterstützen . Wir können diese Hilfen fürdie Familien im unteren Einkommensbereich – genausowie für diejenigen, die auf Unterstützung durch SGB IIoder SGB XII angewiesen sind – zum Großteil auf derBundesebene stemmen; da sehen wir uns auch voll in derVerantwortung . Aber es ist nicht allein unsere Aufgabe .Insoweit haben Sie an dem Punkt meiner Meinung nachein indirektes Plädoyer für die Sozialtickets gehalten .Ansonsten werden wir uns heute, glaube ich, nichtmehr einig über die Grundlagen der Berechnung . Dasheißt aber nicht, dass wir im Laufe der anstehenden par-lamentarischen Beratungen nicht noch aufeinander zuge-hen können . – Vielen Dank .
Kollege Strengmann-Kuhn .
Vielen Dank für die Möglichkeit, noch einmal nach-
zufragen . – Vorgaben zur Bedarfsprüfung waren übri-
gens im letzten Urteil des Bundesverfassungsgerichts
mit enthalten; dabei sind die Mobilitätskosten und auch
die Stromkosten explizit erwähnt worden . Das hätte man
also eigentlich machen müssen .
Aber ich wollte zu einem anderen Punkt noch einmal
nachfragen, und zwar zu den Zirkelschlüssen . Sie ha-
ben eben selbst gesagt, dass eigentlich vermieden wer-
den sollte, dass man die Berechnung der Regelsätze an
Leuten orientiert, die selber Hartz IV beziehen . Die ver-
deckten Armen sind schon angesprochen worden . Auch
als Wissenschaftler, der sich damit beschäftigt hat, wür-
de ich sagen: Das, was Sie gesagt haben, stimmt nicht;
man kann sie durchaus herausfiltern. Auch das, was Sie
im Zusammenhang mit den Hartz-IV-Empfängern ge-
sagt haben, ist nicht ganz richtig; denn es sind nicht alle
Hartz-IV-Beziehenden herausgerechnet worden, –
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Die Aufstocker nicht .
– die sogenannten Aufstocker nicht . Zumindest die-
jenigen mit geringem Einkommen bis zu 100 Euro – die
100 Euro sind eigentlich nur dazu da, die Zusatzkosten
für die Erwerbstätigkeit abzudecken – müsste man ei-
gentlich herausrechnen . Ebenfalls nicht herausgerechnet
sind Menschen, die BAföG-Leistungen, die in der Regel
niedriger als Hartz-IV-Leistungen sind, beziehen . Das
heißt, in der Referenzgruppe sind einige Gruppen, –
Herr Kollege, Sie wollten eine Frage stellen .
– die auf Hartz-IV-Niveau sind oder sogar darunter
liegende Einkommen haben . Das müsste man doch we-
nigstens beseitigen . Oder?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Das haben wir jetzt nicht gemacht .
Frau Kipping noch einmal zur Verdeutlichung des in-
zwischen wahrgenommenen Unterschieds zum Kollegen
Wunderlich .
Vielen Dank; ich bin ganz gerührt . – Frau Nahles,
Sie haben angedeutet, dass man noch aufeinander zu-
gehen kann . Ich will mal einen Paragrafen des Referen-
tenentwurfes – den Kabinettsentwurf konnten wir noch
nicht sehen –, nämlich § 9, herausgreifen . Dieser sieht
vor, dass Kindern, die in der Schule ein Mittagsessen
bekommen, und Menschen mit Behinderungen, die in
Werkstätten arbeiten und in der Kantine ein Mittagessen
bekommen, pro Essen vom ohnehin niedrigen Satz noch
mal 1 Euro abgezogen wird . Das heißt doch, dass ein oh-
nehin niedriger Regelsatz im Monat zusätzlich um über
20 Euro gekürzt wird . Die Frage ist: Müssen Sie wirklich
bei Menschen, die so wenig haben, so kleinlich sein, und
kann dieser Paragraf nicht einfach herausfliegen aus die-
sem Gesetzentwurf?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Wir subventionieren sehr häufig Mittagessen, die
dann teilweise kostenlos sind, mit öffentlichen Mitteln;
das heißt, dieses Geld wird durch die Gemeinschaft der
Beitragszahler und Steuerzahler gestellt . Von daher ist
eine Doppelfinanzierung an dieser Stelle sicherlich auch
fragwürdig .
Natürlich können Sie an diesem Punkt auch Klein-
lichkeit unterstellen . Ich muss aber ehrlich sagen: Sys-
tematisch ist das begründet . Aus meiner Sicht wäre eine
doppelte Belastung derjenigen, die das mit niedrigem
Einkommen finanzieren müssen, ebenfalls ein Problem.
Von daher weiß ich nicht, ob wir an dem Punkt zusam-
menkommen können .
Nun schließe ich die Fragen zu diesem heutigen The-ma der Kabinettssitzung ab, mit Dank an die Ministe-rin . – Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigenKabinettssitzung? – Herr Kollege Wunderlich und dannFrau Werner .Bundesministerin Andrea Nahles
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Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine Frage passt the-
matisch: Nach jahrelangem Ringen hat der Vorsitzende
der SPD gesagt: Wir wollen die Zahlung des Unterhalts-
vorschusses bis zum 18 . Lebensjahr des Kindes verlän-
gern . Frau Familienministerin Schwesig hat das am vor-
letzten Freitag im Familienausschuss ebenfalls gefordert .
Hier im Plenum ist der letzte Antrag mit der Begründung
abgelehnt worden, es sei ein richtiger Antrag, es seien
nur nicht die finanziellen Mittel vorhanden. Finanzminis-
ter Schäuble hat nun gesagt, angesichts der erwirtschafte-
ten Milliarden seien Spielräume vorhanden . Meine Fra-
ge: War das Thema „Zahlung des Unterhaltsvorschusses
bis zum 18 . Lebensjahr des Kindes“ auch Gegenstand der
Kabinettssitzung? Damit könnten viele Familien aus dem
Hartz-IV-Bezug geholt werden, was zu Einsparungen in
Ihrem Haushaltstitel führen würde .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Nein, war es nicht .
Frau Kollegin Werner .
Wie Sie sich sicherlich denken können, geht es bei
meiner Frage um das Bundesteilhabegesetz . Sie spra-
chen gerade von erheblichem Widerstand . Haben Sie
etwas durchgesetzt? Im Moment sieht es so aus, als ob
gegen den erheblichen Widerstand vieler Verbände etwas
durchgesetzt wird, zumindest wenn es keine erheblichen
Nachbesserungen geben wird . Mich interessiert, ob das
Bundesteilhabegesetz aufgrund der Empfehlungen des
Bundesrates bzw . der Ausschüsse Thema der Kabinetts-
sitzung war . Es wurde der Bundesregierung vorgewor-
fen, die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag nicht
eingehalten zu haben . So heißt es in den Empfehlungen:
… dass die Zusagen des Bundes auch beinhalteten,
dass aus dem Bundesteilhabegesetz keine zusätzli-
chen Ausgaben für Länder und Kommunen erwach-
sen dürfen und die Reform einen Beitrag dazu leis-
tet, . . .
Dann heißt es weiter:
Diese Ziele werden mit dem vorliegenden Gesetz-
entwurf klar verfehlt . Denn der Gesetzentwurf geht
nicht von einer finanziellen Entlastung, sondern von
einer Belastung . . . aus .
Wenn Sie in der Kabinettssitzung nicht darüber ge-
sprochen haben, würde mich interessieren, ob Ihr Haus
und das Haus des Finanzministers im Rahmen der Haus-
haltsberatungen weitere Gespräche führen werden . Sie
kommen auch aus Rheinland-Pfalz . Kommunaler Ent-
schuldungsfonds und Schuldenbremse dürften auch Ih-
nen ein Begriff sein .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Wir bringen morgen das Bundesteilhabegesetz hier im
Parlament ein . Dann besteht sicherlich ausreichend Zeit,
dies zu diskutieren . Wir haben zusätzliche Mittel von bis
zu 700 Millionen Euro bis zum Jahr 2020 im Haushalt
ausgewiesen, um das, was wir an Mehrbedarfen durch
das Gesetz auslösen, auszugleichen . Das heißt, es gibt
sehr wohl eine Finanzierung des Gesetzes . Darüber hi-
naus beraten wir natürlich mit den Ländern über ihre
Stellungnahme . Sehr auffällig ist – das will ich Ihnen
nicht verhehlen –, dass die Länder zwar vieles unterstüt-
zen, aber sagen, dass der Bund es bezahlen soll . Das ist
natürlich ein altes Spiel . Darüber müssen wir noch reden .
Aber ich kann sagen, dass das, was wir in diesem Gesetz
als Leistungsverbesserung haben, durch zusätzliche Mit-
tel durch den Bundeshaushalt abgedeckt wird .
Herr Ströbele, ich habe Ihren Namen notiert, hatte
aber den Eindruck, dass Sie nicht zur Kabinettssitzung
eine Frage stellen möchten, sondern zum Thema „sons-
tige Fragen an die Bundesregierung“ . Wie ist das bei Ih-
nen, Frau Hänsel?
– Zum Kabinett, bitte schön .
Danke schön, Herr Präsident . – War heute das Abstim-
mungsverhalten der Bundesregierung bezüglich CETA
Thema im Kabinett? Es gab auch von Ihrer Partei eine
Entscheidung dazu . Hat sich die Bundesregierung darauf
geeinigt, dass es nicht zu einer vorläufigen Anwendung
von CETA seitens der Bundesregierung kommt?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Das stand heute nicht auf der Tagesordnung . Mögli-
cherweise wird dies auf einer der nächsten Sitzungen be-
handelt . Das kann ich Ihnen aber jetzt nicht sagen .
Dann rufe ich sonstige Fragen an die Bundesregierungauf .Herr Kollege Ströbele .
Danke, Herr Präsident . – Sie haben mich richtig ver-standen, ohne dass wir geredet haben . Das war schoneinmal gut .Ich habe eine Frage an die Bundesregierung und be-dauere, dass Herr Minister Altmaier nicht bleiben konn-te . Herr Fritsche, wird ihn wahrscheinlich gut vertretenkönnen . Die Frage lautet: Für welche Bundesministerienund sonstige Bundesbehörden leistet der Bundesnach-richtendienst in Deutschland Kurierdienste? Auf welcher
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Auftragsgrundlage geschieht so etwas? Handelt es sichdabei um die im Untersuchungsausschuss bekannte Ta-sche, die auf dem Wege von Bonn nach Berlin zum Bei-spiel eine Woche und länger transportiert wird?
Ich ahne, Frau Nahles, dass das die Frage ist, auf die
Sie schon den ganzen Tag gewartet haben .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Ich muss zugeben: Ich kann die Frage nicht beantwor-
ten . Ich bitte, das zu entschuldigen . Aber vielleicht kann
Herr Fritsche das tatsächlich übernehmen .
Gut . – Sie sind offenkundig auch damit einverstanden,
dass Herr Fritsche das beantwortet . – Bitte schön .
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Ströbele, die Frage kann ich be-
antworten . Es ist tatsächlich so, wie es in den Medien
geschrieben ist . Ich glaube, auch heute in der Bundes-
pressekonferenz ist dazu gefragt worden . Insofern danke
ich Ihnen für die Frage in diesem Rahmen . Es ist richtig,
dass der Bundesnachrichtendienst einen Kurierdienst hat .
Weil der Bundesnachrichtendienst eine geheim arbeiten-
de Organisation ist und deswegen auch mit Verschluss-
sachen arbeitet und weil er innerhalb Deutschlands meh-
rere Außenstellen hat, hat er einen flächendeckenden
Kurierdienst, über den solche Verschlusssachen trans-
portiert werden .
Es ist genauso richtig, dass auch andere Behörden, die
keinen solchen Kurierdienst haben, aber ebenfalls Ver-
schlusssachen haben, ab und zu den Bundesnachrichten-
dienst bitten, auf seinen normalen Kurierwegen solches
eingestuftes Material zu transportieren . Das halte ich in
diesen Zeiten, in denen auch auf Ressourcen geachtet
wird, für ganz normal .
Bevor solche Behörden eigene Kurierdienste mit VS-er-
mächtigten Personen einrichten, ist es, glaube ich, besser,
auf den vorhandenen Kurierdienst des Bundesnachrich-
tendienstes zurückzugreifen .
Was die Transportdauer von einer Woche anbelangt,
ist Folgendes zu sagen: Wenn die Behörden sagen, dass
es sehr eilig ist, etwas zum Beispiel von Bonn nach Ber-
lin zu transportieren – das kommt ab und zu vor –, dann
geht das auch schnell . Wenn es aber nicht sehr eilig ist, ist
es im Normalfall so, dass es über die Zentrale in Pullach
läuft, und dann kann es bis zu einer Woche dauern .
Womit sich die Nachfrage erledigt, Herr Ströbele, ob
man für das Austeilen von Wahlkampfpost vielleicht auf
den Kurierdienst zurückgreifen könnte . Das wäre dann
sicherlich zu spät .
Frau Haßelmann .
Frau Nahles, ich frage dann gleich Herrn Fritsche, weil
sich meine Frage auf das gleiche Thema bezieht . – Herr
Fritsche, auf welcher Rechtsgrundlage wird denn der von
Ihnen als selbstverständlich dargestellte Kurierdienst ge-
nutzt? Beim BND handelt es sich um einen Auslands-
geheimdienst, und wir reden hier über Bundesbehörden .
Wir reden also über sehr grundsätzliche rechtsstaatliche
Dinge, die aus gutem Grund voneinander getrennt sind .
Von daher finde ich, man sollte es eigentlich nicht so la-
pidar darstellen, wie Sie es gerade getan haben, dass man
da so einen Kurier bestellt, wie ich es vielleicht in mei-
nem Büro mit Fahrradkurieren mache .
Der zweite Punkt ist: Finden Sie es nicht verwun-
derlich, dass solch ein Kurierdienst mit Dingen, die als
Streng Geheim eingestuft sind, erst mal von Bonn nach
Pullach fährt, um dann vier Tage bis nach Berlin unter-
wegs zu sein?
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Um gleich auf Ihre zweite Frage einzugehen: Das hal-te ich nicht für verwunderlich; denn der Kurierdienst desBundesnachrichtendienstes wird einfach genutzt, weildort ermächtigte Kuriere vorhanden sind . Das halte ichfür ganz normal .Zum ersten Punkt . Da wundere ich mich schon einbisschen über die Frage . Sie weisen hier darauf hin, dasses einen Unterschied zwischen dem Inlandsnachrich-tendienst und dem Auslandsnachrichtendienst gibt . Dasbestreitet kein Mensch . Aber auch der Auslandsnachrich-tendienst ist mit seinen Liegenschaften nicht irgendwoim Ausland untergebracht, sondern in der Bundesrepu-blik Deutschland, weil er hier für die Sicherheit der Bür-gerinnen und Bürger tätig ist .
Deswegen muss er diese Fahrten auch zwischen den hiertätigen Außenstellen des Bundesnachrichtendienstes undder Zentrale durchführen .
Als Rechtsgrundlage gilt ganz normal die VSA desBundesministeriums des Innern, in der festgelegt ist, wieUnterlagen einzustufen sind, von VS-NfD, also nur fürden Dienstgebrauch, bis zu Streng Geheim . Das ist dieHans-Christian Ströbele
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entscheidende Grundlage für die Einstufung der Unter-lagen .Eine Rechtsgrundlage dafür, dass es hier im Wegeder Amtshilfe Unterstützung für andere Behörden gebenmuss, gibt es außer den allgemeinen Amtshilfevorschrif-ten im Verwaltungsverfahrensgesetz nicht, und ich seheauch keine Notwendigkeit für weitere Vorschriften .
Weitere Nachfragen sehe ich nicht . – Doch . Bitte
schön, Frau Künast .
Danke . – Ob das Verwaltungsverfahrensgesetz vor-
sieht, im Wege der Amtshilfe solche Regelfälle zu kon-
struieren, das können wir an anderer Stelle und zu einem
anderen Zeitpunkt noch rechtlich klären, Herr Fritsche .
Ich wundere mich auch – so wie Sie sich wundern –,
nur aus anderen Gründen . Ich habe heute von Ihnen ge-
hört, dass die Nutzung des Kurierdienstes quasi Teil der
Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist . Sie ha-
ben gesagt: Er ist da, also wird er mitgenutzt . – So hat-
te ich mir Nachhaltigkeit immer vorgestellt, aber zu der
darin enthaltenen Instinktlosigkeit, dass ein Auslands-
geheimdienst Kurier im Inland wird, dazu ist mir bisher
nichts eingefallen .
Dazu haben auch Sie nichts gesagt; wobei ich das von
Ihnen persönlich auch fast nicht erwartet hätte .
Meine Frage lautet: Wie wird denn, wenn die Kurie-
re entsprechende Unterlagen in ihrem Besitz haben und
diese ein paar Tage in Pullach gelagert werden, die Si-
cherheit gewährleistet? Was ist Ihr Sicherheitskonzept?
Werden die Unterlagen aus anderen Behörden und Mi-
nisterien in einem Extraraum gesichert, der abgeschlos-
sen ist und Ähnliches? Man muss sich ja die Frage stel-
len, ob der Bundesnachrichtendienst nicht neugierig ist
und einen Blick hineinwirft .
Aber eben alles in einer Minute, Frau Künast . Bitte
schön, Herr Fritsche .
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Herr Präsident . – Frau Abgeordnete, zunächst
muss ich die Unterstellung zurückweisen, dass der Bun-
desnachrichtendienst Unterlagen, die er nur transportiert
und die für seine Tätigkeit nicht notwendig sind, öffnet .
Im Übrigen kann ich nur Ja sagen zu dem, was Sie un-
terstellt haben, nämlich dass es Geheimarchive gibt, in
denen diese Unterlagen aufbewahrt werden . Sie können
nicht zusammen mit offenen Unterlagen gelagert werden .
Beim Transport gilt das sogenannte Vieraugenprinzip,
das heißt, dass zwei Personen die Unterlagen transpor-
tieren müssen . Das alles ist der VSA des Bundesinnen-
ministeriums zu entnehmen . Deswegen ist das ein ganz
normaler Fall .
Eine Nachfrage lasse ich noch zu, dann ist es für heute
aber auch gut .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Das ist sehr freundlich, Herr Präsident . Danke schön
dafür . – Ich habe eine ganz kurze Frage zu den Akten,
die durch Deutschland gekarrt und hin- und hergescho-
ben werden: Sind auch Unterlagen betroffen, die für den
NSA-Untersuchungsausschuss eine Rolle spielen?
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dazu kann ich aus dem Stand heraus nichts sagen . Ich
gehe davon aus, dass alle Akten infrage kommen können,
also auch Akten für den Untersuchungsausschuss, näm-
lich dann, wenn sie durch Kuriere von einer Außenstelle
nach Berlin transportiert werden müssen .
Ich schließe die Befragung der Bundesregierung .
– Nein . Auf jede Antwort kommt immer eine weitere Fra-ge . Ich denke, wir haben uns in Bezug auf das Themajetzt hinreichend sortiert, um es für weitere politische Be-wertungen zugänglich zu machen . Jeder kann dann seinejeweiligen Präferenzen zum Ausdruck bringen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:FragestundeDrucksache 18/9642Die Fragen werden, wie immer, in der vorher bekannt-gegebenen Reihenfolge der Ressorts aufgerufen .Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-aktorsicherheit . Der Kollege Florian Pronold steht alsParlamentarischer Staatssekretär zur Beantwortung zurVerfügung .Ich rufe zunächst die Frage 1 des Kollegen ChristianKühn auf:Wann legt das Bundesministerium für Umwelt, Natur-schutz, Bau und Reaktorsicherheit einen Gesetzentwurf zumBaugesetzbuch vor, der die Privilegierung von großen Tier-mastanlagen im Außenbereich von Städten und Gemeindeneindämmt?Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche
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Fl
Wir arbeiten derzeit im Umwelt- und Bauministerium
an einem Entwurf. Er befindet sich in unserem Haus in
der Schlussabstimmung . Es ist beabsichtigt, die Abstim-
mung innerhalb der Bundesregierung so zügig wie mög-
lich einzuleiten .
Zusatzfrage?
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ja . – Danke, Herr Staatssekretär Pronold . Meine Zu-
satzfrage lautet: Gab es schon Gespräche zwischen den
Ressorts über den Gesetzentwurf, und können Sie die
Eckpunkte des Gesetzentwurfs kurz skizzieren?
Fl
Eine Ressortabstimmung wurde bisher noch nicht
eingeleitet . Es wird eine Frühkoordinierung durch das
Kanzleramt geben . Es gibt eine Reaktion aus dem sehr
stark betroffenen Landwirtschaftsministerium . Das
Landwirtschaftsministerium wartet aber erst einmal un-
sere konkreten Vorschläge ab .
Im Kern geht es bei diesem Gesetzentwurf darum,
den Kommunen mit Blick auf große Tiermastanlagen
im Außenbereich von Städten und Gemeinden mehr
Handlungsmöglichkeiten zu geben . Ab einer bestimmten
Größenordnung soll die Privilegierung wegfallen . Denn
für die Privilegierung kommt es bislang nicht darauf an,
ob das Futter für die Tiere in den Großmastanlagen tat-
sächlich auf den dafür vorgesehenen Flächen angebaut
wird . Wir müssen feststellen, dass die auf den für den
Anbau von Futtermitteln vorgesehenen Flächen ange-
bauten Pflanzen häufig zur Energieproduktion verwendet
werden und das Futter anderweitig zugeliefert wird . Uns
geht es darum, den Kommunen mehr Handlungsmög-
lichkeiten zu geben, damit sie auf Großmastanlagen, die
in der Bevölkerung auf vielfältige Kritik stoßen, besser
mit bauordnungsrechtlichen und anderen Möglichkeiten
reagieren können .
Weitere Zusatzfrage?
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ja, danke . – Herr Pronold, meine zweite Zusatzfra-
ge bezieht sich auf die Gründe für die Gesetzesnovelle .
Wir haben in Deutschland eine sehr intensive Landwirt-
schaft, die mit hohen Umwelt- und Klimafolgenkosten
verbunden ist . Könnten Sie darstellen, warum dieser Ge-
setzentwurf aus Sicht des Umweltministeriums auch zur
Klimastrategie der Bundesregierung und zu einer Stra-
tegie zur Reduzierung der Umweltfolgenkosten passt?
Könnten Sie ferner darstellen, welchen Effekt Sie sich
von dieser Gesetzesnovelle beispielsweise hinsichtlich
der Nitratbelastung erhoffen?
