Protokoll:
18183

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 183

  • date_rangeDatum: 7. Juli 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:18 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/183 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 183. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 7. Juli 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Ab- geordneten Michael Schlecht und Gabriele Schmidt (Ühlingen) . . . . . . . . . . . . 17977 A Begrüßung des neuen Abgeordneten Karl-Heinz Wange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17977 B Wahl des Abgeordneten Sören Bartol als stellvertretendes Mitglied des Vermittlungs- ausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17977 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17977 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 23 und 35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17979 A Begrüßung des Präsidenten der Nationalver- sammlung der Islamischen Republik Pakistan, Herrn Sardar Ayaz Sadiq . . . . . . . . . . . . . . . 17979 B Tagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau Dr . Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 17979 C Dr . Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 17983 C Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 17985 D Dr . Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17988 D Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17991 A Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17993 C Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 17994 C Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 17996 A Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 17996 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 17997 D Tagesordnungspunkt 5: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestim- mung Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/8767 Nr . 3, 18/9097 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17998 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Cornelia Möhring, Frank Tempel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LIN- KE eingebrachten Entwurfs eines ... Straf- rechtsänderungsgesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts (… StrÄndG) Drucksachen 18/7719, 18/9097 . . . . . . . . . 17998 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung Drucksachen 18/5384, 18/9097 . . . . . . . . . 17999 A Dr . Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17999 A Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 18000 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18001 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18003 A Dr . Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 18004 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 18005 B Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . . 18006 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016II Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18007 C Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18008 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18009 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 18010 B Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 18011 D Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 18012 D Thomas Heilmann, Senator (Berlin) . . . . . . . . 18014 A Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . 18015 B, 18015 C, 18015 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . . 18015 D, 18018 D, 18021 D Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksache 18/9007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18025 B Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18025 C Bettina Hornhues (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18026 C Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 18028 A Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 18028 D Maik Beermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18030 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18032 B Ulrike Bahr (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18033 B Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18034 B Eckhard Pols (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18035 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18035 C Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18037 A Tagesordnungspunkt 38: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung der Artikel 8 und 39 des Übereinkommens vom 8. November 1968 über den Straßenverkehr Drucksache 18/8951 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18038 B b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (Elektromagnetische-Verträglich- keit-Gesetz – EMVG) Drucksache 18/8960 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18038 B c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung abfallverbringungs- rechtlicher Vorschriften Drucksache 18/8961 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18038 B d) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Katrin Kunert, Dr . Kirsten Tackmann, Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes Drucksache 18/9034 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18038 C e) Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nachhaltige Be- wahrung, Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes gewährleisten Drucksache 18/8888 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18038 C f) Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Steuerschlupflöcher schließen – Gewinnverlagerung durch Lizenzzah- lungen einschränken Drucksache 18/9043 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18038 D g) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Annalena Baerbock, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neues Düngerecht endlich beschließen Drucksache 18/9044 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18038 D Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beteili- gung des Bundestages im Vorfeld der Genehmigung der vorläufigen Anwen- dung des Handelsabkommens mit Ka- nada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) Drucksache 18/9038 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18039 A b) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abstimmung über CETA erfordert Beteiligung von Bundestag und Bundesrat Drucksache 18/9030 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18039 A Tagesordnungspunkt 39: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 III 12. November 2015 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und Australien zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung Drucksachen 18/8830, 18/9068 . . . . . . . . . 18039 C b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Bundeskanz- ler-Helmut-Schmidt-Stiftung . . . . . . Drucksachen 18/8858, 18/9079 . . . . . . 18039 D – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9082 . . . . . . . . . . . . . . 18039 D c) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Be- stellung des Instituts für Gesetzesfolgen- abschätzung und Evaluation beim Deut- schen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung, Speyer, als wissenschaftli- chen Sachverständigen im Rahmen der Evaluierung der Terrorismusbekämp- fungsgesetze nach Artikel 5 des Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbe- kämpfungsgesetzen Drucksache 18/9031 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18040 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen jetzt angehen Drucksachen 18/8079, 18/8903 . . . . . . . . . 18040 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Herbert Behrens, Dr . Anton Hofreiter, Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Stephan Kühn (Dresden) und weiterer Abgeordneter: Einsetzung eines Unter- suchungsausschusses Drucksachen 18/8273, 18/8932 . . . . . . . . . 18040 C f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wilderei und illegalen Arten- handel stoppen Drucksachen 18/5046, 18/8942 . . . . . . . . . 18040 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wildtierschutz wei- ter verbessern – Illegalen Wildtierhan- del bekämpfen Drucksachen 18/8707, 18/8940 . . . . . . . . . 18040 D h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (Verordnung zu abschaltbaren Lasten – AbLaV) Drucksachen 18/8561, 18/8660 Nr . 2 .2, 18/9081 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18041 A i) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz: Übersicht 8 – über die dem Deut- schen Bundestag zugeleiteten Streitsa- chen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/9072 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18041 B j)–t) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 333, 334, 335, 336, 337, 338, 339, 340, 341, 342 und 343 zu Petitionen Drucksachen 18/8891, 18/8892, 18/8893, 18/8894, 18/8895, 18/8896, 18/8897, 18/8898, 18/8899, 18/8900, 18/8901 . . . . 18041 B Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Direktzahlungen-Durchführungsgesetzes Drucksachen 18/8514, 18/9067 . . . . . . . . . 18042 B b) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Durch die Gemeinsame Agrarpolitik mehr Tier- schutz ermöglichen Drucksache 18/9053 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18042 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendienförderung und Studienfinanzierung stärken Drucksachen 18/4692, 18/9037 . . . . . . . . . 18042 D d)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 344, 345, 346, 347, 348, 349 und 350 zu Petitionen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016IV Drucksachen 18/9060, 18/9061, 18/9062, 18/9063, 18/9064, 18/9065, 18/9066 . . . . 18043 A Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18043 B Tagesordnungspunkt 18: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regulierung des Pros- titutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen Drucksachen 18/8556, 18/9036 (neu), 18/9080 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18044 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Selbstbestim- mungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Gesetz zur Regulierung von Prostitutionsstätten vorlegen Drucksachen 18/7236, 18/7243, 18/9036 (neu), 18/9080 . . . . . . . . . . . . . . . 18044 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . 18044 C Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 18046 A Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU) . . . . 18047 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18048 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 18049 D Ulrike Bahr (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18051 A Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 18052 C Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Vierten Gesetzes zur Änderung des GAK-Gesetzes Drucksachen 18/8578, 18/8958, 18/9074 . . . . 18054 A Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . 18054 B Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18055 C Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18056 D Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18058 A Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18059 B Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18060 A Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18060 D Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr . Alexander S . Neu, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die NATO durch ein kollektives System für Frieden und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands ersetzen Drucksache 18/8656 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18062 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Alexander S . Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Verlegung von Bundes- wehr-Einheiten nach Litauen Drucksachen 18/8608, 18/8733 . . . . . . . . . 18062 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Christine Buchholz, Dr . Alexander S . Neu, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rückholung der Bundeswehrein- heiten aus der Türkei Drucksache 18/9028 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18062 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 18062 C Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 18063 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18065 B Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18066 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18068 A Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 18069 A Wilfried Lorenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18070 B Tagesordnungspunkt 20: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richt- linie 2011/36/EU des Europäischen Par- laments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz sei- ner Opfer sowie zur Ersetzung des Rah- menbeschlusses 2002/629/JI des Rates Drucksachen 18/4613, 18/9095 . . . . . . . . . 18072 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 V b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kordu- la Schulz-Asche, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern von Men- schenhandel in Deutschland Drucksachen 18/3256, 18/9077 . . . . . . . . . 18072 A Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 18072 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 18073 B Dr . Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18074 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18076 A Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 18077 A Kathrin Rösel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 18078 B Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Kai Gehring, Dr . Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Jetzt Zugang zu Wissen er- leichtern – Urheberrecht bildungs- und wis- senschaftsfreundlich gestalten Drucksache 18/8245 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18080 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18080 A Dr . Stefan Heck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18081 C Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 18082 D Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18083 D Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 18085 B Marianne Schieder (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 18086 B Tagesordnungspunkt 12: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Integra- tionsgesetzes Drucksache 18/8615 . . . . . . . . . . . . . . 18087 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Integrationsgesetzes Drucksachen 18/8829, 18/8883, 18/9090 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18087 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9091 . . . . . . . . . . . . . . 18087 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Ulla Jelpke, Jutta Krellmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, Integration befördern und Lohndumping bekämpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Luise Amtsberg, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitsmarkt- politik für Flüchtlinge – Praxisnahe Förderung von Anfang an – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Integration ist gelebte Demo- kratie und stärkt den sozialen Zu- sammenhalt Drucksachen 18/6644, 18/7653, 18/7651, 18/9090 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18087 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge si- cherstellen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchan- cen für Flüchtlinge schaffen Drucksachen 18/6198, 18/6345, 18/9101 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18088 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete – zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter- Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Bildungsgerechtig- keit für die Einwanderungsgesell- schaft – Damit Herkunft nicht über Zukunft bestimmt Drucksachen 18/6192, 18/7049, 18/9022 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18088 A Aydan Özoğuz, Staatsministerin BK . . . . . . . 18088 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18089 B Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . . 18090 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016VI Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18091 C Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18092 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18093 B Cemile Giousouf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18093 D Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18095 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18096 A Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Schulen fördern Drucksache 18/8420 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18098 A b) Antrag der Abgeordneten Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der Kindertagesbetreuung umsetzen Drucksache 18/8889 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18098 A Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 18098 B Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18099 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18100 C Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 18101 D Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 18102 D Stefan Schwartze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18104 A Tagesordnungspunkt 14: – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Er- weiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA Drucksachen 18/8878, 18/9035 . . . . . . . . . 18104 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9073 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18104 D Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18105 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18106 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 18107 A Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18108 A Dr . Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 18108 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 18110 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18115 D Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Für eine transparente und geschlechtergerechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting als Instrument von Good Governance Drucksache 18/9042 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18110 A Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18110 B Kerstin Radomski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18111 A Dr . Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 18112 B Ewald Schurer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18113 B Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 18114 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich Drucksachen 18/8334, 18/9099 . . . . . . . . . . . 18118 B Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18118 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18119 C Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18120 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18121 C Tagesordnungspunkt 17: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeord- neten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausstieg aus Stutt- gart 21 – Die Deutsche Bahn AG vor ei- nem finanziellen Desaster bewahren Drucksachen 18/7566, 18/9085 . . . . . . . . . 18122 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeord- neten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Ei- senbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahn- verkehr Drucksachen 18/5406, 18/9098 . . . . . . . . . 18122 D c) Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kostenent- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 VII wicklung beim Bahnhofsprojekt Stutt- gart 21 kritisch prüfen Drucksache 18/9039 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18123 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 18123 A Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18124 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18125 A Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Be- richte Drucksache 18/8841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18125 D Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermög- lichen Drucksache 18/7904 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18126 A Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Straf- barkeit von Sportwettbetrug und der Mani- pulation von berufssportlichen Wettbewer- ben Drucksache 18/8831 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18126 B Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Azize Tank, Matthias W . Birkwald, Dr . Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbar- machung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto Drucksache 18/9029 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18126 C Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Erleichterung des Aus- baus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze (DigiNetzG) Drucksachen 18/8332, 18/9023 . . . . . . . . . . . 18126 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes- meldegesetzes und weiterer Vorschriften Drucksachen 18/8620, 18/9087 . . . . . . . . . . . 18127 A Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung betäubungsmittel- rechtlicher und anderer Vorschriften Drucksache 18/8965 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18127 B b) Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zugang zu Cannabis als Medizin umfas- send gewährleisten Drucksache 18/6361 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18127 B Tagesordnungspunkt 25: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ent- schädigung für die Radargeschädigten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA noch weiter verbessern Drucksache 18/9032 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18127 C b) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Radarstrahlengeschädigte der Bun- deswehr und der ehemaligen NVA besser entschädigen Drucksache 18/9027 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18127 C Tagesordnungspunkt 26: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Un- terstützung für den Friedensprozess in Kolumbien Drucksache 18/9033 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18127 D b) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Für den Frieden in Kolumbien – Pa- ramilitarismus konsequent bekämpfen Drucksache 18/9026 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18128 A Tagesordnungspunkt 27: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016VIII und anderer Gesetze (6. SGB IV-Ände- rungsgesetz – 6. SGB IV-ÄndG) Drucksachen 18/8487, 18/9088 . . . . . . . . . 18128 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9089 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18128 B Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Transplanta- tionsregisters Drucksachen 18/8209, 18/8557, 18/8660 Nr . 1 .2, 18/9083 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18128 C Tagesordnungspunkt 29: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Stra- ßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze Drucksachen 18/8559, 18/9084 . . . . . . . . . . . 18128 D Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte des Bundes und Soldatinnen und Soldaten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/8517, 18/9078 . . . . . . . . . . . 18129 B Tagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürli- chen Ressourcen (Deutsches Ressource- neffizienzprogramm II) – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürli- chen Ressourcen (Deutsches Ressourcen- effizienzprogramm) – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr . Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ressour- cenverschwendung stoppen – Nationa- les Ressourceneffizienzprogramm zu- kunftsfähig ausgestalten Drucksachen 18/7777, 18/7918 Nr . 1 .2, 17/8965, 18/770 Nr . 27, 18/7047, 18/9094 . . . 18129 C Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständi- genrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensa- chen und in den Angelegenheiten der frei- willigen Gerichtsbarkeit Drucksachen 18/6985, 18/9092 . . . . . . . . . . . 18130 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18130 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 18131 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Lin- ke zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum NATO-Gip- fel am 8 ./9 . Juli 2016 in Warschau (Drucksa- che 18/9086) (Tagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18131 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Dr . Petra Sitte, Matthias W . Birkwald, Ulla Jelpke, Susanna Karawanskij, Niema Movassat und Harald Petzold (Havelland) (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schut- zes der sexuellen Selbstbestimmung (Tagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18131 D Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schut- zes der sexuellen Selbstbestimmung (Tagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18132 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18132 C Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18133 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18133 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 IX Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über Artikel 1 Nummer 9 des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schut- zes der sexuellen Selbstbestimmung – in der Ausschussfassung, hier: die Einfügung des Pa- ragrafen 184i Strafgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18134 C Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 343 zu Petitionen (Strafprozessordnung) (Tagesordnungspunkt 39 t) . . . . . . . . . . . . . . . 18134 D Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 350 zu Petitionen (Strafprozessordnung) (Zusatztagesordnungspunkt 3 j) . . . . . . . . . . . 18135 D Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (Tagesordnungspunkt 18 a) . . . . . . . . . . . . . . . 18137 A Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 18137 A Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18137 D Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke und Heike Hänsel (beide DIE LINKE) zu den Abstimmungen – über den von der Bundesregierung einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Re- gulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen – über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordne- ten Cornelia Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Selbstbestimmungs- rechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbei- tern stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesetz zur Regulierung von Prostitutions- stätten vorlegen (Tagesordnungspunkt 18 a und b) . . . . . . . . . . 18139 B Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Martin Burkert (SPD) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 18140 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbe- werbs im Eisenbahnbereich (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 18140 C Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 18140 C Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digita- le Infrastruktur zu dem Antrag der Abge- ordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausstieg aus Stutt- gart 21 – Die Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digita- le Infrastruktur zu dem Antrag der Abge- ordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnver- kehr – des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kostenentwicklung beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kritisch prüfen (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) . . . . . . . . . . 18141 C Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 18141 D Alexander Funk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18142 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016X Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 27 . Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte (Tagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18143 B Dr . Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . 18143 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 18144 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 18146 B Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18147 B Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . 18148 C Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fern- reiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 18150 A Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 18150 A Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18150 D Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18151 C Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 18152 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18153 B Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sport- wettbetrug und der Manipulation von berufs- sportlichen Wettbewerben (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . 18154 C Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18154 C Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 18155 A Detlev Pilger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18156 B Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18156 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18158 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . . 18159 A Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Azize Tank, Matthias W . Birkwald, Dr . Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 18159 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18159 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 18160 C Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18162 B Azize Tank (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18164 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18165 C Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze (DigiNetzG) (Tagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . 18166 A Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 18166 B Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 18167 A Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18168 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18169 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18170 A Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vor- schriften (Zusatztagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . 18170 C Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18170 C Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 18172 B Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18173 B Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18174 A Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 XI – des Antrags der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten (Tagesordnungspunkt 24 a und b) . . . . . . . . . . 18175 C Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18175 C Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18176 C Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 18177 B Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18178 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 18179 A Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18179 D Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entschädigung für die Radargeschädigten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA noch weiter verbessern – des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA bes- ser entschädigen (Tagesordnungspunkt 25 a und b) . . . . . . . . . . 18181 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18181 D Karin Strenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 18182 C Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 18183 C Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 18184 B Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18185 A Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien – des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für den Frieden in Kolumbi- en – Paramilitarismus konsequent bekämp- fen (Tagesordnungspunkt 26 a und b) . . . . . . . . . . 18186 A Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 18186 B Dr . Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18187 A Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18188 A Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 18188 D Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 18189 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18190 C Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (6 . SGB IV-Änderungsge- setz – 6 . SGB IV-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 18191 B Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 18191 C Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU) . . . 18192 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 18192 C Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . . 18193 D Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . 18194 D Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Transplantationsregisters (Tagesordnungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . 18195 C Dr . Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 18195 C Dr . Katja Leikert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18196 C Sabine Dittmar (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18197 D Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18198 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 18199 C Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18200 A Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 29) . . . . . . . . . . . . . . . . 18201 A Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18201 A Stefan Zierke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18201 D Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 18202 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18202 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016XII Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Ver- einbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte des Bundes und Sol- datinnen und Soldaten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 30) . . . . . . . . . . . . . . . . 18203 B Oswin Veith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18203 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 18204 C Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 18205 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18206 C Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizi- enzprogramm II) – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizi- enzprogramm) – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr . Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ressour- cenverschwendung stoppen – Nationales Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfä- hig ausgestalten (Tagesordnungspunkt 31) . . . . . . . . . . . . . . . . 18207 A Dr . Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 18207 B Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18208 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 18209 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18209 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin BMUB . . . . . . . . . . . 18210 C Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Än- derung des Gesetzes über das Verfahren in Fa- miliensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . . 18211 B Sebastian Steineke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 18211 B Dr . Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 18212 A Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18213 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18213 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18214 B (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17977 183. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 7. Juli 2016 Beginn: 9 .01 Uhr
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    Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18131 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 07 .07 .2016 Barley, Dr . Katarina SPD 07 .07 .2016 Böhmer, Dr . Maria CDU/CSU 07 .07 .2016 Dehm, Dr . Diether DIE LINKE 07 .07 .2016 Gunkel, Wolfgang SPD 07 .07 .2016 Hintze, Peter CDU/CSU 07 .07 .2016 Höger, Inge DIE LINKE 07 .07 .2016 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 07 .07 .2016 Kudla, Bettina CDU/CSU 07 .07 .2016 Leidig, Sabine DIE LINKE 07 .07 .2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 07 .07 .2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 07 .07 .2016 Maizière, Dr . Thomas de CDU/CSU 07 .07 .2016 Petzold, Ulrich CDU/CSU 07 .07 .2016 Pflugradt, Jeannine SPD 07 .07 .2016 Poschmann, Sabine SPD 07 .07 .2016 Schäfer (Bochum), Axel SPD 07 .07 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 07 .07 .2016 Tank, Azize DIE LINKE 07 .07 .2016 Wicklein, Andrea SPD 07 .07 .2016 Zimmermann, Pia DIE LINKE 07 .07 .2016 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau (Drucksache 18/9086) (Tagesordnungspunkt 4) Ich nehme an der Abstimmung nicht teil . Wer das Agieren der NATO bewerten will, muss einen Blick auf den Charakter des Regimes Putin werfen . Das System Putin ist eine Mischung aus KGB/FSB-Struktu- ren mit Oligarchen und kriminellen Methoden . Der Staat ist auf dieses Herrschaftsmodell vollkommen ausgerich- tet . Nichts muss dieses Regime mehr fürchten als Demo- kratie, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit . Um jegli- chen demokratischen Widerstand im Lande zu ersticken, braucht das Regime „Feinde“ im Ausland und erklärt jeg- liche demokratische Bewegung im Inneren als feindlich . Deswegen kann das Regime am Frieden draußen kein Interesse haben. Es braucht Konflikte, um durch Propag- anda nach innen sein Regime aufrechtzuerhalten . In die- sem Zusammenhang müssen auch die Vorgänge in der Ukraine bewertet werden . Der Kreml wünscht weder den demokratischen und ökonomischen Erfolg der Ukraine noch echten Frieden an seinen Grenzen . Eine erfolgreiche Ukraine könnte der Anstoß für eine ähnliche demokratische Entwicklung in der Russischen Föderation werden . Die Ausrichtung der Fähigkeiten der NATO muss die- se Analyse mit einbeziehen . Das schließt den geduldigen und zähen Dialog mit dem Regime im Kreml nicht aus, sondern er bleibt un- verzichtbar . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Susanna Karawanskij, Niema Movassat und Harald Petzold (Havelland) (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbu- ches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (Tagesordnungspunkt 5) Der Bundestag stimmt heute über eine Reform des Se- xualstrafrechts ab, durch die drei Änderungen im Straf- gesetzbuch (StGB) und eine Änderung im Aufenthalts- gesetz (AufenthG) vorgenommen werden . Die einzelnen Regelungen sind sehr unterschiedlich zu bewerten . Da- her haben wir getrennte Abstimmungen beantragt und unterschiedlich abgestimmt . Kurz zusammengefasst: Wir haben heute den Regelungen für sexuelle Selbstbestim- mung zugestimmt (Artikel 1, Nummer 6: § 177 StGB-E und Artikel 1, Nummer 9: § 184i StGB-E) und die Sip- penhaft (Artikel 1, Nummer 9: § 184j StGB-E) und eine weitere Erleichterung von Abschiebungen (Artikel 2, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618132 (A) (C) (B) (D) Nummer 3: AufenthG) abgelehnt . In der Abstimmung des gesamten Gesetzes führt dies zu einer Enthaltung . Zugestimmt haben wir mit großer Freude der gesetzli- chen Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt nein“, die seit vielen Jahren von zahlreichen Frauen, ihren Verbän- den und Organisationen und inzwischen auch Abgeord- neten aller Fraktionen gefordert worden war . Er bedeutet, dass nun nicht mehr mit Zwang ein entgegenstehender Wille gebrochen werden muss, sondern die Äußerung des entgegenstehenden Willens – in welcher Form auch immer – ausreicht . Diese Formulierung hatten wir des- halb auch in einem eigenen Gesetzentwurf aus dem Fe- bruar vorgeschlagen (BT-Drucksache 18/7719) . Das ist ein Paradigmenwechsel und ein wichtiger Fortschritt, da der Grundsatz das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als solches als Wert anerkennt und nicht mehr an der Inten- sität der Gewalt misst . Zugestimmt haben wir auch der häufig als Grapsch-Pa- ragraf bezeichneten Regelung, die künftig Belästigungen durch sexuell bestimmte Berührungen unter Strafe stellt und damit Taten erfassen soll, die bisher durch die soge- nannte Erheblichkeitsgrenze nicht durch das Strafgesetz- buch erfasst werden . Dort steht nämlich (§ 184h Num- mer 1), dass überhaupt nur solche sexuellen Handlungen Beachtung finden, die „von einiger Erheblichkeit“ sind. Da das Strafrecht unbedingt weiter als Ultima Ratio gel- ten sollte, wäre eine Streichung dieser Erheblichkeits- grenze ausreichend gewesen, um sexuelle Belästigungen zu erfassen, ohne jedoch dabei Tür und Tor für die Straf- barkeit sozial angemessenen Verhaltens zu öffnen . Diese Lösung hätten wir daher bevorzugt . Die Regelung der Großen Koalition ist fachpolitisch problematisch, stößt jedoch letztlich in dieselbe Richtung, sodass wir auch dieser Regelung zugestimmt haben . Abgelehnt haben wir die pauschale Verurteilung der Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus sexuelle Übergriffe stattfinden. Im besten Fall ändert sich durch diese Neuregelung zwar nichts, da sie nicht über die be- reits erfassten Strafverschärfungen wegen gemeinschaft- lichen Handelns hinaus angewendet wird . Im schlimms- ten Fall wird jedoch eine beliebige Anzahl an Personen in Sippenhaft genommen . Denn es entfällt bei dieser Rege- lung ein konstitutives Moment einer Straftat: der Vorsatz des Täters . Im Effekt kann dann ein sexueller Übergriff durch eine Person allen anderen aus dieser Gruppe zu- gerechnet werden, auch wenn sie nicht einmal davon wussten . Der Boden des seriösen Strafrechts wird verlas- sen . Noch gefährlicher wird es sogar, wenn die Koalition festhält, dass die Beteiligung an einer Gruppe nur „um- gangssprachlich“ zu verstehen sei . Rechtsunsicherheit ist vorprogrammiert . Abgelehnt haben wir außerdem die weitere Verschär- fung des Ausweisungsrechts . Bereits im März wurde im Zuge der Köln-Debatte das Aufenthaltsgesetz geändert und so Abschiebungen von straffällig gewordenen Aus- ländern erleichtert . Durch die Aufnahme des neuen § 177 wird dies fortgeschrieben . Wir lehnen die Doppelbestra- fung durch Strafrecht und Ausländerrecht grundsätzlich und entschieden ab . Darüber hinaus lehnen wir den damit vermittelten Gedanken ab, dass insbesondere Menschen, die unter das Ausländerrecht fallen, solche Straftaten ver- üben . Diese letzte Regelung hat uns trotz der bedeutsamen Verankerung des Prinzips „Nein heißt nein“ – für das wir selbst engagiert gekämpft haben – zu einer Enthaltung zum Gesamtgesetz bewogen . Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (Ta- gesordnungspunkt 5) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der heute zur Abstimmung gestellten Reform des Se- xualstrafrechts und damit der Umsetzung der Istan- bul-Konvention – alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen müssen unter Strafe gestellt werden – fin- det endlich ein Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht statt . Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird konsequent im Strafgesetzbuch umgesetzt: Nein heißt zukünftig endlich nein . Jede Form der sexualisierten Ge- walt ist abzulehnen, und jeder Vorfall ist einer zu viel . Umso schlimmer, wenn sexualisierte Gewalt, wenn eine Vergewaltigung nicht als solche geahndet werden kann; damit wird nun endlich Schluss sein . Dass das deutsche Sexualstrafrecht Lücken aufweist und eine Reform des § 177 StGB – Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung sowie Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen – notwendig ist, war lange klar; nichtsdestotrotz brauchte die nun zur Abstimmung stehende Reform immensen öf- fentlichen und politischen Druck . Hinter dem heutigen Erfolg steht ein langer Kampf der Frauenverbände, Politik und Öffentlichkeit von den Schutzlücken im Gesetz zu überzeugen . Die grüne Bun- destagsfraktion hat diesen Prozess von Anfang an unter- stützt und bereits 2014 mit parlamentarischen Initiativen und Fachgesprächen und 2015 mit einem Gesetzentwurf Druck auf die Bundesregierung ausgeübt . Noch im Sommer 2015 wurde vonseiten des Justiz- ministers kein Handlungsbedarf gesehen . Erst eine Fall- sammlung der Frauenverbände brachte Bewegung in die Positionierung des Justizministeriums . Leider gab es weiterhin innerhalb der Bundesregierung großen Wider- stand gegen eine umfangreiche Reform des Sexualstraf- rechts . Ende 2015 war fast ein Scheitern der Reform zu befürchten . Erst die schrecklichen Vorfälle der Silvester- nacht rund um den Kölner Hauptbahnhof brachten Be- wegung in die vorher festgefahrene Debatte zur Sexual- strafrechtsreform . Der von der Bundesregierung im März vorgelegte Gesetzentwurf setzte jedoch zunächst die For- derung „Nein ist Nein“ weiterhin nicht konsequent um . Auf Druck der Frauenverbände, der Opposition und einer mittlerweile in dieser Frage politisierten Öffent- lichkeit haben Union und SPD den ursprünglichen Ge- setzentwurf von Justizminister Maas faktisch komplett Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18133 (A) (C) (B) (D) über den Haufen geworfen und durch einen Änderungs- antrag ersetzt, mit dem der § 177 umfassend reformiert und „Nein heißt nein“ konsequent in Gesetzesform ge- gossen wird . Dabei bediente sich die Koalition konkret den Vorarbeiten der grünen Bundestagsfraktion . Dass im Zuge der Reform des § 177 nun ein neuer Tatbestand, der Straftaten aus Gruppen speziell unter Strafe stellt, hinzugefügt werden soll, lehne ich ab . Für Handlungen im Zusammenwirken mit anderen gibt es ausreichende gesetzliche Regelungen mit Blick auf Mittäterschaft und die Teilnahme an einer Straftat – ein scharfes Schwert, das ein hohes Strafmaß erlaubt . Es widerspricht allen rechtsstaatlichen Grundsätzen, die Beteiligung aus einer Gruppe heraus unabhängig vom Tatvorsatz unter Strafe zu stellen . Es ist mehr als ärgerlich, dass Union und SPD die richtige und überfällige Reform des § 177, für die viele Frauen und auch wir Grüne über Jahre gekämpft haben, nun in einem Gesetzentwurf mit einer verfas- sungswidrigen, populistischen Einfügung eines neuen Straftatbestandes und zudem mit einer Verschärfung im Bereich des Aufenthaltsrechts zusammenfügt . Ange- sichts dieser Verquickung ist mir eine Zustimmung zum Gesetzentwurf in Gänze nicht möglich . Mechthild Rawert (SPD): Als Mitglied für Deutsch- land im parlamentarischen Netzwerk „Gewaltfreies Le- ben für Frauen“ und als Mitglied im Ausschuss Gleich- stellung und Nichtdiskriminierung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ist mir die Ratifizierung des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusli- cher Gewalt“, kurz Istanbul-Konvention, ein gewichtiges Anliegen . Die Istanbul-Konvention schafft als völker- rechtlicher Vertrag in Europa verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt . Gewalt gegen Frauen soll umfassend verhütet, bekämpft und be- straft werden . Dieses Übereinkommen stellt somit einen Meilenstein in der Bekämpfung aller Arten von Gewalt gegen Frauen dar . Ratifizierung der Istanbul-Konvention: Deutschland hat das Übereinkommen am Tag der Verabschiedung ge- zeichnet und somit anerkannt . Es wurde die Absicht er- klärt, mit Ratifizierung beizutreten. Das Übereinkommen ist mittlerweile mehr als „nur“ ein politisches Dokument . Die Istanbul-Konvention ist seit dem 1 . August 2014 in Kraft – noch nicht aber in Deutschland. Die Ratifizierung Deutschlands steht noch aus, da die gesetzgeberische An- passung des nationalen Rechtes noch nicht abgeschlos- sen ist . Das wollen wir ändern: Mit der Novellierung des Sexualstrafrechts gemäß der Devise „Nein heißt nein“ beseitigen wir einen Hinderungsgrund für die Ratifizie- rungsmöglichkeit . Notwendiger Paradigmenwechsel: Mit der Novellie- rung des Sexualstrafrechts schließen wir die erkannten Schutzlücken und schaffen zugleich auch den erforderli- chen Paradigmenwechsel: Durch die Einführung der so- genannten Nichteinverständnislösung – Nein-heißt-nein- Lösung – kommt es in zukünftigen Strafverfahren nicht mehr auf das Verhalten des Opfers an . Bislang musste ein Opfer sich – körperlich – vertei- digen oder dies zumindest aktiv versucht haben . In der Folge blieben viele – eigentlich strafwürdige – Taten oftmals straflos. Eine weitere gravierende Folge: Nur ein sehr geringer Teil der zumeist weiblichen Opfer hat die Taten überhaupt angezeigt . Aus der Praxis der Frauenbe- ratungsstellen und Frauennotrufe wissen wir, dass Opfer nach einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung oft- mals die Schuld bei sich selbst suchen . Mit der Nein-heißt-nein-Lösung wird die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ins Zentrum gerückt . Für die künftig anerkannte Strafbarkeit reicht es aus, dass der Wille des Opfers erkennbar ist und sich der Tä- ter über den erkennbaren Willen hinwegsetzt . Das Op- fer kann den Willen durch verbale Äußerung oder auch durch konkludentes Handeln wie Weinen zum Ausdruck bringen . Damit ist der subjektive Tatbestand erfüllt, wenn der Täter trotz erkennbar entgegenstehendem Wil- len die sexuellen Handlungen vornimmt . Ambivalentes Verhalten des Opfers wird jedoch nicht von der neuen Strafnorm erfasst . Menschen mit Behinderung erfahren Gleichstellung: Menschen, die wegen „einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Sucht- krankheit oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseins- störung oder körperlich zum Widerstand unfähig“ sind, fielen bislang als Opfer nicht unter den § 177 StGB, sondern unter die Strafnorm des § 179 – Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen . Auch diese „Sonderbehandlung“, die von vielen als Diskriminierung empfunden wurde, entfällt mit der Novellierung des Se- xualstrafrechts . Ich begrüße auch diese Neuregelung aus- drücklich . Der neue § 177 StGB umfasst zukünftig alle Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen . Sexuelle Belästigung wird Straftatbestand: Neu ge- schaffen wird mit der Novellierung des Sexualstrafrechts auch der Straftatbestand der sexuellen Belästigung . Bis- lang konnten nur Strafanträge wegen Beleidigung auf sexueller Grundlage gestellt werden . Dabei mussten die Übergriffe die sogenannte Erheblichkeitsschwelle über- wunden haben, damit die Strafanträge Aussicht auf Er- folg haben konnten . Der Griff an die Genitalien oberhalb der Kleidung – Grapschen – wurden ebenso wie Küsse in den Nacken oder auf die Haare etc . nicht erfasst . Mit dem neu geschaffenen § 184i, Absatz 1 macht sich zukünftig strafbar, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt . Mit dieser Sexualstrafrechtsreform wird im deutschen Recht mehr Gleichstellung zwischen den Geschlechtern geschaffen . Dies begrüße ich sehr . Ich stimme der No- vellierung zu . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ja zum „Nein ist ein Nein“ . Deshalb habe ich heu- te für die Änderung der Strafbarkeit der Vergewaltigung gestimmt . Wer gegen den erkennbaren Willen einer Per- son sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder von ihr vornehmen lässt, wird wegen Vergewaltigung bestraft . Es soll nicht mehr darauf ankommen, dass Gewalt ange- wandt oder aktiv Gegenwehr nachgewiesen wird . Diese Änderung des § 177 StGB hätte es schon vor einem Jahr geben können . Die Grünen hatten den Ge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618134 (A) (C) (B) (D) setzentwurf dafür vorgelegt . Aber die Union wollte nicht . Jetzt hat die Bundesregierung endlich ein weitgehend mit diesem Entwurf übereinstimmendes Gesetz eingebracht . Da war das Ja in der namentlichen Abstimmung klar . Die weiteren Neuerungen in dem Gesetz habe ich ab- gelehnt . Neu eingeführt werden soll der Straftatbestand „se- xuelle Belästigung“ . Die Regelung ist zu unbestimmt . Es fehlt die Bedingung, dass der „erkennbare Wille des Opfers“ entgegenstehen muss . Strafbar werden soll die körperliche Berührung einer Person „in sexuell bestimm- ter Weise“, wenn sie sie belästigt . Nach dem Gesetzes- wortlaut könnte das auf jede noch so leichte Berührung mit Hand oder Finger am Arm oder der Hand der anderen Person zutreffen . In der Begründung zum Gesetz wird dann zwar ausgeführt, welche Arten von Berührungen unter anderem umfasst sein sollen: „Küssen des Mundes, des Halses, ‚Begrapschen‘ des Gesäßes“ . Diese Präzisie- rung gehört aber direkt in den Gesetzestext . Nicht unter diesen Tatbestand fallen sollen „bloße Ärgernisse, Un- gehörigkeiten oder Distanzlosigkeiten wie zum Beispiel das einfache In-den-Arm-Nehmen oder der schlichte Kuss auf die Wange“ . All diese Begrenzungen gehören aber in den Wortlaut des Gesetzestextes, für die Rechts- anwender ist allein dieser Text maßgeblich . Es kann keine sexuellen Berührungen geben, die nicht auch gleichzeitig sexuelle Handlungen sind . Stimmiger und bestimmter wäre daher, die Worte „von einiger Er- heblichkeit“ bei der gesetzlichen Definition von sexuel- len Handlungen in § 184h StGB zu streichen, um auch weniger schwerwiegende sexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen . Die Schwere der Rechtsgutsverletzung müsste dann bei den Strafrahmen berücksichtigt werden . Eine solche Regelung würde auch den Bestimmtheits- grundsatz nicht verletzen . Ebenso abgelehnt habe ich die neue Strafbarkeit der Förderung einer Straftat durch die bloße Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus ein Sexualdelikt begangen wird . Schon die Formulierung ist so verquast, dass man kaum versteht, was strafbar sein soll . Jedenfalls nicht eine konkrete Beteiligung an einer Straftat, sondern al- lein die Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus ein anderer eine Sexualtat begeht . Dabei kommt es nicht auf seine individuelle Kenntnis und Schuld an – es muss für ihn noch nicht einmal vorhersehbar gewesen sein, dass ein Sexualdelikt durch eine andere Person aus der Grup- pe begangen würde . Er muss von einer Sexualtat nicht mal etwas wissen . Er muss lediglich billigend in Kauf genommen haben, dass aus der Gruppe heraus irgendje- mand irgendeine Straftat begeht . So wird dann jedem Gruppenbeteiligten die Begehung eines Sexualdelikts zugerechnet, auch wenn die Gruppe sich ursprünglich zu anderen Zwecken – zum Beispiel zur Begehung von Diebstählen oder Beleidigungen – zusammengefunden hatte . Der Täterkreis einer Gruppe ist auch zahlenmäßig unbegrenzt . Auch der Gruppenbe- teiligte kann bestraft werden, der sich in zweiter, dritter Reihe aufhält oder noch weiter hinten und von einem Sexualdelikt nichts mitbekommt, weil es auf eine kon- krete Unterstützungshandlung etwa durch Beihilfe oder Anstiftung gar nicht ankommt . In der Gesetzesbegründung steht: „Die Beteiligung ist nicht im Sinne der §§ 25 bis 27 StGB zu verstehen, sondern im umgangssprachlichen Sinn . Es wird kein be- wusstes und gewolltes Zusammenwirken verlangt .“ Hier wird eine völlig neue Form der Tatbeteiligung geschaf- fen, die in Widerspruch zum Schuldprinzip steht und ver- fassungsrechtlich nicht haltbar ist . Diese neue Vorschrift ist auch überflüssig. Handlun- gen im Zusammenwirken mit anderen werden schon jetzt über die Regelungen zu Täterschaft und Teilnahme erfasst, die gemeinschaftliche Begehung einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung ist zusätzlich über den § 177 Absatz 6 Nummer 2 abgedeckt und mit hoher Stra- fe bedroht . Ad-hoc-Gesetzgebung als Reaktion auf die Kölner Silvesternacht, um Beweisschwierigkeiten zu beheben, die auch auf ein Versagen der Sicherheitskräfte zurück- zuführen sind, und um die Öffentlichkeit zu beruhigen, ist eben der falsche Ansatz . Tauglich und rechtsstaatlich ist die Vorschrift nicht . Daher habe ich zu diesem Teil des Gesetzentwurfes mit Nein gestimmt und mich insgesamt enthalten . Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über Artikel 1 Nummer 9 des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbst- bestimmung – in der Ausschussfassung, hier: die Einfügung des Paragrafen 184i Strafgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 5) Ich habe heute bei der Abstimmung über die Einfü- gung eines Paragrafen 184i StGB mit Nein gestimmt . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Petitionsausschusses: Sammel- übersicht 343 zu Petitionen (Strafprozessordnung) (Tagesordnungspunkt 39 t) Dem ablehnenden Abschluss der Petitionen können wir nicht zustimmen, da die darin geäußerten Kritik- punkte aus unserer Sicht auch nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) am 18 . Dezember 2015 Bestand haben . Jede Speicherung und Verarbeitung von personenbe- zogenen und personenbeziehbaren Daten stellt einen Ein- griff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestim- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18135 (A) (C) (B) (D) mung dar . Es ist dabei unerheblich, ob die Speicherung bei staatlichen Stellen oder durch gesetzliche Verpflich- tung bei privaten Stellen stattfindet. Um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen, wur- den im Datenschutzrecht wesentliche Grundsätze entwi- ckelt: der Erlaubnisvorbehalt für die Erhebung, Speiche- rung und Verarbeitung von Daten; Datensparsamkeit und Datenvermeidbarkeit, Zweckbindung erhobener Daten; Erforderlichkeit für den zu erreichenden Zweck; Trans- parenz darüber, wo welche Daten gespeichert sind . Durch eine Vorratsdatenspeicherung werden diese Grundsätze und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt . Daten werden ohne jeden konkreten Anlass und in großen Massen gespeichert . Nur ein Bruchteil der gespeicherten Daten wird für den Zweck der angestrebten Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten abgerufen werden . Die Vorratsdatenspeicherung kann nicht allein aus der Perspektive des Bedarfs der Sicherheitsbehörden an Da- ten zur Verbrechensaufklärung oder der Gefahrenabwehr betrachtet werden . Der Gesetzgeber steht auch in der Pflicht, die grundrechtlichen und gesellschaftspolitischen Folgen einer solchen Speicherpflicht in den Blick zu neh- men . Verspüren die Bürgerinnen und Bürger angesichts immer neuer Speicherpflichten, erweiterter Zugriffsmög- lichkeiten von Behörden auf vorhandene Daten, das mas- senhafte Ausspähen von Daten durch eigene und fremde Nachrichtendienste, Daten- und Identitätsdiebstahl im Internet eine zunehmende Verunsicherung, so liegt darin auch eine Gefahr für die Demokratie . Die Befürchtung, wonach die VDS gegen Verfas- sungs- und EU-Recht verstoße, konnte nicht ausgeräumt werden . Außerdem ist bis zum heutigen Tag nicht er- kennbar, geschweige denn in irgendeiner Form empirisch belegt, dass alternative Ermittlungsmethoden signifikan- te Nachteile für die Strafverfolgung nach sich zögen . In der am 21 . September 2015 zu der Thematik im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deut- schen Bundestages durchgeführten öffentlichen An- hörung mussten auch die von der Koalition benannten Sachverständigen einräumen, aussagekräftige Statistiken nicht liefern zu können . Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltverein (DAV) wies zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber aber genau dies vor einer Verabschiedung des Gesetzes leisten müsse und es eben nicht ausreiche, einfach zu behaupten, dass die Strafverfolgung einer VDS für alle 80 Millionen Bundesbürger bedürfe . Laut einer Studie wirke sie sich nämlich auf die Verbrechens- bekämpfung praktisch gar nicht aus, und auch seit dem Wegfall der VDS im Jahr 2010 seien keine Sicherheits- lücken nachweisbar . Sie wies außerdem darauf hin, dass der Gesetzentwurf – anders als das Bundesjustizministe- rium behaupte – Auskunftsrechte für Geheimdienste ent- hält . Staatliche Stellen dürften selbst „Früchte illegaler Datensammlung“ verwerten . Der Anwalt Meinhard Starostik kritisierte in seinem Statement ebenfalls, dass noch immer nicht zweifelsfrei erwiesen wäre, dass die VDS erforderlich sei . Er verwies außerdem auf den Begriff der Überwachungsgesamt- rechnung . Diese sei vor dem Hintergrund neuer Über- wachungsmaßnahmen wie den sieben Millionen jährlich automatisiert beauskunfteten Bestandsdaten und den Enthüllungen von Snowden neu zu bewerten . Starostik wies ferner darauf hin, dass es außerdem im privaten Be- reich noch viele andere Datensammlungen von erhebli- chem Umfang gebe, auf die der Staat prinzipiell ebenfalls zugreifen könne . Entsprechend seien die Risiken einer Profilbildung enorm gewachsen. Als problematisch erweist sich auch, dass sich die Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess im Detail keinerlei Gedanken zur konkreten Umsetzung des Geset- zes in puncto Datensicherheit gemacht hatte und lediglich darauf verwies, dass die Bundesnetzagentur für Elektri- zität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) entsprechende Verfahren „nach dem Stand der Technik“ im Benehmen mit dem BSI und der Bundesdatenschutzbeauftragten festlegen werde . Der kürzlich von der Bundesnetzagentur vorgelegte Entwurf zum „Katalog von technischen Vorkehrungen und sons- tigen Maßnahmen“, der die Anforderungen an die im vergangenen Jahr beschlossene Vorratsdatenspeicherung nun konkretisiert und dessen Vorschriften spätestens am 1 . Juli 2017 von den Providern umgesetzt sein müssen, könnte für viele betroffene Unternehmen den finanziellen Ruin bedeuten . Denn für eine entsprechende technische Umsetzung müssten zunächst vollkommen neue Systeme entwickelt werden . Zudem haben sich Hersteller bereits dahingehend geäußert, dass sie vorerst keine entspre- chenden neuen Systeme entwickeln werden – weil noch nicht sicher ist, ob die Vorratsdatenspeicherung dieses Mal vor Gerichten Bestand hat . Die Linke hat mit ihrem Antrag „Auf Vorratsdaten- speicherung verzichten“ ihre prinzipielle Ablehnung ei- ner VDS deutlich gemacht . Sie ist ein unverhältnismä- ßiger Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und grundsätzlich nicht mit der Europäischen Grundrechtecharta vereinbar . Das „Gesetz zur Einfüh- rung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ verstößt aus unserer Sicht in den zen- tralen Fragen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßig- keit gegen die Grundrechte . Die Petitionen wären ein guter Anlass gewesen, das hinter der VDS stehende Sicherheitskonzept der Massen- überwachung zu überdenken, im Bundestag breit über eine bürgerrechtliche Kehrtwende in der Innenpolitik zu debattieren und das von weiten Teilen der Bevölkerung als nicht verfassungskonform eingeschätzte Gesetz vor entsprechenden Urteilen in Karlsruhe und Luxemburg zurückzunehmen . Der negative Abschluss aller Petitio- nen stellt somit eine vertane Chance dar . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Petitionsausschusses: Sammel- übersicht 350 zu Petitionen (Strafprozessordnung) (Zusatztagesordnungspunkt 3 j) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618136 (A) (C) (B) (D) Zwar besteht hinsichtlich der Aufforderung an die Bundesregierung, sich für eine Aufhebung der EU-Richt- linie zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) einzusetzen, in- zwischen kein Handlungsbedarf mehr, dennoch können wir dem ablehnenden Abschluss der Petitionen nicht zustimmen, da die darin geäußerten Kritikpunkte aus unserer Sicht auch nach Aufhebung der EU-Richtlinie aufgrund des Inkrafttretens des neuen Gesetzes zur VDS in Deutschland am 18 . Dezember 2015 Bestand haben . Jede Speicherung und Verarbeitung von personenbe- zogenen und personenbeziehbaren Daten stellt einen Ein- griff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestim- mung dar . Es ist dabei unerheblich, ob die Speicherung bei staatlichen Stellen oder durch gesetzliche Verpflich- tung bei privaten Stellen stattfindet. Um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen, wur- den im Datenschutzrecht wesentliche Grundsätze entwi- ckelt: der Erlaubnisvorbehalt für die Erhebung, Speiche- rung und Verarbeitung von Daten; Datensparsamkeit und Datenvermeidbarkeit, Zweckbindung erhobener Daten; Erforderlichkeit für den zu erreichenden Zweck; Trans- parenz darüber, wo welche Daten gespeichert sind . Durch eine VDS werden diese Grundsätze und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ver- letzt . Daten werden ohne jeden konkreten Anlass und in großen Massen gespeichert . Nur ein Bruchteil der ge- speicherten Daten wird für den Zweck der angestrebten Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten abgeru- fen werden . Die VDS kann nicht allein aus der Perspektive des Bedarfs der Sicherheitsbehörden an Daten zur Verbre- chensaufklärung oder der Gefahrenabwehr betrachtet werden. Der Gesetzgeber steht auch in der Pflicht, die grundrechtlichen und gesellschaftspolitischen Folgen einer solchen Speicherpflicht in den Blick zu nehmen. Verspüren die Bürgerinnen und Bürger angesichts immer neuer Speicherpflichten, erweiterter Zugriffsmöglichkei- ten von Behörden auf vorhandene Daten, das massenhaf- te Ausspähen von Daten durch eigene und fremde Nach- richtendienste, Daten- und Identitätsdiebstahl im Internet eine zunehmende Verunsicherung, so liegt darin auch eine Gefahr für die Demokratie . Die Befürchtung, wonach die VDS, mit ihrer derart weitreichenden Registrierung sensibler Informationen, Datenmissbrauch und -pannen begünstige, konnte nicht ausgeräumt werden . Gleiches gilt für die prognostizier- te Gefahr, dass sich aufgrund der VDS die Bürger be- obachtet und kontrolliert fühlen und unter einer Art Generalverdacht stünden . Insbesondere jedoch die Ge- fahr, dass aufgrund des erheblichen Interesses an den gesammelten Daten die ursprünglich gesetzten Grenzen für die Verwendung der Daten zunehmend aufgeweicht werden, hat sich mittlerweile bestätigt: Bereits wenige Tage vor Inkrafttreten der VDS unternahm die CSU be- reits einen ersten Vorstoß zur Ausweitung des Gesetzes . Am 15 . Dezember 2015 beschloss die Landesregierung in Bayern ein neues Verfassungsschutzgesetz, das dem Geheimdienst ermöglicht, die bei der VDS gespeicher- ten Informationen anzuzapfen . Diese Möglichkeit hatte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Gesetzge- bungsprozess stets öffentlich verneint . Außerdem ist bis zum heutigen Tag nicht erkennbar, geschweige denn in irgendeiner Form empirisch belegt, dass alternative Er- mittlungsmethoden signifikante Nachteile für die Straf- verfolgung nach sich zögen . In der am 21 . September 2015 zu der Thematik im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deut- schen Bundestags durchgeführten öffentlichen Anhörung mussten auch die von der Koalition benannten Sachver- ständigen einräumen, aussagekräftige Statistiken nicht liefern zu können . Heide Sandkuhl vom Deutschen An- waltverein (DAV) wies zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber aber genau dies vor einer Verabschiedung des Gesetzes leisten müsse und es eben nicht ausreiche, einfach zu behaupten, dass die Strafverfolgung einer VDS für alle 80 Millionen Bundesbürger bedürfe . Laut einer Studie wirke sie sich nämlich auf die Verbrechens- bekämpfung praktisch gar nicht aus, und auch seit dem Wegfall der VDS im Jahr 2010 seien keine Sicherheits- lücken nachweisbar . Sie wies außerdem darauf hin, dass der Gesetzentwurf – anders als das Bundesjustizministe- rium behaupte – Auskunftsrechte für Geheimdienste ent- hält . Staatliche Stellen dürften selbst „Früchte illegaler Datensammlung“ verwerten . Der Anwalt Meinhard Starostik kritisierte in seinem Statement ebenfalls, dass noch immer nicht zweifelsfrei erwiesen wäre, dass die VDS erforderlich sei . Er verwies außerdem auf den Begriff der Überwachungsgesamt- rechnung . Diese sei vor dem Hintergrund neuer Über- wachungsmaßnahmen wie den sieben Millionen jährlich automatisiert beauskunfteten Bestandsdaten und den Enthüllungen von Snowden neu zu bewerten . Starostik wies ferner darauf hin, dass es außerdem im privaten Be- reich noch viele andere Datensammlungen von erhebli- chem Umfang gebe, auf die der Staat prinzipiell ebenfalls zugreifen könne . Entsprechend seien die Risiken einer Profilbildung enorm gewachsen. Als problematisch erweist sich auch, dass sich die Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess im Detail keinerlei Gedanken zur konkreten Umsetzung des Geset- zes in puncto Datensicherheit gemacht hatte und lediglich darauf verwies, dass die Bundesnetzagentur für Elektri- zität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) entsprechende Verfahren „nach dem Stand der Technik“ im Benehmen mit dem BSI und der Bundesdatenschutzbeauftragten festlegen werde . Der kürzlich von der Bundesagentur vorgelegte Entwurf zum „Katalog von technischen Vorkehrungen und sonstigen Maßnahmen“, der die Anforderungen an die im vergan- genen Jahr beschlossene Vorratsdatenspeicherung nun konkretisiert und dessen Vorschriften spätestens am 1 . Juli 2017 von den Providern umgesetzt sein müssen, könnte für viele betroffene Unternehmen den finanziellen Ruin bedeuten . Denn für eine entsprechende technische Umsetzung müssten zunächst vollkommen neue Systeme entwickelt werden . Zudem haben sich Hersteller bereits dahin gehend geäußert, dass sie vorerst keine entspre- chenden neuen Systeme entwickeln werden – weil noch nicht sicher ist, ob die Vorratsdatenspeicherung dieses Mal vor Gerichten Bestand hat . Die Linke hat mit ihrem Antrag „Auf Vorratsdaten- speicherung verzichten“ ihre prinzipielle Ablehnung ei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18137 (A) (C) (B) (D) ner VDS deutlich gemacht . Sie ist ein unverhältnismä- ßiger Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und grundsätzlich nicht mit der Europäischen Grundrechtecharta vereinbar . Das „Gesetz zur Einfüh- rung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ verstößt aus unserer Sicht in den zen- tralen Fragen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßig- keit gegen die Grundrechte . Die Petitionen, von denen die größte von 64 704 Mit- zeichnern unterstützt wurde, wären ein guter Anlass ge- wesen, das hinter der VDS stehende Sicherheitskonzept der Massenüberwachung zu überdenken, im Bundestag breit über eine bürgerrechtliche Kehrtwende in der In- nenpolitik zu debattieren und das von weiten Teilen der Bevölkerung als nicht verfassungskonform eingeschätzte Gesetz vor entsprechenden Urteilen in Karlsruhe und Lu- xemburg zurückzunehmen . Der negative Abschluss aller Petitionen stellt somit eine vertane Chance dar . Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (Tagesordnungspunkt 18 a) Rudolf Henke (CDU/CSU): Der Deutsche Bundes- tag stimmt heute über das von der Bundesregierung ein- gebrachte Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsge- werbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen ab . Grundsätzlich begrüße ich diesen Schritt, da die Evaluation des im Jahre 2001 durch den Deut- schen Bundestag beschlossenen Prostitutionsgesetzes und der damit verbundene Bericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2007 dessen Defizite deutlich gemacht ha- ben . Im Einklang mit den Koalitionsfraktionen stimme ich dem Gesetz zu . Gleichwohl sehe ich einen Aspekt des Gesetzes sehr skeptisch, da er nach meiner Auffassung im Gegensatz zu dem sonst von der Bundesregierung verfolgten Ansatz steht, Aufklärungsangebote über sexuell übertragbare In- fektionen (STI) etc . anonym und niederschwellig anzu- bieten: die verpflichtende gesundheitliche Beratung nach dem neuen § 10 . Das Gesetz besagt in diesem Paragra- fen, dass „eine gesundheitliche Beratung durch eine für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zuständige Behörde angeboten“ werden soll, lässt den Bundesländern jedoch das Recht offen, auch eine andere Behörde für die Durch- führung dieser Beratung zu bestimmen . In der Strategie der Bundesregierung zur Eindäm- mung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, die das Vorgehen in diesem Bereich bis zum Jahre 2030 skizziert und auch Bezug auf die gängige Praxis nimmt, ist festgehalten, dass „spezi- fische niedrigschwellige und anonyme Beratungs- und Testangebote insbesondere durch den Öffentlichen Ge- sundheitsdienst und freie Träger angeboten werden“ . Auch das Infektionsschutzgesetz definiert in § 19 die Aufgaben des Gesundheitsamtes folgendermaßen: „Das Gesundheitsamt bietet bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten und Tuberkulose Beratung und Untersu- chung an … Die Angebote können bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten anonym in Anspruch genom- men werden, soweit hierdurch die Geltendmachung von Kostenerstattungsansprüchen … nicht gefährdet wird .“ Es ist nicht zu erwarten, dass die verpflichtende ge- sundheitliche Beratung, die das Gesetz nun für Prostitu- ierte verbindlich vorsieht, von einer anderen Institution als dem Öffentlichen Gesundheitsdienst durchgeführt wird . Falls sich diese Annahme bestätigt, wäre ein und dieselbe Institution gleichzeitig sowohl für ein nieder- schwelliges und anonymes Angebot zuständig als auch für eine verpflichtende Beratung mit Erfassung perso- nenbezogener Daten . Im Falle des Verstoßes gegen die Beratungspflicht können Bußgelder verhängt werden. Nach vielen Gesprächen mit Vertretern der unter- schiedlichsten Gesundheitsämter und Personen, die in der Aufklärungsarbeit tätig sind, komme ich zu der Ein- schätzung, dass diese Regelung das bestehende anonym wahrnehmbare Hilfsangebot des Öffentlichen Gesund- heitsdienstes in Frage stellt . Deshalb plädiere ich dafür, die jetzt beschlossene Regelung und den Zusammenhang zur anonymen Beratung durch den Öffentlichen Gesund- heitsdienst frühzeitig zu evaluieren und falls notwendig Änderungen vorzunehmen, um die erfolgreichen Initia- tiven des Öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht zu ge- fährden . Im Übrigen müssen die Länder eine ausreichende per- sonelle Ausstattung der mit der Pflichtberatung beauf- tragten Behörden sicherstellen . Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme dem obigen Gesetzentwurf aus unten aufgeführten Gründen nicht zu . Die SPD-Bundestagsfraktion will den Schutz der in der legalen Prostitution arbeitenden Frauen, Männer, Transmenschen in Deutschland verbessern . Dabei ist die Einschätzung über ihre Lage schwierig, da statistische Daten über eine Anzahl ebenso fehlen wie Erhebungen über die Art ihrer Beschäftigung (unter anderem in einem Prostitutionsbetrieb, mit welcher Rechtstellung innerhalb des Betriebs, auf der Straße etc .; nebenbei, gelegentlich oder für einen kurzen Lebensabschnitt tätig etc .) . Fach- beratungsstellen schätzen, dass insgesamt mehr als die Hälfte aller Sexarbeitenden ausländischer Herkunft, zu- meist aus Osteuropa, sind . Diese Ausgangslage erschwert ein Gesetz zum Schutz der in der Prostitution Tätigen, welches ihren unterschiedlichen – auch aufenthaltsrecht- lichen – Lebenslagen gerecht wird . Lange wurde in der Koalition um die Ausgestaltung des Gesetzes gestritten . Unbestritten war relativ schnell, die Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen in den Prostitutionsbetrieben festzulegen und eine Erlaubnis- pflicht zum Betreiben von Prostitutionsstätten zu formu- lieren sowie Kontrollrechte mit Sanktionsmöglichkeiten zu schaffen . Dies stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618138 (A) (C) (B) (D) Sexarbeitenden und beendet menschenunwürdige Ge- schäftsmodelle . Aus der CDU/CSU-Fraktion kamen aber auch For- derungen wie Erhöhung des Mindestalters oberhalb der Volljährigkeitsgrenze und verpflichtende gesundheitliche Untersuchungen . Ich begrüße, dass sich diese Forderun- gen nicht durchgesetzt haben . Gesundheitspolitische Erwägungen: Gesundheitspolitische Maßnahmen und gesetzliche Regelungen müssen sowohl praxistauglich sein als auch in den gesundheitspolitischen Kanon passen . Gerade in der Gesundheitspolitik gilt es, die Selbstbestimmung des Menschen zu achten und zu stärken . Deshalb hat der Deutsche Bundestag 2001 beim Übergang vom Seu- chenschutzgesetz zum Infektionsschutzgesetz auch einen Paradigmenwechsel vollzogen: Der Öffentliche Gesund- heitsdienst (ÖGD) wurde „beauftragt“ die Bevölkerung in die Lage zu versetzen, selbst- und eigenverantwortlich mit der eigenen Gesundheit umzugehen . Der ÖGD hat nun die Aufgabe zu informieren und zu beraten . Im sen- siblen Themenfeld sexuell übertragbarer Krankheiten ist mit § 19 Infektionsschutzgesetz ausdrücklich die anony- me Beratung zugelassen . Im vorliegenden Gesetzentwurf ist im § 10 „Gesund- heitliche Beratung“ festgeschrieben, dass Personen, die als Sexarbeitende tätig sind oder eine solche Tätigkeit aufnehmen wollen, eine gesundheitliche Beratung durch eine für den ÖGD zuständige Behörde angeboten wird . Gesundheitliche Beratungsangebote für Menschen in der Prostitution sind grundsätzlich begrüßenswert . Aus meinem Wahlkreis Berlin-Tempelhof-Schöne- berg, in dem ein europaweit bekannter Straßenstrich seit mehr als hundert Jahren besteht, weiß ich, dass dort täti- ge Sexarbeitende sehr gern die freiwilligen und teilweise auch anonymen gesundheitlichen Beratungen und Hilfen annehmen – das Angebot deckt nicht die Nachfrage, so- dass sogar Wartezeiten entstehen . Es wäre wünschens- wert, diese freiwilligen Angebote durch das Gesetz aus- zubauen . Stattdessen ist das bereitzustellende Beratungsange- bot des ÖGD für die Sexarbeitenden verpflichtend. Zur Ausübung der Tätigkeit Prostitution muss künftig eine Registrierung erfolgen . Diese Anmeldung kann nur mit- tels Nachweis einer Bescheinigung über eine gesundheit- liche Beratung erfolgen . Die gesundheitliche Beratung ist somit eine „Zwangsberatung“ . Ich stimme mit den Fachberatungsstellen und Verbänden wie zum Beispiel der Deutschen Aidshilfe überein, dass eine Zwangsbera- tung kontraproduktiv ist . Gesundheitliche Beratungen sind nur „erfolgreich“, wenn die zu Beratenden offen für eine Beratung sind . Als Sozialpädagogin und Diplom-Pädagogin kenne ich die Grundsätze erfolgreicher Beratung: Der Beratungsbedarf hat von der zu beratenden Person auszugehen . Mit den erzwungenen Beratungen für die Anmeldung und die Beratungswiederholungen nach zwölf Monaten bzw . sechs Monaten für die unter 21-Jährigen, die wei- terhin in der Prostitution arbeiten wollen, werden Res- sourcen von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und Ärztinnen und Ärzten des Öffentlichen Gesundheits- dienstes gebunden – geschweige denn, dass sie alleine für die „Zwangsberatung“ in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen . Das Fachpersonal steht für den „ech- ten“ Beratungsbedarf dann nicht mehr zur Verfügung . Es ist zu befürchten, dass das jahrelang durch den ÖGD auf- gebaute Vertrauen verloren geht und Sexarbeitende mit gesundheitlichen Problemen oder Beratungsbedarf nicht mehr zum ÖGD gehen . Laut Erläuterungen zum § 10 des Gesetzentwurfes sollen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und Ärz- tinnen und Ärzte neben der gesundheitlichen Beratung dazu beitragen, Menschenhandel und Zwangsprostituti- on einzudämmen . Sie sollen eine vertrauensvolle Atmo- sphäre schaffen, die es den Sexarbeitenden ermöglicht, sich zu öffnen, wenn sie Opfer von Menschenhandel oder Zwangsprostitution sind . Doch Menschenhandelsopfer und Zwangsprostituierte werden von den Zuhältern und Menschenhändlern unter Druck gesetzt, damit sie sich nicht als Opfer zu erkennen geben . Zudem werden Fol- gen des Erkennens einer Zwangslage von Sexarbeitenden für die Bediensteten des ÖGD nicht definiert. Sie können lediglich den Beratungsschein verweigern . Dadurch wird eine Anmeldung unmöglich . Was geschieht dann aber den Opfern von Zwangsprostitution und Menschenhan- del? Wie sollen sie erreichbar bleiben für Hilfseinrich- tungen bzw . Polizei und Staatsanwaltschaft? Die Zuhäl- terinnen und Zuhälter und Menschenhändlerinnen und Menschenhändler werden nicht zusehen, bis der ÖGD eine Lösung gefunden hat . Aus der fachlichen Sicht der Großstadtgesundheitsämter und des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheits- dienst (BVÖGD) – vergleiche ihre Stellungnahme zum Referentenentwurf – entspricht eine Anmelde- und Be- ratungspflicht nicht der Zielsetzung des Schutzes von in der Prostitution tätigen Personen . Sie stellen in ihrer Stel- lungnahme als Fazit fest: „Die vorgesehene Anmelde- und Beratungspflicht für Sexarbeitende stellt einen erheblichen Eingriff in Persön- lichkeitsrechte dar . Sie ist in hohem Maße stigmatisie- rend und ungeeignet, mögliche Opfer von Menschenhan- del und Gewalt zu identifizieren und zu schützen. Eine Mitwirkung von Gesundheitsämtern bei der Umsetzung des Entwurfs stimmt nicht mit den gelten- den Rechtsnormen überein, da sie im Widerspruch zum bewährten IfSG steht . Sie gefährdet zudem die Erfolge der auf Vertrauen beruhenden Präventionsarbeit der Ge- sundheitsämter .“ Finanzierung: Die Kosten zur Umsetzung des vorliegenden Gesetz- entwurfes werden bis auf einen kleinen Bruchteil von 33 000 Euro für die Evaluation des Gesetzes den Bun- desländern auferlegt . Die Bundesregierung schätzt die Kosten für den einmaligen Umstellungsaufwand für die Verwaltung auf etwa 11 Millionen Euro und den jähr- lichen Aufwand auf etwa 13 Millionen Euro – davon sollen allein einmalig 6 Millionen und jährlich 7 Mil- lionen Euro auf den ÖGD entfallen . Die realen Kosten sind lediglich geschätzt, da es keine belastbaren Zahlen/ Statistiken über die Anzahl der Sexarbeitenden gibt . Die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18139 (A) (C) (B) (D) Bundesregierung hat aus den unterschiedlichen vorlie- genden Schätzungen, die von 150 000 bis 700 000 Sexar- beitenden reichen, die Schätzung des Runden Tisches Prostitution NRW genommen und hochgerechnet, so- dass zur Berechnungsgrundlage 200 000 Sexarbeitende und eine jährliche Fluktuation von 50 000 zustande kam . Daher kommt der Bundesrat – zu Recht – zu folgender Einschätzung . Dieser stellte fest, „dass die Kosten, die mit dem Gesetzentwurf für die Haushalte der Länder und Kommunen verbunden sein werden, im Gesetzentwurf nur unzureichend spezifiziert und ausgewiesen sind. In der Berechnung des Erfüllungsaufwandes der Verwal- tung sind beispielsweise die Mehrkosten für Wider- spruchsverfahren oder für Übersetzungen und Sprach- mittlung nicht enthalten . Soweit in der Berechnung zu einzelnen Vorgaben des Gesetzentwurfs Kostenangaben zum einmaligen Umstellungsaufwand und zum dauer- haften jährlichen Aufwand gemacht werden, ist teilweise nicht erkennbar, auf welchen Berechnungsparametern (zum Beispiel Aufwand je Fall) diese beruhen . Daher ist die Berechnung nicht nachvollziehbar und prüfbar .“ Nachfragen in Berlin haben ergeben: Die Zahl der notwendigen Zwangsberatungen wird bundesweit auf 450 000 geschätzt, was einem zusätzlichen Personalauf- wand von „mehreren Dutzend“ entspräche . Hinzu kom- men begleitende Kosten wie Dolmetscherinnen und Dol- metscher mit medizinischer Fachkenntnis . Diese kosten 45 Euro die Stunde . Der Finanzierungsaufwand für die Länder wird also sehr viel höher liegen als im Gesetzent- wurf angegeben . Die Länder haben für ihre Haushalte keine valide Da- tenlage . In meinem Bundesland Berlin ist zudem der Be- schluss von Doppelhaushalten üblich . Der Haushalt für 2016/2017 wurde pünktlich beschlossen . Das Prostituti- onsschutzgesetz soll zum 1 . Juli 2017 in Kraft treten . Das Land Berlin hat keine Chance – nach einer eigenen va- liden Berechnung und damit auch Personalgestaltung –, die entstehenden Kosten im Haushalt einzuplanen . Datenschutz: Prostitution in Deutschland ist nach wie vor mit ei- nem Stigma belegt . Die Ministerialbeamtin Claudia Zimmermann-Schwartz aus dem Ministerium für Ge- sundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen geht zu Recht davon aus: „Die gesetzliche Vorgabe, sowohl die Anmeldebescheinigung als auch die Bescheinigung über die erfolgte Gesund- heitsberatung mit sich zu führen, erhöht die Gefahr eines unfreiwilligen Outings sowie die Erpressbarkeit durch Kunden, die sich die Bescheinigungen vorlegen lassen können und damit persönliche Daten in Erfahrung brin- gen .“ Die Regelung stellt damit ein datenschutzrechtli- ches Problem dar . Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke und Heike Hänsel (beide DIE LINKE) zu den Abstimmungen – über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen, – über die Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken und – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Gesetz zur Regulierung von Prostitutionsstätten vorlegen (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Wir haben zu allen Gesetzentwürfen, Anträgen und Entschließungen betreffend Prostitution mit Nein ge- stimmt, auch zu dem von unserer eigenen Fraktion vor- gelegten Dokument . Wir sind für eine freie, lustvolle Sexualität . Gekaufter Sex hat damit nichts zu tun . Er unterwirft vielmehr den Körper der sich Prostituierenden der willfährigen Verfü- gung durch den Käufer . Prostitution ist das Gegenteil von sexueller Selbst- bestimmung . Prostitution ist organisierte Gewalt gegen Frauen und auch Männer . Die erdrückende Mehrheit der Prostituierten wird regelmäßig sexuell und psychisch missbraucht, sie wird von Freiern und Zuhältern verge- waltigt, körperlich angegriffen, geschlagen, sie lebt unter ständiger Androhung von Gewalt . Prostitution und Menschenhandel gehen Hand in Hand . In der Europäischen Union sind über 60 Prozent des Menschenhandels auf sexuelle Ausbeutung gerich- tet – und hier werden Milliarden Euro verdient: vom or- ganisierten Verbrechen, nicht von den Prostituierten . Die kommen vielmehr aus und bleiben letztlich in Armut . Prostitution in Deutschland ist ein rassistisches Aus- beutungsverhältnis . Etwa zwei Drittel der sich Prostituie- renden hierzulande kommen aus Osteuropa, namentlich aus Bulgarien und Rumänien . Auch unter den legalen Bedingungen wird Prostituti- on ständig und fortschreitend entwertet in einem Preis- und Leistungswettbewerb nach unten . Prostitution wird zum Akkord und Akkord ist bekanntlich Mord . Prostitution ist ein zutiefst hierarchisches Verhältnis, in dem nicht die Arbeitskraft der sich Prostituierenden benutzt – und verbraucht – wird, sondern ihr Körper und ihre Seele als Ganzes . Prostitution als solche wider- spricht allen Kriterien, die an „normale Arbeit“ angelegt werden, wie: der körperlichen Unversehrtheit, Würde, Selbstbestimmung . Der Gesetzentwurf der Koalition bedeutet eine wei- tere Stigmatisierung und Entrechtung der Prostituierten . Das ist der falsche Weg . Wir brauchen keine schärferen Gesetze, sondern eine breite Diskussion in der Gesell- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618140 (A) (C) (B) (D) schaft, wie wir uns einem Leben ohne Prostitution annä- hern können . Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Martin Burkert (SPD) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stär- kung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich (Ta- gesordnungspunkt 22) Ich stimme gegen den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung in der Ausschussfassung – Drucksachen 18/9099, 18/8334 . Aus § 37 (2) in Verbindung mit den Sätzen 4 und 5 von § 36 (2) des vorliegenden Gesetzentwurfs resultie- ren meiner Einschätzung nach untragbare Mehrbelas- tungen für den Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) in Deutschland . Demnach sollen Kostensteigerungen bei der Eisenbahninfrastruktur für den Schienenpersonen- nahverkehr, welche die Rate von jährlich 1,8 Prozent übersteigen, dem SPFV zusätzlich zu den von ihm selbst zu tragenden Kosten und Kostensteigerungen aufgebür- det werden . Die Arbeitnehmer/innen des Sektors müssen deshalb fürchten, hiervon in der Konsequenz negativ be- troffen zu sein . In der gegenwärtig und noch bis Ende 2019 gültigen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV II) zwischen dem Bund und der DB AG wurden jährliche Steigerungsraten der Trassenpreise von 2,4 Prozent zu- grunde gelegt . Wenn diese Einnahmen nicht erreicht werden, bleibt nur die Möglichkeit, Unterhalt und Erneu- erung der Eisenbahninfrastruktur erneut zu vernachläs- sigen oder die zwischen Bund und DB AG vereinbarten Dividendenzahlungen durch Verschuldung zu finanzie- ren . Damit würde das Gesetz zulasten Dritter gehen – in diesem Fall der DB AG . Die im vorliegenden Gesetzentwurf verankerte Be- grenzung der Trassen- und Stationspreise des Schienen- personennahverkehrs kann auf eine Mehrbelastung des Fernverkehrs in Höhe von rund 25 Millionen Euro im Fahrplanjahr 2018 hinauslaufen . 2019 wären es bereits rund 50 Millionen Euro . Bis zum Jahr 2030 entstünde kumuliert eine Zusatzbelastung von bis zu 2,3 Milliarden Euro . Die zugehörige Befristung der Regelung auf drei Jahre bedeutet keine Entschärfung des Problems . Wie der 19 . Deutsche Bundestag damit umgehen wird, bleibt völlig offen . Für die im SPFV notwendigen Investitionen bedarf es aber langfristig sicherer Rahmenbedingungen, welche für die nächsten Jahre nicht gegeben wären . Es ist mir wichtig, zu erklären, dass im vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich an vielen Stellen sinnvolle Rege- lungen erreicht werden konnten, die grundsätzlich zu be- grüßen sind . Das beschriebene Risiko für den Schienen- sektor, welches aus den gesetzlichen Regelungen in § 36 und § 37 resultiert, ist meiner Meinung nach allerdings nicht hinnehmbar . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich (Tagesord- nungspunkt 22) Ulrich Lange (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hat es sich lange verhalten wie mit der Bahn selbst: Man wusste nicht, ob es pünktlich ankom- men wird . Aber wir haben gründlich und zuverlässig ge- liefert . Mit diesem Gesetzentwurf verbessern wir Wettbewerb und Effizienz. Wir stärken damit den Verkehrsträger Schiene . Das ist nicht nur für uns in Deutschland wichtig, sondern für ganz Europa, denn wir alle wissen, dass der Schienenverkehr inzwischen ein wichtiges europäisches Transportmittel ist . Für einen funktionierenden und fairen Wettbewerb sind wir daher umso mehr auf klare und transparente Regelungen angewiesen . Hierfür wird das Eisenbahn- regulierungsgesetz – das im Zentrum des vorliegenden Entwurfs steht – den richtigen Rahmen bilden . Es war wahrlich kein einfaches Gesetzesvorhaben . Der Bundesrat hatte weit über 50 Änderungswünsche . Viele davon wurden aufgegriffen, es wurden zahlreiche Gespräche geführt, hitzige Diskussionen ausgetragen und dann in den allermeisten Fällen auch Lösungen ge- funden . Der umfangreiche Änderungsantrag der Koaliti- onsfraktionen sorgt hier noch einmal für weitere Verbes- serungen . Lassen Sie mich vorab aber eines zu der schrägen medialen Debatte sagen, die gerade in den letzten Tagen hochkochte und sich um die theoretische Gefahr dreh- te, der Fernverkehr könne durch steigende Trassenpreise ausgedünnt werden . Ich möchte da nur an eines erinnern, das in der Diskussion zu kurz kommt: Noch nie gab es so viel Geld für die Schiene . Mit der LuFV II stehen für die Jahre 2015 bis 2019 insgesamt mindestens 28 Milliarden Euro für die Schieneninfrastruktur zur Verfügung . Das ist Rekord . Die Investitionen aus dem Verkehrshaushalt steigen bis 2018 auf 5,6 Milliarden Euro an und liegen damit um 1 Milliarde Euro höher als 2015 . Die Regiona- lisierungsmittel werden auf 8,2 Milliarden Euro erhöht . Die Bundesmittel, die für die Bahn bereitgestellt werden, die Gelder, die in die Schieneninfrastruktur fließen, sind in allen Bereichen gestiegen. Davon profitiert natürlich auch der Fernverkehr . Damit stehen die Bahn und auch der Fernverkehr so gut da wie lange nicht . Darüber soll- ten sich doch alle, die hier lautstark protestieren, einmal Gedanken machen! Aber kommen wir doch einmal auf den Inhalt des Ge- setzes zur Eisenbahnregulierung . Da geht es nämlich um viel mehr . Da geht es um: diskriminierungsfreien Zugang zur Ei- senbahninfrastruktur, Regulierung der Nutzungsentgelte, die Stärkung der Bundesnetzagentur . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18141 (A) (C) (B) (D) Dabei setzen wir EU-Recht um, das vorsieht, dem Be- treiber der Schienenwege, Anreize zur Senkung der ln- frastrukturkosten und der Trassenentgelte zu geben . Es wird daher künftig eine Entgeltgenehmigung für die Trassenentgelte durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) geben . Das heißt, die BNetzA wird die Trassenpreise ge- nehmigen, bevor sie erhoben werden . Zudem können Anreize auch über vertragliche Verein- barungen zur lnfrastrukturfinanzierung geschaffen wer- den . Ich nenne nur das Stichwort „LuFV“ . Besonders freue ich mich, dass jetzt durch unser Ge- setz die Rechte der Bundesnetzagentur erheblich gestärkt werden, unter anderem durch die eben angesprochene Genehmigung der Nutzungsentgelte, aber auch durch die Einrichtung von Beschlusskammern . Hier wird die Regulierung der Eisenbahnen endlich an die Regulierung in den Bereichen Telekommunikation, Post und Energie angeglichen . Das war überfällig . Auch durch die Übertragung der Überwachung der Vorschriften über Struktur der Unternehmen und Unab- hängigkeit der Infrastruktur vom Eisenbahn-Bundesamt auf die Bundesnetzagentur wird diese deutlich gestärkt . Kernthema für die Länder war natürlich der§ 37, das heißt die Sonderregelung für SPNV-Entgelte, der eben auch für die anfangs erwähnte Diskussion in den Medien gesorgt hat . Die Sorge der Länder war, dass die Trassen- preise über die Dynamisierungsrate bei den Regionalisie- rungsmitteln hinaus steigen könnten . Das haben wir aufgegriffen und diese Sorge durch eine Kopplung von Entgeltsteigerung an Regionalisie- rungsmittelsteigerung entkräftet . Ein nachträglich aufge- nommener Evaluationsmechanismus gibt dem Bundes- tag zudem jetzt die Möglichkeit, bei Fehlentwicklungen, gegenzusteuern . Damit wird noch deutlicher, dass keine Gefahr einer Ausdünnung des Fernverkehrs aus diesem Grunde besteht . Das Konzept der Bahn jedenfalls sieht vielmehr eine Ausweitung des Fernverkehrs vor . Steigender Bahnver- kehr führt zudem zu steigenden Trasseneinnahmen . Und die Bahn konnte zuletzt einen Zuwachs im Fernverkehr von rund 10 Prozent verzeichnen . Für 2016 rechnet die Bahn mit 132 Millionen Reisenden im Fernverkehr . Daher freue ich mich, dass wir auch beim § 37 letzt- lich zu einer für alle Seiten zufriedenstellenden Lösung gekommen sind . Die Beteiligten wissen selbst am besten, dass das in der Tat nicht so einfach war . Insgesamt haben wir ein gutes und schlüssiges Gesetz vorliegen . Es ist wichtig, dass wir mit der Eisenbahnre- gulierung heute zu einer Gesamtlösung kommen . Nicht nur, weil Brüssel das von uns zu Recht erwartet, um unser integriertes Modell weiter betreiben zu können, sondern auch, weil wir diese Regulierung brauchen, um Wettbewerb und Effizienz auf der Schiene zu verbessern. Ich danke den Verkehrspolitikern der Koalition für die gute und sachliche Zusammenarbeit bei diesem umfang- reichen Projekt . Ich bin der Meinung, es hat sich gelohnt . Der Verkehrsträger Schiene wird weiter gestärkt . Das ist für die Mobilität in Deutschland und Europa das richtige Signal . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die Deut- sche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Eisenbahnbau- und Be- triebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr – des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Kostenentwicklung beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kritisch prüfen (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) Steffen Bilger (CDU/CSU): Es ist nun vier Monate her, seitdem wir uns das letzte Mal im Plenum mit dem Antrag der Fraktion Die Linke zu Stuttgart 21 befasst haben . Vier Monate, in denen die Baustelle große Fort- schritte gemacht hat . Aber offensichtlich nicht genug Zeit für die Gegner des Projekts, um neben Gerüchten neue Fakten zu präsentieren . Nun liegt uns auch noch ein Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen vor . Meine Damen und Herren von den Grü- nen, Sie sollten sich endlich klar werden, was Sie wollen . Hinter uns liegen konstruktive Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg, bei denen wir viele Stunden um den Umgang mit Stuttgart 21 gerungen haben . Mit Ver- laub: Ihr Antrag passt nicht zu unserer Vereinbarung, in der wir uns gemeinsam zur Unterstützung der planmäßi- gen und zügigen Umsetzung des Projekts verpflichten. Sie beschreiben Probleme, als würden Sie sich über je- des einzelne davon freuen . Zudem konnten Sie sich im Ausschuss noch nicht einmal zur Ablehnung des Lin- ken-Antrags, der den Ausstieg aus Stuttgart 21 fordert, durchringen . Dabei hat der baden-württembergische Verkehrsminister erst kürzlich einen Ausstieg aus dem Projekt kategorisch abgelehnt mit den Worten „seitdem (also seit dem Volksentscheid von 2011) ist das für jeden in der Regierung Pflicht, das Projekt zu begleiten und zu befördern“ . So sehen wir das auch, und ich würde mich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618142 (A) (C) (B) (D) freuen, wenn Sie im Bundestag ebenfalls dementspre- chend handeln würden . So langsam frage ich mich ja auch, warum wir eigent- lich die Anhörungen im Verkehrsausschuss durchführen, wenn dort, zumindest von der Opposition, anscheinend keiner zuhört . Es ist doch jetzt gerade einmal zwei Wo- chen her, dass Dr . Grube und seine Vorstandskollegen im Ausschuss sehr ausgiebig Auskunft zum Stand und zur weiteren Entwicklung von Stuttgart 21 gegeben haben, einschließlich zu den Kosten des Projekts . Halten wir uns doch mal an die Fakten . Ja, es gibt mögliche Kostensteigerungen bei dem Projekt, das hat die Bahn auch zugestanden . Aber erstens gibt es genau für diese Fälle den Risikopuffer von über 500 Millionen Euro, zweitens – wenn man sich die Gründe für die be- kannten Kostensteigerungen ansieht, dann sind lediglich die Hälfte dieser Mehrkosten baubedingt – Mittel für ei- nen verbesserten Brandschutz und die nötigen baulichen Änderungen durch die Besonderheiten des Untergrunds . Es ist richtig, dass die Bahn diese Änderungen jetzt vornimmt, denn ich möchte später niemandem erklären müssen, dass wir beim Brandschutz nicht die neuesten Erkenntnisse berücksichtigt haben, nur um ein paar Mil- lionen zu sparen . Die andere Hälfte entstammt in Teilen aus Mehrkos- ten für den Artenschutz . Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie, liebe Oppositionsvertreter, et- was gegen diese Ausgaben haben können . Auch ich bin Verfechter eines weitreichenden Na- turschutzes . Aber wenn ich mir die Situation bei Stutt- gart 21 anschaue, dann stellt sich mir schon die Frage, ob das alles noch verhältnismäßig ist: 10 000 Eidechsen, die allesamt umgesiedelt und anschließend 30 Jahre lang beaufsichtigt werden müssen . Kostenpunkt: 8 600 Euro pro Eidechse . Ganz zu schweigen von den Kosten für den Schutz von Bäumen und Juchtenkäfern, um deren Wohl- ergehen sich an anderer Stelle in Stuttgart keiner so viele Gedanken macht . Natürlich geht es beim Risiko weiterer Mehrkosten nicht nur um Brandschutz und Eidechsen, sondern auch um ganz andere Themen . Das nehmen wir sehr ernst, und deshalb finde ich es auch gut, dass erst vor weni- gen Tagen im Lenkungskreis ja Maßnahmen besprochen wurden, wie die Kostenrisiken reduziert werden können . Wir alle sollten die Projektpartner dabei bestmöglich un- terstützen und unseren Beitrag leisten, dass das Projekt zügig weiter vorangeht . Der Antrag der Fraktion Die Linke stützt sich auf zwei Gutachten von „unabhängigen Experten“, die Ausbau- kosten von mindestens 10 Milliarden bis hin zu 15,5 Mil- liarden Euro prognostiziert haben . Nun gibt es Gerüchte um einen Bericht des Bundesrechnungshofs, der angeb- lich auch von weiteren Kostensteigerungen ausgeht . Ist Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich auch etwas aufgefallen? Es gibt Gesetzmäßigkeiten bei Stuttgart-21-Debatten im Bundestag . Eine ist, dass jedes Mal am Tag vor unserer Debatte hier im Hohen Hause in irgendeiner Zeitung, zumeist in der Stuttgarter Zeitung, ein Bericht mit neuen Horrormeldungen zu Stuttgart 21 erscheint. Ich finde diese Art der Pressearbeit so langsam ermüdend . Keine Frage: Jeder Euro Kostensteigerung ist äußerst ärgerlich . Dabei sollten aber auch die anderen Aspekte rund um Stuttgart 21 nicht zu kurz kommen . Ich möchte Ihnen daher noch ein paar andere Zahlen präsentieren: 7,7 Prozent! Um so viel legten die Mieten in Stuttgart 2015, 2016 zu . Ein neuer Rekordwert, was aber nur insoweit bedeutsam ist, als dass jährliche Miet- preissteigerungen von 7 Prozent in Stuttgart normal ge- worden sind . 13,84 Euro pro Quadratmeter! Das ist die durchschnitt- liche Kaltmiete, die für Wohnen in Stuttgart zu entrichten ist . Das stellt viele Familien, gerade mit geringeren Ein- kommen, vor ganz erhebliche Probleme, Probleme, die mit Stuttgart 21 zumindest abgemildert werden . 109 Hektar, das ist der Raum, der durch Stuttgart 21 frei wird. 11 000 Menschen können dort Wohnraum fin- den, mitten in der Innenstadt . Eine dringend benötigte Entlastung der angespannten Wohnraumsituation . Und es ist ja nicht nur der Wohnraum, der entsteht . 20 Prozent dieser Fläche sind für Grünflächen reserviert, ein riesiger Gewinn an Lebensqualität . 24 000 Arbeitsplätze werden auf dem Areal entstehen . Und das beinhaltet nicht einmal die Arbeitsplätze, die durch das Bauvorhaben geschaffen und gesichert wurden und werden. Ich finde es schon ei- nigermaßen seltsam, dass ausgerechnet eine Partei, die sich soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, gegen ein solches Projekt ist . Ich möchte abschließend auch noch mal zurückkom- men auf die Volksabstimmung über Stuttgart 21 . Die Grünen möchte ich daran erinnern, was wir im Koali- tionsvertrag in Baden-Württemberg festgehalten haben: „Das Ergebnis der Volksabstimmung aus dem Jahr 2011 ist für uns bindend .“ Auch angesichts dieser Formulie- rung fand ich es sehr irritierend, dass ausgerechnet Sie am Mittwoch davon sprachen, 2013 hätte der Ausstieg aus Stuttgart 21 erfolgen müssen . Bitte klären Sie endlich Ihre Position zu dem Projekt . 58,8 Prozent sind jedenfalls nach wie vor ein eindeutiges Votum für Stuttgart 21 . Die Wähler haben anscheinend sehr viel besser verstanden, was ein Hochtechnologieland wie Deutschland braucht . Und dabei sollten wir es auch belassen . Alexander Funk (CDU/CSU): Der Antrag der Frak- tion Die Linke ist absurd, unseriös und unverschämt . Da- her werden wir ihn ablehnen . Eigentlich ist damit alles Wesentliche gesagt . Ich werde dennoch ein paar wenige Ausführungen dazu machen: Warum ist der Antrag absurd? Sie fordern die Bundesregierung auf, sie solle das Gutachten des Rechnungshofes dem Bundestag zugäng- lich machen . Ich darf Sie daran erinnern, dass der Rechnungshof aufgrund von Artikel 114 GG als eine unabhängige, selbstständige und weisungsfreie externe Finanzkontrol- le des Bundes errichtet wurde . Er ist nicht der Bundesre- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18143 (A) (C) (B) (D) gierung unterstellt und entscheidet selbst, welche Prüfer- gebnisse er veröffentlicht . Nach meinem Kenntnisstand ist die Prüfung des Rechnungshofes noch nicht abgeschlossen, und daher ist uns das Gutachten noch nicht zugestellt worden . Nun die Bundesregierung aufzufordern, dieses nicht fertige Gut- achten zu veröffentlichen, ist absurd . Warum ist ihr Antrag unseriös? Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Herr Dr . Grube, hat dem Verkehrsausschuss zwei Stunden lang Rede und Antwort gestanden . Er informierte, dass die Bahn weiterhin das Ziel verfolge, den Bahnhof für unter 6 Milliarden Euro zu bauen . Allerdings wies er auf neue, von außen verursachte Kostenrisiken hin . Dies könne dazu führen, dass sich die Fertigstellung um zwei Jahre verzögert und mögliche Mehrkosten in Höhe von 600 Millionen Euro entstehen könnten . Deutlich längere Planungsverfahren, ein ver- besserter Lärmschutz und zusätzlicher Aufwand für Ar- tenschutz sind hier die Hauptgründe . Der Konzern werde aber gegensteuern und versuchen, dieses „Worst- Case- Szenario“ abzuwenden . Aber selbst wenn alle Kostenrisiken eintreten würden, würde der Bahnhof unterhalb des bewilligten Finanzie- rungsrahmens in Höhe von 6,526 Milliarden Euro fer- tiggestellt . Wenn Sie von der Linkspartei dann hier im Deutschen Bundestag einen Antrag stellen und Kosten in Höhe von 9,8 Milliarden Euro unterstellen, ist das schlicht unseri- ös . Ja, ich sage sogar: unverschämt . Denn letztlich unter- stellen Sie damit Herrn Dr . Grube, dass er entweder keine Ahnung hat oder das Parlament falsch informiert . Beides weise ich entschieden zurück, wie wir auch ihren Antrag entschieden ablehnen werden . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrsei- tigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte (Tagesordnungspunkt 7) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Mit der Ver- einbarung eines internationalen Informationsaustausches von Steuer- und Unternehmensdaten reagiert die Staa- tengemeinschaft auf die Beobachtung der vergangenen Jahre, wonach Großkonzerne wie Facebook, Google und Starbucks durch Ausnutzung unterschiedlicher Steuer- systeme ihre Steuerlast auf ein Minimum senken konn- ten . Verantwortlich für diesen Missstand waren vor allem unzureichende Informationen der Steuerbehörden über Auslandssachverhalte . Der Informationsaustausch ist deshalb zentraler Teil des Programmes gegen „Die Aushöhlung von Steuer- bemessungsgrundlagen und Gewinnverlagerung“ (Base Erosion and Profit Shifting – kurz BEPS), das Bundes- finanzminister Wolfgang Schäuble bereits im Jahr 2012 auf Ebene der G 20 und der OECD mitinitiiert hatte . An- fang Oktober 2015 wurden in Lima die Abschlussberich- te zu BEPS vorgestellt mit 15 konkreten Aktionspunkten gegen internationale Steuervermeidung . Das Paket wur- de am 15 ./16 . November 2015 von den Regierungschefs der G 20 gebilligt . Mittlerweile haben sich 62 Staaten angeschlossen, auf die 90 Prozent der Weltwirtschaft entfallen . Aktionspunkt 13 des BEPS-Programmes sieht die Einführung eines verpflichtenden automatischen Infor- mationsaustauschs der Steuerbehörden über länderbezo- gene Berichte von Unternehmen, das sogenannte Coun- try-by-Country Reporting, vor . Die Steuerverwaltungen sollen damit Informationen über die globale Aufteilung der Erträge und die entrichteten Steuern sowie über wei- tere Indikatoren der Wirtschaftstätigkeit von internatio- nal tätigen Unternehmen erhalten . Für den internationalen Austausch wurde auf OECD-Ebene eine „Mehrseitige Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länder- bezogener Berichte“ erarbeitet, die am 27 . Januar 2016 von insgesamt 32 Staaten unterzeichnet wurde . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Bundestag dieser völkerrechtlichen Vereinbarung zustimmen . Ich möchte hier auf einen zentralen Bestandteil die- ser Vereinbarung eingehen . Gemäß § 5 der Mehrseitigen Vereinbarung soll der Datenaustausch zwischen den zu- ständigen Behörden nur unter Berücksichtigung umfang- reicher datenschutzrechtlicher Vorgaben automatisch erfolgen . Die Daten werden nur den Steuerbehörden übermittelt und nicht veröffentlicht . Die G 20 und OECD haben dabei aus wohlerwogenen Gründen auf ein öffent- liches Country-by-Country Reporting verzichtet . Auf europäischer Ebene liegen nun aber – parallel – zwei Regelungsvorschläge der Kommission für die Umsetzung des Country-by-Country Reportings vor: erstens für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung KOM(2016) 25 und zweitens für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Rechnungslegungsrichtlinie im Hin- blick auf die Offenlegung von Ertragsteuerinformationen durch bestimmte Unternehmen und Zweigniederlassun- gen KOM(2016) 198/2 . Der erste Vorschlag sieht wie Punkt 13 des BEPS-Ak- tionsplans vor, dass die relevanten Daten nur unter den Finanzbehörden ausgetauscht werden . Der zweite Vor- schlag zur Änderung der Rechnungslegungsrichtlinie soll darüber hinausgehend eine Publizität des Coun- try-by-Country Reportings gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit erreichen . Der gewählte Regelungsweg über die Änderung der Rechnungslegungsrichtlinie lässt dabei den Eindruck zu, dass das für Ertragsteuerfragen notwendige Einstimmigkeitserfordernis im Rat umgan- gen werden soll. Die Einflussmöglichkeiten von Deutsch- land sind damit bei den Beratungen erheblich gemindert . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618144 (A) (C) (B) (D) Hier appelliere ich ausdrücklich an das Rechtsver- ständnis des Bundesjustizministers: Das Rügen der Rechtsgrundlage im Rat sollte nicht davon abhängig ge- macht werden, wie man politisch zu dem Vorhaben steht . Das Recht und daraus folgende Zuständigkeiten, aber auch Kompetenzgrenzen müssen unabhängig davon gel- ten . Europa braucht gerade jetzt das Vertrauen der Bevöl- kerung und der nationalen Parlamente . Solches schafft die Kommission nicht, wenn sie versucht, die Kompeten- zen in ihrem Sinne auszulegen bzw . – um es klar zu sa- gen – zu überdehnen . Der europäischen Integration droht auch dadurch weiterer Akzeptanzverlust . Gegen das Vorhaben der EU-Kommission spricht rechtlich aber noch mehr: Mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf soll der Bundestag einem völkerrechtlichen Vertrag zustimmen, mit dem wir einen vertraulichen In- formationsaustausch mit anderen Staaten vereinbart ha- ben . Diesen völkerrechtlichen Vertrag müssten wir mit der Umsetzung des folgenden widersinnigen Vorschlages der Kommission aber brechen . Dem muss unser Justiz- minister entschieden entgegentreten! Gegen den Vorschlag KOM(2016) 198/2 sprechen aber nicht nur rechtliche Bedenken . Auch politisch ist der Vorschlag KOM(2016) 198/2 ungeeignet zur Er- reichung des erklärten Ziels „Herstellung von Steuer- gerechtigkeit“ . Ein öffentliches Country-by-Country Reporting in Europa könnte sogar den Erfolg des gesam- ten BEPS-Projektes gefährden . Bei einem öffentlichen Country-by-Country Reporting gäbe es für Drittstaaten keinen Grund mehr, den europäischen Staaten ihrerseits entsprechende Daten zu übermitteln . Das Pfand, mit dem man die Kooperation anderer Staaten erreichen könnte, würde leichtfertig ohne Gegenleistung aus der Hand ge- geben . Ziel des Handelns auf europäischer Ebene muss deshalb die inhaltlich gleiche Umsetzung der OECD/G- 20-BEPS-Empfehlungen sein . Für die deutschen Unternehmen wäre die Umsetzung des Vorschlags KOM(2016) 198/2 mit erheblichen Risi- ken verbunden . Die öffentliche Berichterstattung dürfte schützenswerte Interessen der betroffenen Unternehmen verletzen . Im Besonderen ist der Schutz von Geschäfts- geheimnissen nicht hinreichend gewährt, da durch die Veröffentlichungen Rückschlüsse auf Unternehmens- strukturen und Margen möglich wären . Das kann Wett- bewerbsnachteile herbeiführen . Das unbedingte öffentliche Country-by-Country Reporting würde weiter dazu führen, dass mit dem BEPS-Aktionsplan verbundene Verwendungsbeschrän- kungen nicht greifen würden . So dürfen gemäß § 5 der Mehrseitigen Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden Verrechnungspreisanpassungen auf Basis der ausgetauschten Informationen nicht vorgenommen wer- den . Werden die Country-by-Country Reporting-Daten nun ohne diese Maßgabe an Drittstaaten geliefert, droht den Unternehmen vielfältig Doppelbesteuerung und da- mit verbunden Wettbewerbsverzerrung . Hinzu kommt – absehbar – ein massiver Verlust an Steuersubstrat für Bund und Länder . Insgesamt würde ein öffentliches Country-by-Country Reporting deshalb mehr schaden als nutzen . Zur Durch- setzung des maßgeblichen Ziels, Eindämmung von Steu- ervermeidungspraktiken, ist es ausreichend und letztlich zielgerichteter, nicht wahllos die Öffentlichkeit, sondern die Steuerverwaltungen derjenigen Staaten, die sich am Austausch beteiligen, zu informieren . Ich bitte daher die Bundesregierung, sich geschlos- sen für ein kompetenzrechtlich einwandfreies, den völ- kerrechtlichen Vereinbarungen entsprechendes und in der Sache zielführendes Country-by-Country Reporting auf europäischer Ebene einzusetzen und dem Vorschlag KOM(2016) 198/2 entgegenzutreten . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Mit dem Gesetz zu der Mehrseitigen Vereinbarung über den Austausch länderbezogener Berichte – das fängt schon recht sperrig an – beraten wir die Umsetzung des sogenannten Coun- try-by-Country Reporting . Heute geht es in einem ersten Schritt um das Vertragsgesetz, mit dem der Bundestag dem völkerrechtlichen Vertrag über den Austausch län- derbezogener Berichte seine Zustimmung gibt . Im Kern geht es beim Country-by-Country Reporting um multi- nationale Unternehmen . Sie sollen künftig Land für Land offenlegen müssen, in welcher Höhe Erträge erwirtschaf- tet werden und welche Steuern sie in welcher Höhe in den einzelnen Ländern bezahlen . Dies ist ein Teil des An- ti-BEPS-Projektes, mit dem wir auf OECD-Ebene Base Erosion und Profit Shifting – zu Deutsch: Gewinnverkür- zung und -verlagerung – bekämpfen wollen . Das Coun- try-by-Country Reporting ist also ein weiterer Schritt bei der Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerhin- terziehung . Veröffentlichungen von LuxLeaks bis Panama Papers haben uns gezeigt, mit welcher Kreativität und teilweise mit welcher kriminellen Energie Privatpersonen, Kon- zerne und nicht selten auch Unternehmen, von denen wir das überhaupt nicht erwartet hätten, vorgehen, um sich ihren Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens zu sparen . Die öffentliche Infrastruktur wird gleichwohl gern in Anspruch genommen . Das nenne ich „Sparen“ auf dem Rücken der anderen . Insbesondere multinatio- nale Konzerne verschieben Gewinne in Staaten mit sehr niedrigen oder Null-Steuersätzen . Die Fälle von Amazon, Starbucks, Ikea oder Google sind uns allen noch sehr prä- sent . Ist es nicht auffällig, dass viele Unternehmen, die uns im Kontext von Steuern spontan einfallen, ihren Sitz nicht in Deutschland haben? Steuervermeidung durch Verlagerung von Unterneh- mensgewinnen der Konzerne schadet nicht nur den Staa- ten, also allen Bürgern; sie schadet insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen, die ihre Gewinne fair versteuern, nicht künstlich auf die Bahamas ver- schieben können, stattdessen in ihrem Ansässigkeitsstaat Steuern zahlen . Das Wichtigste aber ist: Eine Situation, in der jeder Bäckermeister mehr Steuern bezahlt als ein multinationaler Konzern, ist schlicht ungerecht, und sie gefährdet das Vertrauen der ehrlichen Steuerzahler in die Ausgewogenheit und Gerechtigkeit unseres Steuer- systems . Nur zur Erinnerung: Wann immer jemand eine Steuer umgeht oder hinterzieht, erwartet er, dass seine Nachbarn mehr bezahlen, um das Gemeinwesen zu fi- nanzieren . Der Kampf gegen Steuerhinterziehung und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18145 (A) (C) (B) (D) Steuervermeidung ist deshalb ein Kernanliegen sozialde- mokratischer Finanzpolitik . Das Anti-BEPS-Projekt ist dabei von großer Bedeu- tung; denn damit sollen eine Reihe von Instrumenten zum Einsatz kommen, die Steuervermeidung erschwe- ren . Dazu gehören die Besteuerung der digitalen Wirt- schaft, die Eindämmung hybrider Gestaltungen – da- mit meinen wir das Ausnutzen von unterschiedlichen Regelungen für die steuerliche Einordnung bestimmter Gesellschaftsformen – oder die Verhinderung von Ab- kommensmissbrauch . Besonders wichtig sind auch die Arbeiten gegen schädlichen Steuerwettbewerb . Dabei stehen natürlich Patentboxen besonders im Fokus, aber auch wechselseitige Informationen über Tax Rulings spielen eine Rolle . Insgesamt wollen wir mit der Umset- zung des Anti-BEPS-Projektes drei Ziele erreichen: Um- fang und Ort der Besteuerung sollen stärker an den Ort der Wertschöpfung gebunden werden, Informationsdefi- zite der Finanzverwaltungen wollen wir reduzieren und das Zusammenwirken der unterschiedlichen Steuersyste- me verbessern . In diesem Zusammenhang soll das Country-by-Coun- try Reporting die Dokumentationspflichten multinatio- naler Konzerne vereinheitlichen und den Finanzverwal- tungen zusätzliche Informationen an die Hand geben . Das Zauberwort heißt also Transparenz . Dabei geht es sowohl um die Dokumentation von Verrechnungsprei- sen als auch um den Austausch länderbezogener Berich- te zwischen den teilnehmenden Staaten . Damit soll den Steuerbehörden die Prüfung erleichtert werden, ob der zu besteuernde Gewinn im Verhältnis zu den ökonomischen Aktivitäten der betreffenden Unternehmenseinheit steht . Für all jene, deren Kennzahlen und Steuererklärung plau- sibel sind, dürfte das kein Problem darstellen . Alle ande- ren haben sich überflüssigerweise ein Problem geschaf- fen . So weit, so sinnvoll . Allerdings werden wir uns in den Beratungen mit fol- genden Fragen besonders genau befassen müssen: Wel- che Daten müssen ausgetauscht werden? Wer hat Zugriff auf diese Daten? Mit welchen ökonomischen und fiskali- schen Wirkungen, auch Ausweichreaktionen, müssen wir rechnen? Im Hinblick auf die erste Frage werden wir uns an- schauen, welche Informationen auf Basis des völker- rechtlichen Vertrages zu Umsatz, Gewinn, Steuerzahlun- gen und wirtschaftlicher Aktivität in einem Dokument zusammengefasst werden und inwieweit sie die gesamte Konzernstruktur erfassen . Diese Daten müssen dann län- derweise zusammengestellt werden . Wichtig wird dabei, dass wir auch Berichte von jenen ausländischen Unter- nehmen bekommen, die in Deutschland Tochtergesell- schaften oder Betriebsstätten haben . Im Zentrum der weiteren Debatten wird die zweite Frage stehen: Wer soll Zugriff auf die bereitgestellten Daten haben? Lediglich die Steuerbehörden, verwal- tungsintern? Oder sollen die Daten auch interessierten NGOs und Fachjournalisten und damit der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen? Die Mehrseitige Vereinbarung vom 27 . Januar 2016 sieht einen Austausch der länderbezogenen Berichte nur zwischen den zuständigen Behörden vor . Einfach ein öffentliches Country-by-Country Reporting zu fordern, klingt gut, ist aber gemäß den vertraglichen Vereinba- rungen nicht ohne Weiteres möglich . Im Rahmen der Rechnungslegungsvorschriften wäre aber eine Veröffent- lichung der Informationen in noch aggregierterer Form durchaus denkbar . Oxfam hat mir dazu gestern die Ergebnisse einer Umfrage geschickt, der zufolge über 80 Prozent der Befragten eine transparente Unternehmensbesteuerung fordern . Ob die Befragten deswegen auch für eine Ver- öffentlichung der Daten sind, bleibt offen . Dennoch ist die allgemeine Forderung nach mehr Transparenz bei der Unternehmensbesteuerung natürlich richtig . Aller- dings müssen wir uns schon etwas genauer anschauen, welche Wirkungen eine Veröffentlichung von Daten aus dem Country-by-Country Reporting gegenwärtig hat . Insbesondere aufseiten unseres Koalitionspartners wird diese Debatte gelegentlich etwas alarmistisch geführt . Da wird zum Beispiel geschrieben, die Veröffentlichung dieser Daten würde Rückschlüsse auf Geschäftsgeheim- nisse erlauben und damit unseren Unternehmen schaden . Das ist die Sprache der Lobbyisten . Da wäre es schon interessant, zu erfahren, welche Sorgen da konkret beste- hen . Schließlich reden wir über stark aggregierte Daten zu Umsatz, wirtschaftlicher Aktivität usw . Diese müssen zum überwiegenden Teil bereits heute veröffentlicht wer- den . Inwiefern dies neue Rückschlüsse auf Geschäftsge- heimnisse erlauben soll, ist daher nicht plausibel . Ein anderes Argument betrifft die Sorge, dass deut- sches Steuersubstrat durch Veränderung der Besteue- rungsrechte gefährdet sein könnte, wenn Daten aus dem Country-by-Country Reporting veröffentlicht werden . Dem lassen sich gleich mehrere Punkte entgegenhal- ten . Einerseits besteht auch bei einem ausschließlichen Austausch zwischen Steuerbehörden die Möglichkeit von Abwehrmaßnahmen und der Verschiebung der Steu- erzahlungen, wenn sich aufgrund der länderbezogenen Berichterstattung Hinweise auf unerwünschte Steuer- gestaltungen ergeben sollten . Andererseits haben die OECD-Empfehlungen generell das Ziel, Steueraufkom- men durch die Bekämpfung von Gewinnverlagerung und Gewinnkürzung für die Staatengemeinschaft insgesamt zu erhöhen und nicht lediglich umzuverteilen . Vielleicht ergibt sich eine länderspezifische steuerliche Umvertei- lung – aber dann von einem größeren Steuerkuchen . Oft wird immer wieder angeführt, dass es bei einem öffentlichen Country-by-Country Reporting für Dritt- staaten keinen Anreiz mehr gäbe, den europäischen Staa- ten ihrerseits entsprechende Daten zu übermitteln; denn sie hätten alle Informationen schon ohne Gegenleistung . Diesen Punkt gilt es genau zu prüfen . Allerdings ist nicht zu erwarten, dass die 31 Staaten, die die Mehrseitige Vereinbarung über das Country-by-Country Reporting unterzeichnet haben, bei einer Veröffentlichung der Da- ten im Rahmen der Rechnungslegung ihren vertraglichen Pflichten nicht nachkommen werden. Die USA sind der Vereinbarung noch nicht beigetreten . Die US-Regierung hat aber ihre Absicht erklärt, die Vereinbarung im Laufe des Jahres zu unterzeichnen; ich bin gespannt . Wie schon angedeutet, werden wir uns außerdem darum kümmern Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618146 (A) (C) (B) (D) müssen, dass wir in jedem Fall Berichte von Konzernen bekommen, die zwar ihren Stammsitz außerhalb Europas haben, die aber hier über eine Tochtergesellschaft oder eine Betriebsstätte verfügen . Ein letzter Punkt betrifft die Befürchtung, dass die mit dem BEPS-Aktionsplan verbundenen Beschränkun- gen hinsichtlich der Verwendung der Daten nicht mehr greifen könnten . So dürfen nach der Mehrseitigen Ver- einbarung zwischen den zuständigen Behörden Verrech- nungspreisanpassungen auf Basis der ausgetauschten Informationen nicht vorgenommen werden . Wegen der hohen Aggregation der Daten ist es aber ohnehin kaum möglich, dass diese Daten der Anlass für unmittelbare Anpassungen der Verrechnungspreise sein könnten . Die im Rahmen des Country-by-Country Reporting ausge- tauschten Informationen können und sollen allerdings Anlass für konkrete Betriebsprüfungen sein, in deren Folge es dann zu Verrechnungspreisanpassungen kom- men kann . Insgesamt zeigt sich, dass die Argumente gegen eine Veröffentlichung der Daten aus dem Country-by-Coun- try Reporting auf lange Sicht nicht stichhaltig sind, aber gleichwohl sorgfältig abgewogen werden müssen . Auf der anderen Seite würde eine Veröffentlichung Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, zu be- urteilen, welche Unternehmen wo Steuern zahlen, und damit einen Beitrag zur Allgemeinheit leisten . Darüber hinaus würde sie Entwicklungsländern helfen, für deren Staatshaushalte die Einnahmen aus der Körperschaft- steuer häufig von sehr großer Bedeutung sind. Deren Fi- nanzbehörden würden öffentliche Daten erheblich wei- terhelfen . In diesem Spannungsfeld werden wir überlegen, den Datenaustausch im Rahmen der Mehrseitigen Ver- einbarung auf die Steuerbehörden zu beschränken und gleichzeitig ein Dokument zu entwickeln, das gege- benenfalls noch stärker aggregierte Daten enthält, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können . Denn grundsätzlich können wir uns langfristig eine Ver- öffentlichung der Daten vorstellen, sofern zwischen den teilnehmenden Staaten ein gewisses Maß an Standards gewahrt ist . Dabei geht es um die Qualität der Daten, Datenschutz und Datensicherheit und die Administration in der Steuerverwaltung . In dieser Richtung müssen wir weiterarbeiten, gerade auch im Austausch mit den euro- päischen Institutionen, die in dieser Hinsicht schon eini- ge Vorschläge entwickelt haben . Denn klar ist: Wir wol- len weder Geschäftsgeheimnisse veröffentlichen noch deutsches Steuersubstrat gefährden . Aber wir wollen Steuervermeidung multinationaler Konzerne bekämpfen, und dafür ist das Country-by-Country Reporting mit dem richtigen Maß an Transparenz ein wichtiges Instrument . Nun wünsche ich Ihnen allen eine gute sitzungsfreie Zeit, erfolgreiche Arbeit in den Wahlkreisen und einige schöne Urlaubstage . Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Grundsätzlich finden wir als Linke es dringend geboten, der grenzüber- schreitenden Steuervermeidung durch multinationale Konzerne entgegenzuwirken . Gerade multinationale Un- ternehmen haben im Vergleich zu hauptsächlich national tätigen Unternehmen ihre Steuerlast dadurch teils erheb- lich senken können . Dies können sie, indem sie durch ge- schickte Gestaltungen Gewinne in Staaten verschieben, die besonders günstige Besteuerungskonditionen bieten . Mit dem BEPS-Projekt wurden von der OECD im Auftrag der G-20-Staaten Lösungen entwickelt, um De- fizite der internationalen Besteuerungsregeln zu verrin- gern . Ein sogenannter Aktionspunkt, auf den man sich im Rahmen von BEPS geeinigt hat, ist der Austausch länderbezogener Berichte zwischen den teilnehmenden Staaten, Country-by-Country Reporting . Jeder Vertrags- staat fordert diese zunächst von den auf seinem Gebiet ansässigen Konzernobergesellschaften ein . Anschlie- ßend werden diese den anderen Vertragsstaaten, in denen Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten des jeweili- gen Konzerns vorliegen, übermittelt . Durch den Austausch von länderbezogenen Berichten zwischen den Staaten erhalten die betroffenen Steuerver- waltungen Informationen über die globale Aufteilung der Erträge und die entrichteten Steuern sowie über weitere Indikatoren der Wirtschaftstätigkeiten der größten inter- national tätigen Unternehmen . Die Finanzverwaltungen sollen also die erforderlichen Informationen erhalten, und multinationale Unterneh- men sollen ihren Dokumentationspflichten nach einem einheitlichen Standard nachkommen . Dies klingt alles schon mal sehr gut . Denn Transparenz ist Grundvoraus- setzung, um Steuervermeidung zu erkennen . Die Steuer- behörden eines Landes stehen oft auf verlorenem Posten, wenn es darum geht, zu erkennen, welche Transaktionen ein dort ansässiger Konzern mit Konzernablegern in an- deren Staaten tätigt und wie die dortigen Steuerbehör- den diese Aktivitäten behandeln . Das ganze Projekt wird umso besser gelingen, desto mehr Länder daran teilneh- men und teilnehmen können . Und in der Tat stellt der vorliegende Gesetzentwurf, der die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands zum Austausch länderbezogener Berichte zwischen den Ver- tragsstaaten beinhaltet, einen Fortschritt dar . Dennoch gibt es aus linker Sicht drei Dinge zu kritisieren: Erstens ist in der mehrseitigen Vereinbarung nur vor- gesehen, dass die entsprechenden Daten zwischen den Steuerverwaltungen ausgetauscht werden . Die Daten sollen in keiner Weise öffentlich zugänglich gemacht werden, nicht einmal in anonymisierter und aggregier- ter Form, nicht einmal Daten, die handelsrechtlich oder nach den Bilanzierungsvorschriften bereits öffentlich sind . Dies ist uns ganz klar zu wenig Transparenz . Die Bundesregierung flüchtet vor dieser Kritik, indem sie mantraartig etwas von Steuergeheimnis murmelt . Doch in Wirklichkeit fürchtet sie Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft und möchte daher die Exportwirt- schaft schützen . Es ist schade, dass bei der internationa- len Bekämpfung von Steuervermeidung die Bundesre- gierung hier schon an ihre national motivierten Grenzen stößt! Sie sollten auch im Hinterkopf haben, dass die Erfolge bei LuxLeaks oder PanamaLeaks nur dadurch zustande kamen, weil durch die Veröffentlichung ein öffentlicher Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18147 (A) (C) (B) (D) Druck entstand, weil Whistleblower Alarm geschlagen haben . Gerade der kritische Blick der Öffentlichkeit, das wachsame Auge zivilgesellschaftlicher Organisationen würde es Unternehmen enorm erschweren, weiterhin Steuern zu hinterziehen . Zweitens ist die Verpflichtung zur Gegenseitigkeit zu kritisieren: Die Vertragspartner müssen also qualitativ gleiche Daten wie Deutschland liefern, sie müssen die gleichen Maßstäbe bei der Vertraulichkeit der Daten er- füllen usw . Konkret heißt das: Die anderen Staaten, die gerne mitmachen möchten, müssen unsere Bedingungen erfüllen, um dann zum Beispiel länderbezogene Berichte von großen ausländischen Konzernen zu erhalten, die in ihrem Land durch Tochtergesellschaften oder Betriebs- stätten tätig sind . Viele Länder, gerade des globalen Südens, haben aber noch keine gut ausgebauten Steuer- verwaltungen . Deswegen fällt es ihnen auch schwer, alle Daten in der gewünschten aufbereiteten Form zu liefern . Die Folge ist, dass viele Staaten einfach ausgeschlossen werden . Ihnen geht dadurch viel Geld durch die Lappen, weil sie weiterhin stark von Steuervermeidung und dem trickreichen Spiel der multinationalen Unternehmen be- troffen sind . Hier sollten Sie sich lieber wieder an den Grundsatz erinnern: Je mehr Länder mitmachen, desto besser wird es sein . Drittens und abschließend muss man sich vor Augen halten, dass die harten Bedingungen für Datenzusammen- stellung und Vertraulichkeit bzw . Datenschutz, die andere Staaten erfüllen müssen, den gleichen Hintergrund haben wie das krampfhafte Verharren auf Nichtveröffentlichung der Daten . Auch hier sieht die Bundesregierung das Da- moklesschwert des Wettbewerbsnachteils für die deut- sche Wirtschaft . Wieder zeigt sich: Deutsche Exportwirt- schaft geht vor Bekämpfung von Steuerhinterziehung . Es herrscht die Angst vor, dass es zu viel Transparenz gibt, dass andere Staaten sehen, wie viel mehr an Steuern ih- nen von einem deutschen Unternehmen zustünden und sie diese womöglich noch einfordern könnten . Abschließend kann ich Sie von der Regierungsbank nur ermuntern, mehr Transparenz zu wagen . Scheuen Sie nicht den wachsamen Blick der Öffentlichkeit, und schwächen Sie nicht die Schlagkraft dieses Projektes zur internationalen Bekämpfung von Steuervermeidung, in- dem Sie die Interessen der deutschen Exportwirtschaft über alles stellen . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bundes- regierung den Aktionspunkt 13 der OECD/G-20-Emp- fehlungen im Kampf gegen Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerungen um . Konkret geht es um den Aus- tausch von Daten zwischen den zuständigen Steuerbe- hörden des jeweiligen Landes mit dem Ziel, das Informa- tionsdefizit der Finanzverwaltungen zu reduzieren und Steuervermeidungsstrategien aufzudecken . Der Austausch länderbezogener Berichte – das so- genannte Country-by-Country Reporting – hat zu einer sehr kontroversen Debatte geführt . Im Kern geht es um die Frage, ob multinationale Konzerne gegenüber der Öffentlichkeit Informationen über ihre wirtschaftlichen Aktivitäten und ihren Beitrag für das Gemeinwohl offen- legen sollten . Dahinter steht der Vorwurf, dass sich multinational agierende Unternehmen unter Ausnutzung nationaler Be- steuerungsregeln in einzelnen Ländern einer Besteuerung weitestgehend entziehen . Viele Unternehmen bestreiten das – sicher teilweise auch zu Recht . Deshalb sind allzu platte Äußerungen zu diesem Thema – und die reichen leider bis zum Bundesminister für Wirtschaft – fehl am Platze . Gerade in einer Zeit, in der mit dem Brexit das Klagen über Populismus groß ist, muss das Thema diffe- renziert angegangen werden . Zum einen geht es darum, dass die nationalen Steuer- behörden mehr Transparenz über die relevanten Steuer- daten multinationaler Unternehmen bekommen . In die- sem Zusammenhang ist es richtig, dass die OECD sich darauf verständigt hat, dass die Daten nicht unmittelbar zur Steuererhebung verwendet werden sollen . Denn dies würde mittelbar zu Doppelbesteuerungsfällen führen . Aber die Transparenz ist eben wichtig, um sogenannte weiße Einkünfte aufzudecken, das heißt Fälle zu iden- tifizieren, die zur doppelten Nichtbesteuerung führen. Es ist in diesem Zusammenhang übrigens sehr kritisch, dass kein verbindlicher Streitbeilegungsmechanismus vereinbart werden konnte . Es wird sehr genau zu beob- achten sein, ob dies nicht zu gravierenden Nachteilen für die Unternehmen führen wird . Eine Stärkung internati- onaler, zum Beispiel bei der WTO angesiedelter Streit- beilegungsmechanismen wäre ein wichtiger Schritt ge- wesen, gerade auch vor dem Hintergrund, dass es nicht nur einige kleine Staaten gibt, deren Geschäftsmodell schlicht Steuerdumping heißt, sondern auch einzelne OECD-Staaten – allen voran die USA mit dem Bundes- staat Delaware, aber auch England mit der bereits ein- geführten Lizenzbox und einem aktuell angekündigten Niedrigsteuerregime – Steuerhinterziehungs- und Steu- ervermeidungsstrategien befördern . Zum anderen, und das ist ein genauso wichtiges Ziel, geht es darum, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen: Vertrauen, das verloren gegangen ist mit den Berichten über US-Konzerne, die mehr als 1,6 Billionen Dollar unversteuerter Gewinne in Steueroasen horten und damit keinen oder nur einen geringen Beitrag zur öffentlichen Daseinsvorsorge leisten in den Ländern, in denen sie mit dem Verkauf ihrer Produkte hohe Gewinne realisieren; Vertrauen, das verloren gegangen ist durch Berichte über die PanamaPapers und LuxLeaks, durch Berichte über Steuerbetrug in Milliardenhöhe durch Umsatzsteuerkartelle und Cum/Ex- und Cum/cum-Ge- schäfte; Vertrauen, das verloren gegangen ist durch die Berichte über die sogenannte Code-of-Conduct-Gruppe des Europäischen Rats, die ja als Gegenmaßnahme zur Steuergestaltung internationaler Unternehmen schon Ende des letzten Jahrhunderts ins Leben gerufen wurde, aber bis heute keinerlei Gegenmaßnahmen zu den Steu- ergestaltungsstrategien dieser Unternehmen bewirkt hat . Es waren mutige Whistleblower, es waren einzelne Wissenschaftler, und es waren investigative Journalis- ten, welche die immensen Steuerhinterziehungs- und Steuervermeidungsstrategien einzelner Unternehmen für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht haben . Und deshalb Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618148 (A) (C) (B) (D) muss die Strategie gegen diese schädlichen Steuerprak- tiken unbedingt eine Transparenz für die Öffentlichkeit einschließen, denn andernfalls wird eine faire Besteue- rung von multinationalen Unternehmen nicht zu errei- chen sein . Wenn wir also über länderbezogene Berichterstattung multinationaler Konzerne reden, müssen wir beide Ebe- nen im Blick haben: zum einen die notwendige Trans- parenz für die Steuerbehörden mit dem Ziel, sowohl Doppelbesteuerung der Unternehmen zu vermeiden als auch die doppelte Nichtbesteuerung zu unterbinden, und zum anderen die Transparenz für die Öffentlichkeit, um Druck auf die Parlamente und Regierungen auszuüben, gegen Steuerhinterziehung und Steuergestaltung mul- tinationaler Konzerne vorzugehen und damit Wettbe- werbsnachteile für vorwiegend national agierende Un- ternehmen – das sind in der Regel Handwerksbetriebe sowie kleine und mittlere Unternehmen – endlich wirk- sam zu bekämpfen . Und da haben sowohl multinationale Unternehmen als auch der Gesetzgeber die Verantwor- tung, durch proaktives Vorgehen einen Beitrag zu leisten und nicht, wie aktuell leider festzustellen ist, als Blockie- rer und Bremser aufzutreten . Die Einlassungen des Parla- mentarischen Staatssekretärs Dr . Michael Meister, BMF, zu diesem Thema im Finanzausschuss in dieser Woche ließen deutlich erkennen, dass die Bundesregierung in keiner Weise die Verantwortung auch nur begriffen hat, die sie in diesem Zusammenhang hat . Ein Rückzug auf die Umsetzung des OECD-Prozesses ist keinesfalls aus- reichend, um das geschilderte Problem anzugehen . Es geht eben nicht nur um die Frage der fairen Besteuerung, sondern auch um die gesellschaftliche Akzeptanz der Globalisierung . Angesichts des Brexit muss sich jeder in seiner Verantwortung fragen, wie er mit der Situation umgeht . Die Haltung, dass die Öffentlichkeit nicht fähig ist, mit Transparenz umzugehen, kann zu dramatischen Fehlentwicklungen führen, wie wir jetzt mit dem Refe- rendum der Briten erfahren haben . Wir brauchen Transparenz über die wirtschaftlichen Aktivitäten von großen, multinationalen Konzernen für die Öffentlichkeit . Die Polemik gegen länderbezogene Offenlegungspflichten muss endlich aufhören. Denn die gegen länderbezogene Offenlegungspflichten vorgetra- genen Argumente sind haltlos und können nur vorge- bracht werden, weil mit Unkenntnis der Öffentlichkeit gerechnet werden kann . Beklagt wird zum Beispiel der zu hohe Bürokratieaufwand . Doch jedes international tätige Unternehmen erstellt bereits jetzt eine länderbezo- gene Berichterstattung, die im Einzelnen viel detaillierter ist als die jetzt geforderte – und das sage ich mit meiner jahrelangen Erfahrung im Management eines internatio- nal tätigen Unternehmens . Haltlos ist auch die Kritik an der Offenlegung wertschöpfungsbasierter Daten, denn die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Daten ent- sprechen ja gerade nicht den kritischen, steuerrelevanten Informationen, die zwischen den Finanzbehörden ausge- tauscht werden sollen . Im Gegenteil, diese Daten sind so allgemein, dass daraus keinesfalls wettbewerbsrelevante Informationen öffentlich werden . Ferner sind diese Da- ten bereits jetzt teilweise in den Jahresabschlüssen nach IFRS oder US-GAAP verfügbar, aber eben nicht in einer für die Öffentlichkeit transparenten, verständlichen und übersichtlichen Darstellung . Es ist an der Zeit, die Debatte endlich ehrlich und mit einem klaren Ziel zu führen: mehr Vertrauen durch mehr Transparenz schaffen . Daran müssen international tätige Unternehmen genauso ein Interesse haben wie die sie vertretenden Verbände und natürlich die einzelnen Na- tionalstaaten . Die Bundesregierung muss endlich begrei- fen: Es geht darum, die Situation als Chance zu begreifen und sich konstruktiv in den Prozess für mehr Transparenz einzubringen . Die Europäische Kommission hat das ver- standen, das signalisieren ihre Vorschläge . Es ist höchs- te Zeit, dass die Bundesregierung ihre Blockadehaltung zum öffentlichen Country-by-Country Reporting endlich aufgibt . Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass multinationale Unternehmen im Vergleich zu vorwiegend national tätigen Unternehmen die unterschiedlichen Steuersysteme der Staaten ausnut- zen, um Einkünfte in den Staaten entstehen zu lassen, die besonders günstige Besteuerungskonditionen bieten . Die entstandenen Steuervermeidungsmöglichkeiten für bestimmte, vor allem multinationale Unternehmen, sind beträchtlich . Steuergerechtigkeit und die Gewährleis- tung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sind jedoch unabdingbare Voraussetzungen für ein funktionierendes Gemeinwesen und einen handlungsfähigen Staat . Die Steuervermeidungsmöglichkeiten internationaler Unter- nehmen beeinträchtigen überdies die Wettbewerbsfähig- keit von nur lokal tätigen Unternehmen, die solche Steu- ergestaltungen nicht nutzen können . Es ist daher ein großer Erfolg unserer Politik, dass sich 44 Staaten – darunter am 27 . Januar 2016 die Bun- desrepublik Deutschland – völkerrechtlich zur Mehrsei- tigen Vereinbarung über einen gemeinsam mit der OECD und den G-20-Staaten entwickelten Standard zur Über- mittlung länderbezogener Berichte, den sogenannten Country-by-Country Reports, verpflichtet haben, dass also 44 Staaten diesen Standard umsetzen und die Coun- try-by-Country Reports austauschen werden . Durch den jährlichen Austausch länderbezogener Be- richte erhalten die Steuerverwaltungen Informationen über die globale Aufteilung der Erträge und die entrich- teten Steuern sowie über weitere Indikatoren der Wirt- schaftstätigkeit der größten international tätigen Unter- nehmen . Dadurch können steuerrelevante Risiken besser abge- schätzt werden . Der grenzüberschreitende Steuerbetrug und die grenz- überschreitende Steuerhinterziehung haben die einzelnen Staaten in den zurückliegenden Jahren vor erhebliche und von den einzelnen Ländern nicht mehr allein zu be- wältigende Herausforderungen gestellt . Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den nationalen Steuerbehör- den ist daher unerlässlich, um die ordnungsgemäße Er- mittlung der Steuerpflicht zu gewährleisten und damit internationale Steuerhinterziehung zu bekämpfen . Dabei kommt insbesondere der Schaffung von Transparenz in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18149 (A) (C) (B) (D) Steuerangelegenheiten und dem automatischen Infor- mationsaustausch zwischen den Steuerbehörden eine entscheidende Rolle zu . Das ist ein neues wichtiges In- strument im Bereich der internationalen Amtshilfe . Wir schaffen hierdurch mehr Transparenz und mehr Fairness für unsere globalisierte Welt im 21 . Jahrhundert . Die Bundesregierung wird sich im Rahmen des vorge- sehenen Informationsaustauschs weiter dafür einsetzen, dass eine möglichst große Anzahl von Staaten an diesem Informationsaustausch teilnimmt . Nur so ist es möglich, weltweit einen einheitlichen internationalen Standard für einen fairen internationalen Steuerwettbewerb zu schaf- fen . Steuerhinterziehung und Steuervermeidung können letztlich nur auf globaler Ebene wirkungsvoll bekämpft werden . Durch das Vertragsgesetz soll dieses Abkommen die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erhal- ten . Nicht zuletzt unsere Bemühungen im Rahmen des G-20-Prozesses haben dazu geführt, dass es zu einer be- schleunigten Umsetzung des bei der OECD entwickelten einheitlichen Standards für Besteuerungszwecke gekom- men ist . Die Bundesregierung wird sich für eine rasche Ent- wicklung von wirksamen Einzelregelungen auf der Grundlage der Mehrseitigen Vereinbarung einsetzen . Hierzu zählen auch das noch von der Bundesregierung einzubringende Gesetz zur Umsetzung der Änderung der EU-Amtshilfe-Richtlinie und weitere Maßnahmen gegen Gewinnverkürzung und -verlagerung . Ich möchte nicht verhehlen, dass der vorgegebene Zeitplan – wonach Daten für das Jahr 2016 schon ab Mit- te 2018 ausgetauscht werden sollen – sowohl in rechtli- cher als auch in technischer Hinsicht sehr ambitioniert ist . Das Bundesministerium der Finanzen arbeitet daher in enger Zusammenarbeit mit dem Bundeszentralamt für Steuern mit Hochdruck an der rechtzeitigen technischen Implementierung des automatischen Austauschs länder- bezogener Berichte . Wir sind jedoch davon überzeugt, die vorgegebenen Anforderungen zeitgerecht umzuset- zen . Dies gilt auch für die Umsetzung durch die von dem vorliegenden Gesetz verpflichteten Unternehmen. An dieser Stelle möchte ich zwei wichtige inhaltliche Aspekte des Abkommens hervorheben: den Datenschutz und das Prinzip der Gegenseitigkeit des Informationsaus- tauschs . Der Schutz der im Rahmen des automatischen Austauschs von länderbezogenen Berichten zu übermit- telnden Daten war von Beginn an ein wesentliches An- liegen der Bundesregierung . Sowohl bei den Beratungen auf OECD-Ebene als auch im Rahmen der Arbeiten zur Erstellung des vorliegenden Gesetzentwurfs wurde dafür Sorge getragen, dass die Sicherheit und der Schutz die- ser personenbezogenen Daten gewährleistet werden . Die Bundesrepublik Deutschland hat durch die zusätzlich am 27 . Januar 2016 abgegebenen umfangreichen Erklärun- gen zu Verwendungsbeschränkungen und Datenschutz- bestimmungen gewährleistet, dass Informationen, die ein anderer Staat von der Bundesrepublik Deutschland erhält, dem gleichen datensicherheitsrechtlichen Schutz unterliegen wie die von anderen Staaten erhaltenen In- formationen in der Bundesrepublik Deutschland . Zudem stellt die Erklärung klar, dass die von der Bundesrepu- blik Deutschland übersandten Daten nicht für Zwecke verwandt werden dürfen, die gegen den „Ordre public“ der Bundesrepublik Deutschland verstoßen . Die Verwendungsbeschränkungen und Datenschutz- bestimmungen der Mehrseitigen Vereinbarung garan- tieren aus Sicht des Bundesministeriums der Finanzen darüber hinaus die Effizienz des Datenaustauschs als In- strument für mehr internationale Steuergerechtigkeit . Sie stellen die aus unserer Sicht notwendige Gegenseitigkeit beim Informationsaustausch sicher . Dieses Verständnis bedingt auch die bekannte kritische Haltung des Bundes- ministeriums der Finanzen gegenüber dem KOM-Vor- schlag zur Änderung der Bilanzrichtlinie, die ich hier gern näher erläutern möchte: Durch eine Veröffentli- chungspflicht von steuerlichen Informationen im Rah- men der Bilanzrichtlinie können aus Sicht der beteiligten Unternehmen Geschäftsgeheimnisse offenbart werden . Dies kann auch aus Sicht der Steuerverwaltung – jeden- falls in einzelnen Fällen – nicht ausgeschlossen werden . Für die betroffenen deutschen Unternehmen könnten im Verhältnis sowohl zu Unternehmen aus Drittstaaten als auch zu EU-Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnach- teile entstehen . Der Anreiz für Drittstaaten, im Verhält- nis zu EU-Staaten an dem System des Informationsaus- tauschs nach dem Modell der G 20/OECD teilzunehmen, wäre extrem gering, wenn die gewünschten Informatio- nen aus öffentlich zugänglichen Quellen zu beschaffen sind (einseitige „Transparenz“ nur für Unternehmen in der EU) . Die Verwendungsbeschränkungen und Datenschutz- bestimmungen der Mehrseitigen Vereinbarung gelten nicht für die Veröffentlichung im Rahmen der EU-Bi- lanzrichtlinie, das heißt, die öffentlich zugänglichen Informationen können unbeschränkt für alle erdenkli- chen Zwecke genutzt werden, zum Beispiel für Ergeb- niskorrekturen oder für die Anwendung von pauschalen Gewinnaufteilungsmethoden zulasten der Unternehmen und zulasten des deutschen Steueraufkommens . Die EU hat mit der Änderung der Amtshilferichtlinie vom 25 . Mai 2016 den G 20/OECD-Ansatz übernommen und damit auch die zwischen den Staaten vereinbarte völker- vertragsrechtliche Mehrseitige Vereinbarung in europäi- sches Recht übertragen . Sie hat sich damit faktisch und rechtlich zu dem G 20/OECD-Ansatz bekannt, der die Vertraulichkeit und die Verwendungsbeschränkungen enthält . Die EU-Staaten haben einstimmig mit der Ände- rung der Amtshilferichtlinie vom 25 . Mai 2016 das G 20/ OECD-Modell in europäisches Recht übertragen . Aus der Sicht eines Mitgliedstaats wie Deutschland, einem Unterzeichnerstaat der Mehrseitigen Vereinba- rung, ist deshalb nach Auffassung des Bundesministe- riums der Finanzen die Zustimmung zu dem Vorschlag der EU zur Rechnungslegung, der keine Vertraulichkeit und keine Verwendungsbeschränkungen enthält, kaum mit der völkervertragsrechtlich eingegangenen Verpflich- tung, das G 20/OECD-Modell umzusetzen, zu vereinba- ren . Die geplante EU-Bilanzrichtlinie hätte nicht nur Aus- wirkungen innerhalb der EU, sondern würde auch den Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618150 (A) (C) (B) (D) weltweiten Erfolg des mit der Mehrseitigen Vereinbarung verfolgten Zwecks hochgradig gefährden und kann zu einer erheblichen Schädigung des Wirtschaftsstandorts Deutschland mit gravierenden Steuermindereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden und zu dem Verlust von Arbeitsplätzen führen . Ich bitte um Ihre Zustimmung zu diesem Vertragsge- setz, mit dem wir einen großen Schritt in der Bekämpfung von grenzüberschreitendem Steuerbetrug und grenz- überschreitender Steuerhinterziehung möglich machen . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fern- reiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen (Tages- ordnungspunkt 19) Michael Donth (CDU/CSU): Als ich meinem 15-jäh- rigen Sohn Matthias sagte, dass ich heute zu einem Nachtzug-Antrag der Linken reden darf, sagte er: Schon wieder, das hast du doch schon mal! Warum denn das? – Er hatte recht – und ich konnte seine Frage eigentlich auch nicht beantworten . Und als ich ihm dann noch sag- te, dass die Debatte um 21 Uhr stattfinden wird, wäh- rend Deutschland gegen Frankreich im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft spielt, war er entsetzt und meinte: Die spinnen wohl . – Da habe ich ihm natürlich heftigst widersprochen . Aber, wie gesagt, warum wir heute erneut eine nächt- liche Debatte zu den Nachtzügen führen müssen, ist für mich eigentlich nicht verständlich . Denn es hat sich seit der letzten Debatte zu diesem Thema vor knapp zwei Jahren nichts geändert, was Anlass zu einer erneuten Dis- kussion geben könnte . Nach Artikel 87e des Grundgesetzes hat der Bund insbesondere den Verkehrsbedürfnissen Rechnung zu tragen . Das ist mit dem angepassten Verkehrsangebot der Bahn gewährleistet . Bei 30 Millionen Euro Verlust der Bahn im Nachtzugsegment im vergangenen Jahr ist es eine logische Konsequenz, das Angebot anzupassen . Es gibt keinen Grund, in die Streckenentscheidungen der DB AG einzugreifen . Überdies ist es dem Bund als Eigentümer nach dem Aktiengesetz ja auch gar nicht er- laubt, in unternehmerische Entscheidungen unmittelbar und im Detail Einfluss zu nehmen. Von daher ist es auch nicht rechtens, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- gen von der Linken, in Ihrem Antrag die Bundesregie- rung auffordern, der Bahn ein neues Nachtzugkonzept aufzuzwingen . Und Sie gehen ja noch weiter . Sie wollen durch die Hintertür, über das Vehikel Nachtzug, die alte, staatlich subventionierte Deutsche Reichsbahn wieder einführen . Das steht so in Ihrem Antrag . Sie wollen ei- genwirtschaftliche, also auf eigene Rechnung durch- geführte, Verkehre durch subventionierte Verkehre im Fernverkehr ersetzen . Und wenn wir schon dabei sind: Sie loben, dass es andere Unternehmen wohl schaffen, das Produkt Nachtzug erfolgreich zu verkaufen, wie die ÖBB mit der Linie Hamburg–Wien und Düsseldorf– Wien . Und eine halbe Seite später schreiben Sie selbst, dass Österreich alle Fernverkehrszüge staatlich subven- tioniert . Das zeigt das Dilemma: Nachtzüge fahren nur dann erfolgreich, wenn der Steuerzahler die Reisevorlie- ben der nostalgischen Nachtzugfans bezuschusst . Selbst die SNCF stellt ihre Nachtzüge ein, weil der Staat sie nicht mehr subventionieren will . Die Deutsche Bahn ist in dem Bereich durchaus offen und hat eine Weiterentwicklung des Angebots geprüft und verschiedene Nachtzugwagenkonzepte pilotiert . Zusätzlich wurden Kundenbefragungen durchgeführt . Dabei kam heraus, dass diese Konzepte bei den Kunden zwar gut ankommen, sie aber überhaupt nicht bereit wä- ren, dafür den Preis zu bezahlen, den die Bahn verlangen müsste, um diese Investition zu bezahlen . Auch Nacht- zugkunden sind preissensibel . Sie kennen ja die Preise für Hotels, Hochgeschwindigkeitszüge, Fernbusse, Mit- fahrzentralen oder auch Billigflüge. Es ist verständlich, dass die Mehrzahl der Reisen- den lieber auf diese Angebote zurückgreift als auf lange Nachtzugreisen . (Die ehemalige Nachtzugstrecke Frank- furt–Paris beispielsweise dauert heute mit dem ICE nur noch 3 ¾ Stunden .) Im Verkehrsausschuss hat die Bahn letzten Monat erklärt, dass sie in Zukunft statt der Nacht- züge mehr ICEs nachts einsetzen will, weil dieses schnel- le Angebot gut angenommen wird . Sollte man Ihrer Argumentation folgen, liebe Kol- leginnen und Kollegen von der Linken, indem man die Verbindungen mit Zuschüssen am Leben erhält, kann man vielleicht ihren Tod hinauszögern oder verhindern . Man kann auf diese Weise aber keine Gesundung von Ei- senbahnunternehmen einleiten . Um gesund zu sein, muss ein Unternehmen seine Kräfte sammeln, nicht zerstreu- en . Und es muss vor allem Geld verdienen können, und darf es nicht zum Fenster hinauswerfen – auch nicht zum Nachtzugfenster . Daher ist es richtig, dass die Deutsche Bahn AG als Wirtschaftsunternehmen mit neuen Produk- ten auf den Markt reagiert, und unrentable Produkte aufs Abstellgleis setzt . Denn nur ein gesundes Unternehmen kann langfristig gute Arbeitsplätze bieten und gute Ange- bote machen . Daher lehnen wir Ihren Antrag ab! Daniela Ludwig (CDU/CSU): Das Reiseverhalten der Deutschen hat sich über die letzten Jahre hinweg ver- ändert . Immer mehr Reisende nutzen die günstigen Mög- lichkeiten, die von Billigfliegern und Mietwagen geboten werden, und legen die Reise zum Urlaubsziel nicht mehr im Auto oder im Zug zurück . Das einst durchaus reizvol- le Angebot, sich gemütlich abends in den Zug zu setzen und am nächsten Morgen am Ziel zu sein, hat nach und nach an Attraktivität eingebüßt . In ihrem Antrag kritisiert nun die Fraktion Die Linke den Rückzug der Deutschen Bahn AG aus dem Nacht- zugverkehr . Ähnliches haben Sie bereits in vorangegan- gen Anträgen getan, und der Verkehrsausschuss hat sich auch in einer Anhörung im vergangenen Jahr dem Thema Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18151 (A) (C) (B) (D) eingehend gewidmet . Letztendlich wurden Ihre Anträge jedoch abgelehnt . Ich denke, wir sollten hier einmal grundsätzlich das Verhältnis von Bund und Bahn klären . Denn der Bund ist zwar Eigentümer der Deutschen Bahn, aber die Bahn ist als Wirtschaftsunternehmen in Form einer Aktiengesell- schaft dem Aktiengesetz unterworfen . Das bedeutet, dass der Bund keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Deutschen Bahn im operativen Ge- schäft hat . Wir können als Bundestag nicht einfach gegen die geltenden gesetzlichen Vorgaben handeln, nur weil Ihnen eine unternehmerische Entscheidung der Deut- schen Bahn nicht passt . Da können Sie noch so viele Anträge im Bundestag stellen, die Gesetze gelten auch weiterhin . Und das ist auch gut so . Denn auch das Angebot oder eben das Einstellen der Nachtzüge ist eine solche unternehmerische Entschei- dung. Der Nachtzugverkehr ist seit Jahren defizitär, die Züge nicht gut genug gebucht . Die Kosten dagegen sind hoch . Sicherlich, eine Reise im Nachtzug kann reizvoll sein, und ich möchte gar nicht abstreiten, dass viele mit dem Nachtzug noch schöne Erinnerungen an vergangene Urlaube verbinden . Doch schöne Erinnerungen sind eben nicht alles – die Deutsche Bahn muss sich den veränder- ten Verkehrsbedürfnissen der Menschen stellen . Wie vie- le von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, haben denn in den letzten Jahre noch Nachtzüge genutzt, um aus dem Wahlkreis zur Sitzungswoche in Berlin zu kommen oder um einen gemeinsamen Urlaub mit der Familie zu verbringen? Wie jedes andere Wirtschaftsunternehmen auch, muss die Deutsche Bahn sich in ihrer Ausrichtung und ihrem Angebot am Kundenverhalten und der Nachfrage orien- tieren . Wenn diese sich ändert, muss die Bahn reagieren . Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass das Grundgesetz die Forderung enthält, dass der Bund auch im Bahnfern- verkehr gemeinwirtschaftliche Angebote zu gewährleis- ten hat und sich nicht auf die Vorhaltung der Infrastruktur beschränken darf . Das heißt aber nicht, dass die Deutsche Bahn Nachtzüge einzusetzen hat, vor allem wenn diese nicht ausreichend nachgefragt werden . Darüber hinaus arbeitet die Deutsche Bahn an einem Konzept, um den bisherigen Nachtzugverkehr zu erset- zen . Bereits jetzt verkehren auf den deutschen Schie- nen zahlreiche Nacht-ICE, die ein Angebot auch in den Nachtstunden sicherstellen . Nach Informationen der DB soll dieses Grundangebot in den Sommermonaten außer- dem durch zusätzliche ICE-Züge ergänzt werden . Die Deutsche Bahn wird insofern auch weiterhin Angebote schaffen, wo sie gefragt sind . Im Übrigen steht der Markt des Nachtzuggeschäftes ja auch für Mitbewerber offen . Wenn es denn so lukrativ ist, wie Sie hier darstellen, wird sich sicherlich ein Unternehmen finden, das in das Ge- schäft einsteigen wird . Insofern bin ich mir sicher, dass wir auch weiterhin genug Möglichkeiten haben, auf der Schiene von A nach B zu kommen, sei es am Tag oder in der Nacht . Diese Möglichkeiten bestehen aber auch ohne Ihren Antrag . Martin Burkert (SPD): Grundsätzlich möchte ich voranstellen, dass eine Befassung mit der Thematik der Nachtreisezüge im Bundestag sehr sinnvoll ist . Das ge- schieht aber bereits ausführlich . Als SPD-Bundestags- fraktion begleiten wir genau dieses Thema schon sehr lange und kontinuierlich, und auch im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur hatten wir das Thema mehrfach auf der Tagesordnung . Wir haben in der Gro- ßen Koalition bereits wichtige Schritte zur Stärkung des Schienensektors erreicht und werden uns auch weiterhin dafür einsetzen, die Schiene als nachhaltigen Verkehr- sträger zu fördern . Das Thema „Nachtreisezug“ ist uns in diesem Zusammenhang ebenfalls ein wichtiges Anlie- gen . Die grundlegenden Rahmenbedingungen für den Nachtreiseverkehr als „rollendes Hotel auf Schienen“ ha- ben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert . Wäh- rend zum Beispiel Flug- und Hotelkosten vergleichbar stark gesunken sind, konnte der Nachtzug mit hohen Be- triebskosten, seinen Strukturen und der harten Fernreise- buskonkurrenz einfach nicht mitziehen . Im europäischen Vergleich haben sich entsprechend viele Bahnunterneh- men vom klassischen Nachtzug verabschieden müssen . Zuletzt zu sehen auch in Frankreich . Das Nachtzuggeschäft macht in der Bilanz der Deut- schen Bahn AG einen Umsatz von knapp 90 Millionen Euro pro Jahr aus – allerdings beträgt der Anteil der Nachtverkehre in der DB lediglich 1 Prozent des gesam- ten Fernverkehrs . Unterm Strich steht bei der Sparte ein jährliches Defizit von ungefähr 30 Millionen Euro – eine Summe, die den derzeit angeschlagenen Konzern lei- der weiter belastet . Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass dieses Ergebnis einem wirtschaftlichen Betrieb der Nachtzugsparte derzeit und in der jetzigen Form entge- gensteht . Wir erleben derzeit, dass sich viele Menschen mit großem Engagement für die Nachtzüge einsetzen . Ich selbst habe eine Petition mit fast 30 000 Unterschriften entgegengenommen . Die Deutsche Bahn arbeitet auch aus diesem Grund an einem tragfähigen Betriebskon- zept, um Nachtreiseverkehre in Deutschland in verschie- densten Formen weiterhin zu ermöglichen, den eigenen Geschäftsbereich aber gleichzeitig wieder wirtschaftlich ausgestalten zu können . Wie bereits vielfach in der Presse zu lesen war, wird hierzu auch mit anderen Unternehmen verhandelt, um eigene Betriebsstärken mit Angeboten anderer Anbieter zu kombinieren, Kompetenzen zu bündeln und so einen guten Angebotsumfang zu realisieren . So steht im Raum, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der Österreichi- schen Bundesbahn (ÖBB) ein gemeinsames Konzept zu entwickeln, das die bisherigen Nachtzugverbindungen inklusive der gefahrenen Zugkilometer in Deutschland auch zukünftig abdecken wird . Anders als die DB AG kann die ÖBB, die bereits heute in Deutschland Nachtzüge fährt, 20 Prozent ihres gesam- ten Fernreisesegments mit Nachtzügen wirtschaftlich be- treiben und deshalb die nötigen Kapazitäten vorhalten . Das hat mit der besonderen Unternehmensstruktur und den örtlichen Begebenheiten in Österreich zu tun . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618152 (A) (C) (B) (D) Die DB AG fährt bereits heute auch nachts mit norma- len ICEs in Deutschland . Diese Nacht-ICEs sind sehr gut nachgefragt und können, unter Einbindung von Nachtrei- seangeboten anderer Unternehmen, möglicherweise eine sinnvolle Angebotsergänzung darstellen . Den besonde- ren Qualitätsansprüchen der Kunden gilt es im Segment allerdings Rechnung zu tragen . Eines sage ich aber ganz deutlich: Ein Betriebskonzept auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mer darf es natürlich nicht geben . Die Attraktivität und Angebotsbreite des Schienensektors an sich sind zudem weitere wichtige Säulen, die es grundsätzlich zu stärken gilt . Ich sage deshalb ganz klar, dass Kundenansprüche, Wirtschaftlichkeit und die Interessen von Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmern in Einklang gebracht wer- den müssen . Ich bin aber zuversichtlich, dass man hier sinnvolle Lösungen finden kann. Es bleibt deshalb abzuwarten, wie sich die Planungen und Verhandlungen der Deutschen Bahn AG hierzu gestalten . Mit diesem Antrag der Fraktion Die Linke allerdings schon jetzt voreilige Schlüsse zu ziehen, halten wir für falsch . Deshalb kann vonseiten meiner Fraktion diesem Antrag nicht zugestimmt werden . Sabine Leidig (DIE LINKE): Das Thema Nachtzüge ist wie üblich zu einer Zeit aufgesetzt, an dem in früheren Zeiten schon alle Nachtzüge im Land unterwegs waren – als es sie noch gab . Inzwischen ist das Netz auf ein paar wenige Züge zusammengeschrumpft, die die Deutsche Bahn AG lieber heute als morgen auch noch stilllegen würde . Spätestens im Dezember soll endgültig Schluss für die letzten Nacht- und Autozüge sein, so die Ankün- digung der DB AG . Die Debattenzeit illustriert leider die Bedeutung, die das Thema für den Bundestag hat; wir als Opposition müssen es immer wieder hier einbringen, damit über- haupt eine Debatte stattfindet. Dabei sind die Nachtzü- ge die einzige Option für ein klimafreundliches Reisen auf weiten Strecken, auf denen sonst in der Regel ge- flogen wird. Normalerweise sagt man, dass die längere Reisezeit mit dem Zug ein Nachteil der Bahn sei . Mit dem Nachtzug wird genau dies aber zur Stärke der Bahn: Denn nur mit ihm kann man bequem schlafend reisen und am nächsten Morgen pünktlich zum Frühstück in ei- ner anderen Stadt ankommen . Hunderttausende von Kundinnen und Kunden wissen dies weiterhin zu schätzen . Obwohl die DB AG in den letzten Jahren so gut wie nichts mehr in die Sparte inves- tiert hat, sind die Züge noch immer gut gebucht . Trotz- dem will die DB AG sie nicht mehr weiter betreiben, und mir ist immer noch nicht klar, warum eigentlich . Warum wirft man mit Gewalt Kundinnen und Kunden heraus, die doch offensichtlich Bahn fahren wollen, die nun aber gar kein brauchbares Angebot mehr vorfinden? Denn auf solchen Strecken am Tag zu reisen und mehrmals umstei- gen zu müssen, das ist für den weit überwiegenden Teil der Fahrgäste keine Alternative, sondern sie setzen sich dann auch ins Flugzeug . Bis zum Januar 2015 sagte die DB AG immer: Die Nachtzüge werden nicht mehr nachgefragt, die Kund- schaft läuft davon . – Bei der immer weiteren Verschlech- terung des Angebots – man denke nur an die Streichung der Bordrestaurants, in denen man früher noch essen und ein Glas Wein trinken konnte, bevor man es sich im Schlafwagenabteil gemütlich gemacht hat – wäre das gar nicht einmal verwunderlich; es war aber schlichtweg falsch . In der Anhörung im Verkehrsausschuss am 14 . Ja- nuar 2015 musste der damalige DB-Vorstand Homburg zugeben, dass die Züge nach wie vor gut gebucht sind . Im Klartext: Die DB AG hatte vorher gelogen, das muss man einmal ganz klar so benennen . Seitdem bleibt die zweite Argumentationslinie der DB AG: Die Züge seien unwirtschaftlich . Gestern titel- te die Stuttgarter Zeitung: „Österreichische Bahn rettet deutsche Nachtzüge“ . Tatsächlich wird schon länger ge- munkelt, dass die ÖBB einige Nachtzugstrecken über- nehmen wolle . Da drängt sich aber doch die Frage auf: Was können die Österreicher, was die Deutschen nicht können? Wie kann es sein, dass in Österreich der Nacht- zuganteil ausgebaut wird und inzwischen bei knapp 20 Prozent liegt – während der DB AG nicht anderes ein- fällt als der Ausstieg? Und das, obwohl es in der Anhö- rung am 14 . Januar 2015 sogar noch die Zusage gegeben hatte, dass ein neues tragfähiges Konzept für diese Sparte entwickelt würde . Und es war der jetzige österreichische Bundeskanzler, der noch bei der ÖBB-Bilanzpressekon- ferenz im März sagte: Diese Züge rechnen sich . – Warum schaffen es die ÖBB offensichtlich, Nachtzüge erfolg- reich und wirtschaftlich zu betreiben? Wir sagen: Wenn die ÖBB einige Nachtzüge weiter betreiben, ist das natürlich besser als nichts . Vermutlich werden die ÖBB auch einiges mehr an Energie und Ide- en in diese Sparte stecken als die DB AG in den letzten Jahren – die Ausschreibung neuer Wagen deutet schon in eine sehr gute Richtung . Aber die ÖBB werden wohl nicht das gesamte Netz übernehmen, und somit fehlen immer noch viele Verbindungen im Netz von Deutsch- land in die Nachbarländer . Und wir sollten die DB AG als Bundesunternehmen hier nicht aus der Verantwortung lassen: In einem zusammenwachsenden Europa brauchen wir aber diese Verbindungen . Europa wächst doch nicht nur in der Luft zusammen, sondern es sollte vor allem auch auf der Schiene zusammenwachsen! Für ein gesamteuropäisches Netz gibt es seit etwa ei- nem Monat ein Konzept: Den „LunaLiner“ . Da haben sich Bahnexperten unabhängig von der DB AG zusam- mengesetzt und überlegt, wie ein gesamteuropäisches Netz von Nachtzügen eigentlich aussehen müsste . Die- ses System ist vertaktet geplant, sodass sich die Züge in bestimmten Bahnhöfen treffen und Wagen austauschen können . Damit könnte man sehr viele Direktverbindun- gen quer durch Europa im Schlaf anbieten . Das Konzept ist eine Grundlage für eine überfällige Debatte über die Zukunft der Nachtzüge . Das kann sicherlich nicht die DB AG alleine schaffen, aber dann benötigen wir einen europäischen Zusammenschluss der Bahnen, der ein sol- ches Netz gemeinschaftlich betreibt . Das ist alles andere als Traumtänzerei: So etwas gab es schon . Die „Compagnie Internationale des Wa- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18153 (A) (C) (B) (D) gons-Lits“ hat früher ein großes Nachtzugnetz in ganz Europa betrieben – vor dem Zweiten Weltkrieg mit über 2 000 Wagen und Verbindungen durch ganz Europa bis nach Istanbul . Und wir wissen doch alle, dass es mit dem klimaschädlichen Flugverkehr so nicht weitergehen kann, wir brauchen so etwas also wieder, wenn wir auch in Zukunft in Europa mobil bleiben wollen! Vor einigen Wochen sagte DB-Chef Grube der FAZ auf die Nachfrage nach den Nachtzügen, wir sollten uns überraschen lassen, das Aus des Nachtzugs sei noch nicht besiegelt . Wir warten bis heute auf diese Überraschung . Aber die Zeit drängt extrem: Denn innerhalb der DB AG werden die Beschäftigen der Nachtzugsparte schon jetzt in andere Bereiche abgeworben . Schon jetzt gibt es einen massiven Personalmangel . Züge, die eigentlich mit vier Mitarbeitern besetzt sein müssten, fahren teilweise nur noch mit zwei Mitarbeitern . Die verbliebenen Kollegin- nen und Kollegen befinden sich im Dauerstress. Weil sie sich für ihre Züge einsetzen und noch an eine Zukunft glauben, versuchen sie, den Betrieb aufrechtzuerhalten, obwohl es eigentlich kaum noch geht . In der Nacht von letztem Samstag auf Sonntag gab es dann schon den ersten Ausfall: Für den vollbesetzten Autozug von Lör- rach nach Hamburg war kein Zugführer greifbar . Der Lokführer weigerte sich zu Recht, den Zug regelwidrig ohne Zugführer zu fahren; die Folge: Der Zug stand drei Stunden in Karlsruhe, bis endlich ein Ersatzzugführer ge- funden war . Da muss man sich schon fragen: Fährt die DB AG die Züge bewusst vor die Wand, um neuen Anbietern das Le- ben möglichst schwer zu machen? Legt sie alles darauf an, dass die Züge schon vor dem Sommer endgültig ka- putt gemacht werden? Die Reden von neuen Konzepten sind doch dann nur Lippenbekenntnisse, wenn es bald schon keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr gibt, mit denen man so etwas überhaupt umsetzen könnte, und wenn die Kundschaft vergrault wird . Wir brauchen die Nachtzüge weiter; sie sind sinnvoll, und sie werden nachgefragt . Und wenn man es richtig macht, dann lassen sie sich auch wirtschaftlich betreiben, da habe ich keinen Zweifel . Daher fordere ich Sie alle auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir endlich eine Grundlage dafür haben, die DB AG in diesem Be- reich zu ihrem grundgesetzlichen Auftrag zu zwingen: nämlich ein vernünftiges Verkehrsangebot auch auf Fernreisen in die Nachbarländer zu machen . Gerade findet parallel bekanntlich das EM-Spiel Frankreich – Deutschland statt . Die nächste EM in vier Jahren wird in 13 Städten Europas stattfinden. Bis dahin brauchen wir wieder ein funktionierendes europäisches Nachtzugnetz – nicht nur für Fußballfans, sondern auch für Familien, Geschäftsreisende und alle, die bequem rei- sen wollen . Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir befinden uns in bahnpolitisch bewegten Zeiten. Heute stand schon das Eisenbahnregulierungsgesetz auf der Tagesordnung, das Thema Stuttgart 21 schlägt in diesen Tagen wieder Wellen, und auch die Nachtzüge als wichti- ger Bestandteil einer klimafreundlichen Mobilität stehen bei der Deutschen Bahn aktuell zur Debatte . Nun haben wir einen Antrag der Linksfraktion zu den Nachtzügen auf dem Tisch – und ja, auch uns beschäftigt die Zukunft des Nachtzugverkehrs . Wenn man die aktuelle Berichter- stattung über die Nachtzüge verfolgt, gibt es hier aktuell wenig Licht und viel Schatten . Die Entwicklung des Nachtzugsgeschäfts der Deut- schen Bahn bereitet auch uns Grünen seit einigen Jahren einige Sorgenfalten . Schon im Dezember 2014 wurde das Nachtzugnetz der Deutschen Bahn deutlich geschrumpft . Man denke nur an die Abbestellung der CityNight- Line-Züge zwischen Berlin und Paris, zwischen Ham- burg und Amsterdam oder auch zwischen Prag, Dresden, Berlin und Kopenhagen . Doch jenseits der Entwicklung einzelner Nachtzugli- nien sehen wir Grüne ein viel grundsätzlicheres Problem beim Schienenverkehr . Während sich die Bahnreform von 1994 im Schienenpersonennahverkehr in vielen Be- reichen durchaus bewährt hat, sieht es im Fernverkehr und eben auch im Nachtreiseverkehr überhaupt nicht gut aus . Der Artikel 87 Absatz 4 Grundgesetz sagt hierzu klar und eindeutig: „Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbe- dürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrs- angeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird . Das Nähere wird durch Bundesgesetz ge- regelt .“ Der verfassungsmäßige Auftrag des Bundes ist klar: Nicht nur beim Aus- und Neubau der Schienenwege hat der Bund eine Gemeinwohlverpflichtung, sondern eben auch bei den Mobilitätsangeboten im Fernverkehr . Nur fehlt seit mehr als 20 Jahren dieses in Artikel 87e er- wähnte Bundesgesetz . Dieses fehlende Bundesgesetz ist auch die Ursache dafür, dass die Bahnreform beim Schie- nenfernverkehr noch immer kaum Früchte trägt . So stagniert die Nachfrage im Schienenpersonen- fernverkehr in Deutschland seit über 20 Jahren bei etwa 400 Personenkilometern pro Kopf, während in der glei- chen Zeit erfolgreiche Länder wie Schweden oder die Schweiz die Nachfrage im Fernverkehr bis zu 65 Pro- zent steigern konnten . In der Schweiz reden wir über 1 600 Personenkilometer pro Kopf im Jahr, also über die vierfache Verkehrsleistung . Auch in Schweden liegt die Verkehrsleistung mit 600 Personenkilometern pro Kopf und Jahr noch immer noch 50 Prozent über dem deutschen Wert im Fernverkehr . In Schweden wurde die Verkehrsleistung seit 1994 immerhin um 35 Prozent ge- steigert, während Deutschland auf gleichbleibendem Ni- veau arbeitet . Das alles wirkt sich natürlich auch auf das Nachtzuggeschäft aus . Dort, wo schon das Fernzugge- schäft kaum Performance entwickelt, wird auch ein gutes Nachtzuggeschäft nur noch wenig ausrichten . Daher sind die im Antrag angesprochenen Punkte zwar durchaus wichtig, aber es ist nicht Aufgabe des Bundes, einzelne Nachtzuglinien zwischen bestimmten Städten einzurichten oder die Trassenentgelte im Nachtzugver- kehr festzulegen . An dieser Stelle muss ich die Deutsche Bahn sogar einmal in Schutz nehmen: Die DB Netz AG Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618154 (A) (C) (B) (D) sieht ja mit dem neuen marktsegmentorientierten Tras- senpreissystem ganz klar ein eigenes Marktsegment für die Nachtzüge vor, bei dem diese zwischen 23 Uhr und 6 Uhr morgens ein spürbar niedrigeres Trassenentgelt zahlen sollen als der Schienenfernverkehr tagsüber . Primär muss es Aufgabe der Politik sein, gute Rah- menbedingungen für den Schienenfernverkehr insgesamt und für den Nachtzugverkehr im Besonderen zu schaf- fen . Dafür muss man bei der Bahnreform von 1994 nach- steuern, gute Ansätze weiter vorantreiben und auch den Fernverkehr als Wettbewerbsmarkt entwickeln wollen . Wir brauchen praktisch eine Bahnreform 2 .0 . Für eine solche Bahnreform 2 .0 spricht, dass wir die erfolgreichen Elemente der ersten Bahnreform nun auch konsequent für den vom Grundgesetz geforderten zweiten Schritt übernehmen und dort, wo jetzt schon Nachbesserungsbedarf da ist, gezielt nachsteuern . Wir erfinden nicht das Rad völlig neu, sondern schaffen für den Fern- und Nachtzugverkehr die Instrumente, die wir schon aus dem Nahverkehr kennen . Dazu gehört, dass wir endlich die unsinnige Marktab- grenzung zwischen Personennahverkehr und -fernver- kehr in Deutschland aufheben und den sich gut bewährten Ansatz der Aufgabenträgerschaft auch für den Fernver- kehr anwenden . Zugleich würden wir mit einem Fernver- kehrssicherstellungsgesetz auch den Nachtzugverkehr in die Offensive bringen . Seien wir doch ehrlich, die derzei- tigen Debatten um den Nachtzug sind viel zu defensiv, viel zu sehr von Rückzugsgefechten geprägt . Mit einem Fernverkehrssicherstellungsgesetz, wie es einige Länder vorantreiben, würde dagegen der Fernverkehr insgesamt und auch der Nachtzugverkehr im Besonderen wieder in die Offensive kommen . Uns Grünen ist wichtig, dass wir auch das Nachtzugan- gebot jenseits der Deutschen Bahn AG in den Blick neh- men . Da gibt es durchaus erfreuliche Entwicklungen zu verzeichnen . So wollen die Österreichischen Bundesbah- nen große Teile des Nachtzugangebotes der Deutschen Bahn übernehmen und auch im Autoreisezugbereich aufsatteln . Unser Ziel sollte sein, im Fernverkehrsmarkt richtigen Open Access und damit wirklichen Wettbewerb auf der Schiene zu ermöglichen . Damit käme die Deut- sche Bahn schneller in die Gänge, ein breiteres Angebot und besseren Service zu liefern . So kämen wir als Bund weg von der bis heute fehlenden Fernverkehrsstrategie in Deutschland hin zu einem Wettlauf um das beste An- gebot und um die beste Servicequalität . Dann würde die Deutsche Bahn wieder mehr Nachtzugangebote auf die Schiene setzen . Lassen Sie uns daher die Debatte richtig führen, nicht im Klein-Klein um einzelne Nachtzuglinien, sondern um den im Grundgesetz verbrieften Gemeinwohlauftrag des Bundes im Fern- und Nachtzugverkehr und um die richti- gen Rahmenbedingungen für wirklichen Wettbewerb auf der langen Strecke . Dafür ist uns der vorliegende Antrag zu kurz gesprungen, da er noch viele Fragen offen lässt . Lassen Sie uns den Fern- und Nachtzugverkehr strate- gisch neu aufstellen, mit Trassenpreisen auf Grenzkos- tenniveau über einen Deutschlandtakt bis hin zum Open Access für richtigen Wettbewerb auch bei Fern- und Nachtzugangeboten . Die heutige Debatte kann dazu ein guter Auftakt sein . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sport- wettbetrug und der Manipulation von berufssport- lichen Wettbewerben (Tagesordnungspunkt 10) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Der heutige Tag steht im Zeichen des zweiten Halbfinalspiels der Euro- pameisterschaft in Frankreich . Um 21 .00 Uhr werden die Nationalmannschaften von Deutschland und Frankreich gegeneinander antreten . Tausende von Fans werden im Stadion ihr Team anfeuern . Ein Millionenpublikum wird vor dem heimischen Fernseher oder beim Public Viewing das Spiel verfolgen . Wir erwarten einen schönen Fußbal- labend mit einem positiven Ausgang für die favorisierte Mannschaft . Was hat das nun mit der heutigen Plenarde- batte zu tun? Wir gehen mit größter Selbstverständlichkeit davon aus, dass jeder Spieler den größtmöglichen Einsatz für seine Mannschaft gibt . Der Sport vermittelt positive Wer- te wie Leistungsbereitschaft, Toleranz und Teamgeist . Der Sportwettbewerb lebt aber auch von klaren Regeln . Die Einhaltung dieser Regeln fassen wir allgemein als Fairness auf . Wir gehen heute Abend mit guten Gründen von einem fairen Spiel aus . Es gibt Regelverstöße, die schnell geahndet werden können . Ich denke an ein Foulspiel im Fußball, welches einen Freistoß zur Konsequenz hat . Es gibt aber Regel- verstöße, die eine größere Tragweite haben und auf den ersten Blick nicht erkennbar sind . Ich spreche hier von der Manipulation von Sportwettbewerben durch Spieler und Trainer . Leider handelt es sich nicht um ein abstraktes Bedro- hungsszenario . Der Wettskandal im Jahre 2005 mit ma- nipulierten Spielen rund um den Schiedsrichter Robert Hoyzer erschütterte nicht nur die Fußballwelt . Das Ver- trauen in die Leistung der Schiedsrichter und die Integ- rität des professionellen Fußballs wurde infrage gestellt . Es ist unzweifelhaft, dass Manipulationen von Sport- wettbewerben und der Sportwettbetrug die Integrität des Sports erheblich beeinflussen. Die Integrität des Sports beruht in der Unverfälschtheit und Authentizität sport- licher Wettbewerbe . Der Imageschaden spiegelt sich schließlich in einer Verletzung von fremden Vermögen und Gewinnausfällen wider . Ehrliche Sportvereine und Veranstalter erleiden einen Rückgang von Eintritts- und Sponsorengeldern . Redliche Sponsoren werden zu Un- recht in den Zusammenhang von Spielmanipulationen gebracht . Anbietern von Sportwetten und Wettteilneh- mern werden die Gewinne vorenthalten . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18155 (A) (C) (B) (D) Bei einem erheblichen sozialschädigenden Verhalten ist stets das Strafrecht auf den Plan gerufen . Als Ultima Ratio hat das Strafrecht schwere Verfehlungen zu ahn- den . Die Manipulation von Sportwettbewerben und der Sportwettbetrug stellt eindeutig ein erhebliches straf- rechtliches Unrecht dar . Bisher war eine Vielzahl von Fällen durch den Straf- tatbestand des Betruges bereits erfasst . In der richterli- chen Praxis bestehen aber Nachweisprobleme für die konkreten Vermögenseinbußen . Die Spielmanipulation erfüllt derzeit keinen spezifischen Straftatbestand. Den- noch ergibt sich die Strafbarkeit aus einer Beihilfehand- lung zum Betrug durch Sportwetten . In den Ausschusssitzungen wird über die derzeitigen Lücken in der Strafbarkeit, aber auch über die Lücken der Nachweisbarkeit von strafbarem Verhalten zu spre- chen sein . Ein besonderes Augenmerk sollte auf die ge- schützten Rechtsgüter gelegt werden . Ist tatsächlich die Integrität des Sports das schützenswerte Rechtsgut, oder lässt sich der strafrechtliche Schutz letztendlich doch auf das Vermögen zurückführen? Wir sollten auch über die konkrete Definition der Manipulation sprechen. Wo sind die Grenzen zu ziehen? Es stellt sich ebenfalls die Frage, ob die Manipulation auf den Berufssport begrenzt sein soll . Gehen wir mit diesen Fragen in die Ausschussbera- tung! Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Fast genau zwölf Jahre ist es her – am 21 . August 2004 –, als ein Aufei- nandertreffen zwischen dem damaligen Drittligisten SC Paderborn und dem Bundesligisten Hamburger SV im DFB-Pokal unrühmliche Geschichte schrieb: Es war der markanteste Fall des Wettskandals um den ehemali- gen deutschen Fußballschiedsrichter Robert Hoyzer . Der HSV verlor nach einer 2:0-Führung noch mit 2:4, und Hoyzer hatte großen Anteil daran . Im Zuge des Bekanntwerdens des Skandals im Jahr 2005 gab Hoyzer zu, Spiele der 2 . Fußball-Bun- desliga, des DFB-Pokals und der Fußball-Regionalliga verschoben zu haben, dass die erwünschten Ergebnisse – auf die zuvor gewettet wurde – herauskamen . Berichten zufolge hatte Hoyzer zudem regelmäßig Kontakt zur kroatischen Mafia. Der Fußball-Wettskandal 2005 gilt bis heute als die größte Affäre im deutschen Fußball seit dem Bundesliga-Skandal in der Saison 1970/71 . Wir diskutieren heute den vorliegenden Gesetzent- wurf, der zwei neue Straftatbestände schafft, die beide Manipulationsabreden im Sport betreffen . Diese gesetz- lichen Regelungen finden ihren Niederschlag im § 265c StGB als Sportwettbetrug, wenn sie einen Bezug zu Sportwetten haben, und in § 265d StGB, wenn sie keinen Bezug zu Sportwetten haben, aber dennoch berufssport- liche Wettbewerbe betreffen . Damit setzt der Deutsche Bundestag als Gesetzge- ber das um, wozu im Mai 2013 die Sportminister der 5 . UNESCO-Weltkonferenz in Berlin die Mitgliedstaa- ten aufgerufen haben: nämlich etwas gegen die Mani- pulation von Sportwetten zu tun . Zum anderen wird das umgesetzt, was der Europarat am 9 . Juli 2014 den Ver- tragsstaaten vorgegeben hat, nämlich die Manipulation von Sportwetten unter Strafe zu stellen . Dieses Überein- kommen des Europarats hat Deutschland am 18 . Septem- ber 2014 unterschrieben . Drittens setzen wir um, was wir in unserer Koalitionsvereinbarung beschlossen haben, nämlich nicht nur gegen Doping, sondern auch gegen die Manipulation von sportlichen Wettbewerben und Sport- wettbetrug vorzugehen . An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es vor allem der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu verdanken ist, dass nicht nur der Sportwettbetrug, sondern auch die Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben, die keinen Bezug zu Sportwetten haben, unter Strafe gestellt wird . Nachdem das Justizministerium anfänglich irriger- weise dafür keine Notwendigkeit gesehen hat, bin ich froh, dass ein solcher Straftatbestand jetzt doch Eingang in das Strafgesetzbuch finden wird. Ein Verweis auf die Möglichkeit verbandsinterner Sanktionsmöglichkeiten in solchen Fällen wäre nicht ausreichend gewesen, weil das Unwerturteil geringer als bei einer strafrechtlichen Verurteilung gewesen wäre . Zudem hätte es sich nicht an Dritte, sondern nur an Verbandsmitglieder gerichtet, und es wäre nicht ausreichend tauglich gewesen, weil es den Sportverbänden an ausreichenden Eingriffsbefugnissen und Aufklärungsmöglichkeiten gemangelt hätte . Die rechtspolitische Rechtfertigung solcher neuen Straftatbestände ergibt sich zunächst aus der unstrittig vorliegenden herausragenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Sports in Deutschland und der Welt . Der Sport vermittelt positive Werte wie Leistungsbereitschaft, Fairness, Toleranz und Teamgeist, schafft Vorbilder für junge Menschen und lehrt, mit Sieg und Niederlage umzugehen . Ebenso ist er ein enormer Faktor im Wirtschaftsleben, weil hohe Umsätze und hohe Gewinne erzielt sowie Arbeitsplätze und steuerliche Ein- nahmen des Staates dadurch generiert werden . Dies ist allerdings nur deshalb möglich, weil der Sport einen besonderen Reiz auf Menschen ausübt und weil das Ergebnis und der Verlauf von sportlichen Wettbe- werben nicht voraussehbar sind . Dies macht gerade die besondere Attraktivität des Sports aus . Dies alles ist durch Sportwettbetrug und Manipulation von sportlichen Wettbewerben gefährdet . Dadurch wird die Integrität des Sports und das Vermögen anderer ge- schädigt . Die Glaubwürdigkeit und die Authentizität des sportlichen Wettbewerbs werden untergraben, und der Sport wird in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftli- chen Relevanz gefährdet . Deshalb muss der Sport gerade mit den Mitteln des Strafrechts geschützt werden, weil zudem noch bedeu- tende Vermögensinteressen vieler gefährdet sind . Anbie- ter von Sportwetten, Wettteilnehmer, ehrliche Sportler, Sportvereine, Veranstalter und Sponsoren sind betroffen . Die bisher bestehenden Strafrechtsnormen greifen zu kurz: Das hat sich dadurch bewahrheitet, weil bisher eine strafrechtliche Verfolgung von Manipulationsabreden im Sport nur unzureichend möglich war . Insbesondere be- standen im Einzelfällen Anwendungs- oder Nachweis- schwierigkeiten: beispielsweise die konkrete Feststellung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618156 (A) (C) (B) (D) der Wettsetzung oder der konkrete Vermögensschaden beim Wettbetrug . Außerdem wurde in diesen Fällen das kriminelle Verhalten der Sportler und der Unrechtsgehalt ihrer Tat nicht ausreichend strafrechtlich geahndet, weil sie nur als Beihelfer zum Betrug zu bestrafen waren . Bei der Fallvariante von Spielmanipulationen ohne Wettbe- zug war § 263 StGB bisher nicht anwendbar, und § 299 StGB war deshalb nicht einschlägig, weil ein Bezug von Waren oder Dienstleistungen nicht vorlag . Daher besteht gesetzgeberischer Regelungsbedarf . Dieser ergibt sich auch daraus, dass es sich bei diesen Manipulationsabreden im Sport nicht mehr um Einzel- fälle handelt, sondern um ein immer stärker auftretendes Phänomen, wie sich aus Presseberichten, wissenschaftli- chen Veröffentlichungen und empirischen Untersuchun- gen ergibt . Deshalb ist in Zukunft in diesen Fällen der Staatsan- walt berufen und die staatlichen Gerichte gefordert . Ebenso wichtig ist, dass gesetzliche Regelungen ge- schaffen werden, um bei dieser Kriminalitätsform den Strafverfolgungsbehörden die Befugnis zur Überwa- chung der Telekommunikation zu geben und verdeckte Ermittlungsmaßnahmen zu ermöglichen . Abschließend bin ich sehr zufrieden, dass wir in die- ser Wahlperiode nach der Verabschiedung des Anti-Do- ping-Gesetzes im November 2015 nunmehr mit diesem Gesetzentwurf unsere Forderung aus der Koalitionsver- einbarung vom 27 . November 2013 umgesetzt haben, nämlich weitergehende strafrechtliche Regelungen auch im Kampf gegen Spielmanipulationen zu schaffen . Damit setzen wir ein deutliches Signal für einen sau- beren und fairen Sport und machen deutlich, dass Mani- pulation und Betrug im Sport keinen Platz haben . Detlev Pilger (SPD): Wir haben mit diesem Gesetz einen großen Schritt geschafft . Es ist ein sehr, sehr gutes Gesetz geworden, das Strafbarkeitslücken schließt und einem tatsächlichen Bedürfnis in der Strafverfolgung gerecht wird . Natürlich waren auch vor diesem Gesetz Verurteilungen im Bereich der Spielmanipulation mög- lich, aber es war schwer, diese nachzuweisen und sie unter die vorhandenen Gesetze des Strafgesetzbuches zu subsumieren . Das Phänomen des Sportwettbetruges ist vielleicht nicht neu im Sport, aber mit der zunehmenden Globalisierung und Digitalisierung hat es eine beunruhi- gende Zunahme erfahren . Nun haben wir ein Gesetz, das genau auf das zu missbilligende Verhalten abzielt und den speziellen Schwierigkeiten im Rahmen der Spiel- manipulation angepasst ist . Sportwettbetrug und Mani- pulationen von Sportwettbewerben werden in Zukunft einfacher strafrechtlich zu verfolgen sein, weil konkrete Täterkreise und konkrete Verhaltensweisen unter dieses Gesetz gefasst werden . Mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf zur Spielmanipulation kommen wir somit unserem erklärten Ziel für einen sauberen, fairen und ehrlichen Sport immer näher . Diese Erleichterung für die Strafverfolgungsbehör- den ist natürlich ein wichtiger Schritt gewesen, aber wichtiger ist das Signal, das mit diesem Gesetz gesendet wird: Sportwettbetrug und Manipulationen von Sport- wettbewerben widersprechen der Integrität des Sportes und führen zu einem Bild in der Öffentlichkeit, das dem organisierten Sport unwürdig ist . Dieses Gesetz ist eine logische Weiterführung unseres erklärten Zieles, einen sauberen Sport zu schaffen, der für Kinder und Jugendli- che eine Vorbildfunktion einnehmen kann . Wir haben mit dem Anti-Doping-Gesetz bereits ein deutliches Zeichen gegen unfaire Praktiken im Sport gesetzt . Dieses Gesetz zur Spielmanipulation vervollständigt unsere Absichten . Wir haben in den vergangenen Jahren viel damit zu kämpfen gehabt, dass der Sport an Glaubwürdigkeit ein- gebüßt hat . Wir haben mit Dopingskandalen weltweit zu kämpfen, mit undurchsichtigen Methoden bei der Verga- be von Großsportveranstaltungen, bei der Bekämpfung von Sportwettbetrügereien weltweit . Wir haben beobach- ten müssen, wie die Umwelt belastet und zerstört wur- de, um den Bau von überdimensionierten Sportstätten zu gewährleisten . Wie Löhne von den Ärmsten der Ar- men nicht ausgezahlt wurden . Wir haben einen Skandal in unserem Land zur WM 2006 gehabt, der gerade erst aufgeklärt wird und erschreckende Praktiken aufgezeigt hat . Skrupellosigkeit und Gier scheinen bei Sportfunktio- nären nicht selten zu sein . Natürlich betrifft das nicht alle Beteiligten, aber genau deshalb müssen wir diejenigen, die für Fairness eintreten, besser schützen! Wir müssen dem Sport seine Glaubwürdigkeit zu- rückgeben . Das muss in erster Linie natürlich auch der organisierte Sport selbst machen, aber wir als Gesetzge- ber sind in der Pflicht, einen Rahmen zu setzen, in dem sich engagierte und faire Sportlerinnen und Sportler und Sportbegeisterte derart bewegen können, dass sie sich si- cher und geschützt fühlen . Aber wir haben nicht nur die Pflicht zur Sicherung eines fairen und sauberen Sportes, wir haben auch die Pflicht, das Potenzial von Sport in der Integrationsdebat- te ernst zu nehmen und dieses für uns zu nutzen . Was Sport bei der Integration von Kindern ausmachen kann, habe ich lange selber am eigenen Leib erlebt . Ich war schon mein Leben lang im Fußballbereich aktiv . Ich habe mit Kindern und Jugendlichen aus der ganzen Welt gekickt und gelernt, dass es auf dem Platz keine Unterschiede gibt . Ich habe gesehen, wie der Fußball für Kinder aus sozial schwachen Familien meist als einzige Vorbildfunktion agiert hat und die Kinder dazu bekom- men hat, Verantwortung zu übernehmen und Teamgeist zu entwickeln . Wenn diese Kinder und Jugendlichen sich anschauen, wie der Sport heute immer wieder den Stempel der Korruption und Manipulation aufgedrückt bekommt und diese Menschen nicht dafür zur Verant- wortung gezogen werden, dann muss es uns nicht wun- dern, wenn auch unsere Kinder und Jugendlichen ihr Vertrauen in den Sport verlieren . Wir dürfen dieses Risi- ko nicht eingehen, weil mit der Integrationsdebatte eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe vor uns liegt, die ohne den Sport nicht zu schaffen ist . Dr. André Hahn (DIE LINKE): Nach dem Anti-Do- ping-Gesetz soll nun auch ein Gesetz gegen Wettbetrug und Manipulation im Sport vom Bundestag verabschie- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18157 (A) (C) (B) (D) det werden . Das ist auf den ersten Blick gut und sinnvoll, denn wer sollte etwas dagegen haben, dass Betrug bei Sportwetten sowie die Bestechung von Sportlern oder Schieds- und Kampfrichtern bestraft wird . Schaut man sich nun aber die im Gesetzentwurf ent- haltenen Regelungen genauer an, so stellen sich gleich mehrere Fragen . Ich kann hier nur einige nennen: Rei- chen die derzeit geltenden strafrechtlichen Regelungen wirklich nicht aus, um Schuldige zu belangen? Warum soll nur die Manipulation in berufssportlichen Wettbe- werben strafbar sein? Was geschieht zum Beispiel, wenn beim Fußball Spiele im Amateurbereich gekauft werden, die am Ende aber über den Aufstieg in den professio- nellen Bereich entscheiden? In wie vielen und welchen Sportarten gibt es überhaupt echte Profis? Ist es nicht so, dass selbst die Spitzenathleten in vielen Sportarten nicht davon leben können und zusätzliche Unterstützung be- nötigen? Soll dort dann straffrei manipuliert werden dür- fen? Will die Koalition also ein Gesetz, das nur für eine Minderheit der Sportdisziplinen überhaupt Anwendung findet, also für die Profibereiche beim Fußball, Handball, Volleyball, Eishockey, Tennis, Boxen und dem Radsport? Die Zielsetzung des Gesetzentwurfes, die Integrität des Sportes mit allen verfügbaren Mitteln zu schützen, klingt natürlich gut, und dass die Politik hier hinsichtlich der Zukunft des Sports in der Verantwortung steht, ist auch für die Linke unstrittig . Der Deutsche Olympische Sportbund nahm auf Vor- schlag seines Präsidiums in der Mitgliederversammlung am 7 . Dezember 2013 eine Erklärung mit dem Titel „Die Integrität des sportlichen Wettbewerbs sichern – Doping und Wettbetrug konsequent bekämpfen“ an . Darin wird auf zunehmende Probleme der organisierten Kriminalität auf dem globalen Sportwetten-Markt verwiesen, denen der Sport national wie auch international konsequent ent- gegentreten muss . Und der DOSB kündigte an, was er diesbezüglich tun wolle . Inzwischen sind wir fast drei Jahre weiter, und die Situation in diesem Bereich hat sich nicht wirklich ver- bessert . In der Debatte um das Anti-Doping-Gesetz im vergan- genen Jahr schlug ich vor, im Rahmen dieses Gesetzes auch Fragen des Wettbetrugs und der Manipulation von Sportwettbewerben mit zu regeln . Ich habe dabei die Schaffung eines neuen Straftatbestandes „Sportbetrug“ angeregt, der für ganz unterschiedliche Bereiche, aber eben auch für Sportwetten und Spielmanipulationen zur Anwendung kommen könnte, und eben nicht nur im Pro- fibereich. Dies wurde von der Koalition leider abgelehnt. Jetzt präsentiert uns die Bundesregierung nun also einen eigenständigen Gesetzentwurf . Schon nach Veröffentlichung des Referentenentwurfs gab es sehr kritische Stellungnahmen, zum Beispiel vom Deutschen Richterbund und vom Deutschen Anwalts- verein . Ich denke, man muss sich mit diesen Einwänden ernsthaft auseinandersetzen, zumal sich der nun vorlie- gende Gesetzentwurf wirklich nur marginal von seinen Vorläufern unterscheidet . In der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes vom Januar 2016 heißt es klipp und klar (Zitat): Der Deutsche Richterbund lehnt die Einführung ei- nes Straftatbestandes des Sportwettbetruges und der Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe ab . Er fordert den Gesetzgeber auf, das Gesetzesvorhaben nicht weiter zu verfolgen … Die neuen Tatbestände der §§ 265c ff . StGB-E sol- len die „Integrität des Sports“ und das Vermögen von Wettteilnehmern und Anbietern von Sportwet- ten schützen . Bei der „Integrität des Sports“ handelt es sich um kein Rechtsgut, welches strafrechtlichen Schutz beanspruchen könnte . Der Versuch des Ge- setzgebers, die „Integrität des Sports“ über das Ge- setz zur Bekämpfung von Doping im Sport und über die hier neu zu schaffenden Straftatbestände erst als Rechtsgut zu erschaffen, um Verletzungen dieses Rechtsguts dann strafrechtlich schützen zu können, ist abzulehnen . Die Integrität des Sports, dessen Werte und gesellschaftliche Funktion muss sich der Sport selbst erarbeiten . Sie kann nicht durch den Gesetzgeber als existent postuliert und durch Straf- verfolgung gesichert werden . Und weiter heiß es beim Richterbund: Mit der geplanten Strafbarkeit von Wettbetrug und Manipulation von Veranstaltungen des „organisier- ten Sports“ bzw . von „hochklassigen Veranstaltun- gen“ sollen Tatbestände für sportliche Ereignisse geschaffen werden, welche‚ infolge der Professio- nalisierung, Medialisierung und Kommerzialisie- rung … zu einem herausragenden wirtschaftlichen Faktor“ geworden sind . Dieser Wertung sportlicher Großereignisse als Wirt- schaftsfaktor ist zuzustimmen . Daher sind auf diese Veranstaltungen uneingeschränkt die Regeln wirt- schaftlichen Handelns, einschließlich des Verbotes von Bestechlichkeit und Bestechung im geschäft- lichen Verkehr, § 299 StGB, anzuwenden . Darüber hinausgehende Sonderstraftatbestände sind nicht erforderlich .“ – So das Fazit des Richterbundes . Ähnlich lautet die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins, der den Referentenentwurf ebenso deutlich ablehnt . Diskussionsbedarf sehe ich auch bei der mit diesem Gesetz verbundenen Ausweitung verdeckter Ermitt- lungsmaßnahmen wie der Telefonüberwachung . Ein weiteres Problem sind fehlende Definitionen zentraler Begriffe . Sport wird, wie bereits im Anti-Doping-Gesetz, nicht definiert. Was ein berufssportlicher Wettbewerb ist, bleibt weitgehend offen, ebenso, was strafrechtlich als wettkampfwidrig anzusehen ist . Dr . Peter Schneiderhan, Oberstaatsanwalt in Stuttgart und Mitglied im Präsidium des Deutschen Richterbun- des, betont in seinem Beitrag: „Die ‚Integrität des Sports‘ als ein Schutzgut ist eine Forderung an den Sport, wel- che dieser selbst einlösen muss . Sie kann nicht vom Ge- setzgeber mit der Feststellung, der Sport sei Träger von positiven Werten, wie Leistungsbereitschaft, Fairness, Toleranz und Teamgeist postuliert werden . So sehr die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618158 (A) (C) (B) (D) Einhaltung dieser Werte zu fordern ist, sind sie in dieser Unverbindlichkeit keine Rechtsgüter, die strafrechtlich geschützt werden könnten . Es ist offen, welchen Sport der Gesetzgeber schützen will . Daher ist das Gesetz überflüssig.“ Für Transparency International Deutsch- land e . V . war bei der Beurteilung entscheidend, ob die geplanten Regelungen geeignet erscheinen, Sportwett- betrug und Manipulationen von Sportwettbewerben ef- fektiv einzudämmen . Die Organisation kommt zu fol- genden Schluss: „Das in der Überschrift formulierte Ziel der ‚Strafbarkeit von Sportwettbetrug‘ wird so jedenfalls nicht oder zumindest nicht vollständig erreicht . Hierfür ist der Referentenentwurf zu eng gefasst und nur auf den Vermögensschutz konzentriert .“ Viel wichtiger wäre es aus der Sicht von Transparancy, endlich die überfällige angemessene und rechtssichere Regulierung des Sport- wettmarktes anzugehen, die bekanntlich jedoch nicht in der Zuständigkeit des Bundes liegt . Berechtigt sind aus Sicht der Linken auch die Einwendungen des Nationalen Normenkontrollrates, der eine Evaluierungsfrist im Ge- setz einfordert . Mein Resümee: Nicht alles, was in bester Absicht vorgelegt wird und auf dem ersten Blick gut aussieht, ist letztlich wirklich geeignet . Der Diskussionsbedarf zu diesem Gesetzentwurf, auch mit den Vertretern des Sports und den Juristen, ist offensichtlich . Die Linke wird sich hierbei gern einbringen . Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute Abend spielen Frankreich und Deutschland gegeneinan- der im Halbfinale der Fußballeuropameisterschaft. Und wenn ich mir das Spiel ansehe, dann könnte ich da ganz unterschiedliche Dinge sehen: Ich könnte zweiundzwan- zig Sportler auf einem Feld sehen, die in zwei Teams gegeneinander antreten, um auszuspielen, welches das bessere ist . Ich könnte 67 000 Zuschauerinnen und Zu- schauer im Marseiller Stadion sehen, die die Teams be- geistert anfeuern, und einen Schiedsrichter mit seinen Assistenten, die das Spiel leiten und darauf achten, dass alle Regeln eingehalten werden . Ich könnte da auch eine Hochglanz-Veranstaltung der UEFA sehen, eines Verbands, dessen Funktionäre in frag- würdige Deals verwickelt sind und die mit der EM Milli- arden verdienen . Ich könnte auch ein Land sehen, in dem wegen der EM höchste Sicherheitsvorkehrungen gelten, die die Bürgerrechte der Einwohnerinnen und Einwohner massiv einschränken . Ich könnte mich fragen, wie viele der Spieler mit verbotenen Mitteln oder Methoden nach- helfen, um ihre Leistung zu verbessern . Und schließlich: Ist das Spiel überhaupt fair? Manipuliert ein Spieler, ein Trainer, ein Schiedsrichter, um sich selbst und andere da- ran zu bereichern? Bereicherung – Das ist es, worum es im Sport immer mehr geht, egal ob durch Korruption, Doping oder eben Wettbetrug . Geld und Gier machen den sauberen Sport kaputt . Verbände sind oft ratlos . Manche Verbandsspit- zen mischen teilweise und möglicherweise – man weiß es nicht – in verschiedenen dunklen Machenschaften mit, und der Gesetzgeber soll und will es nun offenbar nun regeln . Und so legen Sie, liebe Bundesregierung, uns diesen Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches, zur Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben vor . Bei genauer Betrachtung muss ich aber eines konstatieren: Sie haben nicht ganz verstanden, wo das Problem liegt, wie es be- kämpft werden kann, und hoffen, dass niemand merkt, dass Sie mit dieser Aktion nur Scheinlösungen präsentie- ren und am Ziel völlig vorbei schießen . Zum einen – das wissen Sie selbst – ist Sportwettbe- trug bereits heute schon strafbar . Unter anderem § 263 zu Betrug und § 299 zur Bestechlichkeit und Bestechung im Strafgesetzbuch erlauben heute schon die Strafver- folgung bei Sportwettbetrug und Spielmanipulation . Die Gesetzeslücke, von der Sie sprechen, gibt es in der Weise gar nicht . Ihr Entwurf führt zu nichts anderem als unnöti- ger Beschäftigungstherapie für Ermittlerinnen, Ermittler und Justiz . Aber nicht nur das: Der Gesetzentwurf strotzt nur so von Unklarheiten und unscharfen oder gar nicht definier- ten Begriffen, Normen und Tatbeständen, die vermutlich auch kaum zu beweisen sind . Muss nun beim nächsten Foul der Staatsanwalt ermitteln? Aus Ihrem Gesetz geht es nicht hervor . Und was sind für Sie denn „Einnahmen von erheblichem Umfang“? Einerseits wollen Sie mit diesem Gesetz angeblich alle möglichen Verstöße und Personengruppen umfassen, andererseits gibt es doch wieder seltsame Ausnahmen und riesige Lücken . Ich könnte hier auf zahlreiche Details eingehen, aber dafür reicht leider meine Redezeit nicht . Deshalb will ich nur ein Beispiel nennen: Eine Verabredung zum Un- entschieden bei einem Wettkampf bliebe gemäß diesem Entwurf straffrei, weil das ja nicht zugunsten des Wettbe- werbsgegners wäre . Das ist schlicht absurd . Weiterhin fußt das Gesetz teilweise auf falschen An- nahmen . So setzen Sie zum Beispiel voraus, dass Sport- lerinnen und Sportler bei jedem Wettbewerb stets alle Kräfte dafür aufbringen wollen, um zu gewinnen . Dabei kann es durchaus sein, dass eine Sportlerin in einem Vor- rundenspiel ihre Kräfte für die nächste Runde schont, wenn sie bereits qualifiziert ist. So tat es auch unser Jogi Löw strategisch bei der WM 2014 in Brasilien oder der laufenden EM in Frankreich . Wir sagen: Dieser Entwurf ist nicht praxistauglich! Und ob all das daran liegt, dass Sie all die Mängel übersehen haben, oder daran, dass Sie das Gesetz – so wirkt es zumindest – mal eben so „dahingerotzt“ haben, sei dahingestellt . In jedem Fall macht es Ihr Anliegen, die Integrität des Sports zu schützen, fragwürdig . Mit unserer Kritik sind wir im Übrigen in guter Ge- sellschaft, denn sämtliche Rechtsexpertinnen und -ex- perten teilen unsere Auffassung . Der Richterbund, die Anwaltskammer und viele andere kritisieren und lehnen Ihren Gesetzesentwurf zu Recht ab . Daher appelliere ich erneut an Ihre Vernunft . Wenn Sie das Gesetz einfach nicht verabschieden, richten Sie den geringsten Schaden an . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18159 (A) (C) (B) (D) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver- braucherschutz: In Frankreich findet die Fußball-EM statt, und wir spüren in diesen Tagen wieder, welch enorme Bedeutung der Sport in unserer Gesellschaft hat: Am Samstagabend saßen allein in Deutschland mehr als 30 Millionen Menschen vor dem Fernseher und haben den Sieg der deutschen Mannschaft gesehen . Auch wirtschaftlich ist der Sport ein bedeutender Fak- tor, dies zeigen aktuelle Zahlen aus der Welt des Fuß- balls . Für die Übertragungsrechte ihrer Spiele kassiert die Bundesliga im kommenden Jahr eine neue Rekord- summe: 4,6 Milliarden Euro . Aber das Leben lehrt uns: Wo Ruhm und Reichtum winken, sind Betrug und Beste- chung niemals weit . Das gilt auch für den Sport . Im vergangenen Jahr haben wir deshalb das Anti-Do- ping-Gesetz beschlossen . Wir haben damit vor allem die Leistungssteigerung mit pharmazeutischen Mitteln un- ter Strafe gestellt . Wenn wir jetzt gegen Wettbetrug und die Spielmanipulation vorgehen, dann bekämpfen wir das negative Doping mit Geld, die Leistungsminderung durch Bestechung . Doping und Bestechung haben den gleichen Unrechts- gehalt: Sie manipulieren den Wettkampf, sie betrügen Zuschauer und Mitspieler, sie richten wirtschaftlichen Schaden an, aber vor allem untergraben sie die Werte, für die der Sport trotz der Kommerzialisierung nach wie vor steht: die Leistungsbereitschaft, den Teamgeist und die Fairness . Das Anti-Doping-Gesetz war der erste Schritt; mit der Strafbarkeit von Sportwettbetrug und Spielmanipulation gehen wir jetzt den zweiten . Unser Ziel bleibt unverän- dert: Wir wollen einen sauberen Sport, und zwar ohne Betrug und ohne Bestechung! In den 70er-Jahren wurde die Fußball-Bundesliga von einem großen Bestechungsskandal erschüttert: Über 50 Spieler, Trainer und Funktionäre bestachen oder wur- den damals bestochen, 8 Spiele wurden verschoben . Der Klassenerhalt und der Abstieg in die 2 . Liga wa- ren manipuliert . Trotzdem konnte damals keiner der Betrüger von der Justiz zur Verantwortung gezogen werden . Ihr Verhalten war weder als „Betrug“ noch als „Bestechung im ge- schäftlichen Verkehr“ strafbar – und so ist das heute . Ich meine: Diese Straflosigkeit wird der Bedeutung des Sports und den finanziellen Schäden, die angerichtet werden, nicht gerecht . Wir dürfen nicht zulassen, dass un- sere Justiz zwar Ladendiebe und Schwarzfahrer verfolgt, aber machtlos ist, wenn es um Millionenbetrug geht . Das ist nicht gerecht, das muss das Rechtsbewusstsein der ehrlichen Menschen schwer erschüttern, und deshalb ist es an der Zeit, diesen Zustand endlich zu ändern! Änderungen brauchen wir auch, wenn es um Sport- wetten geht . Auch hier ist der Fußball leidgeprüft . Vor einigen Jahren wurde ein Berliner Schiedsrichter besto- chen; wir haben damals gesehen, wie das Wettgeschäft zu einem Berührungspunkt von Sport und organisierter Kriminalität wurde . Seither ist der Wettmarkt weiter gewachsen . Im letz- ten Jahr lagen die Umsätze der Sportwetten allein in Deutschland bei 4,8 Milliarden Euro . Die Anreize zur Manipulation sind dadurch noch größer geworden . In Zukunft steht die Korruption im Profisport unter Strafe . Sportler und Trainer, Manager und Sportdirek- toren, Schieds-, Kampf- und Wertungsrichter – sie alle machen sich künftig strafbar, wenn sie sich bestechen lassen, um die Ergebnisse eines Wettkampfes zu mani- pulieren . Bei der Wettkampf-Manipulation beschränken wir uns auf den Profisport, beim Wettbetrug reicht das aber nicht aus – man kann auch auf die Spiele der Amateure in den unteren Ligen viel Geld setzen . Wir schützen deshalb künftig alle Wettbewerbe des organisierten Sports vor Betrügereien im Zusammenhang mit Sportwetten . Gerade beim Wettbetrug haben wir es oft mit organi- sierter Kriminalität zu tun . Wir formulieren deshalb nicht nur einen neuen Straftatbestand . Wir geben Justiz und Polizei auch die nötigen Ermittlungsinstrumente, damit sie an die Hintermänner herankommen: Wenn Wettbe- trug erwerbs- oder bandenmäßig begangen wird, wenn also ein besonders schwerer Fall vorliegt, dann – und nur dann – dürfen die Ermittler künftig auch die Telekommu- nikation überwachen . Wir senden mit den neuen Straftatbeständen eine ganz klare Botschaft aus: Wer bei Sportwetten betrügt, wer bei Wettkämpfen manipuliert, wer besticht oder sich beste- chen lässt, der handelt kriminell! Wir wollen einen sau- beren Sport! Und wir lassen nicht zu, dass Betrüger den Sport kaputt machen! Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Azize Tank, Matthias W. Birkwald, Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (Ta- gesordnungspunkt 21) Matthäus Strebl (CDU/CSU): „Wir sind uns der his- torischen Verantwortung für die Überlebenden des Ho- locaust, die in der NS-Zeit unsägliches Leid erlebt haben, bewusst .“ Diesen Satz haben wir im Koalitionsvertrag manifestiert, und das halte ich für richtig . Die Bundes- republik Deutschland steht zu der Verantwortung für die Opfer der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten . Bereits 2002 wurde das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto, kurz gesagt das Ghettorentengesetz, vom Deutschen Bundes- tag verabschiedet . Es war ein wichtiges Zeichen an die Menschen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen gearbeitet haben . Sie haben gearbeitet, um der Deporta- tion und dem Tod zu entgehen . Dabei geht es in erster Linie nicht um finanzielle Leistungen, vielmehr um ein Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618160 (A) (C) (B) (D) Zeichen der Anerkennung für die geleistete Arbeit in le- bensunwürdigen und grausamen Zeiten . Ich halte es für richtig, zu sagen, dass es sich um ein Gesetz mit erhebli- cher Symbolkraft handelt . Im letzten Jahr hat die Bundesrepublik Deutschland mit Polen ein Abkommen zu Beschäftigten in polnischen Ghettos geschlossen . Das Abkommen ermöglicht die Zahlung einer deutschen Rente aufgrund von Beschäf- tigungen in einem Ghetto auch an Personen, die in der Republik Polen leben . Hier war eine Einigung zwingend eilbedürftig, denn die Rentenempfänger sind inzwischen hochbetagt . Lassen Sie mich noch einige Sätze zum deutschen Rentenrecht sagen: Deutsche Rentenansprüche für ehe- malige Beschäftigte in einem Ghetto sind an Bedingun- gen geknüpft: Die Betroffenen müssen Verfolgte des Nationalsozialismus im Sinne des deutschen Bundesent- schädigungsgesetzes sein, sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das sich in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereiches befand, und eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt haben . Eine weitere Voraussetzung für einen deutschen Ren- tenanspruch ist außerdem, dass die Wartezeit (Mindest- versicherungszeit) erfüllt ist . Diese Zeit beträgt fünf Jah- re . Diese fünf Jahre können entweder aus Beitragszeiten oder Ersatzzeiten bestehen . Beitragszeiten sind die Mo- nate, für die Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt sind bzw . als gezahlt gelten . Wurde also eine Beschäftigung in einem Ghetto während der NS-Zeit ausgeübt, gelten die Beiträge für diese Zeit als gezahlt und werden als Beitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto anerkannt . Ersatzzeiten sind Zeiten ohne Beitragsleistung, weil der Versicherte daran gehindert war, Beiträge zu zahlen . Dies gilt besonders für Menschen, die politische Haft in der DDR, in Kriegsgefangenschaft oder NS-Verfolgung erleiden mussten . Auch müssen die Bezieher der Renten, unabhängig ob sie durch Beitragszeiten oder Ersatzzei- ten einen Anspruch haben, zum damaligen Zeitpunkt mindestens 14 Jahre alt gewesen sein . Dies ist nachvoll- ziehbar, da Kinder vor dem 14 . Lebensjahr grundsätzlich keiner rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen . Würde man hier für die arbeitenden Kinder in den Ghettos eine Ausnahmeregelung im Ghettoren- tengesetz schaffen, würde dies zu einer Ungleichbehand- lung gegenüber anderen Verfolgten führen . Dies halte ich unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit auch für schwierig . Für die jeweiligen Betroffenen besteht je- doch die Möglichkeit der Anerkennungsleistung und die Zahlung von freiwilligen Beiträgen . Auf diese Optionen hat die Bundesregierung die Op- ferverbände verwiesen . Dies ergibt sich auch aus der Antwort einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke zu diesem Thema vom Anfang dieses Jahres . Zwar sind die Rentenansprüche nach dem Ghettorentengesetz be- sonderen Umständen geschuldet, aber es sollte keine be- sondere Rentenform mit dem Gesetz geschaffen werden . Dies entsprach nicht der Intention des Gesetzgebers . Wir werden Ihren Antrag deshalb ablehnen . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäf- tigungen in einem Ghetto (ZRBG) aus dem Jahre 2002 hat der Deutsche Bundestag fraktionsübergreifend die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass die in ei- nem Ghetto ausgeübte Tätigkeit rentenrechtlich als Bei- tragszeit berücksichtigt werden kann . Dieses Gesetz war und ist ein wichtiger Beitrag, um den Menschen, die die Nazi-Machthaber in Ghettos zwangen und ihrem Kampf ums Überleben gerecht werden zu können . Durch eine Gesetzesänderung im Juli 2014 hat der Deutsche Bundestag dann nach langen Verhandlungen auch eine rückwirkende Auszahlung von Ghettorenten ab 1997 ermöglicht und hat diese Gesetzesänderung ohne Gegenstimmen beschlossen . Darin ist vorgesehen, dass für die bisherigen Ghettorenten keine vierjährige Rückwirkungsfrist gilt und sie bereits mit dem Stichtag 1997 neu berechnet werden . Die Betroffenen erhalten ein Wahlrecht zwischen einem früheren Rentenbeginn, verbunden mit einer Rentennachzahlung und einer abge- senkten Monatsrente, und einer höheren bisherigen Ren- te ohne weitere Nachzahlung . Dieses Wahlrecht wurde eingeführt, da viele derzei- tige Renten durch Zuschläge für die spätere Auszahlung erhöht werden, sodass die Bezieher gegebenenfalls ohne Neuberechnung bessergestellt sind . Mit der Neufeststel- lung kann nun jeder prüfen, ob für ihn die niedrigere Rente ohne Zuschläge ab 1997 und entsprechende Nach- zahlungen für die verlorenen Zeiten günstiger sind oder eine monatlich höhere Rente ab dem späteren Zeitpunkt . Nach derzeitigem Stand ist die Umsetzung des ZRBG-Änderungsgesetzes bei den Rentenversiche- rungsträgern nahezu abgeschlossen . Insgesamt wurden 32 600 Fälle überprüft . In 23 300 Fällen wurde im Ergebnis dieser Prüfung die Rente rückwirkend zu einem früheren Rentenbeginn be- rechnet und eine Nachzahlung ausbezahlt . In 4 800 Fäl- len wurde eine Neufeststellung nicht gewünscht oder beantragt . In 3 600 Fällen besteht kein Anspruch nach dem ZRBG-Änderungsgesetz, bzw . es gibt keine Nach- zahlung, weil zum Beispiel das 65 . Lebensjahr erst nach 1997 vollendet wurde . Und etwa 900 Fälle sind noch of- fen . Des Weiteren haben wir mit dem am 1 . Juni 2015 in Kraft getretenen Abkommen zwischen Deutschland und Polen ermöglicht, dass Ghettorenten auch an Personen ausbezahlt werden, die in der Republik Polen leben . Bis- her war dies in den Abkommen zwischen Deutschland und Polen nicht vorgesehen . Ab 2015 können also auch in Polen lebende ehemali- ge Ghettobeschäftigte deutsche Rentenleistungen für die Arbeit erhalten, die sie in einem Ghetto geleistet haben . Die Erweiterung der Auszahlung der Ghettorenten auch nach Polen wurde im Eilverfahren im Deutschen Bun- destag beschlossen . Nun fordert Die Linke noch weitere Änderungen an dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18161 (A) (C) (B) (D) schäftigungen in einem Ghetto . So soll die 60-monatige Wartezeit, die Voraussetzung für eine Rentenleistung der gesetzlichen Rentenversicherung ist, bei allen Personen, die in einem Ghetto beschäftigt waren, fingiert werden, sofern sie nicht bereits durch andere Zeiten erreicht wer- den konnte . Insbesondere davon betroffen seien Kinder – vor allem Sinti und Roma –, die zwar in einem Ghetto Arbeit geleistet hätten, aber dann mangels weiterer an- rechenbarer Zeiten nicht auf die Mindestwartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung kommen . Bereits im Januar dieses Jahres hat sich das Bundes- ministerium für Arbeit und Soziales mit dieser Frage- stellung auseinandergesetzt . Es kommt zu dem Schluss, dass das Ziel des ZRBG, nämlich die während einer Be- schäftigung in einem Ghetto entstandene Beitragszeit für einen Rentenanspruch wirksam werden zu lassen, ins- besondere auch in Bezug auf die Zahlung der Rente ins Ausland, erreicht worden sei . Zu keiner Zeit sei es vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, mit dem ZRBG eine Rente „eigener Art“ zu schaffen, für die eine Mindestan- zahl an Beiträgen nicht erforderlich ist . Das ZRBG ist zu verstehen als eine Ergänzung der allgemeinen Regelungen der gesetzlichen Rentenver- sicherung, die auf den gezahlten Beiträgen basiert und daher grundsätzlich an eine versicherungspflichtige Be- schäftigung anknüpft . Das gelte auch für die in diesem System enthaltenen Elemente der Wiedergutmachung, wie die Anerkennung von Beitragszeiten unter erleich- terten Bedingungen (Ghettobeitragszeiten) oder den Er- satz von Beitragsverlusten aufgrund bestimmter außerge- wöhnlicher Ereignisse wie NS-Verfolgung, Vertreibung oder politische Haft in der DDR durch Ersatzzeiten . Diese Funktion des ZRBG wurde auch mehrfach von der Rechtsprechung, unter anderem vom Bundessozialge- richt im Jahre 2009, so bestätigt . Für die meisten Berechtigten nach dem ZRBG sind zudem neben den in Deutschland anerkannten Bei- trags- und Ersatzzeiten auch die nach über- und zwi- schenstaatlichen Abkommen im Ausland zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten auf die allgemeine Wartezeit anzurechnen, sodass es in der Regel zu einer Auszahlung der Renten kommt . Zudem besteht die Möglichkeit, durch individuelle Nachzahlungen die 60-monatige Wartefrist zu erreichen . Aufgrund der Nachzahlungsansprüche muss der Betrof- fene hierzu in der Regel keinerlei eigene Zahlungen leis- ten . Denn im Zuge der Zahlbarmachung erfolgt in der Praxis direkt eine Verrechnung durch die Rentenversi- cherung zwischen den zusätzlich aufzustockenden Bei- trägen und den rückwirkenden Rentenzahlungen für die 60 Monate . Um die Renten zahlbar zu machen, ist eine Wartezeitfiktion also überhaupt nicht notwendig, Auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, das Die Linke in ihrem An- trag heranzieht, kommt zu dem Schluss, dass – und da muss man die Ausarbeitung bis zum Ende gelesen ha- ben – „die weitere Privilegierung von Berechtigten nach dem ZRBG durch die Einführung einer Regelung zur Wartezeitfiktion wohl eher nicht gegen den all- gemeinen Gleichheitssatz aus Art . 3 Abs . 1 GG ver- stößt . Allerdings ist mit der weit über einen Nach- teilsausgleich hinausgehenden Zahlung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto bereits an die Grenze dessen gegangen worden, was aus systema- tischen Gründen im Rahmen der gesetzlichen Ren- tenversicherung noch vertretbar ist .“ Ein weiterer Handlungsbedarf wird hier also gerade nicht gesehen . Und er kann auch nicht damit begründet werden – so tut es aber Die Linke –, dass beim ZRBG be- reits bei der Vierjahresfrist nach dem SGB eine Ausnah- me gemacht worden ist . Denn eine Ausnahme kann nie- mals die Rechtfertigung einer weiteren Ausnahme sein, umso mehr, wenn der Ansatzpunkt ein ganz anderer ist . Der Wissenschaftliche Dienst erklärt weiter, dass „der Umstand, dass nicht in jedem Fall aus einer nach dem ZRBG anzuerkennenden Beschäftigung eine Rentenzah- lung erfolgt, eine zwangsläufige Folge der generellen Einbeziehung der Beschäftigung in einem Ghetto in die gesetzliche Rentenversicherung ist, die zur pauschalen Risikovermeidung eine Mindestversicherungszeit vor- sieht .“ Auch liegt kein Bedarf für eine Sonderreglung als Ausnahme zu § 250 SGB VI vor . Denn es besteht kein rentenrechtlicher Widerspruch zwischen der Anerken- nung einer Ghettobeitragszeit nach dem ZRBG vor dem 14 . Lebensjahr und der Nichtanerkennung einer Ersatz- zeit vor dem 14 . Lebensjahr . Während der Beschäftigung in einem Ghetto nach dem ZRBG bestand dem Grunde nach Versicherungs- pflicht aufgrund dieser Beschäftigung und es wurden Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt bzw . diese gel- ten als gezahlt . Für die Zeit dieser Beschäftigung wird daher eine Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversi- cherung anerkannt . Ersatzzeiten, wie sie in § 250 SGB IV geregelt sind, kommen hingegen für Zeiten der NS-Verfolgung in Be- tracht, in denen gerade keine versicherungspflichtige Be- schäftigung ausgeübt wurde . Sie dienen dazu, Beiträge aufgrund einer Beschäftigung für Zeiten zu ersetzen, in denen Versicherte aus nicht in ihrer Person liegenden Gründen an der Beitragszahlung gehindert waren, weil durch die mit diesen Zeiten verbundenen außergewöhn- lichen Umstände eine Beitragsleistung nicht zu erwarten war . Solche außergewöhnlichen Umstände (Ersatzzeiten- tatbestände gemäß § 250 des Sechsten Buches Sozialge- setzbuch) sind zum Beispiel Freiheitsentzug bei NS-Ver- folgten, Vertreibung oder politische Haft in der DDR . Ersatzzeiten werden nur für Zeiträume nach dem 14 . Lebensjahr anerkannt, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass vor dem 14 . Lebensjahr Beitragsverluste durch Ersatzzeitentatbestände nicht eintreten . Die Alters- grenze von 14 Jahren gilt also für sämtliche Ersatzzeiten- tatbestände gleichermaßen . Eine Regelung, wonach Ersatzzeiten für ehemalige Ghettobeschäftigte bereits vor dem 14 . Lebensjahr an- erkannt würden, für andere Personen mit Ersatzzeittat- beständen, unter ihnen ebenfalls NS-Verfolgte, jedoch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618162 (A) (C) (B) (D) nicht, würde zu Gerechtigkeitslücken führen und erheb- lichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen . Im Übrigen würde eine solche Regelung Sinn und Zweck von Ersatzzeiten entgegenstehen, die einen durch außer- gewöhnliche Umstände hervorgerufenen Beitragsverlust ausgleichen sollen . Zudem ist die Anerkennung von Arbeitszeiten im Ghetto vor dem 14 . Lebensjahr als Ersatzzeiten auch nicht notwendig . Denn die Rentenversicherung geht bei ihrer Prüfung sowieso davon aus, dass es für die Anerken- nung von Ghettobeitragszeiten keine starre Altersgrenze gibt. Ob eine versicherungspflichtige Zeit vorliegt, wird generell und unabhängig vom Alter nach den Maßstäben, die für Erwachsene gelten, individuell geprüft . Bei positivem Nachweis werden auch Zeiten vor dem 14 . Lebensjahr anerkannt und können, wenn die Min- destwartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung von 60 Monaten dadurch noch nicht erreicht ist und auch nicht durch weitere Beitragszahlungen im Ausland er- reicht worden ist, durch zusätzliche Beitragszahlungen zahlbar gemacht werden . Wichtig ist hier aufgrund des geringen Alters allerdings die Abgrenzung zwischen Zwangsarbeit und Beschäftigung, für die dann aber wie- derum Entschädigungsleistungen gelten . Unabhängig von den bereits aufgeführten Leistungen bestehen außerhalb des Systems der gesetzlichen Ren- tenversicherung zudem Entschädigungsleistungen, die die Bundesrepublik Deutschland abhängig vom indivi- duellen Verfolgungsschicksal an NS-Verfolgte in aller Welt erbringt . So wurde im Jahr 2007 die Richtlinie der Bundesre- gierung über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit im Ghetto erlassen . Nach der sogenannten Aner- kennungsrichtlinie sollten explizit Lebenssachverhalte erfasst werden, die durch das ZRBG nicht berücksichtigt sind . Die Voraussetzungen für den Erhalt der einmali- gen Wiedergutmachungsleistung von 2 000 Euro nach der Anerkennungsrichtlinie wurden im Vergleich zum ZRBG erleichtert . Die Anerkennungsleistung nach der Richtlinie dürfte bei den in Rede stehenden Fällen unter Vorliegen aller anderen Voraussetzungen zur Auszahlung kommen können . Im Ergebnis ist eine Neuregelung des ZRBG durch eine Wartezeitenfiktion in mehrfacher Hinsicht weder notwendig noch sinnvoll . Mit der letzten Neuregelung, die ich dargestellt habe, haben wir eine insgesamt befrie- digende Regelung zum Thema Ghettorenten geschaffen . Es gibt keinen sachlichen Grund, etwas zu ändern . Kerstin Griese (SPD): Nachdem wir zu Beginn die- ser Legislatur im Jahr 2014 mit dem Ghettorentenände- rungsgesetz eine überfällige Verbesserung für Ghettoren- tenberechtigte geschaffen haben und im Dezember 2014 mit einer Ergänzung des deutsch-polnischen Sozialab- kommens auch für die bislang nicht berechtigten in Polen lebenden Ghettoarbeiterinnen und -arbeiter den Zugang zu Ghettorenten ermöglicht haben, legt die Fraktion Die Linke nun einen Antrag auf eine weitere Änderung des Ghettorentengesetzes vor, um eine weitere Personen- gruppe, die bisher nicht oder nur teilweise am Ghettoren- tenrecht partizipieren kann, in den Kreis der Anspruchs- berechtigten aufzunehmen . Im Koalitionsvertrag der SPD mit der CDU/CSU ha- ben wir festgehalten: Wir sind uns der historischen Verantwortung für die Überlebenden des Holocaust, die in der NS-Zeit un- sägliches Leid erlebt haben, bewusst . Wir wollen daher, dass den berechtigten Interessen der Holocaust-Überlebenden nach einer angemesse- nen Entschädigung für die in einem Ghetto geleiste- te Arbeit Rechnung getragen wird . Die Umsetzung dieses Vorsatzes haben wir als eines der ersten Gesetzesvorhaben im Bereich Arbeit und So- ziales im Frühjahr 2014 in Angriff genommen, und darü- ber bin ich sehr froh, denn es geht um hochbetagte Men- schen, die in der NS-Zeit gelitten haben . Mit dem Ghettorentengesetz von 2002 wollten wir als Gesetzgeber den Menschen, die in der NS-Zeit unter schlimmen Bedingungen und zu Hungerlöhnen in den von den Nazis errichteten Ghettos gearbeitet haben bzw . arbeiten mussten, ein wenig Gerechtigkeit widerfahren lassen . Viele Menschen haben in den Ghettos geschuf- tet, ihre Arbeitskraft wurde ausgenutzt, ihr Leben sollte keine Zukunft haben, aber perfiderweise wurden trotz- dem für sie Rentenbeiträge abgeführt . Die Betroffenen selbst haben jahrzehntelang gefordert, für ihre Arbeit in den Ghettos eine reguläre Rente und eben nicht eine Ent- schädigung zu bekommen . Denn sie haben das, was sie dort unter Zwangsbedingungen, eingesperrt im Ghetto, erlitten haben, dennoch als Arbeit empfunden . Als der Bundestag das Ghettorentengesetz 2002 be- schlossen hatte, war für niemanden von uns abzusehen, dass die Anträge in den folgenden Jahren zu 90 Prozent abgelehnt werden würden . Diese hohe Ablehnungsra- te wurde erst mit dem Urteil des Bundessozialgerichtes 2009 geändert; danach wurde immerhin die Hälfte aller bislang abgelehnten Anträge rückwirkend bewilligt . Aber die Renten wurden auch nach dem Urteil des Bundessozialgerichtes von 2009 nur vier Jahre rückwir- kend ausgezahlt . Das liegt an unserem Sozialrecht, das eine Rückwirkungsfrist von vier Jahren festschreibt . Die vielen hochaltrigen Betroffenen, die vor Jahren schon in Vertrauen auf unsere Gesetzgebung ihre Anträge ein- gereicht hatten, waren verständlicherweise empört über diese als Unrecht empfundene Frist, die ihnen verdiente Ansprüche vorenthielt . Auch die dafür speziell geschaffene Möglichkeit, ei- nen Ausgleich durch Zuschläge zu erhalten, hat das Ge- rechtigkeitsbedürfnis der Opfer nicht befriedigt . Sie wol- len ihr gutes Recht, nämlich die Ghettorenten ab 1997, wie sie ihnen mit dem Gesetz versprochen worden wa- ren . Es ging und geht den Opfern um Anerkennung ihrer geleisteten Arbeit, für die sie eine Rente erhalten wollten . Diese Möglichkeit haben wir 2014 mit dem Ghetto- rentenänderungsgesetz geschaffen, indem wir die zu- rückwirkende Vierjahresfrist aufgegeben haben . Wir haben außerdem die Optionsmöglichkeit eingeführt, die es jedem ermöglicht, zwischen einer rückwirkenden Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18163 (A) (C) (B) (D) Zahlung ab 1997 ohne Zuschläge oder einer Zahlung mit Zuschlägen ab 2005 zu wählen . Mit der generellen Strei- chung der Antragsfrist, die am 30 . Juni 2003 lag, ist es außerdem weiter möglich, Rentenanträge zu stellen und eine Rente ab 1997 zu bekommen . Und wir wissen, dass es immer noch Überlebende gibt, die erst jetzt einen An- trag stellen . Diese Änderungen sind von den Opfern des NS-Ter- rors sehr begrüßt worden . Der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr . Dieter Graumann, sagte: „Das Leid, das diese Menschen er- fahren haben, lässt sich mit nachträglich gezahlter Rente nicht wiedergutmachen .“ Bisher aber seien die früheren Ghettoarbeiter mit bürokratischen Vorschriften abgekan- zelt worden . Jetzt würden sie endlich ernst genommen und würdig behandelt . Die neue Rentenregelung sei eine Geste der Menschlichkeit . Ähnliche Stimmen hörten wir auch aus Israel, wo die Änderung mit großem Wohlwol- len aufgenommen wurde . Heute, im Juli 2016, ist die Abarbeitung der Anträ- ge bei den Rentenversicherungsträgern nahezu abge- schlossen, insgesamt wurden 32 600 Fälle überprüft . In 23 000 Fällen wurde im Ergebnis der Prüfung die Rente rückwirkend zu einem früheren Rentenbeginn – frühes- tens ab dem 01 . Juli 1997 – neu berechnet und Nachzah- lungen wurden ausgezahlt . In 17 600 dieser Fälle erfolgte diese Neuberechnung auf Antrag der Berechtigten . Die verbleibenden 9 300 Fälle verteilen sich wie folgt: bei 3 600 gibt es keinen Anspruch nach dem ZRBG-Än- derungsgesetz oder keine Nachzahlung, weil das 65 . Le- bensjahr erst nach Juli 1997 erreicht wurde, bei 4 800 Fäl- len gab es keine Neufeststellung, weil diese ausdrücklich nicht gewünscht worden war oder es keinen Rücklauf zu den Informationsschreiben der Deutschen Rentenversi- cherung gegeben hat . Nur noch 900 Fälle sind offen . Ich bedanke mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitar- beitern der Deutschen Rentenversicherung und des Bun- desministeriums für Arbeit und Soziales sehr herzlich für diese wichtige Arbeit und das große Engagement . Alle Betroffenen wurden in ihrer Landessprache angeschrie- ben, jeder Fall wurde individuell geprüft und behandelt . Herzlichen Dank, dass Sie so schnell schon fast allen Be- rechtigten helfen konnten! Für die in Polen lebenden Holocaust-Überlebenden, die in den Ghettos der Nationalsozialisten gearbeitet haben – viele von ihnen aufgrund der deutschen Besat- zung Polens im Zweiten Weltkrieg – galt aufgrund des deutsch-polnischen Sozialabkommens von 1975 das Ghettorentenrecht nicht . Das lag daran, dass bis zur Änderung in diesem Abkommen geregelt war, dass der Wohnsitzstaat eine Rente auch aus den Zeiten zahlen muss, die im anderen Staat zurückgelegt wurden . Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto, die durch das Ghet- torentengesetz abgedeckt sind, gelten als in Deutschland zurückgelegt . Deshalb durfte bisher für in Polen lebende Ghettobeschäftigte auch keine Ghettorente aus Deutsch- land geleistet werden . Eine Änderung dieses Abkommens ist 2014 vom Bun- desministerium für Arbeit und Soziales und dem polni- schen Arbeitsministerium gemeinsam erarbeitet worden . Damit sind seitdem auch in Polen lebende Ghettobe- schäftigte berechtigt, Leistungen der Ghettorenten aus Deutschland zu erhalten . Seit Mitte Dezember 2014 gibt es das „Gesetz zu dem Abkommen zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Republik Polen zum Export besonderer Leistungen für berechtigte Personen, die im Hoheitsgebiet der Republik Polen wohnhaft sind“ in deutscher und polnischer Sprache . Nun legt die Fraktion Die Linke einen weiteren An- trag vor, in dem sie die besondere Benachteiligung der osteuropäischen Sinti und Roma auch nach Kriegsende bis heute thematisiert . Diese zahlenmäßig recht kleine Gruppe von einigen 100 Personen kann aufgrund ihrer speziellen, durch zum Teil lebenslange Ausgrenzung aus der regulären Arbeitswelt bestimmte Lebenssituation nicht die für den Bezug von Ghettorenten notwendige Beitragszeit von fünf Jahren nachweisen . Um eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Ren- tenversicherung erhalten zu können, müssen aber min- destens fünf Jahre an deutschen Beitragszeiten oder Er- satzzeiten vorliegen . Wurde eine Beschäftigung in einem Ghetto ausgeübt, wurden Beiträge zur Rentenversiche- rung gezahlt bzw . gelten als gezahlt . Für die Zeit dieser Beschäftigung wird daher eine Beitragszeit in der gesetz- lichen Rentenversicherung nach dem ZRBG (Ghettoren- tenbeitragszeit) anerkannt, und die meisten kommen zu- sammen mit anderen Arbeitszeiten auf mindestens fünf Jahre . Die Fraktion die Linke führt in ihrem Antrag aus, dass vor allem Sinti und Roma, die in Ghettos arbeiteten, nach Kriegsende große Probleme beim Nachweis von Zeiten der Erwerbsarbeit haben; häufig hätten sie Nachweise nicht angefordert oder nicht aufgehoben, und weil sie oftmals nicht lesen könnten, könnten sie die notwendi- gen Nachweise nicht nachträglich anfordern . Das ist na- türlich in der Tat eine sehr schwierige Situation . Aber sie kann nicht durch eine Änderung am Ghettorentengesetz gelöst werden . Die Fraktion Die Linke schlägt vor, dass im Ghettorentengesetz eine Fiktion einer subsidiären, lü- ckenfüllenden, mindestens fünfjährigen Wartezeit einge- führt wird . Dadurch soll sich für alle ehemaligen Ghetto- beschäftigten unabhängig von späteren, in der deutschen Rentenversicherung anrechenbaren Beitragszeiten ein gesetzlicher Rentenanspruch begründen . Das ist ein sicher gutgemeinter, aber keineswegs gut gemachter Vorschlag; denn das Ghettorentengesetz hat die gesetzliche Ausdehnungsmöglichkeiten schon sehr strapaziert, aber mit den Beitragszeiten, die für den Er- halt einer Ghettorente notwendig sind, doch eine Lösung geboten, wie der Bezug von Ghettorenten im deutschen Rentensystem möglich gemacht werden kann . Eine Ein- führung einer Wartezeitfiktion, so stellt ein aktuelles Gut- achten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages fest, „wäre aber mit den Prinzipien der ge- setzlichen Rentenversicherung unvereinbar .“ Ich verstehe den Wunsch der Fraktion Die Linke, den vielfach marginalisierten Sinti und Roma, die zeit ihres Lebens unter Verfolgung und Ausgrenzung gelitten ha- ben, eine Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618164 (A) (C) (B) (D) bieten . Der Weg über das Ghettorentenrecht ist dabei aber nicht zielführend . Ich schlage vor, dass wir genauer prüfen, wie über an- dere Wege, etwa über die bestehenden Härtefallfonds für NS-Verfolgte der Länder oder nach der Anerkennungs- richtlinie von 2007 Entschädigungen für diejenigen, die nicht ghettorentenberechtigt sind, Entschädigungen möglich sind . Azize Tank (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir eine Schutzlücke des ZRGB schließen . Es war der ausdrückliche Wille des Gesetzge- bers, mit dem 2002 verabschiedeten ZRBG alle NS-Ver- folgten, die in einem von Deutschen eingerichteten Ghetto, auf Grund eines eigenen Willensentschlusses entgeltlich beschäftigt waren, in die deutsche Rentenver- sicherung einzubeziehen . Es war auch der ausdrücklich erklärte politische Wille aller Mitglieder des Deutschen Bundestages, mit dem ZRBG zugunsten von Verfolgten, die alle bereits das für die Regelaltersrente geltende Alter von 65 Jahren – teils erheblich – überschritten haben, im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Neuland zu betreten, wobei von bestimmten Grundsätzen im Bereich der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten abgewi- chen werden sollte . Dies schlug sich in dem damaligen Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP und dem Entwurf der PDS nieder . In den ersten Jahren nach Verabschiedung des ZRBG ist es aufgrund einer restriktiven Auslegung wesentlicher Begriffe dieses Gesetzes, wie „Ghetto“, „Beschäftigung“, „eigener Willensentschluss“ und „Entgelt“ – durch die Verwaltung und die Sozialgerichte – zu zahlreichen Ver- werfungen gekommen, weshalb zunächst fast 90 Prozent aller Anträge auf Ghettorente der Überlebenden abge- lehnt wurden . Bei der Verabschiedung des ZRBG sind offensichtlich eine Reihe möglicher Problemlagen nicht sichtbar geworden . Der Deutsche Bundestag war jedoch bislang stets bemüht, sie zu lösen, nachdem diese durch Überlebende, engagierte Historiker und mutige Sozial- richter erkannt und aufgezeigt wurden . So geschehen, bei der rückwirkenden Zahlbarmachung von Ghettoren- ten durch Nichtanwendung von § 44 SGB X auf Zeiten nach dem ZRBG oder beim Abschluss des deutsch-polni- schen Abkommens vom 5 . Dezember 2014, welches die bisherige Diskriminierung von Ghettobeschäftigten mit Wohnsitz in Polen beseitigte . Dabei haben alle Fraktio- nen des Bundestages immer gemeinsam an einer einver- nehmlichen Lösung der Probleme zusammengearbeitet . Dafür möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kolle- gen aller Fraktionen, namentlich auch Frau Staatsekretä- rin Gabrielle Lösekrug-Möller von der SPD bedanken . Lassen Sie uns deshalb auch im vorliegenden Fall ein- vernehmlich eine gravierende Gerechtigkeitslücke bei den Ghettorenten schließen . Zahlreiche Kinder, die nachweislich und unstrittig Beschäftigungszeiten in deutschen Ghettos zurückgelegt haben, erhalten noch immer keine Ghettorente . Es ist da- bei kein Geheimnis, dass allein aus ZRBG-Beitragszei- ten nie eine Rente in der deutschen Rentenversicherung erworben werden kann . Bei der Verkündung des ZRBG war dies aber offenbar nicht allen bewusst, obwohl be- kannt ist, dass kaum ein Ghetto länger als vier Jahre existierte . Ein Gutachten der Wissenschaftlichen Diens- te – WD 1 – 3000 – 025/16 – bestätigte kürzlich, dass unumstritten „die meisten Ghettos zwischen Herbst 1939 und Sommer/Herbst 1943 existierten“, also höchstens 48 Monate . Doch ein Anspruch auf eine Ghettorente wird erst bei einer 60-monatigen Wartezeit begründet . Diese kann nur mit Beitragszeiten und gegebenenfalls mit Er- satzzeiten – unter anderem wegen NS-Verfolgung – er- füllt werden . Selbst der Höchstumfang an ZRBG-Bei- tragszeiten reicht dafür nicht aus . Erwachsene Personen können zwar, um die Wartezeit zu erreichen, etwaige Lü- cken in ihren Beitragszeiten dadurch auffüllen, dass sie ihre verfolgungsbedingte Zeit als Ersatzzeiten anrechnen lassen . Doch diese Verfolgungszeit kann erst dann ange- rechnet werden, wenn die betroffene Person bereits das 14 . Lebensjahr vollendet hat . Überlebenden der Shoah, die im Ghetto beschäftigt waren, weisen darauf seit Jah- ren hin . Der Verband der Jüdischen Glaubensgemeinden der Republik Polen und die Vereinigung der Roma haben sich zuletzt am 27 . Januar 2016 vom Gelände des ehema- ligen deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau mit einem bewegenden Appell diesbezüglich an die deut- sche Bundesregierung gewandt . Der Bevollmächtigte der Jüdischen Gemeinde, Herr Marian Kalwary, unterstrich, dass die bestehende Situation eine fehlende Konsequenz an den Tag lege, der Logik und dem Sinn und Zweck des ZRBG widerspreche . Sie führt in der Praxis, insbesonde- re bei Kindern, zu ungerechten und sachfremden Ergeb- nissen: Ein Geschwisterpaar, das im gleichen Betrieb im Ghetto beschäftigt war und sich später gemeinsam vor der Verfolgung durch die deutschen Nazis verstecken musste, wird je nach Alter unterschiedlich behandelt . Ein Junge der das 14 . Lebensjahr vollendet hat, erhält eine Ghettorente, aber seine 10-jährige Schwester, die mit ihm im Ghetto beschäftigt war und das gleiche Verfolgungs- schicksal teilte, nicht . Dieses Ergebnis war dem Gesetz- geber des 2002 verabschiedeten ZRBG vermutlich nicht erkennbar, aber auf jeden Fall nicht gewollt . In Wirklichkeit können ZRBG-Beschäftigungszeiten Rechte auf eine Rente aus der deutschen Rentenversiche- rung nie allein begründen, sondern sie allenfalls in Ver- bindung mit anderweitig erlangten Beitragszeiten mit- begründen oder durch andere Beitragszeiten begründete Rechte erhöhen . Was aber, wenn diese anderweitigen Beitragszeiten gar nicht erworben werden konnten? Dann ist die Wartezeit nicht erfüllt und eine Ghettorente bleibt verwehrt . Das ist der Fall bei ehemaligen Ghettobeschäf- tigten, die zu Mehrfachdiskriminierten in Osteuropa ge- hören, wie Sinti und Roma, die selbst nach der Befreiung kaum Zugang zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erhielten . Auch jüdische Überlebende wurden nach der Befreiung antisemitischen Übergriffen und Ausgrenzung ausgesetzt, was die Aufnahme sozial- versicherungspflichtiger Arbeitsbeziehungen verhinderte oder verzögerte . Vor ähnlichen Problemen sehen sich Jüdinnen und Juden gestellt, die in einem Land leben, mit dem die Bundesrepublik kein Sozialversicherungs- abkommen abgeschlossen hat, und somit ausländische Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18165 (A) (C) (B) (D) Versicherungszeiten in Deutschland nicht angerechnet werden können, um eine Ghettorente zu begründen . Kinder, die im Ghetto beschäftigt waren, dürfen heute beim Zugang zur Ghettorente nicht deshalb ausgeschlos- sen werden, weil sie erst aufgrund von NS-Verfolgungs- maßnahmen überhaupt eine Beschäftigung aufnehmen mussten, um zu überleben, obwohl Kinderarbeit grund- sätzlich verboten war . Die Anerkennung einer subsidiä- ren, lückenfüllenden, mindestens fünfjährigen Wartezeit im ZRBG ist notwendig und machbar, um diese eklatan- te Leerstelle des ZRBG zu schließen . Auch die Wissen- schaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages kom- men in einem Gutachten – WD 6 – 3000 – 049/16 – unter Würdigung aller denkbaren Gegengründe zu Recht zu dem Fazit, dass eine Wartezeitenfiktion im Einklang mit dem Grundgesetz stehen würde . Dadurch könnte für alle ehemaligen Ghettobeschäftigten unabhängig von späte- ren, in der deutschen Rentenversicherung anrechenbaren Beitragszeiten und von der Anrechnung von Ersatzzeiten, ein gesetzlicher Rentenanspruch begründet werden . Der vorliegende Gesetzesentwurf lässt somit den Vorrang an- derer Zeiten unangetastet . Die subsidiäre Anerkennung der Wartezeiten greift erst dann und nur dann, wenn die ZRBG-Zeiten nicht mit anderen Beitrags- und Ersatz- zeiten belegt sind. Die Wartezeitenfiktion würde ledig- lich zur Anwendung gelangen, um bestehende Lücken zu füllen, wenn zuvor bereits zweifelsfrei Ghettozeiten nachgewiesen wurden, diese Beitragszeiten jedoch auch zusammen mit anderen Beitrags- oder Ersatzzeiten nicht ausreichen, um einen Anspruch auf Ghettorente zu be- gründen . Eine solche Regelung ist auch gerecht, denn sie hat keinen Einfluss auf die Höhe der Ghettorente, son- dern begründet lediglich einen möglichen Anspruch auf Ghettorente, deren Höhe von den tatsächlich im Ghetto individuell erlangten Entgelten abhängt . Seit 1999 hat die bestehende BSG-Rechtsprechung geklärt, dass im Zuge der Wiedergutmachung von NS-Unrecht bei Beschäftigungszeiten keine Lebensal- ters-Untergrenze von 14 Jahren zugrunde zu legen ist . Deshalb steht Kinderarbeit der Annahme eines sozial- versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses grundsätzlich nicht entgegen . Es ist bekannt, dass der persönliche Anwendungsbe- reich des ZRBG sich auf jene Personen beschränkt, die zum Zeitpunkt der Verkündung des ZRBG im Jahre 2002 noch lebten und zuvor, zumeist zwischen dem 1 . Sep- tember 1939 und 1 . September 1943, Ghettoarbeit ver- richtet haben . Wer sollte also in den Genuss dieser Leis- tungen kommen? Nehmen wir endlich zur Kenntnis, was bislang nicht ausgesprochen wurde: Das ZRBG betrifft Menschen, die zur Zeit der Ghettoarbeit typischerweise Kinder und Jugendliche, allenfalls Heranwachsende sein konnten . Wenn das ZRBG Ghettorenten für Verfolgte vorsieht, die während der Ghettobeschäftigung vor al- lem Minderjährige sein mussten, dann müssen wir die bestehende Schutzlücke für genau diese Personen auch schließen, um den historischen Realitäten der Ghettobe- schäftigung gerecht zu werden . Wir können diese Tatsache nicht unberücksichtigt las- sen . Der bestehende Widerspruch kann durch die Aner- kennung einer subsidiären, lückenfüllenden, mindestens fünfjährigen Wartezeit im ZRBG behoben werden . Da- mit wäre eine wichtige Gerechtigkeitslücke bei der Wie- dergutmachung von NS-Verfolgung behoben . Ich bitte im Namen der überlebenden Kinder, die in deutschen Ghettos unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten, um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf über die Fraktionsgrenzen hinweg . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Las- sen Sie mich aus einem Auszug einer Analyse des His- torikers Michael Alberti beginnen, der sehr eindeutig die Situation der Ghettobeschäftigten in Osteuropa während des Zweiten Weltkriegs beschreibt: „In Łódź konnte der Judenrat also nur versuchen, die Produktion in das Ghetto hereinzuholen . Damit ver- folgte er wie alle Judenräte Osteuropas während des Zweiten Weltkrieges eine Doppelstrategie . Zum einen wollte er die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Ghet- tobewohner wiederherstellen und zum anderen kam für ihn Ende 1941 mit dem Beginn der Massenvergasungen im Vernichtungslager Kulmhof der Kampf um das phy- sische Überleben der Ghettoinsassen hinzu . Das einzige Mittel für eine mögliche Rettung war ‚die den deutschen Kriegsanstrengungen zur Verfügung gestellte Arbeits- leistung‘ . Bevor dies jedoch das alles beherrschende Mo- tiv der Judenräte wurde, wollten sie den deutschen Be- satzern in erster Linie demonstrieren, dass die Juden zu produktiver Arbeit bereit waren .“ (Michael Alberti 2006: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939-1945, Seite 228 f .) Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Ghettos unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft entziehen sich heute nahezu der Vorstellungskraft . Es war in vielen Fällen nichts anderes als die Angst vor dem Tod, die die Ghettobewohnerinnen und -bewohner in Osteuropa, dem Balkan und dem Baltikum dazu zwang, eine Arbeit aufzunehmen . Mit dem „Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto“ (ZRBG) hat die damalige rot-grüne Koalition im Jahr 2002 der histori- schen Verantwortung Deutschlands Rechnung getragen und den Versuch unternommen, eine Lücke im Entschä- digungsrecht zu schließen . Einstimmig wurde das Gesetz damals beschlossen . Seitdem gelten nach § 2 ZRBG für die Beschäftigten in einem Ghetto Rentenbeiträge als ge- zahlt . Anfangs blieben die Resultate hinter den Erwartun- gen allerdings deutlich zurück . Nur einem Bruchteil der vonseiten der Betroffenen gestellten Anträge wurde ent- sprochen, rund 90 Prozent wurden abgelehnt . Es brauchte Jahre und die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen und wei- tere gesetzgeberische Maßnahmen, auch noch in dieser Legislatur, um die Verwaltungspraxis weniger restriktiv auszugestalten . Es war ein langer Weg, und – das müssen wir nach eineinhalb Jahrzehnten leider nach wie vor fest- stellen – wir sind noch nicht am Ende angelangt . Das ZRBG folgt einer Entschädigungslogik, bleibt aber in einem entscheidenden Punkt den systematisch fast konträren Grundsätzen der Rentenversicherung ver- haftet . Wer trotz faktischer Zwangsarbeit in einem Ghet- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618166 (A) (C) (B) (D) to die im Rentenrecht übliche Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt, hat nach §§ 50 Absatz 1 Nummer 1, 51 Ab- satz 1 und 4 SGB VI keinerlei Ansprüche auf eine Rente auf Basis der Arbeit in einem der sogenannten jüdischen Wohnbezirke . Dies entspricht zwar dem rentenrechtli- chen Prinzip, zur pauschalen Risikovermeidung für einen Rentenanspruch bestimmte Mindestversicherungszeiten vorzusehen, läuft aber gleichzeitig dem in diesem Fall als höherwertig zu wertenden Ziel entgegen, die Betroffenen zumindest symbolisch zu entschädigen . Der Antrag der Linken geht daher durchaus in die richtige Richtung. Die vorgeschlagene Wartezeitfikti- on – jeder und jede ehemals in einem Ghetto Beschäf- tigte erhält einen Rentenanspruch – kann einen gangba- ren Weg darstellen . Jedenfalls bleibt uns angesichts des Alters der noch etwa 2 000 Betroffenen nicht viel Zeit . Gemeinsam ist doch allen Fraktionen das Verständnis für die Situation der Betroffenen . Wir alle sollten uns ge- meinsam in den Beratungen im Ausschuss ernsthaft um eine schnellstmögliche Lösung bemühen – schließlich war und ist die Zahlbarmachung der Renten für ehemali- ge Ghettobeschäftigte letztlich doch allen Fraktionen des Deutschen Bundestags ein Anliegen . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichte- rung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeits- netze (DigiNetzG) (Tagesordnungspunkt 16) Ulrich Lange (CDU/CSU): Diese Koalition bringt den Breitbandausbau ein deutliches Stück voran . Vieles von dem, was Experten hierzu fordern, ist angeschoben oder wird schon umgesetzt . Mit dem hier heute abschließend zur Beratung vorlie- genden DigiNetz-Gesetz werden auch auf Gesetzesebe- ne – im wahrsten Sinne des Wortes – noch einmal alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Breitbandausbau effektiver auszugestalten . Was ist der Hebel? Gerade das Aufgraben des Bodens, der Straßen kostet beim Breitbandausbau einen Hauptteil des Geldes – rund 80 Prozent der Kosten . Wenn die Tele- kommunikationsanbieter für den Ausbau andere Netzin- frastrukturen mitnutzen können, reduzieren sich die Aus- baukosten . Das heißt, man kann mit der gleichen Summe ein größeres Gebiet ausbauen . Clevere Telekommuni- kationsanbieter können deutlich Ausbaukosten sparen und zukünftig mehr Bürger per Glasfaser an das Internet anschließen . Dazu erhalten die Telekommunikationsan- bieter einen Rechtsanspruch, beispielsweise bestehende Strom- oder Abwassernetze zum Breitbandausbau mit zu nutzen . Wir haben in den parlamentarischen Beratungen dem Gesetz noch weitere Instrumente hinzugefügt, die eine gute Basis gerade für den Glasfaserausbau in den Häu- sern bieten werden . Wie auch vom Bundesrat gefordert, sollen beim Neubau von Mehrfamilienhäusern und grö- ßeren Wohneinheiten verpflichtend Leerrohre mitverlegt werden . Damit können beim späteren Anschluss des Hauses gleich Glasfaserleitungen bis in die Wohnung verlegt werden . Insgesamt handelt es sich dabei um eine Regelung mit Augenmaß. Denn diese Ausbauverpflichtung gilt im Wesentlichen für größere Wohnanlagen und Mehrfami- lienhäuser . In Einfamilienhäusern ist die Verlegung von Leerrohren empfehlenswert und eine Investition in die Zukunft – aber das bleibt weiterhin freiwillig . Außerdem haben wir für die Telekommunikationsun- ternehmen, die erstmals in den Ausbau der Infrastruktur in Häusern investieren, gute Rahmenbedingungen ge- schaffen . Dazu gehört, dass der Gebäudeeigentümer vom investierenden Telekommunikationsanbieter später keine zusätzlichen Entgelte für die Nutzung der in den Häusern verlegten Leitungen verlangen kann . Schließlich werden wir mit dem DigiNetz-Gesetz die oberirdische Verlegung von Glasfaserleitungen in einem eng begrenzten Umfang erleichtern . Es bleibt bei dem bisherigen Grundsatz, dass die Kommune bei der Frage „ober- oder unterirdische Verlegung“ von Telekommu- nikationsleitungen entscheidet und dabei die städtebau- lichen Belange relevant sind . Damit wird es auch wei- terhin in der Regel zu einer unterirdischen Verlegung kommen . Es soll aber auch möglich sein, dass vereinzelt stehende Gebäude und Gebäudeansammlungen zukünf- tig in Ausnahmefällen oberirdisch erschlossen werden können . Ganz wichtig ist dabei aber: Die Entscheidungs- kompetenz dazu bleibt vor Ort . Außerdem sorgt das DigiNetzG für mehr Transparenz . Denn die Telekommunikationsanbieter müssen wissen, wo welche Leitungen von anderen Netzbetreibern liegen . Nur dann können sie ihre Netzausbauplanung effizienter gestalten und somit mit dem gleichen Mitteleinsatz mehr Fläche erschließen . Bei Streit zwischen den Anbietern wird die Bundes- netzagentur in die Lage versetzt, für eine schnelle und verbindliche Klärung zu sorgen . Bei Straßenbauarbeiten werden zukünftig Glasfaser- leitungen mitverlegt, so wie es die Koalition im Rahmen unseres Entschließungsantrags zum Breitbandausbau zu Beginn der Legislaturperiode bereits angeregt hatte . Das ist bisweilen alles sehr kleinteilig . Aber das sind genau die Stellschrauben, die jetzt angezogen werden müssen, damit wir weiterhin ein hohes Ausbautempo halten . Außerdem können dadurch die Weichen für den Glasfaserausbau der nächsten Jahre gestellt werden . Neben diesen konkreten Regelungen zur Ausbauer- leichterung können darüber hinaus die Auswirkung des erfolgreich angelaufenen Bundesförderprogramms zum Breitbandausbau nicht hoch genug eingeschätzt werden . Das Bundesministerium für Verkehr und digitale In- frastruktur hat in Abstimmung mit den Ländern dafür gesorgt, dass Deutschland europaweit als Erster die bis- herigen Rundfunkfrequenzen, die sogenannte Digitale Dividende II, versteigern konnte . Die damit eingenom- menen 1,3 Milliarden Euro sind nicht im allgemeinen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18167 (A) (C) (B) (D) Haushalt verschwunden, sondern werden konsequent für den Breitbandausbau eingesetzt . Außerdem kamen über das Zukunftsinvestitionsprogramm noch 1,4 Milliarden Euro aus dem allgemeinen Haushalt hinzu . Und nun wer- den mit dem Haushalt 2017 aller Voraussicht nach noch- mals 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt . Damit stellt die Koalition – erstmalig – rund 4 Milliarden Euro für den Breitbandausbau zur Verfügung . Hieran sieht man sehr gut, dass diese Koalition zukunftsgerichtet in die Infrastruktur unseres Landes investiert . Wie genau wir damit den Bedarf des Landes treffen, sieht man daran, dass bereits über 600 Bescheide auf Be- ratungsleistungen und 55 Bescheide für den tatsächlichen Netzausbau vergeben werden konnten . Fachleute werden mit ihrer Beratungsleistung den Kommunen bei der Pla- nung von neuen Ausbauprojekten helfen . Wir können da- her schon jetzt sehr gut prognostizieren, dass auch in den nächsten Jahren eine ganze Reihe an Förderanträgen zum Infrastrukturausbau zu erwarten ist, die dann in konkrete weitere Ausbauprojekte münden . Das macht die Netze fit für die Gigabit-Gesellschaft, das ist zukunftsgerichtete Infrastrukturpolitik; das ist ak- tive Wohlstandspolitik für unser Land und unsere Bürger . Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Eine umfassen- de, aktive und mutige politische Begleitung der Digi- talisierung unseres Landes ist maßgeblich dafür, dass wir im globalen Standortwettbewerb um wirtschaftli- ches Wachstum, Innovationen, aber auch um die besten Köpfe aus Wissenschaft und Wirtschaft bestehen kön- nen . Das Gesetz zur Erleichterung des Ausbaus digita- ler Hochgeschwindigkeitsnetze – DigiNetzG –, das wir heute beschließen, ist dazu ein wichtiger Baustein: Mit dem Gesetz legen wir die Grundlage dafür, dass immer dann, wenn in Deutschland gebaut wird, wenn Neubau- ten entstehen oder bestehende Bauten umfassend saniert werden, wenn Straßen aufgerissen oder erneuert wer- den, gleichzeitig die Grundlage dafür gelegt wird, dass unser Land zügig beim Ausbau von leistungsfähigem Breitband internet vorankommt . Das ist ein großer Erfolg für diese Koalition und für die von ihr getragene Bun- desregierung . Und das ist zudem ein wichtiges Signal für alle Telekommunikationsanbieter in Deutschland, jetzt mutig weiter in den Breitbandausbau für die Zukunftsfä- higkeit unseres Landes zu investieren . Denn das sei an dieser Stelle auch einmal deutlich ge- sagt: Der Breitbandausbau ist die Aufgabe der Unterneh- men . Das ist in Artikel 87 des Grundgesetzes festgelegt, und zwar aus gutem Grund . Denn in den Zeiten, als wir mit der Bundespost die Telekommunikation staatlich or- ganisiert haben, war nichts besser . Ich erinnere nur an den Mondscheintarif . Aber es ist unsere Aufgabe als Staat, für die Unternehmen die richtigen Rahmenbedin- gungen zu setzen, und genau das machen wir heute mit diesem Gesetz . Diese Koalition hat in dieser Legislaturperiode auch zahlreiche weitere Erfolge erreicht, um die Digitalisie- rung voranzubringen . Dafür gilt auch der Bundesregie- rung unser Dank; denn die Bundesregierung hat sich das Thema Digitalisierung in den vergangenen Monaten als Schwerpunktthema über alle Ressortgrenzen hinweg ge- setzt . Das begrüße ich ausdrücklich, und ich hoffe zu- dem, dass sich diese Schwerpunktsetzung auch bis zum Ende der Legislaturperiode, aber insbesondere auch da- rüber hinaus, fortsetzt . Einige Erfolge für die Digitalisierung unseres Landes möchte ich hier noch einmal nennen; denn der richtige und wichtige Netzausbau ist ein Baustein einer ganzen Reihe von Weichenstellungen, mit der wir die Digitali- sierung vorantreiben und die Wettbewerbsfähigkeit stei- gern . Beginnen wir in Europa: Mit der Netzneutralitäts- verordnung haben wir auf europäischer Ebene endlich eine Regelung erreicht, die einerseits den freien Daten- verkehr sicherstellt, zudem aber auch Investitionen in Innovationen ermöglicht . So werden einheitliche Rah- menbedingungen für den europäischen digitalen Markt sichergestellt, die in ganz Europa Wachstum für die Digitalwirtschaft ermöglicht . Aus dem gleichen Grund ist es übrigens zu begrüßen, dass die europäische Da- tenschutz-Grundverordnung nun einheitliche Daten- schutzregeln in Europa vorsieht . Insbesondere junge, innovative Start-ups finden so die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen in ganz Europa vor . In Deutschland sind nun im Rahmen der Digitalen Dividende II die Frequenzen im Bereich von 700 Me- gahertz für das schnelle mobile Breitband bereitgestellt worden . Hiermit sind wir in Europa an der Spitze . Es bleibt zu hoffen, dass dieser Standard sich auch europa- weit durchsetzen kann . Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infra- struktur hat zum wohl ersten Mal in der Geschichte unse- res Landes ein Breitbandförderprogramm in Deutschland initiiert . Aufgelegt mit einem ursprünglichen Volumen von 2,7 Milliarden Euro wird der Ausbau von schnellem Internet in der Breite gefördert . Auch hier verdient die Bundesregierung eindeutiges Lob für ihre zügige Arbeit bei der Erteilung der Förderbescheide . In der letzten Wo- che wurde nun bekannt, dass das Bundesförderprogramm für den Breitbandausbau um weitere 1,3 Milliarden Euro auf nun 4 Milliarden Euro aufgestockt wird . Dies zeigt einmal mehr, dass die Digitalisierung auf der Pri- oritätenliste der Bundesregierung ganz oben steht . Denn dadurch wird der Anspruch, flächendeckend schnelles Internet in Deutschland zur Verfügung zu stellen, auch finanziell weiter unterlegt. Das ist, wie ich finde, ein wei- teres starkes Zeichen für den Innovations- und Zukunfts- standort Deutschland . Ein weiterer wichtiger Schritt im Rahmen der Digi- talisierung war die Novellierung des Telemediengeset- zes . Mit der Ausweitung der Haftungsprivilegierung auf WLAN-Anbieter und der Abschaffung der Störerhaftung haben wir Rechtssicherheit für WLAN-Anbieter herge- stellt . Damit haben wir die Grundlage für den weiteren Ausbau freier WLAN-Netze geschaffen – gleich ob ge- werblich, nebengewerblich oder privat . Damit werden zum Beispiel auch für viele Unternehmen, wie Restau- rants, Cafés und Hotels, Chancen für die Gewinnung neuer und Bindung bisheriger Kunden erhöht . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618168 (A) (C) (B) (D) Mit dem DigiNetz-Gesetz stellen wir nun sicher, dass überall dort, wo Bauvorhaben durchgeführt, Häuser re- noviert, Straßen geöffnet oder Neubaugebiete erschlos- sen werden, die Grundlagen für ein leistungsfähiges Breitbandinternet geschaffen werden . Im Ergebnis wird das den Breitbandausbau in Deutschland nicht nur kos- tengünstiger machen, sondern auch erheblich beschleu- nigen . Daneben stellen wir auch sicher, dass der Ausbau der Infrastruktur nicht einfach an der Bordsteinkante en- det: Für den zügigeren Glasfaserausbau in großen Woh- nungseinheiten können mit den neuen Regelungen die Telekommunikationsanbieter gegenüber den Gebäude- eigentümern zudem einfacher den Ausbau bis zur Woh- nung des Endkunden durchsetzen . Mit dem Gesetz fördern wir aber auch die neue Mobil- funktechnik der fünften Generation: den Mobilfunkstan- dard 5G . Voraussetzung dafür wird unter anderem eine Vielzahl von Sendemöglichkeiten in sehr kurzen Abstän- den sein, um die für Anwendungen wie das automatisier- te Fahren oder die Telemedizin erforderliche Taktilität zu gewährleisten . Mit dem DigiNetz-Gesetz vereinfachen wir nun diesen Ausbau, indem zukünftig Laternen oder Ampeln als Standorte für Mobilfunksender mitgenutzt werden können . Das senkt einerseits die Ausbaukosten für hochmoderne, engmaschige 5G-Netze und schafft andererseits eine gute Basis für den Ausbau dieser neuen Technologie in der Fläche . Der weitere Ausbau der digitalen Netzinfrastruktur in Deutschland ist die Grundlage für die wirtschafts-, aber auch gesellschaftspolitisch dringend notwendige weitere Digitalisierung unseres Landes . Er bleibt eine Herausfor- derung für Wirtschaft und Politik . Mit dem DigiNetz-Ge- setz kommen wir hierbei einen bedeutenden Schritt vo- ran . Martin Dörmann (SPD): Das heute zu verabschie- dende DigiNetz-Gesetz ist ein wichtiger Schritt für den flächendeckenden Ausbau von Hochgeschwindigkeits- netzen in Deutschland . Vorgesehen sind beispielsweise eine verbesserte Mitnutzung bestehender Infrastrukturen durch TK-Netzbetreiber und die verpflichtende Mitver- legung von Leerrohren und Glasfaser bei öffentlichen Baumaßnahmen. Das alles wird signifikant die Kosten senken und einen wesentlichen Beitrag für einen schnel- leren Breitbandausbau leisten, insbesondere auch von Glasfaserleitungen . Die Koalition hat hiermit erneut bewiesen, dass sie nicht nur Konzepte vorlegt, sondern diese Schritt für Schritt umsetzt . Ich will an weitere Bausteine erinnern: Mit unserem Breitbandkonzept „Schnelles Internet für alle“ haben wir zu Beginn der Legislatur den Weg vor- gezeichnet . Vergangenes Jahr haben wir nach einem „na- tionalen Konsens“ mit der Versteigerung der Frequenzen im Bereich der „Digitalen Dividende II“ nicht nur erheb- liche Einnahmen für Bund und Länder generiert . Bei der Neuvergabe der Frequenzen für mobiles Breitband wur- de eine fast flächendeckende LTE-Versorgungsauflage für die Mobilfunkbetreiber verankert . Erstmals konnte mit diesen Einnahmen sowie weiteren Mitteln aus dem Bundeshaushalt ein milliardenschweres Breitbandförderprogramm auf den Weg gebracht werden . Dieses ist so erfolgreich angelaufen, dass bis Ende des Jahres alle Mittel vergeben sein werden und man sich be- reits jetzt Gedanken über eine Fortsetzung machen soll- te . Übrigens gehen über 70 Prozent der Fördermittel in FTTB-Glasfaserprojekte und in sehr ländliche Gebiete . Für jeden Euro öffentlicher Förderung werden zusätz- lich private Investitionen in Höhe von 2 Euro ausgelöst . Bei 2,7 Milliarden Euro Fördermitteln in Bund und Län- dern sind Gesamtinvestitionen von rund 8 Milliarden Euro für den Breitbandausbau zu erwarten . Mit dem DigiNetz-Gesetz wird nun ein weiterer Bau- stein unserer Strategie für einen beschleunigten Breit- bandausbau gesetzt: Kostensenkung und verbesserte Synergien . Dieser Bereich ist extrem wichtig, da grob geschätzt bis zu 80 Prozent der Ausbaukosten auf Hoch- und Tief- bauarbeiten entfallen, die insbesondere in dünn besiedel- ten Regionen überproportional hoch sind . Sie sind dort der Grund für Wirtschaftlichkeitslücken, die Investitio- nen verhindern können . Das DigiNetz-Gesetz wird diese Kosten nun spürbar senken . Bezogen auf die Gesamtinvestitionen für den Breitbandausbau rechnet die Bundesregierung mit einem Einsparpotenzial von über 20 Prozent . Damit wird nicht nur der Netzausbau für Investoren attraktiver, sondern es werden auch die Kosten für Verbraucherinnen und Ver- braucher sinken . Wie wird dies erreicht? Der Kern des Gesetzentwurfs sind umfassende entgeltliche Mitnutzungsansprüche der TK-Netzbetreiber an bestehenden Infrastrukturen aller Art . Nun werden im Grunde alle Hohlräume und Träge- rinfrastrukturen für eine Mitnutzung durch Telekommu- nikationsanbieter zulässig . Diese Mitnutzung kann auch verweigert werden, etwa bei Anhaltspunkten für Gefähr- dungen für Gesundheit oder Sicherheit . Auch bei schon bestehender Glasfaserinfrastruktur kann Mitnutzung ab- gelehnt werden, um Überbau und Entwertung von hoch- wertigen Investitionen zu verhindern . Außerdem sollen bei allen öffentlich finanzierten Bau- maßnahmen bedarfsgerecht Leerrohre und unbeschaltete Glasfaser mitverlegt werden . Bei Neubaugebieten soll dies immer der Fall sein . Dies macht eine spätere Anbin- dung an die Hochleistungsnetze sehr viel einfacher und kostengünstiger . Gegenstand des Gesetzes ist auch ein transparenteres Informationssystem . Die Bundesnetzagentur wird mit 29 neuen Planstellen als nationale Informations- und Streit- beilegungsstelle fungieren und regulatorisch die neuen Maßnahmen begleiten . Das schafft zügige Rechtssicher- heit für alle Beteiligten . Im parlamentarischen Verfahren haben wir den Ge- setzentwurf der Bundesregierung noch einmal qualita- tiv deutlich verbessert . Hierbei wurden Anregungen des Bundesrats und aus der Branche aufgegriffen und um- gesetzt . Entgegen dem ersten Ansatz werden Bauordnungs- vorschriften und Genehmigungsfristen nun bundesseitig Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18169 (A) (C) (B) (D) einheitlich geregelt . Außerdem werden Ampelanlagen und Laternenmasten als Trägerstrukturen mitnutzbar, zum Beispiel für zukünftige 5G-Mobilfunksender und automatisiertes Fahren . Zudem haben wir erhebliche Präzisierungen zur Versorgung am und im Gebäude ein- gebracht . Das DigiNetz-Gesetz ist ein komplexes Maßnahmen- paket . An mehreren Stellen sind wir über die Vorgaben der EU-Transparenzverordnung hinausgegangen, die es umzusetzen galt . Wir sind sicher, dass die kostendämp- fende Wirkung schnell spürbar sein wird . Hochleistungs- fähige Technologien wie Glasfaser werden besonders gestärkt . Das ist nicht nur eine Einzahlung auf unser ehr- geiziges Zwischenziel von flächendeckend mindestens 50 Mbit/s bis 2018 . Es ist auch die Voraussetzung für den weiteren Weg in die Gigabit-Gesellschaft . Zusammengefasst: Nachdem wir bereits erfolgreich die „Digitale Dividende II“ gehoben und ein umfassen- des Breitbandförderprogramm auf den Weg gebracht ha- ben, setzen wir mit dem DigiNetz-Gesetz einen weiteren Meilenstein unserer Breitbandstrategie um . Es wird deut- lich: Wir erarbeiten nicht nur gute Konzepte, wir setzen sie auch konsequent um! Herbert Behrens (DIE LINKE): Der angekündigte Weg in die Gigabit-Gesellschaft bleibt holprig . Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf werden zwar wichtige Dinge geregelt, die den Ausbau von Glasfasernetzen er- leichtern können . Doch er bleibt weit hinter dem zurück, was wirklich einen flächendeckenden Glasfaserausbau voranbringen würde . Schnelles Internet für alle und überall muss das Ziel sein . Doch hier haben wir es nur mit einem Schrittchen auf diesem Weg zu tun . Und es war mühsam, dieses Schrittchen überhaupt zu machen . Der ursprüngliche Gesetzentwurf musste mas- siv nachgebessert werden, um dem Ziel näher zu kom- men, mehr Glasfaser mit weniger Kosten auf den Weg zu bringen . Das ist gut, und Die Linke erkennt an, dass es eine Reihe von Verbesserungen gegeben hat, die vom Bundesrat und von den Fachverbänden eingebracht wor- den sind . So soll zum Beispiel in Ausnahmefällen auch eine oberirdische Verlegung von Glasfaserkabeln möglich werden . Die Genehmigungsfristen für die Mitverlegung von Kabeln bei Baumaßnahmen an den Straßen werden verkürzt . Genehmigungsverfahren werden gestrafft, da- mit der Ausbau des schnellen Glasfasernetzes nicht be- hindert wird . Außerdem wird es Betreibern öffentlicher Versorgungsnetze erlaubt, Einnahmen, die sie für die Mitnutzung ihrer Infrastruktur erhalten, einzubehalten . Auch wenn die Einnahmen über die Kosten hinausgehen, sind sie nicht dem Netzbetrieb zuzurechnen . So können sie das Netz ohne Nachteile vermarkten . All das bringt uns ein Stück in Sachen Glasfaserausbau voran . Es reicht aber nicht für unsere Zustimmung zum Ge- setz, die Linksfraktion wird sich enthalten . Denn es bleiben neu geschaffene Unwägbarkeiten, die einem Ausbau und Aufbau digitaler Hochgeschwindig- keitsnetze entgegenstehen . Das DigiNetz-Gesetz macht keinerlei Vorgaben bezüglich der Entgelte für die Mitnut- zung von Infrastrukturen wie zum Beispiel Versorgungs- leitungen oder Leerrohren . Das soll der Markt regeln, wie so oft, wenn wir hier im Deutschen Bundestag Ge- setze beschließen . Die Netzbetreiber brauchen aber ver- lässliche Angaben über Aufwand und Kosten beim Netz- ausbau, wenn auch die Infrastrukturbesitzer verpflichtet werden, ihre Struktur zur Verfügung zu stellen . Da kann schon mal um den besten Preis gepokert werden . Das aber führt nicht zur Beschleunigung, sondern eher zu Zeitverzug und Planungsunsicherheit . Wir sind auch nicht überzeugt davon, dass die Bun- desnetzagentur zusätzlich zu ihren vielfältigen Aufgaben für die Streitbeilegung zuständig gemacht werden soll . Es werden zwar 29 neue Stellen eingerichtet, die die neu- en Aufgaben bewältigen sollen . Die Bundesnetzagentur verfügt auch über das Fachwissen im Bereich der Tele- kommunikation, aber in Hinblick auf Straßen, Abwasser- kanäle und Gasleitungen ist das nicht sicher . Und dann zügig und kompetent Entscheidungen bei Konflikten zu finden, ist ausgesprochen schwierig. Nun ist das DigiNetz-Gesetz ja eine notwendige Um- setzung einer EU-Richtlinie . Übrigens aus dem Jahr 2014 mit der Maßgabe, dass sie zum 1 . Januar 2016 in natio- nales Recht umgesetzt sein sollte . So weit zum Thema schnelle Entscheidung für ein schnelles Netz . Aber es ist eben auch eine Kostensenkungsrichtlinie . Und an dieser Stelle bleibt das größte Fragezeichen bei dem ganzen Projekt . Das Einsparpotenzial soll 25 Prozent der Gesamtkos- ten eines bundesweiten Ausbaus digitaler Hochgeschwin- digkeitsnetze betragen, erwartet die Bundesregierung . 20 Milliarden Euro sollen es in den nächsten drei Jahren sein . 25 Prozent entsprechen 20 Milliarden . Das bedeutet, dass Investitionen in Höhe von 80 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren in den Glasfaserausbau gesteckt werden sollen . Woher soll das Geld kommen, wer sind die Investo- ren? Dazu gibt es keine Aussagen des Ministers für Ver- kehr und digitale Infrastruktur . Nicht nur die Linksfrak- tion zweifelt dieses großmündige Versprechen an . Der Bundesverband Glasfaseranschluss (BUGLAS) bezeich- nete diese hohen Erwartungen in einer Pressemitteilung als „deutlich zu hoch gegriffen“ . Zwar begrüßt der Ver- band viele der geplanten Maßnahmen, stellt aber infrage, ob der Breitbandausbau dadurch tatsächlich „erheblich vergünstigt und vor allem beschleunigt“ werden könne . In der Anhörung zum Gesetz im Ausschuss wiederholte der Verbandsvertreter diese Position mit etwas anderen Worten . Es bleibt dabei, Kosten können nur eingespart werden, wenn Kosten entstehen . Darum fordert die Linksfrakti- on im Bundestag mehr Investitionen für ein schnelles zukunftsfähiges Internet . Die Bundesregierung ist dazu aber nicht bereit oder in der Lage . Damit muss Schluss sein . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618170 (A) (C) (B) (D) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor drei Tagen wurde eine neue Studie des WIK-Instituts mit dem Namen „Treiber für den Ausbau hochbitratiger Infrastrukturen“ herausgegeben . Sie kommt zu dem Er- gebnis, dass die Breitbandnachfrage bereits heute in Tei- len ein Niveau erreicht hat, das über Netze, aufgepimpte Kupfernetze, nicht mehr befriedigt werden kann . Und: Dieser Trend werde sich in Zukunft weiter beschleuni- gen . Das WIK prognostiziert, dass in neun Jahren über 75 Prozent der Haushalte Bandbreiten von mindestens 500 Mbit/s im Down- und 300 Mbit/s im Upload nach- fragen werden . Diese Geschwindigkeiten erreichen Sie nicht über Kupfer und Vectoring, und deshalb müssen wir jetzt alle Schalter umlegen auf den Ausbau zukunfts- fähiger Glasfasernetze . Das DigiNetz-Gesetz ist dafür ein nötiger Zwischen- schritt . Das hat die EU-Kommission richtig erkannt, als sie die Richtlinie festlegte, die Sie heute umsetzen wol- len . Eine bessere Koordinierung von Bauarbeiten ist nötig, die Zeiten, dass eine Straße zweimal aufgerissen wird – einmal für eine Wasserleitung und später noch mal für das Glasfaserkabel –, sollten passé sein . Aus unserer Sicht ist aber die Umsetzung suboptimal . Die Interessen der Versorgungsunternehmen, die ja den Zugang zu ih- ren Leerrohren gewähren müssen, bleiben zu sehr außen vor . Wenn in Zukunft zum Beispiel Reparaturarbeiten teurer werden, weil man auf mitverlegte Telekommuni- kationsleitungen Rücksicht nehmen muss, darf das nicht zulasten der Kommunen gehen . Mehrkosten müssen von denen übernommen werden, die sie verursachen . Wir sehen es als Mangel an, dass Sie nicht klar die Kosten für Länder, Kommunen und Versorgungsun- ternehmen spezifizieren. Die Mitverlegung darf nicht einseitig zu deren Lasten gehen, die Telekommunikati- onsunternehmen müssen ausdrücklich zum Ersatz sämt- licher Erschwerniskosten verpflichtet werden, die im Zu- sammenhang mit Mitnutzungen entstehen . Die voraussichtlich ohnehin geringe Wirkung des Ge- setzesvorhabens wird noch dadurch geschmälert, dass die Bundesregierung eine lange Liste von Gründen auf- genommen hat, aus denen der Anspruch auf Mitnutzung bereits vorhandener Infrastruktur versagt werden kann . Und noch ein Manko: Die Bundesregierung übertreibt bei den zu erwartenden Einsparungen enorm, auch wenn wir sie schon mehrfach darauf hingewiesen haben . Denn man kann natürlich nicht überall, wo gebaut wird, ein- fach Glasfaser mitverlegen . Die Netzbetreiber machen eine eigene Netzplanung und können sich nicht immer danach richten, wo zufällig schon Rohre liegen . Das Sparpotenzial ist also von vornherein begrenzt . Insofern ist dieses Gesetz zwar ein Schritt in die richtige Rich- tung, es ersetzt aber keineswegs eine vernünftige Förder- strategie für den Breitbandausbau . Und an der fehlt es in Deutschland . Bei der Vorstellung der WIK-Studie am Montag for- derte der VATM-Präsident Martin Kind, es müssten sich „alle zusammensetzen und einen Masterplan entwi- ckeln“ . Denn trotz Netzallianz und Bundesminister für Digitale Infrastruktur haben wir einen solchen Master- plan nicht . Wir haben ein Breitbandziel, das schon heute überholt ist . Wir haben ein Förderprogramm, das genau dieses kurzsichtige Ziel zu erreichen sucht . Aber wir ha- ben keinen Masterplan zum Gigabitausbau . Ich frage mich, ob wir eigentlich noch von bestimm- ten Geschwindigkeiten als Zielmarken reden sollten . 50 Mbit, 100 Mbit, 200 Mbit … Wir sind doch hier nicht bei Ebay . Stattdessen sollte der Staat eine Leitmission vorgeben und die dann konsequent verfolgen . Die Mis- sion Possible muss aus unserer Sicht sein: Wir wollen Hochgeschwindigkeitsnetze, und wir brauchen sie . Und alles andere sortieren wir unter diesem Ziel ein, auch das Breitbandförderprogramm . Damit kommen wir im End- effekt deutlich weiter als mit dem bisherigen Stückwerk . Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften (Zusatztagesordnungspunkt 5) Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU): Heu- te sprechen wir in der 2 ./3 . Lesung über die erste Än- derung des Bundesmeldegesetzes . Mit dieser Änderung reagieren wir zügig und zeitnah auf die praktischen Er- fahrungen, die wir in den vergangenen Monaten seit der Einführung sammeln konnten . Wir sind also nah dran an der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger . Schon jetzt möchte ich mich herzlich für die konstruk- tive Zusammenarbeit aller Beteiligten in diesem Prozess bedanken . Während unserer Zusammenarbeit wurde noch einmal deutlich, dass es durch die Bank kaum Ein- wände an der Verbesserung des bestehenden Bundes- meldegesetzes gibt . So konnten wir viele Punkte weiter ausführen und abstimmen . Im Großen und Ganzen hat sich gezeigt, dass wir die anstehenden Änderungen ge- meinsam gut vorbereitet haben . Wir bewegen uns in einer sich stetig wandelnden In- formationsgesellschaft . Viele wichtige Entscheidungen unserer Behörden basieren auf dem zuverlässigen Aus- tausch und Abruf von Informationen . Im Laufe der Zeit haben wir deshalb die Übermittlungsmöglichkeiten die- ser Meldedaten erheblich ausgeweitet . Ich möchte das noch einmal betonen: Es geht um die Übermittlungsmög- lichkeiten, nicht um die Ausweitung oder um die Anhäu- fung von Daten . Mittlerweile stellen unsere Meldebehörden ihre Da- ten für viele Fachverfahren zur Verfügung . Die Arbeit von Behörden wie beispielweise den Statistik-, Auslän- der- und Ausweisbehörden sowie Schul- und Gesund- heitsämtern wäre ohne die bereitgestellten Daten kaum vorstellbar . Besonders im Hinblick auf unsere Sicher- heitsbehörden wird deutlich, wie wichtig der schnelle und zuverlässige Austausch von Informationen ist . Ich werde nicht müde, dies immer wieder zu betonen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18171 (A) (C) (B) (D) Wir müssen in unserer Gesellschaft, die so abhängig von sensiblen Daten ist, aber auch unheimlich vorsichtig sein, wenn es um unsere persönlichsten Daten geht . Den Wandel mit dem Umgang unserer Daten kann man schon an einem einfachen Beispiel erkennen: Frü- her musste man im dörflichen, aber auch im städtischen Bereich viele Kilometer fahren, um dringend benötigte Dokumente zu beantragen . Heute ist das nicht mehr not- wendig . Wir haben heute die Möglichkeit, an fast jeder Verwaltungsstelle unsere Dokumente zu beantragen und abzuholen . Die Voraussetzung für ein solch modernes Meldewe- sen ist, dass wir mit einem einheitlichen System arbeiten und die Daten untereinander verständlich ausgetauscht werden können . Auch beim Datenaustausch war es bis- her oft problematisch . Nicht selten hat eine Behörde ein anderes System und ein anderes Datenformat benutzt als eine andere Behörde . Das hat zu unheimlichen Schwie- rigkeiten geführt . Verschiedene Systeme passen eben nicht aufeinander: Die Leidtragenden sind dann vor al- lem die Bürgerinnen und Bürger . Am Ende des vergangenen Jahres ist dann das Bun- desmeldegesetz in Kraft getreten . Das passierte ohne das große Buhei, das so oft bei anderen Themen gemacht wird, obwohl wir alle davon betroffen sind . Und das Thema geht jeden von uns an . Wir haben es uns trotzdem nicht leicht gemacht und haben bei diesem wichtigen Ge- setz lange um einen Kompromiss gerungen, weil wir die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen wollten . Gleichwohl müssen wir aber auch die Interessen der Unternehmen im Auge haben . Hier geht es selbstver- ständlich eher um die Wirtschaftlichkeit der verschiede- nen Arbeitsprozesse . Und natürlich haben auch die Ver- waltungen Interessen, an denen wir nicht vorbeigehen dürfen, wenn es darum geht, ein gutes Gesetz auf den Weg zu bringen . Wir haben also alle Betroffenen mit ins Boot genommen und alle Interessen berücksichtigt . Aber was wollen wir? Wir wollen viele der bestehen- den Abläufe vereinheitlichen, vereinfachen und digita- lisieren . Wir wollen einen hohen Standard, kurze Wege und ein modernes Meldegesetz schaffen . Dazu gehörte auch die Zusammenführung des Melderechtsrahmenge- setzes mit den Landesmeldegesetzen . Daten und Datenspeicherung, Schutzrechte, Melde- pflichten, Datenübermittlungen zwischen öffentlichen Stellen, Melderegisterauskünfte, Zeugenschutz und Ord- nungswidrigkeiten laufen nun unter einem bundesein- heitlichen Melderecht für alle Bürger . Dank der Einführung des Bundesmeldegesetzes sind wir unseren Zielen einen großen Schritt näher gekom- men . Wir haben sie noch nicht ganz erreicht, das sage ich ganz ehrlich . Aber wir sind auf dem richtigen Weg . Die Verfahrenswege für alle Beteiligten sind kürzer gewor- den, insbesondere für Bürgerinnen und Bürger . Hier ge- winnen wir Bürgernähe durch technische Entwicklung . Das Gleiche trifft auch auf die Meldebehörden zu . Diesen wird durch das Gesetz ermöglicht, effizienter miteinan- der zu kommunizieren. Profiteure sind die Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter sowie die Bürgerinnen und Bürger . Wir wollen die Entbürokratisierung für alle Beteiligten vorantreiben, um ihnen das Leben zu erleichtern . Und genau das schaffen wir mit diesem Gesetz . Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass das bisherige Bundesmeldegesetz noch durch weitere Rege- lungen vereinfacht werden kann: In Zukunft sorgen wir dafür, dass die Abmeldepflicht für Personen, die ins Aus- land ziehen, erleichtert wird . Der Vermieter, der bisher den Auszug seines Mieters schriftlich bestätigt hat, wird von dieser Mitwirkung befreit . Die Abmeldung in die- sem Fall kann elektronisch bei der Meldebehörde vom Mieter selbst unternommen werden . Das ist eine unheim- liche Erleichterung für die Vermieter, die nicht mehr dem Verzogenen hinterherlaufen müssen . Schon lange sind wir der Überzeugung, dass viele Abläufe und Abfragen auf elektronischem Wege erfolgen können . Dies ist ein richtungsweisender Schritt in eine sich stetig mehr di- gitalisierende Gesellschaft . Wir müssen dabei natürlich auch bedenken, dass die Wege sicher sein müssen . Dieser Grundsatz gilt: Wir müssen alles können, aber wir müs- sen nicht alles machen, nur weil wir es können . Sensible Daten müssen sensibel gehandhabt werden . Sicherheit hat hier den Vorrang vor der Einfachheit . Wir haben es aber jetzt geschafft, beide Aspekte zusammenzubringen . Das möchte ich an dieser Stelle betonen . Durch die Einführung der elektronischen Abmel- dung wird die jährliche Bearbeitungszeit um rund 100 000 Stunden reduziert . Um sich das mal konkret vor Augen zu führen, möchte ich Ihnen das anhand eines Beispiels verdeutlichen . Die Zahlen aus dem letzten Jahr haben gezeigt, dass es durchschnittlich 700 000 Auswan- derungen gab . Bei unserer Berechnung gehen wir davon aus, dass zwar nicht sofort alle von der elektronischen Ab- meldung Gebrauch machen, mit etwa der Hälfte können wir aber durchaus rechnen . Für den konkreten Einzelfall sieht das Ganze dann so aus: Bisher hat die Abmeldung einen Zeitaufwand von knapp 23 Minuten gekostet . Da- von fallen im Schnitt 15 Minuten auf die Wegezeit und weitere acht Minuten für die eigentliche Bearbeitungs- zeit an . Jetzt, da wir künftig die Möglichkeit der elek- tronischen Übermittlung haben, entfallen die Wegezeit und ein Teil der Bearbeitungszeit . Wir stimmen heute für ein standardisiertes Verfahren, das den gesamten Abmel- dungsprozess auf bis zu zwei Minuten verkürzt . Pro Fall sprechen wir also von einem entscheidenden Zeitgewinn von circa 21 Minuten . Mit unserer heutigen Entscheidung, auf die Mitwir- kungspflicht des Vermieters bei der Abmeldung zu ver- zichten, sparen wir knapp 1,184 Millionen Euro pro Jahr an Bürokratiekosten ein. Das ist der finanzielle Aspekt, nicht zu vergessen, dass die Vermieter und Mieter mit dieser Lösung vermutlich sehr zufrieden sein werden . Wir sorgen in Zukunft dafür, dass Behördengänge weiter vereinfacht werden . Deshalb wollen wir heute beschließen, dass die bisher allein zuständigen Landes- behörden andere Behörden für einfache Melderechtsaus- künfte bestimmen können . Wir sorgen in Zukunft dafür, dass das Geschlecht wieder in der Melderegisterauskunft eingeführt wird . In unserer vielfältigen Gesellschaft ist es Realität, dass Mel- debehörden zunehmend Schwierigkeiten haben, Namen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618172 (A) (C) (B) (D) unterschiedlichster Herkunft dem richtigen Geschlecht zuzuordnen . Die Ableitung des Geschlechtes aufgrund des Namens ist in vielen Fällen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich und deshalb in den Datenbanken häufig falsch hinterlegt. Jeder von uns kennt doch eine Joyce oder einen Joyce, eine Jules oder einen Jules, eine Robin oder einen Robin . Es gibt dafür ja sogar einen schönen Ausdruck: Unisex-Namen . Selbst mein Mitarbeiter aus Dortmund, er heißt Salih, wird oft als Frau angeschrieben . Aus diesem ganz pragmatischen Grund soll das Geschlecht wieder als Suchmerkmal in den Datenbanken eingeführt werden . Das Thema der inneren Sicherheit habe ich bereits angesprochen und betone noch einmal: Das Bundes- meldegesetz ist ein weiteres Mittel in einem Strauß von vielen Möglichkeiten . Das Meldewesen gewinnt auch im Sicherheitsbereich immer mehr an Bedeutung . Gerne er- innere ich an dieser Stelle an die richtige Entscheidung, den Ersatz-Personalausweis einzuführen . Er verhindert die Ausreise von Personen, die unsere innere und äußere Sicherheit durch die Vorbereitung von schweren Gewalt- taten in Terrorcamps im Ausland gefährden . Die Ausrei- se war damals für Gefährder trotz Passentzug mit ihrem Personalausweis möglich . Der Ersatz-Personalausweis hat das nahezu unmöglich gemacht . Für unsere Sicher- heit ist es unerlässlich, dass die Information über den Reisepassentzug und die Ausstellung des Ersatz-Perso- nalausweises im Meldewesen hinterlegt ist . Eine weitere Anpassung des Bundesmeldegesetzes ist durch die Einführung der doppelten Staatsbürger- schaft notwendig geworden . Kinder ausländischer Eltern können durch die Geburt hier in Deutschland die deut- sche Staatsangehörigkeit erwerben . Für sie entfällt die Optionspflicht. Die Standesämter übermitteln den Mel- debehörden den Erwerb dieses Ius-Soli-Titels . Für die Durchführung des Optionsverfahrens müssen die Melde- behörden und die Staatsangehörigkeitsbehörden zusam- menarbeiten und die Möglichkeit haben, sich bestimmte Daten zu übermitteln . Sie haben nun die Möglichkeit, die Angaben zur Staatsangehörigkeit der gemeldeten Perso- nen zu prüfen . Die Änderung des Bundesmeldegesetzes ist vernünf- tig, notwendig und gelungen . Aus diesem Grunde bitte ich um Ihre Zustimmung . Gabriele Fograscher (SPD): Der 28 . Juni 2012 war, genau wie heute, der Donnerstag der letzten Sitzungswo- che vor der Sommerpause . Am 28. Juni 2012 fand das Halbfinale der Fußball-Eu- ropameisterschaft statt, in dem Deutschland auf Italien traf . Auch heute spielt Deutschland wieder im Europa- meisterschaftshalbfinale, diesmal gegen Frankreich. Am 28 . Juni 2012 stand die 2 ./3 . Lesung des Bundes- meldegesetzes auf der Tagesordnung des Plenums, genau wie heute . Damals ging es um eine große Reform . Meine Frak- tion und ich hatten bereits vor der abschließenden Be- ratung vor der Verschlechterung des Datenschutzes ge- warnt . Die damals schwarz-gelbe Bundesregierung hat das nicht interessiert und das Gesetz mit ihrer Mehrheit, die damals aufgrund des Fußballspiels aus wenigen Ab- geordneten bestand, verabschiedet . Ergebnis: Das Gesetz landete im Vermittlungsausschuss . Was war passiert? In letzter Minute hat die damalige schwarz-gelbe Regierungskoalition einen Änderungsan- trag im Innenausschuss vorgelegt, der die positiven An- sätze des ursprünglichen Gesetzentwurfes ins Gegenteil verkehrte . Auch wenn das Melderecht ein sehr technisches Ge- setz ist, so kommt jede Bürgerin und jeder Bürger mehr- fach in seinem Leben damit in Berührung . Das Melderecht verpflichtet jeden Bürger und jede Bürgerin, bestimmte Daten an die Meldebehörden zu ge- ben . Dazu gehören der Familienname, frühere Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Geburtsort, Staatsangehö- rigkeit, Adresse und andere Daten . Die Bürgerinnen und Bürger müssen sicher sein, dass ihre Daten bei den Meldebehörden gut und sicher aufge- hoben sind und nicht unbegründet an Dritte weitergege- ben, dort gespeichert und gegebenenfalls weiterverwen- det werden . Mit dem damaligen Änderungsantrag wurden hin- sichtlich der Verwendung von Daten aus Melderegis- terauskünften die geplanten Regelungen zur Zweckbin- dung sowie zum Widerspruch gegen die Verwendung für Werbung und Adresshandel völlig ausgehebelt . Es wurde eine Einwilligungslösung durchgesetzt, die dann aber auf Druck der SPD im Vermittlungsausschuss wieder rück- gängig gemacht wurde . Wir als Gesetzgeber und als Staat müssen besonders sensibel mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger um- gehen . Wir sollten sie besonders sicher verwenden . Wir sollten sorgsam mit ihnen umgehen . Wir dürfen eine Weitergabe nur dann zulassen, wenn sie notwendig und ausreichend begründet ist . Die Bürgerinnen und Bürger vertrauen auf einen sensiblen Umgang mit ihren Daten und können das auch vom Staat erwarten . Deshalb war und ist es richtig, dass die von schwarz- gelb gewollte Aufweichung des Datenschutzes nicht in Kraft getreten ist . Heute geht es um wenige Änderungen und Anpassun- gen im Melderecht . Nachdem 16 unterschiedliche Melderechte aus den Bundesländern zusammengeführt wurden, trat das Bun- desmeldegesetz zum 1 . November 2015 in Kraft . Nun hat die Praxis gezeigt, dass an einigen Stellen nachjustiert werden muss . Die Bestätigung des Wohnungsgebers bei Auszug wird abgeschafft, und die Abmeldung beim Umzug ins Ausland kann elektronisch erfolgen . Des Weiteren vollziehen wir inzwischen erfolgte Ge- setzesänderungen im Melderecht nach . Die Einführung des Ersatzpersonalausweises im Personalausweisgesetz und die Neuregelung der Optionspflicht im Staatsange- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18173 (A) (C) (B) (D) hörigkeitsrecht müssen auch im Melderecht umgesetzt werden . Für die Länder wird es möglich, nicht nur die oberste Landesbehörde, sondern auch eine andere Behörde als Zulassungsbehörde für privatrechtlich betriebene Porta- le zur Durchführung einfacher Melderegisterauskünfte über das Internet zu bestimmen . Das Bundesamt für Justiz soll in den Katalog der Be- hörden des § 34 Absatz 4 Satz 1 aufgenommen werden, die grundsätzlich Daten bei den Meldebehörden zur Er- füllung ihrer Aufgaben abfragen können . Das Datum „Geschlecht“ wird als zusätzliches Datum bei der Registrierung festgelegt . Der Grund dafür ist, dass es aufgrund der steigenden Anzahl ausländischer Namen immer schwieriger ist, das Geschlecht des Mel- depflichtigen zu erkennen. Ich hatte bei dieser Änderung Nachteile für Transse- xuelle befürchtet . Doch es ändert sich rechtlich nichts für diese Personengruppe . Wegen der bestehenden Aus- kunftssperren wird über diese Personen bereits jetzt und auch in Zukunft keine automatisierte Behördenauskunft gemäß § 38 BMG erteilt . Nur soweit wegen besonderer Gründe des öffentlichen Interesses eine Offenlegung erforderlich ist, kann im manuellen Verfahren Auskunft über das Geschlecht erteilt werden . Damit wird dem be- sonderen Schutzbedarf Rechnung getragen . Mit dem Änderungsantrag, den wir als Koalitions- fraktionen in die Ausschussberatung eingebracht haben, werden Anregungen des Bundesrates aufgegriffen und umgesetzt . Bei der erweiterten Meldebescheinigung nach § 18 Absatz 2 BMG kann die betroffene Person die zu be- scheinigenden Daten grundsätzlich selbst auswählen . Die Änderung zu § 49 Absatz 4 BMG konkretisiert die Voraussetzungen für die Erteilung einer automatisierten Melderegisterauskunft . Geschlecht und Familienstand werden nicht als Identifizierungsdaten anerkannt. Diese Änderung soll zum 1 . Mai 2017 in Kraft treten . Wir halten diese Ergänzungen für praktikabel, und sie gestalten das Bundesmeldegesetz bürgerfreundlicher . Ich bitte um Zustimmung . Jan Korte (DIE LINKE): Einmal ist etwas mehr als ein halbes Jahr nötig, dieses Gesetz erneut nachzubes- sern . Wenn Sie Ihr damaliges Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens handwerklich vernünftig gemacht hät- ten, hätten Sie uns allen sehr geholfen . Aber gegen Ände- rungen und tatsächliche Verbesserungen haben weder ich noch meine Fraktion etwas einzuwenden . Nur das, was Sie hier vorgelegt haben, ist leider auch nur wieder ein Rumdoktern und geht überhaupt nicht weit genug . An- statt die Mitwirkungspflichten der Vermieter bei An- und Abmeldung in § 19 in Gänze zu streichen, sieht Ihr Ge- setzentwurf nur die Streichung der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers vor, wenn der Mieter ins Ausland verzieht . Warum nur dann? Warum nicht auch bei der Anmeldung oder dem Auszug im Inland? Die unverhältnismäßige Hotelmeldepflicht, die nichts anderes als eine umfangreiche, verdachtslose Datenerhe- bung auf Vorrat ist, wird erst gar nicht angetastet, und das, obwohl nach wie vor nicht erkennbar ist, was diese Meldepflicht bringt, außer unbeachtete Datenbergen bei den Meldebehörden . Stattdessen soll bei der automati- sierten Melderegisterauskunft das Geschlecht wieder als Suchkriterium aufgenommen werden . Während überall auf der Welt darüber nachgedacht wird, das Geschlecht aus Datenerhebungen und sogar aus Ausweisdokumen- ten zu streichen, soll es hierzulande nach kürzester Zeit erneut eingeführt werden . Das könnte man vielleicht noch unter kurios abbuchen, aber leider konnte mir nie- mand auch nur halbwegs nachvollziehbar begründen, warum dies nun passiert . Und leider haben wir auch heute wieder nicht die Möglichkeit zu einer echten Debatte, sonst könnten Sie mir vielleicht folgende Fragen beantworten: Warum hat sich im letzten Jahr bei der automatisierten Melderegis- terauskunft nach § 38 Absatz 1 BMG die Erteilungsquo- te deutlich verschlechtert, weil die abfragenden Stellen das Geschlecht nicht angeben dürfen? Sie begründen das damit, dass bei ausländischen Namen die Rücklaufquote sonst niedriger sei als erwünscht . Wenn wir eine echte Debatte hätten, könnten Sie mir vielleicht sagen, in wel- cher Höhe sich die Rücklaufquote bzw . die Fehlquote so bewegen, bezogen auf deutsche bzw . europäische und nichteuropäische Vornamen, und ob hier nicht das größe- re Problem die unterschiedliche Transkription arabischer Namen wäre . Im Vorblatt des Gesetzentwurfes heißt es etwas ne- bulös: Die „Ableitung des Geschlechts des Meldepflich- tigen aus ausländischen Vornamen“ sei „nicht immer eindeutig möglich“ . In der Begründung wird darauf verwiesen, dass das Geschlecht als Merkmal weiterhin nur abgerufen werden dürfe, wenn es erforderlich sei, beispielsweise bei „geschlechtsspezifischen Schutzmaß- nahmen“, und die Aufgabenerfüllung ohne Kenntnis des Geschlechts unmöglich oder wesentlich erschwert wäre . Das verstehe ich nicht, denn an sämtliche Sicherheitsbe- hörden darf ja ohnehin auch im automatisierten Verfah- ren das Geschlecht beauskunftet werden (§ 38 Absatz 3) . Es wäre schön gewesen in den Beratungen von Ihnen vielleicht mal ein Beispiel für typische Fallkonstellatio- nen zu erfahren . Mit dem Änderungsantrag werden Vorschläge des Bundesrates aufgenommen, die zum einen eine selbst ge- wählte Auswahl der erweiterten Melderegisterauskunft für die Vorlage bei anderen öffentlichen Stellen oder im privaten Bereich ermöglicht und zum anderen die auto- matisierte Abfrage von Melderegisterauskünften so ge- staltet, dass eine massenhafte Ausforschung von Daten verhindert werden soll . Das ist positiv, genauso wie der Punkt, dass der bedingte Sperrvermerk nicht allein für Personen, sondern auch für Adressen gelten soll . Diese Punkte sind vernünftig . Aber meiner Fraktion reichen diese wenigen Änderungen eben nicht aus . Wir werden uns daher enthalten und hoffen, dass das Bundes- meldegesetz bei der nächsten Änderung gründlich und nach bürgerrechtlichen Kriterien reformiert wird . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618174 (A) (C) (B) (D) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Melderecht erreichte 2012 politische Skan- dalhöhe, als die schwarz-gelbe Koalition vor nahezu lee- ren Rängen zeitgleich zu einem WM-Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft versuchte, klammheimlich die weitgehende Kommerzialisierung wichtiger Teile der behördlichen Meldedatenbestände für die deutsche Wirt- schaft durchzuwinken . Es war und bleibt bemerkenswert töricht, dass eine vormals in überwiegend föderaler Verantwortung be- handelte Materie damals auf solche Weise im Bundestag missachtet wurde . Heute laufen wir mit der Reform des Melderechts erneut parallel zu einem Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft . Auch wenn der vorliegen- de Entwurf keine mit 2012 vergleichbaren Regelungen enthält, ist diese Parallelität schon erstaunlich . Wir Grüne waren es, die damals im Vermittlungsver- fahren des Bundesrates dafür gesorgt haben, dass statt der bloßen Widerspruchslösung wieder eine die Interes- sen der Bürgerinnen und Bürger wahrende Lösung, näm- lich die Einwilligungslösung, ins Gesetz kam . Der Vorgang damals sollte uns alle gelehrt haben, dass Entscheidungen zum Melderecht von datenschutzpoli- tisch großer Tragweite sein können . Es sollte eigentlich allen die Augen dafür geöffnet haben, welche Spreng- kraft der fehlgeleitete Umgang mit Datenbeständen ha- ben kann, welche gleich die Gesamtheit der über 80 Mil- lionen Bundesbürgerinnen und Bürger betreffen . Die Begehrlichkeiten nahezu aller Ressorts, ihre Vor- haben, Behörden und Projekte mit dem Datenbestand der Landesmelderegister zu verkoppeln, wirft schwierigste datenschutzrechtliche Fragen auf . Verfassungsrechtlich sind wir seit dem Volkszählungsurteil und zu Recht ge- bunden, kein nationales Bevölkerungsregister zu errich- ten . Doch mit der – ich betone – dringend notwendigen und von allen Merkel-Regierungen bislang weitgehend verschlafenen Digitalisierung der Verwaltung verwirkli- chen sich die Risiken für Persönlichkeitsrechte und Da- tenschutz in undifferenzierten Vernetzungen und nicht hinreichend bestimmten Befugnissen im Umgang mit den zunehmend verkoppelten Datenbeständen . Gegen unseren Widerstand und unsere Stimmen nahm die letzte Merkel-Regierung in der Reform von 2013 weitere sowohl bürokratische als auch die Rechte der Bürgerinnen und Bürger missachtende Regelungen in das Melderecht auf . Hervorzuheben sind etwa die Hotelmel- depflicht sowie die Mitwirkungspflicht des Vermieters bei An- und Abmeldung von Mieterinnen und Mietern . Um eines noch einmal klar zu sagen: Wir leugnen nicht, dass das Melderecht eine immer größere Bedeu- tung für die Informationsordnung gewonnen hat, nicht allein für die Verwaltung, sondern auch für die Wirt- schaft . Man muss das Bundesmelderecht nicht gleich zum informationellen Rückgrat einer modernen bürgero- rientierten Verwaltung stilisieren: Der damit geschaffene Eindruck ist ja auch aus den oben genannten Gründen verfassungsrechtlich fragwürdig . Denn es bleibt dabei, dass unsere Verwaltung grundsätzlich einer informatio- nellen Gewaltenteilung unterliegt . Gleichwohl müssen wir die gewachsene Anzahl der Zugriffsmöglichkeiten und damit der Vernetzung der Meldedatenbestände mit anderen öffentlichen Stellen und Entscheidungsprozessen anerkennen und deren Nut- zung in die notwendigen gesetzgeberischen Abwägungen einbeziehen . Ein aktuelles Beispiel sind die umfangrei- chen Abruf- und Einmeldemöglichkeiten seitens aller mit Flüchtlingsfragen befassten Behörden nach dem so- genannten Datenaustauschverbesserungsgesetz . Während dieses Gesetz aus rein datenschutzpolitischer Sicht eine ganze Reihe fragwürdiger Regelungen enthält, zeigt sie doch zugleich auch die Bedeutung des Melde- datensystems. Die mithilfe der Auskunftspflicht von Bür- gerinnen und Bürgern gewonnenen Meldedaten werden genutzt, um sehr unterschiedliche staatliche Aufgaben zu erleichtern, zu optimieren und zu ermöglichen . Durch die Vernetzung der Behörden wird es möglich, Aufgaben zu erledigen, ohne die betroffenen Bürgerinnen und Bürger für die Durchführung der jeweiligen Aufgaben erneut in Anspruch nehmen zu müssen. Diese Effizienz, Kos- teneinsparung und Bürgerfreundlichkeit ist natürlich ein Riesengewinn, der mittlerweile von vielen als selbstver- ständlich erachtet wird und beispielsweise im Umgang mit den zu uns Geflüchteten auch einen wichtigen Faktor darstellt, um eine rasche Integration zu ermöglichen . Gleichwohl kann und wird es mit dem Melderecht auch zukünftig keinen multifunktionalen Informations- pool geben dürfen, bei dem sich die Behörden oder auch die Wirtschaft nach Belieben und weitgehend ohne Be- teiligung der Betroffenen selbst bedienen können . Doch zurück zum heute vorliegenden Gesetzentwurf: Die Hotelmeldepflicht ist ein Element unnötiger Verpoli- zeilichung des Melderechts . Für ihre Erforderlichkeit im verfassungsrechtlich gebotenen Sinne ist nichts dargetan, sie war jahrelang durch Rot-Grün zutreffend abgeschafft, ihre Wiedereinführung 2013 war unnötig . Wir bedauern, dass sie auch in dieser Reform durch die Große Koalition nicht zurückgenommen wird . Diese Rücknahme wäre die Mindestvoraussetzung dafür, dass die Große Koalition heute ihren Entwurf als Entbürokratisierung bezeichnen dürfte . Bei der Abschaffung der persönlichen Pflicht zur Ab- meldung bei Wegzug ins Ausland hat die Große Koaliti- on dagegen wohl einen Schritt in die richtige Richtung getan . Sie sollten sich dafür jedoch nicht allzu sehr abfei- ern, denn die Pflicht bleibt ja im Grundsatz bestehen, sie kann nur zukünftig elektronisch erfolgen . Angesichts der fehlenden Akzeptanz und der unzureichenden Unterstüt- zung der Bürgerinnen und Bürger bei der Nutzung ent- sprechender Möglichkeiten wie De-Mail oder des elek- tronischen Personalausweises – also überwiegend der Versäumnisse der Merkel-Vorgängerregierungen beim E-Government – dürfte sich der Ertrag dieser Regelung in engen Grenzen halten . Noch schlimmer sieht es bei der Mitwirkungspflicht des Vermieters bei An- und Abmeldungen aus: Weil die letzte Merkel-Reform des Melderechts aufgrund der lan- gen Umsetzungsfrist von zwei Jahren – die technischen Möglichkeiten in Bund und Land waren der Grund – erst im vergangenen Jahr in Kraft trat, haben wir für die heute Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18175 (A) (C) (B) (D) zu beschließende Abschaffung der Vermieterbestätigung der Abmeldung eine gesetzliche Regelung, die lediglich wenige Monate Lebensdauer erreichte . Wir haben Sie da- mals deutlich davor gewarnt, die 2002 abgeschaffte Mit- wirkungspflicht der Vermieter wieder einzuführen. Auch die SPD hat übrigens noch bis 2013 in der letzten Reform davor gewarnt . Doch die höhere Einsicht und Lernfähig- keit, auf die Kollege Krings uns zur Begründung im In- nenausschuss verwies, bleibt leider lückenhaft . Wie sonst ist es zu erklären, dass die Mitwirkungs- pflicht der Vermieter weiterhin, und zwar für die An- meldung, gilt? Diese von Bürokratie und Misstrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen geprägte Regelung ist überflüssig, sie verhindert auch keine Scheinanmeldungen, den Nachweis entsprechen- der Wirkungen bleiben sie ohnehin schuldig . Wir fordern Sie daher auf, ihre halbe Rolle rückwärts zu vervollstän- digen . Gegen viele der Einzelregelungen in diesem Gesetz- entwurf, das möchten wir betonen, bleibt im Einzelnen wenig einzuwenden . Wir begrüßen es vielmehr, dass die Vorschläge des Bundesrates aufgenommen werden, wie etwa bei der Erteilung der Meldebescheinigung oder bei der Melderegisterauskunft, die tatsächlich auch die In- teressen der Bürgerinnen und Bürger im ausgewogenen Blick behalten . Nicht zuletzt deswegen lehnen wir den vorliegenden Gesetzentwurf auch nicht in Gänze ab . Zentral bleibt hingegen aus unserer Sicht, die Betei- ligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger im Rahmen des Melderechts zu betonen und damit stets auch ein wenig bekannter zu machen . Lassen Sie uns, gemeinsam mit den übrigens auch von der Bundesregierung in voller Absicht und seit Jah- ren völlig unterbesetzt gehaltenen Datenschutzbehörden die Bürgerinnen und Bürger auf ihre eigenen Betroffe- nenrechte und Gestaltungsmöglichkeiten im Melderecht immer wieder hinweisen . Nur so können sie weiterhin Widerspruchsrechte geltend machen und sich gegen die ungewünschte Zusendung von Wahlwerbebriefen oder gegen die Adressweitergabe an Adressbuchverlage weh- ren . Es ist richtig und wichtig, dass die Weitergabe von Meldedaten für Zwecke der Werbung oder des Adress- handels weiterhin nur mit Einwilligung möglich ist . Eine solche Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden . Schließlich können alle Bürgerinnen und Bürger im Rah- men einer gebührenfreien Selbstauskunft gegenüber der Meldebehörde erfahren, welche Daten über sie konkret gespeichert sind, woher diese Daten stammen und wer die Empfänger regelmäßiger Datenübermittlungen sind . Auch die Nutzung dieser Betroffenenrechte trägt mit dazu bei, dass die Melderegister auch zukünftig keine uferlosen Allzweckdatenbanken werden . Unsere Informationsordnung und damit auch die Verwaltung werden sich in den nächsten Jahren weiter massiv verändern . Das Element des Melderechts in sei- nem Verhältnis und im Kontext zu anderen vernetzten Datenbeständen muss zum Schutz der Grundrechte und der informationellen Selbstbestimmung daher weiterhin einer besonderen Beobachtungspflicht unseres Hauses unterliegen – das gilt natürlich gänzlich unabhängig von EM-Spielplänen . Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäu- bungsmittelrechtlicher und anderer Vorschrif- ten – des Antrags der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Michael Hennrich (CDU/CSU): Heute debattieren wir im Rahmen des zugrundeliegenden Gesetzes über Änderungen im Betäubungsmittelgesetz, in der Betäu- bungsmittel-Verschreibungsverordnung und in der Be- täubungsmittel-Außenhandelsverordnung . Mit dem Entwurf der Bundesregierung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften soll die betäubungsmittelrechtliche Verkehrs- und Ver- schreibungsfähigkeit von weiteren Cannabisarzneimit- teln, wie getrockneten Blüten und Extrakten, in standar- disierter Qualität geschaffen werden . Denn es gibt leider eine Vielzahl von Patientinnen und Patienten mit schwer- wiegenden Erkrankungen, denen nach entsprechender Indikationsstellung Therapiealternativen zur Behandlung fehlen . Für diese und nur für diese Patienten wollen wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändern, um ihnen durch den qualitätsgesicherten und gleichsam le- galen Zugang zu medizinischen Cannabisarzneimitteln Therapiealternativen zu ermöglichen . Für eine angemessene und ausreichende Versorgung dieser Patienten mit derartigen Arzneimitteln soll der Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken grund- sätzlich ermöglicht werden . Dazu soll im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine so- genannte Cannabisagentur eingerichtet werden, die den voraussichtlichen Bedarf an Medizinalhanf ausschreibt, Verträge über die Belieferung an Anbauer vergibt und die gesamte Ernte erwirbt . Die Anbauer werden dabei selbst- verständlich verpflichtet, die gesamte Ernte abzuliefern. Die von Bundesgesundheitsminister Gröhe vorge- schlagene Änderung des Betäubungsmittelrechts ist da- bei der richtige Weg . Denn wir wollen einen sicheren und kontrollierten Zugang der Betroffenen unter staatlicher Kontrolle . Eine umfassende Kontrolle des Anbaus und der Erwerbskette setze ich voraus . Alle Beteiligten wer- den die betäubungsmittel- und arzneimittelrechtlichen Vorschriften einhalten . Zudem wollen wir nicht, dass mit etwaigen Abfallprodukten wie auch mit den angebauten Erzeugnissen selbst illegaler Handel betrieben werden kann . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618176 (A) (C) (B) (D) Des Weiteren ist geplant, für gesetzlich Versicherte in eng begrenzten Fällen einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten, Extrak- ten und Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon zu schaffen . Die Krankenkassen werden für diese Fälle künftig die anfallenden Kosten überneh- men . Dadurch wird kein Patient, der darauf angewiesen ist bzw . für den Cannabisarzneimittel eine wichtige bzw . alternativlose Therapieoption darstellen und dieses indi- ziert worden ist, mehr in die Illegalität gedrängt . Bis Ende 2018 soll dann auch mit der Leistungsüber- nahme durch Krankenkassen eine Teilnahme des Patien- ten an einer entsprechenden Begleitforschung gekoppelt sein, um die Erforschung der Wirksamkeit von Cannabis zu medizinischen Zwecken voranzubringen und wichtige Evidenz zu generieren . Mit den geplanten Maßnahmen wird gleichzeitig ein nicht zielführender Eigenanbau von Cannabis zur Selbst- therapie vermieden . Denn der von Grünen und Linken propagierte Eigenanbau ist wegen der Unbestimmbarkeit des THC-Gehalts gefährlich und aus unserer Sicht ein Einfallstor für den Cannabismissbrauch . Somit erfolgt auch eine deutliche Trennung des wei- terhin verbotenen und sanktionierten Umgangs mit Can- nabis zu Genuss- und Rauschzwecken auf der einen und einer zukünftig ausschließlich erlaubten medizinisch-the- rapeutischen Anwendung von Cannabis auf der anderen Seite . Denn Cannabis ist und bleibt eine Substanz, die bei falscher Anwendung nicht nur berauschend wirken kann, sondern auch erhebliche Gefahren birgt und bei der oftmals die Risiken durch die Konsumenten unterschätzt werden . Und hier, verehrte Kollegen von den Grünen und Lin- ken, bitte ich doch darum, die pharmakologische Thera- pie und Zulassung eines Arzneimittels nicht ideologisch zu vermengen mit einem wie auch immer formulierten Grundrecht auf Cannabiskonsum oder der Vorenthaltung eines Medikaments durch die oben beschriebenen Vo- raussetzungen . Würden wir hier von einem herkömmli- chen chemisch erzeugten Arzneimittel sprechen, würden Sie die Forderung, dass es jeder in heimischer Küche nachmischen dürfen solle, ja vermutlich auch nicht stel- len . Wir gehen diese Thematik ganz nüchtern an, wie bei jedem anderen Medikament auch, bei dem Zulassung, Herstellung, In-Vertrieb-Bringen und Verordnung klaren Regeln unterworfen sind . Der Vorteil für die Patientinnen und Patienten liegt auf der Hand; denn die bisher erforderliche Beantra- gung patientenindividueller Ausnahmeerlaubnisse beim BfArM zum Erwerb von Cannabisblüten und -extrakten aus Apotheken wird entbehrlich und die Kosten werden regelmäßig erstattet . Zudem erhöhen wir die Arzneimit- telsicherheit, da der Zugang für die genannten Gruppen erleichtert wird und sich niemand mehr illegal angebau- te Produkte mit nicht klar dosierbarem THC-Gehalt und ohne ärztliche Aufsicht zuführen braucht . Und mit diesem Gesetzentwurf begegnen wir endlich der Kritik der Legalisierungsbefürworter, welche die positiven Wirkungen von Cannabis gebetsmühlenartig wiederholen und das Argument der medizinisch darauf angewiesenen Patienten wie eine Monstranz vor sich hertragen . Denn genau dieser einzig positive Aspekt der Substanz THC bzw . Cannabis wird damit gesetzlich ge- regelt, und alle anderen Verwendungsmöglichkeiten kön- nen damit eindeutig dem Drogenmissbrauch zugeordnet werden . Ich hoffe, dass wir durch diese klar strukturierte Regulierung die Debatte in diesem Punkt versachlichen können, und bin gleichsam froh, dass wir Patienten und Patientinnen, für die Cannabisarzneimittel wirklich eine wichtige Therapiealternative und Erleichterung ihres Le- bens bedeuten, helfen können . Marlene Mortler (CDU/CSU): Was wir auf internati- onalem Parkett fordern, das gilt selbstverständlich auch bei uns zu Hause: Im Mittelpunkt der Drogenpolitik der Bundesregierung stehen nicht Zeitgeist, Vorurteile oder Ideologien . Worum es uns geht, das ist der Mensch und seine Gesundheit! Die Gesundheit der Menschen ist der Dreh- und Angelpunkt unserer Cannabispolitik . Genau deshalb sage ich „Nein“ zum Freizeitkonsum von Can- nabis . Es gibt keinen Grund, der Freizeitdroge Cannabis die Absolution zu erteilen . Es gibt nur eine Gesundheit . Dass auch andere Sub- stanzen gesundheitsschädlich sind, ist kein Argument gegen, sondern ein Argument für einen streng geregelten und kontrollierten Umgang mit Cannabis . Viel zu viele Menschen greifen bereits jetzt zum Joint – trotz der be- kannten gesundheitlichen Risiken, trotz des Verbots . Die WHO hat gerade in einer Metastudie den For- schungsstand zu Cannabis zusammengetragen . Das Er- gebnis: Der Konsum der Droge Cannabis kann zu einem Rückzug aus dem alltäglichen Leben, zu Depressionen, zu Psychosen und Wahnvorstellungen ganz besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen führen . Und wir wissen: Dort, wo Erwachsene legal an Can- nabis als Genussmittel kommen, steigt auch der Konsum unter Jugendlichen . Also: Keine Legalisierung zu Frei- zeitzwecken! Cannabis hat jedoch zwei Seiten . Es ist eine Subs- tanz, die Menschen auch helfen kann . Cannabis ist ein Betäubungsmittel, das – um es in der Fachsprache zu sagen – auch über ein medizinisch-therapeutisches Po- tenzial verfügt . Den Menschen und seine Gesundheit in den Mittelpunkt zu stellen, heißt deshalb für mich auch, den Zugang zu Cannabis für all diejenigen zu erleichtern, denen Cannabis – und kein anderes Medikament – anhal- tend helfen kann . Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzent- wurf sieht deshalb vor, dass Ärztinnen und Ärzte künftig Cannabis an schwer erkrankte Patientinnen und Patien- ten verschreiben dürfen, und zwar – das ist für mich von entscheidender Bedeutung – Cannabis, das wie andere Medikamente und Medizinprodukte qualitätsgeprüft ist . Der Gesetzentwurf sieht unter bestimmten Voraus- setzungen auch eine Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen vor . Verschreibbar, qualitätsgeprüft und erstattungsfähig – um diesen Dreiklang geht es . Und dieser Dreiklang ist ein großer Schritt nach vorn . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18177 (A) (C) (B) (D) Es ist ja nicht so, dass Patientinnen und Patienten heu- te gar nicht an Cannabis kämen . Doch sind die Hürden viel zu hoch . Heute ist Cannabis in Form getrockneter Blüten nur mit einer Ausnahmeerlaubnis des Bundesin- stituts für Arzneimittel und Medizinprodukte erhältlich . Bisher hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi- zinprodukte 780 Patientinnen und Patienten eine entspre- chende Ausnahmeerlaubnis erteilt . Das Problem, auf das auch ich immer wieder von Be- troffenen angesprochen wurde, sind die hohen Kosten: 500, zum Teil auch 1 000 Euro im Monat für medizi- nischen Cannabis sind für einen schwerkranken Patien- ten einfach zu viel: Eben dies müssen wir im Interesse schwerkranker Menschen ändern, die in ihrer Not keine Alternative sehen und denen Cannabis – dies ist eben- falls wichtig – auch nach Einschätzung der behandelnden Ärzte wirklich helfen kann . Für eine Cannabispolitik, die den Menschen und seine Gesundheit in den Mittelpunkt stellt, hat sich Minister Gröhe, dem ich für seinen Mut und sein Engagement in dieser Sache sehr herzlich danke, von Beginn dieser Le- gislaturperiode an eingesetzt . Ich bitte Sie alle um eine wohlwollende Beratung und eine schnelle Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes . Und noch etwas: Ich bitte Sie alle, diese Beratungen nicht für Grundsatzdiskussionen über Cannabis zu nut- zen . Worum es hier geht, ist schnelle und wirksame Hilfe für Menschen in Not, die allesamt hoffen, dass das Ge- setz „Cannabis als Medizin“ besser heute als morgen in Kraft treten kann . Burkhard Blienert (SPD): Mit dem heutigen Gesetz- entwurf folgt die Bundesregierung der aktuellen Recht- sprechung . Die Gerichte hatten bekanntermaßen den Gesetzgeber quasi zum Handeln genötigt . Eine gefühlte Ewigkeit hat es für viele Betroffene gedauert, bis nun nach der Ankündigung der Drogenbeauftragten endlich der Gesetzentwurf vorliegt . Nun hat der Gesetzentwurf das Parlament erreicht . Mit ihm soll gewährleistet wer- den, dass Patienten, die auf die Heilkräfte der Hanfpflan- ze angewiesen sind, endlich diese Arznei unter bestimm- ten Aspekten verschrieben und erstattet bekommen . Wir vollziehen somit einen wichtigen und richtigen Schritt . Allerdings, und das darf nicht verschwiegen werden: Ein wesentlicher Knackpunkt bei Cannabis als Medizin besteht natürlich darin, dass uns viele Studien zur Wirkungsweise und möglichen Anwendungsgebieten noch nicht vollumfänglich vorliegen . Es fehlt in man- chen Bereichen die Evidenz . Hier haben wir einen klaren Nachholbedarf . Ich bin an dieser Stelle aber froh, dass das Ministerium mittlerwei- le Abstand von seinen ersten Überlegungen genommen hat, eine verpflichtende Begleitforschung im Gesetz zu verankern . Sie sollte ursprünglich ja die Bedingung für die Kostenerstattung sein . Die jetzt im Gesetzentwurf vorgesehene anonymisierte Begleiterhebung sehe ich als gangbaren Weg, mehr Evidenz zu erhalten, ohne Patien- ten zu Versuchskaninchen zu machen . In Hinblick auf die bald beginnenden Haushaltsberatungen sollten wir allerdings prüfen, ob die für die Erhebung angedachten Mittel ausreichend sind; aber dies werden wir an ande- rer Stelle nochmals thematisieren müssen . Wir sollten zu Cannabis als Medizin unbedingt Grundlagenforschung finanzieren! Mit diesem Gesetzgebungsverfahren wird sich nun jedenfalls endlich auf die Erkenntnisse jahrhundertealter Erfahrungen besonnen. Die Heilkräfte der Hanfpflanze sind schon seit der Frühgeschichte bekannt, in unserer Gesellschaft aber als Medizin weitestgehend außen vor gelassen worden . Aktuell darf Cannabis nur in sehr engen Grenzen ver- schrieben werden, erstattet wird der Medizinalhanf nur in wenigen Fällen bei Fertigarzneien . De facto existieren rund 779 Sondergenehmigungen, die im Wesentlichen bei fünf Diagnosen, wie chronischen Schmerzen, multi- pler Sklerose, Tourette-Syndrom, depressiven Störungen und ADHS, eine Verschreibung von Cannabisblüten er- lauben . Und das vor dem Hintergrund, dass Experten da- rauf immer wieder hinweisen, dass der Einsatz von Can- nabis als Medizin zwar kein Wundermittel ist, aber doch einer weitaus größeren Personenanzahl helfen würde . Deutschland betritt somit im Jahre 2016 mit der Ein- bringung dieses Gesetzentwurfes auf dem Gebiet der Cannabismedizin für sich gesprochen Neuland . Nun- mehr soll ein Suchtstoff, der als Genussmittel illegal ist und dessen Anbau, Vertrieb und Besitz aktuell laut Be- täubungsmittelrecht strafrechtlich sanktioniert wird, als Medizin unter bestimmten Aspekten legalisiert werden . Zentrale Herausforderung ist somit: Wie können die Beschaffung und der Vertrieb realisiert und organisiert werden? Natürlich gibt es auf dem Markt ausreichend Interes- senten, die nur auf das finale Go warten und sofort mit der Cannabisproduktion in Deutschland starten wollen . Nach internationalen Abkommen bedarf es allerdings ei- ner staatlichen Koordinierung . Die Beschaffung und der Vertrieb sollen daher nun über eine sogenannte Cannabisagentur, die dem BfArM angegliedert ist, erfolgen; der Eigenanbau damit verhin- dert werden . So weit, so gut . Es besteht große Einigkeit darüber, dass sich im Bereich „Cannabis als Medizin“ etwas än- dern muss . Nun müssen wir im parlamentarischen Beratungs- verfahren klären, an welchen Stellen der Gesetzentwurf noch Schwachstellen aufweist, an welchen Stellen noch Beratungsbedarfe bestehen . Ich will mich im Folgenden auf drei wesentliche As- pekte hierbei beschränken . Aspekt Therapiefreiheit: Derzeit ist geplant, dass chronisch kranke Menschen, bei denen keine Alternativ- behandlung angeschlagen hat, infolge des Gesetzes nun Medizinalhanf beziehen können . Wer es verschrieben bekommen soll, obliegt dem behandelnden Arzt . Aller- dings muss dieser, laut dem Entwurf, zunächst dem Me- dizinischen Dienst der Krankenkassen nachweisen, dass der Patient tatsächlich austherapiert ist . Konkret bedeu- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618178 (A) (C) (B) (D) tet dies, dass jeder Erkrankte zunächst nachweislich alle Therapiestufen durchlaufen muss . Wir sollten hier noch- mals prüfen, ob dies wirklich der einzig machbare Weg ist . Aspekt Kostenerstattung: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen, wie soeben beschrieben, prüft, ob der Patient austhera- piert ist und infolgedessen die Kosten für Medizinalhanf erstattet bekommt . Auch hier wäre im parlamentarischen Verfahren zu prüfen, welche Auswirkungen diese Rege- lung haben könnte . Aspekt Verkehrstüchtigkeit: Im Gesetzentwurf lässt sich noch keine Regelung bezüglich der Fahrtüchtigkeit von Patienten, die Cannabisblüten verordnet bekommen haben, finden. Es ist interessant, wie hier verfahren wer- den soll . Nichtdestotrotz weist dieses Gesetzesvorhaben ein- deutig in die richtige Richtung . Es greift die juristische und vor allem auch die medizinische Notwendigkeit zum Handeln auf . Drei Viertel der deutschen Bevölkerung be- fürworten, dass es Cannabis auf Rezept gibt . Einen Satz noch zu den immer viel diskutierten Kos- ten . Die Fachleute können aktuell nicht einschätzen, wie sich die Patientenzahlen nach den neuen gesetzlichen Be- stimmungen entwickeln werden . Allerdings, wenn man die Zahlen auch aus anderen Ländern zu Rate zieht, ist ein Anstieg zu vermuten . Der Gesetzentwurf selber geht von einem Entlastungsvolumen für die Patientinnen und Patienten von rund 1,7 Millionen Euro aus . Monatlich wären bis zu 1 800 Euro pro Patient wohl zu veranschla- gen . Der Deutsche Hanfverband weist in diesem Zuge darauf hin, dass die Kosten für Fertigarzneien um ein Vielfaches höher lägen . Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen, für mich steht der Patient im Mittelpunkt, und daher hat zu gelten: Jeder, dem diese Arznei hilft, muss diese auch ohne großen Geldbeutel einfach auf Re- zept verschrieben und erstattet bekommen . Ich will im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens erreichen, dass der Zugang zu Cannabis als Medizin problemlos gewähr- leistet ist, das heißt ohne Versorgungslücken, ohne Qua- litätsrisiken bei der Cannabisarznei und ohne Mangel an verschreibungsberechtigten Ärzten . Ich bin daher, wie eingangs dargelegt, zufrieden, dass wir nun diesen wichtigen Schritt zu Cannabis als Medi- zin angehen . Ich freue mich auf die Beratungen und bin zuversichtlich, dass wir zu einem guten Gesetz für alle Seiten gelangen werden . Hilde Mattheis (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften wird die Verkehrs- und Verschreibungsfä- higkeit von weiteren Cannabisarzneimitteln hergestellt . Damit helfen wir Patientinnen und Patienten mit schwer- wiegenden Erkrankungen, für die es keine Therapiealter- native gibt . Sie leiden unter schweren Schmerzen durch Krankheiten wie multiple Sklerose, epileptische Anfälle oder seltene andere Nervenerkrankungen . Arzneimittel auf Cannabisbasis können diesen Patientinnen und Pati- enten Linderung verschaffen . Derzeit verfügen 779 Patientinnen und Patienten über eine Ausnahmeerlaubnis des BfArM nach § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes zum Erwerb von Cannabis zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie . Allerdings müssen sie bislang die Kosten dafür selbst tragen; es gibt bisher kei- nen generellen Erstattungsanspruch gegenüber der Kran- kenkasse . Im Durchschnitt fallen monatliche Kosten von 540 Euro an, bei einigen Patientinnen und Patienten kön- nen es jedoch bis zu 1 800 Euro im Monat sein . Neben dieser Kostenbelastung plagt diesen Personenkreis die ständige Befürchtung, dass ihr Medikament nicht be- schafft werden kann. Häufig treten Lieferengpässe auf, eine kontinuierliche Versorgung kann nicht immer ge- währleistet werden . Für die betroffenen Menschen sind diese Umstände fatal . Lassen Sie mich das Schicksal dieser Betroffenen an einem Beispiel aus meinem Nachbarwahlkreis in Bayern schildern . Der junge Mann leidet an einer unheilbaren seltenen Nervenkrankheit, ist ständigen Schmerzen aus- gesetzt . Er ist auf ein schmerzlinderndes Medikament angewiesen . Ausschließlich ein Medikament auf Can- nabisbasis hilft . Alle anderen Medikamente wie zum Beispiel Morphium helfen kaum oder gar nicht und sind mit unzumutbaren Nebenwirkungen wie einer drama- tischen Gewichtsabnahme verbunden . Es ist für diesen Menschen wie für alle anderen in vergleichbarer Situ- ation eine echte Steigerung der Lebensqualität, wenn er einigermaßen schmerzfrei leben kann . Dieser junge Mann hat versucht, seine Versorgungssicherheit durch den Eigenanbau von Cannabispflanzen zu erreichen. Er ist vor einigen Wochen rechtskräftig wegen des Versto- ßes gegen das Betäubungsmittelstrafrecht verurteilt wor- den . Mit diesem Gesetz wird er in Zukunft nicht nur die Kostenübernahme garantiert bekommen und nicht in die Illegalität abgedrängt werden . Er wird auch eine höhere Versorgungssicherheit haben . Menschen mit solchen Erkrankungen sind meist noch, wie auch in dem von mir geschilderten Fall, nicht be- sonders vermögend, oft sogar arbeits- und mittellos . Die enormen Arzneimittelkosten haben sie oft noch in die Verschuldung getrieben . Wir verbessern also auch die Lebensumstände; wir gewährleisten mit diesem Gesetz eine umfassende medizinische Versorgung . Jenseits von ideologischen Scheuklappen wird Linderung möglich . Auch wenn es sich derzeit um eine kleine Anzahl von Patientinnen und Patienten handelt, die Cannabisblüten und Cannabisextrakte auf ärztliche Verschreibung in Apotheken zur Schmerzlinderung nutzen, so bedeutet es doch für den Einzelfall eine enorme Erleichterung . Alle, die ohne solche Schmerzen leben dürfen, können sicher nur ahnen, wie lebenserleichternd das ist . Zukünftig wer- den neben den bisher zugelassenen Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis auch getrocknete Cannabisblüten und Cannabisextrakte verkehrs- und verschreibungsfähig . Durch eine anonyme Begleiterhebung sollen umfassen- de Kenntnisse über die therapeutischen Ergebnisse einer Anwendung von Cannabis als Medizinprodukt gewon- nen werden . Für die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in kontrollierter Qualität soll der Anbau von Cannabis zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18179 (A) (C) (B) (D) medizinischen Zwecken in Deutschland unter Beachtung der völkerrechtlich bindenden Vorgaben des VN-Ein- heits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe ermöglicht werden . Diese Aufgaben soll einer Cann- abisagentur übertragen werden . Bis der staatlich kontrol- lierte Anbau in Deutschland, der eine Cannabisagentur voraussetzt, erfolgen kann, wird die Versorgung mit Me- dizinalhanf über Importe gedeckt werden . Im weiteren parlamentarischen Verfahren werden wir unter anderem beraten, wie sichergestellt werden kann, dass eine Versorgung auch in ländlichen Regionen ge- währleistet ist, wie dorthin Lieferengpässe verhindert werden können und somit ein deutlich verbesserter Zu- gang zu Cannabisarzneimitteln zum Wohle der Patientin- nen und Patienten erfolgen kann . Ich bin sehr froh, dass wir für diesen Patientinnen- und Patientenkreis heute eine aus meiner Sicht überfäl- lige Entscheidung auf den Weg bringen . Frank Tempel (DIE LINKE): Opposition und Pati- enten erkämpfen Verbesserungen bei Cannabismedizin . Grundsätzlich sind die von der Bundesregierung an- gestrebten Änderungen zur medizinischen Versorgung mit Cannabis richtig . Sie bedeuten eine Erleichterung für viele schwerstkranke Menschen . Ganz entschieden muss ich jedoch dem Eindruck wi- dersprechen, die Bundesregierung hätte zum Wohl der Patientinnen und Patienten gehandelt . Das hat sie aus- drücklich nicht . Ganz im Gegenteil: Über Jahre hat die Bundesregierung die medizinische Versorgung mit Can- nabis aus ideologischen Gründen verhindert . Man muss sich das vor Augen halten: Ein an multip- ler Sklerose schwersterkrankter Patient muss sich trotz seiner Krankheit über Jahre hinweg durch alle Instanzen bis zum Oberverwaltungsgericht klagen . Erst dann be- kommt er das Recht auf eine angemessene medizinische Versorgung zugesprochen . Das war im Mai dieses Jah- res . Und weil die Krankenkassen kein Cannabis erstatten, bekommt er sogar das Recht auf Eigenanbau zugespro- chen . Erst verweigert ihm die Politik jede Hilfe . Dann ist sie nicht mal in der Lage, die Patienten ausreichend mit einem Medikament zu versorgen . Das ist komplette Politikverweigerung auf dem Rücken kranker Menschen . Erst als sich eine Vielzahl von Patientinnen und Pati- enten ihr Recht vor den Gerichten auf eine angemessene medizinische Versorgung erstreiten mussten, sah sich die Bundesregierung zum Handeln genötigt . Und auch hier- bei ließ sie sich jede Menge Zeit . Zur Erinnerung: Bereits im Februar 2015 versprach die Bundesdrogenbeauftragte die Kostenübernahme von Cannabis durch die Krankenkassen ab dem Jahr 2016 . Doch der Kabinettsbeschluss ließ bis Mai dieses Jahres auf sich warten . Auf meine Nachfrage konnte die Bundesregierung nicht mal die sachlichen Gründe für die Verzögerung be- nennen . Auch das ist eine Form der Politikverweigerung . In der Zwischenzeit schrieben mir verzweifelte Men- schen, denen die Bundesregierung ihre lebensnotwendi- ge Medizin vorenthielt . Diese Menschen konnten sich die teure Cannabismedizin schlichtweg nicht leisten . Ih- nen blieben nur zwei schlechte Möglichkeiten: entweder die Inkaufnahme der unerträglichen Schmerzen oder die Gefahr der Kriminalisierung durch die verbotene Versor- gung über den Schwarzmarkt . Doch zum Glück hat Die Linke ihre Aufgabe als Op- positionsführerin erfüllt: Erst als der Bundesrat auf Ini- tiative Thüringens unter dem Linken-Ministerpräsiden- ten Bodo Ramelow im letzten Jahr Druck machte, kam der Kabinettsbeschluss der Bundesregierung zustande . Erst als wir unseren Antrag zur medizinischen Ver- wendung von Cannabis im Bundestag eingebracht haben, kam Bewegung ins Spiel . Sie von der Unionsfraktion lesen unsere Anträge nicht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesund- heitsministerium tun das offensichtlich schon . Und of- fensichtlich hielten sie unsere Kernforderungen für so richtig, dass sie diese einfach übernommen haben: Dazu zählen zum Beispiel: die Kostenerstattung von Canna- bismedizin durch die Krankenkassen, die Möglichkeit, Cannabismedizin auch im Urlaub im EU-Ausland mit- führen zu dürfen, und dazu zählt die Einrichtung einer Cannabisagentur . Das ist tatsächlich ein Meilenstein: Nur mithilfe dieser Agentur kann in Deutschland überhaupt auf legalem Weg Cannabis zu medizinischen Zwecken angebaut werden . Und nur so lassen sich die Lieferengpässe in der Versor- gung vermeiden, welche Die Linke mit einer Kleinen Anfrage aufgedeckt hat . Auch wenn die erkämpften Verbesserungen jetzt auf den Weg gebracht werden, an Ihrer Verweigerungshal- tung hat sich nichts verändert . Regelmäßig haben Sie die Anträge meiner Fraktion in den Haushaltsberatungen abgelehnt . Darin wollten wir die Forschung für Cannabismedizin ausbauen . Nun feh- len die entsprechenden Studien . Und auch diesen Mangel müssen nun die Patientinnen und Patienten ausbaden . Cannabismedizin bekommt erst derjenige erstattet, der sich für die Begleitforschung zwangsrekrutieren lässt . Das ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Medizin . Im Übrigen wird Ihnen jeder Mediziner sagen, dass 850 000 Euro für eine 60-monatige Begleitforschung vorne und hinten nicht reichen . Deswegen gebe ich Ihnen zum Abschluss noch einen Tipp: Wenn Sie schon nicht auf mich hören wollen, fragen Sie wenigstens ihren Arzt oder Apotheker . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung hat sich viel Zeit gelassen, um endlich zu erkennen, dass die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, nicht länger ignoriert werden können . Ich setze mich be- reits seit fast zehn Jahren dafür ein, dass der Zugang zu Cannabis als Medizin für betroffene Patientinnen und Patienten auch in Deutschland endlich ermöglicht wird . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618180 (A) (C) (B) (D) Denn Fakt ist: Deutschland hinkt mächtig hinter- her und hat schwerkranken Patientinnen und Patienten jahrelang dicke Steine in den Weg gelegt . In mehreren US-Bundesstaaten, in Kanada, den Niederlanden und Israel ist die medizinische Verwendung von Cannabis längst möglich . In anderen Ländern wie Spanien oder Belgien müssen Patientinnen und Patienten, die auf Can- nabis als Medizin angewiesen sind, keine Strafverfol- gung fürchten . Patientinnen und Patienten, die aus medizinischen Gründen auf Cannabis angewiesen sind, leiden unter schweren chronischen Erkrankungen, die teilweise töd- lich verlaufen . Standardtherapien haben bei betroffenen Patientinnen und Patienten entweder versagt oder gehen mit so starken Nebenwirkungen einher, dass der gesund- heitliche Zustand verschlechtert wird . Patientinnen und Patienten, denen Cannabis hilft, wurden erfolglos thera- piert und finden Linderung ihrer Symptome nur in der Behandlung mit cannabishaltigen Medikamenten oder getrockneten Cannabisblüten . Die Cannabistherapie be- deutet bessere Lebensqualität . Schon aus moralischen Gründen darf schwer erkrank- ten Patientinnen und Patienten ohne Behandlungsal- ternativen eine adäquate Therapie mit Cannabis nicht verweigert werden . Das wird auch durch mehrere Ge- richtsbeschlüsse deutlich . Darüber hinaus stellt sich je- doch auch die Frage der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung . Denn betroffenen Patientinnen und Pa- tienten steht, bis auf wenige Ausnahmen, keine Kosten- erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen zu . Cannabis-Patientinnen und -Patienten leiden nicht nur an ihrer Erkrankung, sondern werden im Falle der mühsam erwirkten Ausnahmegenehmigung durch das Bundesins- titut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit den enor- men Behandlungskosten von bis zu 1 500 Euro im Monat konfrontiert. Das übersteigt in vielen Fällen die finanzi- ellen Möglichkeiten der häufig arbeitsunfähigen Patien- tinnen und Patienten . Wer die hohen Kosten nicht selbst aufbringen kann, um Medizinalhanf in der Apotheke zu beziehen, sieht sich gezwungen, das günstigere, aber un- kontrollierte und verunreinigte Cannabis vom Schwarz- markt zu beziehen oder Cannabis selbst anzubauen . Die Folge sind Strafverfahren, die nur unter der Auflage ein- gestellt werden, zukünftig kein Cannabis mehr zu kon- sumieren . Da viele Patientinnen und Patienten auf eine regelmäßige Einnahme von Cannabis angewiesen sind, werden sie zudem als Wiederholungstäterinnen und -tä- ter oder wegen des Besitzes nicht geringer Mengen zu empfindlichen Geld- oder Haftstrafen verurteilt. Damit werden ausgerechnet jene Menschen der Strafverfolgung ausgesetzt, die aufgrund ihrer teilweise schweren Erkran- kung ohnehin körperlich und seelisch erheblich belastet sind . Darum habe ich bereits 2007 gefordert, dass die straf- rechtliche Verfolgung von Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, besitzen oder an- bauen, beendet wird . Des Weiteren habe ich mich dafür eingesetzt, dass arzneimittelrechtlich zugelassene Canna- bisextrakte wie Dronabinol verschreibungsfähig werden . Die damalige Regierungskoalition von Union und SPD ignorierte die Bedürfnisse der Patientinnen und Patien- ten und sah keinen Handlungsbedarf . 2011 forderten wir Grünen die Bundesregierung erneut auf, den straffreien Zugang zu Cannabis als Medizin für Patientinnen und Patienten, die Cannabis auf ärztliche Empfehlung hin nutzen, zu ermöglichen . Zudem sollte die zulassungs- überschreitende Verschreibung, der Off-Label-Use, von bereits zugelassenen Fertigarzneimitteln auf der Basis von Cannabis erleichtert werden und dadurch eine Kos- tenübernahme durch die Krankenkassen erfolgen . Auch damals lehnte die Regierung von Union und FDP unseren Antrag ab, obwohl sich auch zu jenem Zeitpunkt die Si- tuation von betroffenen Patientinnen und Patienten kei- neswegs gebessert hatte . Experten in der Anhörung des Gesundheitsausschus- ses haben sich schon vor vielen Jahren für eine Möglich- keit zur medizinischen Verwendung von Cannabis aus- gesprochen . Sie haben auch nicht die Wirksamkeit von Cannabis für bestimmte Indikationen in Abrede gestellt . Und sie haben ein durch den medizinischen Cannabisge- brauch resultierendes Gesundheitsrisiko einer Abhängig- keitsentwicklung für vernachlässigbar erklärt . Dass die Bundesregierung jetzt ihre Meinung geändert hat und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt hat, zeigt, dass sich die Bundesregierung dem langjäh- rigen Einsatz betroffener Patientinnen und Patienten für ihre Belange, Gerichtsurteilen zu Cannabis als Medizin und dem zunehmendem politischen Druck auch von uns Grünen nicht länger entziehen und entgegenstellen kann . Die Bundesregierung geht das Thema medizinisches Cannabis jedoch immer noch mit Scheuklappen an . Ihr Vorschlag verbessert die Behandlungssituation von Be- troffenen nur minimal . Die Zahl der beantragten Ausnah- megenehmigungen zeigt: Immer mehr Patientinnen und Patienten sind auf Cannabis als Medizin angewiesen, um ihre Symptome zu lindern . Die Zahl der genehmigten Anträge ist von 2011 mit 38 ausgestellten Ausnahmege- nehmigungen auf aktuelle 779 Ausnahmegenehmigun- gen gestiegen . Cannabishaltige Medikamente und getrocknete Can- nabisblüten sollen aber weiterhin nur dann verschrieben werden dürfen, wenn die Betroffenen alle anderen Be- handlungsmöglichkeiten erfolglos und oft mit schwer- wiegenden Nebenwirkungen ausprobiert haben . Zudem soll die Krankenkasse erst dann zahlen, wenn sich die Betroffenen für eine Begleiterhebung zur Verfügung stel- len . Die Bundesregierung legt damit Schwerkranken auf der Suche nach Hilfe weiterhin dicke Steine in den Weg . Die verpflichtende Begleiterhebung ist eine Farce. Das wird auch in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage „Versorgung mit Cannabis als Medizin“ deutlich . Denn die Bundesregierung geht selbst davon aus, dass die Ergebnisse der Begleiterhebung kaum Aus- sagekraft haben werden . Dass Patientinnen und Patienten dennoch daran teilnehmen müssen, um ihre Therapie- kosten erstattet zu bekommen, grenzt an Nötigung . Die Bindung der Kostenerstattung an die Teilnahme an der Begleiterhebung ist ein Novum, das den betroffenen Pa- tientinnen und Patienten die Selbstbestimmung nimmt . Denn indirekt Zwang auf schwerkranke Patientinnen und Patienten auszuüben, ist schäbig, als ob es nicht auch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18181 (A) (C) (B) (D) freiwillige Lösungen gäbe . Anstatt fragwürdiger und erzwungener Begleiterhebungen sollte die Bundesregie- rung lieber solide Forschungsvorhaben zur Wirksamkeit von Cannabis als Medizin fördern . Wissenschaftliche Untersuchungen belegen bereits heute, dass Cannabis bei schweren Erkrankungen wie HIV, multipler Sklerose, chronischen Schmerzen, Epilep- sie oder Krebs Linderung bewirken kann . So ist ein the- rapeutischer Effekt im Hinblick auf Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit oder Angstzustände bei Tumorpatientin- nen und -patienten belegt . Erkenntnisse zur Wirksamkeit gibt es auch bei der Spastik bei Multiple-Sklerose-Pa- tientinnen und -Patienten, erhöhtem Augeninnendruck, Tourette-Syndrom oder bei starken Schmerzen unter- schiedlichster Ursachen . Grundsätzlich ist die Erforschung von Cannabis als Medizin zu begrüßen . Denn tatsächlich ist die Erfor- schung von Cannabis als Medizin noch nicht abgeschlos- sen, auch weil sie jahrelang durch restriktive Gesetze behindert wurde . Die fehlenden Daten bedeuten jedoch nicht, dass Cannabis nicht wirkt . Nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch Ärztinnen und Ärzte haben gute Erfahrungen mit dem Einsatz von medizinischem Cannabis gemacht . Wie dringend notwendig diese Forschungsförderung ist, zeigt sich auch an einem anderen Aspekt: Die ge- setzlichen Krankenkassen haben bereits angezweifelt, ob sie die Kosten für Medizinalhanf erstatten müssen, da die Wirksamkeit dieser Therapie nicht in jedem Fall be- wiesen ist . Die Versorgung mit medizinischem Cannabis steht damit schon jetzt auf wackligen Beinen . Die Prü- fung der Anträge auf Kostenerstattung bei betroffenen Patientinnen und Patienten soll der Medizinische Dienst der Krankenkassen vornehmen, der bislang noch keine Erfahrung mit dem Einsatz von Cannabis als Medizin und einer Nutzen-Schaden-Abwägung im Vergleich zu anerkannten medizinischen Verfahren hat . Es wird sich zeigen, wie restriktiv der Medizinische Dienst der Kran- kenkassen die Regelungen im Gesetzentwurf auslegen wird, insbesondere wenn es um die Fragen geht, was eine schwerwiegende Erkrankung ist und wann ein Mensch als erfolglos therapiert gilt . Im Zweifelsfall müssten betroffene Patientinnen und Patienten weiter die hohen Kosten selbst aufbringen oder vor Gericht ihr Recht er- streiten . Das ist für schwerkranke Menschen unzumutbar . Wir werben sehr dafür, dass für betroffene Patientinnen und Patienten endlich eine Regelung geschaffen wird, die eine Kostenerstattung durch die gesetzlichen Kran- kenversicherungen verbindlich macht und garantiert . Diesbezüglich hat auch das Bundesverwaltungsge- richt jüngst entschieden, dass der Eigenanbau von Can- nabis als Medizin für betroffene Patientinnen und Patien- ten, die an einer schweren Erkrankung leiden und denen zur Behandlung der Krankheit keine gleich wirksame und erschwingliche Therapiealternative zur Verfügung steht, erlaubt ist . Die Leipziger Richter begründeten in ihrem Urteil, dass in solchen Fällen der Eigenanbau be- täubungsmittelrechtlich im öffentlichen Interesse liegt . Wenn es keine anderweitigen Versagensgründe gibt, sei die Erlaubnis zwingend . Denn erkrankte Menschen könnten sich hier auf ihr Recht auf körperliche Unver- sehrtheit berufen . Auch wenn die Bundesregierung die Möglichkeit des Eigenanbaus in ihrem Gesetzentwurf aus ordnungs- und sicherheitspolitischen Gründen aus- schließt, kann sie das Urteil des Bundesverwaltungsge- richts nicht ignorieren . Schwerkranke Patientinnen und Patienten können nicht länger warten, bis der Gesetzent- wurf beschlossen wurde und vielleicht erst in ein paar Jahren genug Medizinalhanf zur Verfügung steht, der aus der Apotheke bezogen werden kann . Denn schon heute gibt es Lieferengpässe, sodass die Apotheken die Versorgung mit Cannabis als Medizin nicht immer ge- währleisten können . Mindestens bis dahin muss auch der Eigenanbau genehmigt werden . Und hier würde die Bun- desregierung endlich gut daran tun, die Strafverfolgung von Inhabern einer Sondererlaubnis für Eigenanbau von Cannabis zu beenden . Die Strafverfolgung von Men- schen, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, ist skandalös und inhuman . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entschädi- gung für die Radargeschädigten der Bundes- wehr und der ehemaligen NVA noch weiter ver- bessern – des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ra- darstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA besser entschädigen (Tagesordnungspunkt 25 a und b) Ingo Gädechens (CDU/CSU): In einem fraktions- übergreifenden Antrag wollen wir heute die Entschädi- gung von Radargeschädigten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA weiter verbessern . Viele Soldaten haben während ihrer Dienstzeit an mi- litärischen Radaranlagen – aufgrund von Mängeln bei den Sicherheitsvorkehrungen – gesundheitliche Schäden davongetragen . Der Union war es immer wichtig, dass diese Kameradinnen und Kameraden möglichst unbüro- kratisch entschädigt werden, denn sie haben im Dienst für unser Land zum Teil erhebliche Beeinträchtigungen und Krankheiten davongetragen, die ihre heutige Le- bensqualität deutlich einschränken . Das Bundesministerium der Verteidigung war und ist daher in der Fürsorgepflicht, dieser Personengruppe eine angemessene Wiedergutmachung nach dem Wehrdienst- beschädigungsverfahren zukommen zu lassen . Und auch unter dem Druck aus dem parlamentarischen Raum ist das Bundesministerium in den vergangenen Jahren tätig geworden und ist seiner Verpflichtung nachgekommen. Dafür gilt mein herzlicher Dank . Es wäre zu wünschen gewesen, dass das ein oder an- dere Verfahren in der Vergangenheit zügiger zum Ab- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618182 (A) (C) (B) (D) schluss gekommen wäre, aber auch hier sind in der Zwi- schenzeit deutliche Fortschritte gemacht worden . Fortschritte in der Entschädigungspraxis konnten in der Vergangenheit auch durch ein vereinfachtes Anerken- nungsverfahren erreicht werden: Da aufgrund bereits vernichteter Dokumentationsun- terlagen eine lückenlose Nachweis- und Beweisführung in vielen Fällen nicht mehr möglich ist, war es richtig, ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren anzusetzen, bei dem eine qualifizierte Erkrankung und eine quali- fizierte Tätigkeit an den Radaranlagen geprüft wurden. Dieses vereinfachte Verfahren hat sich bewährt und dazu geführt, dass viele Betroffene in den letzten Jahren ent- schädigt werden konnten . Vor dem Hintergrund, dass seit dem Bericht der Ra- darkommission vom 2 . Juli 2003 neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Tragen kommen, war es richtig, dass das Bundesministerium der Verteidigung eine erneute wissenschaftliche Überprüfung von Krankheitsbildern in Auftrag gegeben hat . Die Meineke-Kommission hat am 19 . Februar 2016 ihren Abschlussbericht vorgelegt . Dieser hat ausführlich die aktuellen wissenschaftlichen, medizinischen und strahlenbiologischen Erkenntnisse dargestellt und klare Empfehlungen im Umgang mit der Radarproblematik ausgesprochen . Das Bundesministeri- um der Verteidigung hat zu diesem Bericht ebenfalls eine umfassende Stellungnahme vorgelegt, die den Empfeh- lungen der Meineke-Kommission damit weitestgehend folgt . Für die Unionsfraktion ist wichtig, dass Entschädi- gungen für Krankheitsbilder auf Grundlage der Wehr- dienstbeschädigungsverfahren nur gewährt werden, so- lange eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als Radar- soldat stehen . Eine gewisse Plausibilität muss gegeben sein, alles andere wäre Willkür . Deshalb ist für die Union klar, dass auch weiterhin ein eindeutiger Zusammenhang einer qualifizierenden Erkrankung und einer qualifizie- renden Tätigkeit vorhanden sein muss, um eine faire Ent- schädigung zu ermöglichen . Der Deutsche Bundestag hat ein vitales Interesse da- ran, dass der betroffene Personenkreis schnell und un- bürokratisch entschädigt wird . Daher muss das BMVg ausreichend Personal im Bundesamt für Personalmanage- ment vorhalten, welches die Radarfälle bearbeitet . Auch die zügige Anerkennung von weiteren Krankheitsbildern und Symptomen als qualifizierte Erkrankungen ist anzu- mahnen – sofern hierfür eine fundierte wissenschaftliche Basis gegeben ist . Der Bundestag wird die Umsetzung der im Antrag genannten Punkte genau überprüfen und erwartet hierzu vom BMVg einen Zwischenbericht bis Ende Oktober . Die Entschädigungspraxis des Bundesministeriums der Verteidigung und die in den letzten Jahren bereits deutlich beschleunigten Verwaltungsverfahren werden mit diesem Antrag in aller Deutlichkeit anerkannt und gelobt . Der hier vorliegende Antrag stellt somit keine grundsätzliche Kritik am Vorgehen des Bundesministe- riums der Verteidigung dar . Vielmehr fordert dieser das BMVg dazu auf, am Ball zu bleiben und die Empfehlun- gen der Meineke-Kommission zügig umzusetzen . Karin Strenz (CDU/CSU): Ich habe vor wenigen Wochen hier im Deutschen Bundestag zum zweiten Ge- setz über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR gesprochen . Auf der Grundlage des Staatsplan 1425 wur- den die damaligen Leistungssportler unwissentlich ge- dopt, die gesundheitlichen Auswirkungen machten sich jedoch erst viel später bemerkbar . Viele Opfer leiden heute massiv unter diesen Spätfolgen, deswegen war es unsere Pflicht, eben diesen Menschen unter die Arme zu greifen . Kommen wir zu unserem heutigen Thema: Nicht an- ders ist es mit den Opfern, die durch schädliche Strah- lung an militärischen Radargeräten heute mit erheblich gesundheitlichen Folgen zu kämpfen haben . Über die Gefahren hat damals wie schon beim Doping keiner ge- sprochen – der Mensch hatte zu funktionieren und seine Aufgaben zu erfüllen . Krebs, Tumore, Amputationen, Fehlbildungen menschlicher Organe und Glieder, um nur einige unglaublich tragische Beispiele zu nennen, sind die schreckliche Bilanz . Die massiven Schäden durch eben diese militärischen Radaranlagen haben eine nicht genau zu identifizierende Anzahl von Soldaten, aber auch zivilen Angestellten der Bundeswehr sowie der NVA erlitten, die im Zeitraum ab den 50er-Jahren bis in die 80er-Jahre hinein ihren Dienst an den Geräten leisteten . Dabei waren die Opfer zum Teil Röntgenstrahlung und Mikrowellenstrahlung ausgesetzt . Ein Großteil dieser Menschen entwickelte die schon an- gesprochenen Erkrankungen, die mit der Röntgenstrah- lung zweifelsfrei in Verbindung gebracht werden können . Dieses heikle Thema zieht sich nun schon einige Jah- re durch die parlamentarischen Gremien . Ein Rückblick: Was ist bisher geschehen? Der Deutsche Bundestag hat im Jahre 2002 das Bundesministerium der Verteidigung aufgefordert, eine Kommission mit unabhängigen Exper- ten einzurichten . Ziel war es, die Frage nach der Gefähr- dung durch Strahlung in Einrichtungen der Bundeswehr und NVA näher zu beleuchten . In diesem Zusammen- hang wurde schließlich 2003 ein Bericht erstellt . Dieser umfasst einen Kriterienkatalog, der als Maßstab dafür dient, welche Erkrankungen auf Radarstrahlen zurückzu- führen seien . Zudem haben wir mit der Unterzeichnung des Treu- handvertrages zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Soldatenhilfswerk der Bundes- wehr e .V . am 22 . Mai 2012 unter der Trägerschaft des Soldatenhilfswerks der Bundeswehr e .V . die „Treuhän- derische Stiftung zur Unterstützung besonderer Härtefäl- le in der Bundeswehr und der ehemaligen NVA – kurz: Härtefallstiftung – zu dem Zweck errichtet, insbesondere krankheitsbedingt entstandene Härten abzumildern . Um auch auf aktuelle Ergebnisse zurückgreifen zu können, wurde Anfang des Jahres 2015 ein Symposium mit Experten unter der Leitung von Professor Dr . Meine- ke abgehalten . Die Expertengruppe um Professor Mei- neke hat uns wertvolle Anregungen für die zielgerichtete Fortentwicklung und Beschleunigung des Verwaltungs- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18183 (A) (C) (B) (D) handelns und konstruktive Lösungswege für die Entschä- digung gegeben . Ein zentraler Punkt war die Empfehlung von vereinfachten Kriterien und Beweiserleichterungen für die Anerkennung von Versorgungsanträgen . An die- ser Stelle möchte ich der Expertengruppe für ihre fachli- che Arbeit herzlich danken . Im Vorfeld dieses Symposiums habe ich die zustän- digen Berichterstatter der Fraktionen, Mitglieder des „Bund zur Unterstützung Radarstrahlengeschädigter Deutschland e .V .“ und die Vertreter aus dem Verteidi- gungsministerium zu einer Gesprächsrunde eingeladen . Dieses Gespräch war in meinen Augen absolut wichtig – eine gemeinsame Runde mit den Betroffenen sowie Ent- scheidungsträgern hilft uns, die Dinge gemeinsam weiter anzupacken . Es ist wichtig, an einem Strang zu ziehen . Heute nun gehen wir einen weiteren wichtigen Schritt in die richtige Richtung . Wir Parlamentarier sind mit die- sem Antrag darum bemüht, den Fortschritt in der Ent- schädigungspraxis weitergehend zu unterstützen sowie mit zusätzlichen Forderungen den Opfern zügig unter die Arme zu greifen . Im Folgenden möchte ich näher auf un- seren neuen Antrag eingehen . So setzen wir uns für mehr Personal im Bundesamt für das Personalmamagement der Bundeswehr ein, welches die Radarfälle bearbeitet . Ziel ist es, die Verfahrensdau- ern zu verkürzen . Viele Betroffene sind im Alter bereits weit vorangeschritten, deswegen ist es auch notwendig, keine wertvolle Zeit zu verlieren . Neben der 1:1-Umsetzung der Entscheidungen der Radarkommission aus dem Jahre 2003 fordern wir heute zugleich umgehend die Berücksichtigung der Empfeh- lungen des Expertenberichts der Meineke-Kommission im Sinne der Stellungnahme des BMVg . Weiterhin möchten wir die Zusammenarbeit mit der bereits angesprochenen Härtefall-Stiftung weiter intensi- vieren . Dazu gehört in unseren Augen eine zusätzliche Ausstattung hinsichtlich der Mittel aus dem Einzel- plan 14 . Für eine hinreichende und zielführende Bearbeitung der Anträge erachten wir es zudem als unabdingbar, die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Forschung und Lehre zu beobachten und die gesicher- ten Erkenntnisse in der künftigen Verwaltungspraxis zu berücksichtigen . Ein weiterer Punkt, der in unserem Antrag volle Be- achtung findet, ist die Vorlegung eines Zwischenberichts zum Stand der Umsetzung an den Verteidigungsaus- schuss bis Ende Oktober 2016 . Die Evaluierung, die Grundlage stellt eben dieser Bericht, ist extrem wichtig . Dies trifft generell auf jeden verabschiedeten Antrag zu, aber aufgrund der enormen Wichtigkeit dieses sensiblen Bereichs müssen wir hier umso mehr hinschauen . Es ist oberste Prämisse, dass möglichst viele Menschen, die mit den gesundheitlichen Einschränkungen und Folgeerkran- kungen zu kämpfen haben, berücksichtigt werden . Wir alle können sicher sein, dass in der Bundeswehr- verwaltung weiterhin intensiv an der Optimierung der Verfahren gearbeitet wird und die Radarfälle oberste Pri- orität haben . Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Auf den ersten Blick geht es bei der Radarstrahlenproblematik um Zahlen, Statistiken und Fakten . Es geht um Entschädigungsver- fahren, Gerichtsfälle, Strahlenexposition, Millisievert und Krankheitsbilder . Diese Rahmendaten lassen nur er- ahnen, dass dahinter Menschen stecken – Hunderte ehe- malige Soldaten, eingesetzt in Flugzeugen, auf Schiffen und Panzern In der Zeit von 1960 bis 1985 waren sie als Radar- techniker und Unterstützungspersonal mit Radargeräten im Kontakt, bei der Bundeswehr und bei der NVA . Die dadurch entstandenen Krankheiten, allen voran Krebs, haben ihre Leben schwer gezeichnet oder ihnen gar ein Ende gesetzt . Sie kämpfen seit geschlagenen 16 Jahren um eine ordentliche Anerkennung und Entschädigung . Man rechnet damit, dass 240 von ihnen bereits verstor- ben sind. Das Perfide daran: Bis in der 1990er-Jahre hin- ein bestritt die Bundeswehr noch einen Zusammenhang zwischen Radarstrahlungen und Erkrankungen . Was heute jedes Kind weiß, konnten die Soldaten damals nur ahnen . Dennoch wäre es kindlich zu glauben, dass eine Ent- schädigung damit geregelt wäre . Bis heute müssen die meist älteren Geschädigten ihre Ansprüche in einem äußerst komplexen und langen Verfahren stellen . Dabei müssen meist sie beweisen, dass sie an einem Radargerät tätig waren . Angesichts einer lückenhaften Dokumentati- on innerhalb der verschiedenen Wehrbereichsverwaltun- gen oft ein Ding der Unmöglichkeit . Dies mündet dann oft in unzähligen Gerichtsverfahren, die erst in jüngster Vergangenheit zugunsten der Geschädigten ausgingen . Man könnte an dieser Stelle die bisherige Chronik der Radarsoldaten bis ins letzte Detail wiederholen und versuchen aufzuklären sowie einzelne Schicksale zu be- leuchten . Aber Tatsache ist: Dieses Thema stellt einen schwarzen Fleck in der Geschichte der Bundeswehr dar . Der Bundeswehrverwaltung wurde von den Gerichten mehr als einmal vorgehalten, wie schlecht die Zusam- menarbeit funktioniert . Das Bundesministerium wies jede Verantwortung für diese Misere von sich, jeder poli- tische Vorstoß wurde als Affront interpretiert, politische Verhandlungen wurden als unnötig abgetan . Manchmal hatte man gar den Eindruck, es wird auf Zeit gespielt – das Problem Radarsoldat würde sich selbst lösen . Im Angesicht des menschlichen Leids eine zynische Unge- heuerlichkeit . Der nun vorliegende Antrag wird diesen Makel nicht bereinigen können . Aber er geht ganz konkrete Schritte voran und leistet einen entscheidenden Beitrag zur An- erkennung des Schadens . Er versucht da Fehler auszubü- geln, wo es hakt . Und er ist ein klares Signal an die Sol- datinnen und Soldaten: Dies ist unsere Parlamentsarmee, wir kümmern uns um euch! Erstens beruhen Wehrdienstbeschädigungsverfahren bislang auf einer vom Deutschen Bundestag 2002 ein- gesetzten Expertenkommission, die nur bösartige, so- genannte maligne Tumore und Katarakte als qualifizie- rende Erkrankungen anerkennt . Nun sollen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse mit in die Entscheidung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618184 (A) (C) (B) (D) fließen. Klar ist zum Beispiel, dass ab sofort auch gutar- tige Tumore berücksichtigt werden . Zweitens mussten Geschädigte in der Vergangenheit selbst den Kausalzusammenhang zwischen Radargerät und Erkrankung nachweisen . Nun erfolgt eine Beweiser- leichterung auch in der sogenannten Phase zwei zuguns- ten des Antragstellers . Drittens wird das Personal zur Bearbeitung von Ra- darfällen aufgestockt . Viertens wird die Härtefallstiftung besser ausgestattet und einbezogen . Sie springt immer dann ein, wenn selbst die Entschädigungsanträge zu keinem Ergebnis führen . Sie steht für mich dafür, dass die Menschen mehr ver- dient haben als pure Bürokratie und Verwaltungsakte ent- lang starrer Vorgaben . Fünftens wird auch endlich für eine Studie zu mög- lichen Genschädigungen von Nachkommen von Radar- technikern grünes Licht gegeben . Fehler der Vergangenheit wie die fehlende Aner- kennung von Radarstrahlenschädigungen werden wir niemals ganz wegbekommen . Aber wir können daran arbeiten . Dass dies mit dem vorliegenden Antrag nicht fraktionsübergreifend funktioniert, empfinde ich persön- lich als überaus peinlich . In Richtung der Fraktion CDU/ CSU: Mir ist es egal, ob neben SPD auf dem Briefkopf auch die Fraktion der Linken steht . Das ändert nichts am Inhalt, sehr wohl aber das Signal an die Soldatinnen und Soldaten: Wir, das Parlament, stehen hinter euch . Wir un- terstützen euch, wenn es darauf ankommt . Die Bundeswehr besteht meines Erachtens aus mehr als Panzern, Flugzeugen, Schiffen und Material . Sie be- steht aus Menschen . Katrin Kunert (DIE LINKE): Radarstrahlenopfer: Zeit zum Handeln statt zum Aussitzen! – Seit Jahrzehn- ten führen viele ehemalige Bundeswehr- und NVA-An- gehörige einen engagierten, aber häufig vergeblichen Kampf um Anerkennung und Entschädigung für ihre im Dienst erlittenen schweren Gesundheitsschäden . Oft geht es dabei um Krebserkrankungen als Folge von radioakti- ver Strahlung an Radargeräten, an denen die Betroffenen gearbeitet haben . Die Ministerialbürokratie des Vertei- digungsministeriums wirft ihnen ständig Knüppel zwi- schen die Beine und befürchtet offenbar einen Damm- bruch, wenn zu viele von ihnen recht bekämen . Dazu ist es bislang nicht gekommen, da viele der todkranken ehe- maligen Soldaten im Laufe der sich endlos hinschleppen- den Verfahren versterben . Die Bundesregierung musste auf schriftliche Nachfrage einräumen, dass seit 2003 von 748 Antragstellern nachweislich mindestens 117 verstor- ben sind . – So darf mit schwerstkranken Menschen nicht umgegangen werden . Ich bin mir sicher: Wären nur ehemalige Angehörige der Nationalen Volksarmee der DDR betroffen, hätte die Bundesregierung das Problem längst gelöst . Das geht aber nicht, eben weil ehemalige Bundeswehrangehörige genauso betroffen sind . Das zeigt, es gab zu jener Zeit in den Streitkräften auf beiden Seiten des Eisernen Vor- hangs ein zu gering ausgeprägtes Gefahrenbewusstsein im Umgang mit ionisierender Strahlung an Radargeräten . Aus diesem Grund müssen auch die Betroffenen gleich behandelt werden ─ egal in welcher Armee sie früher ge- dient haben . Sehr spät, immerhin 13 Jahre nach dem Bericht der Radarkommission, hat sich die Bundesregierung nun- mehr selbst eingestanden, dass sie das Problem nicht länger aussitzen kann . Die Bundeswehr schadet ihrem Image, solange sie den Dienstversehrten die kalte Schul- ter zeigt. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn endet eben nicht am Kasernentor . Die Koalition hätte die Gelegenheit nutzen können, um die Opposition mit ins Boot zu holen . Es wäre zweifellos im Interesse der Sache gewesen, wenn sich der gesam- te Bundestag in die Verantwortung hätte nehmen lassen . Die Linke ist dazu bereit gewesen . Stattdessen wurde auf alleiniges Betreiben der CDU/CSU-Fraktionsspitze die Linke von dem interfraktionellen Antrag nachträglich ausgeschlossen . Sie zeigen damit, dass es ihnen nicht um die Sache geht, sondern um Parteiideologie . Es über- rascht deshalb nicht, dass sie den Tagesordnungspunkt zu später mitternächtlicher Stunde aufgesetzt haben, um die Angelegenheit möglichst geräuschlos ohne öffentliche Debatte durchzuwinken . Sie werden dies wahrscheinlich gar nicht erwarten: Ich bedanke mich dennoch an dieser Stelle ausdrücklich bei den Berichterstatterinnen und Be- richterstattern aller Fraktionen für die gute Zusammenar- beit . An ihnen hat es nicht gelegen, sondern an der Frak- tionsführung der CDU/CSU . Die Linke musste deshalb einen eigenen Antrag vorlegen, der einige weitergehende Verbesserungen für die Betroffenen enthält . Bei dem in- terfraktionellen Antrag werden wir uns enthalten . Wir unterstützen die Forderung des Bundes zur Un- terstützung Radarstrahlengeschädigter nach Einrichtung eines unabhängigen Expertengremiums, das in strittigen Einzelfällen vermitteln soll . Nach den bisherigen Erfah- rungen mit der Blockadepolitik des Verteidigungsminis- teriums sind die Befürchtungen der Betroffenen nur allzu berechtigt, dass anderenfalls die Auszahlung von Ent- schädigungen weiterhin auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausgeschoben wird . Das ist nicht hinnehmbar . Vor diesem Hintergrund: Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser . Das zeigt auch die Vorgeschichte des interfraktio- nellen Antrags: Das Verteidigungsministerium hat im Februar 2015 ein Fachsymposium mit von ihm selbst benannten Expertinnen und Experten durchgeführt, was durchaus symptomatisch für das Vorgehen der Bundes- regierung ist . Doch selbst die eigenen Expertinnen und Experten haben der Bundesregierung bescheinigt, dass künftig alle gutartigen Tumore in den Katalog der erstat- tungsfähigen Erkrankungen aufgenommen werden müs- sen . Nur deshalb hat sie ihren Widerstand dagegen aufge- geben . Es ist gut, dass sie wenigstens darauf gehört hat . Die Linke ist darüber hinaus der Meinung, dass auch Soldaten, die in Kontakt mit radiumhaltiger Leuchtfar- be Ra-226 gestanden haben und erkrankt sind, generell entschädigt werden sollten . Grundsätzlich wollen wir, dass alle chronischen Erkrankungen, die auf ionisierende Strahlung zurückgeführt werden können, vom Gesetzge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18185 (A) (C) (B) (D) ber als entschädigungsfähig anerkannt werden, sofern die betroffenen Antragsteller im Rahmen ihrer Dienstaus- übung an entsprechenden Geräten gearbeitet haben . Damit würden keineswegs die Schleusen geöffnet, der Personenkreis bliebe überschaubar . Wir wollen den Ra- dargeschädigten unbürokratisch helfen, weil viele von ihnen den ursächlichen Zusammenhang heute oft nicht mehr lückenlos belegen können . Wegen der lange Zeit unterschätzten Gefahr, die von den damaligen Radarge- räten ausging, gab es keine hinreichenden Dokumenta- tionspflichten. Das darf den heute Erkrankten jedoch nicht zum Nachteil gereichen . So weit geht der interfraktionelle Antrag nicht . Er enthält zwar einige substanzielle Verbesserungen für die Betroffenen . Wir werden dennoch die Umsetzungsmaß- nahmen aufmerksam verfolgen und die Bundesregierung an ihren konkreten Taten messen . Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn wir heute die Entschädigung für Radargeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA verbessern, dann war dies ein langwieriger und steiniger Weg . Die Art und Weise, in der das Bundesverteidigungsministerium bisher mit den Radargeschädigten umgegangen ist, ent- spricht so gar nicht dem hehren Leitbild, demzufolge die Bundeswehr ihre Soldatinnen und Soldaten umfassend umsorgt, im Gegenteil . Menschen, die durch den Dienst in den Streitkräften ihre Gesundheit verloren haben, wurden jahrelang zu läs- tigen Bittstellern degradiert . Soldaten, die auf die Loyali- tät und Treue ihres Dienstherrn vertraut haben, wurden in diesem Vertrauen bitter enttäuscht . Deshalb bin ich froh, dass es uns in langen Verhand- lungen gelungen ist, uns auf einige zentrale Verbesserun- gen für die Radargeschädigten zu verständigen . Aber ich will Ihnen nicht verhehlen: Ich habe mich in diesem Pro- zess mehr als einmal für unseren Staat geschämt! Seit 15 Jahren wissen wir nun: Soldaten der beiden deutschen Armeen waren bis in die 1980er-Jahre unwis- send ionisierender Strahlung ausgesetzt und sind teilwei- se schwer erkrankt . Die Reaktion der Politik auf Bekannt- werden der ersten Fälle erfolgte relativ fix: Schon 2002 wurde eine Kommission eingesetzt, die Zusammenhänge zwischen Radarstrahlung und Erkrankungen untersuchte . 2003 wurde vorgeschlagen, für bestimmte Erkrankungen Wehrdienstbeschädigungen anzuerkennen . Viele Betrof- fene warteten aber vergebens auf Unterstützung . Einige werfen der Bundesregierung vor, sie spiele auf Zeit und verzögere Verfahren, bis die Opfer nicht mehr klagen können oder wollen . In der Tat sind der Verwaltung einige Vorwürfe zu ma- chen: da wurden wissenschaftliche Gutachten zum Zusam- menhang zwischen Strahlung und konkreten Erkrankun- gen ignoriert; da wurden Entschädigungsanträge mit dem Argument abgelehnt, die Opfer könnten ja den Vollbeweis zur An- erkennung einer Wehrdienstbeschädigung erbringen; wohlwissend, dass hierzu die nötigen „Beweise“ rein faktisch gar nicht mehr erbracht werden können; da dauerte es Jahre, bis das BMVg Stellungnahmen abgab und da zogen sich Gerichtsverfahren über zehn und mehr Jahre hin . Ein Richter stellte sogar unumwun- den fest, dass die Bundeswehrverwaltung um argumenta- tive Tricks und Kniffe nicht verlegen war, wenn es darum ging, berechtigte Ansprüche des Klägers abzuwehren . Man mag zur Bundeswehr und zur NVA stehen wie man will . Aber wenn Menschen im Auftrag des Staa- tes handeln und dabei ihre Gesundheit verlieren, dann muss der Staat hinterher doch den Anstand haben, diese Menschen angemessen zu entschädigen und sie zu un- terstützen, wo immer sie Hilfe brauchen! Die Bundes- wehrverwaltung hat viele geschädigte Soldaten über ein Jahrzehnt hingehalten und mit einer verletzenden Arro- ganz einfach abgewimmelt . Gleichzeitig versucht das Verteidigungsministerium in teuren PR-Kampagnen alle Welt davon zu überzeugen, wie unglaublich attraktiv die Bundeswehr als Arbeitgeber ist . Leider zeugt auch die Entstehungsgeschichte unse- res gemeinsamen Antrags davon, dass das Wohlergehen der geschädigten Soldaten nicht bei allen Abgeordneten oberste Priorität genießt . Meine Fraktion hat in dieser Legislaturperiode allerlei schriftliche Fragen und Kleine Anfragen zur Entschädigungspraxis gestellt . Letztes Jahr haben wir im Verteidigungsausschuss einen Antrag ein- gebracht, der deutlich weitreichendere Forderungen zum Umgang mit den Radargeschädigten enthielt . Nach einigen Verzögerungen vonseiten des Ministe- riums und nach einigem rein parteipolitisch motivierten Geplänkel vonseiten der Union steht heute immerhin ein interfraktioneller Antrag . Dieser Antrag ist ein Kompro- miss . Wir Grünen wären gerne weiter gegangen, aber entscheidend ist: Der Antrag verbessert die Lage der be- troffenen Soldaten: Gutartige Tumoren werden als mög- liche Erkrankungen in den Entschädigungskatalog auf- genommen, das Bundesministerium will die abgelehnten Fälle von Amts wegen neu und rasch prüfen . Mögliche Genschäden durch Radarstrahlung werden endlich unter- sucht . Ich hoffe, dass auch andere Erkrankungen künf- tig schneller überprüft werden, sobald es Anzeichen auf Zusammenhänge zu Radarstrahlung gibt . Die Deutsche Härtefallstiftung wird aufgestockt, insbesondere auch, um Bedürftigen, die keinen Anspruch auf eine Renten- versorgung bekommen, unterstützen zu können . Wie gesagt: Der Antrag verbessert die Lage der Betrof- fenen und ist im Sinne aller Fraktionen . Reichlich albern und kaum zu verstehen ist deshalb, warum die Union sich hier gegen eine Mitzeichnung der Linken gewehrt hat . Das ist eine vertane Chance, klarzumachen, dass das Par- lament hier mit einer Stimme spricht . Ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen hätte auch den Alternativantrag der Linken überflüssig gemacht. Der ist inhaltlich sehr gut . Denn er besteht zur einen Hälfte aus wortgleichen Formulierungen und Forderungen, die wir Grüne bereits in unserem Antrag als Drucksache 18/6649 in den Bun- destag eingebracht hatten, und zur anderen Hälfte aus den Punkten des interfraktionellen Antrags, den wir heu- te abstimmen . Aber formal, sehr geehrte Abgeordnete der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618186 (A) (C) (B) (D) Linken, empfehle ich, zumindest eine gewisse Schonfrist vergehen zu lassen, bevor man Anträge von Bündnis 90/ Die Grünen umetikettiert und seine eigene Unterschrift darunter setzt . Entscheidend aber ist, wie zügig und ordentlich die Entscheidungen jetzt umgesetzt werden . Wir Grüne wer- den der Bundesregierung weiterhin streng auf die Finger schauen, wenn es um den Umgang mit geschädigten Sol- datinnen und Soldaten geht . Wir werden weiterhin unbe- queme Fragen stellen . Und wir werden uns weiterhin für Verbesserungen einsetzen und auf eine unbürokratische und großzügige Entschädigungspraxis drängen . Denn die Frage, wie die Bundeswehr mit Menschen umgeht, die im Dienst gesundheitliche Schäden erlitten haben, wird uns aufgrund der Auslandseinsätze künftig sehr viel häu- figer beschäftigen als bisher. Und wir alle sollten unser Bestes tun, damit sich ein solches moralisches Versagen wie im Falle der Radargeschädigten in der Bundeswehr nicht mehr wiederholt! Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterstützung für den Friedensprozess in Ko- lumbien – des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für den Frieden in Kolumbien – Paramilitarismus konsequent bekämpfen (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Der innerstaatli- che bewaffnete Konflikt in Kolumbien dauert nun bereits seit über 50 Jahren an . Ein Zeitraum, der gleich mehrere Generationen umfasst, die nie etwas anderes kennenge- lernt haben, als Krieg und Gewalt . Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos war 15 Jahre alt, als der Konflikt ausbrach. Bei der Unterzeichnung des unbefris- teten Waffenstillstandes vor zwei Wochen sagte er: „Wir haben nicht die geringste Erinnerung daran, was es heißt, in Frieden zu leben“ . Bei derartigen Konflikten sinken die Chancen für ei- nen stabilen Waffenstillstand und einen dauerhaften Frie- den mit jedem Jahr und jedem Opfer weiter . Nach einem halben Jahrhundert der bewaffneten Auseinandersetzung und nachdem 225 000 Menschen in diesem Krieg ihr Le- ben verlieren mussten, ist ein Friedensabkommen eine unglaublich große diplomatische Leistung . Es beinhaltet die langersehnte Aussicht auf Frieden für die kommende Generation . Der besondere Einsatz der Regierungen Kubas und Norwegens sowie die Unterstützung der kolumbiani- schen Bischofskonferenz haben maßgeblich zum Erfolg der Friedensverhandlungen beigetragen und werden im vorliegenden Antrag auch entsprechend gewürdigt . Für diese positive Entwicklung ist die kolumbianische Be- völkerung sicher ebenfalls sehr dankbar, sie wird nun- mehr hoffentlich einer Zeit des Friedens und des Wohl- stands entgegenblicken können . Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg . Mehr als 6 Millionen Kolumbianer leben als Binnenflüchtlin- ge im eigenen Land . Viele Gebiete werden durch die vielfach ausgebrachten Landminen noch für Jahre unbe- wohnbar bleiben . Noch lange Zeit nach dem Waffenstill- stand und einem abzuschließenden Friedensabkommen werden diese geächteten Kriegsmittel vermutlich Ursa- che für steigende Opferzahlen sein, bedenkt man, dass bis Ende 2014 in Kolumbien 11 000 Menschen durch Minen verletzt wurden oder ihr Leben verloren . Nach den physischen Hinterlassenschaften des Krie- ges werden es die seelischen Verletzungen sein, welche der Heilung bedürfen . Es wird Jahrzehnte dauern, bis ein Frieden auf dem Papier auch in den Köpfen der Men- schen ankommt . Im Antrag fordern wir die Bundesregie- rung demnach auch auf, „die deutschen Erfahrungen im Umgang mit der Aufarbeitung der Geschichte des Kon- flikts, der Versöhnung und der Erinnerungskultur in die- sen Prozess einzubringen“ . Bei einer solchen Nachbereitung bewaffneter Konflik- te haben sich die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sowie die zivile Krisenprävention als nachhaltige Instru- mente erwiesen . Das Goethe-Institut in Bogotá und die durch das Goethe-Institut geförderten Kulturgesellschaf- ten in Colombo, Cartagena und Medellín waren und blei- ben Schutzräume der Begegnung und des Austauschs . Durch das geplante Deutsch-Kolumbianische Friedens- institut in Bogotá wird dieses Angebot sinnvoll erweitert . Auch eine Ausbildung an den aus Mitteln der auswär- tigen Kultur- und Bildungspolitik geförderten Schulen in Kolumbien wird dazu beitragen, die wehrlosesten Opfer dieses Konflikts, die zwangsrekrutierten Kinder- und Ju- gendsoldaten, in die Gesellschaft zu reintegrieren . Der jungen Generation Kolumbiens, insbesondere in den Konfliktgebieten in den ländlichen Regionen, muss eine Zukunftsperspektive geboten werden, um zu verhindern, dass sie den Verlockungen krimineller Banden erliegen . Deren Erstarken muss deshalb im Zuge einer Demobili- sierung der Guerillagruppen unbedingt verhindert wer- den . Auch die Resozialisierung älterer Guerillakämpfer ist eine wichtige Voraussetzung für einen dauerhaften Frie- den . Ohne wirtschaftliche und soziale Partizipation wird der Weg der Gewalt und der Kriminalität für sie eine Al- ternative zu Armut und Hunger bleiben . Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung und Bundesminister Gerd Müller haben deshalb ein Beratungsprogramm für nach- haltige Arbeitsplätze und Einkommen in den ländlichen Regionen Meta und Norte de Santander geschaffen, die besonders vom Konflikt betroffen waren. Unter anderem werden dort regionale Bauernmärkte gefördert, um in den schwer zugänglichen Regionen lokale Absatzplatt- formen zu schaffen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18187 (A) (C) (B) (D) All diese Maßnahmen werden hoffentlich dabei hel- fen, dass aus dem Waffenstillstand ein echter und dau- erhafter Frieden wird . Mag dieser Antrag auch nur ein kleiner Schritt auf diesem Weg sein: Deutschland kann dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen . Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Seit vier Jahren lau- fen die offiziellen Gespräche zwischen der kolumbiani- schen Regierung und der FARC (Fuerzas Armadas Re- volucionarias de Colombia – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) zur Beendigung des bereits seit Jahrzehnten andauernden innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes. Über 225 000 Menschen verloren im Verlauf dieses Konflikts ihr Leben, 6,5 Millionen wurden zu Flüchtlin- gen im eigenen Land . Insgesamt 8,5 Millionen Kolum- bianer waren und sind direkt vom Konflikt betroffen, als Opfer von Verschleppungen, Entführungen und sexuali- sierter Gewalt . Mit dem erst vor zwei Wochen geschlossenen Waffen- stillstand mit der FARC wurde ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zur Schaffung eines stabilen und dauerhaf- ten Friedens im Land erreicht . Diese Entwicklungen sind vor allem auch ein Lichtblick für die Bevölkerung Ko- lumbiens, die seit über 50 Jahren unter den schrecklichen Auswirkungen des Konflikts leiden musste. Deutschland und Kolumbien pflegen seit langem enge politische, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen . Im Februar 2015 konnte ich Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei seiner Reise nach Kolumbien begleiten . Unser Kollege Tom Koenigs wurde im Nachgang zu un- serer gemeinsamen Reise zum Beauftragten zur Unter- stützung des Friedensprozesses in Kolumbien bestellt . Wir danken Tom Koenigs für seine Arbeit und wünschen ihm weiterhin viel Kraft und Erfolg . Auch zahlreiche deutsche Nichtregierungsorganisa- tionen, vor allem unsere politischen Stiftungen wie die Konrad-Adenauer-Stiftung, leisten seit Jahrzehnten ei- nen ebenso wichtigen wie unverzichtbaren Beitrag zu Frieden, Demokratie und Entwicklung in Kolumbien . Dies wurde auch im Gespräch mit einer breit aufgestell- ten Delegation der kolumbianischen Zivilgesellschaft deutlich, das ich in Berlin vor wenigen Wochen führen konnte, an dem auch der Erzbischof von Cali teilnahm . Die geplante Einrichtung eines Deutsch-Kolumbiani- schen Friedensinstituts in Bogotá (DKFI), das den lau- fenden Friedensprozess auf der Ebene von Forschung und Lehre begleiten wird, ist ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigen Aufarbeitung des Konfliktes. Als Deutsche können wir dabei unsere eigenen Erfahrungen im Umgang mit der Aufarbeitung einer schwierigen Ge- schichte teilen, um auf diese Weise die Aussöhnung in Kolumbien zu unterstützen . Trotz aller Hoffnung und positiven Entwicklungen gilt: Kolumbien hat noch einen weiten Weg hin zu einem stabilen Frieden vor sich . Dem Gewaltverzicht muss eine dauerhafte Aufarbeitung des Konfliktes folgen, vor allem aber die politische Lösung der Konfliktursachen in einem demokratischen Prozess . Die kolumbianische Gesellschaft muss selbst zu ei- nem inneren Frieden finden. Ein mögliches Abkommen braucht daher eine möglichst breite Zustimmung in der Bevölkerung, beim Militär und bei den wichtigsten poli- tischen und wirtschaftlichen Eliten . Die Zustimmung wird sich nicht nur im Ergebnis ei- nes zu entscheidenden Referendums über einen zukünf- tigen Friedensvertrag widerspiegeln, sondern auch in der praktischen Umsetzung beweisen müssen . Dazu gehört auch die Frage der strafrechtlichen Aufarbeitung als eine der größten Herausforderungen . Im Rahmen unseres Besuchs, vor allem bei dem Ge- spräch in einem Resozialisierungszentrum für ehemalige Guerilleros, wurde deutlich, dass viele Menschen in die- sem Konflikt Täter und Opfer zugleich waren. Besonders beeindruckt hat mich der aufwühlende Bericht einer jungen Frau, die als Jugendliche von der FARC unter Todesandrohung aus ihrem Elternhaus zwangsrekrutiert wurde . Wir sprachen mit Menschen, die auf verschiedenen Seiten gekämpft haben – und doch oft- mals das gleiche Schicksal teilten . Deutlich wurde, wie wichtig die friedliche Wiedereingliederung ehemaliger FARC-Guerilla und anderer Gruppen für einen dauerhaf- ten Frieden im Land ist . Im Sinne der „Transitional Justice“, bei der nicht die Bestrafung, sondern die Wiederherstellung der Würde der Opfer im Mittelpunkt steht, müssen alle Fakten of- fengelegt werden und die Täter dazu gebracht werden, ihre Verbrechen anzuerkennen . Nur dadurch kann der Konflikt dauerhaft aufgearbeitet werden, und es kann eine Chance auf Versöhnung geben . Eine besondere Herausforderung bei der Konsoli- dierung des Friedens wird künftig die Schaffung eines sicheren Lebensumfelds in den Konfliktregionen sein. In großen Teilen der von der FARC kontrollierten Ter- ritorien ist der Staat kaum oder fast gar nicht präsent . Es muss verhindert werden, dass ein Machtvakuum vorran- gig um kriminelle Strukturen herum errichtet wird . Um der Bevölkerung zukünftig legale Erwerbsmöglichkeiten zu bieten, ist eine Politik der integrierten landwirtschaft- lichen Entwicklung unerlässlich – auch zur Bekämpfung des Drogenanbaus . Der Versöhnungsprozess bietet auch die große Chan- ce, mit positiven Nachrichten aus Kolumbien neue Mög- lichkeiten für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwick- lung zu eröffnen . Dadurch können neue Lebenschancen in einem Land mit viel Potenzial ermöglicht werden, auch durch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland und dem Engagement deutscher Unter- nehmen in Kolumbien . Mit unserem fraktionsübergreifenden Antrag unter- stützen wir als Parlament Deutscher Bundestag aus- drücklich den Friedensprozess in Kolumbien . Wir wün- schen uns von allen politischen Kräften Kolumbiens und der Gesellschaft des Landes einen konstruktiven Beitrag zur Beendigung der Gewalt und eine aktive Unterstüt- zung des Friedensprozess . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618188 (A) (C) (B) (D) Klaus Barthel (SPD): Kolumbien steht am Schei- deweg . Die Zahlen der Toten, Vertriebenen, Traumati- sierten, Geflohenen, Verschwundenen, die über 50 Jahre Bürgerkrieg verursacht haben, dürften im Zuge der jetzt beginnenden Aufarbeitung eher nach oben korrigiert wer- den . Nicht eingerechnet sind wohl bisher die Opfer, die „im Windschatten“ dieses Konfliktes zu beklagen sind, die Ermordeten, Verschwundenen, Eingeschüchterten, Vergewaltigten . Auch bedingt durch den gewaltsamen Konflikt, leidet Kolumbien unter dem teilweisen Fehlen von Rechtsstaatlichkeit, staatlicher Handlungsfähigkeit und Institutionalität, eines wirksamen Gewaltmonopols sowie einer unabhängigen und funktionsfähigen Justiz . Gleichzeitig hat Kolumbien enorme Potenziale in vie- lerlei Hinsicht . Denkt man sich Bürgerkrieg und Gewalt weg, nähme nur die Ressourcen, die der Binnenkonflikt kostet, und den Verlust an Wachstum, an Produktivität, an Konsum- und Investitionsmöglichkeiten, Kolumbien gehörte zu den reichsten Ländern der Welt . Dennoch ist der Weg zum Frieden noch mit vielen Hürden und Schlaglöchern versehen . Die eigentliche Arbeit beginnt mit dem Friedensschluss . Andere Redner werden das auch verdeutlichen, der Antrag der Koalition benennt es, auch der Antrag der Linksfraktion . Uns allen muss klar sein: Es gibt jetzt keine Sieger und Besiegten . Alle müssen sich aufeinander zubewegen und erkennen: Bei einem Friedensprozess wird es mittel- und langfristig Gewinnerinnen und Gewinner in großer Zahl geben . Wenn der Frieden scheitert, werden Kolum- bien insgesamt und die Mehrheit der Bevölkerung verlie- ren . Dennoch besteht Gefahr von derjenigen mächtigen Minderheit, die von Armut, Gewalt, Krieg und Unterdrü- ckung profitiert. Deshalb ist es so wichtig, dass es heute vom Deut- schen Bundestag ein gemeinsames klares Signal gibt: Diejenigen Kräfte in Kolumbien, die den Friedenspro- zess torpedieren wollen, können von keiner Seite aus befreundeten Ländern mit Sympathie oder Unterstützung rechnen . Der Deutsche Bundestag schließt sich auch der konsensuellen Position des US-Kongresses an . Deshalb bin ich sehr froh, dass heute Koalition und Opposition gemeinsam abstimmen . Einmal mehr stellt sich damit auch die Frage, weshalb die Linksfraktion grundsätz- lich von der Erarbeitung solcher Anträge ausgeschlossen bleiben muss . Auch wir brauchen hier eine neue Kultur der Zusammenarbeit – auch bei fortbestehenden Mei- nungsunterschieden . Die Komplexität des langjährigen Konfliktes hat auch zur Folge, dass seine Aufarbeitung schon deshalb sorg- fältig, differenziert und längerfristig angegangen bzw . fortgesetzt werden muss, weil es einfache Täterinnen/ Täter-Opfer-Rollenzuweisungen kaum geben kann . Dies gilt sowohl für die einzelnen Menschen, die auf der einen oder anderen Seite gekämpft haben, als auch für Organi- sationen und Institutionen, seien es Polizei und Militär, Paramilitärs, FARC, politisch Verantwortliche oder die Kirche . Das heißt nicht, dass alle gleich schuldig sind, Verantwortung verwischt werden kann oder eine Gene- ralamnestie angemessen ist . Es heißt aber, dass sorgfäl- tige Aufarbeitung, Wiedergutmachung und Versöhnung im Vordergrund stehen müssen, aber Schuldige bestraft werden, auch abhängig davon, was sie zur Aufarbeitung beitragen . Dies muss aber in Kolumbien selbst durch den Frie- densvertrag geregelt und rechtsstaatlich abgesichert wer- den . Unser Beschlussvorschlag versteht sich daher auch als Unterstützung für die Aktivitäten der Bundesregie- rung in Kolumbien, die demonstrativ und praktisch den Friedensprozess unterstützt . Dies drückt sich auch in der Ernennung des Sonderbeauftragten Tom Koenigs aus, für dessen Arbeit und Engagement wir uns ausdrücklich be- danken . Gleichzeitig – und das findet bisher zu wenig Auf- merksamkeit – braucht Kolumbien eine langfristige Stra- tegie, um den Ursachenkern des Gewaltkonfliktes be- kämpfen zu können: die enorme, weltweit im Spitzenfeld liegende Ungleichheit an Vermögen, Grundbesitz und Einkommen . Der Frieden ist kein Eliteprojekt . Deshalb braucht er nicht nur die passive Duldung der Bevölkerung, sondern die aktive Teilnahme der bisher wirtschaftlich abge- hängten Bevölkerungsmehrheit . Deshalb regen wir die Ingangsetzung und Institutionalisierung eines breiten gesellschaftlichen Dialoges an, um Landnutzungs- und -besitzkonflikte zu entschärfen, um Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Organisationen zu schützen und zu stärken und um alle Teile der Bevölkerung am potenziell enormen Reichtum des Landes teilhaben zu lassen . Dazu gehört auch eine Steuerpolitik, die an den Spitzeneinkommen und Vermögen anknüpft, anstatt nur am Rohstoffabbau und Verbrauchsbesteuerung . Die EU und Deutschland tragen dabei Mitverantwortung . So ist in der Präambel und in einigen Passagen des Freihandel- sabkommens der EU mit Kolumbien und Peru eindeutig ein solcher Dialog angelegt, und es sind auch Gremien dafür vorgesehen . Wir fordern Bundesregierung und EU-Kommission dazu auf, den Ankündigungen, die es vor Abschluss des Abkommens in dieser Hinsicht gab, jetzt Taten folgen zu lassen . Ich erinnere daran, dass wir als SPD-Bundes- tagsfraktion wegen der Unverbindlichkeit der Nachhal- tigkeitsaspekte dieses Freihandelsabkommen abgelehnt haben . Derzeit können wir nicht einmal im Ansatz er- kennen, dass wenigstens diese unverbindlichen Dekla- rationen und Gremien überhaupt im Land bekannt sind, geschweige denn daran angeknüpft wird . Auch deshalb müssen wir im Sinne des Friedenspro- zesses unsere Verantwortung wahrnehmen, wo immer dies möglich ist . Hier steht auch unsere Handelspolitik auf dem Prüfstand . Edelgard Bulmahn (SPD): 52 Jahre hat der bewaff- nete Konflikt in Kolumbien angedauert. Er hat unend- lich großes Leid über die Bevölkerung gebracht – durch Menschenrechtsverletzungen, Terrorakte und Aktivitäten unterschiedlicher bewaffneter Gruppen . Rund 8,5 Mil- lionen Menschen wurden Opfer von Gewalt, systema- tischer Vertreibung, Verschleppung, Entführung und Zwangsrekrutierung . 6,5 Millionen Menschen wurden zu Vertriebenen im eigenen Land . Etwa 225 000 Menschen, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18189 (A) (C) (B) (D) darunter besonders Frauen, Afrokolumbianer und Indige- ne, wurden getötet . In diesen Tagen stehen wir nun endlich kurz vor dem Abschluss eines umfassenden Friedensvertrages zwi- schen der kolumbianischen Regierung und der Rebellen- gruppe FARC . In den vergangenen Jahren wurden zwi- schen Regierung und FARC vier Kapitel dieses Vertrages verhandelt . Einigungen konnten bereits zwischen 2013 bis 2015 zu den Kapiteln Landreform, politische Teil- habe, Drogenanbau und Übergangsjustiz/Opferentschä- digung erzielt werden . Die Verhandlungen zum fünften und schwierigsten Kapitel „Beendigung des bewaffneten Konflikts“ zogen sich jedoch hin, bis vor zwei Wochen. Am 23 . Juni verkündeten der kolumbianische Präsident Santos und FARC-Chef Timoschenko im Beisein von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und anderen hochran- gigen internationalen Vertretern die Einigung auf einen Waffenstillstand, die Niederlegung der Waffen durch die FARC und die Reintegration der FARC-Kämpfer in die kolumbianische Gesellschaft . Präsident Santos hat er- klärt, dass er nach der Einigung beim Schlusskapitel nun eine Unterzeichnung des gesamten Friedensvertrags bis zum 20 . Juli anstrebt . Dieser Abschluss des Friedenspro- zess stellt – und wir hoffen, es kommt so – eine histori- sche Zäsur dar und eine riesige Chance für die kolumbi- anische Gesellschaft nach fünf Jahrzehnten der Gewalt, wenngleich ein Friedensschluss mit der letzten verblei- benden Rebellengruppe ELN noch aussteht . Zugleich aber steht Kolumbien vor der enormen He- rausforderung, den Friedensvertrag umzusetzen . Die Chancen für eine friedliche Entwicklung zu nutzen und den Vertrag mit Leben zu füllen, ist die eigentliche Auf- gabe, vor der nicht nur die kolumbianische Regierung, sondern vor allem auch die gespaltene kolumbianische Gesellschaft steht . Der uns vorliegende Antrag greift aus unserer Sicht alle wichtigen Aspekte der politischen, so- zialen und ökonomischen Herausforderungen, vor denen Kolumbien steht, auf . Deutschland möchte als Partner der kolumbianischen Gesellschaft auf dem Weg in eine friedliche und ökonomisch prosperierende wie ökolo- gisch nachhaltige Zukunft zur Seite stehen . Dieser An- trag ist ein Angebot, die Umsetzung des Friedensvertra- ges zu unterstützen . Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auf einen be- sonderen Punkt aufmerksam machen, denn auf die wich- tige Rolle der Kirche bei den Vermittlungsbemühungen ist an anderer Stelle bereits hingewiesen worden . Hier und heute sei auch das Verdienst der kolumbianischen Frauen für den Frieden gewürdigt! Die kolumbianischen Frauen haben auf mehrfache Weise unter dem Konflikt gelitten, als Opfer von Gewalt und zugleich als beson- ders Betroffene, die soziale und ökonomische Lasten des Konflikts tragen mussten. Jene Frauen wie die, die vor 20 Jahren die Frauenrechtsorganisation Ruta Pacifica de las Mujeres gegründet und sich entschieden haben, sich gegen Krieg, Terror, sexuelle Gewalt und Ausbeutung zur Wehr zu setzen, haben einen wesentlichen Beitrag zur Ermöglichung des Friedensprozesses und des Frie- densschlusses geleistet . Durch friedlichen Protest und die Herstellung von Öffentlichkeit haben sie sich ganz entscheidend um die Delegitimierung des Konfliktes ver- dient gemacht . Das Engagement und die Beharrlichkeit dieser vielen mutigen Frauen waren mitentscheidend da- für, dass es überhaupt zu diesem Friedensprozess kom- men konnte . Umso mehr gilt es hier zu betonen: Die für den Frieden engagierten Frauen dürfen nicht in eine Beobachterrolle gedrängt werden . Die Einbeziehung der Frauenrechtsorganisationen wird auch für die Umsetzung des Vertrages elementar sein, um die langfristige Befrie- dung der Konfliktakteure und um die Überwindung der Spaltung der kolumbianischen Gesellschaft zu erreichen . Sie sollten daher auch bei der Implementierung der Frie- densvereinbarung und einzelner Maßnahmen eine wich- tige Rolle spielen . Nicht zuletzt darauf müssen wir unser Augenmerk und unsere Anstrengungen richten, wenn wir uns für Kolumbien eine friedliche Zukunft wünschen und an dieser auch mitwirken wollen . Heike Hänsel (DIE LINKE): Wir erleben eine his- torische und hoffnungsvolle Zeit in Kolumbien . Der längste interne bewaffnete Konflikt weltweit soll nach mehr als 50 Jahren beigelegt werden; die Waffen sollen schweigen . Nach der Unterzeichnung eines bilateralen Waffen- stillstandes zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerillaorganisation FARC-EP am 23 . Juni 2016 in Havanna bereitet sich die kolumbianische Gesellschaft auf die Phase der Waffenniederlegung vor . Der Humus für einen nachhaltigen Frieden ist die ko- lumbianische Zivilgesellschaft . Aber trotz der Fortschrit- te bei den Friedensverhandlungen in Havanna, die erst durch die Unterstützung der Regierungen der Republik Kubas und Norwegen als Garanten möglich geworden sind, häufen sich jedoch Übergriffe gegen Menschen- rechtsverteidigerinnen und -verteidiger, Gewerkschafter sowie Landrechts-, Friedens- und Umweltaktivistinnen und -aktivisten . Es sind vor allem paramilitärische Grup- pen, die soziale Bewegungen, Menschenrechtsaktivisten und Kleinbauern terrorisieren . Seit Beginn der Friedens- verhandlungen gab es 1 868 Übergriffe jeglicher Art, wie versuchter Mord, telefonische und schriftliche Todesdro- hungen und illegale geheimdienstliche Beschattung . In der gleichen Zeit wurden zudem 287 Menschen ermor- det . Allein für 2015 sind 682 Übergriffe und 63 Morde registriert worden . Die Zunahme der paramilitärischen Aktivitäten durch Gruppierungen wie Los Urabenos, Aguilas Negras und Clan Usuga gefährden das Leben der Kolumbianerinnen und Kolumbianer und eine friedliche Entwicklung nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens in Ko- lumbien . Der Paramilitarismus ist ein nach wie vor integraler Bestandteil des Staates und dient der Durchsetzung eines neoliberalen Wirtschaftsmodells . So spielen paramilitä- rische Gruppen bei der illegalen Aneignung von Land und Vertreibung von Kleinbauern für große Agrarunter- nehmen eine entscheidende Rolle . Ebenso bei der Ver- folgung und Ermordung von Gewerkschaftern, wodurch der Kampf um Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmer- rechte massiv geschwächt wird . Durch den Einsatz von sexualisierter Gewalt gegen Frauen und brutalem Terror, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618190 (A) (C) (B) (D) wie zum Beispiel in den sogenannten „casas de pique“ in Buenaventura, sollen ganze Regionen ihrem Einfluss unterworfen werden . Nach wie vor sind Teile der politischen und wirt- schaftlichen Eliten in Kolumbien in paramilitärische Strukturen verstrickt, die aufgedeckt und zerschlagen werden müssen, um zu einem nachhaltigen und gerech- ten Frieden in Kolumbien beizutragen . Nach den Wahlen zum kolumbianischen Senat 2010 waren nach Angaben von Beobachtern 25 der 102 Senatoren direkt in den Pa- ramilitarismus verstrickt, heute wird der Partei Centro Democrático des ehemaligen Präsidenten und jetzigen Senators Alvaro Uribe unter anderem Wahlkampffinan- zierung aus paramilitärischen Quellen vorgeworfen . Wenn der Friedensschluss in Kolumbien nachhaltig umgesetzt werden soll, muss der erstarkende Paramili- tarismus konsequent bekämpft werden . Dafür muss die Bundesregierung ihren Druck auf die kolumbianische Regierung erhöhen. 97 Prozent Straflosigkeit sind in- akzeptabel . Auch deutsche Unternehmen, die Geschäfte machen mit Unternehmen in Kolumbien, die Paramilitärs finanzieren, zum Beispiel im Bereich des Steinkohleab- baus, müssen zur Verantwortung gezogen werden . Wir fordern auch, Menschenrechtsstandards in das EU-Ab- kommen mit Kolumbien aufzunehmen, die Sanktionen ermöglichen bei gravierenden Menschenrechtsverletzun- gen . Die Sicherheitsgarantien für alle, die in Kolumbi- en politisch aktiv werden wollen, müssen ernsthaft und nachhaltig umgesetzt werden . Es kann nicht sein, dass jede/r, der/die für soziale Gerechtigkeit in Kolumbien kämpft, sofort Todesdrohungen erhält . Dies betrifft auch die zukünftigen politischen Akteure der demobilisierten FARC . Zu tief sitzen die Erinnerungen an den Genozid an der linken Partei Union Patriotica, die faktisch durch die Ermordung Tausender Mitglieder ausgelöscht wurde . Ebenso erging es den ehemaligen Kämpfern der Guerilla M-19 . Viele von ihnen wurden später ermordet . Auch der Staat seinerseits kriminalisiert durch Straf- anzeigen und strafrechtliche Verfahren, auf Grundlage zweifelhafter Beweise und Zeugen, Menschenrechts- verteidigerinnen und -verteidiger, Menschenrechtsorga- nisationen und linke, oppositionelle Politikerinnen und Politiker . Die bekanntesten Fälle betreffen die Politiker Piedad Córdoba und Iván Cepeda Castro, den Soziologen Miguel Ángel Beltrán, den Menschenrechtsverteidiger David Rabelo, den Gewerkschafter Hubert Ballesteros und Feliciano Valencia, Kämpfer für die indigenen Rech- te . Diese politisch motivierten Verfahren müssen einge- stellt und Verurteilungen neu untersucht werden . Die Bundesregierung kann mit der finanziellen Un- terstützung von Friedensorganisationen die Zivilge- sellschaft stärken . Es gibt viele gute Initiativen, die Friedens- und Widerstandsgemeinden, eine Friedensuni- versität von Justicia y Paz und eine unabhängige Kom- mission zur Überwachung der Nichtwiederholung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit . Die Friedensorga- nisationen müssen auf alle Fälle in die Projektplanungen einbezogen werden . Im Rahmen der EZ muss aber auch ausgeschlossen werden, dass die geplante wirtschaftliche Entwicklung der ehemaligen Konfliktregionen zu neuen Konflikten bei Landbesitz und Rohstoffabbau führt . Für eine friedliche Entwicklung in Kolumbien ist es notwendig, dass ein Polizeigesetz für Friedenszeiten verabschiedet wird und nicht, wie gerade, ein Gesetz mit Sondervollmachten für Festnahmen und Hausdurch- suchungen ohne Gerichtsbeschluss im Kongress verab- schiedet wird . Die Militärdoktrin der nationalen Sicherheit in Ko- lumbien muss ad acta gelegt werden, und die Zahl der über 500 000 Soldatinnen und Soldaten muss deutlich reduziert werden . Von der Einbindung in die GSVP-Mis- sionen der EU wie Atalanta oder EUAM in der Ukraine und der Kooperationsvereinbarung mit der NATO halten wir nichts . Das ist nicht für den Frieden förderlich und muss beendet werden . Noch ein Wort zum Antrag der Bundesregierung und der Grünen: Sehr gerne hätten wir an diesem gemeinsa- men Antrag mitgearbeitet . Die Fraktion Die Linke war nicht gefragt worden . Diese Politik der Ausgrenzung ist kurzsichtig und kontraproduktiv . Trotzdem werden wir den Antrag unterstützen, um ein gemeinsames Zeichen nach Kolumbien zu schicken: Frieden ist möglich! Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 1974 war ich zum ersten Mal in Kolumbien . Auf Reisen per Bus, zu Pferd und zu Fuß habe ich die wunderbare Land- schaft, die Herzlichkeit der Menschen und den Reichtum der Kultur des Landes kennengelernt . Ich bin ein Freund Kolumbiens geblieben und zu einem großen Bewunde- rer vor allem der kolumbianischen Literatur geworden . Ende der 1970er-Jahre erreichte der bewaffnete Kampf zwischen der kolumbianischen Regierung und den be- waffneten Gruppen furchtbare Höhepunkte . Beide Seiten zogen die Zivilbevölkerung mehr und mehr in den Krieg mit hinein, mit schrecklichen Folgen . Heute, 40 Jahre später, nach 6,5 Millionen Binnenver- triebenen und über 340 000 Toten, hat Kolumbien endlich eine realistische Perspektive auf einen dauerhaften und stabilen Frieden . Dies ist eine historische Chance, zu der alle gesellschaftlichen Gruppen im Land und alle Freun- de Kolumbiens ihren Beitrag leisten sollten . Seit fünf Jahren verhandeln die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla . Sie haben viel erreicht: die Verein- barungen zur Landentwicklung, zur politischen Beteili- gung, zur Bekämpfung der Drogenkriminalität sowie die Einigung auf eine Sondergerichtsbarkeit für den Frieden zur Aufarbeitung der vielen grausigen Verbrechen in die- sem Krieg und auf eine Wahrheitskommission . Mit der Unterzeichnung des bilateralen Waffenstillstands wurde jetzt der letzte entscheidende Durchbruch erzielt . Dieser Weg hat beiden Seiten einen großen Friedenswillen und viel Kompromissbereitschaft abverlangt . Ich beglück- wünsche Präsident Santos, Comandante Timoschenko und die beiden Verhandlungsteams für ihren Mut und ihre Entschlossenheit und versichere, dass wir den Frie- densprozess weiter mit allen Kräften unterstützen wer- den . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18191 (A) (C) (B) (D) Deutschland hat besondere Beziehungen zu Kolum- bien . Die wichtigsten sind kultureller, wissenschaftlicher und persönlicher Art . Deutschland hat mit Kolumbien keine koloniale, keine postkoloniale und auch keine neo- liberale Beziehung, sondern eine kollegiale . Bester Aus- druck dafür sind die 160 Abkommen zwischen deutschen und kolumbianischen Universitäten sowie Tausende Stu- dierende, die von Kolumbien nach Deutschland und von Deutschland nach Kolumbien gehen, um unsere gemein- same Zukunft zu schaffen . Frieden durch Beteiligung, Integration, Verhandlun- gen und demokratische Reformen – das ist der Weg, den Kolumbien geht; das ist der Weg der Krisenprävention und Krisenbehandlung, den Deutschland unterstützt . Für diesen Weg brauchen wir beide, Deutschland und Ko- lumbien, Entschlossenheit zum Frieden und Mut zu Er- gebnissen ohne Sieger und Besiegte . Friedensgespräche müssen auf Augenhöhe geführt werden und die Verein- barungen langfristig und verlässlich sein . Dieser Weg ist auch unser Weg . Mehr Demokratie zu wagen, wie es Kolumbien tut, ist eine Herausforderung und ein Risiko . Aber es kann gelingen, wenn Politik statt auf Schuldzuweisungen auf Versöhnung setzt . Das Verhandlungsergebnis zur Sonderjustiz für den Frieden bedeutet weder Vergessen noch Straflosigkeit. Es bedeutet Wahrheit, Ermittlung und Aufklärung unter Einbeziehung der Opfer und unter Mitarbeit der Täter . Es geht auch um Wahrhaftigkeit . Die Verhandlungsergeb- nisse zur juristischen Aufarbeitung gehen weiter als in den früheren Friedensprozessen in Lateinamerika . Auch der Frieden hat seine Konjunktur . Für den Frie- den mit der FARC haben sich Norwegen, Kuba, Vene- zuela und Chile engagiert . Die Vereinigten Staaten spiel- ten eine wichtige Rolle . Für den Frieden mit der ELN, wo die öffentlichen Verhandlungen noch ausstehen, können sich noch weitere Staaten engagieren, auch Deutschland . Ohne den Frieden mit der letzten Guerilla-Gruppe bleibt der Prozess unvollkommen und birgt neue Gefahren . Die Zeit für den Frieden mit der ELN ist jetzt . Der heute vorliegende Antrag soll die Zusammenar- beit zwischen Deutschland und Kolumbien parlamenta- risch und demokratisch besiegeln und unsere Unterstüt- zung für den Friedensprozess langfristig sichern . Das ist im Interesse Deutschlands und Kolumbiens und aller Freundinnen und Freunde des Landes . Wir haben ein In- teresse an Kultur und demokratischer Politik, an Koope- ration im Klimaschutz und an einer Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften sowie der Parlamente und Regierun- gen hier und dort . Kolumbien ist dabei, ein neues Kapitel in der Geschichte des Landes aufzuschlagen . Wir sind stolz, dabei zu sein . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (6. SGB IV-Änderungsge- setz – 6. SGB IV-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Wie schon in der ersten Lesung angekündigt, können wir heute ein Gesetz zur Optimierung der Meldeverfahren in der so- zialen Sicherung verabschieden, von dem wirklich alle Beteiligten profitieren: die Bürger, die Arbeitgeber und die Sozialversicherungsträger . Es wird besser . Es wird einfacher . Und es wird günstiger . Von welchem anderen Gesetz kann man das schon behaupten? Durch die gemeinsame, verschlüsselte Datenübertra- gungsbasis haben sich seit dem Jahr 2006 große Potenzia- le der Entbürokratisierung ergeben . Alle Verfahrensbetei- ligten – also sowohl Arbeitgeber, Softwareunternehmen und Sozialversicherungsträger – sehen das System grundsätzlich als durchdacht, sicher und sparsam an . Trotzdem gibt es natürlich auch hier noch Optimie- rungspotenziale . Das hatte die schwarz-gelbe Koalition erkannt und im Jahr 2011 das Projekt „Optimiertes Mel- deverfahren in der sozialen Sicherung“ (OMS) gestartet . Nun können wir die Früchte dieser Arbeit ernten . Und der Baum, an dem diese Früchte hängen, ist groß . Denn bei dem Meldeverfahren handelt es sich um das größte und komplexeste Massenverfahren zur Weitergabe von Informationen von den Arbeitgebern an öffentliche Stel- len in Deutschland . Die potenzielle Ernte ist also eben- falls groß . Mit dem vorliegenden Gesetz wollen wir nun erst einmal die aus dem vergangenen Jahr übrig gebliebenen Verbesserungsvorschläge aus dem OMS-Projekt umset- zen . Damit wird es pro Jahr immerhin weitere 43 Millio- nen Euro weniger Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft geben . Zu den Maßnahmen gehören zum Beispiel der Einsatz einer maschinenlesbaren Verschlüsselung der Daten auf dem Sozialversicherungsausweis oder auch die Umsetzung einer automatisierten Übertragung der Anträge und Bescheinigungen über die Fortgeltung des Versicherungsschutzes im Ausland . Das hört sich alles sehr kleinteilig an – fast nach mehr Bürokratie als nach weniger . Aber es sind genau diese Feinjustierungen, die im Endeffekt weniger Aufwand be- deuten . Auch die weiteren gesetzlichen Änderungen, die mit dem vorliegenden Gesetz vorgenommen werden, sind keine Revolutionen . Sie bringen aber dort kleine Ver- änderungen, wo sie nötig sind . Stellvertretend sei die Regelung genannt, die es Krankenkassen und Unfallver- sicherungsträgern ermöglicht, einen begrenzten Teil des Deckungskapitals für Altersrückstellungen von Dienst- ordnungsangestellten in Aktien anzulegen . Mit den Regelungen fahren wir also erst einmal eine vergleichbar kleine Ernte vom Bürokratiebaum ein . Die Entbürokratisierung bleibt als Prozess aber am Laufen . Und das ist eminent wichtig für uns . Denn wir wollen, dass wir weiterhin einen starken und wettbewerbsfähigen Mittelstand haben, dass wir dadurch regelmäßige Re- kordmeldungen vom Arbeitsmarkt bekommen, ja, dass wir unseren Wohlstand in Deutschland erhalten . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618192 (A) (C) (B) (D) Die größere Ernte wird sicher das angekündigte zwei- te Bürokratieentlastungsgesetz einfahren . Und auch bei der Evaluation des Mindestlohngesetzes wird man die Notwendigkeit einiger Aufzeichnungs- und Nachweis- pflichten in Frage stellen können. Viel Spielraum also noch, um alles ein klein wenig einfacher zu machen . Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU): Im Laufe des bisherigen Beratungsverfahrens wurden weite- re Anregungen aus den Ressorts an das Bundesarbeitsmi- nisterium herangetragen . Diese und die Stellungnahme des Bundesrates wurden aufgenommen, sodass wir heute auch über weitere Änderungen abstimmen werden . Zunächst einmal möchte ich aber, bevor ich die Er- gänzungen näher erläutere, den wesentlichen Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfes wieder ins Gedächtnis rufen . Wir geben der Praxis eine rechtliche Grundlage und sorgen mit dem Gesetz für Rechtssicherheit in den Meldeverfahren . Damit werden insbesondere die Arbeit- geber und die Wirtschaft finanziell, aber auch was den zeitlichen Aufwand betrifft, spürbar entlastet . Die neuen Regelungen bilden die Praxis ab und optimieren dadurch Meldeverfahren in der sozialen Sicherung . Die damit einhergehende Senkung von Bürokratiekosten und Ent- lastung der Arbeitgeber beläuft sich auf rund 43,5 Mil- lionen Euro . Aber nicht nur die Wirtschaft profitiert von den Er- leichterungen und der Vereinfachung von technischen und organisatorischen Abläufen, sondern auch der ein- zelne Bürger . Gutes darf auch wiederholt werden: Wir reduzieren den Aufwand der Bürgerinnen und Bürger unter anderem durch die Möglichkeit des elektronischen Abrufs von Bescheinigungen direkt vom Arbeitgeber durch die Träger der Unfallversicherung um rund eine Stunde im Einzelfall . So werden auch die Sozialversiche- rungsträger durch qualitätsverbessernde Maßnahmen um 3,4 Millionen Euro jährlich entlastet . Den Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern wird künftig die Aktienanlage eines begrenzten Teils des Deckungskapitals (10 Prozent) für Altersrückstellungen von Dienstordnungsangestellten ermöglicht . Den Un- mut der Opposition in Bezug auf diese Änderung ver- mag ich nicht nachzuvollziehen . Denn die zusätzliche Anlageform bietet künftig auch den Krankenkassen die Möglichkeit, bei dem sehr langfristig zu bildenden De- ckungskapital für Altersrückstellungen höhere Erträge zu erzielen und das Anlageportfolio stärker zu diversifi- zieren . Das Risiko soll gerade durch die Begrenzung der Aktienanlage auf 10 Prozent überschaubar bleiben . Dem in § 80 Absatz 1 SGB IV geregelten Grundsatz der Anlagesicherheit wird dadurch Rechnung getragen, dass die Anlage in Aktien nur unter bestimmten Ein- schränkungen möglich ist und somit grundsätzlich beste- hende Verlustrisiken begrenzt werden . Fehlentscheidun- gen des Anlagemanagements können durch Vorgaben zur Ausgestaltung (passiv, indexorientiert) sowie zur Anlage in Euro-denominierten Aktien verringert und Währungs- risiken minimiert werden . Abschließend möchte ich auf die eingangs erwähnten Vorschläge, die Eingang in das vorliegende sogenannte Omnibusgesetz gefunden haben, zu sprechen kommen . Die Dienstunfallfürsorge für Beamtinnen und Beamten unter anderem des BMAS, BSG, BAG, die bisher von den jeweiligen Dienstherren eigenverantwortlich durch- geführt wurde, wird auf die Unfallversicherung Bund und Bahn übertragen . Das befristete Modellprojekt hat den Zweck, vorhandene und bewährte Verfahren zu nut- zen und dadurch für optimale fachliche Steuerung der Unfallfürsorgeleistungen für Beamtinnen und Beamte zu sorgen . Um die Bildung von Altersrückstellungen bei der So- zialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gar- tenbau zu vereinheitlichen, soll außerdem die Anlage- möglichkeit in Aktien auch in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung und der Alterssicherung der Land- wirte eröffnet werden . Weitere Änderungen betreffen das Arbeitszeitgesetz und das Jugendarbeitsschutzgesetz . Beide dienen der Umsetzung der EU-Binnenschifffahrtsrichtlinie . Die Umsetzung der gemachten Vorschläge zur quali- tativen Verbesserung von Verfahren mündet in der Fort- schreibung der gesetzlichen Grundlagen . Im Vordergrund steht dabei die mittelständische Wirtschaft, die deutlich von Bürokratie entlastet wird . Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Heute beraten wir ab- schließend einen eher technischen Gesetzentwurf zur Änderung des Vierten Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze . Dieses Gesetz wird keine Schlagzeilen machen . Es ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig gerade auch die weniger beachtete Parlamentsarbeit ist; denn wir verringern mit dem 6 . SGB IV-Änderungsgesetz vor allem Bürokratie und damit verbunden Zeit und Kosten, indem wir die elektronischen Meldeverfahren in der So- zialversicherung vereinfachen und verbessern . Davon profitieren sowohl die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als auch die Verwaltung und natürlich die Bürgerinnen und Bürger . Die Bedeutung der Meldeverfahren verdeutlicht vor allem eine Zahl: Jährlich finden etwa 400 Millionen Mel- devorgänge zu den Sozialleistungsträgern und zurück statt vor allem Anmeldungen, Abmeldungen und monat- liche Beitragsmeldungen bei den Kranken- und Unfall- kassen, bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung und bei der Pflegeversicherung. Deshalb ist es eine wich- tige Aufgabe der Bundesregierung sowie der Sozialversi- cherungs- und Sozialleistungsträger, die Funktionsfähig- keit dieses Systems regelmäßig zu verbessern und dem technischen Fortschritt anzupassen . Das digitale Zeitalter bietet hier wunderbare Möglichkeiten . Im Bruchteil von Sekunden können Mitteilungen und Nachrichten ganz ohne Papier rund um den Globus und natürlich auch in- nerhalb Deutschlands hin- und hergeschickt werden . Das spart Kosten, Zeit und Nerven und ist somit von Vorteil für alle Beteiligten . Weniger Bürokratie stärkt die Wett- bewerbsfähigkeit unserer Unternehmen . Eine verläss- liche und leistungsfähige öffentliche Verwaltung ist ein wichtiger Standortfaktor für Deutschland . Auch dadurch werden letztendlich Arbeitsplätze geschaffen und gesi- chert . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18193 (A) (C) (B) (D) Viele Änderungen gehen auf das Projekt „Optimiertes Meldeverfahren in der sozialen Sicherung“, kurz OMS genannt, des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia- les zurück . Daran beteiligt waren alle, die Daten ermit- teln, prüfen und übertragen: von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sowie Fachleuten der Sozialversicherungs- träger über Datenschutz- und Datensicherheitsexpertin- nen und -experten bis zu Softwareentwicklerinnen und -entwicklern . Diese Fachleute haben zwei Jahre lang aus ihrer Praxiserfahrung heraus gemeinsam an Verbesse- rungsvorschlägen gefeilt . Diese enge Zusammenarbeit in diesem Bereich ist deshalb so wichtig, da es sich fast ausschließlich um sensible Daten handelt, die versandt, bearbeitet und gespeichert werden . Softwareentwickle- rinnen und -entwickler mögen für Verwaltungsvorgänge rasch eine effektive technische Lösung zur Hand haben . Diese muss aber zum Beispiel auch den Ansprüchen des Datenschutzes entsprechen . Deshalb ist es gut, wenn alle Beteiligten von Anfang an eng zusammenarbeiten, um praxistaugliche, kostensenkende und zeitsparende Lö- sungen auf den Tisch legen zu können . Das hat mit der Projektgruppe, wie man sieht, gut geklappt . Bereits im letzten Jahr haben wir einige ihrer Vor- schläge mit dem 5 . SGB IV-Änderungsgesetz erfolgreich umgesetzt . Diesen Weg gehen wir jetzt weiter, indem wir uns andere zwischenzeitlich ausgearbeitete Verbesse- rungsvorschläge der Fachleute vornehmen . Hier ein paar Beispiele aus dem Gesetzentwurf: Wir führen die maschinenlesbare Verschlüsselung der Daten auf dem Sozialversicherungsausweis ein . Arbeit- geberinnen und Arbeitgeber sowie Sozialversicherungs- träger können zukünftig automatisch mit den richtigen Sozialversicherungsnummern arbeiten und ersparen sich aufwendige Fehlerkorrekturen . Außerdem schaffen wir die Möglichkeit zur elek- tronischen Beantragung und schnellen elektronischen Zusendung der A1-Bescheinigungen . Diese Bescheini- gungen sind nötig, um den Versicherungsschutz für Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sichern, wenn sie vorübergehend für Arbeitseinsätze ins Ausland entsandt werden . Derzeit müssen dafür noch Antragsformulare aus Papier umständlich und zeitraubend hin- und her- geschickt werden – und die Bescheinigung selbst natür- lich auch . Auch die Übermittlung von Entgeltbescheini- gungsdaten vereinfachen wir . Zudem wird eine Informationsplattform im Internet eingerichtet . Dort können Unternehmerinnen und Unter- nehmer zukünftig schnell an die wichtigsten Informatio- nen zu allen sozialversicherungsrechtlichen Fragen her- ankommen, die die Melde- und Beitragsverfahren ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreffen . Das wird viele Nachfragen ersparen – sowohl für die Unternehmen als auch für die Sozialversicherungen . Außerdem greifen wir Anregungen aus der Praxis auf . So wird zum Beispiel der Anwendungsbereich der Entgeltbescheinigung auf die Besoldungsnachweise für Beamte, Richter und Soldaten ausgedehnt . Die Entlastungen durch das 6 . SGB IV-Änderungsge- setz für die Bürgerinnen und Bürger, für die Arbeitge- berinnen und Arbeitgeber und auch für die Sozialversi- cherungsträger sind enorm . So werden die Unternehmen etwa 43,5 Millionen Euro jährlich an Bürokratiekosten sparen . Bei der Verwaltung werden es jährlich etwa 3,4 Millionen Euro sein . Und bei den Bürgerinnen und Bürgern liegt der Zeitgewinn bei etwa 315 000 Stunden pro Jahr . Damit geben wir uns aber nicht zufrieden . Vielmehr suchen wir weiter nach Vereinfachungs- und Verbesse- rungsmöglichkeiten . Bereits durch unseren Änderungs- antrag, den wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf den parlamentarischen Weg geschickt haben, setzen wir weitere sinnvolle Maßnahmen um, vor allem Vorschläge des Bundesrates und aus der Praxis . Beispielsweise wird das Inkrafttreten der Änderungen am e-Antrag, also am automatisierten Verfahren zur Aufnahme von Leistungs- anträgen bei Versicherungsämtern und Gemeindebehör- den, wie vom Bundesrat gefordert, vorverlegt . Oder die Erfassung des Ausstellungsdatums beim zukünftigen ma- schinenlesbaren Sozialversicherungsausweis: Es hat sich bei dessen Erprobung herausgestellt, dass es sinnvoll ist, auch das Ausstellungsdatum zu erfassen, um die Nutzung mehrerer Ausweise durch eine Person auszuschließen . Außerdem werden wir auf Anregung des Bundesrech- nungshofes die erlassenen Bußgeldbescheide zu den Verletzungen der Melde- und Aufzeichnungspflichten in die Betriebsprüfungsdatei der Rentenversicherungsträger aufnehmen . Dies wird zukünftige Prüfungen vereinfa- chen . Mit dem 6 . SGB IV-Änderungsgesetz werden aber auch ein paar Dinge umgesetzt, die nichts mit den Melde- verfahren zu tun haben . Beispielsweise schaffen wir die Voraussetzungen zur Umsetzung der EU-Binnenschiff- fahrtsrichtlinie in nationales Recht . Durch die Richtlinie werden die Schutzstandards erhöht, unter anderem durch eine Aufzeichnungspflicht der Arbeits- und Ruhezeiten. Ebenso wird den Krankenkassen, Unfallversicherungs- trägern und der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zukünftig die Anlage von 10 Prozent ihrer Altersrückla- gen in Aktien erlaubt . Dies wird teilweise als zu risiko- reich kritisiert . Auch ich war erst skeptisch . Allerdings steht die Anlagesicherheit klar im Vordergrund, da nur weniger risikobehaftete Aktien aus dem Euro-Raum er- laubt werden und sich die Anlagevorschriften am Ver- sorgungsfonds des Bundes orientieren . Daher ist es ver- tretbar, jetzt in Niedrigzinszeiten diese klar begrenzte Aktienanlagemöglichkeit zugunsten einer möglichen hö- heren Rendite und der Einsparung von Beitragsgeldern zum Nutzen aller zu schaffen . Der Abbau von Bürokratie und bessere Rechtsetzung sind erklärte Ziele dieser Bundesregierung . Viele reden nur davon . Wir setzen sie auch um! Durch den vorlie- genden Entwurf des 6 . SGB IV-Änderungsgesetzes ge- winnen alle: Bürgerinnen und Bürger, Betriebe und die Verwaltung . Deshalb freue ich mich auch auf weitere die- ser sperrigen und wenig spektakulären Gesetzentwürfe, die wir dann hier zum Nutzen aller beschließen können . Bürokratieabbau ist nämlich nie erledigt und stellt uns immer wieder vor neue Herausforderungen Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Mit dem 6 . SGB IV-Änderungsgesetz und weiteren Gesetzesände- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618194 (A) (C) (B) (D) rungen aus völlig wesensfremden Bereichen haben Sie uns heute hier wieder einen echten „Omnibus“ aufge- tischt . Nein, hier geht es nicht um ein Beförderungsmit- tel, sondern schlicht um die Tatsache, dass Sie zusätzlich mit dem im Ausschuss für Arbeit und Soziales einge- brachten Änderungsantrag weitere „Passagiere“ an Bord genommen haben . Dabei handelt es sich bei einigen um blinde Passagiere, die es bei einer separaten Gesetzge- bung niemals an Bord des eigentlichen Gesetzvorhabens, nämlich der Optimierung des Meldeverfahrens in der so- zialen Sicherung, geschafft hätten . Da in der ersten Beratung am 2 . Juni bereits das We- sentliche zu den Inhalten gesagt wurde, konzentriere ich mich deshalb auf die zentralen Punkte Ihres Ände- rungsantrages, die mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales heute noch in das Gesetz einfließen sollen. So wollen Sie die Dienstunfallfürsorge für Beamtin- nen und Beamte des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, also des BMAS, und dessen nachgelagerten Behörden auf die „Unfallversicherung Bund und Bahn“ übertragen, zunächst in einem Modellprojekt bis 2020 . Sie begründen dies mit den einheitlichen Grundsätzen und der ganzheitlichen Versorgung durch die Unfallkas- se, die das BMAS nutzen will . Daran ist zunächst nichts auszusetzen, solange das BMAS dann auch für die Kos- ten aufkommt, die der Unfallversicherung Bund und Bahn entstehen . Das haben Sie, verehrte Frau Staatsse- kretärin Lösekrug-Möller, in der gestrigen Ausschusssit- zung mündlich zugesagt . Ich gehe davon aus, dass es bei dieser Zusage auch für die Zukunft bleiben wird . Mit der geplanten Änderung des Arbeitszeitgeset- zes wollen Sie zudem bestehende bessere tarif- und ar- beitsrechtliche Regelungen für die Beschäftigten in der Binnenschifffahrt in Deutschland per Rechtsverordnung öffnen, und das, obwohl die EU-Sozialpartner unter Bil- ligung der Kommission bei der Binnenschifffahrtsrichtli- nie festgelegt hatten, dass trotz einheitlicher Regelungen in der EU bessere nationale Regelungen bestehen bleiben sollen . Zugleich wollen Sie aber wiederum den Tarifver- tragsparteien die Möglichkeit einräumen, per Tarifver- trag von der Rechtsverordnung abzuweichen . Uns ist nach wie vor nicht ganz klar, wozu die Regelung notwen- dig ist, wenn die Sozialpartner mit der auf der EU-Ebene gefundenen Regelung voll und ganz zufrieden sind . Bereits in der ersten Beratung hatte ich die geplanten Änderungen bei den Anlagemöglichkeiten für die Al- tersrückstellungen der gesetzlichen Kranken- und Un- fallkassen kritisiert . Sie sollen die Möglichkeit erhalten, bis zu 10 Prozent der Altersrückstellungen in Aktien an- legen zu dürfen . Mit dem Änderungsantrag werden nun auch die Altersrückstellungen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung erfasst . Nach Angaben des Bundes- versicherungsamts addieren sich die Altersrückstellun- gen allein der Krankenkassen auf 4,7 Milliarden Euro, von denen künftig also bis zu 470 Millionen Euro in Ak- tien angelegt werden dürfen . Die SPD-Kollegin Hiller-Ohm sagte in der Aus- schussberatung, dass, ich zitiere aus der Beschlussfas- sung des Ausschusses, „bei der Anlagemöglichkeit von Altersrücklagen in Aktien ebenfalls sichernde Maßnah- men getroffen worden seien, indem hochspekulative Ak- tien ausgeschlossen würden und das Anlagekapital auf zehn Prozent begrenzt werde“ . Diese Passage finden Sie auf Seite 12 der Beschluss- empfehlung auf Drucksache 18/9088 . Der zuständige Referatsleiter im BMAS antwortete jedoch auf meine Frage, ob perspektivisch der Aktienanteil ausgeweitet werden solle, dass dies zumindest für den Versorgungs- fonds des Bundes, den es seit 2007 für Bundesbeamte und -beamtinnen gibt, geplant sei . Insofern scheint mir die Gefahr sehr groß zu sein, dass der erlaubte Aktienan- teil kurz nach der Einführung auch für die Altersrück- stellungen der gesetzlichen Kranken- und Unfallkassen verdoppelt werden wird . Dies steht zu befürchten, und diesen Wunsch hatte der GKV-Spitzenverband in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf ja bereits geäu- ßert . Im Übrigen: Der Bundesrat sieht das genauso wie wir Linken . Er moniert, dass es sich bei den Altersrückstel- lungen um Beitragsgelder, also um Geld aller GKV-Ver- sicherten, handelt . Dabei ist in § 80 SGB IV gesetzlich klipp und klar definiert, dass der Grundsatz der Anlagen- sicherheit Vorrang gegenüber der Erzielung eines ange- messenen Ertrages hat . Diesen Grundsatz wollen Sie nun aushebeln . Das halte ich für falsch . Ich bin mir sicher, dass die geplante weitere Ausweitung des Aktienportfo- lios auf großes Interesse des Bundesrates stoßen wird . Bei einigen Regelungen in diesem Gesetzvorhaben ist der Änderungsbedarf nicht zu erkennen . Insgesamt hält die Fraktion Die Linke die Inhalte des Gesetzpaketes je- doch trotz der problematischen Punkte überwiegend für akzeptabel . Deshalb werden wir uns insgesamt enthalten . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Bereits seit 2011 führt das BMAS nun schon das OMS-Projekt, das optimierte Meldeverfahren in der sozialen Sicherung, durch . Technische und orga- nisatorische Abläufe sollen verbessert werden . Die Da- tenermittlung zwischen Arbeitgebern und öffentlichen Stellen hinsichtlich der automatisierten Meldungen im Bereich der sozialen Sicherung steht im Zentrum die- ses Gesetzentwurfs . Optimierungspotenziale sollten in dieser umfassenden Untersuchung der bestehenden Mel- deverfahren gefunden werden . Das kennen Sie ja von uns Grünen: Verbesserungen in Form von Maßnahmen, die die Entbürokratisierung voranbringen, begrüßen wir grundsätzlich . Hoffen wir, dass dieses Gesetz, so es dann in Kraft ge- treten sein wird, auch hält, was es verspricht und was die Damen und Herren der Koalitionsfraktionen schon in der ersten Lesung hier im Plenum anzupreisen sich nicht ge- scheut haben, Bürokratieabbau, den alle spüren: die Ar- beitgeber, aber auch die Arbeitnehmer . Der „Erfüllungs- aufwand“ reduziere sich demnach für die Bürgerinnen und Bürger um mindestens 315 000 Stunden . Bei mehr als 40 Millionen Beschäftigten und über 400 Millionen Meldevorgängen pro Jahr hoffen wir, dass die Bürgerin- nen und Bürger das auch wirklich spüren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18195 (A) (C) (B) (D) Dann weiter: Das Verfahren solle besser, einfacher und günstiger werden . Solange Ihnen hierbei auch immer der Schutz sensibler Daten der Versicherten – Stichwort Datenschutz – ein wichtiges, ja ein ganz zentrales Anlie- gen bleibt, begrüßen wir auch das als positive Entwick- lung . Dass es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wei- tere 43 Millionen Euro weniger Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft geben wird, ist ebenfalls zu hoffen . Nun habe ich Ihnen einige Hoffnungen mit auf den Weg gegeben, die Sie aus der Koalition ja auch mit dem vorliegenden und heute zu beschließenden Gesetzent- wurf verbinden . Das klingt viel, es sind aber nur tatsäch- lich relativ kleine Schritte, aber Schritte in die richtige Richtung . Aber leider gehen Sie an einer Stelle in die falsche Richtung und haben eine Forderung des Bundesrates nicht umgesetzt . Bereits in der ersten Lesung hatte ich an dieser Stelle angemerkt, dass die Möglichkeit der Krankenversicherung und der Unfallversicherung, ihre Rücklagen in Aktien anzulegen, zumindest gründlich zu hinterfragen sei und aus dem Gesetzentwurf gestrichen werden sollte . Das sieht die Bundesregierung anders, wie sie in ihrer Gegendarstellung zur Stellungnahme des Bundesrates darlegt . Im parlamentarischen Verfahren ist das durch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktio- nen sogar noch ausgeweitet worden . Das ist bedauerlich und überhaupt nicht nachvollziehbar . Wenn nicht nur die Oppositionsparteien, sondern auch der Bundesrat, der zu Recht auch wie ein Kontrollorgan unserer Gewaltenteilung agiert, hier berechtigte Skepsis anmeldet, so sollte auch die Bundesregierung gelegent- lich über Ihren Schatten springen und sich die geäußer- ten Sorgen anhören und in diesem Fall am besten sogar „erhören“ . Der Wunsch des Bundesrates war hier, die ge- planten Änderungen aufgrund der auseinandergehenden Meinungen im Rahmen eines separaten Gesetzentwurfs ausführlicher zu diskutieren . Der Unwillen scheint hier aber größer zu sein als das Bedürfnis, einen wirklich gu- ten Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen . Wie schon bei der ersten Lesung hier im Plenum kann ich mich nur gut und gerne wiederholen, wenn ich sage: Dieser Gesetzentwurf ist kein großer Wurf, er dreht ein wenig an vorhandenen Stellschrauben, die vielleicht Verbesserungen im Sinne von Entbürokratisierungsten- denzen und Vereinfachungen mit sich bringen . Deswe- gen werden wir uns diesem Gesetzentwurf auch nicht versperren, sondern hier zustimmen . Nichtsdestotrotz, und auch das wiederhole ich gerne erneut an dieser Stel- le, lassen Sie uns endlich die großen Projekte innerhalb der sozialen Sicherung angehen: die Bürgerversicherung zum Beispiel oder auch eine Grundsicherungsreform, die hält, was sie verspricht, und sowohl angstfreie Existenz- sicherung als auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich macht . Dafür mache ich mich, gemeinsam mit meiner Fraktion stark . Wenn Sie an einer konstruktiven Zusammenarbeit interessiert sind, dürfen Sie sehr gerne auf uns zukommen . Dann machen wir gemeinsam den großen Wurf . Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Transplantationsregisters (Tagesordnungs- punkt 28) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Als die ersten er- folgreichen Nierentransplantationen in den 50er-Jahren des vergangen Jahrhunderts stattgefunden haben, hätte wohl keiner der Ärzte gedacht, dass gerade die parallele Entwicklung der Computer und damit der Datenverarbei- tung einmal das Potential bieten würde, die medizinische Fachkunde erheblich zu optimieren, um nicht zu sagen: zu überlagern . Heute hängt der Erfolg einer Transplanta- tion zu einem wesentlichen Teil von der Verfügbarkeit, Vollständigkeit und Richtigkeit der entsprechenden rele- vanten Daten ab . Bislang kommt dem Verein der Eurotransplant hier die Schlüsselrolle zu . Eurotransplant umfasst acht Län- der mit 135 Millionen Menschen . Je besser die Datenlage ist, die Spender und Empfänger innerhalb dieser Gruppe abstimmt, umso besser sind die Erfolge der Transplan- tationen . Eine umfassende Datenbank ermöglicht zudem Studien, die zum langfristen Erfolg einer Transplantation beitragen werden . Mit dem Transplantationsregisterge- setz trägt Deutschland seinen Teil zur Verbesserung des bestehenden Systems bei . Voraussetzung für eine Organspende ist der Hirntod . Diese Diagnose ist in Deutschland aus ethischen Grün- den zwingende Voraussetzung für eine Organspende, um auch nur den geringsten Anschein zu vermeiden, dass die ärztliche Reanimation möglicherweise aus Gründen einer Organspende nicht optimal ausgeführt worden ist . Dies ist zum Beispiel im europäischen Ausland anders, wie etwa in der Niederlanden, die nach einem strengen Verfahren auch bei Herz-Kreislauf-Versagen eine Organ- spende zulassen . Dies erhöht die Zahl der zur Verfügung stehenden Organe deutlich . Eine solche Ausweitung ist aber nach einhelliger Meinung in Deutschland nicht denkbar . Betrachtet man die Situation in Deutschland, dann sterben von den 900 000 Todesfällen im Jahr etwa 400 000 Menschen im Krankenhaus . Von diesen werden 4 000 als hirntot diagnostiziert . 2012 wurden davon ein Viertel tatsächlich Organspender . Hier spielten die Un- versehrtheit der Organe und die Spendenbereitschaft die letzte entscheidende Rolle . Auf die Spendensituation haben aber auch andere Faktoren Einfluss. Der Hirntod ist eine häufige Folge von Verkehrsunfällen, insbesondere bei Motorradunfällen, die in den USA viel häufiger auftreten als in Deutschland. Der Straßenverkehr ist in Deutschland deutlich sicherer, und die Teilnehmer sind besser geschützt . Neben der sub- jektiven Spendebereitschaft begrenzt dies die Anzahl der zur Verfügung stehenden Organe zusätzlich . Diese Erkenntnisse belegen aber für die medizinische Forschung und den Gesetzgeber die Notwendigkeit, dass Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618196 (A) (C) (B) (D) wir die Organspende in mehrfacher Hinsicht optimieren müssen: Je schneller nach der Ersatzdiagnose der Patient, ins- besondere bei der Nierenspende, mit dem neuen Organ versorgt werden kann, desto besser sind seine langfristi- gen Überlebenserwartungen . Je höher der Grad der Übereinstimmungsparameter ist, desto geringer ist die Gefahr der Abstoßung des Or- gans . Und je geringer die Notwendigkeit einer Zweit- oder Drittversorgung ist, desto weniger Organe müssen zur Verfügung stehen . Gleichwohl ist aber die Möglichkeit der Bedarfsde- ckung durch Spenden nach Versterben endlich, zumal auch immer die Frage des Alters des Spenders eine Rolle spielt . Wir müssen uns daher maßgeblich auf die Datenopti- mierung konzentrieren, um den vorstehenden drei Anfor- derungen besser gerecht zu werden . Damit kann der Bedarf an Spenderorganen aber nicht nur durch die Organspende nach Hirntod erfolgen, son- dern auch die Lebendspende muss in den Fokus rücken . Eine umfassende Datenbank unterstützt auch diese Form der Organspende . Der Wissensgewinn kommt ei- ner optimalen Abstimmung sowie Vor- und Nachsorge der Organspendeempfänger zugute . Je qualitativ und quantitativ länger ein Empfänger mit seinem Spenderor- gan lebt, umso erfolgreicher ist unser System der Organ- transplantation . Mit unserem Transplantationsregister- gesetz setzten wir an einer bisher vernachlässigten, aber essentiell wichtigen Stellschraube an – dem Erkenntnis- gewinn durch umfassende Daten . Stehen der Forschung Langzeitdaten über den Verlauf von Organspenden zu Verfügung, kann entscheidendes medizinisches Wissen gewonnen werden, das zur Verbesserung der Lebensdau- er von Organspenden beiträgt . So sehr wir natürlich ein nachvollziehbares Interesse daran haben, durch die besondere Behandlungsmetho- de Leben zu retten, darf aber nicht vergessen werden, dass im Prozess der Datenerhebung und der Datenver- arbeitung auch das Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung tangiert ist . Schon bei der Frage der Organ- spendebereitschaft ergibt sich die Kollision zwischen einer ausdrücklichen Einwilligung und einer vermuteten Einwilligung mit dem Recht zum Widerspruch, wie dies in Österreich praktiziert wird . Aber auch nach erfolgter Spende und Transplantation stellt sich eine Grundrechts- kollision zwischen dem Datengebrauch und dem Lebens- schutz sowohl beim Lebendspender als auch Organemp- fänger . All diese muss nun im Gesetz beachtet und vor allem der wissentliche Mehrwert im Interesse der Patienten zeitnah evaluiert werden . Die Entscheidung zur begrenz- ten Aufnahme der Altdaten ab dem Jahre 2006 war eine sinnvolle und wirkungsvolle Maßnahme, um den wis- sentlichen Gewinn in Ansehung der relativ überschauba- ren Fälle größtmöglich zu gestalten . Das Transplantationsregister schafft hierfür eine ver- lässliche Datengrundlage . Die erhobenen Daten von der Organentnahme bis hin zur Nachbetreuung des Trans- plantierten werden darin gebündelt . Mit dem Organspen- deregister werden zudem die Wartelistenkriterien sowie die Verteilung der Spenderorgane weiterentwickelt . Das Gesetz wird deshalb ein weiterer Schritt in eine hochwertige Versorgung sein . Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Der heutige Tag ist ein guter Tag für die Transplantationsmedizin und die Organspende in Deutschland . Seit langem schon wird darauf hingewiesen, dass es in Deutschland keine ein- heitliche, integrierte Datenerhebung des gesamten Trans- plantationsverlaufs gibt . Bislang war es hierzulande Pra- xis, dass anfallende Daten in mehreren Institutionen und nach unterschiedlichen Vorgaben erhoben wurden, ohne miteinander verknüpft zu sein . Durch diese fehlenden Verknüpfungen war die Möglichkeit versperrt, systema- tische Erkenntnisse über wichtige Fragen des Transplan- tationswesens zu erhalten . Diesen Zustand beenden wir mit der Einführung eines bundesweiten Transplantations- registers . Mit dem heutigen Beschluss geht ein durchaus auf- wändiges Gesetzgebungsverfahren zu Ende . Aus meiner Sicht war es ein Musterbeispiel dafür, wie das BMG, der Bundestag, vor allem aber auch die vielen im Transplan- tationswesen Tätigen an einem Strang gezogen haben, um zu einem für alle Beteiligten guten Ergebnis zu kom- men . Es ist ja nicht immer so, dass sich Politik und Fach- welt derart einig über ein Vorgehen sind, das ja durch- aus einen sensiblen Bereich berührt . Es ist mir daher ein Anliegen, neben der Parlamentarischen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz und ihrem Team im BMG gera- de auch den vielen Beteiligten der Selbstverwaltung, vie- ler Verbände sowie der Wissenschaft ein herzliches Wort des Dankes auszusprechen . Neben der handwerklichen Arbeit beim Stricken des Gesetzes ist viel Leidenschaft für die Sache deutlich geworden . Beispielhaft möch- te ich hier Herrn Dr . Leber vom GKV-Spitzenverband, aber auch die Vertreter der Bundesärztekammer wie Herrn Professor Otto und Herrn Dr . Middel sowie Herrn Dr . Rahmel von der DSO nennen, die mit viel Herzblut und fachlicher Expertise für die Anliegen der Transplan- tationsmedizin und die Organspende eingetreten sind und sich um das Thema verdient gemacht haben . Mit dem Transplantationsregister schaffen wir eine verlässliche Datengrundlage, die alle bundesweit erho- benen Daten von der Organentnahme bis hin zur Nach- betreuung nach einer Transplantation bündelt . Dadurch verbessern wir nicht nur die Datengrundlage für die transplantationsmedizinische Versorgung, sondern wir erhöhen gleichzeitig die Transparenz im gesamten Sys- tem . Auch die Patientensicherheit in Deutschland wird dadurch erhöht . Vor allen Dingen können die Kriterien zur Organspende weiterentwickelt werden . Denn das Re- gister wird fundierte Informationen darüber liefern, zu welchem Organempfänger ein Spenderorgan am ehesten passt . Es wird auch für die Gewinnung wissenschaftli- cher Erkenntnisse nicht mehr notwendig sein, auf Daten aus dem Ausland zurückzugreifen, in denen unsere lan- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18197 (A) (C) (B) (D) desspezifischen Gegebenheiten nur unzureichend abge- bildet werden können . Darauf sind wir aus der Wissen- schaft sowie aus der Transplantationsmedizin mehrfach hingewiesen worden . Ich freue mich, dass sich diese Pro- blematik in Zukunft so nicht mehr stellen wird . Auch für die Gewinnung von Erkenntnissen über die Qualität der Transplantationszentren wird es zukünftig stärke Hin- weise geben . So werden die Zentren in die Lage versetzt, ihre Qualität noch weiter zu verbessern . Es war ein wichtiges Anliegen vieler Aktiver, zu besse- ren Erkenntnissen zu gelangen im Bereich der Nierener- satztherapie . Um die Qualität der Behandlung beurteilen zu können, ist der Behandlungsverlauf in einer Gesamt- bewertung zu berücksichtigten . Dies war bislang nicht möglich, da die Sicherung der Qualität bei der Dialyse und der Transplantation getrennt voneinander ablaufen . Mit dem Beschluss des GBA, ein sektorenübergreifendes Qualitätssicherungsverfahren zur Nierenersatztherapie bei chronischem Nierenversagen auf den Weg zu brin- gen, und dem gleichzeitigen Beschluss im Transplanta- tionsregistergesetz, eine verpflichtende Lieferung der Daten aus der Qualitätssicherung an das Transplantati- onsregister zu verankern, wird die Sache rund . Es wird die benötigte Vernetzung entstehen, was aus fachlicher Sicht sehr zu begrüßen ist . Ich hoffe, dass die dazu noch notwendigen Arbeiten schnell abgeschlossen werden können . Ich möchte die Gelegenheit noch einmal an die- ser Stelle nutzen und um eine zügige Durchführung aller noch nötigen Arbeiten bitten, da die Daten zur Nierener- satztherapie dringend gebraucht werden . Ich denke, was die organisatorische Ausgestaltung des Registers betrifft, hat vor und während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens überwiegend Einmütigkeit ge- herrscht . Weitaus schwieriger waren da schon die Fragen des Datenschutzes . Das Gesetz räumt dem Datenschutz und insbesondere dem Recht auf informationelle Selbst- bestimmung einen sehr hohen Stellenwert ein . Ich gebe zu, dass ich ähnlich wie Bundesrat und viele Sachver- ständige im Rahmen der Anhörung lieber auf das Einwil- ligungserfordernis verzichtet hätte . Aus fachlicher Sicht ist, so denke ich, sehr deutlich geworden, dass eine Da- tenvollständigkeit von großer Bedeutung für die Qualität und Aussagekraft des Registers insgesamt ist . Diese Voll- ständigkeit zu erreichen, muss trotz der jetzt vereinbarten Einwilligungslösung das Ziel bleiben . Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere was die Frage der Bestimmtheit bei einem derzeit nicht und vor allen Dingen nicht durch den Ge- setzgeber festgelegten Datensatz betrifft, sind jedoch nachvollziehbar . Nachvollziehbar ist gleichsam das An- liegen der Bundesregierung, der informationellen Selbst- bestimmung als hohem verfassungsrechtlichem Schutz- gut einen besonderen Status zuzumessen . Ich sage aber auch: Im Sinne der vielen Menschen, die auf ein funk- tionierendes System der Organspende angewiesen sind, brauchen wir ein Transplantationsregister, das valide Daten sicherstellt . Vom Grundsatz der Datenvollständig- keit darf nicht abgegangen werden . Insofern haben es die Koalitionsfraktionen für einen gangbaren Kompromiss gehalten, zunächst einmal auf das Prinzip der Freiwillig- keit zu setzen, in der Hoffnung, dass die Betroffenen aus Einsicht in eine Bereitstellung von Daten einwilligen, die im weiteren selbstverständlich anonymisiert werden . Wir vertrauen auf die Experten, die davon ausgehen, dass nach einem verpflichtenden Beratungsgespräch mit keiner umfassenden Ablehnung zu rechnen ist . Wir ha- ben diesbezüglich vereinbart, dass im Gesetz eine Be- richtspflicht mit kurzer Frist verankert wird, in deren Rahmen die Vollständigkeit der Daten in den Blick ge- nommen wird . Sollte es hier nicht zu der erhofften Be- teiligung kommen, muss dieses Thema erneut auf die Tagesordnung gesetzt werden . Mit der Einwilligung in dieses Vorgehen verbinde ich die klare Erwartung im Sinne der Sache, dass das Thema erneut aufgerufen wird, sollten die Erwartungen in puncto Datenvollständigkeit nicht eintreffen . Ich habe mir den Stichtag für den Be- richt bereits im Kalender vorgemerkt . Ich freue mich, dass es im Zuge der parlamentarischen Beratungen gelungen ist, die verbindliche Lieferung der sogenannten Altdaten an die Transplantationsregister- stelle in das Gesetz aufzunehmen . Der Transplantations- registerstelle wird die Aufgabe übertragen, diese Daten zu speichern und den im Gesetz benannten Stellen zur Verfügung zu stellen . Dadurch können wir sicherstellen, dass bereits in der Aufbauphase des Registers Arbeits- hypothesen erstellt werden können . Mir war es wich- tig, dass gerade die Kliniker so schnell wie möglich mit dem Register arbeiten können . Dies wurde ja auch in der Fachwelt so gesehen . Wichtig ist auch noch einmal die Klarstellung im Gesetz, dass die Erfassung von Daten mit der Aufnahme in die Warteliste beginnt . Mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ist der Startschuss für die Einrichtung des Registers gege- ben . Ich hoffe nun auf eine zügige Durchführung der notwendigen Aufbauarbeiten der Selbstverwaltungs- partner, insbesondere auch beim Erstellen des einheitli- chen Datensatzes . Insbesondere hoffe ich, dass sich die Einschätzungen verschiedener Akteure bezüglich der Datenvollständigkeit bewahrheiten werden . Denn unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass dem heutigen Tag noch viele weitere gute Tage für die Transplantationsme- dizin folgen werden . Sabine Dittmar (SPD): Nach jahrelangen Diskussi- onen über die Notwendigkeit eines Transplantationsre- gisters bringen wir ein solches zentrales Register heute endlich auf den Weg . Dabei freut es mich besonders, dass es uns gelungen ist, auch die vorhandenen Altdaten in das Register zu überführen und somit weiterhin nutzbar zu machen . Neue Daten werden künftig einheitlich und zentral gespeichert . Alle Daten, die ab 2006 gewonnen wurden, werden davon getrennt gespeichert, stehen aber zur Aus- wertung zur Verfügung . Und Daten, die noch weiter in der Vergangenheit gewonnen wurden, werden an die Ver- trauensstelle übermittelt . Es ist auch ein Erfolg, dass die Datensätze nunmehr auf Vollständigkeit hin überprüft werden und dass die Daten von all denjenigen Patientinnen und Patienten er- fasst werden, die auf der Warteliste stehen und auf ein passendes Spenderorgan hoffen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618198 (A) (C) (B) (D) Aus diesem neuen, zentralen und umfassenden Daten- schatz erhoffe ich mir wertvolle Informationen für die weitere Transplantationsmedizin . Wie ich schon anlässlich der 1 . Lesung betont habe, so ist es für die Patientensicherheit und für die Prozess- struktur unerlässlich, dass im Transplantationsregister einheitliche Daten erfasst und auswertet werden . Nur so lassen sich die Ergebnisse in den einzelnen Transplanta- tionszentren objektiv vergleichen und daraus wertvolle Informationen ableiten über Qualität, Erfolgsaussichten und Risiken von Transplantationen . Ich persönlich verbinde mit dem zentralen Transplan- tationsregister die Hoffnung, dass wir endlich valide und evidenzbasierte Informationen über die Allokationskrite- rien erhalten, die für eine Aufnahme auf die Wartelisten entscheidend sind . Bislang ist die Dringlichkeit der ent- scheidende Faktor für die Warteliste . Anhand der neuen Daten wird zu diskutieren sein, wie die Kriterien bedarfs- und erfolgsorientiert weiterentwickelt werden können . Das vorliegende Gesetz zum Transplantationsregister ist aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht ein wichti- ger Schritt . Doch noch viel wichtiger als dieses Register ist es, dass sich ein jeder ganz persönlich mit der Frage auseinandersetzt, ob er im Ernstfall für eine Organspende zur Verfügung steht . Geben Sie sich einen Ruck und beschäftigen Sie sich in einer ruhigen Minute mit dieser wichtigen Frage . Ganz egal, ob man zu der Erkenntnis kommt, sich dafür oder dagegen zu entscheiden: Sie nehmen Ihren Angehörigen eine schwere Entscheidung ab, wenn Sie sich selbst – im Idealfall natürlich für eine Organspende – entscheiden und Ihren Willen zu Papier bringen . Organspende schenkt Leben! Denken Sie daran, dass Sie selbst jederzeit auch in die Situation kommen kön- nen, eine lebensrettende Spende zu benötigen, und es lei- der oftmals viel zu lange dauert, bis ein passendes Spen- derorgan gefunden werden kann . Ich appelliere daher an jeden Einzelnen, einen Organspendeausweis auszufüllen und ihn bei sich zu tragen . Hilde Mattheis (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetz zur Errichtung eines Transplantationsregisters gehen wir einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Organspende in Deutschland . Rund 10 000 Menschen warten derzeit auf ein Spendeorgan . Gleichzeitig wurden 2015 nur rund 3 000 Organe transplantiert – ein neuer Tiefstand, da die Zahl in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken ist . Diese Zahlen machen uns klar, dass wir in Deutsch- land ein Problem mit der Akzeptanz unseres bisherigen Transplantationssystems haben . Nach dem sogenannten Transplantationsskandal im Jahr 2012 bestand und be- steht Einigkeit darüber, dass alles getan werden muss, um das Vertrauen in die Organspende wiederherzustellen . Dieses Gesetz ist dafür ein Baustein . Wir vollziehen da- mit einen Schritt, der in vielen Ländern Europas Standard ist, da es dort ein Transplantationsregister bereits gibt . Ziel des Gesetzes ist es, ein zentrales Register zu schaffen, indem wir die Daten von Organspendern und Lebendspendern sowie Organempfängern bzw . Daten über die Organe selbst speichern . Diese Erfassung läuft derzeit dezentral nach unterschiedlichen Kriterien und Standards . Von einer Zentralisierung versprechen wir uns vor allem mehr Wissen . Wir wissen zu wenig, wie die Transplantationszentren arbeiten, ob die bestehenden Regeln zur Organspende ausreichen und ob sie den Pro- zess erschweren oder erleichtern . Um diese Wissenslü- cke zu beheben, braucht es dieses zentrale Register . Wir erreichen damit eine sehr viel größere Transparenz und Klarheit darüber, was, wie, wo in Deutschland transplan- tiert wird . Transparenz ist genau eine der wesentlichen Forderungen, die zu Recht nach dem Missbrauch in der Organspende aufgestellt wurden . Es ist daher erfreulich, dass fast alle beteiligten Verbände die Gesetzesinitiative der Koalition begrüßen . Das bisherige Transplantationsverfahren ist unserer Meinung nach fehleranfällig; denn natürlich kann es bei dem oftmals sehr zeitintensiven Prozess einer Organ- spende zu menschlichen Fehlern kommen . Das geplante Transplantationsregister soll nun alle transplantations- medzinischen Daten bundesweit zusammenführen . Dazu wird ein bundesweit einheitlicher Datensatz vereinbart, der in Zukunft dann an allen Krankenhäusern und für alle Beteiligten am Spendeverfahren, seien es die Kranken- häuser, Transplantationszentren, die Verbände der Kran- kenkassen oder die Deutsche Stiftung Organspende, so angewandt wird . Wir erwarten uns davon eine deutlich geringere Fehlerquote und eine verbesserte Dokumen- tation der Organspende in Deutschland . Zudem werden den betroffenen Stellen bessere und schneller verfügba- re Informationen über Wartelisten vorliegen, so dass die Hoffnung besteht, den Betroffenen schneller und unkom- plizierter helfen zu können . Selbstverständlich gibt es bei diesem Transfer von Daten auch den Datenschutz zu beachten . Im Beratungs- verlauf wurde noch einmal klargestellt, dass bei Spen- dern ein sogenannter postmortaler Würdeschutz gegeben ist und daher Daten nicht ohne jegliche Hürde weiter- gegeben dürfen . Gleichzeitig gab es Bedenken über möglicherweise unvollständige Datensätze bzw . Da- tenerfassung, wenn nicht automatisch alle notwendigen Daten gespeichert würden . Bei kleinen Fallzahlen – und 3 000 gespendete Organe sind im statistischen Bereich keine hohen Werte – können schon wenige Abweichun- gen bzw . Datenmängel zu Verfälschungen in der Statistik führen . Wir haben uns darauf geeinigt, dass die potenziellen Spender freiwillig angeben können, ihre Daten für das Register bereitzustellen . Damit sollen rechtliche Vorga- ben zum Datenschutz und zur informationellen Selbst- bestimmung gewahrt bleiben . Es wurde in der Anhörung deutlich, dass es keinen ersichtlichen Grund gibt, dass potenzielle Spender einer Übermittlung von transplanta- tionsmedizinischen Daten widersprechen, da diese nicht einem kommerziellen Zweck oder Ähnlichem dienen, sondern, wie gesagt, zum Beispiel einem Patienten auf einer Warteliste schneller mitgeteilt werden kann, dass ein Organ bereitsteht . Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen, die selbst spenden, der Datenaufnahme und -übertragung widersprechen, wenn nachvollziehbare Gründe angegeben werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18199 (A) (C) (B) (D) Eine weitere offene Frage war die Übermittlung soge- nannter Altdaten, also schon erfasster Daten seit 2006 bis heute, über die Spender, Empfänger, Organe usw . Hier stellte sich das Problem, dass diese Datensätze nach sehr unterschiedlichen Kriterien erhoben wurden, zum Teil unvollständig oder fehlerhaft sind und damit eine bloße Übertragung das neu aufzubauende Register verfälschen würde . Gleichzeitig ist für eine Vervollständigung des Registers aber auch der Satz an Altdaten wichtig und not- wendig . Mit diesen Daten ist nämlich zum Beispiel er- kennbar, wie viele Personen noch auf Wartelisten für ein Organ sind . Und wir sind uns auch darüber einig, dass die Frage einer Transplantation nicht erst mit dem zur Verfü- gung stehenden Organ beginnt, sondern mit dem Eintrag in eine Warteliste . Es ist wichtig, dass die Patienten, die auf solchen Listen stehen, mit in dem Register erfasst werden; denn dies zeigt natürlich in sehr eindrücklicher Weise auf, wie hoch der Bedarf an Organen in Deutsch- land ist und wie niedrig im Vergleich dazu die Zahl der möglichen Spender . Wir haben deshalb im Gesetzgebungsverfahren nach- gebessert und bestimmt, dass diese Altdaten an die Trans- plantationsregisterstelle überwiesen und dort gespeichert werden . Durch die Einbeziehung der zu schaffenden Ver- trauensstelle haben wir auch hier ein hohes Datenschutz- niveau sichergestellt . Auch bei diesen Altdaten wird es nicht möglich sein, den Personenbezug zum damaligen Spender bzw . Empfänger wiederherzustellen, so dass Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben . Eine Vermischung von Alt- und Neudaten, also jenen Daten, die ab Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden, wird es nicht geben . Wir haben festgelegt, dass die Altda- ten als ein unveränderlicher Datenbestand abgespeichert werden . Somit stehen sie einerseits zur Verfügung, an- dererseits haben wir technisch eine Trennung zwischen den verschiedenen Datensätzen . Das ist die sauberste Lösung . Die SPD hat sich dafür eingesetzt, dass wir den Auf- bau und die Funktionsweise des Registers evaluieren . So können wir prüfen, ob die jetzt gefundenen Lösungen zur Datenschutzeinwilligung und zu Altdaten auch tragen . Das ist sehr wichtig, um sicherzustellen, dass in Zukunft das geplante Transplantationsregister so funktioniert, wie wir uns das vorstellen und die Transplantationsverbände es erwarten . Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die konstruktive und zielorientierte Arbeit an diesem Gesetz bedanken . Ich bin sicher: Es ist ein gutes Gesetz und wird helfen, Transplantationen hierzulande einfa- cher, besser und transparenter zu machen . Wir sind es den vielen potenziellen Spenderinnen und Spendern, die auf ihrem Spenderausweis ein „Ja“ angekreuzt haben, schuldig, dass im Notfall mit ihrem Körper so umgegan- gen wird, wie sie sich das vorstellen, und den Menschen geholfen wird, die dringend ein Organ benötigen . Ich bin der Überzeugung, dass dieses Gesetz dazu beitragen wird, wieder Vertrauen in die Organspende zu stiften . Daran sollten wir alle mitarbeiten . Kathrin Vogler (DIE LINKE): Mit dem Vorhaben eines öffentlichen Registers, das sämtliche Daten rund um Organspende und Transplantation erfasst, greift die Bundesregierung endlich eine Forderung der Linken auf . Wir erinnern uns: 2012 erschütterte ein Transplanta- tionsskandal die Republik . Mediziner in verschiedenen Kliniken hatten Patientendaten manipuliert, um die eige- nen Patienten in der Warteliste für ein Spenderorgan wei- ter vorne zu platzieren . Bereits am 31 . Januar 2013 hat meine Fraktion in einem Antrag auf Bundestagsdrucksa- che 17/12225 ein umfassendes Register für Transplanta- tionen gefordert, um so die medizinische Versorgung zu verbessern, Transparenz und Vertrauen zu erhöhen sowie Fehlverhalten zu bekämpfen . Im Sommer vor drei Jah- ren haben wir dann in einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen nochmals eine einheitliche und umfassende Datenerhebung im gesamten Prozess der Transplantati- onsmedizin gefordert . Vor diesem Hintergrund will ich erläutern, warum der Gesetzentwurf der Bundesregierung für Die Linke den- noch nicht zustimmungsfähig ist . Erstens sind wir der Auffassung, dass ein solches Re- gister zwingend in die öffentliche Hand gehört . Genau dieselben Organisationen mit der Errichtung zu beauftra- gen, die sich bisher als unfähig oder unwillig erwiesen haben, wirkliche Transparenz in der Transplantationsme- dizin herzustellen – also Bundesärztekammer, die Kran- kenhausgesellschaften und die Krankenkassen –, das ist nicht geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Or- ganspende wiederherzustellen . Zweitens sollen wieder einmal ausschließlich die ge- setzlich Versicherten dieses Register finanzieren. Zu Be- ginn dieser Wahlperiode hat die Regierungskoalition aus Union und SPD die Finanzierung der gesetzlichen Kran- kenkassen zulasten der Beschäftigten und zugunsten der Unternehmen verändert . Alle künftigen Kostensteigerun- gen zahlen nun die Versicherten allein . Das führt bei der Bundesregierung nun schon wieder zu einer unglaubli- chen Großzügigkeit auf Kosten der Beitragszahler . Wie- der einmal verlagern Sie eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die eigentlich aus dem Bundeshaushalt zu fi- nanzieren wäre, auf die Krankenkassen . Und die Privat- versicherungen dürfen, müssen aber nicht mitfinanzie- ren . Das nenne ich Klientelpolitik der allerfeinsten Sorte . Drittens gibt es Zweifel, ob Ihnen die Balance zwi- schen Datenschutz und Datenvollständigkeit mit diesem Gesetz gelungen ist . In der Anhörung haben verschiede- ne Sachverständige darauf hingewiesen, dass der Nut- zen eines solchen Registers sehr von der Vollständigkeit der erhobenen Daten abhängt . Dass die Patientinnen und Patienten in die Speicherung ihrer Daten ausdrück- lich einwilligen müssen, kann in diesem speziellen Fall dazu führen, dass die Daten nicht repräsentativ genug sind . Auch könnten einzelne Transplanteure oder Zen- tren mögliches Fehlverhalten dadurch verschleiern, dass diese Einwilligung einfach nicht eingeholt wird und die Daten nicht übermittelt werden . Wäre Ihnen der Schutz der sensiblen Patientendaten wirklich so wichtig, dann müssten Sie vor allem die Bundesdatenschutzbehörde für die zusätzlichen Aufgaben mit zusätzlichen Planstellen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618200 (A) (C) (B) (D) ausstatten, aber das unterlassen Sie . Datenschutz ohne Datenschützer ist nur ein Potemkin’sches Dorf, eine schöne Fassade mit nichts dahinter . Trotz dieser Kritikpunkte hätten wir diesem Gesetz eventuell zustimmen können, hätten Sie es nicht noch missbraucht, um mit einem Änderungsantrag schnell noch eine üble Verschlimmbesserung des Pflegestär- kungsgesetzes II durchzuschleusen . Demnächst sollen die Pflegekassen zur Hälfte auch die medizinische Be- handlungspflege von Intensivpflegepatienten in der häus- lichen Pflege übernehmen. Die Linke fordert, gemeinsam mit Verbänden, Ge- werkschaften und Interessenvertretungen der Betrof- fenen, dass medizinische Behandlungskosten für alle Patientinnen und Patienten in voller Höhe von den Kran- kenkassen getragen werden müssen – unabhängig davon, ob der Patient auch noch Pflegebedarf hat, unabhängig davon, ob er oder sie zu Hause lebt, im Heim wohnt oder im Krankenhaus liegt. Weil ja die Pflegeversicherung im- mer nur einen Teil der Kosten trägt, drohen mit dieser Regelung gerade für die schwer Kranken, die zum Bei- spiel 24 Stunden am Tag beatmet werden müssen, hohe Eigenanteile . Oder die Kosten werden auf die Sozialhil- feträger, also auf die Kommunen, verlagert . Das machen wir nicht mit! Weil wir diese spezielle Regelung vehement ablehnen, können wir auch dem Gesetz zur Errichtung eines Trans- plantationsregisters nicht zustimmen . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Errichtung eines Transplantationsregisters, über die der Deutsche Bundestag heute entscheiden wird, ist eine Konsequenz aus den Skandalen, die die Transplantati- onsmedizin in den letzten Jahren hierzulande erschüttert haben . Es war der Wunsch aller damals im Bundestag vertretenen Fraktionen, ein solches Register zu schaffen . Umso bedauerlicher ist es, dass die gemeinsame Arbeit in dieser Legislaturperiode keine Fortsetzung erfahren hat . Es ist schon erstaunlich, wie die Bundes- regierung bei der Diskussion ihres Gesetzentwurfes non- chalant über fast alle geäußerten Bedenken hinweggeht . Änderungsvorschläge wurden kaum übernommen . Das ist schade, denn einige der von der Bundesregierung vorgesehenen Regelungen können die Akzeptanz und Aussagekraft des Registers erheblich gefährden . Meine Fraktion hätte dem Gesetzentwurf gern zugestimmt, aber aufgrund der Bedenken, die ich Ihnen im Folgenden er- örtern werde, werden wir uns enthalten . Erstens: Nahezu sämtlich Verbände und Akteure im Transplantationsgeschehen haben darauf hingewiesen, dass es sinnvoll sein kann, die Einwilligung in die Trans- plantation selbst mit der Einwilligung in die Datenüber- tragung an das Register zu verknüpfen . Nur so kann angesichts der geringen Fallzahlen in der Transplantati- onsmedizin ein aussagekräftiger Datenbestand erreicht werden . Und nur so kann vermieden werden, dass sich Einrichtungen, die schlechte Qualität abliefern oder Da- ten manipulieren, zukünftig einer Kontrolle entziehen . Aufgegriffen haben Sie diese Bedenken nicht . Ebenso wenig haben Sie die sinnvolle Forderung nach einem Dialyseregister aufgegriffen, um auch in diesem Bereich für mehr Transparenz zu sorgen . Wir wissen also gar nicht, wie aussagekräftig und repräsentativ das Register, das wir heute beschließen, mal sein wird . Zweitens: Wir legen in diesem Land zu Recht sehr viel Wert auf eine unabhängige Forschung, auch im Be- reich der medizinischen Wissenschaft . Im vorliegenden Gesetzentwurf räumen Sie nun den Spitzenverbänden im Gesundheitswesen die Befugnis ein, über die Herausgabe bestimmter Daten zu Forschungszwecken entscheiden zu dürfen . Damit entscheiden diese Akteure faktisch über die Durchführung bestimmter Forschungsvorhaben . Sie können bis heute nicht begründen, warum diese Akteure und nicht eine neutrale Instanz oder das Register selbst über die Herausgabe entscheiden sollen . Sie schaffen damit einen Präzedenzfall, der sich negativ auf die For- schungsfreiheit auswirken kann . Und sie tun auch den Verbänden keinen Gefallen damit, wenn diese zukünftig in den Verdacht geraten, Forschungsvorhaben zu unter- drücken, weil sie ihren fachpolitischen Interessen mögli- cherweise widersprechen . Drittens: Auf unsere Nachfrage hin erklärte die Bun- desbeauftragte für den Datenschutz und die Informa- tionsfreiheit in einem Schreiben an den Gesundheits- ausschuss, dass der Gesetzentwurf den postmortalen Persönlichkeitsschutz von verstorbenen Organspendern und -empfängern nicht ausreichend berücksichtigt . So müsse beispielsweise der Gesetzgeber den zu übermit- telnden Datensatz für postmortale Spender – zumindest in seinen wesentlichen Zügen – selbst festlegen . Damit verbunden ist ein weiteres Problem Ihres Gesetzent- wurfs: Wie bei anderen Vorhaben auch überlassen Sie mal wieder der Selbstverwaltung die wesentliche Ausge- staltung der Regelungen – ohne sich darum zu kümmern, ob dies rechtlich zulässig ist oder die betroffenen Verbän- de auch über ausreichende personelle und zeitliche Res- sourcen dafür verfügen . Sie entziehen sich damit wieder mal Ihrem Gestaltungsauftrag . Auffällig in diesem Zusammenhang ist auch, dass das Transplantationsregister ausweislich des Gesetzes aus Mitteln der GKV finanziert werden soll. Bei den klini- schen Krebsregistern ist das anders; dort ist das Mitspra- cherecht der PKV mit einem finanziellen Beitrag ver- knüpft . Im vorliegenden Entwurf hingegen räumen Sie der PKV bedingungslos weitgehende Mitspracherechte bei der Ausgestaltung des Transplantationsregisters ein und verzichten damit ohne Not auf einen wesentlichen Anreiz für die PKV, sich auch an der Finanzierung des Registers zu beteiligen . Warum, können Sie bis heute nicht erklären . Die Legitimation und Akzeptanz der Organspende hat in den letzten Jahren in Deutschland erheblich gelitten . Allein durch Plakatkampagnen wird man dieses Vertrau- en nicht wieder herstellen können . Ein aussagekräftiges und nicht interessengeleitetes Register ist ein wesent- licher Baustein dafür, die Organspende in Deutschland wieder auf die Beine zu bringen . Ein Register hingegen, das Lücken und Raum für interessengeleitete Entschei- dungen lässt, wird dies nicht schaffen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18201 (A) (C) (B) (D) Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und ande- rer Gesetze (Tagesordnungspunkt 29) Gero Storjohann (CDU/CSU): Lange Wartezeiten bei Behörden sind inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr . Da drängt sich mir die Frage auf: Ist das Verfahren in der Form wirklich notwendig und lässt es sich nicht vereinfachen und somit für eine Entlastung der entspre- chenden Stellen sorgen? Seit dem 1 . Januar 2015 ist es möglich, ein Kraftfahr- zeug per Mausklick vom heimischen Computer abzumel- den . Um nun dem Bürger die Fahrzeugzulassung ebenso zu ermöglichen, werden mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf der Bundesregierung zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen ge- schaffen . Damit wird dem Bürger neben dem herkömm- lichen Verfahren bei der Zulassungsbehörde ein internet- basiertes Verfahren zur Wahl gestellt . Dazu wird die Ermächtigung zur Regelung der zu- lassungsinternen Verfahren komplettiert, also die Um- setzung der internetbasierten Wiederzulassung außer Betrieb gesetzter Fahrzeuge auf denselben Halter im selben Zulassungsbezirk . Das ist die sogenannte zwei- te Stufe des Projektes i-Kfz und der entscheidende und notwendige Schritt vor der endgültigen Implementierung der sogenannten dritten Stufe: der internetbasierten Fahr- zeugzulassung . Für die Umsetzung sind daher organisatorische, tech- nische und rechtliche Voraussetzungen zu schaffen, damit dieses Verfahren dann in den jeweiligen Porta- len der Kommunen angeboten werden kann . Dazu sind Komponenten zu entwickeln und zu nutzen, die eine elektronische internetbasierte Abwicklung des Verfah- rens ermöglichen . Mit diesen Komponenten können die verschiedenen Fahrzeugzulassungsvorgänge abgebildet werden, um Bürgerinnen und Bürgern oder auch Unter- nehmen die Durchführung ihrer Fahrzeugzulassung ohne Gang zur Zulassungsbehörde zu ermöglichen . Das soll zudem als vollständig automatisierter Verwaltungsakt er- möglicht werden, um eine vollständig digitalisierte und elektronische Abwicklung der Fahrzeugzulassung zu er- möglichen . Das begrüße ich, trägt es doch sehr zur Entlastung der Verwaltung bei, und auch die Nutzer profitieren von dem zusätzlichen Verfahren, denn hierdurch lässt sich eine sofortige Teilnahme am Straßenverkehr im Anschluss an den Zulassungsvorgang verwirklichen . Ferner werden durch den Gesetzentwurf die nötigen Speicher- und Übermittlungsvorschriften geschaffen, um die Daten über Hauptuntersuchungen und Sicherheits- überprüfungen der durchführenden Stellen im Zentralen Fahrzeugregister beim Kraftfahrt-Bundesamt speichern zu können . Das ist notwendig, um die zweite Stufe des Projektes i-Kfz sowie die Richtlinie 2014/45/EU des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates vom 3 . April 2014 umsetzen zu können . Diese stellt die regelmäßige techni- sche Überwachung von Kraftfahrzeugen sicher . Ein weiteres Novum, das in diesem Entwurf steckt, ist eine Ermächtigungsgrundlage für den Bund, die zur Ent- lastung der Polizei führt . Seit Jahren nimmt die Zahl der sogenannten Großraum- und Schwertransporte im deut- schen Straßennetz massiv zu . Die Wirtschaft hat die Fer- tigungslinien in vielen Fällen in einer Weise angepasst, dass große Bauteile in einer Fabrik gefertigt werden, um diese dann mit Großraum- und Schwertransporten zu den entsprechenden Verarbeitungs- oder Baustellen zu lie- fern. Besonders signifikant ist – durch die Energiewen- de – der Transport von Bauteilen für Windkraftanlagen . Zugleich hat sich die Verkehrsdichte deutlich erhöht, und die gesamten Rahmenumstände der Infrastruktur, insbe- sondere die Brückenstabilität, haben sich im Laufe der Jahre spürbar verschlechtert . Dies alles führt dazu, dass bei entsprechenden Erlaubnissen und Genehmigungen von Großraum- und Schwertransporten in vielen Fällen als Auflage die Begleitung durch Polizeikräfte angeord- net wird . Dieses Aufgabenfeld bindet eine Vielzahl von Ressourcen bei Polizeidienststellen, die anderweitig dringender benötigt werden . Eine Möglichkeit ist es, durch den Einsatz von Ver- fügungshelfern die Polizeikräfte bei der Begleitung zu entlasten . Dazu muss aber eine bundeseinheitliche Re- gelung getroffen werden, da es sonst zu Komplikationen bei länderübergreifenden Transporten kommt . Mit dieser Vorschrift kann das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur eine Verordnung schaffen, damit bundesweit gleichartige Rahmenbedingungen geschaf- fen werden . Somit sorgen wir auch hier für Erleichte- rung in den ausführenden Organen der Bundesrepublik Deutschland . Weiterhin beinhaltet dieser Entwurf redaktionelle Änderungen zur fristgerechten Umsetzung europarecht- licher Vorschriften in nationales Recht . Dabei wird der grenzüberschreitende Austausch von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsde- likte mittels dieser Anpassungen erleichtert . Im Fahrerlaubnisrecht sind durch zahlreiche Überar- beitungen die Begrifflichkeiten hinsichtlich inländischer und ausländischer Fahrerlaubnisse uneinheitlich . Dies gilt es für eine klare und einfache Rechtsanwendung zu bereinigen. In diesem Entwurf werden diese Begrifflich- keiten systematisch vereinheitlicht . Insgesamt lässt sich also sagen, dass uns mit diesem Gesetzentwurf eine bundeseinheitliche Regelung gelun- gen ist, die der Mobilität der Bürger der Bundesrepublik Deutschland zuträglich ist und der Verkehrssicherheit al- ler dient . Daher ist dieses Vorhaben zu unterstützen und dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung in geänderter Fassung zuzustimmen . Stefan Zierke (SPD): Heute stimmen wir über das Sechste Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgeset- zes und anderer Gesetze in zweiter und dritter Beratung ab . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618202 (A) (C) (B) (D) Ich möchte an dieser Stelle nicht vertiefend auf die vielen einzelnen Punkte dieses Artikelgesetzes eingehen, die im Großen und Ganzen Ermächtigungsgrundlagen, Klarstellungen und rechtsförmliche Anpassungen von insgesamt vier Gesetzen betreffen . Vielmehr möchte ich auf die positive Anpassung bei der Begleitung von Groß- raum- und Schwertransportern eingehen: In unserem gemeinsamen Änderungsantrag haben wir die Regelung eingebracht, dass zukünftig Beliehene oder Verwaltungshelfer Großraum- und Schwertransporte be- gleiten können . Damit kann unsere Polizei von dieser Aufgabe entlastet werden . Ähnlich kennen wir es ja vom TÜV oder von Toll Collect, die eng definierte hoheitliche Aufgaben übernehmen und damit die Verwaltung entlas- ten . Bislang wurden die Schwertransporte regelmäßig von Polizistinnen und Polizisten begleitet, die beispielswei- se an Landesgrenzen aufgrund von Zuständigkeiten ge- wechselt werden mussten . Teilweise geschieht dies bei längeren Strecken mehrmals . Dies kostet Zeit, stört oft den Verkehrsfluss und ist ineffizient. Ebenso kam es häufiger vor, dass Beamte während der polizeilichen Transportbegleitung aufgrund von Not- einsätzen abgezogen werden mussten . Somit musste die polizeiliche Begleitung unterbrochen werden und konnte erst nach Beendigung des Noteinsatzes fortgesetzt wer- den . Diesen misslichen Umstand ändern wir jetzt . Darüber hinaus nimmt die Zahl der Großraum- und Schwertransporte im deutschen Straßenverkehr seit vie- len Jahren kontinuierlich zu . Dabei denke ich insbeson- dere an den Transport von Windkraftanlangen, Booten und Fertighäusern . Die meisten Autofahrer kennen diese spektakulären Transporte von Landstraßen und Autobah- nen . Sicherlich ist die Begleitung durch die Polizei aus sicherheitspolitischen Gesichtspunkten keine zu unter- schätzende Aufgabe, aber durchaus auch eine, die durch entsprechend qualifizierte und überprüfte beliehene Aufgabenträger oder Verwaltungshelfer sehr gut über- nommen werden kann . Diese Möglichkeit schaffen wir hiermit . Die zukünftigen Aufgabenträger können, ähnlich wie die Polizei, verkehrsrechtliche Anordnungen treffen . Der Bund regelt damit die Rahmenbedingungen . Die zustän- digen Landesbehörden übernehmen zukünftig nach die- sen Regeln die Beleihung und Beauftragung . Alles in allem werden wir die Polizeikräfte in den Ländern entlasten . Deswegen stimmen wir zu . Thomas Lutze (DIE LINKE): Im Ausschuss einen Änderungsantrag vorzulegen, der fast so lang ist wie der vorliegende Gesetzentwurf selbst ist, verbietet sich ei- gentlich . Leider scheint sich diese Arbeitsweise langsam einzuschleifen – bei der Reform der Erbschaftssteuer war es nicht anders . Hier allerdings ist es noch schlimmer; denn Sie fassen mit Änderungsanträgen plötzlich Sach- verhalte an, von denen in der ersten Lesung noch gar keine Rede war . Damit beschneiden Sie die Rechte der Opposition . Kommen wir zu den einzelnen inhaltlichen Punkten: Es ist nicht verständlich, dass im elektronischen Fahr- eignungsregister neben den Identifizierungsmerkmalen nun auch noch Zulassungsmerkmale gesammelt werden sollen – im Zusammenhang mit einer internetbasierten Zulassung datenschutzrechtlich mehr als bedenklich, vor allem, wenn diese internetbasierte Zulassung nun auch noch privatisiert werden soll und damit private Unterneh- men Zugriff auf diese Daten erhalten . In der ursprünglichen Fassung war der Gesetzentwurf übrigens unbedenklich, und meine Fraktion hätte ihm zugestimmt . Aber mit der Privatisierung der Begleitung von Groß- und Schwertransporten und der Privatisierung der internetbasierten Zulassung haben Sie dem Gesetz- entwurf aus ideologischen Gründen einen marktradika- len Anstrich verpasst, der völlig unnötig ist, zumal der Rest dann per Verordnung geregelt werden soll und der Bundestag dann nichts mehr zu sagen hätte . Auch wir sehen ein, dass die Polizei Besseres zu tun hat, als privaten Transportunternehmen Geleitschutz zu geben . Allerdings sollten bei der Privatisierung dieser öffentlichen Dienstleistung für private Unternehmen die anfallenden Kosten der Begleitung dann auch komplett privat getragen werden . Es kann nicht sein, dass private Unternehmen ein privates Unternehmen für eine Dienst- leistung beauftragen und der Staat dieses Geschäft dann bezuschusst . Und außerdem sehe ich bereits jetzt, dass diese Entlastung der Polizei demnächst als Begründung für den nächsten Personalabbau herhalten muss . Bei der Reform der MPU-Gutachten haben Sie mit der Entgeltordnung eine richtige Regelung getroffen, die in der Zukunft viel Schindluder verhindern wird . Warum Sie aber nicht auch gleichzeitig verbindliche Qualitäts- standards einführen, erschließt sich mir nicht . Ich komme zum Fazit: Sie haben diesen eigentlich notwendigen und richtigen Gesetzentwurf im letzten Moment in einem Maße verschlechtert, dass sich meine Fraktion enthalten muss . Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und dem entsprechenden Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sollen die Voraussetzungen für die zweite und dritte Stufe der in- ternetbasierten Fahrzeugzulassung geschaffen werden . Weiterhin erfordern europäische Regelungen sowie die notwendigen Verwaltungsabläufe im Zulassungsverfah- ren Anpassungen weiterer damit in Verbindung stehender Gesetze . Damit hält in diesem Bereich der Verwaltung E-Government Einzug . Endlich wird der ein oder ande- re sagen . Endlich können Wartezeiten und Wege zu den Zulassungsstellen entfallen und Behördengänge auch in diesem Bereich vom Sofa aus geregelt werden . Auch die Automatisierung des Fahreignungsregisters ist grund- sätzlich zu begrüßen . Doch gutes E-Government setzt hohe Anforderungen an den Datenschutz voraus . Deshalb lohnt sich ein ge- nauerer Blick auf die beabsichtigten Regelungen . Insbe- sondere bei der geplanten vollelektronischen Führung des Fahreignungsregisters wird mit besonders sensiblen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18203 (A) (C) (B) (D) personenbezogenen Daten umgegangen . Datenschutz- rechtlich muss immer der Maßstab des Erforderlichkeits- und Zweckbindungsgrundsatzes im Umgang mit den In- formationen angelegt werden . Nicht erforderliche Daten sind umgehend zu löschen oder zu sperren . Eine Um- funktionierung zu allgemeinen Sicherheitszwecken muss ausgeschlossen werden . Hier bestehen aber Zweifel hin- sichtlich der Erweiterung der gespeicherten Daten beim Verfahren der Direkteinstellung nach § 30a des Gesetz- entwurfs . Danach können Protokolldaten über Zugriffe und neu aufgenommene Daten 6 Monate gespeichert werden . Begründet wird die Frist mit der Möglichkeit der Kontrolle durch die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit . Gleichzeitig bedeutet diese lan- ge Frist auch erhebliches Risiko für Bürger, weil Zugriffe durch Sicherheitsbehörden über den gesamten Zeitraum möglich sind . Näheres bestimmt leider kein Gesetz, son- dern eine interne Vorschrift des Kraftfahrt-Bundesamtes . Das ist uns als hinreichende Rechtsgrundlage angesichts der Sensibilität der Datenbestände allerdings zu wenig, da hier beispielsweise auch Daten zu Straftatbeständen abgelegt werden . Vorsicht ist aus unserer Sicht auch des- halb geboten, weil die konkrete Ausgestaltung eben an einer Verordnung hängt, auf die wir hier keinen weiteren Einfluss haben. Richtig hingegen ist die mit dem Änderungsantrag vorgeschlagene Ermächtigungsgrundlage, mit der die bisher verpflichtende Polizeibegleitung von Großraum- und Schwertransporten auf Dritte übertragen werden können . Private Spezialunternehmen können auf diese Weise zur Entlastung der Polizei beitragen, die derzeit mit rund 300 000 Sondertransporten belastet ist . Die Polizei kann dann ihre knappen Ressourcen wieder ver- stärkt für die Verkehrsüberwachung und damit zur Ver- besserung der Verkehrssicherheit einsetzen . Allerdings ist dies eine Ausnahme . Grundsätzlich darf die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben nicht schlei- chend auf Private übertragen werden . Wir werden uns zu Ihrem Gesetzentwurf wegen der geschilderten datenschutzrechtlichen Bedenken jeden- falls enthalten . Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte des Bundes und Solda- tinnen und Soldaten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungs- punkt 30) Oswin Veith (CDU/CSU): Im Koalitionsvertrag ha- ben wir uns auf einen modernen und familienfreundli- chen öffentlichen Dienst verständigt . Modern heißt, sich an Lebenswirklichkeiten und neue Entwicklungen anzupassen . Nur so können auch zukünftige Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer für den öffentlichen Dienst begeistert werden . Für junge Arbeitskräfte sind Arbeits- plätze in der Regel am interessantesten, wenn Familie und Beruf besonders gut zu vereinbaren sind . In Gesprä- chen mit jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird mir dies immer wieder deutlich gemacht . Besonders häufig höre ich dabei den Wunsch nach flexibler Arbeits- zeitgestaltung im Falle von Nachwuchs oder Pflegefällen in der Familie . Neben der beruflichen Selbstverwirklichung liegt vie- len auch ihre Familie am Herzen, und Familien sind nun einmal Mittelpunkt und Anker zugleich . Für einen zu- kunftsorientierten öffentlichen Dienst bedeutet dies, dass die Vereinbarkeit der Lebensbereiche Arbeit und Fami- lie auch zukünftig eines der wichtigsten Themen bei der Gewinnung von Arbeitnehmern sein wird . Und gerade in diesem Punkt können wir mit der Privatwirtschaft durch- aus konkurrieren . Mit dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Fa- milie, Pflege und Beruf für die Beamtinnen und Beam- ten des Bundes und die Soldatinnen und Soldaten legen wir daher einen weiteren Baustein, um den öffentlichen Dienst attraktiver und vor allem familienfreundlicher zu machen . 2013 hatten wir mit den Regelungen zur Familienpfle- gezeit für die Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten und Soldatinnen und Soldaten begonnen und schufen die Möglichkeit, Familienpflegezeit für pflegebedürftige nahe Angehörige zu beantragen . Ähnliches hatten wir zuvor für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge- regelt . Mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetz gehen wir noch einen Schritt weiter . Für die Bundesbeamtin- nen und Bundesbeamten sowie Soldatinnen und Solda- ten wird es künftig einen Rechtsanspruch auf Familien- und Pflegezeit geben. Etwas Vergleichbares haben wir ebenfalls für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft und Tarifbeschäftigte Ende 2014 beschlossen . Nun erfolgt auch in diesem Fall die entspre- chende Übertragung auf die Beamtinnen und Beamten und Soldatinnen und Soldaten . Ich halte das für einen sehr konsequenten Schritt, der nicht zuletzt für mehr Vertrauen und Sicherheit bei den Bundesbeamten sorgen wird . Verringert der oder die Betroffene aufgrund einer Pflegesituation innerhalb der Familie die Arbeitszeit, wird ein Vorschuss gewährt, welcher die entstehenden Gehaltseinbußen abfedern soll und anschließend mit den Bezügen verrechnet wird . Die wöchentliche Arbeitszeit muss mindestens 15 Stunden betragen . Die Verkürzung der Arbeitszeit kann bis maximal 24 Monate gewährt werden . Zudem wollen wir den Wechsel in eine andere Lauf- bahn flexibler gestalten. Um den Wechsel in eine höhe- re Laufbahn oder eine andere Laufbahn derselben oder höheren Laufbahngruppe zu erleichtern, werden wir vo- rübergehend das Nebeneinander zweier Beamtenverhält- nisse ermöglichen . Bei einem Wechsel musste der Be- troffene bislang aus dem bestehenden Beamtenverhältnis entlassen werden . Dies führte immer dann zu erheblichen Unsicherheiten bei den Beamten, wenn der Wechsel in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618204 (A) (C) (B) (D) eine höhere Laufbahn die Ableistung eines Vorberei- tungsdienstes oder einer Probezeit erfordert . Nun ruht das bestehende Beamtenverhältnis für die Dauer des Vor- bereitungsdienstes oder der Probezeit . Gleichzeitig enthält der Gesetzentwurf einen An- spruch gegen den Dienstherren auf Schmerzensgeld im Falle einer Verletzung durch Dritte während des Dienstes . Immer häufiger werden Beamtinnen und Beamte sowie Soldatinnen und Soldaten Opfer von Gewalttaten, aus denen Schmerzensgeldansprüche entstehen . Der Bund nimmt seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beamten sehr ernst und hat sich daher entschlossen, bei Schmer- zensgeldansprüchen, die eine unbillige Härte darstellen, die Ansprüche gegenüber den Beamtinnen und Beamten, Soldatinnen und Soldaten zu begleichen . Bei erheblichen Schmerzensgeldansprüchen bleiben die Betroffenen nicht auf ihren Ansprüchen sitzen . Vor dem Hintergrund der zunehmenden Gewalt gegen Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte halte ich diese Regelung für unabding- lich, absolut korrekt und notwendig . Unsere Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten set- zen sich tagtäglich für das Wohl und die Sicherheit un- serer Bürger ein . Da ist es nur billig und gerecht, ihnen im Falle von Schmerzensgeldansprüchen, welche nicht durchsetzbar sind, unterstützend zur Seite zu stehen . Künftig gilt: Hat der geschädigte Beamte oder die ge- schädigte Beamtin einen titulierten Schmerzensgeldan- spruch, kann diesen aber nicht gegen einen zahlungsun- fähigen Schädiger durchsetzen, besteht die Möglichkeit, den Anspruch auf Zahlung des Schmerzensgeldes gegen den Dienstherren zu richten . Wie bereits erwähnt, muss es sich um einen Schmer- zensgeldanspruch handeln, dessen Nichtdurchsetzbarkeit eine unbillige Härte darstellt . Erst dann soll der Dienst- herr den Anspruch übernehmen . Der Begriff der unbil- ligen Härte – in der Rechtssprache nennt man das einen unbestimmten Rechtsbegriff – muss hierbei noch mit Leben gefüllt werden . Ob ein Schmerzensgeldanspruch eine unbillige Härte darstellt, hängt von der Höhe des Schmerzensgeldanspruchs ab . Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah dabei vor, eine unbillige Härte ab einem Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 500 Euro anzunehmen . Alle darunter liegen- den Ansprüche stellen demnach keine unbillige Härte dar . Dies erschien aus meiner Sicht und vor dem Hin- tergrund, dass Schmerzensgeldansprüche meist auch mit seelischen Beeinträchtigungen einhergehen, als sehr hoch gegriffen . Im Gespräch mit dem Bundesinnenministerium konn- ten wir den Betrag um die Hälfte herabsetzen, sodass eine unbillige Härte nun ab einem Anspruch in Höhe von 250 Euro angenommen wird . Bei einem Schmerzens- geldanspruch in Höhe von 250 Euro und höher ist von einer erheblichen Verletzung des Beamten auszugehen . Vor dem Hintergrund der Fürsorgepflicht für die Beam- ten halte ich es für richtig, hier nicht allzu hoch anzuset- zen und freue mich darüber, dass das Innenministerium in diesem Punkt unserer Ansicht gefolgt ist und den ur- sprünglichen Betrag entsprechend herabgesetzt hat . Die öffentlichen Dienstleistungen – und zwar nicht nur im Bereich der inneren Sicherheit – haben in Deutschland eine hohe Qualität, und unsere Sicherheitskräfte genie- ßen ein hohes Ansehen . Wir sind es ihnen schuldig, ihnen bei erheblichen Eingriffen in ihre eigene Unversehrtheit zur Seite zu stehen . Damit schaffen wir Vertrauen und sichern zugleich die Einsatzbereitschaft und die Verläss- lichkeit unserer Sicherheitsbehörden . Neben der Absicherung bei Schmerzensgeldansprü- chen wird mit dem Gesetzentwurf viel für die Familien- freundlichkeit des öffentlichen Dienstes getan . Und ge- nau dort liegt ein entscheidender Vorteil des öffentlichen Dienstes gegenüber der Privatwirtschaft . Der Bund als Dienstherr bietet seinen Bediensteten eine Vielzahl an Möglichkeiten, um Familie und Beruf zu vereinbaren . Nicht zuletzt profitieren davon die Bürgerinnen und Bür- ger . Denn wer bei persönlichen Sorgen und Nöten oder auch im Falle des freudigen Ereignisses der Geburt eines Kindes zusammen mit seinem Arbeitgeber eine Lösung finden kann, ist auch ein motivierter Arbeitnehmer. Und genau das bieten wir unseren Beamtinnen und Beamten, den Soldatinnen und Soldaten . Der vorliegende Gesetzentwurf schließt eine Reihe von Gerechtigkeitslücken bei der Familienpflegezeit und Pflegezeit, sowie bei der Schädigung im Dienst durch Private, sodass ich für Ihre Zustimmung werbe . Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): „Gewalt am Ar- beitsplatz“ ist ein Thema, das mehr und mehr Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, darunter in be- sonderem Maße Beamtinnen und Beamte . Vor wenigen Tagen hatte ich genau dazu ein Gespräch mit der dbb-Ju- gend . Hier konnte ich aus erster Hand erfahren, dass die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst immer häufiger darunter leiden. Beschimpfungen, Beleidigun- gen und auch körperliche Gewalt gehören dazu . Die Folgen der Gewalt sind vielfältig: psychische Traumata, körperliche Einschränkungen, Verdienstaus- fall, Rehabilitation, Versetzungen und Beeinträchtigun- gen der weiteren Arbeit können dazu gehören . Inzwi- schen müssen wir auch noch schwerere Folgen in unsere Betrachtung miteinbeziehen . Wir alle haben noch den schockierenden Fall in Rothenburg von 2014 vor Augen, wo ein Jobcentergutachter erstochen wurde . Nehmen wir ein weniger spektakuläres, aber alltäglicheres Beispiel: Eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit wird in Ausübung ihres Dienstes beleidigt und tätlich ange- griffen . Sie erleidet dabei körperliche und psychische Blessuren und fällt im Dienst einige Zeit aus . In einem zivilrechtlichen Prozess muss sie sich mühsam Schmer- zensgeldansprüche erstreiten und dann – ist der Täter mittellos . Das ist kein Einzelfall, den ich hier beschreibe . Doch warum erzähle ich das? Wir behandeln heute in zweiter und dritter Lesung ein Gesetz, das unter anderem genau diesen Punkt aufgreift . Bislang blieben Beamtinnen und Beamten, die in Aus- übung ihres Dienstes Opfer von Gewalt wurden und ihre Schmerzensgeldansprüche nicht durchsetzen konnten, weil der Schädiger mittellos ist, auf ihren Ansprüchen sitzen . Für Betroffene war das nach dem Gewalterleb- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18205 (A) (C) (B) (D) nis mit einer weiteren Demütigung verbunden . Mit der Gesetzesänderung wird ihnen künftig geholfen . Die- se nicht vollstreckbaren Ansprüche werden fortan vom Dienstherrn übernommen, das heißt die Geschädigten erhalten das Schmerzensgeld auch in Fällen, wo beim Beklagten kein Geld zu holen ist . Damit wollen wir si- cherstellen, dass die Geschädigten nicht ein zweites Mal zum Opfer werden, sondern ihren gerichtlich erstrittenen Anspruch auch durchsetzen können. Das ist nicht nur fi- nanziell, sondern vor allen Dingen auch moralisch von Bedeutung und soll einen Beitrag zur Anerkennung der Beschäftigten leisten . Allerdings soll diese Regelung nur oberhalb einer Bagatellgrenze Anwendung finden. Der Regierungsentwurf sah hier zunächst eine Grenze von 500 Euro vor . Wir haben in Gesprächen mit dem Koaliti- onspartner durchgesetzt, dass diese Grenze auf 250 Euro reduziert wird. Damit profitieren deutlich mehr Beschäf- tigte von dieser Leistung, und das ist gut so . Doch das Gesetz hat noch weitaus mehr zu bieten . Im Kern des Gesetzes steht die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Viele kennen das aus eigenen Erfah- rungen in der Familie oder bei Freunden: ein Pflegefall wirft das gesamte Familienleben durcheinander . Schnell stellt sich die Frage: Wer kann die Pflege eines Angehö- rigen übernehmen? Wer reduziert seine Arbeitsstunden, und in welcher Konstellation kann man sich das leisten? Diese Situation, die viele Beschäftigte betrifft, soll mit dem Gesetz verbessert werden . Wir haben bereits mit dem Pflegezeitgesetz und dem Familienpflegezeitgesetz die Freistellungsmöglichkeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert, wenn plötzlich eine Pflegesituation eintritt. Seit dem 1 . Januar 2015 haben sie einen Anspruch auf vollständige oder teilweise Freistellung und auf finanzielle Förderung. Finanzielle Notsituationen können mit Hilfe des Pfle- geunterstützungsgeldes überbrückt werden . Das brachte eine deutliche Verbesserung für pflegende und erwerbs- tätige Beschäftigte mit sich . Diese Vorteile sollen mit dem heute vorliegenden Ge- setzentwurf auf Beamtinnen und Beamte und Soldatin- nen und Soldaten übertragen werden . Dieser Schritt war notwendig, denn auch hier pflegen und betreuen viele Menschen ihre Angehörigen parallel zu ihrer Berufstätig- keit. Auch hier wird der Bedarf an pflegenden Angehöri- gen im Zuge der demografischen Entwicklung deutlich steigen und die Erwerbstätigen verstärkt vor Herausfor- derungen stellen . Mit dem Gesetzentwurf schaffen wir auch für diese große und wichtige Beschäftigtengruppe einen Rechts- anspruch auf Familienpflegezeit und Pflegezeit. Künftig haben sie einen Anspruch auf Familienpflegezeit von bis zu 24 Monaten bei einer verbleibenden Arbeitszeit von 15 Stunden pro Woche. Darüber hinaus können sie Pfle- gezeit beanspruchen bei bis zu 6 Monaten vollständiger oder teilweiser Freistellung . Damit sind Freiräume ver- bunden, die die Situation für den Einzelnen verbessern . Bei einer plötzlich eintretenden Pflegesituation wird das auch hier die Situation spürbar erleichtern . Hinzu kommt eine finanzielle Förderung, die als Überbrückungsleis- tung den Lebensunterhalt für die Betroffenen sichert . Das Gesetz überträgt damit die Erleichterungen auf die Gruppe der Beamtinnen und Beamte sowie Soldatinnen und Soldaten, die als wichtige Säulen in unserer Gesell- schaft viel Verantwortung übernehmen . Wir haben mit dem Gesetzentwurf noch weitere Rege- lungen in den Blick genommen . Künftig wird es möglich sein, vorübergehend zwei Beamtenverhältnisse, das auf Lebenszeit und das auf Widerruf oder Probe, nebenein- ander zu haben . Mit dieser Neuerung reagieren wir auf die beruflichen Veränderungswünsche der Menschen und erleichtern ihnen den Wechsel in eine neue oder höhe- re Laufbahn . Eine kleine Änderung, die die Flexibilität stärkt und den öffentlichen Dienst attraktiver macht . Auch konkretisieren wir mit dem Gesetz die Beihil- feverordnung und nehmen Anpassungen an EU-Normen vor . Es ist ein Gesetzentwurf, der verschiedene Aspekte aufgreift . Sie alle zielen in eine Richtung: Es geht uns um eine Verbesserung der Situation von Beamtinnen und Be- amten und Soldatinnen und Soldaten . Jeden Tag stehen sie mit ihrer beruflichen Tätigkeit im Dienst von Staat und Gesellschaft . Mit diesem Gesetz wollen wir dieser hohen Verantwortung Rechnung tragen . Frank Tempel (DIE LINKE): Den öffentlichen Dienst aufwerten durch bessere Pflegeregelungen! Es sind zwei gesellschaftliche Entwicklungen zu be- obachten, die den öffentlichen Dienst in der Bundesrepu- blik an den Rand der Leistungsfähigkeit führen können . Das ist das Herunterfahren der öffentlichen Daseinsvor- sorge durch Stellenabbau bei gleichzeitigem Aufgaben- aufwuchs sowie die demografische Entwicklung. Beide Phänomene verstärken sich gegenseitig und führen dazu, dass staatliche Aufgaben in schlechterer Qualität oder nicht mehr ausreichend angeboten werden und die Belas- tung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontinuierlich steigt . Der Ruf des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber hat auf diese Weise massiv gelitten, und insbesondere Fachkräfte mit Spezialkenntnissen werden händeringend gesucht . Die Bundesregierung erkennt zumindest die Bedro- hung des Fachkräftemangels für die Arbeitsfähigkeit des öffentlichen Dienstes an und versucht seit einigen Jah- ren, in kleinen Schritten gegenzusteuern . Über die Ver- einbarkeit von Familie und Beruf soll die Attraktivität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber wiederherge- stellt werden, um einen Gegenpol zu höheren Gehaltsan- geboten aus der Privatwirtschaft zu schaffen . Oft bin ich im Gespräch mit Beamtinnen und Beam- ten und deren Verbänden . Eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird deutlich angezweifelt . Ich schlage der Regierungskoalition vor: Wenn Sie schon keine Zeit ha- ben, mit den Beamtinnen und Beamtinnen zu reden und deren Probleme aufzunehmen, machen Sie doch einfach eine Befragung . Sie werden interessante Dinge zu hören bekommen . Auch das vorliegende Gesetz mit seinen Regelungen zu besseren Pflegemöglichkeiten für Beamtinnen und Beamte reiht sich in die Bemühungen ein . Das ist aus- drücklich zu begrüßen . Wie wir aber schon in der ersten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618206 (A) (C) (B) (D) Lesung dargestellt haben: Es ist die richtige Richtung, aber viel zu kurz gesprungen . Die Überalterung in der Gesellschaft erzeugt auch einen höheren Pflegebedarf. Pflege ist aber unserer fes- ten Überzeugung nach keine private Angelegenheit, die innerhalb des Familienverbandes zu organisieren und zu finanzieren ist. Pflege ist eine gesamtgesellschaftlich notwendige Aufgabe, deren Lasten solidarisch aufgeteilt und gemeinschaftlich getragen werden müssen . Die Ent- scheidung, ob familiär gepflegt werden soll, muss frei von sozialen oder materiellen Zwängen und ohne zeitli- chen Druck erfolgen können . Sie hingegen genehmigen zum Beispiel nur zehn Tage Arbeitsfreistellungen, die genutzt werden sollen, um den Übergang des Angehöri- gen in die Pflege zu organisieren. In welcher Welt leben Sie eigentlich? Fragen Sie mal Betroffene, was für einen realen organisatorischen und bürokratischen Aufwand dies darstellt . Auch die Notwendigkeit der Zustimmung des Arbeitgebers ist ein völlig falsches Signal an die Beamtinnen und Beamten . Ursache für das gebremste Agieren der Bundesregierung ist das Mantra der Kos- tenneutralität . Ohne mehr Geld werden die Folgen des demografischen Wandels und der steigenden Aufgaben- vielfalt des öffentlichen Dienstes nicht in den Griff zu bekommen sein . Was ist bezüglich der Pflege zu tun? Wir befürworten erstens einen Rechtsanspruch auf bezahlte Freistellung für die Dauer von bis zu sechs Wo- chen zur Organisation der neu eingetretenen Pflegesitua- tion und der ersten pflegerischen Versorgung von Ange- hörigen oder nahestehenden Personen . Wir fordern weiterhin einen Rechtsanspruch auf sechsmonatige Beurlaubung zur Pflege, welcher auch für die Begleitung in der letzten Lebensphase besteht . Wir fordern drittens, die Möglichkeit der selbstbe- stimmten Entscheidung des zu pflegenden Menschen zu schaffen, von wem sie oder er als „nahem Angehörigen“ gepflegt werden möchte, auch ohne verwandtschaftliche Beziehungen. Die Definition „nahe Angehörige“ ist wei- tergehend an die realen Lebensverhältnisse der Pflegen- den und der zu Pflegenden anzupassen. Viertens fordern wir analog zum Deutschen Gewerk- schaftsbund, dass bei Härtefällen großzügige Teilerlasse ermöglicht werden . Es ist niemanden geholfen, wenn Be- amtinnen und Beamte gerade in niederen Gehaltsgrup- pen aufgrund von finanzieller Überlastung verarmen oder die Pflege unmöglich wird, weil die Pflegenden die Aufgabe aus finanziellen Gründen nicht mehr wahrneh- men können . Auch bei diesem Gesetz gilt: Sie werden schon deut- lichere Angebote unterbreiten müssen, um den Ruf des öffentlichen Dienstes als Ort eines familienfreundlichen Lebensarbeitszeitmanagements, der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, der umfassenden Mitbestimmung und von exzellenten Weiterbildungsmöglichkeiten zu etablieren . Dies und eine Ausbildungs- und Einstellungs- offensive mit breiten Einstellungskorridoren sind die Mittel der Wahl, um den öffentlichen Dienst mittelfristig einsatzfähig und die Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Alle Lesungen zu diesem Gesetz gehen zu Proto- koll, offenbar ist die Bundesregierung selbst nicht allzu stolz darauf . Selbstverständlich haben auch Beamtinnen und Beamte, Soldatinnen und Soldaten Angehörige, die pflegebedürftig werden können. Und viele von ihnen wollen sich um diese Angehörigen kümmern . Das gilt aber auch für Selbstständige und Soloselbstständige, das gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen Betrieben . Und die bleiben nach wie vor ausgeschlossen . Schon das ursprüngliche Gesetz zur besseren Verein- barkeit von Familie, Pflege und Beruf ist ein Flop. Dass es jetzt wirkungsgleich auf Beamte und Soldaten über- tragen wird, macht es nicht besser. Pflegende Angehörige brauchen keine Auszeit, die sie sich selbst finanzieren müssen . Sie brauchen eine Entgeltersatzleistung, damit sie sich ohne weitere Sorgen darum kümmern können, was für die pflegebedürftige Person wichtig und notwen- dig ist . Und sie brauchen die Möglichkeit, sich spontan freinehmen zu können, wenn der Pflegebedürftige ge- stürzt ist, wenn ein Arztbesuch oder ein Krankenhausauf- enthalt ansteht, ebenfalls mit Entgeltersatzleistung, und das jedes Jahr wie beim Kinderkrankengeld . Um Pflege und Beruf dauerhaft miteinander verein- baren zu können, ist vor allem eine verlässliche Infra- struktur wichtig . Denn wenn der Anspruch auf Famili- enpflegezeit endet, endet nicht automatisch auch die Pflegebedürftigkeit. Worauf können Menschen sich ver- lassen? Auf ambulante Dienste, auf Tages- und Nacht- pflege, auf ehrenamtliche Betreuungsangebote. Und es darf kein sich ewig wiederholender, nicht zu bewältigen- der Aufwand sein, diese Angebote zusammenzustellen . Darum ist auch eine gute, unabhängige und indivi- duelle Beratung von Pflegebedürftigen und deren Ange- hörigen nötig: Was wünscht der Pflegebedürftige, was braucht er, welche Angebote gibt es? Was brauchen die Angehörigen? Wir wollen, dass die Beratung auf die Menschen zugeht, wenn das notwendig ist, dass sie sie aufsucht. Jeder Pflegebedürftige soll Anspruch auf einen individuellen Case Manager haben, der sich im Dschun- gel der Angebote zurechtfindet und genau die Angebote zusammenstellt, die dem Pflegebedürftigen und seinen Angehörigen nutzen . Und wir wollen auch für die An- gehörigen Beratung, und zwar nicht nur darüber, was der Pflegebedürftige braucht, sondern auch darüber, wo sie selbst Hilfe finden können, wenn sie an ihre Grenzen kommen . Mit einem persönlichen Pflegebudget hätten Pflegebe- dürftige und auch ihre Angehörigen mehr Freiheit: Sie könnten sich die Leistungen einkaufen, die sie wirklich haben wollen, die sie entlasten . Es müsste nicht mehr jeden Tag das gleiche Programm ablaufen . Man könnte auch mal spazierengehen, einkaufen und dafür einmal weniger duschen . Der persönliche Case Manager würde darauf achten, dass die notwendigen Pflegeleistungen eingekauft werden . Die beste Beratung hilft freilich nichts, wenn es keine Angebote gibt . Wenn die Beratung vor Ort angesiedelt ist, wenn die Menschen unabhängig und individuell nach ihren tatsächlichen Bedürfnissen beraten werden, dann Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18207 (A) (C) (B) (D) fällt auch ins Auge, was fehlt, welche Angebote noch notwendig wären. Neue, spezifische und bedarfsgerechte Angebote können so angestoßen werden . Grundsätzlich muss die pflegerische Infrastruktur aus- gebaut werden . Die starren Grenzen zwischen stationä- rer und ambulanter Pflege müssen fallen. Wir brauchen: mehr Angebote der Tages- und Nachtpflege, am liebsten mit Hol- und Bringdienst, mehr Angebote der Kurzzeit- und Verhinderungspflege, Möglichkeiten für Angehöri- ge, mit dem Pflegebedürftigen in Urlaub zu fahren – mit professioneller Unterstützung, damit sich beide erholen können . Bessere Beratung, mehr Freiheit bei der Auswahl der Leistungen, Ausbau der Angebote und ein Pflege- und Hilfe-Mix zwischen professioneller stationärer bzw . teil- stationärer und ambulanter Pflege, Haushaltshilfe, An- gehörigenpflege, Betreuung sowie ehrenamtlichen und nachbarschaftlichen Hilfen – so können Angehörige un- terstützt werden . Darum werden bei unserer grünen PflegezeitPlus die flankierenden Maßnahmen immer mitgedacht. Denn ein- fach einen Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung ins Ge- setz zu schreiben, bringt gar nichts . Das werden leider auch die Beamten und Soldaten zu spüren bekommen, wenn sie demnächst auch in den Genuss dieses Gesetzes kommen . Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm II) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm) – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ressourcenverschwendung stoppen – Nationa- les Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfä- hig ausgestalten (Tagesordnungspunkt 31) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Wir debattieren heute das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm, kurz ProgRess . Wir debattieren heute erneut deswegen, weil das erste Programm „zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen“ aus dem Jahr 2012 nun fortgeschrieben wurde . Dies ist ein Erfolg des Parla- ments . Vor genau vier Jahren haben wir die Bundesregie- rung in einem Antrag aufgefordert, alle vier Jahre über die Entwicklung der Ressourceneffizienz in Deutschland zu berichten . Die Bundesregierung hat nun mit Prog- Ress II geliefert . Schon das erste Ressourceneffizienzprogramm war ein Erfolg . Deutschland hat im Jahr 2012 als einer der ersten Staaten überhaupt ein solches Programm verab- schiedet . Auch die Zahlen zeigen: Die Rohstoffproduk- tivität entwickelt sich in die angestrebte Richtung . Das Wirtschaftswachstum wurde vom Rohstoffeinsatz ein gutes Stück weit entkoppelt . Aber: Die bereits erzielten Steigerungsraten der Roh- stoffproduktivität reichen nicht aus, um das gesetzte Ziel bis 2020 zu erreichen . Das Ziel war die Verdoppelung der Rohstoffproduktivität vom Jahr 1994 bis 2020 . Aktuell liegen wir bei einer Steigerung von knapp 50 Prozent . Das haben wir erreicht . Dieser Erfolg zeigt aber auch, dass noch viel Potenzial für Verbesserung besteht . Prog- Ress will dieses Potenzial nutzbar machen . Worum geht es bei ProgRess? Die effiziente Nutzung von Rohstoffen ist aus zwei Gründen für uns elementar . Erstens haben wir als rohstoffarmes Land gar keine ande- re Möglichkeit, als mit den endlichen Ressourcen intelli- gent umzugehen . Dazu gehört, Ressourcen und Material sparsam einzusetzen . Dazu gehört auch, die Wirtschafts- kreisläufe nachhaltig zu gestalten . Dafür müssen wir noch mehr bereits genutzte Stoffe wiederverwenden oder, wo das nicht möglich ist, Stoffe wiederverwerten . Zum anderen übersteigt die immer stärkere Nutzung natürlicher Ressourcen die Regenerationsfähigkeit unse- rer natürlichen Umwelt . Es geht darum, auch nachfolgen- den Generationen ausreichend natürliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen . Und schließlich: Nur durch einen effizienten Schutz unserer Ressourcen durch eine zeitgemäße Umweltpoli- tik leisten wir einen entscheidenden Beitrag zum Klima- schutz . Die Ziele sind klar: Es gilt, den Materialeinsatz zu ver- ringern, Ressourcen sparsam und effizient zu verwenden sowie Stoffkreisläufe zu schließen . Diese Herausforderungen meistern wir nicht neben- bei . Die Wirtschaft wird weiterhin ihren Beitrag dazu leisten, den Einsatz ihrer Ressourcen immer effizienter zu gestalten . Wir sind aber überzeugt: Am Ende überwie- gen die ökologischen und auch ökonomischen Vorteile . Um diese Vorteile zu erreichen, hat die Bundesre- gierung mit dem zweiten Programm zur Ressourcenef- fizienz einen sinnvollen Maßnahmenkatalog vorgelegt. Gleichwohl setzen wir darüber hinaus in unserem An- trag, den wir heute zur Abstimmung stellen, einige wich- tige Schwerpunkte . Ich will nur ein paar Punkte nennen: Wir fordern eine umfassende nationale Forschungs- und Innovationsförderstrategie für neue Ressourcen- technologien . Dazu wollen wir durch technologieoffene Forschungs- und Entwicklungsprogramme insbesondere kleine und mittlere Unternehmen unterstützen, ressour- censchonende Techniken einzusetzen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618208 (A) (C) (B) (D) Zweitens: Es ist uns besonders wichtig, Angebote zur betrieblichen Ressourceneffizienzberatung weiterzuent- wickeln und auszubauen . Damit soll besonders in kleinen und mittelständischen Unternehmen das Bewusstsein für den effizienten Umgang mit Ressourcen gefördert wer- den . Als Berichterstatter für Kreislaufwirtschaft schaue ich mir regelmäßig verschiedene Unternehmen an . Dabei be- eindruckt mich jedes Mal, wie viele Unternehmen ihre Prozesse Jahr für Jahr effizienter und intelligenter aus- gestalten . Gleichzeitig ist ebenso klar: Für die Zukunft ist dafür noch mehr Potenzial vorhanden . Mit unserem Antrag unterstützen wir kleine und mittelständische Un- ternehmen, dieses Potenzial noch besser zu nutzen, um ihre Ressourcen noch effizienter einzusetzen. Drittens: Ökobilanzen . Hierbei müssen wir die me- thodischen Voraussetzungen verbessern, um anhand von Ökobilanzen bei der Analyse von Ressourcenverbräu- chen bestimmter Produktgruppen den gesamten Lebens- zyklus zu bewerten . Viertens setzen wir uns dafür ein, dass bei der An- wendung der Ökodesignrichtlinie nicht nur der Ener- gieverbrauch berücksichtigt wird, sondern ebenso der Ressourcenverbrauch . Natürlich bleibt der Energiever- brauch insbesondere für den Klimaschutz eine wichtige Kenngröße . Gleichzeitig müssen wir verstärkt auch den Verbrauch der eingesetzten Ressourcen in den Blick neh- men . Fünftens fordern wir eine deutliche Ausweitung der Produktverantwortung . Diese ist in unseren Augen ein zentrales Instrument zur Vermeidung von Abfällen . Wa- rum? Wer Produkte in Verkehr bringt, soll für deren spä- tere Entsorgung am Ende des Lebenszyklus Verantwor- tung übernehmen . Dieses Prinzip sorgt dafür, dass die Entsorgungskosten Teil des Produktpreises werden . Die Entsorgung wird also beim Kauf der Produkte mitbezahlt und nicht erst über Gebühren bei der Abfallentsorgung finanziert. Sechstens wollen wir das Thema Ressourceneffizi- enz noch stärker auf die internationale Ebene heben . Es ist klar, dass wir langfristig nur erfolgreich sind, wenn wir unsere Maßnahmen auch international vorantreiben . Möglichkeiten dafür bieten sowohl das Kreislaufwirt- schaftspaket der EU-Kommission als auch die deutsche Präsidentschaft der G20 im kommenden Jahr . Und schließlich fordern wir die Bundesregierung auf, dem Bundestag in vier Jahren erneut über die Entwick- lungen der im Programm geforderten Maßnahmen zu be- richten. Denn eines ist klar: Ressourceneffizienz ist ein langfristiger Prozess, den wir kontinuierlich gestalten und begleiten müssen . Michael Thews (SPD): Es ist eine Tatsache: Die Ressourcen auf unserem Planeten sind endlich . Insbe- sondere Rohstoffe, Fläche, Boden und Wasser stehen uns und folgenden Generationen nicht unbegrenzt zur Ver- fügung . Wenn wir mit unserem Ressourcenverbrauch so weitermachen wie bisher, dann würden wir im Jahr 2030 die Ressourcen von zwei Planeten verbrauchen . Diese Tatsache müssen wir uns alle immer und immer wieder bewusst machen und als große Herausforderung unse- rer Zeit verstehen . Deshalb begrüße ich das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm ProgRess und seine ers- te Fortschreibung ausdrücklich . Ich freue mich, dass es Gegenstand der heutigen Plenardebatte ist . Ressource- neffizienz, also die Verringerung des Rohstoff- und Ma- terialverbrauchs, ist unabdingbar für den Umwelt- und Klimaschutz und muss für uns alle selbstverständlich werden . ProgRess I und II sehen ein Bündel von Maßnahmen und Instrumenten zur Steigerung der Ressourceneffizienz vor . Hierzu zählen Forschung und Innovation, Bildung, Beratung, Schaffung von Marktanreizen und Informati- on . ProgRess lenkt außerdem immer wieder den Fokus auf das Thema, mit dem sich inzwischen auch viele jun- ge Firmen beschäftigen, zum Beispiel unter dem Motto des Cradle to Cradle – oder deutsch „von der Wiege zur Wiege“ –, also des geschlossenen Kreislaufs der Pro- dukte . Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir anlässlich der Ausschussbefassung einen Entschlie- ßungsantrag vorgelegt, mit dem wir das Engagement der Bundesregierung in Sachen ProgRess würdigen und wei- tere, über ProgRess II hinausgehende wichtige Forderun- gen benennen und vorantreiben wollen . Lassen Sie mich ein paar mir besonders wichtig erscheinende Punkte aus unserem Antrag herausgreifen . Wir wollen die betriebliche Ressourceneffizienzbera- tung, die derzeit insbesondere vom Zentrum Ressourcen- effizienz beim VDI durchgeführt wird, ausbauen und fortentwickeln . Diese Beratung soll in den Unternehmen das Bewusstsein für den effizienten Umgang mit Res- sourcen fördern . Nach den Ergebnissen einer Studie von 2015 bekräftigen 73 Prozent der Unternehmen im ver- arbeitenden Gewerbe, dass sie noch Möglichkeiten für die Steigerung der Ressourceneffizienz in ihrer Branche sehen . Hier ist noch viel Potenzial . Die erfolgreiche Ar- beit des VDI muss weitergeführt und ausgebaut werden . Darüber hinaus fordern wir, sich dafür einzusetzen, dass bei der Anwendung der Ökodesign-Richtlinie neben der Betrachtung des Energieverbrauchs künftig auch der Ressourcenverbrauch stärker berücksichtigt wird . Ich denke, wenn wir den Gedanken der Ressourceneffizienz in Produktions- und Vorbereitungsprozessen stärker ver- ankern wollen, müssen wir auf europäischer Ebene an- setzen und können keinen reinen deutschen Sonderweg einschlagen . Ich bin davon überzeugt, dass die Ökode- sign-Richtlinie das richtige Instrument ist, und finde, ihr Anwendungsbereich sollte schrittweise auf weitere Pro- duktgruppen – neben den energieverbrauchsrelevanten – erweitert werden . Ein dritter Punkt aus unserem Antrag liegt mir am Herzen, und zwar die stärkere Berücksichtigung der Res- sourceneffizienz bei der öffentlichen Beschaffung. Denn wir brauchen natürlich auch marktwirtschaftliche Anrei- ze für die Herstellung von ressourceneffizienten Produk- ten, zum Beispiel von Produkten aus Recyclingmateriali- en . Der Bund sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen, indem Ressourceneffizienz in die Leistungsbeschreibun- gen des Bundes bei Ausschreibungen Eingang findet. Ein Beispiel könnte die Verwendung von Beton mit rezyk- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18209 (A) (C) (B) (D) lierten Gesteinskörnungen, sogenannter RC-Beton, bei Bauvorhaben sein . Ressourceneffizienz sollte zu einem Markenzeichen und Standortvorteil für Deutschland werden! Ralph Lenkert (DIE LINKE): Der Rohstoffhunger der führenden Industriestaaten ist eine Ursache für glo- bale Umweltzerstörung, soziale Verwerfungen und regi- onale Kriege und Konflikte. Die globalisierte, auf Pro- duktionswachstum fixierte Marktwirtschaft führt zum Raubbau an unserem Planeten und mittelfristig in die Sackgasse . Ein Ressourceneffizienzprogramm könnte zumindest den Schwerpunkt weg vom quantitativen hin zum quali- tativen Wachstum verlagern . Das erste Ressourceneffizienzprogramm ProgRess I verfehlt diesen Anspruch . Auf 124 Seiten wiederholen sich Phrasen, Worthülsen, hehre Ziele – alles blumig formuliert . Dies wurde kombiniert mit folgenlosen Ab- sichtserklärungen . Die halbwegs verwertbare Essenz des gesamten Papieres ließe sich auf 5 Prozent, also auf sechs Seiten unterbringen . Das wäre schon mal eine erfolgrei- che Effizienzmaßnahme. Wir alle müssten weniger lesen, es spart Papier oder Datenvolumen . Bei genauerer Prüfung dieses Rests stellt man jedoch leider fest, dass die Bundesregierung glaubt, das Problem des auf Verschwendung basierenden Wirtschaftens und Konsumierens ließe sich allein durch Subventionspro- gramme für die freie Wirtschaft, Forschungsförderung oder mit unverbindlichen Absichtserklärungen im Tenor von „müsste, könnte, wäre schön, werden wir prüfen“ lösen . Den Grundansatz der Ressourcenstrategie, das Wirt- schaftswachstum vom Ressourceneinsatz zu entkoppeln, unterstützt die Linke . Die Analyse der Fortschreibung des Programms – ProgRess II – macht jedoch deutlich, dass dieses Ziel bisher verfehlt wird . Damit steigender sozialer Ungleichheit, wachsender Umweltzerstörung und dem schleichenden Klimawandel wirkungsvoll begegnet werden kann, muss das Mantra des stetigen Wirtschaftswachstums kritisch hinterfragt werden . Wachstum um des Wachstums willen ist die Philo- sophie einer Krebszelle . Da die Linke für eine gesunde Gesellschaft eintritt, muss die bisherige nur auf Mengen- wachstum ausgerichtete Wirtschaft verändert werden . Allein das Ziel, dass der Ressourcenverbrauch langsamer als die Wirtschaftsleistung steigt, reicht nicht – vor al- lem, weil dies bisher größtenteils durch die Verlagerung ressourcenintensiver Wirtschaftsbereiche ins Ausland erreicht wurde . TTIP, CETA und andere Freihandelsab- kommen, die von dieser Bundesregierung gewollt wer- den, decken den Widerspruch auf zwischen den real exis- tierenden globalneoliberalen Wirtschaftskreisläufen, die sich jeder Reglementierung entziehen wollen, und dem Regierungshandeln und den schönen Zielen in Sonntags- reden und ProgRess-Programmen . Nichtsdestotrotz bringt die Fortschreibung des Pro- gramms ProgRess II qualitative Verbesserungen beim Bekämpfen einiger Symptome . Die Ökodesign-Richtli- nie, Effizienzberatungen, Ziele im Kreislaufwirtschafts- gesetz und Impulssetzung zur Ressourcenschonung un- terstützt die Linke . Leider handelt die Bundesregierung im Tagesgeschäft entgegengesetzt . Die Ökodesign-Richtlinie beschränkt sich auf die Leistung von Staubsaugermotoren, statt das Verhältnis von eingesetzter Energie zum notwendi- gen Saugergebnis zu bewerten . Wenn Hersteller dann die Motorleistung verringern und zum Erhalt der Saug- kraft die Arbeitsbreite an der Saugdüse reduzieren, dann verlängert sich die Arbeitszeit . Die eingesetzte Energie bleibt gleich: 1 200 Watt bei einer Stunde Arbeitszeit er- geben genauso viel wie 600 Watt bei zwei Stunden Ar- beitszeit, nämlich 1,2 Kilowattstunden . Aber ich verliere eine Stunde Freizeit . So geht es nicht . Uns als erfolgreiche Ressourcenschonung die Ein- führung freiwilliger Abgaben auf Plastetüten verkau- fen zu wollen, ist zwar nicht falsch, aber angesichts des Ausmaßes des deutschen Ressourcenverbrauches schon peinlich . Das Kreislaufwirtschaftsgesetz wird entgegen den for- mulierten Zielen novelliert; so wurde der Passus aus dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz, nach dem Akkus in elektrischen Geräten nicht fest verbaut werden durften, gestrichen . Jetzt dürfen sie wieder fest eingebaut werden, und Verbraucher- und Umweltschützer sind fassungslos, ein Bärendienst für den Ressourcenschutz . Der Arbeitsentwurf des Wertstoffgesetzes zerstört re- gionale Kreisläufe und dehnt das transportintensive Ab- lasshandelprinzip der Dualen Systeme auf Wertstoffe im Haushaltsabfall aus . Damit entgehen den kommunalen Abfallentsorgern Einnahmen, was unweigerlich zur Er- höhung der Abfallgebühren führt . Die Linke nimmt Ressourcenschutz und Ressourcen- effizienz ernst, deshalb betrachten wir die gegenwärtige konsumorientierte Lebens- und Wirtschaftsweise kri- tisch . Als erste Schritte zu einer ressourcenschonenden Ge- sellschaft schlägt die Linke folgende Maßnahmen vor: erstens Pfandpflicht auf Elektrogeräte, zweitens Min- destnutzungsdauern von technischen Produkten, drittens Einführung einer Ressourcenverbrauchsabgabe, viertens sozial-ökologische Ausrichtung der Abfallwirtschaft, fünftens ein weitgehendes Verbot von Plastetüten, sechs- tens Pfandpflicht für Einweggeschirr, wie beispielsweise To-go-Becher . Liebe Koalition, stecken Sie weniger Kraft in blumi- ge Formulierungen in Ressourceneffizienzprogrammen. Investieren Sie stattdessen in Maßnahmen, wie von der Linken vorgeschlagen . Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir alle wissen: Der Ressourcenverbrauch in Deutschland muss gesenkt werden . Auch und gerade hierzulande ver- brauchen wir mehr Ressourcen, als unser Planet hergibt . Wir leben auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618210 (A) (C) (B) (D) sowie vieler Menschen in den Rohstofflieferländern des globalen Südens . Auch die Bundesregierung teilt diese Einsicht . Doch jetzt muss entschlossenes Handeln folgen . Damit tut sich die Bundesregierung schwer: Das Ressourceneffi- zienzprogramm ist bei weitem nicht ambitioniert genug . Die Ziele sind viel zu vorsichtig formuliert . Kein Wun- der, denn ProgRess II enthält zu wenige konkrete, mit Finanzmitteln hinterlegte Maßnahmen dafür, den Res- sourcenverbrauch insgesamt zu drosseln, zu einer richti- gen Kreislaufwirtschaft zu kommen und insgesamt eine Lebens- und Wirtschaftsweise zu entwickeln, die enkel- tauglich ist . ProgRess II hat das Ziel, den Trend der Gesamtroh- stoffproduktivität fortzusetzen . Bis zum Jahr 2030 soll die Effizienz der Rohstoffnutzung um 30 Prozent ge- genüber 2010 steigen . Das ist gut, doch es genügt nicht . Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass über die Steigerung der Rohstoffproduktivität hinaus auch der absolute Ressourcenverbrauch gesenkt wird? Das ist dringend nötig; denn würden alle Menschen der Erde so leben wie wir in Deutschland, bräuchten wir 2,6 Plane- ten. Doch Suffizienzmaßnahmen scheint die Bundesre- gierung zu scheuen wie der Teufel das Weihwasser . Der vorgestern von der Koalition eingebrachte Ent- schließungsantrag zu ProgRess II liest sich stellenwei- se wie ein Antrag der Opposition und bringt viele gute Vorschläge ein . Warum hat die Bundesregierung sie nicht einfach selbst umgesetzt? Zum Beispiel in puncto Pro- duktverantwortung: Beim Wertstoffgesetz hat die Bun- desregierung immer noch die Chance, die Produktverant- wortung im Sinne einer echten Kreislaufwirtschaft auf stoffgleiche Nichtverpackungen auszuweiten, stattdessen aber scheint sie nicht nur das bisherige, ineffektive Sys- tem der geteilten Verantwortlichkeit mit großer Rechts- unsicherheit für die Kommunen weiter zementieren zu wollen . Nein, auch die nachweislich ressourcenschonen- de Mehrwegquote für Getränkeverpackungen soll auf diesem Weg stillschweigend beerdigt werden . Unterdessen steigt der Plastikmüllberg weiter an . Deutschland ist jetzt schon Europameister im Produ- zieren von Verpackungsmüll – insgesamt und auch pro Kopf . Alleine die Menge von Kunststoffverpackungen hat in Deutschland seit 2009 um fast ein Drittel zuge- nommen . Hier wird deutlich: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim Ressourcenschutz klafft in Deutsch- land immer noch eine große Lücke . Wir Grüne zeigen in unserem Antrag „Ressourcenver- schwendung stoppen“ deshalb konkrete Maßnahmen auf, wie wir den absoluten Ressourcenverbrauch in Deutsch- land signifikant senken können. Die im Bürgerratschlag der Bundesregierung formulierten Forderungen aus der Zivilgesellschaft bieten gute Anhaltspunkte und machen deutlich, dass die Bürgerinnen und Bürger hier bereits weiter sind als die Politiker der großen Koalition . Die Bürgerinnen und Bürger hatten sogar vorgeschlagen, eine Primärrohstoffsteuer zu erheben . Im ProgRess-II-Ent- wurf fehlen ökonomische Anreize für Ressourcenschutz praktisch vollständig . Zudem sprachen sich die Beteiligten am Bürgerrat- schlag zu ProgRess II dafür aus, den Verbrauch von Plas- tiktüten drastisch zu reduzieren, Einwegverpackungen einzusparen, den geplanten Verschleiß von Produkten zu bekämpfen und öffentliche Verkehrsmittel und Carsha- ring zu fördern . Das sind alles sehr sinnvolle Forderungen . Doch diese Dinge kommen nicht von selber . Nur ein einfacher Ap- pell an die Bürger zum nachhaltigen Konsum wird der Verantwortung der Bundesregierung in keiner Weise ge- recht . Die Bundesregierung muss sich als Vorreiter und nicht als Bremser für mehr Ressourcenschutz positionie- ren . Ressourcenpolitik sollte als Zentrum des politischen Handelns betrachtet werden und nicht immer nur als An- hängsel zum Beispiel der Energieeffizienzpolitik. Hierfür muss ein klarer Rahmen gesetzt und Regeln verbindlich festgeschrieben werden . Deshalb: Ein Ressourcenschutzgesetz als Baustein für eine enkeltaugliche Politik muss her, in dem dann zum Beispiel auch klare Vorgaben für das öffentliche Be- schaffungswesen und die zukunftsfähige Ausgestaltung von Ausschreibungen geregelt werden . Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Ein schonender und gleichzeitig effizienter Umgang mit natürlichen Ressourcen ist eine Schlüsselkompetenz zukunftsfähiger Gesellschaften . Deutschland hat die besten Voraussetzungen, bei diesem notwendigen Wandel zu einer ressourceneffizienten Wirt- schaftsweise voranzugehen und zu einer der weltweit ressourceneffizientesten Volkswirtschaften zu werden. Diesen Prozess wollen wir mit dem Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen – kurz ProgRess – unterstützen . Mit Prog- Ress strebt die Bundesregierung an, Wirtschaftswachs- tum und Wohlstand möglichst weitgehend vom Ressour- ceneinsatz zu entkoppeln und damit Umweltbelastungen zu reduzieren . Ziel ist es dabei, die Inanspruchnahme von Rohstoffen weiter zu reduzieren . Gleichzeitig soll aber auch zur Sicherheit der Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft und zur Minderung von zu starken Preisschwankungen an den Rohstoffmärkten beigetragen werden . Die Bundesregierung ist verpflichtet, dem Bundestag alle vier Jahre über die Ressourceneffizienz in Deutsch- land zu berichten, die Fortschritte zu bewerten und das Programm fortzuentwickeln . Mit ProgRess II, das Ihnen nun vorliegt, haben wir das im März des Jahres getan . Ich freue mich, wenn Sie heute durch einen Beschluss die Bedeutung des Themas für den Bundestag erneut un- terstreichen, und bedanke mich bei den Fraktionen für die Debatten und die hervorragende Arbeit, die diese Be- schlussempfehlung möglich gemacht haben . Das Programm gibt in seinem Berichtsteil einen Über- blick über die Umsetzung in den Jahren 2012 bis 2015 und benennt die wesentlichen Aktivitäten . Die Rohstoffproduktivität entwickelt sich insgesamt in die gewünschte Richtung, und die verwendeten Indi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18211 (A) (C) (B) (D) katoren deuten darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum tendenziell vom Rohstoffeinsatz entkoppelt wurde . Das Programm hat sehr dazu beigetragen, den Blick auf die Ressourcennutzung zu lenken, und es hat eine Vielzahl von Aktivitäten auf allen Ebenen ausgelöst . Auch international gewinnt das Thema immer mehr an Bedeutung, nicht zuletzt durch deutsche Initiative auf G7-Ebene . Bei der Weiterentwicklung des Programms im zwei- ten Teil haben wir auf den Erfahrungen der letzten Jahre aufgebaut . Die Indikatoren und Ziele wurden überprüft und ergänzt . Für den neuen, methodisch verbesserten In- dikator „Gesamtrohstoffproduktivität“ haben wir uns als Ziel eine Steigerung um 30 Prozent bis 2030 gegenüber 2010 vorgenommen . Struktur und Themenfelder wurden im Wesentlichen beibehalten . Die Aspekte „Nachhalti- ges Bauen und nachhaltige Stadtentwicklung“ sowie die „Ressourceneffizienz von Produkten der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)“ wurden durch ei- genständige Kapitel stärker einbezogen . Wo sinnvoll, sollen bei den Maßnahmen verstärkt Energie- und Mate- rialströme gemeinsam betrachtet werden . Wir haben mit dem Deutschen Ressourceneffizienz- programm viel erreicht . Ressourcenschutz muss im All- tag gelebt und durchgesetzt werden, und zwar auf allen Ebenen . Ich bitte Sie daher, unsere Arbeit mit ProgRess und seine Fortentwicklung weiter zu unterstützen . Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Än- derung des Gesetzes über das Verfahren in Famili- ensachen und in den Angelegenheiten der freiwilli- gen Gerichtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 32) Sebastian Steineke (CDU/CSU): Lassen Sie mich eines vorwegnehmen: Sachverständige sind für die Auf- klärung komplizierter Sachverhalte im Gerichtsprozess ein wichtiger Baustein und daher unverzichtbar . Die Richterinnen und Richter sind zuweilen auf ihre Experti- se angewiesen, um bei ihrer Entscheidungsfindung eine objektive Sicht der für sie oftmals fachfremden Dinge zu bekommen . Der öffentlichen Berichterstattung ist immer häufiger zu entnehmen, dass die Unabhängigkeit und Neutralität von gerichtlich bestellten Sachverständigen von den Bürgerinnen und Bürgern teilweise infrage ge- stellt werden . Zudem wird die Qualität gerichtlicher Gut- achten regelmäßig angezweifelt . Diese Sorgen nehmen wir als Koalition ernst . Daher setzen wir nun eine auf Betreiben von CDU und CSU im Koalitionsvertrag ver- ankerte Vorgabe mit diesem Gesetz um . Was ändern wir nun im Einzelnen? Künftig müssen Sachverständige in allen Stadien des Gerichtsverfahrens prüfen, ob sie mit der Übernahme oder Durchführung des Auftrags in einem Interessenkonflikt stehen. Denk- bar ist dies, wenn ein Sachverständiger zum Beispiel ei- ner Prozesspartei persönlich sehr nahe steht oder bereits mehrfach für eine Seite tätig geworden ist . Eine solche Regelung hat natürlich keinen Wert, wenn sie nicht sank- tionsbewehrt ist . Auf Initiative der Union haben wir da- her in dem Gesetz bei Verletzung der Offenlegungspflicht durch den Sachverständigen die mögliche Verhängung eines Ordnungsgeldes durch das Gericht geregelt . Zudem verliert der Sachverständige seinen Vergütungsanspruch, wenn er gegen die Eigenüberprüfung verstößt . Weiterhin wird die Möglichkeit einer Anhörung durch das Gericht vor Ernennung des Sachverständigen einge- führt . Bislang stützte sich die Anhörung in der gerichtli- chen Praxis auf den allgemeinen Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes . Ein Überprüfungs- und Fragerecht der Parteien konnte bis dato erst im Rahmen eines Termins zur mündlichen Anhörung des bereits bestellten Sachver- ständigen zur Darlegung seines Gutachtens nach § 411 Absatz 3 Zivilprozessordnung ausgeübt werden . Um das Verfahren jedoch nicht unnötig zu verzögern, liegt eine Anhörung im Ermessen des Gerichtes . Eine Flexibilität des Gerichtes war uns als Union hierbei wichtig, da wir mit dem Gesetz auch dem Ziel einer Effektivierung und Beschleunigung der Zivilprozesse Rechnung tragen wol- len . Ein weiterer Punkt ist die nunmehr obligatorische Fristsetzung für die Abgabe eines Gutachtens durch das Gericht . Was in der Praxis bereits in mehr als der Hälfte der amts- und landgerichtlichen Zivilverfahren erster In- stanz üblich und bislang als Sollregelung in der Zivilpro- zessordnung verankert war, wird nun gesetzlich festge- schrieben . Kommt der Sachverständige innerhalb dieser Frist seiner Pflicht zur Abgabe des Gutachtens nicht nach, soll das Gericht ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 3 000 Euro verhängen . Bislang war eine entspre- chende Sanktion entsprechend Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch nur bis zu 1 000 Euro möglich . Bei der Fristsetzung wird das Ge- richt in der Praxis natürlich weiterhin die Arbeitsbelas- tung des Beauftragten und den zu erwartenden Umfang des Gutachtens berücksichtigen . Auch die Nachfristset- zung gemäß § 224 Absatz 2 Zivilprozessordnung bleibt auf begründeten Antrag des Sachverständigen weiterhin möglich . Bei der Beratung dieses Gesetzes war uns wichtig, dass wir einen vernünftigen Interessenausgleich erreicht haben . Sachverständige dürfen durch die Neuregelungen nicht davon abgeschreckt werden, zukünftig gerichtliche Aufträge anzunehmen . In einigen, vor allem ländlichen, Regionen ist die Zahl an geeigneten verfügbaren Sach- verständigen leider immer noch sehr gering . Auf der an- deren Seite müssen wir dennoch dafür sorgen, dass die Unabhängigkeit und Neutralität gewährleistet werden und sich dadurch auch die Gutachtenqualität erhöht . Dies sind wir im Übrigen auch den vielen gut und redlich ar- beitenden Gutachtern schuldig . Ich denke, das haben wir mit der Vorlage sehr gut hinbekommen . Die Neutralität und Unabhängigkeit von Sachver- ständigen ist ein wichtiges Gut, um das Vertrauen der Menschen in unseren Rechtsstaat zu stärken und die Ak- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618212 (A) (C) (B) (D) zeptanz von Gerichtsentscheidungen zu gewährleisten . Mit dieser Gesetzesänderung schaffen wir eine größere Transparenz beim Auswahlverfahren durch das Gericht und stärken die Beteiligungsrechte der einzelnen Partei- en . Insofern sind wir nun ein gutes Stück weiter . Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich unseren Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung danken, die uns noch viele wertvolle Hinweise aus der Praxis an die Hand gegeben haben . Dies hat uns in den weiteren Beratungen deutlich geholfen . Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Wir de- battieren hier heute in 2 ./3 . Lesung einen Gesetzentwurf, der sich mit der Qualität von Sachverständigengutach- ten in Familiensachen befasst . Bei der Frage, wo Kinder nach der Trennung ihrer Eltern behüteter aufwachsen, eine bessere Zukunft haben, bedienen sich Richter oft des Sachverstandes von Fachleuten im Rahmen eines Sachverständigengutachtens, welches dann zur Grund- lage ihrer Entscheidung gemacht wird . Bislang müssen diese Sachverständigen keine Qualifikation nachweisen. Dieses ändern wir jetzt mit dem vorliegenden Gesetz . Sie müssen zukünftig zumindest über eine psychologische, psychotherapeutische, kinder- und jugendpsychiatrische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder sozialpäda- gogische Berufsqualifikation verfügen. Da bei Gutachten in Kindschaftssachen die Diagnostik und nicht die The- rapie im Vordergrund steht, haben wir in der parlamen- tarischen Befassung noch ausführlich über einen Zusatz für Pädagogen und Sozialpädagogen diskutiert . Diese Berufsgruppen sollen nun über ausreichende diagnosti- sche und analytische Kenntnisse durch anerkannte Zu- satzqualifikationen verfügen. So stellen wir sicher, dass Sachverständige Gutachten von hoher Qualität erstellen, die dann dazu führen, dass Richter die beste Entscheidung zum Wohle der Kinder fällen . Damit möchte ich einen anderen, aber genauso wich- tigen Aspekt ansprechen . Um die Qualität der familien- gerichtlichen Verfahren weiter zu stärken, ist es nicht ausreichend, nur das Sachverständigenrecht zu reformie- ren . Es ist auch notwendig, die gesetzlichen Eingangs- voraussetzungen für eine Tätigkeit als Familienrichter zu erhöhen . Denn es ist die Aufgabe der Richterschaft, qualifizierte Sachverständige auszuwählen, die richtigen Fragen zu stellen und vor allem das Gutachten auf seine Verwertbarkeit hin zu überprüfen . Ich möchte aber auch nicht missverstanden werden . Ich sehe grundsätzlich die familienrechtlichen Verfahren in kompetenten Händen . Die Praxis zeigt aber auch, dass teilweise junge Rich- ter als Familienrichter eingesetzt werden, die die erfor- derlichen familienrechtlichen Kenntnisse, insbesondere Grundkenntnisse des Kindschaftssrechts, anfangs nicht beherrschen und sie erst mit der Berufserfahrung erwer- ben . Deswegen sehen wir an dieser Stelle einen weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf, der in unserem Ent- schließungsantrag zum Tragen kommt . In dem Gesetzespaket ist auch eine Neuregelung des § 145 Absatz 3 FamFG zu finden. Dabei geht es um die Möglichkeit der Anschlussbeschwerde von Ehegatten, wenn ein Versorgungsträger im Rahmen des Versor- gungsausgleiches durch das Gericht zum Beispiel ver- gessen wurde, also nicht am Verfahren beteiligt wurde . Falls durch die nachträgliche Auskunft das Gesamtkon- strukt im Scheidungsverbund, oft bestehend aus Versor- gungsausgleich, Zugewinnausgleich und Unterhalt, ins Wanken gerät, können nun auch die Eheleute sich der Beschwerde des Versorgungsträgers anschließen . Aber, und das ist wichtig, der Scheidungsausspruch wird da- durch nicht berührt . Die Scheidung bleibt rechtskräftig und kann nicht im Rahmen dieser Art von Beschwerde angegriffen werden . Damit begegnen wir einem Pro- blem, das gelegentlich zu Doppelehen geführt hat . In- sofern ist auch dieses ein Element zur Klarstellung im Familienrecht . Darüber hinaus führen wir mit dem Gesetz einen neu- en Rechtsbehelf ein, mit dem Beteiligte in bestimmten kindschaftsrechtlichen Verfahren gegen unbegründete Verfahrensverzögerungen vorgehen können . Für den ersten Regierungsentwurf war ein relativ kompliziertes Konstrukt gewählt worden, welches in der öffentlichen Anhörung bei den Sachverständigen wenig Zustimmung fand . Daraufhin haben sich die maßgeblich Beteiligten unter Hinzuziehung der Sachverständigen zusammenge- setzt, ein verbessertes Mittel der Rüge und Beschwerde entwickelt, die den Voraussetzungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte standhält . Wir haben nun in Kindschaftssachen eine präventive und kompen- satorische Rügemöglichkeit . Ich will nicht verhehlen, dass mir die Begriffe Be- schleunigungsrüge und Beschleunigungsbeschwerde nicht gefallen, weil wir natürlich nicht die Beschleuni- gung rügen . Leider hat keiner der von mir unterbreiteten Vorschläge die Zustimmung des Ministeriums gefunden, sodass wir zunächst bei dem etwas unglücklichen Begriff der Beschleunigungsrüge bleiben . Verbesserungsvor- schläge werden hier jedoch gerne entgegengenommen . Abschließend enthält der Entwurf noch eine Ände- rung zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit bei Entschä- digungsklagen und es ist wichtig, darauf hinzuweisen . In der letzten Legislaturperiode ist die Entschädigungsklage eingeführt worden . Man wollte – so ergibt es sich aus der Gesetzesbegründung –, dass die Entschädigungskla- gen in allen Gerichtsbarkeiten in Abhängigkeit zu der vorherigen Gebührenzahlung stehen . Dieses ist nicht geschehen . In zivilgerichtlichen Verfahren wird die ein- gegangene Klage zunächst nur anhängig und erst mit Zustellung nach Zahlung eines Gerichtskostenvorschus- ses rechtshängig. In sozial-, verwaltungs- und finanz- gerichtlichen Verfahren ist die Klage bereits mit ihrem Eingang bei Gericht rechtshängig . Das Verfahren muss also ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich betrieben wer- den . Dem Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Anwendung des Gesetzes zufolge kommt es dadurch aber zu großer Unsicherheit, welche Rechtsfolgen sich für die Rechtshängigkeit ergeben, wenn der Gerichts- kostenvorschuss für die Entschädigungsklage – auch nach gerichtlicher Fristsetzung – nicht einbezahlt wurde . Dieser Unsicherheit wollen wir begegnen und dem ur- sprünglichen Ansinnen des Gesetzgebers nachkommen und nun in allen Gerichtszweigen dafür sorgen, dass Ent- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18213 (A) (C) (B) (D) schädigungsklagen bei allen Gerichten erst rechtshängig werden, wenn die Klage nach Zahlung des Vorschusses zugestellt worden ist . Alles in allem also eine Verbesserung der Rechtssitua- tion, und darum sollte es ja immer gehen . Sonja Steffen (SPD): Die meisten Menschen erle- ben in ihrem Leben eher selten Gerichtsverfahren . Aber wenn es denn dazu kommt, dann wollen sie ein faires Verfahren, neutrale Richter und Richterinnen, rechtliches Gehör und vor allem einen gerechten und zügigen Ab- schluss des Verfahrens . Andererseits wissen wir aber auch, dass es im Laufe eines Gerichtsverfahrens oftmals eines Gutachtens be- darf, weil der juristische Sachverstand der Richterinnen und Richter nicht ausreicht, um sich ein Urteil zu bilden . Ob dies technische, bauliche oder aber auch familiäre Angelegenheiten betrifft: Es ist gut und wichtig, dass un- ser Rechtssystem die Beteiligung von Sachverständigen ermöglicht . Und wir sind uns alle einig, dass wir über ausgezeichnete Expertinnen und Experten verfügen, die Gerichtsverfahren mit ihrem Sachverstand bereichern . Notwendigerweise ist es aber auch so, dass sich Ver- fahren durch die Erstellung von Sachverständigengutach- ten verlängern, insbesondere weil sie sorgfältig erarbeitet werden müssen . Und wir müssen auch feststellen, dass der Ausgang der meisten Verfahren entscheidend von dem Ergebnis des Gutachtens abhängt . Daher kommt dem Gutachten entscheidende Bedeutung zu! In der Vergangenheit gab es höchstinstanzliche Ent- scheidungen und Berichte von Betroffenen, die an der einen oder anderen Stelle Mängel am Sachverständigen- recht festgestellt haben . Vor allem den familienrechtlichen Prozessen, deren Ausgang über familiäre Schicksale entscheidet, gilt unser besonderes Augenmerk . In der Regel hängt für alle Pro- zessbeteiligten sehr viel von dem Ausgang des Prozesses ab . Insbesondere Kinder leiden neben der Trennung der Eltern unter den Strapazen, die ein gerichtlicher Prozess mit sich bringt . Eine Beschleunigung der Prozesse kann die Belastung verringern und bringt vor allem den Kin- dern schneller die erwünschte Klarheit . Durch das hier in 2 . und 3 . Lesung beschlossene Ge- setz zum Sachverständigenrecht werden Gerichtsprozes- se beschleunigt und gleichzeitig die Qualität der Gut- achten sichergestellt . Durch die neuen Instrumente zur Sicherstellung der Neutralität der Sachverständigen wer- den Anfechtungsgründe verhindert und fairere Gerichts- verfahren ermöglicht . Die aktuelle Praxis zeigt, dass bei Fristversäumnis- sen durch die Sachverständigen in der Regel keine Ord- nungsgelder verhängt werden . Durch die in dem Gesetz beschlossenen Fristsetzungen und Beschleunigungsrü- gen werden deshalb schuldhaft versäumte Fristen mit einem Ordnungsgeld von bis zu 3 000 Euro bestraft . Den Richtern und Richterinnen bleibt jedoch weiterhin die Möglichkeit, durch Fristverlängerungen möglichem Mehraufwand oder anderen Gründen für eine Verzö- gerung Rechnung zu tragen . Die Verhängung des Ord- nungsgeldes soll daher die Ausnahme bleiben . Ich gehe deshalb nicht davon aus, dass, wie von einigen Seiten befürchtet, Prozesse in die Länge gezogen werden, da sich zukünftig keine Sachverständigen mehr bereit erklä- ren, ein Gutachten zu erstellen . Vielmehr wird sich für die meisten Sachverständigen gar nichts ändern, weil sie schon jetzt ihre Gutachten mit der nötigen Sorgfalt, aber auch zügig erstellen . Die in diesem Gesetz außerdem verankerten Min- destqualifikationsanforderungen für Sachverständige in Familienrechtsprozessen sorgen für eine höhere Qualität der Gutachten . Damit wird nicht nur sichergestellt, dass die Richterinnen und Richter die notwendigen Grundla- gen zur Verfügung gestellt bekommen, um die für das Kindeswohl beste Entscheidung zu treffen, sondern auch, dass die Anfechtbarkeit und mögliche Aufhebung der Ur- teile durch mangelhafte Gutachten eingeschränkt wird . Belastungen für die betroffenen Familien werden somit reduziert . Dass Pädagogen und Sozialpädagogen ihre Qualifikation durch Zusatzqualifikationen nachweisen müssen, wird der Vielfalt der Berufsgruppen gerecht und bietet den Prozessbeteiligten weitere Rechtssicherheit . Aus unserem Entschließungsantrag wird deutlich, dass uns die Qualitätsverbesserung in Familienrechtsprozes- sen weiterhin ein wichtiges Anliegen ist und es Zeit ist, dass die Länder gemeinsam mit der Bundesregierung ein Gesetz erarbeiten, in dem auch besondere Eingangsvor- aussetzungen für Familienrichterinnen und Familienrich- ter eingeführt werden . Dabei ist es mir wichtig zu beto- nen, dass eine Großzahl der Prozesse durch qualifizierte und engagierte Familienrichterinnen und Familienrichter geführt werden, die den komplexen Herausforderungen des Rechtsgebietes gerecht werden . Dies durch eine obli- gatorische Weiterbildung zum Standard zu machen, soll- te unser nächstes Ziel sein . Schließlich haben wir durch die Einführung eines neu- en Verfahrensinstrumentes dafür gesorgt, dass zukünftig gerade in Kindschaftssachen ein beschleunigtes Verfah- ren durchgesetzt werden kann . Die Beschleunigungsrüge und die Beschleunigungsbeschwerde bieten hier die rich- tigen Ansätze . Zum Schluss lässt sich sagen, dass es uns mit diesem Gesetz durch gemeinsame Arbeit von Ministerium, Ab- geordneten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Arbeitsgruppen, der Ausschüsse und MdB-Büros gelun- gen ist, einen weiteren Punkt des Koalitionsvertrages zu erfüllen . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Liebe Leser, ich möchte mich zunächst vollinhaltlich auf meine erste Pro- tokollrede zu diesem Gesetz beziehen, soweit sich durch Änderungsbeschlüsse nichts Neues ergeben hat . Zu den Neuerungen lässt sich Folgendes feststellen: Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktion ist positiv zu beurteilen, da er die Bundesregierung auffor- dert, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, mit welchem an- gemessene Eingangsvoraussetzungen für Familienrichter eingeführt werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 201618214 (A) (C) (B) (D) Dies ist im Rahmen der Anhörung zu diesem Gesetz von etlichen Sachverständigen gefordert worden . Die gleiche Forderung, nur konkreter ausgestaltet, findet sich im Entschließungsantrag meiner Fraktion . Überdies auch noch Forderungen an die Qualität von Gutachten . Gleichwohl wurde bereits im Ausschuss unser Entschlie- ßungsantrag abgelehnt, wohl auch aus dem Grund, dass Die Linke es nicht gutheißen kann, wenn die Rechtshän- gigkeit von Klagen vor den Sozialgerichten, den Verwal- tungsgerichten und den Finanzgerichten von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden soll . Anstatt die Ursachen der vermehrten Klagen vor den Sozialgerichten anzugehen, baut der Staat hier Hürden für Klagen auf, um sich vor Ansprüchen gegen sich selbst zu schützen . Dies muss man unter anderem im Zusammenhang mit dem Pflegestärkungsgesetz und dem Bundesteilhabegesetz sehen, wo mit einer Vielzahl von Klagen der Betroffenen zu rechnen ist und diese ganz offensichtlich mit der Kostendrohung abgewehrt werden sollen . Da hier wieder durch ein sogenanntes Omnibusver- fahren durch den Änderungsantrag ganz erhebliche Änderungen in anderen Gesetzen erfolgen sollen zum Schutze der Finanzminister und zum Nachteil der betrof- fenen Bevölkerung, kann Die Linke dieses Gesetz auch bei den vorhandenen positiven Effekten nur ablehnen . Deshalb wird dieses Gesetz auch wieder zu nacht- schlafender Zeit ohne mündliche Aussprache „durch- gewunken“, in der Hoffnung, dass es zunächst keinem weiter auffällt . Aus diesem Grunde halte ich auch von den sogenann- ten „Protokollreden“ gar nichts . Selbst die Mitglieder der einzelnen Fraktionen wis- sen im Zweifel nicht, warum sie bei einem Gesetz ent- sprechend abstimmen, da sie das Für und Wider zu dem entsprechenden Gesetz erst nach der Abstimmung im Protokoll nachlesen können . Und das Argument, dass in solchen Fällen nur die Fachpolitiker anwesend sind, wel- che wissen, worum es geht, führt geradezu zwingend zur Nichtbeschlussfähigkeit des Bundestages, womit eine Vielzahl von Gesetzen nicht ordnungsgemäß zustande gekommen sein dürften . Aus diesem Grunde sollten die „Reden zu Protokoll“ grundsätzlich abgeschafft werden, die Dauer der Plenar- sitzungen auf ein zeitlich erträgliches Maß beschränkt werden und, da die Parlamentarier sich nicht in der Pro- duktion von Papieren einschränken können, die Zahl der Sitzungswochen in Berlin erhöht werden . Insoweit kann ich mich nur der Forderung des Bundestagspräsidenten Lammert anschließen, die Zahl der Sitzungswochen an- zuheben, um der Zahl der Drucksachen Herr zu werden . Protokollreden sind aus parlamentarischer Sicht, um es mit H .-P . Kerkelings Worten zu sagen, „Hurz“ . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt ha- ben Sie sich also tatsächlich entschieden, mit dem Gesetz über die Sachverständigen auch noch die Omnibusgeset- ze, zu denen es keine erste Lesung gegeben hat, im Wege des Änderungsantrages hier zur Abstimmung aufzuset- zen . Das ist wirklich mehr als bedauerlich, da die Ex- pertenanhörung überdeutlich gemacht hat, wie groß der Änderungsbedarf zur Verzögerungsrüge bei überlangen Verfahren geraten war . Als Folge dieser Anhörung hätte es nur eine Schlussfolgerung geben dürfen: Beide Geset- zesvorschläge wieder trennen und die Verzögerungsrüge nochmal in neuer Form und in einem ordentlichen Ver- fahren ins Parlament einbringen . Dann hätten Sie heute von uns auch eine Zustimmung zur Regelung über die Sachverständigen bekommen können . Die Änderungen sowohl in der ZPO als auch gerade im familiengerichtlichen Verfahren hatten wir bereits in der ersten Lesung grundsätzlich begrüßt . Das Ord- nungsgeld bei verspäteter Erstellung eines Gutachtens ist jetzt nicht mehr obligatorisch, und die Vernehmung des Kindes sowohl als Zeuge als auch als Beteiligter ausge- schlossen . Beide Änderungen halte ich für sinnvoll . In der Anhörung hatten die Experten die pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation als Vorausset- zung überwiegend kritisch gesehen . Das haben Sie jetzt ergänzt um eine weitere diagnostische und analytische Zusatzqualifikation. Ich könnte mir zwar nach wie vor noch höhere Anforderungen an die Sachverständigen in Kindschaftsverfahren vorstellen, aber jetzt kann man mit den verbesserten Anforderungen erstmal sehen, wie sich diese bewähren . Bleibt noch die Frage offen, warum wir den § 163 FamFG nur auf Kindschaftssachen nicht auch auf Vor- mundschaften und Pflegschaften anwenden? Insgesamt ist die Regelung in jedem Fall ein Fortschritt zu dem bis- herigen Zustand und verdient unsere Zustimmung . Schwieriger wird es mit dem Omnibusgesetz zur Ver- zögerungsrüge, die jetzt plötzlich Beschleunigungsrüge heißen soll . Sie mussten hier endlich was vorlegen, weil sie von europäischer Seite unter Druck stehen . Ein or- dentliches Gesetzgebungsverfahren mit erster und zwei- ter Lesung hätte aber durchaus nicht geschadet . Ihr erster Entwurf eines Änderungsantrages ist in der Expertenanhörung schlicht durchgefallen, ein bürokrati- sches Monster, das die Verfahren eher weiter verzögert als beschleunigt hätte . Nach dieser Anhörung hätten sie den Omnibus auf jeden Fall abkoppeln und ein ordentli- ches Verfahren durchführen müssen . Auf jeden Fall sieht die neue Konstruktion wesentlich übersichtlicher aus als die bisherige – das war ja auch nicht schwierig . Sie haben jetzt zu Recht auf die unsägliche Differenzierung zwischen einfacher und qualifizierter Rüge verzichtet. Insgesamt hat der jetzige Vorschlag sehr viel Ähnlichkeit mit dem Vorschlag des von uns Grünen benannten Sach- verständigen . Eine weitere Änderung betrifft die Rechtshängigkeit von Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfah- rensdauer vor öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, also Sozialgericht, Verwaltungsgericht und Finanzge- richt . Für diese Entschädigungsklagen wollen Sie mit dem Grundsatz brechen, dass Klagen vor öffentlichen Gerichtsbarkeiten schon mit Einreichung der Klage und nicht erst mit Zahlung des Gerichtskostenvorschusses anhängig werden . Dieser Grundsatz hat aber im öffent- lichen Recht durchaus seine Berechtigung, weil der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18215 (A) (C) (B) (D) Bürger sich hier, anders als in der Zivilgerichtsbarkeit, in einem Über- und Unterordnungsverhältnis gegenüber dem Staat befindet, und zwar im doppelten Sinne. Anders als in der Zivilgerichtbarkeit richtet sich hier nicht erst die Entschädigungsklage gegen eine staatliche Instituti- on, sondern bereits das ursprüngliche Klagebegehren des Bürgers . Wenn hier in Ihrer Begründung von Gleichbehand- lung die Rede ist, dann müssen Sie schon Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln . Es geht eben gerade nicht um Gleichbehandlung mit der Zivilgerichtsbarkeit, sondern mit allen anderen Klagen, die gegen den Staat als solches gerichtet sind . Und da gilt eben, dass die Klagen der Bürgerinnen und Bürger rechtshängig werden, un- abhängig von der Einzahlung eines Gerichtskostenvor- schusses . Das ist gegenüber dem Staat auf der Gegenseite auch richtig so und muss auch für Entschädigungsklagen seine Geltung haben . Diese Gesetzesänderungen lehnen wir daher ab . Ins- gesamt bleibt uns so leider nur die Enthaltung, auch wenn wir der Änderung bei den Sachverständigen gerne zugestimmt hätten . Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 183. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Regierungserklärung zum NATO-Gipfel TOP 5 Schutz der sexuellen Selbstbestimmung TOP 6 Vereinbarkeit von Arbeit und Leben TOP 38, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 39, ZP 3 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 18 Regulierung des Prostitutionsgewerbes TOP 8 Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz TOP 9, ZP 4 Sicherheits- und Friedenspolitik TOP 20 Bekämpfung des Menschenhandels TOP 11 Urheberrecht TOP 12 Integrationsgesetz TOP 13 Ausbau inklusiver Bildung TOP 14 Bundeswehreinsatz EUNAVFOR MED Operation SOPHIA TOP 15 Geschlechtergerechte Haushaltspolitik TOP 22 Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich TOP 17 Stuttgart 21 TOP 7 Austausch steuerrelevanter Daten von Unternehmen TOP 19 Nachtzugverkehr für klimaverträgliche Fernreisen TOP 10 Strafbarkeit von Sportwettbetrug TOP 21 Rente aus Beschäftigung in einem Ghetto TOP 16 Ausbau digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze ZP 5 Änderung des Bundesmeldegesetzes TOP 24 Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften TOP 25 Radargeschädigte der Bundeswehr und der NVA TOP 26 Friedensprozess in Kolumbien TOP 27 Änderung des SGB IV TOP 28 Errichtung eines Transplantationsregisters TOP 29 Änderung des Straßenverkehrsgesetzes TOP 30 Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Dienst TOP 31 Deutsches Ressourceneffizienzprogramm TOP 32 Sachverständigenrecht in Familiensachen Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21 Anlage 22 Anlage 23 Anlage 24 Anlage 25 Anlage 26 Anlage 27
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818300000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich zu unserer Plenarsitzung .