Fl
Die Nitratbelastung, die Sie in Ihrer Frage angespro-
chen haben, beispielsweise die Nitratbelastung von Ge-
wässern, ist primär ein Thema der Düngemittelverord-
nung, die jetzt parallel beraten wird . Aber natürlich hat
auch die Intensivtierhaltung in Deutschland Auswirkun-
gen auf das Klima, weil entsprechende Gase produziert
werden . Diese Gase würden aber bei gleichbleibendem
Fleischkonsum sonst woanders produziert . Deshalb ist
dieser Gesetzentwurf nicht primär unter klimapolitischen
Gesichtspunkten zu betrachten – das ist nicht die primäre
Zielsetzung –, vielmehr wollen wir die Massentierhal-
tung stärker als bisher regulieren, weil dies von einer
breiten Öffentlichkeit gewünscht wird und die Massen-
tierhaltung auch unter ethischen Gesichtspunkten große
Probleme aufwirft .
Kollege Meiwald .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Pronold, noch
eine kurze Nachfrage dazu: Es steht ja sowieso eine No-
vellierung des Baugesetzbuches an . Können wir damit
rechnen, dass diese Regelungen in diese Novelle Einzug
halten werden, oder wird es eine spezielle, auf die Agrar-
struktur ausgerichtete Novelle oder Ergänzung zum Bau-
gesetzbuch geben?
Fl
Wir sind nach langen Beratungen gerade bei der Ab-
stimmung der Novelle zum Baugesetzbuch . Ihr liegt, wie
wir das beim Baugesetzbuch immer machen, auch ein
Planspiel zugrunde, um die Auswirkungen abschätzen zu
können . Nach meiner Einschätzung wird es nicht mög-
lich sein, diese Aspekte in diese Novellierung des Bauge-
setzbuchs einzubeziehen, weil auch wasserrechtliche und
andere Vorschriften betroffen sind .
Die Frage 2 des Kollegen Ostendorff wird schriftlichbeantwortet . Damit sind wir mit diesem Geschäftsbe-reich durch .Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung auf . Der Kollege Thomas Silberhorn steht für dieBeantwortung zur Verfügung .Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Kekeritz auf:Welche Position vertrat die Bundesregierung zu dem aufdem informellen Treffen der Entwicklungsminister disku-tierten Vorschlag der Europäischen Kommission, Gelder ausdem europäischen Instrument für Stabilität und Frieden
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kel 41 Absatz 2 des Lissabon-Vertrags in Einklang zu bringen,der explizit festschreibt, dass „Maßnahmen mit militärischenoder verteidigungspolitischen Bezügen“ nicht mit Mitteln ausdem EU-Haushalt finanzierbar sind?Th
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kollege Kekeritz,
die Bundesregierung unterstützt es grundsätzlich, dass
die Europäische Kommission damit beginnt, den Auftrag
des Europäischen Rates vom Juni 2015 umzusetzen . Die
Initiative „capacity building in support of security and
development“, also Kapazitätsaufbau zur Förderung von
Sicherheit und Entwicklung, wird von allen Mitglied-
staaten unterstützt . Sie soll nach Vorstellung der Kom-
mission in einem ersten Schritt auch mit solchen Maß-
nahmen umgesetzt werden, die über das Instrument für
Stabilität und Frieden finanziert werden können. Dabei
handelt es sich um einen wichtigen Beitrag zur Herstel-
lung von Sicherheit . Das ist eine Grundvoraussetzung für
Entwicklung .
Zur Einschränkung des Artikels 41 Absatz 2 des
EU-Vertrages liegt eine Einschätzung des Juristischen
Dienstes des Rates vor . Danach bezieht sich diese Ein-
schränkung nur auf militärische Operationen der Eu-
ropäischen Union im engeren Sinn . Mit der Initiative
„Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und
Entwicklung“ sollen aber nicht solche militärischen Ope-
rationen der EU finanziert werden, sondern langfristige
Maßnahmen zum Kapazitätsaufbau bei den Strukturen
in den Partnerländern . Diese Maßnahmen sollen mittel-
oder unmittelbar entwicklungsförderlich sein .
Sie haben das Wort zur Nachfrage .
Danke schön . – Danke, Herr Staatssekretär . Wir haben
ja den Lissabon-Vertrag . Im Lissabon-Vertrag ist eindeu-
tig definiert, dass Entwicklungspolitik der Armutsredu-
zierung dient . Im Lissabon-Vertrag steht auch, dass keine
militärischen oder sicherheitspolitischen Maßnahmen
aus diesem Bereich finanziert werden können. Ich weiß,
es gibt das Argument, dass es ohne Sicherheit keine Ent-
wicklung gibt . Aber ich kann Ihnen auch sagen: Ohne
Entwicklung gibt es keine Sicherheit .
Deswegen ist meine Frage: Kann diese Bundesregie-
rung ausschließen, dass es zu einem Paradigmenwech-
sel kommt? Ich möchte noch einmal darauf hinweisen,
dass im Lissabon-Vertrag ganz bewusst darauf abgezielt
worden ist, militärische und sicherheitspolitische Maß-
nahmen aus diesem Fonds auszunehmen, um sicherzu-
stellen, dass Sicherheitsmaßnahmen eben nicht aus dem
Entwicklungsetat finanziert werden, sondern aus ande-
ren . Können Sie ausschließen, dass es zu einem Paradig-
menwechsel kommt?
Th
Zur Interpretation des Lissabon-Vertrages habe ich
gerade vorgetragen und auf die Einschätzung des Juris-
tischen Dienstes des Rates verwiesen . Danach sind mili-
tärische Operationen der EU im engeren Sinne von Arti-
kel 41 Absatz 2 umfasst . Darum geht es aber vorliegend
nicht .
Die Kommission hat bisher allerdings keinen konkre-
ten Finanzierungsvorschlag vorgelegt, sondern sie ver-
weist auf die Rubrik 4 des EU-Haushaltes . Diese bezieht
sich auf alle Instrumente des Außenhandelns der Europä-
ischen Union . Das schließt nicht nur entwicklungspoliti-
sche, sondern auch nicht entwicklungspolitische Instru-
mente mit ein, also beispielsweise den Haushalt für die
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Heran-
führungshilfe oder die europäische Nachbarschaftsiniti-
ative und eben auch die europäische Initiative zur Zu-
sammenarbeit . Die Bundesregierung prüft derzeit noch,
welche Finanzierungsquellen sie bevorzugen würde .
Diese Debatte läuft auch in der Europäischen Union .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Danke schön . – Meine Frage zielte darauf ab, in-
wieweit Sie sicherstellen können, dass es nicht zu ei-
ner Schwerpunktverlagerung kommt . Wenn ich sehe,
dass 60 Millionen Euro und damit fast ein Drittel des
Finanztopfs für flexible und schnelle Maßnahmen zur
Krisenreaktion vorgesehen sind und bereits für das Ma-
nagement von Migration und Grenzschutz in der Türkei
über 30 Prozent verwendet werden, dann frage ich mich:
Wie stellt die EU bzw . die Bundesregierung sicher, dass
für zivile Friedensförderung tatsächlich noch genügend
Mittel zur Verfügung stehen?
Th
Wir setzen uns mit Nachdruck dafür ein, dass ge-
nügend Mittel für zivile Friedensförderung zur Verfü-
gung stehen . In der Tat legen wir Wert darauf, dass der
Schwerpunkt bei diesen Maßnahmen liegt . Seit letzter
Woche, seit 15 . September, liegt ein neuer Textvorschlag
der Rats präsidentschaft zu einer Änderungsverordnung
vor, der vorsieht, dass die ursprüngliche Ausweitung der
Zweckbestimmung des Instrumentes für Stabilität und
Frieden reduziert wird . Dieser Vorschlag wird in den
Gremien der Europäischen Union und in der Bundesre-
gierung gerade geprüft .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Hänseldas Wort .Präsident Dr. Norbert Lammert
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(D)
Danke schön . – Herr Staatssekretär, hinsichtlich Ihrer
Interpretation bzw . der rechtlichen Interpretation des Ra-
tes bezüglich der Verwendung von Entwicklungsgeldern
frage ich: Können Sie damit ausschließen, dass zukünftig
für Kampfeinsätze von afrikanischen Staaten, afrikani-
schen Militärs Entwicklungsgelder, direkt oder indirekt,
verwendet werden?
Th
Ich will nochmals darauf hinweisen, dass sich die In-
terpretation des Juristischen Dienstes des Rates auf den
EU-Vertrag bezieht . Bei der Frage der Finanzierungsin-
strumente – das habe ich eben schon erläutert – hat
sich die Kommission bisher nur auf die Rubrik 4 des
EU-Haushaltes bezogen, die alle Instrumente des Au-
ßenhandelns der Europäischen Union beinhaltet, sowohl
entwicklungspolitische als auch nicht entwicklungspoli-
tische .
Das Instrument für Stabilität und Frieden, das hier in
der Diskussion steht, ist, so wie es konstruiert ist, kein ex-
klusiv entwicklungspolitisches Instrument; ich bitte, das
mit zu bedenken . Es ist auch nicht an die OECD-Regeln
im Hinblick auf ODA, Official Development Assistance,
gebunden . Die Federführung für dieses Instrument liegt
beim Auswärtigen Amt; insofern wird es grundsätzlich
entwicklungspolitische wie nicht entwicklungspolitische
Maßnahmen umfassen können .
Wir kommen damit zur Frage 4 des Kollegen Uwe
Kekeritz:
Mit welchen europäischen und nordafrikanischen Part-
nern ist die Forderung von Bundesentwicklungsminister
Dr . Gerd Müller nach der Wiederbelebung der Mittelmeer-
Initiative nach den Vorstellungen des Bundesministers mit
den anderen außenpolitischen Instrumenten der Europäischen
Union, wie den EU-Kooperationspartnerschaften und der Eu-
ropäischen Nachbarschaftspolitik, verzahnt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Th
Die Bundesregierung bringt sich aktiv in die Arbeit
der Union für den Mittelmeerraum ein . Bundesminister
Dr . Gerd Müller hat Überlegungen zur Weiterentwick-
lung der Union für den Mittelmeerraum angestellt und
dazu jüngst Gespräche mit der Europäischen Kommis-
sion und mit Frankreich geführt . Die überarbeitete Eu-
ropäische Nachbarschaftspolitik weist der Union für den
Mittelmeerraum bereits eine zentrale Rolle als regiona-
ler Komponente zu, und sie sieht schon eine Vertiefung
der Zusammenarbeit vor . Unsere Überlegungen schlie-
ßen daran an . Sie zielen darauf ab, die wirtschaftliche
Zusammenarbeit und insbesondere die Beschäftigungs-
förderung zu stärken . Vor kurzem hat die Union für den
Mittelmeerraum beispielsweise ein regionales Vorhaben
zur Jugendbeschäftigung auf den Weg gebracht, das im
Auftrag unseres Ministeriums durchgeführt wird .
Sie haben das Wort zur Nachfrage .
Danke schön . – Ihrer Antwort entnehme ich, dass Herr
Müller das Thema tatsächlich breit abgesprochen hat:
im Kabinett, mit dem Außenministerium, auch mit dem
Kanzleramt oder der Kanzlerin . Wenn das so ist, freue
ich mich . Ich frage mich allerdings trotzdem, was denn
die Hauptzielrichtung dieser Mittelmeerunion sein soll .
Sie sprachen gerade von Beschäftigungsinitiativen . Aber
zurzeit diskutieren wir doch ganz viel die Fluchtproble-
matik . Geht es in diesem Bündnis um politische Integra-
tion, oder wird hier nicht doch schwerpunktmäßig ange-
strebt, die Flüchtlingsströme zu kontrollieren, zu lenken
oder zu reduzieren? Meine Frage ist natürlich auch, wie
das in Anbetracht des Krieges in Syrien, der Auseinan-
dersetzungen in Libyen und des israelisch-palästinensi-
schen Konflikts zu bewerten ist.
Th
Die Union für den Mittelmeerraum wurde bereits im
Jahr 2008 auf Initiative des französischen Präsidenten
Sarkozy ins Leben gerufen . Der Union für den Mittel-
meerraum gehören alle Mittelmeeranrainerstaaten an;
es sind 43 Staaten, darunter auch sämtliche Mittelmeer-
anrainer der Europäischen Union . Es gehören ebenfalls
Jordanien und Mauretanien dazu . Die Mitgliedschaft Sy-
riens ist derzeit suspendiert .
Die Union für den Mittelmeerraum verfügt allerdings
nicht über eigene Projektmittel . Wir setzen uns dafür ein,
die vorhandenen Strukturen zu stärken und zu nutzen,
um die Mittelmeerländer zu stabilisieren, und über neue
wirtschaftliche Perspektiven, insbesondere für junge
Menschen, zu reden . Zu diesem Zweck wird Ende dieses
Monats, am 26 . und 27 . September, eine Ministerkonfe-
renz der Union für den Mittelmeerraum stattfinden. Es
treffen sich die Minister für Beschäftigung und Arbeit .
Es werden also sowohl das Bundesministerium für Ar-
beit und Soziales als auch das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in en-
ger Koordination an diesem Ministertreffen teilnehmen .
Dort werden wir den nächsten Schritt unternehmen, um
Jugendbeschäftigung und berufliche Ausbildung im Mit-
telmeerraum zu fördern und zu stärken .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Danke schön . – Das verwundert mich etwas . Ich binja freudig überrascht, dass diese Mittelmeerunion seit2008 besteht . Ich weiß, dass es diese Initiative gab . Aberich weiß auch, wie die Reaktion der Kanzlerin war, diehttp://www.zeit.de/news/2016-09/12/deutschland-entwicklungsminister-mueller-will-mittelmeerunion-der-eu-wiederbeleben-12145203http://www.zeit.de/news/2016-09/12/deutschland-entwicklungsminister-mueller-will-mittelmeerunion-der-eu-wiederbeleben-12145203http://www.zeit.de/news/2016-09/12/deutschland-entwicklungsminister-mueller-will-mittelmeerunion-der-eu-wiederbeleben-12145203
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damals sagte, dass dies Spannungskräfte in Europa er-zeugen würde, die sogar den Zerfall Europas provozierenkönnten . Wenn diese Union jetzt doch schon mit Lebenerfüllt ist, frage ich mich natürlich, warum wir davon nieetwas mitbekommen haben . Aber das ist ein anderes The-ma . – Für mich wäre jetzt mehr die Frage interessant:Welche Rolle soll denn die Türkei in diesem Bündnisspielen?Th
Die Türkei ist Mitglied dieser Union für den Mittel-
meerraum wie viele andere Staaten auch . Ich möchte
darauf hinweisen, dass auch die Parlamentarier eng ein-
gebunden sind . Es gibt eine Euromediterrane Parlamenta-
rische Versammlung, der auch Mitglieder des Deutschen
Bundestages angehören, und wir würden es sehr begrü-
ßen, wenn auch die Abgeordneten dieses Hauses sich da-
ran beteiligen würden, den Mittelmeerraum zu stärken .
Wir wissen, es gibt eine große Heterogenität unter den
Mittelmeeranliegerstaaten, insbesondere in Nordafrika .
Es ist dringend notwendig, dass wir die Zusammenarbeit
verstärken und vertiefen .
– Sehr gerne .
Wir sind damit am Ende der Fragen zum Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung . – Herzlichen Dank,
Herr Staatssekretär .
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-
lerin und des Bundeskanzleramts . Zur Beantwortung
steht der Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche zur Verfü-
gung .
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele zu Gesamtkosten der geplanten Veranstaltungen
des Bundesnachrichtendienstes anlässlich des Oktober-
fests 2016 auf:
Welche Auskünfte gibt die Bundesregierung über die Ge-
samtkosten der durch das KBI in dessen letztem Schwarz-
geplanten Veranstaltungen des Bundesnachrichtendienstes
anlässlich des Oktoberfests 2016 (vor allem für Be-
wirtung, Fahrgeschäfte, Betreuung, Beherbergung und Trans-
port, einschließlich der Kosten der teilnehmenden anderen
Geheimdienste, differenziert nach Mitarbeitern des BND und
anderer Nachrichtendienste), und wie rechtfertigt die Bundes-
regierung gegebenenfalls eine Geheimhaltung der Antwort als
Verschlusssache wegen nachteiliger Auswirkungen auf die In-
ner Veranstaltungen erfragt werden?
Bitte .
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, vielen Dank . – Sehr geehrter Herr
Abgeordneter Ströbele, die Beantwortung der Frage kann
nicht offen erfolgen, weil diese Informationen Ausgaben
betreffen, deren Bewirtschaftung der Gesetzgeber in
§ 10a der Bundeshaushaltsordnung geheim zu haltenden
Wirtschaftsplänen zugewiesen hat . Weitere Auskünfte
werden daher als Verschlusssache gemäß der Allgemei-
nen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des
Innern zum materiellen und organisatorischen Schutz
von Verschlusssachen mit dem Geheimhaltungsgrad
„VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft und Ihnen
gesondert übermittelt .
Der Kollege Ströbele hat die Möglichkeit zur ersten
offenen Nachfrage .
Danke, Frau Präsidentin . – Ich hatte diese Antwort
nach den früheren Antworten auf solche Nachfragen be-
fürchtet . Aber, Herr Staatssekretär, ich habe ja nicht nach
den Teilnehmern gefragt; ich habe auch nicht nach den
Umständen gefragt, wie diese – so nenne ich es einmal
salopp – „Sause“ im Einzelnen stattfindet, die der Bun-
desnachrichtendienst für befreundete Dienste auf dem
Oktoberfest veranstaltet: ob da auch Lederhosen ausge-
geben werden, damit sie zünftig begangen werden kann .
Das habe ich Sie jetzt nicht gefragt, sondern ich habe Sie
nur nach der reinen Zahl gefragt . Der Bund der Steuer-
zahler hat diese Ausgaben in der Vergangenheit erheblich
kritisiert . Können Sie mir wenigstens sagen: In welcher
Größenordnung bewegen sich die Ausgaben des Bun-
desnachrichtendienstes aus Steuermitteln für eine solche
Sause mit befreundeten Geheimdiensten auf dem Okto-
berfest?
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Ströbele, die von Ihnen so bezeich-nete Sause und die Zahlen dazu sind Teil des Wirtschafts-plans, und der ist Geheim eingestuft . Der Gesetzgeberselbst hat das im § 10a der Bundeshaushaltsordnung sovorgesehen . Eine Diskussion dazu gibt es in den dafürvorgesehenen, geheim tagenden Gremien, nämlich demVertrauensgremium und dem PKGr, dem Sie selbst an-gehören .Ich möchte auch noch auf das eingehen, wovon Siebehaupten, dass es der Bund der Steuerzahler gesagt hat .Ich habe mir die Stelle auch durchgelesen . Der Bund derSteuerzahler sagt, dass er die Kosten nicht kritisiert unddass er sie für vertretbar hält . Vielmehr kritisiert er, dassUwe Kekeritzhttp://www.schwarzbuch.de/content/oans-zwoa-drei-gsuffa-schlapphute-auf-dem-oktoberfesthttp://www.schwarzbuch.de/content/oans-zwoa-drei-gsuffa-schlapphute-auf-dem-oktoberfest
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das Ganze geheim gehalten wird, und fordert Transpa-renz .
Nur: Das ist eine Forderung, die an den Gesetzgeber zurichten ist . Denn die Bundeshaushaltsordnung ist nuneinmal so, und daran muss sich die Bundesregierung hal-ten .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Ich will den Versuch trotzdem noch einmal unter-
nehmen . Sie beziehen sich auch in der Antwort auf eine
frühere Frage von mir, die das gleiche Thema für die
vergangenen Jahre betroffen hat, darauf, dass es Auswir-
kungen auf die Interessen der Bundesrepublik Deutsch-
land haben könnte . Meinen Sie nicht, Herr Staatssekretär,
dass es im Interesse der Bundesregierung und der Bun-
desrepublik Deutschland liegt, auch der Öffentlichkeit
mitzuteilen, wie hoch die Summe ist, ob es nun 5 000
oder 50 000 Euro sind, dass Sie wenigstens sagen, ob es
eine fünfstellige oder höherstellige Zahl ist? Denn diese
Veranstaltung hat ja ein bisschen Hautgout .
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bestreite, dass diese Veranstaltung einen Hautgout
hat; denn solche Veranstaltungen werden ja nicht nur von
deutschen Diensten oder Organisationen – es handelt
sich ja nicht nur um Nachrichtendienste – veranstaltet,
sondern zum Beispiel auch von ausländischen Nachrich-
tendiensten, die dann auch Vertreter des Bundesnachrich-
tendienstes einladen . Solche Veranstaltungen gehören
auch zur Pflege der Partnerschaft.
Was Ihre Frage angeht, ob ich nicht eine fünfstelli-
ge, sechsstellige oder sonstige Zahl nennen kann, muss
ich noch einmal darauf verweisen, dass der Gesetzgeber
selbst uns das versagt hat .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Künast das Wort .
Herr Fritsche, angesichts Ihrer Antwort frage ich mich
fast, wie viele Geheimagenten und Geheimdienstmitar-
beiter von inländischen und ausländischen Diensten, wie
Sie gesagt haben, denn nun auf dem Oktoberfest sind und
ob es dort leer aussähe, wenn sie alle nicht mehr da wä-
ren .
Das lässt sich hier aber wahrscheinlich nicht klären, weil
Sie auch keinen Zugang zu diesen Informationen haben .
Aber: Sie haben jetzt die Chance, eine etwas spal-
tungsirre Situation aufzulösen: Die Geheimdienstmit-
arbeiter gehen aufs Oktoberfest und sind dort zu sehen .
Wenn ich dort also mit einer Kamera langlaufen und je-
manden erkennen würde – oder Herr Ströbele oder sonst
wer –, dann könnte ich dort Fotos machen . Das ist ja ein
öffentliches Fest, und man zahlt teilweise Eintritt . – Es
kann doch nicht sein, dass man auf der einen Seite auf
ein öffentliches Fest geht, während auf der anderen Seite
die Tatsache, wie viel Bier man getrunken hat, und die
Summe, die dahinter steht, geheim sind . Das ist eine ab-
surde Situation .
Herr Fritsche, Sie haben hier jetzt die Chance, nicht
nur zu sagen, dass eine Änderung der Vorschrift dem
Haushaltsgesetzgeber obliegt, sondern auch auszudrü-
cken, dass Sie sich als Geheimdienstkoordinator vom
Haushaltsgesetzgeber wünschen, dass diese Zahlen frei-
gegeben werden können .
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zum Ersten: Frau Abgeordnete Künast, ich gehe da-
von aus, dass der Haushaltsgesetzgeber Gründe dafür
hatte, den § 10a der Bundeshaushaltsordnung so zu for-
mulieren, wie er ihn formuliert hat, und dass diese Grün-
de wohlerwogen sind . Ich kann mir auch eine Fülle von
Gründen vorstellen, warum es bei Nachrichtendiensten
im internationalen Bereich eben nicht üblich ist, irgend-
etwas zu den einzelnen Zahlen und Summen der Haus-
halte zu sagen .
Zum Zweiten, zu Ihrer Bemerkung, dass die Mitarbei-
ter des Bundesnachrichtendienstes oder anderer Nach-
richtendienste dort offen sitzen: Es ist ja nicht so, dass es
den Mitarbeitern deutscher Nachrichtendienste und auch
ausländischer Nachrichtendienste untersagt worden ist,
sich in der Öffentlichkeit zeigen . Sie treten ja auch nicht
mit dem Schild „Hier sitzt der Bundesnachrichtendienst“
auf .
Von daher halte ich das für durchaus üblich und für
eine internationale Gepflogenheit, und ich verweise noch
einmal auf den Bund der Steuerzahler, der gesagt hat,
dass er diese Kosten für vertretbar hält, und nur die Ge-
heimhaltung, die der Gesetzgeber bestimmt hat, rügt .
Danke, Herr Staatssekretär . – Die Frage 6 des Abge-ordneten Andrej Hunko zu dem gleichen Gegenstand sollschriftlich beantwortet werden .Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Wirtschaft und Energie . Zur Be-antwortung steht die Parlamentarische StaatssekretärinBrigitte Zypries zur Verfügung .Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhlauf:Jeweils wann genau gab es seit derAntwort der Bundesregierung vom 6 . Juli 2016 auf meinemündliche Frage 54, Plenarprotokoll 18/182, Gespräche derBundesregierung – insbesondere seitens des Bundeskanz-leramtes, Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
, Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit und Bundesministeriums der Finan-zen – mit Vertretern der Atomkraftwerke betreibenden Ener-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche
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gieversorgungsunternehmen im Zusammenhang mit einerUmsetzung der Empfehlungen der Kommission zur Überprü-fung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs vom
welche dieser Gespräche wurde ein Vermerk oder Ähnlicheserstellt?Bitte, Frau Staatssekretärin .B
Sehr geehrte Frau Kollegin, natürlich hat die Bun-
desregierung Kontakte zu einer Vielzahl von Unterneh-
men . Sie werden aber, wie Sie sich denken können und
wahrscheinlich auch wissen, nicht systematisch erfasst .
Deswegen ist es uns auch nicht möglich, Ihnen eine lü-
ckenlose Aufstellung von sämtlichen Kommunikations-
vorgängen einschließlich der Gesprächsinhalte zu geben .
Ich werde Ihnen jetzt gleich ein paar Termine nennen,
aber ich kann nicht ausschließen, dass es neben diesen
Terminen aus dem Leitungsbereich der Ministerien, die
wir recherchiert haben, noch andere Zusammentreffen
am Rande von irgendwelchen Veranstaltungen oder Ähn-
lichem gab . Das mag auch der Fall gewesen sein .
Nach dem 6 . Juli dieses Jahres gab es folgende Ter-
mine bzw . Gespräche mit Vertretern der Kernkraftwerke
betreibenden Energieversorgungsunternehmen im Zu-
sammenhang mit der Umsetzung der Empfehlungen der
KFK, die wir recherchiert haben:
Der Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesmi-
nister für besondere Aufgaben hat am 15 . Juli 2016 ein
Gespräch mit Johannes Teyssen, dem Vorstandsvorsit-
zenden der Eon SE, geführt, und es gab am 4 . August
2016 ein Gespräch von Herrn Altmaier mit Vertretern
der Konzernbetriebsräte von Eon, RWE und Vattenfall .
Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie hat mit
den Vorständen von EnBW, Eon, RWE und Vattenfall
am 29 . August 2016 Gespräche geführt . Von den übrigen
Bundesministerien ist gemeldet worden, dass es seit dem
6 . Juli 2016 diese entsprechenden Gespräche auf Lei-
tungsebene nicht gab .
Sie haben das Wort zur Nachfrage .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin . – Natürlich interessiert mich jetzt nicht
vorrangig das Datum dieser einzelnen Gespräche, –
B
Danach haben Sie aber gefragt .
– sondern das, was da Thema war . Ich hatte konkret
danach gefragt, ob es im Zusammenhang mit den Emp-
fehlungen der KFK und dem Stand der Umsetzung Ge-
spräche gab . Es ist für den Bundestag, für uns, die wir
für den Haushalt verantwortlich sind, extrem wichtig, zu
wissen, wie hier der Gang der Dinge ist; denn es geht,
wie Sie sicher wissen, um sehr, sehr viel Geld, das ent-
weder von den Kraftwerksbetreibern, den Energieversor-
gern, aufgebracht wird oder am Ende eben in erster Linie
doch von den Steuerzahlern .
Gibt es denn irgendwelche Vermerke? Ich nehme ein-
mal an, dass Sie jetzt eher Nein sagen werden, wenn Sie
schon nicht Bescheid wissen oder nicht wissen dürfen,
welche Themen besprochen wurden . Wahrscheinlich
wissen Sie auch nicht, ob die Ergebnisse dokumentiert
wurden . Ich will, verbunden mit einer Kritik, doch fra-
gen: Warum werden solche dermaßen haushalts- und
zukunftsrelevanten Ergebnisse von Gesprächen nicht
sauber dokumentiert? Denn Regierungs- und Verwal-
tungshandeln sollte im Allgemeinen schon nachvollzieh-
bar sein . Ich betone noch einmal: Es geht hier um viel
Geld .
B
Frau Kollegin, ich kann Ihnen nur sagen, dass mir mit-
geteilt wurde, dass es über diese Gespräche keine Ver-
merke gibt . Mehr kann ich Ihnen dazu leider nicht sagen .
Ihre zweite Nachfrage .
Gut . – Dann gehe ich einen Schritt weiter und nicht
einen zurück: Wie sieht es denn mit dem Zeitplan aus?
Ich habe mich schon ein paarmal danach erkundigt . An-
fang August hieß es noch: Es wird zu einer Umsetzung
dieser KFK-Empfehlungen Ende August kommen . – Das
ist bekanntermaßen nicht mehr erreichbar . Dann hieß es:
Bis zum Ende des Jahres . – Als Antwort auf meine letzte
Frage hieß es dann: Zügig . – Dabei ist offen, ob mit „zü-
gig“ deutlich vor Ende des Jahres oder ein bisschen nach
Ende des Jahres gemeint ist .
Jetzt noch einmal meine Frage, auch wenn es vielleicht
ein bisschen nervt: Welcher Zeitplan für das Gesetz – es
sind vielleicht auch mehrere Gesetze – zur Umsetzung
der KFK-Empfehlungen ist seitens der Bundesregierung
nach aktuellem Stand vorgesehen? Ich möchte Sie noch
um Folgendes bitten: Haben Sie schon eine Vorstellung
davon oder gibt es einen Plan dafür, wann die Meilen-
steine, wie Referentenentwurf, Länder- und – ganz wich-
tig – Verbändeanhörungen – dafür muss Zeit da sein –,
Kabinettsbeschluss und dann Einbringung in Bundestag
und Bundesrat, sein werden? Das ist nun kein Gesetzes-
vorhaben, das man so eben hopplahopp, ohne größere
Beratungen und ohne gründliche Anhörungen, hier wird
durchpeitschen können .
B
Ich weiß nicht so richtig, ob das mit Ihrer Frage 8 zu-sammenhängt . Darin hatten Sie danach gefragt, wann derStaatssekretärsausschuss getagt hat und tagen wird . IchVizepräsidentin Petra Pau
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gehe einmal davon aus, dass das in den gleichen Zusam-menhang gehört, und möchte deshalb gerne Ihre Frage 8mit beantworten .
Dann rufe ich die Frage 8 der Kollegin Kotting-Uhl
auf:
Jeweils wann genau seit dem
27 . April 2016 gab bzw . gibt es Sitzungen des Staatssekre-
tärsausschusses Kernenergie im Zusammenhang mit einer
Umsetzung der Empfehlungen der Kommission zur Überprü-
fung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs vom
desregierung hinsichtlich der Forderung der Energiekonzerne
Eon, RWE, Vattenfall und EnBW nach einem „Atomvertrag“
zwischen ihnen und der Bundesregierung zusätzlich zu einer
B
Sie hatten gefragt, wann die Termine waren . Diese
waren am 4 . Mai, am 17 . Mai, am 4 . Juli, am 9 . August,
und die nächste Sitzung ist am 10 . Oktober . Sie können
aus dieser Terminabfolge erkennen, dass die Beratungs-
intensität doch ziemlich hoch ist, da der Staatssekretärs-
ausschuss ja in dieser Häufigkeit tagt.
Es gibt gegenwärtig eine Diskussion darüber, ob und
gegebenenfalls in welcher Art und in welchem Umfang
zur Umsetzung der Empfehlungen der KFK zusätzlich
zu den gesetzgeberischen Maßnahmen auch vertragliche
Vereinbarungen in Betracht kommen . Die Bundesregie-
rung hat dazu ihren Willensbildungsprozess noch nicht
abgeschlossen . Es ist auch noch nicht klar, in welcher ge-
nauen Abfolge das Gesetzgebungsverfahren oder etwai-
ge Gesetzgebungsverfahren stattfinden werden.
Sie haben jetzt die Möglichkeit zu zwei Nachfragen
zur Antwort auf Frage 8, wenn Sie mögen .
Frau Präsidentin, jetzt muss ich erst einmal sagen: Ich
habe ein kleines Problem mit meinem Fragerecht und
dem Recht auf Antworten; denn auf meine zweite Nach-
frage zu meiner ersten Frage wurde mir die Antwort auf
meine zweite Frage gegeben, sodass ich zweier Antwort-
möglichkeiten verlustig gehe .
B
Nein, Sie können sie gerne noch stellen .
Nein, ganz im Gegenteil .
Die Zeit wird dadurch nicht verlängert .
Kollegin, genau das Gegenteil habe ich eben klarge-
stellt: dass Sie in jedem Fall noch zwei Nachfragemög-
lichkeiten haben .
Ja, aber das war die Antwort auf die schriftlich ein-
gereichte Frage . Das heißt, meine zweite Frage von der
ersten Runde ist jetzt sozusagen konsumiert .
Wenn Sie noch eine Frage haben, werden wir das si-
cherlich ganz unkompliziert lösen . Stellen Sie einfach
erst einmal Ihre Frage .
Gut, wenn das unkompliziert ist, dann gehe ich jetzt
noch einmal konkret auf die zweite Frage ein, die ich
eben gestellt hatte . Dabei ging es mir – das habe ich be-
tont – auch um die Verbändeanhörung bzw . den Zeitplan .
B
Ich kann Ihnen dazu keinen Zeitplan nennen .
Aber Sie können mir garantieren, dass es Zeit für eine
Verbändeanhörung geben wird .
B
Selbstverständlich . In jedem Gesetzgebungsverfahren
gibt es eine Verbändeanhörung .
Da wir die Antwort auf Frage 8 schon gehört haben,
kommen wir zu zwei Nachfragen, wenn Sie diese noch
haben, zum Thema der Frage 8 .
Ja . – Ich habe zunächst einmal eine Frage in Bezugauf den Vertrag, der nun eingefordert wird. Es ist, findeich, schon ein erstaunliches Handeln der Energieversor-ger, die im Bereich Atomausstieg selbst durchaus immerwieder darauf eingewirkt haben, ein gemachtes Gesetzwieder rückgängig zu machen, und jetzt zu ihrer eige-nen Sicherheit einen extra Vertrag – zusätzlich zu einemGesetz – haben wollen und damit aussagen: Ein Gesetzkann man auch ändern, und wenn eine Vereinbarung inunserem Interesse sein soll, dann reicht uns ein Gesetznicht; dann muss darüber hinaus noch etwas passieren .Können Sie zusichern, dass in einer solchen Atom-vereinbarung nichts stehen wird, was über die heutigenKFK-Empfehlungen hinausgeht? Gibt es darüber schoneine Verständigung im Kabinett?Parl. Staatssekretärin Brigitte Zypries
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B
Nein, Frau Kollegin . Ich sagte Ihnen eben schon in
meiner Antwort auf die Frage 8, dass der Willensbil-
dungsprozess zu der Frage, ob es überhaupt eine vertrag-
liche Vereinbarung geben wird, noch nicht abgeschlossen
ist . Deswegen kann ich natürlich auch noch nichts darü-
ber sagen, was da drinstehen wird .
Ihre zweite Frage .
Danke schön . – Es hätte ja sein können, dass es zu
einzelnen Punkten auch heute schon – „schon“ sehr stark
betont – eine Einigung im Kabinett gibt .
B
Hätte sein können, ja .
Ich habe noch eine zweite Nachfrage zu dem Kom-
plex der Klagen der Konzerne im Zusammenhang mit
dem Atombereich . Der Wirtschaftsminister hat im letz-
ten Jahr zunächst zur Vorbedingung für die Einsetzung
und Arbeit der KFK gemacht, dass die Konzerne ihre
Atomklagen zurückziehen, und zwar, wenn ich es richtig
in Erinnerung habe, alle Atomklagen und nicht nur die,
von denen jetzt die Rede ist, im Zusammenhang mit der
Entsorgung .
Es würde mich interessieren, warum die Bundesregie-
rung es hinnimmt, dass nach wie vor weder im Zusam-
menhang mit Entsorgungsklagen irgendetwas zurück-
genommen wurde, obwohl die KFK-Empfehlungen seit
langem im Raum stehen, noch irgendeine Äußerung da-
hin gehend von den Konzernen kommt und bislang völlig
unklar ist, ob es sich ausschließlich um die Entsorgungs-
klagen oder auch um die Klagen im Zusammenhang mit
dem Atomausstieg handelt . Dafür war der Wirtschafts-
minister meines Wissens durchaus, bevor die KFK ein-
gesetzt wurde .
B
Frau Kollegin, ich muss Ihnen die Frage schriftlich be-
antworten, weil ich die Prämisse, die ihr zugrunde liegt,
nicht bestätigen kann . Deswegen kann ich sie, ehrlich ge-
sagt, nicht beantworten . Wir werden das gerne schriftlich
nachreichen .
Na gut .
Das halten wir so fest .
Ich weise darauf hin, dass wir jetzt im weiteren Ver-
lauf bitte wieder ein wenig auf das optische Signal ach-
ten, sowohl beim Formulieren der Fragen als auch bei
den Antworten, wobei das jetzt keine Kritik an der Kürze
der Antworten eben war . Aber wenn das optische Signal
auf Rot springt, ist die vereinbarte Fragezeit tatsächlich
überschritten .
Wir kommen zur Frage 9 der Kollegin Renate Künast:
Welche konkrete Position hat das Bundesministerium der
Justiz und für Verbraucherschutz bezüglich der Pläne der EU
zur Abschaffung der Roaminggebühren innerhalb der Euro-
päischen Union vertreten, und was hat die Bundesregierung
unternommen, als die EU-Kommission, die ursprünglich eine
vollständige Abschaffung der Gebühren bis Mitte 2017 vorge-
sehen hatte, Anfang September 2016 überraschend das Gebüh-
renverbot auf 90 Tage begrenzen wollte und nach der Kritik
von Verbraucherschützern ihre Pläne nun wieder rückgängig
machen will?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
B
Frau Künast, es gab einen Vorschlag der Kommissi-
on – vom 5 . September – mit dem Ansinnen, bis Ende
September eine öffentliche Konsultation zu diesem Vor-
schlag durchzuführen . Die Bundesregierung war auch
dabei, sich eine Meinung zu bilden, als der Vorschlag
wieder zurückgezogen wurde .
Wenn ich die Tickermeldungen heute richtig verfolgt
habe, gibt es einen neuen Vorschlag, der besagt, dass es
ab dem 15 . Juni 2017 überhaupt keine Roaminggebüh-
ren mehr geben wird und dass man die Sorgen, die man
seinerzeit aufgrund des sogenannten Wasserbett-Effektes
hatte, auf andere Art und Weise berücksichtigen wird .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Frau Staatssekretärin, danke . – Ich habe ebenfalls mit-
bekommen, dass es nicht nur Aktivitäten von Verbrau-
chern und EU-Parlamentsabgeordneten gab . Vielmehr
hat Kommissar Oettinger nun erklärt, dass es mit Datum
15 . Juni für alle Menschen, die periodisch reisen, eine
gute Lösung geben werde, die am 15 . Dezember ver-
abschiedet werden solle . Aber es ist auch zu lesen, dass
gleichzeitig sichergestellt werden soll, dass die Anbieter
Werkzeuge haben, um gegen Missbrauch der betreffen-
den Regelungen vorzugehen . Dahinter steckt die Be-
fürchtung, dass sich Menschen in Europa die billigsten
Verträge in einem Land besorgen, in dem sie gar keinen
Wohnsitz haben, und dass dann darunter das Geschäfts-
modell der Anbieter leidet . Wie lässt sich, wenn es eine
90-Tage-Regelung geben sollte, eine Missbrauchsrege-
lung schaffen, ohne dass die Verbraucherrechte durch
die Hintertür wieder beschränkt werden? Für mich haben
Verbraucherrechte den Sinn, den Single Market, den Bin-
nenmarkt, nicht nur für Unternehmen, sondern auch für
Verbraucher herzustellen .
B
Wir werden uns den Vorschlag, den die Kommissionnun vorlegt, genau anschauen müssen. Ich bezweifle,
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 189 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 21 . September 201618708
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dass dann solche Bedenken noch angebracht sind . Wennes tatsächlich keine Roaminggebühren gibt, dann bestehtdiese Problematik auch nicht mehr . Hinter der 90-Ta-ge-Regelung verbirgt sich die Sorge, dass diejenigen, dieverreisen und im Ausland telefonieren, von denjenigendurch Gebühren quersubventioniert werden, die sich inDeutschland aufhalten . Wenn man aber davon ausgeht,dass es nur noch eine einheitliche Rate gibt, dann hatsich das erledigt . Wir werden uns das jedenfalls genauanschauen müssen . Wir können dann hier gerne noch ein-mal darüber diskutieren .
Die zweite Nachfrage .
Darum will ich auch bitten . Das Ganze ist noch
frisch . In der Presseerklärung der Kommission heißt es
ausdrücklich, dass die Anbieter Werkzeuge gegen Miss-
brauch bekommen sollen . Das macht mich vorsichtig;
denn Werkzeuge gegen Missbrauch könnten auch eine
Beschränkung der Rechte der Kunden darstellen . Des-
halb bitte ich Sie, zu prüfen und dann noch einmal auf
uns zuzukommen . Nach den bisherigen Erfahrungen
müssen wir uns das auf jeden Fall im Detail anschauen .
B
Selbstverständlich . Ich gehe davon aus, dass darüber
auch in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages
diskutiert werden wird .
Danke, Frau Staatssekretärin . – Die Fragen 10 und 11
des Abgeordneten Oliver Krischer, die Fragen 12 und 13
der Abgeordneten Katharina Dröge sowie die Fragen 14
und 15 des Abgeordneten Harald Ebner sollen schriftlich
beantwortet werden .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts . Zur Beantwortung steht Staatsminister Michael
Roth zur Verfügung .
Die Frage 16 des Abgeordneten Andrej Hunko, die
Frage 17 des Abgeordneten Omid Nouripour, die Fra-
ge 18 des Abgeordneten Niema Movassat sowie die Fra-
gen 19 und 20 der Abgeordneten Sevim Dağdelen sollen
schriftlich beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Wie verbindlich ist für die Bundesregierung der Beschluss
des Deutschen Bundestages vom 2 . Juni 2016 zum Antrag
über 99 Prozent der Stimmen der Abgeordneten aus allen
Fraktionen, darunter mehrere Mitglieder der Bundesregierung,
verabschiedet worden ist, insbesondere auch hinsichtlich der
neun darin enthaltenen Forderungen des Parlaments an die
Regierung, und welche Bemühungen hat die Bundesregierung
inzwischen unternommen, um diese neun Forderungen des
Deutschen Bundestages – bitte jeweils aufschlüsseln zu den
einzelnen Forderungen – zu erfüllen?
Bitte, Herr Staatsminister .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Sie haben mich et-
was überrascht, weil ich davon ausging, dass der Kol-
lege Movassat seine Frage noch stellt . Dann komme ich
gleich zu der Frage des Abgeordneten Ströbele .
Der Deutsche Bundestag hat selbstverständlich das
Recht und die Möglichkeit, sich zu jedem Thema zu äu-
ßern, wann auch immer er es für richtig hält . Die Bun-
desregierung unterstützt und verteidigt dieses souverä-
ne Recht der deutschen Volksvertreter . Es steht mir als
Vertreter der Bundesregierung überhaupt nicht zu, sich
in die Zuständigkeiten eines anderen Verfassungsorgans
einzumischen und sich dazu wertend zu äußern . Das
souveräne Recht, sich zu Fragen seiner Wahl zu äußern,
hat der Bundestag auch im Fall der besagten Resoluti-
on ausgeübt, und zwar mit einem Entschließungsantrag,
der qua Definition darauf abzielt, Auffassungen zu poli-
tischen Fragen zum Ausdruck zu bringen, ohne dass die-
se rechtsverbindlich sind . Genauso steht es auch auf der
Homepage des Deutschen Bundestages .
Die Bundesregierung – das als Beantwortung des
zweiten Teils Ihrer Frage, Herr Kollege Ströbele – setzt
sich weiter regelmäßig in bilateralen Gesprächen dafür
ein, dass die Türkei und Armenien ihre Bemühungen um
eine Annährung wieder aufnehmen . Darüber hinaus un-
terstützen wir eine Reihe von Initiativen aus der Zivilge-
sellschaft heraus, um die Aussöhnung zwischen der Tür-
kei und Armenien bzw . zwischen Türkinnen und Türken
und Armenierinnen und Armeniern zu befördern . Mein
Haus fördert diese Projekte derzeit in einem Umfang von
1 Million Euro .
Ich will noch hinzufügen, dass ich mich selbst sehr
intensiv um einen Austausch von jungen Repräsentantin-
nen und Repräsentanten der Türkei und Armeniens be-
mühe . Da hat es schon Gespräche gegeben . Bei meiner
Reise Ende August in die Türkei habe ich mich auch mit
Repräsentanten der armenischen Minderheit in Istanbul
getroffen, um noch einmal einen Gesprächsfaden zu
knüpfen, der unser Bemühen unterstreicht, einen aktiven
Beitrag zur Versöhnung zu leisten .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Danke, Herr Staatsminister . – Das war allerdings vollam Thema vorbei . Sie haben die Presseerklärung desSprechers der Bundesregierung als Antwort auf meineFrage verlesen . Ich denke, dass Sie mit dieser Haltungdas Parlament nicht ernst nehmen .Ich hatte als Erstes gefragt, für wie verbindlich dieBundesregierung diese fast einstimmig – mit 99 Prozentder Abgeordneten – verabschiedete Resolution für dieBundesrepublik Deutschland – und damit auch für dieBundesregierung – hält . Der zweite Teil der Frage lau-tete: Was hat die Bundesregierung seit der Verabschie-dung am 1 . Juni – es sind ja inzwischen ein paar Monatevergangen – getan, um die neun Forderungen, die derDeutsche Bundestag an die Bundesregierung gerichtetParl. Staatssekretärin Brigitte Zypries
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hat, umzusetzen? Oder halten Sie das alles für unver-bindlichen Quatsch, zu dem Sie sich nicht äußern wol-len? Dann sagen Sie das hier klar .