Ich möchte vor Eintritt in die Tagesordnung dem Kol-
legen Michael Schlecht zu seinem 65 . Geburtstag gra-
tulieren .


(Beifall)


Auch der Kollegin Gabriele Schmidt, die in der vergan-
genen Woche ihren 60 . Geburtstag gefeiert hat, gratuliere
ich . Beiden gelten natürlich unsere guten Wünsche für
das neue Lebensjahr .


(Beifall)


Der Kollege Steffen Kampeter hat sein Bundestags-
mandat niedergelegt .


(Beifall des Abg . Niels Annen [SPD])


– Wer war das?


(Heiterkeit)


Für ihn ist der Kollege Karl-Heinz Wange nachge-
rückt . Er wird nun wirklich mit Beifall begrüßt .


(Beifall)


Herzlich willkommen, Herr Kollege Wange . Auf gute
Zusammenarbeit!

Wir müssen noch die Wahl eines Mitglieds des Aus-
schusses nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes,
also des Vermittlungsausschusses, durchführen . Die
SPD-Fraktion schlägt vor, als Nachfolger für den Kol-
legen Rolf Mützenich den Kollegen Sören Bartol als
stellvertretendes Mitglied dieses Gremiums zu berufen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich
der Fall . Damit ist der Kollege Bartol als stellvertreten-
des Mitglied des Vermittlungsausschusses gewählt .

Schließlich ist vereinbart worden, die Tagesordnung
um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu
erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Keine CETA-Ratifizierung ohne Beteiligung
von Bundestag und Bundesrat


(siehe 182 . Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 38)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Beteiligung des Bundestages im Vorfeld der
Genehmigung der vorläufigen Anwendung des

(Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA)


Drucksache 18/9038
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Federführung strittig

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Abstimmung über CETA erfordert Beteili-
gung von Bundestag und Bundesrat

Drucksache 18/9030
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 39)







(A) (C)



(B) (D)


a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Direktzahlun-
gen-Durchführungsgesetzes

Drucksache 18/8514

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(10 . Ausschuss)


Drucksache 18/9067

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Durch die Gemeinsame Agrarpolitik mehr
Tierschutz ermöglichen

Drucksache 18/9053

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin
Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendi-
enförderung und Studienfinanzierung stärken

Drucksachen 18/4692, 18/9037

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 344 zu Petitionen

Drucksache 18/9060

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 345 zu Petitionen

Drucksache 18/9061

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 346 zu Petitionen

Drucksache 18/9062

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 347 zu Petitionen

Drucksache 18/9063

h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 348 zu Petitionen

Drucksache 18/9064

i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 349 zu Petitionen

Drucksache 18/9065

j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 350 zu Petitionen
Drucksache 18/9066

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Buchholz, Dr . Alexander S . Neu, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Rückholung der Bundeswehreinheiten aus der
Türkei
Drucksache 18/9028

ZP 5 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldege-
setzes und weiterer Vorschriften
Drucksache 18/8620
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/9087
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des


(3 . Ausschuss)

Nouripour, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Jemen – Militärische Intervention stoppen –
Neue Friedensverhandlungen beginnen
Drucksachen 18/5380, 18/6145

ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge-
setzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes
Drucksache 18/4624
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(10 . Ausschuss)


Drucksache 18/9093
ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/

CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur weiteren Fortentwicklung der par-
lamentarischen Kontrolle der Nachrichten-
dienste des Bundes
Drucksache 18/9040
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Dr . Konstantin von Notz,
Irene Mihalic, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine wirksamere Kontrolle der Nachrich-
tendienste
Drucksache 18/8163

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda

ZP 10 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeauf-
klärung des Bundesnachrichtendienstes

Drucksache 18/9041
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden .

Die Tagesordnungspunkte 23 – hier geht es um eine
Beschlussempfehlung zum Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung bewachungsrechtlicher Vorschriften – und
35 – hier geht es um die Beschlussempfehlung zum Ent-
wurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittel-
rechtlicher Vorschriften – sollen heute abgesetzt werden .

Des Weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 7 und
18 und die Tagesordnungspunkte 10 und 20 ihre Plätze
und Debattenzeiten tauschen . Ebenfalls ihre Plätze tau-
schen sollen die Tagesordnungspunkte 16 und 22, aller-
dings unter Beibehaltung ihrer Debattenzeiten .

Sind Sie mit diesen Veränderungen im Ablauf einver-
standen? – Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .

Ich bitte schon jetzt, im Hinblick auf den Ablauf un-
serer Tagesordnung darauf zu achten, dass wir die ver-
einbarten Debattenzeiten auch konsequent einhalten . Ich
bitte, den ansonsten natürlich außerordentlich sympathi-
schen Ehrgeiz, die Debatte durch Zwischenfragen, Kurz-
interventionen und andere fantasievolle Erweiterungs-
möglichkeiten zu beleben, heute aus bekannten Gründen
zu unterlassen .

Bevor ich Tagesordnungspunkt 4 aufrufe, möchte ich
auf der Ehrentribüne den Präsidenten der Nationalver-
sammlung der Islamischen Republik Pakistan, Herrn
Sardar Ayaz Sadiq, mit seiner Delegation begrüßen .


(Beifall)


Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut-
schen Bundestages, von denen Sie, lieber Herr Präsident
Sadiq, einige bereits in den letzten Tagen persönlich in
zahlreichen Gesprächen hier im Hause kennengelernt ha-
ben, begrüße ich Sie herzlich . Es ist uns eine große Freu-
de, Sie und Ihre Begleitung zu einem offiziellen Besuch
in Deutschland zu haben .

Der Bundestag misst der Zusammenarbeit zwischen
unseren beiden Ländern, nicht zuletzt auch zwischen un-
seren beiden Parlamenten, große Bedeutung zu . Wir wis-
sen insbesondere Ihre persönliche Wertschätzung unseres
Landes und der Zusammenarbeit zwischen unseren bei-
den Ländern sehr zu würdigen . Alles Gute für Ihren Auf-
enthalt! Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit .


(Beifall)


Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 77 Minuten vorgesehen . – Auch dazu stelle ich Ein-
vernehmen fest . Dann verfahren wir so .

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Frau Bundeskanzlerin .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1818300100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir Deutschen haben der
europäischen Nachkriegsordnung ein Leben in Frieden,
Freiheit und Wohlstand zu verdanken . Diese Ordnung
gründete sich auf die Geltung des Völkerrechts, den Res-
pekt der territorialen Integrität, die Achtung der Souverä-
nität der Staaten und das Recht der freien Bündniswahl .
Diese Prinzipien sind allen deutschen Regierungen stets
zentrales Anliegen ihres Handelns gewesen. Sie finden
ihren Ausdruck nicht zuletzt in der Charta von Paris für
ein neues Europa . In diesem Abschlussdokument des
KSZE-Gipfels vom November 1990 bekennen sich die
35 Unterzeichnerstaaten einschließlich der damaligen
Sowjetunion zum – ich zitiere – „Recht der Staaten, ihre
sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen“ .

Seitdem können auch die Völker Osteuropas an dem
teilhaben, was für die Mitgliedstaaten der Nordatlanti-
schen Allianz von Beginn an zum konstitutiven Kanon
des Bündnisses gehörte . Hierzu gehört ausdrücklich auch
die Freiheit der Bündniswahl . Auf dieser Grundlage hat-
ten sich im Jahr 1949 die ersten zwölf Staaten zusam-
mengeschlossen, um einander Beistand zu versichern .
Und mehr noch: Im Wunsch nach Frieden, Freiheit und
Sicherheit verpflichteten sich diese Staaten, internationa-
le Streitigkeiten friedlich beizulegen .

Jeder der heute 28 Mitgliedstaaten konnte souverän
und frei über seine Mitgliedschaft entscheiden und sich
zu denselben Zielen und Werten unserer Gemeinschaft
bekennen . Dies galt 1999 auch für die Aufnahme der
Tschechischen Republik, Polens und Ungarns eben-
so wie im Jahr 2004 für die Aufnahme Bulgariens, der
drei baltischen Staaten, Rumäniens, der Slowakei und
Sloweniens wie auch im Jahr 2009 für die jüngsten Auf-
nahmen, nämlich Albaniens und Kroatiens . Dieser Pro-
zess der Einladung der Nordatlantischen Allianz an alle
transatlantischen Partner, in freier Willensentscheidung
Teil dieser Gemeinschaft zu werden, ist nicht beendet .
Wir schlagen die Tür nicht zu . Ich freue mich deshalb,
dass Montenegro bereits sehr bald dieser Gemeinschaft
angehören wird .

Meine Damen und Herren, wenn die Staats- und
Regierungschefs der Allianz morgen in Warschau zu-
sammenkommen, dann wird das in einer Phase sein, in

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


der sich die Sicherheitslage in und um Europa signifi-
kant verändert hat . Im Osten hat Russlands Agieren in
der Ukra ine-Krise unsere östlichen Alliierten zutiefst
verstört . Wenn die Geltung des Rechts und die Unver-
letzlichkeit von Grenzen durch Worte und Taten infrage
gestellt werden, dann geht natürlich Vertrauen verloren .
Das hat gerade unsere Bündnispartner im Osten tief ver-
unsichert . Sie bedürfen daher der eindeutigen Rückver-
sicherung durch die Allianz .

Aber auch südlich des Bündnisgebietes müssen wir
eine dramatische Verschlechterung der Sicherheitslage
feststellen . Der Bürgerkrieg in Syrien, der Zerfall staat-
licher Ordnung im Irak und in Libyen haben die Aus-
breitung terroristischer Gruppierungen befördert . Hinzu
kommt, dass kriminelle Schleuserbanden versuchen, aus
dem Leid so vieler Flüchtlinge und Vertriebener Kapital
zu schlagen .

Das alles ist ein ganzes Bündel von Herausforderun-
gen . Deshalb hat die Allianz bereits auf ihrem Gipfel in
Wales im September 2014 erste Maßnahmen beschlossen,
mit denen die Verteidigungs- und Reaktionsfähigkeit des
Bündnisses gesteigert werden sollen . Die Summe dieser
Maßnahmen – zusammengefasst unter der Überschrift
„Readiness Action Plan“ – wird die Allianz schneller, re-
aktionsfähiger und einsatzbereiter machen, und zwar für
Herausforderungen in jeder Richtung und jeder Art, das
heißt in einem sogenannten 360-Grad-Ansatz .

Insbesondere die neuen, sehr schnell in das gesamte
Bündnisgebiet verlegbaren NATO-Eingreifkräfte, die
sogenannte Very High Readiness Joint Task Force, und
der Aufbau von Aufnahmestäben bei unseren östlichen
NATO-Partnern sind Ausdruck unserer gelebten Bünd-
nissolidarität . Sie sind nur zwei Beispiele dieses Maß-
nahmenpakets .

Deutschland trägt zu diesen Maßnahmen substanziell
bei . Ich bin unserem Außenminister und unserer Vertei-
digungsministerin wie auch der Bundeswehr für diesen
Beitrag sehr dankbar .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Damit machen wir deutlich, dass für uns die Grundprin-
zipien der europäischen Sicherheitsarchitektur auch in
der Zeit neuer Herausforderungen unverändert gelten .
Die Bündnissolidarität aus Artikel 5 des NATO-Vertra-
ges ist zentraler Pfeiler dieser Architektur . Diese Solida-
rität muss und wird auch in Zukunft sichtbar und glaub-
würdig sein .

Auf dem morgen beginnenden NATO-Gipfel in War-
schau werden wir daher die ersten in Wales beschlosse-
nen Anpassungsmaßnahmen des Bündnisses ergänzen .
Es werden Elemente hinzukommen, mit denen die Ab-
schreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses
verstetigt und dauerhaft gesichert wird . Im Kern geht es
darum, eine stärkere Präsenz der NATO in den baltischen
Staaten und in Polen zu ermöglichen, also – wie es in der
NATO-Sprache heißt – die sogenannte enhanced forward
presence . Sie ist wichtig, weil wir im Bündnis festgestellt
haben, dass es nicht allein ausreicht, Truppen schnell ver-
legen zu können, sondern dass es auch darum geht, be-
reits ausreichend vor Ort präsent zu sein .

Deshalb sehen die Planungen eine multilateral zusam-
mengesetzte Präsenz vor . Dabei wird für jedes der drei
baltischen Länder und für Polen jeweils ein Alliierter die
Führung übernehmen, um die Präsenz der NATO dort
sicherzustellen . Dieser Ansatz schließt die Reaktion auf
sogenannte hybride Bedrohungen ausdrücklich mit ein,
also auch Szenarien ähnlich denen, die Russland in der
Ukraine eingesetzt hat und bei denen die klassischen
Grenzen zwischen Krieg und Frieden bewusst verwischt
werden .

Aus diesem Grund werden wir auf dem Gipfel auch
Beschlüsse zur Cyberdimension fassen . Dazu werden wir
uns politisch verpflichten, die nationalen Cyberabwehrfä-
higkeiten zu stärken und Cyber zusätzlich zu Land, Luft
und See sowie Weltraum als weitere sogenannte operati-
ve Domäne zu definieren. Die Bundesverteidigungsmi-
nisterin hat ja in der Organisationsstruktur der Bundes-
wehr bereits entsprechende Maßnahmen eingeleitet .

Bei unserem Engagement leiten uns zwei zentrale Ge-
danken, zum einen Artikel 5 des NATO-Vertrags, in dem
es heißt:

Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter An-
griff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa
oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle an-
gesehen werden wird .

Das Verständnis der Abschreckung soll von einem sol-
chen Angriff abhalten, es soll eine bewusste Auseinan-
dersetzung vermeiden helfen . Nicht mehr, aber auch nicht
weniger . Und das ist ein zutiefst defensives Konzept .


(Lachen bei der LINKEN)


Zum anderen orientieren wir uns an der NATO-Russ-
land-Grundakte, in der wir uns 1997 zusammen mit
Russland auf die Grundlagen unserer Zusammenarbeit
verständigt haben . Damals haben wir nicht nur unsere
Unterstützung für die Charta von Paris ausdrücklich er-
neuert, sondern uns auch zu der Absicht bekannt – ich
zitiere –

. . . auf der Grundlage gemeinsamen Interesses, der
Gegenseitigkeit und der Transparenz eine starke,
stabile und dauerhafte Partnerschaft zu entwickeln .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Hebt die Sanktionen auf!)


Das ist Teil der NATO-Russland-Grundakte .

Wir werden weiter dafür werben, die NATO-Russ-
land-Grundakte als Basis für das Verhältnis der NATO
zu Russland zu erhalten . Denn auch wenn Russland die
Bestimmungen dieses Dokuments durch sein Vorgehen
gegen die Ukraine verletzt, so sind in diesem Dokument
doch unsere Werte und Prinzipien verankert, an denen
wir unser Handeln weiter ausrichten werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das heißt also: Abschreckung und Dialog, das klare
Bekenntnis zur Solidarität mit unseren Bündnispartnern
gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages und die ausge-

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


streckte Hand zum Dialog sind keine Gegensätze . Nein,
das gehört untrennbar zusammen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darüber herrscht bei unseren Partnern im Bündnis
auch Einvernehmen . Wir sind uns außerdem einig, dass
dauerhafte Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen
Russland zu erreichen ist .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Dann machen Sie es doch!)


Zentraler Ort für den Dialog der NATO mit Russland ist
und bleibt der NATO-Russland-Rat . Er wurde 2002 ins
Leben gerufen . Zuvor hatten die NATO und Russland im
Ständigen Gemeinsamen NATO-Russland-Rat zusam-
mengearbeitet, der auf der Grundlage der 1997 unter-
zeichneten NATO-Russland-Grundakte gegründet wor-
den war . Im NATO-Russland-Rat sollen die NATO und
Russland zusammenkommen, um sich über gemeinsame
Schritte zur Terrorbekämpfung oder zur Bedrohungs-
analyse durch ballistische Raketen zu besprechen . Es ist
wichtig, dass dieses Gremium genutzt wird . Ich begrüße
es sehr, dass dieser Rat kürzlich wieder zu einer Sitzung
zusammenkommen konnte, und möchte dem Bundesau-
ßenminister danken, dass er sich dafür sehr stark einge-
setzt hat .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es wäre sinnvoll und gut gewesen, wenn Russland das
Angebot der NATO zu einer weiteren Sitzung vor dem
morgen beginnenden Gipfel angenommen hätte, weil
das die Möglichkeit gegeben hätte, die abzusehenden
Entscheidungen der Allianz zu erörtern und möglichen
Missinterpretationen entgegenzuwirken . Eine solche Sit-
zung vor dem Gipfel wollte Russland jedoch nicht . Nun
kann der NATO-Russland-Rat nach dem Gipfel zusam-
menkommen . Wir jedenfalls haben großes Interesse da-
ran, weil wir ganz grundsätzlich an einem konstruktiven
Verhältnis zwischen der NATO und Russland interessiert
sind und weiter nachdrücklich hierfür werben werden .

Entscheidend für die weitere Zusammenarbeit mit
Russland wird natürlich auch die Umsetzung der Verein-
barungen von Minsk sein. Zurzeit finden intensive Be-
ratungen dazu statt, einschließlich der Vorbereitung der
Kommunalwahlen in Donezk und Luhansk . Leider müs-
sen wir jedoch festhalten, dass es bis heute keine belast-
bare Waffenruhe gibt . Deshalb haben die Bemühungen
der OSZE hier absolute Priorität .

Beim NATO-Gipfel wird es im Übrigen auch Treffen
der NATO-Georgien-Kommission und der NATO-Ukrai-
ne-Kommission geben, letztere zusammen mit dem ukrai-
nischen Präsidenten Poroschenko . Von großer Bedeutung
wäre es natürlich auch, wenn der NATO-Russland-Dia-
log zu einem ehrlichen erneuten Bemühen zwischen den
Nuklearmächten USA und Russland führte, ihre Nuklear-
waffen weiter zu reduzieren . Präsident Obama hat Russ-
land bei seiner Rede hier in Berlin, am Brandenburger
Tor, im Juni 2013 mutige und weitreichende Vorschläge
unterbreitet . Es wäre sehr wichtig, wenn dieses Angebot
aufgegriffen würde . Damit könnte auch hier der Weg zu

echten Fortschritten geöffnet werden: zu einer Welt ohne
Nuklearwaffen . Das wäre ein wichtiger Schritt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


Eine weitere große strategische Herausforderung für
uns alle in Europa und damit auch für die NATO sind
natürlich auch die Auswirkungen, die mit dem syrischen
Bürgerkrieg, dem Staatenzerfall im Irak und in Libyen
und der Ausbreitung der Terrormiliz IS verbunden sind .


(Zuruf der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Unsere Welt heute ist eine Welt in Unruhe . Der fanati-
sche, islamistische Terrorismus des IS bedroht auch uns
in Europa . Vor allem aber bringt er unendliches Leid über
die Menschen in der Region . Die jüngsten verheerenden
Anschläge in Bagdad und auch der Anschlag in Dhaka
zeigen einmal mehr, welche Menschenverachtung die-
sem Terrorismus innewohnt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Auch die Terrorakte in Brüssel, in Paris und wiederholt
in Istanbul mahnen uns, die Auseinandersetzung mit dem
Terrorismus ebenso entschieden wie klug zu führen . Lei-
der weiß auch unser heutiger Gast auf der Ehrentribüne,
der pakistanische Parlamentspräsident, was Terrorismus
für Schrecknisse anrichten kann . Das heißt ganz konkret:
Es ist eine gewaltige Aufgabe, zu Frieden, Stabilität und
Prosperität in den Krisenregionen des Nahen und Mitt-
leren Ostens sowie Nordafrikas und Subsahara-Afrikas
beizutragen . Es ist eine Aufgabe, zu der auch die NATO
ihren Beitrag leisten kann . Aber es ist keine Aufgabe, die
von der NATO allein oder die nur mit militärischen Mit-
teln zu lösen ist .

Der Einsatz der NATO kann immer nur ein Baustein
sein . Genau deshalb setzt sich die Bundesregierung dafür
ein, die Ursachen von Flucht, Vertreibung, Hoffnungs-
und Perspektivlosigkeit wirksam zu bekämpfen .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Und was sind die Ursachen?)


So unterstützen und stabilisieren wir die Regierung im
Irak . Wir fördern die Verhandlungen des UN-Sonderge-
sandten für Syrien, Staffan de Mistura, und des UN-Son-
dergesandten für Libyen, Martin Kobler . Wir leiten die
Arbeitsgruppe, die mit der Stabilisierung in der An-
ti-IS-Allianz befasst ist, gemeinsam mit den Vereinigten
Arabischen Emiraten .

Darüber hinaus legen wir nicht zuletzt angesichts
des enormen Ausmaßes der Flüchtlingstragödie einen
Schwerpunkt auf die humanitäre Dimension: bei der
Londoner Syrien-Konferenz Anfang Februar als größter
Einzelgeber wie auch beim World Humanitarian Summit
Ende Mai in Istanbul, bei dem wir uns dafür eingesetzt
haben, das humanitäre System neu zu gestalten . Am
20 . September werden wir uns in New York auf einem
von US-Präsident Obama ausgerichteten Flüchtlingsgip-
fel erneut dafür einsetzen, die Lage der Flüchtlinge welt-

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


weit zu verbessern . Deutschland hat für dieses Treffen
die Kogastgeberrolle übernommen .

Die NATO ihrerseits kann einen konkreten Beitrag
leisten, indem sie zum Beispiel in der Ägäis hilft, das
illegale und menschenverachtende Schleuserwesen ein-
zudämmen . Zusätzlich zum EU-Türkei-Abkommen trägt
dieser Einsatz wesentlich dazu bei, dass heute kaum noch
Menschen die lebensgefährliche Fahrt über die Ägäis
wagen, ihr Leben riskieren und es viel zu oft auch ver-
lieren . NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich
sehr früh dafür eingesetzt, dass die Allianz sich auch auf
Herausforderungen wie diese einstellt, um zu helfen, die
Krisen in unserer südlichen Nachbarschaft zu überwin-
den . Wir haben ihn hierbei ausdrücklich unterstützt, weil
die Allianz über sehr spezifische Fähigkeiten verfügt, die
sie genau dafür einsetzen kann . Auch hierzu werden wir
in Warschau weitere wichtige Entscheidungen treffen:

Erstens . Wir werden uns auf Trainings- und Ausbil-
dungsmaßnahmen der NATO für den Irak verständigen .
Dies geht auf eine ausdrückliche Bitte des irakischen
Premierministers al-Abadi zurück . Bereits seit einiger
Zeit bildet die Allianz in Jordanien irakische Sicherheits-
kräfte aus, vor allem im Bereich der Kampfmittelräu-
mung . Seit 2014 unterstützt Deutschland bilateral und im
Rahmen der Anti-IS-Allianz die Peschmerga im Nord-
irak mit Waffen und Ausbildung . Ihre Erfolge gegen den
IS geben uns in diesem Bemühen auch recht . Die Ausbil-
dungsmaßnahmen der NATO sollen künftig auch im Irak
durchgeführt werden, weil irakische Sicherheitskräfte,
die gerade auch bei der Stabilisierung der vom IS befrei-
ten Gebiete wichtige Erfolge erzielen, eine Ausbildung
und Beratung näher im Lande brauchen .

Zweitens . Die Staats- und Regierungschefs werden in
Warschau ihre grundsätzliche Bereitschaft erklären, die
Anti-IS-Koalition durch NATO-AWACS zu unterstützen .
Durch NATO-AWACS können wir den Einsatz unserer
Aufklärungstornados im türkischen Incirlik sinnvoll er-
gänzen . Während die Tornados die Stellungen und Positi-
onen des IS aufklären, könnten die AWACS sicherstellen,
dass der Luftraum ordentlich koordiniert und überwacht
ist . Gerade mit Blick auf unsere Tornados liegt der Ein-
satz der AWACS deshalb auch in unserem eigenen In-
teresse; denn durch die AWACS-Luftraumaufklärung
verfügten dann auch unsere Piloten über ein besseres
Luftlagebild und damit über ein Mehr an Sicherheit . So-
bald die Details der Einsatzplanung seitens der NATO
vorliegen, wird die Bundesregierung den Bundestag hier-
zu wie geboten natürlich befassen .

Drittens . Wir werden beim Gipfel die seit 2001 beste-
hende und auf Artikel 5 des NATO-Vertrages beruhende
Operation Active Endeavour im Mittelmeer in eine ma-
ritime Sicherheitsoperation überführen und so vom Arti-
kel 5 des NATO-Vertrages entkoppeln .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ist wichtig, weil damit ein umfassender Einsatz zur
Sicherung des Mittelmeers möglich sein wird . Dabei
wird es darum gehen, ein maritimes Lagebild zu erstel-
len, Staaten beim Kapazitätsaufbau zu unterstützen und
den Terrorismus zu bekämpfen . Ein strukturelles Ele-

ment dieser Arbeiten ist immer wieder auch die Koope-
ration zwischen der NATO und der Europäischen Union,
die übrigens bereits sehr gut bei den Aktivitäten in der
Ägäis, zum Beispiel zusammen mit Frontex, stattfindet.
Diese Kooperation ist uns als Bundesregierung grund-
sätzlich sehr wichtig .

Meine Damen und Herren, bei all diesen vielfältigen
Bedrohungen aus dem Süden dürfen wir nicht die Pro-
liferation ballistischer Waffensysteme übersehen . Ein
Beispiel: In eindeutigem Widerspruch zu den einschlägi-
gen Bestimmungen des UNO-Sicherheitsrates entwickelt
der Iran sein Raketenprogramm unvermindert weiter . Es
ist leider keineswegs so, dass dieses Raketenprogramm
durch das historische Wiener Abkommen zur Kontrolle
des iranischen Nuklearprogramms beendet worden wäre .
Die Staats- und Regierungschefs werden in Warschau da-
her auch die sogenannte Erstbefähigung der NATO-Ra-
ketenabwehr erklären, also einen weiteren wichtigen
Schritt gehen, mit dem die Menschen im Bündnisgebiet
noch besser geschützt werden sollen .

Für uns ist äußerst wichtig – ich betone das deshalb
hier auch ganz ausdrücklich –: Diese NATO-Raketenab-
wehr ist rein defensiv ausgerichtet .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na ja!)


Sie ist nicht gegen Russland gerichtet. Sie beeinflusst
auch nicht die strategische Balance zwischen der NATO
und Russland .


(Zurufe von der LINKEN)


Die Bundesregierung wie auch das Bündnis haben nicht
die Absicht, dies zu ändern . Unsere Hand zu Transparenz
und Dialog auch über diese Maßnahmen des Bündnisses
ist und bleibt ausgestreckt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, beim Gipfel in Warschau
werden wir darüber hinaus auch die bestehenden Einsät-
ze bewerten und natürlich zukünftige Aufgaben benen-
nen . Seit 2003 ist die NATO in Afghanistan engagiert,
zunächst im Rahmen von ISAF


(Zuruf der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


und seit 2015 im Rahmen der Beratungsmission Reso-
lute Support, an der sich derzeit 39 Nationen beteiligen .
Zum einen werden wir beim Gipfel die Finanzierung der
afghanischen Sicherheitskräfte bis 2020 festschreiben
können .


(Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


Das ist außerordentlich wichtig, um die afghanischen
Streitkräfte weiter zu befähigen, Sicherheitsverantwor-
tung zu übernehmen . Zum anderen wird die Allianz ihren
Willen bekräftigen, die Mission Resolute Support auch
über 2016 hinaus fortzusetzen . Der amerikanische Prä-
sident hat gestern dazu eine wichtige Erklärung abgege-
ben, nämlich dass auch die amerikanischen Streitkräfte
mit einem Kontingent von 8 400 Soldaten weiter beteiligt
sein werden . Das ist für uns von großer Wichtigkeit . Wir

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



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wollen weiter in Afghanistan engagiert bleiben, um die
Menschen dort zu beschützen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der LINKEN)


Die Nordatlantische Allianz wird in Warschau zudem
das Ziel bekräftigen, dass die Bündnispartner 2 Prozent
ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsaufgaben
vorhalten .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: 60 Milliarden bei uns! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Katastrophe!)


Deutschland unterstützt dies schon seit vielen Jahren –
ich will darauf noch einmal hinweisen, weil es ja auch
aktuell wieder Diskussionen dazu gab –; das ist nicht auf
diese Bundesregierung beschränkt . Deshalb haben wir
im neuen Finanzplan, den das Bundeskabinett gestern be-
schlossen hat, eine signifikante Erhöhung von 37,1 Milli-
arden Euro im Jahr 2016 auf rund 39 Milliarden Euro im
Jahr 2017 vorgesehen .


(Zuruf der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Dieser Finanzplan sieht darüber hinaus eine weitere Stei-
gerung des Verteidigungshaushaltes vor; denn 2018 bis
2020 haben wir insgesamt mehr als 2,5 Milliarden Euro
zusätzlich eingeplant . Damit ist der Ansatz zur Trend-
umkehr bei den Verteidigungsausgaben deutlich erkenn-
bar, wenngleich natürlich bis zur Erreichung des 2-Pro-
zent-Ziels noch viel zu tun bleibt .

Die ganze Aufstellung der Bundeswehr spiegelt in-
zwischen die internationale Verantwortung Deutschlands
wider .


(Zuruf der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Deutschland stellt sich gemeinsam mit seinen Partnern
und Verbündeten dieser Verantwortung und den immer
neuen Aufgaben, und zwar stets in dem Bewusstsein,
dass militärische Mittel allein keine nachhaltigen Lösun-
gen ermöglichen können . Immer geht es um bündnispoli-
tische Schritte und kluge Diplomatie zugleich .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Genau deshalb engagiert sich die Bundesregierung neben
den Einsätzen in NATO und EU auch beim OSZE-Vor-
sitz in diesem Jahr, in den Nuklearverhandlungen mit
dem Iran, im Normandie-Format zur Ukraine oder in der
Gruppe um den UNO-Sondergesandten de Mistura .

Die Nordatlantische Allianz gemeinsam mit der Euro-
päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – sie sind
der Bezugsrahmen der deutschen Außen- und Sicher-
heitspolitik . Die NATO schlägt dabei die Brücke über
den Atlantik . Sie ist transatlantische Wertegemeinschaft
von Europäern und Nordamerikanern . Lassen Sie mich,
wenige Tage nachdem die Vereinigten Staaten von Ame-
rika den 240 . Jahrestag ihrer Unabhängigkeit begangen
haben, anfügen: Wir danken Amerika, dass es in vielen
der Einsätze die Hauptlast bei der Bewältigung der He-

rausforderungen trägt – sei es in Afghanistan, sei es in
Syrien –, in der NATO und weit darüber hinaus .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, die NATO vereint uns so-
lidarisch in einem Bündnis mit Nachbarn, Partnern und
einstigen Kriegsgegnern . Die Beschlüsse von Warschau
sollen dazu dienen, die weiteren großen Herausforderun-
gen zum Wohle der Menschen zu meistern .

Lassen Sie mich abschließend ein herzliches Danke-
schön an unsere Soldatinnen und Soldaten richten, die in
vielen dieser Einsätze ihren Dienst tun und damit unsere
Sicherheit gewährleisten .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818300200

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-

nächst der Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion
Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818300300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Bundeskanzlerin, Geschichte wiederholt sich nicht,
aber es gibt Phasen, in denen die politischen Uhren rück-
wärts zu gehen scheinen, unerbittlich zurück in eine Zeit,
die sich eigentlich niemand zurückwünschen kann . Wer
die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt, der wird das
beklemmende Gefühl nicht los, dass wir heute in genau
so einer Phase leben, und ich möchte mir nicht ausmalen,
wie das enden kann .

75 Jahre nach Beginn des deutschen Vernichtungs-
krieges gegen die Sowjetunion finden in unmittelbarer
Nähe der russischen Grenze wieder martialische Kriegs-
übungen unter deutscher Beteiligung statt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: An der Grenze zum Baltikum auch!)


Die US-Atomwaffen in Deutschland werden moderni-
siert – nicht abgebaut, Frau Merkel: modernisiert – und
Raketenbasen in ganz Europa aufgebaut . Angeblich geht
es immer nur um Abschreckung, darum, Putin davon
abzuhalten, ins Baltikum einzumarschieren . Es würde
mich wirklich interessieren, ob diejenigen, die uns die-
sen Schwachsinn erzählen, auch nur eine Sekunde selber
daran glauben .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Warum macht er denn dann ein großes Manöver?)


Wer hat denn seine Grenzen in den letzten zwei Jahr-
zehnten immer weiter nach vorne geschoben?


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Russland!)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Russland in Richtung NATO, oder war es nicht eher um-
gekehrt?


(Beifall bei der LINKEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Russland über die Ukraine! So wird ein Schuh draus!)


Die USA haben 5 Milliarden Dollar in einen Regi-
me-Change in der Ukraine investiert . Das Ergebnis ist
ein zerrissenes Land mit marodierenden faschistischen
Banden und, ja, die russische Annexion der Krim, die
immer als Beweis für die Aggressivität der russischen
Außenpolitik herhalten muss .


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Für die Friedfertigkeit bestimmt nicht!)


Auch die neue Aufrüstungsspirale dient angeblich immer
nur dazu, den russischen Bären im Zaum zu halten . Eine
dümmere Begründung kann man sich wirklich nicht aus-
denken .


(Beifall bei der LINKEN)


Aktuell liegen die Militärausgaben der NATO beim
etwa 13-Fachen der russischen . Und jetzt brauchen wir
noch mehr Aufrüstung, um die Sicherheit in Europa zu
gewährleisten? Was ist denn das für ein Irrsinn!


(Beifall bei der LINKEN)


Trotzdem gehörten Sie, Frau Bundeskanzlerin, wieder
einmal zu den ersten, die die Umsetzung des 2-Pro-
zent-Ziels angekündigt haben . 2 Prozent, das bedeutet
25 Milliarden Euro jedes Jahr mehr für Mordwaffen, für
Panzer und für Kriegsgerät, aber für gute Renten fehlt uns
angeblich das Geld, und für bessere Bildung erst recht .
Was sind denn das für absurde politische Prioritäten, die
Sie hier setzen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Der große Außenpolitiker George F . Kennan hat die
NATO-Osterweiterung schon Ende der 90er als den ver-
hängnisvollsten Fehler der US-Politik seit der Ära des
Kalten Krieges bezeichnet, eben weil die Einkreisung
Russlands den Weltfrieden nicht sichert, sondern gefähr-
det . Und trotzdem wird sie immer weiter vorangetrieben,
auch mit Ihrer Unterstützung, Frau Merkel. Wir finden
das unverantwortlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben auf Artikel 5 des NATO-Vertrages hinge-
wiesen . Leider haben Sie Artikel 1 nicht erwähnt, der die
NATO-Mitglieder verpflichtet, sich jeglicher Drohung
oder Gewaltanwendung zu enthalten . Ich glaube, es liegt
auf der Hand, dass die NATO und allen voran die USA
mit ihren völkerrechtswidrigen Kriegen und ihren Droh-
nenmorden ihren eigenen Vertrag tagtäglich mit Füßen
treten . Dazu hätte ich von Ihnen auch ein Wort erwartet .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Es lebe die völkerrechtliche Verlässlichkeit der Russinnen und Russen!)


Ich muss schon sagen: Über die Destabilisierung des
Nahen Ostens zu reden, wie Sie es eben getan haben,
aber die Hauptverantwortung von NATO-Staaten und

den Irakkrieg noch nicht einmal zu erwähnen, das zeugt
nun wirklich von bemerkenswerter Einäugigkeit .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Manöver in Osteuropa, die Hochrüstung, die Ra-
ketenbasen, die Truppenstationierung: Was kann Mos-
kau darin denn anderes sehen als Kriegsvorbereitung?
Auf jeden Fall werden so die Wahrscheinlichkeit und
die Möglichkeit einer militärischen Eskalation mit der
Atommacht Russland beträchtlich erhöht . Der Ernstfall,
für den Sie in Osteuropa so lässig proben und von dem
neuerdings in Militärkreisen wieder geredet wird, als
wäre er ein kalkulierbares Ereignis – Frau Merkel, ich
finde es ja interessant, dass Sie sich mit Herrn Hofreiter
unterhalten; aber ich würde es doch gut finden, wenn Sie
meiner Rede wenigstens etwas Gehör verleihen würden .


(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Vielleicht sollten Sie ihr einmal zuhören! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das liegt natürlich auch ein bisschen an Ihrer Rede! – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Wir wollen lieber den Bartsch hören!)


Nach einem solchen Ernstfall, für den Sie in Osteuropa
so lässig proben und von dem neuerdings in Militärkrei-
sen wieder geredet wird, als wäre er ein kalkulierbares
Ereignis, würde es Europa mit seinen über 700 Millionen
Einwohnern vielleicht nicht mehr geben .

Das Urteil Willy Brandts, dass ein Krieg mit Russland
nicht die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio ist,
das gilt doch heute nicht weniger als in den 70er-Jahren .
Deshalb ist es dringend an der Zeit für eine eigenstän-
dige europäische Außenpolitik in der Tradition der Ent-
spannungspolitik und natürlich auch für die Ersetzung
der US-dominierten NATO durch ein kollektives Sicher-
heitssystem unter Einschluss Russlands .


(Beifall bei der LINKEN)


Schon Helmut Schmidt war der Meinung, dass heute
mehr Gefahr von den USA als von Russland ausgeht . Das
dürfte nach den nächsten US-Präsidentschaftswahlen,
wenn im Weißen Haus entweder ein Halbverrückter oder
eine Marionette der US-Rüstungslobby regiert, nicht viel
anders werden .


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Oje, jetzt wird es vom Niveau her langsam unerträglich!)


Aber das Verhältnis zu Russland und die Kriegsgefahr
sind leider nicht die einzigen Punkte, bei denen die politi-
schen Uhren rückwärts laufen . Ich muss schon sagen: Ich
finde es ebenso bezeichnend wie traurig, dass Ihre Re-
gierungserklärung zu den Ergebnissen des Europäischen
Rates letzte Woche mal eben von der Tagesordnung ab-
gesetzt wurde . Wegschweigen, aussitzen, bloß nicht über
Veränderungen reden – das können doch nicht ernsthaft
Ihre Schlussfolgerungen aus der aktuellen Krise sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Der französische Ökonom Piketty hat doch recht,
wenn er Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, eine wesentliche

Dr. Sahra Wagenknecht






(A) (C)



(B) (D)


Mitverantwortung für den Brexit und den zunehmenden
Nationalismus andernorts gibt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich!)


Ihre ständigen Alleingänge haben den europäischen
Zusammenhalt ebenso wenig gestärkt wie die Besser-
wisserei, mit der die deutsche Regierung versucht, ganz
Europa auf die Linie der deutschen Wirtschaftspolitik zu
bringen . Halten Sie doch endlich einmal inne, und über-
denken Sie Ihre Politik, bevor es wirklich zu spät ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Das geeinte Europa, Verständigung und Zusammen-
arbeit zwischen jahrhundertelang verfeindeten Völkern,
ein europäisches Sozialmodell als Alternative zum ent-
fesselten Kapitalismus, das war einmal ein großes, ich
würde sagen, ein großartiges Projekt . Es geht längst nicht
mehr darum, ob dieses Projekt eine Zukunft hat . Es geht
darum, ob es wieder eine Gegenwart bekommt; denn die
europäische Integration hat sich doch längst ins Gegen-
teil verkehrt, in ein Projekt zur Entfesselung der Märkte
und zur Aushebelung der Demokratie, in ein Projekt, das
europaweit die Prekarisierung der Arbeit und den Ab-
bau sozialer Leistungen vorantreibt . Die Wachstumsra-
ten sind heute in den meisten EU-Staaten niedriger und
die Arbeitslosigkeit höher als vor Einführung des Bin-
nenmarktes . Ländern, in denen jeder zweite Jugendliche
keinen Job und keine Perspektive hat, werden mit kaltem
Ehrgeiz Kürzungsprogramme diktiert . Dieser Ehrgeiz
verlässt die EU aber sofort, wenn es zum Beispiel darum
geht, den Steuertricks von Apple, Google & Co . endlich
die Grundlage zu entziehen . Dabei tragen sie, weiß Gott,
mehr Verantwortung für die öffentlichen Defizite als an-
geblich generöse Sozialprogramme .


(Beifall bei der LINKEN)


Überall in Europa wächst die Ungleichheit . Zwischen
schamlosem Reichtum am oberen und hoffnungsloser
Armut am unteren Ende lebt eine schrumpfende, ab-
stiegsgefährdete Mittelschicht, die sich politisch im Stich
gelassen fühlt . Die Zustimmung zur EU geht doch nicht
deshalb zurück, weil irgendwelche Nationalisten Stim-
mungen schüren . Die Zustimmung geht zurück, weil die
Mehrheit schlicht keinen Grund hat, sich für eine EU zu
begeistern, die ihren Wohlstand verringert und ihre de-
mokratischen Rechte aushebelt .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Dann müssen sie in den Mitgliedstaaten mal die richtige Politik machen! Nicht immer nur Schulden machen, sondern eine bessere Politik! Das wäre der richtige Weg! – Max Straubinger [CDU/ CSU]: Dann müssen die sozialistisch regierten Länder mal eine bessere Politik machen!)


Die agilsten Gegner Europas sitzen heute in Brüssel .
Es ist nicht bekannt, ob Marine Le Pen Herrn Juncker
inzwischen für ihre Frexit-Kampagne als Mitarbeiter
verpflichtet hat; aber er ist definitiv ihr bester Mann. Die
Stimmen in Großbritannien waren kaum ausgezählt, als
Herr Juncker noch einmal bekräftigte, dass das Handels-
abkommen CETA ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten

in Kraft gesetzt werden soll . Inzwischen hat die Kommis-
sion den Mitgliedstaaten zwar großzügig das Recht zur
Ratifizierung eingeräumt; allerdings ist das wieder nur
ein Täuschungsmanöver, weil sie das Abkommen vorläu-
fig in Kraft setzen will. Ich hätte von der Bundesregie-
rung schon gerne gehört, wie sie zu dieser erneuten Un-
verschämtheit unserer Brüsseler Antidemokraten steht .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist ja nicht alles . Wenige Tage nach dem Brexit
entschied die EU-Kommission, das mutmaßlich krebser-
regende Pflanzengift Glyphosat für weitere anderthalb
Jahre zuzulassen. Das Defizitverfahren gegen Portugal
und Spanien soll trotz Krise verschärft werden . Ignoranz
gegenüber demokratischen Rechten, Einknicken gegen-
über der Wirtschaftslobby und Gleichgültigkeit


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie wenden sich gegen Arbeitsplätze, Frau Wagenknecht, gegen die Wirtschaft!)


gegenüber einer perspektivlosen jungen Generation:
Deutlicher als mit diesen drei Entscheidungen konnte
man in der kurzen Zeit seit dem Brexit wirklich nicht all
das demonstrieren, was die Menschen an der EU abstößt .


(Beifall bei der LINKEN)


Wer nicht will, dass Europa endgültig zerfällt, der
muss doch spätestens jetzt auf einen sozialen und de-
mokratischen Neubeginn setzen, auf ein Europa, das die
Menschen wieder begeistern kann und in dem Referen-
den nicht als Bedrohung, sondern als normaler Bestand-
teil der Demokratie empfunden werden .


(Beifall bei der LINKEN)


So ein Europa wollen zumindest wir als Linke, gerade
weil wir nicht wollen, dass die Geister der Vergangenheit
über unsere Zukunft bestimmen .


(Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Wer kann da klatschen?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818300400

Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Thomas

Oppermann das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1818300500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau

Wagenknecht,


(Ulli Nissen [SPD]: „Liebe“? Bestimmt nicht!)


über Ihre Angriffe und Ihre Ausführungen zur Kriegstrei-
berei der NATO war ich nicht überrascht .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oberlehrer Oppermann!)


Aber als Sie eben von den „Brüsseler Antidemokraten“
gesprochen haben, war es das erste Mal, dass jemand

Dr. Sahra Wagenknecht






(A) (C)



(B) (D)


den Sprachgebrauch der AfD im Deutschen Bundestag
benutzt hat .


(Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist unglaublich! – Dr . Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Es ist nicht demokratisch, dass CETA jetzt so in Kraft gesetzt werden soll!)


Wie kommen Sie dazu, demokratisch legitimierte, demo-
kratisch gewählte Vertreter der europäischen Völker, der
Europäischen Kommission als Antidemokraten zu be-
zeichnen? Das zeigt ein unglaubliches Maß an politischer
Desorientierung und Verwirrung auf Ihrer Seite .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wer hat denn die Kommission gewählt?)


Was Sie zur Kriegstreiberei der NATO gesagt haben,
hat mich nicht überrascht, aber ich finde, Sie verkennen
dabei immer eines:


(Zuruf von der SPD, an die Abg . Dr . Sahra Wagenknecht [DIE LINKE] gewandt: Können Sie mal zuhören? Zuhören, Frau Wagenknecht!)


Eine der Lehren aus dem militärischen Größenwahn der
Nazis war, dass ein demokratisches Deutschland seine
Landesverteidigung, seine militärischen Angelegenhei-
ten nicht allein nationalstaatlich organisiert, sondern in
ein Bündnis aus Demokratien einbettet . Ein Bündnis aus
Demokratien ist der beste Schutz für unser Land, für un-
sere Länder, aber auch der beste Schutz vor Kriegstrei-
berei .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann haben Sie – das will ich Ihnen als Drittes sagen –
auch noch den Irakkrieg erwähnt . Ich will in aller Deut-
lichkeit daran erinnern – Sie haben es teilweise angedeu-
tet –: Der Irakkrieg war kein Krieg der NATO, sondern
er war eine Aktion der sogenannten Koalition der Willi-
gen . Und ich muss sagen: Ich bin heute noch froh – und
wir sind alle stolz darauf –, dass Bundeskanzler Gerhard
Schröder und Präsident Jaques Chirac Deutschland und
Frankreich aus diesem Krieg herausgehalten haben .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Immerhin auch ein bisschen Beifall vom Koalitions-
partner .

Meine Damen und Herren, wir haben erst vor wenigen
Tagen in diesem Plenum daran erinnert, dass Deutsch-
land vor 75 Jahren ganz Osteuropa mit einem mörderi-
schen Krieg überzogen hat . Daraus erwächst für uns eine
Verantwortung gegenüber unseren Nachbarn in Osteuro-
pa, aber ebenso gegenüber Russland .

Willy Brandt ist es vor 50 Jahren mit der Einleitung
der Entspannungspolitik wie keinem anderen gelungen,
dieser Verantwortung gerecht zu werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Übrigens: Die Einleitung der Entspannungspolitik be-
gann auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges . Das zeigt,
auch in schwierigen Zeiten ist Verständigung möglich .
1990 mit dem Fall des Eisernen Vorhanges hatten wir
alle die Hoffnung, dass eine Epoche des Friedens und
der Demokratie in Europa beginnen wird . Aber heute,
ein Vierteljahrhundert später, sind konfrontative Sprache
und aggressives Verhalten auf die politische Bühne zu-
rückgekehrt . Es droht ein Rückfall in gefährliche Zeiten .
Ich finde, wir müssen alles tun, um das zu verhindern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Mit der Annexion der Krim und mit dem militärischen
Eingreifen in der Ukraine hat Russland die Grenzen ge-
waltsam verschoben, das Völkerrecht verletzt und die
europäische Friedensordnung infrage gestellt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Großangelegte russische Militärmanöver mit bis zu
100 000 Soldaten verstärken die Furcht in Polen und in
den baltischen Staaten .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich finde es auch nicht vertrauenserweckend, dass Putin
über russische Banken überall in Europa rechtsradikale,
rechtspopulistische Parteien wie den Front National fi-
nanziert .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, darauf müssen wir klare Antworten geben.
Aber wenn wir auf jedes russische Manöver mit einem
eigenen Manöver antworten, wenn auf jede militärische
Aktion eine militärische Reaktion folgt, wenn auf jede
Aufrüstung eine eigene Aufrüstung folgt, dann rutschen
wir wieder in die Logik des Kalten Krieges . Ich sage,
wir müssen alles daransetzen, dass wir in diese verhäng-
nisvolle Spirale nicht wieder hineinkommen . Ein Rüs-
tungswettlauf wäre das Letzte, was Russland und Europa
gebrauchen können .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie das Frau Merkel, nicht uns!)


Zum Glück gibt es einen großen Konsens in diesem
Haus, dass ein Ausweg aus dem Konflikt in der Ukraine
nicht mit militärischen, sondern nur mit diplomatischen
Mitteln möglich ist . Frank-Walter Steinmeier hat völ-
lig recht, dass man mit Truppenparaden und Manövern
allein keine Sicherheit gewinnen kann . Ich bin Frank-
Walter Steinmeier dankbar, dass er darauf aufmerksam

Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


gemacht hat, dass man mit militärischer Stärke allein kei-
nen Frieden sichern kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


Angesichts der globalen Krisen müssen wir die Kon-
frontation in Europa überwinden . Es gibt für uns Sozi-
aldemokraten für das Verhältnis zwischen Russland und
der NATO drei klare Leitlinien .

Die erste ist Verteidigungsbereitschaft . An der Ver-
teidigungsfähigkeit und dem Verteidigungswillen der
NATO darf kein Zweifel bestehen . Die kollektive Vertei-
digung des Bündnisses ist für uns und besonders für die
baltischen Länder und Polen ein Garant für Sicherheit .
Deshalb unterstützen wir die Maßnahmen zur Rückver-
sicherung, wie sie auf dem NATO-Gipfel beschlossen
werden sollen .

Die zweite ist Dialogfähigkeit . Wir müssen mehr mit-
einander und nicht mehr nur übereinander sprechen . In
guten Zeiten ist das eine Selbstverständlichkeit . Aber ge-
rade in schwierigen Zeiten ist Dialog besonders wichtig
und die größte außenpolitische Herausforderung .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Deshalb haben Sie Russland vom Gipfel ausgeschlossen!)


Für die nächste Zeit muss deshalb die Devise lauten: So
viel Sicherheit wie nötig, aber so viel Dialog und Koope-
ration wie möglich .

Dritte Leitlinie: Die nachhaltige Sicherheit für Europa
kann es nicht ohne Russland und erst recht nicht gegen
Russland geben .


(Zuruf des Abg . Herbert Behrens [DIE LINKE])


Deshalb muss es unsere Strategie sein, Russland als ei-
nen verantwortungsvollen Partner zurückzugewinnen,
Russland wieder in eine verantwortungsvolle Partner-
schaft einzubinden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, dass immer
wieder Leute kritisiert werden, die den Dialog mit Russ-
land fordern .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Führen Sie den doch! Machen Sie doch!)


All denen, die unseren Außenminister jetzt als „Russ-
landversteher“ bezeichnet haben, hat Frank-Walter
Steinmeier am Wochenende, wie ich finde, eine ganz ein-
deutige Antwort gegeben, nämlich: Wer aufhört, andere
zu verstehen, wer aufhört, andere verstehen zu wollen,
der sollte keine Außenpolitik betreiben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich bin froh – und ich
glaube, auch die ganz große Mehrheit der Deutschen ist
froh –, dass Frank-Walter Steinmeier und nicht jemand
anderes unser Außenminister ist .


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Ist es jetzt schon so weit? Jetzt wird es peinlich! Das ist gar nicht nötig! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird jetzt ein bisschen viel!)


– Nein, mein lieber Volker, ich glaube, du bist in Wirk-
lichkeit auch froh, dass Frank-Walter Steinmeier unser
Außenminister ist .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Thomas, ich sage: Er hat es gar nicht nötig, was hier gemacht wird!)


– Nein, aber wir wissen das sehr zu schätzen, und was
man zu schätzen weiß, sollte man gelegentlich auch sa-
gen .


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Das ist eher peinlich!)


Wir sind für eine schrittweise Annäherung an Russ-
land . Sanktionen sind kein Selbstzweck – die Aufhebung
von Sanktionen allerdings ebenso wenig . Nur wenn
Russland sein Verhalten ändert, erfüllen sie ihren Sinn .
Deshalb wird es mit uns auch kein Aufweichen der Sank-
tionen geben, ohne dass es echte Zugeständnisse von
Wladimir Putin gibt .

Es gibt Hardliner, die nun sagen: Alles oder nichts!
Sie fordern und erwarten, dass Russland bedingungslos
in Vorleistung geht . Ich halte diesen Ansatz nicht für er-
folgversprechend . Für die SPD ist klar: Wenn es bei der
Umsetzung substanzielle Fortschritte gibt, dann können
die Sanktionen auch schrittweise aufgehoben werden .


(Beifall bei der SPD – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Wenn die Gegenleistung stimmt!)


Auch Ronald Pofalla als Vorsitzender des Petersbur-
ger Dialoges hat diese Position ausdrücklich vertreten .
Ausgerechnet Ronald Pofalla!


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was heißt das denn jetzt?)


Eine Stimme der Vernunft im konservativen Lager!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dieser Satz von Herrn Oppermann steht jetzt im Protokoll! Das ist auch gut so!)


– Ich lasse ja keine Gelegenheit aus, unseren Koalitions-
partner zu loben .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, die Frau Bundeskanzlerin
ist im Augenblick verhindert,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, nein, nein!)


Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


aber ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf den letz-
ten Europäischen Rat zurückkommen .

Ich fand es gut, dass Frankreich, Italien und Deutsch-
land auf diesem Rat klargemacht haben: Wir brauchen
beim Brexit möglichst schnell Klarheit . Europa muss
sich neu orientieren . Die 27 verbleibenden Mitglieder
der Europäischen Union brauchen eine Grundlage, auf
der sie arbeiten können . Ich fand es auch gut, dass klarge-
macht wurde und dass es einen breiten Konsens in Euro-
pa gibt, dass es keine Sonderbehandlung von Großbritan-
nien geben kann. Alle Vorteile, aber keine Pflichten: Das
geht nicht, das würde nur Anreize für andere in Europa
schaffen, sich selbst auch nur die Vorzüge zu sichern .

Im Augenblick ist die Neigung in der EU, sich von ihr
abzuwenden, gesunken . Das ist in den letzten Tagen ganz
deutlich geworden und liegt vor allen Dingen daran, dass
Großbritannien nach der Brexit-Bruchlandung im politi-
schen Chaos versunken ist . Auch darüber müssen wir im
Deutschen Bundestag und überall in Europa reden – üb-
rigens nicht mit Häme, aber in aller Klarheit .

Mit jedem Tag wird deutlicher: Die „Leave“-Kampag-
ne hatte nie einen Plan für den Ausstieg Großbritanniens
aus der Europäischen Union . Sie hat den Wahlkampf mit
unhaltbaren Versprechungen geführt,


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: So ist es!)


und anschließend sind die Brexit-Ideologen in der politi-
schen Versenkung verschwunden .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie wissen nicht, was sie tun!)


Der Slogan der Brexit-Kampagne, „Take back control“,
wirkt angesichts der politischen Führungslosigkeit wie
blanker Hohn .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Es sieht so aus, als würden die Brexit-Ideologen kein ein-
ziges ihrer Versprechen halten können .

Ich sage: Das würde auch in Frankreich passieren,
wenn Marine le Pen gewählt würde,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und das würde auch in den Niederlanden passieren, wenn
Geert Wilders die Wahlen gewinnen würde . Das würde
überall in Europa passieren, wenn die Populisten die
Oberhand gewinnen würden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU])


Boris Johnson und Nigel Farage sind angetreten, um
die Geschichte zu ändern . Jetzt sind sie – leider zu spät –
als politische Hochstapler und verantwortungslose Ha-
sardeure demaskiert worden .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich wünsche mir, dass wir die vielen Hochstapler in
Europa rechtzeitig entlarven, bevor sie einen so großen
Schaden anrichten können wie in Großbritannien .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Es lohnt sich auch deshalb, darüber zu reden, weil ich
das Gefühl habe: Mit jedem Tag und mit jedem Blick auf
das politische Chaos, das angerichtet worden ist, wächst
wieder die Wertschätzung für seriöse Parteien, wächst
wieder die Wertschätzung für seriöse Politik . Ich glaube,
das ist gut für unsere Demokratie .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das beste Mittel gegen die Feinde Europas ist aber
ein besseres Europa . Die Europäische Union muss das
Vertrauen der Menschen durch Handlungsfähigkeit wie-
der zurückgewinnen . Das geht nur, wenn wir uns auf die
großen und wichtigen Fragen konzentrieren, wenn wir in
den besonders notleidenden Ländern wieder für Wachs-
tum und Beschäftigung sorgen . Dazu brauchen wir mehr
Investitionen in Ausbildungsprogramme für junge Men-
schen, in Forschung, in Entwicklung, in eine moderne In-
frastruktur, in ein europaweites Glasfasernetz für schnel-
les Internet . All das, Herr Schäuble, wollen wir entgegen
der Darstellung, die Sie verbreitet haben, nicht mit neuen
Schulden in Europa finanzieren, sondern mit regulären
Staatseinnahmen . Es ist kein sinnvolles politisches Ziel,
die Verschuldung in Europa auszuweiten . Es ist aber
sehr wohl ein sinnvolles politisches Ziel, die finanzielle
Handlungsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten und der Eu-
ropäischen Union wiederherzustellen .


(Beifall bei der SPD – Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb sage ich: Wir müssen die Steuerhinterziehung
in Europa bekämpfen. Wir müssen die Steuerschlupflö-
cher schließen . Wir müssen die Finanztransaktionsteuer
einführen . Wenn alle ihren gerechten Teil zur Finanzie-
rung der Europäischen Union beitragen, dann brauchen
wir keine neuen Schulden in Europa . Nur so, mit gerecht
finanzierten Investitionen, können wir das Kernverspre-
chen der Europäischen Union wieder erfüllen: Fort-
schritt, Gerechtigkeit und Demokratie für alle Menschen
in Europa . Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818300600

Das Wort erhält nun der Kollege Anton Hofreiter für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818300700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Verhältnis zu Russland ist so schlecht wie
seit der Zeit des Kalten Krieges nicht mehr . Die Sorge
vieler Menschen auf dem Kontinent vor einem Krieg ist
so groß wie schon lange nicht mehr . Mit der Annexion
der Krim und mit den Aktionen in der Ostukraine hat

Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


Russland, hat Putin die Friedensordnung in Europa auf
den Kopf gestellt . Man muss ganz klar sagen: Es ist eine
besondere Tragik, dass mit der Ukraine das erste Land
weltweit, das freiwillig seine Atomwaffen komplett ab-
gegeben hat, von seiner eigenen Garantiemacht überfal-
len worden ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Von einer Fraktion, die gern von sich behauptet, dass
ihr Friedenspolitik wichtig wäre,


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ist!)


dazu nie wirklich etwas zu hören, finde ich, ehrlich ge-
sagt, beschämend und problematisch . Dass ein Land, das,
wie gesagt, freiwillig seine Atomwaffen komplett ab-
schafft, von seiner Garantiemacht überfallen wird, ist ein
solcher Rückschlag für eine vertragsbasierte Friedens-
politik, wie wir ihn lange nicht erlebt haben . Da würde
ich mir vonseiten der Linksfraktion ganz klare Worte
wünschen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Putin ist über das Budapester Abkommen hinwegge-
trampelt . Er hat die Souveränität der Ukraine ignoriert,
und er hat ihre territoriale Integrität ignoriert . Es ist ganz
klar, dass dieses Vorgehen nicht hinnehmbar ist . Daran
kann es nicht den geringsten Zweifel geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb war die Reaktion der EU und war die Reak-
tion der NATO richtig und wichtig . Es war richtig und
wichtig, dass die Europäische Union gemeinsam Sank-
tionen verhängt hat . Es ist völlig verständlich und nach-
vollziehbar – das darf man auch mit Blick auf die Ge-
schichte nicht ignorieren –, dass die östlichen Staaten der
NATO jetzt größere Sicherheitsbedürfnisse und Beden-
ken haben . Das liegt doch auf der Hand . Es ist notwendig
und richtig, dass es eine Rückversicherung im Bündnis
gibt und dass das Bündnis zusammenstehen muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber dabei stellt sich die Frage: Was ist die richti-
ge Antwort darauf? Ich habe gewisse Zweifel, dass der
Einstieg in die Aufrüstungsspirale und Sprachlosigkeit
die richtige Antwort sind . Wolfgang Ischinger, der Vor-
sitzende der Münchner Sicherheitskonferenz – ich hätte
nicht gedacht, dass ich ihn einmal als friedenspolitischen
Kronzeugen zitieren würde –,


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das sagt über beide was!)


hat gesagt, dass die Gefahr so groß wie selten ist, dass die
Eskalationsschritte in Richtung militärische Kampfhand-
lung führen werden, und er gibt einen ganz klaren Rat in

Richtung NATO und Bundesregierung: Nicht draufsat-
teln, sondern mäßigen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, es wäre wichtig, dass die Bundesregierung
diesen Rat beherzigt . Denn das ist der alte Irrweg, dass
man auf ein Manöver mit dem nächsten Manöver und
auf Aufrüstung auch mit Aufrüstung reagiert; das ist die
Spirale des Kalten Krieges . Wir sollten eigentlich etwas
aus dem Kalten Krieg gelernt haben .

Da teile ich ja die Meinung von Thomas Oppermann,
aber ich würde dann auch erwarten, dass ihr euch mit
dieser Haltung gegenüber der Bundesregierung und der
NATO durchsetzen könnt . Da werden nämlich andere
Dinge diskutiert . Die Kanzlerin hat es dargestellt . Da
wird diskutiert, dass die Raketenabwehr als angeblich
defensives System – es wird von Russland überhaupt
nicht als defensiv empfunden – weiter ausgebaut werden
soll . Die Reaktion darauf zeigt sich bereits: In Kalinin-
grad werden jetzt auch Raketen aufgestellt .

Genau das ist der Einstieg in die Rüstungsspirale . Das
ist in der Vergangenheit immer mit dem Iran begründet
worden . Jetzt haben wir das Abkommen mit dem Iran,
aber es wird weiter daran festgehalten . Das ist genau der
Irrweg, den wir eigentlich überwunden haben sollten . Ich
würde von euch und auch von Herrn Steinmeier erwar-
ten, dass ihr euch, wenn das schon erkannt wird, gegen-
über der Bundesregierung entsprechend durchsetzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was die Gespräche darüber angeht, dass jetzt dauer-
haft NATO-Truppen in den östlichen Staaten stationiert
werden sollen – wir sprechen nicht von Air Policing; das
können wir absolut verstehen und halten es für richtig,
sondern es geht um die dauerhafte Stationierung von
Truppen –, besteht die Gefahr, dass die NATO-Russ-
land-Grundakte auch von unserer Seite gebrochen wird .
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich ganz
eindeutig dagegenstellt . Denn das wäre ein weiterer
Schritt in Richtung Eskalation .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundeskanzlerin hat auch hier davon gesprochen,
dass 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung
ausgegeben werden sollen . Das würde bedeuten, wenn
wir es wirklich umsetzen, dass wir 25 Milliarden Euro
mehr für Rüstung ausgeben würden . Es kann doch nicht
ernsthaft die Antwort der Großen Koalition auf die glo-
balen Herausforderungen sein, 25 Milliarden Euro mehr
für Waffen ausgeben zu wollen . Ist das eine Belohnung
für das, was wir bereits sehen: dass Frau von der Leyen
die Bundeswehr nicht im Griff hat und dass bis jetzt viel
Geld verschwendet worden ist? Das kann doch nicht
ernsthaft Ihre Antwort auf die globalen Herausforderun-
gen sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es war die Rede davon, dass die NATO im Abriegeln
der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei sehr
erfolgreich ist und dass dort weniger Menschen sterben .
Ja, das kann man, wenn man so will, als Erfolg sehen .
Aber wenn man sieht, was im Mittelmeer insgesamt pas-

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


siert – dass die Menschen jetzt über Ägypten fliehen,
was ein weitaus gefährlicherer Weg ist und dazu führt,
dass sie wesentlich länger auf dem Meer sind, sodass die
Wahrscheinlichkeit steigt, dass mehr Menschen ertrin-
ken –, zeigt sich eindeutig, dass militärische Abschottung
keine sinnvolle Maßnahme ist, wie man mit Geflüchteten
umgeht . Auch da würde ich erwarten, dass Sie sich um
die Ursachen kümmern und nicht nur auf Abschottung
setzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ursprünglich war ja vorgesehen, dass wir heute auch
über den Brexit sowie über die Ergebnisse des Europäi-
schen Rates diskutieren


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hätte auch Sinn gemacht!)


und dass Frau Merkel in der Regierungserklärung etwas
dazu sagt. Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir von ihr
dazu nichts gehört haben . Von der Bundesregierung ins-
gesamt haben wir nämlich sehr, sehr viel gehört – aber
extrem viel Unterschiedliches . Europa steht vor der größ-
ten Herausforderung in seiner Geschichte . Die Europäi-
sche Union ist bedroht wie nie, und was haben wir für
eine Bundesregierung? Wir haben einen Herrn Schäuble,
der mehr Zusammenarbeit zwischen den Nationalstaa-
ten fordert und gleichzeitig auf die EU-Institutionen
wie die Kommission eindrischt . Wenn ich mir Herrn
Schäubles Bilanz bei der Zusammenarbeit zwischen den
Nationalstaaten anschaue, so fällt mir zum Beispiel die
Finanztransaktionsteuer ein, die in der letzten Legislatur-
periode vereinbart wurde .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Bereits 2008!)


Ich glaube, wir haben sie immer noch nicht umgesetzt .
Sie sollten sich einmal an die eigene Nase fassen, Herr
Schäuble, und überlegen, wie erfolgreich diese Zusam-
menarbeit bis jetzt ist, statt auf andere einzudreschen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich mir diese Bundesregierung weiter anschaue,
so haben wir dort einen Herrn Gabriel, der die EU gleich
neu gründen möchte und davon spricht, dass mehr in-
vestiert wird . – Ja, das halten wir für richtig, dass mehr
investiert wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Uni-
on – ich glaube, ihr seid in der gleichen Koalition; Herr
Gabriel ist immerhin Vizekanzler – antwortet auf die
Vorschläge des Vizekanzlers mit der Aussage: Griff in
die sozialistische Mottenkiste .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der kennt sich beim Sozialismus nicht so aus!)


So präsentiert sich die Große Koalition . So präsentiert
sich die Bundesregierung in der größten Herausforde-
rung, vor der die Europäische Union steht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So präsentiert sich die Regierung eines der wichtigsten
und mächtigsten Länder der Europäischen Union . Das
kann doch nicht euer Ernst sein!


(Zuruf des Abg . Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])


Und wie reagiert die Bundeskanzlerin auf das Ganze?
Wie reagiert sie auf das Chaos in ihrer eigenen Regie-
rung? Sie reagiert damit, dass sie einfach dazu schweigt .
Das kann doch nicht ihr Ernst sein angesichts der histo-
rischen Aufgabe, vor der wir stehen! Das ist ein histori-
sches Versagen dieser Bundesregierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Keine Sorge, das wird schon gut! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben wir euch!)


Selbstverständlich müssen wir uns intensiv damit be-
schäftigen, was eigentlich los ist in Europa, warum Anti-
europäer und Rechtspopulisten einen solchen Zulauf er-
halten: fast 50 Prozent für die FPÖ in Österreich, Le Pen
führt in den Umfragen für die Präsidentschaftswahlen,
und in Polen und Ungarn sind bereits Regierungen mit
einem extrem seltsamen Demokratieverständnis an der
Macht . Wir könnten viele weitere Länder aufzählen . Wir
müssen uns überlegen, wo die Zusammenhänge sind .

Natürlich hat das auch etwas mit Fehlern in nationaler
und europäischer Politik zu tun . Wir halten CETA auch
für grundfalsch und haben die Rechtsauffassung, dass
CETA stark in die Belange der Nationalstaaten eingreift
und deshalb rechtlich ein gemischtes Abkommen ist .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Aber man kann nicht davon sprechen, dass es, wenn nur
das Europaparlament darüber abstimmen würde, antide-
mokratisch wäre . Es ist in unseren Augen eine falsche
Entscheidung, dies zu tun . Aber eine falsche Entschei-
dung, die von einer Mehrheit gedeckt ist, ist nicht des-
halb antidemokratisch, nur weil ich oder die Linksfrakti-
on sie für falsch halten . Vielmehr muss man dann halt für
andere Mehrheiten kämpfen und darf nicht davon reden,
dass diese Entscheidungen antidemokratisch wären .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Europa muss wieder dafür sorgen, dass es seine vier
Grundversprechen erfüllt . Diese waren: Frieden, Frei-
heit, Demokratie und Wohlstand für alle . Wenn wir
gemeinsam dafür sorgen, dann haben wir auch alle
Chancen, dass die Menschen wieder der Meinung sein
werden: Die Europäische Union ist eine gute Sache; die
Europäische Union dient allen . Die Europäische Union
ist unsere einzige Chance, bestimmte grundlegende Pro-
bleme weltweit zu lösen . Viele Nationalstaaten sind zu
klein, um Herausforderungen wie der Klimakrise –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818300800

Herr Kollege .

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818300900

– und den Steuerhinterziehungen transnationaler Kon-

zerne zu begegnen . Dazu brauchen wir die Europäische
Union – nicht, weil es eine Garantie dafür gibt, dass sie
die richtige Politik macht, aber weil es die Chance gibt,
dass sie die richtige Politik macht, wenn wir die richtigen
Mehrheiten erkämpft haben .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Wolfgang Hellmich [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818301000

Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1818301100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Der NATO-Gipfel in dieser Woche findet in einer poli-
tisch bewegten Zeit in Europa und in der Welt statt . Der
NATO-Gipfel macht auch deutlich, dass es zur Lösung
der Probleme auf uns alle ankommt . In der NATO sind
die Staaten Europas und andere in einem Bündnis mitei-
nander vereint, und zwar in einem Bündnis,


(Zuruf von der LINKEN: Kriegsbündnis!)


das ausschließlich – ich habe Veranlassung, dies so deut-
lich zu sagen, nach einigen Äußerungen in den letzten
Tagen – defensiv angelegt ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Da lachen ja die Hühner!)