Das ist doch eine Ungeheuerlichkeit, was Sie hier ma-chen .
Herr Kollege Ströbele, es steht Ihnen völlig frei, jede
Frage an die Bundesregierung zu richten, und mir steht es
frei, die Frage so zu beantworten, wie ich es namens der
Bundesregierung für verantwortbar halte .
Im Übrigen habe ich eben die Haltung der Bundesre-
gierung wiedergegeben . Darüber hinaus habe ich deut-
lich gemacht, wie sich die Bundesregierung diesem Be-
schluss verpflichtet fühlt. Ich habe auf eine Reihe von
konkreten Initiativen hingewiesen, die sich auch aus der
Beschlussfassung des Bundestages ergeben . Selbstver-
ständlich teilt die Bundesregierung die politischen Ziel-
setzungen der Forderungen aus dem Beschluss des Deut-
schen Bundestages . Es gibt – ich will das noch einmal
deutlich zum Ausdruck bringen – keine Distanzierung .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Sie wollen oder Sie können nicht, Herr Staatsminister .
Dann will ich einmal ein Beispiel nennen . Der Deutschen
Bundestag fordert die Bundesregierung im fünften Punkt
auf „eine Aufarbeitung der historischen Ereignisse durch
die Türkei und Armenien als ersten Schritt zur Versöh-
nung und zur längst überfälligen Verbesserung der tür-
kisch-armenischen Beziehungen aktiv zu unterstützen“ .
In welcher Weise hat die Bundesregierung diese Forde-
rung des Deutschen Bundestages seit dem 1 . Juni erfüllt?
Oder hat sie sie nicht erfüllt? Haben Sie da irgendetwas
unternommen oder nichts? Haben Sie vielleicht besser
geschwiegen, weil Herr Erdogan sonst die Augenbrauen
hochziehen würde?
Herr Ströbele, offenkundig hören Sie mir nicht richtig
zu; denn ich habe Ihnen gerade eine Reihe von Maßnah-
men genannt . Dieses gesonderten Beschlusses des Bun-
destages bedurfte es insofern nicht, weil sich die Bun-
desregierung, insbesondere mein Haus, schon seit vielen
Monaten konkret und aktiv um die Versöhnung zwischen
Armeniern und Türken bemüht . Dies wird durch einen
Haushaltstitel in Höhe von 1 Million Euro untermauert .
Daraus werden entsprechende Projekte finanziert.
Darüber hinaus habe ich Ihnen berichtet, dass es nach
der Resolution des Deutschen Bundestages entsprechen-
de Gespräche gab, die unter anderem auch ich als ein
Vertreter der Bundesregierung geführt habe .
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Volker Beck das
Wort .
Herr Staatsminister, vielen Dank für Ihre Beantwor-
tung . Ich glaube aber, es ist dem Hohen Haus noch nicht
ganz klar geworden, welche Aktivitäten die Bundesregie-
rung nach dem Beschluss des Bundestages in Umsetzung
der darin enthaltenen Aufforderungen ergriffen hat . Dass
Sie manches schon vorher gemacht haben, will ich gerne
zur Kenntnis nehmen und auch ausdrücklich loben . Aber
ich würde gerne wissen, welche neuen Aktivitäten entfal-
tet wurden . Ich glaube, das ist es auch, was Herr Ströbele
mit seiner Frage gemeint hat .
Ich habe den Beschluss des Deutschen Bundestagesausdrücklich als eine Ermutigung und eine Ermunterung,aber auch als eine Bestätigung verstanden. Ich empfindedas als Rückenwind für die Bemühungen, die die Bun-desregierung schon seit geraumer Zeit unternimmt . Esgibt eine Reihe von Projekten, die ich jetzt nicht alle na-mentlich aufführen möchte . Es sind teilweise auch Pro-jekte dabei, die geplant sind, aber noch nicht umgesetztwurden und die sich insbesondere an die jüngere Gene-ration in beiden Staaten richten . Es geht dabei insbeson-dere um Kooperationen, um Erinnerungskultur und umBegegnungen . Es geht auch um wissenschaftliche Pro-jekte, die wir unterstützen, bei denen deutsche, türkische,aber auch armenische Vertreter zusammenkommen, umüber das zu sprechen, was Gegenstand der Resolutiondes Deutschen Bundestages war . Das sind teilweise, HerrKollege Beck, neue Projekte .
– Ich habe sie Ihnen doch genannt .
Ich kann Ihnen gerne eine Liste zukommen lassen .Ich will mich auf drei Projekte beschränken, die ich aberim Prinzip schon genannt habe . Es gibt ein kulturellesProjekt, es gibt ein Projekt in Zusammenarbeit mit demDeutsch-Französischen Jugendwerk über die Versöh-nung, an dem auch Frankreich beteiligt ist, und es gibtein Projekt, das wir gemeinsam mit dem DAAD unter-stützen . Damit wird deutlich, dass wir auf einem gutenWeg sind, der aber – das will ich hinzufügen – natürlichnoch nicht beendet ist .Wir können Versöhnung nicht oktroyieren, wir kön-nen nur Angebote unterbreiten . Wie schwierig und wiesensibel das ist, werden all diejenigen von Ihnen erleben,die selbst in der Türkei und in Armenien waren und dieselbst mit Repräsentantinnen und Repräsentanten dieserbeiden Staaten gesprochen haben . Aber wir sind da un-verdrossen . Wir wollen unseren Beitrag leisten; das ver-sichere ich Ihnen .
Hans-Christian Ströbele
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Es gibt noch zwei Nachfragen zur Frage 21 . – Die
Kollegin Keul hat das Wort .
Vielen Dank . – Herr Staatsminister, wenn die Bundes-
regierung erklärt, dass der Beschluss des Deutschen Bun-
destages, wonach es sich um einen Völkermord gehan-
delt habe, keine unmittelbare Rechtswirkung hat, dann
ist das formaljuristisch überhaupt nicht zu beanstanden .
Was mich aber umtreibt, ist, dass das in der Realität doch
eine Rechtswirkung gehabt hat, nämlich die, dass die
türkische Regierung unmittelbar darauf den Besuch der
Abgeordneten in Incirlik bei der Bundeswehr erlaubt hat,
den sie zuvor untersagt hatte . Deswegen ist meine Frage:
Gab es im Vorfeld der Erklärung der Bundesregierung
über die fehlende Rechtswirkung dieses Beschlusses
eine Absprache zwischen der türkischen und der deut-
schen Regierung darüber, dass eine solche Erklärung den
Besuch bei der Bundeswehr wieder ermöglichen würde,
oder ist dieser zeitliche Zusammenhang reiner Zufall?
Ich nehme Ihre Frage gerne zum Anlass, meine per-
sönlichen Erfahrungen aus den jüngsten Begegnungen
in der Türkei zu schildern . Ich bin von Vertreterinnen
und Vertretern nicht nur der Regierung, sondern auch
der Opposition und aus der Mitte der Zivilgesellschaft
angesprochen und gefragt worden, wie denn dieser Be-
schluss des Deutschen Bundestages zu verstehen sei, ob
sich daraus beispielsweise auch finanzielle Forderungen
ergäben . Daraufhin war auch mein Eindruck, dass das,
was wir im Übrigen gemeinsam regelmäßig tun, nämlich
Beschlüsse erläutern und sie einordnen, auch in dieser
Frage geboten erschien .
Es gibt jetzt leider keine Nachfragemöglichkeit . Ich
weiß, dass man zufrieden oder unzufrieden mit Antwor-
ten sein kann; aber die Vertreter der Bundesregierung
entscheiden, was sie antworten . Damit gehen wir dann
weiter um .
Die Kollegin Hänsel hat noch eine Nachfrage .
Danke schön . – Herr Staatsminister, Sie haben gerade
noch einmal behauptet, die Bundesregierung habe sich
von der Armenien-Resolution in keiner Weise distan-
ziert . Regierungssprecher Seibert hat in der Bundespres-
sekonferenz Anfang September 2016 – ich glaube, es war
am 2 . September – für die Bundesregierung noch einmal
klar gesagt, dass eine Einordnung als Völkermord nicht
Sache der Parlamente, sondern der Gerichte sei . Das ist
exakt die Formulierung der türkischen Regierung, mit
der sie jedes Mal die Einstufung als Völkermord ab-
wehrt . Rechtlich argumentiert, müssen also die Gerichte
entscheiden, nicht die Parlamente, und damit erkennt die
türkische Regierung den Tatbestand des Völkermords
nicht an . Die Bundesregierung hat diese Formulierung
übernommen und hat damit auch eine Distanzierung vor-
genommen . Keine andere Einschätzung ist da möglich .
Frau Kollegin, ich widerspreche Ihnen da . Sie alle wis-
sen, dass es mindestens zwei Interpretationsmöglichkei-
ten für den Begriff des Völkermordes gibt . Es gibt einmal
den völkerrechtlichen Begriff . Der juristische Fachtermi-
nus ist in der UN-Völkermordkonvention klar definiert.
Losgelöst von dieser Legaldefinition gibt es diesen Be-
griff zum anderen, wie er in einem politischen, in einem
ethischen Kontext gebraucht wird – von Ihnen, von mir,
von vielen anderen . In genau diesem politisch-ethischen
Kontext steht für uns das Votum des Bundestages .
Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Heike Hänsel auf:
Welche gemeinsamen Werte teilt die Bundesregierung
mit der Nachfolgeregierung von Präsident Michel Temer in
Brasilien, und wie geht sie mit der Tatsache um, dass der-
zeit innerhalb des südamerikanischen Wirtschaftsbündnis-
ses Mercosur Uneinigkeit besteht hinsichtlich der Ausübung
Bitte, Herr Staatsminister .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Von der Türkei nach
Brasilien . Brasilien ist seit 2009 das einzige Land in La-
teinamerika, mit dem wir eine strategische Partnerschaft
führen . Wir haben zudem im Jahr 2015 zum allerersten
Mal bilaterale Regierungskonsultationen durchgeführt .
In diesem Rahmen, aber auch auf multinationaler Ebe-
ne haben wir gemeinsame Ziele verfolgt im Bereich der
Menschenrechtspolitik, im Bereich des Klimaschutzes,
aber auch im Bereich des Erreichens der sogenannten
Nachhaltigkeitsziele . Als Schwellenland spielt Brasilien
eine ganz wichtige Rolle für den Schutz globaler Güter,
und es hat erst vor wenigen Tagen als einer der ersten
Staaten das Pariser Klimaschutzabkommen ratifiziert.
Genau diese enge, wertegebundene Zusammenarbeit, die
sehr fruchtbar war, möchte die Bundesregierung fortset-
zen .
Es gibt innerhalb von Mercosur eine Diskussion um
den venezolanischen Vorsitz; darauf zielt ja der zweite
Teil Ihrer Frage . Wir haben diese Diskussion sehr auf-
merksam verfolgt . Die Gründungsmitglieder von Mer-
cosur – Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay –
haben sich mittlerweile auf eine gemeinsame Ausübung
des Vorsitzes bis zur turnusmäßigen Übernahme durch
Argentinien zum Ende des Jahres verständigt . Sie wissen
ja, dass der Mercosur-Vorsitz im halbjährlichen Rhyth-
mus wechselt . Den Diskussionsprozess innerhalb von
Mercosur über die zukünftige Ausrichtung betrachtet die
Bundesregierung als dessen innere Angelegenheit .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .http://www.clarin.com/mundo/Mercosur-presidencia-colegiada-canciller-Brasil_0_1632436835.htmlhttp://www.clarin.com/mundo/Mercosur-presidencia-colegiada-canciller-Brasil_0_1632436835.htmlhttp://www.clarin.com/mundo/Mercosur-presidencia-colegiada-canciller-Brasil_0_1632436835.html
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Danke schön . – Aufgrund der neu geschaffenen, durch
einen Putsch zustandegekommenen Ausrichtung Brasi-
liens kann man sich natürlich ausrechnen, dass sich die
Mehrheit im Mercosur gegen Venezuela richtet; das ist ja
offensichtlich .
Meine Nachfrage zielt aber auf etwas anderes: Teilt
die Bundesregierung die Einschätzung des Europäischen
Auswärtigen Dienstes, der den De-facto-Regierungschef
Temer aufgrund von massiven Korruptionsvorwürfen als
sehr zweifelhaft ansieht und darüber hinaus eine gewisse
Vorsicht anrät, zum Beispiel einen EU-Brasilien-Gipfel
auszurichten? Welche Position hat da die Bundesregie-
rung? Forciert die Bundesregierung die Ausrichtung des
EU-Brasilien-Gipfels in Zusammenarbeit mit der derzei-
tigen De-facto-Regierung Brasiliens?
Die Bewertung der Europäischen Union ist hier klar –
und der Bewertung der Europäischen Union schließt sich
die Bundesregierung auch an –: Der Wechsel im Amt
des Staatspräsidenten Brasiliens hat sich im Rahmen der
brasilianischen Verfassung bewegt . Brasiliens oberstes
Gericht hat inzwischen auch den Einspruch der Exstaats-
präsidentin Rousseff abgelehnt .
Uns sind natürlich, genau wie Ihnen, Befürchtungen
über Rückschritte im Bereich der Menschenrechtspolitik,
aber auch der Sozialpolitik bekannt, und diese Befürch-
tungen werden von uns sehr ernst genommen .
Im Übrigen ist nicht allein die brasilianische Regie-
rung oder der neue brasilianische Staatspräsident An-
sprechpartner für die Bundesregierung . Wir stehen in
einem ganz engen und regelmäßigen Austausch mit Ver-
treterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft in Bra-
silien, insbesondere auch mit Menschenrechtsaktivisten .
Wir werden natürlich die Themen, die Sie eben angespro-
chen haben, im Format der EU, aber auch bilateral immer
wieder ansprechen . Gerade die menschenrechtsrelevan-
ten Themen sind für die Bundesregierung von besonderer
Bedeutung .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Noch eine zweite Frage, und zwar bezüglich des Ver-
haltens der De-facto-Regierung unter Temer . Wie bewer-
ten Sie denn die Tatsache, dass genau die Berechnungen,
derentwegen die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff
gestürzt wurde – die Vorwürfe lauteten ja, dass sie Haus-
haltsmanipulationen vorgenommen hätte –, mit der neu-
en Regierung Temer legalisiert wurden?
Frau Kollegin, wenn ich richtig informiert bin, waren
alle Vorwürfe, die gegen die ehemalige Staatspräsidentin
Brasiliens erhoben worden sind, haltlos; da gab es ja kei-
ne Anlässe . Uns ist aber selbstverständlich bekannt, dass
es inzwischen gegen eine Reihe aktiver und ehemaliger
brasilianischer Politiker ganz unterschiedlicher Parteien
Ermittlungen gibt, und wir begrüßen ausdrücklich, dass
die unabhängige brasilianische Justiz Korruption und
mögliche andere Vergehen von hochrangigen Politikern
konsequent verfolgt . Natürlich muss darauf geachtet
werden – das ist das wesentliche Prinzip eines Rechts-
staats –, dass die Justiz in jedem Fall frei von politischer
Einflussnahme agieren kann.
Der Kollege Volker Beck hat das Wort zu einer Nach-
frage .
Ich finde, die Beantwortung sowohl der Frage von
Herrn Ströbele als auch der Frage von Frau Hänsel wirft
so ein bisschen grundsätzliche Fragen nach der Konsis-
tenz und Werteorientierung der Außenpolitik der Bun-
desregierung auf . Vor diesem Hintergrund möchte ich
Sie zu einem anderen Aspekt ähnlicher Natur fragen, und
zwar: Frau Merkel hat in Israel ja einmal den Satz gesagt,
Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson . Am 1 . Sep-
tember hat mir Ihr Haus berichtet, die Bundesregierung
gehe Hinweisen nach, dass die Palästinensische Behör-
de im Einzelfall das Budget der PLO-Kommission für
Gefangenenfragen unterstützt, woraus auch sogenannte
Märtyrerrenten bezahlt werden sollen, also Geld an At-
tentäter und Terroristen fließen soll.
Da Sie diesen Hinweisen nachgehen, frage ich Sie, ob
Sie dabei neue Erkenntnisse gewonnen haben und ob die
Bundesregierung, namentlich unsere Gesandtschaft in
Ramallah, angesichts der Tatsache, dass wir Projekte der
Palästinensischen Behörde finanzieren und die EU-Kom-
mission Budgethilfen leistet, auch mit deutschen Staats-
geldern, mit der Palästinensischen Behörde und der PLO
darüber gesprochen hat, dass es nicht angeht, dass an Ter-
roristen Renten gezahlt werden .
Herr Kollege Beck, es steht Ihnen völlig frei, über die
Türkei und Brasilien auf Israel und die palästinensischen
Gebiete zu sprechen zu kommen . Es steht Ihnen auch
völlig frei, meine Antworten so zu bewerten, wie Sie
das getan haben . Ich weise Ihre Bewertung aber auf das
Schärfste zurück . Die Bundesregierung und insbesonde-
re das Auswärtige Amt sind selbstverständlich den Men-
schenrechten verpflichtet. Ich weiß jetzt nicht genau, was
Sie bezwecken . Wir waren gerade beim Thema Brasilien
und bei Mercosur, und jetzt soll ich etwas zur Situation
in Israel und zu Palästina sagen . Ich kann Ihnen nur ei-
nes versichern, nämlich dass wir allen Vorwürfen, allen
kritischen Punkten sehr genau, sehr aufmerksam nachge-
hen – wenn sie von Ihnen kommen, erst recht .
Herzlichen Dank, Herr Staatsminister .Die Frage 23 der Kollegin Jelpke und die Frage 24 derKollegin Groth sollen schriftlich beantwortet werden .
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(D)
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums des Innern . Zur Beantwortung der Fragen stehtder Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Kringszur Verfügung .Die Frage 25 der Kollegin Groth und die Frage 26 derKollegin Jelpke werden schriftlich beantwortet .Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Volker Beck auf:Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht dieBundesregierung aus den Entscheidungen der Verwaltungs-gerichte Düsseldorf, Meiningen, Regensburg, Schleswig und
Verfolgung durch das syrische Regime bedroht sind und ihnendaher die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, und welcheMaßnahmen wird sie gegebenenfalls ergreifen, um zu gewähr-leisten, dass syrischen Asylsuchenden die Flüchtlingseigen-schaft zuerkannt wird, ohne dass sie gegen einen ablehnendenBescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge kla-gen müssen?Bitte, Herr Staatssekretär .D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Beck, es handelt sich bei den in
Ihrer Frage genannten Entscheidungen um erstinstanzli-
che Einzelfallentscheidungen, gegen die das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge, das BAMF, Rechtsmittel
eingelegt hat . Die Entscheidungen des BAMF werden
stets nach individueller Bewertung der jeweiligen Ein-
zelfälle und ausschließlich nach Maßgabe der geltenden
Rechtslage getroffen .
In allen Landesteilen Syriens kann eine individuelle
Verfolgung im Sinne des § 3 Asylgesetz stattfinden. Ver-
folgungsakteure – das wissen Sie – sind die syrische Re-
gierung, aber auch zahlreiche nichtstaatliche Gruppen . In
diesen Fällen erfolgt eine Zuerkennung der Flüchtlings-
eigenschaft . Liegt eine solche individuelle Verfolgung
in Anknüpfung an die Vorgaben der Genfer Flüchtlings-
konvention und dann der sogenannten Qualifikations-
richtlinie der Europäischen Union nicht vor, kommt für
Personen, denen eine ernsthafte individuelle Bedrohung
des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher
Gewalt im Rahmen des Bürgerkriegs droht, die Gewäh-
rung subsidiären Schutzes in Betracht .
Seit Wiederaufnahme der persönlichen Anhörungen
stellt das Bundesamt insbesondere bei syrischen An-
tragstellern vermehrt ein Bürgerkriegsschicksal, nicht
aber ein individuelles Verfolgungsschicksal fest . Dies
führt nach der geltenden Rechtslage – nach Recht und
Gesetz – dann nicht zur Zuerkennung von Flüchtlings-
schutz, sondern in der Regel zur Gewährung subsidiären
Schutzes .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Die Frage ist ja, ob sich dieser Streit lohnt, ob Sie
am Ende vor dem Bundesverwaltungsgericht obsiegen
werden angesichts von fünf Urteilen der unteren Ver-
waltungsgerichte, die alle in die gleiche Richtung gehen,
nämlich dass hier Schutz erteilt werden muss .
Ich hatte Sie angesichts der Fälle, in denen der GFK-
Schutz und nicht nur der subsidiäre Schutz zuerkannt
wurde, gefragt, wie Sie es vermeiden wollen, dass eine
ganz große Zahl an Flüchtlingen auf den Rechtsweg ver-
wiesen wird, wo sie dann auch recht bekommen . Es kann
ja nicht sinnvoll sein, dass die Anweisungen im BAMF
darauf hinauslaufen, dass wir alle in die Verfahren schi-
cken . Das belastet unsere Gerichte und das BAMF, kos-
tet ungeheuer viel Geld und bringt den Menschen große
Verunsicherung .
D
Sie haben das Stichwort „Anweisungen“ genannt . Es
gibt keine allgemeine Anweisung, allen einen subsidiä-
ren Schutz zu geben . Das sieht man daran, dass das Bun-
desamt auch aktuell vielen Asylbewerbern die Flücht-
lingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention
zuerkennt . Es ist also keineswegs so, dass diese Zuerken-
nung in allen Fällen verweigert wird . Vielmehr ist immer
eine Einzelfallprüfung vorzunehmen .
Sie haben fünf Verwaltungsgerichte genannt . Meines
Wissens gibt es in Deutschland über 50 Verwaltungs-
gerichte . Selbst an den einzelnen Verwaltungsgerichten
wird teilweise unterschiedlich geurteilt . Das kann damit
zusammenhängen, dass es unterschiedliche Rechtsauf-
fassungen gibt, hängt aber meistens damit zusammen,
dass es unterschiedliche Verfolgungsschicksale gibt .
Wir haben im letzten Jahr doch wohl alle gelernt, dass
das Asylgrundrecht nach GFK ein individuelles Grund-
recht ist, und wir können ein individuelles Grundrecht
nur individuell prüfen und nicht kollektiv zuerkennen .
Das würde den Rechtscharakter geradezu auf den Kopf
stellen . Insofern ist das, was hier gemacht wird, eine Ent-
scheidung nach Recht und Gesetz nach persönlicher An-
hörung . Anders kann ein Bundesamt gar nicht agieren .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Wie hoch beziffern Sie denn die Kosten für die zig
Klageverfahren – Sie wollen das ja offensichtlich bis
zum Bundesverwaltungsgericht, womöglich bis zum
Bundesverfassungsgericht ausreizen –, in denen wir da-
rüber streiten, ob die Leute aufgrund subsidiären Schut-
zes oder GFK-Schutzes hierbleiben dürfen?
D
Ich kann Ihnen keine Kosten beziffern . Aber jederRechtsstaat wäre schlecht beraten, wenn er die Vorge-hensweise von Behörden nach Recht und Gesetz gegendie Kosten aufrechnet . Die Behörden haben nach Rechtund Gesetz zu handeln, und das ist wichtiger als die Fra-ge der Kosten .Vizepräsidentin Petra Pauhttp://www.asyl.net/startseite/nachrichten/artikel/56144.htmlhttp://www.asyl.net/startseite/nachrichten/artikel/56144.html
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(D)
Wir kommen zur Frage 28 der Kollegin Irene Mihalic:
Inwiefern hat die Bundesregierung infolge der Terroran-
schläge von Ansbach und Würzburg bzw . der Amoktat von
München einen möglichen Bedarf festgestellt, chemische,
biologische, radiologische oder nukleare Abwehrfähigkeiten
der Bundeswehr im Inland zum Einsatz
zu bringen, und wenn ja, aus welchen Gründen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Kollegin Mihalic, die terroristischen
Anschläge von Ansbach und Würzburg, aber auch die
Amoktat von München haben vielfältige Reaktionen und
Überprüfungen ausgelöst . Es waren – das ist bei dieser
Frage wichtig – in der Rückschau aber keine Szenarien,
zu deren Abwehr der Einsatz sogenannter CBRN-Ab-
wehrfähigkeiten erforderlich war . „CBRN“ ist die Ab-
kürzung für chemisch, biologisch, radiologisch oder nu-
klear . Die Bundesregierung hat infolge dieser Ereignisse
in der Rückschau auch keinen entsprechenden Bedarf
festgestellt .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Vielen Dank, Herr
Staatssekretär, für die Beantwortung . Aus Ihrer Antwort
wird mir allerdings nicht deutlich, was die Bundesre-
gierung tatsächlich motiviert hat, nach den Anschlägen
von Würzburg, Ansbach und München ihre Absichten
zu konkretisieren, gemeinsame Antiterrorübungen zwi-
schen den Polizeien des Bundes und der Länder sowie
der Bundeswehr im Inland durchzuführen; denn Sie ha-
ben zu unserer kleinen Anfrage, die wir zu diesem The-
menkomplex gestellt haben, Folgendes geantwortet: Für
Terroranschläge mit Kriegswaffen in Deutschland ist die
Polizei mit ihren dienstlich zugewiesenen Waffen ange-
messen ausgestattet . Sie haben dabei aber auch auf soge-
nannte Unikatfähigkeiten der Bundeswehr hingewiesen,
über die weder die Polizei noch andere zivile Einrichtun-
gen verfügen . Die einzig echte Unikatfähigkeit, die Sie
dort benennen, sind die sogenannten CBRN-Fähigkeiten .
Das lässt für mich den Rückschluss zu, dass, wenn alles
andere auch die Polizei erledigen kann und es lediglich
um die CBRN-Fähigkeit geht, das dann sicherlich der
Anlass ist, nun die gemeinsamen Übungen anzustreben;
denn ansonsten würde es für diese Übungen keinen Be-
darf geben .
D
Zunächst einmal wäre nichts so gefährlich und nach-
lässig, sich nur auf den Anschlag von gestern vorzube-
reiten . Sie haben in der Frage – so habe jedenfalls ich es
ausgelegt, und es ist nach dem Wortlaut möglich – kon-
kret nach diesen zwei Anschlägen und dem Amoklauf ge-
fragt . Aus diesen konkreten Abläufen heraus ergibt sich
kein CBRN-Bezug . Natürlich nehmen wir die weitere
Entwicklung der Sicherheitslage auch zum Anlass, über
das, was wir bisher erlebt haben, hinauszugehen und zu
schauen, welche Szenarien es noch geben könnte . Dabei
kann die CBRN-Fähigkeit der Bundeswehr eine große
Rolle spielen . Insofern prüfen Bund und Länder zurzeit,
ob und inwieweit in CBRN-Angelegenheiten dann ein
Unterstützungsbedarf besteht und ob die Bundeswehr
diesen abdecken kann . Darum geht es .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . – Heißt das nach Ihren Ausführungen,
dass Sie schon damit rechnen, dass es in Deutschland
terroristische Anschläge gibt, die einen Einsatz von
CBRN-Fähigkeiten der Bundeswehr im Inland erfor-
derlich machen, oder wie ist Ihre Antwort in diesem
Zusammenhang zu verstehen? Ich hätte mir vorgestellt,
dass Übungen seitens der Polizei durchaus Sinn machen
in Zusammenarbeit mit Feuerwehr, Rettungskräften auf
der Basis von Erfahrungen, die wir mit zurückliegenden
Terroranschlägen, also realistischen Szenarien, nicht nur
in diesem Jahr in Deutschland, sondern auch in Europa
gemacht haben . Nach Ihrer Antwort muss ich aber davon
ausgehen, dass Sie damit rechnen, dass es in Deutsch-
land Terroranschläge geben wird, die den Einsatz von
CBRN-Fähigkeiten erforderlich machen . Oder habe ich
Sie da missverstanden?
D
Es wäre jetzt nicht klug, darüber zu spekulieren, wo-
mit wir rechnen . Allerdings weise ich darauf hin, dass die
Gefahren aus Angriffen im CBRN-Bereich – die Abkür-
zung ist furchtbar, ich sage noch einmal, was es bedeutet:
chemisch, biologisch, radiologisch und nuklear – nicht
unrealistisch sind . Das spiegelt sich bereits im Bereich
des Katastrophenschutzes bei den LÜKEX-Übungen, die
Ihnen bekannt sind, wider, die jedes Jahr stattfinden. Be-
reits 2009, 2010 haben sie Szenarien mit terroristischem
Bezug beinhaltet . Insofern ist das keine neue Annahme .
Es muss jetzt die Frage geprüft werden, ob wir dazu spe-
ziell die Bundeswehr benötigen . Es ist auch diskutiert
worden, wenn es beispielsweise um unterstützende Tä-
tigkeiten wie Absperrungen und Ähnliches geht und man
kurzfristig mehr Personal für einige Stunden benötigt, ob
hier die Bundeswehr Hilfestellung geben kann . Das al-
les sind Dinge, die im Zuge der Amtshilfe möglich sind .
Hier sind wir auch nicht in einem Bereich, wo wir über
Grundgesetzänderungen sprechen, falls das eine weitere
Besorgnis sein sollte .
Der Kollege Ströbele hat das Wort zu einer Nachfrage .
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Amokangriff mit
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 189 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 21 . September 201618714
(C)
(D)
dem Beil nicht unbedingt den Bedarf an chemischen,biologischen, radiologischen und nuklearen Fähigkeitenbegründet . Gab es denn nach Ihrer Kenntnis, nach Kennt-nis Ihres Hauses, überhaupt schon mal in Europa einenAnschlag, der einen solchen Bedarf signalisiert hat, undwenn ja, welcher war das?D
Ich kann Ihnen, lieber Kollege, jetzt nicht auswendig
sagen, ob das in anderen europäischen Staaten, beispiels-
weise in Großbritannien oder anderswo, mal eine Rolle
gespielt hat .
Ich kann nur eines sagen: Wir sitzen oder stehen ganz
trocken und gemütlich hier im Plenarsaal des Reichsta-
ges . Die Polizisten in München konnten beispielsweise
nicht sofort wissen, wie der Anschlag aussieht . Sie be-
kamen Meldungen, es gab Notrufe . Zuerst gab es die
Befürchtung, es könnte ein Terroranschlag sein . Glück-
licherweise hat sich das jedenfalls – so schlimm die Tat
an sich auch war – nicht bewahrheitet . Aber Polizeikräfte
vor Ort müssen in wenigen Sekunden Einschätzungen
treffen . Ich glaube, wir müssen auf alle Szenarien vorbe-
reitet sein . Wenn wir das nicht tun würden, würden wir
unsere Arbeit nicht machen; das ist unsere Haltung .
Zu einer weitere Nachfrage hat die Kollegin Keul das
Wort .
Vielen Dank . – Meine Frage bezieht sich auf die
Übungen, die künftig stattfinden sollen. Sie werden
sich, wenn ich es richtig verstanden habe, nicht auf die
CBRN-Fähigkeiten beschränken, sondern ganz breit an-
gelegt sein . Dann frage ich mich schon: Was ist denn der
Hintergrund? Hat es in solchen Fällen jemals Anlass zu
der Feststellung gegeben, dass es dort ein Defizit gibt?
Ist es im 70-jährigen Bestehen der Bundesrepublik dazu
gekommen, dass die Bundeswehr in einem Notfall nicht
einsatzfähig gewesen wäre, dass die Zusammenarbeit mit
der Polizei irgendwelche Risiken hervorgerufen hätte?
Die Notwendigkeit, das jetzt auch jenseits dieses spezi-
ellen Bereiches zu tun, erschließt sich mir bislang nicht .
D
Frau Kollegin, wir müssen natürlich die Dinge ausei-
nanderhalten . Wir haben in vielen anderen europäischen
Staaten erlebt, dass man in Krisensituationen offenbar
auf Militär angewiesen war . Ich glaube nicht, dass das
im Regelfall selbst bei Anschlägen in Deutschland der
Fall ist, aber wir können es eben nicht ausschließen . Wir
wissen auch, dass es die Verfassungslage durchaus her-
gibt, dass die Bundeswehr im Wege der Amtshilfe un-
terstützend tätig wird . Es gab auch schon viele Katastro-
phenfälle abseits des Themas Terrorismus – ich will gar
nicht das Thema Hochwasser bemühen –, in denen die
Bundeswehr unterstützend tätig gewesen ist .
Wenn wir nach der Rechtslage etwas tun dürfen und es
auch schon in anderen Szenarien passiert ist, dann sollten
wir es auch üben . Ich glaube, es wäre verkehrt, wenn wir
nur über normative Veränderungen nachdächten, aber
nicht das einübten, was wir schon jetzt tun dürfen und
wozu es durchaus eine Notwendigkeit geben könnte . Lei-
der noch heftigere Anschlagsszenarien in anderen Staa-
ten um uns herum beweisen, dass es leicht zu solchen
Fällen kommen kann, in denen wir diese Unterstützung
brauchen . Wir hoffen nicht, dass wir sie brauchen, ich
glaube auch nicht, dass wir sie bei jedem Anschlag sofort
anfordern müssen, aber wir können es nicht ausschlie-
ßen . Es wäre leichtfertig, es dann nicht einzuüben .
Danke, Herr Staatssekretär . – Die Fragen 29 und 30
des Kollegen Dr . André Hahn sollen schriftlich beant-
wortet werden .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Justiz und für Verbraucherschutz . Zur Beant-
wortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Ulrich Kelber zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Renate Künast auf:
Wann wird das Bundesministerium der Justiz und für Ver-
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 189 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 21 . September 2016 18715
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(D)
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär .
U
Ich will die Aussage eines Parlamentariers über Zeit-
abläufe hier im Verfahren natürlich nicht kommentieren .
Aber als frühere Bundesministerin, Frau Kollegin, wissen
Sie, dass man bei der Vorlage eines innovativen, neuen
Konzeptes drei Aspekte berücksichtigen muss: Erstens,
man prüft seinen Vorschlag ganz genau, zweitens, man
spricht mit Betroffenen, und drittens, man sucht Unter-
stützer, bevor man einen Text vorstellt; denn Schaufens-
terentwürfe zu präsentieren, nützt der Sache auch nichts .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Schön, dass Sie daran erinnern, wie gut ich mich bei
Verfahrensregeln auskenne . – Es hat ja nicht nur ein Ko-
alitionskollege darüber gesprochen – Sie besprechen ja
viel in den Koalitionsfraktionen; das merken wir immer
im Rechtsausschuss: bevor nicht alle befriedet sind, be-
kommen wir die entsprechenden Themen nicht auf die
Tagesordnung bzw . abgeschlossen –, sondern auch Gerd
Billen, der Staatssekretär im gleichen Hause wie Sie ist .
Es gab so viele Ankündigungen, dass, finde ich, jetzt
endlich etwas kommen muss . Man kündigt ja nicht an,
wenn man nicht wüsste, dass man bald zu einem Ergeb-
nis kommt . Deshalb meine Frage: Wann wird es an die-
ser Stelle etwas geben, und geschieht dies noch bis zum
Ende der Legislaturperiode?
Ich sage das bewusst mit Blick auf VW und die
VW-Kunden . Wir brauchen solche Sammelklagen oder
Musterfeststellungsklagen, weil wir die Kunden gerade
bei kleinen Streitwerten nicht alleine lassen können . Die
VW-Kunden in Deutschland werden anders behandelt
als in den USA . Hier werden Rückrufaktionen durch-
geführt, die nicht einmal das zuständige Bundesamt für
gute Rückrufaktionen hält . Die Lügensoftware wird ver-
ändert, aber der Schadstoffausstoß bleibt immer noch ex-
trem hoch . Da werden die Kunden betrogen . Vielleicht
kommt demnächst ein Fahrverbot für bestimmte Diesel-
fahrzeuge in den Innenstädten . Dann hätten die Leute
mit Zitronen gehandelt; denn die Schadstoffsoftware ist
weg, aber sie dürfen mit ihren Autos nicht in die Innen-
städte fahren . Man sieht doch, dass die Kunden im Fall
VW dringend eine Entscheidung brauchen . Kommt sie?
Kommt sie noch in dieser Legislaturperiode?
U
Nicht nur der beamtete Staatssekretär Gerd Billen,
sondern auch ich als Parlamentarischer Staatssekretär
habe mehrfach angekündigt, dass wir daran arbeiten wol-
len, dass wir es vorlegen wollen und dass wir es vor allen
Dingen beschlossen sehen wollen .
Daran arbeitet das Bundesministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz .
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs . Herz-
lichen Dank für die Beantwortung, Herr Staatssekretär .
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales . Zur Beantwortung
der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Gabriele Lösekrug-Möller zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 32 der Kollegin Katrin Werner auf:
Welche Bedingungen müssen nach Ansicht der Bundes-
regierung erfüllt sein, damit das Wunsch- und Wahlrecht in
Bezug auf freie Wahl von Wohnort und Wohnform in Deutsch-
land auch für Menschen mit Behinderungen realisiert wird,
und wie definiert die Bundesregierung den Progressionsvorbe-
halt in der UN-Behindertenrechtskonvention?
Bitte .
G
Liebe Kollegin Werner, nach Artikel 4 Absatz 2 derUN-Behindertenrechtskonvention ist jeder Vertragsstaathinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturel-len Rechte verpflichtet, unter Ausschöpfung seiner ver-fügbaren Mittel nach und nach die volle Verwirklichungdieser Rechte zu erreichen . Nach diesem sogenanntenProgressionsvorbehalt steht dem Gesetzgeber bei derFortentwicklung des Leistungsrechts nach den Maßga-ben der UN-BRK ein entsprechender Gestaltungsspiel-raum zu .Im Rahmen der Gestaltung der Leistungen sind ange-messene Wünsche der Leistungsberechtigten zu berück-sichtigen . Für die Angemessenheit ist die Besonderheitdes Einzelfalls maßgeblich . Dabei sind insbesondere dieArt des Bedarfs, die persönlichen Verhältnisse, der Sozi-alraum und die eigenen Kräfte und Mittel zu würdigen .Sofern die Wünsche angemessen sind oder ihre Berück-sichtigung nicht zu unverhältnismäßigen Mehrkostenführt, ist ihnen zu entsprechen . Aber auch unangemes-senen Wünschen ist zu entsprechen, wenn ansonsten derBedarf nicht oder nicht umfassend gedeckt werden kannRenate Künast
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(D)
oder alternative Leistungsformen nicht zumutbar sind .Dabei erfolgt eine individuelle Zumutbarkeitsprüfung .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Ich glaube, dass die Betroffenen, die schon vor der
Sommerpause mit einer Käfig-Aktion auf die Straße
gegangen sind und morgen vor dem Brandenburger Tor
unter dem Motto „Zwangsumsiedlung“ demonstrieren
werden, mit dieser Antwort leider nicht viel anfangen
können, dass ihre Ängste durch Ihre Antwort vielleicht
sogar verstärkt werden; denn Sie sprechen von „ange-
messen“, von „würdigen“, von „Prüfung“ und vielen
Faktoren, die eine Rolle spielen könnten, aber Sie stellen
die Entscheidung unter einen Vorbehalt . Gerade weil Sie
immer wieder vom Poolen sprechen – „Zwangspoolen“
ist ein immer wiederkehrendes Wort –, haben die Men-
schen Angst davor, dass entschieden wird, dass sie in
eine andere Wohnform gehen müssen, und das ist nicht
selbstbestimmt . Insofern bitte ich Sie, konkreter zu wer-
den: Haben die Menschen ein Wunsch- und Wahlrecht?
Können sie selbstbestimmt entscheiden, oder hängt die
Entscheidung von dem Mitarbeiter in der Verwaltung ab?
Wenn die Entscheidung von dem Verwaltungsmitarbei-
ter abhängig ist – diese Frage habe ich hier schon ein
paarmal gestellt –, dann ist sie auch vom kommunalen
Haushalt abhängig . Spätestens 2020, wenn die Schul-
denbremse in den Bundesländern angeblich greift, würde
in dem einen oder anderen Bundesland diese Angst die
Menschen erst recht umtreiben .
Bitte .
G
Ich antworte gerne . – Liebe Kollegin Werner, ich glau-
be, wir beide sind froh, in einem Land zu leben, in dem
freie Meinungsäußerung möglich ist . Deshalb habe ich
großen Respekt vor all dem, was in der Diskussion über
den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes – das ist, wie
ich finde, ein wirklich sehr großes Gesetzesvorhaben –
vorgetragen wird . Der Gesetzentwurf wird morgen ins
Parlament eingebracht . Dann haben es die Abgeordneten
dieses Hauses in der Hand, Veränderungen vorzunehmen .
Wir legen einen Gesetzentwurf vor . Das ist die Aufgabe
der Bundesregierung . Ich will Ihnen sagen: Dieser Ge-
setzentwurf ist aus meiner Sicht auch in dieser Hinsicht
so gestaltet, dass keine Willkür hinsichtlich der Ausge-
staltung des Wunsch- und Wahlrechts herrschen kann .
Das gilt auch für das geltende Recht . Auch wie Ermes-
sen ausgeübt wird, ist nicht beliebig . Insofern sage ich
zu dem, was Sie in Ihrer Frage unterstellt haben: Dieser
Bewertung kann die Bundesregierung nicht zustimmen .
Gleichwohl stimme ich Ihnen zu, dass das Wunsch-
und Wahlrecht ein sehr großes Thema ist . Das gilt insbe-
sondere für die Frage des Wohnortes und der Wohnform .
Meines Erachtens ist in dem Gesetzentwurf, den wir jetzt
zur Beratung vorlegen, angelegt, dass das angemessen
entschieden werden kann . Sollte das Parlament die Rege-
lungen noch verfeinern, glaube ich, wird die Bundesre-
gierung das sehr gerne zur Kenntnis nehmen .
Sie haben das Recht zur zweiten Nachfrage . Ich bitte,
die vereinbarte Zeit zu beachten .
Stoßrichtung meiner Frage ist das Poolen, also die
Gruppenleistung – entweder Sie bestätigen meine Aus-
legung bzw . Befürchtung, oder Sie widersprechen –: Die
Verwaltung kann unter dem Gesichtspunkt des Mehrkos-
tenvorbehalts eine Entscheidung zugunsten einer Pool-
leistung treffen, also einer Gruppenleistung – zum Bei-
spiel hinsichtlich der Wohnform –, die vom Betroffenen
nicht freiwillig gewählt würde . Insofern ist mir nicht klar,
wie man Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonventi-
on umsetzen möchte .
Frau Staatssekretärin .
G
Frau Kollegin Werner, ich glaube, zum Progressions-
vorbehalt in Bezug auf die Umsetzung der UN-BRK habe
ich genug gesagt . Was das gemeinsame Inanspruchneh-
men von Leistungen anbelangt, sieht der Gesetzentwurf
vor, dass das nur bei ganz bestimmten Leistungsarten
möglich ist . Ich denke, wir haben eine sehr angemessene
Regelung vorgeschlagen, wann eine gemeinschaftliche
Inanspruchnahme zumutbar ist . Ich weise hier noch ein-
mal darauf hin: Sollte sie im Einzelfall nicht zumutbar
sein, darf auch die Wirtschaftlichkeit nicht geprüft wer-
den . Das ist schon Gegenstand des Gesetzentwurfs, über
den ab morgen das Parlament beraten wird .
Ich erlaube mir, jetzt die Gelegenheit zu nutzen, noch
auf einen meines Erachtens von Ihnen nicht zu Recht
dargestellten Zusammenhang von Haushaltslagen von
Kommunen und einem Rechtsanspruch auf Leistungen
der Eingliederungshilfe hinzuweisen . Er kann nicht un-
ter dem Vorbehalt der finanziellen Möglichkeiten einer
Kommune stehen .
Danke . – Wir kommen zur Frage 33 der KolleginKatrin Werner:Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung hin-sichtlich der Kritik von Selbstvertretungsorganisationen, dassMenschen mit Behinderungen, die nach dem Asylbewerber-leistungsgesetz Leistungen erhalten, keinen Anspruch auf Ein-gliederungshilfe haben und somit von einer gesellschaftlichenTeilhabe ausgeschlossen sind?Bitte, Frau Staatssekretärin .Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
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(D)
G
Ich antworte darauf wie folgt: Derzeit wird vonseiten
der Bundesregierung kein gesetzlicher Handlungsbedarf
gesehen . Die von Ihnen in der Frage mitgeteilte Auffas-
sung, wonach Menschen mit Behinderungen, die Leis-
tungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten,
keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe haben, ist so
nicht zutreffend . Zwar besteht für den genannten Perso-
nenkreis während der ersten 15 Monate ihres Aufenthalts
im Bundesgebiet nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
kein allgemeiner Anspruch auf Leistungen der Einglie-
derungshilfe – dem liegt die gesetzgeberische Wertung
zugrunde, dass mangels anerkanntem dauerhaftem Inte-
grationsbedarf in die deutsche Gesellschaft Leistungen
der gesellschaftlichen Teilhabe nach dem Asylbewerber-
leistungsgesetz grundsätzlich nicht beansprucht werden
können –, jedoch bietet die Sonderregelung in § 6 Ab-
satz 1 Asylbewerberleistungsgesetz eine Grundlage, die
im Einzelfall auch die Gewährung von Leistungen der
Eingliederungshilfe ermöglicht . Diese können nach § 6
Absatz 1 Asylbewerberleistungsgesetz gewährt werden,
wenn dies zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich
oder zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern
geboten ist . Bei der Auslegung und Anwendung dieser
Norm obliegt es den Leistungsbehörden nach dem zitier-
ten Gesetz, europarechtliche Vorgaben einzuhalten und
den Wertentscheidungen völkerrechtlicher Verträge und
des Grundgesetzes Rechnung zu tragen .