– Bei Ihnen fällt mir eigentlich nichts mehr ein nach dem,
was Ihre Fraktionsvorsitzende heute abgeliefert hat .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie können genauso wie wir alle stolz darauf sein,
dass wir in einer Demokratie leben, wo auch solche Sa-
chen gesagt werden können, und nicht in einem Land wie
Russland, wo Pressefreiheit nicht existiert und wo Men-
schen, die etwas sagen, was der Regierung nicht passt,
verfolgt werden .


(Zuruf von der LINKEN: Was? – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Soll das jetzt eine Drohung sein?)


Wir dürfen stolz darauf sein, in einer solchen Demokratie
zu leben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In dieser bewegten Zeit kommt es also darauf an, dieses
Europa zu stärken und eine Antwort auf die Konflikte zu
geben, die uns alle so beschäftigen und belasten .

Ja, es ist richtig, dass dieses Bündnis, das defensiv
angelegt ist, den Dialog mit denjenigen sucht, die als
wichtige Mitspieler auf der politischen Bühne auftre-
ten . Aber es kommt auch darauf an, dass man die Dinge
richtig benennt. Deswegen finde ich das völlig richtig,

Herr Hofreiter, was Sie heute gesagt haben und was auch
im Entschließungsantrag Ihrer Fraktion steht . Aber was
als Konsequenz formuliert wird, ist nicht überzeugend .
Wenn ich in Ihrem Antrag den Satz lese: „Gleichzeitig
muss Russland auch bereit sein, dieses Angebot anzu-
nehmen“, dann kann ich nur sagen: Russland nimmt das
eine oder andere Angebot eben nicht an . Auch darauf
müssen wir eine Antwort finden. Es ist ein wenig blauäu-
gig, zu formulieren, dass wir nicht in eine neue Spira-
le der Aufrüstung geraten und nicht auf jedes Manöver
eine gleiche Antwort geben dürfen, und dann zu sagen:
Aber Russland muss das Angebot, das wir machen, auch
annehmen . – Damit Russland dieses Angebot annimmt,
muss klar und deutlich gesagt werden: Wir sind nicht
wehrlos, wenn Verträge mit Füßen getreten werden und
wenn Länder wie die Ukraine überfallen werden . Sie
haben völlig recht: Das ist noch viel schlimmer, als das
Völkerrecht zu verraten, wie es die Russen getan haben .
Die Russen haben den Ukrainern versichert: Wenn ihr die
Atomwaffen abgebt, sind eure Grenzen sicher . – Das ist
eine der großen politischen Lügen, die wir in dieser Zeit
erlebt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das darf nicht einfach mit dem lapidaren Satz „Russland
muss das Angebot auch annehmen“ beiseitegeschoben
werden .

Richtig ist – da wir nach politischen Lösungen su-
chen –, dass wir miteinander reden müssen . Aber dieses
Miteinanderreden muss, wie es so schön heißt, auf Au-
genhöhe stattfinden. Dieses Miteinanderreden muss auch
bedeuten, dass der andere weiß, dass der Gesprächspart-
ner genauso stark ist wie er selber, damit er nicht auf
dumme Gedanken kommt .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818301200

Herr Kollege Kauder, lassen Sie eine Zwischenfrage

zu?


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1818301300

Nein .


(Zurufe von der LINKEN)


– Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: Es muss auch
möglich sein, wenn man eine Redezeit von nur zehn Mi-
nuten hat, in diesem Haus Gedanken klar zu formulieren .
Sie hatten Ihre Redezeit und machen sowieso Zwischen-
fragen, wie es Ihnen gerade passt .


(Zurufe von der LINKEN)


Wir müssen klipp und klar sagen, dass wir auf Augen-
höhe sein müssen, damit der andere nicht den Eindruck
hat, dass er mit dem, was er schon einmal gemacht hat,
nämlich andere zu überfallen, Gesprächspartnern drohen
kann . Jetzt, Herr Hofreiter, kann ich nur sagen: Wir alle
wollen keine Spirale der Aufrüstung . Aber ich habe da-
mals – Sie wahrscheinlich auch – intensiv an der Debat-
te über den NATO-Doppelbeschluss teilgenommen . Ich
weiß noch, was mir damals alles gesagt worden ist . Das






(A) (C)



(B) (D)


Ergebnis war: Nur dadurch, dass wir die NATO-Nachrüs-
tung beschlossen haben, wie Gorbatschow formuliert hat,
war es überhaupt möglich, einen anderen Weg, nämlich
einen friedlicheren Weg, zu beschreiten . Es ist eben nicht
so, dass wir aus der Geschichte nicht lernen können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass Helmut
Schmidt dies gesehen hat, aber die SPD ihm darin nicht
ganz so richtig gefolgt ist . Aber wir sollten die Fehler
der Vergangenheit nicht wiederholen . Deswegen sage
ich: Ja, es ist richtig, wenn die NATO demonstriert:
Wir sind so stark, dass wir uns verteidigen können, aber
wir sind auch so stark, dass wir den Dialog führen kön-
nen . – Der Dialog mit Russland wird geführt . Auch ich
hätte mich gefreut, wenn der NATO-Russland-Rat vor
dem NATO-Treffen hätte stattfinden können. Die Russen
wollten das nicht . Sie wollen den NATO-Russland-Rat
erst nachher einberufen. Okay, aber er findet auf jeden
Fall statt . Deswegen halte ich es für völlig falsch, wenn
für die NATO durch Formulierungen der Eindruck er-
weckt wird, als ob sie Aggressionen ausübt . Die NATO
ist ein defensives Bündnis,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


und die Aggression kam von anderen, nicht von der
NATO .


(Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


Eine Voraussetzung dafür, dass die NATO stark blei-
ben kann – da hat Thomas Oppermann völlig recht –, ist,
dass Europa stark bleibt . Ohne ein starkes Europa und
starke europäische Staaten wird die NATO ihre Aufgabe
nicht erfüllen können . Es gibt tatsächlich einen Zusam-
menhang zwischen diesem Verteidigungsbündnis und
Europa .

Dass Europa stark bleibt und in Teilen wieder stark
wird, hängt natürlich damit zusammen, dass Europa wirt-
schaftlich konkurrenzfähig ist . Da zeigt doch der Blick
auf unsere innenpolitische Situation: Stark im Wettbe-
werb kann nur ein Land sein, das sich entschließt, erstens
Reformen durchzuführen, um auf der Höhe der Zeit zu
bleiben, und zweitens keine neuen Schulden zu machen .
Angriffe auf unseren Bundesfinanzminister wie die, die
schwarze Null sei ein Fetisch, sind absolut nicht in Ord-
nung . Das hat nicht Kollege Oppermann gemacht, aber
aus der SPD ist das gekommen . Da kann ich nur sagen:
Die schwarze Null ist kein Fetisch, sondern sie ist eine
existenzielle Voraussetzung dafür, dass auch die junge
Generation Chancen in diesem Land und in Europa hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zu der Aussage „Wir wollen keine neuen Schulden
machen, sondern wir wollen das in Europa anders orga-
nisieren“ kann ich nur sagen: Es war auch eine Stimme
aus der SPD, die damals im Zusammenhang mit Grie-
chenland formuliert hat, der deutsche Arbeiter könne mit

seinen Steuergeldern nicht die Renten in Athen bezahlen .
Auch daran muss ich einmal erinnern .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Genau! Richtig! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Wer war das noch einmal?)


Deswegen rate ich dazu, alles in Ruhe miteinander zu
besprechen .

Jetzt kann ich noch einmal sagen, was ich schon in der
letzten Debatte gesagt habe .


(Zuruf des Bundesministers Sigmar Gabriel)


– Nein, Herr Gabriel . Das hat nichts mit Wahlkampf zu
tun, sondern mit der Realität, die ich jetzt abgebildet
habe . Aber das wollen wir jetzt nicht vertiefen . Außer-
dem dürfen Sie von der Regierungsbank gar nicht dazwi-
schenrufen . Wenn Sie das tun möchten, müssen Sie auf
den Abgeordnetenbänken Platz nehmen . Aber lassen wir
das .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Sigmar Gabriel darf alles!)


Ich möchte darauf hinweisen, dass es keinen Sinn
macht – lieber Thomas Oppermann, da sind wir uns ja
einig –, Geld in etwas hineinzuwerfen, ohne dass man
vorher die Strukturen verändert hat . Ich erläutere das ein-
mal an einigen Beispielen .

Wenn wir der jungen Generation keine berufliche
Ausbildung ermöglichen und glauben, dass der Fachar-
beiter nichts mehr wert ist, sondern dass jeder studieren
muss, dann haben wir eine Situation wie beispielsweise
in Spanien . Auf eine solche Situation können wir nicht
dadurch reagieren, dass wir noch mehr Geld geben . Statt-
dessen müssen sich Strukturen ändern, und es muss für
Wachstum gesorgt werden .

Nächstes Beispiel . Wir wollen in Europa bei Projek-
ten zusammenarbeiten . Der Präsident Frankreichs hat
gesagt: Bei gemeinsamen Rüstungsprojekten können
wir nicht zusammenarbeiten, weil die Vorschriften in
Deutschland so sind, dass wir Franzosen damit nicht
leben können . – Dazu kann man sagen: Das ist okay . –
Aber dann darf man nicht bejammern, dass wir keine
Chance auf gemeinsame Wachstumsprojekte in der Eu-
ropäischen Union haben . Auch das muss man einmal klar
und deutlich sagen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich rate, dass wir in Europa erst einmal in aller Ruhe
die Antwort aus Großbritannien abwarten, dann Gesprä-
che führen, dass wir uns vor allem aber bewusst machen,
dass wir den Weg, der bei uns zum Erfolg geführt hat,
nämlich Reformen durchzuführen und Wachstumsim-
pulse zu setzen, auch in Europa beschreiten müssen . Wir
sollten nicht auf Rezepte zurückgreifen, die sich in der
Vergangenheit auch in unserem Land nicht bewährt ha-
ben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Richtig ist auch, dass die Zustimmung zu Europa ge-
rade bei der jungen Generation davon abhängt, dass die-

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


ses Europa Perspektiven für sie bieten kann . Das, was
wir als einen Grund für die Flucht in Afrika und anderen
Regionen benennen – dass junge Menschen keine Per-
spektive erkennen –, das darf nicht das Ergebnis in Euro-
pa sein . Auch deswegen ist es richtig, dass wir für junge
Menschen Perspektiven schaffen . Ich habe darauf hinge-
wiesen, dass dafür Reformen notwendig sind .

Gerade vor dem Hintergrund der Entscheidung, die
in Großbritannien getroffen worden ist, müssen wir aber
auch klar und deutlich sagen – da stimme ich Thomas
Oppermann zu –, was es für Konsequenzen hat, wenn
man Leuten nachläuft, die populistisch sind, die, um es
einmal vorsichtig zu formulieren, falsche Aussagen ma-
chen und die, was ebenfalls der Wahrheit entspricht, die
Menschen anlügen . Wer Populisten nachläuft – das zeigt
Großbritannien –, der schadet sich selbst, und dies müs-
sen wir immer wieder deutlich machen .

Aber dazu gehört auch, festzustellen – ich habe Ver-
anlassung, das heute zu sagen –: In einer Koalition, in
jeder Koalition gibt es bei der einen oder anderen Frage
natürlich unterschiedliche Auffassungen . Das sage ich
jetzt ohne Ironie – das gibt es in deiner Partei, Thomas
Oppermann, und auch in meiner –: Es ist eben so, dass
nicht alle Menschen die gleiche Meinung haben . Das
wäre ja auch wirklich langweilig .

Aber eines ist doch klar – das anzuerkennen, darum
bitte ich –: Wir sollten das, was wir in den vergangenen
zweieinhalb Jahren in dieser Großen Koalition gemein-
sam erreicht haben, was unserem Land nützt und was den
Menschen nützt, jetzt nur wegen des Wahlkampfs nicht
kleinreden . Es gab noch nie eine Situation in unserem
Land – in Deutschland –, in unserer Zeit, in der es den
Menschen so gut ging wie heute .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu können wir aus gutem Grund sagen,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: 2,5 Millionen Kinder in Armut!)


um genau den Populisten entgegenzutreten: Das hat auch
etwas mit unserer Politik, mit der Politik dieser Großen
Koalition zu tun . Dazu sollten wir uns bekennen .


(Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


– Damit das einmal ganz klar ist: Sie haben dazu keinen
Beitrag geleistet .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb finde ich, dass wir auf das, was wir miteinan-
der gemacht haben, was den Menschen dient und vor al-
lem der jungen Generation in unserem Land dient – sie
hat alle Chancen –, miteinander stolz sein dürfen, und
dies dürfen wir auch sagen. Ja, unser Land befindet sich
in einem guten Zustand . Es gibt große Herausforderun-
gen, aber gerade weil wir wissen, was wir durch richtige
Politik leisten können, sind wir zuversichtlich – auch für
die Zukunft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818301400

Niels Annen ist der nächste Redner für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1818301500

Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Lieber Herr Kauder, wir sind auch
zuversichtlich; darauf können Sie sich gern beziehen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich möchte in meiner kurzen Redezeit doch noch
einmal etwas zur NATO sagen . Herr Kauder, Sie haben
Helmut Schmidt genannt . Es ist immer gut, ihn in diesem
Hause zu nennen, aber ich darf schon darauf hinweisen,
dass es in diesem Parlament einen Grundkonsens gibt –
vielleicht mit Ausnahme der Kolleginnen und Kollegen
der Linken . Schon seit 1960, seit der großen Rede von
Herbert Wehner, bekennt sich dieses Land zur engen Ein-
bindung in die NATO . Ich glaube, dass uns das insge-
samt, dass es unserer Sicherheit und unserer Verankerung
gutgetan hat .

Deswegen, meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen, sagen wir auch vor dem NATO-Gipfel: Beides
brauchen wir . Wir brauchen die Stärke des Bündnisses,
ja, auch die Abschreckung, aber wir brauchen ebenfalls
die Dialogbereitschaft . Dass das nicht nur eine Phrase ist,
hat unser Außenminister in den letzten Monaten bewie-
sen . Wir handeln nach der Philosophie des Harmel-Re-
ports . Dazu will ich hier einige Beispiele nennen .

Das erste Beispiel ist die NATO-Russland-Grundak-
te . Sie ist ein Dokument, das wir dringender als jemals
zuvor nötig haben; das hätten wir alle uns nicht träumen
lassen . Wir müssen es jetzt wieder mit neuem Leben er-
füllen . Deswegen haben wir eine klare Linie formuliert .
Es bleibt dabei: keine permanente Stationierung substan-
zieller Kampftruppen in den neuen Mitgliedstaaten . Da-
für hat sich die SPD eingesetzt, und es wird umgesetzt .


(Beifall bei der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin fer-
ner dankbar, dass die Bundeskanzlerin das angesprochen
hat – wir haben lange daran gearbeitet –: Die Operation
Active Endeavour wird von Artikel 5 des Washingtoner
Vertrages entkoppelt, und damit wird die Möglichkeit
geschaffen, sie auf eine breitere politische Grundlage zu
stellen – das richtige Signal vor den Beratungen, die jetzt
in Warschau beginnen .


(Beifall bei der SPD)


Insgesamt ist diese Philosophie von Abschreckung und
Dialog auch in dem nachlesbar, was jetzt an Gipfeldoku-
menten vorbereitet worden ist .

Ich will aufgrund der aktuellen Spannungen, auf die
hingewiesen worden ist, noch ein paar andere Punk-
te nennen, zum Beispiel die militärische Krisen-Kon-
takt-Diplomatie, wenn man das so sagen darf, also das,
was man früher „Rotes Telefon“ genannt hat . Meine Da-
men und Herren, wir brauchen offensichtlich solche In-
strumente heute wieder . Ich bin unserem Außenminister

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


dankbar, dass diese Initiative gestartet worden ist, dass
es wieder direkte Militär-zu-Militär-Kontakte gibt, um
Missverständnisse zu vermeiden .

Ich habe mir die Reaktivierung des NATO-Russ-
land-Rats hier dick angestrichen, weil auch sie ganz
entscheidend ist . Ich hätte mir gewünscht, dass es noch
ein Treffen vor dem Gipfel gibt . Es gibt eines nach dem
Gipfel; Russland hat sich mit der NATO darauf verstän-
digt . Aber es bietet auch eine Chance der direkten Kom-
munikation, wenn die Beratungen abgeschlossen sind .
Wir sollten uns vornehmen, das weiter fortzusetzen . Ich
glaube, das kann in diesem Parlament unterstützt werden .

Ich will einen weiteren Punkt nennen . Wir haben eine
ganze Reihe von Instrumenten aus der Zeit des Kalten
Krieges, die Vertrauen schaffen sollen, und wir brauchen
sie heute wieder . Deswegen ist die Frage, ob man bei
Manövern, bei Übungen Beobachter einlädt, keine Ba-
nalität . Wir wissen, dass die Regeln zum Teil unterlaufen
werden: durch die Größe der Manöver, durch kurzfristige
Ankündigungen etc . Also: Wir müssen zu dieser Kultur
des Vertrauens zurückkommen . Deswegen setzen wir
uns als SPD-Fraktion dafür ein, dass beispielsweise das
Open-Skies-Regime auch durch einen eigenen Beitrag
unterstützt wird . Ich hoffe, Frau Ministerin, dass wir das
versprochene, in Aussicht gestellte Flugzeug hierfür bald
bereitstellen können .

Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu der all-
gemeinen Philosophie sagen, über die ich gesprochen
habe . Deutschland steht zu den Rückversicherungsmaß-
nahmen . In der deutschen Öffentlichkeit ist nicht immer
im Detail darüber gesprochen worden, was wir alles ge-
tan haben . Air Policing, Very High Readiness Joint Task
Force – wer sich solche Begriffe ausdenkt, weiß ich auch
nicht so genau – und andere Maßnahmen sind ein ganz
klares Commitment zur Sicherheit der baltischen Staaten .
Auch der Dialog mit Russland – ich würde mir manch-
mal wünschen, das würde von den Kolleginnen und Kol-
legen in den baltischen Staaten einmal honoriert – dient
der Sicherheit des Bündnisses . Deswegen ist es richtig
gewesen, dass unser Außenminister das deutlich gemacht
hat .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde,
wir haben uns vor diesem Gipfel vernünftig, ausglei-
chend, aber auch entschlossen aufgestellt . Das wird si-
cherlich auch in den Beratungen deutlich werden . Dass
sich das deutsche Parlament in diesem Geiste mit der
NATO identifiziert, aber auch die eigenen Interessen
deutlich macht, –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818301600


Herr Kollege .


Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1818301700


– das ist der richtige Weg .

Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche gute
Beratungen in Warschau .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818301800

Florian Hahn ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1818301900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Gipfel in Warschau fällt in eine wahrlich turbulen-
te Zeit . Die Herausforderungen, darunter das Verhältnis
zu Russland sowie der Krisengürtel, der vom Nahen
Osten bis nach Nordafrika reicht, sind gewaltig . Dane-
ben schaffen der internationale Terrorismus, der mitten
unter uns wütet, wie wir mit Blick auf den furchtbaren
Anschlag in Istanbul vor wenigen Tagen einmal mehr er-
leben mussten, die Verbreitung ballistischer Raketen und
die Bedrohung durch Cyberangriffe eine neue, komplexe
Unsicherheit, in der konkrete Gegenmaßnahmen immer
schwerer zu finden sind.

Kurz: Die NATO befindet sich in der schwierigsten
Phase seit dem Ende des Kalten Krieges . Genau aus die-
sem Grund muss eine zentrale Botschaft in Warschau sein,
dass wir weiterhin gemeinsam auf diese Veränderungen
reagieren . Das wichtigste Signal nach außen muss unsere
Geschlossenheit sein . In Zeiten wie diesen, in denen wir
große sicherheitspolitische Aufgaben in Angriff nehmen,
müssen Allianz und Partnerschaften wachsen, an Rück-
grat gewinnen – zum einen aus den pragmatischen Grün-
den, aus der simplen Logik, dass man gemeinsam mehr
erreicht als allein, zum anderen aufgrund der schlichten
Erkenntnis, dass der Rückzug, die Einigelung, der Ausruf
„Das geht mich nichts an“ oder „Wir können das auch
alleine“ in der heutigen Welt, bei den aktuellen Bedro-
hungen nicht mehr möglich sind .

Das Votum der Briten für den Austritt aus der EU er-
scheint vor diesem Hintergrund besonders gravierend .
Aber auch wenn es eine tiefe Zäsur darstellt, ist es nicht
das Ende Europas und erst recht nicht das Ende unserer
sicherheitspolitischen Beziehungen zu Großbritannien .
Wir werden weiterhin sehr eng mit den Engländern zu-
sammenarbeiten, gerade im Rahmen der NATO .

Auch bei uns und in den anderen europäischen Län-
dern gibt es Stimmen, die sagen: Die Kosten einer Al-
lianz wie der NATO sind höher als ihr Nutzen . – Teil-
weise wird die Idee der transatlantischen Partnerschaft
rundheraus abgelehnt . Ängste vor einer zu großen Domi-
nanz der USA oder klassischer Antiamerikanismus sind
treibende Kräfte der NATO-Kritiker . Die inhaltliche und
sprachliche Nähe von Frau Wagenknecht und der Linken
auf der einen Seite und von Herrn Höcke, AfD, auf der
anderen Seite


(Dr . Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Unverschämtheit! – Zurufe von der LINKEN: Oh, oh!)


Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)


finde ich in diesem Zusammenhang besonders bemer-
kenswert und wirklich entlarvend .


(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie schieben die Flüchtlinge ab! Sie halten die Flüchtlinge ab! Sie machen die Politik! Rechte Politik machen Sie!)


Dem möchte ich entgegensetzen: Die NATO ist nicht
nur ein Verteidigungsbündnis, durch das sich die Mit-
gliedsländer gegenseitig stützen; sie ist auch eine Wer-
tegemeinschaft freier Staaten . Gemeint ist damit, dass
wir geeint sind in unseren demokratischen Prinzipien
und dass freie Rede und offene Diskussion die Basis al-
ler Bündnisbeschlüsse sind . Hier muss, wenn nötig, auch
Kritik geäußert werden . So ist beispielsweise das Verhin-
dern eines Besuchs deutscher Abgeordneter bei unseren
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Incirlik, in
einem NATO-Partnerland, indiskutabel und muss bei der
NATO entsprechend angesprochen werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussionen
über die Prioritätensetzung angesichts gleichzeitiger
Unsicherheiten im Osten und im Süden waren sehr lehr-
reich . Wie soll die NATO reagieren, wenn die Bedro-
hungsempfindungen der Mitglieder divergieren? Welche
unterschiedlichen Antworten sind möglich, wenn sie
zeitgleich gegeben werden müssen? Mit der schnellen
Einigung auf die Mission in der Ägäis – übrigens ein
Beispiel dafür, dass Frau von der Leyen die Dinge sehr
gut im Griff hat, lieber Herr Hofreiter – sowie auf die
Unterstützung Jordaniens hat die NATO gezeigt, dass sie
keinesfalls auf den Osten fixiert ist, sondern auch im Sü-
den entschlossen reagiert . Islamistischer Terror, bei dem
Gewalt zum Selbstzweck geworden ist, aber auch Staats-
zerfall und Flüchtlingskrise fordern uns an der Südflanke
in besonderem Maße . Eine ausschließlich militärische
Antwort greift zu kurz . Weitere Anpassungen unserer In-
strumente zur Stabilisierung der Region und eine enge
Abstimmung mit den Vereinten Nationen und der Euro-
päischen Union werden notwendig sein .

Mit Blick auf russische Realitäten und die Sorgen un-
serer Bündnispartner im Osten möchte ich auf eine Tat-
sache hinweisen, die in der Mitte oder im Süden Europas
gelegentlich in Vergessenheit gerät: Entfernung spielt
eine Rolle . So trennt der Fluss Narva nicht nur Russland
und Estland, sondern ist heute auch Trennungslinie zwi-
schen Russland und der NATO. Außerdem befindet sich
hier seit dem 1 . Mai 2004 eine östliche Außengrenze der
Europäischen Union . Glaubt man Experten, dann kann
Russland in nur 60 Stunden das Baltikum überrennen .
Selbst wenn ein solches Vorgehen hochgradig irrational
wäre, muss man diese Fähigkeiten beachten und das Be-
drohungsgefühl in Litauen, in Lettland, in Estland oder in
Polen gerade mit Blick auf die Geschichte ernst nehmen .
Das hat der Kollege Hofreiter ja sehr gut dargestellt .

Ich möchte betonen: Vier ständige, rotierende Kampf-
bataillone im Osten des Bündnisgebietes sind dringend
notwendig und stehen als begrenzte Militärpräsenz im
Einklang mit der NATO-Russland-Grundakte . 4 000
Soldaten sind wirklich kein Grund für Moskau, sich
bedroht oder eingekreist zu fühlen . Sollte das wirklich
so sein, wird das dem sonstigen militärischen Selbstbe-

wusstsein der Russischen Föderation nicht gerecht . Bei
all den Diskussionen der letzten Tage sollte eines klar
sein – Generalsekretär Stoltenberg betont dies zu Recht
immer wieder –: Die NATO sucht keine Konfrontation
mit Russland . Die NATO reagiert auf russisches Handeln
mit Maß, Transparenz und Verantwortungsbewusstsein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber reagieren müssen wir, um glaubhaft zu demons-
trieren, dass Bündnissolidarität weiterhin oberste Pri-
orität hat . Natürlich müssen dabei die Abschreckungs-
anstrengungen mit Augenmaß erfolgen . Leider hat
Russland in der Vergangenheit klassische Instrumente
der Konfliktverhütung ignoriert, wie die Absage eines
Treffens des NATO-Russland-Rates noch vor dem War-
schauer Gipfel zeigt .

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zudem auf
eines hinweisen: Die NATO veröffentlicht auf ihrer Web-
site alle Informationen zu ihren geplanten und vergleichs-
weise bescheidenen Manövern . Sie hält sich damit strikt
an das Wiener Dokument der OSZE zur Beobachtung
und Kontrolle von Manövern . Nicht so Russland: Übun-
gen ohne Vorwarnungen in Grenznähe, sogenannte Snap
Drills, häufen sich . 2016 wurden bereits acht unerwar-
tete russische Übungen mit massivem Truppeneinsatz
durchgeführt . Solche Provokationen können zu fatalen
Fehlkalkulationen führen . Wir brauchen eine umfassende
Transparenz der Manöver, um das Eskalationspotenzial
so weit wie möglich kleinzuhalten . Gesprächskanäle und
Möglichkeiten zur Kooperation gilt es immer aufrecht-
zuerhalten . Es ist wichtig, dass wir nicht ausschließlich
übereinander reden, sondern auch miteinander .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818302000

Herr Kollege .


Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1818302100

Wenn der Kreml Bereitschaft zum Dialog und zur Zu-

sammenarbeit zeigt, dann steht die Tür weit offen . Bis
dahin muss aber das Signal sein, dass wir geschlossen
hinter den verteidigungspolitischen Maßnahmen der
NATO stehen . Eine Doppelstrategie aus Abschreckung
und ausgestreckter Hand hat sich schon in der Vergan-
genheit bewährt .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818302200

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .


Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1818302300

Deutschland hat 60 Jahre lang von der NATO profi-

tiert . Das Bündnis war ein Garant für Frieden, Freiheit,
Sicherheit und territoriale Integrität . Gerade in Berlin er-
innern sich viele an den Sinn und Zweck faktischer mi-
litärischer Präsenz der NATO-Verbündeten . Das sollten
wir uns immer wieder vor Augen halten .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818302400

Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Wolfgang

Hellmich das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Wolfgang Hellmich (SPD):
Rede ID: ID1818302500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eingangs möchte ich der Bundeskanzlerin für ihre Re-
gierungserklärung danken, weil sie den Soldatinnen und
Soldaten, die mit ihren in der NATO hochgeschätzten
Fähigkeiten an vielfältigen Stellen – in Stettin, in Polen
und in den baltischen Ländern – im Auftrag der NATO
ihren Dienst leisten, klargemacht hat, dass ihr Einsatz im
Rahmen eines sehr ausgewogenen Konzepts der Bundes-
regierung auf der einen Seite Bestandteil des diplomati-
schen Dialogs ist und auf der anderen Seite Bestandteil
der Bemühungen, die Verteidigungsfähigkeit der Bünd-
nispartner der NATO zu stärken, zu sichern und zu festi-
gen . Ich glaube, das ist der nötige politische Rahmen, der
deutlich macht, dass nicht nur dieses Parlament, sondern
auch die Bundesregierung hinter dem steht, was unsere
Soldatinnen und Soldaten dort leisten . Wir müssen im
Laufe der nächsten Zeit auch für die entsprechende Aus-
rüstung, Versorgung und personelle Ausstattung der Bun-
deswehr sorgen, damit sie ihren Auftrag erfüllen kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Wagenknecht, eines zu Ihnen: Sie können noch
so sehr versuchen, dieses Rednerpult zur Bühne Ihrer
Propaganda zu machen . Ich möchte aber darauf hinwei-
sen, dass, während wir in der NATO-Parlamentarierkon-
ferenz versucht haben, in intensiven Diskussionen mit
den Delegierten, mit vielen Parlamentariern aus anderen
NATO-Staaten, dafür zu sorgen, den Ansatz der Bundes-
regierung, die 360-Grad-Perspektive, die dort wichtig
ist, in den Beschlüssen zu verankern, Ihre Delegierten es
vorgezogen haben, gar nicht erst zu kommen . – Das zu
der Frage, was die Realität ist und was man im politi-
schen Alltag tut . Deshalb fällt niemand auf Ihre Propa-
ganda herein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das heißt wohl: Wenn man keine Mehrheit hat, geht man
gar nicht erst in eine Debatte mit Abgeordneten . Das ist
ein sehr interessanter Ansatz .

Zuallerletzt, um meine drei Minuten sinnvoll auszu-
füllen, eine wichtige Botschaft: Die Bundesministerin
der Verteidigung kann vieles regeln, auch in der Türkei;
sie kann aber nicht das Zugangsrecht für Abgeordnete
regeln . Deshalb werden wir es selber versuchen . Wir
haben gestern im Verteidigungsausschuss einstimmig
beschlossen, im Herbst eine Delegationsreise des Aus-
schusses in die Türkei zu machen mit dem Besuch der
NATO-Einrichtungen, mit dem Besuch unserer Soldatin-
nen und Soldaten und mit Gesprächen mit den türkischen
Abgeordneten, um an dieser Stelle deutlich zu machen,
dass unter NATO-Partnern Abgeordnete freien Zugang
nicht nur zu den Standorten der Soldatinnen und Solda-
ten des eigenen Landes, sondern auch zu den dortigen

NATO-Einrichtungen haben und auch mit Abgeordneten
des türkischen Parlamentes diskutieren können . In Tira-
na hatten wir die Gelegenheit, mit türkischen Abgeord-
neten zu sprechen, die uns sagten: Wir wissen nicht, ob
wir nicht vielleicht schon in zwei Wochen im Gefängnis
sitzen . – Wir werden all diese Punkte thematisieren, weil
sie in eine Debatte um die NATO gehören . Das werden
wir als Abgeordnete in der Türkei selber machen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818302600

Henning Otte erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1818302700

Herr Präsident, vielen Dank . – Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der bevorstehende NATO-Gipfel in Warschau
ist die Zusammenkunft einer Verantwortungsgemein-
schaft, die als festes Bündnis für Frieden, für Freiheit und
für Stabilität einsteht . Gerade in dieser Zeit, in der wie in
einer Zeitenwende stabil geglaubte Strukturen plötzlich
instabil zu sein scheinen, in der eine russische Regierung
mit einem Völkerrechtsbruch eine aggressive Politik
führt, in der Staaten im Nahen und Mittleren Osten zu
zerfallen drohen und in der der IS-Terror zu einer Bedro-
hung des Weltfriedens wird, ist es von elementarer Be-
deutung, dass wir auf dem NATO-Gipfel das Signal nach
außen senden, und zwar geschlossen und entschlossen:
Freiheit und Sicherheit sowie die Wahrung unserer Werte
innerhalb unseres Bündnisses sind für uns unantastbar .

Meine Damen und Herren, mit einem Dreiklang aus
Verteidigungsbereitschaft, Ertüchtigungsbereitschaft und
Dialogbereitschaft gewährleisten wir die Souveränität
der Mitgliedstaaten . Die Souveränität, über die Deutsch-
land jetzt verfügt, basiert auch darauf, dass die NATO
eine Säule für den ständigen Dialog auch im Kalten
Krieg war und ein Pfeiler der Wiedervereinigung . Dass
die Linken das komplett anders sehen, ist nur so zu be-
gründen, dass sie mit ihrer Geschichtsdeutung ohnehin
ein Problem haben . Ich kann nur sagen: Wir von der Uni-
on und auch in der Großen Koalition wollen, dass diese
Stabilität und Souveränität auch für die nächste Generati-
on erhalten bleiben . Deutschland ist bereit, dafür Verant-
wortung zu übernehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Wolfgang Hellmich [SPD])


Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr sind die
notwendigen Voraussetzungen geschaffen worden . Wir
haben ein breites Fähigkeitsspektrum, sodass wir als
Rahmennation unseren Partnern anbieten können, sich
anzulehnen. Wir können frühzeitig mit flexiblen Struk-
turen auf sich verändernde Sicherheitslagen reagieren,
und wir übernehmen auch Verantwortung in Vorleistung,
beispielsweise mit der sogenannten schnellen Speerspit-
ze. Dies begleiten wir mit einer stärkeren finanziellen,






(A) (C)



(B) (D)


personellen und auch materiellen Ausstattung; denn wir
sagen: Attraktivität, Ausrüstung und Ausbildung sind die
drei festen Säulen für unsere Streitkräfte innerhalb der
NATO .

Unsere Bundeskanzlerin hat auch deutlich gesagt,
dass wir, gemessen an der NATO-Quote, bereit sein
müssen, mehr zu investieren . Eine gute Investition in
Sicherheit, in Freiheit ist das unverrückbare Fundament
unserer Gesellschaft . Diese Freiheit ist allerdings in Ge-
fahr, zum einen aufgrund des aggressiven Vorgehens, mit
dem Grenzen in Europa wieder mit militärischen Mitteln
verschoben werden, zum anderen aufgrund des Aufkom-
mens des IS-Terrors, im Zuge dessen ganze Staaten un-
terhöhlt, Menschen rücksichtslos gewaltsam ermordet
oder durch Terroranschläge getötet werden . Dieser dop-
pelten sicherheitspolitischen Bedrohung müssen wir ein
klares Signal entgegensetzen, und zwar durch Bündnis-
treue und Verlässlichkeit .

Insbesondere unsere Partner in den baltischen Staa-
ten und in Polen machen sich Sorgen um die Integrität
ihres Staatsgebietes . Gerade wir in Deutschland können
dies nachempfinden. Deswegen ist es gut, dass wir die
NATO-Pläne in Warschau konkretisieren, dass wir mit ei-
ner Enhanced Forward Presence, einer „Vorne-Präsenz“,
deutlich machen: Wir stehen füreinander ein . Warum und
mit welchem Ziel? Mit dem Ziel, einem möglichen Ag-
gressor deutlich zu machen, dass er sich, wenn er Grenzen
überschreiten sollte, nicht nur mit einem Land anlegt, son-
dern mit allen, und mit dem klaren Ziel, dass dies mög-
lichst nicht geschieht . Dieses Vorgehen ist in Bezug auf
den Personalumfang und durch die rotierenden Formatio-
nen im Einklang mit der NATO-Russland-Grundakte . Es
bleibt unverrückbar, dass die NATO-Russland-Grundakte
durch die Annexion der Krim gebrochen worden ist; das
müssen wir immer wieder ganz deutlich herausstellen . Wir
lassen unsere Verbündeten nicht allein, und wir lassen uns
durch Drohungen auch nicht einschüchtern . Das ist bei-
leibe kein Säbelrasseln, sondern Ausdruck politischer Ver-
antwortung für Frieden und Freiheit in Deutschland und
Europa . Ich danke unserer Bundeskanzlerin und unserer
Bundesverteidigungsministerin, dass sie keinen Zweifel
daran aufkommen lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der osteuropäische NATO-Deich muss so erhöht wer-
den, dass Aggressionen nicht überschwappen können,
und er muss so stabil sein, dass auch eine Unterhöhlung
durch eine hybride Kriegsführung mittels Propaganda
nicht gelingen kann . Eine solche Garantiestellung darf
aber keine Einbahnstraße sein . Alle osteuropäischen
NATO-Partner sind aufgefordert, das Mögliche zu tun,
um ihre Strukturen zu stärken . Wir wollen mit einer kla-
ren Dialogbereitschaft und mit einer klaren abschrecken-
den Verteidigungsstrategie deutlich machen, dass diese
Investition der beste Schutz der Sicherheit sozusagen im
inneren Ring ist .

Aber auch der äußere Ring muss vor dem weltweit
agierenden Terrorismus geschützt werden . Terrororga-
nisationen wie al-Qaida, al-Nusra, Boko Haram, Taliban
oder eben der IS sind eine Bedrohung für den Weltfrie-
den . Dem stellen wir uns aus unserer Überzeugung für

eine zivilisierte Welt entgegen – zur Wahrung der Men-
schenrechte und zum Schutz unserer Bündnispartner . Wir
wollen uns Gefahren dort entgegenstellen, wo sie entste-
hen . Deswegen ist es gut, dass wir Länder wie Afghanis-
tan und Irak auf ihre Einladung hin unterstützen, dass wir
sie in die Lage versetzen, für Stabilität und Sicherheit im
eigenen Land zu sorgen, indem wir sie im Kampf un-
terstützen, aber vor allem auch bei der Ausbildung, über
Beratung und Ertüchtigung, immer orientiert an der je-
weiligen Lage, immer orientiert am besten Einsatz der
Institutionen, Vereinte Nationen, OSZE, EU oder auch
NATO .

Die Gleichzeitigkeit und Schnelligkeit der Krisen for-
dern uns . Das ist eine Herausforderung . Ebenso haben
wir eine unsichtbare Herausforderung, nämlich die Ge-
fahr im Cyberraum . Darauf wird mit dem Weißbuch aus
dem Verteidigungsministerium ein deutlicher Schwer-
punkt gelegt . Wir müssen uns diesen Gefahren entge-
genstellen; denn Angriffe über Server in allen Teilen der
Welt, deren Wirkung erst später sichtbar wird, können
verheerende Konsequenzen haben .

Zusammengefasst: Der NATO-Gipfel muss auf die
gleichzeitigen Herausforderungen, denen wir gegenüber-
stehen, Antworten finden, und zwar immer im Geiste der
Kooperation, immer im Geiste der Diplomatie . Wir wol-
len, dass unsere Werte und Grundsätze gelebt, geschützt
und auch verteidigt werden können . Freiheit kann es nur
mit Sicherheit geben . Gemeinsam sind wir stark – ges-
tern, heute und auch morgen für die nächsten Generati-
onen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Wolfgang Hellmich [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818302800

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist

Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1818302900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Las-

sen Sie mich als abschließender Redner meiner Fraktion
und auch in dieser Debatte einige Aspekte beleuchten,
die mir besonders wichtig sind und die in dieser Form
vielleicht noch nicht angesprochen worden sind .

Am heutigen Tag möchte ich in Anlehnung an einen
berühmten Satz aus dem Fußball sagen: 29 Freunde
müsst ihr sein . – Ich möchte damit sagen, dass die NATO
ein Wertebündnis ist und dass die Parlamentarier und die
Regierungen, die in der NATO zusammenarbeiten, ein
Stück weit den Geist ausstrahlen sollten, den wir von un-
seren Soldatinnen und Soldaten erwarten, die innerhalb
der NATO zusammenarbeiten, nämlich Fairness und Ka-
meradschaftlichkeit .

Artikel 3 des Washingtoner Vertrages, also des
NATO-Vertrages, besagt: Gegenseitige Unterstützung
ist eine der wichtigen Aufgaben des Bündnisses . Vor
diesem Hintergrund waren wir ziemlich befremdet, als

Henning Otte






(A) (C)



(B) (D)


die türkische Regierung vor einigen Wochen zunächst
den Zugang von Journalisten im Rahmen der Pressear-
beit der Bundeswehr zu den deutschen Soldaten in der
Türkei verhinderte und dann auch noch die Reise unse-
res Parlamentarischen Staatssekretärs . Das führt mich zu
dem Gedanken: Vielleicht sollten wir angesichts solcher
unakzeptablen Vorgänge einmal auf NATO-Ebene in al-
ler Ruhe über eine Verfahrensordnung nachdenken, mit
der geregelt wird, wie mit den Wünschen von Regierun-
gen oder Parlamentariern, ihre eigene Truppe in einem
anderen Land zu besuchen, umzugehen ist . Ich hatte ge-
dacht, das wäre selbstverständlich . Ein Regelwerk dazu
gibt es bisher nicht . Deswegen rege ich an – vielleicht
nicht auf dem Gipfel, aber im NATO-Rat –, einmal darü-
ber nachzudenken, wie man hier zu besseren Ergebnissen
kommen könnte; denn es ist schlicht unakzeptabel, dass
die Bürgerarmee Bundeswehr in der Türkei von Abge-
ordneten und Regierungsmitgliedern nicht besucht wer-
den darf .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der zweite Aspekt, auf den ich hinweisen möchte, ist:
Wer rüstet hier eigentlich auf? Ich möchte an dieser Stel-
le in Erinnerung rufen: Es geht nicht nur um den Ein-
marsch Russlands auf der Krim und um die Einmischung
Russlands im Osten der Ukraine, sondern es geht auch
darum, dass die russische Regierung im Mai des vorletz-
ten Jahres anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahrestag
des Kriegsendes angekündigt hat, im großen Stil den Bau
einer neuen Generation von Panzern in Auftrag zu geben .
Wir wissen, dass diese Panzer vermutlich eher im Wes-
ten Russlands eingesetzt werden, also westlich des Urals,
und sind schon der Meinung, dass dieser Schritt eine
Aufrüstung Russlands darstellt, die wir nur mit großer
Sorge betrachten können . Wir haben ganz konkret mit
Blick auf das, was im Westen Russlands passiert, Kennt-
nis von öffentlichen Ankündigungen, dass drei Divisio-
nen umgruppiert werden . Mindestens 30 000 Soldaten
werden an der Westgrenze Russlands und an der Grenze
zur Ukraine verstärkt eingesetzt . Dagegen ist die Statio-
nierung von maximal 9 000 Soldaten, die die NATO im
Zuge ihres transparenten Plans zur Verstärkung der Sol-
daten im Osten Europas aufbaut, doch nun wirklich eine
vergleichsweise milde und angemessene Reaktion . Das
als Einstieg in eine Aufrüstungsspirale zu sehen, finde
ich schlicht falsch . Das wird der Sache nicht gerecht .

Die Bundeswehr beteiligt sich ganz konkret in Litau-
en mit der Übernahme der Führung über ein Bataillon .
Wir sind im Übrigen auch in Polen beim Multinationalen
Korps stark engagiert, um nur zwei Beispiele zu nennen .
Deutschland wird seiner Bündnisverpflichtung also ge-
recht .

Zu einem dritten Aspekt, den ich kurz ansprechen will .
Es wird gelegentlich der Eindruck erweckt, auch durch
Äußerungen von Politikern in Deutschland, die NATO
hätte ein Defizit mit Blick auf den Dialog mit Russland.
Ich möchte dem ausdrücklich widersprechen . Man bietet
nicht nur häufig an, den NATO-Russland-Rat einzuberu-
fen, um mit Russland zu diskutieren – ich bin übrigens
der Meinung, dass das eines Tages auch im Ministerfor-
mat geschehen kann –, sondern es gibt auch auf ganz
vielen anderen Ebenen Gespräche zwischen NATO-Part-

nern und Russland . Das sind im Übrigen sehr konstruk-
tive Gespräche . Ich möchte ausdrücklich hervorheben,
dass ich mich gefreut und fast ein bisschen gewundert
habe, dass die neue UN-Resolution zu Libyen mit 15 : 0
durch den Sicherheitsrat gegangen ist, also ausdrücklich
mit Unterstützung Russlands . Eine Sprachlosigkeit zwi-
schen Russland und dem Westen kann ich insofern Gott
sei Dank nicht erkennen . Wir sollten uns diesen Schuh
auch nicht anziehen, zumal Deutschland hier eine füh-
rende Rolle innehat .

Der NATO-Gipfel findet in einer schwierigen Zeit
an einem bedeutenden Ort statt . Ich bin absolut sicher,
dass alle Staats- und Regierungschefs diesen Gipfel sehr
verantwortungsvoll nutzen werden, einerseits, um wei-
ter Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, andererseits,
um keinen Zweifel an unserer Verteidigungsfähigkeit zu
lassen . Das sind wir unseren Partnern im Osten Europas
schuldig .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1818303000

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/9086 .

Die Kollegin Beck hat mir mitgeteilt, dass sie an die-
ser Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung
nicht teilnimmt . Sie hat eine persönliche Erklärung vor-
gelegt, die wir dem Protokoll beifügen .1)

Ich lasse jetzt über diesen Entschließungsantrag ab-
stimmen . Wer stimmt dem Entschließungsantrag zu? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
der Entschließungsantrag mit den Stimmen aller übrigen
Fraktionen abgelehnt .

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 5:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz-
buches – Verbesserung des Schutzes der se-
xuellen Selbstbestimmung

Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/8767
Nr. 3

– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Halina Wawzyniak, Cornelia
Möhring, Frank Tempel, weiteren Abge-
ordneten und der Fraktion DIE LINKE ein-
gebrachten Entwurfs eines ... Strafrechts-
änderungsgesetzes zur Änderung des
Sexualstrafrechts (… StrÄndG)


Drucksache 18/7719

– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate

1) Anlage 2

Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)


Künast, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Strafgesetzbuches zur Ver-
besserung des Schutzes vor sexueller Miss-
handlung und Vergewaltigung

Drucksache 18/5384

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/9097

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden
wir später drei namentliche Abstimmungen durchführen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Das ist offen-
kundig einvernehmlich . Also können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Eva Högl für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1818303100

Einen schönen guten Morgen! Sehr geehrter Herr

Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen heute im
Deutschen Bundestag eine Reform des Sexualstrafrechts
beschließen . Wir wollen mit dieser Reform endlich den
Grundsatz „Nein heißt nein“ ins deutsche Strafgesetz-
buch schreiben .


(Beifall im ganzen Hause)


Wir wollen, dass jede nicht einvernehmliche sexuelle
Handlung künftig unter Strafe gestellt wird . Wer gegen
den erkennbaren Willen eine sexuelle Handlung an einer
anderen Person vornimmt, macht sich künftig strafbar .
Das ist eine wirklich wegweisende Reform . Wir nennen
das auch einen Paradigmenwechsel . Außerdem wollen
wir die sexuelle Belästigung endlich unter Strafe stel-
len . Bisher ist es so, dass viele sexuelle Belästigungen
unterhalb der Erheblichkeitsschwelle sind und nicht mit
dem Strafrecht geahndet werden können . Das wollen wir
ändern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und wir wollen bestrafen, wer sich an einer Gruppe be-
teiligt, wenn aus der Gruppe heraus Straftaten gegen die
sexuelle Selbstbestimmung begangen werden . Das ist
eine wegweisende Reform .

Wir können mit dieser Reform auch die Istanbuler
Konvention ratifizieren, die 2011 unterschrieben wurde.
Sie kann jetzt endlich umgesetzt werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Das wurde auch Zeit!)


– Das wurde auch Zeit .

Eine solche Reform hat immer viele Väter und Müt-
ter, in diesem Fall ganz besonders viele Mütter . Deswe-

gen möchte ich an dieser Stelle den vielen danken, die
an dieser Reform mitgearbeitet haben; denn so etwas
ist immer Teamwork . Verbände, Vereine und Einzelper-
sonen haben uns ganz tatkräftig unterstützt . Ich möchte
hier einige stellvertretend für viele andere herausheben .
Einige von ihnen haben wir eingeladen, heute an unserer
Debatte teilzunehmen . Ich begrüße sie auf der Tribüne
ganz herzlich .


(Beifall)


Herzlichen Dank an Katja Grieger und den Bundesver-
band der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe für
die profunde Analyse der Strafbarkeitslücken, die eine
gute Grundlage für unsere Debatte war .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herzlichen Dank dem Deutschen Juristinnenbund, stell-
vertretend Dagmar Freudenberg, dem Deutschen Institut
für Menschenrechte, hier insbesondere an Heike Rabe,
der Rechtsanwältin Christina Clemm, der Professorin
Tatjana Hörnle, dem Professor Jörg Eisele und vielen an-
deren für guten juristischen Rat, für Unterstützung und
für Hilfestellung bei den Formulierungen .

Ich möchte mich auch ausdrücklich nicht nur beim
Koalitionspartner für die guten Gespräche bedanken,
sondern auch bei den Kolleginnen und Kollegen der
Opposition . Vielen Dank für den guten Austausch, der
ermöglicht, dass wir heute – mit großer Mehrheit hof-
fentlich – diese Reform im Deutschen Bundestag be-
schließen können . Auch dafür an dieser Stelle ganz herz-
lichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als erste Rednerin in dieser Debatte möchte ich, lie-
ber Heiko Maas, auch dem Bundesministerium der Justiz
und für Verbraucherschutz zunächst einmal für den guten
Gesetzentwurf, der vor einem Jahr, im Sommer 2015,
vom Bundesjustizministerium vorgelegt wurde und der
Strafbarkeitslücken schließen wollte, danken . Das war
das Ansinnen . Damals – daran muss ich an dieser Stel-
le auch erinnern – war in unserer Koalition nicht mehr
möglich . Damals ging schon dieser Gesetzentwurf aus
dem Haus von Heiko Maas dem Koalitionspartner zu
weit, weswegen er lange blockiert wurde .


(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Stimmt ja gar nicht!)


Jetzt haben die Parlamentarierinnen und Parlamentari-
er die Initiative ergriffen . Es gab eine Möglichkeit, wei-
terzugehen . Deswegen, lieber Heiko Maas, möchte ich
mich an dieser Stelle für die tolle Unterstützung bedan-
ken . Bis zur letzten Minute hat das Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz uns Abgeordnete
mit fachlichem Rat und guten Formulierungen unter-
stützt . Dafür herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Ein Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den
Kritikern . Uns wird vorgeworfen, diese Reform grei-
fe viel zu weit und produziere Beweisschwierigkeiten .
Diese Argumente kennen wir schon aus der Debatte um
die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe . Erst seit
1997 – man mag es sich kaum vorstellen – ist die Verge-
waltigung in der Ehe strafbar .

Ja, meine Damen und Herren, wir gehen weit . Wir ver-
schärfen das Strafrecht, verschärfen es ganz ordentlich;
denn wir wollen das Recht auf sexuelle Selbstbestim-
mung ganz ausdrücklich stärken . Das tun wir auch mit
den Mitteln des Strafrechts, indem wir die Täter schärfer
bestrafen .


(Beifall bei der SPD)


Bei der sexuellen Selbstbestimmung gibt es ganz
häufig Situationen, in denen nur zwei Personen beteiligt
sind, und natürlich produziert das auch Beweisschwie-
rigkeiten . Aber das ist schon jetzt so, und das wird sich
durch unsere Reform nicht verändern . Ich vertraue ganz
ausdrücklich auf die guten Staatsanwältinnen und Staats-
anwälte, auf die Strafgerichte, die mit hoher Kompetenz
in der Lage sind, die Aussagen gegenüberzustellen und
zu bewerten und dann auch die richtigen Urteile zu spre-
chen . Das wird sich mit unserer Reform nur verstärken,
aber keinesfalls verschlechtern .

Meine Damen und Herren, wenn wir das Strafrecht
reformieren, dann ist das ein wichtiger Baustein, über
den wir heute beraten . Aber was wir vor allen Dingen
brauchen, ist eine tatkräftige Unterstützung für Opfer
von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung . Wir
brauchen Schutz für Opfer . Wir brauchen Beratungs- und
Hilfsangebote, und wir brauchen vor allen Dingen eine
flächendeckende Möglichkeit der anonymen Dokumen-
tation solcher Straftaten, damit die Opfer die Möglichkeit
haben, sich in Ruhe zu überlegen, ob sie die Straftat an-
zeigen oder nicht . Das sind weitere wichtige Begleitmaß-
nahmen, die wir zusätzlich benötigen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine letzte Bemerkung in Richtung des Koalitions-
partners . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich
schon für die guten Gespräche und die gute Verhandlung
bedankt . Wir haben in dieser Legislaturperiode die Quote
gemeinsam verabschiedet; das war ein langer Weg . Wir
haben gute Überzeugungsarbeit geleistet, konnten sie im
März verabschieden . Wir verabschieden heute die Re-
form des Sexualstrafrechts . Diese Reform wurde lange
blockiert, jetzt haben Sie sich von uns überzeugen lassen .
Das ist gut so .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist die Unwahrheit! Das stimmt ja gar nicht! Eine Frechheit! Der Herr Maas hat keinen Entwurf vorgelegt!)


Ich würde gern in dieser Legislaturperiode, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, noch einen dritten Schritt mit Ih-

nen gemeinsam gehen und auch die Lohngleichheit ver-
abschieden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das darf in dieser Debatte auch gesagt werden . Dann
hätten wir in dieser Koalition einen ganz wunderbaren
Dreiklang aus Quote, Sexualstrafrecht und Lohngleich-
heit .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818303200

Vielen Dank, Eva Högl . – Schönen guten Morgen, lie-

be Kolleginnen und Kollegen, von meiner Seite! Nächste
Rednerin: Cornelia Möhring für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Cornelia Möhring (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818303300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass wir hier heute den Grundsatz des „Nein heißt nein“
endlich verankern, ist tatsächlich ein großartiger Erfolg .
Es ist ein Erfolg aller Fraktionen im Bundestag und be-
sonders – das hat Kollegin Högl schon gesagt – ist es
auch ein Erfolg der Frauen in Beratungsstellen und Not-
rufen, die mit ihren Organisationen und Verbänden seit
sehr vielen Jahren dafür gekämpft haben .


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Wir wissen, dass viele von ihnen heute hier sind . Ich
möchte ihnen noch einmal ausdrücklich danken . Ich bin
mir sicher: Ohne sie wären wir heute tatsächlich noch
nicht so weit gekommen . Ich hätte vor zwei Jahren auch
nicht geglaubt, dass wir es tatsächlich in dieser Legisla-
turperiode schaffen .

Mir scheint es aber aus mehreren Gründen wichtig,
hier ausdrücklich zu betonen, dass die Änderung des
§ 177 StGB auf ein Problem reagiert, das es schon sehr
viel länger gibt als erst seit Silvester .


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kollegin Högl hat schon an die aufrüttelnde Studie
des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und
Frauennotrufe, bff, erinnert . In dieser Studie wurde die
Notwendigkeit der Reform des Sexualstrafrechts sehr
anschaulich nachgewiesen . Die Zahlen gingen vor zwei
Jahren durch die Medien . Da hieß es: In den Jahren 2001
bis 2012 wurden jährlich 8 000 Vergewaltigungen ange-
zeigt . Aus diesen 8 000 Anzeigen folgten durchschnitt-
lich pro Jahr 1 314 Anklagen, und daraus folgten pro Jahr
986 Verurteilungen . Gemessen an der Zahl der Anzeigen
liegt die Verurteilungsquote damit bei gerade einmal
8,4 Prozent . Der Anteil der Frauen, die eine erlebte Ver-
gewaltigung nicht anzeigen, liegt nach unterschiedlichen
Studien bei 84,5 bis 95 Prozent . Andersherum gesagt: Nur
5 bis 10 Prozent bringen überhaupt eine Vergewaltigung
zur Anzeige, sicherlich auch deshalb, weil die meisten
Vergewaltigungen bisher gar nicht als strafwürdig galten .

Dr. Eva Högl






(A) (C)



(B) (D)


Nun macht sich strafbar, wer gegen den erkennbaren
Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an
dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt .
Eine Frau muss also nicht schreien oder sich körperlich
wehren . Sexuelle Handlungen gegen ihren Willen sind
auf jeden Fall Unrecht . Erniedrigende Erlebnisse wie
die, wenn es früher im Gerichtssaal hieß, die angezeigte
Vergewaltigung sei gar keine, weil die Frau sich nicht
ausreichend gewehrt hätte, sind nun hoffentlich bald Ge-
schichte .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Linke sagt Ja zu dem neuen Grundtatbestand „Nein
heißt nein“ . Die Linke wird diesem Paragrafen geschlos-
sen zustimmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber Sie werden heute auch Regelungen auf den Weg
bringen, denen wir uns als Linke nicht anschließen kön-
nen . So wollen Sie sexualisierte Straftaten aus Gruppen
heraus gesondert unter Strafe stellen . Gemeinschaft-
liche Handlungen, Mittäterschaften sind aber bereits
strafrechtlich erfasst . Wenn Sie sich einmal bitte an die
Debatten im Zusammenhang mit den Übergriffen in der
Silvesternacht erinnern, dann wissen Sie doch um das
riesige Gewicht, das rassistische Bilder und Argumen-
tationen eingenommen haben . Dann müsste Ihnen doch
klar sein, dass Sie solche Bilder, das Problem sei vor
allem sexualisierte Gewalt aus migrantischen Gruppen,
damit verstärken . Sie wissen aber auch, dass die überwie-
gende Mehrheit der Täter bei Vergewaltigungen aus dem
Nahbereich kommt . Ich wiederhole: Gemeinschaftliche
Handlungen, Mittäterschaften sind bereits strafrechtlich
erfasst .

Trotz dieser grundsätzlichen Kritik hätten wir wahr-
scheinlich nicht nur zum neuen § 177, dem „Nein heißt
nein“, Ja gesagt, sondern zum gesamten Gesetzentwurf .
Aber dann haben Sie am Montag ohne Ankündigung
Änderungen eingereicht, mit denen Sie die notwendigen
Veränderungen des Sexualstrafrechts mit einer erneuten
Verschärfung des Aufenthaltsrechts verknüpfen . Sie sa-
gen, Sie folgen damit der Logik Ihrer bereits im März
vorgenommenen Verschärfungen im Aufenthaltsrecht .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit wird es mitnich-
ten besser .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie lenken durch diese Verknüpfung den Blick vom
Selbstbestimmungsrecht der Frau, Nein zu sagen, erneut
auf den potenziellen Täter . So bedienen Sie Fremden-
feindlichkeit und instrumentalisieren unser hart erkämpf-
tes Frauenrecht . Das ist inakzeptabel und wird von der
Linken abgelehnt .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir werden uns deshalb insgesamt enthalten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818303400

Vielen Dank, Cornelia Möhring . – Nächste Rednerin:

Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Frak-
tion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1818303500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Wenn wir
gleich die Reform des Vergewaltigungsparagrafen ver-
abschieden, dann bringen wir eine gute und notwendige
Reform ins Gesetzblatt . Wir setzen damit die Diskussion
der letzten Monate um, die vor allem eins klar gezeigt
hat: Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung verträgt
keine Einschränkung .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Schutz darf nicht davon abhängen, dass sich das
Opfer vergeblich gewehrt und weitere Risiken in Kauf
genommen hat, sondern ein schlichtes „Nein“ muss rei-
chen . Allein am erkennbaren Willen des anderen in der
konkreten Situation entscheidet sich, ob eine sexuelle
Handlung schön und in Ordnung ist oder eben nicht,
und zwar unabhängig von irgendeiner vermeintlichen
Rechtsposition, irgendeiner Erwartung, einer Gegenleis-
tung, einer Bezahlung, unabhängig davon, ob der Wille
anfänglich einmal da war und sich dann geändert hat –
auch das ist jederzeit möglich –, und unabhängig von
einer Erkrankung oder einer Behinderung des Opfers .
Jeder, der einen Willen hat und ihn zum Ausdruck bringt,
ist in Zukunft durch diesen Grundsatz geschützt: „Nein
heißt nein“ .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Natürlich sind auch die anderen Konstellationen im
Gesetz klar erfasst . Nötigung, Gewalt, Überraschung,
K .-o .-Tropfen, Klima der Gewalt, das sind die Stichwor-
te, die hier zu nennen sind . Auch dafür gibt es passende
und effektive Regelungen . Vor allem: Das Prinzip „Nein
heißt nein“ bringt jetzt noch einmal ganz klar und für je-
den Mann und jede Frau verständlich ins Gesetz, wo die
rote Linie des strafbaren Unrechts beginnt, und es ist sehr
wichtig, dass diese Botschaft durch das Strafrecht auch in
die Gesellschaft hineingetragen wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In der Diskussion in den vergangenen Monaten habe
ich fast ausschließlich Zustimmung gehört . Hier und da

Cornelia Möhring






(A) (C)



(B) (D)


gab es die besorgte Frage, wie es denn mit der Beweis-
barkeit aussieht . Ich kann hier ganz klar beruhigen: Der
Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt weiterhin . Er ist im
Strafrecht essenziell . Daran ändert sich gar nichts .

Für mich war es wichtig, dass ich bei fast allen Men-
schen eine große Zustimmung erlebt habe . Bei vielen
jungen Frauen erlebte ich auch Erstaunen, dass das nicht
längst Gesetz ist . Bei älteren Frauen hörte ich manch-
mal – das hat mich dann auch sehr berührt – einen Unter-
ton der persönlichen Betroffenheit und der Genugtuung .
Aber auch von Männern habe ich ganz viel Zustimmung
erlebt, weil es heutzutage eben auch dem Selbstverständ-
nis der Männer entspricht, dass sexuelle Handlungen und
sexuelles Erleben auf dem Willen beider Partner beruhen
müssen . Hier lassen auch sie sich nichts sagen, und das
entspricht auch deren Lebensgefühl und -empfinden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Dass wir das heute gesetzlich regeln, ist ein großer
Erfolg der sprichwörtlich vielen Väter und diesem Fall
Mütter . Auch ich möchte den Frauenverbänden danken,
die uns mit ihrer Analyse der Schutzlücken hier wirklich
einen entscheidenden Impuls gegeben haben . Er hat dazu
geführt – das darf ich hier auch noch einmal feststellen –,
dass sich die Rechtspolitiker der Union schon frühzeitig,
nämlich bereits vor zwei Jahren, ganz klar dazu positio-
niert und gesagt haben, dass sie hier einen Reformbedarf
sehen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Ist gar nicht aufgefallen! – Dr . Johannes Fechner [SPD]: War aber gut versteckt! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ist uns aber nicht aufgefallen!)


Auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition ha-
ben das gemacht . Wir haben Pressemitteilungen heraus-
gegeben und Pressegespräche dazu geführt . – Wenn ihr
das nicht mitbekommen habt, dann ist das euer Problem .
Ich kann das beweisen und belegen . Das war schon ganz
früh unsere Position .

Wir haben uns dann gemeinsam auf einen langen Weg
gemacht, und schon ein Jahr später hat der Justizminister
einen Entwurf vorgelegt,


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


der uns viel Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben hat,
und das Nachbessern war auch schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Sie wollten ihn nicht! Er ging Ihnen zu weit! Ein halbes Jahr lag er im Kanzleramt! Ein halbes Jahr hat es euch nicht interessiert!)


Die Fraktion hat das Thema beackert und vorangetrie-
ben, und die Frauen-Union hat dafür gesorgt, dass die an-
gesprochenen klaren Aussagen zu diesem Thema in die
Mainzer Erklärung gekommen sind .


(Ulli Nissen [SPD]: Die SPD-Frauen haben das schon zig Jahre gefordert! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum habt ihr es mit Rot-Grün nicht hingekriegt?)


Wir haben den Ball dann gemeinsam mit den Frauen der
Koalition aufgegriffen, und ein paar furchtlose Männer
waren auch dabei .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau! Aus der CDU/CSU! – Ulli Nissen [SPD]: Viele Hundert Mütter und viele Hundert Väter!)


Ich denke, das ist das Entscheidende: Wir haben jetzt
eine gute Regelung vorgelegt, die auch ins Gesetzblatt
kommt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD])


Ich danke an dieser Stelle den Mitarbeitern, die uns
hier sehr geholfen haben; das muss ich wirklich sagen .
Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern aus dem Ministeri-
um, die am Ende doch nicht beleidigt waren, dass wir den
ursprünglichen Entwurf noch einmal grundlegend über-
arbeitet haben, und uns auf den letzten Metern auch noch
sehr geholfen haben . Auch dafür vielen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir führen zwei neue Tatbestände ein . Wir stellen
das Grapschen unter Strafe, das bisher die Erheblich-
keitsschwelle des alten Vergewaltigungsparagrafen nicht
überschritten hat. Der flüchtige Griff an den Po oder an
die Brust wird damit sanktioniert . Auch hier ist der er-
kennbare Wille des Gegenübers der Maßstab . Der zweite
Tatbestand stellt den Übergriff aus einer Gruppe heraus
auf ein bedrängtes Opfer unter Strafe . Aus der Perspek-
tive des Opfers ist dieser Übergriff ein ganz besonders
traumatisches Erlebnis . Die Opfer schildern das Gefühl
von Ohnmacht, Angst und Ekel und sagen, dass sie die-
ses Gefühl nicht mehr loswerden .

In dieser Konstellation ist es eben typisch, dass dem
Mitmacher in der dritten oder vierten Reihe nicht mehr
genau nachgewiesen kann, dass er wusste, was die da
vorne machen, und diesen Vorsatz in sein Handeln mit
aufgenommen hat .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Problem!)


Wir sind aber der Auffassung, dass derjenige, der in der
dritten oder vierten Reihe durch sein Mitdrängen das Ge-
fahrenpotenzial für das Opfer erhöht, die Verletzung des
Opfers mitverursacht und sein Verhalten ein erhebliches
Unrecht darstellt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818303600

Frau Kollegin .


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1818303700

Deshalb halten wir es für richtig, auch daran schon

anzuknüpfen und dieses Verhalten unter Strafe zu stellen .
Der Täter muss diese beiden Elemente in seinen Vorsatz

Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


aufnehmen: Er muss wissen, dass er mitmacht, und er
muss wissen, dass diese Gruppe Straftaten begeht . Wenn
dann noch als objektive Bedingung der Strafbarkeit ein
sexueller Übergriff hinzukommt, dann ist das sanktio-
nierbar .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818303800

Frau Kollegin, Ihre Redezeit .


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1818303900

Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, die Ver-

bindlichkeit des „Nein heißt nein“ verträgt keine Ein-
schränkung . Das gilt auch hier . Ich denke, das ist die
wichtige und gute Botschaft des heutigen Tages, nicht
nur, aber vor allem für Mädchen und Frauen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818304000

Vielen Dank, Elisabeth Winkelmeier-Becker . – Nächs-

te Rednerin: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818304100

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Wir haben es tatsächlich geschafft: Künftig wird
jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen
einer Person unter Strafe gestellt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Mit diesem neuen Grundtatbestand in § 177 StGB wird
die sogenannte „Nein heißt nein“-Lösung rechtstech-
nisch konsequent umgesetzt .

Meine Fraktion hat genau diesen Vorschlag schon im
letzten Sommer in einem Gesetzentwurf eingebracht .
Umso mehr freue ich mich, dass auch Sie sich letztlich
auf diese Formulierung geeinigt haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Bei dieser Gelegenheit will ich noch einmal betonen,
dass weder die Ereignisse von Köln noch irgendwelche
laufenden Strafverfahren Auslöser dieser Reform waren .
Wir haben uns allesamt mit der Rechtsprechung der letz-
ten Jahrzehnte ausführlich auseinandergesetzt, die einen
etwas früher, die anderen etwas später . Aber am Ende
wollen wir nicht kleinlich sein: Das Ergebnis zählt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Leider haben Sie sich nicht dazu durchringen können,
diesen Gesetzentwurf mit uns gemeinsam fraktionsüber-
greifend einzubringen . Vielleicht hätten wir Sie in diesem
Zusammenhang davon überzeugen können, den überflüs-

sigen § 184h StGB mit seiner Erheblichkeitsschwelle im
vorliegenden Gesetzentwurf zu streichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Unerhebliche Handlungen können nämlich per se nicht
strafbar sein . Das gilt für alle Strafrechtsgüter und damit
auch für die sexuelle Selbstbestimmung .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn wir dann noch die Strafandrohung im geplanten
§ 177 Absatz 1 StGB im Gesetzentwurf herabgesetzt hät-
ten, wäre ein gesonderter Straftatbestand der sexuellen
Belästigung komplett überflüssig geworden.

Aber wenn das der einzige Schönheitsfehler gewesen
wäre, hätten wir für heute keine getrennte Abstimmung
verlangen müssen . Stattdessen haben Sie wieder einmal
ein Koalitionspaket geschnürt, in dem sich die CSU mit
einem ebenso populistischen wie verfassungswidrigen
Straftatbestand verewigen durfte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Mit dem neu eingeführten § 184j StGB wollen Sie allen
Ernstes eine Gruppenzugehörigkeit unter Strafe stellen .
So etwas geht in unserer Rechtsordnung gar nicht . Das
ist auch gut so .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nach unserer Verfassung kann jede und jeder nur für
seine eigene individuelle Schuld bestraft werden, sei es,
weil er selbst Mittäter ist, sei es, weil er Beihilfe geleistet
hat, sei es, weil er zu einer Tat angestiftet hat . Wenn all
diese Voraussetzungen nicht vorliegen, können wir nicht
darauf ausweichen, jemanden wegen der Zugehörigkeit
zu einer Gruppe, also quasi wegen Sippenhaft, zu ver-
urteilen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Daran ändert auch der geänderte Satzanfang nichts, in
dem es heißt: „Wer eine Straftat dadurch fördert . . .“ .
Auch diese Person kann nur wegen der Straftat, die sie
gefördert hat, verfolgt werden, nicht wegen einer völlig
anderen Straftat .


(Zuruf des Abg . Alexander Hoffmann [CDU/ CSU])


Das Fallbeispiel, Herr Hoffmann, geht so: Eine Grup-
pe von Jugendlichen, zu denen zufällig Ihr 16-jähriger
Sohn gehört, beschließt, einem ortsbekannten Schlä-
ger und Drogendealer einmal ordentlich die Meinung
zu sagen . Sie erwischen ihn nach dem Kino mit seiner
Freundin, drängen ihn in eine dunkle Ecke und drohen
ihm Schläge an, wenn er noch einmal in dem Viertel auf-
taucht . Eine solche Bedrohung ist eindeutig eine Straftat,
auch wenn Ihr Sohn irrigerweise glaubt, er sei für Frie-
den und Freiheit unterwegs . Dummerweise steht an die-
sem Abend auch ein Ihrem Sohn völlig Unbekannter in
der Gruppe, der vor dem Auseinanderlaufen der Freun-
din des Bedrohten in den Schritt greift und an den Busen

Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


grapscht . Dumm gelaufen für Ihren Sohn; denn er wird
künftig damit leben müssen, wegen einer Sexualstraftat
vorbestraft zu sein .


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Genau das wird nicht erfasst!)


Was die Beteiligung an einer Gruppe überhaupt be-
deutet, bleibt völlig nebulös . Zur Beruhigung schreiben
Sie in Ihrer Gesetzesbegründung, dass reine Ansamm-
lungen von Menschen nicht gemeint sind . Ich zitiere
wörtlich aus der Gesetzesbegründung:

… zum Beispiel macht sich nicht strafbar, wer in
der überfüllten U-Bahn mitfährt, in der eine andere
Person sexuelle Handlungen … vornimmt …

Jetzt sind wir aber echt beruhigt, dass wir noch U-Bahn
fahren dürfen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Mit diesen rechtsstaatlich nicht tragbaren Konstruk-
tionen zwingen Sie uns heute zu einer getrennten Ab-
stimmung . Montagnachmittag haben Sie uns dann noch
eine Änderung des Aufenthaltsrechts untergejubelt, mit
der Sie die Verschärfung der Verschärfung zur Sicherheit
noch einmal verschärfen . Bei der Abschiebung Straffäl-
liger wird jetzt auf den neuen § 177 StGB verwiesen, der
aber ganz anders als der bisherige Tatbestand viel nied-
rigschwelligere sexuelle Handlungen erfasst und weder
Gewalt noch Nötigung zur Tatbestandsvoraussetzung
hat . Das ist schlicht unverhältnismäßig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818304200

Denken Sie an die Redezeit!


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818304300

Einem solchen Paket inklusive verfassungswidriger,

populistischer Straftatbestände können wir Grünen am
Ende nicht zustimmen . Viele in meiner Fraktion bedau-
ern das sehr, zumal wir die Ersten waren, die den heuti-
gen Vorschlag eines § 177 StGB entwickelt und einge-
bracht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber immerhin: Diesen Erfolg kann uns jetzt niemand
mehr nehmen . Der neue § 177 StGB ist ein Meilenstein
für den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in die-
sem Land, und darauf kommt es am Ende an .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818304400

Vielen Dank, Katja Keul . – Nächste Rednerin:

Dr . Carola Reimann für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1818304500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 30 Jah-
ren kämpfen Frauen dafür, dass das Recht auf sexuelle
Selbstbestimmung besser geschützt wird . Die heutige
Reform des Sexualstrafrechts mit der klaren Botschaft
„Nein heißt nein“ wäre ohne dieses Engagement nicht
möglich gewesen .

Der Gesetzentwurf ist also nicht einfach eine schlich-
te Reaktion auf die Vorfälle in der Silvesternacht . Er
ist vielmehr Ergebnis des beharrlichen Einsatzes vieler
Frauen innerhalb, aber auch außerhalb des Parlaments .
Dafür möchte ich mich bei ihnen – einige sind heute auch
anwesend – herzlich bedanken .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kolleginnen und Kollegen, bereits 2011 hat Deutsch-
land die Istanbul-Konvention unterzeichnet . Darin ist
unmissverständlich festgehalten – das hat die Kollegin
Högl heute Morgen schon angesprochen –, dass jegliche
nicht einvernehmliche sexuelle Handlung strafbar sein
soll . Andere Länder, zum Beispiel Österreich, haben die-
se Konvention und das Prinzip „Nein heißt nein“ bereits
umgesetzt . Es wird jetzt höchste Zeit, dass auch wir die-
sen Paradigmenwechsel in unserem Sexualstrafrecht mit
dieser Reform umsetzen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn es geht nicht um Lappalien oder Kavaliersde-
likte . Wer mit Frauenberatungsstellen spricht, der weiß,
welch schwerwiegende Folgen sexuelle Übergriffe ha-
ben . Viele Frauen haben sexualisierte Gewalt in ihrem
Alltag erlebt, und sie tragen an diesen Erlebnissen oft
ihr Leben lang. Das Perfide an solchen Übergriffen ist,
dass sie häufig nicht, wie landläufig gedacht wird, nachts
in dunklen Ecken passieren, wo ein Fremder einer Frau
auflauert. Nein, Übergriffe finden oft dort statt, wo sich
das ganz normale Leben abspielt – in der U-Bahn, in den
Klubs oder auf Festivals –, und sie sind auf erschrecken-
de Art und Weise Teil des Alltags .

Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit dieser Reform
auch mit dem neuen Straftatbestand der sexuellen Beläs-
tigung eine klare Botschaft aussenden: Das sind keine
Kavaliersdelikte und keine Bagatellen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es sind Straftaten, die konsequent verfolgt werden müs-
sen . Grapschen ist kein Flirten . Das muss jetzt auch der
Letzte begriffen haben .


(Beifall im ganzen Hause – Ulli Nissen [SPD]: Auch auf dem Oktoberfest!)


Kolleginnen und Kollegen, wir wollen Frauen ermuti-
gen, diese Straftaten auch anzuzeigen . Mich ärgert, dass

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


in diesem Zusammenhang immer gleich die Gefahr von
Falschanzeigen heraufbeschworen wird .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Ja!)


Dabei liegt der Anteil gerade einmal bei 3 Prozent . Viel-
mehr muss uns doch beunruhigen – heute sind ja von der
Kollegin auch schon Zahlen zu Verurteilungen genannt
worden –, dass überhaupt nur 5 bis 10 Prozent aller straf-
baren sexuellen Übergriffe angezeigt werden . Alle ande-
ren Übergriffe bleiben für den Täter folgenlos, und das ist
doch der eigentliche Skandal .


(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kolleginnen und Kollegen, auch deshalb wollen wir
diese Reform auf den Weg bringen . Wir wollen eine ge-
sellschaftliche Sensibilisierung . Wir wollen das Thema
sichtbar machen und ermutigen, genauer hinzuschauen
und gegen sexuelle Übergriffe vorzugehen . Wenn uns
das gelingt, sind wir auf dem Weg zur Stärkung des
Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ein gutes Stück
vorangekommen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818304600

Vielen Dank, Carola Reimann . – Die nächste Redne-

rin: Halina Wawzyniak für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818304700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Es wäre ein richtiges Signal gewesen, wenn wir
uns fraktionsübergreifend auf eine Formulierung von
„Nein heißt nein“ verständigt hätten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden dieses „Nein heißt nein“ jetzt – das ist gut
so – mit übergroßer Mehrheit beschließen . Ich bin mir
sicher, wenn wir uns fraktionsübergreifend zusammen-
getan hätten, hätten wir ein Gesetz gehabt, bei dem es
vorrangig um die sexuelle Selbstbestimmung geht . Was
wir jetzt vorliegen haben, ist leider ein Gesetz, das in
wesentlichen Teilen das Politikverständnis weißer alter
Männer widerspiegelt;


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist unterirdisch, was Sie erzählen!)


denn es ist offensichtlich bei der Union nicht möglich,
die sexuelle Selbstbestimmung zu schützen, ohne gleich-
zeitig das Strafrecht auf den Kopf zu stellen und das Aus-
weisungsrecht auszuweiten .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn Sie sich einmal die Kollegin Winkelmeier Becker ansehen! Das ist ja wohl eine Frechheit!)


Sie führen dazu, dass die Debatte um die Verankerung
von „Nein heißt nein“ durch andere Debatten überlagert
wird, und das ist bitter und widert mich an .


(Beifall bei der LINKEN)


Die kurzfristige, erst am Montag vorgelegte Ände-
rung des Aufenthaltsrechts ist – mit Verlaub – eine miese
Nummer . Vor allem Sie von der Union haben mit dieser
Änderung einen Diskurs gestärkt, der unmittelbar nach
den Vorfällen in Köln schon einmal lief, der dann aber so
war, dass wir eine Debatte darum führen konnten, wie die
sexuelle Selbstbestimmung gesichert werden kann . Jetzt
müssen wir überall und immer wieder erklären, dass es
gerade nicht so ist, dass die Zugezogenen für Straftaten
nach dem Sexualstrafrecht besonders anfällig sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Was tun Sie nun eigentlich, außer dass Sie eine Debatte
vergiften? Sie haben gerade im März das Ausweisungs-
recht geändert . Dort haben Sie das Strafmaß gesenkt
und die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
aufgenommen, sobald sie mit Gewalt begangen werden,
durch Drohung mit Gefahr für Leib und Leben oder mit
List – und das ist eben die überwiegende Anzahl der
Straftaten, die wir bei § 177 StGB haben .

Doch was tun Sie jetzt? Mit der Änderung ist es mög-
lich, dass ein aufgedrängter Zungenkuss ein Grund sein
kann, die Flüchtlingseigenschaft zu verlieren und ausge-
wiesen zu werden .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Aufgedrängt, das finden Sie gut? Das finden Sie toll? – Ulli Nissen [SPD]: Ich möchte auch keinen aufgedrängten Zungenkuss haben! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Genau das wollen Sie, Herr Hoffmann, Sie sagen es
gerade, und das ist angesichts der Tatsache Ihrer Rede
im März, in der Sie lauter Einwände gegen „Nein heißt
nein“ hatten – Sie erinnern sich: das war die peinliche
Rede, wo die Dame die Kontrolle verliert und es dann
zum Äußersten kommt –, mit Verlaub bigott .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben offensichtlich das Thema Sexualstrafrecht erst
nach den Vorfällen in Köln als Thema begriffen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Murks in diesem Gesetz wird auch noch einmal
beim Gruppenparagrafen deutlich; Frau Keul hat bereits
darauf hingewiesen . Was passiert da jetzt eigentlich?
Menschen schließen sich zusammen, wollen jemandem
das Smartphone oder die Geldbörse klauen, einer aus die-
ser Gruppe begeht eine Sexualstraftat, und alle – alle! –
aus dieser Gruppe sind wegen der Sexualstraftat bestraf-
bar . Das ist absurd und widerspricht dem strafrechtlichen
Schuldprinzip .

Dr. Carola Reimann






(A) (C)



(B) (D)


Es gibt noch etwas anderes . Sie erwähnen in der Be-
gründung explizit, dass die Normen für Täterschaft, Teil-
nahme und Anstiftung im Gesetz hier nicht gelten sollen,
sondern Beteiligung im umgangssprachlichen Sinne zu
verstehen ist . Das setzt dem Ganzen die Krone auf . Der
Verweis auf die Beteiligung an einer Schlägerei – Herr
Hoffmann wird später dazu noch lang und breit ausfüh-
ren – funktioniert hier nicht . Bei der Beteiligung an einer
Schlägerei wird die Folge dieser Handlung – Tod oder
schwere Körperverletzung – bestraft .


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Für jemanden, der applaudiert!)


Hier haben Sie ein zusätzliches Delikt . Das stellt das
Strafrecht auf den Kopf .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss . Es ärgert mich massiv, dass
Sie die gute Initiative für ein „Nein heißt nein“ durch die-
se beiden Regelungen diskreditieren .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie haben das nicht verstanden!)


Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung hätte etwas
Besseres verdient als die Ergänzung der von Ihnen vor-
geschlagenen Punkte .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818304800

Vielen Dank, Halina Wawzyniak . – Nächste Rednerin:

Annette Widmann-Mauz für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1818304900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Ich will es uns doch antun, uns noch einmal an die
Silvesternacht des letzten Jahres zu erinnern; denn ich
finde, dass dies schon ein denkwürdiger Abend gewesen
ist, der dem Parlament und vielen in unserem Land noch
einmal ins Bewusstsein gerückt hat, dass etwas an unse-
rem Sexualstrafrecht, wie es bis zum heutigen Tag gilt,
nicht stimmen kann .


(Ulrich Freese [SPD]: Der CDU! Uns war das vorher bekannt!)


Frauen sind in dieser Nacht am Kölner Hauptbahnhof
von ihren Freunden getrennt worden, sind betrunkenen,
bekifften Männern hilflos ausgeliefert gewesen.


(Ulrich Freese [SPD]: Das gab es auch vorher schon!)


Sie wurden bedrängt, begrapscht und beraubt . Sie wur-
den vergewaltigt .


(Zuruf von der LINKEN: Wie beim Oktoberfest!)


Zuerst gab es noch nicht einmal viele Anzeigen, eine
typische Reaktion . Eigentlich sollten sich die Täter für
ihre Taten schämen und schuldig fühlen .


(Ulli Nissen [SPD]: Beim Oktoberfest gibt es das jedes Jahr!)


Tatsächlich fühlen sich aber die Frauen beschmutzt, und
sie scheuen sich vor diesem Weg . Nicht die Informati-
onspolitik der nordrhein-westfälischen Landesregierung
und ihrer Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat das
wahre Ausmaß dieser Nacht an den Tag gebracht . Nein,
es waren die medialen Berichte . Sie waren wichtig und
notwendig .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Freese [SPD]: Sie sind sich auch für nichts zu schäbig!)


Es war ein kollektiver Schock, ob Sie es wahrhaben
wollen oder nicht . Nach der ersten Phase und der Fra-
ge: „Wie konnte das eigentlich passieren?“, gab es auch
rasch die bekannten Reaktionsmuster, die sich ein wenig
schon in dieser Debatte widerspiegeln: Bitte keine De-
battenbeiträge, die Wasser auf die Mühlen von Fremden-
feinden sind .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach nee! Dann können Sie sich hinsetzen!)


Noch während die Anzeigen eingingen, hieß es auf der
anderen Seite: Vorsicht! Jetzt bloß keine voreiligen
Schlussfolgerungen für das Strafrecht! Es gibt auch vie-
le Frauen, die sich an Männern durch falsche Anzeigen
rächen . – Aber ist das wirklich der Kern des Problems?
Nein . Jeder zu Unrecht Beschuldigte ist einer zu viel .
Aber wie vielen tatsächlichen und angezeigten Verge-
waltigungen stehen denn Falschbeschuldigungen gegen-
über? Wir erweisen einem rechtstreuen ausländischen
Mitbürger doch keinen guten Dienst, wenn wir Strafta-
ten von Ausländern nicht ebenso benennen und ahnden,
wie wir es in allen anderen Fällen – auch bei deutschen
Straftätern – tun müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nicht nur an Silvester glaubten manche Männer, sie
könnten in der ausgelassenen Stimmung Frauen unge-
straft sexuell belästigen, nötigen oder gar vergewaltigen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Oktoberfest!)


Auch im Karneval, bei Volksfesten oder Partys gibt es
immer wieder solche Exzesse .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oktoberfest! Da hat Seehofer immer reagiert?)


Aber welches Signal geben wir eigentlich, wenn wir wei-
terhin zulassen, dass ein gezielter Griff an die Brust oder
in den Schritt im Sexualstrafrecht als „nicht erheblich“
bewertet wird, wenn Bestrafungen nur dann erfolgen
können, wenn der Richter auf den Beleidigungsparagra-
fen ausweicht? Frauen sind kein Freiwild und sind keine
reinen Objekte sexueller Begierde . Hier geht es um die

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


Würde und die Wahrung des Rechts auf sexuelle Selbst-
bestimmung gerade der Frauen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Traurig, aber wahr ist auch, dass zum Handy- und
Handtaschenklau das sogenannte Antanzen mittlerweile
Methode hat . Täter gehen umso ungehemmter vor, je si-
cherer sie sich in einer Gruppe Gleichgesinnter fühlen .
Von solchen Gruppen darf sich der Rechtsstaat doch
nicht verhöhnen lassen . Wollen wir wirklich weiter zu-
sehen, dass diejenigen, die mitmachen, umdrängen und
so die Tat erst ermöglichen und die Situation für das Op-
fer verschärfen, ungeschoren davonkommen? Wer mit-
macht, auch wenn er nicht selbst übergriffig wird, muss
auch bestraft werden . Wer, statt sich zu distanzieren
oder dem Opfer zu helfen, in der Gruppe mitmacht, der
ist auch mitverantwortlich . Das Strafrecht muss hier ein
Stoppschild aufstellen; denn das sagt auch etwas über die
Definition von sozial adäquatem Verhalten aus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir ziehen heute keine voreiligen Schlüsse . Der Ge-
setzentwurf des Ministeriums war zwar schon in Vor-
bereitung, aus unserer Sicht aber abschließend nicht
geeignet, alle Schutzlücken zu schließen . Es brauchte
die Unionsfrauen, es brauchte die Frauen der ASF, es
brauchte die Kolleginnen der Koalitionsfraktionen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Und die Männer auch!)


damit es heute zu einem guten Gesetzentwurf gekommen
ist . Deshalb danke ich allen, die uns dabei unterstützt ha-
ben, von der Verbandsseite über die Rechtsexpertinnen
und Rechtsexperten bis hin zu den Juristinnen und Juris-
ten und den Männern, die uns an dieser Stelle unterstützt
haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen gar nicht, über was Sie abstimmen!)


Wir wollen diesen Paradigmenwechsel, wir wollen ihn
jetzt .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818305000

Frau Kollegin .


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1818305100

Ich komme zum Schluss . – Sexuelle Selbstbestim-

mung, Opferschutz und mehr Sicherheit – das ist das Ziel
dieses Gesetzes . Ich bin mir sicher, dass wir mit diesem
Gesetz


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen gar nicht, über was Sie da abstimmen!)


einen wichtigen Beitrag für ein respektvolleres und fried-
liches Zusammenleben in unserem Land ermöglichen
werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818305200

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Nächste Rednerin: Ulle

Schauws für Bündnis 90/Die Grünen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818305300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Vor einigen Wochen überschrieb die taz
einen Artikel zum Sexualstrafrecht mit der Frage: „Wie
viel wert ist ein Nein?“ Wenn wir heute den neugefass-
ten § 177 Strafgesetzbuch beschließen, können wir diese
Frage eindeutig beantworten; denn dem Nein wird end-
lich strafrechtliche Bedeutung beigemessen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Ein für den Täter erkennbares Nein des Opfers, verbal
oder konkludent zum Ausdruck gebracht, reicht nun aus,
um einen Vergewaltiger zu bestrafen . Ein Nein ist ein
Nein, ohne Wenn und Aber .

Das ist ein Meilenstein, vor allen Dingen für Frauen,
im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für die se-
xuelle Selbstbestimmung; denn das Recht auf sexuelle
Selbstbestimmung muss nun nicht mehr aktiv verteidigt
werden . Jede nicht einvernehmliche sexuelle Hand-
lung ist strafbar . Damit wird mit § 177 eine gravieren-
de Schutzlücke für die Betroffenen geschlossen . Dafür
haben wir Grüne uns lange eingesetzt und gekämpft .
Damit wird das Sexualstrafrecht endlich von dem Geist
vieler Jahrzehnte gelöst, in dem die Rechte von Frauen
als nachrangig galten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich freue mich, dass Sie, Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition, sich endlich dazu durchgerungen ha-
ben, diesen längst überfälligen Schritt zu gehen . Genau
dies hat meine Fraktion bereits vor einem Jahr mit einem
Gesetzentwurf vorgeschlagen, und dies wird auch von
den Linken gefordert . Ich muss Ihnen, meine Damen und
Herren von der Bundesregierung, ganz klar sagen: Es
war ein Armutszeugnis, dass das Justizministerium lan-
ge überhaupt keinen Handlungsbedarf sah und dass das
Bundeskanzleramt selbst den unzureichenden Gesetzent-
wurf von Minister Maas ein halbes Jahr lang blockierte .
Das war peinlich . Da haben Sie sich weiß Gott nicht mit
Ruhm bekleckert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist letztendlich zu einem großen Teil der konzertier-
ten Aktion und dem Druck der Frauenverbände und den

Annette Widmann-Mauz






(A) (C)



(B) (D)


Gesetzentwürfen von Grünen und Linken zu verdanken,
dass die Koalition nun mit ihrem Änderungsantrag den
Gesetzentwurf aus dem Hause Maas im Sinne der „Nein
heißt nein“-Lösung endlich verändert hat . In der letzten
Debatte, die wir hier hatten – Sie werden sich alle daran
erinnern –, gab es eine große Einigkeit der Frauen . Eine
fraktionsübergreifende Initiative für eine „Nein heißt
nein“-Lösung wäre nicht ganz abwegig gewesen . Ange-
sichts der Bedeutung der Umsetzung der Istanbul-Kon-
vention wäre das sicherlich ein bemerkenswertes Signal
gewesen . Aber ich sage ganz klar, auch angesichts der
heutigen Debatte: Über diesen Schatten sind Sie leider
nicht gesprungen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Neben der Reform des § 177 ist mir wichtig, zu sagen,
dass wir jetzt eine Regelung zur Strafbarkeit von sexuel-
ler Belästigung haben werden . Das heißt, dass sogenann-
tes Angrapschen kein Kavaliersdelikt und keine Petitesse
ist, das von den Gerichten bislang kaum zufriedenstel-
lend geahndet werden konnte . Ab jetzt müssen Frauen
diese Übergriffe nicht mehr hinnehmen . Das war überfäl-
lig . Dem stimmen wir Grüne ausdrücklich zu .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Anzeigen!)


Was wir jedoch klar ablehnen, ist die „Strafbarkeit aus
Gruppen“ heraus . Das ist – ich sage es noch einmal ganz
deutlich, Frau Widmann-Mauz – reine Symbolgesetzge-
bung, und das ist nach Köln die Handschrift der Union .
Sie setzen so das Schuldprinzip in verfassungswidriger
Weise ohne Not außer Kraft,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


obwohl Sie wissen, dass beim Zusammenwirken mehre-
rer Personen ohnehin die Regelungen der Mittäterschaft
und Teilnahme gelten . Wie Sie von der SPD da mitgehen
konnten, das ist mir wirklich völlig unverständlich, abge-
sehen von dem bitteren Beigeschmack, den das Gesetz
durch die Verschärfung der Ausweisungsregelungen be-
kommt .

Das Strafrecht allein kann das Problem der sexuali-
sierten Gewalt nicht lösen . Es braucht vielmehr bestmög-
lichen Opferschutz,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


qualifizierte Notfallversorgung inklusive anonymer Spu-
rensicherung und der Pille danach . Es braucht gut ausge-
stattete Beratungsstellen – damit müssen wir uns, glau-
be ich, noch einmal beschäftigen – und eine geschulte
Staatsanwaltschaft und Polizei . Sexismus und sexuali-
sierte Gewalt müssen immer und überall geächtet wer-
den .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ein Strafrecht, das den Grundsatz „Nein heißt nein“
beinhaltet, trägt dazu bei, dass die sexuelle Selbstbe-
stimmung in der Gesellschaft einen neuen Stellenwert

erfährt . Es ist gut für jede Frau in diesem Land, dass wir
diese Tür heute aufstoßen und dass wir mit diesem Ge-
setz endlich diesen historischen Schritt machen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Annette WidmannMauz [CDU/CSU])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818305400

Vielen Dank, Ulle Schauws . – Nächste Rednerin: Elke

Ferner für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1818305500

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!

„Nein heißt nein“, das setzen wir heute um . Das ist ein
Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht, und es ist ein
Sieg für die sexuelle Selbstbestimmung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Karin Maag [CDU/ CSU])


Dafür kämpfen Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten seit vielen Jahren zusammen mit Frauenverbän-
den, auch mit anderen politischen Parteien . Ich bin sehr
froh, dass es zumindest für die Änderung des § 177 StGB
heute eine breite Mehrheit im Bundestag geben wird .

Vor fast 20 Jahren, am 15 . Mai 1997, waren die Mehr-
heiten knapper, als es darum ging, die Vergewaltigung
in der Ehe unter Strafe zu stellen . Aber auch 1997 wa-
ren es die Frauen, die fraktionsübergreifend mit großer
Unterstützung aus der Zivilgesellschaft die Mehrheit im
Bundestag davon überzeugen konnten, dass auch die Ver-
gewaltigung in der Ehe ein Verbrechen ist .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])


Fast 20 Jahre später gehen wir jetzt den nächsten Schritt .
Ich möchte als eine, die schon damals im Bundestag war,
sagen: Das ist auch für mich heute ein sehr guter und ein
sehr großer Tag .


(Beifall der Abg . Karin Maag [CDU/CSU])


Ich möchte mich auch noch einmal bei den Verbänden
bedanken, die den Aufruf „Nein heißt nein“ initiiert und
unterstützt haben: beim Deutschen Frauenrat, beim Deut-
schen Juristinnenbund, bei Terre de Femmes, beim bff,
beim KOK, beim Deutschen Komitee für UN Women,
bei der Frauenhauskoordinierung und bei der ZIF . Ohne
ihre Unterstützung und ohne die Unterstützung der Sach-
verständigen wären wir heute nicht so weit gekommen .
Deshalb noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit der Reform des Sexualstrafrechts stärken wir die
sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und setzen den

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


potenziellen Tätern klare Grenzen . Der erkennbare Wille
darf nicht mehr missachtet werden . Nein heißt jetzt nein .

Ich hätte mir gewünscht, dass wir heute vielleicht
nicht der Versuchung erlegen wären, zu fragen, wer wel-
chen Entwurf bis wann irgendwo zurückgehalten hat .


(Beifall der Abg . Karin Maag [CDU/CSU])


Es war schon eine göttliche Eingebung im Kanzleramt,
kurz vor Weihnachten eine Verbändeanhörung zum Ge-
setzentwurf durchzuführen . Wir schauen jetzt wirklich in
die Zukunft und sehen, was wir durch Verabschiedung
dieses Entwurfs verbessern .

Nicht erst seit Köln gab es sexuelle Belästigung und
Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung von Frau-
en .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das gibt es leider in allen Schichten der Gesellschaft – in
Europa und anderen Teilen der Welt – seit vielen Jahren,
ja, Jahrzehnten, Jahrhunderten .


(Ulrich Freese [SPD]: Wo ist denn Frau Widmann-Mauz?)


Wir machen jetzt auch deutlich, dass das sogenannte Be-
grapschen ein Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestim-
mung ist . Jede Frau kann jetzt selbst darüber entscheiden,
ob sie einen Vorfall zur Anzeige bringt oder nicht .

Ich will auch klar und deutlich sagen: Für die Opfer
macht es einen Unterschied, ob sie aus einer Gerichtsver-
handlung herausgehen und ihnen bescheinigt wird: „Das
war gar keine Vergewaltigung, was dir da passiert ist“,
oder ob der Täter nur aus Mangel an Beweisen freige-
sprochen worden ist . Das macht einen Unterschied . Das
beenden wir mit dem Gesetzentwurf, den wir heute ver-
abschieden .

Es ist eben angesprochen worden: Straftaten aus
Gruppen heraus . – Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich ver-
stehe nicht, warum Grüne und Linke die Regelung nicht
mittragen;


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser kann ich es jetzt auch nicht mehr erklären!)


denn jeder in einer Gruppe hat die Möglichkeit, einzu-
greifen, Täter an Übergriffen zu hindern oder einfach nur
wegzugehen und Hilfe zu holen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Manche sagen: Das ist nicht strafbar . – Dieser Auffas-
sung kann man sein; ich bin aber anderer Auffassung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich verstehe, ehrlich gesagt, auch nicht, warum Grüne
und Linke zwar „Nein heißt nein“ unterstützen, die Fol-
geänderungen im Aufenthaltsrecht aber ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818305600

Frau Ferner, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

Zwischenbemerkung von Frau Künast?


Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1818305700

Ja, gern .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818305800

Aber bitte nur eine! Wir wollen heute zügig durch-

kommen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Ich achte sehr auf die Redezeit . Ich bitte die Kolleginnen
und Kollegen, sich an die Redezeiten zu halten . Norma-
lerweise bin ich da etwas großzügiger .

Also eine kurze Zwischenfrage .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818305900

Ich habe mich gemeldet, weil Sie, Frau Ferner, schon

die Zweite sind, die damit argumentiert – Frau Widmann-
Mauz hat es ähnlich formuliert –: wenn man in der Grup-
pe mitmacht, daran teilnimmt und sich nicht distanziert .

Ich weiß nicht, wie Sie den Tatbestand verstehen . Ich
und viele andere verstehen ihn so, dass es dabei darum
geht, dass man Teil einer Gruppe ist, die sich verabredet,
und die Straftat irgendwie fördert . „Im umgangssprachli-
chen Sinn“ heißt es gar; also gar nicht nach den strengen
Regeln des Allgemeinen Teils des StGB .

Wenn sich fünf, sechs Leute zum Beispiel auf dem
Schulhof verabreden, jemandem die Jacke abzuziehen –
so etwas soll es ja geben –, dann macht man sich in dieser
Gruppe strafbar, wenn innerhalb dieses Gruppengesche-
hens eine Person ein Sexualdelikt begeht . Man muss das
nicht einmal merken; man muss das nicht einmal sehen .
Es wird später angezeigt . Da muss nicht einmal Vorsatz
bestehen . Es geht um billigendes Inkaufnehmen .


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)


Wie soll sich denn jemand von dem Delikt distanzieren,
wenn zum Tatbestand nicht einmal gehört, dass man
merkt, dass innerhalb des Abziehens der Jacke eine Se-
xualstraftat begangen wird?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist das, was uns stört .


Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1818306000

Ich zumindest lese das nicht so, dass man es nicht

merken muss .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Steht explizit drin: Auf den Vorsatz kommt es nicht an!)


Ich bin auch sicher, dass dann, wenn entsprechende Fälle
vor Gericht kommen, auch die Umstände genau betrach-

Elke Ferner






(A) (C)



(B) (D)


tet und bewertet werden, wie immer alles im Einzelfall
bewertet wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Tatbestand ist so!)


Ich möchte noch kurz auf die sogenannte Verschär-
fung des Ausländerrechts eingehen . Wenn Sie der Auf-
fassung sind, dass Straftaten gegen die sexuelle Selbstbe-
stimmung kein Ausweisungsgrund sein sollen


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie sind schon drin!)


– nein, sie sind nicht drin –


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!)


– „Nein heißt nein“ ist nicht drin –, dann sagen Sie das
einfach so, und sagen Sie nicht: Es gibt sozusagen im
Windschatten der Sexualstrafrechtsreform auch noch
eine Verschärfung des Ausländerrechts . – Das war nicht
der Fall, und das ist nicht der Fall .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!)


– Wir haben da einfach unterschiedliche Auffassungen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte mich zum Schluss bei allen Kollegen und
Kolleginnen bedanken, auch bei denen der Oppositions-
fraktionen, aber insbesondere bei der Unionsfraktion,
auch bei der Frauen Union . Wir haben gezeigt: Wenn
Frauen zusammen etwas bewegen wollen, dann können
sie zusammen auch etwas bewegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich würde mir sehr wünschen, dass das auch beim
Thema Lohngerechtigkeit der Fall ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818306100

Vielen Dank, Elke Ferner . – Nächster Redner in der

Debatte: Alexander Hoffmann von der CDU/CSU-Frak-
tion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1818306200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Da die Kolleginnen und Kollegen der
Linken und der Grünen anscheinend schon darauf bren-
nen, dass ich noch ein bisschen Juristisches und Verfas-
sungsrechtliches


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir wollen Ihre Fallbeispiele hören!)


zu dem neuen Tatbestand „Übergriffe aus Gruppen“ sage,
will ich das auch gern tun .


(Beifall der Abg . Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])


Da wird gesagt: Es gibt überhaupt keinen Bedarf für
diese Norm, weil unsere Regelungen zu Täterschaft und
Teilnahme ausreichen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Meine Damen, meine Herren, wir erinnern uns an Vorfäl-
le in Köln, in Darmstadt, in Berlin .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oktoberfest!)


Das Antanzen ist eine Masche geworden, ein echtes Tat-
bild . Da verabreden sich Männer zu einer Gruppe . Sie
gehen auf Frauen zu, separieren eine Frau, versperren ihr
die Fluchtwege . Dann wird das Handy geklaut; es geht
ans Geld ran, und die Frau wird begrapscht .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist strafbar!)


Die Schwierigkeit in diesen Fällen ist: Mit Videoma-
terial, mit Augenzeugen können wir durchaus den Nach-
weis führen „Die betreffende Person war in der Gruppe“;
Frauen schildern aber – wenn Sie sich mit den Sachver-
halten beschäftigen, erfahren Sie das –, dass sie von 10
bis 15 Männern teilweise 20- bis 30-mal angefasst wor-
den sind . Die Frau kann eben nicht mehr sagen, die Hand
kam von dem, oder die Hand kam von jenem .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist jetzt schon strafbar!)


Das heißt, eine Aufarbeitung der Einzelverantwortlich-
keit ist nur bis zu einem gewissen Grade möglich .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt!)


Deswegen wollen wir einen neuen Tatbestand . Da geht es
selbstverständlich um Beweisprobleme . Aber, meine Da-
men, meine Herren, wir sagen: Wer sich zu einer Gruppe
verabredet, um eine Frau zu bedrängen,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nein, das fragen Sie nicht!)


um in dieser Situation Straftaten zu begehen, der ver-
wirklicht eigenes Unrecht, und wer eigenes Unrecht be-
geht, den darf man auch bestrafen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Eigenes Unrecht“! Wenn er nicht mal merkt, dass etwas passiert!)


Der Täter verursacht eine objektiv gefährliche Situation .
Er setzt nämlich einen Kausalverlauf in Gang, den er spä-
ter nicht mehr beherrschen kann, und der einer gewissen
Dynamik unterliegt, weil aus dem Ausgeliefertsein der
Frau, aus der übermächtigen Stellung der Gruppe, der
eine oder andere dann doch noch mutiger wird . Und dann
kommt es zu sexuellen Übergriffen .

Dann kommen die verfassungsrechtlichen Bedenken:
Das verstößt gegen das Schuldprinzip . Das ist schon zu-
nächst einmal nicht richtig, weil – ich habe es gerade

Elke Ferner






(A) (C)



(B) (D)


aufgezeigt – der Täter eigene Schuld, eigenes Unrecht
verwirklicht .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn ich Ihnen jetzt eine haue?)


Ich empfehle Ihnen noch einmal dringend – ich habe es
gestern schon im Rechtsausschuss getan, Frau Künast;
offensichtlich haben Sie nicht zugehört –,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


die Rechtsprechung zu § 231 StGB zu verinnerlichen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich gecheckt, dieses Beispiel!)


Denn unser Gruppentatbestand ist keine freie Erfindung
von der Konstruktion her, sondern es gibt im deutschen
Strafrecht schon eine Norm, nämlich die Beteiligung an
einer Schlägerei, bei der lediglich die Förderung einer
objektiv gefährlichen Situation bestraft wird .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht es aber durcheinander bei Ihnen!)


Nach BGH-Rechtsprechung ist dort folgender Fall
strafbar: Es steht jemand am Rande einer Schlägerei, 10,
15 Männer prügeln sich, und er applaudiert . In dieser
Schlägerei verliert jemand ein Auge, ohne dass derjeni-
ge, der applaudiert, das sieht oder er das will .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er sieht doch, dass geschlagen wird!)


Diese Person ist strafbar wegen dieses Förderungsbei-
trags Applaus .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das richtet sich gegen dasselbe Rechtsgut!)


Jetzt kommt es aber, meine Damen, meine Herren .
Wer bei uns einen Verursachungsbeitrag leistet, das
heißt, die Kausalkette in Gang setzt mit der Verabredung
zur Gruppe, der leistet mehr als jemand, der einfach nur
applaudiert . Deswegen glauben wir, dass das eine Straf-
barkeit trägt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: „Glauben“, sehr schön! Zwei unterschiedliche Straftaten!)


Jetzt sagen Sie; Ja, die zufällige Anwesenheit genügt . –
Da wundere ich mich dann wirklich – darüber haben wir
gestern ausführlich gesprochen –, es gibt nämlich sehr
wohl auch eine Definition, wann eine Gruppe vorliegt.
Damit Sie es nicht vergessen, will ich es noch einmal zi-
tieren:

Eine Gruppe ist eine zu bestimmten Zwecken zu-
sammengeschlossene Anzahl von mindestens drei
Personen .

Das ist BGH-Rechtsprechung . Das habe ich Ihnen ges-
tern zitiert . Es wird heute trotzdem, wider besseres Wis-
sen, erneut in Abrede gestellt .

Dann kommen diejenigen, die sagen, wir brauchen ja
bei § 231 StGB eine schwere Folge; das ist ja gar nicht
vergleichbar .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Genau so! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch nicht! Darum geht es nicht!)


Da sage ich: Vorsicht vor dieser Argumentation .

Zum einen ist es so, dass unser Täter ja nicht nur ei-
nen Förderbeitrag leistet, sondern einen echten Verursa-
chungsbeitrag . Denn er verwirklicht mehr an Unrecht, er
verwirklicht eigenes Unrecht .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat gar keinen Vorsatz! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Er hat keinen Vorsatz!)


Der zweite Punkt, meine Damen, meine Herren: Be-
schäftigen Sie sich einmal mit Opfern aus der Kölner Sil-
vesternacht . Dabei sind Frauen, die schwer traumatisiert
sind, die heute in keine Menschenmenge mehr gehen
können, geschweige denn in den Kölner Hauptbahnhof .
Ich will Ihnen sagen: Wir stehen hinter dieser Norm, wir
sind zuversichtlich, dass sie verfassungsgemäß sein wird .

Zum Ausweisungsrecht will ich Ihnen nur so viel sa-
gen: Bei uns in der Großen Koalition – dafür bin ich der
Frau Ferner auch dankbar – ist es so, dass „Nein heißt
nein“ auch Nein im Ausweisungsrecht bedeutet . Bei Ih-
nen scheint das anders zu sein .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818306300

Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann . – Der nächste

Redner ist Dr . Johannes Fechner für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1818306400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste auf den Tribünen! Wir machen diese Re-
form, weil es in der Vergangenheit Urteile gab, in denen
auch höchste Gerichte Abwehrhandlungen des Opfers,
der Frauen, gefordert haben . Die Voraussetzungen einer
solchen Abwehrhandlung sahen die Gerichte als nicht
gegeben an, wenn das Opfer die Gegenwehr unterließ –
etwa aus Furcht vor einer Kündigung, vor strafrechtli-
chen Konsequenzen, aus Angst, dass der Täter die Woh-
nung verwüstet, oder aus Angst vor erneuter Gewalt oder
weil das Opfer von der Attacke überrascht wurde und
deshalb keine Gegenwehr leistete . Wohlgemerkt: Das
waren höchstrichterliche Entscheidungen . Deswegen
können wir die heutige Rechtslage, auf der solche Urtei-
le basieren, nicht stehen lassen . Wir müssen die Frauen
besser schützen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


Insofern war es gut, dass Minister Maas schon im
Juli 2015 einen sehr präzisen Gesetzentwurf präsentiert
hat . Sie sehen: Die Kölner Silvesterereignisse waren für
uns nicht nötig, um hier den Handlungsbedarf zu erken-
nen .


(Beifall bei der SPD)


Wäre der Entwurf nicht im Kanzleramt ein halbes Jahr
blockiert worden, dann wären wir heute schon weiter .


(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Nein! Im Ministerium!)


Wohlgemerkt: Der Entwurf ist nicht wegen der Frage
der „Nein heißt nein“-Lösung blockiert worden, sondern
weil er der Union zu weit ging . Man kann den entspre-
chenden Schriftverkehr ja nachlesen .


(Beifall bei der SPD)


Im Januar 2016 saßen Herr Maas und ich mit Herrn
Strobl zusammen . Wir haben ihn gefragt: Herr Strobl,
machen Sie bei „Nein heißt nein“ mit? Wir sind bereit
dazu, das Ministerium unterstützt es . – Herr Strobl sag-
te im Januar: Nein, das machen wir nicht mit . – Es war
übrigens der gleiche Januar 2016, in dem Ralf Jäger und
Hannelore Kraft, wie es ihre tatkräftige Art ist,


(Lachen bei der CDU/CSU)


die Geschehnisse analysiert und in Nordrhein-Westfalen
die richtigen Konsequenzen gezogen haben; das will ich
hier ausdrücklich klarstellen .


(Beifall bei der SPD – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Vier Tage nicht gekümmert! Als Ministerpräsidentin! Unglaublich!)


Wir erweitern nun heute den Entwurf um die „Nein
heißt nein“-Lösung, weil wir zu Recht den Willen der
Frau entscheiden lassen wollen . Damit schützen wir die
Opfer besser . Ein Nein muss ausreichen; das wollen wir
heute hier so regeln . Ich meine auch, dass wir nicht beim
materiellen Strafrecht stehen bleiben, sondern noch einen
Schritt weiter gehen sollten . Das Kernproblem ist ja oft,
dass das Opfer aus Angst vor Rache des Täters im Pro-
zess nicht mehr aussagt . Deswegen sollten wir im zwei-
ten Schritt auch strafprozessuale Änderungen einführen .
Auch hier hat unser äußerst aktiver Justizminister schon
den Vorschlag gemacht, die Strafprozessordnung dahin
gehend zu ergänzen, dass die Vernehmung des Opfers
bei der Polizei, die erste Aussage auf Video festgehal-
ten wird, wenn es um eine schwere Straftat, wie die Ver-
gewaltigung eine ist, geht . Dann hätten wir im Prozess,
wenn das Opfer aus nachvollziehbarer Angst nicht aussa-
gen möchte, die Möglichkeit, uns direkt zu informieren,
wie die erste Aussage war . Lassen Sie uns also auch den
Schutz der Opfer strafprozessual absichern, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Ein Wort zu den Straftaten aus Gruppen: Ja, auch wir
in der SPD wollen, dass diejenigen bestraft werden, die
den Täter anfeuern oder als Teil einer menschlichen Mau-
er das Opfer umzingeln und so den Täter bestärken . Aber
gerade weil wir eine präzise Regelung wollen, haben wir
erhebliche Bedenken gegen die jetzt getroffene Formu-

lierung . Ich will ausdrücklich klarstellen: Diese Formu-
lierung geht auf einen Vorschlag der Union zurück . Wir
hätten lieber eine Präzisierung, eine Kodifizierung des
Tatbestands der Beihilfe vorgenommen, um diese Täter
wirklich zu erfassen . Wir stimmen dem Gesetz heute nur
deshalb zu, weil wir es insbesondere den Frauen und den
Frauenverbänden nicht erklären könnten, warum wir die-
se Reform auf der Zielgeraden stoppen .

Wir haben heute die große Chance, erhebliche Straf-
barkeitslücken im Sinne eines besseren Schutzes von
Frauen zu schließen . Deswegen tragen wir diese aus un-
serer Sicht bedenkliche Regelung bei der Formulierung
der Gruppenstrafbarkeit mit . Wir werden dem Gesetzent-
wurf heute zustimmen, auch wenn wir das eine oder an-
dere Argument der Opposition auch überlegt hatten . Las-
sen Sie uns heute diesem Gesetzentwurf so zustimmen .
Wir machen ein gutes Gesetz zum Schutz der Frauen vor
sexueller Gewalt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818306500


Vielen Dank, Kollege Fechner . – Wir haben jetzt noch
eine Rednerin und einen Redner . Ich möchte Sie deshalb
auffordern und dringend ersuchen, spannende Gespräche
zwischen Herren und Damen draußen zu führen oder sich
bitte hinzusetzen und der Debatte zu folgen . Das ist eine
wichtige Debatte .

Ich bitte Sie jetzt, der Kollegin Karin Maag, der nächs-
ten Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion, Ihre Aufmerk-
samkeit zu schenken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1818306600


Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist höchste Zeit,
dass wir uns bei Sexualstraftaten der Perspektive des
Opfers nähern und das Opfer in das Zentrum rechtspoli-
tischer Überlegungen stellen . Bisher prüfen ja die Staats-
anwaltschaften und die Gerichte die Frage: Was hat das
Opfer getan? Bisher muss das Opfer begründen, wie,
warum und aus welchen Überlegungen heraus es sich
gewehrt hat . Die Sachverständige Frau Rabe vom Deut-
schen Institut für Menschenrechte hat in der Anhörung an
die Notwendigkeit einer Normverdeutlichung erinnert .

Unsere Gesellschaft hat es offensichtlich noch nicht
verinnerlicht, dass bei Zweifeln, ob mein Pendant frei-
willig kooperiert, sexuelle Kontakte schlicht zu unterlas-
sen sind . Das ist es, worüber wir heute reden . Deshalb
stellen vor allen Dingen wir Abgeordnete heute klar, dass
das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung unantastbar ist .
Wer künftig gegen den erkennbaren Willen des Opfers
sexuelle Handlungen am Opfer vornimmt, wird bestraft .

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


Lieber Herr Fechner, glauben Sie es mir: Mir scheint,
dass man auf eine Landesregierung, die vier Tage gar
nichts bemerkt hat, wohl nicht unbedingt stolz sein kann .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!)


Und angesichts der Tatsache, lieber Herr Fechner, dass
der Justizminister noch 2014 erklärt hat, er sehe gar
keinen Handlungsbedarf bezüglich einer Änderung des
§ 177 StGB, bin ich froh, dass wir Frauen – das betone
ich jetzt ausdrücklich – die Sache in die Hand genommen
haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Sie sprechen von Herrn Heilmann?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir war es ein
persönliches Anliegen, dass jetzt auch Straftaten gegen
Menschen mit Behinderungen besser erfasst werden .


(Beifall bei Abgeordnete der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Gerichte haben nämlich die sexuelle Nötigung und Ver-
gewaltigung von Tatopfern mit geistiger Beeinträchti-
gung oft unzutreffend als sexuellen Missbrauch einer wi-
derstandsunfähigen Person verurteilt, obwohl das Opfer
klar und deutlich eine Willensbildung gezeigt hat . Das
Schlimme daran ist, dass entsprechende Straftaten gegen
Behinderte bisher mit einem geringeren Strafmaß geahn-
det werden . Deshalb stellen wir heute auch sicher, dass
sich diese Praxis nicht mehr fortsetzt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, eine weitere Änderung
freut mich: Wir bestrafen die Grapscher .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es geht allerdings um Taten, die juristisch gesehen die
Schwelle der sexuellen Erheblichkeit noch nicht errei-
chen, aber natürlich das sexuelle Selbstbestimmungs-
recht und die Würde von Frauen erheblich verletzen . Das
sexuelle Selbstbestimmungsrecht von uns Frauen wird
künftig deutlich besser geschützt . Bestraft wird, wer
Frauen und auch Männer sexuell belästigt, das heißt, wer
einem Opfer zum Beispiel an die bekleidete Brust fasst,
wer es an den Geschlechtsorganen berührt, ohne dazu
eingeladen zu sein – das ist der springende Punkt . Ich
mache es ganz einfach: Grapschen ist kein Kavaliersde-
likt . Grundsätzlich gilt: Finger weg!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Meine Damen und Herren, liebe Frau Möhring, Frau
Wawzyniak, es kommt wie immer im Ausländerrecht
auch beim § 177 StGB auf das Strafmaß an .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nicht in § 54 Absatz 2!)


– Auf das Strafmaß kommt es in diesem Fall an . – Ich
sehe auch nicht, warum sexuelle Übergriffe weniger ein-
schneidende Folgen haben sollen als andere Straftaten .
Das müssten Sie mir einmal im Privatissimum erklären .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zunehmende Probleme bereiten auch – das hat die
Anhörung ergeben; der Leitende Oberstaatsanwalt
Ohlenschlager hat das deutlich ausgeführt – sexuelle
Handlungen aus Tätergruppen . Dazu wurde schon einiges
Richtiges – Stresssituation des Opfers, das Opfer als ein-
ziger Zeuge – gesagt . Ich glaube, wir tun gut daran, fest-
zuschreiben, dass sich künftig derjenige, der eine Straftat
fördert, der gemeinsam mit anderen das Opfer bedrängt,
strafbar macht .


(Beifall der Abg . Katharina Landgraf [CDU/ CSU] und Ulli Nissen [SPD])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auch
betonen: Der Staat mischt sich auch künftig nicht in
das Liebesleben seiner Bürger ein . Was beiden gefällt,
bleibt erlaubt . Hinsichtlich der Sorge vor Falschanzei-
gen ist selbstverständlich festzuhalten, dass natürlich die
strafrechtliche Beweisführung bei Sexualdelikten eine
Herausforderung ist . Das haben die Sachverständigen
so formuliert . Selbstverständlich gilt weiterhin die Un-
schuldsvermutung . Selbstverständlich gilt der Rechts-
grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ . Daran än-
dert sich auch nichts . Da braucht man keine Sorgen zu
haben .

Ich will am Ende meiner Rede noch eines betonen: Als
Vorsitzende der Gruppe der Unionsfrauen freut es mich
ganz besonders, dass wir heute im Bundestag ein ganzes
Paket an Gesetzen zum Schutz vor sexueller Gewalt vor
allem gegen Frauen verabschieden . Es geht heute noch
um das Prostituiertenschutzgesetz, das die Menschen
in der legalen Prostitution vor Gewalt, Ausbeutung und
Erniedrigung schützt . Wir haben es geschafft, dass bei
Handlungen gegen Frauen, indem sie etwa zur Prostitu-
tion gezwungen werden, indem sie etwa Opfer von Men-
schenhändlern sind, die Strafbarkeit erhöht wird, dass die
Täter zur Verantwortung gezogen werden; dazu gehören
übrigens auch Freier .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818306700

Frau Kollegin, Ihre Redezeit .


Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1818306800

An dieser Stelle bedanke ich mich, liebe Frau Präsi-

dentin, bei allen, die mitgewirkt haben . Wir Frauen haben
für diesen Tag lange gekämpft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818306900

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Ich sage es jetzt noch

einmal: Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, Platz zu
nehmen und ihre Gespräche einzustellen . Ansonsten rufe
ich nämlich den nächsten Redner nicht auf . Dann kriegen

Karin Maag






(A) (C)



(B) (D)


Sie zumindest mit einem Großteil des Hauses Ärger, weil
sich diese Zeitverzögerung dann fortsetzt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber der Redner kann ja nichts dafür!)


Das gilt für Johannes Kahrs, das gilt auch für die Seite
rechts von uns .

Ich sage es noch einmal: Setzen Sie sich jetzt bitte hin!
Hören Sie dem nächsten Redner zu! Ansonsten rufe ich
den nächsten Redner nicht auf,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, jetzt weiter!)


zumal es ein Redner ist, der einmal sehen soll, wie es im
Bundestag zugeht; denn er kommt vom Bundesrat .

Ich gebe dem Senator für Justiz und Verbraucher-
schutz des Landes Berlin, Thomas Heilmann, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1818307000

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Vor der namentlichen Abstimmung
bin nur noch ich dran . Ich mache es kurz und verzichte
auf Wiederholungen .

Das Strafrecht definiert die wichtigsten Rechtsgüter in
einer Gesellschaft . Heute stärkt der Deutsche Bundestag
das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung . Das ist
die wirklich gute Nachricht des Tages .

Hinter uns liegen viele Jahre des Wandels und der
Überzeugungsarbeit . Ein solches Gesetz, wie es heute
zur Abstimmung vorliegt, wäre vor einigen Jahren noch
undenkbar gewesen . Sexuelle Aufdringlichkeiten galten
noch nicht einmal als Kavaliersdelikt . Aber niemand hat
Anlass zu Hochmut .

Frau Schauws, Sie haben vor diesem Hintergrund von
einem Armutszeugnis gesprochen . Ich will Sie daran er-
innern, dass auch Ihre Fraktion und Ihre Partei durchaus
einen Wandel im Hinblick auf zu schützende Rechtsgüter
im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung hinter sich
haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich denke an die Frage: Wie sind eigentlich Kinder vor
sexuellen Übergriffen zu schützen?


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach nee, das war jetzt unter der Gürtellinie! – Dr . Carola Reimann [SPD]: Das muss nicht sein! – Dr . Eva Högl [SPD]: Das gehört hier nicht hin!)


Liebe Frau Dr . Högl und lieber Herr Dr . Fechner, einer
der Gründe, warum ich heute hier rede, ist: Sie erwähn-
ten die Meinungsäußerungen in der Union, die es natür-
lich gegeben hat,


(Dr . Eva Högl [SPD]: Oh ja!)


und lobten den Bundesminister Maas .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Ja!)


Das ist aber – vorsichtig formuliert – etwas einseitig . Ich
erinnere mich sehr gut an die Justizministerkonferenzen
2014 und 2015 .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Ich erinnere mich auch an Ihre Stellungnahme aus Berlin zu diesem Thema!)


Während der Antrag von Frau Kuder aus Mecklen-
burg-Vorpommern von uns in Berlin immer unterstützt
wurde, die damals schon sagte: „Nein heißt nein“, war
die Haltung des Bundesjustizministeriums – vorsichtig
formuliert – noch sehr zurückhaltend . Jedenfalls wurde
damals kein Änderungsbedarf gesehen . Insofern haben
wir alle gemeinsam uns bewegt; ich finde, das hat Frau
Ferner auch sehr gut dargestellt .


(Elke Ferner [SPD]: Wie war es denn bei Schwarz-Gelb in der letzten Legislaturperiode?)


– Ich war auch damals schon Landesjustizminister bzw .
Senator . Das FDP-geführte Ministerium war in der Tat
der Meinung, es gebe keinen Änderungsbedarf . Auch
dort hat es offensichtlich eine Änderung gegeben . Aber
Sie haben ja recht, Frau Ferner, wir sollten nicht zurück-
blicken .

Viele haben dankgesagt . Das möchte ich nicht wieder-
holen . Aber ich möchte Ihnen, Frau Winkelmeier-Becker
und Herrn Hoffmann, sehr herzlich danken, weil auch
Sie die Debatte und die Reform, die diesen Namen nun
auch verdient, befördert haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein zweiter Grund, warum ich rede, betrifft die Ber-
liner Staatsanwaltschaft und insbesondere die Berliner
Gerichte . Wir haben ein sehr prominentes schwebendes
Verfahren, in das wir uns nicht einmischen wollen . Lie-
be Frau Bundesministerin Schwesig, ich habe es sehr
bedauernd zur Kenntnis genommen, dass Sie sich da
parteiergreifend geäußert haben. Ich finde, ein Berliner
Gericht sollte entscheiden, wie der Sachverhalt damals
tatsächlich war . Es geht ja um die Beweiswürdigung, da-
nach kommt die rechtliche Entscheidung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Letzter Punkt . Wir alle in Berlin wollen eine Kultur
des Respekts . Wir wollen, dass jeder und jede selbst-
bestimmt, selbstbewusst und tolerant leben kann . Wir
tolerieren keine Übergriffe . Die sexuelle Selbstbestim-
mung gehört zu den Kernwerten unserer Gesellschaft .
Verstöße dagegen sind schwerwiegend . Es ist deswegen
richtig, dass das Gesetz nun auch sexuelle Übergriffe als
Abschiebungsgrund definiert, wenn das Strafmaß hinrei-
chend ist .

Wir kommen heute einen großen Schritt voran, aber es
wird nicht der letzte sein . Wir sollten uns auch Gedanken
darüber machen, wie wir die Integrität von Frauen besser
schützen können,


(Mechthild Rawert [SPD]: Mehr Gleichstellung!)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


die durch verbale Angriffe in der Öffentlichkeit zu sexu-
alisierten Objekten gemacht werden . Auch beim Opfer-
schutz müssen wir noch mehr tun . Es ist also gut, wenn
wir unser Strafrecht kontinuierlich weiterentwickeln .
Heute ist jedenfalls erst einmal ein guter Tag .

Vielen Dank . Gute Abstimmung!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818307100

Vielen Dank, Senator Heilmann . – Ich schließe die

Aussprache .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung . Ich bitte sehr um
Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Konzentration . Das wird
jetzt ein kleiner Marathon, von daher ist es ganz gut,
wenn wir uns etwas konzentrieren .

Zu den Abstimmungen liegen mehrere Erklärungen
nach § 31 der Geschäftsordnung vor .1)

Zunächst geht es um den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der
sexuellen Selbstbestimmung . Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9097,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/8210 und 18/8626 in der Ausschussfassung an-
zunehmen .

Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü-
nen haben beantragt, über Teile des Gesetzes in zweiter
Beratung getrennt abzustimmen . Wir werden dazu drei
namentliche Abstimmungen durchführen . Dann gibt es
eine Unterbrechung, und nach dieser Unterbrechung,
während der ausgezählt wird, werden wir mit einfachen
Abstimmungen fortfahren .

Wir stimmen zunächst ab über Artikel 1 Nummern 6
bis 8, 10 und 11 des Gesetzentwurfs in der Ausschuss-
fassung . Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen haben dazu namentliche Abstimmung verlangt .

Ich bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? – Nein, im mittleren Gang oben
rechts fehlt noch ein Schriftführer oder eine Schriftführe-
rin; vorher kann ich nicht beginnen . – Sind jetzt alle Plät-
ze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Dann eröffne
ich die erste namentliche Abstimmung; sie geht – ich
sage es noch einmal – über Artikel 1 Nummern 6 bis 8,
10 und 11 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben alle abge-
stimmt? – Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch
abstimmen müssen? – Das scheint nicht der Fall zu sein .
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben .2)

1) Anlagen 3 und 4
2) Ergebnis Seite 18015 D

Nächste Abstimmung . Wir stimmen jetzt namentlich
ab über Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzentwurfs in der
Ausschussfassung, und zwar nur über die Einfügung des
§ 184j Strafgesetzbuch . Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt .

Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der
Fall . Dann eröffne ich die zweite namentliche Abstim-
mung; sie geht über Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzent-
wurfs in der Ausschussfassung, und zwar – ich sage es
noch einmal – nur über die Einfügung des § 184j Straf-
gesetzbuch .

Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht ab-
gestimmt haben? – Da sich niemand meldet, schließe ich
jetzt die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .3)

Wir kommen nun zur Abstimmung über Artikel 2 Ab-
satz 3 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung . Die
Fraktion Die Linke hat namentliche Abstimmung verlangt .

Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der
Fall . Dann eröffne ich die dritte namentliche Abstim-
mung; sie geht über Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzent-
wurfs in der Ausschussfassung .

Gibt es noch Kollegen oder Kolleginnen, die die
Stimme nicht abgegeben haben, die nicht in wichtige Ge-
spräche verwickelt wurden, die nicht rechtzeitig in den
Bundestag eingelassen wurden – Sie glauben gar nicht,
was es da alles an Begründungen gibt –, die den heißen
Kaffee noch nicht trinken konnten? – Die Kollegen ha-
ben also abgestimmt . Dann schließe ich die Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen . 4)

Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen
Abstimmungen unterbreche ich jetzt die Sitzung .


(Unterbrechung von 12 .22 bis 12 .32 Uhr)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818307200

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet .

Ich werde Ihnen jetzt die von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der nament-
lichen Abstimmungen bekannt geben


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, los!)


– alles klar, Herr Kauder; net hudle –:

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafge-
setzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen
Selbstbestimmung; hier: Artikel 1 Nummern 6 bis 8,
10 und 11 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung,
Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/9097: abgegebene
Stimmen 601 . Mit Ja haben gestimmt 601 .


(Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten erheben sich)


Artikel 1 Nummern 6 bis 8, 10 und 11 des Gesetzent-
wurfs in der Ausschussfassung ist damit einstimmig an-
genommen .

3) Ergebnis Seite 18018 D
4) Ergebnis Seite 18021 D

Senator Thomas Heilmann (Berlin)







(A) (C)



(B) (D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 599;
davon

ja: 599
nein: 0
enthalten: 0

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)


Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt

Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel

Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann

Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)


Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm

Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)







(A) (C)



(B) (D)


Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer

Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann

Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel

Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms


(Beifall im ganzen Hause)


Artikel 1 Nummer 9 – und zwar nur Einfügung von
§ 184j Strafgesetzbuch – des Gesetzentwurfs in der Aus-

schussfassung, Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/9097:
abgegebene Stimmen 599 . Mit Ja haben gestimmt 478,
mit Nein haben gestimmt 119, Enthaltungen 2 . Artikel 1
Nummer 9 ist damit angenommen .






(A) (C)



(B) (D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 598;
davon

ja: 477
nein: 119
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr . Maria Flachsbarth

Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues

Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg

Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Jana Schimke






(A) (C)



(B) (D)


Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)


Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup

Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack

Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim Schabe-

doth
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel

Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Nein

SPD

Rüdiger Veit

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller (Potsdam)


Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler

Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Streng-

mann-Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Marco Bülow

DIE LINKE

Dr . Gregor Gysi


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzentwurfs in der Aus-
schussfassung – die Drucksachen bleiben dieselben –:

abgegebene Stimmen 601 . Mit Ja haben gestimmt 480,
mit Nein haben gestimmt 121 . Kolleginnen und Kolle-
gen, Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzentwurfs in der Aus-
schussfassung ist damit angenommen .






(A) (C)



(B) (D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 600;
davon

ja: 479
nein: 121
enthalten: 0

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr . Maria Flachsbarth

Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues

Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas

Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz

Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone

Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs

Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse






(A) (C)



(B) (D)


Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal

Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Nein

SPD

Marco Bülow

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich

Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk

Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzentwurfs in der Aus-
schussfassung, und zwar nur die Einfügung des § 184i
Strafgesetzbuch . Ich bitte diejenigen, die zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzent-

wurfs in der Ausschussfassung – hier die Einfügung des
§ 184i Strafgesetzbuch – ist bei einer Enthaltung ange-
nommen .1)

Wir kommen nun zu den übrigen Teilen des Gesetz-
entwurfs in der Ausschussfassung . Ich bitte diejenigen,

1) Anlage 5






(A) (C)



(B) (D)


die zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch die übrigen
Teile des Gesetzentwurfs sind angenommen . Zugestimmt
haben CDU/CSU und SPD, enthalten haben sich Bünd-
nis 90/Die Grünen und die Linke . Damit ist der Gesetz-
entwurf insgesamt in zweiter Beratung angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, enthalten haben sich die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen .

Abstimmung über den von der Fraktion Die Linke
eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsge-
setzes zur Änderung des Sexualstrafrechts . Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/9097, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/7719 abzulehnen . Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge-
lehnt . Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen, dagegengestimmt haben CDU/CSU und SPD .
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Strafgesetzbu-
ches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Miss-
handlung und Vergewaltigung . Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe c sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9097, den
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/5384 abzulehnen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um das
Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt . Zu-
gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke,
dagegen waren CDU/CSU und SPD . Auch damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung jetzt die weitere Bera-
tung .

Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kolle-
gen . – Es wäre schön, wenn Sie die Plätze zügig wech-
seln könnten .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Dörner, Dr . Franziska Brantner, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben
passt

Drucksache 18/9007
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-

schätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Katja Dörner
für Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818307300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Keine Zeit zu haben, sich gehetzt zu fühlen:
Das ist zu einem Massenphänomen in unserer Gesell-
schaft geworden . Burn-out an der Uni ist ein Alltags-
phänomen . Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fehlen
immer häufiger aufgrund psychischer Erkrankungen. Die
Fehltage deswegen haben sich innerhalb von zehn Jahren
verdoppelt, und auch fast jede zweite Frühverrentung ist
durch psychische Erkrankungen verursacht .

Das alles sind klare Zeichen dafür, dass unserer ge-
hetzten Gesellschaft die Puste ausgeht . Wir Grünen wol-
len dem nicht tatenlos zusehen . Wir machen ganz konkre-
te Vorschläge, wie Menschen wieder mehr Souveränität
über das bekommen können, was eines ihrer wichtigsten
Güter überhaupt ist, nämlich über ihre Zeit . Wir fordern
die Bundesregierung auf, hier endlich aktiv zu werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Thema ist nicht neu . Allein auf der Website des
Familienministeriums gibt es 116 Treffer, wenn man
nach dem Begriff „Zeitpolitik“ sucht, mit vielen Ver-
weisen auf umfassende Studien und Forschungsarbeiten .
Das zeigt: Wir haben überhaupt kein Erkenntnisproblem .
Aber diese Bundesregierung handelt nicht . Deshalb sa-
gen wir Grünen: Die Menschen brauchen jetzt eine bes-
sere Balance zwischen Beruf und Familie,


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ihnen scheint völlig entgangen zu sein, was in den letzten Jahren passiert ist!)


zwischen Pflege und/oder Ehrenamt, zwischen den vie-
len Mosaiksteinen, die unser Leben ausmachen . Denn
auch der Sankt-Nimmerleins-Tag hat nicht mehr als
24 Stunden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich muss keine Prophetin sein, um davon auszugehen,
dass die Kolleginnen und Kollegen von den Regierungs-
fraktionen gleich das Elterngeld Plus und die Familien-
pflegezeit anführen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich sage Ihnen aber: Lassen Sie das lieber stecken! Das
Elterngeld Plus ist ein Bürokratiemonster,


(Sönke Rix [SPD]: Was? – Maik Beermann [CDU/CSU]: 6 Milliarden Euro! – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Dieser Staat gibt 6 Milliarden Euro für das Elterngeld aus! Reden Sie das nicht klein!)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


das an der Lebensrealität der meisten Familien kilome-
terweit vorbeigeht .

Die Familienpflegezeit bleibt ein Rohrkrepierer. Sie
schließt den größten Teil der Frauen vom Rechtsan-
spruch aus und ist für Menschen mit geringem Einkom-
men sowieso unerschwinglich . Deshalb sagen wir: Wir
brauchen passgenaue und realitätstaugliche Instrumente,
damit Arbeit gut ins Leben passt, und wir brauchen diese
Instrumente jetzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das eine Arbeits-
zeitmodell reicht schon lange nicht mehr aus, um Er-
werbsarbeit und private Anforderungen unter einen Hut
zu bringen . Deshalb wollen wir einen Vollzeitkorridor
mit Wahlarbeitszeiten schaffen . Beschäftigte sollen das
Recht haben, ihren Arbeitszeitumfang im Bereich von 30
bis 40 Stunden bedarfsgerecht nach oben oder unten an-
passen zu können. Mit dieser flexiblen Vollzeit schaffen
wir echte Zeitsouveränität . Die Arbeitszeiten sollen end-
lich so beweglich werden, wie die Menschen in unserem
Land es schon lange sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Denken Sie an den kleinen Handwerksbetrieb!)


Es gibt aber auch Phasen im Leben, in denen mehr
Flexibilität allein nicht ausreicht: wenn man Verantwor-
tung für andere übernimmt, Kinder hat oder sich um Pfle-
gebedürftige kümmert, übrigens auch, wenn man sich in
der Mitte des Lebens nochmals beruflich umorientie-
ren möchte oder auch muss . In diesen Phasen braucht
es gezielte Unterstützung . Mit der Kinderzeit Plus, der
Pflegezeit Plus und unserer Bildungszeit Plus versetzen
wir Menschen auch finanziell in die Lage, in diesen Le-
bensphasen beruflich kürzerzutreten, und zwar ganz egal,
ob sie Reinigungskraft oder Professorin sind . Mehr Zeit
für Familie, mehr Zeit für Bildung muss jedem möglich
sein, unabhängig vom Geldbeutel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Aspekt ist mir besonders wichtig . Es sind immer
noch meistens die Frauen, die als Mütter bzw. als pfle-
gende Angehörige zulasten ihrer eigenen Existenzsiche-
rung beruflich zurückstecken. Hier wirkt ein sehr ungutes
Zusammenspiel von althergebrachter Rollenverteilung,
Minijobs, Ehegattensplitting, noch immer unzureichen-
der Kinderbetreuung und zu wenigen Tagesbetreuungs-
angeboten für Pflegebedürftige.

Dabei wissen wir aus Umfrage über Umfrage, Studie
über Studie, dass Frauen und auch Paare so gar nicht
mehr leben wollen . Eine Mehrzahl will heute nicht mehr
so leben . Paare, vor allem wenn sie junge Eltern sind,
wollen Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich
untereinander aufteilen . Aber in ihrem Alltag können sie
das nicht; sie haben nicht die Möglichkeit dazu .

Das ist doch der Arbeitsauftrag an uns, liebe Kollegin-
nen und Kollegen: dafür zu sorgen, dass die Menschen so
leben können, wie sie es selber wünschen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dafür brauchen wir neue Instrumente wie die flexible
Vollzeit oder die Kinderzeit Plus. Ich finde, es ist wirk-
lich Zeit, dass die Bundesregierung bei diesem Thema
endlich die Ärmel hochkrempelt .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818307400

Vielen Dank, Katja Dörner . – Nächste Rednerin ist

Bettina Hornhues für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Bettina Hornhues (CDU):
Rede ID: ID1818307500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr,
dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen mit ihrem
Antrag ein wichtiges Thema auf die heutige Tagesord-
nung gesetzt haben .

Als Familienpolitikerin und Berichterstatterin für die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf möchte ich beson-
ders einen Blick auf den Teil des Antrags werfen, der sich
mit der Zeit für die Familie beschäftigt . Es herrscht wahr-
scheinlich über kein Thema der Familienpolitik so viel
Einigkeit wie darüber, dass wir mehr Zeit für Familien
schaffen müssen, und zwar Zeit, die sich Familien selbst
einteilen können, je nachdem, wie die individuellen Be-
dürfnisse sind .

Für Mütter und Väter, die als Paar zusammenleben,
stellt sich nicht nur die Frage, wie beide Elternteile, für
sich betrachtet, Familie und Beruf vereinbaren . Von ho-
hem Interesse ist für Paare mit Kindern zudem das Zu-
sammenspiel der Partner bei der Balance zwischen Fami-
lie und Beruf . Zeitpolitik ist deshalb ein brandaktuelles
Thema und wird auch in den nächsten Jahren weiterhin
die größte Herausforderung in der Familienpolitik sein .

Bereits vor zehn Jahren wurde mit dem Siebten Fami-
lienbericht der Bundesregierung die Zeitpolitik auf die
Agenda gesetzt und läutete damit einen Wendepunkt in
der Familienpolitik ein . Erstmals wurde der Zeitorgani-
sation ein eigenes Kapitel gewidmet . Dieses beschreibt
das Spannungsfeld zwischen Erwerbs- und Familienzeit .
Seitdem schaffen wir mit zahlreichen familienpolitischen
Maßnahmen Möglichkeiten für Familien, eine bessere
Balance zwischen Arbeit und Familie zu finden und da-
mit die Vereinbarkeit zu verbessern .

In dieser Legislaturperiode haben wir bereits einiges
dafür getan und wichtige Ziele unseres Koalitionsvertra-
ges umgesetzt, beispielsweise mit der Einführung des El-
terngeld Plus, mit Partnerschaftsbonus und einer flexib-
len Elternzeit oder mit dem Familienpflegezeitgesetz zur
besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf.
Genau diese Erfolge der Großen Koalition zeigen, dass
wir in den letzten drei Jahren gute Arbeit geleistet haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt gehen die Kollegen der Grünen aber einen Schritt
weiter und wollen dem Kind einen neuen Namen geben .
So soll aus dem Elterngeld und dem Elterngeld Plus die

Katja Dörner






(A) (C)



(B) (D)


Kinderzeit Plus werden usw . Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, das leuchtet mir an dieser Stelle leider nicht ein .
Warum sollen wir bewährte familienpolitische Leistun-
gen umbenennen und es so den Eltern noch schwerer ma-
chen, zwischen den verschiedenen Antragsmöglichkeiten
zu unterscheiden? Dies spart meiner Meinung nach we-
der Zeit noch Nerven und ist somit doch eher kontrapro-
duktiv für einen Antrag, der unter anderem mehr Zeit für
Familien fordert . Nichtsdestotrotz werden wir als CDU/
CSU-Bundestagsfraktion auch weiterhin dem Wunsch
der Eltern nach mehr Zeit mit der Familie nachkommen,
und wir machen uns für eine zukunftsorientierte Zeitpo-
litik stark, aber mit anderen Schwerpunkten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die im letzten Jahr vorgestellte Zeitverwendungsstu-
die des Bundesamtes für Statistik hat gezeigt, dass auf
der einen Seite jeder dritte Vater und jede fünfte Mutter
bemängeln, dass sie nicht ausreichend Zeit für ihre Kin-
der haben . Mit der Studie wurden im letzten Jahr erst-
mals Zahlen ermittelt, die auf die Veränderungen bei der
Verwendung von Zeit eingehen . Weiter gibt die Studie
darüber Aufschluss, dass sich 7 Prozent der Väter und
28 Prozent der Mütter auf der anderen Seite aber auch
mehr Zeit für die Erwerbsarbeit wünschen . Das heißt,
dass jede dritte Mutter gern mehr arbeiten möchte . Dies
verdeutlicht sehr gut, dass die Mütter und Väter von heu-
te eben beides wollen: arbeiten und Zeit mit den Kindern
verbringen .

Doch – um nochmals auf den Antrag zurückzukom-
men – zeigt sich hier wieder die Frage, wie wir diesen
Wünschen der Mütter und Väter gerecht werden wollen .
Hierbei gehen unsere politischen Vorstellungen nämlich
auseinander . Fest steht, dass der Zeitabschnitt für Kin-
der im Lebenslauf kaum variabel ist und im Alter zwi-
schen 25 und 40 Jahren alles zusammenkommt . Sowohl
die Familienplanung steht im Vordergrund als auch die
berufliche Entwicklung und die Karriereplanung. Zahlen
aus dem Jahr 2014 zeigen, dass Mütter bei ihrem ersten
Kind durchschnittlich 29,5 Jahre alt sind . Die Familien-
gründung rückt im Lebensverlauf also immer weiter nach
hinten .

Dies ist ein signifikanter Wandel, vergleicht man dies
mit den 1950er- und 1960er-Jahren . Damals kamen fast
alle Kinder in Ehen zur Welt, und der Mann war der
Hauptverdiener und Ernährer der Familie . In diesem
klassischen Familienmodell hat sich die Frau, die im
Schnitt beim ersten Kind deutlich jünger war als heute,
um Haushalt und Kinder gekümmert . Heute ist jedoch
das Zweiverdienermodell meistens in den Familien zu
finden, wonach sich Mütter und Väter jeweils Erwerbsar-
beit und Fürsorge für die Kinder teilen .

Diesem Wandel in den Lebensverläufen müssen wir
Rechnung tragen . Dieser Wandel in den Familienmodel-
len bewirkt, dass es in der vielbesagten Rushhour des Le-
bens nun zu Verschärfungen kommt . Zurückzuführen ist
dies hauptsächlich auf den Wandel der Arbeitswelt und
auf den steigenden Anteil der erwerbstätigen Frauen in
Deutschland, und dieser Wandel war – trotz aller Diskus-
sionen – längst überfällig und ist nur zu begrüßen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Allein in den letzten Jahren, zwischen 2009 und 2013,
gab es einen weiteren Anstieg um 4,2 Prozent, Tendenz
weiter steigend . Weitere Studien zeigen aber auch, dass
eine Erhöhung der Zeit von Vätern zu Hause nicht die
Probleme lösen wird . Auch wenn sich fast 80 Prozent
der Väter mehr Zeit mit ihren Kindern wünschen, ist dies
nicht das Allheilmittel . Wir sollten uns schwerpunkt-
mäßig weiter darum kümmern, die Karrierechancen der
Frauen in dieser Lebensphase noch mehr zu verbessern
und diejenigen Frauen zu fördern, die mehr arbeiten
möchten, indem beispielsweise die typischen Frauenbe-
rufe in den sozialen Bereichen aufgewertet und besser
bezahlt werden oder den Frauen der Wiedereinstieg nach
der Geburt des Kindes und der Elternzeit erleichtert wird .
Jungen Familien in der Phase der Familiengründung feh-
len schließlich nicht nur Zeit, sondern vor allem auch
Geld .

Neben Geld ist aber auch eine gute Infrastruktur wich-
tig, um Familien zu entlasten . Bereits in den letzten Jah-
ren haben Bund und Länder viel Geld in den Kitaausbau
gesteckt; darauf sollten wir weiter aufbauen . Die aktuel-
len Zahlen bestätigen, dass der Ausbau der Krippenplätze
in den vergangenen Jahren gut vorangekommen ist .

Meiner Meinung nach müssen wir uns in den nächsten
Jahren aber auch um bessere Betreuungsmöglichkeiten
für Grundschulkinder kümmern . Bisher wurde dieses
Thema in der politischen Diskussion leider viel zu wenig
beachtet . Bis zur Einschulung wird eine gute Betreuung
mit Krippe und Kindergarten mittlerweile gewährleistet .
Neue Probleme tauchen aber wieder mit dem Eintritt in
die Schule auf, vor allem da Betreuungsplätze in einem
Hort oder in einer Ganztagsschule für Grundschulkinder
in vielen Kommunen knapp sind . Hier müssen die Län-
der in die Verantwortung genommen werden und in die
Infrastruktur investieren . Den Eltern ist nicht geholfen,
wenn sie ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, weil ihr
Kind in die Grundschule gekommen ist und nicht mehr
betreut werden kann . Hier, liebe Kollegen der Grünen,
könnte man dort, wo Sie an der Landesregierung beteiligt
sind, viel erreichen . Aber leider passiert in den rot-grün
geführten Bundesländern bisher auch auf diesem Feld
viel zu wenig .

Fassen wir zusammen: Mehr Zeit für Familien ist ein
schönes Ziel, welches wir als Politik allerdings nicht al-
leine erreichen können . Vielmehr sind wir dabei auf die
Unterstützung der Gesellschaft und der Arbeitgeber an-
gewiesen .

Zum Schluss möchte ich besonders den Betrieben und
Unternehmen danken, die bereits in den letzten Jahren
erkannt haben, dass Familienfreundlichkeit ein wichtiger
Faktor der Arbeitnehmerzufriedenheit ist . Ohne sie wür-
den unsere Maßnahmen nicht den Erfolg haben .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818307600

Vielen Dank, Bettina Hornhues . – Nächste Rednerin:

Cornelia Möhring für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Bettina Hornhues






(A) (C)



(B) (D)



Cornelia Möhring (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818307700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich begrüße sehr, dass wir hier über Zeit diskutieren . Das
ist ein wichtiges und dringliches Thema . Wir wissen: Im-
mer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leiden
unter dem sogenannten Burn-out, schaffen die ständig
wachsenden Anforderungen nicht mehr . Während die ei-
nen im Hamsterrad rotieren, wird ein anderer Teil in der
Gesellschaft von der Arbeitswelt ausgegrenzt und darf
nicht mehr teilhaben . Das kann auch nicht sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie stellen als Grüne in Ihrem Antrag die Frage, was
denn nötig sei, damit Arbeit und Leben besser zueinander
passen . Ich habe ein kleines Problem mit der grundsätz-
lichen Herangehensweise, denn das klingt ein bisschen
so, als ob Sie Arbeit und Leben als Gegensätze einander
gegenüberstellten, hier die Arbeit, dort das Leben . Aber
Arbeit und Lebensweise gehören untrennbar zusammen,
und Arbeit ist auch mehr als Erwerbsarbeit .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde, das, was wir brauchen, ist doch Zeit für das
ganze Leben . Wir brauchen Zeit für Erwerbsarbeit, so-
dass wir sie ohne Stress und gesund bleibend tun können .
Wir brauchen Zeit für Sorgearbeit, das heißt für Kinder-
betreuung, für die Pflege von Angehörigen, für den Haus-
halt . Wir brauchen Zeit, um uns weiterzuentwickeln, für
Bildung, Kultur, zum Faulenzen, und wir brauchen nicht
zuletzt Zeit – das sehen wir in Zeiten wie heute besser
denn je – für politische Meinungsbildung und Teilhabe .
Diese Verfügung über unsere eigene Zeit muss für jede
und jeden gleich gelten, egal ob Mann oder Frau, arm
oder reich, mit oder ohne Kinder .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber leider sind wir von dieser gerechten Verteilung
von Arbeit und Zeit noch weit entfernt, und von einem
Zeitwohlstand können wir bei weitem noch nicht reden .
Die Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundes-
amtes zeigt, dass auch die reale Erwerbsarbeitszeit meist
nicht mehr der gewünschten Arbeitszeit entspricht . Kurz
gesagt: Väter wollen weniger erwerbsarbeiten und mehr
Zeit für Familie haben, Frauen möchten gerne mehr er-
werbsarbeiten, und alle möchten Zeit für alle Seiten des
Lebens .

Aber diese Wahlfreiheit haben sie nicht . Sie können
nicht so einfach frei aushandeln, wie die Arbeit verteilt
werden soll; denn wir haben nicht nur eine ungerechte
Verteilung von Arbeit und Zeit, sondern auch von Ein-
kommen, auch zwischen den Geschlechtern . Deswegen
lautet in vielen Paarbeziehungen die Frage gar nicht,
wer wie viele Monate Elternzeit nehmen kann, sondern
sie lautet: Wie viel Gleichberechtigung können wir uns
eigentlich leisten? Deshalb führt die gut gemeinte For-
derung nach der Weiterentwicklung der Elternzeit nicht
automatisch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir Zeit für
das ganze Leben, wollen wir die Verfügung über unsere

Zeit zurückgewinnen, dann müssen wir die Arbeit zwi-
schen den Geschlechtern und zwischen Erwerbstätigen
und Erwerbslosen umverteilen – und das mit guten Löh-
nen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das geht am besten mit einer allgemeinen Arbeitszeit-
verkürzung . Weil deren Sinn und Zweck nicht darin be-
stehen kann, noch mehr Sorge- und Pflegearbeit in die
Familien zu verlagern, damit sich Eltern und pflegende
Angehörige besser im Hamsterrad platzieren können,
brauchen wir unbedingt einen massiven Ausbau der so-
zialen Infrastruktur, also sowohl der Ganztagskinderbe-
treuung als auch der pflegerischen Infrastruktur.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Bettina Hornhues [CDU/CSU])


Das schafft echte Entlastung . Das wird auch entschei-
dend sein, wenn wir über solche Maßnahmen wie eine
Pflegezeit Plus diskutieren.

Wir sollten endlich das Verständnis eines Normal-
arbeitsverhältnisses ein für alle Mal über Bord werfen .
Die Menschen wollen keine starren Vorgaben, sie wollen
Flexibilität, bei der sie auch ein Wort zu sagen haben,
sie wollen weder ausufernde Arbeitszeiten, die nur Stress
bedeuten, noch Teilzeitstellen, von denen sie nicht leben
können . Es geht also um viel mehr als um Vereinbarkeit,
es geht um viel mehr als um die Weiterentwicklung ver-
schiedener Vereinbarkeitsmaßnahmen .

Aber ich freue mich auf die Diskussion auf dem Weg
in eine neue Arbeitswelt und Lebensweise, für mehr Zeit-
wohlstand für alle . Packen wir es an .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818307800

Vielen Dank, Kollegin Möhring . – Der nächste Red-

ner: Dr . Fritz Felgentreu für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1818307900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An Ton

und Inhalt des Antrags der Grünen zum Thema „Zeit für
mehr“ merkt man, dass wir uns so langsam dem Wahl-
kampf nähern . Das muss für die Qualität der parlamenta-
rischen Debatten nicht unbedingt schlecht sein .

Aber wenn wir uns Ihre Vorschläge anschauen, liebe
Frau Dörner, dann wird auch klar, dass das schon rela-
tiv ehrgeizig ist, was Sie da skizzieren . Wenn Sie sich
hier vorne hinstellen und sagen, das müsste alles sofort
umgesetzt werden, dann kommt mir das nicht so richtig
realistisch vor . Wenn Sie mit einem Gesetzentwurf ange-
kommen wären und das Anliegen schon konkret ausge-
staltet gewesen wäre, dann hätte ich dem folgen können .
Aber der Arbeitsauftrag, den Sie der Regierung geben
wollen, bedarf doch erheblicher Ausarbeitungen – das ist






(A) (C)



(B) (D)


Ihnen doch selber klar –, die geraume Zeit in Anspruch
nehmen .

Nach meiner unmaßgeblichen parlamentarischen Er-
fahrung muss ich deswegen sagen: Wenn man mit so et-
was im letzten Jahr einer Legislaturperiode beginnt, dann
geht es in Wirklichkeit nicht darum, dass das noch in ein
Gesetz mündet, sondern es geht darum, ein Thema zu be-
setzen, es geht darum, vor der Wahl mit den eigenen Ide-
en die Debatte zu bestimmen . Das ist alles völlig legitim .
Aber tun Sie doch nicht so, als wollten Sie hier und heute
irgendetwas ändern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion
begrüßt diesen Vorstoß der Grünen sogar; denn er gibt
uns die Gelegenheit, darzustellen, was wir in der Regie-
rung erreicht haben,


(Beifall der Abg . Bettina Hornhues [CDU/ CSU])


um eine moderne Zeitpolitik für Familien zu gestalten,
und er gibt uns auch die Gelegenheit, darzustellen, was
wir in Zukunft erreichen wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die drei Arbeitsfelder, die der Grünenantrag definiert,
sind klar: Es geht um mehr Zeit für Kinderbetreuung
in der Familie, es geht um mehr Zeit für Pflege, und es
geht um mehr Zeit für Weiterbildung . Überall da soll der
rechtliche Rahmen ein bisschen ausgeweitet und die Ver-
einbarkeit mit dem Berufsleben verbessert werden .

Die SPD-Fraktion teilt diese Zeile, und deswegen
sind wir stolz darauf, dass wir in der Regierung in den
letzten zwei Jahren auf dem Gebiet von Betreuung und
Pflege erhebliche Fortschritte gemacht haben. Wir haben
einen Rechtsanspruch geschaffen, die Arbeitszeit bis zu
24 Monate auf eine Mindestarbeitszeit von 15 Stunden
pro Woche zu reduzieren, um Zeit für pflegebedürfti-
ge Angehörige zu haben . Ein halbes Jahr können sich
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Pflege
freistellen lassen. Mit dem Familienpflegezeitgesetz ste-
hen wir den Menschen in einer besonders schweren Le-
bensphase zur Seite .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Oft geht es ja darum, von einem geliebten Menschen
Abschied zu nehmen . Es ist keine Selbstverständlichkeit,
dass jemand die Kraft und den Willen aufbringt, sich per-
sönlich um chronisch Kranke oder sterbende Angehörige
zu kümmern . Wir wollen allen, die sich dafür entschei-
den, ermöglichen, dass sie diesen Liebesdienst mit dem
Berufsleben in Einklang bringen können, und wir sind
dabei auch ein großes Stück weitergekommen .

Mindestens genauso wichtig ist für uns, dass junge
Eltern Zeit haben, sich um ihre kleinen Kinder zu küm-
mern . Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung für El-
tern, die eine Auszeit für die Babypflege nehmen. Diese

Leistung ist inzwischen schon fast zehn Jahre alt, und sie
ist ein Baby der SPD, auf das wir auch stolz sind .


(Beifall bei der SPD)


Im Unterschied zu den Grünen freuen wir uns, dass
wir das Elterngeld vor über einem Jahr um das Eltern-
geld Plus ergänzen konnten . Durch das Elterngeld Plus
können Paare jetzt auch gemeinsam für ihre kleinen
Kinder sorgen, wenn sie dafür in Teilzeit arbeiten . Ganz
offenkundig hat die Politik mit dem Elterngeld Plus ei-
nem echten Bedürfnis junger Eltern Rechnung getragen .
Wenn man bedenkt, wie neu diese Leistung ist, dann ist
es schon ein sensationeller Erfolg, dass im ersten Quartal
dieses Jahres schon fast 20 Prozent der jungen Eltern El-
terngeld Plus beantragt haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So schlimm kann der bürokratische Aufwand dafür also
gar nicht sein .

Die SPD beabsichtigt nicht, sich auf diesen Lorbee-
ren auszuruhen . Eine moderne Zeitpolitik – darauf hat
auch die Kollegin Hornhues hingewiesen – muss auch
Familien erreichen, deren Kinder zur Schule gehen . Sie
muss die vielen neuen Formen von Erwerbstätigkeit im
Blick haben, die die digitale Revolution mit sich bringt .
Sie muss die Ausbeutung und die Selbstausbeutung der
sogenannten Soloselbstständigen zu verhindern helfen .