Ich führe auch gerne noch aus: Nach einem fünfzehn-
monatigen Aufenthalt im Bundesgebiet haben die Leis-
tungsberechtigten nach Asylbewerberleistungsgesetz ge-
mäß § 2 Absatz 1 Anspruch auf Leistungen entsprechend
dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch . Insofern gilt für
sie hinsichtlich der Eingliederungshilfe die Sonderrege-
lung in § 23 Absatz 1 SGB XII, die die Gewährung von
Eingliederungshilfeleistungen in das Ermessen der Be-
hörde stellt .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage . – Sie ver-
zichten . – Danke, Frau Staatssekretärin .
Dann kommen wir zur Frage 34 des Kollegen Volker
Beck:
Inwiefern hält es die Bundesregierung für vereinbar mit den
Vorgaben von Artikel 19 Absatz 2 und Artikel 25 Absatz 1 der
Aufnahmerichtlinie, Leistungsberechtigten nach dem Asylbe-
werberleistungsgesetz medizinische und sonstige
Hilfe lediglich in dem von den §§ 4 und 6 AsylbLG vorgesehe-
nen Umfang zu gewähren, obwohl die Aufnahmerichtlinie die
Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Antragstellern mit besonde-
ren Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonsti-
ge Hilfe, einschließlich einer gegebenenfalls erforderlichen
psychologischen Behandlung, zu gewähren und Opfern von
Folter, Vergewaltigung und anderen schweren Gewalttaten
einen Anspruch auf medizinische Behandlung einzuräumen
die Bundesregierung die unionsrechtskonforme Leistungsge-
währung sicherstellen?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Herr Kollege Beck, ich antworte wie folgt: Die Bun-
desregierung hat der Kommission am 11 . April mitge-
teilt, wie die Richtlinie 2013/33/EU – das ist die Bezeich-
nung –, die sogenannte Aufnahmerichtlinie, in das Recht
der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt wurde . Dies
erfolgte fristgerecht auf die Stellungnahme der Kommis-
sion vom 10 . Februar dieses Jahres .
Für das Asylbewerberleistungsgesetz gilt, dass die
Öffnungsklausel des § 6 Absatz 1 – er wurde gerade
schon in einer anderen Antwort erwähnt – den zuständi-
gen Leistungsbehörden die Möglichkeit eröffnet, beson-
deren, auch medizinischen, Bedürfnissen schutzbedürfti-
ger Personen, etwa im Hinblick auf eine Versorgung mit
psychotherapeutischen Behandlungsleistungen, im Sinne
der Aufnahmerichtlinie im Einzelfall Rechnung zu tra-
gen, wenn dies zur Sicherung der Gesundheit unerläss-
lich oder zur Deckung der Bedürfnisse von Kindern ge-
boten ist. Die Pflicht zur Identifizierung dieser Personen
obliegt den Ländern .
Ich will noch anfügen: Unbeschadet dessen prüft die
Bundesregierung derzeit, ob noch weiterer bundesrecht-
licher Regelungsbedarf besteht, etwa im Hinblick auf die
einheitliche Umsetzung der Richtlinienvorgaben in den
Ländern .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Frau Staatssekretärin, die Diakonie Deutschland hat
in einer Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes
zur Ermittlung von Regelbedarfen festgestellt, dass die
Leistungen für Erwachsene darin um rund 140 Euro un-
sachgemäß gekürzt worden sind . Was entgegnen Sie die-
ser Kritik, die sich ja auf Euro und Cent genau mit den
jeweiligen Beträgen umfangreich auseinandersetzt?
G
Diese Bewertung macht sich die Bundesregierung
nicht zu eigen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Sachlich haben Sie dem nichts entgegenzusetzen?
Ich erwarte schon, dassSie, wenn Sie hier einen Gesetzentwurf vorlegen und esvon einem der Spitzenverbände der Wohlfahrtspflegeeine detaillierte Kritik an Ihren Vorstellungen gibt, nichtnur sagen, dass Sie anderer Auffassung sind, sonderndem Parlament auch mitteilen, warum Sie anderer Auf-fassung sind . Die Diakonie in Deutschland kommt beiihren Berechnungen zu einer Differenz von immerhin140 Euro, von der sie sagt, sie sei unsachgemäß .
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Sie haben das Wort .
G
Herr Kollege Beck, wir beide sind schon lange im Par-
lament und wissen, dass es bei jedem Gesetzgebungsvor-
haben ein Prozedere gibt, das immer auch eine Verbän-
deanhörung beinhaltet. Diese findet natürlich zu jedem
Gesetzesvorhaben statt. Wir haben es sehr häufig, dass
Wohlfahrtsverbände, deren Arbeit ich sehr schätze und
respektiere – ich will daran keinen Zweifel lassen –, im
Hinblick auf das, was wir vorschlagen, zu einer anderen
rechtlichen Bewertung kommen .
Das ist auch in diesem Fall so . Aus der Sicht meines Hau-
ses und der Bundesregierung haben wir uns damit hinrei-
chend auseinandergesetzt . Wir kommen eben zu genau
dem Vorschlag, der jetzt Gegenstand ist .
Danke, Frau Staatssekretärin .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Ernährung und Landwirtschaft . Die Fra-
gen 35 und 36 der Kollegin Ronja Schmitt, die Frage 37
des Kollegen Friedrich Ostendorff und die Fragen 38 und
39 der Kollegin Bärbel Höhn werden schriftlich beant-
wortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Verteidigung . Die Frage 40 des Kollegen
Omid Nouripour und die Fragen 41 und 42 des Kollegen
Dr . Alexander S . Neu werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend . Die
Fragen 43 und 44 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer
werden ebenfalls schriftlich beantwortet .
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur .
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung .
Wir kommen zu den Fragen 45 und 46 des Kollegen
Matthias Gastel, den ich im Moment nicht entdecken
kann . – Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung
vorgesehen .
Die Fragen 47 und 48 des Kollegen Stephan Kühn
werden schriftlich beantwortet .
Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Be-
reitschaft zur Beantwortung der Fragen .
Damit sind wir am Ende der Fragestunde .
Ich unterbreche die Sitzung des Plenums des Bundes-
tages bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 15 .40 Uhr .
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet .
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Konzentration in der Agro- und Saatgutindus-
trie durch die geplante Fusion der Bayer AG
und Monsanto
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Katharina Dröge für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Seit letzter Woche ist offiziell: 59 MilliardenEuro will Bayer für den Gentechnikkonzern Monsantohinlegen; eine Riesensumme für ein Unternehmen miteinem ziemlich schlechten Ruf .Ich könnte heute lange darüber sprechen, warumich diese Fusion allein aus unternehmerischer Sicht für Bayer nicht nachvollziehbar finde: das hohe finanzielleRisiko, aber auch der immense Imageschaden, der damitfür Bayer verbunden ist . Aber ich glaube, das ist nichtdas Thema, mit dem wir uns als Deutscher Bundestagbeschäftigen müssen . Das Thema, um das es uns heutegehen sollte, sind die gesamtwirtschaftlichen Folgen ei-ner Fusion; die Folgen für die Verbraucherinnen und Ver-braucher, die Folgen für die anderen Unternehmen undauch die Folgen für die Umwelt .Bei einem Blick auf die Folgen einer Fusion von Bayer und Monsanto sieht es schlecht aus . Schon jetzthaben Bayer und Monsanto auf dem Saatgut- und Pesti-zidmarkt enorme Marktanteile und enorme Marktmacht .Eine Fusion dieser beiden Unternehmen würde zu ei-nem Megakonzern führen, der weltweit fast ein Dritteldes Saatgutes und ein Viertel der Pestizide kontrollierenwürde . Die Verliererinnen und Verlierer dieses neuen me-gamächtigen Konzernes wären unter anderem die Land-wirtinnen und Landwirte, die einem noch höheren Druckausgesetzt wären . Sowohl den Landwirten in Deutsch-land als auch den Kleinbauern in den Entwicklungslän-dern könnte diese Fusion die Lebensgrundlage entziehen .Bei einer Fusion von Bayer und Monsanto erwartenwir, dass es für die Verbraucherinnen und Verbrauchermassive negative Effekte geben wird . Es wird zu einerVerschlechterung im Bereich der Lebensmittel kommen,zu einer Verschlechterung der Auswahl . Mehr als 70 Pro-zent der Deutschen sagen, sie wollen kein Genfood aufihrem Teller . Aber genau das ist ein Teil der Strategie derFusion von Bayer und Monsanto .
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Mit dieser Marktmacht von Bayer und Monsanto wirdauch der politische Einfluss dieses neuen Megakonzernessteigen, etwa der politische Einfluss in Brüssel. Wir se-hen schon jetzt den Einfluss, den beide Konzerne bei derZulassung von Glyphosat ausüben . Wir sehen schon jetztden Einfluss, den beide in den USA und hier in Euro-pa bei der Kennzeichnung von Gentechnik und anderemausüben. Dieser politische Einfluss wird steigen, wenndiese beiden Konzerne fusionieren . Auch das müssen wiruns anschauen, und auch das müssen wir diskutieren .
Aus diesem Grund sage ich: Die Kartellbehördenmüssen sehr genau hinschauen, ob sie diese Fusion ge-nehmigen wollen oder nicht . Da höre ich sehr negativeSignale von den Expertinnen und Experten, sowohl aufeuropäischer Ebene als auch von deutschen Kartellrecht-lern . Viele Experten sagen: Eigentlich kann man dieseFusion gar nicht verhindern; denn beide Unternehmenagieren auf unterschiedlichen Märkten, das eine auf demSaatgutmarkt, das andere auf dem Pestizidmarkt . Dasseien zwei unterschiedliche Märkte . Damit könne nichtfestgestellt werden, dass die Marktmacht relevant steige .Ich sage Ihnen: Wer so eine verengte, so eine altmo-dische Blickweise im Bereich des Kartellrechts hat, derträgt den Gefahren und Risiken sowie der wirtschaftli-chen Bedeutung dieses Konzerns nicht Rechnung .
Denn was ist das wirtschaftliche Ziel dieser Fusion?Warum ist Bayer bereit, fast 60 Milliarden Euro für soeinen Konzern wie Monsanto auszugeben? Es geht genauum die Marktmacht, die durch die Fusion beider Kon-zerne entstehen wird . Denn Bayer und Monsanto wol-len gemeinsam Koppelprodukte verkaufen . Bayer und Monsanto setzen gerade darauf, eine Kombilösung ausSaatgut und Pestizid anzubieten und den Bäuerinnen undBauern zu sagen: Wenn du mein Saatgut kaufst, dannmusst du das Pestizid dazukaufen, und ich habe Saatgut,das genau auf dieses Pestizid optimiert wird .Damit wird die Marktmacht eben nicht auf beidenMärkten separat in irgendeiner Weise betroffen sein, son-dern die Marktmacht wird auf beiden Märkten zunehmenund einen massiven Einfluss bringen. Wenn die Bundes-kartellbehörden das nicht berücksichtigen, dann greifensie zu kurz . Es ist gerade bei integrierten Konzernen, beigroßen, international agierenden Konzernen im Wettbe-werbsrecht in der letzten Zeit immer häufiger zu beob-achten gewesen, dass die Blickweise des Bundeskartell-amts und der Europäischen Kommission zu eng war .Dasselbe war bei der Fusion zwischen Facebook undWhatsApp zu sehen . Auch da haben die Wettbewerbsbe-hörden gesagt: Das sind zwei unterschiedliche Märkte;Facebook und WhatsApp agieren auf unterschiedlichenMärkten . – Wir haben gesagt: Nein, beide haben einenMessengerdienst, und die Fusion zielt darauf, dass Face-book einen unliebsamen Konkurrenten vom Markt weg-kaufen will .Kurze Zeit nach der Fusion haben wir festgestellt:Facebook hat die AGBs verschlechtert, also eine massi-ve Marktverschlechterung für die Konsumentinnen undKonsumenten durchgesetzt . Jetzt, zwei Jahre später, be-schäftigt sich die Europäische Kommission damit . Jetzthat auch das Bundeskartellamt angefangen, sich mit derFrage der Datenschutzverschlechterung auseinanderzu-setzen . Aber ich sage Ihnen: Das ist zu spät .Wenn man solche Fusionen betrachtet, dann muss manam Anfang ansetzen, und dann müssen wir darüber re-den, ob wir die Marktabgrenzung nicht anders definierenmüssen . Dabei ist es gegebenenfalls auch notwendig –das wird sich bei der Fusion von Bayer und Monsantozeigen –, dass wir eine Reform des Wettbewerbsrechtsauf europäischer Ebene und gegebenenfalls auch aufnationaler Ebene durchführen, damit diese Fusion von Bayer und Monsanto verhindert werden kann .
Der Kollege Dr . Matthias Heider hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauKollegin Dröge, das ist wieder einmal eine ganz vor-schnelle Aktuelle Stunde, die wir heute auf Ihr Verlangenabhalten .
Ich dachte eigentlich schon heute Morgen im Wirt-schaftsausschuss, wir wären uns darüber einig gewesen,dass politischer Druck auf Kartellbehörden eben nichtdas ist, was wir wollen . Ich glaube, mit dieser AktuellenStunde machen wir gerade genau das Gegenteil .Kennen Sie den Inhalt des Übernahmevertrages derbeiden Parteien? Haben Sie ihn gelesen? Hat irgendeinMitglied dieses Hauses ihn gelesen?
Nein, Sie haben ihn nicht gelesen . Sie blicken auf Markt-daten, stellen Vermutungen an und machen das zu einerGrundlage für eine Aktuelle Stunde . Das ist ein bisschendürftig, meine Damen und Herren .
Wenn wir uns die einzelnen Punkte ein bisschen näheranschauen, dann geht es vor allen Dingen um die Frage:Was prüfen Kartellbehörden eigentlich, wenn es dennso weit ist? Wir müssen zunächst einmal bestimmen,welche Märkte betroffen, welche Märkte relevant sind .Bayer und Monsanto müssen dann nachweisen, wie dieVerhältnisse der Produktion für diese Märkte bei ihnenwirklich sind .Katharina Dröge
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Ein kurzer Überblick – das hätten Sie auch machenkönnen – zeigt aber Folgendes: Bayer ist auf dem Ge-biet der Chemie, der Gesundheit und der Agrochemietätig . Im Geschäftsjahr 2015 hat Bayer einen Umsatzvon 46 Milliarden Euro erzielt . Monsanto produziertSaatgut für Obst, Gemüse und Nutzpflanzen wie Mais,Sojabohnen und Baumwolle, und das maßgeblich für denamerikanischen Markt, mit einem Volumen von unge-fähr 15 Milliarden Dollar . Überschneidungen zwischenden beiden Unternehmen – man spricht dabei übrigensvon deckungsgleichem Geschäft, und ausschließlich umdiesen Aspekt wird es gehen – gibt es auf den GebietenPflanzenschutz und Saatgut.Dass die Übernahme von Monsanto durch Bayer Bayer zur weltweiten Nummer eins im Geschäft mitAgrochemie machen wird, ist, glaube ich, insgesamt eherein Vorteil als ein Nachteil .
Nicht zu verkennen ist, dass in diesem Bereich große Fu-sionen wie von Dow und DuPont und von Syngenta undChemChina stattfinden. Eine Marktbetrachtung mussdeshalb auch das berücksichtigen .Bayer ist ein Vorzeigeunternehmen in Deutschland .Es liegt in unserem nationalen Interesse, dass wir einenwettbewerbsfähigen Marktteilnehmer im internationalenGeschäft heben, der sich europäischen Standards ver-pflichtet fühlt, die gute Standards sind und für die wirauch in internationalen Verträgen eintreten .
– Erst einmal zuhören, Frau Künast!
Darüber hinaus prüfen die Behörden die Auswirkun-gen auf Bauern und Verbraucher . Hier müssen wir unskritisch mit den Informationen auseinandersetzen . Dasgeht aber nicht über einzelne Produkte, die Ihnen viel-leicht die Haare zu Berge stehen lassen, mit denen Siesich aber auseinandersetzen müssen .Im Übrigen ist die Eigentümerstruktur ein ganz in-teressanter Aspekt . BlackRock ist sowohl an Bayer alsauch an Monsanto beteiligt . Ob dadurch wirklich eineAuswirkung auf den Wettbewerb besteht, werden dieKartellbehörden im Einzelnen nachprüfen müssen . Dasliegt nicht ohne Weiteres auf der Hand .Diese Prüfungen dauern eine Zeit lang . Deswegen istdie Union überrascht, dass Sie schon heute eine AktuelleStunde dazu lostreten .
Diese Verfahren sind nicht von heute auf morgen durch-zuführen . Wenn Sie sich wenigstens angesehen hätten,welche Wirkung das für den Bereich Forschung und Ent-wicklung haben wird, dann hätten Sie erkannt, dass dieSynergien, die die beiden Unternehmen im Bereich derAgrochemie darstellen können, immerhin ein Volumenvon 2,5 Milliarden Euro haben . 2,5 Milliarden Euro fürForschung und Entwicklung! Ich wäre als Wirtschafts-politiker ganz zufrieden, wenn wir das am StandortDeutschland halten würden und nicht irgendwo andersin der Welt .
Der letzte Aspekt, der ebenso wichtig ist, ist: Die Weltwird von immer mehr Menschen bevölkert . Wir werdenfür die Nahrungsversorgung der Menschen in den nächs-ten Jahrzehnten Lösungen brauchen .
Ich glaube, dass integrierte Lösungen, die in den Berei-chen Saatgut und Pflanzenschutz angesiedelt sind, dazueinen guten Beitrag leisten . Der Beitrag ist nicht, dasswir nichts tun, Frau Künast . Unser Beitrag besteht darin,mutig nach vorne zu schauen und nicht in den Rückspie-gel .Danke schön .
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Im Wort „Konzern“ steckt schon das Wort „Konzentra-tion“ . Was aber jetzt mit der Übernahme von Monsantodurch den Bayer-Konzern entsteht, ist ein bislang nichtgekannter Superkonzern, der größte Agrokonzern derWelt . Das sollte uns das Fürchten lehren . Ich sage Ihnen:Ich empfinde dies als massive Bedrohung. Wir haben da-mit im Agrarbereich eine bislang nicht gekannte Macht-konzentration und damit eine ungeheuerliche Kontrolleüber die Ernährung, die Gesundheit und das Leben vonMilliarden Menschen . Ich gebe zu: Das macht mir Angst .Sicherlich geht es vielen Menschen genauso .
Der neue Konzern wird das weltweite Geschäft mitSaatgut und Pestiziden kontrollieren . Die Ernährungder Weltbevölkerung liegt damit in der Hand eines Su-perkonzerns, und es ist keine Menschenliebe, die die-sen Konzern treibt . Es ist der Griff nach dem Leben derMenschen, die totale Kontrolle der Ernährungsgrundlagevon Milliarden . Mit dem Geschäftsmodell von Bayer/Monsanto wird es keine Artenvielfalt bei Insekten undVögeln mehr geben . Die Sortenvielfalt bei Getreide, Ge-müse und Früchten wird beschränkt . Der Konzern wirddie Preise diktieren und noch mehr Bauern in Armutstürzen . Für die Soja- und Maismonokulturen werden imDr. Matthias Heider
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gleichen Konzern unwahrscheinliche Mengen an Pesti-ziden produziert . Der Konzern setzt auf Genmanipula-tionen in großem Stil . Die Folge dieses Horrors sind aufJahre kaputte Böden und Gefährdung des Grundwassers .Es sind die Lebensgrundlagen, die mit diesem Chemie-konzern zerstört werden . Dies ist der größte Zugriff aufdas Leben, den es je gegeben hat . Das wollen wir nichtzulassen .
Bayer war schon einmal der größte Chemiekonzernder Welt, vor rund 75 Jahren . Ich möchte hier nicht dieGeschichte dieses Konzerns aufrollen . Aber eines warschon immer Sache des Bayer-Konzerns und seiner Vor-gänger: die Einteilung in richtiges und falsches Leben .Heute sprechen wir von Biopatenten, die genau dafürstehen: das vermeintlich Richtige zu verbreiten und dasvermeintlich Falsche auszumerzen . Der Konzern machtdamit Profit.Ich bin schon lange Mitglied im Beirat der Coordi-nation gegen Bayer-Gefahren, die mit den KritischenAktionären hervorragende Aufklärungsarbeit leistet . Sieinformieren zum Beispiel, welche weltweiten Marktan-teile der neue Superkonzern erreicht: Bei Pestiziden sindes 25 Prozent, beim Saatgut für Ackerböden rund 30 Pro-zent und bei Genpflanzen weit über 90 Prozent. 90 Pro-zent, meine Damen und Herren! Da frage ich mich: Wol-len wir das wirklich? Sie schon, aber die anderen nicht .Mit der Fusion ist der Superkonzern dem Weltmarkt-monopol für die gesamte Agrarwirtschaft gefährlich nahegekommen . Ich sage Ihnen: Das dürfen wir nicht zulas-sen .
66 Milliarden Dollar: Das ist die größte Investition einesdeutschen Konzerns im Ausland . Dieses Geschäft wirdsich Bayer durch TTIP absichern lassen wollen . Handels-hemmnisse sollen fallen, damit der Superkonzern freieBahn hat und die Märkte in Europa für die Gentechnik-produkte aus den USA geöffnet werden . An dem neuenSuperkonzern kommt dann niemand mehr vorbei .Es geht darum, für Glyphosat die Bahn freizumachen,und zwar möglichst unbefristet . Bahn frei für Gentechnikauch auf unseren Äckern . Nur Monsantos gentechnischmanipulierte Designerpflanzen überleben Glyphosatüberhaupt . Alles andere überlebt auf den Äckern nicht .Es heißt, dass Frau Merkel gute Kontakte zum Auf-sichtsratsvorsitzenden von Bayer pflegt. Sie hatte sich imAugust überraschend für Monsantos Pflanzenschutzmit-tel Glyphosat ausgesprochen, das die Weltgesundheitsor-ganisation für wahrscheinlich krebserregend hält .Ich erwarte jetzt, dass das Kartellamt bei dieser Fusioneinschreitet . Wir brauchen genau das Gegenteil der welt-weiten großtechnischen Monopolisten, das Gegenteildieses Irrsinns von Weltkonzernen, die immer größer undgefräßiger werden . Wir sollten unsere Gesundheit sowiedie Selbstbestimmung über unsere Ernährung eben nichtdiesem Chemie- und Gentechnikkonzern ausliefern .
Die Mehrheit der Bevölkerung hier in Europa wünschtdas nicht . Wir wollen keinen Genfraß . Den wollen wirweder aus den USA noch aus anderen Ländern, sondernwir wollen gesunde Lebensmittel . Und wir wollen denZugriff auf unsere Lebensmittel selbst behalten und ihnnicht Konzernen für deren Profit opfern.
Die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß hat für die
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Jetzt beginnt eine neue Zeit in der Landwirtschaft –eine Zeit mit bedeutenden Herausforderungen, dieneue nachhaltige Lösungen und Technologien ver-langt, …Wenn es mir nicht direkt im Halse stecken bleibenwürde, würde ich über diesen Teil der Pressemitteilungaus dem Hause Bayer zur Fusion mit Monsanto lachen;denn Monsantos Geschäftsmodell ist ja bekanntermaßensehr weit von allem entfernt, was tatsächlich nachhaltigist .
Das betrifft vor allem das gentechnisch veränderte Saat-gut, mit dem der Konzern einen großen Teil seines Gel-des verdient .Seit Jahrzehnten verspricht Monsanto, dass damit derHunger in der Welt besiegt werden kann . Genau das stehtjetzt auch wieder in der eingangs zitierten Pressemittei-lung: Man könne nun die Herausforderungen unsererZeit besser meistern und bis zum Jahr 2050 zusätzlich3 Milliarden Menschen ernähren . – Ich bin es so leid,ständig diese Versprechen zu hören . Es gibt sie nämlichnicht, diese wunderbaren neuen Pflanzen, die Dürrenbesser überstehen oder Kleinbauern in Entwicklungslän-dern höhere Erträge bringen .Monsanto macht sein Geld bisher vor allem mit gen-technisch veränderten Pflanzen, die gegen das ebenfallsvon Monsanto verkaufte Glyphosat unempfindlich sind,
mit gentechnisch veränderten Pflanzen, die – bestimmtfür die Fleisch- und Milchproduktion in Industrielän-dern – vor allem ins Tierfutter gehen . Das hilft nirgend-wo auch nur irgendeinem hungernden Kind .
Die „Wir besiegen den Hunger“-Slogans sind reine PR –mehr nicht . Diese Gentechnik, die weltweit den Bauern,den Verbraucherinnen und Verbrauchern bzw . einer ge-samten Gesellschaft nutzt, gibt es nicht .Eva Bulling-Schröter
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Der Bayer-Konzern, der immerhin 60 Milliarden Eurofür Monsanto bezahlt hat – ich habe gelesen, dass dasGeld eigentlich gar nicht da ist –, muss dieses Geld je-denfalls wieder hereinholen . Gerade weil ich mich schonseit einiger Zeit mit Gentechnik und mit Monsanto be-schäftige, habe ich erhebliche Zweifel daran, dass diestatsächlich auch auf nachhaltigem Wege und zum Nutzenvon Bauern, von Verbraucherinnen und Verbrauchernund der Umwelt passieren wird und nicht ausschließ-lich zum Nutzen der Aktionäre . Nachhaltigkeit bedeutet,Vielfalt zu fördern und nicht auf Patente zu setzen, diesich Kleinbauern gar nicht leisten können . Nachhaltigkeitbedeutet auch, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln inder Landwirtschaft so gering wie möglich zu halten undnicht Landwirte noch abhängiger von einem Anbieter zumachen .
Der Presse entnehme ich, dass die Kartellbehörden denZusammenschluss als unproblematisch bewerten könn-ten . Monsanto sei ja vor allem in Amerika aktiv, Bayer inEuropa . Allerdings hätte Bayer offenbar nach der Fusioneinen Marktanteil von 90 Prozent bei gentechnisch ver-ändertem Saatgut . Und das soll kein Monopol sein? Ichhoffe, dass die Kartellbehörden sehr genau hinschauen .Ich sehe hier eine massive Marktkonzentration unddamit Marktmacht . Je weniger Konzerne den Markt do-minieren, desto weniger haben wir – ich meine uns alleals Verbraucherinnen und Verbraucher – eine Chance,selbst zu bestimmen, was wir essen .
Gleichzeitig laufen wir Gefahr, dass unser aller politi-sches Engagement für eine nachhaltigere Landwirtschaftschlicht verpufft, weil wir eine solche Marktmacht undDominanz einiger weniger Konzerne im Nachhinein garnicht mehr eingrenzen können .Ich bin deshalb höchst besorgt über diese Fusion, undich kann nur an die Aufsichtsbehörden appellieren, be-sonderes Augenmerk auf die Folgen dieses Deals für unsalle, für die Landwirte und für die Verbraucherinnen undVerbraucher, sowie für die Umwelt zu richten .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Dr . Kristina Schröder .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Worüber reden wir heute?
Eigentlich darüber, dass ein großes und traditionsreichesdeutsches Unternehmen ein amerikanisches Unterneh-men übernimmt – ein in der Tat großer Deal, bei dem sichzwei Unternehmen zusammenschließen, deren Portfoliound deren Pipeline sich in hohem Maße ergänzen . Daskünftige Unternehmen wird ein deutsches Unternehmensein und bewegt sich damit im regulatorischen Rahmender EU und der Bundesrepublik Deutschland . Und diesenRahmen setzen wir hier als Deutscher Bundestag .
Aber so nüchtern betrachtet die Opposition in diesemHaus das leider nicht .Im Kern geht es in der heutigen Debatte nämlich nichtum die Übernahme; es geht um Monsanto an sich .
In der Tat kann man sich kritisch mit Monsanto auseinan-dersetzen . Man kann diskutieren über manche Geschäfts-modelle, über einige Vertragskonditionen, über den Um-gang des Unternehmens mit Patenten . Über all das kannman sachlich diskutieren .
Aber was machen Sie, vor allen Dingen Sie von den Grü-nen?In einigen Wochen, am 14 . Oktober, wird auf demPlatz vor dem Internationalen Strafgerichtshof in DenHaag ein Schauprozess inszeniert werden,
unterstützt von Attac, Greenpeace, manchem dubiosenWissenschaftler – und von Renate Künast,
sogenannte Botschafterin dieses selbsternannten Tri-bunals .
Elvira Drobinski-Weiß
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Angeklagt: Monsanto . Und zwar wegen – ich zitiere auseinem Schreiben Renate Künasts – „Verbrechen gegendie Menschlichkeit und Ökozids“ .
Meine Damen und Herren, Verbrechen gegen dieMenschlichkeit! Ökozid! Das ist ein Begriff, der bewusstdem Begriff des Genozids, des Völkermords, nachgebil-det ist . Geht es nicht auch eine Nummer kleiner?
Was Sie hier machen, das ist keine Diskussion, das isteine Dämonisierung: eine Dämonisierung eines Unter-nehmens, eine Dämonisierung einer ganzen Branche,eine Dämonisierung einer ganzen Technologie .
Sie unterteilen die Welt ja gern in Gut und Böse: hierdie böse Gentechnik, dort die gute Biolandwirtschaft;hier die böse Industrienahrung, dort die guten Ökopro-dukte; hier die bösen Lobbyisten, dort die guten Interes-senvertreter . Tatsachen lassen sich aber mit einer ideolo-gischen Brille nicht rational erfassen .
Gerade bei neuen Technologien bedarf es einer rationa-len Bestandsaufnahme . Bewiesene Risiken multipliziertmit der Eintrittswahrscheinlichkeit müssen abgewogenwerden gegen Chancen, die auch wiederum multipliziertwerden müssen mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit .
Das bedeutet für die Grüne Gentechnik nach heutigemStand der Wissenschaft: Gentechnisch veränderte Pflan-zen
werden heute weltweit in 20 Ländern von circa 20 Milli-onen Landwirten angebaut auf über 150 Millionen Hek-tar Ackerfläche.
Im Vergleich: Deutschland ist gerade einmal 35 Milli-onen Hektar groß . In den letzten 25 Jahren haben sichmehr als 500 unabhängige Forscherteams mit Untersu-chungen zur biologischen Sicherheit transgener Pflanzenbeschäftigt .
In keiner dieser Untersuchungen konnten negative Aus-wirkungen von gentechnisch veränderten Organismenfestgestellt werden,
auch nicht bei den vieldiskutierten Auskreuzungen .
Es gibt aber auf der anderen Seite beachtliche Chan-cen, etwa durch den Einsatz des sogenannten GenomeEditing,
der größten methodischen Innovation in der Mikrobiolo-gie seit mehr als 20 Jahren,
die es mit einer nicht gekannten Präzision und Erfolgs-aussicht ermöglicht, Pflanzen resistent gegen Krankhei-ten zu machen,
Abstoßungsreaktionen bei gespendeten Organen zu ver-mindern und sogar Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen .
Beachtliche Chancen gibt es aber auch für unseredeutsche Wirtschaft . Es wäre ja ganz schön, wenn es wie-der einmal eine Technologie gäbe, bei der Deutschlandvoranschreitet und sich nicht ängstlich wegduckt .
Beachtliche Chancen gibt es auch für die Bekämpfungvon Hunger und Krankheit in der Welt .
Der sogenannte Goldene Reis, der mit Vitamin A ver-setzt ist, könnte jedes Jahr 250 000 bis 500 000 Kindervor der Erblindung bewahren .
Das kann Sie doch nicht kaltlassen .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, 10 Milliar-den Menschen werden 2050 auf unserer Welt leben . Umalle Menschen satt zu bekommen, müssen die Landwirteunserer Welt ihren Ertrag nahezu verdoppeln . Hier dieChancen einer vielversprechenden Technologie ohneDr. Kristina Schröder
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fundierten Beweis ihrer Schädlichkeit einfach abzuleh-nen und entsprechende Unternehmen zu verteufeln,
das ist naiv,
das ist verantwortungslos, und das ist auch dekadent .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die Fraktion Die
Linke ist der Kollege Niema Movassat .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauDr . Schröder, ich muss sagen: Das war eine wunder-bare Bewerbung als Pressesprecherin für den neuen Bayer-Monsanto-Konzern .
Fakt ist: Es gibt für Menschen nichts Grundlegenderesals den sicheren Zugang zu Nahrung . Nichts wäre ge-fährlicher, als wenn ein Konzern die globale Nahrungs-mittelproduktion beherrscht; denn er entscheidet dann,ob man Nahrung bekommt und zu welchem Preis . Ge-nau diese Gefahr droht durch die geplante Übernahmevon Monsanto durch Bayer . Schon heute beherrschenzehn Konzerne drei Viertel des Marktes für kommer-zielles Saatgut – zehn Konzerne, die entscheiden, wasangebaut wird, was wir essen . Der neue Megakonzern Bayer-Monsanto wird eine bislang ungekannte, gefähr-liche Marktmacht im Bereich Saatgut, Gentechnik undPestizide besitzen. Allein im Bereich der Genpflanzenwird das neue Unternehmen über 90 Prozent des Marktesbeherrschen . Statt der Macht einiger weniger Konzernebrauchen wir eine Demokratisierung des Agrarmarktes,weil der Zugang zu Nahrung ein Menschenrecht ist . Des-halb hoffe ich, dass die Kartellbehörden diesem Deal ei-nen Riegel vorschieben werden .
Die geplante Übernahme ist jedoch nicht die einzi-ge Strategie von Bayer, um seine globale Marktmachtweiter auszubauen . Eine andere, viel zu wenig beach-tete liegt in der intensiven Kooperation von Bayer mitder Bundesregierung im Rahmen der Entwicklungszu-sammenarbeit . Nehmen wir das Beispiel Afrika . Dortstellen die Bauern noch bis zu 90 Prozent des Saatgutseigenständig her . Diese Kleinbauern verweigern sichzum Glück bisher nicht nur dem patentierten Saatgut derKonzerne; nein, sie verbrauchen auch nur 2 bis 5 Pro-zent der global eingesetzten Pestizide . Das soll sich nachMeinung von Bayer, Monsanto und Co . besser heute alsmorgen ändern . Beide Konzerne haben es dabei in denletzten Jahren meisterhaft verstanden, die Entwicklungs-zusammenarbeit als Türöffner für die Erschließung neuerMärkte zu nutzen .So üben sie über die sogenannte „Neue Allianz für Er-nährungssicherung“ der G-7-Staaten erheblichen Druckauf afrikanische Länder aus, ihre Gesetzgebung im Sinneder Agrarkonzerne zu verändern . Bauern soll verbotenwerden, ihr traditionelles Saatgut miteinander zu teilenund zu tauschen .
Zugleich hat Monsanto mit der Bill-Gates-Stiftungeine grüne Revolution für Afrika ausgerufen, in der auchGentechnik eine wichtige Rolle spielt .Bayer wiederum hat in Kenia Bauern geschult – imRahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit .Sollte alles angeblich produktneutral sein . Bestimmt istes nur Zufall, dass der Pestizidabsatz von Bayer darauf-hin um 20 Prozent stieg . Diese Schulungen sollen imRahmen der Grünen Zentren, einem Lieblingsprojektvon Entwicklungsminister Müller, weitergehen – wohlbald auch mit Monsanto-Produkten im Sortiment .
Wir haben als Linke die Kooperation zwischen staatli-cher Entwicklungszusammenarbeit und Agrarkonzernenstets abgelehnt . Die bevorstehende Übernahme bringtdas Fass aber zum Überlaufen . Deshalb, liebe Bundesre-gierung: Beenden Sie die Zusammenarbeit! Keine Steu-ergelder und keine Kooperation mit Bayer-Monsanto!
Wenn Vertreter dieser Unternehmen von Hungerbe-kämpfung sprechen, geht es nicht um die Teller der Ar-men, sondern um die Taschen ihrer Aktionäre .
Ihre umweltzerstörenden Gentechnik-Pestizid-Kombina-tionen kann sich kaum ein Kleinbauer leisten . Die Klein-bauern, die es kaufen, verschulden sich massiv . In Indienhaben sich in den letzten 20 Jahren 300 000 Kleinbauerndeshalb das Leben genommen,
weil sie die Kredite bei den Agrarkonzernen nicht mehrbedienen konnten .
Die Agrarkonzerne stillen ihren Hunger nach Profit aufden Rücken – und manchmal auch auf den Leichen – vonDr. Kristina Schröder
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Millionen Kleinbauern . Und die Bundesregierung hilfttatkräftig mit . Damit muss endlich Schluss sein!
Wer den Hunger auf der Welt erfolgreich bekämpfenwill, muss eine völlig andere Agrarpolitik betreiben . Diestaatlich finanzierte Agrarforschung muss die lokalenProbleme und Erfordernisse von Kleinerzeugern in denMittelpunkt stellen . Es muss darum gehen, Kleinbauernzu unterstützen und zu stärken . Wer sich vor der Aufga-be drückt, das Ernährungssystem zu demokratisieren unddie Macht der Agrarkonzerne zu beschneiden, wird eineWelt ohne Hunger nicht erreichen .Jetzt darf ich Sie alle noch überraschen. Ich finde eineSache bei dem Bayer-Monsanto-Deal gut,
nämlich dass die öffentliche Kritik an der bisherigenAgrarpolitik zunehmen wird . Denn in Umfragen be-zeichnen Menschen Monsanto regelmäßig als das meist-gefürchtete Unternehmen, als Symbol für alles, was aufdem Agrarmarkt schiefläuft: genmanipulierte Pflanzen,Gifteinsatz in der Landwirtschaft, Patente auf die Natur,Gewinnstreben vor Umweltschutz . Bayer steht aber demUS-Konzern in nichts nach . Das wird nun hoffentlichauch der breiten Öffentlichkeit bewusst, und damit wirdhoffentlich der Druck auf die Bundesregierung erhöht,endlich die unheilige Allianz mit den Agrarkonzernen einfür alle Mal zu beenden .Danke .
Vielen Dank . – Jetzt hat Rita Hagl-Kehl, SPD-Frakti-
on, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die ganze Welt blickt momentan auf die Fu-sion von Monsanto und Bayer . Es ist die bislang größ-te Übernahme eines deutschen Konzerns im Ausland .Damit wird Bayer zusammen mit Monsanto der größteAnbieter von Saatgut und Agrochemie auf dieser Weltwerden . Unser Landwirtschaftsminister Schmidt hat dieÜbernahme begrüßt . Seine Erwartung ist, dass Bayer dieNachhaltigkeitsstrategie auf Monsanto überträgt . Eben-so erwartet er Potenzial für die digitale Technik . – Aufdiesen Punkt wird mein Kollege Rainer Spiering nocheingehen .Grundsätzlich bewerte ich Innovationsbereitschaft be-züglich Umweltverträglichkeit und ressourcenschonen-der Landwirtschaft natürlich als positiv . Wir können nurdie Hoffnung aussprechen, dass diese positive Beeinflus-sung auch im Bereich der Reduktion der Pflanzenschutz-mittel stattfinden wird.Die Ziele der SPD sind eindeutig: Wir wollen eine flä-chendeckend wirtschaftende, multifunktionale Landwirt-schaft . Hier ist das Prinzip der Nachhaltigkeit besonderswichtig . Wir wollen bäuerliche Landwirte mit hofnahenKreisläufen und ländliche Gemeinschaften, in die sie ein-gebettet sind, und wir wollen eine Reduzierung des Ein-satzes von Pflanzenschutzmitteln. Deswegen sehen wireinige Punkte dieser Übernahme äußerst kritisch .Wir hören auf die Ängste der Landwirte . Sie habenAngst vor Preiserhöhungen . Sie haben Angst davor, inAbhängigkeiten beim Saatgut zu geraten . Wir kennen jaalle die Beispiele aus Amerika: Saatgut darf dort nur ein-mal benutzt werden und dann in Kombination mit demdazu verkauften Pflanzenschutzmittel. Das ist etwas, waswir nicht als nachhaltig betrachten . Das ist etwas, waswir nicht für unsere Landwirte wollen .
Wir fürchten eine Beeinträchtigung der Marktwirt-schaft, und wir fürchten eine noch stärkere Industriali-sierung der Landwirtschaft und damit verbunden eineExistenzgefährdung der Landwirte in kleinbäuerlichenStrukturen, die oft am nachhaltigsten wirken .Die SPD nimmt die Sorgen der Landwirte, aber auchder Zivilgesellschaft ernst . Meine Kollegin ist schon aufdie Genthematik eingegangen . Die Menschen wollenkeine genmanipulierten Pflanzen bei uns in Deutschland.Sie wollen aber auch nicht, dass – und das wissen sie inden meisten Fällen nicht – die Tiere damit gefüttert wer-den, die sie später essen .
– Wir wollen schon Tiere essen;
das ist jetzt ein Vorurteil . Ich bin kein Veganer oder Vege-tarier; ich will auch Tiere essen . Aber dafür müssen wirdie Tiere nicht mit genmanipulierten Pflanzen füttern. Esgibt Tierhaltung bei uns schon länger, als es genmani-pulierte Pflanzen gibt, und es gibt sie schon länger alsLieferungen von Tiernahrung aus Südamerika und der-gleichen .
Wir alle wollen auch das Klima schonen . Deshalb kön-nen wir es uns auf Dauer nicht leisten, weiterhin diesePflanzen zu holen, weiterhin die Regenwälder abzuhol-zen und all das zu tun, was damit verbunden ist . Das sindalles Gefahren, die wir in Verbindung mit dieser Über-nahme sehen .
Wir werden uns mit dieser Thematik heute mit Si-cherheit nicht abschließend beschäftigen; vielmehr wirddie Thematik für uns alle noch eine große Rolle spielen .Zunächst einmal sind natürlich auch die Kartellgerichtedamit befasst . Sie werden irgendwann ein Urteil fällen .Ich habe keine Ahnung, wie das ausgeht . Aber für unsmuss im Mittelpunkt stehen, dass wir unsere Natur, un-Niema Movassat
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sere bäuerlichen Strukturen, wie wir sie jetzt haben, unddie Ernährung für die Menschen sichern . Das ist für unsdas Wichtigste . Dabei bedeutet Ernährung zu sichern fürmich nicht, nur immer mehr zu produzieren .Danke schön .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen spricht jetzt Harald Ebner .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Saatgut ist die genetische Grundlage der Er-nährung unserer Welt. Kulturpflanzenvielfalt ist auch einKulturgut, das existenziell bedroht wird, wenn nur nochwenige Konzerne sich auf wenige Sorten konzentrierenoder am Ende gar nicht mehr züchten . Deswegen ver-dient der weltweite Saatgutmarkt von uns hohe Aufmerk-samkeit .Auf diesem Markt findet seit Jahren eine erschrecken-de Konzentration statt . Die Kontrolle über die geneti-schen Grundlagen der Ernährung der Welt befindet sichin den Händen von tatsächlich immer weniger und im-mer größeren transnationalen Konzernen . Vor allem übergentechnische Veränderungen, egal ob mit alter oder mitneuer Gentechnik, sichern sich diese Unternehmen dieKontrolle mit Biopatenten über wachsende genetischeRessourcen . 2013 hielt Bayer – schon allein Bayer –mehr als 200 Patente auf Gentechnikpflanzen – mehr alsalle anderen Konzerne in Europa zusammen .Die Privatisierung der weltweiten genetischen Res-sourcen ist in vollem Gange, und das kann uns nicht egalsein .
Immer mehr mittelständische Züchter müssen diesemProzess weichen, auch in Deutschland . In Baden-Würt-temberg zum Beispiel gab es vor Jahren noch drei mit-telständische Züchter; heute gibt es nur noch einen . Jetztwird mit der ausgehandelten Fusion ein weiteres Kapitelaufgeschlagen: Bayer und Monsanto kontrollieren allei-ne bereits fast ein Drittel des Saatgutmarktes und überein Viertel des Pestizidmarktes .Nur vier Kulturarten bilden heute die Basis von50 Prozent der Welternährung . Nachhaltige bäuerlicheLandwirtschaft, vor allem Kleinbauern im globalen Sü-den und der Ökolandbau sind auf standortgerechte viel-fältige Sorten und vielfältige Saatgut- und Anbausys-teme, und zwar ohne Abhängigkeiten, angewiesen . Siekönnen nichts mit Sorten anfangen, die immer höhereInputs an Energie, an Stickstoffdünger, an Pestizidenbrauchen . Aber Konzerne, die Saatgut und Pestizideentwickeln, sind nicht die Hoffnungsträger von morgen,wie uns Bayer-Chef Baumann weismachen will; sie sindnicht Teil der Lösung, sondern allzu oft leider Teil desProblems Welthunger .
Ehrliche Politik muss sich diesem Problem stellen, stattwie das Kaninchen auf die Schlange zu starren .Als einträgliche Geschäftsstrategie haben die Agrar-konzerne Gentechnikpflanzen entwickelt – das wurdeschon mehrfach angesprochen –, die tolerant sind ge-genüber einem Totalherbizid aus dem gleichen Haus . BeiMonsanto ist es Glyphosat, bei Bayer ist es Glufosinat .Diese Kombipakete verschärfen die Abhängigkeit undhaben tatsächlich zu einem massiven Anstieg der einge-setzten Herbizidmengen in Nord- und Südamerika ge-führt mit verheerenden Folgen für die Umwelt und denMenschen .