Für all das ist nicht nur die Familienpolitik gefragt .
Auch die Tarifparteien und die Sozialpartner müssen mit-
machen bei der Entwicklung neuer, flexibler Arbeitszeit-
modelle, die den Bedürfnissen von Familien und Allein-
stehenden in einer Volkswirtschaft, die hochproduktiv ist
und auch bleiben soll, gerecht werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ein Modell, das die SPD auch im edlen Wettstreit der
Ideen mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen und von den Linken, auf jeden Fall weiterver-
folgen wird, ist die Familienarbeitszeit . Wir wollen eine
Unterstützung für Paare organisieren, die Erwerbs- und
Familienarbeit partnerschaftlich teilen .


(Beifall bei der SPD)


Das alte Modell „Einer arbeitet, und in der Regel bleibt
eine zu Hause“, das lehnen wir überhaupt nicht ab, und
es wird auch vom Staat massiv gefördert, zum Beispiel
durch Mitversicherung und Steuersplittingmodelle, über
die wir auch kontrovers diskutieren . Aber ein Modell, bei
dem beide gemeinsam zu zwei Dritteln arbeiten und sich
zu je einem Drittel um Kinder und Haushalt kümmern,
könnte sich in unserer Zeit noch mehr bewähren . Denn es
ist für beide Geschlechter fair, es ist gut für die Familie,
und es ist auch gut für die Wirtschaft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Gesetzentwurf? – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Wahlkampf für Berlin!)


Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)


Über 90 Prozent der Frauen und Männer unter 40 fin-
den, dass beide, Mütter und Väter, sich um die Kinder
kümmern sollen . Dabei wollen viele Mütter gerne mehr
arbeiten und Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbrin-
gen . Mit unserer Familienarbeitszeit können wir die-
sen Eltern helfen, ihren Wunsch zu verwirklichen . Für
die Wirtschaft bedeutet Familienarbeitszeit, dass mehr
Menschen arbeiten gehen können und dass den Unter-
nehmen und der öffentlichen Hand mehr gut ausgebildete
Fachkräfte zur Verfügung stehen . Besonders die Mütter
werden dank der Familienarbeitszeit mehr für ihre Rente
vorsorgen und der Altersarmut vorbeugen können . Die
Kinder profitieren davon, weil sie mit beiden Eltern mehr
Zeit verbringen können .

Einen wichtigen Schritt in Richtung Familienarbeits-
zeit sind wir mit dem Elterngeld Plus bereits gegangen .
Aber genau wie das traditionelle Modell der Arbeitstei-
lung in Familien wird auch die Familienarbeitszeit staat-
liche Förderung brauchen, vor allem durch Lohnersatz,
aber auch durch den weiteren Ausbau von Betreuungsan-
geboten; auch darauf hatte Kollegin Hornhues hingewie-
sen . Deshalb werden wir auch weiter daran arbeiten, dass
erstklassige Kitas und Schulen mit flexiblen Betreuungs-
angeboten für alle Bedürfnisse zur Verfügung stehen . Das
nennen wir „Familienarbeitszeit“, und da wollen wir hin .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo ist der Gesetzentwurf?)


Lassen Sie uns doch einfach die Zeit bis zur Bundes-
tagswahl nutzen, um über die besten Lösungen zu strei-
ten . Ich freue mich darauf und wünsche uns weiterhin
eine gute Debatte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818308000

Zum Thema Zeit passt auch, dass Sie sich bitte an die

Zeit halten .


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1818308100

14 Sekunden!


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818308200

Das war jetzt ins allgemeine Rund gesprochen .


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1818308300

Ach so . Dann ist ja gut .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818308400

Vielen herzlichen Dank, Dr . Felgentreu . – Nächster

Redner: Maik Beermann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Maik Beermann (CDU):
Rede ID: ID1818308500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! George Orwell sagte einst: „Die Zeit vergeht nicht
schneller als früher, aber wir laufen eiliger an ihr vor-

bei.“ – Ich finde, das beschreibt auch deutlich, wie heute
einige Situationen aussehen . Ja, wir leben in einer sehr
anspruchsvollen Zeit, in der uns Smartphones in zehnmi-
nütigen Abständen auf neue Termine hinweisen, E-Mails
mit Arbeitsaufträgen aufploppen, die abgearbeitet wer-
den müssen . Ja, ich kann verstehen, dass Menschen sich
gehetzt fühlen . Natürlich müssen wir diese Entwicklung
sehr ernst nehmen . Wie ernst wir sie nehmen, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, das möchte ich gern kurz skizzieren .

Das Thema „Zukunft der Arbeit“ steht ganz oben auf
der Agenda der CDU . Bereits am 15 . Dezember letzten
Jahres haben wir auf unserem Parteitag in Karlsruhe in-
tensiv über das Thema „Arbeit der Zukunft – Zukunft der
Arbeit“ debattiert und dazu auch ein Papier einstimmig
verabschiedet . Damit haben wir auf die Veränderungen
in der Arbeitswelt, so auch den Wunsch nach mehr Sou-
veränität bei der Arbeitszeit, aus parteipolitischer Sicht
bereits reagiert, und wir werden dies natürlich auch in die
parlamentarische Debatte einbringen; das haben wir an
der einen oder anderen Stelle auch schon getan .

„Familien brauchen Zeit füreinander .“ Dieser Satz,
meine Damen und Herren, stammt aus dem Koalitions-
vertrag . Er macht deutlich, dass wir Familien und ihre
Bedürfnisse in den Vordergrund stellen . Zeit ist das kost-
barste Gut der Familien . Daher haben wir bereits am
11 . März 2014 gemeinsam mit dem Koalitionspartner im
Antrag „Mehr Zeitsouveränität“ das Thema aufgegriffen .
Zeit ist eben auch eine Schlüsselressource .

Aus diesem Grunde machen wir uns stark für eine mo-
derne, lebenslauforientierte Zeitpolitik, die Frauen und
Männer dabei unterstützt, Beruf und Familie miteinander
zu vereinbaren . Wir wollen Familien wieder zum Taktge-
ber des Lebens machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Prioritäten innerhalb der Gesellschaft haben sich
geändert . Eltern sagen heute: Ich würde gern auf gewisse
Dinge verzichten, wenn ich mehr Zeit mit den eigenen
Kindern, mit der eigenen Familie verbringen dürfte . –
Darauf haben wir als Gesetzgeber auch schon reagiert .
Um den Bedürfnissen von Eltern besser gerecht zu wer-
den, haben wir – die Kollegen Hornhues und Felgentreu
haben es erwähnt – das Elterngeld und dann das Eltern-
geld Plus eingeführt . In meinen Augen war das ein Mei-
lenstein in der Familienpolitik . Durch diese Regelungen
haben Eltern die Möglichkeit, die ersten zwei Jahre mit
ihrem Kind individuell zu gestalten – ein richtiger und
wichtiger Schritt in Richtung Familienzeitpolitik und so-
mit ein gesamtgesellschaftlicher Gewinn .

Ich bin davon überzeugt, dass die vielen variablen und
flexiblen Ausgestaltungen des Elterngelds auch ihren An-
teil an der steigenden Geburtenrate haben . Wir hatten im
Jahr 2015 immerhin 23 000 mehr Geburten als 2014, und
2014 hatten wir auch schon mehr als 2013 . Das heißt, es
bewegt sich etwas, und das ist auch gut so .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Fritz Felgentreu [SPD])


Neben Zeit brauchen Familien vor allen Dingen Si-
cherheit . Gerade in den ersten Monaten nach der Geburt

Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)


eines Kindes hat Sicherheit, auch in Form von finanziel-
ler Sicherheit, eine ganz besondere Bedeutung . Dass wir
da die richtigen Schritte gemacht haben, zeigt ein Blick
auf die Zahlen . Jährlich werden aktuell 6 Milliarden Euro
für das Elterngeld ausgegeben . Es wird davon auszuge-
hen sein, dass bis zum Jahr 2020 sogar noch 1 Milliarde
Euro jährlich dazukommt; dann sind wir bei 7 Milliarden
Euro pro Jahr . Das ist ein deutliches Zeichen .

An dieser Stelle möchte ich zu bedenken geben, dass
wir auch als Familienpolitiker nie aus dem Blick verlie-
ren dürfen, dass das Geld, das wir ausgeben, erwirtschaf-
tet werden muss . Es sind immerhin Steuergelder, die hier
sicherlich eine sinnvolle Verwendung finden. Das streitet
keiner ab . Aber wir haben insbesondere auch eine Ver-
antwortung den nachfolgenden Generationen gegenüber .
Daher möchte ich hier noch einmal betonen, dass wir
genau aus diesem Grund keine neuen Schuldenberge an-
häufen dürfen . Als verantwortungsvolle Politiker müssen
wir immer zwischen dem, was wünschenswert ist, und
dem, was machbar ist, unterscheiden und abwägen . Ein
Dank hier auch einmal in Richtung des Bundesfinanz-
ministers – Herr Dr . Meister, nehmen Sie ihn bitte mit –,
dass es gelungen ist, auch für 2017 einen Haushalt aufzu-
stellen, der ohne neue Schulden auskommt . Die schwarze
Null steht . Und das ist ebenfalls gut so .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
in dieser Legislaturperiode schon viel erreicht . Mit der
Weiterentwicklung der Familienpflegezeit, die wir ver-
bindlicher und attraktiver gestaltet haben, wird es Er-
werbstätigen ermöglicht, ihre Arbeitszeit zu reduzieren,
um Zeit für die Pflege von Angehörigen zu haben. So
können die Familien die Pflege ihrer Angehörigen ganz
nach ihren Bedürfnissen und Vorstellungen gestalten,
ohne sich Gedanken machen zu müssen, dass sie durch
ihre Pflegetätigkeit ihre Berufstätigkeit möglicherweise
aufgeben müssen .

Aktuelle Zahlen belegen, dass die Familienpflegezeit
mehr und mehr angenommen wird . Denn laut Berech-
nungen des Familienministeriums haben seit Inkrafttre-
ten dieser neuen Regelungen bereits 39 000 Berufstätige
für die Pflege von Angehörigen eine mehrmonatige Pfle-
gezeit in Anspruch genommen .

Ich habe den allerhöchsten Respekt vor der Leistung,
die pflegende Angehörige täglich erbringen. Ich selber
komme aus einer Familie, in der meine Eltern meine
Großeltern bis zum Lebensende zu Hause gepflegt ha-
ben . Das waren emotionale Momente, das waren schwie-
rige Momente und anstrengende Momente . Diesen He-
rausforderungen muss man dann auch erst einmal gerecht
werden können . Aber ich darf auch sagen, dass es meiner
Schwester, meinem Bruder und mir – so gut es uns gelin-
gen konnte – ein Bedürfnis war, unsere Eltern dabei zu
unterstützen . Diese Erfahrung, die wir da gemacht haben,
war wirklich sehr prägend; denn die körperliche, aber
besonders auch die emotionale Belastung ist in solchen
Fällen sehr hoch. Die Vereinbarkeit von Familie, Pflege
und Beruf stellt Betroffene täglich vor große Herausfor-
derungen . Deshalb war diese Reform ein ganz wichtiger
Schritt .

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion
der Grünen, in Ihrem Antrag sprechen Sie von lebenslan-
gem Lernen . Ich gebe Ihnen gern eine kleine Gedächtnis-
stütze . Denn am 2 . Juni dieses Jahres, also vor ziemlich
genau einem Monat, wurde das Gesetz zur Stärkung der
beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschut-
zes in der Arbeitslosenversicherung verabschiedet . Da-
mit wurde die Rolle von Aus- und Weiterbildung als zen-
trale Elemente der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland
bekräftigt .

Ich bin ausdrücklich für eine Intensivierung der Wei-
terbildungsförderung, gerade auch deshalb, weil ich sel-
ber zu jenen gehöre, die eine dreijährige Ausbildung ge-
nossen und dann eben auch von Fortbildungsmaßnahmen
profitiert haben. In vielen Gesprächen in meinem Wahl-
kreis im niedersächsischen Nienburg und im Schaumbur-
ger Land berichten mir die Unternehmen, dass neben der
Gewinnung von Fachkräften und der Personalentwick-
lung die Themen „Fort- und Weiterbildung“ und „Einräu-
men individueller Zeitfenster“ von Bedeutung sind, da
diese häufig eine Berufsentscheidung junger Menschen
beeinflussen.

Die Ansprüche an die Beschäftigten haben sich in den
letzten Jahren stark verändert . Gerade die Digitalisierung
beeinflusst diese Entwicklung; denn sie eröffnet eine
Vielzahl von neuen Möglichkeiten, die den Arbeitsalltag
besser machen können und somit die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf auch fördern . Die Digitalisierung bie-
tet in diesem Bereich enorme Chancen . Diese Chancen
gilt es in Zukunft noch besser zu nutzen und für alle zu-
gänglich zu machen .

Das Internet verändert Arbeitsorganisationen und Ar-
beitsbeziehungen . Aber Arbeit ist immer weniger orts-
und zeitgebunden und zunehmend dezentral organisiert .
Die Digitalisierung bedeutet in dieser Hinsicht einen
qualitativen Sprung und führt nicht nur zu einer quantita-
tiven Ausweitung von schon lange bekannten Arbeitsfor-
men wie Telearbeit und Home Office.

Für uns war es schon immer wichtig und richtig, Fa-
milien in ihren verschiedenen Lebensphasen und -situa-
tionen zu unterstützen . Dafür schaffen wir verlässliche
Rahmenbedingungen, dabei achten wir nicht nur auf die
Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit jeder ein-
zelnen Familie, sondern bestärken diese auch .

Zum Thema Selbstbestimmtheit bzw . Wahlfreiheit
möchte ich an dieser Stelle noch einmal Folgendes ganz
deutlich sagen: Wir von der Union werden Regelungen,
die die Freiheit der Familiengestaltung beeinflussen und
lediglich ein ganz bestimmtes Familienmodell fördern,
ganz klar ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg . Dr . Fritz Felgentreu [SPD])


Für uns hat eine echte Wahlfreiheit oberste Priorität bei
familienpolitischen Überlegungen . Eine starre gesetz-
liche Regelung, die nur ein bestimmtes Modell berück-
sichtigt, lehnen wir ab .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ja ein Fortschritt!)


Maik Beermann






(A) (C)



(B) (D)


Ich danke der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass
sie diesen Antrag gestellt hat und mir somit die Mög-
lichkeit gibt, in der letzten Sitzungswoche vor der Som-
merpause meine Redezeit zu nutzen, die jetzt leider ab-
gelaufen ist, um die gute und lebensnahe Familien- und
Pflegepolitik der Großen Koalition zu erörtern, unsere
gute Arbeit in diesem Bereich nochmals in den Fokus
der Öffentlichkeit zu stellen und auf das wichtige The-
ma der Digitalisierung hinzuweisen . Die Digitalisierung
wird in der Zukunft große Herausforderungen mit sich
bringen; das haben Sie in Ihrem Antrag leider komplett
unterschlagen und vergessen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Familien und pfle-
gende Angehörige haben eines wirklich verdient, näm-
lich dass sie im Fokus unserer Gesellschaft stehen . Das
soll auch so sein . Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kol-
legen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ist daher lei-
der abzulehnen .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ist doch die erste Lesung!)


Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818308600

Vielen Dank . – Ich mache noch einmal darauf auf-

merksam: Wenn jeder, wenn er gemerkt hat, dass die Re-
dezeit zu Ende ist, noch eine Minute länger redet, dann
wird das heute Abend nichts .

Jetzt hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion
Die Linke das Wort . – Bitte schön .


(Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Der holt das jetzt wieder auf!)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818308700

Ich versuche, mich daran zu halten .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818308800

Gut .


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818308900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Zeit für mehr“: Ich hätte gerne mehr Zeit zum
Reden . Die allgemeinen Zeitprobleme hat die Kollegin
Möhring ja hier schon erörtert . Aufgrund der mir zur Ver-
fügung stehenden Redezeit möchte ich nur auf den ersten
Punkt im Antrag der Grünen eingehen .

Sie fordern, dass der Anspruch auf Kinderzeit Plus, so
nennen Sie es jetzt, auf 24 Monate erhöht wird – pro El-
ternteil 8 Monate zuzüglich 8 Monate, die die Eltern un-
tereinander aufsplitten können . Alleinerziehende sollen
die vollen 24 Monate in Anspruch nehmen können . Der
Schonraum im ersten Lebensjahr soll erhalten bleiben,
sodass Eltern im ersten Lebensjahr des Kindes die Mög-
lichkeit des vollständigen Ausstiegs aus dem Berufsleben
nutzen können . Kinderzeit Plus kann genommen wer-
den, wenn der vorherige Stellenumfang um mindestens

20 Prozent reduziert wird und dabei noch mindestens die
Hälfte der tariflichen oder branchenüblichen Wochenar-
beitszeit umfasst . Und letztlich soll die Kinderzeit Plus
unterbrochen werden und bis zum 14 . Lebensjahr des
Kindes – bis zur Strafmündigkeit – verlängert werden
können . Das klingt alles ganz toll, auch die Überschrift
„Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt“ .


(Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Schöne Forderungen, welche die Linke bereits 2009
erhoben hat! Wir wollten seinerzeit 12 Monate pro El-
ternteil und die vollen 24 Monate für Alleinerziehende .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Kein Stress! Erst einmal zuhören . – Diese Zeit sollte
auch aufgesplittet werden können bis zum 7 . Lebensjahr
des Kindes, damit Eltern die Möglichkeit eröffnet wird,
auch während der Einschulungsphase Elternzeit nehmen
zu können . Und wissen Sie noch, was Sie dazu gesagt
haben? Frau Haßelmann ist vorhin leider gegangen . Sie
hat wahrscheinlich geahnt, was jetzt kommt . Denn Frau
Haßelmann hat damals, ausweislich des Sitzungsproto-
kolls vom 5 . März 2009 gesagt – ich zitiere –:

Jörn Wunderlich, wir sollten uns einmal anschau-
en, welche Auswirkungen Ihre Vorschläge voraus-
sichtlich auf die Erwerbstätigkeit von Frauen und
die Einstellungspraxis der Betriebe haben werden .
Mit … den anderen bereits angesprochenen Maß-
nahmen geben Sie in Ihrem Antrag definitiv keine
Antwort auf die anstehenden Herausforderungen bei
der Zeitsouveränität von Frauen und Männern . …

Ihre Vorschläge werden negative Auswirkungen auf
die Einstellung von Frauen in der Praxis haben . Das
kann man nicht wegdiskutieren .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb ist unser Antrag anders gestrickt!)


Alle Fraktionen im Bundestag, auch die Grünen, ha-
ben damals gegen den Antrag der Linken gestimmt . Jetzt,
sieben Jahre später, kommen Sie mit nahezu gleichen
Forderungen, wollen allerdings die Elternzeit nicht nur
bis zum 7 . Lebensjahr, so wie wir damals, sondern sogar
bis zum 14 . Lebensjahr ausdehnen . Was ist denn da mit
den negativen Auswirkungen, die man nach Ihrer Mei-
nung nicht wegdiskutieren kann?

Aber nicht aufregen: Dass ihr euch selbst konterka-
riert, zeigt, dass sich inzwischen ja einiges getan hat .
So können Eltern mittlerweile zwischen Elterngeld
und Elterngeld Plus entscheiden . Auszeiten können bis
zu 24 Monate lang sein und bis zum 8 . Geburtstag des
Kindes genommen werden, wobei der Arbeitgeber nicht
mehr zustimmen muss . Die Elternzeit muss nur innerhalb
bestimmter Fristen beim Arbeitgeber angemeldet wer-
den, und die Elternzeit kann in drei Zeitabschnitte pro
Elternteil geteilt werden . So haben Eltern schon jetzt die
Möglichkeit, ihr Kind auch zu einem späteren Zeitpunkt,
etwa bei Eintritt in die Schule, intensiver zu begleiten .

Sie wollen diesbezüglich offenbar mit Ihrem Antrag
bestehende Regelungen umbenennen, auf die Zeit vom

Maik Beermann






(A) (C)



(B) (D)


8 . Lebensjahr bis zum 14 . Lebensjahr des Kindes ausdeh-
nen und haben Ihre nicht wegzudiskutierenden Bedenken
einfach beiseitegeschoben . Oder anders ausgedrückt: Sie
haben es endlich auch begriffen, wenn auch als die Letz-
ten hier im Saal . Die seit Jahren bestehenden diesbezüg-
lichen Forderungen meiner Fraktion sind inzwischen na-
hezu vollständig umgesetzt . Links wirkt eben . Es dauert
ein bisschen, aber es wirkt .


(Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Na, na, na!)


– Doch, das ist so . Sie hätten einfach einmal in die alten
Protokolle schauen und den Webauftritt des Bundesmi-
nisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum
Thema Elterngeld Plus beachten müssen, dann hätten
auch Sie Zeit für mehr .


(Dr . Fritz Felgentreu [SPD]: Gute Idee! – Heiterkeit der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])


Mit den anderen Punkten des Antrags werde ich mich
in den abschließenden Beratungen nach der Sommerpau-
se beschäftigen . Darauf freue ich mich auch schon .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bitte ein bisschen konkreter!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818309000

Danke schön . – Jetzt spricht die Kollegin Ulrike Bahr

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulrike Bahr (SPD):
Rede ID: ID1818309100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen

und Kolleginnen! Zunächst einmal herzlichen Dank an
die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen, die uns mit ihrem Antrag die Gelegenheit
geben, das wichtige Thema Zeitpolitik in der Kernzeit
zu debattieren . Das freut mich wirklich sehr . In meiner
Fraktion setzen wir uns seit etwa einem Jahr in einer
Projektgruppe „Neue Zeiten“ intensiv mit den im Antrag
thematisierten Fragen auseinander, aber darüber hinaus
noch mit weiteren Aspekten .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann gibt es einen Antrag?)


Manuela Schwesig fordert schon seit ihrem Amts-
antritt eine Familienarbeitszeit, die Eltern unterstützen
soll, auch über die Babyzeit hinaus Erwerbsarbeit und
Familienarbeit partnerschaftlich zu teilen: mit hoch-
wertigen Betreuungsangeboten, einem Anspruch auf
reduzierte Arbeitszeit und mit einer Kompensation der
Einkommensverluste wie beim Elterngeld Plus . Denn
wir wissen: Mütter wollen vielfach mehr, Väter weniger
arbeiten . Dabei muss aber unter dem Strich das Familien-
einkommen stimmen .

Unser Ziel ist eine lebensphasenorientierte Arbeits-
zeit. Dazu gehört zum Beispiel auch ein Pflegebudget. Es
könnte da einspringen, wo Pflegende heute Kredite auf-

nehmen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern .
Zur Finanzierung von Zeiten für Weiterbildung und per-
sönliche Weiterentwicklung diskutieren wir ein Chan-
cenbudget . Dafür sind viele Finanzierungsmöglichkeiten
denkbar: von Zuschüssen aus einer fortentwickelten Ar-
beitsversicherung über selbst angesparte Zeitwertkonten
der Erwerbstätigen bis hin zu Darlehen .

Ich meine aber: Zeitpolitik kann sich nicht auf Lohn-
ersatzleistungen beschränken, die ja immer zeitlich be-
grenzt sein müssen . Darum haben wir in unserer Pro-
jektgruppe weitere Modelle diskutiert, um Erwerbsarbeit
und Familie besser in Einklang zu bringen . Ein wichtiges
Instrument dafür wäre eine Wahlarbeitszeit . Viele Tarif-
verträge bieten den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern bereits Korridore für die Arbeitszeit an . Dabei gilt
es, einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der
Erwerbstätigen und den Belangen der Betriebe zu finden.
Das gelingt am besten mit Regelungen auf betrieblicher
Ebene, die von den Tarifpartnern ausgehandelt werden .
Für Eltern oder Pflegende in nicht tarifgebundenen Un-
ternehmen müssen gesetzliche Auffangregelungen ge-
schaffen werden .

Einen ersten Schritt in Richtung Wahlarbeitszeit pla-
nen wir noch in dieser Legislaturperiode . Mit einem
Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit holen wir Müt-
ter und Väter aus der Teilzeitfalle . Besonders bei Frau-
en sehen wir immer noch viel zu häufig: Auf eine Phase
familiärer Sorgetätigkeit folgt dann eine Berufstätigkeit
weit unterhalb des ehemaligen Qualifikations- und Ge-
haltsniveaus . Dieses Schema müssen wir durchbrechen .
Es führt besonders Mütter immer noch direkt in die Al-
tersarmut .

Wahlarbeitszeit und befristete Teilzeit haben den gro-
ßen Vorteil, nicht nur in den Lebenssituationen anwend-
bar zu sein, die der Antrag der Grünen nennt, nämlich
Kinder, Pflege und Weiterbildung; denn einen sehr wich-
tigen Bereich, für den wir dringend Zeit neben der Er-
werbstätigkeit brauchen, nennt der vorliegende Antrag
nicht: das bürgerschaftliche Engagement .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir alle wünschen uns eine lebendige Bürgergesell-
schaft, Beteiligung, gelebte Demokratie und Arbeit für
den gesellschaftlichen Zusammenhalt . Auch dafür müs-
sen Zeit und Freiraum zur Verfügung stehen . Das scheint
mir in allen politischen Parteien noch zu wenig im Blick
zu sein . Dabei haben wir gerade im letzten Jahr erlebt,
dass ohne das Engagement der Bürgerinnen und Bürger
in Krisenzeiten kein Staat zu machen ist .


(Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Laut dem kürzlich vorgestellten Freiwilligensurvey
ist fast die Hälfte aller Berufstätigen irgendwo engagiert .
Sie haben für ihr Engagement aber immer weniger Zeit .
Besonders schwierig ist es darum, Menschen für ehren-
amtliche Leitungsfunktionen zu gewinnen . Das liegt
nicht daran, dass sich niemand mehr verpflichten möchte.
Immer noch engagieren sich die meisten Menschen sehr
langfristig .

Jörn Wunderlich






(A) (C)



(B) (D)


Es liegt daran, dass gerade Berufstätige zu wenige plan-
bare Freiräume haben .

Ich bin mir sicher: Genauso wichtig wie eine Reduzie-
rung der Stundenzahl sind darum Regeln für eine planba-
re und verlässliche Arbeitszeit . Arbeit passt dann gut ins
Leben, wenn Flexibilität nicht immer nur zulasten der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht . Und manchmal
muss man auch die Leute vor sich selbst schützen – mit
verbindlichen Ruhezeiten und Regeln für die Erreichbar-
keit außerhalb der regulären Arbeitszeit .


(Dr . Fritz Felgentreu [SPD]: Hört! Hört!)


Dieser Ausgleich gelingt übrigens in kleinen und mittle-
ren Unternehmen oft besser, weil man sich besser kennt .

Wer Familie hat, sich kümmert, sich fortbildet, sich
engagiert, ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft und für
jedes Unternehmen . Darum müssen wir hier gemeinsam
mit den Tarifpartnern weiter an umfassenden Konzepten
für mehr Zeitsouveränität arbeiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818309200

Vielen Dank . – Dr . Franziska Brantner ist die nächste

Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Eltern wollen Zeit mit ihren Kindern, und
das auch nach dem ersten Lebensjahr . Man kann ja heute
viele Aufgaben effektiver und schneller erledigen; aber
eine Geschichte liest sich nicht schneller vor, und auch
Trösten im Eiltempo gibt es einfach nicht . Wir wollen
deswegen Eltern mehr Zeit geben . Wir wollen den Bezug
des Elterngeldes auf zusammen 24 Monate ausweiten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber Eltern wollen Arbeit und Fürsorge auch part-
nerschaftlicher gestalten – das sagen alle Umfragen . Vä-
ter wären gerne dabei, wenn das Kind die ersten Worte
spricht . Viele Väter würden gern mehr Elternzeit in An-
spruch nehmen als die mittlerweile üblichen zwei Mo-
nate . Aber die Frage quält: Was passiert denn dann im
Job? Viele Mütter möchten auch gerne mehr arbeiten . Sie
wollen vor allen Dingen gerne etwas von der Hausarbeit
abgeben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Susanna Karawanskij [DIE LINKE])


Beim Elterngeld Plus finden es viele nicht fair, dass es
egal ist, ob Frau oder Mann auf eine halbe Stelle redu-
ziert oder zum Beispiel auf 70 Prozent – das Elterngeld
bekommt man in beiden Fällen nur doppelt so lange . Das
ist ein finanzieller Anreiz für eine kleine Teilzeit und ent-
spricht nicht den Wünschen der Eltern .

Unsere Kinderzeit Plus bietet Antworten darauf:

Erstens – Herr Wunderlich, da liegt ein Unterschied –
soll eine große Teilzeit nicht mehr bestraft werden, son-
dern es soll gelten: Wer halbtags arbeitet, bekommt dop-
pelt so lange Elterngeld; wer um ein Fünftel reduziert,
bekommt fünfmal so lang Elterngeld – natürlich auch nur
den entsprechenden Betrag . Diese große Teilzeit ist das,
was in Skandinavien beide Elternteile in der Mehrheit
wählen . Das wünschen sich auch die Eltern in Deutsch-
land . Dafür wollen wir die Rahmenbedingungen setzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Jeder Elternteil, Mutter und Vater, erhält
acht Monate Elternzeit; weitere acht Monate können sie
sich frei untereinander aufteilen . Es können auch zwei
Partnerinnen bzw . Partner sein . Wir haben ja bunte Fami-
lien . Es kann auch jemand sein, der einfach zur Familie
dazugehört .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens . Herr Wunderlich, jetzt komme ich zu Ihrem
Punkt . Für uns ist wichtig, zu sagen: Das erste Lebens-
jahr des Kindes steht allen für einen kompletten Ausstieg
zur Verfügung, und danach ist eine halbe Stelle als Mi-
nimum die Voraussetzung für den Bezug von Elterngeld .
Dadurch wird ermöglicht – und zwar allen –, das niedri-
gere Gehalt bei Teilzeitbeschäftigung auf hohem Niveau
finanziell abzufedern. Heute ist es so, dass es sich nur
manche leisten können; diejenigen, die geringe Einkom-
men haben, können es sich nicht leisten . Wir möchten
gerne dafür sorgen, dass die Möglichkeit, dieses Modell
zu leben, nicht mehr davon abhängig ist, ob man einen
sehr gut bezahlten oder einen weniger gut bezahlten Job
hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viertens . Ich komme zum Unterschied zum Modell
der Familienarbeitszeit von Frau Schwesig . Ihr Modell
schafft ein enges Korsett . Es sieht vor, dass beide zwi-
schen 30 und 32 Stunden pro Woche arbeiten, und zwar
beide gleichzeitig . Das kriegt man im öffentlichen Dienst
hin, aber ansonsten, in der freien Wirtschaft, eigentlich
nirgends . Das Institut, das in Ihrem Auftrag berechnet
hat, wie viele Eltern das in Anspruch nehmen würden,
hat gesagt: 1 Prozent der Eltern . Das heißt, Sie machen
Politik für 1 Prozent der Eltern . Wir machen Politik für
alle .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Wer soll das bezahlen?)


Das ist moderne Familienpolitik .

Sie haben die Familienpflegezeit hier heute so häufig
lobend erwähnt. Wissen Sie, wie viele pflegende Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer sie in Anspruch neh-
men? Die Zahlen von heute zeigen: Es sind 3 Prozent
derjenigen, die anspruchsberechtigt sind, 39 000 in ganz
Deutschland . Wenn Sie das als Erfolg verkaufen und be-
haupten, das sei eine Leistung, die von den Berechtig-
ten massiv in Anspruch genommen werde, dann würde
ich echt gerne wissen, wo Ihre Messlatte für Misserfolg
hängt . Bei 0,2 Prozent? Die 3 Prozent zeigen eindeutig:
Ihre Politik ist fehlgeleitet, das ist nicht die richtige Leis-

Ulrike Bahr






(A) (C)



(B) (D)


tung. Wir wollen mit der Pflegezeit Plus den Pflegenden
mit drei Monaten Lohnersatzleistung endlich wirklich
helfen; denn das haben sie verdient .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Pflege ist selten planbar, oft muss man auf Notfälle
reagieren. Wir wollen, dass sich die Pflegenden, analog
zum Kinderkrankengeld und im Gegensatz zum gelten-
den Pflegezeitgesetz, jährlich bis zu zehn Tage freistellen
lassen können .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818309300

Frau Kollegin Brantner, gestatten Sie noch kurz eine

Zwischenfrage des Kollegen Pols von der CDU/CSU?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818309400

Bitte schön .


Eckhard Pols (CDU):
Rede ID: ID1818309500

Vielen Dank, Frau Kollegin Brantner, dass Sie mei-

ne Zwischenfrage zulassen . Mich als selbstständiger
Handwerksmeister, der ich nebenbei auch noch bin, hier
im Deutschen Bundestag würde interessieren, wer Ihre
wunderbare Idee von der 32-Stunden-Woche bezahlen
soll . Mit Blick auf den Stundenlohn, den meine Gesel-
len bekommen, die 39 oder 38,5 Stunden arbeiten – sie
bekommen ihn zu recht, sind ihn auch wert –, frage ich
mich: Bekommen sie für 32 Stunden den gleichen Stun-
denlohn, oder muss ich den Stundenlohn hochfahren, da-
mit sie am Ende auf ihr Gehalt kommen? Eine Antwort
auf diese Frage sind Sie bislang schuldig geblieben . Ich
warte darauf .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818309600

Danke, Herr Kollege Pols . Frau Brantner, ich darf Sie

bitten, kurz darauf zu antworten und Ihre Antwort gleich-
zeitig mit einem Schlusswort zu verbinden .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich gebe mein Bestes . – Herr Pols, die 32 Stunden
stammen aus dem Modell der SPD; von daher müssen
Sie die SPD fragen, wenn Sie eine Antwort wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckhard Pols [CDU/CSU]: Sie haben es erwähnt!)


– Ich habe erwähnt, dass wir explizit ein anderes Modell
haben wollen, in dem sich die Eltern selbst aussuchen
können, wie viel sie arbeiten wollen . Wir wollen keine
feste Stundenzahl vorschreiben . Alles andere – das sehe
ich wie Sie – macht nicht viel Sinn .

Uns geht es darum, einen flexiblen Zeitrahmen zu
ermöglichen . Das bedeutet natürlich nicht, dass die Un-
ternehmen dafür mehr zahlen . Bei der Gestaltung wäre
es gut, wenn die Unternehmen länger Zeit bekämen, um

sich darauf einzustellen . Wir haben mit vielen Unterneh-
mern und Verbänden Rücksprachen gehalten, die alle
betont haben: Den Betrieben hilft eine langfristige Pla-
nungssicherheit auf hohem Niveau, und zwar nicht nur
bei Teilzeit in geringem Umfang . Von daher, glaube ich,
dass wir eine sehr gute Lösung gefunden haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Aber nicht bei einem Fünf-Mann-Handwerksbetrieb!)


Ich komme zum Schluss . Das ist unsere Antwort: Zeit
für mehr . Ich freue mich auf gute Debatten im Ausschuss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818309700

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Dr . Volker

Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1818309800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Antrag „Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins
Leben passt“ berührt den Kern vieler Fragen der Men-
schen in unserem Land . Sie fragen sich: Wie kann ich
Familie und Beruf unter einen Hut bringen? Sie fragen
sich, wie sie die notwendige finanzielle Basis für ihr all-
tägliches Leben schaffen können . Aber der vorliegende
Antrag macht deutlich, dass auch wir eine Verantwortung
haben . Wir müssen uns fragen: Wie kann der Staat hel-
fen? Was muss der Staat innerhalb seiner Verantwortung
leisten?

Ausgangspunkt ist unser Menschenbild und unsere
Konzeption der Familie . Familien sind der Kern sozialer
Beziehungen in einer Gesellschaft . Sie verdienen Aner-
kennung und Unterstützung, und zwar nicht im Sinne
von reinen Lippenbekenntnissen, sondern im Sinne eines
echten politischen Eintretens für Familie und Zusam-
menhalt . Ausgangspunkt ist der Schutz der Familie ge-
mäß unserem Grundgesetz .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jede Familie muss und soll selbst entscheiden können,
wie sie ihr Leben gestaltet . Der Staat hat Unterstützung
anzubieten, er hat Familien zu helfen, aber staatliche Hil-
fe darf nicht zu einer sanften Lenkung führen . Famili-
enpolitische Leistungen sind keine Vorgabe, sondern sie
sind Angebote des Staates . Das ist unser Leitbild .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir über die Angebote des Staates sprechen,
dann gilt es festzuhalten, dass die Angebote für Familien
in unserem Land noch nie so gut waren wie heute .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Allein das Elterngeld beziehen im Schnitt über
800 000 Familien . Unser Staat gibt 7 Milliarden Euro al-
lein für das Elterngeld aus . Aber selbst diese großartige
familienpolitische Leistung ist nur ein Bruchteil dessen,
was auf allen staatlichen Ebenen für die Belange von

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


Familien mit Kindern, aber auch für die Belange von
Familien mit zum Beispiel pflegebedürftigen Eltern aus-
gegeben wird . Wir sollten diese Erfolge nicht kleinreden,
sondern stolz sein, dass es diesem Land gelingt, dies auf
die Beine zu stellen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Grünen fragen sich – das wird in ihrem Antrag
deutlich –, wie mehr Zeit für eine bessere Betreuung der
Kinder, wie mehr Zeit für die Familie mit der Arbeit un-
ter einen Hut zu bringen sind .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Ich zitiere aus Ihrem Antrag:

Die Menschen sollen so leben können, wie sie es
sich wünschen .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Ja, das ist richtig . Das ist gelebte Freiheit . Aber dann fra-
ge ich mich, warum Sie in den letzten Jahren das Betreu-
ungsgeld so bekämpft haben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es das Gegenteil von gelebter Freiheit war!)


Das Betreuungsgeld ist gelebte Wahlfreiheit für Famili-
en .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ist verfassungswidrig!)


Es bietet den Familien die Chance, ihr Kind in den ersten
Lebensmonaten selbst zu betreuen, so wie sie es gerne
hätten . Der Staat leistet eine Kompensation für diesen Er-
ziehungs- und Betreuungsaufwand . Das ist gelebte Frei-
heit . Wenn Sie den Menschen sagen, dass sie so leben
sollen, wie sie es sich wünschen, dann hätten Sie nicht
diesen harten Kampf gegen das Betreuungsgeld führen
sollen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie schon einmal wegen 100 Euro zu Hause geblieben?)


Meine Damen und Herren, wir werden auch über die
Kosten für die Forderungen, die Sie hier gestellt haben,
reden müssen . Sie fordern einen Ausbau des Elterngeldes
zu einer Kinderzeit Plus, einen Ausbau des Pflegegeldes
zu einer Pflegezeit Plus und zusätzlich auch noch eine
Bildungszeit Plus, sagen aber nicht, wie das Ganze finan-
ziert werden soll . Allein die Ausdehnung des Elterngel-
des würde zu Kosten in Höhe von etwa 10 bis 12 Milli-
arden Euro führen .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Das soll und muss der Staat finanzieren.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir in den Haushaltsberatungen darlegen!)


Es ist unseriös, Forderungen in den Raum zu stellen, aber
keine Silbe darüber zu verlieren, wie der Staat das finan-
zieren soll . So können Sie nicht Politik machen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die „12 Milliarden“ sind unseriös!)


Der Kollege Beermann und die Kollegin Hornhues ha-
ben es zu Recht angesprochen: Der Staat muss das, was
er aus guten und vernünftigen Motiven heraus verteilt,
auch erwirtschaften . Wenn wir über das Erwirtschaften
reden, sind zwei Dinge von wesentlicher Bewandtnis:
zum einen die Frage der Steuereingänge des Staates und
zum anderen die Frage, was die Menschen in diesem
Land verdienen . Ich hätte mir gewünscht, dass Sie dies-
bezüglich ein Stück weit die Realität in diesem Land be-
schrieben hätten . Realität ist, dass wir zum ersten Mal seit
1991 eine Arbeitslosenquote von unter 6 Prozent haben,
dass in vielen Bereichen Deutschlands Vollbeschäftigung
herrscht, dass wir Rekordsteuereinnahmen haben und
dass in letzter Zeit nicht nur die Renten, sondern auch die
Löhne gestiegen sind . Man macht die beste Familienpoli-
tik, wenn man dafür sorgt, dass die Menschen ordentlich
was in der Tasche haben . Das hat diese Bundesregierung
erreicht . Das hätten Sie bitte einmal erwähnen können .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


An dieser Stelle, da wir darüber sprechen, dass das,
was verteilt werden soll, auch erwirtschaftet werden
muss, geht ein Dank an unsere Unternehmen . Es ist näm-
lich nicht selbstverständlich, dass diese Flexibilität, die
viele Familien zu Recht erfahren, in den Unternehmen
gelebt wird und dass viele Unternehmen auch jenseits der
gesetzlichen Verpflichtungen bereit sind, den Lebensent-
würfen ihrer Mitarbeiter gerecht zu werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das zeigt doch, dass die Frage des Umgangs mit Zeit und
den Bedürfnissen von Familien eine Kategorie darstellt,
die wir nicht verordnen können, sondern die gelebt wer-
den muss, die einem gesellschaftlichen Geist entspringen
muss, einem Geist, einem Spirit, der letztlich sagt, dass
Familien mit Kindern mit das Kostbarste sind, was wir
in unserem Land haben, und dass Pflegeleistungen, die
Menschen gegenüber ihren Eltern erbringen, etwas Wun-
derbares sind, was wir nicht in Euro und Cent messen
können .

Ich komme auf den Beginn meiner Rede zurück . Un-
ser Menschenbild steht im Mittelpunkt unserer Politik .
Es ist die freie Entscheidung der Familien, wie sie le-
ben wollen . Dabei werden wir sie unterstützen . Da bitte
ich Sie, an unserer Seite zu sein . Aber ich bitte Sie auch,
nicht Anträge zu stellen, die diese Erfolge konterkarieren
und es den Familien eher erschweren . In diesem Sinne
werden wir Ihren Antrag ablehnen .

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die erste Lesung! Den brauchen Sie nicht abzulehnen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818309900

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Sönke Rix, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1818310000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Schade, dass das Betreuungs-
geld nun doch noch einmal Thema dieser Debatte werden
musste . Natürlich muss ich als letzter Redner, wenn Sie
es schon angesprochen haben, auch noch einmal darauf
eingehen . Ich dachte, wir wären an dieser Stelle weiter .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich unterstelle niemandem hier, dass er das Wahl-
recht infrage stellt . Aber in dem Moment, wo jemand das
Betreuungsgeld wieder aufs Tableau hebt, fange ich zu
überlegen an; denn das hat mit Wahlrecht nichts zu tun .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Doch! Das unterstellen Sie immer! Das ist aber falsch!)


Es ist nicht nur gleichstellungspolitisch und integrations-
politisch kontraproduktiv, sondern es wäre die einzige
Leistung, die wir dafür zahlen würden, dass Menschen
eine Infrastruktur des Staates nicht nutzen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist doch albern; wir zahlen doch auch nicht, wenn
die Menschen nicht zum Sportverein oder nicht in die
Bücherei gehen . Was wollen Sie also damit erreichen?
Sie wollen lenken, und damit setzen Sie die Wahlfreiheit
außer Kraft .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das wollen Sie! Das wollen Sie mit Ihrer 32-Stunden-Woche!)


Nun zu der Frage, ob der Grünenantrag ein guter oder
ein weniger guter Antrag ist . Auf jeden Fall ist er eine
wunderbare Grundlage nicht nur für diese Debatte, son-
dern auch für die weitere Diskussion . Wenn wir überle-
gen, wie wir die familienpolitischen Diskussionen in den
vergangenen Jahren geführt haben, dann stellen wir fest,
dass wir sie in erster Linie in Richtung Ausbau von Infra-
struktur geführt haben, um Betreuung zu gewährleisten .
Da haben wir gemeinsam auch viele Erfolge erzielt . Nun
könnten wir sagen, wir seien die Ersten gewesen, die den
Ausbau der Betreuungsplätze gefordert haben . Ich aber
sage: Wir haben da gemeinsam viele Erfolge erzielt .

Dass wir jetzt schon weiter sind und nach der Einfüh-
rung von Elternzeit, Elterngeld, Elterngeld Plus dafür
sorgen wollen, dass Familien mehr Zeit beanspruchen

können, ist auch ein guter gemeinsamer Schritt . Da dan-
ke ich den Grünen ganz herzlich für die Ideen, die sie in
diesem Antrag aufgeschrieben haben .


(Beifall der Abg . Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Den Applaus nehme ich noch gerne mit . – Allerdings
sagen wir auch: Man muss das, was wir auch gemeinsam
geleistet haben, nicht so abwerten . Das Elterngeld Plus,
die Elternzeit sowie das Elterngeld sind Riesenerfolge,
und das sollte man an dieser Stelle noch einmal deutlich
sagen .


(Beifall bei der SPD)


Es sind zeitpolitische Erfolge, es sind gleichstellungs-
politische Erfolge . Wir bringen mit dem Elterngeld Plus
auch mehr Männer in die Elternzeit; auch diesen Erfolg
sollte man hier deutlich benennen . Wir danken dem Ko-
alitionspartner, dass er das gemeinsam mit uns auf den
Weg gebracht hat .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zur Familienpflegezeit. Natürlich wäre es viel schö-
ner, wenn wir analog zum Elterngeldmodell so etwas
auch für Familienpflegezeit auf den Weg gebracht hätten.
Unsere Idee war es, auch da mit einer Lohnersatzleistung
heranzugehen . Zu behaupten, dass ein Modell, das für
37 000 Menschen in Kraft tritt, nicht nützlich und kein
positiver Schritt sei, finde ich falsch.


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 39 000!)


Es ist ein guter Schritt, und wir erreichen damit mehr
Vereinbarkeit von Familie und Pflege. Von daher lohnt es
sich, auch das positiv zu erwähnen .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben einen Konflikt in der Fragestellung: Müs-
sen die Unternehmen und die Tarifparteien die Regelun-
gen zur Arbeitszeit selber vornehmen oder nicht? Den
Konflikt haben wir übrigens bei der Quote gehabt, den
Konflikt haben wir demnächst noch einmal deutlich bei
der Lohngerechtigkeit, und den Konflikt haben wir auch
hier . Wir sehen doch, dass es nicht funktioniert, wenn wir
nicht auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine
vernünftige Familienarbeitszeit schaffen .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb, liebe Union, geben Sie sich einen Schubs, und
schaffen Sie solche gesetzliche Regelungen mit uns in
der Koalition .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Einen Fakt aber will ich zum Schluss noch einmal be-
nennen. Wenn man durch das Internet surft, findet man
von der Deutschen Bahn – dieser Betrieb ist ja unser ei-
gener, damit mache ich keine Schleichwerbung – ein Vi-
deo dazu, was sich Kinder wünschen . Erst einmal werden
die Eltern gefragt, was sich wohl die Kinder wünschen .
Die Eltern erzählen sehr viel über materielle Dinge oder
darüber, was die Kinder vielleicht später einmal werden

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


wollen . Die Kinder sagen, dass sie mehr Zeit mit ihren
Eltern haben wollen . Nicht nur wegen der Tatsache, dass
die Eltern vielleicht aufgrund eines schlechten Gewis-
sens – das will ich nicht unterstellen; ich bin selber Va-
ter – mehr Zeit für Familie haben wollen, sondern auch,
weil Kinder mehr Zeit mit ihren Eltern haben wollen,
lohnt es sich, über eine andere Zeitpolitik, eine bessere
Zeitpolitik zu diskutieren .


(Beifall bei der SPD)


Machen wir es also nicht so, dass in erster Linie die
Arbeit im Vordergrund steht, sondern machen wir es so,
dass in erster Linie die Familie im Vordergrund steht .
Wenn wir dann auch noch die Kinder in den Mittelpunkt
stellen, dann können wir eine vernünftige Familienar-
beitszeit auf den Weg bringen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818310100

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9007 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so be-
schlossen .

Wir kommen jetzt zu einer ganzen Reihe von Über-
weisungen und Abstimmungen . Da bitte ich einfach um
Konzentration .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 g sowie
die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:

38 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung der Artikel 8 und 39
des Übereinkommens vom 8. November
1968 über den Straßenverkehr

Drucksache 18/8951
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die elektromagnetische Verträglich-

(Elektromagnetische-Verträglichkeit-Gesetz – EMVG)


Drucksache 18/8960
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung abfallverbringungsrechtlicher
Vorschriften

Drucksache 18/8961

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

d) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Katrin Kunert, Dr . Kirsten Tackmann, Caren
Lay, weiteren Abgeordneten und der Frakti-
on DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei-
nes … Gesetzes zur Änderung des Kraft-
fahrzeugsteuergesetzes

Drucksache 18/9034
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Haushaltsausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach,
Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und
Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes
gewährleisten

Drucksache 18/8888
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Haushaltsausschuss

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Steuerschlupflöcher schließen – Gewinn-
verlagerung durch Lizenzzahlungen ein-
schränken

Drucksache 18/9043
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

g) Beratung des Antrags der Abgeordne-
ten Nicole Maisch, Annalena Baerbock,
Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neues Düngerecht endlich beschließen

Drucksache 18/9044
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Renate Künast, Luise Amtsberg, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Frakti-

on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Beteiligung des Bundestages im Vorfeld
der Genehmigung der vorläufigen Anwen-
dung des Handelsabkommens mit Kanada

(Comprehensive Economic and Trade Sönke Rix Agreement – CETA)





(A) (C)


(B) (D)


Drucksache 18/9038
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Federführung strittig

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta
Krellmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Abstimmung über CETA erfordert Beteili-
gung von Bundestag und Bundesrat

Drucksache 18/9030
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte .

Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-
sungen .

Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 g sowie Zusatz-
punkt 2 b . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorla-
gen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
zu überweisen . Die Vorlage auf Drucksache 18/9030, Zu-
satzpunkt 2 b, soll nicht an den Auswärtigen Ausschuss,
jedoch zusätzlich an den Ausschuss für die Angelegen-
heiten der Europäischen Union überwiesen werden . Sind
Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall .
Dann ist so beschlossen .

Wir kommen jetzt zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist .

Zusatzpunkt 2 a . Interfraktionell wird Überweisung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/9038 mit dem Titel „Beteiligung des Bun-
destages im Vorfeld der Genehmigung der vorläufigen

(Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA)

die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wün-
schen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und
Energie . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht
Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbrau-
cherschutz .

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Federfüh-
rung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz .
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei-
sungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt .

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD, Feder-
führung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie . Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvor-
schlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a bis 39 t sowie
die Zusatzpunkte 3 a bis 3 j auf . Es handelt sich hierbei
um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine
Aussprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 39 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 12. November
2015 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und Australien zur Beseitigung der Dop-
pelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern
vom Einkommen und vom Vermögen sowie
zur Verhinderung der Steuerverkürzung und
-umgehung

Drucksache 18/8830

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/9068

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/9068, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 18/8830 anzuneh-
men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Enthaltung der Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 b:

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung ei-
ner Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stif-
tung

Drucksache 18/8858

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(22 . Ausschuss)


Drucksache 18/9079


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/9082

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9079,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 18/8858 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-
menverhältnis angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 c:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Herstellung des Einvernehmens des Deutschen
Bundestages mit der Bestellung des Instituts
für Gesetzesfolgenabschätzung und Evalua-
tion beim Deutschen Forschungsinstitut für
Öffentliche Verwaltung, Speyer, als wissen-
schaftlichen Sachverständigen im Rahmen
der Evaluierung der Terrorismusbekämp-
fungsgesetze nach Artikel 5 des Gesetzes zur
Verlängerung der Befristung von Vorschriften
nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen

Drucksache 18/9031

Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen
Abstimmung in der Sache, die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen wünscht Überweisung an den Innenausschuss .

Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer ist
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überwei-
sung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt .

Wir kommen daher jetzt zur Abstimmung über den
Antrag auf Drucksache 18/9031 . Wer stimmt für diesen
Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Enthaltung der Opposition angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Anja Hajduk,
Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbe-
ziehungen jetzt angehen

Drucksachen 18/8079, 18/8903

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/8903, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8079 abzuleh-

nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer,
Herbert Behrens, Dr . Anton Hofreiter, Dr . Sahra
Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Stephan
Kühn (Dresden) und weiterer Abgeordneter

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

Drucksachen 18/8273, 18/8932

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/8932, den Antrag auf Drucksa-
che 18/8273 in der Ausschussfassung anzunehmen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung von CDU/CSU und
SPD angenommen . Damit ist der 5 . Untersuchungsaus-
schuss der 18 . Wahlperiode eingesetzt .

Tagesordnungspunkt 39 f:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke,
Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Wilderei und illegalen Artenhandel stoppen

Drucksachen 18/5046, 18/8942

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/8942, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5046 abzu-
lehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 g:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD

Wildtierschutz weiter verbessern – Illegalen
Wildtierhandel bekämpfen

Drucksachen 18/8707, 18/8940

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/8940, den Antrag der Fraktio-
nen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8707
anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


onsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men .

Tagesordnungspunkt 39 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss) zu der Verordnung der Bun-
desregierung

Verordnung über Vereinbarungen zu ab-

(Verordnung zu abschaltbaren Lasten – AbLaV)


Drucksachen 18/8561, 18/8660 Nr. 2.2, 18/9081

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/9081, der Verordnung der Bun-
desregierung auf Drucksache 18/8561 zuzustimmen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Enthaltung der Opposition angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6 . Ausschuss)


Übersicht 8

über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht

Drucksache 18/9072

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an-
genommen .

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 39 j bis 39 t .

Tagesordnungspunkt 39 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 333 zu Petitionen

Drucksache 18/8891

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 333 ist mit den Stimmen
aller Fraktionen angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 334 zu Petitionen

Drucksache 18/8892

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 334 ist gegen die Stim-
men von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 335 zu Petitionen

Drucksache 18/8893

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 335 ist gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 336 zu Petitionen

Drucksache 18/8894

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 336 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Opposition angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 337 zu Petitionen

Drucksache 18/8895

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 337 ist einstimmig an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 39 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 338 zu Petitionen

Drucksache 18/8896

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 338 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 339 zu Petitionen

Drucksache 18/8897

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 339 ist bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 q:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 340 zu Petitionen

Drucksache 18/8898

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 340 ist einstimmig an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 39 r:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 341 zu Petitionen

Drucksache 18/8899

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 341 ist gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 s:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 342 zu Petitionen

Drucksache 18/8900

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 342 ist gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen .

Tagesordnungspunkt 39 t:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 343 zu Petitionen

Drucksache 18/8901

Ich weise darauf hin, dass hierzu eine Erklärung nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vorliegt .1)

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 343 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Ent-
haltung des Kollegen Wunderlich angenommen .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich habe es nicht geschafft, die Übersicht durchzusehen!)


– Das kann schon mal passieren .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sollte nicht!)


Ich rufe den Zusatzpunkt 3 a auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Direktzahlun-
gen-Durchführungsgesetzes

Drucksache 18/8514

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(10 . Ausschuss)


Drucksache 18/9067

Durch diesen Gesetzentwurf erfolgt eine Änderung
der Vorschriften über die Ausweisung von Gebieten mit

1) Anlage 6

umweltsensiblem Dauergrünland und über die Genehmi-
gung zur Umwandlung von Dauergrünland .

Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/9067, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/8514 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-
menverhältnis angenommen .

Zusatzpunkt 3 b:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Durch die Gemeinsame Agrarpolitik mehr
Tierschutz ermöglichen

Drucksache 18/9053

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt .

Zusatzpunkt 3 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendi-
enförderung und Studienfinanzierung stärken

Drucksachen 18/4692, 18/9037

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/9037, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4692 abzu-
lehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grü-
nen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Zusatzpunkte 3 d bis 3 j . Wir kommen zu weiteren
Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .

Zusatzpunkt 3 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Sammelübersicht 344 zu Petitionen

Drucksache 18/9060

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 344 ist einstimmig an-
genommen .

Zusatzpunkt 3 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 345 zu Petitionen

Drucksache 18/9061

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 345 ist mit den Stimmen al-
ler Fraktionen angenommen .

Zusatzpunkt 3 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 346 zu Petitionen

Drucksache 18/9062

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 346 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Zusatzpunkt 3 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 347 zu Petitionen

Drucksache 18/9063

Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammelüber-
sicht kommen, erteile ich der Kollegin Corinna Rüffer
das Wort zu einer ergänzenden Berichterstattung . – Bitte
schön, Frau Kollegin .


Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818310200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen!
Ich habe jetzt die Freude, für den gesamten Petitionsaus-
schuss sprechen zu dürfen – also nicht als Vertreterin ei-
ner Fraktion – und bei dieser Gelegenheit auch ein wenig
zu erhellen, worum es eigentlich geht, wenn wir hier über
Sammelübersichten abstimmen . Es geht um ganz viele
Menschen . Es geht um Probleme sehr konkreter Natur,
und es geht darum, dass wir gemeinsam versuchen, diese
zu lösen .

Am Mittwoch haben wir im Ausschuss eine bestimm-
te Petition übereinstimmend mit hohem Votum verab-
schiedet und damit der Bundesregierung signalisiert,
dass wir uns von ihr erhoffen, dass sie sich des Problems
annimmt . Im Namen des Petitionsausschusses darf ich
Ihnen, wie gesagt, das Anliegen kurz vortragen .

Es geht um die Durchsetzung verbesserter Quali-
tätsstandards in der Versorgung von Betroffenen mit
Inkontinenzhilfsmitteln . Das hört sich erst einmal nach

einem Randthema an . Das ist es aber nicht, sondern es
betrifft 1,5 Millionen Menschen in diesem Land, die
auf entsprechende Rezepte angewiesen sind . Nach gel-
tender Rechtslage sollte es eigentlich so sein, dass diese
Menschen ausreichend mit Hilfsmitteln in guter Quali-
tät versorgt sind; aber es häufen sich seit Jahren die Be-
schwerden darüber, dass dem leider nicht so ist . Bei den
Patientenorganisationen häufen sich die Hilferufe . Da-
rum geht es auch in dieser Petition, und darum haben wir
uns gekümmert . Es gibt viele andere, die ebenfalls davon
profitieren könnten, wenn sich die Bundesregierung die-
ses Anliegens annimmt .

Es geht natürlich vornehmlich um alte Menschen, aber
es geht auch um ganz junge Menschen mit Behinderung .

Lukas Schneider wäre nichts unangenehmer, als in
der Schule aufzufallen . Der 17-Jährige aus Stutt-
gart ist seit seiner Geburt inkontinent . Mit Windeln
hatte er zu leben gelernt, nicht aber mit den neuen
Einlagen, die ihm seine Versicherung seit dem ver-
gangenen Herbst anbietet . Diese knisterten so laut,
dass jeder Mitschüler sie hätte hören können – oder
waren so dünn, dass er einen ganzen Koffer davon
für einen Schultag benötigt hätte .

Seit November zahlen seine Eltern jeden Monat
120 Euro für dickere Einlagen dazu . „Uns blieb kei-
ne andere Wahl“, sagt seine Mutter . Allerdings muss
man sich diese Wahl auch leisten können .

Das ist ein Zitat aus einem Spiegel-Artikel . Es ist
nur ein einzelner Fall; wir hätten noch mehr konkrete
Anliegen dieser Art zitieren können . Wir hoffen, dass
schnell eine Lösung gefunden wird, Kontrolle stattfindet
und sich die Situation der Menschen ändert . Wäre dies
der Fall, könnte man sagen: Der Petitionsausschuss hat
wieder einmal weitergeholfen . – Dies tut er regelmäßig:
Regelmäßig werden Gesetze geändert, weil Bürgerinnen
und Bürger auf Probleme hinweisen, die wir vielleicht
vorher so nicht gesehen haben . Ich hoffe sehr, dass uns
das weiterhin erfolgreich gelingt .

Vielen Dank .


(Beifall im ganzen Hause)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818310300

Vielen Dank . – Nun kommen wir zur Abstimmung

über die Sammelübersicht 347 auf Drucksache 18/9063 .
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Sammelübersicht 347 ist mit den Stimmen
aller Fraktionen angenommen .

Zusatzpunkt 3 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 348 zu Petitionen

Drucksache 18/9064

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 348 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen .

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Zusatzpunkt 3 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 349 zu Petitionen

Drucksache 18/9065

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 349 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Opposition angenommen .

Zusatzpunkt 3 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 350 zu Petitionen

Drucksache 18/9066

Hierzu liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor .1)

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 350 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Opposition angenommen .

Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksam-
keit . Jetzt können Sie wieder reden .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Regulierung des Prostitutionsgewer-
bes sowie zum Schutz von in der Prostitution
tätigen Personen

Drucksache 18/8556

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13 . Ausschuss)


Drucksachen 18/9036 (neu), 18/9080

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN-
KE

Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeite-
rinnen und Sexarbeitern stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle
Schauws, Katja Dörner, Dr . Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gesetz zur Regulierung von Prostitutions-
stätten vorlegen

1) Anlage 7

Drucksachen 18/7236, 18/7243, 18/9036 (neu),
18/9080

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Bundes-
ministerin Manuela Schwesig . – Bitte schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Heute ist ein gu-
ter Tag für viele Frauen im Land, weil der Deutsche Bun-
destag wahrscheinlich – das liegt in Ihrer Hand – meh-
rere Gesetze verabschieden wird – er hat es jedenfalls
vor –, die vor allem die sexuelle Selbstbestimmung der
Frauen stärken und gerade Frauen, die in schwierigen Si-
tuationen sind, besser schützen . Das war schon bei der
vorangegangenen Abstimmung über die Verschärfung
des Sexualstrafrechts der Fall . Ich möchte an dieser Stel-
le meinen Respekt und meinen Dank den Abgeordneten,
insbesondere den Frauen aus allen Fraktionen, bekun-
den, die dafür gesorgt haben, dass eine jahrzehntelange
Debatte über die bessere Anerkennung der Rechte von
Frauen einen guten Abschluss gefunden hat . Mit dem
Prostituiertenschutzgesetz und dem Gesetz zur Bekämp-
fung von Menschenhandel und Zwangsprostitution, über
deren Entwürfe wir heute abschließend beraten, wollen
wir Frauen besser schützen, die in der Prostitution arbei-
ten und nicht Selbstbestimmung, sondern sehr oft Aus-
beutung, Zwang und Gewalt erleben .

Zu diesem Thema gibt es unterschiedliche Positionen .
Gerade in der Frauenbewegung gibt es unterschiedliche
Positionen zu der Frage, wie man mit Prostitution umge-
hen soll . Prostitution gibt es . Dabei geht es nicht allein
um Frauen . Auch Männer sind in der Prostitution tätig
und erleben schwierige Bedingungen . Aber überwiegend
sind Frauen betroffen . Deswegen betrachten wir es oft
als Frauenthema . Aber es ist, wie gesagt, auch ein Män-
nerthema .

Die Frauen und Männer im Prostitutionsgewerbe er-
leben die unterschiedlichsten Situationen . Es gibt Frau-
en, die das selbstbestimmt machen – ich selber habe mit
ihnen gesprochen – und sagen: Sexarbeit ist eine Arbeit,
die ich mir selber ausgesucht habe; die möchte ich ma-
chen . Dafür möchte ich nicht am Pranger stehen und
schon gar nicht gegängelt werden . – Aber es gibt auch
Frauen, die sich das nicht ausgesucht haben, die dazu ge-
drängt wurden, die sich in finanziellen Abhängigkeiten
befinden, vor allem in Abhängigkeiten von Männern, die
sie dazu zwingen . Nicht in jedem Fall kann man Zwangs-
prostitution sofort nachweisen .

Es gibt ganz unterschiedliche Antworten auf diese Le-
benslagen . Es gibt, kann man sagen, einen regelrechten
Streit insbesondere in der Frauenbewegung . Die einen

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


sagen: Alles verbieten! Die anderen sagen: Alles mög-
lichst so liberal halten, wie es gerade ist! Ich glaube, dass
beide Extrempositionen nicht richtig sind . Wir müssen
respektieren, wenn Frauen sagen, dass sie diese Arbeit
machen möchten . Dann sollten diese Frauen nicht in eine
Schmuddelecke gestellt, sondern geachtet werden . Aber
wir müssen auch der Tatsache ins Auge sehen, dass eine
Vielzahl von Frauen und Männern in der Prostitution
nicht ihre Selbstbestimmung finden, sondern Ausbeu-
tung, Unterdrückung und Gewalt erleben . Wir müssen
uns fragen, wenn wir ein Gesetz machen: Müssen wir
mit einem Gesetz diejenigen stärken, die gut klarkom-
men, oder müssen wir mit einem Gesetz vor allem dieje-
nigen schützen, die massenhaft ausgebeutet werden? Ich
nehme ganz klar die Haltung ein: Ich möchte diejenigen
schützen, die dort leiden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es die verant-
wortlichen Bundesregierungen zuvor versäumt haben,
zeitgleich mit der Legalisierung in den letzten zehn Jah-
ren Regeln aufzustellen . Warum das nicht geschehen ist,
müssen sich alle fragen . Deswegen rate ich dazu, nicht
mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sondern zu ver-
suchen, gemeinsam zu guten Lösungen zu kommen .
Das haben wir jetzt gemacht . Zwei Jahre lang wurde
das Thema intensiv diskutiert . Ich freue mich – das habe
ich der Beratung entnommen –, dass wir uns im Großen
und Ganzen jedenfalls darüber einig sind, dass es für die
Prostitutionsstätten, also für die Bordelle, klare Regeln
geben muss .

Denn, Frau Pantel, es ist schwerer, eine Pommesbude
anzumelden – dafür gibt es Auflagen –, als ein Bordell.
Es gibt keine Auflagen für den Betrieb von Bordellen.
Dort können die Zuhälter mit den Frauen machen, was
sie wollen . Neben der Zwangsprostitution gibt es einen
großen Graubereich, und den müssen wir besser in den
Griff bekommen . Deshalb ist es richtig, dass in Zukunft
klare Auflagen erteilt werden, wer ein Bordell errichten
kann und welche Maßnahmen zum Schutz der Frauen er-
griffen werden müssen . Wer sich nicht daran hält, dem
wird das Gewerbe entzogen . Das ist der richtige Weg .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nun weiß ich, dass die Anmeldepflicht für alle Frau-
en umstritten ist . Einige sagen: Warum sollen denn die
Frauen, die gut klarkommen, sich anmelden müssen und
gesundheitlich beraten lassen? Noch einmal: Wir haben
die Frauen im Blick, die niemals irgendwo sichtbar sind,
die niemals in einer Talkshow auftreten und für sich spre-
chen können, die das auch nicht in Diskussionsveranstal-
tungen können . Wir haben die Frauen im Blick, die, wie
mir eine junge Osteuropäerin geschildert hat, niemand zu
Gesicht bekommen, weil der Zuhälter alles für sie tut, im
negativen Sinne . Wir wollen auf diese Frauen aufmerk-
sam werden .

Wer sagt, dass Prostitution wie andere Berufe auch ge-
achtet werden muss, dem sage ich: Dann können auch die
Regeln wie für andere Berufe gelten, nämlich dass man
sein Gewerbe anmeldet, dass man sich bei der Kranken-
versicherung anmeldet und auch Steuern zahlt . Die ge-
ringe Zahl der in Deutschland angemeldeten Prostituier-

ten zeigt, dass da etwas schiefläuft. Deshalb ist es richtig,
dass wir solche Pflichten jetzt einführen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Diese Pflichten dienen nicht der Gängelung, sondern
dem Schutz der Frauen . Es soll nicht mehr so sein, dass
der Zuhälter alles klärt, sondern die Frau soll das Recht
haben, sich gesundheitlich beraten zu lassen . Darauf
kommt es an. Mit der Anmeldepflicht setzen wir dieses
Recht durch . Dann reicht es nämlich nicht, dass sich der
Zuhälter um alles kümmert, sondern dann ist die Frau
endlich sichtbar . Dann hat sie eine Vertrauensperson, die
Ärztin oder den Arzt, und kann über ihre Situation spre-
chen. Das dient dem Schutz. Ich finde es richtig, dass wir
das auf den Weg bringen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, in der
parlamentarischen Beratung wurden Vorschläge zum
Schutz der werdenden Mutter und des ungeborenen Le-
bens gemacht . Natürlich gibt es auch schwangere Frauen
in der Prostitution . Ich begrüße Ihre Anregungen aus-
drücklich und finde gut, dass diese jetzt in das Gesetz
aufgenommen werden . Ich hoffe sehr, dass dieses Gesetz
dazu beiträgt – wenn es umgesetzt wird und in der Praxis
ankommt –, dass wir wirklich die Frauen und auch die
Männer in der Prostitution, die unseren Schutz brauchen,
besser schützen . Damit haben wir klare Arbeitsregeln,
wie wir sie auch in allen anderen Berufen einfordern .

Das dient auch dazu, der Zwangsprostitution besser
vorzubeugen . Ich begrüße sehr, dass heute wahrschein-
lich der Gesetzentwurf des Justizministers zu diesem
Thema verabschiedet wird und damit ein klares Signal
an die Freier geht: Ihr könnt nicht einfach die Augen
zumachen, egal was mit der Frau ist . Wenn ein Freier
sieht, dass eine Frau in einer Zwangslage ist, dann hat
er eine besondere Pflicht. Das wurde übrigens auch in
der Debatte zum Tagesordnungspunkt über die sexuelle
Selbstbestimmung diskutiert: Wenn es um die sexuelle
Selbstbestimmung der Frau geht, dann geht das nicht
nur die Frau etwas an, sondern auch die Männer haben
Verantwortung – im positiven Sinne . Auch dafür sorgen
wir mit den Gesetzen, die an diesem Tag verabschiedet
werden sollen .

Ich sage herzlichen Dank für die guten Beratungen .
Ich freue mich, dass nach jahrelangem Stillstand beim
Schutz von Prostituierten jetzt nach kontroversen Debat-
ten ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht wird . Ich be-
danke mich für die Unterstützung und setze darauf, dass
wir damit Frauen und auch Männer in unserem Land bes-
ser schützen vor Ausbeutung, Gewalt und Zwang .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818310400

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Cornelia

Möhring, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Bundesministerin Manuela Schwesig






(A) (C)



(B) (D)



Cornelia Möhring (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818310500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Frau Schwesig, wir führen hier, ehrlich ge-
standen, keine Debatte darüber, ob wir Prostitution gut
oder schlecht finden, sondern es geht um einen Gesetz-
entwurf, der dieses Arbeitsfeld regeln soll . Deswegen ist
es ein Problem, wenn man anfängt, darüber zu reden, ob
man dieses Arbeitsfeld für richtig oder für falsch hält .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden heute ein Gesetz verabschieden, das sei-
ne Ziele komplett verfehlt . Es wird Prostituierten keinen
Schutz bieten . Es wird Menschenhandel nicht wirksam
bekämpfen, und es wird in keinster Weise die Selbstbe-
stimmungsrechte von Prostituierten stärken .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich verstehe eigentlich auch nicht wirklich, warum
Sie im Zuge der Debatten, die wir hier seit zweieinhalb
Jahren führen, insgesamt nichts Wesentliches dazu bei-
getragen haben, um genau diese Ziele zu erreichen . Sie
wollen vor allem Maßnahmen einführen, die genau diese
Ziele nicht erreichen .

Ich habe jetzt leider zu wenig Zeit, um alle Kritik-
punkte zu wiederholen . Aber ich will versuchen, einmal
in Kürze am Beispiel der Beratungs- und Registrierungs-
pflicht deutlich zu machen, was ich meine. Sie erreichen
gerade diejenigen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen,
auch mit der Registrierungspflicht nicht, weil bei denen
die Angst vor einem Zwangsouting viel zu groß ist . Wenn
man einerseits weiß, wie groß die Stigmatisierung ist,
dann kann man sich doch hier nicht hinstellen und sagen:
Na ja, Prostitution soll behandelt werden wie jeder an-
dere Beruf. – Das finde ich, ehrlich gestanden, ziemlich
mies in der Argumentation .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gehen wir einmal ganz sachlich-fachlich an die Frage
der Beratung heran . Sie wissen doch, dass ein einmaliger
kurzer Kontakt zu einer Behörde weder ausreichen wird,
um Menschenhandelsopfer zu erkennen,


(Zuruf des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])


noch, um so viel Vertrauen aufzubauen, dass sich Betrof-
fene offenbaren . Das bestätigen uns alle Beratungsstellen
und alle kenntnisreichen Verbände. Ich finde es wirklich
ärgerlich, dass Sie nicht bereit sind, weiterzudenken, und
dass Sie sich nach der Anhörung nicht die Zeit genom-
men haben, um das mit uns wirklich kompetent weiter-
zudiskutieren und andere Wege zu finden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie wirklich eine qualifizierte Beratung anbieten
wollen, dann müssen doch die jetzt schon überarbeiteten
Behördenmitarbeiter auch fortgebildet werden . Es kann
doch nicht darum gehen, dass eine Checkliste abgehakt
wird, nach dem Motto: Personalausweis und Foto liegen
vor – abgehakt; Gesundheitsberatung hat stattgefunden –

abgehakt; Aliasausweis ist ausgestellt – abgehakt; Zettel
mit Rechten wurde verteilt – abgehakt . Das macht nun
wirklich keine qualifizierte Beratung aus.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das wurde im Übrigen auch in der Anhörung sehr
deutlich gesagt, und zwar von einer Kollegin vom Bund
Deutscher Kriminalbeamter . Sie hat das sehr deutlich be-
schrieben – Zitat –: Die Behördenangestellten müssten
das Milieu sehr genau kennen, interkulturell geschult
sein und insbesondere auch für Traumatisierungen sensi-
bilisiert sein; sonst handele es sich um eine bürokratische
Checkliste und kein bisschen mehr . – Genau das führen
Sie jetzt ein, und das finde ich unverantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig sehen Sie nicht einmal Mittel für die
Qualifizierungsmaßnahmen vor. Sie schlüsseln in Ihrem
Gesetzentwurf den Finanzbedarf überhaupt nicht diffe-
renziert auf, sondern Sie sagen schlicht und ergreifend:
11,3 Millionen Euro Umstellungsaufwand und 13,4 Mil-
lionen Euro sogenannter jährlicher Erfüllungsaufwand .
Das wird schön auf die Länder und Kommunen umgeru-
belt . Der Bund übernimmt generös ganze 33 000 Euro .
Da besteht zusätzlich die Gefahr, dass die Verwaltungs-
gebühren von den Kommunen auf die Prostituierten ab-
gewälzt werden, die sowieso wenig Geld haben .

Bereiche, die für eine qualifizierte Beratung wichtig
sind, haben Sie sogar ausgeklammert: Es sind keine Mit-
tel vorgesehen für Sprachmittler oder für Dolmetscher .
Für die Gesundheitsberatung veranschlagen Sie gerade
einmal 4,4 Millionen Euro . Uns liegen Beispielberech-
nungen vor, wonach für die Umsetzung der Beratungs-
pflicht selbst bei vorsichtiger Schätzung fast 25 Millio-
nen Euro anzusetzen sind . Zwischen 25 Millionen Euro
und 4,4 Millionen Euro besteht ein deutlicher Unter-
schied . Das müssten auch Sie erkennen können .

Einmal ganz ehrlich: Auch der Teil, der die Erlaub-
nispflicht für Prostitutionsstätten und die Arbeitsbe-
dingungen regelt – wir haben das hier schon eindeutig
diskutiert –, ist doch nicht zu Ende gedacht . Sie legen
für kleine Wohnungsbordelle die gleichen Maßstäbe wie
für Großbordelle an . Aber das ist völlig undifferenziert .
Im Ergebnis werden Sie damit gerade die Großbordelle
stärken, und die kleinen Wohnungsbordelle gehen kaputt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gegen die Ausbeutung in der Prostitution werden
Sie so nichts bewirken . Der beste Schutz besteht in der
Bekämpfung der Armut, in mehr sozialer Sicherheit, in
einer Stärkung der Selbstbestimmungsrechte . Aber wir
können es wirklich drehen und wenden, wie wir wollen:
Ihr Gesetz hält nicht, was es verspricht . Sie haben of-
fensichtlich keinerlei Folgenabschätzung vorgenommen .
Sie richten womöglich großen Schaden an . Sie fördern
die Stigmatisierung . Auch wenn Ihre Ohren schon lange






(A) (C)



(B) (D)


auf Durchzug stehen, sage ich Ihnen: Lassen Sie es! Zie-
hen Sie den Gesetzentwurf zurück!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818310600

Vielen Dank . – Die nächste Rednerin ist die Kollegin

Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ –
dieses Bild der drei Affen kennen Sie alle sicher,


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Bundesregierung!)


und nach diesem Prinzip ist man über Jahre – leider –
mit den Zuständen in der Prostitution umgegangen . Wir
sehen sie nicht in unserem Alltag: die vielen jungen
Frauen aus Osteuropa, die hierherkommen, entweder un-
ter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder als Opfer von
Menschenhändlern oder auch deshalb, weil sie geschickt
werden, um ihre Familie im Heimatland zu ernähren . Sie
verkaufen hier ihren Körper an Männer, die sie nicht ken-
nen . Sie sind das Opfer von Zuhältern, denen sie nicht
nur ihren Pass und ihr Geld geben; sie geben dort auch
ihre sexuelle Selbstbestimmung, ihre Würde, ihre Men-
schenwürde ab .

Wir erfahren immer nur am Rande davon, dass die
Zustände immer schlimmer werden, dass diese Frauen
immer jünger, immer unerfahrener sind, die hierherkom-
men, ohne Sprachkenntnisse, und dass gleichzeitig das,
was von ihnen verlangt wird, immer extremer wird: Ge-
schlechtsverkehr ohne Kondom, Gangbang, Sexualprak-
tiken mit Fäkalien, Sex in der Schwangerschaft bis kurz
vor der Entbindung, Gewalt . Die Zustände im Milieu
sind furchtbar, und das Schlimmste daran ist, dass sich
viele hier eine goldene Nase verdienen – mit diesen Frau-
en, die das Ganze ganz und gar nicht freiwillig machen .

All diesen Zuständen gegenüber gab es in unserem
Land jahrelang eine unglaubliche Ignoranz: von der Ge-
sellschaft, von Medien und auch von der Politik . Das Pro-
stitutionsgesetz von 2001 hat all das möglich gemacht .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie in Ihrer Regierungszeit gemacht? Sie haben nichts gemacht!)


Die EU-Osterweiterung hat für das nötige „Angebot“ an
Frauen gesorgt und die viel strengeren Gesetze in unseren
Nachbarländern für die nötige Nachfrage von Freiern .

Erst seit einigen Jahren wird hingeschaut und mit Ve-
hemenz darauf hingewiesen, dass da einiges schiefläuft
in unserem Land . Deshalb will ich an dieser Stelle gern
allen danken, die sich in den letzten Jahren dafür einge-
setzt haben, dass wir endlich hinschauen: Hilfsorgani-
sationen, Polizei, engagierte Polizisten, engagierte Ord-
nungsbehörden, Länder, Kommunen, Journalisten . Sie
haben aufgeschrien und gesagt: Das kann nicht so wei-

tergehen . Wir sind das Bordell Europas . Das darf nicht
sein . Wir müssen endlich etwas dagegen tun .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, tun wir et-
was dagegen . Mit dem Prostituiertenschutzgesetz geben
wir Ländern, Kommunen, Ordnungsbehörden und auch
der Justiz endlich die Instrumente an die Hand, die sie
brauchen, um etwas dagegen zu tun . Die zentralen In-
strumente sind zum Ersten die Anmeldepflicht für die
Prostituierten und zum Zweiten die Erlaubnispflicht für
die Bordellbetreiber .

Mit der Anmeldepflicht erreichen wir etwas ganz
Wichtiges . Frau Möhring, es ist total schade und irgend-
wie auch schlimm, dass Sie immer noch nicht den Sinn
dahinter verstanden haben . Wir sorgen mit der Anmelde-
pflicht dafür, dass die einzelne Frau nicht weiter in der
anonymen Masse untergeht .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was glauben Sie denn, wie das funktioniert? Wie naiv!)


In der Anhörung wurde das so formuliert: Ohne Anmel-
dung gibt es diese Frauen gar nicht; man vermisst sie
nicht; sie sind die perfekte Beute der Menschenhändler .


(Maik Beermann [CDU/CSU]: So ist es!)


Das darf nicht sein . Deshalb sehen wir die Anmeldung
vor, die diesen Frauen erstmals Kontakt außerhalb des
Milieus ermöglicht .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann?)


Es besteht zum ersten Mal die Möglichkeit, dass sie
aufgeklärt werden: über ihre Rechte, über Beratungs-
angebote, die es in unserem Land gibt, auch über unser
Gesundheitssystem, über ihre eigene Gesundheit, über
Präventions- und Schutzmöglichkeiten . Diese Beratung
stärkt doch die Frauen . Das gibt ihnen die Chance auf
Information . Das gibt ihnen die Chance auf Hilfe und
die Chance auf Kontakt außerhalb des Milieus . Das ist
eine Riesenchance für diese Frauen, und für die Zuhälter
und für die Menschenhändler ist es das klare Signal: Der
Staat schaut hin . Uns ist es nicht egal, ob massenweise
junge Frauen, die sich hier aufhalten, ohne ihre Rechte
zu kennen, ausgebeutet werden . Der Staat schaut hin . –
Mit der Anmeldepflicht haben wir zum ersten Mal die
Möglichkeit, zu jeder einzelnen dieser Frauen Kontakt
aufzunehmen, sie ins Hellfeld zu holen und ihnen diese
Beratung tatsächlich zu geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb habe ich auch kein Verständnis dafür, dass
Sie sagen: „Auf diesen Schutz können wir verzichten“,
weil es eine Handvoll Sexarbeiterinnen in unserem Land
gibt, denen das alles zu viel ist, denen es zu viel ist, aufs
Amt zu gehen und sich anzumelden .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben überhaupt keine Zahlen! Wovon reden Sie?)


Cornelia Möhring






(A) (C)



(B) (D)


Diejenige, die aus freien Stücken der Prostitution nach-
geht, kann das weiterhin tun . Sie muss sich eben nur an-
melden . Sie kann auch mit einem Aliasnamen agieren;
sie muss ihre Identität noch nicht einmal gegenüber Po-
lizisten und Kontrollbehörden offenbaren . Wir haben auf
den Datenschutz geachtet . Die vielen Chancen, die sich
für die Zwangsprostituierten daraus ergeben, gehen mit
ihrem Schutz einher . Deshalb ist das genau das richtige
Instrument .

Das zweite Instrument – neben der Anmeldung – ist
die Erlaubnispflicht. Dass jede Pommesbude besser
kontrolliert wird als ein Bordell, ist mittlerweile ein ge-
flügeltes Wort. Es beschreibt aber ganz gut, wie die Si-
tuation heute ist . Wir werden jetzt Standards schaffen:
Mindestanforderungen, was die Hygiene angeht, und
Schutzstandards in Bordellen . Wir lassen es nicht mehr
zu, dass jeder, der einschlägig vorbestraft ist, ein Bordell
eröffnen und sich mit den Körpern von Frauen eine gol-
dene Nase verdienen kann . Es wird in Zukunft eine Zu-
verlässigkeitsprüfung für Bordellbetreiber geben und die
Möglichkeit der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten
mit harten Strafen . Wenn die Vorschriften nicht eingehal-
ten werden, kann der eine oder andere Laden auch dicht-
gemacht werden . Wer sich nicht an die Regularien hält,
wer Frauen in seinen Etablissements ausbeutet, muss die
Konsequenzen tragen: harte Strafen und Entzug der Er-
laubnis . Nur das funktioniert .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit den Regelungen, die wir heute verabschieden, bie-
ten wir den vielen Zwangsprostituierten einen besseren
Schutz und geben Ländern, Kommunen und Ordnungs-
behörden die Instrumente, die sie brauchen, um tatsäch-
lich genau hinschauen zu können, damit es nicht nach
dem Prinzip der drei Affen geht: nichts sehen, nichts hö-
ren, nichts sagen . Ab heute können wir vor Ort handeln –
zum Schutz von vielen Frauen in unserem Land .

Ich danke Ihnen ganz herzlich und hoffe, dass wir das
Gesetz heute in großer Übereinstimmung beschließen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818310700


Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Ulle Schauws,
Bündnis 90/Die Grünen .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818310800


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Prostitution ist eine komplexe und vielfältige
Branche . Es gibt Laufhäuser, kleine Bars, Kinos, Woh-
nungsbordelle . Es gibt Hausfrauen, die an zwei Vormitta-
gen in der Woche als Prostituierte arbeiten . Es gibt Män-
ner im Escortservice . Es gibt Prostituierte, die vor allem
auf dem Straßenstrich arbeiten, sowie Frauen, die mit
Kolleginnen in einer Wohnung sexuelle Dienste anbieten
und so ihr Einkommen sichern . Und es gibt im Bereich

der Prostitution Kriminalität und Ausbeutung . Wer diese
bekämpfen will, muss differenzieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wer das nicht macht – und das machen Sie von der Union
tatsächlich nicht –, der bedient konstant nur das Klischee
der Prostituierten . Sie vermischen dies wieder und wie-
der mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Aus-
beutung . Das kann nicht zielführend sein .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Sie zeichnen permanent Bilder der Gegensätze von
der selbstbestimmten Edelprostituierten zur Zwangspros-
tituierten . Und wenn Sie über Prostituierte aus Osteuropa
reden, unterstellen Sie auch gern einmal einer Mehrheit
der Frauen, sie seien minderbemittelt, Analphabetinnen,
schwanger, drogen- oder alkoholabhängig oder alles
gleichzeitig . Man kann sich des Eindrucks nicht erweh-
ren, dass Sie für sich die Rolle einnehmen wollen, Pro-
stituierte zu retten . Aber was machen Sie? Sie sprechen
ihnen die Entscheidung über ihren eigenen Körper und
ihre Berufsentscheidung, über das, was sie tun, um ihr
Geld zu verdienen, ab . Das ist weder differenziert noch
eine praxistaugliche Lösung für einen besseren Schutz in
einem schwierigen und sehr gefahrvollen Arbeitsbereich .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so vielfältig die
Branche ist, so vielfältig müssen auch die Maßnahmen
sein . Runde Tische wie in NRW haben sich als erfolg-
reich erwiesen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Ha, ha!)


Sie bringen alle Akteurinnen und Akteure zusammen,
sie schließen niemanden aus, und sie suchen gemeinsam
nach konkreten Lösungen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Eine Genehmigungspflicht für das Prostitutionsge-
werbe ist sinnvoll, weil hierdurch der Schutz von Prosti-
tuierten gewährleistet werden kann . Allerdings muss si-
chergestellt sein, dass auch kleine Bordelle die Auflagen
erfüllen können, die eine solche Genehmigungspflicht
mit sich bringt . Der Bund sollte zudem die Länder dabei
unterstützen, die freiwillige Beratung auszubauen; denn
hier können Menschen erreicht werden,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


hier können sie Vertrauen fassen und Unterstützung auch
bei Fragen nach Alternativen zur Tätigkeit in der Pros-
titution finden. Das sind Maßnahmen, die funktionieren
und sinnvoll sind, weil sie Menschen nicht bevormunden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im vorliegenden
Gesetzentwurf werden diese Maßnahmen nicht aufge-
griffen . Schlimmer noch: Er ist moralisierend, er setzt
auf das Instrument der Kontrolle . In unserem Entschlie-
ßungsantrag zum vorliegenden Gesetzentwurf haben wir
unsere Kritik daran sehr deutlich gemacht . Hauptkri-
tikpunkte sind und bleiben die Anmeldepflicht und die

Nadine Schön (St. Wendel)







(A) (C)



(B) (D)


jährliche gesundheitliche Pflichtberatung. Sie sind kont-
raproduktiv . Das sind die Fakten .


(Nadine Schön [St . Wendel] [CDU/CSU]: Hallo? Warum?)


Sehr deutlich formulierten das die von der SPD eingela-
denen Expertinnen in der Anhörung .

Was machen Sie von Union und SPD eigentlich mit
den Ergebnissen der Anhörung?


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Die haben Sie wohl auch nicht!)


Nachdem die Sachverständigen mehrheitlich die von
uns angebrachte Kritik an der Anmelde- und Beratungs-
pflicht unterstützt haben,


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch! Wie denn? – Maik Beermann [CDU/ CSU]: Waren Sie nicht da?)


gehen Sie hin und lassen die Argumente der Sachverstän-
digen unter den Tisch fallen . Werten Sie doch einmal die
Ergebnisse der Sachverständigenanhörung aus!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wozu machen Sie ein parlamentarisches Verfahren mit
einer Anhörung, wenn Sie am Ende nichts mit den Er-
gebnissen machen?


(Nadine Schön [St . Wendel] [CDU/CSU]: Haben wir! Jetzt geht es aber los!)


Sehr bemerkenswert finde ich auch, dass Sie die Kritik
des Bundesrates nicht beachten . Vonseiten des Bundes-
rates wurden ein immenser bürokratischer Aufwand und
die daraus resultierenden Kosten kritisiert . Wie gehen Sie
darauf ein? Sie lassen die Länder und die Kommunen mit
den Kosten allein . Es ist doch jetzt schon absehbar, dass
es in den Kommunen knirschen wird, wenn sie die Aufla-
gen der Pflichtberatung erfüllen müssen. Die Kommunen
müssen dann tief in die Tasche greifen .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Geht es um den Schutz oder um die Kosten?)


Aber genau an dieser Stelle interessiert Sie die Lage der
Kommunen interessanterweise gar nicht .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Uns interessieren die Fragen!)


Man kann überhaupt nicht erkennen, dass Sie hier für
einen reibungslosen Ablauf irgendetwas in Bewegung
setzen wollen . Das scheint Ihnen egal zu sein .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung, wie es bei uns zugeht!)


Mal ganz ehrlich: Dieses Gesetz ist ein einziger Kom-
promiss . Frau Schwesig, Sie halten den Frieden in der
Koalition höher als den Schutz der in der Prostitution tä-
tigen Menschen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Nadine Schön [St . Wendel] [CDU/CSU]: Ja! Klar! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Jetzt tun Sie ihr aber unrecht!)


Dieses Gesetz bringt de facto mehr Schutzlosigkeit . Es
trägt dazu bei, das Stigma von Prostituierten zu verstär-
ken, anstatt es abzubauen . Wir haben jetzt wohl hinrei-
chend erklärt, warum . Prostituierte werden sich nicht an-
melden . Sie werden in Zukunft illegal arbeiten .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Es geht um die Opfer!)


Im Falle von Illegalität, Bedrohung und Gewalt werden
sie sich dann nicht einmal mehr bei einer Behörde mel-
den können . So wird ihnen jeder Schutz verwehrt blei-
ben . Das wäre wirklich fatal .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich komme zum Schluss . Dieses Gesetz ist frauenpoli-
tisch ein Desaster, gesundheitspolitisch Unsinn,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Kein Wort über die Opfer!)


steuerrechtlich ein schwarzes Loch und bürgerrechtlich
hochbedenklich . Darum stimmen wir Grüne gegen dieses
Gesetz .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Jeder macht mal Fehler!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818310900

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Marcus Weinberg,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1818311000

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Frau Schauws,

genau das Gegenteil ist der Fall: Dieses Gesetz ist die
Antwort auf die Situation in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn ich das ergänzen darf: Heute ist ein besonderer
Tag wegen der Gesetze, die wir verabschiedet haben,
jetzt verabschieden und noch verabschieden werden . Es
ist ein guter Tag für die Frauenpolitik in Deutschland .
Ich glaube, die Große Koalition kann sagen: Wir haben
hier gute Gesetze auf den Weg gebracht . Dafür wurde es
höchste Zeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit diesem Prostituiertenschutzgesetz stehen wir nicht
am Ende der Debatte und nicht am Ende des Kampfes
gegen Fremdbestimmung und Ausbeutung, sondern am
Anfang . Dieses Prostituiertenschutzgesetz ist eine klare
Kampfansage an Zuhälter, Ausbeuter und Frauenhändler .
Das Prostitutionsgesetz bedeutete die Legalisierung der
Prostitution; das ist richtig . Aber es muss die Frage ge-
stellt werden: Wer hat davon profitiert? In erster Linie ha-

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


ben die Vermieter von Laufhäusern, die Bordellbetreiber
und die Zuhälter profitiert. Diejenigen, die nicht profitiert
haben, waren die Prostituierten . Es sind mehr geworden .
Sie sind in Elendssituationen, in Armutsprostitution . Sie
sind diejenigen, die dringend unsere Hilfe als Staat und
dieses Prostituiertenschutzgesetz brauchen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Möhring, ich will auch noch etwas zur Stigma-
tisierung sagen, weil das wieder einmal Ihr Hauptthema
war . Die meisten Frauen können gar nicht stigmatisiert
werden,


(Cornelia Möhring [DIE LINKE]: So ein Quatsch!)


weil sie am öffentlichen Leben mittlerweile gar nicht
mehr teilnehmen, weil sie nach Deutschland gekarrt wer-
den, weil sie sich 24 Stunden in einem Zimmer aufhalten
und bereitstehen müssen, weil sie die deutsche Sprache
nicht beherrschen, weil sie einen Lieferservice in An-
spruch nehmen müssen und weil sie in Städte kommen,
von denen sie gar nicht wissen, dass es sie überhaupt
gibt . Insofern gibt es diese Stigmatisierung in der Form
überhaupt nicht . Angesprochen wurden in diesem Zu-
sammenhang bereits die datenschutzrechtlichen Aspekte
bei der Anmeldung . Wir haben darauf geachtet, dass es
dort nicht zur Stigmatisierung kommt . Stigmatisierung
erleben wir in anderen Bereichen, und darum geht es uns .
Mit der Situation der betroffenen Frauen muss Schluss
sein .

Einige Sätze zur Diskussionskultur: Es ist ja heut-
zutage Mode, dass man diese Konsensdemokratie oder
Verhandlungsdemokratie in der Gesellschaft kritisiert
und sagt: Wir brauchen wieder klare Ansagen und kla-
re Linien . – Angesprochen wurden die unterschiedlichen
Bewertungen der Prostitution . Dass Sozialdemokraten,
Christsoziale und Christdemokraten gemeinsam ein Ge-
setz hinbekommen, war politisch wirklich ein hochambi-
tioniertes Vorhaben . Die Alternative zu diesem Konsens,
zu diesem gemeinsamen guten Kompromiss, wäre mög-
licherweise gewesen, dass wir gar kein Gesetz bekom-
men .


(Zuruf von der LINKEN: Das wäre besser gewesen!)


Dann – das kann ich nur sagen – hätten Sie die Elendssi-
tuation der Prostituierten in den nächsten Jahren weiter-
hin erleben müssen . Deswegen war es gut, dass wir uns
auf dieses Prostitutionsschutzgesetz geeinigt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten unserem Antrag zustimmen können!)


Es ist nicht so – das haben Sie uns vorgeworfen –,
dass wir immer sofort das Thema „Zwangsprostitution
und Menschenhandel“ im Kopf haben . Nein, die Prosti-
tution läuft heute anders ab . Das ist nicht erfunden; das
ist die Realität . Schauen Sie nach Bayern! Dort gibt es
Laufhäuser im Gewerbegebiet,


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? In Bayern?)


In denen die Frauen 100 Euro Miete am Tag zahlen, das
heißt 3 000 Euro im Monat . Bei 30 Zimmern sind das
für den Vermieter 90 000 Euro im Monat . Aber für diese
100 Euro, die die Prostituierte jeden Tag zahlen muss,
braucht sie mindestens zwei oder drei Freier . Ich sage Ih-
nen: Auch diese Form der Prostitution müssen wir jetzt
abstellen . Mit dem Prostituiertenschutzgesetz eröffnen
wir die Möglichkeit, bei dieser Form von Mietwucher,
bei dieser indirekten Fremdbestimmung einzugreifen
und das Laufhaus, das Bordell dichtzumachen . Wir müs-
sen die Prostituierten dringend vor dieser Form von Aus-
beutung schützen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Angesprochen wurden bereits die stärkeren Kont-
rollen, die restriktivere Erlaubniserteilung für Betriebe,
mehr Beratung, die Stärkung der Pflichten und der Rech-
te, Hilfsangebote und Ähnliches . Viele Punkte waren uns
extrem wichtig . Ich will einige herausgreifen .

Ein Thema war die Prostitution von schwangeren
Frauen . Es gibt in Zukunft keine Betriebserlaubnis mehr,
wenn Bordelle Flatratesex, Gangbang-Partys oder Sex
mit Schwangeren anbieten . Uns war wichtig, dies end-
lich zu untersagen, um auch das ungeborene Leben zu
schützen . Das war ein großer Erfolg .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Gleiche gilt für die Bereiche Miete – das habe ich
angesprochen – und Weisungsrecht . Endlich gibt es kein
Weisungsrecht mehr hinsichtlich des Ob, der Art und des
Ausmaßes einer sexuellen Dienstleistung . Endlich wer-
den wir eine bessere Beratung bekommen . Endlich haben
wir Beratungseinrichtungen und Gesundheitsbehörden,
die auch Zutrittsrechte zu den Prostitutionsstätten be-
kommen .

Dann noch zu Ihrer Kritik an der Anhörung . Ich weiß,
wen wir als CDU/CSU eingeladen haben: Ärzte, Sozial-
berater, Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte und keine
Verbandsvertreter . Das sind Menschen, die mit den Pro-
stituierten arbeiten und die Situation der Prostituierten
einschätzen können; und sie alle unterstützen dieses Ge-
setz . Sie haben uns gesagt: Schaut euch an, was in diesem
Bereich passiert! Schaut euch an, wie die Prostituierten
leben! Macht endlich etwas! Macht endlich dieses Ge-
setz! Das ist gut und wichtig .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie können uns vorwerfen, dass wir die großen Ver-
bände, die sich für Prostituierte, für Sexdienstleiste-
rinnen, einsetzen, nicht im Fokus haben bei 250 000
oder 300 000 Prostituierten, wenn ein Verband 70 oder
80 Prostituierte vertritt . Das mag vielleicht sein . Aber ei-
nes, Frau Möhring, muss ich Ihnen sagen: Sie haben sich
nicht ein einziges Mal geöffnet bei der Frage: Wie ist die
Situation in diesem Bereich? Sie haben ein falsches Bild,
zumindest präsentieren Sie das in den Debatten . Ich hätte
mir von der Opposition gewünscht, dass Sie ernsthafter
mit gewissen Themen und Problemen umgehen .


(Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Geben Sie mir mehr Redezeit! Ich erzähle Ihnen das alles!)


Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


– Von mir bekommen Sie sicher keine Redezeit .


(Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Schade!)


Ich komme zum Schluss . Es ist ein gutes Gesetz . Wir
erwarten von den Ländern, dass sie es auch umsetzen .
Wir wissen aus unseren Wahlkreisen, aus den Bundeslän-
dern, dass vor Ort geschaut werden muss, wie wir dieses
Gesetz maximal umsetzen können .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen wir es bezahlen?)


Wir werden evaluieren und auch nachsteuern .

Noch einmal: Wir sind nicht am Ende des Kampfes
gegen Fremdbestimmung und Ausbeutung, sondern am
Anfang des Kampfes gegen Fremdbestimmung und Aus-
beutung . Heute ist ein guter Tag für die Betroffenen und
ein schlechter Tag für die Ausbeuter und Zuhälter . So soll
es sein . Deswegen bitte ich um Zustimmung zu diesem
guten Gesetz .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818311100

Vielen Dank . – Das Wort hat Ulrike Bahr, SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD)



Ulrike Bahr (SPD):
Rede ID: ID1818311200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi-

nisterin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Vor nun fast
zwei Jahren war meine Kollegin Eva Högl bei mir in
Augsburg zu Gast . Ihr Besuch stand unter dem Motto
„Rotlicht im Fokus“ . Es ging, wie unschwer zu erraten,
um die aktuellen Gesetzesvorhaben zur besseren Re-
gulierung von Prostitution sowie zur Bekämpfung von
Zwangsprostitution. In dieser Woche nun finden beide
Gesetzesvorhaben – das Prostituiertenschutzgesetz auf
der einen und das Gesetz zur Bekämpfung des Men-
schenhandels auf der anderen Seite – nach langen und
intensiven Beratungen nahezu gleichzeitig einen erfolg-
reichen Abschluss . So setzen wir heute, fast im direkten
Anschluss, ganz zentrale Vereinbarungen aus unserem
Koalitionsvertrag um .

Dass nach dem Prostitutionsgesetz von 2002 eine wei-
tere Regulierung der Prostitution notwendig und damit
unser gemeinsames Ziel war, darin waren wir uns von
Beginn an einig . Über den Weg dorthin war die Einigkeit
dann allerdings nicht immer nicht ganz so groß . Uns von
der SPD-Bundestagsfraktion war dabei insbesondere der
Schutz der Prostituierten wichtig .

Dabei will ich eines klarstellen: Wir halten das rot-grü-
ne Prostitutionsgesetz von 2002 nach wie vor für richtig .
Oft und gern heißt es, Deutschland sei dadurch zum Bor-
dell Europas geworden .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Es ist auch so! Es ist die Wahrheit!)


Fast noch lieber wird dieses Gesetz pauschal als geschei-
tert erklärt . Für viele ist es daher geradezu ein vermeint-

liches Symbol für das Leid von Zwangsprostituierten und
Opfern von Menschenhandel – wie ich finde, zu Unrecht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Brand [CDU/CSU]: Geben Sie es doch mal zu!)


Zum einen bringt uns diese ständige Vermischung von
freiwilliger und damit legaler Prostitution mit Straftaten
wie Menschenhandel nicht wirklich weiter .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer zum anderen das Prostitutionsgesetz von damals
ganz allgemein zum Sündenbock für soziale und ge-
sellschaftliche Missstände abstempelt, der kehrt doch
klammheimlich ganz grundsätzliche Fragen gesellschaft-
licher Ungleichheit und Armut in einem erweiterten Eu-
ropa unter den Teppich .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Weder die EU-Osterweiterung noch die damit verbun-
dene Freizügigkeit wollen wir heute missen . Dennoch
müssen wir uns natürlich mit den Folgewirkungen aus-
einandersetzen . Diese waren allerdings zum Zeitpunkt
der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes 2002 ohne
hellseherische Fähigkeiten wohl kaum abschätzbar .


(Lachen des Abg . Michael Brand [CDU/ CSU] – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Die Union hat damals davor gewarnt!)


Wem es wirklich ernst ist mit dem Kampf gegen Armuts-
migration und Armutsprostitution, der muss sich auch die
Bekämpfung sozialer Ungleichheit in Europa verstärkt
auf die Fahnen schreiben .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie könnten auch einfach sagen, Sie haben einen Fehler gemacht, und wir ändern es jetzt! Wo ist das Problem?)


Mit Blick auf die Prostitution hier in Deutschland gilt
es deshalb vor allem, die Arbeitsbedingungen und den
rechtlichen Rahmen so auszugestalten, dass sie keinen
Missbrauch zulassen . Genau das packen wir mit diesem
Gesetz nun an .

Außerdem muss angesichts der vielen Schmähreden
über das Prostitutionsgesetz auch eine entscheidende
Nachfrage erlaubt sein: Warum ist denn dann eigentlich
so lange nichts passiert in diesem Bereich?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Gute Frage! – Gegenruf des Abg . Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/ CSU]: Weil 2007 die SPD nicht wollte!)


Die Evaluation des Gesetzes von 2002 wurde im Jahr
2007 vorgelegt . Hinter uns liegen zwei Wahlperioden mit
Frauenministerinnen aus den Reihen der Union . Aber
scheinbar braucht es doch wieder eine SPD-Ministerin,
um hier wichtige Weiterentwicklungen in Angriff zu neh-
men .


(Beifall bei der SPD)


Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


Das Prostitutionsgesetz war nicht der Anfang vom
Ende, sondern ein zentraler Schritt für die Prostituierten,


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das war ein fataler Schritt, das Prostitutionsgesetz von 2002!)


nämlich der Schritt raus aus der Sittenwidrigkeit . Wir
halten es daher nicht für gescheitert, aber für ausbaufä-
hig .

Genau darum geht es bei den neuen Maßnahmen und
Regelungen im Prostituiertenschutzgesetz . Wie schon
2007 in den Schlussfolgerungen der Evaluation empfoh-
len, wird es nun erstmals eine Erlaubnispflicht für Pro-
stitutionsstätten geben . Wer ein Bordell betreiben will,
muss ein Betriebskonzept vorlegen, die erforderliche Zu-
verlässigkeit besitzen und bestimmte Mindeststandards
einhalten . Außerdem wird es verboten, mit ungeschütz-
tem Geschlechtsverkehr oder gar mit Sex mit Schwange-
ren zu werben . Gerade diese Maßnahmen stehen ja auch
keineswegs in großem Gegensatz zu den Vorstellungen
der Opposition .

Viele Gespräche mit Fachberatungsstellen, Frauenver-
bänden oder Polizei haben uns darin bestärkt, uns gegen
verpflichtende Untersuchungen und ein Mindestalter von
21 Jahren auszusprechen . Unser Kompromiss in der Ko-
alition besteht nun darin, die Anmeldung mit einer Ge-
sundheitsberatung und eben nicht einer Untersuchung
zu verknüpfen . Für junge Prostituierte zwischen 18 und
21 werden dafür kürzere Fristen vorgesehen, aber eben
kein Verbot . Für uns waren das wichtige Punkte; denn
wir wollten den Zugang zu Beratung und anderen Unter-
stützungsangeboten erweitern, anstatt ihn durch Zwangs-
untersuchungen und Verbote zu verbauen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818311300

Frau Kollegin Bahr, ich darf Sie bitten, zum Schluss

zu kommen .


Ulrike Bahr (SPD):
Rede ID: ID1818311400

Ja, ich komme zum Schluss . – Eine Evaluation wird

schließlich nach fünf Jahren zeigen, ob und inwiefern das
Prostituiertenschutzgesetz alle seine Ziele erreicht und
die damit verbundenen Erwartungen erfüllt hat .

Mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 haben wir den
Weg beschritten, Prostituierten mehr einklagbare Rechte
zu verschaffen . Mit dem Prostituiertenschutzgesetz ge-
hen wir 14 Jahre später diesen Weg weiter, indem wir für
mehr Schutz, mehr Beratung und mehr Rechtssicherheit
in der Prostitution sorgen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818311500

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt ist der Kollege Paul Lehrieder, CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1818311600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Oft haben wir an dieser Stelle schon den
Ausspruch „Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht“
bemüht und damit – Frau Kollegin Bahr, passen Sie auf;
ich komme jetzt zu dem Punkt, an dem Sie aufgehört ha-
ben – das Prostitutionsgesetz der rot-grünen Regierung
aus dem Jahr 2002 gemeint . Es ist nicht damit getan, zu
sagen: Ihr habt das Gesetz nicht schnell genug geändert
in den letzten Jahren . – Dadurch wäre die Fehlentwick-
lung, die durch das 2002 auf den Weg gebrachte Gesetz
ausgelöst wurde, nicht verhindert worden .

Ja, Deutschland ist 2002 durch die Legalisierung und
durch die Erleichterung der Prostitution zum „Bordell
Europas“ geworden . Wir wollten die Prostituierten aus
dem Schmuddelmilieu holen . Damit haben wir aber et-
was erreicht – ich unterstelle Ihnen keine Absicht –, was
wir nicht wollten; denn die Folge war, dass Prostitution
in den letzten Jahren in keinem Land so leicht durchzu-
führen war wie hier in Deutschland . Das ändern wir jetzt
gemeinsam .

Ich darf mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Ihnen,
Frau Ministerin, und Ihrem Team bedanken . Wir haben
es uns in den letzten zwei Jahren wahrlich nicht leicht
gemacht . Wir sind von einer großen Bandbreite an Pros-
tituierten ausgegangen – ich bin Ihnen dankbar, dass Sie
das angesprochen haben –: die selbstbewusste 23-jährige
oder 24-jährige Jurastudentin aus Deutschland, die ihre
Rechte kennt und weiß, was sie mit sich und mit ihrem
Körper tut, aber auch die 18-jährige Rumänin .

Die Veranstaltung „Rotlicht im Fokus“ wurde er-
wähnt . Liebe Kollegin Pantel, auch wir sind dem Aspekt
„Rotlicht im Fokus“ nachgegangen . In Vorbereitung auf
dieses Gesetz sind wir auf den Straßenstrich in Berlin ge-
gangen und haben mit Prostituierten gesprochen . – Ja,
Sie müssen nicht erschrecken . Das war zur sachgerech-
ten Aufklärung aus unserer Sicht durchaus angezeigt . –
Dort haben wir mit jungen Rumäninnen und jungen
Ungarinnen gesprochen, die mit der Loverboy-Methode
nach Europa gelockt wurden und deren wirtschaftliche,
physische und psychische Abhängigkeit – manche sind
alleinerziehend und haben ein Kind, das zu Hause be-
treut werden muss – in Deutschland ausgenutzt wird .
Für diese Frauen wollen wir die Situation verbessern .
Wir geben ihnen mit dem Prostituiertenschutzgesetz die
Möglichkeit, Kontakte außerhalb des Milieus aufzuneh-
men . Wir wollen auch, Frau Schauws, dass gerade mit
zwischen 18- und 21-Jährigen jedes halbe Jahr ein Be-
ratungsgespräch durchgeführt wird, damit diese Frauen
eine Anlaufstelle außerhalb des Milieus haben, damit sie
Menschen haben, denen sie sich anvertrauen können,
wenn etwas passiert . Das ist wichtig, und deshalb ist der
vorliegende Gesetzentwurf elementar .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sönke Rix [SPD])


Ich muss noch auf ein paar Fehleinschätzungen von
Ihnen zu sprechen kommen, Frau Schauws . Es ist na-
türlich das Vorrecht der Opposition, über ein Gesetz zu
schimpfen, an dessen Entstehung sie nicht beteiligt war .
Hätten Sie mitverfolgen können, wie oft wir bis in die

Ulrike Bahr






(A) (C)



(B) (D)


Nacht hinein mühselige Unterredungen geführt haben,
um die einzelnen Punkte, die Sie jetzt kritisieren, zu be-
leuchten, dann hätten Sie vielleicht eine andere Rede ge-
halten .

Sie haben ausgeführt, durch die Anmeldepflicht wür-
den die Frauen in die Illegalität getrieben . Die Polizei,
die sich in diesem Milieu auskennt, sagt: Wo der Frei-
er hinkommt, da kommen wir Polizisten auch hin; wir
werden die Prostituierten auch in der Illegalität finden. –
Ich darf Ihnen versichern: Sie brauchen keine Angst zu
haben, dass die Frauen durch die Anmeldepflicht in die
Illegalität getrieben werden . Unsere Polizei nutzt die zu-
gänglichen Werbeportale und geht zu den Orten, für die
Werbung betrieben wird .

Ein weiterer Punkt waren die Bürokratiekosten . Ja,
durch das Gesetz entsteht mehr Bürokratie, aber haupt-
sächlich für die Bordellbetreiber . Bisher war es in
Deutschland leichter, ein Bordell zu betreiben als eine
Pommesbude, wenn man die bürokratischen Regularien
vergleicht .

Die freiwillige Beratung, Frau Schauws, die Sie an-
gesprochen haben, ist gut und schön; wenn es denn so
einfach wäre . Aber glauben Sie, dass die 18-jährige ru-
mänische Prostituierte, die anonym und ohne Sprach-
kenntnisse in Deutschland lebt und, wie der Kollege
Weinberg gerade ausgeführt hat, die Örtlichkeiten oft gar
nicht kennt, ohne Weiteres den Weg zu einer freiwilligen
Beratung findet? Deshalb haben wir gesagt: Wir brau-
chen eine Pflichtberatung, damit sie überhaupt eine Be-
ratungsstelle aufsuchen . Wir wollen eine Beratung, die
ohne den Bordellbetreiber stattfindet. Die Anmeldung
kann auch nicht anonym über ein Onlineportal erfolgen .
Wir wollen die Frauen sehen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Wir wollen die Frauen sehen“? Was ist denn das für eine Aussage?)


Ich will Ihnen eines sagen: Wenn uns in der Anhörung
die Sachverständigen aus dem Bereich der Kriminalpo-
lizei sagen: „Wir können nur die schützen, die wir ken-
nen“, dann sollte uns das zu denken geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das heißt, wir müssen die Frauen aus der Anonymität,
aus der Illegalität herausholen . Wenn sie die Materiali-
en für die Anhörung gründlich durchgelesen haben, Frau
Schauws, dann wissen Sie, dass laut Schätzungen die
Zahl von Frauen und Männern, die in Deutschland der-
zeit diesem Gewerbe nachgehen, zwischen 170 000 und
700 000 variiert . Das heißt, niemand hat auch nur ansatz-
weise eine Ahnung,


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie tun immer so, als hätten Sie eine Ahnung!)


wie groß die Zahl derer, die in diesem Gewerbe arbei-
ten, tatsächlich ist . Deshalb ist es wichtig, dass wir hin-
schauen und Licht in dieses Dunkel, in diese Grauzone
der Gesellschaft bringen . Ich glaube, wir sind auf einem
guten Weg .

Herzlichen Dank allen, die konstruktiv mitgearbeitet
haben . Herzlichen Dank den Kolleginnen und Kollegen
von der SPD . Das waren zwei harte Jahre .


(Sönke Rix [SPD]: Ja!)


Aber wir haben es geschafft . Ich bin heilfroh, dass wir
jetzt ein gutes Gesetz auf den Weg bringen, mit dem wir
den – zugegeben – guten Willen von Rot-Grün in eine
gute Tat umsetzen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818311700

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum
Schutz von in der Prostitution tätigen Personen .

Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mehrere Erklä-
rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung auf den Drucksachen 18/9036 (neu) und 18/9080,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/8556 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, sich zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmenverhältnis angenommen .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
den Drucksachen 18/9036 (neu) und 18/9080 empfiehlt
der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen .

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/9071 . Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo-
sition abgelehnt .

Tagesordnungspunkt 18 b . Wir setzen die Abstim-
mung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf den Drucksa-
chen 18/9036 (neu) und 18/9080 fort .

1) Anlagen 8 und 9

Paul Lehrieder






(A) (C)



(B) (D)


Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/7236 mit dem Titel
„Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und
Sexarbeitern stärken“ . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo-
sition angenommen .

Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/7243 mit dem Titel „Gesetz zur
Regulierung von Prostitutionsstätten vorlegen“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des GAK-Gesetzes

Drucksachen 18/8578, 18/8958

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(10 . Ausschuss)


Drucksache 18/9074

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . – Ich eröffne
die Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat
Bundesminister Christian Schmidt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
war beeindruckend, zu sehen, wie viele unserer Kollegen
soeben zu neuen Ufern außerhalb des Plenarsaals dieses
Hohen Hauses aufgebrochen sind . Ich vermute, dass sie
sich die Situation in den ländlichen Räumen Deutsch-
lands vor Ort anschauen wollen . Das ist lobenswert, und
darüber freue ich mich .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Manchmal endet der Blick in den großen Agglomera-
tionen – den Ballungsräumen –, in den Städten . Das ist
falsch . Der größte Teil unseres Landes lebt und bewegt
sich im ländlichen Raum – von der Fläche her 85 Pro-
zent und von der Bevölkerung her immerhin mehr als die
Hälfte . Dieser Teil unseres Landes hat einen Anspruch
darauf, dass er nicht in zweiter Linie gesehen wird, dass

er nicht vergessen, sondern in den Blick genommen wird
und ihm die gerechte Unterstützung zuteilwird, die wir
alle für ihn fordern .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es gab vor vielen, vielen Jahren eine Große Koalition,
die sich damit beschäftigt hat, wie man denn die Län-
der und den Bund gemeinsam in Verantwortung bringen
könnte . Die Namen, die man damit verbindet, sind Franz
Josef Strauß und Karl Schiller . Lang, lang ist’s her, aber
die Wirkung ist noch da . Ich weise darauf hin – das soll-
ten wir uns ab und zu vor Augen führen –, dass wir da-
mals in Artikel 91a des Grundgesetzes – das steht heute
noch darin und soll so bleiben – festgelegt haben: Wenn
für die Gesamtheit eine Aufgabe bedeutsam und die Mit-
wirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensver-
hältnisse erforderlich ist, dann kann und wird auch der
Bund seinen Beitrag im Rahmen der Gemeinschaftsauf-
gabe – in diesem Fall „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ – wahrnehmen . Dabei bleibt es,
und ich bin sehr dankbar, dass diese Gemeinschaftsauf-
gabe alle Föderalismusreformen überstanden hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist völlig unabweisbar, dass die Notwendigkeit der
Verbesserung der Lebensverhältnisse gerade unter dem
Aspekt der schwierigen demografischen Entwicklung,
unter dem Aspekt der Veränderungen im ländlichen
Raum insgesamt höhere Bedeutung gewonnen hat . Des-
wegen ist es gut, dass wir das Grundgesetz betrachtet
haben . Es ist übrigens auch gut, dass wir keine Grund-
gesetzänderung vorgenommen haben . Wir haben das ge-
prüft, nicht nur im Sinne von Theodor Heuss, der uns zur
Sparsamkeit aufgerufen hat . Aber vor jeder Grundgesetz-
änderung sollten wir austesten, welche Möglichkeiten
uns die jetzige grundgesetzliche Regelung bietet . Und
siehe da: Es gibt Möglichkeiten, die wir noch nicht aus-
geschöpft hatten und haben . Damit kann das Ziel unseres
Koalitionsvertrags – gute Entwicklungschancen für den
ländlichen Raum – besser erreicht werden .

Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei allen,
die an der Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs und insbe-
sondere an der Beratung im Ausschuss mitgewirkt haben,
aber auch – lassen Sie mich das sagen – für die konstruk-
tiven Hinweise aus dem Bundesrat sehr bedanken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird nicht nur
die Landwirtschaft in den schwierigen Zeiten der ange-
spannten Märkte modern und leistungsfähig gehalten,
sondern wir haben auch eine mittel- und langfristige
Stärkung der Strukturen im ländlichen Raum erreicht .
Wir haben dank der Entscheidungen des Deutschen Bun-
destages die Mittel bereits in diesem Jahr beträchtlich
aufgestockt: Wir fügen 30 Millionen Euro für investive
Maßnahmen und weitere 30 Millionen Euro für neue
Maßnahmen dieser neuen Gemeinschaftsaufgabe hinzu .
Im Haushaltsjahr 2017 werden wir nach dem Entwurf
des Bundesfinanzministers, den wir gestern im Kabinett
beschlossen haben, neben den 600 Millionen Euro für
klassische GAK-Aufgaben weitere 100 Millionen Euro
für den Sonderrahmenplan Nationaler Hochwasserschutz

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


und 65 Millionen Euro nach dieser Erweiterung der GAK
vorsehen .

Ich darf ergänzend hinzufügen, dass die Mittel für
mein Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, das
Leuchtturmprojekte in Bundesverantwortung mitentwi-
ckeln soll, für das kommende Haushaltsjahr von 10 Mil-
lionen auf 20 Millionen Euro aufgestockt werden . Damit
schaffen wir größere Gestaltungsspielräume des Bundes .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dreh- und Angelpunkt bleibt die Verbesserung der
Agrarstruktur . Wir wollen sie in der GAK weitest-
möglich an das Förderspektrum des ELER bzw . der
ELER-Verordnung anpassen . Über diesen Europäischen
Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen
Raums – so heißt es in der Langform – fließen den Bun-
desländern jährlich bereits etwa 1,4 Milliarden Euro zu .
Damit können die Länder Maßnahmen zur Entwicklung
des ländlichen Raums finanzieren.

Ich freue mich, dass der Handlungsspielraum so weit
geht, dass wir zukünftig auch Investitionen in nichtland-
wirtschaftliche „Kleinstbetriebe“ fördern können, sprich
den Friseurbetrieb oder den Bäcker am Dorfplatz . Ich
freue mich, dass wir die Nahversorgung mit Gütern und
Dienstleistungen vor Ort verbessern können, dass der
ländliche Tourismus angekurbelt werden kann und dass
es Unterstützung für die Umnutzung von Bausubstanz
gibt, zum Beispiel als dörfliches Begegnungszentrum
oder – so machen wir es jetzt in Dörfern; das ist ein wei-
teres Konzept – als ein Multifunktionshaus . Darüber hi-
naus – ich sehe den Kollegen Göppel, der sich sehr für
die Landschaftspflege engagiert –, haben wir die Förder-
möglichkeiten im Bereich des Klima- und Naturschutzes,
des Vertragsnaturschutzes und der Landschaftspflege er-
weitert und manches andere mehr verbessert .

Meine Damen, meine Herren, wir müssen die Abwan-
derung junger Menschen aus den ländlichen Räumen
stoppen . Das ist die Kernaufgabe; es ist eine darüber hin-
ausgehende Aufgabe .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen müssen wir alle Maßnahmen unternehmen,
die die Attraktivität des ländlichen Raums steigern, ohne
die Identität des ländlichen Raums infrage zu stellen .

Ein letztes Wort . Ich bedanke mich im Zusammen-
hang mit der Gemeinschaftsaufgabe bei denen, die das
Geld bereitstellen . Das sind der Deutsche Bundestag und
die Länder . Ich wäre insbesondere dankbar, wenn wir im-
mer darauf achten würden – das richtet sich jetzt auch an
die verehrten Kolleginnen und Kollegen in den Bundes-
ländern –, dass, wenn die Maßnahmen auf den Weg ge-
bracht werden und die Tafeln für die Bauprojekte erstellt
werden, nicht vergessen wird, dass 60 Prozent der Gelder
vom Bund kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Manchmal verwittern diese Schriftzeichen relativ
schnell . Ich denke, wir alle haben ein Interesse daran,

dass wir nicht nur Gutes gemeinsam tun, sondern es auch
gemeinsam darstellen .

In diesem Sinne herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818311800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Heidrun Bluhm für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818311900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Herr Minister! Sehr geehrte Gäste!
Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern, einem dünn
besiedelten, aber trotzdem schönen Bundesland .


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Oh ja! Sehr schön!)


Mein Wahlkreis ist der größte Wahlkreis Deutschlands
und auch der schönste Wahlkreis Deutschlands, nämlich
der Müritzkreis .


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Ich spreche immer vom Zweitschönsten!)


Bei uns stellen sich andere Fragen als hier in Berlin .
Herr Minister Schmidt hat eben bereits einiges in dieser
Richtung vorgetragen . Bei uns ärgert man sich nicht da-
rüber, dass die S-Bahn oder die U-Bahn nur im Zehnmi-
nutentakt fährt, sondern bei uns stellt sich die Frage, ob
der Jugendliche mit dem Bus zum Sportklub oder ob die
Oma ins Theater in die kleine anliegende Stadt kommt .
Bei uns fragt sich so mancher Ortsbürgermeister, ob er
die Kita oder den Supermarkt, den kleinen Laden, den
er immer noch im Dorf hatte, noch halten kann oder was
damit passiert .

Bei uns brauchen vor allem kleine Unternehmen eine
Zukunftsperspektive . Bei uns fragen sich die Menschen
auch, wie man die vielen Potenziale, die es im ländlichen
Raum gibt, am besten schöpft und fördert, beispielsweise
im Tourismus, in der Energieproduktion oder aber auch
in der nachhaltigen Landwirtschaft, zum Beispiel durch
regionale Wirtschaftskreisläufe; denn viele der kleinen
Städte und Gemeinden verfügen heute über individuelle
Qualitäten .

Dafür sind aus unserer Sicht eine wirkungsvolle, um-
fassende und integrierte Förderung des ländlichen Raums


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und eine Strategie über Ressortgrenzen hinweg notwen-
dig . Dafür stehen viele Ministerien hier in Berlin in der
Verantwortung, nicht nur der Landwirtschaftsminister .

Ein wichtiges Instrument der Bundespolitik zur Ent-
wicklung des ländlichen Raumes ist die Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs-
tenschutzes“, über die wir hier heute debattieren wollen .

Bundesminister Christian Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Auf unsere Initiative hin gab es am Dienstag eine An-
hörung zu dem vorgelegten Gesetzentwurf. Ich finde es
schade, dass wir nicht über eine Gemeinschaftsaufgabe
„Ländliche Entwicklung“ reden, sondern immer noch
allein mit „Agrarstruktur“ und „Küstenschutz“ im Titel
antreten .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Diese Anhörung war wichtig; denn die Koalition zeig-
te vor allem Lernfähigkeit, und sie korrigierte mit einem
Änderungsantrag wichtige Punkte, die auch in dieser
Anhörung eine Rolle gespielt haben . Das begrüßen wir
natürlich . Eine wirkliche GAK-Reform, wie im Koali-
tionsvertrag auch angekündigt, bleibt die Koalition aus
meiner Sicht aber weiterhin schuldig .


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Oh!)


Dort, wo eigentlich ein großer Schritt notwendig gewe-
sen wäre, sprach der Deutsche Landkreistag von einem
kleinen „Trippelschritt in die richtige Richtung“ .

Aber nicht nur in der Anhörung wurde erneut viel Kri-
tik an diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung geübt,
sondern auch der eigens von Herrn Minister Schmidt
angeregte Sachverständigenrat fand deutliche Kritik an
diesem Gesetzentwurf, vor allem wegen des begrenzten
Maßnahmenspektrums, der beschränkten Gebietskulis-
se, der fehlenden zusätzlichen Mittel und der fehlenden
Angleichung an die Fördermöglichkeiten der EU durch
den ELER . Ich zitiere aus dem Bericht des Sachverstän-
digenrates:

Aus Sicht des Sachverständigenrates verfehlt der
Gesetzentwurf damit die Zielsetzungen des Koaliti-
onsvertrags und wird nicht den Herausforderungen
der ländlichen Räume gerecht .

Die Kritik des Sachverständigenrates benennt also we-
sentliche Punkte, die auch mit dem neuerlichen Antrag
der Koalition leider nicht behoben werden . Das kritisie-
ren wir unter anderem auch, vor allem die fehlende Ab-
deckung des gesamten ELER-Spektrums . Herr Schmidt
hat eben gesagt: Wir kommen dem näher, aber wir schöp-
fen ihn nicht aus . – Wir ändern das Grundgesetz nicht,
um eine wirkliche Reform der GAK im Sinne der ländli-
chen Entwicklung zu ermöglichen . Das schaffen wir da-
mit eben nicht . Wir stellen auch die ausreichenden Mittel
nicht zur Verfügung . Die Experten sagen, dass mindes-
tens 200 Millionen Euro zusätzlich notwendig wären, um
hier einen Entwicklungsschub zu erreichen . Auch wenn
wir im nächsten Jahr mit 65 Millionen Euro mehr rech-
nen können, werden hier nur ganz kleine Impulse gesetzt .
Für die ländlichen Räume werden jetzt 5 Prozent des Ge-
samtbudgets der GAK ausgegeben . Das, glaube ich, wird
nicht reichen .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine wirklich integrierte ländliche Entwicklung wird
erst durch eine umfassende Reform der GAK möglich .
Die Agrarstruktur, der Küstenschutz und der Umwelt-
schutz wären dann in die ländliche Gesamtentwicklung
einzugliedern .

Wir fordern deshalb eine Grundgesetzänderung, um
den ELER vollständig auszuschöpfen . Wir fordern vor
allem, die Daseinsvorsorge für die Menschen auf dem
Lande verlässlich zu fördern; denn die Wirtschaft im
ländlichen Raum ist mehr als nur Agrar- und Kleinst-
betriebe – vor allem in der Zukunftsperspektive . Wir
fordern eine demokratische Kontrolle und Transparenz
bei der Mittelverteilung durch Landes- und Bundespar-
lamente . Das ist bis heute nicht gegeben . Wir fordern ei-
nen eigenen Gestaltungswillen der Bundesregierung, der
nicht nur die gemeinsame Agrarpolitik der EU, sondern
vor allem auch die Zukunft der ländlichen Räume insge-
samt im Auge behält, und wir fordern mehr Geld, min-
destens die angesprochenen 200 Millionen Euro mehr,
um diese Herausforderungen des ländlichen Raumes be-
wältigen zu können .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke sagt: Wir müssen vor allem die sozialen
Auswirkungen unserer Politik im Auge behalten und die-
se vor allen Dingen aktiv gestalten, besonders weil wir
über 85 bis 90 Prozent des Bundesgebietes reden . Sie
wollen die Menschen damit vielleicht etwas stärker in
den Vordergrund stellen, aber sie bleiben trotzdem ab-
gehängt . Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse
überall in Deutschland .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818312000

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Willi Brase .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1818312100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren!

In einer sich so schnell verändernden Welt kann nur
bewahren, wer zu verändern bereit ist . Wer nicht
verändern will, wird auch das verlieren, was er be-
wahren möchte .

So Gustav Heinemann. Ich finde, er hat völlig recht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb haben wir gesagt: Wir wollen die Perspek-
tiven und die Vielfalt der ländlichen Räume bewahren,
aber auch die Chancen der Weiterentwicklung fördern .
Wir haben über diese Frage im Ausschuss für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz schon in
der 17 . Wahlperiode intensiv debattiert . Wir haben fest-
gestellt: Unsere ländlichen Regionen sind vielfältig, un-
terschiedlich stark, mit Blick auf die Bevölkerungszahl
manchmal aber auch schrumpfend; das wollen wir nicht
vergessen . Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag ver-
ankert: Wir streben an, diese Gemeinschaftsaufgabe zu
einer „Gemeinschaftsaufgabe ländliche Entwicklung“
weiterzuentwickeln .

Ich glaube, dass wir mit dem Gesetzentwurf ein-
schließlich des Änderungsantrags der Koalitionsfrakti-

Heidrun Bluhm






(A) (C)



(B) (D)


onen einen richtig guten Schritt nach vorne gehen . Ich
bin dankbar, dass wir nach intensiver Beschäftigung und
Verhandlung ein Stück vorwärtsgekommen sind, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der ELER und die Gemeinsame Agrarpolitik der EU
zielen auf die Infrastruktur ländlicher Gebiete . Es geht
um Daseinsvorsorge, das wollen wir nicht vergessen;
Kollegin Bluhm, Sie haben es teilweise angesprochen .
Lokale Lebensqualität wollen wir voranbringen; das ha-
ben wir im Änderungsantrag genau so formuliert . Es geht
bei der Daseinsvorsorge um Lebensmittel, um Energie,
um Mobilität, um kulturelle Einrichtungen, um Gesund-
heitsversorgung, um Brandschutz und Hilfestellung . Wir
haben das im Änderungsantrag als „Basisdienstleistun-
gen“ formuliert. Wir wollen die dörfliche Struktur und
Bausubstanz erhalten . Wir wollen den ländlichen Touris-
mus stärken . Auch wollen wir das kulturelle Erbe von
Dörfern bewahren und weiter ausbauen. Ich finde, das,
was wir beschlossen und vorgelegt haben, gibt genau das
wieder, was wir zur Weiterentwicklung der ländlichen
Regionen brauchen .

Auch unser Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz, Bau und Reaktorsicherheit hat schon seit 2010
Initiativen zur Entwicklung ländlicher Regionen auf den
Weg gebracht . Dabei geht es unter anderem um Zusam-
menarbeit, um den Aufbau von Netzwerkstrukturen und
um die Einbeziehung bürgerschaftlichen Engagements .

Wenn man das zur Kenntnis nimmt, kann man sagen:
Diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitions-
fraktionen unterstützen diesen Ansatz . Es geht darum,
dass nicht nur das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft, sondern auch andere etwas auf den Weg
bringen und Geld zu Verfügung stellen, damit sich die
ländlichen Regionen weiterentwickeln . Ziel war und ist:
Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse erreichen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist schon darauf hingewiesen worden: Wir haben
nach der Anhörung die vorgebrachten Argumente ge-
prüft . Wir haben die entsprechenden Änderungen auf den
Weg gebracht, auch das, was der Bundesrat in seiner ers-
ten Befassung zum Ausdruck gebracht hat . Ich nenne das
Stichwort „Gebietskulisse“ . Das, was dazu ursprünglich
vorgesehen war, hat sich als nicht praktikabel herausge-
stellt . Wir sind das vernünftig angegangen und haben es
verbessert . Es geht auch um das Antragsverfahren: Die
Anträge, die mehrjährig laufen, sollen nicht jedes Mal
wieder neu begründet werden müssen . Es geht unter an-
derem auch um den Vertragsnaturschutz . Das sind einige
Beispiele, worüber wir nicht nur beraten haben, sondern
bei denen wir auch für eine schnelle Umsetzung gesorgt
haben .

Mit unserer Entschließung beschreiben wir den zu-
künftigen Weg der Stärkung ländlicher Regionen . Wir
wollen ein ressortübergreifendes und abgestimmtes Han-
deln der Bundesregierung . Ich habe das eben am Beispiel
des Bundesbauministeriums deutlich gemacht . Es ist gut,
dass es einen entsprechenden Staatssekretärsausschuss
gibt . Ich bin mir sicher: Wenn wir diese Politik weiter-

führen, werden wir im Rahmen eines abgestimmten Vor-
gehens in der Regierung die ländlichen Regionen in na-
her Zukunft noch stärker miteinander verbinden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die fi-
nanziellen Mittel für die GAK Zug um Zug ausweiten .
Wir haben lange Gespräche mit den Vertretern der Län-
der geführt . Es geht um die Frage: Wie gehen wir mit
dem Mittelabfluss um? In verschiedenen Bundesländern
gibt es Doppelhaushalte . Mein und unser Wunsch an die
Haushälter ist – das müssen wir gut überlegen –, dass die-
ser Mittelabfluss vernünftig gestreckt wird und er auch
übertragen werden kann, damit die Mittel für die GAK
und für die ländlichen Regionen nicht verloren gehen .

Wir möchten aber auch, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, dass die 30 Millionen Euro, Herr Minister, die
wir als Bundestag letztes Jahr zusätzlich zur Verfügung
gestellt haben, aufgrund des langen Verfahrens und der
späten Beschlussfassung hier im Bundestag übertragen
werden, sodass sie der GAK und den ländlichen Regi-
onen nicht verloren gehen . Ich glaube, das ist ein ganz
wichtiger Punkt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es geht zukünftig darum, dass wir eine intensivere Ab-
stimmung zwischen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbes-
serung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, der Mittel-
standsförderung und dem Städtebau als ein Gesamtpaket
zur Unterstützung der ländlichen Regionen betrachten
und begreifen . Wer nur die GAK schaut und nur das im
Blick hat, was wir in diesem Bereich an Mitteln für die
ländlichen Regionen ausgeben, der greift zu kurz .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen das Gesamtpaket sehen, und dabei haben wir
als Koalitionsfraktion einiges auf den Weg gebracht .

Es geht uns als sozialdemokratische Fraktion darum,
die Vielfalt der ländlichen Regionen zu erhalten . Jeder
von uns weiß: Es gibt Regionen, in denen wir es sehr
stark mit demografischen Problemen zu tun haben; dazu
wird meine Kollegin Petra Crone etwas sagen . Wir haben
aber auch Regionen, die wirtschaftlich sehr stark sind, in
denen es kaum Arbeitslosigkeit gibt und die fantastische
industrielle und gewerbliche Strukturen haben .

Wenn ich heute wenig über die Landwirtschaft gespro-
chen habe, liegt das daran, dass unsere Landwirtschaft
hoch konkurrenzfähig ist, sehr viel exportiert und auf
höchstem Niveau arbeitet . Deshalb braucht sie manch-
mal etwas weniger Unterstützung . Wir müssen die Un-
terstützung aber zu den ländlichen Regionen umleiten,
die teilweise schrumpfen . Ich denke, das ist ein richtiger
Weg .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Un-
terschiedlichkeit der ländlichen Regionen in unserem
Land bewahren . Es ist gut und wichtig, allen zu helfen .
Deshalb nehmen wir diese Chance an .

Es ist gut, dass wir nächstes Jahr mehr Geld haben .
Ich möchte wiederholen, was ich schon an anderer Stel-
le gesagt habe: Perspektivisch sind für die weitere Ent-
wicklung 65 Millionen bis 100 Millionen Euro an jähr-

Willi Brase






(A) (C)



(B) (D)


lichem Zuwachs zu wenig . Aber das muss spätestens in
der nächsten Legislaturperiode angegangen werden . Ich
werde nicht mehr dabei sein .

Vielen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818312200

Ich möchte mich für die präzise Einhaltung der Rede-

zeiten bedanken . Auch das muss – gerade heute – einmal
festgestellt werden .

Nächster Redner ist der Kollege Markus Tressel für
Bündnis 90/Die Grünen .


Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818312300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

ländlichen Räume stehen unzweifelhaft vor großen und
vielfältigen Herausforderungen . Deswegen hätten wir
jetzt endlich eine kohärente Strategie für die ländlichen
Räume gebraucht, die sich nicht mehr nur auf die Land-
wirtschaft fokussiert . Das ist der Grundfehler, den der
vorliegende Gesetzentwurf leider nicht löst, obwohl Sie
es in Ihrem Koalitionsvertrag anders angekündigt haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir brauchen Daseinsvorsorge; wir brauchen aber auch
„Dableibensvorsorge“ in unseren ländlichen Regionen .
Das werden wir auf diese Art und Weise vielleicht ansatz-
weise hinbekommen, aber der große Wurf ist das nicht .

Bei aller Wertschätzung für die Landwirtschaft sage
ich, sie verliert leider an Bedeutung für die ländlichen
Regionen . Seit 1993 hat sich die Zahl der landwirtschaft-
lichen Betriebe mehr als halbiert, und die Bruttowert-
schöpfung in der Land- und Forstwirtschaft ist um knapp
20 Prozent zurückgegangen . Immer weniger Wertschöp-
fung und immer weniger Beschäftigung in der Landwirt-
schaft: Das sind die Folgen eines tiefgreifenden Struk-
turwandels .

Aber nicht nur das macht ländlichen Regionen zu
schaffen . Genauso treffen auch andere wirtschaftliche
Veränderungen periphere ländliche Regionen hart, bei-
spielsweise in den Kohleregionen – ich komme aus einer
solchen Region – oder in ehemals großindustriell gepräg-
ten Regionen . Diese Regionen schrumpfen vielfach öko-
nomisch, und sie schrumpfen demografisch.

Wir alle wissen: Wenn die jungen Leute wegziehen,
werden die ohnehin schon knappen finanziellen Spielräu-
me der Kommunen noch kleiner . Krankenhäuser werden
geschlossen, Ortskerne veröden, weil sich der Einzelhan-
del nicht mehr rentiert, und mittelständische Unterneh-
men finden keine Auszubildenden und Fachkräfte mehr.

Die Ungleichheit zwischen den regionalen Lebensver-
hältnissen nimmt zu . Deswegen können wir heute in vie-
len Bereichen nicht mehr von der Gleichheit der Lebens-
verhältnisse sprechen . Das ist eine fatale Entwicklung;
es ist eine Spirale, die nach unten zieht . Hier müssen wir
den Menschen vor Ort neue Perspektiven eröffnen, und

die liegen bei aller Sympathie nicht nur in der Landwirt-
schaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das im Grundge-
setz formulierte Ziel einer Gemeinschaftsaufgabe heißt,
die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern .
Das ist der Kernpunkt . Die GAK, die Sie mit Ihrem
Gesetzentwurf heute beschließen wollen, wird in ihrer
derzeitigen Form diesem Ziel nicht gerecht . Sie waren
zu Beginn Ihrer Koalition der gleichen Meinung, als Sie
in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben, die Ge-
meinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz zur
„Gemeinschaftsaufgabe ländliche Entwicklung“ weiter-
zuentwickeln, sodass sie die Herausforderungen ländli-
cher Räume anpacken kann . Das war und ist ein richtiger
Gedanke .

Drei Jahre später ist aber von diesem Vorhaben – ich
sage ganz klar: leider – wenig übrig geblieben . Statt der
nötigen Grundgesetzänderung, die wir als Opposition
und, glaube ich, im Übrigen auch viele Bundesländer un-
terstützt hätten, kommt nun ein Reförmchen, das ganz
klar macht: Was nicht der Landwirtschaft dient, kann
nach wie vor nicht gefördert werden . Die Bundesregie-
rung selbst hat uns noch im Mai auf eine Kleine Anfrage
geantwortet – ich zitiere –:

Maßnahmen, die gar keine Rückbindung an den
Agrarbegriff erkennen lassen, sind auch mit der
neuen GAK nicht förderfähig .

Sie sagten eben, Herr Minister Schmidt, Dreh- und
Angelpunkt bleibt die Agrarstruktur . Das wird, denke
ich, in der Praxis Probleme geben . Es ist meines Erach-
tens dem Problem auch nicht angemessen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Erweiterung der GAK, die Sie heute vornehmen,
zeigt: Sie machen im Kern weiter allein Landwirtschafts-
politik und eben keine Politik für die ländlichen Räume .
Sie nannten vorhin selbst die Vielschichtigkeit der Pro-
bleme, aber Sie betreiben weiterhin allein Landwirt-
schaftspolitik, und damit setzen Sie den Koalitionsver-
trag eben genau nicht um . Sie vertun eine große Chance,
die Förderpolitik für die ländlichen Räume neu aufzu-
stellen – im Übrigen zusammen mit der Landwirtschaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Kollegin Bluhm hat vorhin gesagt: Gut, dass
wir die Anhörung in dieser Woche hatten . – Dort gab
es deutliche Kritik der Sachverständigen, und diese hat
am Schluss auch etwas bewirkt . Das ist außerordentlich
lobenswert . Sie haben die allergröbsten Mängel des Ge-
setzentwurfes beseitigt, wie die rechtsunsichere Gebiets-
einschränkung, die doppelte und dreifache Bürokratie für
die Länder bedeutet hätte, und Sie haben zumindest den
Vertragsnaturschutz auch als Ziel der GAK formuliert .
Das ist außerordentlich lobenswert .

Aber ich hätte mir gewünscht, dass sich das, was Sie
in Ihrer Entschließung fordern, von vornherein im Ge-
setzentwurf wiedergefunden hätte . Das Ziel der inte-
grierten Entwicklung, der regionalen Wertschöpfung, der
Frauenförderung, die bessere Kombinierbarkeit mit an-

Willi Brase






(A) (C)



(B) (D)


deren Fördertöpfen – die GRW haben Sie angesprochen,
Herr Kollege Brase – und die regelmäßige Evaluation der
Mittelausgaben; all dies hätte ins Gesetz gehört, weil es
das Gesetz besser gemacht hätte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen eine Zukunftsperspektive für die ländli-
chen Räume, die in ihrer Unterschiedlichkeit auch unter-
schiedliche Voraussetzungen haben . Diese zusätzlichen
Mittel sind ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man
sich die Größe der Aufgabe betrachtet . Deshalb hat auch
der Sachverständigenrat im Vorfeld in seiner Stellung-
nahme mehr Geld gefordert .

Die GAK, wie sie jetzt vorliegt, beinhaltet im Kern,
was ihr Name sagt: Maßnahmen zur Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes . Die Förderung
ländlicher Entwicklung bleibt in den Kinderschuhen .
Das ist bedauerlich, da wäre mehr gegangen . Jetzt muss
man, wenn man ehrlich ist, sehen: Wertvolle Zeit für
die ländlichen Räume wird wieder verstreichen, bis wir
nochmals an dieses Thema herangehen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen . Das ist außerordentlich schade .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818312400

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege

Hans-Georg von der Marwitz .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1818312500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Im Zentrum des Gesetzentwurfes zur Reform der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“, kurz: GAK, steht ein entschei-
dender Paradigmenwechsel von gesellschaftlicher Be-
deutung, Herr Tressel . Mit diesem Gesetz erweitern wir
in den engen Grenzen des Artikels 91a im Grundgesetz
den Fokus der GAK über die Landwirtschaft hinaus auf
den ländlichen Raum .

Wir fördern mit diesem Gesetz erstmals auch außer-
landwirtschaftliche Infrastruktur – eine wichtige Maß-
nahme für unsere Gemeinden und Dörfer . In weiten Ge-
bieten Deutschlands ist die Landwirtschaft längst nicht
mehr der Wirtschaftsmotor Nummer eins – von den Be-
schäftigten auf den Feldern und in den Ställen ganz zu
schweigen . Die agrarpolitischen Diskussionen der letzten
Monate bieten zusätzlich reichlich Anlass, über die wei-
tere Entwicklung der ländlichen Räume nachzudenken .

Zwar prägt die Landwirtschaft optisch noch viele Re-
gionen, doch hinter den Fassaden haben Gewerbe und
Dienstleistungen die Urproduktion längst überholt . Unse-
re Landwirte geraten nicht nur durch die Agrarmarktkrise
immer stärker unter Druck . Unabhängig davon schreitet
der Strukturwandel weiter voran . Entleerte Dörfer und
demografische Verwerfungen drohen. Kurzum: Teile des
ländlichen Raumes stecken in der Krise – übrigens im
Osten Deutschlands wesentlich offensichtlicher als im

Westen . Meine Heimat Brandenburg hat einen hohen
Anteil an ländlichen Regionen .

Sie alle kennen meine Position, und ich werde nicht
müde, auch bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen,
wie wichtig eine vielschichtige Agrarstruktur ist . Durch
eine unbedachte Überführung alter DDR-Strukturen in
die Marktwirtschaft und die Vernachlässigung der Fami-
lienbetriebe in den 90er-Jahren verschärft sich bis heute
die Krise zusätzlich, gerade wenn der Markt schwächelt
und geordnete Betriebsübergaben ausbleiben . Die Causa
KTG sei hierfür beispielgebend erwähnt .

Wir haben zwei Seiten einer Entwicklung . Die Märkte
sind durch hohe Produktionsmengen deutlich übersät-
tigt . Die deutsche Landwirtschaft ist durchrationalisiert,
hochleistungsorientiert, profiliert auf dem Weltmarkt und
damit ökonomisch eng mit China und Russland verzahnt .
Doch die daraus resultierenden Wechselwirkungen ste-
hen heute vielen Landwirten zum Teil im Weg . Die der-
zeitige Krise wird, langfristig betrachtet, tiefe Spuren in
der deutschen Agrarstruktur hinterlassen . Mit einer baldi-
gen Besserung ist derzeit nicht zu rechnen .

Wir führen hier eine strukturpolitische Diskussion .
Deshalb zurück zur GAK, Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ .
Zusammen mit den Ländermitteln verteilen wir auf
diesem Weg in diesem Jahr rund 1,2 Milliarden Euro,
eine beachtliche Summe . Mit dem Vierten Gesetz zur
Änderung des GAK-Gesetzes setzen wir heute auf eine
Neuorientierung, sicherlich noch in einem sehr über-
schaubaren Rahmen – da gebe ich Ihnen absolut recht –,
aber immerhin ist es ein Anfang . Wir brauchen alterna-
tive Entwicklungen für den ländlichen Raum . Mehr als
die Hälfte der Bevölkerung – der Herr Minister hat das
vorhin erwähnt – lebt auf dem Land . Mit der geplanten
Öffnung der GAK durch die Novellierung des Gesetzes
schaffen wir dafür neue Voraussetzungen . Dennoch hat
für mich weiterhin Priorität: der bleibende Bezug zur
Landwirtschaft in diesem Gesetz . Denn der Agrarbezug
steht im Zentrum der Gemeinschaftsaufgabe .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zustimmung des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Durch die Erhöhung der Mittel wird gleichzeitig si-
chergestellt, dass die Förderung der neuen Maßnahmen
nicht zulasten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ geht . Mir ist
wichtig, dass sich mein Berufsstand zukunftsorientiert
aufstellt . Wenn nicht wir Bauern den Transformations-
prozess mit beeinflussen, dann werden das andere für uns
tun . Die Öffnung der GAK für andere Schwerpunkte im
ländlichen Raum ist ein sprichwörtliches Wetterleuchten
am Agrarhimmel . Wir tun klug daran, die Zeichen der
Zeit zu deuten .


(Beifall des Abg . Willi Brase [SPD])


Ich habe zu Beginn auf die derzeitige Krise verwie-
sen . Es ist wichtig für die Landwirte, aber auch für den
gesamten ländlichen Raum, Anreize zu schaffen für un-
ternehmerisches Engagement, für Investitionen in die
Zukunft und nicht zuletzt für eine neue Definition hei-
matlicher Verbundenheit . Mein Appell geht deshalb an

Markus Tressel






(A) (C)



(B) (D)


Sie alle, Verbraucher und Produzenten, Verarbeiter und
den Handel: Die Bauernschaft ist kein Berufsstand wie
jeder andere . Wir sorgen schließlich für das täglich Brot
im Einklang mit dem geliehenen Gut unserer Kinder . Im
Wohlstand mag das wenigen von Bedeutung sein . Aber
die Geschichte lehrt uns: Ist ruiniert der Bauernstand,
ziehen Teuerungen übers Land .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818312600

Die Kollegin Petra Crone spricht jetzt für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Petra Crone (SPD):
Rede ID: ID1818312700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

legen und Kolleginnen! Erinnern Sie sich noch an den
letzten Demografiegipfel vor knapp neun Monaten? Man
könnte fast die Frage stellen: Gibt es den demografischen
Wandel überhaupt noch? Ich sage: Ja, und wie! In der
Politik gilt es, schnell zu reagieren, wenn ein Thema akut
wird. Der demografische Wandel eignet sich dafür nicht.
Er ist – genauso wie die Globalisierung – ein stetiger Pro-
zess, der die Politik auch stetig fordert . Genau deshalb
dürfen wir die Debatte nicht vernachlässigen, auch wenn
das Thema in den letzten Monaten durch viele Ereignisse
in unserer Wahrnehmung weggerutscht ist . Um die de-
mografische Entwicklung besonders im ländlichen Raum
zu gestalten, müssen wir neue Wege gehen, manche Ku-
lisse hinter uns lassen, neue, passgenaue finden und dann
auch den Mut haben, diese zu bauen. Darum finde ich
es richtig klasse, dass es uns mit dem Änderungsantrag
der Koalitionsfraktionen gelungen ist, einen spürbaren
Schritt nach vorne zu machen .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben im GAK-Gesetz eine Gebietskulisse ge-
baut, die handhabbar ist und den Verwaltungsaufwand
für die Bundesländer in Grenzen hält . Auf Wunsch des
Bundesrates haben wir das Gesetz verbessert, um den de-
mografischen Wandel in den ländlichen Regionen positiv
gestalten zu können .

Aber wir können auch noch mehr tun . Zwei Vorschlä-
ge: Erstens . Die SPD forderte schon 2015, der GAK eine
neue Gemeinschaftsaufgabe „Integration und demogra-
fischer Wandel“ zur Seite zu stellen – ohne störende Zu-
ständigkeitsgrenzen zwischen Bund, Ländern und Kom-
munen . Deshalb müssen wir das Kooperationsverbot im
Grundgesetz noch einmal bereden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gute Bildung für alle braucht Unterstützung und keine
Schranken .


(Beifall bei der SPD)


Zweitens. Wir plädieren für einen Demografiestruk-
turfonds, in den Bund und Länder gemeinsam einzah-
len . Damit können wir denjenigen Kommunen und Re-
gionen Mittel zur Verfügung stellen, die besonders vom

demografischen Wandel betroffen sind. Insbesondere die
strukturschwachen und ländlichen Regionen benötigen
die Hilfe des Bundes, unabhängig davon, ob sie im Osten
oder im Westen dieser Republik sind .


(Beifall bei der SPD)


Hierfür braucht es aussagekräftige Indikatoren für De-
mografie als Umverteilungskriterien.

Diese beiden Maßnahmen müssten genauso wie die
GAK in das gesamtdeutsche Fördersystem für struktur-
schwache Regionen ab 2020 eingebunden werden . Das
hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel schon auf den
Weg gebracht . Es soll den gesellschaftlichen Zusammen-
halt in unserem Land auch nach Auslaufen des Solidar-
pakts 2019 stärken . Ich kann diese Forderung nur unter-
stützen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Klar ist natürlich: Die Länder sind frühzeitig in die Pla-
nung einzubeziehen, um am Ende ein wirklich wirkungs-
volles Förderregime zu haben .

Ein letzter Punkt: Die große Leistung im Zusammen-
hang mit dem demografischen Wandel findet in unseren
Wahlkreisen statt . Vor Ort werden kreative, praxistaug-
liche Lösungen gesucht und gefunden – mithilfe vieler
Männer und Frauen, die sich für das Gemeinwohl auf
verschiedene Weise ehrenamtlich engagieren . Ihnen gilt
mein und sicherlich auch Ihr ganz besonderer Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber unsere Kommunen benötigen zur Gestaltung des
demografischen Wandels ebenso auch hauptberufliche
Demografiebeauftragte. Die Regierungsfraktionen haben
in den vergangenen Jahren für die Rahmenbedingungen
für unsere Kommunen ganz viel getan und Gelder in
Milliardenhöhe bereitgestellt . Natürlich muss die kom-
munale Handlungsfähigkeit auch weiterhin nachhaltig
verbessert werden . Die Herausforderungen werden nicht
weniger. Ich nenne nur das Stichwort „Pflege“.

Mein Wunsch an die Kommunen: Betreiben Sie eine
mutige Personalpolitik, die aktiv und nicht reaktiv ist, die
Chancen und Potenziale des demografischen Wandels er-
kennt und in Köpfe, Wissen und Herzen investiert – zum
Wohle unserer Kommunen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818312800

Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungs-

punkt ist die Kollegin Marlene Mortler für die CDU/
CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1818312900

Danke schön, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wir haben heute viele gute Botschaften

Hans-Georg von der Marwitz






(A) (C)



(B) (D)


mitgebracht . Die Erste lautet: Wir stehen zu unseren Bau-
ern und Bäuerinnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens . Die GAK bleibt für unsere landwirtschaftli-
chen Betriebe erhalten . Drittens . Wir werden die GAK
für alle Menschen im ländlichen Raum erweitern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben es mehrfach gehört: Es gibt nicht den länd-
lichen Raum, sondern es gibt Räume mit größeren He-
rausforderungen, und es gibt Räume wie den bei mir in
Bayern, um München, mit ganz anderen Herausforderun-
gen . Ich persönlich freue mich, dass uns mit diesem Ge-
setz der Einstieg in einen Paradigmenwechsel gelungen
ist . Natürlich kann man immer mehr und mehr und mehr
Geld fordern, wie dies auf der ganz linken Seite dieses
Hauses geschieht .

Ich danke zunächst einmal allen Kolleginnen und
Kollegen, unseren Haushältern im Bund und hoffentlich
auch in den Länderregierungen dafür, dass sie Geld frei-
gemacht haben bzw . freimachen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Bundesländer haben es nun zusammen mit dem
Bund in der Hand, innerhalb des Rahmenplans ihre Maß-
nahmen und Prioritäten länderspezifisch und individuell
zu setzen . Ich bin gespannt auf viele gute Ideen und auf
die Kreativität vor Ort .

An dieser Stelle erinnere ich mich an das Jahr 2010 .
Damals hat das Bundesministerium unserer damaligen
Ressortchefin Ilse Aigner zum Erstaunen vieler als ers-
tes Haus in Berlin das Breitbandförderprogramm auf den
Weg gebracht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


10 Millionen Euro wurden dafür zur Verfügung gestellt .
Heute kann man feststellen: Wir waren Vorreiter . Das
Ganze hat Schule gemacht . Inzwischen führt das zu-
ständige Ministerium fast jeden Monat Veranstaltungen
durch, und es übergibt Breitbandförderbescheide . Diese
Bescheide sind nahezu ein Renner, und wir waren der
Auslöser – klasse!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen und wir können mit unserem neuen An-
satz nicht mit anderen Förderinstrumenten konkurrieren
bzw . uns mit ihnen nicht kreuzen; wir können nicht al-
les fördern . Wir gehen vielmehr mit unseren Maßnah-
men dorthin, wo zum Beispiel die Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
erst gar nicht hinkommt . Das heißt, wir legen eine gute
Grundlage dort, wo es keine anderen Möglichkeiten für
Leistungsfähigkeit und für Lebensqualität gibt .

Der Minister hat es gesagt: 50 Prozent der Bürgerin-
nen und Bürger unseres Landes wohnen in Dörfern und in
Städten . Diese Menschen brauchen heute und in Zukunft
Perspektiven . Ich erinnere daran, dass rund 40 Prozent
aller Arbeitsplätze in wissens- und innovationsintensiven

Unternehmen sind, und zwar in der Fläche; viele Hidden
Champions befinden sich darunter.

Ich möchte abschließend noch ein paar persönliche
Worte loswerden .

Erst einmal sage ich ein herzliches Dankeschön an
Wilhelm Brase für die gute Zusammenarbeit .


(Willi Brase [SPD]: Willi!)


– „Willi“, wie der Bauer Willi, jawohl . – Ich bin aus Er-
fahrung zutiefst überzeugt von den Menschen im ländli-
chen Raum, wenn es um Solidarität, Nachbarschaftshilfe,
enge Netzwerke und gesellschaftliches Engagement geht .
Ich bin aber auch zutiefst überzeugt vom Herzstück, von
der Seele des ländlichen Raumes, nämlich von unseren
Bauern und Bäuerinnen .

Lieber Kollege Tressel, ich gebe Ihnen recht: Die
landwirtschaftlichen Betriebe werden zwar weniger, aber
die Bedeutung der Landwirtschaft, wenn es um Wert-
schöpfung geht, hat zugenommen, und auch die Anzahl
der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft hat zugenom-
men – Gott sei Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Erinnern wir uns daran, dass unsere Bauern dafür sor-
gen, dass unser Tisch jeden Tag so vielfältig, so reichhal-
tig gedeckt ist . Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir tut es in
der Seele weh, wenn in diesen Wochen aus Unwissen,
aus Halbwissen oder auch mit voller Absicht unsere Bau-
ern als Feindbild und als Sündenbock herhalten müssen,
zuletzt beim Thema Hochwasser, als man der Meinung
war, nur die Landwirtschaft – der Maisanbau, die Mo-
nokultur – sei daran schuld . Ich sage: Jede Kultur ist für
sich eine Monokultur, egal ob man Bioanbau oder kon-
ventionellen Anbau betreibt . Der Bäcker will vielleicht
Backweizen haben, und er will kein Maismehl dazwi-
schen haben – oder umgekehrt .

Gott sei Dank leben wir in einem Land, wo wir die vier
Jahreszeiten – Frühling, Sommer, Herbst und Winter –
noch erleben können, und da ist das Feld unterschied-
lich bestellt . Wenn in einer Zeit wie vor wenigen Wochen
Sturzfluten vom Himmel herunterkommen, dann fragen
diese Sturzfluten nicht: Ist hier Mais angebaut, oder ist
hier gerade eine Blumenwiese angesät worden? Sturzflu-
ten nehmen schlicht alles mit .

Gehen wir also in uns, jetzt in der Sommerpause, wer-
den wir uns bewusst, wie wichtig Landwirte und Land-
wirtschaft und ländlicher Raum sind, sodass wir weiter
im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und
Land kämpfen, und seien wir dankbar für jeden Bauern
um die Ecke!

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818313000

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-

Marlene Mortler






(A) (C)



(B) (D)


derung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-
zes“ . Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/9074, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksachen 18/8578 und 18/8958 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion der Linken angenommen .

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9074 empfiehlt der Ausschuss für Ernäh-
rung und Landwirtschaft, eine Entschließung anzuneh-
men . Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt, den
bitte ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD, Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/9102 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b so-
wie den Zusatzpunkt 4 auf:

9 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Dr . Alexander S . Neu,
Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Die NATO durch ein kollektives System
für Frieden und Sicherheit in Europa un-
ter Einschluss Russlands ersetzen

Drucksache 18/8656

b) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Verteidigungsausschusses

(12 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-

ordneten Dr . Alexander S . Neu, Wolfgang
Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Keine Verlegung von Bundeswehr-Ein-
heiten nach Litauen

Drucksachen 18/8608, 18/8733

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Buchholz, Dr . Alexander S . Neu, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Rückholung der Bundeswehreinheiten aus der
Türkei

Drucksache 18/9028

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die Fraktion
Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818313100

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! 1955 ist

die Bundesrepublik Deutschland der NATO beigetre-
ten . 61 Jahre NATO-Mitgliedschaft – es hat noch nie in
diesem Zeitraum im Bundestag eine Debatte gegeben:
„Wie kann man die NATO ersetzen? Wie kann man sie
abschaffen oder überwinden?“, sondern es ist immer nur
diskutiert worden: Wie kann man die NATO stärken?
Wie kann man rüsten? Wie kann man aufrüsten? Wie
kann man NATO-Treue beweisen? – Damit wollen wir
Schluss machen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben mit unserem Antrag die Debatte eingelei-
tet, die NATO durch ein ziviles kollektives Sicherheits-
system in Europa zu ersetzen . Wir möchten, dass diese
Debatte hier im Bundestag weitergeführt wird, dass sie
vor allen Dingen in der Öffentlichkeit geführt wird . Das
ist der Sinn unseres Antrags . Ich glaube nicht, dass Sie
unserem Antrag zustimmen werden;


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das wird auch nicht in der Öffentlichkeit diskutiert!)


es würde mich schon sehr überraschen .

Aber Sie werden Ihren Kurs ändern, wenn immer
mehr Menschen in diesem Land sagen: „NATO ist nicht
Sicherheit, sondern Unsicherheit“, wenn immer mehr
Menschen sagen: „Wir wollen etwas anderes als die
NATO“, wenn die Demonstrationen größer werden .


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Für welche Menschen sprechen Sie denn?)


Mich wundert ein bisschen, dass Sie nicht einmal auf
einige Kolleginnen und Kollegen aus Ihren eigenen Rei-
hen, die bei Ihnen zumindest früher bedeutsam waren,
hören . Also, ich bin weiß Gott kein Freund mehr von
Gerhard Schröder . Aber das, was er zu Russland sagt, ist
vernünftig .


(Niels Annen [SPD]: Keiner „mehr“?)


– Ich war es einmal, ja . – Das, was er zu Russland
sagt, finde ich sehr vernünftig. Ich bin kein Freund von

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Ischinger, obwohl er die Linke an der Sicherheitskonfe-
renz beteiligt hat . Aber er warnt zu Recht .


(Niels Annen [SPD]: Mit dem auch?)


– Nein, mit dem war ich nicht befreundet . – Ich lese das,
was Gernot Erler zur Sicherheit sagt . Wir diskutieren
nicht in allgemeinen Zeiten über unseren Vorschlag, son-
dern wir diskutieren in Zeiten, in denen eine tatsächliche,
akute Kriegsgefahr vorhanden ist . Und dann muss man
zu mutigen, neuen Schritten kommen . Ein mutiger, neuer
Schritt wäre, die NATO aufzulösen und eben durch ein
solches Sicherheitssystem zu ersetzen . Das ist das, was
wir Linke wollen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen Frieden in Europa und außerhalb Europas .
Aber wir machen keinen Frieden mit der NATO . Wir
waren NATO-Gegner und sind es geblieben . Das unter-
scheidet uns zum Beispiel von den Grünen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen in der NATO-Politik eine Kurswende . Wir
wollen heraus aus der Sackgasse, wir wollen heraus aus
Konfrontation, und wir schlagen dem Bundestag vor:
Überlegen Sie doch einmal, welche Alternativen Sie
sehen, oder wollen Sie immer weiter in die Sackgasse
rennen?


(Henning Otte [CDU/CSU]: Welche Sackgasse denn?)


Ich nenne Ihnen ein paar Gründe . Wir können heute
das nachholen, was beim Abschluss des Zwei-plus-Vier-
Vertrages versäumt wurde . Der Warschauer Pakt ist auf-
gelöst . Die NATO muss jetzt folgen .

Lange Zeit galt die NATO in Deutschland – West – als
ein Garant von Sicherheit . Das war im Kalten Krieg . Die-
ses Bild des Garanten für Sicherheit hat die NATO spä-
testens mit ihrem Krieg gegen Jugoslawien verloren . Das
war ein völkerrechtswidriger Krieg, und diesen Krieg
verantwortet die NATO .


(Beifall bei der LINKEN)


1999 änderte die NATO in Washington ihre Charta
und definiert sich nicht mehr nur oder vorwiegend als
Verteidigungsbündnis, sondern als Bündnis zur Durch-
setzung der Interessen ihrer Mitgliedstaaten . Das ist of-
fen und vielfältig, was Interessen angeht . Nur unter dem
Vorwand, dass es ein Verteidigungsbündnis ist, durfte
Deutschland überhaupt der NATO beitreten . Denn das
Grundgesetz verbietet die Beteiligung an Angriffskrie-
gen, stellt sie sogar unter Strafe . Wenn also aus einem
Verteidigungsbündnis ein Angriffsbündnis geworden ist,
darf Deutschland nicht mehr in der NATO verbleiben,
sondern muss die NATO verlassen . Das ist eine Logik
der Dinge .


(Beifall bei der LINKEN)


Wer heute Ja sagt zur NATO, zu NATO-Einsätzen,
sagt Ja zu Kriegen und damit zu Handlungen, die außer-
halb des Grundgesetzes stehen .

Die Bundeskanzlerin hat davon gesprochen, dass die
Freiheit der Bündniswahl entscheidend ist . Wenn es eine

Freiheit der Bündniswahl gibt, muss es auch eine Freiheit
geben, die Bündnisse zu verlassen . Sonst hat das Erste
keinen Sinn .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Will aber keiner!)


Dazu berufen, das zu entscheiden, wäre der Bundestag .
Denken Sie einmal darüber nach!

Die NATO steht im Verdacht, an illegalen Putschen
in Europa beteiligt gewesen zu sein . Auch das hat Men-
schen in Distanz zur NATO gebracht . Ich erinnere mit
dem Stichwort „Gladio“ – der Geheimarmee der NATO –
an Anschläge in Italien . Ich erinnere an die Aktion Pro-
metheus, an den Obristenputsch in Griechenland . Ich er-
innere an solche Einrichtungen wie Stay-behind, also an
NATO-Geheimarmeen, deren Existenz oder Nichtexis-
tenz nie offengelegt worden ist . NATO in den einzelnen
Ländern bedeutet immer eine latente Putschgefahr .

Die NATO verschlingt ungeheuer hohe finanzielle
Mittel . 2015 zum Beispiel beliefen sich die kollektiven
Ausgaben auf 905 Milliarden Dollar . Zur Beseitigung
von Hunger und extremer Armut in der Welt wurden
nur 39 Milliarden bis 54 Milliarden Dollar ausgegeben .
Jetzt will die NATO mit der Forderung, dass jedes Land
mit Ausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlands-
produktes zur Finanzierung der NATO beitragen soll,
in die Steuerkassen greifen . Was Deutschland angeht,
entspricht dies einer Steigerung von 35 Milliarden auf
60 Milliarden Euro . Das ist unverantwortlich in einer
Zeit, in der in der Welt Hunger, Armut, Vertreibung, Not
und Elend herrschen . Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns das
Geld für die Entwicklungszusammenarbeit, gegen Not
und gegen Armut einsetzen . Damit leisten wir mehr für
den Frieden in der Welt, als wenn wir die NATO noch
weiter aufrüsten .

Keinen Frieden mit der NATO, das ist es, was wir rü-
berbringen wollen . Wir wollen die NATO ersetzen, und
es wäre schön, wenn Sie mitmachen würden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818313200

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Henning

Otte .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1818313300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir
eben aus diesem Hohen Hause von diesem Rednerpult
gehört haben, greift die Fundamente unserer Republik
an .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)


Es greift die Fundamente eines erfolgreichen Verteidi-
gungsbündnisses an, und es greift vor allem die Stabilität
und den Frieden in Europa und in Deutschland an .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Gehrcke will nur spielen!)


Sie sind mit Ihrer Forderung, die NATO durch ein
neues kollektives System zu ersetzen, gar nicht auf den
Inhalt Ihres Antrags eingegangen, nämlich die deutschen
Soldaten aus der Türkei abzuziehen und keine multinati-
onalen Truppen im Baltikum zu stationieren .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie verhohnepipeln damit die Sorgen der baltischen Staa-
ten, Sie spielen dem IS in die Hände .


(Zurufe von der LINKEN)


Ich kann Ihnen nur sagen: Sie bedienen ein ideologisches
Kalkül, das nicht dadurch besser wird, dass Sie lauter
werden . Das ist schon sehr verwunderlich nach der Re-
gierungserklärung unserer Bundeskanzlerin mit einer
großen Aussprache heute Morgen . Weil Sie kein Gehör
finden, weil Sie die Menschen nicht überzeugen, kom-
men Sie jetzt mit einem neuen Antrag .


(Zuruf von der LINKEN: Sind Sie im Kalten Krieg stehen geblieben?)


Diesen lehnen wir vehement und aus Überzeugung ab .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es hätte mich gewundert, wenn Sie zustimmen würden! – Zuruf von der LINKEN: Kalter Krieger!)


Würden wir Ihrem Antrag folgen, dann würden wir
Instabilität erzeugen . Dahinter steckt offensichtlich ein
Kalkül, das seinen Ausdruck auch darin findet, dass Sie
ein zerrüttetes Verhältnis zu den Strukturen haben . Wir
leben in einem wiedervereinigten Deutschland mit fried-
lichen Nachbarn . Deutschland geht es gut . All das wollen
Sie in Zweifel ziehen, als sei es nicht gut für unser Land
und unsere Bürgerinnen und Bürger . Auch heute Morgen
war dies so, als Ihre Vorsitzende hier gesprochen hat . Im
Grunde genommen bedienen Sie damit eine AfD-Klien-
tel .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sonst fällt Ihnen ja nichts mehr ein!)


Ich finde sowohl Ihre Zwischenrufe als auch das La-
chen, das Sie offensichtlich auf Ihren Lippen tragen, der
sicherheitspolitischen Lage und der Sorge der Menschen
nicht angemessen . Die Bundeskanzlerin hat heute eine
Regierungserklärung zum NATO-Gipfel abgegeben . Sie
wollen die NATO ersetzen . Die NATO war eine wich-
tige Säule für die Wiedervereinigung Deutschlands und
ein Pfeiler der Dialogbereitschaft . Die NATO-Russ-
land-Grundakte war ein gutes Modell, ein gutes Medi-
um, um miteinander die großen Probleme dieser Welt zu
lösen .

Leider ist diese NATO-Russland-Grundakte einseitig
aufgekündigt worden durch die Annexion der Krim . Sie

sagen kein einziges Wort zu einem Verstoß gegen das
Völkerrecht . Fragen Sie doch einmal die Menschen in
der Ukraine, in Polen oder im Baltikum, wie es ihnen
geht . Ich kann nur ganz deutlich sagen: Nachdem man
die Ukraine von russischer Seite aufgefordert hatte, das
atomare Verteidigungsmedium abzuschaffen, hat man
die Krim offensichtlich an sich gezogen . Wir glaubten,
dass die Zeiten vorbei sind, in denen man in Europa mit
militärischen Mitteln Grenzen verschiebt . Insofern ist es
gut, dass wir hier in Deutschland Verantwortung tragen .
Wir werden Ihren Antrag heute ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818313400

Herr Kollege Otte, darf ich kurz unterbrechen? – Das

ist eine lebhafte Debatte . Selbstverständlich besteht auch
der Wunsch, Zwischenfragen zu stellen . Ich hätte aber
die Bitte an diejenigen Kollegen, die den dringenden
Wunsch verspüren, eine Zwischenfrage zu stellen, sich
zunächst einmal mit ihrem jeweiligen Parlamentarischen
Geschäftsführer oder Ihrer Geschäftsführerin ins Beneh-
men zu setzen und zu prüfen, ob sie diesen Wunsch wei-
terverfolgen wollen .

Herr Kollege Otte, Sie haben das Wort .


Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1818313500

Ich hätte ohnehin eine Frage nicht zugelassen, weil

ich eben feststellen musste, dass Sie offensichtlich Ihrer
Ideologie entsprechend eine Rede gehalten haben, die
auf die Anträge, die Sie hier im Deutschen Bundestag
gestellt haben, gar nicht mehr eingegangen ist, sondern
ausschließlich Ihre Programmatik abgebildet hat .

Ich komme zum zweiten Antrag, nämlich keine deut-
schen Soldaten nach Litauen zu verlegen . Es geht hier
darum, dass die NATO eine Initiative ergreifen will, mul-
tinationale Kräfte in Litauen, in Estland, in Lettland und
in Polen zu stationieren, um die Sorgen der Menschen im
Baltikum aufzunehmen . Die Sorgen sind darauf begrün-
det, dass an der Grenze massive Truppenbewegungen auf
russischer Seite vollzogen werden . Wir alle haben ja das
Kalkül der hybriden Kriegsführung in der Ukraine noch
in den Ohren und im Sinn . Es geht ausschließlich darum,
ein Bataillon zu stationieren, das rotiert und vom Perso-
nalumfang der NATO-Russland-Akte entspricht: zwei
Kompanien multinational, eine Host-Nation-, also eine
einheimische, Kompanie, eine Einsatzkompanie und eine
Ausbildungskompanie .

Ich kann nach den Erfahrungen, die wir als friedliche
Völkergemeinschaft in der Ukraine machen mussten, nur
sagen: Ich halte diese Sorgen für berechtigt, und ich halte
es vor allem für verantwortungsvoll und auch notwen-
dig, den baltischen Staaten beizustehen, aus der Über-
zeugung der Bündnisfähigkeit, auch aus den Erfahrungen
Deutschlands, als wir uns Sorgen um unser Land mach-
ten, und auch aus Überzeugung für eine friedliebende
Zukunft .

Hier bin ich bei Ihrem dritten Antrag, den Sie offen-
sichtlich vergessen hatten hier vorzutragen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, lesen!)


Henning Otte






(A) (C)



(B) (D)


Darin fordern Sie, wir sollen die deutschen Soldaten aus
der Türkei abziehen . Wir machen uns Sorgen über die
innenpolitische Lage in der Türkei . Wir sprechen mit Op-
positionskräften . Aber ich sage auch ganz deutlich: Wir
haben ein übergeordnetes Ziel, nämlich dass wir gemein-
sam gegen den unbarmherzigen IS-Terror vorgehen und
dass wir gemeinsam militärisch dafür sorgen, dass sich
dieses menschenverachtende System dort nicht etabliert .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Wir haben auch den Anspruch, meine Damen und Her-
ren, dass wir als Parlament unsere Soldatinnen und Sol-
daten dort besuchen . Das werden wir Ende September,
Anfang Oktober wahrnehmen . Wir sind vor allem unse-
rer Ministerin dankbar, dass sie spontan und resolut un-
sere Soldatinnen und Soldaten besucht hat .


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und Sie?)


Wir wollen Stabilität und Sicherheit in Ländern er-
zeugen, damit sie selbst in die Lage versetzt werden, für
Sicherheit zu sorgen,


(Zurufe von der LINKEN)


damit sich die Menschen nicht als Flüchtlinge aufmachen
müssen, damit sich die Menschen nicht in die Hände von
Schlepperbanden begeben . Deswegen ist es gut, dass die
NATO einen Einsatz fährt, und zwar zwischen Griechen-
land und der Türkei, um die Schlepperstrukturen auf-
fliegen zu lassen, um sie auch ein wenig zu zerstören,
damit Menschen nicht getrieben werden, sich in illegale
Schlepperhände zu begeben .

Meine Damen und Herren, denken Sie immer auch an
die Terrorangriffe in der Türkei . Wir stehen ein für Bünd-
nisfähigkeit, für Verlässlichkeit, für Frieden und Freiheit
und auch für Menschlichkeit . Deswegen lehnen wir all
Ihre Anträge ab .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Niema Movassat [DIE LINKE]: Also so eine unseriöse Rede!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818313600

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für

Bündnis 90/Die Grünen .


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818313700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man

Herrn Gehrcke und Herrn Otte hier so zuhört: Ja, das ist
ja so wie früher; das ist ja déjà vu .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt offensichtlich eine Nostalgie zur Linken wie zur
Rechten in diesem Haus .

Beginnen wir mit der Nostalgie der Linken: raus aus
der NATO, rein ins Vergnügen – das ist so etwas von

80er, dass man dagegen eigentlich gar nichts mehr sagen
kann .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Sag doch einmal Deine Position! Alles vergessen? – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir sind überhaupt nicht nostalgisch!)


Aber eines sollten Sie sich doch klarmachen: Ein Bünd-
nis wie die NATO ist ein Mittel auch gegen nationale Al-
leingänge .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Um es vielleicht Wolfgang-Gehrcke-gerecht zu formulie-
ren – der erste NATO-Generalsekretär hat das Bündnis
einmal so definiert –: to keep the Russians out, to keep
the Americans in, and to keep the Germans down . – We-
nigstens das Letzte solltest Du doch verstehen, Wolfgang .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Über das Letzte kann man sich ja einigen!)


Es kommt eine andere Geschichte hinzu – hier glei-
chen sich die Brüder zur Linken und die schwarzen
Brüder zur Rechten –, nämlich eine mehr oder weniger
klammheimliche Gleichsetzung des heutigen Russlands
mit der Sowjetunion. Ich finde, darüber sollte man noch
einmal nachdenken . Die alte Sowjetunion hat in ihrem
Herrschaftsbereich brutal mit Panzern jeden Versuch
der Demokratie niederkartätscht . Aber sie hat nicht die
Nachkriegsordnung nach Jalta infrage gestellt .

Was hat Russland gemacht? Es verhält sich anders .
Russland hat mit der völkerrechtswidrigen Annexion der
Krim und dem Vorgehen in der Ostukraine die europä-
ische Sicherheitsarchitektur nach 1990 infrage gestellt .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das stimmt doch nicht, Herr Trittin! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Geschichtsklitterung!)


Russland hat das infrage gestellt, was die Sowjetunion
selber vereinbart hat, und hat die eigenen Prinzipien als
Garantiemacht des Budapester Abkommens mit Füßen
getreten .


(Rainer Arnold [SPD]: Sehr richtig!)


Das ist der Grund, warum wir heute über Rückversiche-
rung reden müssen und auch dementsprechend handeln
müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Henning Otte [CDU/CSU]: Da geben wir Ihnen recht! – Zuruf von der LINKEN: Jugoslawien-Krieg!)


Dann gibt es auch die Nostalgie auf der anderen Seite .
Morgen beginnt ja der NATO-Gipfel in Warschau . Wenn
man sich anschaut, was da vorbereitet ist, dann sieht
man: Da will man mit den Mitteln des 20 . Jahrhunderts
die Herausforderungen des 21 . Jahrhunderts bewältigen .
Herr Stoltenberg formuliert das so: „…wir bewegen uns
von der Rückversicherung zur Abschreckung .“ Er hät-
te auch sagen können: Wir bewegen uns zurück in den
Kalten Krieg . – Wolfgang Schäuble will, anders als der

Henning Otte






(A) (C)



(B) (D)


Außenminister, sogar zurück zum Harmel Report von
1967 . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist so was
von 60er; da würde ich Ihnen empfehlen: Schauen Sie
sich noch mal Eins, Zwei, Drei von Billy Wilder an . Dann
wissen Sie, in welcher Zeit Sie gelandet sind .


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/ CSU]: Jetzt werden Sie klischeehaft!)


Zurück in den Kalten Krieg – das kann doch nicht ernst-
haft die Lösung sein .

Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen gesagt, dass
sie die 25 Milliarden Euro, die sie nicht für die Ent-
wicklungshilfe zur Verfügung stellt, in die Nachrüstung
stecken möchte . Gibt es eigentlich einen Nachrüstungs-
bedarf? Die NATO gibt für Verteidigungsaufgaben
900 Milliarden US-Dollar aus, die Russen 90 Milliarden .
Die NATO-Staaten ohne die USA geben dreimal so viel
aus wie Russland . Selbst wenn man die Kategorien des
Kalten Krieges zugrunde legt, gibt es keinen Nachrüs-
tungsbedarf .

Aber es ist noch viel schlimmer: Das, was da jetzt pas-
siert, geht an den aktuellen Herausforderungen vorbei .
Panzer, Herr Otte, taugen nicht zur Bewältigung einer
Situation der hybriden Kriegsführung .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Taugen sowieso nichts!)


Staatszerfall bekämpft man doch nicht mit einer Rake-
tenabwehr . Und Terroristen lassen sich übrigens nicht
abschrecken, Selbstmordattentäter schon gar nicht . Das
alles wird nicht zu mehr Sicherheit führen, sondern nur
zu höheren Geldausgaben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es droht eine Eskalationsspirale .

Die NATO verspricht, sie wolle Stabilität . Aber das
wird es mit einem Ansatz, der sich auf Abschreckung
reduziert, nicht geben . Wir brauchen eine glaubwürdige
Politik des Dialogs und der Entspannung .


(Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Und das hat nichts mit Naivität zu tun . Gerade in schwie-
rigen Zeiten ist Dialogfähigkeit die Grundvoraussetzung
für eine kluge Interessenvertretung .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Das widerspricht dem doch nicht!)


Insofern glaube ich, es wäre klug, an der NATO-Russ-
land-Akte festzuhalten . Das hieße, bei allen Rückversi-
cherungsmaßnahmen keine substanziellen Truppen in
Osteuropa zu stationieren . Das ist bei unseren Bünd-
nispartnern im Osten schwer umstritten . Das hieße zum
Beispiel, den Einsatz des überflüssig gewordenen Rake-
tenschilds zu stoppen . Das hieße zum Beispiel, sich klar
dafür auszusprechen, keine Waffen in Krisenregionen,
auch nicht in die Ukraine, zu schicken . Und es hieße, be-

reit zu sein, endlich die Zusagen in der Entwicklungszu-
sammenarbeit zu erfüllen statt aufzurüsten .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Was sagen Sie den Peschmerga?)


Das hieße, tatsächlich einen Schritt zu machen, um die
amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abzuzie-
hen . Es wäre klug, auch die konventionelle Rüstungs-
kontrolle wiederzubeleben . Nur so, auf einer solchen
Basis und im Bündnis der NATO, kann man tatsächlich
Frieden und Sicherheit in Europa sichern . Alles andere
ist Nostalgie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jetzt habe ich das so verstanden, dass du uns zustimmst!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818313800

Nächster Redner ist für die SPD der Kollege Niels

Annen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1818313900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Ich gebe zu, es ist mir schwergefallen, aber ich habe
mir Ihren Antrag mal genauer angeschaut . Vielleicht
sollte man sich die Zeit nehmen, sich bei den ganzen
Schaumschlägereien, die Sie hier veranstalten, einmal
anzuschauen, was Sie wirklich aufgeschrieben haben .
Sie schreiben – Zitat –:

Der entspannungspolitische Aufbruch, der sich 1990
mit dem Ende der Systemkonfrontation … verband,
ist vor allem durch das Agieren der NATO-Staaten
und der NATO-Administration der globalen Restau-
ration einer militärischen Logik gewichen .


(Zuruf von der LINKEN: Ja!)


Das erinnert mich ein bisschen an Facebook-Posts, die
man ab und zu auf seiner Seite findet.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Kluge Posts!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Lin-
ken, Sie verlieren kein einziges Wort darüber, wer das
Völkerrecht und damit, wie Kollege Trittin zu Recht
gesagt hat, die Nachkriegsordnung, auf die man sich ja
auch vertraglich verständigt hat, infrage gestellt hat .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Sie spinnen nur an einer Legende! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Was war denn 1990?)


Sie wollen uns und der Öffentlichkeit mit Ihrem Antrag
weismachen, dass es sozusagen umgekehrt war, dass es
quasi die NATO gewesen sei, die für die gegenwärtigen
Spannungen in Europa verantwortlich sei .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


Weil das wirklich absurd ist, habe ich noch eine zweite
Textstelle herausgesucht . Ich zitiere:

Jürgen Trittin






(A) (C)



(B) (D)


Von Afghanistan über Irak bis Libyen und der Uk-
raine übte die kollektive militärische Logik der
Kommandostruktur der NATO auf die Bundes-
republik Deutschland regelmäßig einen Druck in
Richtung Krieg und militärische Eskalation aus und
nicht etwa dem entgegen .

Da fragt man sich – wobei ich, wenn ich mir Sie so an-
schaue, den Eindruck habe, Sie glauben das wirklich –:
Was bitte schön ist eigentlich die NATO-Administrati-
on – das klingt ja so ein bisschen, als ob es in Brüssel so
eine Art Weißes Haus geben würde –, die diesen Druck
ausübt?

Meine Damen und Herren, Sie müssen es nicht richtig
finden, dass wir Mitglied dieses Bündnisses sind. Es hat
inzwischen auch der Letzte in diesem Haus verstanden,
dass Sie aus der NATO austreten und die Organisation
auflösen wollen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


Das können Sie jedes Mal wiederholen . Die Botschaft
ist angekommen, aber die Mehrheit ist anderer Meinung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Trotzdem werden wir es immer wieder sagen!)


Trotzdem, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen der Linken, müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen:
Es gibt nicht die NATO . Die Mitgliedstaaten bilden die
NATO . Es gibt einen demokratischen Willensbildungs-
prozess .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das sagen Sie mal den USA!)


Ich kann an dieser Stelle natürlich darauf hinweisen –
das tue ich übrigens auch sehr gerne –, dass es genau über
die Frage der Bewaffnung und der Zurverfügungstellung
von Waffen für die ukrainische Armee einen Disput ge-
geben hat . Das ist übrigens ein Kennzeichen einer demo-
kratischen Diskussionskultur in einem demokratischen
Bündnis .


(Dr . Fritz Felgentreu [SPD]: Sehr richtig!)


Ich darf Ihnen ein Geheimnis verraten: Die Position der
Bundesregierung, die von meiner Fraktion immer unter-
stützt worden ist, nämlich keine Waffen zu liefern, son-
dern auf einen politischen Prozess zu setzen – den Sie
übrigens abgelehnt haben –, zu dem auch die Sanktionen
gehören, hat sich innerhalb der NATO durchgesetzt . Das
könnten Sie ja mal zur Kenntnis nehmen, haben Sie je-
doch nicht getan .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man kann diese Debatte führen . Aber es wäre ange-
messen gewesen, wie ich finde, die Kräfte – unseren Au-
ßenminister und die Bundeskanzlerin, die ich ausdrück-
lich einschließe –, die sich für die diplomatische Lösung
starkgemacht haben, zu unterstützen, statt der gesamten
Bundesregierung Kriegstreiberei vorzuwerfen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine
Fraktion, die SPD-Fraktion, hat am Dienstag ein Posi-
tionspapier beschlossen, in dem wir den Grundsatz von
Rückversicherung, auch Abschreckung, aber auch Dia-
log betonen . Das sind die Grundelemente der Politik in
der NATO . Es ist richtig, dass es im Bündnis sehr unter-
schiedliche Bedrohungswahrnehmungen gibt . Die muss
man nicht immer teilen . Ich halte vieles von dem, was
von meinen geschätzten Kolleginnen und Kollegen aus
dem Baltikum, manchmal auch in NATO-Foren, wahr-
scheinlich auch in wenigen Stunden in Warschau gesagt
wird, nicht immer für plausibel . Aber klar ist doch: Auch
unsere Sicherheit ist durch die Solidarität dieses Bünd-
nisses mit garantiert worden . Das bedeutet doch: Wir
müssen eine Haltung entwickeln, Sorgen und Ängste, die
ja begründet sind, ernst zu nehmen, sonst wird das ge-
samte Bündnis nicht funktionieren . Deswegen bekennen
wir uns zur Rückversicherung, aber eben auch zu dem
Dialogelement; darüber haben wir heute Morgen anläss-
lich der Regierungserklärung ja schon diskutiert .

Angesichts dessen, was Sie hier vortragen, ist es, wie
ich finde, schon der richtige Ort, um darauf hinzuweisen:
Sie haben die Dimension dessen, was die russische Poli-
tik in den letzten Monaten und Jahren vorangetrieben hat,
mit keinem Wort erwähnt, weder in Ihrem Papier noch
in Ihren Debattenbeiträgen . Die Mobilisierungsfähigkeit
der russischen Armee, etwa die Fähigkeit zur schnellen
Verlegung von 30 000 bis 40 000 Soldaten an die Grenze
der Ukraine, und Alarmübungen der russischen Armee
mit bis zu 100 000 Soldaten


(Henning Otte [CDU/CSU]: Unangemeldet!)


haben Sie mit keinem Wort erwähnt. Das finde ich hoch-
interessant für eine linke Partei . Auch das, was wir in-
zwischen hybride Fähigkeiten nennen, inklusive der
Einmischung in einen Fall, den wir alle als den Fall des
Mädchens Lisa kennen, wird von Ihnen mit keinem Wort
erwähnt . Auch die Unterstützung von rechtspopulisti-
schen, antieuropäischen und antidemokratischen Partei-
en und Bewegungen findet keine Erwähnung. Deswegen
frage ich mich, ob wir hier letztendlich noch auf einer
rationalen Ebene diskutieren oder nicht .

Ich bin übrigens nach wie vor der festen Überzeugung,
dass die NATO, auch wenn nicht alles, was die NATO in
den letzten Jahren an Strategien formuliert und an Politik
gemacht hat, immer zutreffend war, das einzige Bündnis
ist, das nicht nur unsere Sicherheit gewährleistet, sondern
es uns auch möglich macht, in einem demokratischen
Staatenbund unsere Interessen zu vertreten, ohne dass
die alten Ängste und Sorgen vor deutscher Macht oder
Übermacht in Europa wieder latent artikuliert werden .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es! Das ist historisch wichtig!)


Deswegen ist die NATO am Ende auch ein Friedenspro-
jekt .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)


Aber das, Herr Gehrcke, haben Sie und Ihre Kolleginnen
und Kollegen da drüben noch nie verstanden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818314000

Der Kollege Ingo Gädechens spricht als Nächster für

die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingo Gädechens (CDU):
Rede ID: ID1818314100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Niels Annen,
das ist in der Tat keine rationale Ebene, auf der wir hier
diskutieren . Wenn man sich die Mühe macht und sich
die Anträge gründlich durchliest – ich vermute, die Kol-
leginnen und Kollegen von der Linken haben das nicht
getan –, stellt man fest, dass es sich wahrlich um kei-
ne rationale Ebene handelt . Vielmehr drängt sich mir
mehr und mehr der Eindruck auf, dass zum wiederholten
Male diese Anträge nur in die linke Fraktion, in das linke
Wählerklientel hineinwirken sollen . Sie von der Linken
merken ja, dass es hier keine demokratisch legitimierte
Mehrheit für Ihre Anträge gibt, und das wird hoffentlich
auch in Zukunft so bleiben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, für mich
sieht sinnvolle Oppositionsarbeit wahrlich anders aus .
Aber gut, die Fraktion Die Linke möchte darüber dis-
kutieren, dass Bundeswehreinheiten nicht ins Baltikum
verlegt werden . Darüber hinaus möchte diese Fraktion
einsam und allein so ganz nebenbei die NATO auflösen.
Man könnte über diese Anträge schmunzeln, wenn es
nicht so traurig wäre .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Aber wirklich!)


Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik ist seit
jeher eingebettet in ein System kollektiver Sicherheit .
Wir agieren nie alleine, sondern immer im Einklang mit
unseren Partnern . Wir organisieren unsere Sicherheit in
einem gewachsenen Vertrauensverhältnis mit unseren
Verbündeten in Europa und im transatlantischen Bünd-
nis. Dieses Bündnis, welches Sie auflösen möchten, ist
viel mehr als eine reine militärische Partnerschaft . Es ist
eine Wertegemeinschaft, ein Pakt freier Staaten, von De-
mokratien, die an Rechtsstaatlichkeit und die Unverletz-
lichkeit der Grenzen souveräner Staaten glauben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ich sage nur Türkei! Tolle Demokratie! Sagen Sie mal was zur Türkei!)


Anhand dieser Beschreibung sollte es Ihnen einleuch-
ten, dass mit einem wie auch immer gearteten Bünd-
nis mit einem Staat, der sich um diese Prinzipien nicht
schert, kein System kollektiver Sicherheit aufgebaut wer-
den kann .


(Zuruf der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


Ich glaube, jeder hier im Plenum – das haben meine
Vorrednerinnen und Vorredner deutlich gemacht – würde
sich eine Entspannung des Verhältnisses zwischen Russ-

land und dem Westen wünschen . Eine Partnerschaft mit
Russland und ein konstruktives Verhältnis sind wichtiger
denn je .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Ball liegt aber im Feld der Russen und nicht auf un-
serer Seite .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Immer falsch!)


Wir können und werden unsere Prinzipien nicht über Bord
werfen . Ich kann daher die Russland- und Putin-Versteher
in der Fraktion Die Linke nicht verstehen . Sie sollten mal
ihre sehr selektive Wahrnehmung dessen, was gerade in
Osteuropa vonstattengeht, ernsthaft überprüfen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Und das, was in der Türkei vonstattengeht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, was
mich an diesen Anträgen richtig ärgert, ist, wie hier ideo-
logisch verbrämt Fakten und Tatsachen nach Belieben
verdreht werden, und zwar so lange, bis es endlich in
Ihre linke Weltanschauung passt . Die in Ihren Anträgen
formulierten einseitigen Behauptungen sind so abenteu-
erlich und grotesk, dass dies nicht nur eine Beleidigung
für das deutsche Parlament darstellt, sondern auch für die
deutschen Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst für
unser Land und damit auch für Sie verrichten, meine sehr
verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Man muss schon sehr in seinem eigenen ideologischen
Saft schmoren, um auf solch abstruse Ideen zu kommen,
dass man der NATO und der Bundeswehr unterstellt, sie
seien an allem Grundübel der Welt schuld, würden Völ-
kerrecht brechen und für eine Eskalation in Osteuropa
sorgen .


(Zuruf von der LINKEN: Tun sie doch!)


Genauso abwegig sind Ihre daraus abgeleiteten Forde-
rungen, die nichts anderes bedeuten, als einseitig die
NATO zu verlassen .

Es ist aus gutem Grund – auch vor dem Hintergrund
unserer Geschichte – deutsche Staatsräson, keine Son-
derwege zu beschreiten . Wir agieren nicht allein – ich
sage es noch einmal –, sondern stets mit unseren Verbün-
deten, mit unseren Partnern in einem Bündnis . In einem
Bündnis hat man nicht nur Rechte, sondern auch Pflich-
ten . Die Linke scheint das allerdings nicht zu begreifen .

Meine Damen und Herren, wie eingangs gesagt, halte
ich diese Debatte zu den Anträgen der Linken für über-
flüssig und für eine Verschwendung wertvoller Debatten-
zeit . Es ist nicht an der Union, den ideologisch aufgela-
denen Abgeordneten der Linken im Plenum Nachhilfe in
Außen- und Sicherheitspolitik zu geben .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aber wir sind dafür immer dankbar!)


Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)


Ich würde es ja tun, wenn ich die Hoffnung hätte, dass
gute Argumente bei Ihnen auf fruchtbaren Boden fielen.


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Dann müssen Sie mal kommen! Wir warten darauf!)


Bei Ihnen sehe ich sicherheits- und außenpolitisch nur
Wüste; da wächst kein vernünftiges Pflänzchen. In die-
sem Sinne werden wir die Anträge auch ablehnen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818314200

Nächster Redner ist Kollege Fritz Felgentreu von der

SPD .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1818314300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei Dis-

kussionen über die Rolle der NATO im Baltikum höre
ich oft die Frage – ich glaube, bei der Aussprache zur
Regierungserklärung heute Morgen hat sie auch Frau
Wagenknecht gestellt –: Glauben Sie denn ernsthaft, dass
Russland die NATO angreifen will? Diese Frage beruht
auf einem großen Missverständnis; denn seriöse Vertei-
digungspolitik – im Unterschied auch zur Außenpolitik –
fragt erst einmal nicht nach Absichten . Absichten können
sich ändern . Verteidigungspolitik fragt vielmehr nach
Fähigkeiten . Es sind die Fähigkeiten, anhand derer wir
potenzielle Bedrohungen abschätzen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es wird nach beidem gefragt!)


Wenn wir deshalb fragen „Müssen wir zur Kenntnis
nehmen, dass Russland das Baltikum angreifen kann?“,
müssen wir die Antwort geben: Ja, so ist es .

Die Armee der Russländischen Föderation hat mehr-
fach in großen Manövern geübt, Truppen mit einer Stär-
ke von bis zu 100 000 Soldaten schnell zum Einsatz zu
bringen, und sie hat das auch in unmittelbarer Nachbar-
schaft zu Litauen getan . Und Russland hat in der Ukraine
gezeigt, dass es bereit ist, militärische Gewalt einzuset-
zen, um seine politischen Ziele zu erreichen, auch unter
Verletzung von Verträgen, die es selber unterzeichnet hat .


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Das sind schlichte Tatsachen, Tatsachen, die dazu füh-
ren, dass wir die militärische Bedrohung des Baltikums
heute seriöserweise anders beurteilen müssen als vor fünf
Jahren .

Die NATO hat auf diese veränderte Bedrohung maß-
voll, aber entschieden reagiert . Sie hat die sogenannte
Speerspitze


(Zuruf von der LINKEN: Speerspitze!)


aufgebaut, eine schnell über weite Strecken verlegba-
re Kampfeinheit von 5 000 Mann . Sie führt Manöver
durch, um die Einsatzbereitschaft der Bündnisarmeen
zu verbessern, und sie wird auf dem Warschauer Gip-

fel beschließen, dass NATO-Truppen in der Stärke von
4 Bataillonen, also etwa 4 000 Soldaten rotierend – also
keines davon dauerhaft –, im Baltikum Präsenz zeigen
werden .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ist doch ein Trick!)


Diese Maßnahmen verletzen nicht den Grundlagen-
vertrag, der die Beziehungen der NATO zu Russland de-
finiert.


(Zuruf von der LINKEN: Allerdings!)


In ihrem Gesamtumfang entsprechen sie noch nicht ein-
mal ansatzweise der Truppenstärke und der Kampfkraft
der Russländischen Armee in der Region . Aber zugleich
lassen sie keine Zweifel mehr daran zu, dass ein Angriff
auf das Baltikum auch ein Angriff auf das ganze Bünd-
nis wäre . So erfüllen sie ihren verteidigungspolitischen
Zweck, nämlich Rückversicherung der Bündnispartner
und Abschreckung einer potenziellen Bedrohung . Ist
das jetzt eine Eskalation, wie die Linke in ihrem Antrag
schreibt? Jedenfalls ist es aus verteidigungspolitischer
Sicht das Minimum dessen, was nötig ist, damit in einer
gefährlicher gewordenen Welt die Menschen im Balti-
kum darauf vertrauen können, dass ihr Bündnis sie auch
wirklich schützt .

Die Linke fordert nun, dass sich Deutschland an dieser
Gemeinschaftsaufgabe nicht beteiligen soll . Ihr Hauptar-
gument in der Begründung ihres Antrags ist die histori-
sche Verantwortung Deutschlands für den Überfall auf
die Sowjetunion vor 75 Jahren .


(Zuruf von der LINKEN: Auch!)


Meine Damen und Herren, ich kann die Forderung, dass
wir sensibel mit der historischen Erfahrung der ehema-
ligen Sowjetunion umgehen, durchaus nachvollziehen .
Wer Russland kennt, weiß, wie viel Raum die Erinne-
rung an den sogenannten Großen Vaterländischen Krieg
in den Herzen der Menschen einnimmt . Auch deshalb
hat die SPD-Fraktion die Bundesregierung immer darin
unterstützt, am NATO-Russland-Grundlagenvertrag fest-
zuhalten . Wir haben eine klare Haltung gegenüber der
aggressiven Politik Moskaus einerseits, aber wir wollen
diese klare Haltung auch immer mit der Suche nach Dia-
log, Vertrauensbildung und Abrüstung verbinden .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und der Krieg fand auf russischem, ukrainischem und belarussischem Boden statt!)


Es stimmt doch, liebe Genossinnen und Genossen – –
Liebe Kolleginnen und Kollegen – jetzt ist die Parteitags-
rhetorik mit mir durchgegangen –, es stimmt doch, die
Menschen in Russland, Weißrussland und der Ukraine
sind von ihren historischen Erfahrungen geprägt .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Aber das Gleiche gilt doch auch für die Menschen in Po-
len, Litauen, Lettland und Estland .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, klar!)


Ingo Gädechens






(A) (C)



(B) (D)


Die Menschen dort haben auch die Vorgeschichte des
Überfalls auf die Sowjetunion nicht vergessen . Sie erin-
nern sich nur zu gut an den Hitler-Stalin-Pakt, mit dem
Deutschland ihre Großeltern und Urgroßeltern 1939 dem
sowjetischen Imperialismus ausgeliefert hat .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Nichts beunruhigt die Menschen dort mehr als die Vor-
stellung, dass sich Deutschland und Russland über ihre
Köpfe hinweg die Hände reichen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sensibel mit diesen historischen Erfahrungen umzu-
gehen, bedeutet deshalb auch, die Sorgen der kleineren
Länder ernst zu nehmen, über deren Interessen wir uns
im letzten Jahrhundert brutal und kaltschnäuzig hinweg-
gesetzt haben .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Deswegen müssen wir aber keine Truppen schicken!)


Dazu sind wir Deutschen umso mehr verpflichtet, weil
wir heute mit ihnen verbündet sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss . Nicht nur aus verteidigungs-
politischer Vernunft, sondern auch aus historischer Ver-
antwortung ist es richtig, dass sich Deutschland an den
geplanten Maßnahmen der NATO beteiligt . Zur guten
Tradition deutscher Ostpolitik gehörte neben Dialog und
Vertrauensbildung auch immer das unverrückbare Be-
kenntnis zum westlichen Bündnis . Die Bundesrepublik
hat deutschen Sonderwegen ein für alle Mal abgeschwo-
ren . Dabei soll es auch bleiben .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818314400

Schlussredner in dieser Aussprache ist der Kollege

Wilfried Lorenz für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wilfried Lorenz (CDU):
Rede ID: ID1818314500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Das, was
ich zu den Anträgen zu sagen haben, kann ich – ich muss
ehrlich sagen, dass ich da immer noch ein bisschen unter
dem Eindruck der Rede der Fraktionsvorsitzenden der
Linken stehe –


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Kann nie schaden!)


eigentlich relativ schnell zusammenfassen . Insofern nur
so viel zu den Anträgen: An Absurdität sind diese Texte,
die in einer langen Reihe unsäglicher Elaborate stehen,

kaum noch zu überbieten . Das Gleiche gilt auch für die
heutige Rede der Fraktionsvorsitzenden der Linken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Rainer Arnold [SPD])


Was hat die Linke nicht schon alles gefordert? Ableh-
nung von Einsätzen generell – diese werden jetzt zum
Teil sogar gerichtlich angefochten –, dann die Abschaf-
fung der Bundeswehr und jetzt noch die Abschaffung der
NATO . Als ob man ein Wertebündnis, in dem sich Staa-
ten für Frieden, Freiheit und Demokratie zusammenge-
schlossen haben, so einfach wegwischen könnte .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Wahnsinn!)


Die NATO ist eben mehr als nur ein Verteidigungsbünd-
nis!

Kann man eigentlich weiter entfernt sein von der Re-
alität als die Autoren dieser drei Anträge, weiter entfernt
sein von den immer komplexeren sicherheitspolitischen
Bedrohungen, denen sich die internationale Staatenge-
meinschaft insgesamt und damit auch Deutschland stel-
len muss? Die Antwort ist für uns ziemlich klar: Natür-
lich nein . Politik beginnt nun einmal mit der Betrachtung
der Wirklichkeit . Davon sind Sie, Kolleginnen und Kol-
legen der Linken, Lichtjahre entfernt .

Wo stehen wir wirklich? Wir haben es in Mittel- und
Osteuropa mit einer konkreten Gefährdungslage zu tun,
die viele in ihrer Dimension an Zeiten des letzten Jahr-
hunderts erinnert . Zu Zeiten der Ost-West-Konfrontati-
on – auch daran darf man einmal erinnern – kam es im
europäischen Raum nicht zu militärischen Auseinander-
setzungen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, Gott sei Dank! Hätten wir nicht überlebt!)


Glaubwürdige Abschreckung und das Gleichgewicht der
Kräfte taten ihre Wirkung . Heute werden Grenzen ver-
letzt und Souveränitätsfragen einfach beiseitegeschoben .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Da ist die NATO beispielgebend!)


Russland hat sich völkerrechtswidrig der Krim be-
mächtigt und eine Maschinerie hybrider Kriegsführung
in noch nie dagewesenem Ausmaß in Gang gesetzt . Der
Machtanspruch des Kreml, bemäntelt als Schutzan-
spruch, der sich auf alle russischen Landsleute über das
Baltikum hinaus bis hin zu deutschstämmigen Aussied-
lern bei uns erstreckt, ist noch wesentlich weniger hin-
zunehmen; denn dieser Anspruch birgt weiteres Gefah-
renpotenzial .

Bei meiner Reise nach Litauen vor nicht allzu langer
Zeit, im Juni, konnte ich mich selbst davon überzeugen,
dass sich die Menschen vor Ort massiv bedroht fühlen .
Sie haben mit Blick auf die Grenze zu Kaliningrad auch
allen Grund dazu . Es wird ja oft gesagt, Litauen habe kei-
ne Grenze zu Russland . Das mag zwar auf den südlichen
Teil zutreffen, aber es hat eine Grenze zu Kaliningrad .
Dazu Folgendes:

Erstens. Dort befindet sich das größte russische Mili-
tärlager, und auf dem Luft- und Seeweg kann Russland in

Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)


kürzester Zeit einen Personalaufwuchs durchführen, und
dies wird auch permanent geübt .

Zweitens . Der Kreml hat in Kaliningrad schon vor
zwei Jahren mittelstreckenfähige Iskander-Raketen stati-
oniert. Das ist, wie wir finden, ein eindeutig aggressiver
Akt, der dem INF-Vertrag zuwiderlaufen dürfte .

Drittens . Moskau führt – das ist schon gesagt wor-
den – großflächig angelegte Manöver an der russischen
Westgrenze durch und meldet diese nicht, wie vertraglich
geregelt, bei der OSZE an . Das heißt, nicht Deutschland
und nicht die NATO sind Aggressoren, von denen eine
Bedrohung ausgeht. Ich finde, die chronische Wirklich-
keitsverquasung bei den Kollegen der Linken ist einfach
erschreckend .

Die baltischen Staaten, Polen, Rumänien und Bulga-
rien haben sich wegen der Erfahrungen zu Sowjetzeiten
freiwillig der NATO angeschlossen . Jetzt vertrauen diese
Länder natürlich auf ihre Partner in der Allianz, so wie
sich die Bundesrepublik Deutschland, wir also, seit Jahr-
zehnten auf die NATO verlassen konnte – mit all den
Vorteilen, die wir haben: Frieden, Freiheit, Wohlstand .

Auch souveräne Staaten wie Litauen, die dem NA-
TO-Bündnis beigetreten sind, haben natürlich das Recht,
den Schutz ihrer Partner zu erbitten . Warum sollte ge-
rade Deutschland als Bündnispartner nicht helfen, wenn
wir darum gebeten werden? Dazu sind wir, nebenbei
bemerkt, gemäß dem NATO-Vertrag verpflichtet, aber
wir sind aufgrund unserer eigenen Geschichte auch mo-
ralisch dazu verpflichtet. Die gleiche Bündnistreue lässt
Deutschland auch der Türkei zuteilwerden .

Der Warschauer Gipfel wird am Wochenende die ro-
tierende Aufstellung multinationaler Bataillone in Est-
land, Litauen, Lettland und Polen beschließen . Diese
verstärkte Präsenz des Bündnisses haben die genannten
Staaten seit langem und mit immer deutlicherem Nach-
druck eingefordert .

Kollegen der Linken, finden Sie sich endlich mit den
Realitäten ab


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nein, mit diesen nie!)


– Sie urteilen ja schon, bevor Sie zugehört haben; das ist
eine neue Logik bei Ihnen –:


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Erstens . Die Bundeswehr ist fest verankert in unserer
Gesellschaft . Zweitens . Die Soldatinnen und Soldaten
und die Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der Bünd-
nisse und nicht zuletzt gegen den IS-Terror finden breite
Unterstützung in der deutschen Bevölkerung .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Eben nicht!)


Drittens . Die Menschen haben erkannt, wie ernst die
Lage ist .

Nur zur Erinnerung sei einfach einmal gesagt: Seit
26 Jahren ist Deutschland wiedervereint . Die DDR exis-
tiert nicht mehr . Es gibt kein kapitalistisches System, das
Sie unterwandern müssten, geschweige könnten; denn
die große Mehrheit der Deutschen denkt und wählt frei-

heitlich-demokratisch . Was Sie hingegen fordern, bringt
unserem Land nur Unsicherheit, nämlich die Auflösung
der Strukturen, die die Sicherheit Deutschlands schon
viele Jahre zuverlässig garantiert haben .

Ich komme zum Schluss: Solange Aggressoren nur
durch glaubwürdige Abschreckung in ihrem Expansions-
drang gestoppt werden können, brauchen wir die NATO
in der jetzigen Form .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818314600

Kollege Lorenz, denken Sie an die vereinbarte Rede-

zeit .


Wilfried Lorenz (CDU):
Rede ID: ID1818314700

Ja . – Herr Gehrcke, jetzt auch an Sie persönlich: Erst

wenn wir in einer Welt leben, in der es keine völker-
rechtswidrigen Annexionen wie die der Krim mehr gibt
und niemand mehr mit Waffen oder Terror Staaten be-
droht und Menschen nach dem Leben trachtet, brauchen
wir keine Verteidigungsbündnisse mehr . So und nicht an-
ders sind die Zusammenhänge .

Mehr gibt es zu Ihren absurden Anträgen eigentlich
nicht zu sagen .

Ich bedanke mich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das gibt mir Hoffnung!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818314800

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8656 mit dem Ti-
tel „Die NATO durch ein kollektives System für Frieden
und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands er-
setzen“ . Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um
ein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Antrag ist damit mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 9 b: Be-
schlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kei-
ne Verlegung von Bundeswehr-Einheiten nach Litauen“ .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/8733, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/8608 abzulehnen . Wer für diese
Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung des Ausschusses
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen .

Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 4 . Abstimmung
über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/9028 mit dem Titel „Rückholung der Bundesweh-
reinheiten aus der Türkei“ . Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und

Wilfried Lorenz






(A) (C)



(B) (D)


mit einer Stimme von Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und bei sonstiger Ent-
haltung der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/
EU des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und
Bekämpfung des Menschenhandels und zum
Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des
Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates

Drucksache 18/4613

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/9095

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Volker Beck (Köln), Kordula Schulz-
Asche, Renate Künast, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der Situation von Opfern von Men-
schenhandel in Deutschland

Drucksache 18/3256

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/9077

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
sehe ich keinen . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Dr . Matthias Bartke für die SPD das
Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1818314900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Der Menschenhandel gilt als eine der schwersten
Straftaten weltweit, als schwerwiegende Verletzung
der Menschenrechte, moderne Form der Sklaverei
und äußerst gewinnbringendes Geschäft der organi-
sierten Kriminalität .

So steht es wortwörtlich im Richtlinienvorschlag der
EU-Kommission zur Bekämpfung von Menschenhandel .
Dieser Satz beschreibt, weshalb wir dem Menschenhan-
del ohne Wenn und Aber einen Riegel vorschieben müs-
sen .

In der EU-Richtlinie von 2011 heißt es daher auch:

Die Verhütung und Bekämpfung des Menschenhan-
dels ist für die Union und die Mitgliedstaaten ein
vorrangiges Ziel .

Der Handlungsauftrag war damit eigentlich klar de-
finiert – eigentlich. Denn die Richtlinie hätte bereits bis
April 2013 umgesetzt werden müssen . Unsere Vorgän-
gerregierung hat das aber nicht hinbekommen . Um es
klar zu sagen: Schwarz-Gelb hat an dieser Stelle deutlich
versagt .

Die damalige Justizministerin Leutheusser-
Schnarrenberger schlug auf den letzten Metern ihrer
Amtszeit kleine Änderungen im Strafrecht vor . Ein paar
Worte raus, ein paar dazu . Der Gesetzentwurf war in der
Folge völlig unzureichend, um den Menschenhandel ein-
zudämmen und Zwangsprostitution zu bekämpfen . Aus
gutem Grund haben damals die rot-grün regierten Länder
den Vermittlungsausschuss angerufen . Weil aber alles so
kurz vor knapp war, konnte der Vermittlungsausschuss
nicht mehr zusammentreten, und das Gesetz war in der
Folge gescheitert . Deutschland ist nun also das letzte
Land in der Europäischen Union, das die Richtlinie nicht
umgesetzt hat . Ich glaube, wir können alle froh sein, dass
wir diese blamable Situation nun hinter uns lassen .


(Beifall bei der SPD)


Die Richtlinienumsetzung ist dringend notwendig und
überfällig .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung
sieht dafür vor allem die Erweiterung der Zwecke des
Menschenhandels vor . Aufgenommen wurden Bettel-
tätigkeiten und strafbare Handlungen des Opfers sowie
auch die Organentnahme bei Opfern .

Diese Änderungen reichen aber nicht aus, um den
Menschenhandel erfolgreich zu bekämpfen . Das wurde
bereits in der Anhörung in der vergangenen Legislatur-
periode deutlich . Es war damals der Sachverständige
Kriminalkommissar Sporer, der sich in die Rolle eines
Unternehmensberaters hineinversetzte . Als solcher, sagte
er, würde er einem Straftäter mit viel Geld keinesfalls zu
Waffen- oder Drogenhandel raten . Das sei viel zu gefähr-
lich . Stattdessen würde er empfehlen, in den Menschen-
handel einzusteigen . Hier gebe es die geringsten Risiken,
erwischt zu werden .

Grund für diese zynische Einschätzung sind unsere
derzeit immer noch stumpfen Gesetze, die nur schwer
anwendbar sind . Bisher kann Menschenhandel fast nur
dann nachgewiesen werden, wenn das Opfer eine Aussa-
ge macht . Daran ändert sich nichts, nur weil der Anwen-
dungsbereich in Bezug auf die Zwecke des Menschen-
handels geändert wird .

Wir haben uns daher in der Großen Koalition mit ei-
nem Änderungsantrag auf eine grundlegende Reform ge-
einigt, an der wir lange gefeilt haben . Es ist eine Reform,
die den Bedenken aus der Praxis Rechnung trägt . Die
erdrückende Bedeutung der Opferaussage haben wir ab-
gemildert . Der strafrechtliche Schutz vor sexueller Aus-
beutung und vor Arbeitsausbeutung wird in Zukunft auf
die Ausbeutung als solche fokussiert werden . Damit steht
die Willensbeeinflussung des Opfers endlich nicht mehr
im Mittelpunkt des Strafverfahrens .

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Daneben war es uns wichtig, die Ausbeutung der Ar-
beitskraft stärker in den Fokus zu rücken . Wenn wir von
Menschenhandel sprechen, dann fallen uns meist Frau-
en ein: Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden .
Es gibt aber auch Menschenhandel zum Zweck der Ar-
beitsausbeutung . Uns sind Fälle aus der Landwirtschaft,
der Gastronomie, dem Bau und der Fleischverarbeitung
bekannt . Das BKA geht hier von einem richtig großen
Dunkelfeld aus .

Im Kampf gegen die Zwangsprostitution haben wir
uns außerdem auf eine Freierstrafbarkeit geeinigt . Künf-
tig macht sich ein Freier strafbar, wenn er erkennt, dass
er die Dienste einer Zwangsprostituierten in Anspruch
nimmt . Das ist vielleicht nicht immer offensichtlich . Es
gibt jedoch genug Hinweise, die freiwillige Prostitution
geradezu ausschließen . Dazu gehören zum Beispiel Ver-
letzungen oder ein stark eingeschüchterter Zustand des
Opfers . Meine Damen und Herren, keiner soll mehr die
Augen verschließen dürfen, wenn klare Anzeichen von
Zwangsprostitution offenkundig sind .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Im Nachgang zur Anhörung haben wir an unserem An-
trag noch Änderungen vorgenommen . Dazu gehört die
Klarstellung, dass auch die sogenannten Loverboy-Fälle
von den Straftatbeständen Menschenhandel und Zwangs-
prostitution erfasst werden . Loverboys machen Frauen
verliebt und spielen ihnen eine gemeinsame Zukunft vor .
Ursprünglich kommt der Begriff daher, dass man Schul-
mädchen heimlich in die Prostitution schickte . Das funk-
tioniert aber auch bei über 21-Jährigen . Denn auch die
wollen sich verlieben und träumen von einer gemeinsa-
men Zukunft, erst recht, wenn sie aus einem armen Land
kommen . Sie sind dann bereit, Dinge zu tun, die sie sonst
nicht tun würden . Die Gefühle von Frauen werden hier
rücksichtslos für Straftaten ausgenutzt . Umso wichtiger
ist es, dass wir nun auch diese Fälle erfasst haben .

Meine Damen und Herren, wir haben heute schon
das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen
Selbstbestimmung und auch das Prostituiertenschutzge-
setz beschlossen . Insgesamt bringen wir damit drei Ge-
setze auf den Weg, die vor allem für Frauen mehr Schutz
und mehr Selbstbestimmung ermöglichen . Diese drei
Gesetze zeigen eines deutlich: Die Große Koalition ist
handlungsfähig, und sie löst die Probleme unseres Lan-
des .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollte man fortsetzen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818315000

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin

Ulla Jelpke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818315100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich

sind wir uns einig, was den Kampf gegen den Menschen-

handel angeht: Es sind schwere Verbrechen von Aus-
beutung bis zur Zwangsprostitution . Das muss bekämpft
werden . Aber das reicht nicht aus . Wer Menschenhandel
wirklich bekämpfen will, muss unbedingt den Opfern
mehr Schutz geben . Sie haben leider versäumt, in Ihrem
Gesetzentwurf diesen Schutz festzuschreiben .


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt ganz unterschiedliche Formen und Ausprä-
gungen von Menschenhandel, und zwar vor allem in
Deutschland . Das muss man sich einmal vorstellen:
Menschen werden illegal nach Deutschland gelockt und
zum Beispiel in der Gastronomie, auf dem Bau, in der
Pflege oder auch als Reinigungskräfte oft massiv aus-
gebeutet . Junge Frauen, aber auch Männer werden der
Zwangsprostitution zugeführt . Wir sprechen hier von
modernen Formen von Sklaverei; anders kann man das
wirklich nicht nennen . Wir haben eben schon gehört,
dass die Dunkelziffer in der Tat sehr hoch ist . Das BKA
geht gegenwärtig davon aus, dass wir allein in Deutsch-
land etwa 14 000 Betroffene haben .

Aber die Aufklärung dieser Verbrechen ist äußerst
schwierig . Das BKA selbst sagt, dass es gerade einmal in
400 Fällen ermittelt . Das heißt noch lange nicht, dass es
zu einer Verurteilung kommt . Auch hier ist die Dunkel-
ziffer wieder sehr hoch . Wir denken: Wenn man wirklich
will, dass die Opfer bereit sind, Aussagen vor Gericht
oder bei der Polizei zu machen, dann brauchen sie auch
einen entsprechenden Schutz . Das bedeutet, sie müssen
zum Beispiel ein Bleiberecht haben, damit sie das Ge-
fühl haben, dass sie bleiben können, und damit sie keine
Angst haben müssen, abgeschoben zu werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn viele Opfer, die hier sind, sind häufig von ihren
Peinigern zu Straftaten verleitet worden oder haben diese
begehen müssen, und viele Opfer haben einfach Angst,
auszusagen, auch weil ihre Peiniger ihnen drohen, dass
entweder ihnen oder ihren Familien in ihren Herkunfts-
ländern Gewalt angetan wird .

Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Vorschrift, da-
mit diesen Opfern geholfen wird . Es ist wirklich beschä-
mend, meine Damen und Herren – das sage ich besonders
in Richtung der SPD –, dass Sie das nicht fertiggebracht
haben . Immerhin haben die Grünen einen sehr guten Ge-
setzentwurf vorgelegt, den wir auch unterstützen werden .


(Beifall der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Man hätte endlich einmal die Chance ergreifen müssen,
den Opferschutz festzuschreiben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit komme ich noch einmal zu dem Kollegen
Bartke . Sie haben sich ja so schön auf die EU-Richtli-
nie und die Europaratskonvention bezogen . Ja, in der
Tat haben Sie hier gerade nicht das umgesetzt, was diese
Richtlinie bzw . Konvention vorschreibt . Die Richtlinie
schreibt verbindlich vor, dass es einen Schutzstandard
unabhängig davon geben muss, ob ein Opfer bereit ist,

Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)


vor Gericht auszusagen . Wo steht das in Ihrem Gesetz-
entwurf? Es ist einfach nicht zu finden.

Wenn wir erreichen wollen, dass Betroffene Aussagen
machen, dann brauchen wir Schutzmaßnahmen . Man
muss bei ihnen das Vertrauen wecken, dass sie hier kei-
ne Verschlechterung ihrer Situation, Abschiebung oder
Ähnliches zu erwarten haben . Die Entschädigungsleis-
tungen fehlen meines Erachtens auch . Auch das schreibt
die EU-Richtlinie fest und sagt ganz deutlich, dass wir
Maßnahmen in Sachen Entschädigung brauchen .

Ein weiterer Punkt, der ebenfalls fehlt, ist eine unab-
hängige Berichterstatterstelle . Nicht einmal diese ist ein-
gerichtet worden; nicht einmal das steht im Gesetz . Ich
finde, es ist ein Armutszeugnis vor dem Hintergrund, wie
Sie dieses Gesetz hochloben; denn es kann keine Frage
sein, dass für Organhandel – diesen haben Sie jetzt einbe-
zogen –, Zwangsbettelei und ähnliche Dinge Strafverfol-
gungsmaßnahmen notwendig sind . Aber wenn man die
Strafen immer höher ansetzt und nichts für die Opfer tut,
dann wird man meiner Meinung nach auch mit diesem
Gesetz den Menschenhandel nicht wirklich bekämpfen
können . Deshalb wird die Linke auf jeden Fall diesem
Gesetzentwurf nicht zustimmen können .

Zum Schluss möchte ich noch einmal ganz deutlich
sagen: Erst wenn die Betroffenen wirklich vor ihren
Peinigern sicher sind und den notwendigen Schutz be-
kommen, wird man auch den Menschenhandel besser
bekämpfen können . Denn ich bin mir ganz sicher: Mit
höheren Strafen werden wir das niemals erreichen, son-
dern nur dann, wenn wir wirklich Rücksicht auf die Op-
fer nehmen, und das leistet das Gesetz leider nicht .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818315200

Die Kollegin Dr . Silke Launert spricht jetzt für die

CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1818315300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Stellen Sie
sich ein junges rumänisches Mädchen vor, irgendwo zwi-
schen Bukarest und absoluter Perspektivlosigkeit . Sie
ist kaum 20 Jahre alt, ohne Geld, ohne Job und mögli-
cherweise sogar ohne abgeschlossene Berufsausbildung .
Eines Tages trifft sie auf einen jungen Mann . Er erzählt
ihr von einem besseren Leben in Deutschland . Er hat ein
Smartphone bei sich und zeigt ihr Bilder und Videos . Die
junge Frau sieht schöne, saubere Straßen, hübsche Rei-
henhäuschen, volle Supermärkte, viele schöne Geschäfte
mit Kleidern und Schmuck . Vielleicht hat er ihr sogar ein
Geschenk mitgebracht . Er sagt, das Glück sei zum Grei-
fen nah; sie müsse doch nur ein bisschen mutig sein und
ihm vertrauen; er könne ihr Arbeit in einem Restaurant
besorgen, und gemeinsam könne man ein neues Leben
aufbauen .

Es dauert nicht lange, und das Mädchen wird mutig .
Sie verlässt ihre Heimat und folgt dem jungen Mann
nach Deutschland . Zum bösen Erwachen kommt es dann,
wenn sie sich in irgendeinem Bordell oder vielleicht hier
in Berlin auf der Kurfürstenstraße wiederfindet. Ja, auch
dort wird sie bedienen müssen, aber nicht Gäste im Re-
staurant, sondern 25 bis 40 Freier täglich . Ruhepausen
oder Sonntage gibt es für sie nicht, auch dann nicht, wenn
sie schwanger oder einfach nur krank ist .

Diesen soeben beschriebenen Fall können Sie nun in
verschiedenen Variationen abwandeln . Nehmen wir statt
des Mädchens einen jungen Mann, der jung, kräftig, aus-
dauernd und hoffnungsvoll nach Deutschland kommt,
um eine Arbeit auf dem Bau oder vielleicht in einer
Fleischwarenfabrik zu finden, und dann merkt, dass er
faktisch in einer Knechtschaft landet, und das nicht zum
Mindestlohn, sondern für einen Hungerlohn .

Es gibt auch Variationen mit Kindern, die – aus wel-
chen Gründen auch immer – auf der Straße leben und
schließlich in die Hände skrupelloser Menschenhändler
geraten . Ihr Schicksal wird es vielleicht sein, zu betteln,
möglicherweise am Brandenburger Tor Passanten anzu-
sprechen und um etwas Geld zu bitten, natürlich nur für
karitative Zwecke . Oder sie müssen stehlen . Wenn sie am
Ende des Tages nicht mindestens 300 Euro zusammenge-
stohlen haben, dann gibt es Prügel .

So oder so ähnlich läuft es täglich ab, hier in Deutsch-
land, in Europa, in der ganzen Welt . Ja, der Menschen-
handel und die damit einhergehende systematische Aus-
beutung haben sich inzwischen zu einem lukrativen,
milliardenschweren Geschäft entwickelt . Das Geschäft
hat Wachstumspotenzial . Die Ware Mensch wächst ja
immer wieder nach .

Mit dem Gesetz, dessen Entwurf wir heute verab-
schieden werden, versuchen wir, diesem skrupellosesten
aller Geschäfte ein Ende zu setzen, einen Riegel vorzu-
schieben und klarzustellen: Menschen sind keine Ware .
Es verbietet sich, sie zu kaufen, sie zu verkaufen oder sie
in irgendeiner anderen Form auszubeuten . Jeder, der dies
anders sieht und sich an diesem Geschäft beteiligt, wird
mit aller Macht verfolgt und auf das Schärfste bestraft .
Das vorliegende Gesetz erfasst mit seinen Vorschriften
all die Fälle, die ich aufgezählt habe, inklusive des extre-
men Falls des Organhandels . Bestraft und erfasst von den
Vorschriften wird nicht nur der Haupttäter, sondern jeder,
der sich an dieser Kette beteiligt .

Besonders wichtig ist mir gerade heute, wo wir das
Prostituiertenschutzgesetz verabschiedet haben, den
Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung
und die Zwangsprostitution zu stoppen, und zwar nicht
nur, weil diese Form das Gros des Menschenhandels dar-
stellt, sondern auch, weil erzwungene Prostitution das
Schlimmste ist, was einem Menschen widerfahren kann .
Demütigungen durch sexuelle Gewalt sind ebenso ver-
heerend wie Folter .

Man muss sich einmal vorstellen, dass das Geschäft
mit der Prostitution weltweit jährlich Gewinne in Höhe
von rund 91 Milliarden Euro bringt . Die Basis für dieses
riesige Geschäft seien – so will uns die Lobby der Sexin-
dustrie glauben machen – rein wirtschaftliche Beziehun-

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


gen zwischen verantwortungsvollen Erwachsenen . Da
gibt es die selbstständig tätige Sexarbeiterin, die mit der
Prostitution einem liberalen, freien und modernen Beruf
nachgeht . Daneben gibt es den Zuhälter, der natürlich
kein Ausbeuter ist, sondern allenfalls Räume vermietet .
Schließlich gibt es den Freier, der keine Zwangslage
ausnutzt, sondern ganz gewöhnliche Dienstleistungen in
Anspruch nimmt .

Die Wahrheit sieht aber ganz anders aus . Oder glau-
ben Sie ernsthaft, dass die 91 Milliarden Euro jährlich
wirklich in den Taschen der Sexarbeiterinnen landen?
Selbstverständlich nicht . Tatsächlich steckt hinter der
Sexindustrie sehr häufig der Menschenhandel, die Ein-
schüchterung durch brutale Gewalt, Demütigung und
Entwürdigung . Deshalb müssen wir in diesem Bereich
genau hinsehen, und wir müssen alle in die Pflicht neh-
men .

Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, mit der
Vorschrift über die Strafbarkeit von Freiern, die eine
Zwangsprostituierte für ihre sexuelle Befriedigung aus-
nutzen, einen enormen Vorstoß im Kampf gegen diese
Straftaten zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir setzen den Hebel nämlich genau da an, wo er ei-
gentlich am wirkungsvollsten sein könnte: bei der Nach-
frage . Das ist auch richtig so; denn es muss selbstver-
ständlich sein, dass derjenige bestraft wird, der die Lage
geknechteter Frauen ganz bewusst für seine sexuellen
Zwecke missbraucht . Wenn es uns dadurch gelingt, die
Nachfrage deutlich zu senken, dann entziehen wir den
Drahtziehern dieses Geschäfts den Boden . Im Übrigen
wäre alles andere vor dem Hintergrund der heute be-
schlossenen Reform mit dem Grundsatz „Nein heißt
nein“ eine Farce . Niemand darf zu sexuellen Handlungen
gezwungen werden, auch nicht Prostituierte .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Neben dem neu eingeführten Aspekt der Freierstraf-
barkeit haben wir – Sie haben es schon angesprochen –
die Loverboy-Fälle mehr geregelt . Es geht da um die Fäl-
le, in denen einem Mädchen oder einer Frau die große
Liebe vorgespielt wird, um sie letztlich in der Prostitu-
tion auszunutzen . Es ist völlig richtig, dass wir da nicht
mehr nach dem Alter des Mädchens oder der Frau oder
danach, ob es sich um eine deutsche oder eine ausländi-
sche Frau handelt, unterscheiden . Wir machen hier keine
Unterschiede; alle Fälle müssen erfasst sein .

Ein wichtiges Anliegen der Union war es auch – ich
halte das für eines der wichtigsten Anliegen –, die Er-
mittlungsbehörden mit den richtigen Instrumenten aus-
zustatten;


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das wäre der Opferschutz, zum Beispiel!)


denn ohne Ergebnisse im Ermittlungsverfahren kann es
keine Verurteilung geben, damit keine Abschreckung und
dann natürlich keinen Schutz für die Opfer .

Aber wir haben auf jeden Fall einen Erfolg erzielt .
Das ist die Tatsache, dass künftig die akustische Wohn-

raumüberwachung bei dem Verdacht auf einen besonders
schweren Fall von Menschenhandel möglich ist, zum
Beispiel wenn er durch eine Bande oder gewerbsmäßig
betrieben wird .

Aber ich sehe auch – Sie sagen es zu Recht –: Wir
brauchen da mehr Maßnahmen . Ich bedauere sehr, dass
es uns nicht gelungen ist, mit der SPD noch mehr hinzu-
bekommen, insbesondere beim Verdacht auf Zuhälterei
oder Ausbeutung der Prostitution die Telekommunikati-
onsüberwachung zu ermöglichen . Vielleicht gelingt uns
das noch; denn die Praxis ist häufig so, dass man nur
über die Zuhälter an die Menschenhändler, die dahinter
stehen, herankommt . Erst wenn ich die Chance habe, da
Informationen zu erhalten, kann ich den Menschenhänd-
lerring auffliegen lassen.

Wir hatten viele Gespräche mit dem Praktiker Herrn
Sporer . Er wurde heute schon genannt . Er hat das im-
mer gefordert . Es ist wirklich schade, dass wir das nicht
geschafft haben . Ebenso bedauerlich ist, dass es mit
der SPD noch nicht möglich war, die Straftatbestände
„Ausbeutung von Prostituierten“ und „Zuhälterei“ zu
reformieren . Das wäre erforderlich gewesen, um einen
Gleichlauf zu schaffen . Aber uns ist versprochen wor-
den, dass das noch in dieser Legislaturperiode kommt .
Ich hoffe, dass das keine leeren Versprechungen waren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Stattdessen wurde ein besonderes Augenmerk auf den
Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Ar-
beitskraft gelegt . Völlig zu Recht besteht auch hier ein
strafrechtlicher Handlungsbedarf; denn auch das geht
nicht, keine Frage . Aber ich hätte mir doch gewünscht,
dass man einen Unterschied zum Beispiel beim Strafrah-
men macht; denn Zwangsprostitution ist auch Arbeits-
ausbeutung, aber sie bedeutet zusätzlich noch eine mas-
sive Verletzung des höchstpersönlichen Rechtsguts der
sexuellen Selbstbestimmung . Man ist doppelt gestraft .
Ich glaube, da hätten wir Unterscheidungen treffen kön-
nen .

Wo wir uns einig waren – das ist versöhnlich zum
Schluss –, ist, dass wir vorhaben – das unterstelle ich
auch allen anderen, natürlich auch der Opposition –, alle
Register zu ziehen . Wir wollen die Handlanger und die
Hintermänner zu fassen bekommen . Wir wollen mehr
Verurteilungen im Bereich des Menschenhandels errei-
chen . Wir wollen alles dafür tun, dass das Geschäft mit
der Ware Mensch – egal zu welchen Zwecken: Prostitu-
tion, Arbeit, Organhandel oder Sonstiges – so unattraktiv
wie möglich wird . Wenn uns das mit diesem Gesetz nicht
gelingt, dann müssen wir nachbessern .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1818315400


Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul für
Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Silke Launert






(A) (C)



(B) (D)



Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818315500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als letzter EU-Staat versuchen wir heute, die
Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates
von April 2011 zur Bekämpfung des Menschenhandels
umzusetzen . Ich würde an dieser Stelle gern sagen: Was
lange währt, wird endlich gut . Aber das kann ich leider
nicht . Die wenigen Verbesserungen in Ihrem Gesetzent-
wurf können die Mängel an anderen Stellen, vor allem
die fehlenden weiteren Maßnahmen zum Opferschutz,
nicht aufwiegen .

Viele der grundlegenden Kritikpunkte haben sich
seit der ersten Lesung in der Expertenanhörung bestä-
tigt . Leider haben Sie so gut wie nichts davon korrigiert .
Bei Ihrer Legaldefinition von Arbeitsausbeutung reicht
es nach wie vor nicht aus, dass die Beschäftigten zu
unwürdigen Bedingungen arbeiten . Ausbeuterische Be-
schäftigung soll nur vorliegen, wenn das Gewinnstreben
auch noch rücksichtslos ist . Den Mehrwert dieses Tatbe-
standsmerkmals konnten sich auch die Experten in der
öffentlichen Anhörung nicht erklären . Im Gegenteil: Die
Beibehaltung des Erfordernisses von rücksichtslosem
Gewinnstreben wird die Verfolgung von Menschenhan-
del in der Praxis erheblich erschweren .

Auch die Frage, warum Sie jetzt im Gesetz durchge-
hend von „veranlassen“ reden statt wie bisher von „dazu
bringen“, wurde nie wirklich beantwortet . Sie behaupte-
ten, damit ein objektives Element einzuführen, das die
Beweisbarkeit erleichtert . Die Expertenanhörung hat ein-
deutig ergeben, dass dies eine Illusion bleibt . Die Ände-
rung der Begrifflichkeit bringt keinen Vorteil und ist eine
Luftnummer .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Bei § 232a StGB – Schaffung des Straftatbestandes
„Zwangsprostitution“ – haben Sie heute wirklich eine
große Chance verpasst . Heute Vormittag haben wir im
Deutschen Bundestag mit der Reform des § 177 StGB
erstmals das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als
Rechtsgut umfassend geschützt . Jede sexuelle Handlung
gegen den erkennbaren Willen einer Person ist künftig
strafbar . Da kann es doch keinen Unterschied machen, ob
diese Person eine Prostituierte ist oder nicht .

Sie hätten die Ahndung von Zwangsprostitution im
Zusammenhang mit dem Dreizehnten Abschnitt des
Strafgesetzbuches – Straftaten gegen die sexuelle Selbst-
bestimmung – regeln können und müssen; denn dabei
geht es im Kern um den Schutz der sexuellen Selbstbe-
stimmung und nicht, wie hier jetzt, um die berufliche und
wirtschaftliche Betätigungsfreiheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Gleiches gilt für die Einführung der Freierstrafbarkeit .
In der Anhörung haben die Sachverständigen klar zum
Ausdruck gebracht, dass es eines Sondertatbestandes
der Freierbestrafung nicht bedürfe, wenn wir einen all-
gemeinen Grundtatbestand im Sexualstrafrecht schaffen
würden, der sexuelle Handlungen gegen den erkennba-
ren Willen des Opfers sanktioniere . Stattdessen kreieren

Sie einen langen und verworrenen Tatbestand, dessen
diverse Voraussetzungen kaum je nachweisbar vorliegen
werden . Sie wollen ein Zeichen setzen; aber dieses Zei-
chen funktioniert in der Sache nicht . Man nennt das auch
Symbolpolitik .

Es bleibt in Ihrem Entwurf auch bei dem schwer zu er-
tragenden Widerspruch, dass die Strafbarkeit des Freiers
bei einer Anzeige von Gesetzes wegen entfällt, während
bei einer Anzeige durch das Opfer die Strafbarkeit des-
selben nur entfallen kann, also im Ermessen der Staats-
anwaltschaft liegt . Hier wäre doch wohl mindestens
Gleichbehandlung erforderlich gewesen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Leider ist auch der neue § 233 StGB missglückt, mit
dem die Arbeitsausbeutung unter Strafe gestellt werden
soll . Bisher bleibt der Arbeitsausbeuter nämlich straffrei,
wenn er nicht gleichzeitig auch derjenige ist, der die
andere Person dazu bringt, das Arbeitsverhältnis einzu-
gehen . Hier könnte ich mir tatsächlich auch eine weiter
gehende Strafbarkeit vorstellen . Sie haben jedoch dazu
einen Tatbestand geschaffen, der für die Praxis nicht
handhabbar sein wird; denn die Strafbarkeit jeglicher Ar-
beitsausbeutung ist daran geknüpft, dass der Ausbeuter
eine persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage oder
die auslandsspezifische Hilflosigkeit des Opfers kennt
und – das kommt noch dazu – gesondert ausnutzt . Das
wird aber gerade dann, wenn der Ausbeuter nicht gleich-
zeitig der Veranlasser ist, kaum je relevant werden .

Nicht nur als ungeeignet, sondern schlicht als über-
flüssig, haben die Experten den neuen § 233a des Straf-
gesetzbuches mit dem schönen Titel „Ausbeutung unter
Ausnutzung einer Freiheitsberaubung“ bewertet . Diese
Norm enthält keinerlei Mehrwert gegenüber der bereits
existierenden Regelung zur Freiheitsberaubung, § 239
StGB . Um symbolhafte Überschriften zu produzieren, ist
das Strafgesetzbuch nun wahrlich nicht geeignet . Unnö-
tige Strafnormen machen das Leben nicht besser und ge-
hören gestrichen . Auch die Gelegenheit dazu haben Sie
verpasst .

Das größte Manko ist allerdings, dass Sie sich mal
wieder auf das Strafrecht beschränken . Die viel relevan-
teren Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhan-
dels gehen Sie gar nicht an . Daher hat meine Fraktion ei-
nen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der heute ebenfalls
zur Abstimmung steht .

Zeigen die Opfer die Menschenhändler an, müssen sie
fürchten, ausgewiesen zu werden . Eine Rückkehr in ihre
Heimat und ihr altes Leben ist vielen aber unmöglich .
Was wir daher brauchen, ist ein Anspruch auf aufent-
haltsrechtlichen Schutz für Opfer von Menschenhandel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Daneben soll ein Fonds für Härteleistungen eingerich-
tet werden; denn in vielen Fällen ist unser Opferentschä-
digungsgesetz da unzureichend .






(A) (C)



(B) (D)


Außerdem schlagen wir die Einrichtung einer Bericht-
erstatterstelle vor, so wie das in anderen europäischen
Ländern längst geschehen ist .

Ich würde mir wünschen, dass Deutschland durch ein
umfassendes Maßnahmenpaket zum Vorreiter in Sachen
„Kampf gegen Menschenhandel“ wird . Ihr heute vorlie-
gender Entwurf bläht das Strafrecht dagegen unnötig auf
und ist nicht geeignet, das eigentliche Problem zu lösen .
Da bleibt uns am Ende leider nur die Ablehnung .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818315600

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Johannes

Fechner für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1818315700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!
Menschenhandel und Ausbeutung, das gibt es nicht nur
in der sogenannten Dritten Welt; leider gibt es auch in
Deutschland zu viele Menschen, die ausgebeutet werden,
im schlimmsten Fall sogar zur Prostitution gezwungen
werden, und das ist nicht hinnehmbar . Deshalb ist das
Gesetz, das wir heute beschließen, ein wichtiges Ge-
setz . Wir müssen die Opfer von Zwangsprostitution und
Zwangsarbeit besser schützen, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Vergangenheit ist die Bestrafung der Täter all-
zu oft daran gescheitert, dass das Opfer aus Angst vor
Repressalien oder der Rache des Täters nicht bereit war,
gegen den Täter auszusagen . Der Tatbestand des Men-
schenhandels ist im heute noch geltenden Recht so for-
muliert, dass der Menschenhändler entscheidenden Ein-
fluss auf den Willen des Opfers genommen haben muss,
sich zur Prostitutionsaufnahme zu entschließen . Diesen
Einfluss auf den Willen des Opfers ohne die Aussage des
Opfers nachzuweisen, das war in vielen Strafprozessen
das Kernproblem, und das machte eine Verurteilung oft
unmöglich .

Durch eine geänderte Formulierung des Tatbestandes
wollen wir nun ermöglichen, dass sich der Tatrichter zu-
künftig auch auf andere Beweismittel stützen kann . Wenn
durch Zeugenaussagen nachgewiesen ist, dass der objek-
tive Tatbestand erfüllt ist, dass etwa die Tathandlung be-
gangen wurde – das Anwerben einer Jugendlichen, die
durch Prostitution ausgebeutet werden soll –, dann kann
eine Verurteilung erfolgen, ohne dass der heute nötige
Nachweis erbracht werden muss, dass gerade der Täter
den Willensentschluss des Opfers hervorgerufen hat . Das

ist eine wichtige Verbesserung gegenüber dem heutigen
Recht .


(Beifall bei der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passiert ja gerade nicht!)


Der SPD war auch wichtig, dass die brutalen Straf-
taten des Menschenhandels und der Zwangsprostitution
angemessen bestraft werden können . Auf unseren Vor-
schlag hin erhöhen wir deshalb das Strafmaß im Grund-
tatbestand von drei Monaten auf sechs Monate . Uns war
weiter wichtig – Kollege Bartke hat schon darauf hin-
gewiesen –, dass auch die sogenannten Loverboy-Fälle
zweifelsfrei erfasst werden . Deswegen haben wir in der
recht ausführlichen Begründung ergänzt, dass diese Ma-
sche der Zuhälter, bei der die Zuhälter den Frauen die
große Liebe vorspielen, sie aus ihrem sozialen Umfeld,
aus ihren familiären Bindungen lösen und dadurch eine
Art psychischer Abhängigkeit schaffen, zukünftig als
List im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist . Damit regeln
wir genau diese perfide Masche als strafbar, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch bei uns in Deutschland gibt es Menschen, die
in sklavenähnlichen Zuständen arbeiten . Da können wir
nicht zuschauen . Es ist uns wichtig, dass wir Straftatbe-
stände schaffen, wonach sich Täter strafbar machen, die
in solchen Fällen die Arbeitskraft anderer Menschen aus-
beuten . Wer insbesondere Jugendliche anwirbt oder nach
Deutschland befördert und sie hier dadurch ausbeutet,
dass sie Straftaten begehen müssen oder zum Betteln ge-
schickt werden, anstatt in die Schule zu gehen – das sind
nicht hinnehmbare Zustände –, den wollen wir ebenfalls
als Täter bestrafen .

Eine wichtige Regelung ist auch, dass sich zukünf-
tig Freier strafbar machen, wenn sie die Dienste einer
Zwangsprostituierten in Anspruch nehmen . Dabei war
uns als SPD besonders wichtig, dass wir die Kriterien,
wann von der Erkennbarkeit der Zwangsprostitution aus-
zugehen ist, in der Begründung klar formulieren . Denn
wir wollen nicht, dass sich Freier einfach herausreden
können mit der Begründung, sie hätten die Zwangspros-
titution nicht erkennen können .


(Beifall bei der SPD)


Wenn eine Frau eingeschüchtert ist, wenn sie weint,
sie kaum deutsch spricht, wenn der Zuhälter die Ver-
handlungen über Geld und Dienste führt oder wenn die
Frau gar Verletzungen aufweist, dann ist für den Freier
erkennbar, dass sich die Frau nicht freiwillig prostituiert,
sondern dass sie gezwungen wird . Weil wir Zwangspros-
titution verhindern wollen, da sie ein massiver und für
die Opfer oft lebenslang traumatisierender Eingriff ist,
müssen wir diese Regelungen hier heute so beschließen,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe schon heute Morgen bei der Diskussion zum
Sexualstrafrecht gesagt, wir sollten uns bei einer Prüfung,

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


ob auch die Strafprozessordnung zu ändern ist, auch fra-
gen, ob es nicht gerade in derartigen Fällen Sinn macht,
dass schon die erste polizeiliche Vernehmung des Opfers
auf Video aufzuzeichnen ist . Denn dann könnten wir die-
ses Video im Prozess einführen, wenn die Zwangspro-
stituierte aus Angst vor dem Zuhälter eben nicht mehr
bereit ist, Aussagen zu machen . Ich glaube, das wäre eine
wichtige Ergänzung der Strafprozessordnung, die wir
uns vornehmen sollten .

Zu der Kritik, wir würden hier nichts für die Opfer
tun im Hinblick auf die Aufenthaltserlaubnis, gestatte ich
mir den Hinweis auf § 25 Absatz 4a des Aufenthaltsge-
setzes . Das haben wir vor etwa einem Jahr neu geregelt,
um genau Ihrem Anliegen nachzukommen . Wenn eine
Zwangsprostituierte im Strafprozess aussagt, dann kann
sie in Deutschland bleiben .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: In der EU-Richtlinie steht aber das Gegenteil! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das entspricht leider nicht der Richtlinie!)


Sie bekommt ein Aufenthaltsrecht, und zwar nicht nur
während des Prozesses, sondern es gibt auch die Mög-
lichkeit, darüber hinaus ein Aufenthaltsrecht zu bekom-
men .


(Beifall des Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD])


Also, Ihr berechtigtes Anliegen, Frau Kollegin Jelpke,
haben wir schon vor einem Jahr berücksichtigt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Nein!)


Angesichts dessen, dass in Deutschland nach Schät-
zungen Zehntausende Zwangsprostituierte oder Men-
schen in sklavenähnlichen Zuständen ausgebeutet wer-
den, können wir nicht weiter zuschauen, dann müssen
wir solch ein Gesetz machen, dass es für Verurteilungen
eben nicht nur auf die Opferaussage ankommt . Deshalb
stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu . Wir sind es den
Opfern schuldig, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818315800

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Kathrin Rösel, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kathrin Rösel (CDU):
Rede ID: ID1818315900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn im Alltag über Menschenhandel gere-
det wird, beschreibt das oft sehr unterschiedliche Dinge .
Mal ist es Prostitution, mal ist es Leiharbeit, mal ist es
Menschenschmuggel, und manchmal – ja, manchmal –
wird sogar der Verkauf von Fußballspielern als moderner
Menschenhandel bezeichnet . Dieses Alltagsverständnis
entspricht jedoch nicht dem strafrechtlichen Begriff, über
den wir hier heute diskutieren .

Wir reden über nicht weniger als über eines der zen-
tralen Grundrechte, nämlich über Menschenwürde . Men-
schenhandel in all seinen Ausprägungen – ob er zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung, zur Arbeitsausbeutung
oder in anderen Formen stattfindet – stellt eine schwere
Verletzung der Menschenwürde dar .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Schätzungen gehen davon aus, dass im letzten Jahr
weltweit rund 2,7 Millionen Menschen Opfer von Men-
schenhandel geworden sind . Die Menschenhändler ver-
dienen an diesem Geschäft mehr als 30 Milliarden Euro
jährlich . Das Geschäft mit der Handelsware Mensch gilt
vom Gewinn her als drittwichtigste kriminelle Einkom-
mensquelle nach dem Drogen- und Waffenhandel .

Fakt ist: Menschenhandel ist vor dem Hintergrund von
400 Jahren Sklavenhandel kein neues Phänomen, aber
ein Problem, das mittlerweile Ausmaße annimmt, die uns
vergessen lassen, dass wir im 21 . Jahrhundert leben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Umsetzung der EU-Richtlinie, die zum Ziel hat,
Menschenhandel zu verhüten und zu bekämpfen und die
Opfer von Menschenhandel zu schützen, zielt nicht nur
darauf ab, ebendieses Grundrecht auf Menschenwür-
de durchzusetzen, sondern auch darauf, die Täter noch
härter zu bestrafen; eigentlich eine Sache, die uns selbst-
verständlich erscheint und schon längst hätte gesetzlich
geregelt sein müssen . Leider ist das nicht so .

Wir müssen nämlich auch darüber reden, dass der Be-
griff „Menschenhandel“ im Strafgesetzbuch viel weiter
als bisher gefasst werden muss . Hier geht es um Zwangs-
arbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft, Menschenhandel
zum Zweck der Bettelei und Menschenhandel zur Durch-
führung von Straftaten . Es geht darum, dass mit Men-
schen gehandelt wird, um ihnen Organe zu entnehmen,
und es geht insbesondere – das ist mir ganz besonders
wichtig – um den Tatbestand der Zwangsprostitution .

Neu in der Gesetzesvorlage ist, dass nun auch im
Strafgesetzbuch verankert wird, wenn Menschen – hier
sind es zum größten Teil Frauen und Kinder – gezwun-
gen werden, zum Betteln auszuharren oder professionell
auf Diebestour zu gehen .

Gut und richtig ist es ebenso, dass der neue § 232
Strafgesetzbuch nun auch den Tatbestand des Menschen-
handels zum Zweck des Organhandels erfasst . Die Er-
weiterung um diese Straftatbestände ist meines Erach-
tens überfällig, und ich bin froh, dass wir heute deren
Umsetzung beschließen werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber nicht nur die Erweiterungen um die genannten
Straftatbestände sind Inhalt der Gesetzesvorlage . Wir
gehen noch viel weiter, indem wir nämlich zum einen
die Gesetzeslücke auf der Nachschub- und Logistikebene
des Menschenhandels schließen . Künftig wird auch das
Anwerben, Befördern, Weitergeben und Beherbergen,
also jede noch so gering erscheinende Form der Betei-
ligung am Menschenhandel, strafbar sein . Wir schaffen
Instrumente, die es ermöglichen, die Täter noch härter

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


zu bestrafen, wenn zum Beispiel die Opfer minderjährig
sind oder wenn das Leben oder die Gesundheit von Men-
schen gefährdet wird .

Zum anderen ziehen wir auch diejenigen zur Verant-
wortung, die von einer offensichtlichen Zwangslage ei-
nes Menschen profitieren. Hiermit meine ich – das ist ein
großer Schritt nach vorn –, dass sich Freier von Zwangs-
prostituierten strafbar machen . Ob es sich um Zwangs-
prostitution handelt, ist in den allermeisten Fällen klar
erkennbar . Wer seine Augen vor offensichtlichen Anzei-
chen wie körperlichen Verletzungen, eingeschüchtertem
Verhalten oder nicht vorhandenen Deutschkenntnissen
verschließt oder wer die Dienstleistung mit einem Zuhäl-
ter anbahnt und aushandelt, gehört bestraft . Diese Straf-
barkeit ist seit jeher ein wichtiges Anliegen der Union
und wird nun endlich umgesetzt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Allerdings soll den Freiern, die zur Aufdeckung
und zur Aufklärung von Zwangsprostitution beitragen,
Straffreiheit gewährt werden . Hier stellen wir den Schutz
der Opfer und die Vermeidung von weiteren Straftaten
über den Strafanspruch an die Freier, und das ist gut so .
Was ich an dieser Stelle nicht nachvollziehen kann, ist
die Kritik der Opposition, dass wir beim Opferschutz
nicht weit genug gehen würden und hier hinsichtlich der
Aufenthaltserlaubnis nochmals nachgebessert werden
solle .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie müssen die EU-Richtlinie lesen! Da steht das alles drin!)


Wenn Sie bei der Expertenanhörung vor einigen Wo-
chen zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass uns allen
deutlich gemacht wurde, dass dem mit der Erweiterung –
Sie erwähnten es schon, Dr . Fechner – des § 25 Aufent-
haltsgesetz ausreichend Rechnung getragen wird . Inso-
fern ist diese Kritik völlig überflüssig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben heute Vor-
mittag den Grundsatz „Nein heißt nein“ im Strafrecht
verankert . Nein heißt nein nämlich auch dann, wenn of-
fensichtlich ist, dass eine Frau – in über 95 Prozent der
Fälle sind es Frauen – sich aufgrund einer Zwangslage
prostituiert . Ich bedauere es sehr, dass es aufgrund der
Weigerung der SPD nicht dazu gekommen ist, heute früh
im Gesetz eine verpflichtende Gesundheitsuntersuchung
von Prostituierten zu verankern .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Ohne uns gäbe es das ganze Gesetz gar nicht!)


Es wurde dadurch versäumt, die Gesundheit der Prostitu-
ierten und deren Freier besser zu schützen . Ebenso hätte
eine verpflichtende Gesundheitsuntersuchung entschei-
dend dazu beitragen können, dass Zwangsprostitution
schneller und besser identifiziert und geahndet werden
kann . Schade! Ich denke, hier wurde die Chance klar ver-
säumt, Opfer von Misshandlungen, Zwangsprostitution
und Menschenhandel noch besser zu schützen und ihnen
zu helfen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zusammenfassend möchte ich sagen, dass wir mit den
vorliegenden Änderungen des Strafgesetzbuches nicht
nur die geforderte EU-Richtlinie umsetzen . Wir haben
ein Instrument geschaffen, das es uns ermöglicht, Men-
schenhändler härter zu bestrafen und Opfer noch besser
zu schützen .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Darauf bin ich gespannt!)


Daher bitte ich um Zustimmung .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818316000

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che .

Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich
nicht versäumen, der Kollegin Rösel zu ihrer ersten Rede
zu gratulieren .


(Beifall)


Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 5 . April 2011 zur Verhütung
und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz
seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlus-
ses 2002/629/JI des Rates . Der Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/9095, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/4613 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhält-
nis in dritter Beratung angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 20 b . Abstimmung über den
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur
Verbesserung der Situation von Opfern von Menschen-
handel in Deutschland. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9077,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/3256 abzulehnen . Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Opposition abgelehnt . Damit entfällt nach unse-
rer Geschäftsordnung die weitere Beratung .

Kathrin Rösel






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Kai Gehring, Dr . Konstantin von Notz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urhe-
berrecht bildungs- und wissenschaftsfreund-
lich gestalten

Drucksache 18/8245

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (f)

Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Kai Gehring,
Bündnis 90/Die Grünen .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818316100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Für Wissenschaft, Forschung und Lehre stecken
enorme Potenziale in der Digitalisierung . Um diese
Chancen nutzen zu können, bedarf es endlich eines bil-
dungs- und forschungsfreundlichen Urheberrechts; denn
bessere Forschungs- und Wissenszugänge sind wichtige
Zukunftsmotoren für unsere Volkswirtschaft und Wis-
sensökonomie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Wissenschaft und Bildung dürfen nicht durch politi-
sche Trägheit und veraltete Strukturen behindert werden .
Tatsächlich passiert aber genau das .


(Marianne Schieder [SPD]: Na, na!)


Daher sagen wir: Der Modernisierungsstau im Urheber-
recht gehört endlich überwunden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Für uns alle sind Ausbildung oder Studium schon eine
Weile her . Dennoch wissen wir, wie wichtig der Zugang
zu digitalem Wissen bereits bei Schülerreferaten gewor-
den ist . An den Universitäten sind digitale Semesterappa-
rate nicht mehr wegzudenken . § 52a Urheberrechtsgesetz
ermöglicht die zustimmungsfreie Nutzung von geschütz-
ten Werken per öffentlicher Zugänglichmachung für
Lehr- und Forschungszwecke . Diese Regelung ist aber
schwer verständlich und hat auch ihre Grenzen . Wer sich
wirklich schlaumachen will, was er unter welchen Bedin-
gungen darf oder nicht darf, scheitert oft am Dickicht von
Einzelgesetzen . Was fehlt? Es fehlt also eine umfassen-
de und klare rechtliche Regelung, die leicht verständlich

und vermittelbar ist und so den Wissensfluss erleichtert.
Darum geht es uns .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Marianne Schieder [SPD]: Uns auch!)


Doch mit der wissenschaftsgerechten Reform des Ur-
heberrechts quält sich die GroKo im Bund so ähnlich wie
die in Berlin beim BER .


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Ein ums andere Mal wird die Eröffnung versprochen,
dann vertagt . Die Wissenschaftsschranke wird ein ums
andere Mal hier im Bundestag angekündigt, dann tut sich
wieder Jahre nichts .


(Christian Flisek [SPD]: Der arme Flughafen muss für alles herhalten!)


Anders als beim BER lässt sich diese Baustelle einfach
fertigstellen . Folgen Sie unserem Antrag zur Einführung
einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke .
Schließlich haben Sie genau dieses Instrument im Koa-
litionsvertrag verankert und versprochen und erst vor ei-
nem Jahr hier im Plenum erneut angekündigt . Also legen
Sie endlich los .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Marianne Schieder [SPD]: Wird auch kommen! Keine Angst!)


Ihre eigenen Gutachter von der Expertenkommission
für Forschung und Innovation bis zur BMBF-finanzier-
ten HU-Studie attestieren Ihnen, in Forschung und Lehre
sowie bei Bibliotheken, Archiven und Museen durch Ihre
Untätigkeit in Sachen Wissenschaftsschranke für große
Rechtsunsicherheit zu sorgen . Das muss sich endlich än-
dern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das BMBF schreibt auf seiner Website: „Das Urhe-
berrecht muss der Wissenschaft dienen“ . Stimmt, liebe
Ministerin Wanka; das ist aber nach wie vor nicht ge-
setzliche Realität . Seit über elf Jahren bleiben CDU-Wis-
senschaftsministerinnen Vorschläge schuldig . Damit
verschleppen Sie die Probleme . Es ist höchste Zeit, bei
dieser Frage dem Wissenschaftsstandort Deutschland zu
dienen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsschran-
ke, wie wir sie wollen, würde es Lehrenden, Lernenden
und Forschenden erleichtern, publizistische Werke jed-
weder medialer Art für den nichtgewerblichen wissen-
schaftlichen Gebrauch generell genehmigungsfrei und
ohne Einschränkungen zu nutzen . In diesem Zuge könnte
auch die Verleihung digitaler Inhalte durch wissenschaft-
liche Bibliotheken ermöglicht werden, und zwar unab-
hängig davon, von welchem Ort die Ausleihe bzw . dann

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


die Nutzung erfolgt . Das wären wichtige Weichenstel-
lungen für unsere Wissenschaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


In der letzten Wahlperiode waren wir hier schon deut-
lich weiter: Die Enquete-Kommission „Internet und digi-
tale Gesellschaft“ hatte mit Zustimmung aller Fraktionen
hier im Haus eine Bildungs- und Wissenschaftsschran-
ke gefordert . Diese und weitere Vorarbeiten gilt es doch
jetzt endlich mal zu nutzen .

Ergänzt werden müsste die Wissenschaftsschranke um
weitere Verbesserungen, unter anderem beim Zweitver-
öffentlichungsrecht . Das stärkt Autorinnen und Autoren
von wissenschaftlichen Beiträgen, wenn sie ihre Beiträge
mit Open Access publizieren wollen . Auch dazu haben
wir Ihnen längst Vorschläge gemacht .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Koalition scheint für einen solchen Aufbruch im
Urheberrecht die Kraft zu fehlen .


(Christian Flisek [SPD]: Oje!)


Wir geben die Hoffnung aber nicht auf . Deshalb appellie-
re ich abschließend an Sie: Beenden Sie endlich die Zeit
verlorener Chancen für den Innovationsstandort und für
alle Lehrenden und Lernenden in Deutschland .


(Marianne Schieder [SPD]: Nein, wir nutzen die Zeit für ein gutes Gesetz, nicht für einen Schnellschuss! – Christian Flisek [SPD]: So eine Rede spulen Sie jedes Mal ab!)


Legen Sie endlich einen Gesetzentwurf vor . Wenn Sie
die Zeit in der Sommerpause nutzen wollen, dann nutzen
Sie sie so, dass wir im September, spätestens im Oktober
über einen konkreten Gesetzentwurf von SPD und CDU/
CSU diskutieren können . Ich hoffe, dass da nicht so eine
Baustelle wie beim BER herauskommt,


(Marianne Schieder [SPD]: Nein!)


sondern dass Sie es echt noch schaffen .


(Christian Flisek [SPD]: Wir haben im Urheberrecht viel geschafft! – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das mit dem BER nutzt sich langsam ab!)


Selbst Schwarz-Gelb hatte solch eine Wissenschafts- und
Bildungsschranke schon einmal angekündigt . Das heißt,
seit Jahren diskutieren wir hier herum . Wissen wächst,
wenn es geteilt wird . Wir warten auf Ihren Gesetzent-
wurf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818316200

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Dr . Stefan Heck,

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Christian Flisek [SPD])



Dr. Stefan Heck (CDU):
Rede ID: ID1818316300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich darf jetzt seit knapp einem Jahr das Urheber-
recht für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mitbetreuen .
Ich habe gelernt, es ist – erstens – ein sehr komplexes
Rechtsgebiet, und – zweitens – es gibt unzählige und
meist unterschiedliche, gelegentlich auch ganz gegenläu-
fige Interessen, die hier zusammenlaufen. Es ist unsere
Aufgabe als Gesetzgeber,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: . . . Sie auszubalancieren!)


hier einen gerechten Ausgleich zu finden. Das gilt für alle
Gesetzgebungsvorhaben in diesem Bereich .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch für andere Bereiche!)


Das ist uns beim Verwertungsgesellschaftengesetz,
dem ersten großen Vorhaben, das wir kürzlich zum Ab-
schluss gebracht haben und bei dem wir es hinbekommen
haben, einen guten Ausgleich zwischen den Interessen
der Urheber und der Verwertungsgesellschaften auf der
einen Seite und denen der Geräteindustrie auf der ande-
ren Seite zu finden, gelungen. Das Gleiche gilt für das
Urhebervertragsrecht, das wir gerade beraten und bei
dem wir eine Balance zwischen den Interessen der Ur-
heber auf der einen Seite und denen der Verwerter auf
der anderen Seite finden werden. Und ja, das muss auch
für die Bildungs- und Wissenschaftsschranke gelten, das
dritte große Reformvorhaben, das in dieser Legislatur
noch ansteht .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann mal Tempo! Die ist bald rum!)


Hier geht es darum, einen gerechten Ausgleich zwischen
den Urhebern auf der einen Seite und den Nutzern ge-
schützter wissenschaftlicher Werke auf der anderen Seite
zu finden.

Ich muss Ihnen, Herr Gehring, sagen: Da hilft Ihr An-
trag leider nicht weiter .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es doch besser!)


Es ist gut, dass Sie ihn parallel zu den Beratungen über
das Urhebervertragsrecht einbringen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie lange beraten Sie denn schon? Seit Jahren!)


Wir hatten gestern dazu eine öffentliche Anhörung .
Gegenstand dieser Anhörung war auch ein Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen, in dem Sie explizit schreiben,
Sie wollten eine Stärkung der Rechtsstellung der Urheber
und eine angemessene Vergütung sicherstellen . Das wol-
len wir auch . Aber, lieber Herr Gehring, wie passt das mit
Ihrem heutigen Antrag zusammen?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!)


Gestern setzten Sie sich für die Rechte der Urheber
ein, und heute diskutieren wir hier einen Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen, in dem die angemessene Ver-

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


gütung der Urheber mit keinem Wort erwähnt wird . Sie
müssen hier Farbe bekennen . Das, was Sie hier machen,
passt nicht zusammen, und das werden wir Ihnen auch
nicht durchgehen lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Quatsch! Das sind immer nur pauschale Vergütungen!)


Ich sage ganz klar: Auch wir wollen noch in dieser
Legislatur eine Wissenschaftsschranke im Urheberrecht
verankern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles nur Ankündigungen!)


Wir alle wissen wahrscheinlich aus eigener Erfahrung,
aus der Schule, aus der Universität, wie wichtig es ist,
einen Zugang zu Material für Forschung und Lehre zu
haben und wie sehr man dabei auf die Nutzung urheber-
rechtlich geschützter Werke angewiesen ist . Dabei hat
sich durch die Digitalisierung vieles verändert, wahr-
scheinlich auch seit der Schulzeit von uns jüngeren Ab-
geordneten . All dem muss das Urheberrecht Rechnung
tragen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So jung sind Sie auch nicht mehr!)


Es gibt einiges zu tun . Die heutigen Regelungen sind
nicht mehr praxistauglich, und sie sind für die Rechtsan-
wender oft nur schwer durchschaubar . Für uns ist auch
klar: Natürlich muss das Urheberrecht der Wissenschaft
dienen, aber das Urheberrecht muss vor allem erst einmal
den Urhebern dienen; deswegen heißt es auch so .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie widersprechen dem BMBF!)


Der Urheber muss weiterhin im Mittelpunkt stehen . Egal
wie es verwertet wird: Es bleibt am Ende sein Werk, das
auch durch das Eigentumsrecht aus Artikel 14 Grundge-
setz geschützt wird . Deswegen ist es gut, dass wir uns
dazu bekennen, dass der Urheber weiterhin im Mittel-
punkt steht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir brauchen auch starke Wissenschaftsverlage . Sie
spielen bei der Finanzierung eine wichtige Rolle, und sie
spielen auch eine ganz wichtige Rolle bei der Qualitäts-
sicherung und bei der Publikation .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn jetzt? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen sich die Welt, wie sie Ihnen gefällt!)


Für uns bedeutet das konkret: Erstens, auch im Urheber-
recht gilt weiterhin die Vertragsfreiheit . Deshalb müssen
angemessene Lizenzangebote weiterhin Vorrang haben .
Zweitens bedeutet das für uns, dass die Regelung, die
wir beschließen werden, so differenziert sein muss wie
die Wissenschaftslandschaft insgesamt . Es macht einen
großen Unterschied, ob ein Werk in seinen verschiedenen
Stadien durch öffentliche Mittel gefördert wird oder ob
wir es mit einer Visualisierung hochkomplexer naturwis-

senschaftlicher Vorgaben zu tun haben, die mit vielen In-
vestitionen verbunden ist und sich am Ende amortisieren
muss .

Lassen Sie uns nicht vergessen: Die Änderungen der
Regelungen im Urheberrecht finden in einer sehr sen-
siblen Zeit statt . Viele Verlage sind völlig unverschuldet
durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-
hofs und des Bundesgerichtshofs in eine schwierige, teil-
weise existenzbedrohende Situation geraten . Ich glaube,
bevor wir weitere Schritte unternehmen, ist es gut, dass
wir als Gesetzgeber unsere Hausaufgaben machen und an
dieser Stelle Abhilfe schaffen .

Ich komme zum Schluss . Wir wollen eine Wissen-
schaftsschranke einführen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann? Am Sankt-Nimmerleins-Tag oder wann? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles leere Ankündigungen ohne Folgen!)


Ihr Antrag ist einseitig, er ist undifferenziert, und er ver-
gisst diejenigen, die im Mittelpunkt des Urheberrechts
stehen, nämlich die Urheber selbst . Das wäre der Weg in
eine rein staatlich finanzierte Publikationslandschaft, die
wir nicht wollen . Es ist gut, wenn wir den vorliegenden
Antrag mit großer Mehrheit ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lehnen noch Ihren eigenen Koalitionsvertrag ab!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818316400

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Dr . Petra Sitte, Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818316500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Petra, man sieht dich gar nicht richtig! – Heiterkeit)


– Wichtig ist das Hören, das Sehen ist nicht so wichtig . –
Ich möchte mit Blick auf den Sommer, die Urlaubszeit
oder auch das Halbfinale der Fußball-EM mit folgendem
Satz beginnen: „Komm, wir gehen!“


(Beifall des Abg . Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das sagte Estragon zu seinem Freund Wladimir . Der ant-
wortete: „Wir können nicht .“ Darauf Estragon: „Warum
nicht?“ Wladimir: „Wir warten auf Godot .“ Estragon:
„Ah!“ – Theaterfreunde wissen: Das ist der Schlüsseldi-
alog aus Samuel Becketts berühmtem Stück Warten auf
Godot . Der traurige Clou ist: Das Warten bringt nichts,
Godot kommt nicht . Nun weiß aber auch niemand, wer
oder was Godot eigentlich ist .


(Christian Flisek [SPD]: Wir wissen, dass er kommt!)


Dr. Stefan Heck






(A) (C)



(B) (D)


Das lässt Beckett offen, und mich beschleicht nun das
Gefühl: Wir wissen ziemlich genau, was Godot ist .


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo? Wo?)


Seit mindestens zwölf Jahren wird über die Einführung
einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke
im Urheberrecht debattiert . Dabei geht es um den frei-
en Zugang zu allen Werkarten zum nicht kommerziellen
Zweck von Wissenschaft, Bildung und Forschung . Und
Herr Heck: Immer dort, wo man eine Schranke einsetzt,
gibt es pauschale Vergütungsregelungen . Das haben Sie
nicht sauber dargestellt .


(Beifall bei der LINKEN)


Damals wurde vom Aktionsbündnis „Urheberrecht
für Bildung und Wissenschaft“ das Prinzip skizziert . Wir
Linken haben dazu erstmals vor neun Jahren Anträge
gestellt . Andere folgten und haben vergleichbare oder
ähnliche Anträge gestellt . Es folgten dann Jahr um Jahr
Empfehlungen, Vorschläge und Anträge . In diese lange
Reihe stellt sich nun auch der völlig richtige Antrag von
den Bündnisgrünen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke für die Zustimmung!)


Allein, die Wissenschafts- und Bildungsschranke
kommt nicht, und die Realität in Schulen und Hochschu-
len bleibt frustrierend . Die aktuellen Urheberrechtsrege-
lungen sind eben keine Erleichterung für Bildung, Wis-
senschaft und Forschung .

Meine Damen und Herren, Warten auf Godot gilt als
Meisterstück des absurden Theaters, nicht zuletzt des-
halb, weil zwischenzeitlich ein ominöser Bote Estragon
und Wladimir ankündigt, Godot werde kommen . Die
Große Koalition steht in Sachen Absurdität in diesen Fra-
gen dem Theaterstück in nichts nach;


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Solange er nicht gestorben ist, wartet er immer noch!)


denn auch Sie kündigen nun schon zum wiederholten
Mal an, die Schranke komme .


(Marianne Schieder [SPD]: Sie kommt auch!)


Im Koalitionsvertrag von 2013 finden wir sie, auch in
der Digitalen Agenda der Bundesregierung vom Som-
mer 2014 .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Im November 2014 haben wir hier zuletzt über diese Fra-
gen debattiert . Damals hieß es, die Koalition sei ein Jahr
nach Amtsantritt noch in intensiven Diskussionen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei sind sie geblieben!)


Das ist nun allerdings auch schon wieder 20 Monate her .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Intensiv eben! Das braucht Zeit!)


Zwischenzeitlich hat die Koalition einen Antrag durch
den Bundestag gebracht . Was enthält er? – Man fordert
die Einführung der Schranke .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir aber warten wie Estragon und Wladimir immer noch .

Eigentlich kann die Bundesregierung Absurdität sogar
noch besser als Beckett; denn im Gegensatz zu Godot
ist längst bekannt, wie die Bildungs- und Wissenschafts-
schranke ausgestaltet werden könnte . Ich erinnere an
unsere letzte Debatte vor 20 Monaten, in der ich gesagt
habe – es ist kuschelig, wenn man sich selbst zitiert –:
Frau Professor de la Durantaye von der Humboldt-Uni-
versität zu Berlin hat im Auftrag des Bundesministeri-
ums für Bildung und Forschung genau jene Regelung
ausformuliert – in Ihrem Auftrag . – Wir haben alles da;
wir müssen es nur beschließen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Also sagen wir einmal: Der Godot der Bundesregie-
rung hat es bis vor die Tür geschafft .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Wanka!)


Lassen Sie ihn endlich rein, oder, liebe Damen und Her-
ren von der Koalition, machen Sie sich ehrlich und er-
klären Sie den Menschen in Bildung, Wissenschaft und
Forschung, warum Sie kein Interesse an deren Arbeitsbe-
dingungen und ihren eigenen Versprechen gegenüber den
Betroffenen haben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Estragon und Wanka!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818316600

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das

Wort Christian Flisek .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt Estragon!)



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1818316700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen, es ist Ihr ausdrücklicher Wunsch, dass wir heute
über die Bildungs- und Wissenschaftsschranke diskutie-
ren .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja auch richtig so!)


Wir kommen diesem Wunsch natürlich sehr gerne nach .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber, Herr Kollege Gehring, wenn Sie sagen, wir wür-
den uns in dieser Koalition mit dem Urheberrecht quä-
len – Sie haben ein paar hinkende Vergleiche gebracht;

Dr. Petra Sitte






(A) (C)



(B) (D)


der arme Flughafen Berlin muss ja mittlerweile für alles
herhalten –,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es passt, ja!)


dann sind Sie beim aktuellen Stand in Sachen Urheber-
recht in dieser Legislaturperiode noch nicht angekom-
men . Die hinter Ihnen sitzende Vorsitzende des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz, Frau Kollegin
Künast,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tolle Kollegin!)


kann sich, glaube ich, über mangelnde Arbeitsbelastung
in Sachen Urheberrecht in dieser Legislaturperiode nicht
beschweren, weil wir nämlich einen Gesetzentwurf nach
dem anderen behandeln und handwerklich sauber ein
Projekt, das wir im Koalitionsvertrag angekündigt haben,
nach dem anderen abarbeiten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn die Schranke?)


Lieber Herr Kollege Gehring, wenn Sie sich das ein-
mal anschauen, stellen Sie fest, dass wir einiges zu bieten
haben: Wir haben das Verwertungsgesellschaftengesetz
komplett neu aufgesetzt . Das war ein ziemlicher Rund-
umschlag . Das waren sehr intensive Diskussionen; das
wird Ihnen die Kollegin Künast bestätigen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich trete jetzt aber nicht über!)


Gestern fand eine öffentliche Anhörung in Sachen Urhe-
bervertragsrecht statt . Dazu liegt ein Entwurf vor, über
den sehr intensiv diskutiert wird . Aktuelle Ereignisse und
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sowie des Eu-
ropäischen Gerichtshofs machen den nationalen Hand-
lungsbedarf in Sachen Urheberrecht deutlich .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können doch sonst auch zwei Gesetze machen!)


Wir haben jetzt ein Eckpunktepapier des Bundesjustiz-
ministers vorgelegt bekommen


(Zuruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– bleiben Sie mal ruhig –


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


zur Regelung der sogenannten Vogel- und Reprobel-Pro-
blematik .

Herr Kollege Gehring, wenn Sie sich angesichts des-
sen hier hinstellen und sagen, dass man in der letzten Le-
gislaturperiode in Sachen Urheberrecht weiter war, weiß
ich nicht, aus welcher Welt Sie kommen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Enquete-Kommission!)


In der letzten Legislaturperiode ist in Sachen Urheber-
recht nichts, aber auch gar nichts passiert .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt möchte ich Ihnen sehr deutlich sagen, dass Sie viel-
leicht einmal etwas weniger Aktionismus an den Tag
legen sollten. Ich finde, es ist Ihr gutes Recht, einen sol-
chen Antrag zu stellen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wartet lieber!)


Aber wir gehen sauber vor; wir arbeiten die Urheber-
rechtsagenda handwerklich sauber ab . Herr Justizminis-
ter Maas hat deutlich gemacht, dass er einen Gesetzent-
wurf vorlegen wird .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn sie nicht gestorben sind . . .!)


Frau Ministerin Wanka ist mit entsprechenden Gutachten
an die Öffentlichkeit gegangen .


(Zuruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich denke, das wird sich ganz klar wie an einem roten
Faden abspulen lassen .

Wir werden das komplette Schrankenwesen im Wis-
senschafts- und Bildungsbereich aufräumen müssen . Es
ist nämlich sehr unübersichtlich geworden; das hat Kol-
lege Heck in seinem Beitrag schon angesprochen . Ich
glaube, selbst Urheberrechtsexperten und insbesondere
Leute, die Verantwortung im Bereich der Schulen, der
Universitäten tragen, haben es mittlerweile mit einem
Schrankendschungel zu tun . Es ist höchste Zeit, aufzu-
räumen . Das werden wir tun .


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hu! – Lachen bei der CDU/CSU)


– Ich verstehe gar nicht, warum Sie einen Antrag zu einer
Sache stellen und sie dann so ins Lächerliche ziehen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Entweder debattieren wir das hier mit dem notwendigen
Ernst oder debattieren es eben nicht . Ich bin dafür, dass
wir das tun .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann machen Sie das denn? Haben Sie einen Zeitplan?)


In der Tat ist es so, dass diese Schranken allesamt ver-
gütungspflichtig sein werden. Das heißt, wir haben wie-
der zu sehr aktuellen Themen – wie diese Vergütungen
verteilt werden – einen aktuellen Link, nämlich zu der
rechtspolitisch ungeheuer spannenden Debatte, wie die
Verteilung zwischen Urhebern und Verlagen am Ende
läuft .


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und?)


Das heißt, genau das, was ich gerade angesprochen
habe – die BGH-Problematik durch das Vogel-Urteil
und die EuGH-Problematik durch das Reprobel-Urteil –,
spielt bei der Frage eine Rolle, wie wir es mit den vergü-

Christian Flisek






(A) (C)



(B) (D)


tungspflichtigen Schranken halten. Wir werden da eine
Lösung finden, das kann ich Ihnen garantieren. Aber wir
werden nicht in Aktionismus verfallen .


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch in dieser Wahlperiode?)


Eines möchte ich am Ende noch sagen: Diese vergü-
tungspflichtigen Schranken werden Vorrang vor einem
Lizenzdschungel genießen; denn nur so ist den Urheber-
rechtspraktikern in der Bildungs- und Wissenschaftsland-
schaft gedient; denn nur so werden sie vertrauen können,
dass wir einen gelichteten Schrankendschungel auch für
sie in der Praxis handelbar machen . Nur so werden wir
am Ende einen wesentlichen Schritt bei dieser komple-
xen Materie weiterkommen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818316800

Das war ein schönes Schlusswort, Herr Flisek .


Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1818316900

Das war das Schlusswort . – Wir werden diesen An-

trag heute an die Ausschüsse überweisen . Am Ende aber
lautet mein Schlusswort: Das ist ein Schaufensterantrag,
er ist wohlfeil . Wir werden uns, wenn der Gesetzentwurf
vorliegt, intensiv über die Sache auseinandersetzen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt noch das Datum! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie mal wieder in der Opposition sind, dann stellen Sie nur noch Schaufensteranträge!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818317000

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Kollege Tankred Schipanski .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1818317100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist

eine sehr unterhaltsame Urheberrechtsdebatte; man kann
nicht sagen, dass irgendetwas trocken wäre . Frau Sitte,
das war eine schöne, launige Rede; das muss man einfach
sagen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Kollege Flisek hat schon, lieber Kai Gehring, sehr
deutlich gemacht, dass die Koalition beim Thema Ur-
heberrecht in drei großen Blöcken arbeitet; so möchte
ich es ausdrücken . Wir haben das Verwertungsgesell-
schaftengesetz im ersten großen Block gehabt und sind
jetzt beim Urhebervertragsrecht . Der dritte Block wird –
wie angekündigt und wie es auch im Koalitionsvertrag
steht – die Bildungs- und Wissenschaftsschranke sein .
Nichtsdestotrotz, lieber Kai Gehring, bin ich den Grünen
ausdrücklich dankbar, dass wir das heute debattieren .

Wenn wir als Forschungspolitiker in den Antrag
schauen, stellen wir fest, dass wir inhaltlich nicht weit
voneinander entfernt sind . Man kann Ihre Ungeduld
schon verstehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich gestehe offen, dass ich der Meinung bin, dass das
Bundesjustizministerium den Arbeitsauftrag aus dem
Koalitionsvertrag ruhig etwas schneller bearbeiten könn-
te .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Marianne Schieder [SPD]: Das können Sie mal besprechen!)


Der Gesetzentwurf, so hörte ich, liegt dem BMJV mitt-
lerweile vor, und ich erwarte, dass er in Kürze in die Res-
sortabstimmung geht


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kannst du noch lange warten!)


und dann zügig hier im Parlament in erster Lesung be-
handelt wird .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Maas und Wanka Hand in Hand!)


Allerdings waren weder die Bundesregierung noch der
Bundestag bei dem Thema Wissenschaftsschranke in den
letzten knapp drei Jahren untätig . So hat – es wurde an-
gesprochen – Frau Katharina de la Durantaye im Auftrag
des BMBF ein vielbeachtetes Gutachten vorgelegt und
damit in der Tat den fundiertesten Diskussionsvorschlag
für eine Allgemeine Bildungs-, Wissenschafts- und Bib-
liotheksschranke eingebracht .

Worum geht es bei diesem Thema? Wir wollen eine
technologieoffene Regelung haben, die wir nicht nach je-
der technischen Neuentwicklung wieder anpassen müs-
sen . Wir wollen eine lesbare, verständliche Regelung aus
einem Guss; das haben meine Vorredner betont . Wir wol-
len auch langfristige Rechtssicherheit für alle Beteiligten
erreichen .

Dass solche Regelungen möglich sind, zeigt im Übri-
gen ein völkerrechtliches Abkommen im Urheberrecht:
die Berner Übereinkunft von 1886 . Hier wurde der so-
genannte Drei-Stufen-Test eingeführt, welcher bis heute
Gültigkeit hat und Leitlinie für unsere Schrankenrege-
lungen im Urheberrecht ist .

Den sogenannten Schrankendschungel hat Kollege
Flisek bereits angesprochen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Gehring auch!)


Es wurde auch gesagt, dass nicht alle Wissenschaftler
oder Bibliothekare auch Juristen sein müssen, um das
Ganze zu verstehen . Von daher, denke ich, ist das Gut-
achten von Frau de la Durantaye ein sehr guter Diskus-
sionsvorschlag . Sie arbeitet mit einer Generalklausel und
dem Rechtsbegriff der Gebotenheit . Die Schranke bleibt
selbstverständlich vergütungspflichtig. Das möchte ich
von unserer Seite aus noch einmal ausdrücklich betonen .

Meines Erachtens ist das Ziel der Neufassung dieser
Schranke nicht, dass sie möglichst oft und umfassend an-

Christian Flisek






(A) (C)



(B) (D)


gewendet wird. Denn dort, wo es leicht auffindbare und
preislich fair gestaltete Lizenzangebote gibt, werden die-
se sicherlich auch in Zukunft die erste Wahl sein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gleichwohl brauchen wir diese Wissenschaftsschran-
ke . Wir kennen die stark gestiegenen Preise und die Bün-
delung in Datenbanken, die oft dazu führen, dass wis-
senschaftliche Werke für unsere Hochschulbibliotheken
schwerer zu lizenzieren sind . Die Hochschulbibliotheken
beschweren sich über Marktversagen und punktuelle
Monopolbildung durch wissenschaftliche Großverlage .
Die Länder wiederum beklagen die enormen Preissteige-
rungen bei wissenschaftlicher Literatur .

Hier kann die Wissenschaftsschranke quasi als Über-
druckventil dienen . Wenn nämlich die Verlage keine
angemessenen Lizenzangebote machen, hat der Wissen-
schaftler die alternative Möglichkeit, den Zugang zu Li-
teratur eben über diese Schranke zu erhalten . Ohne diese
Wissenschaftsschranke bekämen wir meines Erachtens
einen asymmetrischen Markt .

Ich darf festhalten, dass wir natürlich insbesondere
die Bibliotheken nicht vergessen sollten . Auch diese soll-
ten wir in diese neue Regelung einbeziehen . Es ist sehr
wichtig, dass die Bibliotheken und Archive angemessen
Berücksichtigung finden. Vielleicht – wir kennen ja den
Vorschlag des BMJV noch nicht – kann man auch noch
im Bibliotheksbereich die eine oder andere Anpassung
in diesem Rahmen vornehmen . Ich denke an die Fernlei-
he, die elektronischen Archivierungsmöglichkeiten oder
auch neue technische Möglichkeiten wie das Data-Mi-
ning, das wir gesetzlich natürlich noch ein ganzes Stück
voranbringen müssen zum Wohle unserer Bibliotheken .

Als Bildungs- und Forschungspolitiker bin ich über-
zeugt, dass sich Wissen und wissenschaftlicher Fort-
schritt möglichst schnell und unkompliziert verbreiten
sollten . Das wollen wir mit einer Wissenschaftsschranke
sicherstellen . Daher führen wir heute diese Debatte . Da-
her gibt es den Druck auf das BMJV .

Ich danke ganz herzlich dafür .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Für den Druck? – Gegenruf des Abg . Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818317200

Vielen Dank . – Nächste Rednerin in der Debatte ist die

Kollegin Marianne Schieder für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1818317300

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Der vorliegende Antrag greift ein überaus wichtiges
Thema auf . Das Urheberrecht braucht in der Tat dringend
eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke .
Niemand will die Interessen der Urheberinnen und Urhe-
ber schmälern, aber der Zugang zu Wissen muss verbes-
sert werden . Es ist in der Tat so, dass viele Nutzerinnen

und Nutzer von entsprechenden Werken in ihrer tägli-
chen Arbeit, bei der sie auf wissenschaftliche Publikatio-
nen, Bilder, Filme oder sonstige Dokumente angewiesen
sind, wirklich nicht genau wissen, wie sie sich urheber-
rechtlich korrekt verhalten sollen . Das liegt – das kann
ich nur noch einmal betonen, auch wenn es schon mehr-
mals gesagt worden ist – daran, dass die einschlägigen
rechtlichen Regelungen im ganzen Urheberrecht verteilt
sind . Das liegt auch daran, dass sie wenig praxistauglich
und oftmals auch zu starr formuliert sind . Um hier für
Klarheit zu sorgen, braucht es eine allgemeine Bildungs-
und Wissenschaftsschranke . Das stellt niemand infrage .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen deswegen eine allgemeine Bildungs-
und Wissenschaftsschranke, weil es diese neuen recht-
lichen Regelungen für möglichst alle Anwendungsberei-
che in Forschung, Lehre und Unterricht geben muss . Das
ist in der Tat – auch da erzähle ich für Sie alle nichts
Neues – eine besondere Herausforderung im Zeitalter der
Digitalisierung .

Es wurde schon mehrmals auf den Koalitionsvertrag
hingewiesen . Ich möchte ihn zitieren . Dort heißt es:

Wir werden den wichtigen Belangen von Wissen-
schaft, Forschung und Bildung stärker Rechnung
tragen und eine Bildungs- und Wissenschaftsschran-
ke einführen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und
von den Linken, Sie können sich sicher sein: Wir halten
unsere Zusagen ein .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Eben! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann los! Wird langsam knapp!)


Hier gilt aber in besonderem Maße die alte Lebensweis-
heit „Gut Ding will Weile haben“ .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Urheberrecht ist ein komplexes Werk, und da hilft
kein Drängeln . Es muss vielmehr vieles bedacht und ein
handwerklich wirklich guter Gesetzentwurf gemacht
werden . Hier gilt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit .


(Beifall des Abg . Christian Flisek [SPD])


Lieber Herr Kollege Schipanski, es muss auch manche
Gegenwehr in Ihren Reihen überwunden werden . Damit
erzähle ich Ihnen auch nichts Neues .

Sie haben es schon erwähnt: Es gibt das Gutachten
von Frau Professor de la Durantaye . Es enthält wirklich
viele gute Ansätze, mit denen wir arbeiten, um daraus ei-
nen guten Gesetzentwurf zu machen .

Es geht hierbei aber natürlich auch – auch damit er-
zähle ich kein großes Geheimnis – um das Europarecht .
Von der Europäischen Kommission wurde schon mehr-
fach eine Reform des europäischen Urheberrechts ange-
kündigt . Wir haben gedacht, dass wir diese Änderungen
abwarten könnten, um sie in unseren Gesetzentwurf

Tankred Schipanski






(A) (C)



(B) (D)


gleich mit einzuarbeiten . Es liegt aber immer noch nichts
Konkretes vor .


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tempus fugit!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir alle
sind uns darüber einig, dass eine allgemeine Bildungs-
und Wissenschaftsschranke notwendig ist . Wir alle sind
uns aber auch darüber einig, dass niemandem mit einem
übereilten Werk gedient ist,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach zwölf Jahren Debatte übereilt? Frau Schieder! Jetzt machen Sie endlich! Das ist doch alles schon formuliert! Es ist alles in der Schublade von Herrn Kauder!)


sondern dass allen viel mehr damit gedient ist, wenn wir
einen gut durchdachten und gut ausgearbeiteten Gesetz-
entwurf vorlegen; denn nur damit helfen wir den Men-
schen, die Werke schaffen, ebenso wie denjenigen, die
sie nutzen wollen .

Lieber Kai Gehring, du kannst versichert sein: Du
wirst uns für den hervorragenden Gesetzentwurf, den wir
vorlegen werden, loben müssen .

In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksam-
keit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818317400

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorla-
ge auf Drucksache 18/8245 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Nicht geeinigt
hat man sich darauf, wo die Federführung liegen soll . Die
Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh-
rung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)


Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federfüh-
rung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung .


(Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen . Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Opposition abgelehnt .

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen . Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Opposition angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 d auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Integrationsgesetzes

Drucksache 18/8615

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Integrationsgesetzes

Drucksachen 18/8829, 18/8883

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11 . Ausschuss)


Drucksache 18/9090


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/9091

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozi-
ales (11 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Zimmermann (Zwickau), Ulla Jelpke, Jutta
Krellmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unter-
stützen, Integration befördern und Lohn-
dumping bekämpfen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Luise Amtsberg, Beate Müller-
Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge – Pra-
xisnahe Förderung von Anfang an

– zu dem Antrag der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Volker Beck (Köln), Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Integration ist gelebte Demokratie und
stärkt den sozialen Zusammenhalt

Drucksachen 18/6644, 18/7653, 18/7651,
18/9090

c) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung

(18 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan
Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zugang zu Bildung und Ausbildung für
junge Flüchtlinge sicherstellen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abge-

Marianne Schieder






(A) (C)



(B) (D)


ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchan-
cen für Flüchtlinge schaffen

Drucksachen 18/6198, 18/6345, 18/9101

d) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung

(18 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Gleicher Zugang zur Bildung auch für Ge-
flüchtete

– zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu,
Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Bildungsgerechtigkeit für die Ein-
wanderungsgesellschaft – Damit Herkunft
nicht über Zukunft bestimmt

Drucksachen 18/6192, 18/7049, 18/9022

Zu dem Entwurf eines Integrationsgesetzes liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich darf Sie nun bitten, möglichst zügig Ihre Plätze
einzunehmen . – Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat
die Staatsministerin Aydan Özoğuz.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU])


A
Aydan Özoğuz (SPD):
Rede ID: ID1818317500


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Professor Zick von der Uni Bielefeld hat heu-
te Morgen eine Studie mit dem Titel „ZuGleich“ vorge-
stellt . Er hat einen Vergleich zwischen den Einstellungen
der Menschen in der Zeit 2013/2014 und heute gezogen
und stellt dabei fest, dass sich manche Dinge leicht ver-
ändert haben . Ein Beispiel ist, dass eine kulturell viel-
fältige Gesellschaft nicht mehr den gleichen Stellenwert
wie vor zwei Jahren hat . Das Eigene rückt wieder stärker
in den Fokus, das sogenannte Andere wird an den Rand
gedrängt . Das Eigene und das Andere entfernen sich also
voneinander .

Professor Zick hat dabei aber auch Erfreuliches he-
rausgefunden: Ein Großteil unserer Bevölkerung zum
Beispiel – das glauben viele ja nicht – steht Flüchtlingen
positiv gegenüber . Eine Mehrheit in unserer Bevölke-
rung begrüßt die zunehmende Vielfalt in der Bevölke-
rung, und die Mehrheit der Bevölkerung, und zwar mit
und ohne Einwanderungsgeschichte, möchte, dass allen
Menschen Teilhabe ermöglicht wird . Genau das tun wir

heute mit diesem Integrationsgesetz, indem wir nämlich
denjenigen Teilhabe ermöglichen, deren Asylverfahren
noch laufen und die in der Vergangenheit bis zum Ende
ihres Verfahrens warten mussten – das konnte lange dau-
ern; ein Jahr oder auch zwei Jahre –, bis sie endlich einen
Sprachkurs oder überhaupt etwas machen durften, ob-
wohl sie die ganze Zeit über hier waren .

Das, was wir heute machen, ist ein Riesenschritt . Ich
möchte den verhandelnden Ministern sehr dafür danken
und freue mich, dass der Deutsche Bundestag heute die-
sen Schritt gehen möchte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man muss noch einmal betonen, dass viele Fehler der
Vergangenheit mit diesem Gesetz beseitigt werden und
hier tatsächlich sehr genau auf die Details geschaut wur-
de, damit Menschen auf dem Ausbildungs- wie auf dem
Arbeitsmarkt schneller Fuß fassen können . Denjenigen
mit guter Bleibeperspektive wird beispielsweise der Zu-
gang zu Fördermaßnahmen des SGB III ermöglicht, also
Berufsausbildungsbeihilfe, Berufsbegleitende Hilfen
oder Assistierte Ausbildung .

Dass ein Duldungsanspruch für die Berufsausbildung
mit der Drei-plus-zwei-Regelung geschaffen wird, er-
innert mich sehr an meine Studienzeit . Damals hieß es:
Ausländer sollen bitte einen Tag nach Beendigung ihres
Studiums das Land verlassen . – Es hat ein paar Jahre
gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass
es unsinnig ist, Menschen hier auszubilden und sie dann
nach ihrer Ausbildung wegzuschicken . Das machen wir
auch nicht mehr bei Menschen in Ausbildung, eine Situ-
ation, die mit einem Studium vergleichbar ist, sondern
geben diesen Menschen sechs Monate Zeit, um eine ad-
äquate Stelle zu finden.

Hinzu kommen die hunderttausend Arbeitsgelegen-
heiten in Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen, damit die-
se Menschen schon in der Erstaufnahme einer gemein-
nützigen, sinnvollen Beschäftigung nachgehen können .
Dafür stellt der Bund immerhin 300 Millionen Euro be-
reit. Geflüchtete wollen schließlich nicht herumsitzen.
Sie wollen, so schnell es geht, arbeiten, auch wenn es für
sie auf dem ersten Arbeitsmarkt noch keine Perspektive
gibt . Ich möchte hier einen großen Dank an die Arbeits-
ministerin Nahles aussprechen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es auch sehr gut – darüber haben wir schon
länger gesprochen –, dass wir Erstorientierungskurse für
Asylbewerber, unabhängig von ihrer Bleibeperspektive,
ihren Sprachkenntnissen und ihren Vermittlungsmöglich-
keiten, etablieren können . Aber erlauben Sie mir, dass ich
als Beauftragte hinzufüge: Es wird nicht reichen, in der
zweiten Jahreshälfte zwei Modellprojekte auf den Weg
zu bringen und abzufragen, welche Bundesländer mitma-
chen . Es sei mir erlaubt, dass ich das etwas kritisch an-
merke . Gerade Bayern hat uns schon vor zwei Jahren ge-
sagt: Das gibt es doch bei uns alles schon . Diese Projekte
könnten doch sofort in anderen Bundesländern durchge-
führt werden . – Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


wirklich allen einen Sprachkurs oder zumindest einen
Orientierungskurs ermöglichen könnten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass das nicht so ohne Weiteres geht, liegt daran, dass
wir keine gesetzliche Definition für die „gute Bleibeper-
spektive“ haben . Wir halten uns an die starren Schutz-
quoten von 50 Prozent . Es ist für keinen hier im Haus ein
Geheimnis, dass zum Beispiel der Anteil der Afghanen
mit 48 Prozent knapp unterhalb dieser Quote liegt und
wir gleichzeitig wissen, dass viele von ihnen, wenn nicht
die meisten, hierbleiben werden .

An der Stelle brauchen wir endlich eine gesetzliche
Definition dieser Bleibeperspektive, die sich natürlich an
der Realität orientieren muss, also daran, ob jemand tat-
sächlich bleiben wird, damit wir all denen auch Sprach-
kurse, Ausbildungsangebote etc . zukommen lassen kön-
nen . Ich glaube, in diesem Bereich sind noch weitere
Schritte möglich, wenn das Integrationsgesetz heute be-
schlossen wird . Man muss ja nicht auf der Stelle stehen
bleiben, wo man gerade ist .


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte einen letzten Punkt erwähnen: Auch das
BAföG sollte weiter geöffnet werden . Denn die Ausbil-
dungsförderung nach SGB III sollte auch für Drittstaats-
angehörige weiterhin gleich ausgestaltet sein .

Es ist ein guter Tag für die Integration, weil wir aus
der Vergangenheit gelernt haben . Ich hoffe, dass wir in
diesem Sinne weitermachen und gute weitere Schritte er-
möglichen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818317600

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818317700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sie sagen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf,
das sei ein Integrationsgesetz . Ich sage Ihnen: Das ist ein
Ausgrenzungsgesetz für Menschen, die bei uns Schutz
vor Krieg und Verfolgung suchen . So werden Sie die In-
tegration nicht bewältigen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie ignorieren praktisch komplett die Mahnungen
und Hinweise der Verbände, die tatsächlich mit Flücht-
lingen arbeiten . Sie unterstellen den Menschen, die zu
uns kommen, fehlenden Integrationswillen . Im Wesent-
lichen präsentieren Sie nur Verschärfungen, Kürzungen
und Sanktionen .


(Daniela Kolbe [SPD]: Wo kürzen wir denn was? Das ist doch lächerlich!)


Aber am schlimmsten ist: Sie geben damit der Auslän-
derfeindlichkeit am rechten Rand nach . Das ist genau der
falsche Weg, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Frau Zimmermann, Sie wissen es doch besser! Unverschämtheit!)


– Hören Sie mir zu, liebe Kollegin Mast! Dann können
Sie vielleicht noch ein bisschen lernen, gerade was 1-Eu-
ro-Jobs angeht . – Integration in den Arbeitsmarkt gelingt
eben nicht über 1-Euro-Jobs, und schon gar nicht über
die 80-Cent-Jobs . Das zeigt die Erfahrung, die wir in den
letzten Jahren gesammelt haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Die kommunalen Spitzenverbände haben zudem zu
Recht darauf hingewiesen, dass ein gewaltiger Verwal-
tungsaufwand auf sie zukommt, weil die Flüchtlinge
30 Euro weniger im Monat bekommen sollen . Dazu sagt
die Linke: Das ist völlig unsinnig .


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlingen bieten
keine Qualifikationsmöglichkeiten. Sie sind auch nicht
dazu geeignet, die deutsche Sprache zu erlernen . Wo sie
innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte stattfinden, wer-
den sie auch reguläre Beschäftigung verdrängen . Sinnvoll
wären stattdessen durchgehende Einstiegsqualifizierun-
gen mit Deutschkursen und verstärkte Anstrengungen,
die Berufsabschlüsse der Flüchtlinge anzuerkennen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Bundesrat wollte, dass Flüchtlinge rasch Zugang
zu Ausbildungsbeihilfe und zum Ausbildungsgeld erhal-
ten . „Rasch“ heißt sofort und nicht erst in 15 Monaten .
Das hat die Bundesregierung ebenso abgelehnt wie alle
anderen vom Bundesrat vorgeschlagenen Erleichterun-
gen zum Hochschulzugang . Das ist völlig unverständlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sind uns alle einig: Für Integration sind Sprach-
kenntnisse nötig . Aber statt allen Asylsuchenden Inte-
grations- und Sprachkurse anzubieten, bleibt das An-
gebot hinter dem Bedarf zurück . Wir brauchen circa
800 000 Plätze in den Integrationskursen, schätzt Pro
Asyl . Es ist aber nur Geld für 300 000 Menschen da . Da-
bei haben wir noch nicht einmal über die Qualität der
Kurse geredet .

Wer keinen Platz in einem Integrationskurs findet, der
gilt nach Ihrem Gesetzentwurf als integrationsunwillig
und wird dann mit Sanktionen bestraft .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Wo steht denn das? – Daniela Kolbe [SPD]: Lies das Gesetz doch mal! Das stimmt doch nicht!)


Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Integration zu
tun . Das ist Demütigung und Angstmache .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Matthias Bartke [SPD]: Was ist denn das für ein Gesetz, von dem Sie da reden?)


Staatsministerin Aydan Özoğuz






(A) (C)



(B) (D)


Die Linke fordert: Sanktionen für Flüchtlinge und
auch für Erwerbslose in Deutschland müssen endlich ab-
geschafft werden .


(Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Das ist doch Geschwätz!)


Ich komme zum Schluss . Wir brauchen frühzeitige
Sprachkurse, Qualifikationsangebote und sichere Bleibe-
perspektiven gerade für Menschen, die einen Beruf oder
eine Ausbildung aufgenommen haben, und eine schnel-
lere Anerkennung der Berufsabschlüsse . Nur so funkti-
oniert es .

Was Sie unter Fordern und Fördern verstehen, haben
wir bei Hartz IV gesehen . Die Linke fordert: keine Neu-
auflage von Hartz IV! Wir werden das auf gar keinen Fall
unterstützen .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818317800

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin kommt jetzt die

Kollegin Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sabine Weiss (CDU):
Rede ID: ID1818317900

Schönen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau
Zimmermann, vielleicht hören Sie jetzt einmal zu . Wir
hatten ja in den vergangenen Wochen ausgiebige Diskus-
sionen . Einfach mal zuhören und dann vielleicht verste-
hen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Integrationsgesetz stellt das Fördern und Fordern
in den Mittelpunkt . Es fördert die Integration und fordert
sie aber auch ein,


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wie bei Hartz IV!)


und zwar soll Integration durch schnellen Zugang zum
Arbeitsmarkt sowie durch die Verbesserung und den
Ausbau des Angebotes an Integrations- und Sprachkur-
sen gelingen . Das Integrationsgesetz fordert von den
Menschen, die zu uns kommen, diese Angebote aber
auch anzunehmen . Das ist gut, und es ist der richtige
Weg . Wichtig dabei ist: Wir wollen keine Konkurrenz zu
Langzeitarbeitslosen aufbauen, und das wird auch nicht
der Fall sein . Fast alle Maßnahmen, die Flüchtlingen
zugutekommen, stehen auch unseren Langzeitarbeitslo-
sen offen, und nur wenige Förderungen, die insbeson-
dere dem Spracherwerb dienen, sind ausschließlich für
Flüchtlinge .

Ich möchte einige Arbeitsmarktinstrumente für Lang-
zeitarbeitslose und Flüchtlinge hervorheben: Das sind
Praktika, Berufseinstiegsqualifizierungen, Lohnkosten-
zuschüsse, Arbeitsgelegenheiten, assistierte Ausbildung
und Weiterbildungsmaßnahmen nach dem SGB III .
Wenn ich mir so die Diskussionen der letzten Wochen
vor Augen halte: Ja, es ist richtig: Nicht jeder ist deshalb
ein guter Mensch, weil er ein Flüchtling ist . Deswegen
müssen wir einfordern, dass unsere Gesetze eingehalten

werden und dass das Leben in unserem Land eben nur
auf der Grundlage unserer Verfassung möglich ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und ja, es ist richtig: Wir brauchen große Anstren-
gungen, da viele von denen, die schon hier sind oder
die zu uns kommen, eine noch mangelhafte Bildung
und eine geringe berufliche Qualifikation besitzen. Gut
finde ich dabei, dass durch das Integrationsgesetz zahl-
reiche Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden . Diese
qualifizieren die Menschen nicht, Frau Zimmermann;
wir brauchen aber niederschwellige Arbeitsangebote, da
auch durch Arbeit Spracherwerb leichter möglich ist, und
Spracherwerb ist der zentrale Punkt für Integration .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wenn die nur ihre Heimatsprache sprechen können?)


Es ist auch richtig, dass noch nicht ausreichend Sprach-
kurse vorhanden sind . Hier müssen wir weiterhin mit
Hochdruck arbeiten, das wissen wir alle; und das ge-
schieht aber auch .

Meine Damen und Herren, wir reden und entscheiden
hier über Menschen, und dies braucht Zeit, Geduld und
einen kühlen Kopf . Es ist nicht nur einfach ein Schalter,
der umgelegt wird, und die Welt ist wieder so, wie sie
mal war – schön oder nicht . So wollen es uns allerdings
einige vormachen . Daher ist es für mich einfach uner-
träglich, wenn man, wie auch heute schon wieder ange-
klungen ist, die vielen – in meiner Region würde man
sagen – Rumnöler hört . Frau Zimmermann, ich sehe, Sie
teilen Ihre fünf Minuten auf, damit Frau Daǧdelen gleich
auch noch zwei Minuten Zeit hat – Gott sei Dank nur
zwei –, um auch mal wieder rumzunölen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja wieder mal sehr feministisch!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
da freuen sich die Rechten . Immer wieder wird gesagt:
Klappt doch alles nicht, alles wird falsch gemacht . – Un-
ser Land wird schlicht schlechtgeredet und leider auch
oft schlechtgeschrieben . Es gibt erhebliche Anfeindun-
gen und Angriffe gegen Flüchtlinge und gegen ihre Un-
terstützer, die vielen ehrenamtlichen Menschen, denen
man in unserem Land nur dankbar sein und auf die man
stolz sein kann .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Außerdem wird zum Teil kübelweise Hass im Internet
und in den sozialen Medien ausgeschüttet . In der letzten
Woche war ich bei der Bundesagentur für Arbeit meines
Wahlkreises . Dort werden zurzeit circa 1 000 Flüchtlinge
betreut . Die Geschäftsführerin berichtete mir: Erstens .
Die meisten dieser Menschen sind hoch motiviert . Zwei-
tens . Sie wollen die deutsche Sprache schnell erlernen .
Drittens . Sie wollen schnell in Arbeit kommen . Vor al-
lem aber viertens sind sie glücklich, Krieg und Bomben

Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


entkommen zu sein und jetzt in unserem Land leben zu
dürfen .

Ich war, bevor ich Mitglied des Deutschen Bundesta-
ges wurde, zehn Jahre Bürgermeisterin . Als Bürgermeis-
terin habe ich immer wieder Kitas und Schulen schließen
müssen, weil schlicht keine Kinder mehr da waren . Jetzt
wird in meinem Wahlkreis – genauso wie in vielen an-
deren Kommunen – darüber nachgedacht und zum Teil
schon geplant, neue Kitas und Schulen zu bauen. Ich fin-
de, das sind auch mal gute Nachrichten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht .
Klar ist: Wir können nicht alle diese Menschen aufneh-
men . Wir müssen hier eine Auswahl treffen . Diejenigen,
die wirklich Schutz vor Krieg suchen, sollen bleiben dür-
fen. Den Armutsflüchtlingen muss man in den Herkunfts-
ländern helfen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Indem Sie Ihre Panzer da hochschicken!)


Das tun wir schon seit vielen Jahren, unter anderem in
der Entwicklungspolitik . Eine Begrenzung ist also zwin-
gend notwendig .

Nun sollen Marokko, Tunesien und Algerien zu si-
cheren Herkunftsländern erklärt werden, damit die Asyl-
verfahren schneller abgeschlossen werden können . Hier
blockiert plötzlich – unverständlich – die SPD-geführte
Landesregierung von NRW. Das ist mir unbegreiflich.


(Katja Mast [SPD]: Und die mit CDU-Beteiligung in Baden-Württemberg!)


Diese Landesregierung hat durch ihren Innenminister
Jäger im Januar


(Katja Mast [SPD]: CDU Baden-Württemberg!)


– das war nach den Vorfällen in der Silvesternacht in
Köln – über die Migranten aus den Maghreb-Staaten ge-
sagt, sie seien eine Problemklientel, und hat dann ein-
seitig einen Aufnahmestopp für diese Gruppe in NRW
erklärt . Bei der Einstufung dieser Länder zu sicheren
Herkunftsländern blockiert NRW nun. Ich finde, das ist
grotesk und aus meiner Sicht unverantwortlich und im
Übrigen gegen die Entscheidung der SPD-Bundestags-
fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wirken
Sie noch einmal auf die Ministerpräsidentin Frau Kraft
ein .


(Katja Mast [SPD]: Was macht denn Herr Strobl in Baden-Württemberg? Ein bisschen billig, Frau Weiss!)


Wir haben mit dem vorliegenden Integrationsgesetz
ein gutes Gesetz vorgelegt . Ich freue mich, dass wir das
heute zum Abschluss bringen können . Wir werden damit
Erfolg haben .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818318000

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818318100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Weiss, Sie haben recht: Nicht jeder ist ein guter Mensch,
weil er ein Flüchtling ist . Ich habe sogar lernen müssen:
Nicht jeder ist ein schlechter Mensch, nur weil er in der
CDU ist .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Toll! Super! Ganz geile Erfahrung! Glückwunsch! Sie kriegen nachher von mir einen Bonbon!)


Frau Weiss, Sie haben eine Chance vertan, auch wenn
der vorliegende Gesetzentwurf einige positive Elemente
enthält; das will ich gar nicht bestreiten . Aber ein Gesetz,
das die Hälfte der Asylbewerber von Integrationsange-
boten ausschließt, hat sein Ziel nicht erreicht . Das ist ein
schlechtes Gesetz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Tatsächlich sind wir im Begriff – ich zitiere die Integrati-
onsbeauftragte der Bundesregierung –, „sehenden Auges
die Fehler der Vergangenheit“ zu wiederholen. Ich finde,
damit hat Frau Özoǧuz ausdrücklich recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die entscheidende Frage lautet nur, warum ihr das erst
jetzt auffällt. Wo war eigentlich Frau Özoǧuz bis jetzt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mit dem Festhalten an der diskriminierenden Eintei-
lung der Flüchtlinge nach guter bzw . schlechter Bleibe-
perspektive verhindern Sie ausdrücklich die Integration
von mehr als der Hälfte der Flüchtlinge . Nur weil Sie den
Menschen aus Afghanistan, Somalia und dem Sudan das
Label „schlechte Bleibeperspektive“ verpassen, bleibt
die Vielzahl dieser Menschen hier; das wissen Sie doch
auch . Das Einzige, was sich durch dieses Label verän-
dert, ist, dass sich die Integrationschancen dieser Men-
schen verschlechtern, und zwar rapide . Das ist nicht nur
ein Drama für die betroffenen Menschen, die im Grunde
ihren Integrationsehrgeiz nicht befriedigen können – die-
ser verwandelt sich dann in Frustration –, sondern das
treibt auch die Kosten enorm in die Höhe .

Das ist besonders dramatisch, weil Sie mit dieser
Politik die gesellschaftliche Unterstützung, die wir im-
mer noch haben, aufs Spiel setzen . Sie treiben die Be-
troffenen in die Schwarzarbeit und in die Illegalität und
schaffen damit erst die Probleme, die die AfD mit ihren
rechtspopulistischen Äußerungen heraufbeschwört . Das
ist schlechte Politik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daran werden die 100 000 Arbeitsgelegenheiten auch
nichts ändern . Es ist und bleibt das falsche Instrument,

Sabine Weiss (Wesel I)







(A) (C)



(B) (D)


weil es qua Definition arbeitsmarktfern ist. Aber ich
habe in der letzten Ausschusssitzung gelernt, dass die
Arbeitsmarktintegration gar nicht das Ziel ist . Sie neh-
men 300 Millionen Euro in die Hand, um den Flücht-
lingen die Langeweile zu vertreiben . So haben Sie das
im Ausschuss erklärt . Aber die Flüchtlinge wollen keine
Beschäftigungstherapie . Sie wollen etwas lernen, und sie
wollen arbeiten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit 300 Millionen Euro könnten wir Sprachkurse und
Qualifizierung finanzieren. Dieses Geld wäre besser bei
den Flüchtlingen angelegt, selbst wenn sie in ihre Hei-
matländer zurückkehren . Dann könnten sie einen bes-
seren Beitrag zum Aufbau zu Hause leisten . Das wäre
tatsächlich hilfreich bei der Fluchtursachenbekämpfung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sehr geehrte Frau Nahles, Sie haben in der Vergangen-
heit, wie ich finde, mit Verve und zu Recht dagegen ge-
kämpft, dass es eine Mindestlohnabsenkung für Flücht-
linge gibt . Aber dass jetzt ausgerechnet Sie ein extra
Billigangebot bei den Arbeitsgelegenheiten für Flücht-
linge schaffen, empfinde ich als eine Schande.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da werden die 1,50 Euro, die die deutschen Langzeit-
arbeitslosen erhalten, für die Flüchtlinge auf 80 Cent
abgesenkt . Sie schaffen ein Zweiklassensystem . Das ist
hochgradig diskriminierend .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsäglich!)


Ich hätte mir nie vorstellen können, dass eine sozialde-
mokratische Arbeitsministerin das macht . Was setzen Sie
damit für ein Signal!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Zweiklassensystem setzen Sie bei den Sank-
tionen fort . Die Sanktionen, die Sie für die Flüchtlinge
vorsehen, sind deutlich härter als das, was wir aus dem
SGB-II-System kennen. Ich finde, das ist wirklich eine
Schande .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Lassen Sie mich noch Folgendes sagen: Was haben
eigentlich Verschärfungen im Asyl- und im Aufenthalts-
recht in einem Integrationsgesetz zu suchen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist doch Etikettenschwindel . Sie schaffen zusätzli-
che Unsicherheit bei den Betroffenen . Bekanntermaßen
ist Unsicherheit Gift für die Integration .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das schafft Verhaltenssicherheit!)


Die Integration von Hunderttausenden von Flüchtlin-
gen in den Arbeitsmarkt ist eine riesige Herausforderung,
deren Bewältigung Jahre in Anspruch nehmen wird . Wir
bräuchten dafür eigentlich ein richtig konsistentes Inte-

grationskonzept . Aber Ihr Gesetz ist vom Geist der Ab-
schreckung und der Ausgrenzung durchzogen . Dem wer-
den wir unsere Zustimmung jedenfalls nicht geben .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818318200

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Josip

Juratovic für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1818318300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-

legen! Ein gutes Integrationsgesetz muss beide Seiten
berücksichtigen: die der Flüchtlinge und Zuwanderer,
die in unserer Gesellschaft ankommen und dazu faire
Bedingungen erhalten müssen, und die der Mehrheitsge-
sellschaft, die ihre Türen verantwortungsbewusst öffnet,
um ebenjene Menschen aufzunehmen .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da hat er recht!)


Für mich als Integrationsbeauftragten der SPD-Frakti-
on sind beide Seiten gleichermaßen wichtig . Das Integra-
tionsgesetz, das SPD und Union erarbeitet haben, kommt
beiden Seiten gleichermaßen entgegen . Natürlich gibt
es auch öffentlich umstrittene Punkte . Es wäre auch ein
Wunder, wenn es nicht so wäre; denn schließlich ist dies
ein Kompromiss unterschiedlicher politischer und gesell-
schaftlicher Interessen .

Das gilt zum Beispiel für die Wohnsitzauflage. Man-
che Stimmen meinen, Flüchtlinge müssten selbst ent-
scheiden können, wo sie ankommen . Wenn sie bei Ver-
wandten oder ihrer Community Unterschlupf finden, sei
das schon ein erster Schritt in Richtung Integration . Viele
der Flüchtlinge bevorzugen als ihren neuen Lebensmit-
telpunkt Großstädte, weil sie meinen, sie hätten dort grö-
ßere Chancen als im ländlichen Raum .

Ich selbst kam mit 15 nach Deutschland in eine Klein-
stadt im baden-württembergischen Ländle . Es war das
Beste, was mir passieren konnte . Die Welt ist klein und
überschaubar . Wenn man Anschluss sucht, sei es in einem
Verein oder einer Initiative, kann man schnell in Kontakt
mit Menschen kommen; man ist sofort mittendrin . Ich
will nichts beschönigen: Auch in einer Dorfgemeinschaft
ist man drin oder eben draußen, wenn es schlecht läuft .
Aber man hat alle Chancen der Welt, schnell und direkt
Teil der Gesellschaft zu werden, zumal wenn auf kom-
munaler Ebene ausreichend Angebote an Sprach- und
Integrationskursen vorhanden sind; das Angebot solcher
Kurse ist ja auch Teil des Gesetzes .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch hier kommen wir mit diesem Gesetz den Bedürf-
nissen der Menschen entgegen .

Brigitte Pothmer






(A) (C)



(B) (D)


Länder und Kommunen baten dringend um gezieltere
Steuerungsmöglichkeiten . Sie möchten Flüchtlinge bes-
ser versorgen, aber sich stellenweise auch entlasten . Die-
se Möglichkeit bekommen sie jetzt .

Kolleginnen und Kollegen, das Integrationsgesetz sen-
det somit deutlich positive Signale in alle gesellschaftli-
chen Gruppen . Der Staat stellt sich seiner Verantwortung
und wird den aktuellen Erfordernissen gerechter . Auch
die vielen freiwilligen Helfer, die stillen Helden in un-
serem Land, die Flüchtlinge in so großer Zahl unterstüt-
zen, sollten sich durch das Gesetz und die institutionelle
Unterstützung ermutigt und nicht alleingelassen fühlen .
Doch für mich ist es auch sehr wichtig, dass sich Inte-
gration und Teilhabe nicht nur um Flüchtlinge drehen;
denn Integration funktioniert nur dann, wenn sich keine
Bevölkerungsgruppe benachteiligt fühlt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Abschließend möchte ich betonen: Ja, das Integrati-
onsgesetz geht in die richtige Richtung, und ich hoffe,
dass es schnell umgesetzt wird . Aber unsere Gesellschaft
braucht mehr, um Zuwanderung zu regeln . Deshalb ist
das Integrationsgesetz erst der Anfang, dem ein Einwan-
derungsgesetz dringend folgen muss .


(Beifall bei der SPD)


Ich bitte um Zustimmung .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818318400

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die

Kollegin Sevim Dağdelen das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818318500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist schon interessant, dass jetzt der Oppo-
sition Kritik an einem Gesetzentwurf der Regierung
vorgeworfen wird . Aber ich möchte Sie von der CDU/
CSU doch wirklich bitten: Hören Sie lieber den Kirchen,
Wohlfahrtsverbänden und Flüchtlingsorganisationen zu .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jeden Sonntag höre ich der Kirche zu!)


All das sind Organisationen, die dieses Gesetz massiv
kritisiert haben . All das sind aber die Organisationen,
die den Flüchtlingen ihre Ankunft hier so angenehm wie
möglich zu organisieren versucht haben, nachdem der
Bund die Länder und die Kommunen im Stich gelassen
hatte, nachdem zuvor die Kanzlerin die Flüchtlinge nach
Deutschland eingeladen hat . Das war doch das Problem .
Diese Organisationen haben in den Kommunen die Inte-
gration möglich gemacht . Selbst Ihre Integrationsbeauf-
tragte hat noch heute in der Presse dieses Gesetz kritisiert
als ein Gesetz, das die Integration von Migrantinnen und
Migranten zu beinträchtigen droht . Das ist doch ein Ar-

mutszeugnis ohnegleichen . Die Integrationsbeauftragte
kritisiert ein Gesetz, das Sie Integrationsgesetz nennen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte einen zweiten Punkt anmerken. Ich finde
besonders schlimm, welche Verschärfungen Sie noch in
letzter Sekunde in diesem Gesetz vorgenommen haben .
Im Kabinettsentwurf war vorgesehen, dass die umstritte-
ne Zuweisung des Wohnortes dann entfallen kann, wenn
ein Flüchtling einen angemessenen Wohnraum oder eine
Beschäftigung woanders nachweisen kann . Die Möglich-
keit, sich selbst angemessenen Wohnraum zu suchen und
an diesen Ort ziehen zu dürfen, wurde per Änderungsan-
trag der Großen Koalition einfach mal gestrichen . Das
heißt, dass die Wohnsitzauflage bestehen bleibt, selbst
wenn sich die Betroffenen erfolgreich um Alternativen
gekümmert haben . Da frage ich Sie: Glauben Sie wirk-
lich, dass es die Integration fördert, wenn die Flüchtlinge
nicht für sich selbst sorgen können? Ich halte es wirklich
für abenteuerlich, die Eigeninitiative von Flüchtlingen
dermaßen zu bestrafen . Allein schon an diesem Bei-
spiel zeigt sich, dass es Ihnen nicht um die Integration
von Flüchtlingen geht, sondern um die Gängelung von
Flüchtlingen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja Wahnsinn!)


und das finden wir inakzeptabel, meine Damen und Her-
ren .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind dafür, Eigeninitiative und Integrationsbemü-
hungen von Flüchtlingen nicht zu erschweren; anderen-
falls schaffen Sie nur Ausgrenzung und Ghettoisierung .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Zwei Minuten Verwirrung!)


Deshalb hat die Integrationsbeauftragte dieser Bundesre-
gierung recht . Dies ist kein Integrationsgesetz;


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was, Frau Özoğuz?)


das Gesetz wird Desintegration befördern .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818318600

Vielen Dank . – Nächste Rednerin für die CDU/

CSU-Fraktion ist die Kollegin Cemile Giousouf .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Cemile Giousouf (CDU):
Rede ID: ID1818318700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Erinnern Sie sich noch an die Diskussionen vor einem
Jahr? Da haben wir alle in unseren Fraktionen darüber
diskutiert, wie wir die Kommunen unterstützen können,
damit sie die Kriegsflüchtlinge versorgen können – mit
einer Unterkunft, mit einer Erstaufnahme . Es ging da-
rum, dass die Asylanträge schneller bearbeitet werden

Josip Juratovic






(A) (C)



(B) (D)


sollen . Und heute? Heute reden wir über ein Gesetz, das
Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns geflohen sind,
dabei helfen soll, in der Zeit, in der sie hier leben, Teil
unserer Gesellschaft zu sein .

In so kurzer Zeit hat unser Innenminister gemein-
sam mit der Arbeitsministerin ein Gesetz auf den Weg
gebracht, in dem es um Integration und Teilhabe geht .
Während andere europäische Länder sich noch immer
weigern, Menschen auch nur Unterschlupf zu geben,
streiten wir heute darum, wie wir Bleibeberechtigte am
besten und schnellsten integrieren können . Dazu möchte
ich uns allen gratulieren; es zeigt doch sehr, was wir un-
ter Verantwortung verstehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Heute verabschieden wir das erste Integrationsgesetz
Deutschlands . Das Gesetz ist wirklich ein Meilenstein,
wie die Bundeskanzlerin es gesagt hat . Dieses Gesetz
zeigt, dass wir keine Zuwanderung ohne Integration
mehr wollen und in diesem Land auch nicht mehr ha-
ben werden . Anerkannte Flüchtlinge unterstützen wir,
aber Integration braucht eben auch Regeln . Regeln haben
wir in allen gesellschaftlichen Bereichen, und deswegen
brauchen wir sie auch im Bereich der Integration .

Es ist ein Gesetz der Partnerschaftlichkeit . Wenn wir
den Flüchtlingen sagen, dass wir auch etwas von ihnen
erwarten, nehmen wir sie als eigenverantwortliche Men-
schen ernst . Wir beziehen sie auf Augenhöhe in unsere
Gesellschaft ein, weil wir sie nicht nur paternalistisch
versorgen wollen .

Die Kollegen von der Opposition haben einige Punkte
kritisiert . Es ist ihr Recht .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Danke sehr! Sagen Sie doch mal was inhaltlich Neues!)


Aber schauen wir uns die Verhältnismäßigkeit an! Sie,
Frau Dağdelen, bezweifeln – das haben Sie eben noch
einmal deutlich gemacht –, dass die Wohnsitzauflage die
Integration überhaupt fördern könne . Experten des Sach-
verständigenrates sagen – also nicht nur die Politiker –:
Wenn etwas Integration am meisten befördert, dann sind
es Sprache und Arbeit . Deshalb ist es auch richtig, dass
die Flüchtlinge dorthin ziehen, wo sie eine Arbeit be-
kommen, wo sie Integrationskurse bekommen und die
Sprache lernen können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


An einer Stelle muss ich Frau Dağdelen allerdings
recht geben . Es hat auch mich etwas irritiert, heute in der
Presse zu lesen, dass selbst die Staatsministerin für Inte-
gration das Gesetz kritisiert hat .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Ihre Koalition schon zu Ende?)


In ihrer Rede hat sich das alles anders angehört .


(René Röspel [SPD]: Sie will etwas, das schon gut ist, besser machen!)


Ich glaube, dass es einen faden Beigeschmack bei
unseren Bürgerinnen und Bürgern hinterlässt, wenn wir

nicht geschlossen hinter diesem Gesetz stehen . Wir soll-
ten nach außen die klare Botschaft senden,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


dass dieses Gesetz hilft und herausfordern kann:


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])


Wir fordern die Menschen auf, die Sprache zu lernen .
Aber wir stellen natürlich auch die Angebote dafür zur
Verfügung. Allein in diesem Jahr fließen 250 Millionen
Euro zusätzlich für die Integrationskurse . Wir heben den
Stundensatz für Integrationslehrer an .


(Katja Mast [SPD]: Wie lange haben wir dafür gekämpft!)


Wir erweitern mit dem Integrationsgesetz außerdem die
Orientierungskurse von 60 auf 100 Stunden . Dabei legen
wir verstärkt Wert darauf, dass unsere Grundrechte und
die Gleichberechtigung von Männern und Frauen bes-
ser erklärt werden . Das kommt übrigens besonders den
Flüchtlingsfrauen selbst zugute .

Ganz wichtig für uns: Die Hälfte der Flüchtlinge sind
zwischen 18 und 27 Jahre alt . Es sind junge Menschen,
die wir frühzeitig unterstützen können, einen Beruf zu
erlernen . Der Arbeitsmarkt kann das auch schaffen . Im
Moment haben wir in Deutschland 41 000 offene Aus-
bildungsplätze .

Auch für Geduldete schaffen wir Rechtssicherheit .
Wer eine Ausbildung beginnt, soll für die gesamte Dauer
in Deutschland bleiben dürfen . Die bislang bestehende
Altersgrenze zu Beginn der Ausbildung fällt weg . Da,
wo die Arbeitslosigkeit niedrig ist, können die Länder
entscheiden, auf die Vorrangprüfung zu verzichten – eine
Forderung, die oft von Unternehmen kam .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum dann nicht vollkommen?)


Nun beschweren sich die Kollegen der Grünen immer
noch darüber, dass wir die berufsvorbereitenden Maß-
nahmen für Geduldete erst nach sechs Jahren zugäng-
lich machen . Da frage ich mich schon bei so manchem
Beitrag, ob Sie überhaupt wissen, wer Geduldete sind .
Geduldete sind Menschen, deren Asylantrag abgelehnt
wurde .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die teilweise über Jahrzehnte nicht abgeschoben werden!)


Hinzu kommt: Nur 0,6 Prozent der Asylentscheidungen
in diesem Jahr endeten mit einer Duldung . Über wie viele
Menschen reden wir also? Wer als Geduldeter einen Aus-
bildungsplatz findet, hat auch Zugang zu allen Unterstüt-
zungsmaßnahmen . Nur die berufsvorbereitenden Maß-
nahmen haben diese Koppelung an den Arbeitsmarkt
nicht, sondern finden allein bei einem Bildungsträger
statt . Deshalb habe ich kein Verständnis dafür, dass Sie
ein Gesetz schlechtreden,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie bei der Anhörung dabei?)


Cemile Giousouf






(A) (C)



(B) (D)


das 99 Prozent der Betroffenen unterstützt, nur weil Sie
meinen, dass weniger als 1 Prozent der Menschen nicht
schnell genug geholfen wird . Also bei allem Respekt:
Das ist einfach Quatsch .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Insgesamt sieht der Finanzplan für dieses Jahr zu-
sätzlich rund 10 Milliarden Euro für die Aufnahme der
Flüchtlinge und die Bekämpfung von Fluchtursachen
vor . Wer all das, was wir gemacht haben und jetzt auch
vorhaben, gebetsmühlenartig schlechtredet, selbst gegen
Expertenmeinungen und Erläuterungen, der betreibt das
Geschäft der Angstmacher .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte?)


Stellen Sie sich doch einmal hinter die Menschen dieses
Landes, und stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818318800

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kol-

legin Katja Mast das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1818318900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen!

Wenn wir mehr für die Integration tun, dann tun wir
das nicht nur für die Betroffenen, für die zu Integrie-
renden, sondern für uns alle .


(Beifall bei der SPD)


So hat das Johannes Rau 2001 auf den Punkt gebracht .

Dieses Integrationsgesetz ist ein Zukunftsgesetz und
ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Zuwande-
rungsgesetz .


(Beifall bei der SPD)


Um vom Fremden zum Nachbarn, zum Kollegen, zum
Vereinsmitglied zu werden, ist die Integration in Arbeit
und Ausbildung der beste Weg, weil Arbeit Teilhabe ist;
davon sind wir in der SPD überzeugt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht nur Sie!)


Arbeit und Ausbildung sind Dreh- und Angelpunkt für
alle Integrationsbereiche, für Sprache, Bildung und so-
ziale Teilhabe .

Lassen Sie mich ein Beispiel aus dem Gesetz her-
ausgreifen, welches das verdeutlicht . Jeder geduldete
Flüchtling kann künftig eine Ausbildung machen . Für
ihn und seinen ausbildenden Betrieb ist klar, wie lange
er oder sie hierbleiben darf: drei Jahre für die Ausbildung
und zwei Jahre für die Weiterbeschäftigung . Das ist gut

und wichtig, weil sich jetzt für den Betrieb die Ausbil-
dung lohnt; denn die Betriebe bilden für sich selbst aus .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit ist endlich Schluss mit der Unsicherheit für alle
Beteiligten .

Mit Ausbildungsbegleitenden Hilfen und Assistierter
Ausbildung stehen Instrumente der Bundesagentur für
Arbeit schneller zur Verfügung, um das Ausbildungsver-
hältnis zu stabilisieren .

Neu ist auch, dass jetzt der Ausbildungsvertrag das
Aufenthaltsrecht klärt und nicht mehr, wie bisher, das
Ausländeramt . Das ist für alle Beteiligten unbürokrati-
scher und am Ende auch besser .


(Beifall bei der SPD)


Bei einem Ausbildungsabbruch – das hat die SPD in
den Verhandlungen durchgesetzt; darauf lege ich schon
viel Wert; das haben bisher alle vergessen zu sagen –,
kann künftig einmalig sechs Monate nach einem neuen
Ausbildungsplatz gesucht werden . Das ist deshalb so
wichtig, weil jeder vierte Ausbildungsvertrag aufgelöst
wird, meist durch Abbruch . Dieses Verhältnis wollen wir
nicht mit ausländerrechtlichen Fragen belasten . Insofern
ist auch das ein großer Erfolg .


(Beifall bei der SPD Vor dem Hintergrund, dass 70 Prozent der geflüchteten Menschen, die zu uns kommen, unter 30 Jahre alt sind, ist dieses Integrationsgesetz ein Ausbildungsförderprogramm erster Güte, und das ist auch gut so . Deshalb danke ich insbesondere unserer Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und ihrem Haus . Sie hat Wert darauf gelegt, dass es in Deutschland bei der Integration durch Arbeit endlich einen Meilenschritt nach vorne geht . (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Jawohl! Das stimmt, Frau Özoğuz!)


(Beifall bei der SPD)


Warum ist das der wichtigste Schritt auf dem Weg
zum Zuwanderungsgesetz? Weil zum ersten Mal beim
Bleiberecht nicht mehr danach gefragt wird, wo jemand
steht, sondern danach, wohin jemand will . Und das ist
der Schritt in Richtung Zuwanderungsgesetz .


(Beifall bei der SPD)


Kurzum: Nie waren die Rahmenbedingungen für das
Gelingen von Integration – vom Fremden zum Nachbarn,
zum Kollegen und zum Vereinsmitglied – so gut, wie sie
es mit diesem Integrationsgesetz zukünftig sein werden .
Das ist ein gutes Gesetz . Geben Sie ihm Ihre Stimme!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber ein langer Werbeblock!)


Cemile Giousouf






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818319000

Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Andrea Lindholz von der
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1818319100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute
wollen wir mit diesem Integrationsgesetz die Integration
der schutzberechtigten Menschen verbindlicher gestal-
ten . Wir verbessern mit dem Integrationsgesetz aber nur
den gesetzlichen Rahmen . Den Integrationswillen des
Einzelnen kann der Staat nicht ersetzen . Er lebt hier von
Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann . Ohne
die vielen Verantwortlichen vor Ort und ohne die vielen
ehrenamtlichen Helfer, die heute als Lotsen den Weg in
die deutsche Gesellschaft weisen, könnte die schwierige
Integrationsarbeit nicht gelingen . Sie übernehmen nach
wie vor Tag für Tag Verantwortung, und dafür gebührt
ihnen unser Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Kollegin Zimmermann, Ihrem Vorwurf, man
kümmere sich nicht um die Menschen, die hierherkom-
men, widersprechen die vielen Menschen, die sich tag-
ein, tagaus darum kümmern . Dem widersprechen aber
auch die Zahlen: Die Finanzminister der Länder rechnen
für die Versorgung und Integration mit zusätzlichen Kos-
ten in Höhe von jährlich mindestens 20 bis 30 Milliarden
Euro. Das Bundesfinanzministerium rechnet bis 2020
mit knapp 94 Milliarden Euro . Es kann also keine Rede
davon sein, dass man sich in Deutschland nicht um die
Menschen kümmert .

Wir legen mit diesem Gesetz den Fokus nach wie vor
ganz bewusst auf die Integration der Schutzberechtigten .
Rund ein Drittel der Asylbewerber wird nach wie vor
abgelehnt; bei ihnen steht die Ausreise im Vordergrund .
Wir erwarten in diesem Jahr 550 000 Neuanmeldungen
für Integrationskurse . Im letzten Jahr waren es im Ver-
gleich dazu 180 000 . Die Bundesmittel hierfür sind auf
558 Millionen Euro verdoppelt worden . Der Zugang zu
diesen Kursen kann nicht beliebig ausgeweitet werden .
Wir müssen uns auf die wirklich Schutzberechtigten kon-
zentrieren .

Unsere Integrationspolitik folgt dem Prinzip des
Förderns und Forderns . Wir fördern in den Bereichen
Sprache, Ausbildung und Arbeit, und wir fordern die
Inanspruchnahme der Integrationsangebote . Die Kurse
müssen zügiger angetreten und durchgeführt werden .
Wenn jemand die Integrationskurse nicht ordnungsge-
mäß absolviert,


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir nie herausfinden!)


gemeinnützige Arbeit, die ihm zumutbar ist, nicht akzep-
tiert oder gegen die Mitwirkungspflichten verstößt, dann
können Leistungen im Einzelfall auch gekürzt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich halte das auch für richtig . Es geht darum, zu fördern,
aber auch zu fordern .

Flüchtlinge können sich auch nicht mehr, wie bisher,
eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis ersitzen . Wir le-
gen fest, dass Schutzberechtigte, die länger bei uns blei-
ben wollen, nach fünf Jahren bestimmte Sprachkennt-
nisse vorweisen und ihren Lebensunterhalt größtenteils
selbst bestreiten müssen, bevor sie ein dauerhaftes Auf-
enthaltsrecht erhalten . Wir verbessern auch die Steue-
rung der Integration. Mit der Wohnsitzauflage können
die Länder anerkannten Flüchtlingen für drei Jahre einen
festen Wohnsitz zuweisen .

Frau Dağdelen, ich habe den Eindruck, Sie haben
nicht allen Sachverständigen und auch nicht den Ver-
tretern der kommunalen Spitzenverbände zugehört . In
der Anhörung haben sie diese Forderung noch einmal
ganz klar formuliert . Unsere Kommunen brauchen die
Wohnsitzauflage zur Steuerung. Dazu gehören Wohnen
und Arbeit . Flüchtlinge müssen und sollen dahin gelotst
werden, wo es Wohnraum und Arbeit gibt, um soziale
Brennpunkte und Ghettobildung zu vermeiden . Selbst-
verständlich sind Ausnahmen möglich, zum Beispiel aus
familiären Gründen oder wenn man anderswo eine Ar-
beit findet.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit der Drei-plus-zwei-Regelung kommen wir einer
Forderung insbesondere der Arbeitgeber nach . Die Drei-
plus-zwei-Regelung besagt, dass Betriebe mehr Rechts-
sicherheit erhalten, wenn sie abgelehnte Asylbewerber
bei sich aufnehmen und ihnen einen Berufsausbildungs-
platz bewilligen . Das ist in Bezug auf unser bisheriges
migrationspolitisches Verständnis, nämlich keinen Spur-
wechsel zwischen der Arbeitsmigration und dem Asyl-
system vorzunehmen, eine Veränderung . Wir gehen diese
Veränderung mit, weil wir die Notwendigkeit sehen, für
die Auszubildenden und die Betriebe mehr Rechtssicher-
heit zu schaffen . Aber das darf keine dauerhafte Abwei-
chung von unserem Prinzip werden .

Ich halte es für erforderlich und wichtig, dass die Be-
triebe, die es jetzt in der Hand haben, ob ein abgelehnter
Asylbewerber ein Aufenthaltsrecht bekommt, melden
müssen, wenn die Ausbildung abgebrochen wird . Das
haben wir geregelt . Der Abbruch der Ausbildung muss
nicht unverzüglich, aber binnen sieben Tagen gemeldet
werden . Mit diesen Änderungen haben wir Rechtssicher-
heit geschaffen . Die Union hat sich auch mit der Forde-
rung durchgesetzt, dass, wenn konkrete aufenthaltsbeen-
dende Maßnahmen bevorstehen, keine Möglichkeit mehr
besteht, auf diesem Weg ein Bleiberecht zu erhalten .
Auch das ist wichtig und richtig .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818319200

Sie kommen dann bitte zum Schluss .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das klang aber flehentlich!)







(A) (C)



(B) (D)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1818319300

Unser Kurs in der Asylpolitik ist damit klar: Wir för-

dern und fordern die Integration der Schutzberechtigten .
Ein Mehr kann man sich immer wünschen . Die Innenpo-
litiker wünschen sich manchmal ein Weniger . Trotzdem
sage ich: Es ist ein gutes Gesetz . Ich bitte Sie heute, die-
sem Gesetz zuzustimmen . Es enthält viele gute Ansätze .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818319400

Vielen Dank . – Ich schließe damit die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD sowie von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwürfe eines Integrationsge-
setzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9090, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8615 sowie
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/8829 und 18/8883 zusammenzuführen und in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Enthaltung bei der SPD!)


Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/9103 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abge-
lehnt .

Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Druck-
sache 18/9090 fort .

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6644 mit dem
Titel „Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen,
Integration befördern und Lohndumping bekämpfen“ .
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke

bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen .

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7653 mit
dem Titel „Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge – Praxis-
nahe Förderung von Anfang an“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/7651 mit dem Titel „Integration ist gelebte De-
mokratie und stärkt den sozialen Zusammenhalt“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen .

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 18/9101 .

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6198
mit dem Titel „Zugang zu Bildung und Ausbildung für
junge Flüchtlinge sicherstellen“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/6345 mit dem Titel „Vielfalt stärkt
Wissenschaft – Studienchancen für Flüchtlinge schaf-
fen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Opposition angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 18/9022 .

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/6192 mit dem Titel
„Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7049 mit dem Titel „Mehr Bildungs-
gerechtigkeit für die Einwanderungsgesellschaft – Damit
Herkunft nicht über Zukunft bestimmt“ . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –






(A) (C)



(B) (D)


Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W .
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on DIE LINKE

Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver
Schulen fördern

Drucksache 18/8420
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W .
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on DIE LINKE

Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver
Bildung in der Kindertagesbetreuung umset-
zen

Drucksache 18/8889
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Dazu höre ich
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen . – Ich
eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Dr . Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818319500

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Seit 2009 haben wir uns verpflichtet, In-
klusion in der gesamten Gesellschaft umzusetzen . Die
Voraussetzungen dafür muss die Politik schaffen, also
wir . Da haben wir noch ein großes Stück Arbeit vor uns .
Wie weit wir davon noch in der Bildung entfernt sind,
sollen zwei Beispiele belegen .

Erstes Beispiel . Eine Familie im Harz möchte ihr
zweijähriges behindertes Kind in einer Regelkita in
Wohnortnähe betreuen lassen . Diese Kita ist auch auf-
nahmebereit . Doch das zuständige Jugendamt verweist
die Familie auf eine besondere Kita am anderen Ende des
Harzes . Dort sind bereits andere Kinder mit Handicaps in
Betreuung . – Das ist nicht Inklusion, sondern Exklusion,
Ausgrenzung .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist zudem eine zusätzliche Belastung für das Kind und
seine Familie .

Zweites Beispiel . Ein junger Mann aus dem Süden
Sachsen-Anhalts hat eine diagnostizierte Lese- und
Rechtschreibstörung; die behält man sein ganzes Leben .
In der Schule wurde seine besondere Situation zunächst
nicht beachtet . Es kam zu einem Schulwechsel . Dort wur-
de dann seine Rechtschreibleistung nicht mehr bewertet .
Das ist bis zur 10 . Klasse möglich, und das ist auch so
gehandhabt worden . Der junge Mann hat sich bis zur
gymnasialen Oberstufe durchgekämpft; aber dort ging
das dann nicht mehr . Das ist nicht nur in Sachsen-Anhalt
so, sondern auch noch in 14 anderen Bundesländern .


(Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!)


Die Folge: Das Abitur fiel entsprechend schlechter aus,
was zu unnötigen Wartesemestern bei der gewünschten
Studienwahl führt .

Nun frage ich Sie: Was berechtigt uns, ein Kind we-
gen seines Handicaps gegen den Willen der Eltern in
eine deutlich weiter weg gelegene Kita zu verweisen?
Was berechtigt uns, einem jungen Mann mit einer Lese-
und Rechtschreibstörung den Zugang zum Studium zu
erschweren? Ich sage es Ihnen: Nichts!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil wir dieses Recht nicht haben, haben wir Ihnen heu-
te die beiden Anträge vorgelegt . Das sind ja keine Ein-
zelfälle; das findet immer wieder in vielfältiger Art und
Weise statt .

Es ist doch paradox: Wer es wegen einer irgendwie
gearteten Benachteiligung schwerer hat, Bildung zu er-
langen und erfolgreich zu lernen, dem baut unser Bil-
dungssystem noch zusätzliche Hürden auf,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


entweder dadurch, dass Hilfeleistungen erst kompliziert
beantragt werden müssen oder fadenscheinig verweigert
werden, oder dadurch, dass die individuelle Situation gar
nicht berücksichtigt wird, weil sie in keinem der Sozial-
gesetzbücher vorkommt .

Wer Inklusion will, der muss sie im gesamten Bil-
dungsbereich durchsetzen, der muss einen uneinge-
schränkten und gleichberechtigten Zugang zu Bildung
für alle – ohne Ausnahme – gewährleisten,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und ich sage „gewährleisten“, nicht „gnädigerweise“
oder, wie es so schön im Verwaltungsdeutsch heißt, „nach
pflichtgemäßem Ermessen gewähren“. Es geht nicht um
Ermessen, es geht um einen Rechtsanspruch .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für das Gewährleisten sind wir alle zuständig, nicht
nur die Länder, nicht nur die Kommunen, sondern auch
der Bund . Darum umfasst unser Forderungskatalog in
beiden Anträgen Forderungen an alle drei Ebenen . Wir

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


brauchen überall inklusive Kitas und inklusive Schulen;
den Rahmen dafür müssen wir schaffen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir benötigen Inklusion auch im politischen Handeln .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Darum fordern wir zum wiederholten Male, die gemein-
same Verantwortung für Bildung von Bund, Ländern und
Kommunen endlich im Grundgesetz festzulegen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Ihnen vor
wenigen Wochen mit dem Berufsbildungsbericht schon
einmal einen solchen Antrag vorgelegt . Sie werden ge-
merkt haben, dass sie teilweise wortgleich sind; das ist
Absicht .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so!)


Es ging damals um die berufliche Bildung. Es gibt aber
auch Unterschiede, die sich durch die speziellen Bil-
dungsbereiche ergeben . Heute nun folgen der zweite
und der dritte Streich, und ich verspreche Ihnen: Nach
der Sommerpause kommt der vierte Streich, nämlich zur
Hochschulbildung .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Und zwar auch wortgleich! – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Das war eine Drohung!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818319600

Vielen Dank . – Der Kollege Xaver Jung hat als Nächs-

tes das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Xaver Jung (CDU):
Rede ID: ID1818319700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben viele Einzelbeispiele gehört zu in-
zwischen drei Anträgen – einen werden Sie noch vorle-
gen – mit der Überschrift „Inklusive Bildung für alle“ .
Sie plädieren inhaltlich für ein ganzheitliches Konzept .
Warum also vier verschiedene Anträge? Das erschließt
sich mir nicht .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch besser!)


Wenn man die vorliegenden Anträge liest, stößt man
schnell auf Widersprüche . Sie begründen die Anträge
ausschließlich mit den Ausführungen der UN-Behinder-
tenrechtskonvention .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Überhaupt nicht!)


Als verantwortliche Politiker müssen wir aber vor allem
das Kindeswohl und somit die Bedürfnisse der Schüle-
rinnen und Schüler im Blick haben .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wo ist da der Unterschied? Wo ist der Widerspruch?)


Es gibt einen gesellschaftlichen Wandel . Die UN-Be-
hindertenrechtskonvention ist aber nicht Auslöser dieses
Umdenkens, sondern das erste Ergebnis . In der Folge ist
Inklusion nicht die Umsetzung dieser Konvention, son-
dern die bedarfsgerechte Berücksichtigung von gesell-
schaftlich anerkannten Bedürfnissen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wenn es denn mal so wäre! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Konvention ist geltendes Recht!)


Dieser strukturelle Wandel hat in den letzten Jahren
große Fortschritte gemacht, die Sie in Ihrem Antrag
schlichtweg nicht zur Kenntnis nehmen .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Auch das stimmt nicht!)


Unsere Bildungseinrichtungen befinden sich gegenwär-
tig in einer Phase des Übergangs, wie der Bildungsbe-
richt 2014 attestiert . In unserem Antrag zur inklusiven
Bildung von vor zwei Jahren haben wir bereits entspre-
chende Handlungsempfehlungen abgeleitet .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja? Und was ist daraus geworden in den zwei Jahren?)


Des Weiteren gibt es die von Ihnen geforderten verbind-
lichen Empfehlungen für inklusive Bildung als Leitlinien
der KMK, also in dem von Ihnen geforderten Rahmen,
bereits seit 2011 .

Einzelprobleme lassen sich mit den Maßnahmen, die
Sie in Ihren Anträgen formuliert haben, leider nicht lö-
sen .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind strukturelle Probleme!)


Wenn man, von der UN-Behindertenrechtskonvention
ausgehend, zur Lösung der Probleme wiederum zu einer
Schwächung oder gar zur Abschaffung des Gymnasiums
kommt,


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wie kommen Sie denn auf die Idee?)


widerspricht das jedem zielorientierten Denken .


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn hier gefordert? Das hat keiner gefordert! – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wie kommen Sie denn darauf?)


Dr. Rosemarie Hein






(A) (C)



(B) (D)


– Das steht in Ihrem Antrag . Sie haben doch drei gleich-
lautende Anträge hier abgegeben; Sie müssten wissen,
dass das drinsteht . Oder kennen Sie Ihre Anträge nicht?


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Ich kenne unsere Anträge sehr gut!)


Frau Hein, Sie glauben doch nicht wirklich, dass die
Abschaffung des Gymnasiums zu mehr Akzeptanz für
unser gemeinsames Inklusionsanliegen führt .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn gefordert? – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wir fordern Inklusion auf dem Gymnasium! Das ist doch keine Abschaffung! Wo leben Sie denn?)


Damit erreichen Sie doch das Gegenteil von breiter ge-
sellschaftlicher Akzeptanz . Das Thema wird als Vehikel
missbraucht, um hier schulpolitische, systempolitische
Gedanken einzuführen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hier in den ideologischen Gräben ist, wird doch gerade klar!)


Ebenso wird der Begriff der Exklusion verwendet, um
unser Förderschulsystem abzuwerten . Ständig taucht der
Begriff der Exklusion in einer Art und Weise auf, die ich
nicht teile . In unserem traditionellen Förderschulsystem
werden Kinder nicht ausgegrenzt, wie Sie es formulie-
ren; Sie haben das ja gerade wiederholt . Vielmehr er-
fahren Kinder mit Beeinträchtigungen bei uns bisher in
zwölf differenzierten Förderschularten eine ganz beson-
dere schulische, physiologische und besonders liebevolle
Förderung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aber keine Inklusion! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Regelschule nicht, oder wie? Was für ein Schwarz-Weiß-Denken!)


Dieses über Jahrzehnte gewachsene System kann nur
schrittweise in ein noch besseres inklusives Schulsystem
überführt werden . Die notwendigen Schritte sind einge-
leitet. Wir befinden uns gemeinsam mit den Ländern auf
dem Weg zu mehr Inklusion . Wir haben ein großes Stück
des Weges noch vor uns .

Sie haben in Ihrem Antrag viele Zahlen aufgeführt .
Wettbewerbe um die jeweils höchste Inklusionsquote,
ohne dabei Qualitätsansprüchen gerecht zu werden, ma-
chen aber keinen Sinn . Viele Bundesländer rühmen sich
ihrer Quantität statt ihrer Qualität .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das schadet eher dem Kindeswohl . Die sogenannte kalte
Inklusion darf nicht auf dem Rücken von Kindern und
Jugendlichen ausgetragen werden .


(Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818319800

Herr Kollege, lassen Sie Ihre Redezeit nicht verstrei-

chen . Reden Sie einfach weiter .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das wäre nur ein Satz gewesen!)



Xaver Jung (CDU):
Rede ID: ID1818319900

Ich kann nur sagen: Die Anträge, die Sie hier vor-

gelegt haben, bieten uns keine neuen Erkenntnisse . Sie
helfen uns nicht wirklich weiter . Klassenideologische
Ansätze dienen dem Ziel der Inklusion nicht, sondern
schaden eher .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1818320000

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Özcan

Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen .


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818320100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege

Xaver Jung, ich rate vor allem Ihnen: Verlassen Sie erst
einmal Ihre ideologischen Gräben, dann können wir über
vernünftige Bildungspolitik reden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE])


Das, was Sie hier gemacht haben, war Ideologie pur . Sie
sind gar nicht auf die Rede der Kollegin von der Linken
eingegangen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, letzte Woche habe
ich in einer Tageszeitung aus NRW gelesen, dass eine
junge Frau aus dem schönen Nettetal das beste Abitur
ihres Schuljahrgangs absolviert hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Manche mögen jetzt fragen: Was ist daran so ungewöhn-
lich? Ich sage es Ihnen: Die junge Frau hat als Schülerin
bis zur achten Klasse die Förderschule besucht .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Da sieht man, wie eine gute Förderschule funktioniert!)


Diese junge Frau hat es dank ihres eigenen Engagements,
aber auch dank des Engagements ihrer Eltern und ihres
Umfelds geschafft, nach der achten Klasse auf eine Ge-
samtschule zu wechseln;


(Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Das ist doch super! Wo ist das Problem?)


ein Glück für sie . Ich sage: Weil viele Kinder und Ju-
gendliche dieses Glück nicht haben und wir ein struk-
turelles Bildungsproblem haben, müssen wir umsteuern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb sollten Sie genau zuhören .

Viele junge Menschen bekommen schlichtweg nicht
die Chance, eine Regelschule zu besuchen . Aber wir sa-

Xaver Jung






(A) (C)



(B) (D)


gen: Der Bildungserfolg unserer Kinder darf weder vom
Glück abhängig sein noch davon, ob sie in einer Förder-
schule oder einer Regelschule lernen . Der Sonderstatus
und die konstruierte Andersartigkeit fallen beim inklusi-
ven Unterricht weg . Nur so können alle sich bestmöglich
entwickeln und bestmöglich gefördert werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Inklusion ist nicht – wie es in einem Zwischenruf von
der CDU/CSU eben hieß – Gleichmacherei, sondern das
Gegenteil von Gleichmacherei .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Inklusion heißt nämlich: Jeder und jede wird individuell
gefördert, ohne ausgeschlossen oder stigmatisiert zu wer-
den . Nur so kann Bildungsgerechtigkeit gelingen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür sind die Länder zuständig! In zehn Ländern sitzen Sie mit in der Regierung! Dann macht es doch!)


Das, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich schaue in
Richtung der CDU/CSU –, sollte unser aller Anliegen
sein, und nicht nur in den Schulen, sondern auch in den
Kitas .

Der jüngste nationale Bildungsbericht hat erneut bestä-
tigt, dass Bildungsungerechtigkeit und soziale Disparität
immer noch die Achillesferse unseres Bildungssystems
darstellen, obwohl kleine Fortschritte zu verzeichnen
sind . Es wird weiterhin selektiert und aussortiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Wo? In Nordrhein-Westfalen, oder?)


Wir Grüne sagen: Damit muss Schluss sein!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das leidige Kooperationsverbot ist, auch wenn Sie es
nicht gern hören, ein wesentliches Inklusionshemmnis –
das sollten Sie endlich akzeptieren –;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


denn Inklusion kostet Geld . Hier darf sich der Bund kei-
nen schlanken Fuß machen . Wir sehen den Bund auch in
der Pflicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl, das sagen alle Bürger! Genau! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)


Wir brauchen endlich eine gemeinsame Bildungsstra-
tegie für unser Land . Deshalb sagen wir: Packen Sie es
an! Lassen Sie uns gemeinsam das Kooperationsverbot
abschaffen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, inklusiver Unterricht muss
auf variierende Lerntempos der Schülerinnen und Schü-
ler eingehen . Das erfordert mehr Investitionen in die Bil-
dung und neue Konzepte . Auf der Nationalen Konferenz
zur inklusiven Bildung im Jahre 2013 hat Frau Ministerin
Wanka in Richtung der Länder gesagt – ich zitiere mit
Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: Jeder Cent für inklu-
sive Bildung ist gut angelegt . – Da nehmen wir Sie beim
Wort, da stimme ich Ihnen absolut zu . Das muss auch die
Bundesregierung endlich beherzigen und nicht nur Sonn-
tagsreden von sich geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Was Sie hier halten, ist eine Montagsrede!)


Unterstützen Sie die Länder, damit inklusive Bildung
für alle keine Illusion bleibt!


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818320200

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818320300

Ich komme zum Schluss. – Mit der 2009 ratifizierten

UN-Konvention haben wir uns verpflichtet. Darin wird
inklusives Lernen als ein Menschenrecht anerkannt . Uns
ist es aber bislang nicht gelungen, das flächendeckend
vollumfänglich umzusetzen . Jetzt ist es an der Zeit! Las-
sen Sie uns gemeinsam anpacken, statt immer noch in
ideologischen Gräben – wie Sie da drüben von der CDU/
CSU – zu verharren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818320400

Als nächster Redner hat Oliver Kaczmarek von der

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1818320500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Zunächst einmal finde ich es vom Grundsatz her
gut, dass wir heute die Gelegenheit haben, dieses The-
ma zu diskutieren . Allerdings glaube ich, dass wir in
der Thematik doch schon etwas weiter sind; denn die
Behindertenrechtskonvention ist seit sieben Jahren in
Kraft . Kitas, Schulen und Hochschulen haben sich auf
den Weg gemacht, und deshalb finde ich einige Stich-
punkte grundsätzlicher Art in Ihrem Antrag, in dem es
um neue Lernkulturen und meinetwegen auch um eine
Enquete-Kommission geht, durchaus diskussionswürdig .
Aber das hilft den Schulen, die sich schon auf den Weg
gemacht haben, in ihrem Alltag im Moment recht wenig .
Deswegen möchte ich drei Anmerkungen zu dem ma-
chen, was wir in der Praxis von Inklusion, die wir schon
seit einigen Jahren in den Ländern beobachten können,
lernen können und was wir umsetzen müssen .

Die erste Anmerkung ist ganz klar: Es ist schon viel
geleistet worden . Jedes dritte Kind mit Förderbedarf wird

Özcan Mutlu






(A) (C)



(B) (D)


heute im gemeinsamen Unterricht in Deutschland be-
schult . Das ist ein Erfolg . Deswegen geht der erste Dank
an diejenigen, die sich jeden Tag in ihre Klassen stellen,
manchmal auch der Meinung sind, dass die Ausstattung
nicht gerade optimal ist, und trotzdem jeden Tag dafür
sorgen, dass Kinder gemeinsam beschult werden, dass
Chancengleichheit ein Stück näher rückt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Da gibt es natürlich auch Unterschiede . Die Pionierlän-
der wie Bremen oder Schleswig-Holstein sind schon wei-
ter . Sie haben eine Inklusionsquote von über 60 Prozent
an Schülern mit Förderbedarf im gemeinsamen Unter-
richt . Hessen liegt als Schlusslicht bei gerade einmal gut
20 Prozent . Da gibt es unterschiedlichen Nachholbedarf .
Darauf muss man differenziert eingehen .

Zweite Anmerkung: Ja, wir müssen da unterstützen,
wo es hakt . Wir müssen die Probleme des Alltags auf-
greifen . Ich will dazu zwei Stichworte aufnehmen .

Das erste Stichwort dazu, das Sie im Antrag richti-
gerweise nennen, ist die Barrierefreiheit . Dabei geht es
um Investitionen in Schulgebäude . Das sind Zukunfts-
investitionen . Ich kann mir eigentlich kaum eine bessere
Zukunftsinvestition in die Lern- und Lebensbedingungen
von jungen Menschen, von Schülerinnen und Schülern
vorstellen . Ich glaube, der Bund hat tatsächlich ein biss-
chen mitgeholfen, dass in den Ländern Spielraum dafür
besteht . Ich denke zum Beispiel an die BAföG-Entlas-
tungen . Das sind jedes Jahr knapp 1,2 Milliarden Euro,
die in die Länder fließen und die die Länder – ich bin der
Bundesregierung dafür dankbar, dass sie das in einer Un-
terrichtung klargestellt hat – genau für Bildung ausgeben .
In der Unterrichtung steht, dass die Annahme gestützt
wird, dass die freigewordenen Mittel den Bildungs- und
Wissenschaftshaushalten der Länder zugutekommen . Ich
bin der Bundesregierung dankbar, dass sie diese absurde
Diskussion über die Verwendung der BAföG-Mittel da-
mit endlich beendet hat . Sie kommen der Bildung zugute .


(Beifall bei der SPD)


Ich glaube, auch die Länder machen einiges . Ich
will hier nur beispielhaft darauf hinweisen, dass Nord-
rhein-Westfalen gestern bekannt gegeben hat, dass in den
nächsten vier Jahren zusammen mit der NRW .BANK je-
weils eine halbe Milliarde Euro pro Jahr mobilisiert wird,
um Schulgebäude in Nordrhein-Westfalen zu moderni-
sieren . Ich glaube, das ist genau das richtige Zeichen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweites Stichwort: Ja, gute und überzeugte Lehrerin-
nen und Lehrer, Profis für Inklusion sind der Schlüssel
für das Gelingen von inklusiver Bildung . Die Länder
leisten da sicherlich ganz viel . Das jetzt im Einzelnen
aufzuführen, würde zu weit führen . Ich glaube, dass auch
der Bund seinen Beitrag dazu leistet . Wir haben mit der
„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ ein Instrument in der
Hand, mit dem wir Innovationen im Bildungswesen an-
reizen und Best Practice verbreiten wollen . Tatsächlich
ist es so, dass in der ersten Förderrunde neun Projekte

bewilligt worden sind, die sich direkt auf Inklusion be-
ziehen . 51 von 59 geförderten Projekten beziehen He-
terogenität im Unterricht, heterogene Lerngruppen und
Inklusion ausdrücklich in ihre Konzepte ein . An dieser
Stelle erhoffen wir uns auch für die zweite Förderrunde
eine ganze Menge . Ich glaube, es ist wichtig, dass wir
mithelfen, die Lehrerausbildung zu modernisieren . Zu-
hören und bei den Alltagsproblemen anpacken – das ist
das, was jetzt gefordert wird .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Anmerkung
zum Schluss . Ich sorge mich – wie viele andere auch –
darum, dass sich kritische Meldungen häufen über die
Frage, wie eigentlich Inklusion an Schulen umgesetzt
wird und wie sich das Klima an Schulen entwickelt . Ich
glaube, wir müssen auf Folgendes hinweisen: Inklusion,
inklusive Bildung, das bedeutet einen Mehrwert für die
gesamte Gesellschaft – für die Kinder mit Behinderung,
weil sie mehr Chancengleichheit bekommen, aber auch
für alle anderen, weil sie etwas über soziales Lernen er-
fahren, über Diversität in pluralistischen Gesellschaften
usw . Wir müssen immer wieder die Akzeptanz aufrecht-
erhalten . Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen
sehen, dass es einen Mehrwert hat . Es lohnt sich, für in-
klusive Bildung zu kämpfen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818320600

Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Marcus

Weinberg von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1818320700

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Frau Hein, „Schein“ hat mehr
Buchstaben als „sein“. Bei Ihrem Debattenbeitrag fiel
mir deutlich auf, dass Sie das eigentliche Kernthema Ih-
res Antrags gar nicht angesprochen haben . Wieder einmal
sind es die drei Punkte: Erstens wollen Sie das föderative
System auf den Kopf stellen, zweitens soll der Bund auch
noch die Kitas finanzieren, und drittens wollen Sie die
Elternbeiträge abschaffen . Das hat mit dem Thema in-
klusive Bildung und mit den Maßnahmen, die der Bund
mittlerweile unternimmt, nichts zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir haben uns hier ja
schon vor vielen Jahren darüber unterhalten und haben
darüber diskutiert, wie wir das sehen . Viel weiter sind Sie
nicht gekommen,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie auch nicht!)


und viel kreativer sind Sie auch nicht geworden .

Deswegen komme ich jetzt zu dem Thema, Herr
Mutlu, um das es eigentlich geht . Es ist doch unbestrit-
ten, dass die Inklusion ein Ziel ist . Aber – ich greife das

Oliver Kaczmarek






(A) (C)



(B) (D)


auf, was Sie gesagt haben – man sollte es sorgsam tun .
Das Umsteuern darf nicht dazu führen, dass man die Kin-
der nicht mitnimmt .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie seit sieben Jahren!)


Es häufen sich die Meldungen aus einzelnen Schulen,
dass mittlerweile ganze Schulsysteme vor dem Kippen
sind, weil sie nicht ausfinanziert sind und weil die Inklu-
sion dort nicht funktioniert . Wir sind für die Inklusion,
aber im Mittelpunkt steht das Kindeswohl . Das muss un-
ser Leitinteresse sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Kinder in Förderschulen gut gefördert werden,
dann ist das auch im Sinne der Kinder und der Eltern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aber nicht im Sinne der Inklusion!)


Dann kommen Sie mit Ihrem Antrag, in dem es wie-
der einmal heißt: Das Verbot der Bildungszusammen-
arbeit zwischen Bund und Ländern, das Kooperations-
verbot soll aufgehoben werden . Nein, das Gegenteil ist
doch gut: Bund und Länder sollen kooperieren, aber die
Verantwortung für das Schulsystem und für das System
der Kindertagesbetreuung muss doch dort liegen, wo wir
eine gewisse Historie haben, wo wir verschiedene Ent-
wicklungen haben . Sie können die Systeme in Hamburg,
Berlin und München nicht miteinander vergleichen . Des-
wegen sollte man den Ländern und den Kommunen die
Freiheit geben, ihre Systeme weiterzuentwickeln .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kindertagesbetreuung ist dabei Teil der öffentlichen
Fürsorge in der geteilten Verantwortung .

Ein weiterer Punkt ist wieder einmal die Umvertei-
lung vom Bund zu den Ländern . Der Kollege der SPD
hat es angesprochen: Der Bund macht einiges . Ich sage
das einmal in Bezug auf die Kindertagesbetreuung: Ab
dem Jahr 2017 werden wir den Ländern einen Betriebs-
kostenzuschuss von 945 Millionen Euro im Jahr zahlen,
also für die originäre Aufgabe der Länder . Das tun wir,
weil es wichtig ist . Wir haben 5,4 Milliarden Euro in den
Ausbau der Krippenversorgung investiert, und wir ha-
ben viele Teilprogramme im Bildungsbereich und für die
Kindertagesbetreuung, um die Länder zu entlasten . Eines
sage ich Ihnen aber auch ganz deutlich: Das Grundsys-
tem der föderativen Einteilung bleibt bestehen und muss
auch bestehen bleiben, weil die Länder hier in der Ver-
antwortung sind .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie schreiben in Ihrem Antrag – ich lese Ihre Anträge
aufmerksam;


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ist auch gut so!)


Sie haben das eben nicht so genau ausgeführt –, dass
gemeinsam mit den Ländern ein Masterplan entwickelt
werden soll, um mittelfristig in allen Ländern die Eltern-
beiträge für die Kindertagesbetreuung abzuschaffen . Der

engere Zusammenhang mit der inklusiven Bildung fehlt
mir momentan noch . Ich sage Ihnen eines aber auch ein-
mal ganz deutlich: Das sehen wir anders . Erstens . Es gibt
einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz . Deswegen
wollen wir den Ausbau vorantreiben . Zweitens . Danach
geht es um die Qualität in den Kindertagesstätten . Drit-
tens . Wenn dann noch Geld da ist, können wir uns über
die Elternbeiträge unterhalten .

Ich sage ganz deutlich: In Hamburg wurden die El-
ternbeiträge gestrichen. Davon profitieren die Besserver-
dienenden, so wie ich . Ich würde mir wünschen, die So-
zialdemokraten in Hamburg würden mehr Erzieherinnen
einstellen, damit sich die Qualität steigert . Das ist aber
leider ausgeblieben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: In Baden-Württemberg wurde das schon zur Zeit der CDU-Regierung angegangen!)


Ich kann Ihnen sagen: Für Kindertagesstätten besteht
über den Grundsatz der Teilhabe hinaus ein integrativer
Förderauftrag . Demnach sollen Kinder mit und ohne
Behinderung grundsätzlich in den Gruppen gemeinsam
gefördert werden . Sie hatten Beispiele aus dem Harz an-
gesprochen . Ich weiß nicht, wer da aktuell regiert . Ist das
vielleicht Niedersachsen? Keine Ahnung! Ich kann Ihnen
nur sagen: In meinem Bundesland, in Hamburg, werden
99 Prozent der Kinder gemeinsam in Kindertagesstätten
betreut .

Der Bund hat darüber hinaus das Thema „inklusive
Bildung“ sogar exklusiv aufgenommen . Die Program-
me des Bundes wurden bereits angesprochen . Ich erin-
nere zum Beispiel an das Bundesprogramm „Sprach-
Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ mit über
4 000 Schwerpunkt-Kitas . Um auf das Geld zu schauen:
Für dieses Programm werden im Jahr 2016 131 Milli-
onen Euro und im Jahr 2017 278 Millionen Euro be-
reitgestellt . Themen dieses Programms sind nicht nur die
Integration und die Sprache, sondern – oha, oha – das
zweite der drei Themen dieses Programms lautet „Inklu-
sive Pädagogik“ . Ich darf aus dem Programm zitieren:

Eine inklusive Pädagogik ermutigt Kinder und Er-
wachsene, Vorurteile, Diskriminierung und Benach-
teiligung kritisch zu hinterfragen sowie eigene Ge-
danken und Gefühle zu artikulieren .

Das bedeutet, dass man sowohl den Gemeinsamkeiten
und Stärken von Kindern Aufmerksamkeit schenkt als
auch Vielfalt thematisiert . Auf Deutsch gesagt: Der Bund
nimmt Geld in die Hand, um die inklusive Bildung über
dieses Programm zu fördern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insoweit kann ich als Fazit feststellen: Die Länder
sind in der Verantwortung .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Den Satz habe ich schon oft gehört!)


Der Bund unterstützt die Länder gerne . Aber bitte: Ord-
nungspolitisch muss es noch gewisse Grundsätze in
diesem Land geben . Ich sage hier ganz deutlich: Die
Kindertagesstätten und der Schulbereich bleiben in der

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


Zuständigkeit der Länder . Inklusive Bildung ja, aber es
muss sorgsam umgeschichtet und umgesteuert werden,
damit kein Kind auf der Strecke bleibt . Das darf uns nicht
passieren . Deswegen sollten wir im Übrigen auch beide
Systeme, das inklusive System und das Fördersystem,
weiter schützen und stärken .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: So wird es keine Inklusion!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818320800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Stefan

Schwartze von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Stefan Schwartze (SPD):
Rede ID: ID1818320900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das gemeinsame Lernen und Aufwachsen
von Kindern mit oder ohne eine Behinderung muss eine
Selbstverständlichkeit sein . Es ist eine Chance für uns
alle, Barrieren in den Köpfen zu überwinden, und eine
Chance für jeden Einzelnen, seine soziale Kompetenz zu
stärken .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber?)


Kinder selbst haben keine Barrieren . Sie sind interes-
siert, fragen nach und spielen miteinander . Im Umgang
miteinander können wir vieles von ihnen lernen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Nicht ohne Grund sind inklusive Kitas Bestandteil des
gerade vom Bundeskabinett verabschiedeten Nationalen
Aktionsplans 2 .0 zur Umsetzung der UN-Behinderten-
rechtskonvention .

Entwicklungsförderung von Anfang an und die Stär-
kung der Qualität inklusiver frühkindlicher Bildung,
Betreuung und Erziehung werden wir weiterhin in den
Fokus nehmen . Doch so sehr wir uns einbringen wollen,
einheitliche Standards für jedes Kind zu schaffen, und
zwar unabhängig davon, ob es behindert ist oder nicht
und wo es in Deutschland aufwächst, so sehr sind wir auf
eine intensive Zusammenarbeit mit den Ländern ange-
wiesen; denn die Standards sind in den Ländern äußerst
unterschiedlich .

Die Länder und Kommunen haben auf diesem Weg
bisher Großes geleistet . Allein in Nordrhein-Westfalen
sind seit 2010 mehr als 600 000 Kitaplätze geschaffen
worden . Hier gab es nach der schwarz-gelben Landesre-
gierung sehr viel aufzuholen .


(Beifall bei der SPD – Xaver Jung [CDU/ CSU]: Die waren ja auch Jahrhunderte dran!)


Doch wir haben in Deutschland mit Blick auf die un-
terschiedlichen Betreuungsstandards weiterhin einen Fli-
ckenteppich . Diese Unterschiede kann niemand wirklich

wollen . Ich bin sicher, dass es hier im Haus eine breite
Mehrheit für die Einführung eines Bundesqualitätsgeset-
zes gibt .


(Beifall der Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Mit ihrem Qualitätsdialog ist Manuela Schwesig auf dem
richtigen Weg . Nur in einem Dialog mit den Ländern
können wir vergleichbare Bildungschancen und einheit-
liche Qualität liefern . Dabei ist klar: Bessere Personal-
schlüssel, Barrierefreiheit und Weiterbildung gibt es für
Bund, Länder und Kommunen nicht umsonst .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Noch nie hat der Bund so viel Geld für den Kitaaus-
bau gegeben und wird das auch in Zukunft tun: bis 2014
insgesamt 5,4 Milliarden Euro . Seit 2015 liegen wir bei
einer jährlichen Unterstützung für die Betriebs- und Per-
sonalkosten von 845 Millionen Euro . Im dritten Inves-
titionsprogramm geben wir eine weitere Milliarde für
den Kitaausbau . 2017 und 2018 werden wir noch einmal
jeweils 100 Millionen Euro für die Betriebskosten bereit-
stellen . Auch die freiwerdenden Mittel aus dem Betreu-
ungsgeld stehen den Ländern zur Verfügung .

Das, was der Bund hier macht, ist eine wirkliche
Kraftanstrengung, mit der wir die Länder strukturell und
finanziell unterstützen. Wir sind auf einem guten Weg,
aber noch lange nicht am Ziel . Daran werden wir weiter
arbeiten .

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818321000

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/8420 und 18/8889 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
ist das so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung und Erweiterung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
EUNAVFOR MED Operation SOPHIA

Drucksachen 18/8878, 18/9035


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/9073

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfeh-
lung werden wir später namentlich abstimmen .

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat
Rainer Arnold für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Roderich Kiesewetter [CDU/CSU])



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1818321100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Alles, was wir hier entscheiden, tun wir in dem Bewusst-
sein: Das, was wir leisten können, ist nur ein Heftpflaster;
nicht mehr und nicht weniger, angesichts eines Staates,
der mehr und mehr zerfällt, angesichts einer Regierung,
deren Vertreter es schon an der nächsten Straßenecke mit
Milizen zu tun haben, die in diesem Land ganz andere
Dinge durchsetzen wollen . Die Bildung der Einheitsre-
gierung in Libyen ist zwar ein kleiner, aber wichtiger
Schritt zu mehr Stabilität . Wir wissen, wir werden Ge-
duld brauchen, bis sich diese Regierung in Libyen wieder
durchsetzen kann und die Kontrolle über das Land erhält .

Ich sage das deshalb am Anfang, weil wir wissen: Das
Allerwichtigste zur Bewältigung dieser Situation ist, dass
dieses Land Libyen nicht weiter zerfällt, sondern wie-
der auf einen stabilisierenden Pfad zurückgeführt wird .
Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, Martin
Kobler, leistet mit seiner Kompetenz, aber auch mit sei-
nem diplomatischen Geschick Herausragendes .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich denke, er legt mit seiner Arbeit in der Staatengemein-
schaft für unser Land Ehre ein .

Deshalb ist es Unsinn, wenn die Linken immer wieder
behaupten, es gäbe eine Militarisierung der Außenpoli-
tik . Allein dieses Beispiel zeigt doch: Diplomatie ist das
Allerwichtigste und das Allererste .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Humanitäre Hilfe, die in Libyen so dringend gebraucht
wird, ist das zweite Wichtige . Deutschland bringt dafür
dieses Jahr über 20 Millionen Euro auf .

Als Drittes ist aber leider auch wahr, wichtig und not-
wendig: Dem furchtbaren Terror des „Islamischen Staa-
tes“ muss man sich auch mit Waffen entgegenstellen,
damit am Ende nicht die Brutalsten obsiegen .

Es ist also kein Entweder-oder; es gibt auch keinen
Königsweg, sondern alle drei Bereiche – das Humani-
täre, das Militärische und die Diplomatie – zusammen
sind ein Dreiklang, der eine Chance auf eine Verände-
rung und Verbesserung der Situation bietet . Dabei geht
es nicht nur um die Situation der Menschen in Libyen; es
geht auch um unsere eigenen Sicherheitsinteressen . Wir
dürfen nicht zulassen, dass der IS sich weiter in diesem
zerfallenen Land ohne Rechtlichkeit breitmacht . Es hat
etwas mit unseren Sicherheitsinteressen zu tun, wenn der

IS, der im Irak und in Syrien unter Druck ist, jetzt die
Chance nutzt, das Vakuum in Libyen auszunutzen .

Der Antrag der Bundesregierung zur Erweiterung der
Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia um drei
zusätzliche Aufgaben ist deshalb richtig, weil das auch
in unserem Interesse ist und aus humanitären Gründen
richtig ist . Die drei Erweiterungen sind erstens: Es wird
in Zukunft ein libyscher Küstenschutz ausgebildet . Es
liegt in der Tradition, Ausbildung in fernen Ländern zu
leisten, damit diese Länder sich am Ende selbst helfen
können und nachhaltig für ihre eigene Sicherheit sorgen
können . Es gibt also so etwas wie ein schwimmendes
Klassenzimmer und wahrscheinlich auch Auszubildende
in sicheren Staaten .

Das Zweite ist ebenso richtig: Man muss den Schmug-
gel von Waffen nach Libyen stoppen . In Libyen gibt es
über 20 Millionen Waffen . Wir wissen zwar, dass die
meisten über die Landgrenze kommen . Aber das ist noch
lange kein Grund, auf See dem Waffenschmuggel zuzu-
schauen . Deshalb ist es richtig, dass das Waffenembar-
go der Vereinten Nationen beim Schmuggel von Waffen
durchgesetzt werden muss, damit man nicht mehr darauf
warten muss, bis der jeweilige Flaggenstaat der Schiffe
das akzeptiert .

Es ist interessant, Kolleginnen und Kollegen von der
Linken. Sie finden sonst das meiste gut, was die Russen
tun . Finden Sie es doch hier auch einmal gut!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Russland hat dem nämlich zugestimmt . Darüber sind wir
sehr froh, und das zeigt, dass wir Russland als Partner zur
Bewältigung der großen Probleme in der Welt brauchen .

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, diese Missi-
on, die sich auch an Land noch ein Stück weit ausdehnt –
an der 2 000 Kilometer langen Küste –, ist auch deshalb
wichtig, weil es um die Rettung von Menschenleben
geht . Über 18 000 in Seenot geratene Flüchtlinge, von
üblen Schleuserbanden auf Schlauchboote gesetzt – mit
Millionengewinnen für die kriminellen Banden –, wur-
den in der Zeit, seit die Operation Sophia läuft, gerettet .
Ich glaube, wer dies nicht schätzt, geht zynisch mit den
Belangen der Menschen um .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg . Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich weiß sehr wohl: Die Rettung der Schiffsbrüchi-
gen ist am Ende auch ein Teil des Geschäftsmodells der
Schleuser . Sie schicken die Menschen los, nach dem
Motto „Da draußen ist ein Schiff der Streitkräfte, das
euch retten wird“, und trotzdem tun wir das, und wir
müssen es tun, weil es rechtlich und humanitär geboten
ist . Aber gleichzeitig dürfen wir nicht zuschauen, wie das
Schleuserunwesen weiter zunimmt . Deshalb muss auch
auf See, wo es derzeit möglich ist, außerhalb der 12-Mei-
len-Zone, das Schleuserunwesen bekämpft werden . Ich
sagte schon: Wir brauchen eine libysche Regierung, die
wieder Staatlichkeit durchsetzt und verhindert, dass die
Menschen überhaupt auf diese Boote geführt werden .
Über 200 000 Menschen warten auf eine Überfahrt nach
Europa .

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wem zerreißt es
nicht das Herz, wenn er die Bilder der Schiffsbrüchigen
sieht? Die Zahl von 2 500 ertrunkenen Menschen allein
in den ersten fünf Monaten dieses Jahres – es sind üb-
rigens mehr als im letzten Jahr – darf uns nicht ruhen
lassen . Diese Menschen sind auch Opfer des fundamen-
talistischen islamistischen Terrors . Sie sind Opfer von
kriminellen, mafiösen Schleuserbanden und -strukturen,
aber sie sind zuletzt auch Opfer von Industriestaaten und
befreundeten Ländern, auch in der Europäischen Union,
die nicht bereit sind, ihre Verantwortung wahrzunehmen
und den fairen Anteil von Menschen aufzunehmen, der
dem entspricht, was diese Staaten leisten könnten . Auch
dies gehört leider zur Wirklichkeit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Vor diesem Hintergrund, werte Kolleginnen und Kol-
legen, ist doch klar: Wir können und dürfen all dieses
Leid nicht verdrängen, deshalb müssen und werden wir
diesem Antrag der Bundesregierung zustimmen .

Recht herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818321200

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Sevim

Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818321300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Infolge des NATO-Krieges gegen Libyen herrschen in
dem Land am südlichen Ufer des Mittelmeeres inzwi-
schen islamistische Terrorbanden und Warlords, die ei-
nen erbitterten Bürgerkrieg um die Ressourcen des Lan-
des führen . Jetzt weiten Sie den Bundeswehreinsatz, die
Mission EUNAVFOR MED, aus, sodass unserer Ansicht
nach dieser Bürgerkrieg in Libyen weiter internationali-
siert wird . Ziel der Mission soll es auch sein, Einheiten
von Polizei und Armee der nichtgewählten Übergangsre-
gierung zu bewaffnen und auszubilden .

Wie sieht eigentlich die bisherige Praxis der militä-
rischen Migrationsabwehr – sprich: der Flüchtlingsab-
wehr – aus? Amnesty International gibt der libyschen
Küstenwache, die jetzt noch enger mit der Europäischen
Union kooperieren soll, eine Mitschuld an den furcht-
baren Leiden der Flüchtlinge . Seit Ende Mai haben sie
3 000 Menschen aus dem Meer gezogen und wieder in
die Lager gebracht, von denen es 24 irreguläre in dem
Land gibt, die vorwiegend von bewaffneten Banden,
auch Islamisten, kontrolliert werden . – So der Bericht
der Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International .

Mit Ihrer militarisierten Flüchtlingsabwehr und der
Kooperation mit Antidemokraten und üblen Schergen in
Libyen tragen Sie zu einer massiven Verschlechterung
der Lage der Menschen bei .


(Beifall bei der LINKEN)


Die deutsche Bundesregierung wie auch die deut-
schen Soldaten tragen somit Mitverantwortung für die

schlimmsten Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlin-
gen und für Verbrechen an der Bevölkerung in Libyen –
so die Menschenrechtsorganisationen. Ich finde, das ist
inakzeptabel, und das ist schändlich .


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist ja ungeheuerlich! Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf!)


Ich frage Sie auch: In welche Bürgerkriege möchten Sie
sich eigentlich noch einmischen? Wurde dazu die Bun-
deswehr einmal aufgestellt, um Truppen zu entsenden,
die durch Waffenhilfe und -ausbildung weltweit Bürger-
kriegsparteien ertüchtigen sollen? Ist das Aufrüsten von
Verbrechern in Libyen für Sie Teil der Territorialverteidi-
gung, etwa Deutschlands? Was Sie hier schaffen, ist wie-
derum ein neues Frankensteinmonster, das Sie in Zukunft
eben nicht mehr hegen und bekämpfen können;


(Beifall bei der LINKEN)


denn wie wollen Sie kontrollieren, in welche Hände Ihre
Waffen, die Sie bei der Ausbildung ausgeben werden, ei-
gentlich gelangen?


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer will ihnen denn Waffen geben?)


Wie wollen Sie garantieren, dass Ihre ausgebildeten
Menschen nicht zu den feindlich gesonnenen islamisti-
schen Terrorbanden überlaufen werden? Sie können es
nicht garantieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie können nicht ausschließen, dass Sie sich an der Aus-
bildung derjenigen beteiligen, die sich im Grunde ge-
nommen dann gegen Sie richten werden; das wissen Sie
auch . Das Einzige, das sicher ist, ist, dass Sie den Bürger-
krieg in Libyen damit natürlich weiter anheizen werden,
wenn Sie dort Menschen bewaffnen und ausbilden .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist für uns völlig inakzeptabel, und es ist eine aben-
teuerliche Außenpolitik . Deshalb fordern wir Sie auf, die
Bundeswehr dort abzuziehen .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und die Menschen ertrinken zu lassen!)


Wenn Sie tatsächlich eine Seenotrettung wollen, dann
machen Sie doch eine zivile Seenotrettung .


(Beifall bei der LINKEN)


Warum schicken Sie Kriegsschiffe zu den Flüchtlingen
und keine Fähren? Der Kommandant der Fregatte „Karls-
ruhe“, Christian Clausing, der selbst an dieser Mission
beteiligt gewesen ist, hat gesagt: Kriegsschiffe sind für
Seenotrettung nicht optimiert .

Ich finde, eine militärische Flüchtlingsabwehr genau-
so wie eine Kriegsbeteiligung


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: So, jetzt zum Ende kommen!)


in Libyen durch Ausbildung und Bewaffnung von Schur-
ken und Schergen stellen einen Bruch unseres Grundge-

Rainer Arnold






(A) (C)



(B) (D)


setz dar und sind auch nicht mit dem Völkerrecht verein-
bar . Deshalb lehnen wir diesen Bundeswehreinsatz ab .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist ja eine Überraschung! – Rainer Arnold [SPD]: Haben Sie eine Idee, was man tun muss?)


Wir hoffen, dass bei Ihnen irgendwann Vernunft einkehrt
und Sie weiter nicht irgendwelche Islamisten ausbilden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Bei uns herrscht Vernunft!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818321400

Vielen Dank . – Da beide Redner, wenn auch nur

leicht, ihre Redezeit überschritten haben, appelliere ich
nun noch einmal, die Redezeit einzuhalten . Ich werde
hier ab 21 Uhr nicht alleine die Abstimmungen leisten
können . Sie müssen dann schon dabei sein . Ich erwarte,
dass jeder anschließend hier ist . Sie alle wissen, worum
es geht .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hammelsprung!)


Der Kollege Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion
hat das Wort und wird zeigen, dass das geht .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1818321500

Ich weiß nicht . – Frau Präsidentin! Meine sehr ver-

ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Ich gebe Ihnen gerne ein bisschen von meiner Re-
dezeit ab, wenn es dem Fortkommen im Bundestag dient .

Wir, die CDU/CSU, unterstützen die Ausweitung der
Mission Sophia . Wir haben heute den ganzen Tag über
die schwarze Seite der Linken erlebt, heute früh begin-
nend mit einer Rede der Fraktionsvorsitzenden . Selbst
Russland trägt die Unterstellungen, die wir gerade gehört
haben, nicht mit; denn wir haben mit Blick auf Libyen
eine Resolution der Vereinten Nationen, die von Russ-
land unterstützt wird . Das, was wir bei Libyen erreicht
haben, wünschen wir uns auch für Syrien . Die dunkle
Seite der Linken, die uns heute in düsteren Farben vorge-
führt wurde, verkennt vollkommen, worum es geht .

Der Einsatz Sophia ist eingebettet in ein strategisches
Konzept der Vereinten Nationen, das alles bietet, was wir
brauchen: erstens eine Resolution der Vereinten Nationen
und zweitens regionale Partner, die mithelfen und stabili-
sieren . Ich möchte ausdrücklich – das hat schon Kollege
Arnold getan – das Engagement des Sonderbeauftragten
Martin Kobler würdigen . Er hat es durch unermüdlichen
Einsatz über viele Monate geschafft, die Konfliktparteien
in Libyen weitestgehend zu einigen . Ein großes Kompli-
ment aus diesem Hause an Martin Kobler!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Des Weiteren ist es gelungen, dass sich Marokko intensiv
am Shikrat-Prozess beteiligt hat . Außerdem unterstützt
Tunesien, das die europäischen Werte ausdrücklich teilt

und verteidigt und massiv unter dem Terror leidet, die
europäische Grenzsicherungsmission .

Ich will die drei Schritte aufzeigen, die für unsere po-
litische Arbeit wichtig sind . Erstens . Die Ausweitung von
Sophia bedeutet, dass wir gemeinsam mit den Vereinten
Nationen versuchen, das Waffenembargo durchzusetzen .
Ich gestehe den Grünen zu, dass wir Lücken haben . Das
betrifft die Landgrenzen im Süden, wo der Großteil des
Waffenschmuggels stattfindet. Aber wir müssen begin-
nen und dürfen kein Vakuum hinterlassen . Dass man mit
der zivilen Seeschifffahrt kein Waffenembargo durchset-
zen kann, dürfte jedem einleuchten, nur nicht der Linken .

Der zweite Schritt, der erforderlich ist, ist die Bil-
dung einer libyschen Zentralregierung . Diese wird, wenn
es mehrheitlich gewünscht wird, dafür sorgen, dass die
europäische Mission im Auftrag der Vereinten Nationen
bis an die Küste geht . Ein weiterer Schritt wäre, dass die
Mission Sophia dem Einsammeln von Kleinwaffen dient .
6 Millionen Einwohner, 20 Millionen Kleinwaffen – hier
sind wir gefordert . Die Europäische Union hat Erfahrun-
gen in Bosnien und im Kosovo gesammelt . Wir wissen,
wie das geht,


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das glaube ich!)


und kennen auch die Tücken .

Der dritte Schritt ist dann, dass die europäische Missi-
on, wenn die Einladung durch die libysche Zentralregie-
rung erfolgt, Grenzsicherungskräfte in Libyen ausbildet
und möglicherweise auch attestiert .

Wenn das erreicht ist, haben wir innerhalb Libyens
eine Grundstabilität, aber noch lange nicht die Sicher-
heit, die wir brauchen, um das durchzusetzen, was wir
letztlich wünschen, nämlich eine starke Regierung und
eine wieder aufwachsende Zivilgesellschaft, die sich um
Bildung, Ausbildung und Aussöhnung im eigenen Land
kümmern kann . Ich nenne als weiteren Punkt die Durch-
setzung der Menschenrechte, die zwingend erforderlich
ist . Aber es bedarf dieses schrittweisen Ansatzes .

Ein Letztes: Vergangenes Jahr, im November, hatten
wir den EU-Afrika-Gipfel . Auf diesem La-Valletta-Gip-
fel wurde sehr deutlich, wohin die Reise geht . Es geht
um die Unterstützung der Afrikanischen Union, auch der
Arabischen Liga, zumindest der Maghreb-Staaten, damit
wir eine Marktöffnung erreichen und eine Aussöhnung
innerhalb der Zivilgesellschaften hinbekommen . Ferner
müssen die Themen Bildung und Tagesstrukturen in auf-
zubauenden Flüchtlingslagern wieder auf die Tagesord-
nung .

All das zusammen ist das Konzept, das die Europäi-
sche Union gemeinsam mit den Vereinten Nationen und
den regionalen Partnern im Wesentlichen mitgestaltet .
Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle deutlich unter-
streichen: Unsere Marine leistet im Verbund mit den an-
deren europäischen Staaten Außergewöhnliches . Unser
Dank gilt der deutschen Marine . Wir müssen aber auch
durch öffentliche Information unserer Bevölkerung er-

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


klären, dass diese Soldaten einen sinnvollen Dienst leis-
ten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesem Sinne wünsche ich uns eine weitere Debatte .
Die CDU/CSU unterstützt die Ausweitung des Mandats .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818321600

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Franziska

Brantner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Machen wir uns zu Libyen nichts vor: Die
nationale Einheit ist weit entfernt, auch wenn dazu erste
Schritte vollzogen worden sind . Diverse Milizen kämp-
fen um die Vorherrschaft, die Terrorbanden des IS treiben
ihr Unwesen. Rund eine halbe Million Geflüchtete har-
ren unter furchtbaren Bedingungen aus . Auch wenn man
die Mission kritisiert – ich finde, es gibt sehr berechtigte
Kritik an dieser Mission –: Ich muss deutlich sagen, dass
im Rahmen der Operation Sophia – das ist übrigens ein
schöner Name – bisher an die 15 000 Menschenleben ge-
rettet worden sind . Dafür gebührt unseren und den ande-
ren europäischen Soldatinnen und Soldaten unser Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ja, Herr Arnold, Schlepper sind keine Waisenknaben,
und, ja, man muss auch Menschenhandel bekämpfen .
Aber wir meinen, dieser muss polizeilich bekämpft wer-
den und nicht militärisch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Es gibt aber auf hoher See keine Polizei!)


Es ist doch so, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ma-
rineverbände bügeln das Versagen der Europäer aus, auf
die Flüchtlingskrise eine gemeinsame, faire, solidarische
und humane Antwort zu finden. Sie bügeln das Versagen
aus . Die Seenotrettung ist der positive Nebeneffekt eines
Kurses, der stets nur die Abschottung zum Ziel hatte und
bei dem die zivilen Ansätze keine Rolle spielen . Es ist ein
positiver Nebeneffekt, aber ein Nebeneffekt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, Libyen braucht unsere Hilfe, gerade vor dem Hin-
tergrund der Militärintervention vor fünf Jahren und ge-
rade vor dem Hintergrund, dass man die Libyer damals
alleine gelassen hat . Das war eine verantwortungslose
Politik, und daraus müssen wir heute lernen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir bezweifeln aber, dass EUNAVFOR MED – das
ist der nicht so schöne Name für diese Mission – wirklich

einen Beitrag zur Stabilisierung leisten kann . Was Liby-
en braucht, sind rechtsstaatliche Strukturen, Bildung und
ein Gesundheitswesen . Das ist es, was wir jetzt in Libyen
brauchen . Was ist die Antwort der europäischen Mission?
Eine Küstenwache, die uns „hilft“ . Das ist keine richtige
Antwort auf die große Herausforderung in Libyen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie müssen das Gesamtpaket sehen!)


Zur Ausbildung der libyschen Küstenwache: Wer soll
denn eigentlich ausgebildet werden? Welcher Rechtsrah-
men gilt für die Küstenwache? Kann die fragile Einheits-
regierung hier überhaupt eine Kontrolle ausüben? Wer-
den diese Einheiten den Schutz von Flüchtlingsrechten
gewährleisten? Es gibt so viele Fragen . Wir haben dazu
eine Kleine Anfrage mit sehr vielen Fragen an die Bun-
desregierung gestellt . Haben wir brauchbare Antworten
bekommen? Fehlanzeige . Es gab keine Antworten auf
diese sehr relevanten Fragen, in denen es darum ging,
was diese Mission genau tun wird .

Es gab eine Frage, bei der darauf verwiesen wurde,
dass sich entsprechende Informationen in einem Doku-
ment in der Geheimschutzstelle befinden würden. Bis
heute war das Papier immer noch nicht zugänglich und
nicht einzusehen . Dabei stimmen wir heute über dieses
Mandat ab . Das hat überhaupt nichts mehr mit Transpa-
renz und Verantwortung zu tun, sondern es ist einfach
Ausdruck des Durchpeitschens eines Mandats, bei dem
es sehr viele offene Fragen gibt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grüne haben einen eigenen Antrag eingebracht .
Wir sind für die legale Einreise Schutzsuchender, für
eine echte europäische Mare-Nostrum-Mission . Wir sind
für eine verbesserte Zusammenarbeit der EU-Staaten im
Kampf gegen organisierte Kriminalität und Menschen-
handel auch auf hoher See . Wir sind für eine Stärkung der
UN in Libyen und für einen echten Einsatz Deutschlands
und der EU, für eine Stärkung der Einheitsregierung im
zivilen Bereich im Hinblick auf Bildung, Gesundheit,
Rechtsstaatlichkeit . Die Bundesregierung hätte bei der
Mandatsänderung und bei der Mandatserweiterung die
Chance gehabt, das Mandat auf die Füße zu stellen . Sie
hat diese Chance vertan . Das ist schade . Deswegen kön-
nen wir diesem Antrag nicht zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818321700

Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Ausspra-

che hat Dr . Brandl von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1818321800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte kurz auf meine Vorrednerin, Frau Brantner,
antworten . Frau Brantner, in diesen Tagen diskutieren
wir in Europa viel darüber, was die zukünftigen Aufga-
ben der Europäischen Union sein sollten . Wenn Sie die
Menschen in Europa fragen, dann stellen Sie fest, dass

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


sie vor allem bezüglich einer Aufgabe eine klare Mei-
nung haben: 87 Prozent der Menschen in Europa sagen,
Europa müsse seine Außengrenzen schützen . Das ist eine
zentrale Herausforderung für Europa .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir schützen die Grenzen Deutschlands auch nicht militärisch!)


Wenn wir innerhalb Europas das Grundrecht der Reise-
freiheit, das Grundrecht der Niederlassungsfreiheit erhal-
ten wollen, dann brauchen wir dafür sichere Außengren-
zen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich leistet EUNAVFOR MED einen Beitrag
dazu . Das ist auch kein Nebeneffekt . Aber es ist nicht
der einzige Beitrag, den EUNAVFOR MED leistet .
EUNAVFOR MED leistet auch einen wichtigen Beitrag
zur Stabilisierung der Region .

Wir dürfen bei der Frage der Sicherung der Außen-
grenzen nicht nur auf Brüssel zeigen und sagen: Liebes
Europa, mach mal . Vielmehr ist gerade die Sicherung
von Seegrenzen nur in einem gemeinschaftlichen An-
satz möglich . Brüssel allein hat gar nicht die Ressourcen
und die Möglichkeiten dazu . Um Seegrenzen wirklich zu
schützen, ist es wichtig, dass man auf der anderen Seite
einen stabilen Partner hat . Im Mittelmeer haben wir das
Problem, dass wir auf der anderen Seite keinen stabilen
Partner haben . Dort sind vielmehr instabile Länder, zum
Beispiel Libyen oder eine Reihe anderer Staaten in Nord-
und Westafrika .

Deswegen ist es eine zentrale Herausforderung nicht
nur, aber auch für den Schutz der Außengrenzen, die
Länder in der Region Nordafrika zu stabilisieren . Die
EU leistet dazu gemeinsam mit der UN einen Beitrag mit
einer ganzen Reihe von Missionen, zum Beispiel in Li-
byen, in Mali, in Niger, in Zentralafrika und in Somalia .
Deutschland unterstützt alle diese Missionen bzw . hat
alle diese Missionen schon in der Vergangenheit unter-
stützt .

Ich betone das deshalb, weil nach dieser Debatte nicht
der Eindruck erweckt werden soll, dass EUNAVFOR
MED Operation Sophia die Lösung ist . EUNAVFOR
MED ist ein kleiner Beitrag in einem Gesamtansatz,
den die Europäische Union in dieser Richtung fährt . Die
Aufgabe von EUNAVFOR MED ist es, aufzuklären . Die
Aufgabe von EUNAVFOR MED ist es, Schleuserstruktu-
ren zu bekämpfen . Die Aufgabe von EUNAVFOR MED
wird es in Zukunft sein, die libysche Küstenwache mit
auszubilden und den Waffenschmuggel zu bekämpfen .

EUNAVFOR MED rettet auch Flüchtlinge . Es ist fast
schon erschreckend, zu sehen, wie viele Flüchtlinge dort
unterwegs sind . Man muss fast täglich im BMVg nach-
fragen, um die aktuelle Zahl zu erfahren . Wir haben am
Dienstag im Verteidigungsausschuss das Mandat bespro-
chen . Zeitgleich zu unseren Beratungen hat der Tender
„Werra“ 656 Flüchtlinge aus Seenot gerettet . In der Zwi-
schenzeit – das ist die aktuellste Zahl – sind es bereits
über 19 000 Flüchtlinge, die durch EUNAVFOR MED
gerettet worden sind .

Wir wissen natürlich, dass wir durch diese Mission,
durch das Retten der Flüchtlinge zum Teil das Geschäft
der Schleuser noch profitabler machen. Deswegen ist es
richtig, dass bei der jetzigen Mission entschieden worden
ist, nicht ganz in die Nähe der libyschen Küste zu fahren,
sondern in internationalen Hoheitsgewässern zu bleiben,
um es den Schleusern nicht noch einfacher zu machen .

Es ist genauso richtig, die Küstenwache auszubilden,
damit die Soldaten, die Polizisten dort in Libyen in die
Lage versetzt werden, ihre Küste selbst zu schützen .

Es ist richtig, gegen den Waffenschmuggel vorzuge-
hen und damit dem IS und anderen Terrororganisationen
die Nachschubwege trockenzulegen .

Meine Damen und Herren, wir zeigen nicht nur auf
Brüssel im Sinne des Forderns, sondern wir leisten auch
einen aktiven Beitrag, heute auch mit diesem Mandat,
und ich bitte Sie um Zustimmung .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818321900

Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweite-
rung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EUNAVFOR MED Operation Sophia . Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9035, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/8878 anzunehmen .

Wir stimmen über die Beschlussempfehlung nament-
lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die Plätze an den Urnen einzunehmen . Bitte zügig! – Ich
sehe, dass einige Plätze noch nicht besetzt sind . Wenn
man jetzt noch nicht den Platz gefunden hat, an dem man
Verantwortung hat, ist das nicht zügig, liebe Kolleginnen
und Kollegen .

Sind die Plätze jetzt besetzt? – Das ist noch nicht der
Fall . Liebe Kollegen, ich kann die Abstimmung nicht er-
öffnen, solange die Urnen nicht besetzt sind .

Herr Neu, können Sie bitte einmal an die Urne dort
gehen? Es fehlt immer noch ein Schriftführer von der
Opposition . – Danke .

Sind jetzt alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Dann
kann ich die Abstimmung eröffnen .

Gibt es jemanden in diesem Haus, der noch nicht ab-
gestimmt hat? – Liebe Kollegen da hinten, es gibt auch
noch andere Urnen . Man muss bloß ein kleines Stück-
chen laufen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe niemanden
mehr, der noch abstimmen muss . Deshalb schließe ich
jetzt die Abstimmung . Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das

Dr. Reinhard Brandl






(A) (C)



(B) (D)


Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben .1)

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/9069 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn
Sie da mittendrin stehen, kann ich nicht sehen, wie das
Abstimmungsverhältnis ist . Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke
abgelehnt worden bei Zustimmung von Bündnis 90/Die
Grünen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Kerstin Andreae, Sven-Christian
Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine transparente und geschlechterge-
rechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting
als Instrument von Good Governance

Drucksache 18/9042
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in der
Aussprache hat Ekin Deligöz von der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818322000

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Etwas mehr als ein Drittel der Abgeordneten im
Bundestag sind Frauen, und in vielen Bereichen gibt es
inzwischen Frauen in Führungspositionen . Wir haben
die Gleichstellung in der Verfassung verankert, wir ha-
ben viele Einzelgesetze, die dazu führen, dass Frauen
gefördert werden . Eigentlich könnten wir doch sagen, in
Sachen Gleichstellung haben wir unsere Hausaufgaben
gemacht . Das haben wir aber nicht . Denn die Wirklich-
keit schaut komplett anders aus .

Frauen verdienen immer noch weniger als Männer,
Frauen sind in den Aufsichtsräten und Vorständen noch
lange nicht egalitär vertreten . Es ist eine sehr mühsame
Entwicklung . Frauen sind immer noch diejenigen, die in
dieser Gesellschaft den Mammutanteil an unbezahlter
Arbeit leisten – sei es die Pflege, sei es die Kindererzie-
hung, sei es die Familienarbeit . Erst wenn wir diese Ent-
wicklungen transparent machen, erkennen wir, welche
Ungerechtigkeiten wir in dieser Gesellschaft haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


1) Ergebnis Seite 18115 D

Darum geht es .

Ein Instrument, um diese Ungerechtigkeit zu verdeut-
lichen, ist der Weg über Klarheit und Transparenz in den
öffentlichen Finanzen . Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel .
In Berlin wurde festgestellt, dass weibliche Sachbear-
beiterinnen pflegebedürftigen Männern im Durchschnitt
höhere Leistungen zuerkennen als ebenso pflegebedürf-
tigen Frauen, weil sie den Frauen mehr Eigenständigkeit
zumuten . Das zeigt eines in der Analyse: dass gesell-
schaftliche Wertvorstellungen, Rollenbilder, Machtstruk-
turen in unseren Köpfen gerade dann eine Rolle spielen,
wenn es um Finanzen geht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch die Haushalts- und Finanzpolitik ist nicht davor
gefeit . Deshalb lohnt sich diese Analyse . Das Instru ment,
diese Analyse nach vorn zu bringen, nennt sich Gender
Budgeting . Es ist die Analyse von öffentlichen Haushal-
ten nach Geschlechteraspekten . Gender Budgeting heißt
nicht nur Good Governance, gute Regierungsführung,
sondern sagt, was mit Steuergeldern in dieser Gesell-
schaft eigentlich passiert . Gerade weil es so ein transpa-
rentes System ist, haben die Österreicher es in ihre Ver-
fassung aufgenommen . Gerade weil es Transparenz und
Akzeptanz schafft, verwendet die EU es beim Europäi-
schen Sozialfonds . Auch Berlin und Bremen haben gute
Erfahrungen damit gemacht, viele Kommunen überneh-
men es . Davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten
wir lernen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Alle, die dahinter eine Art feministischen Kampf-
begriff vermuten, frage ich: Was genau soll denn bitte
falsch daran sein, sich für Gerechtigkeit und Gleichstel-
lung in diesem Land einzusetzen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das sollte kein Kampf sein . Vielmehr sollte es in diesem
Land selbstverständlich sein, und für diese Selbstver-
ständlichkeit stehen wir jetzt ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denjenigen, die sagen: „Jetzt wird jeder Cent genau
hälftig aufgeteilt“, sage ich: Darum geht es nicht . Es geht
nicht um Gleichmacherei und nicht darum, dass immer
ganz genauso viel Geld für Männer wie für Frauen aus-
gegeben wird, sondern es geht um Gerechtigkeit . Es geht
darum, die Konsequenzen der Entscheidungen, die wir
getroffen haben, zu sehen und zu überlegen, wie wir ver-
antwortungsvoll mit Geld umgehen können .

Ein letztes Argument: Es wird immer wieder behaup-
tet, in unserem jetzigen kameralistischen System sei
Gender Budgeting nicht machbar . Doch, es ist mach-
bar . Dafür brauchen wir keine große Haushaltsreform,
sondern dafür brauchen wir Mut und den Willen, genau
hinzuschauen, wofür wir eigentlich unsere Steuermittel
ausgeben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Transparenz – das ist nämlich das, was im Ergebnis dabei
herauskommt – führt auch immer zu besserer Akzeptanz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Akzeptanz wiederum steht dafür, dass wir die Demokra-
tie in diesem Land voranbringen, Demokratie, die ein-
stehen muss für die Gleichberechtigung von Männern
und Frauen, aber auch für die stärkere Akzeptanz bei der
Verwendung von Steuermitteln . Das ist unser Auftrag,
für den wir heute einstehen . Ideen dazu gibt es genug .
Wir haben sie alle aufgeschrieben . Lassen Sie uns diese
Diskussion starten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818322100

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Kerstin

Radomski von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Kerstin Radomski (CDU):
Rede ID: ID1818322200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir spre-
chen heute über die Forderung nach einem sogenannten
geschlechtergleichen Haushaltsplan . Wie bereits darge-
legt wurde, sollen mit dem Gender Budgeting zusätzli-
che Maßnahmen in den Prozess der Aufstellung unseres
Haushaltsplans aufgenommen werden, durch die eine
tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter erreichen
werden soll .

Was heißt das konkret? Bei jeder monetären Ausgabe
im Rahmen des Haushaltsentwurfes von über 328 Mil-
liarden Euro soll überprüft werden, ob diese Ausgabe
Männern und Frauen gleichermaßen zugutekommt .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber anders im Antrag! Das stimmt ja nicht!)


Weil der Staat kein Geschlecht bevorzugen darf, müsste
es im Fall einer nicht gleich hohen Ausgabe für beide Ge-
schlechter zu einer Umverteilung kommen . Wie Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, in Ihrem Antrag ganz richtig betonen, ist nach
Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes alles staatliche
Handeln der Durchsetzung der Gleichberechtigung der
Geschlechter verpflichtet.

Die jüngere Generation hat das große Glück, mit der
Gleichberechtigung von Mann und Frau aufgewachsen
zu sein . Wir nehmen dies heute als selbstverständlich hin .
Schließlich dürfen Frauen in Deutschland seit nunmehr
97 Jahren wählen gehen . Im zunehmend globalisierten
21 . Jahrhundert werden wir allerdings tagtäglich auch
mit Gesellschaftssystemen konfrontiert, in denen der
Frau wichtige Rechte auf Gleichstellung weiterhin nicht
gewährt werden .

Auch in der Bundesrepublik Deutschland sind viele
Dinge, die uns als selbstverständlich erscheinen, noch
lange nicht so etabliert, wie es manchmal den Anschein

hat . Noch bis ins Jahr 1958 hinein konnte ein Ehemann
in der jungen Bundesrepublik das Dienstverhältnis sei-
ner Frau kündigen . Bis 1962 durfte eine Frau ohne die
Zustimmung ihres Mannes kein eigenes Bankkonto er-
öffnen, und erst weitere sieben Jahre später wurde eine
verheiratete Frau als geschäftsfähig angesehen . Wir ver-
gessen oft, dass vollkommene Gleichberechtigung ein
langwieriger und anhaltender Prozess ist . Es ist erreicht,
dass nach § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der
Bundesministerien die Gleichstellung von Mann und
Frau als Leitprinzip politischen, normgebenden und ver-
waltenden Handelns der Bundesregierung etabliert ist .

Natürlich ist es lobenswert, das Thema Gleichstellung
ins Gedächtnis zu rufen . Aber wir, die CDU/CSU-Frakti-
on, haben dies nie aus den Augen verloren und im Parla-
ment auch in den letzten Jahren weiter begleitet .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen, Herr Kindler .

Das von der CDU und CSU eingeführte Elterngeld ist
beispielsweise als Ersatzleistung für das wegfallende Er-
werbseinkommen gedacht . Dabei lautet das Ziel, beiden
Elternteilen eine bessere Beteiligung an der Erziehung
der Kinder zu ermöglichen .

10 Millionen Menschen – Mütter und Väter – profi-
tieren von der Erhöhung der Rentenpunkte für die Erzie-
hungszeit von Kindern, die vor 1992 geboren sind . Auf
unsere Mütterrente sind wir als CDU/CSU-Fraktion zu
Recht stolz .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vor dem Gesetz sind wir alle gleich, aber als Individu-
en doch grundsätzlich verschieden . Wir alle erhalten eine
schulische Ausbildung in den gleichen Fächern, und doch
entscheidet sich ein Mann vielleicht, Krankenpfleger zu
werden, und eine Frau studiert Ingenieurwesen, was frü-
her jeweils selten der Fall war . Die meisten von uns er-
werben im selben Alter den Führerschein, und trotzdem
fahren nicht alle gleich gerne Auto . Es gibt diverse Studi-
en, die aufzeigen, dass Männer lieber Auto fahren und es
viele Frauen gibt, die den ÖPNV bevorzugen . Jetzt stel-
len wir uns bitte einmal vor, wie das Gender Budgeting
in der Praxis aussehen würde: Ist eine Investition in die
Sanierung einer Bundesstraße eine männliche oder eine
weibliche Bevorteilung?


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einfach können Sie es sich nicht machen! Das ist doch ein bisschen zu billig jetzt! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie wäre es mit ein bisschen mehr Sachlichkeit? – Zuruf von der CDU/ CSU: Weiblich: die Straße!)


In der Konsequenz, dass viele Männer offenbar eher für
das Autofahren zu begeistern sind als Frauen, stünde hier
womöglich ein klares „männlich“ .


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Straße ist weiblich!)


Ekin Deligöz






(A) (C)



(B) (D)


Aber ganz ehrlich und plump gesagt: Ist eine Frau dis-
kriminiert, wenn unsere Straßen gut saniert sind? Wohl
nicht . Auch wenn sie nicht gerne hinter dem Steuer sitzt,
profitiert sie trotzdem von der Sanierung der Straßen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818322300

Frau Radomski, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu

kommen, trotz der netten Beispiele .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, bitte!)



Kerstin Radomski (CDU):
Rede ID: ID1818322400

Ja, mache ich . – Anstatt die Gesellschaft zu zerteilen,

sollten wir uns daran erinnern, dass wir alle gleichbe-
rechtigte Menschen sind .

Ich möchte noch einen finanziellen Aspekt anspre-
chen . Natürlich hat auch die Machbarkeitsstudie gezeigt,
die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung in
Auftrag gegeben wurde, dass wir im Ergebnis mehr Stel-
len brauchen und damit Geld .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818322500

Sie müssen wirklich zum Schluss kommen .


Kerstin Radomski (CDU):
Rede ID: ID1818322600

Ich bringe den Satz zu Ende . – Ich würde Sie bitten,

dieses Geld lieber in Infrastruktur, Bildung, Kitas und
Generationengerechtigkeit zu stecken . Deshalb lehnen
wir den Antrag ab .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818322700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal die Bit-

te: Das war jetzt über eine Minute zusätzliche Redezeit .
Ich muss nicht darauf hinweisen, was es bedeutet, wenn
jeder eine Minute zusätzlich redet . Dann sitzen wir hier
noch um elf .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist denen, die jetzt reden, aber egal!)


Deshalb bitte ich wirklich, die Redezeit einzuhalten .

Dr . Gesine Lötzsch hat als nächste Rednerin das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818322800

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Ein transparenter und geschlechter-
gerechter Haushalt ist wichtig und richtig . Eigentlich ist
es erstaunlich und schade, dass wir überhaupt darüber
reden müssen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Herren von der Union, Sie müssen doch keine
Angst haben, dass es Ihnen schlechter gehen wird . Bei
diesem Antrag – die Kollegin hat es ja dargestellt – geht

es doch erst einmal um Transparenz . Ihnen wird doch
noch gar nichts weggenommen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Es wäre doch viel zu schade, meine Damen und Herren,
wenn Finanzminister und Regierungsfraktionen aus-
drücklich nicht wissen wollen, wie viel Geld aus dem
Bundeshaushalt bei Männern und Frauen ankommt . Wa-
rum eigentlich? Fürchten Sie etwa die Ergebnisse?


(Zurufe von der CDU/CSU)


Wir Linke hatten bereits im Frühjahr 2014 das The-
ma im Haushaltsausschuss auf die Tagesordnung gesetzt .
Leider war das Desinteresse bei der Koalition groß .
Der damalige Finanzstaatssekretär meinte sogar noch,
dass der Haushalt doch nichts mit der Durchsetzung der
Gleichberechtigung der Geschlechter zu tun habe . Wel-
che Fehleinschätzung! Wir wissen ja: Um vernünftige
Politik zu machen, brauchen wir das Geld an der richti-
gen Stelle . Dafür werden wir uns als Linke immer einset-
zen, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir können ja einmal ein paar Beispiele – die Kolle-
gin Deligöz hat das ja schon gemacht; ich werde noch
welche hinzufügen – durchdeklinieren .

Mich interessiert zum Beispiel brennend die Frage,
wie die Personalmittel in den Bundesministerien auf
Frauen und Männer verteilt sind .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe dazu eine Anfrage an die Bundesregierung ge-
stellt . Ich bin sehr gespannt auf die Antwort . Ich kann
mir nämlich vorstellen, dass das Personalbudget sehr
unterschiedlich verteilt ist, und sicher nicht nur im Ver-
teidigungsministerium zuungunsten der Frauen, meine
Damen und Herren .

Oder wir können uns die Bundessubventionen unter
dem Aspekt der Verteilung zwischen Männern und Frau-
en anschauen . Werden Männer von der Bundesregierung
mehr subventioniert als Frauen? Ich nenne Ihnen einmal
ein aktuelles Beispiel: die Subventionierung des Kaufs
von Elektroautos . Stellen Sie sich mal ehrlich die Frage:
Geht es da wirklich um die Energiewende, oder geht es
doch eher um Männerträume? Meine Damen und Herren,
ich sage: Es geht um Männerträume .


(Beifall bei der LINKEN – Alois Rainer [CDU/CSU]: Nein, danke! Elektroauto bestimmt nicht! Kein Traum von mir!)


Warum wurde zum Beispiel der Frauenbetrieb Schle-
cker nicht gerettet, dafür aber Schrottbanken, die in der
Mehrheit von Männern geführt werden? Auch das ist
eine berechtigte Frage, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Und wenn Wirtschaftsminister Gabriel immer wieder
mehr Waffen exportiert, dann ist doch die interessante
Frage: Wer ist eigentlich für die Herstellung dieser Waf-

Kerstin Radomski






(A) (C)



(B) (D)


fen verantwortlich, wer sitzt da in den Führungspositio-
nen, Männer oder Frauen?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nächster Punkt . Schauen wir uns die Steuerpolitik an .
Wie sieht es da aus? Gibt es vielleicht noch keine ge-
rechte Vermögensteuer, weil sich die großen Vermögen
zumeist in den Händen von Männern befinden?

Ich finde, das sind alles interessante Fragen. Ich den-
ke, niemand wird verstehen, wenn die Koalition – Frau
Radomski hat das ja für die CDU/CSU schon vorgetra-
gen – sie nicht beantworten will .

Es gibt zu diesem Thema viele gute Erfahrungen in
Österreich, in Skandinavien, aber auch in Berlin . Der
Berliner Senat hatte 2002 auf Vorschlag der Linken als
erstes Bundesland das Gender Budgeting eingeführt .
Man kann sich ja ausnahmsweise einmal an Berlin orien-
tieren, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Berlin hat ja kein Geld!)


Mein Vorschlag an die Frauen im Bundestag: Sollte
dieser Antrag abgelehnt werden, sollten wir gemeinsam
die uns zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mit-
tel nutzen, um die nötigen Informationen auch so heraus-
zufinden und um in der Verteilungsfrage mehr Transpa-
renz herzustellen . Ich habe bereits damit angefangen, und
ich denke, es wäre gut, wenn viele mitmachen – aus allen
Fraktionen .

Herzlichen Dank . – Ich habe zehn Sekunden Redezeit
gespart .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818322900

Vielen Dank . Ja, Sie haben einige Sekunden einge-

spart . – Als nächster Redner hat Ewald Schurer das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ewald Schurer (SPD):
Rede ID: ID1818323000

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Keinesfalls ist Gender Bud-
geting ein Kampfbegriff, den man, liebe Kollegin Ekin
Deligöz, negativ bewerten muss . Es gibt schon Haus-
haltsansätze, zum Beispiel im Berliner Senat, bei denen
man damit arbeitet . Es gibt auch viele Länder, zum Bei-
spiel skandinavische Länder und Österreich, die man in
diesem Zusammenhang als positive Beispiele erwähnen
kann . Insofern sehe ich den Diskussionsprozess als sehr
produktiv an .

Unabhängig von der philosophischen Frage, ob wir
den Haushalt eher geschlechterneutral sehen oder eben
auch in der Dimension weiblich/männlich bewerten soll-
ten, möchte ich darauf hinweisen, dass von der aktuellen
Regierung Frauenpolitik betrieben wird . Es ist zwar be-
schämend, dass wir die Bestimmungen für mehr Schutz
für Frauen vor sexuellen Übergriffen erst heute beschlos-
sen haben – es war ein langer Prozess, und das Thema ist

lange Zeit tabuisiert worden –; aber immerhin haben wir
heute vor dem Hintergrund jüngster schlimmer Ereignis-
se, die krimineller Natur waren, Konsequenzen gezogen .
Auch das ist konkrete Frauenpolitik, die hier heute im
Parlament beschlossen worden ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf hin-
weisen, dass diese Regierung zum Beispiel im April 2015
das Bundesgleichstellungsgesetz auf den Weg gebracht
hat . Das ist noch kein Durchbruch für die gesamte Wirt-
schaft; aber bei börsennotierten Unternehmen werden
nun immerhin 30 Prozent der Spitzenposten für Frauen
reserviert . Das ist ein Anfang, aber noch nicht der Durch-
bruch . Auch das sind Errungenschaften konkreter Frau-
enpolitik, die von dieser Koalition gemeinsam erreicht
worden sind .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben dann Mitte 2015 das Elterngeld Plus ein-
geführt . Auch das ist ein gesellschaftlicher Fortschritt,
weil damit für Väter und Mütter gemeinsam Spielräume
im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
erzielt werden sollen . Auch das, liebe Ekin, werte Kolle-
ginnen und Kollegen, ist ein konkreter Fortschritt . Es ist
gendermäßig eine politisch richtige Maßnahme, die wir
in dieser Großen Koalition durchgesetzt haben .


(Beifall bei der SPD)


Für uns Sozialdemokraten war im Kampf um den
Mindestlohn auch die Dimension von großer Bedeutung,
dass der Mindestlohn zu zwei Dritteln, sogar fast 70 Pro-
zent, die weibliche Hälfte der Bevölkerung betrifft, weil
in unserer Gesellschaft vor allen Dingen Frauen in den
Berufen tätig sind, in denen entgegen allem Verständnis
vom Wert der Arbeit bisher zum Teil so wenig gezahlt
worden ist, dass man davon überhaupt nicht leben konn-
te . Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
war also beim Projekt Mindestlohn auch die Dimension,
die Frauen besserzustellen, von herausragender Bedeu-
tung .


(Beifall bei der SPD)


Ich muss ganz ehrlich sagen: Ein schwerwiegender
Punkt fehlt noch; er ist noch nicht angesprochen worden .
Wir Sozialdemokraten, also Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten – ganz ernsthaft akzentuiert –, wollen
im Zuge des Projektes, künftig Lohngerechtigkeit herzu-
stellen, weitere Fortschritte erzielen . Lohngerechtigkeit
ist eine Dimension, die bei einem Mann, einem Vater wie
mir – ich habe vier Kinder, darunter drei Töchter –, einen
Emanzipationsprozess auslöst .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


– Das meine ich mit großer Ernsthaftigkeit . – Es ist für
mich nach wie vor beschämend, dass Frauen in unserer
Gesellschaft für ihre Arbeit, statistisch gesehen, 21 Pro-
zent niedrigere Reallöhne bekommen . Selbst, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, wenn man die Jobs strukturell
vergleicht und die Billigjobs, die es leider in unserer Ge-
sellschaft im schlecht bezahlten Dienstleistungsbereich
gibt und die oft von Frauen ausgeführt werden oder wer-
den müssen, abzieht, ist es immer noch so: Frauen ver-

Dr. Gesine Lötzsch






(A) (C)



(B) (D)


dienen in strukturell vergleichbaren Berufen immer noch
10 Prozent weniger als die männliche Hälfte . Das kann
man so nicht lassen .

Ich blicke an dieser Stelle mit gewinnendem Blick in
Richtung Kolleginnen und Kollegen der Union .


(Beifall bei der SPD)


Das Lohngerechtigkeitsgesetz liegt seit Dezember 2015
im Kanzleramt . Ich kann mir in meiner Fantasie einfach
nicht vorstellen, werte Kollegen von der Union, auch auf
der Regierungsbank, dass eine Bundeskanzlerin so einem
klugen Lohngerechtigkeitsgesetz letztendlich nicht den
Zuschlag geben will .


(Beifall bei der SPD)


Das ist sowohl makroökonomisch wie auch individuell
schädlich; denn Frauen haben mindestens den gleichen
Wert in der Arbeitswelt und sollten deshalb unter Lohn-
gerechtigkeitsgesichtspunkten so bezahlt werden wie
Männer und umgekehrt . Das ist für mich ein großer Ruf .
Ekin Deligöz hat mit ihrem guten und wichtigen Antrag
mir dazu geholfen,


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt denn die SPD dann zu?)


das innerhalb der Koalition formulieren zu dürfen . Ich
glaube, es kommt bei den geschätzten Freundinnen und
Freunden des Koalitionspartners, nicht nur bei den Frau-
en der Union, auch gut an .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stimmt ihr dem Antrag zu, Ewald?)


– Lieber Kollege Kindler, jetzt nicht schreien, dazu ha-
ben wir im Haushaltsausschuss wieder Zeit, wo Sie Ihre
Thesen wieder kräftig vier-, fünfmal wiederholen; das ist
auch legitim, damit ich es auch immer verstehe .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nein, da arbeiten wir ganz ruhig, sachlich und konzentriert! Da wird nicht geschrien!)


Vor diesem Hintergrund sage ich: Ich würde die Dis-
kussion über Gender Budgeting weiterführen wollen .


(Beifall der Abg . Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es sind Ansätze vorhanden, die zumindest in der SPD
Widerhall finden. Wir brauchen allerdings ein gemein-
sames Konzept; das müssen wir am heutigen Tag nicht
übers Knie brechen . Wir brauchen also eine Diskussion
über ein gemeinsames Konzept. Ich finde auch die An-
sätze interessant wie auch die Philosophie, die dahin-
ter steht, nämlich Haushaltsmittel, wie Frau Kollegin
Lötzsch gesagt hat, in Bezug auf die Kategorien „weib-
lich“ und „männlich“ in Bereichen wie der Personalaus-
stattung genau zu untersuchen . All das sind interessante
Aspekte . Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten werden dieses Thema weiter verfolgen .

Zum Schluss kann ich ganz klar sagen: Die Förderung
von Frauenpolitik und der Genderprozess insgesamt be-
treffen einen Bereich, in dem der männliche Teil der Welt
in der Tat noch lernen muss . Ich bin mir sicher, dass in
allen Parteien Sensibilisierungsprozesse notwendig sind .
Erst wenn die Gleichwertigkeit von Mann und Frau zur
Selbstverständlichkeit wird, sie also im ökonomischen
wie im sonstigen gesellschaftlichen Prozess nicht mehr
diskutiert werden muss, sondern real vorhanden ist, sind
wir politisch am Ziel . In diesem Sinne wünsche ich mir
weitere Fortschritte in diesem Prozess .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818323100

Vielen Dank . – Ich habe gerade gedacht: Viele Töchter

wünsche ich mir – für die Kollegen .

Alois Rainer hat als letzter Redner das Wort in dieser
Debatte .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1818323200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das
Thema Gleichstellung ist nicht zwingend ein haushalts-
politisches Thema, dennoch ist es ein Thema, das wir alle
miteinander sehr ernst nehmen sollten und auch wollen .
So liegt unserer Gleichstellungspolitik der Ansatz zu-
grunde, dass wir in einer freien Gesellschaft leben, in der
sich jeder Mensch unabhängig vom Geschlecht frei ent-
falten und entwickeln kann .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wäre schön!)


– Immer schon . – Trotzdem müssen wir zur Kenntnis
nehmen, dass es in einigen Bereichen immer noch struk-
turelle Probleme gibt .

Die Gleichstellungspolitik der Union besteht im Kern
darin, strukturelle Benachteiligungen, die aufgrund des
Geschlechts bestehen, zu beseitigen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Sinne wurden gezielt Maßnahmen eingeleitet
und Gesetze verabschiedet, um die Gleichstellung von
Frauen und Männern erreichen, zum Beispiel das Eltern-
geldgesetz für beide Elternteile, das Pflegezeitgesetz,
gesetzliche Regelungen für mehr Frauen in Führungspo-
sitionen in der Privatwirtschaft und in der Bundestags-
verwaltung, zur Mütterrente – das wurde schon ange-
sprochen – und vieles andere mehr .

Meine sehr verehrten Damen und Herren Antragstel-
ler, mit Ihrem Antrag fordern Sie unter anderem: erstens
die verbindliche Aufnahme von Gender Budgeting als
Prinzip der Haushaltsführung in die Bundeshaushaltsord-
nung als zweijähriges Pilotprojekt, zweitens die Einrich-
tung einer interministeriellen Gender-Budgeting-Steue-
rungsgruppe, um die Umsetzung im Bundeshaushalt zu
koordinieren . Drittens wollen Sie auch noch, dass dem

Ewald Schurer






(A) (C)



(B) (D)


Bundestag darüber hinaus ein jährlicher Gender-Budge-
ting-Bericht vorgelegt wird .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch sehr gut!)


Dazu sage ich nur: Danke schön .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das verstehen auch die Bürger nicht!)


Meine Damen und Herren, aus unserer und aus mei-
ner Sicht ist die Implementierung von Gender Budgeting
im Bundeshaushalt kein geeignetes Instrument, um die
Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Bundeshaushalt beschreibt den finanziellen Rahmen
der einzelnen Fachbereiche, legt ihn gesetzlich fest und
ermächtigt die jeweils zuständigen Ressorts zur Leistung
der hierfür erforderlichen Ausgaben . Die Umsetzung der-
artiger gleichstellungspolitischer Ansätze gehört dorthin,
wo sie inhaltlich angebracht ist, und zwar in die Verant-
wortung der einzelnen Ressorts und Fachbereiche .

Die Bundesministerien sind nach § 2 ihrer Gemein-
samen Geschäftsordnung bereits in der Pflicht, in ihrem
jeweiligen Fachbereich die Gleichstellung von Frauen
und Männern als durchgängiges Leitprinzip bei allen
Maßnahmen zu fördern . Sollte es sich hierbei um Maß-
nahmen mit finanziellen Auswirkungen handeln, ist das
bereits jetzt Teil der Facharbeit der verschiedenen Res-
sorts – und das ist gut so; da sind wir dabei .

Außerdem sehe ich in Ihren Vorschlägen einen erheb-
lichen bürokratischen Mehraufwand, ohne dass man dem
eigentlichen Ziel näherkommen würde .

Ich sehe Gender Budgeting im Rahmen des Bundes-
haushalts nicht als geeignetes Instrument an, um die
Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen .


(Zurufe von der LINKEN)


– Ich sage das gerne ein zweites Mal, damit das auch die
Herren der Linken kapieren .

Außerdem ist es nicht zutreffend, dass die Bundesre-
gierung rechtlich verpflichtet ist, Gender Budgeting um-
zusetzen . Weder völkerrechtlich noch aus der von der EU
verabschiedeten Erklärung aus dem Jahr 2005 ergibt sich

ein verpflichtender Rechtsakt für die europäischen Mit-
gliedstaaten . Wenn Österreich, skandinavische Staaten
und einige Städte in Deutschland das machen, dann ist
das deren Vergnügen . Wir müssen ja nicht alles machen,
was die anderen Staaten machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Europäische Union – ganz aktuell – wäre auch zu ei-
nem derartigen Eingriff in die Haushaltsautonomie ihrer
Mitgliedstaaten nicht befugt .

Sie, meine Damen und Herren, versuchen, mit diesem
Antrag ein Thema in der Bundeshaushaltsordnung zu
verankern, das aus meiner Sicht rein gar nichts mit der
Haushaltspolitik im eigentlichen Sinn zu tun hat .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Hat mit Geld zu tun!)


Das sind gleichstellungspolitische Anliegen, und die ge-
hören, wie schon angesprochen, in die jeweiligen Fach-
ressorts . Deshalb kann ich und können wir dem Antrag
nichts abgewinnen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818323300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am

Schluss dieser Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9042 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist das so geschehen .

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufru-
fe, möchte ich gern das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung mit
dem Titel „Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED
Operation SOPHIA“ auf den Drucksachen 18/8878
und 18/9035 bekannt geben: Abgegeben wurden
569 Stimmen . Mit Ja haben gestimmt 457, mit Nein ha-
ben gestimmt 111, und eine Kollegin oder ein Kollege
hat sich enthalten . Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen worden .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 569;
davon

ja: 457
nein: 111
enthalten: 1

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Artur Auernhammer

Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger

Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar

Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler

Alois Rainer






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

Thorsten Hoffmann

(Dortmund)


Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel

Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht

Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering






(A) (C)



(B) (D)


Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder

Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler

Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder

Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Nein

SPD

Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr . Alexander S . Neu

Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu

Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Streng-

mann-Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisen-
bahnbereich

Drucksache 18/8334

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/9099

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner für die Bundesregierung dem Parlamentarischen
Staatssekretär Ferlemann das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1818323400


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir beschließen heute eines der wich-
tigsten Gesetze in dieser Legislaturperiode – jedenfalls

im Eisenbahnsektor –, das sogenannte Eisenbahnregu-
lierungsgesetz . Was verbirgt sich dahinter? Eisenbahn
ist ein komplexes und kompliziertes System . Bei Eisen-
bahn gibt es auf der einen Seite Netze, auf denen gefah-
ren wird, und auf der anderen Seite Betriebe, die auf den
Netzen fahren . Europa hat sich dazu entschieden, eine
Trennung zwischen Netzbetrieb und Fahrbetrieb vorzu-
schlagen . Wir haben uns als Bundesrepublik Deutschland
viele Jahre dagegen gewehrt, dass das auch für Deutsch-
land verpflichtend gilt, und haben durchgesetzt, dass die
Eisenbahn auch nach unserem Modell – also einen inte-
grierten Konzern zu fahren, der Netz und Betrieb ver-
eint – betrieben werden kann .

Dafür aber, dass man ein integriertes System fahren
kann, braucht man eine gute Regulierung . Das sieht das
europäische Recht so vor und sieht es auch zu Recht vor .
Es wird also ein Markt simuliert, den es so nicht gibt,
damit man Wettbewerb darstellen und zu gerechten Tras-
senpreisen, Trassengebühren kommen kann . Man kann
es für die Öffentlichkeit so erklären: Das ist praktisch
eine Maut auf der Schiene . Die haben wir in Deutsch-
land schon viele Jahre, und die Frage ist: Wie wird sie
gerecht – in welcher Höhe und mit welchem Zuwachs –
festgesetzt?

Dafür braucht es einen unabhängigen Regulierer, der
diese Preise ohne politische Vorgabe und Einflussnahme
nach bestimmten Kriterien festsetzen kann . Den haben






(A) (C)



(B) (D)


wir in der Bundesnetzagentur gefunden, die diese Auf-
gabe unserer Auffassung nach schon jetzt in großen Tei-
len sehr gut erledigt, aber mit diesem Gesetz noch ein-
mal deutlich gestärkt wird und ihrer Aufgabe, wie wir
meinen, gut nachkommen wird . Sie ist unabhängig und
kann von daher die Preise marktgerecht festsetzen . Das
wiederum wird dazu führen, dass das Angebot auf der
Schiene leichter zu fahren sein wird . Damit werden wir
mehr Verkehr auf die Schiene bekommen, was Ziel der
Bahnreform ist, und vor allem mehr Wettbewerb auf der
Schiene haben, was für das System insgesamt auch nur
wünschenswert und richtig ist .

Dafür, dass wir das hinbekommen, brauchen wir aber
eine Regulierung . Wir haben uns für die Entgeltregelung
entschieden . Das heißt, die Regulierung wird, bevor die
Trassen vergeben werden, die Preise festsetzen, sodass
jedes Unternehmen, das Trassen erwerben will, weiß,
zu welchen Kosten über diese Trassen gefahren werden
kann . Das ist der Charme der Lösung, die wir gemeinsam
gefunden haben .

Ich bin meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr
dankbar, die in den vergangenen Wochen und Monaten
dieses Gesetzgebungsverfahren sehr intensiv begleitet
haben, allen mit Rat und Tat zur Seite standen und, glau-
be ich, dem Deutschen Bundestag nicht nur einen guten
Gesetzentwurf, sondern vor allem auch gute Ergänzun-
gen formuliert haben .

Ich danke insbesondere den beiden Koalitionsfraktio-
nen, die in mühevoller Kleinarbeit noch viele Punkte ein-
gebracht haben . Allerdings ist ein Punkt dabei, den wir
kritisch beleuchten müssen . Da geht es darum, wie die
Länder ihren Einfluss beim Nahverkehr geltend gemacht
haben . Die Länder wollen, dass der Zuwachs der Tras-
senpreise im Nahverkehr auf die 1,8 Prozent begrenzt
wird, die wir über die Regionalisierungsmittel maximal
als Zuwachs jedes Jahr finanzieren. Das sind in diesem
Jahr 8,2 Milliarden Euro, eine sagenhafte Summe, die es
für das Schienenwesen im Nahverkehr noch nie gab . Ich
bin Ihnen allen sehr dankbar, dass Sie das Schienenwe-
sen in Deutschland so unterstützen . Aber wir haben in der
Regulierung festgelegt, dass diese 1,8 Prozent Maximum
sein müssen – das kann man verstehen –, damit der Zu-
wachs an Mitteln nicht überschritten wird, was ansonsten
dazu führte, dass weniger Verkehr gefahren würde, weil
mehr für die Trassenpreise aufzuwenden wäre .

Was wir heute allerdings beschließen werden, ist, dass
diese 1,8 Prozent auch dann genommen werden, wenn
der Regulierer sogar unter der Summe bleibt . Das ist so
gewollt und okay; wir werden das so nachvollziehen;
denn die Regierung hat ja den Auftrag, das umzusetzen,
was das Parlament beschließt . Ich vermute, dass das zu-
gunsten des Fernverkehrs und des Güterverkehrs läuft;
denn ich glaube, dass wir bei der Regulierung unter den
1,8 Prozent bleiben können, wodurch wir dann höhere
Einnahmen aus dem Nahverkehr haben, die zugunsten
von Fernverkehr und Güterverkehr umgelenkt werden
können . Mithin ist der Sinn der Demonstrationen in die-
ser Woche überflüssig geworden, weil genau das Gegen-
teil von dem eintritt, von dem die Demonstranten ausge-
gangen sind .

Insofern können wir, wie ich glaube, einen sehr guten
Gesetzentwurf vorlegen . Heute ist hier im Bundestag ein
sehr guter Tag für das Eisenbahnwesen in Deutschland .
Ich hoffe, dass der Bundesrat morgen so klug ist, diesem
Gesetz zuzustimmen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818323500

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Herbert

Behrens von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818323600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Wettbewerb im Eisenbahnwesen funktioniert nicht .
In den 90er-Jahren wollten die Privatisierer mehr Kon-
kurrenz für die Bahn und dadurch günstigere Preise und
besseren Service erreichen . Aber wie sieht die Wirk-
lichkeit aus? Im Nahverkehr gibt es jetzt zwar einen
Zuwachs an Nahverkehrsleistungen, die Fahrgastzahlen
steigen und auch das Angebot ist attraktiver geworden .
Doch dieser Erfolg ist weniger dem Wettbewerb geschul-
det als vielmehr der vernünftigen Ausstattung durch die
Regionalisierungsmittel .

Im Fernverkehr sieht es anders aus . Er soll eigenwirt-
schaftlich organisiert sein . Hinsichtlich Wettbewerb ist
aber völlige Fehlanzeige festzustellen . Im Güterverkehr
haben die Bahnen, die nicht zur DB gehören, inzwischen
ein Drittel Marktanteil. Doch der Wettbewerb dort findet
oft auf dem Rücken der Beschäftigten und zulasten der
Sicherheit statt .

Die Privatisierer haben ihre Ziele weit verfehlt . Jetzt
versucht die Regierung, mit einem aufwendigen Regio-
nalisierungsgesetz der Probleme Herr zu werden . Dafür
taugt allerdings dieser Gesetzentwurf nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke fordert ein klares Bekenntnis zur Bahn und
entsprechende Gesetze, die einen gut funktionierenden
Eisenbahnverkehr garantieren, der die Kundinnen und
Kunden in den Mittelpunkt stellt .


(Beifall bei der LINKEN)


Öffentliche Bahnunternehmen, die nicht als oberstem
Ziel der Gewinnmaximierung unterworfen sind und auf
Zusammenarbeit statt auf Konkurrenz aufbauen, sind nö-
tig . Jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit dem Spruch,
dass wir die alte Bahn wiederhaben wollen . Nein, darum
geht es nicht . Die Linke will eine moderne Bahn . Wir
wissen aus europäischen Vergleichen, dass es sie gibt .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Blick in den Südwesten, in die Schweiz zeigt,
dass dort mit einem intelligenten Steuerungssystem eine
Bahn im öffentlichen Bereich in der Lage ist, den Ver-
kehr vernünftig zu organisieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann






(A) (C)



(B) (D)


Vom Fernverkehr bis zum regionalen Busverkehr gibt
es dort quasi ein Verkehrsangebot aus einer Hand, weil
der öffentliche Verkehr öffentlich organisiert ist – zum
Wohle der Nutzerinnen und Nutzer . Der Erfolg gibt die-
sen Steuerungsmaßnahmen ja auch recht . In der Schweiz
fahren viel, viel mehr Menschen mit der Bahn als in
Deutschland .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen uns von dort Anregungen holen und das
Konzept auf die Eisenbahn in Deutschland übertragen .
Das wäre eine richtig gute Maßnahme .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung geht aber in der Tat einen ande-
ren Weg; wir haben es gerade gehört. Eine Anreizfinan-
zierung soll dazu beitragen, dass das Infrastrukturunter-
nehmen die Gelder, die es bekommt, so einsetzt, wie es
erforderlich ist . Wir haben bei der Bahn gesehen, dass
die Zuschüsse auf einmal in der Bilanz auftauchten; denn
man musste gegenüber der Bundesregierung nachwei-
sen, dass man Profite machen kann. Die Probleme löst
man also nicht auf diese Art und Weise . Darum ist es nö-
tig, dass wir ähnlich wie in der Schweiz Kostenrahmen
festlegen . Wir müssen festlegen, welche Leistungen wir
für welche Kosten haben wollen . Das ist das Beispiel der
Schweizer Bahn . Das kann ein Vorbild für uns sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Zu den Trassenpreisen: Die Preise für die Nutzung des
Schienennetzes steigen für die privaten Unternehmen,
aber auch für das Unternehmen Deutsche Bahn AG, weil
sie privatwirtschaftlich organisiert ist und Profite brin-
gen soll . Wenn wir im Nahverkehr eine Deckelung bei
maximal 1,8 Prozent haben, dann werden – das haben
die Demonstranten hier in Berlin am Montag nachgewie-
sen – die überschießenden Kosten zulasten des Fernver-
kehrs gehen . Das fürchten die Kolleginnen und Kolle-
gen . Diese Befürchtungen sind nicht ausgeräumt . Darum
brauchen wir ein konsequentes Vorgehen bei den Preisen .
Es wäre möglich, dass wir die Trassenpreise auf die soge-
nannten Grenzkosten reduzieren . Die Fixkosten blieben
beim Bund, und es würde ein vernünftiges Infrastruktur-
netz garantiert, was in der Lage wäre, die Verkehrsleis-
tungen auch zu bewältigen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen eine vernünftige, eine kundenorientierte
Eisenbahnpolitik . Die ist mit dem vorgelegten Regulie-
rungsgesetz überhaupt nicht hinzubekommen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818323700

Als nächste Rednerin hat Kirsten Lühmann von der

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1818323800

Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr verehrte An-

wesende! Der Güterverkehr auf der Schiene ist zwischen
2010 und 2015 um 6,5 Prozent gestiegen . Ich bin mir si-

cher: Alle, die hier im Raum sind, hätten sich gewünscht,
das wäre noch mehr gewesen, aber es ist immerhin eine
Steigerung . Im Personennahverkehr gab es von 2010 bis
2015 sogar eine Steigerung um 9 Prozent .

Jährlich werden in Deutschland 2,5 Milliarden Men-
schen im Nahverkehr der Bahn transportiert . Das ist ein
Erfolgsmodell . Wir stellen aber fest: Die Netzkapazitäten
setzen dem Anstieg Grenzen . Deshalb hat die Bundesre-
gierung in dieser Legislaturperiode insgesamt 35 Milli-
arden Euro ausgegeben, um das Netz zu ertüchtigen, und
das ist auch gut so .


(Beifall bei der SPD)


Trotzdem gibt es einen Punkt, der insbesondere für die
Länder sehr wichtig ist, nämlich die Trassenpreisbremse,
um dem weiteren Zuwachs der Trassenpreise entgegen-
zuwirken . Die Trassenpreise steigen jährlich nämlich we-
sentlich stärker als die Teuerungsrate . Das ist auch eines
der Themen des hier vorliegenden Gesetzentwurfs . Wir
setzen mit diesem Gesetzentwurf zum einen EU-Regeln
um, zum anderen geht es uns aber auch noch um zwei
weitere Ziele, nämlich zum Ersten um die Trassenpreis-
bremse und zum Zweiten um mehr Transparenz bei der
Preisgestaltung von Netz und Station .

Das ist schwierig genug; denn wir müssen die Interes-
sen und Möglichkeiten unterschiedlichster Akteure zu-
sammenbringen: von Bund und Ländern – die Länder ha-
ben zum Beispiel 57 Änderungsvorschläge gemacht, von
denen wir sehr viele angenommen haben –, aber auch
von nicht bundeseigenen Eisenbahnen, wie zum Beispiel
der Niederrheinischen Verkehrsbetriebe aus Moers mit
einem Schienennetz von 26 Kilometern und der Deut-
schen Bahn AG mit einem Schienennetz von weit über
30 000 Kilometern .

Zusätzlich haben wir noch einen Auftrag der Minis-
terpräsidenten und -präsidentinnen und der Kanzlerin be-
kommen . Sie haben nämlich beschlossen – der Staatsse-
kretär hat es schon gesagt –, die Regionalisierungsmittel
deutlich anzuheben . Den Ländern wurde dabei zugesi-
chert – und zwar von der Kanzlerin –, dass das Geld für
die dringend benötigten Mehrbestellungen nicht durch
die überproportional steigenden Trassenpreise aufgefres-
sen und die Trassenpreissteigerung auf 1,8 Prozent im
Jahr begrenzt wird .

Das hatten wir umzusetzen . Der Auftrag war klar:
EU-Richtlinie umsetzen, Transparenz schaffen, Tras-
senpreisanstieg dämpfen, genug Geld für die Deutsche
Bahn AG zum Betrieb ihrer Schienen besorgen und eine
Deckelung der Trassenpreise im Nahverkehr . Die Lösung
liegt jetzt vor Ihnen .

Erstens . Wir haben die Rolle der Bundesnetzagentur
als Regulierungsbehörde ausgeweitet . Sie kann jetzt die
Angemessenheit der Preise besser prüfen .

Zweitens . Wir haben einen Produktivitätsfaktor einge-
führt, der die Trassenpreiserhöhungen dämpfen soll .

Drittens . Wir haben den diskriminierungsfreien Zu-
gang zu den Schienennetzen verbessert .

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


Viertens . Wir haben den Auftrag der Länder und der
Kanzlerin in § 37 des Gesetzentwurfs umgesetzt und die
Trassenpreisbremse geregelt .

Wir hatten nur ein kleines Problem: Es war juristisch
nötig, dass wir die Defizite an anderer Stelle ausgleichen
oder zumindest die Möglichkeit dazu schaffen . Wir ha-
ben uns entschieden, das im Bereich des Fernverkehrs zu
tun . Uns allen ist aber klar: Dazu soll es nicht kommen .
Dank der Beteiligung aller haben wir eine Lösung gefun-
den, die die Erhöhung der Trassenpreise im Fernverkehr
und als Folge daraus die Erhöhung der Ticketpreise im
Fernverkehr nicht zum Tragen kommen lässt .

Erstens . Wir haben eine Evaluierung in 2019 be-
schlossen, damit die Folgen der Erhöhung der Regiona-
lisierungsmittel, der Mehrbestellungen und der Trassen-
preisbremse aufgearbeitet werden . Dieses Ergebnis soll
dann in die Verhandlungen zur Leistungs- und Finanzie-
rungsvereinbarung III im selben Jahr einfließen.


(Gustav Herzog [SPD]: Gute Regelung!)


Zweitens . Mit dem Inkrafttreten der LuFV III am
1 . Januar 2020 haben wir die Möglichkeit gestrichen,
dass ein mögliches Delta auf den Bereich des Fernver-
kehrs übertragen wird . Das heißt, bis dahin müssen wir
andere Lösungen finden.

Drittens . Die Länder haben für 2017 beschlossen, die
volle Erhöhung der Trassenpreise, also 2,4 Prozent mehr,
zu zahlen, und sie sind damit einverstanden, dass die De-
ckelung erst 2018 beginnt .

Jetzt haben wir folgende Situation: Die Beschäftigten
der Deutschen Bahn haben Befürchtungen, die wir sehr
ernst nehmen – insbesondere auch unser Kollege Martin
Burkert von der entsprechenden Gewerkschaft –,


(Ulrich Lange [CDU/CSU]: Oh!)


dass es durch die Mindereinnahmen in 2018 und 2019
möglicherweise zu Entlassungen kommt . Ich danke dem
Bahnchef, Dr . Grube, sehr herzlich dafür, dass er diese
Befürchtungen aufgenommen hat und heute die Beleg-
schaft über Inhalt und Folgen dieses Gesetzes informiert
hat . Ich zitiere aus dem Brief von Herrn Grube einen
Satz:

Wichtig ist uns, zu betonen, dass die Auswirkungen
der gesetzlichen Neuregelungen auf unser wirt-
schaftliches Ergebnis insgesamt beherrschbar blei-
ben und keine negativen Folgen für die Beschäftig-
ten zu erwarten sind .

Ein ganz wichtiges Schreiben .


(Beifall bei der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Klare Aussage!)


Unser Fazit: Dies ist ein schwieriger Gesetzesprozess,
der aufgrund des unbedingten Einigungswillens aller
Beteiligten erst möglich wurde – ein Gesetz für mehr
Transparenz – ein Gesetz für die Stabilisierung der Tras-
senpreise und ein Gesetz ohne negative Auswirkungen
auf die Qualität des Schienenverkehrs und auf die Be-
schäftigten .

Liebe Kollegen und Kolleginnen, im Jahr 2019 wer-
den wir uns, so der Wählende es will, hier alle wieder-
treffen, die Evaluation auswerten und über die LuFV III
beraten . Ich freue mich darauf .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818323900

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Matthias

Gastel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht überziehen!)



Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818324000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Wir haben auf den Gesetzentwurf zur
Umsetzung einer EU-Richtlinie lange gewartet . Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf werden weite Teile dieser
Richtlinie nur als Mindestanforderungen übernommen .

Zu den wesentlichen Änderungen gegenüber dem Sta-
tus quo gehören erstens die prinzipielle Einführung einer
Anreizregulierung für die Trassenpreise und zweitens die
Tatsache, dass die Bundesnetzagentur die Trassenpreise
der Infrastrukturunternehmen prüfen muss, bevor diese
in Kraft treten können . Das sind zweifelsfrei Vorteile
und Fortschritte gegenüber dem Status quo, die wir der
EU-Kommission zu verdanken haben und die wir als
Grüne ausdrücklich unterstützen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dennoch bleibt festzustellen: Der Gesetzentwurf greift
in vielen Punkten zu kurz . In Deutschland sind Netz und
Betrieb nicht voneinander getrennt . Dem Wettbewerb ist
das nicht dienlich . Für einen fairen Wettbewerb brauchen
wir daher eine konsequente gesetzliche Regulierung . Nur
wenn der Wettbewerb auf der Schiene funktioniert, kann
auch der Wettbewerb zwischen Schiene und Straße funk-
tionieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Bundesrechnungshof ist nicht der Einzige, der be-
zweifelt, dass mit diesem Regulierungsgesetz das Wett-
bewerbsziel nicht erreicht wird . Zu diesem Ziel würde
ganz wesentlich die Bildung der Trassenpreise nach
dem Grenzkostenprinzip beitragen, so wie es die EU im
Regelfall vorsieht . Doch CDU/CSU und SPD nehmen
lieber den Ausnahmefall und machen diesen dann in
Deutschland zur Regel . Offensichtlich hat ihnen für eine
wirkliche Reform zugunsten von mehr Verkehr auf der
Schiene der Mut gefehlt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir begrüßen die Initiative der Länder und insbeson-
dere die Einigkeit der grün-regierten oder grün-mitre-
gierten Länder ausdrücklich . Zumindest der Anstieg des
Trassenpreises im Nahverkehr konnte damit gebremst

Kirsten Lühmann






(A) (C)



(B) (D)


werden . Festzuhalten ist, dass grün-regierte Länder wie
ein Korrektiv zur Großen Koalition im Bund wirken .

Es sieht nach einer mehrheitlichen Zustimmung der
Länder aus, aber nicht aus Begeisterung, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, sondern schlicht deswegen, weil die-
ses ERegG besser ist als gar keine Regulierung und gar
kein neues Gesetz . Vor allem aber brauchen die Länder
Sicherheit darüber, wie groß die Kaufkraft ihrer Regio-
nalisierungsmittel ist, damit sie ihre Regionalverkehre
bestellen können .

Wir als Bundestagsfraktion haben aber über den Regi-
onalverkehr hinaus eine andere Brille aufzusetzen, um zu
beobachten, was sich im Schienengüterverkehr und im
Fernverkehr tut . Hier ist das Problem im Zusammenhang
mit der Trassenpreisbremse eben nicht sauber gelöst . Die
Einnahmeausfälle, die entstehen, werden von irgendje-
mandem ausgeglichen werden müssen . Dafür bleiben
eben nur noch Güterverkehr und Fernverkehr übrig . Das
kann für beide Segmente problematisch werden .

Zwar wird in dem Änderungsantrag der Großen Ko-
alition ein Bericht der Bundesnetzagentur versprochen .
Aber was dann passiert und welche Folgen der Bericht
hat, ist im Moment noch offen . Genauso ungeklärt ist
auch, ob die gesamte Infrastruktur der Anreizregulierung
unterliegen wird . Auch hierzu hat sich der Bundesrech-
nungshof kritisch geäußert .

Unter dem extremen Zeitdruck, unter dem wir uns mit
diesem Gesetzentwurf und dem vorgestern Nachmittag
eingereichten Änderungsantrag der Großen Koalition be-
fassen müssen, lassen sich diese und viele weitere offene
Fragen nicht sicher klären . Die von den Ländern erzwun-
gene Trassenpreisbremse ist bei dem Vollkostenprinzip,
das zur Anwendung kommen soll, richtig . Sie ist eine
Chance für mehr Regionalverkehr .

Bei vielen anderen Punkten – von der Anreizregulie-
rung bis hin zur Billigkeitskontrolle vor den Zivilgerich-
ten – lässt der Gesetzentwurf aber viele Chancen unge-
nutzt . So regiert das Prinzip Hoffnung . Nach so langer
Zeit, die Sie hatten, um einen guten Gesetzentwurf vor-
zulegen, ist das ziemlich traurig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818324100

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen . – Der

Kollege Ulrich Lange hat seine Rede zu Protokoll ge-
geben .1)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben keine
Zwischenfrage des Kollegen Martin Burkert zugelassen .
Ich habe auch bei den vorherigen Debatten keine Zwi-
schenfragen zugelassen . Ich werde das auch in der kom-
menden Debatte nicht tun .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Warum nicht?)


1) Anlage 11

Ich bitte um Verständnis . Wir haben miteinander verein-
bart, dass wir heute keine Zwischenfragen zulassen . Das
haben auch meine Kolleginnen und Kollegen nicht getan .
Wir müssen einigermaßen im Zeitplan bleiben . Deshalb
bitte ich dafür um Verständnis .

Es liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung zu dieser Abstimmung vor .2)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung
des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich . Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/9099, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8334 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Opposition angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenom-
men worden bei Gegenstimmen der Opposition und eines
Mitglieds der SPD-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 a bis 17 c auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die Deutsche
Bahn AG vor einem finanziellen Desaster be-
wahren

Drucksachen 18/7566, 18/9085

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebs-
ordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Ei-
senbahnverkehr

Drucksachen 18/5406, 18/9098

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden),

2) Anlage 10

Matthias Gastel






(A) (C)



(B) (D)


weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kostenentwicklung beim Bahnhofsprojekt
Stuttgart 21 kritisch prüfen

Drucksache 18/9039
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen wor-
den, und ich kann die Aussprache eröffnen .

Ich weise darauf hin, dass die beiden Kollegen
Alexander Funk und Steffen Bilger ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben haben .1)


(Beifall bei der CDU/CSU)


Damit rufe ich jetzt als erste Rednerin Heike Hänsel
von der Fraktion Die Linke auf . Sie hat das Wort .


(Beifall bei der LINKEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Frau Leidig will Fußball gucken!)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1818324200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Nein, ich kann Ihnen mitteilen: Meine Kollegin Sabine
Leidig ist leider krank – sogar schwer krank –; deswegen
habe ich heute sehr gerne für sie diese Rede übernom-
men . Es ist nämlich sehr wichtig, dass wir über dieses
Thema sprechen . Denn diese Woche wurde in der Stutt-
garter Zeitung eine Zahl mit enormer Sprengkraft veröf-
fentlicht . Jetzt steht nämlich fest, wovor die Bewegung
gegen das Großprojekt Stuttgart 21 bereits seit Jahren ge-
warnt hat, und sie hat das auch vorgerechnet, nämlich die
nächste Kostenexplosion bei diesem Wahnsinnsprojekt .


(Michael Donth [CDU/CSU]: Wieso steht es fest?)


Der Bundesrechnungshof geht bei den Kosten von neu-
en Zahlen aus . Er rechnet mit bis zu 10 Milliarden Euro
Kosten für dieses unglaubliche und unnütze Projekt . Das
ist eine Bankrotterklärung für all diejenigen, die immer
noch dieses Projekt unterstützen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Genau deswegen fordern wir den Ausstieg aus Stutt-
gart 21 . Er ist immer noch möglich .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will Ihnen deutlich machen, dass dieses Projekt
wirklich ein Fass ohne Boden ist . Entweder hat die Bahn
den Überblick über ihre eigenen Berechnungen verloren,
oder sie lügt hier, dass sich die Balken biegen . Wir ha-
ben 1997 mit dem Projekt angefangen . Damals wurde
gesagt: Das Projekt kostet 2 Milliarden D-Mark . Dann
stieg es etwas an auf schlappe 4,5 Milliarden D-Mark bei

1) Anlage 12

der Volksabstimmung – ein Kostendeckel . Im März 2013
lagen wir dann bei 6,8 Milliarden Euro, und mittlerweile
rechnet der Bundesrechnungshof mit 10 Milliarden Euro .
Das ist eine Verzehnfachung gegenüber dem Ausgangs-
wert . Dagegen ist sogar der Berliner Flughafen in der
Kostensteigerung ein regelrechtes Schnäppchen . So wird
hier gerechnet, und das ist unverantwortlich .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Sagt die Stuttgarter Zeitung!)


Einen Profiteur gibt es dabei aber ganz bestimmt. Es
gibt mehrere, aber einer saß eine Weile im Bundeskanz-
leramt: Ronald Pofalla, der dieses Projekt 2013 als Ver-
trauter von Angela Merkel beim Aufsichtsrat noch durch-
gedrückt hat, obwohl damals schon die Berechnungen
davor gewarnt haben, das Projekt weiterzubetreiben . Er
hat es durchgedrückt . Mittlerweile sitzt er im Bahnvor-
stand mit einem schönen Gehalt von über einer halben
Million Euro . Ja, herzlichen Glückwunsch, Herr Pofalla!
Für Sie hat sich dieses Projekt gelohnt .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es gibt in ganz Europa mittlerweile keinen vergleich-
baren Großstadthauptbahnhof, der eine derart schräge
Planung hat . Zum Beispiel geht es technisch gesehen ja
auch um eine Gleisneigung von 25 Promille . Diese liegt
beim Fünffachen des eigentlich Zulässigen . So etwas
gibt es eigentlich überhaupt nicht . Die Fachleute greifen
sich an den Kopf, wie man so eine Planung überhaupt
machen kann .


(Lachen des Abg . Michael Donth [CDU/ CSU])


Dazu kommt – das ist eigentlich der größte Skandal –,
dass es auch noch mit einem Kapazitätsabbau verbunden
ist, also mehr Geld für weniger Leistung . Das ist wirklich
ein Schildbürgerstreich ohnegleichen, und genau deshalb
müssen wir dieses Projekt stoppen .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: So ein Blödsinn!)


Es ist auch das Projekt von Angela Merkel . Sie hat,
wie gesagt, persönlich mitveranlasst, dass weitergebaut
wird, und deshalb ist auch sie und die Bundesregierung
verantwortlich für diese Misswirtschaft, diese Fehlkalku-
lation und den Missbrauch von Steuergeldern .


(Zuruf von der LINKEN: Genau! – Zuruf von der SPD: Quatsch!)


Den Grünen kann ich nur sagen: Beenden Sie endlich
diese blödsinnig-kritische Begleitung dieses Projektes!
Stoppen Sie es in Baden-Württemberg! Die Volksabstim-
mung ist schon lange obsolet .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir werden jedenfalls am 16 . Juli für ein Ende des
Projekts in Stuttgart demonstrieren . Dazu sind Sie alle
herzlich eingeladen . Stoppt Stuttgart 21!


(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818324300

Als nächste Rednerin hat Annette Sawade von der

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Annette Sawade (SPD):
Rede ID: ID1818324400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen auf den Tri-
bünen! In 13 Minuten ist Anpfiff, und ich wünsche unse-
rer Mannschaft vollen Erfolg!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Aber ich sage dazu: Es ist nicht der Abpfiff für Stutt-
gart 21 –


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)


auch das in Richtung der Linken .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Am 25 . Februar debattierten wir hier schon einmal
über das Projekt Stuttgart 21 . Ausstieg: ja oder nein?
Kosten: realistisch oder illusorisch? Aber mir ist vor al-
lem auch in Erinnerung – und das war in der jetzigen De-
batte auch wieder der Fall –: Polemik oder Sachlichkeit?
Ich bin ehrlicherweise für Sachlichkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


Um es vorwegzusagen: Stuttgart 21 wird gebaut, und
es geht voran; denn es ist nun einmal beschlossen, und es
wird an diesem Bahnhof nicht fahrlässig mit der Sicher-
heit der Fahrgäste umgegangen, auch wenn Frontal 21
etwas anderes suggerieren wollte .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir hatten hier im Haus eine Anhörung zur Gleisnei-
gung . Das Fazit war eindeutig: Die Eisenbahnbetriebs-
ordnung muss nicht geändert werden; Professor Fengler
brachte es auf den Punkt – ich zitiere –:

Die Eisenbahn ist, verglichen mit dem Straßenver-
kehr, ein um Größenordnungen sichereres, trotzdem
sehr leistungsfähiges und zudem noch umwelt-
freundlicheres Verkehrsmittel . Es sollte vermieden
werden, dieses Verkehrsmittel … durch verschärfte
Anforderungen, die wenig nützen, da der Sicher-
heitsgewinn nur marginal ist, noch teurer zu ma-
chen .

Wir wollen alle mehr Verkehr auf die Schiene .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Heute wird deutlich sichtbar: In Stuttgart sowie
zwischen Wendlingen und Ulm wird gebaut . Von rund
59 Kilometern sind bereits 16 Kilometer Tunnel ausge-
hoben . Auf der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm sind es
31 Kilometer von rund 62; übrigens sind dort seit Februar
3,5 Kilometer dazugekommen . Fertig ist seit März 2016
die Unterquerung des Neckars, und das Eisenbahn-Bun-
desamt hat gerade die Bodenplatte freigegeben, damit sie
gebaut werden kann .

Ja, das Gelände um Stuttgart 21 ist eine Riesengrube;
das stimmt . Jeder wünscht sich ein Ende dieser Baustelle,
aber ein Ende im Sinne einer Fertigstellung . Was passiert
denn bei dem von Ihnen gewünschten Stopp? Die Tunnel
müssten wieder zugemacht werden, die Gruben gefüllt
und komplett neu geplant werden . Oder was wollen Sie
tun: wie vorgeschlagen einen zentralen Omnibusbahnhof
oder ein Eventcenter mit Swimmingpool – eine Grube
wäre ja vorhanden – errichten? Nein, natürlich nicht!

Wir wollen einen guten Bahnhof und eine Erweiterung
des Stadtzentrums, das diesen Namen auch verdient . Das
Rosenstein-Viertel ist eine Projektionsfläche für Bürger-
beteiligung . 2 Quadratkilometer Fläche statt Gleisbett!
Deshalb sind Worte wie Desaster, Stopp, Ausstieg, Scha-
den, wie sie im Antrag der Linken zu lesen sind, fehl am
Platz . Natürlich gehören Fragen der Sicherheit, der Fein-
planung und der Kostenentwicklung offen besprochen .
Aber Vermutungen wie „Ich glaube das nicht“ oder „Das
funktioniert nicht“ helfen nicht weiter . Vom steten Wie-
derholen allein werden Chaosvermutungen nicht besser
oder überzeugender .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Mittlerweile arbeiten sowohl der Verkehrsminister
Baden-Württembergs, Winfried Hermann, und der Ober-
bürgermeister von Stuttgart, Fritz Kuhn – beide sind Mit-
glieder von Bündnis 90/Die Grünen –, konstruktiv an der
Entwicklung des Projekts mit . Oberbürgermeister Kuhn
sagte noch vor ein paar Tagen:

Die Bahn muss es pünktlich schaffen .

– Daran sind auch wir interessiert . –

Die Stadt hat ein Interesse daran, dass dies gelingt .
Wir beteiligen uns jederzeit an Gesprächen, die zum
Ziel haben, den Kosten- und Zeitrahmen einzuhal-
ten .

In den letzten Wochen war Stuttgart 21 wieder stärker
im Fokus der Öffentlichkeit; wir alle kennen die entspre-
chenden Berichte . Aber wir reden erst darüber, wenn wir
die Fakten kennen . Wir fordern, die Fakten auf den Tisch
zu legen . Wenn aber der SWR die Stuttgarter Zeitung zi-
tiert und diese wiederum den SWR, dann sind das für uns
keine ausreichenden Argumente . Wir wollen die Fakten
sehen . Diese werden kommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Am 6. September findet erneut eine Aufsichtsratssit-
zung statt, in der externe Gutachten vorgelegt werden .
Der Prüfbericht des Bundesrechnungshofs und die Stel-
lungnahme des Verkehrsministeriums liegen bislang
nicht vor . Wir sagen heute noch nichts dazu, weil wir die
Fakten noch nicht kennen . Vermuten wollen wir nicht .

Lassen Sie uns also bitte nicht vorschnell irgendwel-
che Schlüsse ziehen, die nicht richtig wären . Ruhe und
Besonnenheit müssen einkehren . Ständige Spekulatio-
nen, Mutmaßungen und Szenarien bringen uns wahrlich
nicht weiter . Was sagt ein Sprichwort aus Sambia: „Das
Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht .“






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818324500

Vielen Dank . – Matthias Gastel von der Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen hat als nächster Redner das Wort .


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1818324600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Als dieser Tagesordnungspunkt für heute aufgesetzt wur-
de, konnten wir noch nicht wissen, welche Aktualität die-
ses Thema durch einen möglichen Bericht des Bundes-
rechnungshofs, wonach vielleicht die Kosten auf knapp
10 Milliarden Euro gestiegen sind, bekommen wird .

Ich gehe noch einmal zurück . Dieses Projekt hat mit
dem Versprechen begonnen: Es kostet nichts . Wir verkau-
fen oben die Grundstücke und bauen dann einen Tunnel
darunter. Alle profitieren. – Dann sind die Kosten gestie-
gen. Aktuell liegen sie offiziell bei 6,5 Milliarden Euro.
Nun ist die Rede von knapp 10 Milliarden Euro . Es wird
immer deutlicher, dass die Kosten künstlich und aus
politischen Gründen niedrig gehalten wurden, um die
Mehrheit im Parlament zu sichern und die gesellschaft-
lichen Widerstände möglichst kleinzuhalten . Die DB hat
schlecht geplant . Die DB rechnet schlecht . Die DB infor-
miert schlecht . Die Projektpartner dürfen bezahlen, be-
kommen aber nicht die notwendigen Informationen bzw .
erfahren aus der Zeitung, was mit diesem Projekt los ist .

Der Bau von Stuttgart 21 erfolgte sozusagen im Blind-
flug. Man weiß nicht, wohin sich die Kosten entwickeln.
Man weiß nicht, wann dieses Projekt fertig wird . Man
weiß noch nicht einmal, ob es am Ende ein Bahnhof ist
oder ob tatsächlich eher ein Haltepunkt in Betrieb gehen
wird . Wir wissen nicht, welche Kapazitäten nachher zur
Verfügung stehen . Am Ende – das ist sicher – bekommen
wir wenig Bahnhof für viel Geld .

Deswegen haben wir für die heutige Debatte ei-
nen Antrag vorgelegt . Wir fordern Transparenz bei den
Kosten . Wir wollen, dass die Stellungnahmen des Bun-
desrechnungshofs, wenn sie fertiggeschrieben sind,
umgehend vorgelegt und der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht werden . Wir wollen, dass offengelegt wird, wie
viele Mittel aus der Leistungs- und Finanzierungsver-
einbarung, die eigentlich für Ersatzmaßnahmen, also für
den Erhalt der vorhandenen Substanz, vorgesehen sind,
in den Neubau von Stuttgart 21 gesteckt werden .

Wir wollen wissen, welche Kosten mit Modifizie-
rungen des Projektes, beispielsweise Kombibahnhof,
verbunden wären, und wir wollen, dass die Bundesre-
gierung Verantwortung für den bundeseigenen Konzern
übernimmt . Es kann nicht sein, dass die Schulden immer
weiter steigen und am Ende das Geld für die notwendi-
gen Investitionen in das Netz und in neues Wagenmate-
rial fehlt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Herbert Behrens [DIE LINKE])


Es war ein Riesenfehler, dass nicht allerspätestens im
Jahr 2013 beim letzten Kostenanstieg dieses Projekt ge-
stoppt wurde .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Bund war es, der auf den Weiterbau gedrängt hat .
Deswegen drängen wir jetzt darauf, dass der Bund end-
lich bereit ist, seine Verantwortung zu übernehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1818324700

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich

bitte Sie jetzt um Ihre Aufmerksamkeit und um konzen-
triertes Mitmachen . Wir haben zehn Abstimmungen, die
auch strittig sind, und wir haben fünf Überweisungen .
Ich werde versuchen, das jetzt konzentriert und zügig zu
machen, und bitte Sie, mitzumachen .

Zunächst komme ich zum Tagesordnungspunkt 17 a .
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und
digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die
Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster be-
wahren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/9085, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7566 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden .

Tagesordnungspunkt 17 b . Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruk-
tur zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti-
tel „Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung
zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9098, den Antrag der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/5406 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Beschlussemp-
fehlung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 17 c . Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/9039 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der
Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Janu-
ar 2016 zwischen den zuständigen Behörden
über den Austausch länderbezogener Berichte
Drucksache 18/8841
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)


Annette Sawade






(A) (C)



(B) (D)


Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Die mehrseitige Vereinbarung ist offen für die Zeich-
nung durch weitere Staaten .

Die Reden sind zu Protokoll gegeben worden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/8841 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen
Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermögli-
chen

Drucksache 18/7904
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7904 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Än-
derung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit
von Sportwettbetrug und der Manipulation
von berufssportlichen Wettbewerben

Drucksache 18/8831
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Sportausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind damit einverstanden, wie ich sehe .3)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/8831 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist das so geschehen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla
Jelpke, Azize Tank, Matthias W . Birkwald,
Dr . Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE

1) Anlage 13
2) Anlage 14
3) Anlage 15

eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset-
zes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbar-
machung von Renten aus Beschäftigungen in
einem Ghetto

Drucksache 18/9029
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, auch damit sind Sie einverstanden .4)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9029 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-
rung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales liegen soll .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler
Hochgeschwindigkeitsnetze (DigiNetzG)


Drucksache 18/8332

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/9023

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . – Auch damit sind Sie einverstanden, wie ich
sehe .5)

Wir kommen dann zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/9023, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8332 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge-
setzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koali-
tion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf

4) Anlage 16
5) Anlage 17

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Drucksache 18/9070 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abge-
lehnt worden .

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldege-
setzes und weiterer Vorschriften

Drucksache 18/8620

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/9087

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung . Der Innen-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9087, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/8620 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung
mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Oppo-
sition angenommen worden .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen
worden .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung betäubungsmittelrechtlicher und ande-
rer Vorschriften

Drucksache 18/8965
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend
gewährleisten

Drucksache 18/6361
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss

1) Anlage 18

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden .2)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/8965 und 18/6361 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann sind
die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entschädigung für die Radargeschädigten der
Bundeswehr und der ehemaligen NVA noch
weiter verbessern

Drucksache 18/9032

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr
und der ehemaligen NVA besser entschädigen

Drucksache 18/9027

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3)

Damit kommen wir zur Abstimmung über den An-
trag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/9032 mit dem Titel „Ent-
schädigung für die Radargeschädigten der Bundeswehr
und der ehemaligen NVA noch weiter verbessern“ . Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der
Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9027 mit dem Ti-
tel „Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der
ehemaligen NVA besser entschädigen“ . Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Ko-
alition bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt
worden .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Unterstützung für den Friedensprozess in Ko-
lumbien

Drucksache 18/9033

2) Anlage 19
3) Anlage 20

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike
Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Für den Frieden in Kolumbien – Paramilita-
rismus konsequent bekämpfen

Drucksache 18/9026

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf der Drucksache 18/9033 mit dem Titel „Un-
terstützung für den Friedensprozess in Kolumbien“ . Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Das ist nicht der Fall . Dann ist der
Antrag einstimmig angenommen worden .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9026 mit dem Ti-
tel „Für den Frieden in Kolumbien – Paramilitarismus
konsequent bekämpfen“ . Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist dieser Antrag
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition abgelehnt worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Sechsten Gesetzes zur
Änderung des Vierten Buches Sozi-
algesetzbuch und anderer Gesetze

(6. SGB IV-Änderungsgesetz – 6. SGB IVÄndG)


Drucksache 18/8487

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11 . Ausschuss)


Drucksache 18/9088


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/9089

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/9088, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/8487 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalition und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen worden .

1) Anlage 21
2) Anlage 22

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der
Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Errichtung eines Transplantationsre-
gisters

Drucksachen 18/8209, 18/8557, 18/8660 Nr 1.2

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/9083

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9083, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksachen 18/8209 und 18/8557 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthal-
tung der Opposition angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen
worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechs-
ten Gesetzes zur Änderung des Straßenver-
kehrsgesetzes und anderer Gesetze

Drucksache 18/8559

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/9084

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .4)

3) Anlage 23
4) Anlage 24

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen damit zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9084,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/8559 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition
angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf auch in dritter Lesung mit den Stimmen
der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenom-
men worden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur besseren Vereinbarkeit von Familie,
Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte
des Bundes und Soldatinnen und Soldaten so-
wie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher
Vorschriften

Drucksache 18/8517

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/9078

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Wir kommen damit zur Abstimmung . Der Innenaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9078, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/8517 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Oppo-
sition angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Ent-
haltung der Opposition angenommen worden .

1) Anlage 25

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Programm zur nachhaltigen Nutzung und
zum Schutz der natürlichen Ressourcen


(Deutsches Ressourceneffizienzprogramm II)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Programm zur nachhaltigen Nutzung und
zum Schutz der natürlichen Ressourcen


(Deutsches Ressourceneffizienzprogramm)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Peter
Meiwald, Dr . Valerie Wilms, Lisa Paus, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Ressourcenverschwendung stoppen – Na-
tionales Ressourceneffizienzprogramm zu-
kunftsfähig ausgestalten

Drucksachen 18/7777, 18/7918 Nr. 1.2,
17/8965, 18/770 Nr. 27, 18/7047, 18/9094

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit auf Drucksache 18/9094 .

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, in Kenntnis der Unterrichtung
durch die Bundesregierung auf Drucksache 18/7777
über das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm II eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men worden .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, die Un-
terrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/8965 über das Deutsche Ressourceneffizienzpro-
gramm zur Kenntnis zu nehmen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Was ist denn jetzt mit der Fraktion Die
Linke?


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir haben zugestimmt!)


– Ja, weil da hinten eine Enthaltung war . Habe ich das
richtig gesehen? – Gut .

Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition und den Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ent-

2) Anlage 26

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und eines Ab-
geordneten der Fraktion Die Linke angenommen worden .

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/7047 mit dem Titel „Ressourcenverschwendung
stoppen – Nationales Ressourceneffizienzprogramm
zukunftsfähig ausgestalten“ . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei – –


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten die Kenntnisnahme! – Gegenruf des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das hatten wir gerade!)


– Über die Kenntnisnahme hatten wir eben abgestimmt .
Jetzt stimmen wir über die Ausschussempfehlung, nicht
jedoch über den Antrag der Grünen ab . Dies sage ich zur
Klarstellung angesichts der Irritationen bei der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .

Ich wiederhole die Abstimmung . Unter Buchstabe c
der Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/7047 abzulehnen . Wer stimmt der Beschlus-
sempfehlung zu? – Das ist die Koalition . Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlus-
sempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Sachverständigenrechts und
zur weiteren Änderung des Gesetzes über das
Verfahren in Familiensachen und in den Ange-
legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Drucksache 18/6985

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Recht und Verbraucherschutz (6 . Ausschuss)


Drucksache 18/9092

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden . 1)


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Gern können wir auch reden!)


1) Anlage 27

– Lieber Kollege, lassen Sie uns doch fortfahren .

Wir kommen zur Abstimmung – nicht zur Debatte .
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9092, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/6985 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9092 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jeman-
den, der sich enthalten möchte? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist diese Beschlussempfehlung einstimmig ange-
nommen worden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich
bei Ihnen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 8 . Juli 2016, 9 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen jetzt
viel Spaß, entweder beim Zuschauen des Fußballspiels,
das hoffentlich richtig spannend ist, oder bei einer ande-
ren schönen Nutzung dieses Abends .