Was passiert, wenn Markt sich konzentriert, wennwir Oligopole nicht verhindern? Das sehen wir derzeitin Deutschland im Lebensmitteleinzelhandel . Hier wer-den unseren Erzeugern oft ruinöse Preise diktiert . Auchdie Landwirte in der EU mussten wegen geringen Wett-bewerbs schon Preisanstiege beim Saatgut in Höhe von30 Prozent innerhalb von zehn Jahren hinnehmen . DieBauern werden von zwei Seiten in die Zange genommen .Da können wir nicht einfach zugucken .
Durch die Monsanto-Übernahme wird Gentechnikein noch wichtigeres Geschäftsfeld von Bayer . Der neueRiesenkonzern wird natürlich entsprechende Lobbyar-beit betreiben . Was das bedeutet, können wir aktuell beiNeonicotinoiden oder bei den Hormongiften beobachten .Bundesminister Schmidt – er ist nicht da – erwartet, dassBayer seine Nachhaltigkeitsstrategie auch auf die neuenUnternehmensteile übertragen wird . Das ist jedoch, mitVerlaub, angesichts der bisherigen Unternehmenspoli-tik von Monsanto und der damit verbundenen negativenReputation, aber auch angesichts der identischen An-teilseigner beider Unternehmen ein mehr als frommerWunsch und eine einsame Sichtweise .Nachhaltigkeit ist eine schöne Floskel . Aber wasmacht Bayer wirklich? Der Konzern klagt gegen dasEU-Teilverbot seiner Bienenkiller in Form von Neonico-tinoiden, also Imidacloprid und anderen . Bayer verkauftauch Gentechpflanzen, die gegen das hauseigene Her-bizid Glufosinat resistent sind, was bei uns nicht mehrzulassungsfähig ist . Dazu sage ich: Wer Megakonzernendie Definition von Nachhaltigkeit überlässt, macht denBock zum Gärtner .
Der Einfluss wird wohl in eine Richtung zunehmen, undzwar von einem großen Unternehmen Richtung Politikund nicht andersherum – ganz egal, ob es ein deutschesRita Hagl-Kehl
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oder ein amerikanisches ist . Deshalb müssen wir hieraufpassen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wirGrüne wollen nicht, dass die Bauern am Gängelband voninternationalen Konzernen hängen,
und zwar unabhängig davon, wo deren Hauptsitz ist . Sostellen wir uns die Zukunft der Bäuerinnen und Bauernim Bereich Ernährung und Landwirtschaft nicht vor, we-der in Deutschland noch in Europa noch sonst wo aufder Welt .Danke schön .
Vielen Dank . – Jetzt spricht der Kollege Dr . Andreas
Lenz, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Übernahme des amerikanischen Unter-nehmens Monsanto durch Bayer wäre mit 59 MilliardenEuro die größte Fusion in der deutschen Wirtschaftsge-schichte . Dabei entstünde eines der weltweit führendenUnternehmen in den Bereichen Saatgut, Pflanzenschutzund digitale Landwirtschaft – Stichwort: Smart Farming .Wir erleben im Moment einen rasanten Umbruch in derBranche . In den USA kam es zu einem Zusammenschlussvon Dow und DuPont . Außerdem wurde vor kurzem dieSchweizer Syngenta durch ChemChina übernommen .In diesem Kontext kann ich verstehen, dass man in derBranche nach strategisch sinnvollen Zusammenschlüs-sen sucht . Diese Überlegungen sind aber gar nicht unse-re Aufgabe; denn die Wirtschaft findet in der Wirtschaftstatt und eben nicht in der Politik .
Der Staat ist dazu da, die Regeln im Sinne einesSchiedsrichters zu setzen . Der Staat ist grundsätzlichaber nicht dazu da, um mitzuspielen .
Natürlich gilt auch bei dieser Übernahme das Wettbe-werbsrecht . Kartellrechtliche Bedenken müssen durchdie zuständigen Behörden geprüft werden . Weltweitbraucht es in 30 Regionen kartellrechtliche Freigabenzur Genehmigung dieser Übernahme . Damit es zu keinenmarktbeherrschenden Stellungen kommt, sind beispiels-weise Teilverkäufe nicht nur denkbar, sondern könnensogar notwendig sein .
Aber die Politik sollte auch hier den unabhängigen Kar-tellbehörden die Prüfung überlassen – eine Erfahrung,die an anderer Stelle ja gerade der Bundeswirtschaftsmi-nister macht .
Wir müssen natürlich auch das Kartellrecht auf glo-baler Ebene weiterentwickeln . Der Gesetzgeber musszudem alles tun, um Abhängigkeiten von einzelnen Her-stellern zu verhindern . Bauern müssen und werden auchzukünftig freie Wahl beim Saatgut haben . Der Wettbe-werb muss gesichert werden . Aber darum geht es Ihnenja gar nicht . Sie wollen wieder einmal einen deutschenGlobal Player diskreditieren .
Eines der wesentlichen Ziele der globalen Nachhaltig-keitsagenda ist es, den Hunger auf der Welt zu beenden .
Dies kann auch mit einer steigenden landwirtschaftlichenProduktivität erreicht werden . Hier geht es nicht alleinum die Größe; hier geht es ganz entscheidend um dieProduktivität .
1950 versorgte ein Landwirt 10 Menschen . Heute sind es150 Menschen .
2050 müssen es 200 Menschen sein . Durch Subsistenz-wirtschaft kann die wachsende Stadtbevölkerung in denEntwicklungsländern in Afrika und Asien nicht sattge-macht werden .
Täglich sterben immer noch rund 8 500 Kinder an denFolgen von Hunger und Mangelernährung .Jetzt ist Bayer sicherlich kein altruistisches Unterneh-men,
auch wenn man das bei Durchsicht einiger Firmenpräsen-tationen fast glauben könnte . Bayer will Geld verdienen .
Das ist übrigens nicht verboten .
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Und wir brauchen auch und gerade im Agrarbereich In-novationen .
Schon jetzt unterstützt beispielsweise Smart Farming dieLandwirte dabei, höhere Ernten zu erzielen . Es gibt alsoauch einen dritten Weg; es gibt gerade auch im Bereichder Digitalisierung sehr viele Chancen . Wir haben zudemerstmals in der Weltgeschichte die Mittel, eine wachsen-de Weltbevölkerung zu ernähren .Bei jeder Übernahme gibt es letztlich Chancen, aberauch Risiken . Natürlich muss die Übernahme erst geprüftwerden . Natürlich müssen Recht und Gesetz gelten . Esbestehen auch Risiken . Zwei Drittel aller Fusionen erfül-len nicht die Erwartungen . Aber kritisch zu sein, bedeuteteben nicht, alles zu verhindern . Es gilt immer auch, dieChancen zu sehen, um die Zukunft zu gewinnen . Wir se-hen eben auch die Chancen und nicht nur die Risiken –im Gegensatz zu Ihnen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Rainer Spiering,
SPD-Fraktion, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnenund Zuhörer! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorab,weil es hier wieder ein bisschen durchklang: Ich glaube,auch bei dieser Frage könnten wir uns mit Kriegsrhetorikein bisschen zurückhalten .Zur Sache . Wenn man sich anschaut, wer an dem Dealbeteiligt ist, dann findet man mehrere Finanzgruppen:BlackRock, Vanguard, Capital Group. Ich finde es schonspannend, an dem bisschen, das man jetzt googeln konn-te, zu sehen, wer an dem Geschäft beteiligt ist . Und zwarhandelt es sich um ein Geschäft, das auf beiden Seitenvon Finanzgruppen gemacht worden ist . Dieselben Fi-nanzgruppen, die bei Monsanto beteiligt sind, sind alsoauch bei Bayer beteiligt. Ich finde, es ist eine ganz span-nende Frage, ob es an der Kartellbehörde ohne Weiteresvorbeigeht, dass diese großen Finanzblöcke das quasi imEinvernehmen entschieden haben .
Das finde ich ganz spannend; das wollen wir mal in allerRuhe abwarten .Mich treibt etwas ganz anderes um . Ich habe es mitder Überschrift beschrieben: Jetzt ist der Fuchs imHühnerstall . – Ich habe hier mehrere Reden zum The-ma Smart Farming und zu der Frage gehalten, wer dieMacht über die Daten hat . Ich habe auch mehrfach dasMinisterium darum gebeten, sich intensiv darum zu küm-mern und dafür Sorge zu tragen, dass in Deutschland eineIT-Plattform für die Nachverfolgung landwirtschaftlicherProdukte eingerichtet wird . Wir haben das partiell im Zu-sammenhang mit der Hoftorbilanz besprochen, die wirin eine IT-Plattform einfließen lassen wollen, damit wirStoffströme kontrollieren und nachverfolgen können . Eskann sein, dass wir das alles gar nicht mehr brauchen .Wir bekommen nämlich mit Monsanto eine der Daten-kraken der Welt mitten ins Haus . Damit haben wir einenKonzern, der Daten in einer Größenordnung wie Googleund Microsoft verarbeitet, und zwar mit amerikanischemKnow-how und auch mit amerikanischem Geschäftsge-baren mitten in unserem relativ friedfertigen Europa . Da-mit sind wir mitten in unserer Diskussion über die Frage,wie wir Datensicherheit beurteilen und wie wir mit Datenumgehen .
Es wird sehr spannend, ob es uns gelingt, mit der Daten-krake Monsanto nach unseren Spielregeln umzugehen .Ich habe da, in der Tat, große Zweifel .
In der Literatur heißt es, Cato der Ältere habe immergesagt: Und im Übrigen sollten wir an Karthago den-ken . – In abgewandelter Form werde ich hier immersagen: Und im Übrigen sollten wir an eine gemeinsameIT-Plattform denken . – Wir werden das aber nur hinbe-kommen, wenn wir die IT-Plattform, die in Deutschlandzu entwickeln ist, mit Geld des Bundes unterstützen .Wenn wir das nicht tun, dann besteht die Gefahr, dass alldiejenigen, die in Deutschland wirtschaftlich tätig sind,in die Abhängigkeit eines einzelnen großen Konzernsund dessen Datenmacht geraten, und das möchte ich indiesem Land nicht erleben; denn das wäre zu unser allerSchaden .Kollege Ebner hat die Saatzucht angesprochen . Wersich ein bisschen mit diesem Thema auseinanderge-setzt hat, weiß, dass es noch andere Zuchtbetriebe gibt .Wir haben uns Wesjohann angeschaut, eine Sparte von Wiesenhof . Die sind mittlerweile in der Lage, übrigensohne Genveränderung, in atemberaubender Geschwin-digkeit zu züchten, und zwar mit IT .Wenn ich das, was Monsanto leisten kann, jetzt mitden Möglichkeiten vergleiche, die in Deutschland bereitszur Verfügung stehen, dann stelle ich fest: Wir müssenvonseiten des Staates alles Mögliche tun, um unsereWirtschaft, unsere Landmaschinentechnologie und unse-re IT vor Einflüssen von außen zu schützen, um unsereStandards zu sichern . Das können wir nur mit Staatsgeld,weil die Firmen in diesem Bereich völlig überfordertsind – wir werden vermutlich einen Antrag vorlegen, derin diese Richtung geht –, und wir sollten auch in der Dis-kussion über Datensicherheit trefflich aufpassen, dass esbei uns zu keiner Unsicherheit kommt in einem Ausmaß,das wir uns bisher nicht vorstellen konnten .Dr. Andreas Lenz
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Wir werden uns mithilfe des Ministeriums, so hoffeich, darum bemühen, etwas zu schaffen, was unseren Vor-stellungen von der Zukunft einer vernünftigen Landwirt-schaft entspricht, was unserer Vorstellung von sicherenDatenströmen entspricht, was unseren Sicherheitsbedürf-nissen und unseren Standards entspricht . Ich glaube, diegroße Gefahr bei der Übernahme von Monsanto durchBayer ist die Macht über die Daten, und die Macht überdie Daten ist am Ende des Tages entscheidend, wenn esdarum geht, wer wann was wo und zu welchen Bedin-gungen produziert . Ich kann uns alle nur dringend auffor-dern, das im Blick zu behalten .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Hermann Färber .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Zu den wirtschaftlichen Aspekten derÜbernahme von Monsanto durch Bayer ist heute schonvieles gesagt worden . Ich will mich auf die konkretenAuswirkungen auf die Landwirtschaft in Deutschlandbeschränken, und da sehe ich bei dieser Fusion, bei die-ser Übernahme durchaus zwei Seiten .Die bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland stehtheute schon einer kartellrechtlich bedenklichen Konzen-tration von wenigen großen Lebensmittelketten gegen-über .
Diese Lebensmittelketten nutzen ihre Marktmacht ohneRücksicht aus . Genau deshalb war die Ministererlaub-nis von Wirtschaftsminister Gabriel bei der Edeka-Tengelmann-Fusion so falsch,
und zwar völlig unabhängig von der Verfahrensweise .Wenn ich mir Ihre Reden, liebe Kolleginnen und Kol-legen von der SPD, heute so anhöre, dann fällt mir auf,dass sie einfach nicht mit der Erteilung der Ministerer-laubnis zusammenpassen .
Es kann nicht im Interesse der bäuerlichen Land-wirte sein, eine ähnliche Konzentration und damit eineVerschiebung der Marktmacht zusätzlich aufseiten derLieferanten zu haben, zum Beispiel im Bereich Pflanzen-schutz, Dünger und Saatgut . Damit gerät die immer nochsehr kleinteilige deutsche Landwirtschaft immer mehrzwischen zwei große Mühlsteine . Deshalb erwarte ichvon den europäischen Kartellbehörden eine sorgfältigeBeachtung dieser besonderen Wirtschaftsstruktur in derLandwirtschaft .Rainer Spiering, wir müssen uns nicht gegenseitig an-greifen; denn wir sind uns in vielen Dingen einig .
77 Prozent der Aktien von Bayer sind im Streubesitz .Es ist nicht so, dass es sich um wenige große Aktionä-re handelt . Man muss sich auch einmal den Bereich derLandtechnik anschauen: Auch die Landtechnikanbietersind mittlerweile alle in großen, globalen Konzernenaufgegangen . Ich kann nur sagen: Kleine, regionale Fir-men, die einmal Weltmarktführer waren und sich dieserEntwicklung total verschlossen haben, gibt es heute nichtmehr .Über einen Punkt müssen wir vielleicht noch spre-chen: über die Datensicherheit, die Datenvernetzung unddie Datenverteilung . Deine berechtigten Bedenken müs-sen wir bei der Hoftorbilanz berücksichtigen .
Beim größten und populärsten Thema – Glypho-sat – ist die Gefahr einer Monopolbildung übrigens amgeringsten . Beim Glyphosat gibt es nämlich anders, alsman das heute schon hörte, weltweit 90 Anbieter, alleinin China über 50 . In diesem Bereich ist der Wettbewerbalso wirklich gesichert . Das Patent, das Monsanto ur-sprünglich einmal auf dieses Produkt hatte, ist, je nachLand, vor 10 bis 15 Jahren ausgelaufen . Überhaupt habeich manchmal den Eindruck, dass sich viel Kritik an die-ser Übernahme, an dieser Fusion nur damit erklären lässt,dass manche NGOs Angst haben, dass ihre Kampagnengegen Monsanto künftig ins Leere laufen könnten .
Es gibt – jetzt wird es wieder sachlicher – aber auchnoch eine andere Seite der Fusion, über die man sichwirklich Gedanken machen muss . In den vergangenen20 Jahren hat sich das Angebot an zugelassenen Wirk-stoffen für den Pflanzenschutz in Europa von einst über1 000 auf mittlerweile nur noch rund 400 verringert .Grund dafür sind stetig steigende Standards zum Schutzvon Umwelt und Gesundheit . Das ist gut und richtig, unddas will auch gar niemand ändern .
Aber für viele Bereiche stehen heute kaum noch genü-gend Wirkstoffe für ein gutes Resistenzmanagement zurVerfügung . Wir sind also dringend darauf angewiesen,dass diese Firmen etwas Neues entwickeln .
An dieser Stelle muss man einräumen, dass die immerhöheren Standards bei der Zulassung, die wir alle wollenund alle für richtig halten, auch einen nichtwillkomme-Rainer Spiering
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nen Nebeneffekt haben: Gerade kleinere Unternehmenkönnen die Kosten für den Zulassungsprozess kaum nochstemmen . Dieser Zusammenhang ist einfach unverkenn-bar .
In dieser Glyphosatdebatte ist ein erschwerender Fak-tor hinzugekommen: Der Zulassungsprozess wurde po-litisiert .
Mit dieser Politisierung des Zulassungsprozesses nimmtauch die Willkürlichkeit von Entscheidungen zu . SeitSommer 2016 ist klar: Ein Unternehmen kann sich nichtmehr darauf verlassen, dass ein Wirkstoff, den alle zu-ständigen Bewertungsbehörden in der EU als zulas-sungsfähig eingestuft haben, tatsächlich zugelassen wird .Damit haben wir für die Unternehmen eine Risikositu-ation geschaffen, die nur extrem breit aufgestellte Un-ternehmen überhaupt abfedern können . Ich bin in keinerWeise dafür, dass wir irgendwelche Standards absenken;aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir dieUnternehmen faktisch dazu zwingen, immer größer zuwerden, weil sie dieses Risiko nur so stemmen können .Woran wir etwas tun könnten und tun sollten, ist, dieRechtssicherheit von Zulassungsprozessen wieder zu er-höhen .
Diesbezüglich bitte ich ausdrücklich auch die Kolle-ginnen und Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuss umUnterstützung . Wenn wir hier weiterkämen, wäre für denUmweltschutz, den Verbraucherschutz und die Gesund-heit der Menschen in Deutschland deutlich mehr getanals durch eine kampagnengeleitete Verteufelung einzel-ner Unternehmen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist jetzt der Kollege Alois Gerig, CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Als letzter Redner in der De-batte hat man die gute Möglichkeit, das Gehörte nocheinmal kurz zu bewerten .Ja, ich stehe dazu: Ich teile die häufig – auch heute –geäußerte kritische Haltung zu der Fusion von Großkon-zernen und einer weiteren Konzentration von Großkon-zernen .
Aber ich frage auch sehr deutlich: Welche Einflussmög-lichkeiten haben wir? Ich habe von keinem Redner derOpposition irgendeinen Ansatz zur Lösung des Problemsgehört .
Ich sage: Es besteht kein Grund zur Panik . Es bestehterst recht kein Grund, irgendwelche Horrorszenarien indie Welt zu setzen oder die Bevölkerung zu verunsichernund zu verängstigen .
Warten wir es jetzt ab . Die Kartellbehörden werdengründlich prüfen, und sie werden ihre Meinung dazuabgeben . Die Aktionäre von Monsanto müssen noch zu-stimmen . Nicht jede Großfusion – das sehen wir, wennwir in die jüngste Vergangenheit schauen – war gut oderhat gehalten .Deswegen frage ich mich: Was kann, was muss diePolitik leisten? Wo haben wir Möglichkeiten, Rahmenbe-dingungen zu verändern? Mir geht es darum, dass wir diehohen Standards, die wir in Deutschland beispielsweisein den Bereichen Lebensmittel und Verbraucherschutzhaben, erhalten . Das muss unser großes Ziel sein . Wirmüssen die Menschen mitnehmen . Es gibt das Qualitäts-produkt „Lebensmittel made in Germany“ . Lasst uns dasden Menschen sagen, und lasst uns eine Politik machen,um diesen hohen Standard abzusichern .
Ich will nicht, dass wir die Standards aufgeben, wederdurch eine Fusion noch durch den TTIP-Vertrag . Aberdas heißt doch nicht: Wenn man das eine tut, muss mandas andere lassen . Ich will keine Monopolstellung .Es geht um drei Dinge. Es geht um Pflanzenzüchtung,Pflanzenschutz, und es geht um die Digitalisierung.Wir haben in Deutschland durchaus nicht nur einZüchtungsunternehmen . Es gibt auch noch zahlreichekleine und mittelständische Züchtungsunternehmen,
die speziell für den deutschen Markt, auf die Bedürfnis-se der Landwirte und der Menschen ausgerichtet, Nutz-pflanzen züchten und produzieren. Sie will ich weiterhinstützen . Sie will ich erhalten . Auch da will ich beileibekeine Konzentration und kein Monopol .Ich will keine gentechnisch veränderten Pflanzen imAnbau in Deutschland . Auch dazu stehe ich . Das ist einQualitätsmerkmal, das wir vermarkten müssen . UnsereHermann Färber
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Bauern geben derzeit reihenweise ihre Produktion auf,weil sie keine wirtschaftliche Perspektive haben .
Warum schaffen wir es nicht, gemeinsam einmal darzu-stellen, was unsere Bäuerinnen und Bauern in Deutsch-land leisten, und zu zeigen, was die Menschen mit ei-nem gezielten Einkauf dafür tun können? Wenn wir dasschaffen, habe ich überhaupt kein Problem mit Bayer undMonsanto .Mir ist es allemal lieber, das Bayer-Kreuz hängt in denUSA als das Monsanto-Emblem oder irgendein chinesi-sches in Leverkusen . Lassen Sie mich auch das sagen .
Das ist doch für einen soliden deutschen Konzern viel-leicht die Möglichkeit, weltweit darauf einzuwirken,dass auch deutsche Standards, dass auch deutsche Recht-mäßigkeit ein Stück weit vorankommen . Warum soll sichdie Welt nicht auch, wenn es denn so sein soll, in Rich-tung von wieder mehr Anbau von Pflanzen ohne Gen-technik verändern? Es ist ja nicht das Allheilmittel derWelt . Darüber sind wir uns alle einig; das wurde schonoft gesagt .Was die Digitalisierung angeht, bin ich beim Kolle-gen Rainer Spiering . Lasst uns eine Politik machen, umeine neutrale Plattform zu schaffen . Ich will nicht, dass Monsanto meine Daten hat, ich will nicht, dass JohnDeere sie hat, und ich will auch nicht, dass Google siehat . Wir sollten politisch dafür Sorge tragen, dass eineneutrale Plattform geschaffen wird . Die Digitalisierungist die Chance für den ländlichen Raum und für die Land-wirtschaft .Ich bin davon überzeugt, dass wir das Rad nicht nos-talgisch zurückdrehen können . Wir werden keine Milch-kannen mehr über die Wiesen tragen, und wir werdenkeine Pferde mehr vor den Pflug spannen. Wir müssendiese Chance für unsere Bauern nutzen . Daran möchteich gemeinsam mit Ihnen arbeiten, und ich bin gespannt,wohin das führen wird .Ich bin derzeit nicht in der Lage, die Fusion zu ver-hindern . Wir sollten die Vorgänge beobachten und dieRahmenbedingungen dann entsprechend verändern, da-mit die Fusion keine Nachteile für Deutschland und seineBürger hat .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Damit ist nicht nur die Aktuelle Stunde
beendet, sondern wir sind auch am Schluss unserer heu-
tigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
morgen, Donnerstag, den 22 . September 2016, 9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen .