Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sieherzlich . Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten,möchte ich Ihnen mitteilen, dass es eine interfraktionel-le Vereinbarung gibt, den Tagesordnungspunkt 36 – hiergeht es um den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelungdes Mutterschutzrechts – bereits heute als letzten Tages-ordnungspunkt aufzurufen . Die Debatte darüber war fürdiese Woche ohnehin vorgesehen . Sie wird aus nachvoll-ziehbaren Gründen jetzt etwas vorgezogen .Des Weiteren soll die Unterrichtung der Bundesre-gierung über die Stellungnahme des Bundesrates unddie Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem bereitsüberwiesenen Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ände-rung des GAK-Gesetzes auf der Drucksache 18/8958 anden federführenden Ausschuss für Ernährung und Land-wirtschaft sowie zur Mitberatung an den Innenausschuss,den Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie denAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-cherheit überwiesen werden .Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlichder Fall . Dann ist das so beschlossen .Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 1 auf:Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Einführung von Ausschrei-bungen für Strom aus erneuerbarenEnergien und zu weiteren Änderungen desRechts der erneuerbaren Energien
Drucksachen 18/8832, 18/8972Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussEine Aussprache dazu ist für heute nicht vorgesehen;also können wir gleich die Überweisung beschließen . In-terfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfesauf den Drucksachen 18/8832 und 18/8972 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .Gibt es andere Vorschläge zur Überweisung? – Das istnicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .Für diejenigen, die sich fragen, warum dies nichtdiskutiert wird: Wir haben über dieses Thema natürlichvielfach diskutiert . Jetzt reden wir über eine gesetzlicheKonstruktion, die wir selbstverständlich in zweiter unddritter Lesung, wenn der Gesetzentwurf die endgültigeAusgestaltung in den Ausschussberatungen gefundenhat, hier noch einmal diskutieren werden .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zum Überein-kommen von Paris vom 12. Dezember 2015. Hier gehtes um Klimaschutzfragen und -vereinbarungen .Das Wort für einen einleitenden fünfminütigen Be-richt hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit, Frau Hendricks . – Bitte sehr .Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DasBundeskabinett hat heute den Gesetzentwurf zum Über-einkommen von Paris beschlossen . Wir bekennen uns da-mit ganz klar zu den Zielen dieses Abkommens und sindbereit, die Verantwortung für einen möglichst zügigenRatifikationsprozess zu übernehmen.Deutschland kann mit der zügigen Annahme des Ver-tragsgesetzes zur Ratifikation ein klares Zeichen setzen,nämlich dass wir den Klimaschutz vorantreiben . Wir ha-ben gerade in den vergangenen Tagen beim PetersbergerKlimadialog mit unseren Partnerländern darüber disku-tiert . Im letzten Jahr haben wir beim Klimadialog nochüberlegt, wie ein anspruchsvolles Klimaabkommen er-reicht werden könnte . Dieses Jahr konnten wir uns ge-
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meinsam darüber freuen, dass sich die Anstrengungengelohnt haben . Das Pariser Abkommen ist schließlich eingroßer Erfolg der internationalen Zusammenarbeit . DieWelt ist in der Tat ein Stück zusammengerückt . Die Dis-kussionen beim diesjährigen Petersberger Klimadialogstanden selbstverständlich ganz im Zeichen von Paris . Esgeht um nicht weniger als den weltweiten Wandel hin zueiner treibhausgasneutralen Wirtschafts- und Lebenswei-se .Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Paris-Abkom-men und die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklungsind Leitlinien . Und wir sehen bereits, dass die Heraus-forderungen in allen Teilen der Welt angepackt werden:Indien hat mit seinen Zielen für den Ausbau von erneuer-baren Energien neue Maßstäbe gesetzt . China wird seineZiele wahrscheinlich übererfüllen . Länder wie Äthiopienund Marokko gehen mit ambitionierten Plänen und Maß-nahmen in ihren Regionen voran .Auch aus Ländern mit großen Ölreserven hören wirinteressante Pläne: Norwegen überlegt zum Beispiel,bereits bis zum Jahr 2030 treibhausgasneutral zu wer-den, 20 Jahre früher als bisher geplant . Und selbst inSaudi-Arabien wird über Reformen nachgedacht, umunabhängiger vom Öl zu werden . Die drei Länder Nord-amerikas, Kanada, USA und Mexiko, haben sich das Zielgesetzt, bis zum Jahr 2025 die Hälfte ihres Stroms ausnichtfossilen Quellen zu generieren .Auch wenn diese Maßnahmen insgesamt noch nichtausreichen, sind das alles doch ermutigende Signale .Liebe Kolleginnen und Kollegen, üblich ist, dass alleEU-Mitgliedstaaten gleichzeitig ihre Ratifikationsur-kunden hinterlegen, da wir das Abkommen ja auch ge-meinsam umsetzen wollen . Die Bundesregierung hat dasZiel, dass das Ratifikationsgesetz noch vor der nächstenKlimakonferenz in Marrakesch im November beschlos-sen wird . Wir glauben, dass das ein starkes Signal an dieKonferenz wäre . Dafür ist allerdings ein straffer Zeitplaneinzuhalten, was wiederum nur mit der Unterstützungdes Deutschen Bundestages und des Bundesrates mög-lich sein wird . Ich möchte Sie an dieser Stelle herzlichum Ihre Unterstützung bitten, damit wir mit Ratifikati-onsbeschluss nach Marrakesch fahren können .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben beim Pe-tersberger Klimadialog auch über Langfriststrategien ge-sprochen . Es hat sich gezeigt, dass ein reges Interesse anunserem Klimaschutzplan besteht . Wir werden noch indiesem Herbst den Klimaschutzplan 2050 beschließen,der darlegt, wie wir die vereinbarten 80 bis 95 ProzentTreibhausgasreduzierung in Deutschland erreichen wol-len . Es geht um den schrittweisen Ausstieg aus Kohle, Ölund Gas . Und es geht darum, dass wirklich alle Sektorenin vollem Umfang zum Erreichen dieses Ziels beitragen .Weltweit wird beachtet, wie ein großes Industrielanddiese Herausforderungen meistert . Natürlich teilen wirgerne alle Erfahrungen, die wir auf diesem Weg machenund gemacht haben, die guten wie auch die schlechten .Wir führen zum Beispiel mit den USA Gespräche aufArbeitsebene darüber, wie wir unseren Plan entwickelthaben . Mit dem Klimaschutzplan haben wir die Möglich-keit, ein Referenzwerk vorzulegen, an dem sich andereLänder orientieren . Diese Chance sollten wir nutzen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland wirdauch die Entwicklungsländer bei der Umsetzung ihrernationalen Ziele, der sogenannten NDCs, und bei der An-passung an den Klimawandel noch stärker unterstützen .Dazu streben wir an, unsere Klimafinanzierung bis zumJahr 2020 zu verdoppeln . Außerdem werden wir gemein-sam mit anderen Partnerländern eine NDC-Partnerschaftgründen, mit der wir die Umsetzung der in Paris ange-kündigten Beiträge unterstützen . Das war auch ein wich-tiges Thema beim Klimadialog . Ministerkollege Müllerund ich haben die Partnerschaft dort vorgestellt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das Pa-ris-Abkommen ernst nehmen, dann müssen wir einschnelles Inkrafttreten ermöglichen . Die Bundesregie-rung ist dazu entschlossen . Der Kabinettsbeschluss zumRatifikationsgesetz war auf diesem Weg ein wichtigerSchritt .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Frau Ministerin, auch für die vorbild-liche Einhaltung der Redezeit . Das gelingt nicht allenMitgliedern der Regierung in ähnlich überzeugenderWeise . – Die erste Nachfrage hat die Kollegin Baerbock .
Vielen Dank, Frau Ministerin . – Vielen Dank auch fürden Petersberger Klimadialog . Das Motto war ja „Ma-king the Paris Agreement a reality“, also das Paris-Ab-kommen mit Leben zu füllen . Sie haben gerade die zahl-reichen positiven Beispiele angesprochen: Sie haben denAusbau der Erneuerbaren in Indien dargestellt . Sie habenauch den Einsatz von CO2-armen Technologien in Nord-amerika erwähnt; bis zum Jahr 2025 soll deren Anteilmindestens 50 Prozent betragen . Wie passt dazu aus IhrerSicht die am Freitag hier im Parlament zu treffende Ent-scheidung über den Vorschlag der Bundesregierung, denAusbau der erneuerbaren Energien im ehemaligen Vor-zeigeland Deutschland im Jahr 2025 bei 45 Prozent zudeckeln, was deutlich unter den Vorgaben des Fahrplansvon Paris liegt und was auch – Sie haben Vergleichsbei-spiele ja gerade aufgezeigt – unter dem liegt, was andereLänder weltweit derzeit tun?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Frau Kollegin Baerbock, ja, Sie haben recht: Es ent-spricht der Koalitionsvereinbarung, dass der Ausbau dererneuerbaren Energien bis zum Jahr 2025 bei 45 Prozentgedeckelt werden soll . Dies ist Gegenstand der Novellezum Erneuerbare-Energien-Gesetz, deren Verabschie-dung in dieser Woche ansteht . Meine Einschätzung ist,dass wir uns in der nächsten Legislaturperiode diesesThemas noch einmal annehmen, sodass wir nicht bei45 Prozent im Jahr 2025 stehen bleiben werden .Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Frau Bulling-Schröter .
Danke schön, Frau Ministerin . – Vor uns liegt ja die
Aufgabe, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begren-
zen . Das ist das Ziel, das wir dringend erreichen müssen .
Meine Frage an Sie lautet: Wie bewerten Sie unser Kli-
maschutzziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent
zu reduzieren, im Hinblick auf das 1,5-Grad-Ziel? Ist es
nicht so, dass wir hier noch nachschärfen müssen?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Sehen Sie: Wir haben das „Aktionsprogramm Klima-
schutz 2020“ im Dezember des Jahres 2014 verabschie-
det . Wir sind auch zuversichtlich, dass wir die vereinbar-
ten Ziele einhalten werden . Mit unserem Ziel von minus
40 Prozent CO2-Ausstoß im Jahr 2020 sind wir innerhalb
Europas durchaus führend; denn auf europäischer Ebe-
ne wurde eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in dieser
Höhe erst für das Jahr 2030 vereinbart, allerdings min-
destens minus 40 Prozent CO2-Ausstoß . Ich habe immer
gesagt: Wir sind in Deutschland im Prinzip zehn Jahre
ehrgeiziger als die übrige Europäische Union zusammen .
Insofern denke ich, dass wir auf einem guten Wege sind .
Was das Zwischenziel 2020 anbelangt, wollen wir Ih-
nen im November sozusagen als Zwischenschritt vorle-
gen, was erreicht worden ist . Ich bin zuversichtlich, dass
es uns gelingt, das im November dem Parlament vorzu-
legen .
Der große Vorteil, den wir jetzt schon haben, aber den
wir natürlich noch ausbauen müssen, ist, dass es uns ge-
lungen ist, die CO2-Belastung seit 1990 um 27 Prozent
zurückzuführen, obwohl im gleichen Zeitraum unsere
Wirtschaft um 39 Prozent gewachsen ist . Das heißt, wir
haben schon jetzt den Nachweis erbracht, dass wir das
Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß abkoppeln kön-
nen, und zwar mit positiven Wirkungen auf den CO2-Aus-
stoß . Das gibt uns die Sicherheit, unseren Bürgerinnen
und Bürgern sagen zu können, dass sie vor Klimaschutz
keine Angst haben müssen, sondern dass Klimaschutz im
Gegenteil ein Innovationstreiber ist .
Frau Höhn .
Frau Ministerin, vielen Dank, dass Sie die vielen po-
sitiven Beispiele aus anderen Ländern, die aus fossilen
Energien herauswollen, aufgezeigt haben . Aber das gilt
ja für uns auch .
Sie haben eben die Ziele für 2020 angesprochen .
Wir haben uns verpflichtet, den CO2-Ausstoß bis 2020
um 40 Prozent zu reduzieren, bezogen auf das Basis-
jahr 1990 . Wir haben in 26 Jahren 27 Prozent erreicht, die
restlichen 13 Prozent müssen wir in den letzten 5 Jahren
schaffen . Wir müssen also dreimal so ehrgeizig sein wie
bisher . Wir erleben aber, dass es beim Bundesverkehrs-
wegeplan vorrangig um Straßenbau geht . Wir erleben,
dass im Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Deckel für er-
neuerbare Energien vorgesehen ist . Wir erleben, dass im
Wohnungsbau zu wenig passiert; dabei könnten wir uns
für Mieterstrom einsetzen und auch sektorübergreifend
tätig werden . Wie wollen Sie die ausstehenden 13 Pro-
zent in den letzten 5 Jahren überhaupt noch schaffen?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Zunächst möchte ich auf das eingehen, was Sie als
letztes Beispiel nannten, nämlich Mieterstrom und Sek-
torkoppelung . Hier werden wir mit der Novelle zum
Erneuerbare-Energien-Gesetz, deren Verabschiedung ja
diese Woche ansteht, vorankommen . Dafür bin ich sehr
dankbar . Das halte ich für einen großen Erfolg; darüber
wird ja dann am Freitag noch eingehend debattiert wer-
den . Ich bin wirklich sehr zufrieden, dass es uns gelun-
gen ist, dafür zu sorgen, dass diese Punkte in der Novelle
berücksichtigt werden .
Darüber hinaus möchte ich Ihnen sagen, dass wir
schon beschlossen haben, bis zum Jahr 2020 einige Koh-
lekraftwerke in Reserve zu nehmen, das heißt, dass wir
sie mindestens vorübergehend abschalten mit dem Ziel,
sie endgültig vom Markt zu nehmen . Auch das wird hel-
fen, das für 2020 gesteckte Ziel zu erreichen .
Im Übrigen sind wir dabei, das Erneuerbare-Ener-
gien-Wärmegesetz und die EnEV zu überarbeiten . Wir
wollen gleichsam eine einheitliche Regelung schaffen,
die einerseits die Energieeffizienz im Neubau in den
Blick nimmt, auf der anderen Seite aber auch in den
Blick nimmt, welche Art von Energie in den Gebäuden
verbraucht wird . Auch in diesem Zusammenhang ist das
Stichwort „Mieterstrom“ nicht zu verachten .
Oliver Krischer .
Herzlichen Dank, Frau Ministerin, für Ihre Ausfüh-rungen . Auch ich freue mich darüber, dass Sie viele posi-tive Beispiele aus anderen Ländern angeführt haben . Daszeigt, Deutschland ist nicht mehr alleine . Aber – das sageich einschränkend – es ist leider auch nicht mehr Vor-reiter . Das war einmal . Andere gehen inzwischen voran .Ich möchte den Verkehrsbereich beleuchten . Ich habemir Ihren Klimaschutzplan, Stand 21 . Juni 2016, an-geschaut . Darin las ich den vor dem Hintergrund Ihrersonstigen Äußerungen, die ich wahrgenommen habe,interessanten Hinweis, dass der Dieselantrieb – ich zitie-re wörtlich – weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Er-reichung der CO2-Ziele leisten soll . Worauf stützen Siediese Annahme, was ist die Politik dahinter, und wie sollich angesichts dessen andere Äußerungen von Ihnen ver-stehen, nach denen der Dieselantrieb ein Auslaufmodellist? Könnten Sie mich bitte aufklären, wie die Politik Ih-res Hauses in Bezug auf Klimaschutz im Verkehrsbereichaussieht?
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Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Kollege Krischer, es gibt natürlich auch so et-was wie eine Brückenfunktion . Die muss man dem Die-selantrieb durchaus zubilligen; denn klar ist, dass derDieselantrieb deswegen, weil er einfach sparsamer imVerbrauch ist, CO2-freundlicher ist als der Benzinan-trieb . Gleichwohl kann der Dieselantrieb auf Dauer nichtmehr als eine Brückenfunktion wahrnehmen . Ansonstenwürden die in Deutschland hergestellten Automobilflot-ten auf Dauer nicht die Anforderungen der EuropäischenUnion erfüllen . Der Anteil der Elektromobilität mussselbstverständlich zunehmen . Zu diesem Zweck hat dieBundesregierung ja auch ein Förderprogramm aufgelegt .
Herr Lenkert .
Frau Ministerin, wie Sie sicherlich wissen, zielt das
Klimaschutzabkommen nicht nur auf CO2, sondern auch
auf andere Klimagase wie Schwefelhexafluorid, das
22 000-mal schädlicher ist für das Klima als CO2 . Die
ausgestoßene Menge von solchen Superklimagasen ist in
Deutschland im letzten Jahr um 22 Prozent gestiegen . In
Ihrem Klimaschutzplan liest man nichts darüber, wie Sie
gerade bei diesen – so nenne ich sie mal – Superklimaga-
sen vorgehen wollen, um zukünftig eine Reduzierung zu
erreichen . Deswegen frage ich Sie: Welche Maßnahmen
sehen Sie vor? Wenn Sie Maßnahmen vorsehen, viel-
leicht auch das teilweise Verbot der industriellen Nutzung
solcher Gase, frage ich ergänzend: Sind solche Verbote
überhaupt noch aussprechbar, sollten die Freihandelsab-
kommen mit den USA oder mit Kanada in Kraft treten?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege, wir sehen in unserem Klimaschutzplan
keine Verbote in dieser Hinsicht vor – das haben Sie rich-
tig dargestellt –; aber wir sind selbstverständlich zusam-
men mit der deutschen Industrie daran interessiert – und
dabei durchaus auch erfolgreich –, den Ausstoß auch
anderer klimaschädlicher Gase zurückzuführen . Das gilt
auch für andere Bereiche wie zum Beispiel die Landwirt-
schaft .
Frau Kotting-Uhl .
Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Antwort auf die
Frage von Frau Baerbock gesagt, Sie seien sich bewusst,
dass man das Ziel für den Ausbau der Erneuerbaren, also
45 Prozent Anteil bis 2025, das wir am Freitag beschlie-
ßen werden, wird nachschärfen müssen . Nun wurde uns
eine, wie ich finde, sehr gut formulierte Studie, die im
Auftrag von Greenpeace erstellt wurde, zur Kenntnis
gegeben, in der dargestellt wird, dass wir, wenn wir die
Sektorkopplung wirklich ernst nehmen und die Dekar-
bonisierung der Wirtschaft bis Mitte des Jahrhunderts in
Deutschland erreichen wollen, bis 2040 mit dem doppel-
ten Strombedarf von heute rechnen müssen, und zwar
unter Berücksichtigung erreichter Effizienzsteigerungen;
die wurden dabei also nicht außen vor gelassen . „Nach-
schärfen“ ist angesichts der vor uns stehenden Herausfor-
derung also eine milde Formulierung . Wir brauchen das
Vier-, Fünf-, Sechsfache in den einzelnen Sektoren der
erneuerbaren Energien, wenn wir auch in den Bereichen
Wärme und Verkehr alles über Strom aus Erneuerbaren
laufen lassen wollen . Wie wollen Sie da nachschärfen,
bzw . was für Größenordnungen schweben Ihnen für das
Nachschärfen vor?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, ich will dazu jetzt keine Zahlen nen-
nen . Es wird Gegenstand der Koalitionsverhandlungen
am Ende des Jahres 2017 sein – mit welchen Beteiligten
auch immer –, dass man mit 45 Prozent bis 2025 nicht aus-
kommt . Ich will jetzt auch nicht die Greenpeace-Studie
kommentieren, sondern, wenn Sie erlauben, mich selbst
zitieren . Ich habe bei mehreren Gelegenheiten schon ge-
sagt: Die Zukunft wird elektrisch sein . – Wir werden also
erneuerbare Energien nicht nur für den Stromverbrauch,
wie wir ihn kennen, brauchen, sondern wir werden er-
neuerbare Energien auch in den Bereichen Verkehr, also
Mobilität allgemein, und Wärme benötigen . Das bedeu-
tet, dass diejenigen, die sich heute um Stromproduktion
kümmern, dies auch in den Blick nehmen sollten; denn
dort liegen in der Tat die Geschäftsfelder der Zukunft,
einschließlich natürlich der Umwandlung von erneu-
erbaren Energien in Power-to-X, wie man es allgemein
nennt, also die Umwandlung in flüssige oder gasförmige
Antriebsstoffe .
Peter Meiwald .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, ichwill noch einmal auf das zurückkommen, was KolleginKotting-Uhl gerade gesagt hat . Sie selbst haben ja gesagt,dass Sie schon heute wissen, dass wir 2025 mit diesemAusbaudeckel, den wir am Freitag in einem verkürztenparlamentarischen Verfahren beschließen sollen, nichthinkommen . Daneben ist das Kabinett gerade dabei, ei-nen Bundesverkehrswegeplan vorzubereiten, über denselbst das Umweltbundesamt sagt, dass damit die Klima-ziele auf keinen Fall erreicht werden . Für mich stellt sichdaher die Frage: Warum beschließen Sie als Regierungsolche Dinge, obwohl Sie als Klimaschutzministerinheute schon wissen, dass sie eigentlich nicht ausreichendsind, um sich den Herausforderungen zu stellen? Undwie sollen wir den Bürgern vermitteln, dass ein Parla-ment dazu genötigt wird, etwas zu beschließen, von demselbst die zuständige Ministerin schon weiß, dass es ei-gentlich nicht ausreicht?
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Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Kollege, jedes Parlament ist frei, ein Gesetz ineinem, zwei oder drei Jahren wieder zu novellieren . Ichbin sehr zuversichtlich, dass das so oder so für das Erneu-erbare-Energien-Gesetz wieder notwendig sein wird . Wirmüssen sowieso Anpassungsmechanismen, zum Beispielauch bei der Vergütung, vorsehen . Dass wir dem zukünf-tigen Parlament, das im Jahr 2017 gewählt wird, durch-aus noch ein bisschen Arbeit übrig lassen, ist überhauptnicht schlimm .Das, was wir jetzt beschließen, zeigt den richtigenWeg . Gleichwohl bin ich der Auffassung: Ja, wir werdenin den nächsten Koalitionsverhandlungen wahrscheinlichnachschärfen müssen, auch im Interesse der Produzentenvon Strom . Denn auch sie brauchen natürlich verlässlicheRahmenbedingungen, um Investitionen vorzubereitenund entsprechende Entscheidungen zu treffen . Deswegengehen wir einen richtigen Schritt; aber es wird, was dasanbelangt, selbstverständlich nicht der letzte Schritt sein .Was den Bundesverkehrswegeplan anbelangt, so binich in der Tat mit dem Kollegen Dobrindt noch im Ge-spräch . Wir werden uns hier oder da sicherlich noch aufeiniges verständigen, das im Interesse des Umweltschut-zes ist .
Herr Kollege Kühn .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Frau Ministerin, wir wissen jetzt, dass das EEG nicht
auf dem Klimaschutzpfad ist . Wir wissen, dass der Bun-
desverkehrswegeplan nicht auf dem Klimaschutzpfad ist .
Wir wissen, dass der Kohleausstieg, der viel zu langsam
vonstattengeht, auch nicht auf dem Klimaschutzpfad ist .
Ich komme jetzt zum Gebäudebereich; als Bauministerin
kennen Sie sich damit sehr gut aus . Auch von dort – das
ist doch ganz klar – kommt im Augenblick kein Impuls,
der dazu beiträgt, dass wir die Energiewende schaffen .
40 Prozent unserer Endenergie verbrauchen wir in Ge-
bäuden . Wir sehen, dass wir bei der Sanierungsrate nicht
vorankommen und immer noch unter 1 Prozent liegen .
Im Gebäudebereich liegt der Anteil der erneuerbaren
Energien unter 10 Prozent . Daher ist für mich nicht klar,
wie Sie jetzt nach Paris den Gebäudebereich auf den Kli-
maschutzpfad setzen wollen .
In diesem Zusammenhang stellen sich mir zwei Fra-
gen: Wie wollen Sie die erneuerbaren Energien im Ge-
bäudebereich stärker voranbringen? Müssen wir die
EnEV, wenn wir sie jetzt schon reformieren, nicht eigent-
lich noch einmal deutlich verschärfen, um dafür zu sor-
gen, dass dieser Sektor endlich mehr zum Klimaschutz
beiträgt und so wirklich 1,5 Grad erreicht werden kön-
nen?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege, zunächst möchte ich die in der Einlei-
tung Ihrer Frage enthaltenen Behauptungen, wir seien
nirgendwo auf dem Klimaschutzpfad, zurückweisen . Wir
sind selbstverständlich auf dem Klimaschutzpfad . Viel-
leicht geht es Ihnen nicht schnell genug, aber wir sind
in allen Sektoren, die Sie angesprochen haben, auf dem
Klimaschutzpfad . Ich möchte doch darum bitten, dass
Sie das zur Kenntnis nehmen . Es kann sein, dass es Ihnen
nicht schnell genug geht, aber es ist nicht so, als wären
wir neben der Spur . Das will ich ganz deutlich sagen .
Im Übrigen hatte ich gerade schon angedeutet, dass
wir dabei sind, die EnEV zusammen mit dem Erneuer-
bare-Energien-Wärmegesetz zu überarbeiten . Ja, es ist
richtig, 40 Prozent des Endenergieverbrauches entfällt
auf Gebäude . Deswegen liegt darauf ein besonderes Au-
genmerk. In der Tat reicht es nicht aus, die Energieeffi-
zienz in den Blick zu nehmen . Vielmehr muss auch der
Anteil der erneuerbaren Energien, zum Beispiel bei der
Wärmeerzeugung in Gebäuden, erhöht werden . Dies be-
deutet, dass wir dort einen neuen Ansatz brauchen . An
diesem arbeiten wir gerade zusammen mit dem Bundes-
wirtschaftsministerium . Ich bin sicher, dass wir Ihnen
dazu im Herbst einen vernünftigen Vorschlag werden
vorlegen können .
Wenn wir das so neu auf die Füße gestellt haben, muss
selbstverständlich auch die Förderpolitik der KfW daran
angepasst werden . Auch hier bin ich zuversichtlich, dass
uns das gelingen wird .
Frau Bulling-Schröter .
Danke schön . – Bei meiner Frage geht es um den Ent-
wurf des Klimaschutzplanes 2050 . Darin ist auch von
einer Veränderung im Steuersystem die Rede; das heißt,
ökologisch kontraproduktive Dinge sollen abgeschafft
und klimafreundliche Anreize gesetzt werden . Mich wür-
de interessieren, an was hier gedacht ist und in welchem
Zeitraum das geschehen soll .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, in dem Entwurf des Klimaschutzpla-
nes 2050 steht, dass dies zu prüfen sei; und das wird si-
cherlich nicht mehr in dieser Legislaturperiode gesche-
hen .
Frau Baerbock .
Vielen Dank . – Wir haben jetzt gehört, dass das EEGnachgeschärft werden muss . Zeitgleich zum PetersbergerKlimadialog wurde der Entwurf des Klimaschutzplanesfür das Jahr 2050 aus Ihrem Hause an das Wirtschafts-ministerium und an das Kanzleramt übergeben . Eine derentscheidenden Stellschrauben darin – das wurde auch
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in Paris immer wieder gesagt – ist der Ausstieg aus denfossilen Energieträgern . Für Deutschland ist damit insbe-sondere der Kohleausstieg gemeint . Rund um die PariserKlimakonferenz haben Sie sehr deutlich gesagt, dass erin 20 Jahren möglich und in 25 Jahren nötig ist . Auf demWeg ins Kanzleramt ist nun der Zeitplan für den Kohle-ausstieg aus dem Entwurf des Klimaschutzplanes 2050gänzlich herausgeflogen. Darin steht nicht einmal mehr,dass dies vor 2050 geschehen soll . Wie passt es zu demPariser Klimaabkommen, das wir hier ratifizieren wol-len, dass Deutschland in diesem Bereich jetzt keinengrundsätzlichen Fahrplan mehr hat?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Frau Kollegin Baerbock, Sie haben mich nicht ganzrichtig zitiert . Bevor wir nach Paris gefahren sind, habeich gesagt: Ich halte einen Ausstieg aus der Kohlever-stromung in 20 bis 25 Jahren für sozialverträglich mög-lich . Ich habe niemals angekündigt, dass wir das in 20bis 25 Jahren tun, sondern ich habe Ihnen nur gesagt: Ichhalte das in 20 bis 25 Jahren für sozialverträglich mög-lich .Wir haben uns im Entwurf des Klimaschutzpla-nes 2050, der Ihnen ja so weit bekannt ist, darauf ver-ständigt, dass wir eine Kommission einsetzen wollen, dieeine breite gesellschaftliche Akzeptanz für den Weg ausden fossilen Energieträgern heraus zu finden versucht;und ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das auch gelin-gen wird . Ich denke, wir brauchen dafür etwa zwei Jahre,also so viel Zeit, wie wir uns auch bei der Endlagersuch-kommission genommen haben .Mir ist wichtig, dass wir den Klimaschutz in der Be-völkerung weiterhin als – ich sage es einmal so – wirk-lich nötig und gerne akzeptiert absichern, auch für dieZukunft . Es hilft nicht, den Bürgerinnen und Bürgernetwas überzustülpen und sie so zu der Annahme zu ver-leiten, dass wir an ihren Lebensinteressen vorbei arbeitenwürden . Deswegen müssen wir einen Pfad aufzeichnen,der gesellschaftlich akzeptiert ist und uns in absehbarerZeit zu einem Ende der Verstromung von fossilen Ener-gieträgern führt . Klar ist, dass wir bis zur Mitte des Jahr-hunderts weitgehend klima- bzw . treibhausgasneutralleben und wirtschaften wollen .
Frau Höhn .
Erster Punkt . Frau Ministerin, wir haben eben über
den Bundesverkehrswegeplan gesprochen . Den kann
man nicht so leicht innerhalb von zwei Jahren wieder än-
dern . In ihm werden jetzt die Investitionen für die nächs-
ten 10 bis 15 Jahre festgelegt . In ihm ist der Bau von
über 500 neuen Ortsumgehungen enthalten . Das heißt, es
wird in neue Straßen und nicht ausreichend in die Bahn
investiert . Alle Experten sagen: Damit sind die Klima-
schutzziele nicht zu erfüllen . Das heißt, wir entscheiden
jetzt, in diesem Jahr, darüber, wie es im Verkehrsbereich
weitergeht . Meinen Sie, dass es ausreichend ist, hier nur
noch die eine oder andere Stellschraube zu verändern?
Zweiter Punkt . Im Bundesland Berlin ist jetzt das erste
Mal ein Divestment beschlossen worden . Auch, um das
Geld zu sichern und kein Risiko mehr bei der Anlage
von Geld einzugehen, sollen keine Investitionen mehr in
Unternehmen getätigt werden, die in fossilen Energien
engagiert sind . Das war ursprünglich auch in Ihrem Ent-
wurf des Klimaschutzplanes 2050 vorgesehen . Nun ist
das herausgefallen . Warum soll hier weiterhin ein Risiko
für die Bevölkerung, für den Staat, für die Pensionsfonds,
für die Rücklagen auch unseres Staatskapitals eingegan-
gen werden? Sieht so Ihr Risikomanagement aus?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin Höhn, auf Ihre letzte Frage reagiere
ich etwas unsicher . Nach meinem Kenntnisstand ist die
Bundesrepublik Deutschland in fossile Energieträger
überhaupt nicht investiert, sodass wir kein Divestment
ankündigen müssen . Aber das müsste ich überprüfen .
Nach meiner Einschätzung – das kann man dem Beteili-
gungsbericht des Bundesfinanzministers entnehmen, den
ich nicht vollständig im Kopf habe – können die Inves-
titionen in fossile Energieträger, wenn es sie denn gibt,
nicht von großer Bedeutung sein . Ich wüsste nicht, in
welche . Das will ich zunächst dazu sagen .
Zu Ihrer ersten Frage nach dem Bundesverkehrswe-
geplan . Ich will wirklich würdigen, dass wir den Anteil
der Investitionen in Schiene und Wasserstraßen im Ver-
hältnis zum noch geltenden Bundesverkehrswegeplan
deutlich erhöhen . Die Relation wird also zugunsten von
Schiene und Wasserstraßen deutlich verbessert . Gleich-
wohl kann man sich da noch mehr wünschen . Ich hatte
Ihnen ja gesagt, dass ich mit dem Kollegen Dobrindt wei-
ter im Gespräch bin .
Herr Kollege Lenkert .
Frau Ministerin, Sie sprachen vorhin von der Diesel-technologie bei Pkw als „Brückentechnologie“ . Jetzt istzwischenzeitlich bekannt geworden, dass es bei Diesel-fahrzeugen nicht nur einen höheren Verbrauch gibt alsangegeben, sondern auch die Feinstaubbelastung in denInnenstädten deutlich höher ist als angenommen . Unterdiesem Aspekt sehe ich es ausgesprochen kritisch, einesolche Technologie, die sich wahrscheinlich nicht soohne Weiteres korrigieren lässt, als „Brückentechnolo-gie“ zu bezeichnen .Ich frage Sie daher: Wäre es nicht klüger, statt Milli-arden in E-Autos zu stecken, in die Bahn zu investieren?Das könnte uns kurzfristig helfen . Ich denke hier an dieElektrifizierung von Bahnstrecken durch eine weitereErhöhung der Regionalisierungsmittel, damit eben mehrPersonennahverkehr erfolgen kann . Wäre es nicht klü-ger, die Milliarden, die man jetzt für E-Autos vorsieht,in den öffentlichen Personennahverkehr und in die Elek-trifizierung von Bahnstrecken zu investieren, um einenAnnalena Baerbock
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schnellen Effekt sowohl beim Klima als auch gegen dieFeinstaubbelastung in unseren Städten zu erreichen?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Die Elektrifizierung von Bahnstrecken ist sicherlichwünschenswert . Gleichwohl muss man auch dort einKosten-Nutzen-Verhältnis ins Auge fassen . Es gibt Bahn-strecken, die so befahren werden und bei denen geprüftwerden sollte, ob das Investment – ich sage es einmalso – zu verantworten ist . Trotzdem haben Sie im Prinzipnatürlich recht .Ich will aber den Vorwurf zurückweisen, dass wirMilliarden in die Elektromobilität stecken . Wir habenein Zuschussprogramm von 600 Millionen Euro bis zumEnde des Jahres 2019 aufgelegt .
Ich will mit Blick auf unser Zeitmanagement darauf
aufmerksam machen, dass ich den Wunsch nach Nach-
fragen der Kolleginnen und Kollegen Krischer, Kotting-
Uhl, Verlinden, Meiwald, Baerbock und Höhn registriert
habe . Mehr werden wir in diesem Zeitrahmen nicht schaf-
fen, wenn wir auch noch Gelegenheit für sonstige Fragen
an die Bundesregierung haben wollen . – Herr Krischer .
Frau Ministerin, ich möchte erst einmal Ihrer Aussage
widersprechen, dass wir beim Klimaschutz auf dem Ziel-
pfad sind . Von den 27 Prozent, die wir an CO2-Emissio-
nen im Vergleich zu 1990 reduziert haben, gehen knapp
20 Prozent auf den Niedergang der DDR-Wirtschaft zu-
rück . Das heißt, das, was sonst noch an Maßnahmen ver-
bleibt, ist minimal in der Wirkung . Im Verkehrsbereich
gehen die Emissionen nach oben . Im Bereich der Ener-
gieerzeugung gibt es bestenfalls eine Stagnation, tenden-
ziell gehen auch dort die Emissionen nach oben . Da kann
ich nicht davon sprechen, dass wir auf dem Zielpfad sind,
zumal wir im europäischen Vergleich nach wie vor mit
die höchsten Emissionen pro Kopf haben . Ich kann nicht
erkennen, dass wir uns konsequent auf die Erreichung
der Ziele zubewegen .
Meine Frage bezieht sich auf den Klimaschutz-
plan 2050 . Ich habe gelesen, dass im Entwurf die Aus-
sage stand, der Ausstieg aus der Kohle solle deutlich vor
2050 erfolgen . Ich nehme jetzt wahr, dass diese Aussa-
ge im Entwurf nicht mehr enthalten ist . Sie haben sich
auch gerade dazu nicht geäußert . Meine Frage an Sie
ist: Beabsichtigt die Bundesregierung tatsächlich – das
wäre aus meiner Sicht eine völlige Entwertung –, einen
Klimaschutzplan 2050 zu verabschieden, der keine klare
Aussage zu einem Kohleausstieg oder zur Kohle enthält?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ich hatte Sie eben schon darüber unterrichtet, dass in
dem Entwurf des Klimaschutzplans die Einrichtung einer
Kommission vorgesehen ist, die innerhalb von zwei Jah-
ren einen gesellschaftlichen Konsens mit herbeiführen
soll, der dann zu den Maßnahmen führt, den Ausstieg aus
der Kohle oder vielmehr den Ausstieg aus fossilen Ener-
gieträgern sozialverträglich und regional wirtschaftlich
verantwortlich voranzubringen .
Frau Kotting-Uhl .
Frau Ministerin, noch einmal zum Ausbau der erneu-
erbaren Energien – ich frage Sie das auch als Ministerin
für Reaktorsicherheit, das heißt als Hüterin des Atom-
ausstiegs –: Können wir uns tatsächlich leisten, in dieser
Legislatur den Plan zu beschließen, bis zum Jahr 2020
einen Anteil von 40 Prozent erneuerbarer Energien an
der Stromversorgung zu erreichen? Woraus wollen wir
dann die restlichen 60 Prozent Strom beziehen? Ich rede
jetzt nur von Strom für die Stromnutzung; es geht nicht
um Sektorkopplung . Woraus beziehen wir die restlichen
60 Prozent des Stroms, den wir dann brauchen? Wird das
alles aus fossilen Energieträgern kommen, oder soll dann
der Atomausstieg aufgeweicht werden?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Wie Sie wissen, betrug der Anteil von Strom aus er-
neuerbaren Energien in Deutschland im letzten Jahr
32,5 Prozent . Bis zum Jahr 2020 streben wir 40 Pro-
zent an . Dies ist sicherlich problemfrei möglich, und Sie
können sicher sein, dass der Atomausstieg, wie geplant,
sukzessive vorangeht und das letzte Atomkraftwerk 2022
vom Netz geht .
Frau Verlinden .
Frau Ministerin, ich habe eine Frage zum Stromver-brauch in der Zukunft, und zwar würde ich gerne wis-sen, von welchem Stromverbrauch die Bundesregierungfür die Jahre 2020, 2030 und 2050 ausgeht . Sie habendie Sektorkopplung angesprochen . Auch das Stichwort„Elektromobilität“ ist heute schon mehrfach gefallen .Ich wüsste gerne: Gibt es einen Wert, mit dem Sierechnen und an dem Sie Ihre Prognosen und vor allenDingen auch Ihre Politik orientieren? Wenn ja, sind Siesich in der Bundesregierung einig, oder geht man davon unterschiedlichen Szenarien aus? Wenn man da-von spricht, bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 40 bis45 Prozent beim Strom aus erneuerbaren Energien zu er-reichen – wir Grünen finden, das ist viel zu wenig; abernehmen wir an, Sie wollen dieses Ziel erreichen –, dannist, wenn Sie am Freitag im Plenum mit dem EEG dieMegawattausbauzahlen beschließen, die Frage ganz es-senziell, ob das überhaupt erreichbar ist . Denn viele Wis-senschaftler gehen davon aus, dass der Stromverbrauchsteigen wird . Die Frage ist deshalb, ob Sie Ihre eigenenZiele erreichen, wenn Sie nur diese geringen Mengen anPhotovoltaik und Windkraft ausbauen wollen .Ralph Lenkert
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 201617910
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Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Frau Kollegin, ich habe eben schon darauf hingewie-sen, dass nach meiner Ansicht in der nächsten Legisla-turperiode das Erneuerbare-Energien-Gesetz wiederumeiner Novellierung zugänglich sein wird .
Peter Meiwald .
Vielen Dank . – Ich habe auch eine Nachfrage . Sie ha-
ben eben wieder betont, dass das EEG in der nächsten
Legislaturperiode weiterentwickelt werden soll . Aber
für die Herausforderungen, die sich zurzeit im Zusam-
menhang mit der Installation von Energieanlagen, mit
Offshoreanlagen, aber auch mit dem Netzausbau und
dem Thema Sektorkopplung stellen, gilt: Das sind alles
Prozesse, die lange Planungsvorläufe haben . Aus meiner
Sicht ist es sehr schwierig, den Investoren zu vermitteln,
dass sie die nächsten Koalitionsverhandlungen abwarten
müssen, wo doch die Entscheidungen eigentlich heute
getroffen werden müssen . Wir alle wissen, dass gerade in
diesen Sektoren die Zeit sehr drängt .
Ich frage mich, wie Sie als Bundesregierung es den
Menschen vor Ort, den Investoren und im Übrigen auch
den Betreibern von fossilen Kraftwerken vermitteln
wollen, dass Sie eine neue Hängepartie bis zu einem
EEG 2019 machen .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege, wir machen keine Hängepartie . Jeder
kann sich darauf einstellen, dass wir die erneuerbaren
Energien ausbauen . Der Netzausbauplan liegt fest und
wird abgearbeitet .
Frau Baerbock .
Ich möchte auf den Punkt Divestment zurückkom-
men . Sie haben gesagt, Ihnen sei nicht bekannt, dass die
Bundesrepublik an Anlagen im fossilen Bereich beteiligt
ist . Das ist aber so . Das sind sowohl die Bundesländer –
Berlin steigt ja aus – als auch der Bund über die Bundes-
bank . Die Anlagen für die Pensionsrückstellungen oder
auch die der gesetzlichen Rentenversicherungen sind im
EURO-STOXX-50-Index enthalten .
Habe ich Sie deshalb richtig verstanden, dass die
Bundesregierung diesem Beispiel folgen – das hat die
Bundeskanzlerin in ihrer Rede angesprochen, Stichwort
„mehr Verantwortung des Finanzsektors“ –, sich auch im
Klimaschutzplan aktiv für ein Divestment einsetzen wird
und entsprechend die Anlagenrichtlinien der Bundesbank
und die Pensionsrückstellungen anpassen und keine An-
lagen in fossile Energieunternehmen mehr kaufen wird?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, das ist im Klimaschutzplan bisher nicht
vorgesehen . Es ist allerdings eine interessante Anregung .
Frau Höhn, letzte Frage .
Frau Ministerin, wir haben zwar jetzt die Entschei-
dung zum Brexit in Großbritannien, aber als Folge davon
ist der Preis für CO2-Zertifikate sogar noch einmal mas-
siv unter ein Niveau gesackt, das vorher schon viel zu
niedrig war . Nun planen die Franzosen, im nächsten Jahr
einen Mindestpreis einzuführen, der immerhin bei 28 bis
30 Euro pro Tonne CO2 liegen soll . Auch Großbritanni-
en, das in den nächsten Jahren beim Klimaschutz der EU
noch aktiv sein wird, hat einen CO2-Preis in Höhe von
23 Euro . Andere Länder haben eine Kohlesteuer .
Um hier zu Veränderungen zu kommen und die
CO2-Ziele zu erreichen: Ist es nicht notwendig, dass auch
Deutschland einen solchen Mindestpreis einführt, damit
wir ihn am Ende mit den notwendigen Mehrheiten auch
auf EU-Ebene einführen können?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, wir sind auf der europäischen Ebene
im Überarbeitungsprozess . Wie Sie wissen, haben wir
uns bereits auf eine Marktstabilitätsreserve verständigt,
und wir werden den tatsächlich notwendigen Neuanfang,
was die CO2-Bepreisung betrifft, in den nächsten Mona-
ten auf der europäischen Ebene einvernehmlich regeln
können .
Damit schließen wir diesen Teil der Befragung ab .
Gibt es sonstige Fragen zur heutigen Kabinettssitzung?
Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? – Es
hatte sich bereits die Frau Kollegin Werner gemeldet,
und dann notiere ich einige weitere Meldungen .
Meine Frage bezieht sich auf den Kabinettsbeschlussder letzten Woche . Dort wurde vom Ministerium fürArbeit und Soziales ganz groß verkündet, dass jetzt dieInklusion vorangebracht und Selbstbestimmung undTeilhabe für die betroffenen Menschen ermöglicht wer-den . Anfang der Woche gab es noch die Nachricht, dassdie Österreicher in ihr Bundesgesetzblatt die korrigier-te deutsche Übersetzung aufgenommen haben . Insofernstellt sich die Nachfrage, ob das Ministerium doch nocheinmal darüber nachdenkt, eine Korrektur der Gesetzes-vorlage vorzunehmen; denn es gäbe noch weitere Aus-wirkungen auf den Haushaltsentwurf für 2017 und aufden Finanzplan bis 2020, die heute vom Bundesfinanz-minister vorgestellt werden .
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Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Präsident, sind Sie damit einverstanden, wenndie Kollegin Lösekrug-Möller die Antwort gibt? – Herz-lichen Dank .G
Vielen Dank für die Frage, Frau Abgeordnete
Werner . – Ja, in der Tat, diese Nachricht hat uns natürlich
auch ereilt, dass sich in Österreich in der Übersetzungs-
frage etwas getan hat . Wir haben dieses Thema bereits in
der letzten Legislaturperiode in der Bundesregierung be-
handelt und eine deutsche Fassung bei der Übersetzung
akzeptiert . Es gibt im Augenblick, soweit mir bekannt ist,
keine Diskussion und keine Überlegung, dies noch ein-
mal infrage zu stellen .
Frau Haßelmann .
Ich habe eine Frage an das Innenministerium . Dieses
hat sich jetzt auch öffentlich über die Presse geäußert –
noch nicht in der Fragestunde – und seine Kritik am Ver-
halten des Bundesamts für Verfassungsschutz sowie an
den Verfehlungen von dessen Präsident Herrn Maaßen
vorgebracht .
Deshalb möchte ich gern fragen: Wie werden Sie von
der Regierung damit umgehen, wenn Sie feststellen, dass
es dort massive Defizite gegeben hat? Welche Rück-
wirkungen hat dies auf das Vertrauen, das Sie in Herrn
Maaßen stecken, und welche Konsequenzen hat das für
Ihre Fach- und Rechtsaufsicht?
Herr Krings, bitte .
D
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Liebe Frau Haßelmann, wir haben uns, glaube ich,
schon einmal in einer früheren Fragestunde darüber un-
terhalten . Ich hatte damals angekündigt, dass ein Bericht
eines Beauftragten des Innenministeriums erstellt wird .
Dies ist inzwischen erfolgt, und der Bericht wird ausge-
wertet .
Natürlich haben wir – das haben Sie zu Recht an-
gemerkt – Mängel festgestellt, dass beispielsweise
SIM-Karten und Telefone zu spät gefunden worden sind .
Diese müssen nun nicht nur ausgelesen, sondern auch
ausgewertet werden . Um es einmal praktisch deutlich zu
machen: Wenn es sich – hypothetisch – um 1 000 Bil-
der handelt, dann reicht es nicht aus, diese von einer
SIM-Karte oder einem Handy herunterzuziehen . Viel-
mehr muss man dann auch schauen, wer auf den Fotos
abgebildet ist und ob es Verbindungen gibt, die wir bis-
lang nicht gesehen haben . Davon wird viel abhängen .
Es ist jetzt jedenfalls noch nicht an der Zeit, irgend-
welche hypothetischen Betrachtungen anzustellen und
Konsequenzen zu ziehen . Wichtig und richtig ist – das
Stichwort haben Sie bereits genannt –, dass wir die
Rechts- und Fachaufsicht sehr ernst nehmen . Dass wir
das tun, zeigt die nun eingeleitete Untersuchung . Aber
wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen .
Frau Dröge .
Ich habe eine Frage an die Bundesregierung hinsicht-
lich des Rüstungsexportberichts 2015; dieser war meines
Wissens nach ebenfalls Thema der heutigen Kabinettssit-
zung . Wir haben erfahren, dass sich die Rüstungsexporte
gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt haben . Damit ist
Herr Gabriel seinem selbst erklärten Ziel, die Rüstungs-
exporte zu reduzieren, nicht gerecht geworden . Das ist
eine sehr problematische Nachricht .
Wir haben außerdem erfahren, dass ein Großteil der
Lieferungen bei den Kleinwaffen in die Region Katar
geht und dass auch die Lieferung eines Panzers an das
Land Katar genehmigt wurde . Herr Gabriel hat das damit
begründet, dass es sich hier um Genehmigungen der Vor-
gängerregierung handele, die er nicht mehr rückgängig
machen könne . Trifft es zu, dass diese Genehmigungen
durchaus rückgängig gemacht werden könnten, wenn
man bereit wäre, Schadensersatzforderungen in Kauf zu
nehmen? Was ist aus Ihrer Sicht die inhaltliche Begrün-
dung dafür? Ist es wirklich besser, Panzer und Kleinwaf-
fen in ein Land wie Katar zu liefern, als Schadensersatz-
forderungen in Kauf zu nehmen?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Das Bundeskabinett hat sich heute mit dem Rüstungs-
exportbericht befasst . Zur Verbesserung der Transparenz
bei Rüstungsexporten legt die Bundesregierung, wie zu-
gesagt, diesen Bericht zum dritten Mal vor . Es ist richtig,
dass der Export von Kleinwaffen zurückgegangen ist .
Genau diese Waffen sind bei nicht regulären Truppen und
Terroristen das Mittel der Wahl . Das Bundeskabinett hat
sich nicht mit der Abgrenzung von Rüstungsexport und
denkbaren Schadensersatzforderungen befasst .
Kollege Beck .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich habe in der letztenWoche in der Fragestunde das Bundeswirtschaftsminis-terium nach Proliferationsversuchen und Proliferations-erfolgen des Iran im Zusammenhang mit dem Atompro-gramm gefragt . Gestern erreichte mich schließlich diefinale Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums: DerBundesregierung ist kein Verstoß im Zusammenhang mitdem Iran seit dem Wiener Abkommen bekannt .Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt in sei-nem Bericht von 2015:
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Die vom BfV festgestellten illegalen iranischen Be-schaffungsversuche in Deutschland befanden sich2015 weiterhin auf einem auch im internationalenVergleich quantitativ hohen Niveau . Dies galt vorallem für Güter, die im Bereich Nukleartechnik ein-gesetzt werden können .Das BfV konstatiert auch „im Bereich des ambitionier-ten iranischen Trägertechnologieprogramms, das unteranderem dem Einsatz von Kernwaffen dienen könnte,eine steigende Tendenz der ohnehin schon erheblichenBeschaffungsbemühungen“ .Das Landesamt für Verfassungsschutz Nord-rhein-Westfalen sagte nach dem Abschluss des WienerAbkommens: Nichtsdestoweniger stellt der Iran weiter-hin den Bearbeitungsschwerpunkt in der Proliferations-abwehr dar . Knapp zwei Drittel der indizierten Einkaufs-versuche sind dem iranischen Programm zuzuordnen .Ich frage die Bundesregierung: Lügt der Verfassungs-schutz, oder hat die Bundesregierung doch Erkenntnissedarüber, dass seit der Unterzeichnung des Wiener Ab-kommens durch den Iran Proliferationsversuche im Zu-sammenhang mit dem Atomprogramm festgestellt wur-den, und wenn ja, wie möchte die Bundesregierung dasParlament hierüber wahrheitsgemäß unterrichten?
Herr Staatssekretär Beckmeyer .
U
Herr Abgeordneter Beck, herzlichen Dank für die Fra-
ge . – Wir werden immer wahrheitsgemäß antworten . Wir
werden diesen in der Presse zu lesenden Aussagen der
verschiedenen Verfassungsschutzämter nachgehen .
– Keine Entrüstung . – Wir werden diesen Dingen nach-
gehen und sie aufklären .
Sie sprachen zu Recht von Beschaffungsversuchen . Es
ist zu hinterfragen, bei wem das versucht worden ist und
ob es mit Erfolg versucht worden ist . Diese Frage werden
wir ebenfalls aufklären .
Frau Höhn .
Der Kommissionspräsident Juncker und die Handels-
kommissarin haben ihre Meinung revidiert und wollen
jetzt über CETA den Bundestag und die anderen natio-
nalen Parlamente abstimmen lassen . Die Bundesregie-
rung hat mehrmals dazu Position bezogen und sich dafür
starkgemacht . Das war auch gut, und damit hat sie sicher
zu dieser Änderung beigetragen .
Nun soll aber dieses Handelsabkommen schon vorläu-
fig in Kraft treten, und zwar bevor die Einzelparlamen-
te, also auch der Bundestag, darüber abgestimmt haben .
Wie ist die Haltung der Bundesregierung dazu? Denn es
ist doch eine Farce, auf der einen Seite auf der Mitbe-
stimmung des Bundestages zu bestehen, während auf der
anderen Seite das Abkommen schon in Kraft ist . Wird
sich die Bundesregierung auch dafür einsetzen, dass die
vorläufige Inkraftsetzung von CETA nicht stattfindet?
Dazu haben wir, Frau Kollegin, gleich eine Aktuelle
Stunde, in der das intensiv erläutert werden kann .
Aber das wird nicht beantwortet . Ich frage, damit das
beantwortet werden kann .
Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist bei beiden Ver-
suchsanordnungen ziemlich gleich groß, scheint mir .
Aber wir können es einmal testen . – Herr Beckmeyer,
bitte schön .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ich würde in der Tat den Kollegen Beckmeyer bitten,
darauf zu antworten, sofern er dazu heute in der Lage ist .
U
Frau Kollegin, Ihre Frage zielt auf die Debatte zu
CETA im Rahmen der Aktuellen Stunde ab . Wir haben
gestern die Entscheidung der Kommission zur Kenntnis
nehmen dürfen, dass entgegen ihrer bisherigen Haltung
es kein EU-only-Abkommen werden soll, sondern ein
gemischtes . Wir werden uns also auch hier in Deutsch-
land auf einen Abstimmungsprozess zubewegen . Es wer-
den sicherlich entsprechende Vorklärungen in Richtung
des Handelsministerrates auch hier im Parlament statt-
finden. Auf diese Art und Weise wird es, so denke ich,
eine Meinungsbildung des Deutschen Bundestages und
vielleicht auch des Bundesrats geben . Das wird sicher-
lich auch ein Fingerzeig für das entsprechende Verhalten
der Bundesregierung im jeweiligen Rat sein .
Dann wird das Europäische Parlament über diesen
Vorgang zu entscheiden haben . Damit haben wir ein
Verhalten des Europaparlaments zu dem gesamten Ab-
kommen . Danach wird darüber in den entsprechenden
Parlamenten der Mitgliedstaaten entschieden . Das ist
ein längerfristiger Prozess, an dem wir uns sicherlich in
Deutschland beteiligen werden .
Jedenfalls, Frau Höhn, bedarf es nicht der Genehmi-gung der Europäischen Kommission, dass sich der Deut-sche Bundestag mit diesem Thema beschäftigt . Wenn eszu der jetzt absehbaren Prozedur kommt, setzt die denk-bare Zustimmung der Bundesregierung zur vorläufigenInkraftsetzung dieses Vertrages die Zustimmung desVolker Beck
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Bundestages voraus – Punkt . Völlig eindeutige Rechts-lage .
Ich habe jetzt noch drei Wortmeldungen, die ich auf-rufen will . Das sind der Kollege Ströbele, die KolleginMihalic und der Kollege Beck, die ich bitte, sich imRahmen der vorgesehen Zeitfristen zu bewegen . – HerrStröbele .
Danke, Herr Präsident . – Ich habe mich vorhin gemel-det – leider bin ich erst jetzt an der Reihe –, als der HerrStaatssekretär auf die Frage nach Herrn Maaßen geant-wortet hat . Sie sagen, Sie könnten noch nichts Endgül-tiges sagen . Deshalb meine klare Frage: Sehen Sie eineVerantwortlichkeit von einem Behördenleiter, wie dasHerr Maaßen als Chef des Bundesamtes für Verfassungs-schutz ist, die unabhängig davon ist, ob er an den ein-zelnen Vorgängen beteiligt war? Das ist die sogenannteOrganisationsverantwortung . Das heißt, dass der Chefauch für Vorgänge in seinem Amt geradestehen und dieVerantwortung übernehmen muss, bei denen er direktund konkret gar nicht involviert gewesen ist .Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Das möchte ich gern für die ganze Bundesregierungbeantworten: Ja, selbstverständlich sieht die Bundesre-gierung das so für alle Behördenleiter .
Frau Mihalic .
Frau Ministerin Hendricks, ich finde es gut, dass Sie
für die gesamte Bundesregierung die Antwort gegeben
haben, dass ein Behördenleiter selbstverständlich die
Verantwortung trägt, wenn es in seiner Behörde offen-
sichtlich Defizite gibt.
Herr Krings, Sie sagen, man könne jetzt noch keinerlei
voreilige Schlüsse dahin gehend ziehen, was das Ergeb-
nis dieser Untersuchung betrifft . Der Bericht liegt ja nun-
mehr vor . Sie haben uns diesen Bericht sozusagen ver-
traulich bei der Geheimschutzstelle vorgelegt, und wir
konnten diesen Bericht auch einsehen. Aber ich finde, es
ist schon ein merkwürdiger Vorgang, dass Sie selbst, das
Bundesinnenministerium, Teile dieses Berichts in einer
Pressemitteilung an die Öffentlichkeit bringen . Deswe-
gen möchte ich an Sie die Fragen richten: Warum ist die-
ser Bericht überhaupt als vertraulich eingestuft? Welche
Punkte sind es ganz konkret, die die Öffentlichkeit nicht
erfahren soll? Das Handeln, das Sie da an den Tag le-
gen – einerseits stufen Sie als vertraulich ein, anderer-
seits gehen Sie selbst damit an die Öffentlichkeit –, finde
ich schon bemerkenswert .
Vielen Dank .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Es liegt im Wesen der Geheimhaltungsvorschriften,
dass man diese nicht offenbaren kann .
D
Das hätte ich natürlich unmöglich schöner formulie-
ren können, Frau Ministerin .
Wir arbeiten nach der Maßgabe – das habe ich hier an
anderer Stelle schon des Öfteren gesagt, und das nehme
ich sehr ernst –: So viel Transparenz wie möglich, so viel
Geheimhaltung wie notwendig . – Wenn ein Bericht Teile
enthält, über die man sagen kann: „Das kann man der Öf-
fentlichkeit ohne die Verletzung von Interessen Dritter,
ohne die Verletzung von Staatsinteressen und Geheim-
schutzinteressen mitteilen“, dann wäre es geradezu fatal,
wenn wir die entsprechenden Teile nicht veröffentlich-
ten . Insofern können Sie als eine von wenigen, die das in
der Geheimschutzstelle gelesen haben, beurteilen, wo die
Differenz an dieser Stelle liegt . Das gilt übrigens nicht
für den ganzen Bericht; das ist ja doch ein Unterschied .
Sie kennen den Bericht offensichtlich in Gänze und kön-
nen selbst sehen, wo die Grenzen gezogen worden sind .
Ich kann nur ganz deutlich sagen: In der Tat ist die
Aussage von mir zu unterstreichen; das gilt für alle Be-
hörden, selbst für Ministerien . Natürlich stellt sich dort,
wo in einer Behörde Fehler passieren, die Frage nach ih-
rer Organisation . Aber die Konsequenzen daraus – falls
Sie darauf abzielen – hängen von der Schwere der Fehler
ab . Darum bleibe ich dabei: Es wäre zum jetzigen Zeit-
punkt nicht seriös, einschätzen zu wollen, wie schwer-
wiegend der begangene Fehler ist . Insofern wären wei-
tere Aussagen zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Ordnung .
Letzte Frage: Volker Beck .
Ich möchte meine Frage an Ihre Antwort anknüpfen .Ich hatte die Bundesregierung letzte Woche schon nachProliferationsversuchen des Iran gefragt . Ich frage Siejetzt: Hat die Bundesregierung Kenntnis von Prolifera-tionsversuchen des Iran nach dem Abschluss des WienerAbkommens, die im Zusammenhang mit dem Atompro-gramm des Iran stehen können? Es reicht eigentlich einJa oder ein Nein .Präsident Dr. Norbert Lammert
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 201617914
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Das hätte den Vorzug, dass die Antwort leicht in
höchstens 60 Sekunden zu beantworten ist .
U
Ich habe eben zum Ausdruck gebracht, dass wir uns
um den Verfassungsschutzbericht, den Sie zitiert haben,
kümmern werden; wir werden dem nachgehen .
Der entscheidende Punkt ist, dass nach meinem
Kenntnisstand die Aussagen von Verfassungsschützern
rückwärtsgewandt waren . Diesen Punkt werden wir auf-
klären . Einige Abgeordnete dieses Hauses haben sich
dazu auch in den letzten Tagen öffentlich geäußert . Ich
bin nicht in den Gremien, in denen dies besprochen wor-
den ist . Wir werden dieser Sachlage nachgehen, und wir
werden sie auch aufklären . Wenn dieser Aufklärungspro-
zess abgeschlossen ist, werde ich Ihnen schriftlich auf
Ihre Frage antworten .
Herzlichen Dank .
Ich schließe damit die Regierungsbefragung .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
Drucksachen 18/8998, 18/9024
Zu Beginn rufe ich gemäß Nummer 10 Absatz 2 der
Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen
auf Drucksache 18/9024 auf .
Ich will mit zwei Vorbemerkungen beginnen:
Erste Vorbemerkung . Wenn wir aufseiten des Parla-
ments wie der Regierung die Regierungsbefragung so
ernst nähmen, wie sie eigentlich gedacht ist, brauchten
wir das Institut der dringlichen Fragen nicht, weil jeder
in der Lage ist, wie wir das heute gerade demonstriert
haben, auch unabhängig von den angekündigten Themen
dringliche Fragen zu stellen .
Zweite Vorbemerkung . Solange wir dieses Institut ha-
ben, ist es eine gelegentlich schwierige Abwägung, ob
eine Frage wirklich dringlich ist oder nicht . Gelegent-
lich entscheide ich selbst entgegen den plausiblen for-
malen Hinweisen der Bundestagsverwaltung zugunsten
der Fragesteller . Wenn mir dann jemand eine dringliche
Frage vorlegt, ich sie auch als dringlich genehmige, ich
unmittelbar vor Beginn der Sitzung aber die Mitteilung
bekomme, dass eine schriftliche Antwort eigentlich auch
genüge, persifliert sich das Anliegen selbst.
So, finde ich, können wir nicht miteinander verfahren.
Deswegen bitte ich, das künftig bei entsprechenden An-
fragen möglichst zu berücksichtigen .
Mit dieser Begründung entfällt nun die Behandlung
der zugelassenen dringlichen Frage 1 der Kollegin Jelpke
an das Bundesministerium des Innern .
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amtes .
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Movassat
auf:
Inwiefern war die Bundesregierung in die geplante Ände-
rung des sogenannten Instruments für Stabilität und Frieden
, die die Europäische Kommission am Dienstag, dem
5 . Juli 2016, beschließen wollte, eingebunden, und inwiefern
teilt sie die Einschätzung des Rechtsdienstes der Europäi-
schen Kommission, dass die Finanzierung des Militärs „nicht
gleichzeitig Teil der Entwicklungszusammenarbeit der EU
und ihrer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik sein“
Die Kollegin Frau Staatsministerin Böhmer wird diese
dringliche Frage liebenswürdigerweise beantworten .
D
Danke, Herr Präsident . – Herr Kollege Movassat, ichdarf Ihre Frage wie folgt beantworten: Worum geht es?Mit dem Instrument für Stabilität und Frieden will dieEU – ich zitiere jetzt aus dem Text – „spezifische globaleund transregionale Bedrohungen des Friedens, der inter-nationalen Sicherheit und der Stabilität“ bewältigen . Inder EU ist Konsens, dass Partner zur Krisenpräventionund Krisenbewältigung befähigt werden müssen, auchdurch konkrete Projekte . Das läuft unter dem Thema„Capacity building in support of security and develop-ment“, kurz: CBSD . – Im April 2015 haben der Euro-päische Auswärtige Dienst und die Kommission dazueine gemeinsame Mitteilung vorgelegt . Der Rat hat dieseMitteilung am 18 . Mai 2015 begrüßt und den Auftrag ge-geben, Finanzierungsmöglichkeiten zu prüfen . Es gehtnicht um sogenannte letale Ausrüstung – das möchte ichbetonen –, und das ist auch in der gemeinsamen Mittei-lung klargestellt .Zur Einbindung der Bundesregierung . Die Bundesre-gierung wurde kontinuierlich unterrichtet, unter anderemin den zuständigen Ratsgremien und im Verwaltungsratfür das Instrument für Stabilität und Frieden . Das Initi-ativrecht zur Vorlage eines Änderungsvorschlags zu derVerordnung für das IfS liegt bei der EU-Kommission .Daher war die Bundesregierung nicht an der Formulie-rung beteiligt . Die EU-Kommission hat zur Vorbereitungin der Zeit vom 1 . April bis zum 27 . Mai 2016 eine öf-fentliche Anhörung durchgeführt .Nun zur Rechtsauslegung . Das Instrument für Stabi-lität und Frieden dient zur Krisenbewältigung . Die EUsoll durch eine wirksame Reaktion rasch zur Stabilitätbeitragen können . Die vom Rechtsdienst der Kommis-sion vertretene Rechtsansicht teilt die Bundesregierungnicht . Die Finanzierung von militärischen Aufgaben inKrisenlagen durch die EU ist nicht ausgeschlossen . Dassehen auch der Rat und das Europäische Parlament so .Die Kommission selbst hat nun das Verfahren zur Ände-rung des Instruments für Stabilität und Frieden in Ganghttp://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-will-militaer-mit-entwicklungshilfe-staerken-a-1101301.htmlhttp://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-will-militaer-mit-entwicklungshilfe-staerken-a-1101301.htmlhttp://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-will-militaer-mit-entwicklungshilfe-staerken-a-1101301.html
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 2016 17915
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gesetzt, und damit zeigt sie, dass sie jetzt keine grund-sätzlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit einer sol-chen Finanzierung durch Anpassung des IfS hat .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Herzlichen Dank . – In dem Spiegel-Artikel vom
4 . Juli, der sozusagen die Grundlage für die Frage ist,
steht nicht, dass Deutschland eigentlich nur unterrichtet
worden ist, kein Initiativrecht hat, sich nur zurückgelehnt
hat, sondern darin steht: Deutschland war eine treibende
Kraft dieser Änderung . – Die Änderung läuft darauf hi-
naus, dass Gelder, die bisher eigentlich für die Entwick-
lungszusammenarbeit vorgesehen waren, für militärische
Ausbildung und militärische Ausrüstung ausgegeben
werden sollen . Deshalb frage ich Sie, ob Deutschland
nur sozusagen passiver Teilnehmer war oder ob Deutsch-
land, also die Bundesregierung, in den Gremien der EU
eine treibende Kraft war und dieses Vorhaben – Entwick-
lungsgelder für Militärisches auszugeben – politisch un-
terstützt .
Bitte schön .
D
Danke schön . – Herr Kollege Movassat, ich habe die-
sen Artikel von Spiegel Online vor mir . Sie kennen den ja
auch . Ich kenne auch Ihre Pressemeldung, die Sie gestern
abgesetzt haben .
Ich finde schon bemerkenswert, dass Sie sich zwar auf
die Überschrift des Artikels gestützt, sich aber nicht den
weiteren Text vorgenommen haben . Denn im weiteren
Text steht:
Wie viel Geld für die Militärhilfe ausgegeben wird
und woher es kommen soll, steht in dem Entwurf
nicht .
In diesem Artikel ist lediglich von „Ideen“ die Rede . Die
Überschrift suggeriert also etwas Definitives – so auch
Ihre Pressemeldung –, während im weiteren Verlauf die-
ses Artikels von „Ideen“ die Rede ist .
Ich darf Ihnen sagen, dass es inzwischen – und das gilt
nicht nur für die Bundesregierung –, insbesondere seit
wir die Agenda 2030 beschlossen haben, eine sehr viel
umfassendere Sichtweise dessen gibt, was notwendig
ist . Wer sich mit Entwicklungshilfe beschäftigt – Sie tun
das ja sehr ausführlich –, der weiß ganz genau, dass wir
dann, wenn wir Entwicklungshilfe in fragilen Staaten,
in schwierigen Staaten auch wirklich zu den Menschen
bringen wollen, für Stabilität sorgen müssen . Das bedeu-
tet, dass eine zielführende Entwicklungshilfe nur durch
Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten ist .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Sie haben jetzt sehr viele Allgemeinplätze formuliert
und gesagt, was alles nicht ist . Das ist irgendwie nicht
sehr hilfreich . Wir haben heute im Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Un-
terrichtung durch die Bundesregierung beantragt, damit
wir überhaupt einmal wissen, was Fakt ist . Die Koalition
hat jedoch eine Unterrichtung im Fachausschuss, der für
dieses Thema zuständig ist, abgelehnt . Jetzt sagen Sie
mir, in dem Artikel sei sozusagen das und das falsch oder
nur punktuell wiedergegeben . Aber Sie sagen mir nicht,
welches die „Ideen“ sind .
Aber es soll ja gestern einen Beschluss gegeben ha-
ben . Mich würde jetzt interessieren: Was wurde da ganz
konkret beschlossen? Was soll passieren? Sie sagten, es
soll nicht letale Ausrüstung sein . Welche Ausrüstung ist
es, die geliefert werden soll? Woher kommen die Mittel?
Wir bekommen hier keine Informationen, und dann wer-
fen Sie mir vor, sozusagen eine falsche Angabe zu ma-
chen. Aber Sie sagen mir nicht, was Tatsache ist. Das fin-
de ich von der Bundesregierung schon ziemlich schwach .
Bitte .
D
Herr Kollege, ich habe gesagt, Sie haben nur einenTeil des Beitrags von Spiegel Online zum Gegenstandgemacht, und den anderen Teil, in dem von „Ideen“ dieRede ist, haben Sie – so sage ich jetzt einmal – hintenangelassen; ich könnte auch sagen: unter den Tisch fallenlassen . Es ist Ihre Sache, wie Sie mit einem solchen Arti-kel umgehen . Genauso ist es meine Sache, den Artikel inden entsprechenden Passagen zu zitieren .Ich finde es sehr gut, dass Sie das Thema bereits heu-te Morgen angeschnitten haben und wir nun durch Ihredringliche Frage Gelegenheit zum Austausch haben . Ges-tern gab es in der Tat einen entsprechenden Beschluss .Das ist völlig unbestritten . Der Vorschlag wurde heuteMorgen als offizielles Arbeitsdokument „zirkuliert“. Ichkann Ihnen auch sagen, wann . Es war um 10 .45 Uhr .Ich darf Ihnen in aller Klarheit sagen, dass er demBundestag im üblichen Verfahren so schnell wie möglichzugeleitet werden wird . Sie werden also ausführlich Ge-legenheit haben, sich den Text in Ihrem Ausschuss undmöglicherweise auch in anderen Ausschüssen vorzuneh-men . – Jetzt gerade habe ich den Text auch bekommen .Ich darf einmal sagen: Die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter aus dem Auswärtigen Amt waren sehr hilfreichund haben sich darum bemüht . Denn ich will ja nicht vorIhnen stehen und sagen: Ich kenne den nicht . – Aber ichbitte angesichts des Textumfanges um Verständnis, dassich den Text, den ich erst vor wenigen Minuten erhaltenhabe, noch nicht studieren konnte; denn ich glaube, es istwichtig, dass man ihn gründlich studiert .Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
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Sie können auch auf einen Zeitungsartikel zurückgrei-fen, der heute in der FAZ erschienen ist . In diesem Zei-tungsartikel wird davon gesprochen, was ausgeschlossenist und was nicht . Aber ich bin dafür, dass das dann imentsprechenden Ausschuss ausführlich erörtert wird .
Bevor ich jetzt das Wort zu weiteren Nachfragen zu
dieser Frage erteile, mache ich alle darauf aufmerksam:
Wir haben hier eine optische Unterstützung, und wenn
die Signallampe auf Rot springt, ist entweder die Frage-
zeit abgelaufen oder die Antwortzeit . Ich bitte, sich daran
ein wenig zu orientieren .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Hänsel das Wort .
Danke schön . – Frau Staatsministerin, Sie sagten jetzt,
bezüglich der „Ideen“ usw . könnten Sie noch nicht so
viel sagen . Aber wenn man sich jetzt Berichte aus der
Ratsarbeitsgruppe Entwicklungszusammenarbeit an-
schaut, dann sieht man: Die Kommission schreibt, dass
gerade die Partner in Afrika besonders an einer Ausstat-
tung bezüglich Countering Violent Extremism – also
bezüglich irgendwie gearteter Terrorismusbekämpfung –
interessiert seien . In dem Zusammenhang taucht auch
wieder dieses Instrument für Stabilität und Frieden auf .
Man müsste sich allerdings zumindest an die Menschen-
rechtsrichtlinien halten . Ebenso taucht das Instrument
für Stabilität und Frieden im Zusammenhang mit einer
EU-Krisenübung auf, „Multilayer 2016“, die für Oktober
geplant ist . Hier wird es genannt im Rahmen von Über-
legungen, verschiedene Finanzierungsinstrumente zu
testen . Dann gibt es einen Bericht der Kommission zu
Cyber Capacity Building, also Cyber Security, und auch
da taucht dieses Instrument auf .
Meine Frage: Unterstützen Sie diese Instrumentalisie-
rung von Entwicklungsgeldern und die Umwidmung in
immer mehr militärische und zivil-militärische Maßnah-
men? Ist das die Position der Bundesregierung?
D
Ich versuche, es kurz zu machen, Frau Präsidentin . –
Frau Kollegin, ich will einmal daran erinnern, um was
es sich bei diesem Instrument für Stabilität und Frieden
handelt . Es ist eben kein ausschließliches Entwicklungs-
hilfeinstrument, sondern es ist ein Stabilisierungsinstru-
ment .
Ich betone noch einmal – das ist auch der Erkenntnisfort-
schritt, der sich niedergeschlagen hat in den SDGs, über
die Sie sich ja auch sehr gebeugt haben und die ich selbst
in New York verhandelt habe –, dass wir einen umfas-
senden Ansatz brauchen und dass wir selbstverständlich
in derart gebeutelten Regionen, wo Terrorismus herrscht,
wo Konflikte überschäumen, den Menschen Sicherheit
geben müssen . Dem dienen entsprechende EU-Missio-
nen . Ich glaube, es ist wichtig, mit Blick auf dieses Ins-
trument zu betonen, dass die Mittel nicht daran gebunden
sind, als ODA-Mittel anrechenbar zu sein . Das ist eine
besondere Qualifizierung.
Wenn ich jetzt noch Zeit hätte, würde ich Ihnen gerne
ein Beispiel geben; aber das können wir vielleicht bei der
nächsten Antwort ergänzen .
Das ergibt sich ja vielleicht gleich noch . – Das Wort zu
einer Nachfrage hat die Kollegin Brantner .
Herzlichen Dank . – Sie sprachen gerade von Verhand-
lungen . Ich kenne das Instrument für Stabilität und Frie-
den sehr gut; denn ich war Berichterstatterin für dieses
Instrument im Europaparlament und habe es in der letz-
ten Legislaturperiode federführend verhandelt . Von daher
weiß ich sehr gut, was damit möglich ist und was nicht .
Ich möchte daran erinnern: Es handelt sich um einen
eher kleinen Geldtopf mit etwas mehr als 2 Milliarden
Euro über sieben Jahre . Im Rahmen der Krisenbewälti-
gung ist es ein politisches Instrument . Es ist vorgesehen
für Mediation, Dialog, die Unterstützung von Aussöh-
nungsprozessen, Friedensförderung, Peace Buildung,
die klassische Versöhnungsarbeit . Schon damals ist hart
darum gerungen worden, ob die Militärausrüstung in die-
sen Topf aufgenommen wird . Das wurde damals mehr-
heitlich nicht so gesehen, weil man gesagt hat: Es ist ein
kleiner Topf, dessen politische Aufgabe Kriseninterven-
tion ist, Verhinderung von Gewalt, wenn möglich, und
Nachsorge hin zur Versöhnung .
Deswegen ist es für mich wirklich nicht erklärlich,
warum man jetzt für Militärausrüstung, nur weil man
keinen anderen Geldtopf dafür findet – vielleicht ist sie
sogar sinnvoll, aber doch bitte nicht aus diesem Topf –,
aus diesem kleinen Instrument, das für den Frieden vor
Ort so viel bewirken kann, diese großen Summen heraus-
nehmen möchte .
Ich möchte Sie fragen: Werden Sie dem zustimmen,
wenn das jetzt ins Verfahren kommt?
Bitte, Frau Staatsministerin .
D
Ich bin sehr froh, dass Sie sich so intensiv mit diesemInstrument beschäftigt haben . Das hilft uns auch, um inder Diskussion hier im Deutschen Bundestag den Blickzu schärfen .Ein Betrag von 2 Milliarden Euro ist ja nicht geradeein Kleckerbetrag; es ist schon eine stattliche Summe .Bei EU-Mitteln müssen wir manchmal in anderen Di-mensionen denken .Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
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Aber ich möchte Ihnen an dieser Stelle noch einmalsagen: Man hat – das Ringen darum haben Sie selbst er-lebt im EU-Parlament, und das Thema ist nach wie vorGegenstand der Diskussionen – früher immer sehr genaugetrennt zwischen zivilen und militärischen Ansätzen .Heute sehen wir, dass wir im Zusammenhang mit derKrisenbewältigung vor Problemen stehen, die sehr vielmehr im Bereich der Stabilisierung erfordern .Als ich die SDGs in New York verhandelt habe, wardas auch ein Thema . Das Ziel Nummer 16 der Sustain-able Development Goals sagt uns – ich darf zitieren –:Strengthen relevant national institutions, includingthrough international cooperation, for building ca-pacity at all levels, in particular in developing coun-tries, to prevent violence and combat terrorism andcrime .Hier haben wir den Ansatzpunkt, auf den sich dieKommission stützt . Ich glaube, es ist wichtig, jetzt einensolch umfassenden Ansatz zu haben und damit auch dieMittel für Entwicklungshilfe an die Menschen zu brin-gen . Es ist eine humanitäre Aufgabe von uns, damit dieGelder nicht brachliegen, verpuffen und den Menschenvor Ort nicht dienen .
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kekeritz das Wort .
Herzlichen Dank. – Ich finde es sehr interessant, wie
Sie plötzlich Stabilität, Sicherheit und militärische Maß-
nahmen in Verbindung bringen . Ich denke, wir haben 40,
50 Jahre lang Erfahrung im Bereich der Entwicklungspo-
litik . Hier ist deutlich geworden, dass wirkliche Stabilität
nicht auf militärischen Maßnahmen basiert, sondern auf
sozioökonomischen Entwicklungen, die den Menschen
eine Perspektive für ihre Zukunft liefern . Aber das ist
eine andere Frage .
Ich weiß nicht, ob Sie den Kollegen Müller gut ken-
nen, aber Sie kennen sicher die zentralen Aussagen, die
er getroffen hat . Er sagte noch vor zwei Jahren:
Keine Entwicklungsgelder für militärische Einsät-
ze, Waffen und Material . . .
Er ergänzt noch:
Das wäre ein Anschlag auf die Entwicklungspolitik
Europas .
Ich weiß nicht, ob Sie meine Frage beantworten .
D
Gerne .
Wie würden Sie das heute sehen?
D
Darf ich?
Bitte, Frau Staatsministerin .
D
Gerne . – Wir stimmen hier doch völlig überein . Das
schlägt sich auch in dem Änderungsvorschlag nieder,
dass solche letalen Ausrüstungen ausgeschlossen sind .
Dahinter stehen wir auch, und wir setzen uns dafür ein:
keine Waffen, keine Munition . Dafür sind die Gelder
nicht vorgesehen . Dafür dürfen sie auch nicht verwendet
werden .
Ich will Ihnen dies einmal an einem Beispiel deutlich
machen; denn wir wollen hier die Dinge ausräumen . Wir
wollen alles daransetzen, dass in den Ländern, in denen
die Menschen Hilfe zur Selbsthilfe brauchen, dies auch
wirklich funktioniert . Ich nehme einmal das Beispiel
Mali . Das habe ich im Haus viel diskutiert . Wenn mali-
sche Soldaten, die dort ausgebildet worden sind – Sie wis-
sen, wir haben vor kurzem die EU-Mission EUTM Mali
hier im Deutschen Bundestag verlängert –, nicht über die
notwendige Kommunikationsausrüstung verfügen, sie
also nicht über Funkgeräte verfügen, oder wenn sie kei-
ne Schutzwesten gegen Minen und Sprengfallen haben,
wenn sie nicht einmal die notwendigen Krankenwagen,
Wasserbehälter und Tankfahrzeuge haben oder wenn es
an Unterkünften, Verpflegung und medizinischer Versor-
gung mangelt, dann funktioniert es nicht . Es geht darum,
dass im Sicherheitsbereich nicht nur ausgebildet wird,
sondern dass die Betreffenden ihrer Aufgabe unter den
gegebenen Bedingungen nachkommen können, sodass
sie den Menschen helfen können . Wenn ein Bauer von
Terroristen bedroht wird, wenn er nicht mehr ernten und
somit nicht mehr für sein Leben sorgen kann, dann müs-
sen wir vor Ort Hilfe geben . Um nichts anderes geht es .
Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und beant-wortet wurde, rufe ich jetzt die mündlichen Fragen aufDrucksache 18/8998 in der üblichen Reihenfolge auf .Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums des Innern . Zur Beantwortung steht derParlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings zurVerfügung .Frage 1 der Abgeordneten Erika Steinbach, Frage 2des Abgeordneten Dr . André Hahn, Frage 3 der Abgeord-neten Sevim Dağdelen sowie Frage 4 der AbgeordnetenUlla Jelpke werden schriftlich beantwortet .Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Hans-ChristianStröbele auf:Was teilt die Bundesregierung über ihre Aufklärungs-bemühungen sowie deren Ergebnisse dazu mit, dass diegriechische Küstenwache zusammen mit Frontex-SchiffenFlüchtlinge schon in EU- bzw . ostägäischen Gewässern mitWaffendrohung gezwungen haben soll, auf herbeigerufene
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sie Asylanträge stellen konnten, insbesondere dazu, ob Hin-weise deutscher Stellen oder des deutsch geführten dortigenNATO-Flottenverbands dazu beitrugen?Bitte, Herr Staatssekretär .D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Ströbele, herzlichen Dank, dass ich
Ihre Frage mündlich beantworten darf . Sie zeigen damit
mehr Standfestigkeit als die meisten anderen Kollegen
Fragesteller .
Ich beantworte Ihre Frage gerne wie folgt: Der Bun-
desregierung liegen zum Gegenstand der Frage keine
eigenen Erkenntnisse vor . Im besagten Zeitraum wur-
den weder durch die Bundespolizei noch durch den
NATO-Flottenverband derartige Ereignisse beobachtet .
Frontex wurde dennoch noch einmal um Aufklärung ge-
beten . Die Überprüfung dauert hier noch an . Es ist davon
auszugehen, dass die unabhängige Grundrechtsbeauf-
tragte der Agentur im Rahmen ihrer regelmäßigen Be-
richterstattung dem Frontex-Verwaltungsrat auch hierzu
berichten wird .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Ich danke . – Herr Staatssekretär, das habe ich befürch-
tet .
D
Befürchtet hoffentlich nicht . Das ist eine gute Nach-
richt, finde ich.
Nein, das ist keine gute Nachricht; denn der Vorgang
ist empörend .
Hat die Bundesregierung oder hat das Ministerium
denn auch einmal bei den Menschenrechtsorganisationen
nachgefragt, die das veröffentlicht haben, und zwar unter
genauer Protokollierung sogar der Minuten, wann was in
der Ägäis passiert ist, nämlich dass am 11 . Juni 2016 um
4 Uhr früh eine solche Rückführung stattgefunden hat,
bei der die Flüchtlinge, darunter 14 Kinder, sogar mit
Waffen bedroht worden sein sollen, damit sie direkt von
den griechischen Schiffen auf die türkischen Schiffe ge-
hen, die sie dann zurückbrachten? Haben Sie sich darum
bemüht? Ich kann Ihnen diesbezüglich mehrere Fund-
stellen nennen. Die haben das sogar fotografiert, offenbar
aus der Entfernung – ich weiß auch nicht, von woher .
Herr Staatssekretär, bitte .
D
Danke, Frau Präsidentin . – Herr Ströbele, wie es un-
sere Aufgabe ist, haben wir natürlich zunächst einmal in
unserem Geschäftsbereich und bei Frontex nachgefragt .
Wenn ich Ihnen sage, dass wir dazu keine Erkenntnis-
se haben, dass es einen solchen Vorfall unseres Wissens
nicht gegeben hat, würde ich das erst einmal als eine
positive Nachricht bewerten, weil damit die Wahrschein-
lichkeit doch sehr hoch ist, dass die Meldung vielleicht
nicht stimmt .
Allerdings kann ich nicht beurteilen, wo im Einzelnen
Informationen abgerufen worden sind . Wenn Sie weite-
re Informationen haben, dann kann ich Sie nur herzlich
bitten, sie mir zu geben . Dann werde ich im Hause ver-
anlassen, dass man auch diesen Informationen nachgeht .
Damit haben Sie das Wort zur zweiten Nachfrage . Bit-
te .
Geben Sie mir in der Bewertung recht, dass, wenn es
stimmt, dass 53 Flüchtlinge im griechischen Gewässer
von einem griechischen Militärschiff aufgegriffen wor-
den sind und dann ein türkisches Schiff gerufen wurde,
dass die Flüchtlinge – darunter, wie gesagt, 14 Kinder
und auch mehrere sehr alte Menschen – gezwungen wur-
den, auf das türkische Schiff zu gehen, um in die Türkei
zurückgebracht zu werden, damit alles widerlegt würde,
was die Bundesregierung bisher behauptet, nämlich dass
diese Aufgreifmaßnahmen der Stellung von Schleusern
dienen? Das würde doch zeigen, dass es eigentlich da-
rum geht, einen Wall gegen die Flüchtlinge auf dem Meer
aufzubauen und durchzusetzen . Geben Sie mir mit dieser
Bewertung recht?
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Danke, Frau Präsidentin . – Wenn Flüchtlinge oder
andere Personen in griechischen Hoheitsgewässern ent-
deckt und aufgenommen werden, dann sind erst einmal
griechische oder EU-Behörden dafür zuständig und kei-
ne Behörden anderer Staaten . Eine weitere Bewertung
eines für mich derzeit noch hypothetischen Sachverhalts
kann ich hier nicht vornehmen .
Es gibt noch eine weitere Nachfrage . Die Kollegin
Corinna Rüffer, bitte .
Sie sagen, dass es hier um hypothetische Vorfälle geht .Herr Ströbele hatte ja nachgefragt, ob Sie sich darum be-mühen, aufzuklären, ob diese Vorwürfe tatsächlich hypo-thetisch sind . Sie haben geantwortet, dass Sie bei FrontexVizepräsidentin Petra Pau
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nachgefragt hätten . Herr Ströbele fragte aber auch, ob Siesich um Informationen von Menschenrechtsorganisati-onen bemüht haben, die, wie wir wissen, oft auch sehrgute Informationen haben .
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Ich habe das eben meines Erachtens schon – wenn
vielleicht auch nur inzident – beantwortet . Natürlich nut-
zen wir auch andere Quellen . Ich kann nichts zum kon-
kreten Sachverhalt sagen, dazu, wer dort außerhalb von
Behörden konkret gefragt worden ist . Ich kann nur meine
Einladung an den Kollegen Ströbele erneuern, dass ich
die Unterlagen, die er hat und über das hinausgehen, was
wir bisher schon haben, gerne mitnehme und zum Ge-
genstand weiterer Nachfragen mache . Wieweit das bisher
schon erfolgt ist, kann ich en détail nicht sagen .
Der Kollege Wunderlich hat noch eine Nachfrage .
Weil ich dann doch gereizt wurde . – Herr Staatssekre-
tär, gehe ich fehl in der Annahme, dass Ihren Aussagen
zufolge das Aufklärungsbemühen der Bundesregierung
diesbezüglich genauso intensiv ist wie das Aufklärungs-
bemühen hinsichtlich der Toten an der türkisch-syrischen
Grenze? In der letzten Fragestunde konnten wir nämlich
feststellen: Das Verteidigungsministerium war nicht zu-
ständig, das Kanzleramt war nicht zuständig, dieser war
nicht zuständig, jener war nicht zuständig . Es ging im
Grunde keinen etwas an .
Herr Staatssekretär, bitte .
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich lasse die pole-
mische Einkleidung Ihrer Frage einmal weg . Ich möch-
te betonen, dass wir uns um Aufklärung in erster Linie
durch unsere eigenen Behörden und auch durch die euro-
päischen Behörden bemühen, die zu Recht dazu berufen
sind, dass wir aber natürlich auch weiteren Hinweisen
nachgehen .
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums des Innern . – Danke, Herr Staats-
sekretär .
Die Frage zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums der Justiz und für Verbraucherschutz – es handelt
sich um die Frage 6 des Abgeordneten Andrej Hunko –
soll schriftlich beantwortet werden .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen . Auch hier sollen die Fragen – es
handelt sich um die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten
Klaus Ernst – schriftlich beantwortet werden .
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales . Zur Beantwor-
tung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Gabriele Lösekrug-Möller zur Verfügung .
Die Fragen 9 und 10 der Abgeordneten Sabine
Zimmermann werden schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Katrin Werner auf:
Wie hoch wären nach Kenntnis der Bundesregierung die
Kosten, wenn das in Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskon-
vention festgeschriebene Menschenrecht auf freie Wahl von
Wohnort und Wohnform durch entsprechende Änderungen des
Bundesteilhabegesetzes sowohl in § 116 als auch in
§ 104 SGB IX vollständig umgesetzt würde?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kollegin
Werner, hierzu liegen der Bundesregierung keine Anga-
ben vor . Die Vielzahl aller denkbaren individuellen Wün-
sche, wo, in welcher Wohnform und mit wem leistungs-
berechtigte Menschen mit Behinderungen wohnen und
leben möchten, übersteigt die Möglichkeiten fundierter
Berechnungen . Selbst Schätzungen sind nicht möglich .
Ein uneingeschränktes Wunsch- und Wahlrecht ist im
Übrigen vor dem Hintergrund des Gebotes der Wirt-
schaftlichkeit, das unverzichtbarer Gegenstand aller So-
zialleistungsgesetze ist, nicht möglich .
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage .
Die Nachfrage wurde schon fast provoziert . Sie haben
auf das Gebot der Wirtschaftlichkeit im Bundesteilhabe-
gesetz hingewiesen . Insofern frage ich mich schon, ob die
Bundesregierung der Meinung ist, dass gerade die ange-
sprochenen §§ 104 und 116 des Bundesteilhabegesetzes
wirklich garantieren, dass die Umsetzung von Artikel 19
der UN-Behindertenrechtskonvention gegeben ist, durch
den das Wunsch- und Wahlrecht für ein selbstbestimmtes
Leben garantiert werden soll .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Darauf antworte ich gerne . In der Tat: Das Kernstückvon Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention istdas Wunsch- und Wahlrecht . Wir sagen: Ja, dem entspre-chen wir auch . Trotzdem müssen wir in unseren Sozi-alleistungsgesetzen – das gilt im Übrigen für alle Sozi-alleistungsgesetze – das Gebot der Wirtschaftlichkeitberücksichtigen . Wir sind hinsichtlich der Erfüllung vonWünschen und hinsichtlich der Gewährung der Wahlfrei-heit also nicht absolut frei .Corinna Rüffer
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Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Über die Leistungen wird in den Verwaltungen der
Kommunen entschieden . Wenn Sie Entscheidungen an
den wirtschaftlichen Grundlagen festmachen, dann heißt
das doch, dass die Wirtschaftskraft der jeweiligen Stadt
oder Gemeinde eine Rolle spielt bei der Entscheidung,
ob Teilhabeleistungen genehmigt werden oder nicht . Bei
den angesprochenen Paragrafen geht es auch um das
Pooling beim Erbringen von Leistungen, auch Zwangs-
pooling genannt .
Das alles erzeugt in mir die Vorstellung, dass in ei-
ner Gemeinde, die ein bisschen mehr Geld hat, bessere
Leistungen erbracht werden bzw . andere Entscheidungen
getroffen werden als in einer Gemeinde, die hoch ver-
schuldet ist . Man würde also zulassen, dass mindestens
16 unterschiedliche, landesspezifische Entscheidungen
möglich sind, weil die Länder unterschiedlich aufgestellt
sind . Die Anzahl der unterschiedlichen Entscheidungen
erhöht sich noch, wenn ich die Anzahl der Städte und Ge-
meinden hinzuzähle .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Frau Präsidentin, ich antworte gerne, aber ich werde
diese Frage nicht in der Kürze beantworten können, in
der ich die beiden ersten Fragen beantwortet habe . – Frau
Kollegin Werner, es ist natürlich nicht so, dass der Haus-
halt einer Gemeinde darüber entscheidet . Wir haben als
Erstes selbstverständlich immer ein pflichtgemäßes Aus-
üben des Ermessens . Das ist nicht in die Beliebigkeit der
einzelnen örtlichen Sozialämter oder anderer Behörden
gestellt .
Die Intention Ihrer Frage ist aber, dass es gar keine
Leitplanken für das Ausüben des Wunsch- und Wahl-
rechts geben dürfte . Darauf habe ich geantwortet, dass
bei steuerfinanzierten Sozialleistungen insgesamt sehr
wohl auch die Frage der Wirtschaftlichkeit zu berück-
sichtigen ist. Grundsätzlich gilt pflichtgemäßes Ermes-
sen immer . Auch die Frage der Zumutbarkeit ist relevant .
Auch nach dem Entwurf des Bundesteilhabegesetzes,
über den wir zurzeit sprechen, soll als Erstes immer
geschaut werden – zum Beispiel bei der gemeinsamen
Inanspruchnahme von Leistungen, auf die auch andere
heute zu behandelnde Fragen zielen –: Ist das der Person
zumutbar? Kommt man nach dieser ersten Prüfung zu
dem Ergebnis, dass das nicht der Fall ist, werden weitere
Wirtschaftlichkeits- oder Kostenrechnungen nicht ange-
stellt .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Klein-Schmeink
das Wort .
Danke schön . – In meiner Nachfrage geht es auch
um den Paragrafen zur Wirtschaftlichkeit der Wohn-
form . Warum hat die Bundesregierung nicht direkt im
Gesetzestext, sondern nur in der Begründung zum § 104
Bundesteilhabegesetz beschrieben, welche Angebote bei
einem Kostenvergleich verglichen werden können? Er-
warten Sie nicht aufgrund der Tatsache, dass das eben
nicht Teil des Gesetzeswortlauts ist, vermehrt Rechts-
streitigkeiten hinsichtlich der Frage, was wirtschaftlich
ist und was nicht?
G
Frau Kollegin Klein-Schmeink, nein, die erwarten wir
nicht . Wir wissen, dass bei der Anwendung der Gesetze
auch die Begründung von großer Bedeutung ist . Sie dient
ja dazu, zu interpretieren . Insofern teile ich Ihre Befürch-
tung nicht .
Zu einer weiteren Nachfrage hat Kollegin Rüffer das
Wort .
Vielen Dank . – Frau Lösekrug-Möller, mit Ihrer An-
sicht stehen Sie relativ allein . Wenn Sie sich die Stellung-
nahmen der Verbände anschauen, stellen Sie fest, dass
sie anderer Meinung sind . Die Anwender der Gesetze, in
diesem Fall die Städte und Gemeinden, schauen in der
Regel nicht in die Begründung, sondern in den Gesetzes-
text, und versuchen, die Gesetze anzuwenden . Gesetze
sollten auch mit Blick auf die Arbeitsbedingungen der
Mitarbeiter in den Behörden klar formuliert sein, aber
vor allen Dingen mit Blick auf die Menschen .
Sie verfolgen mit dem Bundesteilhabegesetz das Ziel,
das Wunsch- und Wahlrecht zu stärken . Ein Punkt, der
immer wieder angegriffen worden ist, ist der Mehrkos-
tenvorbehalt im Zusammenhang mit dem Prinzip „am-
bulant vor stationär“ . Alle Verbände haben gesagt, dass
der Mehrkostenvorbehalt ein Problem ist . Sie hingegen
sagen, dass es generelle Leitplanken gibt und die Wirt-
schaftlichkeit die wesentliche Leitplanke ist . Warum
braucht man beim Wunsch- und Wahlrecht Ihrer Ansicht
nach eine weitere Leitplanke? Warum reicht die allge-
meine nicht aus?
Bitte .
G
Vielen Dank . – Frau Kollegin Rüffer, wir haben darü-ber schon mehrfach diskutiert . Ich fühle mich mit meinerPosition überhaupt nicht alleine; die Sorge möchte ichIhnen nehmen . Wir haben sehr differenzierte Stellung-nahmen der Verbände erhalten . Wie Sie wissen, sind vie-le der Empfehlungen der Verbände in die Fassung einge-flossen, die das Kabinett verabschiedet hat. Das wissen
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(C)
(D)
Sie ebenso wie viele andere, die sich mit dem Entwurfintensiv beschäftigt haben .Ich habe auch nicht die Sorge, dass wir die Menschen,die über Eingliederungshilfen entscheiden, überlasten,wenn wir ihnen zumuten, eine Gesetzesbegründung zulesen . Sie wissen, dass es zu den meisten Gesetzen weite-re Hinweise gibt . Das ist gar nicht meine Sorge . Ich habeeher die Hoffnung und den großen Wunsch, dass viele,die sich mit der reformierten Eingliederungshilfe be-schäftigen werden, hinreichend gute Fortbildungsange-bote bekommen und nutzen – dafür sorgen wir gemein-sam mit dem Deutschen Verein –, damit die Grundideeder neuen Eingliederungshilfe auch wirklich Anwendungfindet. Genau aus diesem Grund sagen wir ja auch, dassdiese wesentlichen Regelungen erst zum Januar 2020in Kraft treten, damit hinreichend Zeit ist, diesen Um-denkungsprozess und diese Neugestaltung wirklich sofestzumachen, dass sie zum Wohle der Betroffenen ihreWirksamkeit entfalten kann .
Wir kommen damit zur Frage 12 der Kollegin Katrin
Werner:
Auf welcher fachlichen Begründung basiert die Regelung,
nach der eine Person in fünf bzw . drei Lebensbereichen der In-
ternationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinde-
rung und Gesundheit eingeschränkt sein muss, um zum
leistungsberechtigten Personenkreis zu gehören?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Ich antworte gerne . Frau Kollegin Werner, Ziel der
Bundesregierung ist es, den Kreis der bisher leistungs-
berechtigten Personen der Eingliederungshilfe beizube-
halten . Er soll weder eingeschränkt noch ausgeweitet
werden .
Dies vorweggestellt, erlaube ich mir die folgende An-
merkung: Die Frage gibt die Regelung zum Zugang zu
Leistungen nur teilweise wieder . Deshalb antworte ich:
Die Regelung des neuen § 99 SGB IX im Entwurf des
Bundesteilhabegesetzes, auf die Sie sich beziehen, bildet
das gewandelte fachliche Verständnis von Behinderung
ab, das sich unter anderem in der ICF – das ist die In-
ternational Classification of Functioning, Disability and
Health – und der UN-Behindertenrechtskonvention wi-
derspiegelt . Die Regelung verbindet dieses gewandelte
fachliche Verständnis mit der für die Eingliederungshilfe
unabdingbaren Notwendigkeit, eine – ich zitiere – in er-
heblichem Maße eingeschränkte Fähigkeit am Leben in
der Gesellschaft im Einzelfall festzustellen . Mit der Re-
gelung wird zudem auch die heutige Praxis abgebildet,
in der der Begriff der wesentlichen Behinderung bereits
entsprechend ausgelegt wird .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Nun ist ja das, was Sie als Antwort geben, Ihre Darstel-
lung und die der Bundesregierung bzw . des Ministeriums .
Ich möchte ganz gezielt wissen, welche Maßnahmen die
Bundesregierung unternimmt, dass die Sachbearbeiter
vor Ort oder die jeweiligen Behörden genau so entschei-
den, wie Sie es darstellen – so wurde es auch schon am
22 . Juni in der Beantwortung dargestellt –, dass es also
keine Verschlechterung, keine Benachteiligung gibt .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Sehr gerne . Ich kann als Erstes die Antwort geben,
dass wir in der Kabinettsfassung eine Ergänzung haben .
Dort heißt es: Es gibt ergänzend eine Ermessensleistung .
Des Weiteren wird sichergestellt, dass die Gewährung
von Leistungen der Eingliederungshilfe, wie sie jetzt be-
steht, zweifelsfrei auch zukünftig gegeben ist . Das gilt
für jede einzelne Leistungsberechtigte und jeden einzel-
nen Leistungsberechtigten . Ich habe schon ausgeführt,
dass wir als Bundesebene viel Wert darauf legen, auf dem
Weg zu der in der Reform intendierten Gleichstellung
und sozusagen besseren Gewährung von Leistungen zu
unterstützen und zu helfen . Deshalb wird es in den kom-
menden zwei Jahren sehr viele Aktivitäten dazu geben .
Sie finden im Gesetzentwurf einen Paragrafen, in dem
sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, die Umset-
zung des Gesetzes zusätzlich mit Forschung und Evalu-
ierung zu unterstützen . Wir werden gemeinsam mit den
Ländern ganz sicher einen guten Weg finden; denn das
können wir nicht allein . Sie wissen, Kommunen sind Be-
standteile der Länder . So wollen wir dafür Sorge tragen,
dass dies ab Januar 2020 zum Wohle der Betroffenen gut
gelingt .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
In unseren Büros oder bei den Fraktionen wird oft
nachgefragt, wie sich das neue Gesetz auf gewisse Be-
reiche auswirken wird . Daher mache ich es ganz konkret
an einem Beispiel fest; zu diesem Fall wurden wir auch
gefragt . Es geht um eine gehörlose Person, die praktisch
nur im Bereich Kommunikation eine Teilhabeeinschrän-
kung hat . Hat diese Person nach dem jetzt vorgesehenen
Referentenentwurf kompletten Anspruch auf Gebärden-
sprachdolmetscher im Rahmen der Eingliederungshilfe
oder nicht?
Bitte .
G
Da natürlich ein Einzelfall häufig ein bisschen kom-plizierter ist, als man ihn in einem Satz darstellen kann,Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
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unterstelle ich jetzt einmal, dass diese Person bereits jetztLeistungen der Eingliederungshilfe – Gebärdensprach-dolmetschen ist eine solche Hilfe – bekommt . Dies wirddann auch zukünftig so sein .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Klein-Schmeink
das Wort .
Ich bin Berichterstatterin für den Bereich der Men-
schen mit einer psychischen Erkrankung . Es gibt ja auch
die Menschen, bei denen eine psychische Behinderung
besteht . Aktuell stellt sich die Frage, ob diese unter die
neuen Kriterien fallen .
Mir liegen jedenfalls Zuschriften von Fachgesell-
schaften vor, die die große Sorge haben, dass die Perso-
nengruppen, die von ihnen vertreten werden, eben nicht
mehr unter den neuen Begriff fallen . Werden Sie darauf
reagieren und hier Veränderungen vornehmen?
Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin .
G
Ich darf Ihnen als Fachfrau sagen: Darauf haben wir
bereits reagiert . Solche Sorgen wurden natürlich auch an
uns herangetragen . Wir nehmen jede Sorge sehr ernst,
dass betroffene Personen, welche Art der Einschränkung
bzw . Beeinträchtigung sie auch immer haben, zukünftig
vielleicht von Leistungen ausgeschlossen werden könn-
ten .
Deshalb sage ich: Wenn diese Personen heute Leistun-
gen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen kön-
nen, dann werden sie dies zukünftig auch dürfen . Genau
das ist die Ergänzung, die wir in der aktuellen Fassung
vorgenommen haben .
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Rüffer .
Sehr gerne . – Sie berufen sich jetzt immer wieder auf
den Bestandsschutz; bei Ihnen geht es um Personen, die
heute schon Leistungen in Anspruch nehmen . Es wird
aber auch zukünftig Personen geben, die eine psychische
Beeinträchtigung erleiden oder gehörlos werden . Auch
für diese Personengruppe ist es natürlich wichtig, dass
Sie heute Regelungen schaffen, die auch zukünftig noch
tragen . Hier ist die Frage: Können Sie das gewährleisten?
G
Ja, das kann ich, Frau Kollegin Rüffer, weil auch für
die Zukunft der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt . Wir
haben Standards gesetzt, indem wir sagen: „Das heuti-
ge Leistungsangebot wird es auch zukünftig geben“, und
deshalb ist dieser Übergang in Zukunft stabil .
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Wunderlich .
Vielen Dank, Frau Lösekrug-Möller, dass Sie den Be-
troffenen, die gegenwärtig schon Leistungen beziehen,
die Ängste nehmen, indem Sie sagen: Es gibt einen Be-
standsschutz .
Ich möchte an die Frage der Kollegin Rüffer anschlie-
ßen . – In drei bzw . fünf Teilbereichen der insgesamt neun
Bereiche muss eine Beeinträchtigung vorhanden sein .
Besteht hier nicht die Gefahr – diese Befürchtung wird ja
auch von den Verbänden, von den Trägern der Pflegehei-
me und von Betroffenen geäußert –, dass der sogenannte
Zwillingseffekt eintreten kann?
Man sagt: Es gibt einen Bestandsschutz . Die Leis-
tungen bleiben erhalten, egal in welcher Gruppe jemand
ist . – Eine Person mit genau den gleichen Symptomen,
die neu unter diese Kategorie fällt und Leistungen be-
antragt, erhält im Schnitt aber zwischen 6 und 8 Prozent
weniger Leistungen, worüber sich der Finanzminister
natürlich freut, während die Betroffenen natürlich nur
wenig davon haben .
Sehen Sie diese Gefahr hier auch? Sie wird von den
Verbänden zum Beispiel auch hinsichtlich des Pflegestär-
kungsgesetzes gesehen .
Bitte .
G
Darauf antworte ich gerne . – Herr Kollege Wunderlich,dieser Prozentsatz ist mir nicht bekannt, und wir machenGesetze auch nicht zur Freude oder zum Ärger des Fi-nanzministers,
sondern wir machen fachlich gute Gesetze .Ich habe gerade ausgeführt, dass die Leistungsgewäh-rung nach aktuellem Stand mindestens Maßstab für diezukünftige Leistungsgewährung ist . Sie sprechen einePersonengruppe an, die jetzt noch keine Leistungen be-zieht, möglicherweise aber zukünftig, wenn ich Sie rich-tig verstanden habe . Ich teile nicht die Sorge, dass dannweniger Leistungen gewährt werden; denn unter das jet-zige Niveau werden wir nicht fallen .Ich will noch einmal etwas zu diesem Katalog – fünfaus neun oder drei aus neun; das sind ja die drei Zah-len, die hier immer relevant sind – sagen: Das habenwir in diesem Gesetzentwurf so geregelt, weil wir unsausdrücklich dazu verpflichtet sahen und weil wir damitauch viele Wünsche der Betroffenenverbände aufgenom-men haben, ICF- und UN-BRK-konform zu definieren.Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
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Hiernach ist nämlich nicht das entscheidend, was einerPerson fehlt, sondern das, was sie braucht, um an allengesellschaftlichen Lebensbereichen teilhaben zu können .Daraus resultieren diese neun Kategorien . Von einererheblichen Teilhabebeeinträchtigung spricht man dann,wenn eine Teilhabe in mindestens fünf – wenn keine per-sonelle oder technische Hilfe gewährt wird – oder drei –wenn personelle oder technische Hilfe gewährt wird –Lebensbereichen nicht möglich ist .
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Kurth .
Frau S
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn man in weniger als fünf von
neun Bereichen Hilfe braucht, dann bekommt man diese
Hilfe nicht .
Mich interessiert jetzt vor allen Dingen: Wie wollen
Sie denn bei diesen ganzen unbestimmten Rechtsbegrif-
fen ausschließen, dass die Träger der Eingliederungshil-
fe, also Landschaftsverbände, die Kommunen, in man-
chen Bereichen auch die Länder, nicht den Klageweg
beschreiten bzw . die Betroffenen den Klageweg beschrei-
ten lassen? Bereits jetzt gibt es den Versuch, Menschen,
die im Leistungsbezug sind, Leistungen vorzuenthalten .
Wenn man im Gesetz derart unbestimmte Lebensberei-
che festlegt, dann fordert das die Kostenträger geradezu
heraus, erst einmal die Grenzen auszutesten . Wie wollen
Sie das denn ausschließen?
G
Herr Kollege Kurth, ich glaube, wir müssen als Ers-
tes festhalten, dass wir bei der Eingliederungshilfe nach
wie vor über einen Personenkreis mit einer wesentlichen
Einschränkung und Beeinträchtigung sprechen . Nicht
jede Beeinträchtigung ist eine Berechtigung für den Zu-
gang zur Eingliederungshilfe . Dabei ist die Frage: „Was
ist wesentlich?“, näher zu bestimmen . Da hilft genau die
Auswahl, die wir vorgenommen haben .
Jenseits Ihrer Frage – ich glaube, auch Sie wollen
nicht, dass wir als Rechtsstaat Leistungsempfängern den
Weg versperren, Leistungen einzuklagen und sich so den
Zugang zur Leistung zu verschaffen; so habe ich Ihre
Einlassung nicht verstanden – ist es auch zukünftig nicht
ausgeschlossen – das gelingt mit keinem Gesetz –, dass
eine Klärung in einem Rechtsstreit erfolgt .
Zu der Frage der unbestimmten Rechtsbegriffe . Das
hat viel mit der Lebenswirklichkeit zu tun . Schauen Sie
sich die neun Kategorien an, die im Wesentlichen heran-
gezogen werden, um zu sehen: Handelt es sich um eine
wesentliche Beeinträchtigung? Diese Kategorien orien-
tieren sich sehr stark an der Idee der Teilhabe und an Be-
reichen des Lebens, in denen Teilhabe relevant ist .
Danke . – Damit kommen wir zur Frage 13 der Kolle-
gin Jutta Krellmann:
Was war das Ziel des Gesprächs, das die Bundesminis-
terin Andrea Nahles zusammen mit der Parlamentarischen
Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller und 15 geladenen
Bürgerinnen am 30 . Juni 2016 von 9 .30 bis 11 .30 Uhr, also
zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluss zum Bundesteilhabe-
gesetz, führte?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Sehr gerne . – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin
Krellmann, Ziel des Gesprächs war es, sich mit Men-
schen mit Behinderungen in unterschiedlichen Lebens-
lagen aus verschiedenen Teilen des Landes über den am
28 . Juni vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf
eines Teilhabegesetzes auszutauschen . Im Mittelpunkt
des Gespräches standen die Anliegen, Überlegungen und
Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern, die aufgrund
ihrer eigenen Behinderung oder ihres persönlichen En-
gagements für die Belange von Menschen mit Behinde-
rungen diesen Prozess mit besonderer Aufmerksamkeit
begleiten .
Sie haben das Wort zu ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . – Meine Nach-
frage lautet: Warum haben Sie die Betroffenen erst
zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluss eingeladen? Im
Grunde liegt doch die Vermutung nahe, dass mögliche
Erkenntnisse, die Sie in dem Gespräch gewonnen haben,
gar keine Berücksichtigung mehr finden konnten.
G
Wir haben die Stellungnahmen von Betroffenenver-
bänden, von Verbänden und Projekten aller Art schon bei
der Erarbeitung des Gesetzentwurfes einbezogen . Bevor
der Referentenentwurf vorlag, haben wir bereits einen
sehr intensiven gemeinsamen Bearbeitungsprozess unter
ausgesprochen starker Beteiligung Betroffener und ihrer
Verbände durchgeführt . Insofern hat es im gesamten Ent-
stehungsprozess dieses Gesetzentwurfs eine sehr hohe
Betroffenenbeteiligung gegeben . Ich denke, dass eine
Ministerin gut beraten ist, diesen Austausch auch nach
einem Kabinettstermin fortzusetzen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . – Für mich bleibt trotzdem der Eindruck,dass das eine Art Showveranstaltung gewesen ist . DieFrage ist: Nach welchen Kriterien wurden denn die Teil-nehmer dafür ausgewählt?Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
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G
Ihre Einschätzung des Charakters der Veranstaltung
teile ich nicht . Das Ministerbüro hat entschieden, wer
eingeladen wurde, und diese Freiheit steht der Ministerin
und ihrem Büro auch zu .
Für eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Rüffer
das Wort .
Frau Lösekrug-Möller, Sie haben gerade erwähnt,
dass Sie einen sehr umfangreichen Beteiligungsprozess
durchgeführt haben, der sich in der Tat über ein Jahr er-
streckte . Ihnen ist aber auch bekannt, dass die Verbän-
de und betroffene Personen am Ende mit dem, was an
Anregungen in den Gesetzentwurf eingeflossen ist, in
wesentlichen Punkten nicht zufrieden gewesen sind . Im
Gegenteil: Wir haben über Wochen erlebt, dass jeden Tag
betroffene Menschen stundenlang vor dem BMAS aus-
geharrt haben, um ihren Protest kundzutun . Am letzten
Wochenende gab es wieder eine große Aktion am Ber-
liner Hauptbahnhof, bei der Betroffene darum gebeten
haben, dieses Gesetz nicht in Kraft zu setzen . Der Hash-
tag #NichtMeinGesetz war zeitweise der am häufigsten
benutzte in der Bundesrepublik Deutschland .
Hat dieses Treffen nicht auch damit zu tun gehabt,
dass Sie versuchen, mit den Protestierenden in Kontakt
zu treten und hoffentlich gegebenenfalls an den entschei-
denden Stellen zu Nachbesserungen zu kommen?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Ja, gerne . – Frau Kollegin Rüffer, ich will gerne darauf
hinweisen, dass wir zahlreiche Anregungen aus der Ver-
bändeanhörung wie auch aus der Länderanhörung aufge-
nommen haben . Wenn Sie die beiden Texte vergleichen,
werden Sie das erkennen .
Bei den Verbänden handelt es sich mitnichten nur
um Verbände, die Leistungsanbieter vertreten, sondern
darunter waren auch sehr wohl Betroffenenverbände,
die hinreichend Gelegenheit hatten, all das noch ein-
mal mündlich vorzutragen . Alle Anregungen lagen auch
schriftlich vor .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Werner
das Wort .
Ich möchte mich noch einmal auf den 30 . Juni bezie-
hen. Ich finde es zwar gut, wenn die Ministerin die Ge-
spräche fortsetzt . Aber so, wie Sie es dargestellt haben,
hörte es sich an, als ob das Teil eines langen Konzeptes
und eines Marketingplans wäre . Das provoziert mich zu
der Frage, ob Sie mir recht geben könnten, dass das Ge-
spräch, das am 30 . Juni stattfand, vielmehr die Antwort
auf Demos oder Mahnwachen war, die drei Wochen lang
vor dem Ministerium stattgefunden haben . Wie Sie wis-
sen, gab es am 4 . Mai, also am Vortag des Protesttags zur
Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, in Berlin
eine große Demo . Seit diesem Tag fanden immer wieder
Demos vor dem Ministerium statt . Das Gespräch wurde
den Teilnehmern an diesen Demos oder an den Aufrufen
#NichtMeinGesetz – zwei von ihnen sind heute auf der
Tribüne anwesend – genau in diesem Rahmen zugesagt .
Insofern ärgert es mich ein Stück weit: Wenn so etwas
zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluss gemacht wird,
wird es von vielen Betroffenen eher als Alibiveranstal-
tung verstanden .
Frau Kollegin .
Sorry . – Denn zwei Tage vorher gab es am Bahnhof
einen großen Protest zu Artikel 19 der UN-Behinderten-
rechtskonvention .
Bitte .
G
Frau Kollegin Werner, das BMAS hat in dieser Sache
kein Marketingkonzept . Mir ist überhaupt kein Marke-
tingkonzept meines Ministeriums, das ich hier vertrete,
bekannt .
Ich weise gerne darauf hin, dass es nach einer Ver-
anstaltung am Brandenburger Tor den Wunsch von De-
monstrierenden gab, mit der Ministerin oder Vertretern
des Hauses zu sprechen . Dem sind wir wenige Tage
später nachgekommen . Nicht die Ministerin, sondern
ich habe, begleitet vom zuständigen Abteilungsleiter, an
dem Gespräch teilgenommen . Wir haben den Anwesen-
den das Angebot gemacht, in einen Dialog einzutreten .
Sie hatten die Chance, darüber nachzudenken und sich
zu entscheiden, und sie sind zu der Entscheidung gekom-
men, dass sie den Dialog zu diesem Zeitpunkt nicht fort-
setzen wollten .
Wir kommen zur Frage 14 der Kollegin JuttaKrellmann:Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus,dass bei der beim Institut für Sozialforschung und Gesell-
waltungskosten in der Eingliederungshilfe, die zum Ziel hatte,den Aufwand der Träger der Eingliederungshilfe für die mitdem Bundesteilhabegesetz einhergehende Qualifizierung desPersonals zu schätzen, nur fünf Sozialämter beteiligt waren?Bitte, Frau Staatssekretärin .http://nichtmeingesetz.de/http://nichtmeingesetz.de/
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G
Die in der Frage zitierte Studie befasst sich mit der
Praxis der Einkommensanrechnung in der Eingliede-
rungshilfe für behinderte Menschen und geht der Frage
nach den Einnahmeausfällen bei einem Verzicht auf den
Einkommensrückgriff nach .
Die Studie hatte nicht zum Ziel, den Aufwand der
Träger der Eingliederungshilfe für die mit dem Bun-
desteilhabegesetz einhergehende Qualifizierung zu schät-
zen . Die geringe Anzahl der beteiligten örtlichen Sozial-
hilfeträger erklärt sich daraus, dass nach den Rückläufen
aus den Ländern die Verwaltung der Eingliederungshilfe
für behinderte Menschen einschließlich der Durchfüh-
rung des Einkommensrückgriffes häufig von überörtli-
chen Trägern der Sozialhilfe wahrgenommen wird .
Ich weise darauf hin, da das Stichwort schon einmal
gefallen war: In Nordrhein-Westfalen gibt es zwei Land-
schaftsverbände, die dies für das gesamte Bundesland
wahrnehmen . Deshalb wurden ergänzende Daten bei den
überörtlichen Trägern der Sozialhilfe erhoben .
Sie haben das Wort zur Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . – Wie bewertet
die Bundesregierung die Ergebnisse dieser Studie und
die politische Entscheidung, die auf der Grundlage dieser
Studie getroffen wurde, besonders im Hinblick darauf,
dass ambulant lebende Menschen mit Behinderung nicht
berücksichtigt wurden?
Bitte .
G
Dazu muss ich Ihnen ehrlich sagen: Ich würde Ihnen
die Antwort darauf gern schriftlich zukommen lassen, da
Ihre ursprüngliche Fragestellung ja eine andere Zielrich-
tung hatte . Wenn Sie einverstanden sind, liefern wir Ih-
nen das gern schriftlich nach .
Das halten wir erst einmal fest, und Sie stellen nun die
zweite Nachfrage .
Vielen Dank . – Zur zweiten Frage: Warum verlässt sich
die Bundesregierung allein auf die Aussagen der BAGüS
hinsichtlich der Verwaltungskosten im IGES-Gutachten,
nachdem sich an der Umfrage nur fünf Sozialämter –
also sehr wenige – beteiligt haben? Im Grunde ist dies ja
eine Frage der Überwachung der eigenen Effizienz einer
Behörde, und diese kann man ja immer nur damit beant-
worten: Jawohl, natürlich sind wir effizient.
Bitte .
G
Ja . Ich darf vielleicht noch einmal allen, die uns heu-
te zuhören und zuschauen, erklären, was die BAGüS ist .
Das ist die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen
Sozialhilfeträger, und ich erwähnte schon: Zwei dieser
Träger decken zum Beispiel das gesamte Land Nord-
rhein-Westfalen ab, deshalb muss man Zahlen auch re-
lativieren .
Meines Erachtens ist es so, dass hier sehr seriöse sta-
tistische Daten erhoben werden, auf die man sich auch
als Ministerium verlassen kann .
Die Kollegin Klein-Schmeink hat das Wort zu einer
Nachfrage .
Danke schön . – Meine Frage richtet sich auf die
Freibeträge für die Renten- und Alterssicherung . Wir
sprechen ja gerade über die Einkommens- und Vermö-
gensanrechnung . Dabei bleiben Sie in § 136 unterhalb
der durchschnittlichen Verdienste von rentenversicherten
Personen . Das wird immer entlang einer Bezugsgröße
festgelegt .
Welchen Hintergrund hat es, dass Sie darunter blei-
ben, und glauben Sie, dass damit eine vernünftige Alters-
sicherung für diesen Personenkreis sichergestellt werden
kann?
Bitte .
G
Die Frage, welche Alterssicherung vernünftig ist,
müssen andere beantworten . Ich glaube, dass es darum
geht, die Chance für eine angemessene Alterssicherung
zu gewährleisten, und dies halten wir für gegeben .
Die Frage 15 des Kollegen Strengmann-Kuhn sollschriftlich beantwortet werden .Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Corinna Rüffer auf:Warum möchte die Bundesregierung mit § 116 Absatz 2
derungshilfe die Möglichkeit eröffnen, Leistungen unter derBedingung zu erbringen, dass sie von mehreren Leistungsbe-rechtigten gemeinsam in Anspruch genommen werden, undwarum reicht aus ihrer Sicht die Möglichkeit nach § 116 Ab-satz 3 SGB IX-E, Leistungen auf Antrag des Leistungsberech-tigten gemeinsam zu erbringen, nicht aus?Bitte, Frau Staatssekretärin .
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G
Gerne . Frau Präsidentin . – Liebe Kollegin Rüffer,
bereits heute hat sich in der Eingliederungshilfe in Ein-
zelfällen die Praxis entwickelt, Leistungen gemeinsam
in Anspruch zu nehmen . Hierfür wird jetzt in § 116 die
rechtliche Grundlage geschaffen . Ich zitiere aus dem Ge-
setzentwurf:
Die Leistungen zur Assistenz …, zur Heilpädago-
gik …, zum Erwerb und Erhalt praktischer Fähig-
keiten und Kenntnisse …, zur Förderung der Ver-
ständigung …, zur Beförderung im Rahmen der
Leistungen zur Mobilität … und zur Erreichbarkeit
einer Ansprechperson unabhängig von einer konkre-
ten Inanspruchnahme … können an mehrere Leis-
tungsberechtigte gemeinsam erbracht werden …
Die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen
kann fachlich geboten sein, zum Beispiel, wenn Ziele im
Bereich des sozialen Lernens verfolgt werden . Ob dabei
eine gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen er-
folgt, wird nicht allein in das Ermessen des Leistungs-
trägers gestellt . Der oder die Leistungsberechtigte muss
auf Augenhöhe an der Entscheidung beteiligt werden .
Die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen muss
für die Leistungsberechtigten zumutbar sein . Ist sie nicht
zumutbar, ist diese – auch bei Berücksichtigung der Kos-
tengesichtspunkte – unzulässig .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Wir haben es hier mit einer Wortneuschöpfung zu tun .
„Zwangspoolen“ wird der Sachverhalt, der in diesem Pa-
ragrafen geregelt wird, von den betroffenen Menschen
genannt . Es ist richtig, dass es sinnvoll sein kann, Leis-
tungen gemeinschaftlich in Anspruch zu nehmen; das ist
ja heute auch schon gängige Praxis . Das kann der Sache
angemessen sein und ist sicherlich auch unter fiskali-
schen Gesichtspunkten in vielen Fällen nicht dumm . Die
Frage ist aber: Warum müssen Sie die gemeinschaftliche
Inanspruchnahme in § 116 Absatz 2 gesetzlich regeln,
wenn das heute schon gemacht wird, und warum halten
Sie die bestehenden Regelungen, die das ermöglichen,
für nicht ausreichend?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Ja, sehr gerne . – Frau Kollegin Rüffer, wenn Sie mir
den Paragrafen zeigen, in dem die gemeinschaftliche
Inanspruchnahme von Leistungen geregelt ist, wäre ich
Ihnen sehr dankbar . Tatsächlich gibt es einen solchen
Paragrafen nicht . Wir regeln das nun in dem gebotenen
Umfang . Ich möchte meine Antwort nicht wiederholen,
deshalb nur so viel: Wenn es nicht zumutbar ist, Leistun-
gen gemeinschaftlich in Anspruch zu nehmen, dann darf
das nicht stattfinden; das ist recht deutlich. Das ist eine
klare Regelung . Die Bereiche, für die das gilt – ich habe
sie bereits aufgezählt –, finden sich in § 116.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Besonders große Bedenken bestehen hinsichtlich der
gemeinschaftlichen Inanspruchnahme von Assistenzleis-
tungen; das ist Ihnen bekannt . Die Betroffenen befürch-
ten, dass ihre Privatsphäre und ihr Recht auf Selbstbe-
stimmung eingeschränkt werden . Diese Argumente
kennen Sie alle . Wenn man Assistenzleistungen gemein-
schaftlich in Anspruch nimmt, kann das bedeuten, dass
man – um das einmal für diejenigen plastisch zu machen,
die das vielleicht noch nicht so intensiv beleuchtet ha-
ben – gemeinschaftlich entscheiden muss, ob man am
Wochenende als Gruppe auf einen Hundeplatz oder zu
einem Fußballspiel geht . Das hat mit Selbstbestimmung
und der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonven-
tion natürlich überhaupt nichts zu tun . Aber das ist ein
Bereich, den Sie explizit nennen, wenn es darum geht,
dass die Träger der Eingliederungshilfe auf eine gemein-
schaftliche Inanspruchnahme hinwirken sollen . Das ist
für mich ein großes Fragezeichen . Ich möchte die Gele-
genheit nutzen, Sie zu bitten, mir zu erklären, warum Sie
das in den Gesetzentwurf hineingeschrieben haben, der
vom Bundestag verabschiedet werden soll .
Bitte .
G
Kollegin Rüffer, ich gehe davon aus bzw . ich habe die
starke Hoffnung, dass dieser Gesetzentwurf vom Bun-
destag verabschiedet wird . Bei sozialer Teilhabe und As-
sistenz gibt es erstmalig sehr aufgefächerte Regelungen .
Was Sie gerade als gemeinschaftliche Inanspruchnahme
von Leistungen beschrieben haben, bildet eher ein Pro-
blem ab, das wir heutzutage haben . Meines Erachtens
habe ich sehr deutlich gemacht, dass der oder die Leis-
tungsberechtigte von Anfang an an den Entscheidungen
beteiligt werden muss . Das ist nach geltendem Recht bis-
lang nicht möglich . Wir sehen zukünftig ein großes Ver-
fahren der Beteiligung vor . Das kann begleitet werden
durch unabhängige Beratung . Das halte ich persönlich
für einen sehr großen Fortschritt . Das stärkt die Rech-
te der Betroffenen . In diesem Zusammenhang kann ich
die umfängliche Sorge, die Sie ausgedrückt haben, nicht
teilen .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Scharfenberg dasWort .
Vielen Dank . – Meine Nachfrage richtet sich eben-falls auf die gemeinsame Inanspruchnahme . Plant denn
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die Bundesregierung, die Regelung zur gemeinsamenInanspruchnahme von Leistungen auch auf die Hilfe zurPflege zu übertragen? Sollte dies nicht der Fall sein: Wiestellt sich die Regierung die praktische Umsetzung derverschiedenen Regelungen bei Menschen vor, die aufbeide Leistungen angewiesen sind?G
Vielen Dank . – Ich beziehe mich heute auf das Bun-
desteilhabegesetz. Wir haben, was die Hilfe zur Pflege
betrifft, ein Pflegestärkungsgesetz III, das nach meinem
Wissensstand noch nicht das Parlament erreicht hat . Ich
kann hier nur sagen: Bei den Regelungen der gemeinsa-
men Inanspruchnahme von Leistungen beziehe ich mich
hier ausschließlich auf den Teil der Eingliederungshilfe .
Der Kollege Wunderlich hat das Wort zu einer Nach-
frage .
Frau Lösekrug-Möller, ich glaube Ihnen gerne, dass
Sie wirklich engagiert sind, das Beste für die Menschen
wollen und Sie diese Sorge, was künftige Leistungsein-
schränkungen betrifft, nicht teilen . Sie sagten sinngemäß:
Es ist nicht die Absicht der Bundesregierung, Leistungen
zu verhindern – in Klammern: um den Finanzminister zu
bespaßen .
Ist Ihnen bewusst, dass am morgigen Sitzungstag,
planmäßig um 4 .20 Uhr, ein Gesetz hier im Bundestag
verabschiedet wird, das Hürden für Klagen vor den So-
zialgerichten dergestalt errichtet, dass Klagen erst zuge-
stellt werden, wenn der Kostenvorschuss eingegangen
ist? Der Staat baut also Hürden auf, um sich vor Ansprü-
chen gegen sich selbst zu schützen . Das betrifft vieles,
was Frau Rüffer schon gesagt hat . Es gibt viele unbe-
stimmte Rechtsbegriffe, und es ist daher möglicherweise
eine Vielzahl von Klagen zu erwarten, die mit der Re-
gelung zu dem Kostenvorschuss eventuell abgewendet
werden sollen .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Ich will unserer gemeinsamen Hoffnung Ausdruck
geben, dass es nicht 4 .20 Uhr Freitagfrüh sein wird .
Das wäre dann ja schon Freitag . Aber wie auch immer:
Dieses Gesetz ist parlamentarisch zu beraten . Ich gehe
davon aus, dass viele, die Anspruch auf Leistungen der
Eingliederungshilfe haben, nicht nur ihre Rechte kennen,
sondern sie auch nutzen . Ich gehe auch davon aus, dass
sie nicht in die schwierige Lage kommen, dass sie durch
eine Gesetzgebung, wie Sie sie gerade geschildert haben,
einen eingeschränkten Zugang zu ihren Rechten haben .
Wir kommen zur Frage 17 der Kollegin Rüffer:
Wie erklärt die Bundesregierung die in der Begründung
Leistungen müssten nicht ausgeschrieben werden, obwohl das
Vergaberechtsmodernisierungsgesetz lediglich Leistungen im
sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis von der Pflicht zur
Ausschreibung ausnimmt, und wie soll so das angestrebte Ziel
der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe
erreicht werden?
Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin .
G
Ja, sehr gern . – Frau Kollegin Rüffer, die Einglie-
derungshilfe wird durch das Bundesteilhabegesetz aus
dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch herausgelöst,
wie wir wissen, reformiert und im Neunten Buch So-
zialgesetzbuch, in Teil 2, als besondere Leistung zur
selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit
Behinderungen geregelt . Vom Leistungsrecht der Ein-
gliederungshilfe losgelöst ist das neue Vertragsrecht zu
sehen, das die Leistungsabwicklung regelt . Trotz der
Herauslösung aus der Sozialhilfe bleibt es bezüglich der
rechtlichen Beziehungen zwischen Leistungsberechtig-
ten, Leistungsträgern und Leistungserbringern bei einem
Dreiecksverhältnis .
Die Träger der Eingliederungshilfe werden, wie bis-
her schon die Träger der Sozialhilfe, weder öffentliche
Aufträge noch Konzessionen im Sinne der EU-Richtlinie
vergeben . Der Abschluss einer Vereinbarung nach dem
Kapitel 8 des Teils 2 des SGB IX wird auch künftig kein
vergaberechtlich relevanter Beschaffungsvorgang sein,
da es wie schon jetzt in der Sozialhilfe an der hierfür er-
forderlichen Konkurrentenauswahl und einer definitiven
Entgeltzuweisung fehlt .
Danke . – Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank . – Es ist nicht so einfach, das nachzu-vollziehen, wenn gesagt wird: Die leistungsberechtigtenMenschen werden aus dem Fürsorgesystem herausge-nommen, während die Leistung darin bleibt . – Wir habenschon an anderer Stelle über das Vergaberechtsmoderni-sierungsgesetz diskutiert . Wir haben eigene Vorschlägeeingebracht und kritisiert, dass lediglich Leistungen, diesich im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis befin-den, aus der Pflicht zur Vergabe herausgenommen wer-den . Es zeigt sich hier wieder: Wenn man eine saubereLösung will, dann wäre es möglich gewesen, es zu tun .Ich hätte von Ihnen jetzt gerne eine nachvollziehbareErläuterung, wie ich zu verstehen habe, dass einerseitsdie Personen herausgelöst sein sollen – was bedeutet dasdann? –, andererseits die Leistungen aber Bestandteil derSozialhilfe bleiben . Das ist schwierig zu vermitteln . Fürdie betroffenen Menschen selber ist es von großer Be-deutung, nicht mehr Teil der Sozialhilfe zu sein . Es warein Versprechen der Bundesregierung, das Sie offensicht-Elisabeth Scharfenberg
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 201617928
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lich nicht einlösen wollen . Oder habe ich Sie missver-standen?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Frau Kollegin Rüffer, mit dem Entwurf zum Bun-
desteilhabegesetz erfüllen wir vollumfänglich das im
Koalitionsvertrag Verabredete: dass wir aus der Fürsor-
ge herausführen . Gemeint ist das System der Eingliede-
rungshilfe; ich habe es erläutert .
Wie ich Ihnen gerade gesagt habe – es tut mir leid,
wenn ich mich wiederhole; das meine ich jetzt weder pä-
dagogisch noch böse –, werden wir das Leistungsrecht
im Teil 2 vom Sozialgesetzbuch IX verankern . Gleich-
wohl besteht dieses Dreieck sozialhilferechtlicher Leis-
tungen fort; das ist gar kein Widerspruch . Wir alle, die
wir einschlägig studiert haben – Sozialpädagogik, Sozi-
alwissenschaften oder Sozialarbeit –, wissen, wie wich-
tig das ist . Dazu habe ich ausgeführt, und dem habe ich
gar nichts mehr hinzuzufügen . Wir glauben, dass das
nicht nur sachgerecht ist; vielmehr besteht weiterhin ein
logischer Zusammenhang, den wir nicht infrage stellen .
Frau Rüffer, Sie haben das Wort zur zweiten Nach-
frage .
Ich kann nach wie vor nicht nachvollziehen, dass man
zwischen Person und Leistung in dieser Weise trennt .
Meine feste Überzeugung ist, dass es sinnvoll wäre, bei
der Vergabe Nachbesserungen vorzunehmen, um zukünf-
tig Ausschreibungen auch in anderen Bereichen zu ver-
hindern .
Ändert es bei ähnlichen Regelungen materiell, also am
Inhalt, etwas, ob sie im SGB XII stehen oder Teil des
Bundesteilhabegesetzes sind? Ist die Frage, in welchem
Gesetz etwas geregelt wird, maßgeblich, oder ist der
Inhalt maßgeblich? Die Herauslösung aus der Fürsorge
würde im Kern bedeuten, auf die Anrechnung von Ein-
kommen und Vermögen zu verzichten . Das tun Sie aber
augenscheinlich nicht .
G
Ich darf darauf mit mehreren Anmerkungen reagieren;
ich darf ja keine Rückfrage stellen, glaube ich .
Wir erzielen bei Einkommen und Vermögen sehr wohl
deutliche – wirklich deutliche – Verbesserungen . Das ist,
glaube ich, allen erkennbar, die den Gesetzestext gelesen
haben . Wir haben zahlreiche Verbesserungen, was die
totale Freistellung und die Nichtanrechnung anbelangt,
zum Beispiel bei Einkommen und Vermögen, wenn es
um Ehepartner oder um Lebensgefährten geht . Aber das
wissen Sie eigentlich alles .
Was ich bei Ihnen gerade herausgehört habe, ist, dass
Sie offenbar präferieren, Leistungen der Eingliederungs-
hilfe auszuschreiben; vielleicht habe ich das auch miss-
verstanden . Wir glauben, dass wir nach wie vor richtig
liegen, wenn wir in diesem Dreieck bleiben .
Ich will des Weiteren auf eine Sache hinweisen, die
in diesem Bundesteilhabegesetz ebenfalls geregelt ist:
Wenn das gewünscht ist, dann kann der Anspruch auf
Eingliederungshilfe auch als eine Geldleistung ausge-
zahlt werden . Ich will das nachtragen, weil es illustriert,
wie weitgehend Möglichkeiten von Betroffenen sind, zu
sagen: Ich kann mir das so gestalten, wie ich es möchte .
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kurth das Wort .
Da die Ausführungen – sowohl ein Teil der Fragen als
auch ein Teil der Antworten – komplex waren, stelle ich
die ganz einfache Frage: Können Sie garantieren, dass
zukünftig aufgrund dieses Gesetzentwurfs Leistungen
der Eingliederungshilfe nicht ausgeschrieben werden?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Vielleicht sollten Sie sich untereinander austauschen .
Ich sage das, weil sich gerade zwei aus meiner Sicht et-
was widersprüchliche Positionen in Ihrer Fraktion zei-
gen .
Wir behalten das sozialhilferechtliche Leistungsdrei-
eck bei . Wir haben eine Debatte darüber im Ausschuss
für Arbeit und Soziales gehabt – Herr Kollege Kurth, Sie
waren dabei, und auch ich war dabei –, als wir über das
neue Recht gesprochen haben . Wir haben gesagt, dass
es zielführend und richtig ist . Ich kann nicht erkennen –
weil wir davon nicht abweichen –, dass es ein Risiko ei-
ner Ausschreibung gäbe .
– Ich habe geantwortet .
Wir kommen damit zur Frage 18 der Kollegin MariaKlein-Schmeink:Aufgrund welcher fachlichen Begründung plant die Bun-desregierung, beim Bundesteilhabegesetz in § 99Absatz 1 Satz 2 SGB IX die Schwere oder Erheblichkeit vonBehinderung durch die Anzahl der durch Teilhabebeschrän-kungen betroffenen Lebensbereiche zu begründen?Bitte, Frau Staatssekretärin .Corinna Rüffer
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 2016 17929
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(D)
G
Ja, gerne . – Frau Klein-Schmeink, die Frage gibt die
Regelung zum Zugang zu Leistungen der Eingliede-
rungshilfe nur teilweise wieder . Die Regelung des § 99
SGB IX im Entwurf des Bundesteilhabegesetzes, auf die
wir uns beziehen, bildet in der Gesamtheit das gewandel-
te fachliche Verständnis von Behinderung ab . Wir haben
darüber ja schon gesprochen . Sie haben die Gelegenheit
zu Nachfragen bei anderen Fragen genutzt .
Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass diese Re-
gelung ICF-basiert ist – ich spare mir jetzt die ausführ-
liche Benennung – und dass sie auch das Wording der
UN-Behindertenrechtskonvention widerspiegelt . Sie ver-
bindet dieses gewandelte fachliche Verständnis mit der
für die Eingliederungshilfe unabdingbaren Notwendig-
keit, eine in erheblichem Maß eingeschränkte Fähigkeit,
am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben, im Einzelfall
festzustellen . Mit der Regelung wird auch die heutige
Praxis abgebildet, in der der Begriff der wesentlichen
Behinderung – auch das ist heute schon Gegenstand der
Fragen und Antworten gewesen – bereits entsprechend
ausgelegt wird .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Auch wenn ich schon mehrere Nachfragen gestellt
habe, ist mir immer noch nicht deutlich geworden, ob die
Befürchtungen gerechtfertigt sind, die von den psychi-
atrischen Fachverbänden sehr deutlich geäußert worden
sind, nämlich dass diese Gruppe von Menschen in Zu-
kunft, weil sie nicht so viele Einschränkungen in so vie-
len Lebensbereichen haben, dass sie unter Ihre Definition
fallen, aus zahlreichen heutigen Eingliederungsleistun-
gen ausgegliedert würde . Noch einmal die Frage: Wie be-
werten Sie diese Befürchtungen der Fachgesellschaften,
und wie wollen Sie darauf reagieren? Ich habe einen Ab-
gleich des Referentenentwurfs und des Gesetzentwurfs
gemacht . Ich kann da keine Veränderung sehen .
Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin .
G
Gerne . – Ich weise Sie darauf hin, dass in dem durch
das Kabinett verabschiedeten Text eine Ergänzung im
Sinne einer Ermessensleistung enthalten ist . Wenn Sie in
die Begründung schauen, dann werden Sie sehen, dass
der Stand der Leistungsgewährung heute sozusagen das
ist, woran man sich bei der Leistungsgewährung zukünf-
tig mindestens – niemand kann dahinter zurückbleiben –
orientieren muss .
Aus den von Ihnen genannten Stellungnahmen habe
ich noch ein anderes Bedenken in Erinnerung; das will
ich hier ansprechen, Frau Klein-Schmeink: Das hat da-
mit zu tun, dass es um einen Kreis von Personen geht,
deren Einschränkungen im Zeitablauf stark schwanken
können . Sie werden mir sicher recht darin geben, dass
das gerade bei dieser Personengruppe der Fall ist . Das
ist einer der Gründe, warum die Sorge besteht, dass sie
den Kriterien mal entsprechen könnten und mal nicht . Es
ist aber heute schon so, dass zugrunde gelegt wird, dass
diese Erkrankungen und Beeinträchtigungen, für die das
elementar ist, so gewertet werden, dass es keinen Leis-
tungsausschluss zur Folge hat, wenn es den Menschen
einmal, was wir jedem wünschen, vorübergehend besser
geht .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Ich möchte nachfragen, ob ich Sie so verstehen muss,
dass Sie sagen, dass die Regelung nicht zu einer Ver-
schlechterung gegenüber dem jetzigen Stand führen
wird . Meinen Sie das bezogen auf diejenigen, die jetzt
schon unter diese Rechtsbereiche fallen? Wie wird es für
neu Betroffene sein? Müssen die mit Einschränkungen,
zum Beispiel beim Zugang zu Rehaleistungen bezogen
auf Erwerbstätigkeit, rechnen?
G
Sie müssen nicht, aber Sie können mich so verstehen,
dass die, die heute in der Leistungsgewährung sind, da-
rin bleiben und dass für zukünftig Betroffene genau die
Maßstäbe gelten, die heute bestehen .
Damit kommen wir zur Frage 19 der Kollegin Klein-
Schmeink:
Aus welchen Gründen plant die Bundesregierung, gemäß
§ 109 SGB IX die Leistungen der medizinischen
Rehabilitation auf Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung zu beschränken und damit den Umfang
der Leistungen im Vergleich zur heutigen Situation einzu-
schränken?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Sehr gerne . – Frau Kollegin, die vorgesehene Re-gelung entspricht dem heutigen § 54 Absatz 1 Satz 2SGB XII – das kennen Sie bestimmt – und entspricht so-mit aktuellem Recht. Es findet sich folglich in dem neuen§ 109 SGB IX keine Leistungseinschränkung .Die weitere Anbindung der medizinischen Rehabilita-tionsleistung der Eingliederungshilfe an die entsprechen-den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherunggewährleistet, dass nichtkrankenversicherte Menschenmit Behinderung unverändert die gleiche behinderungs-spezifische medizinische Versorgung erhalten wie Versi-cherte der gesetzlichen Krankenversicherung .
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 201617930
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(D)
Sie haben das Wort zur Nachfrage . – Sie verzichten
darauf .
Dann kommen wir zur Frage 20 des Kollegen Markus
Kurth:
Warum müssen Menschen, die mit dem Budget für Arbeit
von einer Werkstatt für behinderte Menschen auf den
ersten Arbeitsmarkt wechseln wollen, im Gegensatz zu Werk-
stattbeschäftigten ihr Einkommen und Vermögen einsetzen
welche Anreizeffekte erwartet die Bundesregierung hinsicht-
lich der Regelungen und der Bereitschaft zum Wechsel von
der WfbM auf den ersten Arbeitsmarkt?
G
Herr Kollege Kurth, mit Einführung des Budgets für
Arbeit erhalten besonders stark in ihrem Leistungsver-
mögen eingeschränkte Menschen mit Behinderung die
Gelegenheit, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt mit einer tariflichen oder ortsüblichen Ent-
lohnung aufzunehmen . Sie stehen damit anderen Men-
schen mit Behinderung gleich, die eine Erwerbstätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben und aus ih-
rem Einkommen einen Beitrag zu den Aufwendungen
der von ihnen in Anspruch genommenen Eingliederungs-
hilfe leisten. Sie profitieren aber auch von verbesserten
Regelungen zur Anrechnung von Einkommen und Ver-
mögen bei Bezug von Erwerbseinkommen . Wir erhoffen
uns davon eine Anreizwirkung .
Sie haben das Wort zur Nachfrage .
Das Budget für Arbeit haben wir in den Fachdiskus-
sionen ja immer als Nachteilsausgleich verstanden, um
mit Blick auf die Produktivität eine Wettbewerbsgleich-
heit zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behin-
derung herzustellen . Das Budget für Arbeit stellt also in
dieser Hinsicht keinen ungerechtfertigten besonderen
ökonomischen Vorteil dar, sondern soll eine gleichbe-
rechtigte Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt ermög-
lichen . Insofern wäre die Anrechnung von Einkommen
und Vermögen auf einen Betrag, der als reiner Nachteils-
ausgleich gedacht ist, gleichbedeutend mit einer negati-
ven Anreizwirkung . Stimmen Sie mir zu, dass mit den
im Kabinettsentwurf genannten Zahlen von wenigen
Tausend potenziellen Personen, die das in Anspruch neh-
men könnten, die Bundesregierung aufgrund ihres De-
signs dieses Budgets für Arbeit selbst hier sehr niedrige
Erwartungen hat?
Bitte .
G
Ja, ich antworte gern . – Mit Blick auf die Personen-
gruppen, die heute im Erwerbsleben sind und Eingliede-
rungshilfe beziehen, kennen Sie, Herr Kollege Kurth, die
Anrechnung bei Einkommen und Vermögen für Leistun-
gen der Eingliederungshilfe . Mit Blick auf den anderen
Personenkreis, von dem wir sehr hoffen, dass er größer
werden wird, der nämlich zukünftig das Budget für Ar-
beit in Anspruch nehmen kann, gehen wir von Personen
aus, die vielleicht gar nicht oder kurze Zeit – oder wie
auch immer – zum Beispiel in einer Werkstatt für Men-
schen mit Behinderung gearbeitet haben, die sich aber
mehr zutrauen als einen Außenarbeitsplatz . Sagen wir
das einmal ganz konkret so .
Deshalb sagen wir: Die wollen wir einerseits mit einer
„Rückfahrkarte“ ausstatten, sodass es jederzeit möglich
ist, zurück in die Werkstatt zu kommen, aber wir wol-
len andererseits auch bestmöglich sicherstellen, dass sie
mit dem Budget für Arbeit mit diesem Versuch, auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt doch auch Platz zu finden und
damit mittendrin in Arbeit zu sein, hoffentlich erfolgreich
sind . Deshalb gibt es ja beim Budget für Arbeit auch die
zusätzlichen Leistungen, die Ihnen bekannt sind .
Wir gehen also davon aus, dass wir damit einen Anreiz
schaffen und eine gute Unterstützung geben, damit – ich
will nicht sagen: viele – die, die sich das zutrauen, es
ausprobieren und – ich hoffe auch – damit Erfolg haben .
Denn es streben schon viele an, auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt dabei zu sein . Dafür soll dieses Instrument
hilfreich sein .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Dann sehe ich es doch wohl richtig, Frau Staatssekre-
tärin, wenn Sie von denen sprechen, die sich mehr als
einen Außenarbeitsplatz zutrauen, dass Sie sich mit dem
Budget für Arbeit hauptsächlich an die Personen richten,
die einen eher geringeren Unterstützungsbedarf haben .
Sie setzen ja auch Obergrenzen, Deckel für das Budget
für Arbeit im Verhältnis zum Durchschnittsverdienst,
was bei höherem Unterstützungsbedarf natürlich nicht
ausreichen wird, um als Nachteilsausgleich zu dienen .
Sehe ich es also richtig, dass die Bundesregierung das
Budget für Arbeit nicht für alle Menschen mit Behin-
derung vorsehen möchte, sondern nur für die mit einem
geringen Unterstützungsbedarf, und sehe ich es richtig,
dass die Bundesregierung kein Interesse daran hat, dass
Personen mit einem besonders hohen Unterstützungsbe-
darf ebenfalls die Möglichkeit haben, das Budget für Ar-
beit in Anspruch zu nehmen?
Bitte .
G
In beiden Fällen kann ich Ihnen nicht zustimmen, HerrKurth, und ich verstehe auch nicht, wie Sie zu diesenEinschätzungen kommen können . Wenn wir im Grundegenommen einen Minderleistungsausgleich von bis zu
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 2016 17931
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(D)
75 Prozent haben, finde ich das nicht gering. Aber es istja Ihrer Einschätzung vorbehalten, das zu bewerten .Wir wollen viele ermutigen . Diese Ermutigung un-terlegen wir mit dem Instrument des Budgets für Arbeit .Wenn die Regelung in Kraft tritt, werden wir sehen, obviele davon Gebrauch machen werden . Ja, das hängtauch stark von den Unterstützungsleistungen ab; da binich ganz bei Ihnen . Aber wir meinen, dass wir auch dashinreichend ausgestaltet haben .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Brantner das
Wort .
– Die Kollegin Rüffer . Offensichtlich sehe ich heute bei
der Grünenfraktion einiges völlig neu .
Ich glaube, Sie wollen gerne die Kollegin Brantner
noch einmal hören; denn Sie sagen das jetzt schon zum
zweiten Mal . Ich kann sie rufen, wenn Sie wünschen .
Zum Budget für Arbeit . Sie sagen, die Ausgestaltung
sei so, dass hoffentlich hohe Anreize geschaffen werden,
damit die Leute aus der Werkstatt in sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigung wechseln. Da kann ich aus mei-
ner rheinland-pfälzischen Perspektive sagen: Dann hätten
Sie sich an dem dortigen Modell orientieren sollen; denn
das ist deutlich großzügiger ausgestaltet . Das vielleicht
als Hinweis . Wir sind ja noch im parlamentarischen Ver-
fahren und können da einiges ändern; da könnte ich noch
ein paar weitere Hinweise geben .
Zu meiner eigentlichen Frage . Derzeit sind
300 000 Menschen in Werkstätten für behinderte Men-
schen tätig; sehr viele – und mit hoher Steigerungs-
rate – befinden sich in Werkstätten für Menschen mit
psychischen Beeinträchtigungen . Das sind in der Regel
Menschen, die eine schulische und berufliche Ausbildung
gemacht haben und häufig eine jahrzehntelange Erwerbs-
tätigkeit hinter sich haben, dann aber aufgrund privater
Probleme oder von Stress im Job zum Beispiel ein Burn-
out erlitten haben und jetzt in der Werkstatt sind . Sie ha-
ben aber durchaus vorher Vermögen angesammelt . Für
diese Personengruppe gilt jetzt Folgendes: Solange die
Menschen in der Werkstatt bleiben, wird ihr Vermögen
nicht auf die Leistung angerechnet . Beim Persönlichen
Budget aber, das den Wiedereinstieg in die Berufstätig-
keit ermöglichen soll, gehen Sie einen anderen Weg . Das
ist das Gegenteil von Unterstützung beim Zugang zum
Regelarbeitsmarkt .
Ich hätte gerne von Ihnen gehört, wie Sie dazu stehen
und ob Sie da vielleicht noch etwas verändern möchten .
G
Ich weiß, Frau Kollegin Rüffer, dass das parlamenta-
rische Beratungsverfahren auch dazu dient, weitere Ver-
besserungen einzubringen . Sie werden sicherlich auf Ihre
Weise dazu beitragen .
Ich finde Rheinland-Pfalz auch klasse; es ist nach Nie-
dersachsen das zweitschönste Land .
– Herr Beck, wahrscheinlich war das ein Antrag, ein wei-
teres Bundesland in diese Reihe aufzunehmen .
Zurzeit hat die Parlamentarische Staatssekretärin das
Wort; sollte es Nachfragen geben, bitte melden .
G
Ich will das gerne machen . Sie können das auch gerne
noch einmal schriftlich haben .
Beim Budget für Arbeit denken wir nicht nur an die
Personengruppe, die Sie gerade beschrieben haben . Sie
haben zutreffend beschrieben, dass diese Personengrup-
pe in den letzten Jahren sehr, sehr stark gewachsen ist,
Personen, die vollqualifiziert über lange Zeit im Berufs-
leben waren und dann aufgrund welcher Ereignisse auch
immer ihre Erwerbsfähigkeit verloren haben . Wir suchen
sehr nach guten Antworten . Ich weiß, dass das auch in
den Werkstätten viele tun . Wir haben jetzt im BTHG
auch noch die Chance, mit anderen Leistungsanbietern
ganz spezielle Antworten zu liefern . Auch dieser Per-
sonengruppe ist es dann unbenommen, das Budget für
Arbeit in Anspruch zu nehmen . Eine andere Option ist
natürlich, bei Genesung vollständig in den Arbeitsmarkt
zurückzukehren . Das Budget für Arbeit ist ja nicht der
einzige Ausweg; es ist aber, wie ich finde, ein gutes An-
gebot .
Dabei müssen die Regeln gelten, die bei der Aufnah-
me von Erwerbstätigkeit gelten, Frau Rüffer; da können
wir nicht von unterschiedlichen Zielgruppen ausgehen .
Vielmehr gilt, dass man, wenn man Leistungen der Ein-
gliederungshilfe beansprucht, aus dem Einkommen aus
Arbeit gegebenenfalls einen Eigenbeitrag leisten muss .
Gleichwohl will ich Sie darauf hinweisen, dass in der
Regel bei den monatlichen Einkommen nicht die Grenze
erreicht wird, bei der ein Eigenbeitrag fällig wird .
Kollege Beck zu einer Nachfrage .
Ich möchte das Bundeskanzleramt fragen, ob es eine
abgestimmte Position der Bundesregierung ist, dass
ihr nicht alle Länder gleichermaßen am Herzen liegen .
Wollen Sie, falls Sie hierarchisieren, nicht prüfen, Nord-
rhein-Westfalen auf Platz 1 zu setzen?
Kann die Bundesregierung dazu eine Aussage treffen?Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 201617932
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(D)
D
Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, haben wir 16 be-
geisternde Bundesländer . Ich würde sagen, Hessen müs-
sen wir als das heimliche Herz Deutschlands in jedem
Fall hinzufügen und die restlichen natürlich auch .
Nachdem wir diese Frage geklärt haben, rufe ich Fra-
ge 21 des Kollegen Markus Kurth auf:
Wodurch unterscheiden sich die nur für besondere An-
lässe zu gewährenden Hilfen zur Kommunikation nach § 82
SGB IX-E in der
praktischen Umsetzung, zum Beispiel in Hinblick auf die
Qualifikation der Leistungserbringer und den Umfang der zu
ständigung nach § 78 Absatz 1 SGB IX-E, und aus welchen
Gründen hält die Bundesregierung diese Unterscheidung für
angebracht?
Wir sind noch immer im Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales . Deshalb hat
wieder die Parlamentarische Staatssekretärin Lösekrug-
Möller das Wort .
G
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Kollege Kurth,
Leistungen zur Verständigung können nach dem Entwurf
des Bundesteilhabegesetzes sowohl nach dem neuen § 78
Absatz 1 als auch nach dem neuen § 82 SGB IX erbracht
werden, allerdings mit unterschiedlichen Zielsetzungen .
Diesem Umstand tragen jeweils eigenständige rechtliche
Regelungen Rechnung . § 82 SGB IX übernimmt dabei
die derzeit bewährten Regelungen des heutigen § 57
SGB IX .
Die nach § 78 Absatz 1 vorgesehenen Assistenzleis-
tungen, die in Einzelfällen Leistungen zur Verständigung
einschließen, nehmen die Bewältigung des Alltags ei-
nes Menschen mit einer Behinderung in den Blick . Eine
Leistung zur Verständigung nach § 82 SGB IX hingegen
zielt darauf ab, den Leistungsberechtigten in besonderen,
nicht alltäglichen Situationen zu unterstützen . In Einzel-
fällen können Leistungen nach den genannten Rechts-
vorschriften auch kumulativ erbracht werden .
Ein Unterschied zwischen den beiden Regelungen
von grundsätzlicher Art im Hinblick auf die Qualifikati-
on der Leistungserbringer besteht nicht . Beiden Anwen-
dungsfällen ist gemein, dass Verständigungsleistungen,
wie zum Beispiel der Einsatz der Gebärdensprache oder
des Lorm-Alphabets bei Taubblinden, unter Berücksich-
tigung der besonderen Erfordernisse des Einzelfalls er-
bracht werden .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Ich will an dieser Stelle nicht wertend, sondern der
Information halber nachfragen . Gebärdensprachdolmet-
scher werden also nicht unterschiedlich vergütet oder be-
kommen unterschiedliche Zeitvorgaben, je nach Bereich,
in dem sie eingesetzt werden . Das dient sozusagen nur
der Bewilligung gegenüber dem Leistungsberechtigten .
Die Unterscheidungen haben für Gebärdensprachdol-
metscher hinsichtlich ihrer Vergütung keinerlei Bedeu-
tung . Sehe ich das richtig?
Bitte .
G
Herr Kollege Kurth, wir reden hier natürlich nicht nur
über Gebärdensprachdolmetscher . Ich habe schon das
Stichwort „Lormen“ erwähnt . Es gibt bei Taubblinden,
denen noch weniger kommunikative Kanäle zur Verfü-
gung stehen, diese andere Möglichkeit .
Ich will Ihnen aber sagen: Wir haben eher das prak-
tisch alltägliche Problem, dass wir zurzeit in Deutschland
über keine auskömmliche Zahl an Gebärdensprachdol-
metschern verfügen . Das erleben wir selbst in der Bun-
deshauptstadt, wo sich die Gebärdensprachdolmetscher
konzentrieren . Es wird eine Frage der praktischen Um-
setzung sein, dass hoffentlich noch viele weitere Studien-
gänge beginnen, damit wir hinreichend Gebärdensprach-
dolmetscher haben . Ihre Vergütung wird aber immer
gleich sein .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Um das noch einmal festzuhalten: Wir haben nicht
genügend Gebärdensprachdolmetscher . Beim Lormen
sieht es besonders dramatisch aus, weil dies ein spät ent-
deckter Bereich ist . Sie sagten, die Vergütung ist gleich,
die Arbeitsbedingungen sind es auch . – Ich frage noch
einmal mit Blick auf die Gebärdensprachdolmetscher,
weil sich diese Form der Übersetzung trotz der geringen
Zahl etabliert hat: Bei den Arbeitsbedingungen und den
Vergütungen gibt es keinen Unterschied, egal ob Assis-
tenzleistungen oder Kommunikationsleistungen gemeint
sind? Das will ich nur noch einmal klargestellt haben .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Ihre Nachfrage, Herr Kollege Kurth, gibt mir Gele-genheit zu einer ergänzenden Klarstellung . Sie wissen,dass auf Bundesebene nicht Kostensätze pro Stundeverhandelt werden, weil Sie als Sozialpolitiker lange imGeschäft sind . Wir gehen aber davon aus, dass die bei-den genannten Leistungen, obwohl sie unterschiedlicheAnspruchskerne haben, zu einer gleichen Entlohnungführen müssen, sofern sie von Gleichqualifizierten wahr-genommen werden .
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 2016 17933
(C)
(D)
Danke, Frau Staatssekretärin . – Wir sind damit am
Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft . Die
Fragen 22 und 23 des Kollegen Harald Ebner werden
schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Verteidigung . Die Frage 24 der Kollegin
Katrin Kunert wird schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend . Die
Fragen 25 und 26 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer
und die Frage 27 der Kollegin Dr . Franziska Brantner
werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Gesundheit . Die Frage 28 des Kollegen Kai
Gehring wird ebenfalls schriftlich beantwortet .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung .
Die Fragen 29 und 30 des Kollegen Matthias Gastel,
die Fragen 31 und 32 des Kollegen Stephan Kühn, die
Fragen 33 und 34 des Kollegen Herbert Behrens und die
Fragen 35 und 36 des Kollegen Oliver Krischer werden
schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 37 des Kollegen Christian Kühn
auf:
Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung mittlerweile
ein Bauunternehmen, das den Interimsregierungsterminal des
BER errichten wird, und falls
nicht, wie will die Bundesregierung eine rechtzeitige Fertig-
stellung sicherstellen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
E
Danke, Frau Präsidentin . – Ich beantworte die Frage
wie folgt: Nach Kenntnis der Bundesregierung ist das
Vergabeverfahren der Flughafengesellschaft für eine
schlüsselfertige Errichtung dieses Abfertigungsgebäudes
nicht abgeschlossen .
Die Flughafengesellschaft ist verpflichtet, die Funkti-
on des Regierungsflughafens unterbrechungsfrei sicher-
zustellen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Danke, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der
Frage . – Meine weitere Frage ist: Mit welchen Kosten
für den Interimsterminal rechnen Sie insgesamt, wenn
es zu weiteren Verzögerungen und Mehrkosten kommt,
wie setzen sie sich zusammen, und welchen Anteil davon
muss der Bund übernehmen?
Bitte .
E
Diese Frage kann ich Ihnen so nicht beantworten, weil
das dem Aufsichtsrat noch nicht vorgelegen hat .
Ich bitte, hier vorne die Bedingungen dafür zu schaf-
fen, dass wir die Antworten des Staatssekretärs verste-
hen, Kollege Gabriel . – Gut .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ist der Fertigstellungstermin, der jetzt bekannt ist, zu
halten, oder rechnen Sie mit weiteren zeitlichen Verzö-
gerungen?
E
Ich interpretiere Ihre Frage so, dass Sie jetzt den Re-
gierungsterminal meinen .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ja .
E
Es gibt eine Interimslösung, die für eine Zeit von fünf
Jahren vorgesehen ist . Das ist nach unserer Kenntnis
nach derzeitigem Stand haltbar . Anschließend wird es zur
Nutzung des endgültigen Terminals kommen .
Wir kommen damit zur Frage 38 des Kollegen
Christian Kühn:
Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der jähr-
und den zusätzlichen Gesellschafterdarlehen anfällt, und kann
die FBB diesen nach Kenntnis der Bundesregierung allein tra-
gen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
E
Sehr geehrter Herr Kollege, die Frage beantworte ichIhnen wie folgt: Angaben zu zukünftigen Zinsaufwen-dungen der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH un-terliegen den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen derGesellschaft .
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 201617934
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(D)
Die FBB ist nach erfolgtem Abschluss der Finanzie-rungsvereinbarungen mit Gesellschaftern und Bankennach eigenen Angaben und nach Maßgabe ihres der Fi-nanzierung zugrundeliegenden Businessplans ausfinan-ziert .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Man konnte jetzt lesen, dass der Flughafengesellschaft
eine Art Blankoscheck für den Fall weiterer Kostenstei-
gerungen ausgestellt wird . Ist das der Fall? Hat der Bund
sozusagen eine Art Blankoscheck ausgestellt für den
Fall, dass es zu weiteren Kostensteigerungen kommt?
E
Blankoschecks kann auch die Bundesregierung nicht
ausstellen .
Sie haben jetzt das Wort zur zweiten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Können Sie mir dann sagen, wie es in den Bericht-
erstattungen zu dem Begriff kommt, wonach auch der
Bund bereit ist, weiteres Geld nachzuschießen? Ich be-
ziehe mich auf den Artikel im Tagesspiegel.
E
Es steht viel in Artikeln . Blankoschecks gibt es nicht,
auch nicht von einer Bundesregierung . Als Eigentümer
sind wir natürlich gefordert, wenn Nachfinanzierungs-
bedarf besteht . Ob es dazu kommt, entzieht sich derzeit
meiner Kenntnis .
Danke, Herr Staatssekretär . – Wir sind damit am Ende
der Fragestunde .
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Keine CETA-Ratifizierung ohne Beteiligung
von Bundestag und Bundesrat
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Welche Geschichte hat das Handelsabkommen CETA,das jetzt fertig auf dem Tisch liegt? Die Verhandlungenliefen hinter dem Rücken der Menschen; nicht einmaldas Verhandlungsmandat war bekannt . Es wurden großeVorteile für die Wirtschaften Europas beschrieben; dieseBehauptung hielt jedoch keiner wissenschaftlichen Be-trachtung stand . Es wurden Falschbehauptungen in denRaum gestellt, etwa dass nur Deutschland Widerstandgegen TTIP und CETA leisten würde . Was ist mit Ös-terreich, mit Belgien, mit Frankreich, mit Luxemburg?Hierzulande wurden Kritiker diskreditiert . Herr Gabrielsagte, die Deutschen seien „reich und hysterisch“, undHerr Pfeiffer sprach von „Empörungsindustrie“ .
Rückblickend betrachtet kann man also sagen: Bei CETAkann man weder der Europäischen Kommission noch derBundesregierung trauen;
die Bevölkerung tut das übrigens auch nicht . Die Han-delspolitik der Europäischen Kommission erinnert michan die Fernsehserie Vorsicht Falle! mit dem Untertitel„Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ .
Genau das ist es, was wir hier erleben .Diese Politik soll nun fortgesetzt werden . Um CETAgegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen, woll-te die Kommission eine Abstimmung in den nationalenParlamenten verhindern . Jetzt rudert sie zurück . Welchein Schmierentheater! Die Kehrtwende erklärt sich ambesten anhand eines Zitats von KommissionspräsidentJuncker . Dieses Zitat – ich habe es kaum glauben kön-nen – lautet folgendermaßen:Wir beschließen etwas, stellen das dann in denRaum und warten einige Zeit ab, was passiert . Wennes dann kein großes Geschrei gibt und keine Auf-stände, weil die meisten gar nicht begreifen, wasda beschlossen wurde, dann machen wir weiter –Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt .Dieses Zitat beschreibt wunderbar, wie die Kommissionbei diesen Handelsabkommen vorgeht . Diesmal war derAufschrei offensichtlich zu groß .Die Methode hat sich aber nur scheinbar geändert .Mit List und Tücke will man CETA weiter vorantreiben .Zwar ist jetzt klar, dass die Zustimmung des Bundestagesund auch des Bundesrates notwendig ist . Wir hoffen, dasses auch dabei bleibt; das war ja nicht immer so . Aber nungeht es darum, dass der Rat und die Kommission Teilevon CETA schon vor der Abstimmung in den nationalenParlamenten vorläufig in Kraft setzen wollen.
Das soll möglicherweise schon am 23 . September be-schlossen werden . Welch ein Unfug! Wenn das gesamteAbkommen durch die nationalen Parlamente abgesegnetParl. Staatssekretär Enak Ferlemann
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 2016 17935
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werden muss, dann verbietet es sich von selbst, dass Teiledavon vorläufig in Kraft gesetzt werden.
Das ist Logik, liebe Kolleginnen und Kollegen .Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Abkommenmindestens an einem nationalen Parlament scheitern .Deshalb macht die Politik der Europäischen Union nachdem Motto „Bauernfänger“ natürlich Sinn . Man machteine ähnliche Politik und will Fakten schaffen, die kaummehr rückholbar sind . Im Übrigen ist vollkommen offen,welche Teile des Abkommens EU-only, also nur auf eu-ropäischer Ebene verantwortlich, sein sollen . Welche dassind und welche es nicht sind, das ist völlig offen . Aucheine Abstimmung im Europäischen Parlament reichtnicht aus, entsprechende Teile des Abkommens in Kraftzu setzen . Das Handelsabkommen ist eben kein normalesAbkommen . Es ist äußerst umstritten, und zwar inzwi-schen in vielen Ländern Europas . Wenn man Europa stär-ken will, muss man die Parlamente beteiligen und darfsie nicht durch vorläufige Inkraftsetzung wieder außerKraft setzen .
Das würde bedeuten, dass man die Europäische Unionund die Zustimmung der Menschen zur EuropäischenUnion weiter infrage stellt . Ich kann nur raten, das nichtzu tun .Wir wollen weder ein Sonderklagerecht für Konzernenoch eine Aushöhlung des Vorsorgeprinzips . Wir wollenkeine Schwächung der Standards durch regulatorischeKooperationen, keine Einschränkung der kommunalenSelbstbestimmung und auch keine Öffnung für gentech-nisch veränderte Organismen, weder vorläufig noch end-gültig .
Deshalb fordere ich unseren Wirtschaftsminister auf,die vorläufige Anwendung auch nur von Teilen des Ab-kommens im Rat abzulehnen – auch nur von Teilen!Wenn hinterher sowieso über das gesamte Abkommenhier im Parlament und im Bundesrat abgestimmt werdenmuss, macht eine vorläufige Anwendung überhaupt kei-nen Sinn, wenn man nicht wieder die Parlamente aushe-beln will . Hören Sie auf mit diesen Tricksereien!
Das Wort hat der Kollege Dr . Michael Fuchs für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Diese Aktuelle Stunde hat den Titel „Keine CETA-Rati-fizierung ohne Beteiligung von Bundestag und Bundes-rat“ . Erstens . Der Bundestag wird in jedem Fall beteiligt .Zweitens . Den Bundesrat werden wir nicht beteiligen .Das ist Sache dieses Parlaments und nicht des Bundesra-tes . Deswegen sehen wir das auch gar nicht ein .
Die Wirtschaftsleistung, die Beschäftigungslage undder soziale Wohlstand Deutschlands hängen massiv vomAußenhandel ab . Machen wir uns bitte nichts vor: Rund40 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftenwir im Außenhandel . Ohne diese 40 Prozent – ich habedas Gefühl, dass Ihnen, Herr Ernst, Arbeitsplätze nichtwichtig sind –
würden wir ein riesiges Problem bekommen; denn ge-rade der Außenhandel trägt erheblich zu unserem Wohl-stand bei .
Nach Kanada exportieren wir Waren im Wert von9,9 Milliarden Euro, und aus Kanada importieren wirWaren im Wert von 4 Milliarden Euro . Das zeigt, wiestark die deutsche Wirtschaft ist . Das funktioniert abernur mit vernünftigen Außenhandelsabkommen, sonsteben nicht .
Jahrzehntelang hat sich in diesem Hohen Hause nie-mand – Sie erst recht nicht – um Freihandelsabkommengekümmert . Das war Ihnen immer völlig egal . Ich bin janun Außenhändler von Berufs wegen und mache das seitJahrzehnten . Ich habe an all den Runden teilgenommen .Ich habe es überhaupt nicht erlebt, dass sich die Linkemit diesen Sachen beschäftigt hat,
schon gar nicht, als es um Korea gegangen ist . Wir ha-ben 2005 mit den Verhandlungen über das Korea-Ab-kommen begonnen . Rund fünf Jahre später war es fertig,im Jahr 2011 . Kein Mensch hat sich darum gekümmert .Es gab einen Einzigen, der bei mir war und gesagt hat:Da müssen wir vorsichtig sein; das ist gefährlich . – Ichwill in diesem Hohen Hause keinen Namen nennen, aberich kann sagen, dass es ein Vertreter der Vereinigung derAutomobilindustrie war . Diese Vereinigung hatte Angst,dass zu viele koreanische Autos nach Deutschland im-portiert werden . Es kann sein, dass ein paar mehr impor-tiert wurden . Diese Hyundais und Daewoos haben aberfranzösische und italienische Autos verdrängt . UnsereIndustrie hat von dem Abkommen erheblich profitiert:55 Prozent Zuwachs an Exporten nach Korea . Das istdie Folge dieses Abkommens. Davon profitiert nicht nurunsere Industrie . Dadurch werden auch Arbeitsplätze ge-sichert, und genau das wollen wir mit diesen Abkommenerreichen .
Den Linken und den Grünen ist anscheinend völligunbekannt, dass wir über 200 aktive Freihandelsabkom-men in der WTO haben . Allein die EU hat bereits 35 Ab-kommen abgeschlossen, seitdem wir dieses Mandat anKlaus Ernst
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die EU übertragen haben, was jetzt ja zum Teil wiederzurückgenommen werden soll; daran mache ich einmalein Fragezeichen . Dann haben wir auch noch 130 Inves-titionsschutzabkommen abgeschlossen . – Oh Grauen!Nichts funktioniert! – Oh Wunder, natürlich funktioniertes . Es funktioniert bestens, Herr Ernst . Sie haben das nurnicht gemerkt .
Lassen Sie mich kurz noch einiges zu dem CETA-Ab-kommen sagen . Wenn Sie behaupten, das sei nichttransparent, dann sind Sie des Lesens englischer Texteanscheinend nicht mächtig . Seit Herbst 2014 gibt es einfertig ausgehandeltes Abkommen in englischer Spra-che, das zu 100 Prozent vorliegt . Das sogenannte LegalScrubbing, die rechtsförmliche Bereinigung, ist seit Aprildieses Jahres fertig und liegt vor . Die deutsche Variante –dann wird es für Sie deutlicher und einfacher – wird Endedieses Monats vorliegen .
Wer jetzt behauptet, das sei nicht transparent, der erzähltschlicht Märchen . Das ist das, was Sie die ganze Zeit beiden Freihandelsabkommen machen, und das ärgert mich .
Wer dann behauptet, das Recht beider Vertragssei-ten, eigene Regulierungen zum Schutz von öffentlicherSicherheit, Umwelt etc . zu treffen, würde verändert, derbleibt wirklich außerhalb der Wahrheit; denn das bleibtvöllig unangerührt . Gar nichts wird da verändert . Auchdas ist Ihnen bekannt . Sie sind schlau genug, um all daszu wissen, Herr Ernst . Ich ärgere mich darüber, dass Sieso tun, als wäre das nicht wahr .
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einige Sätzedazu sagen, warum diese Abkommen so wichtig sind . Siesind wichtig, weil wir dadurch Klarheit haben und Stan-dards gegenseitig anerkennen . Wenn Sie Zweifel an denUmweltstandards haben, dann schlage ich vor, dass Sieeinmal bei VW anrufen; denn die amerikanischen Um-weltstandards sind die kanadischen Umweltstandards,und die sind in der Automobilindustrie wesentlich deut-licher und schärfer als in Deutschland und in Europa . Ichempfehle also ein Telefongespräch mit Ihren Gewerk-schaftskollegen bei VW . Die werden Sie darüber aufklä-ren . Ich denke, das wird Ihnen vielleicht ein Stück weiterläutern, wie wichtig solche Abkommen für uns sind .
Die Kollegin Katharina Dröge hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Tatsächlich haben wir seit gestern Klarheit da-rüber, dass der Deutsche Bundestag über CETA entschei-den wird .
Ich hatte bis zu der Rede von Herrn Kollegen Fuchs ge-dacht, dass wir auch Klarheit darüber haben, dass derBundesrat darüber entscheiden wird . Das haben Sie jetztinfrage gestellt . Vielleicht können Sie, Herr MinisterGabriel, zu dieser Frage in der Debatte noch etwas sagen;denn es ist natürlich eine wichtige Frage, ob unsere Län-derkammer beteiligt wird oder ob es Bestrebungen derUnionsfraktion gibt, die Länderkammer bei der Beratungaußen vor zu halten .
Ich muss schon sagen, dass es eine eigentümliche Si-tuation ist, dass wir jetzt, zwei Jahre nachdem die Ver-handlungen über CETA abgeschlossen sind, überhaupteine Aktuelle Stunde darüber durchführen müssen, dasswir jetzt wissen, wer über CETA abstimmen darf .
Die Debatte darüber hat uns in den letzten Monaten inder Europäischen Union nicht wirklich geholfen . Ich binsehr froh, dass Herr Juncker seine Ankündigung der letz-ten Woche nicht wahr gemacht hat, dieses so wichtigeAbkommen ohne Beteiligung des Deutschen Bundesta-ges durchdrücken zu wollen .Ich sage Ihnen ganz klar: Es geht dabei nicht um dieFrage, ob nicht auch das Europäische Parlament ein de-mokratisch richtiger und legitimer Ort ist, um über sol-che Abkommen abzustimmen . Es geht darum, dass esin der EU Spielregeln gibt, auf die wir uns verständigthaben . Diese Spielregeln kann man nicht einfach dannumgehen, wenn sie einem nicht passen . Man kann sienicht einfach dann umgehen, wenn man Angst davor hat,dass solch ein Abkommen in den nationalen Parlamentenscheitert .
Man kann nicht auf einmal sagen: Ein Abkommen, dasganz klar ein gemischtes Abkommen ist, deklariere ichjetzt einfach als EU-only-Abkommen, weil ich Angst vorden Beratungen in den nationalen Parlamenten habe . –Diese Art von Verfahrenstricks verstehen die Menschennicht .
Auf dieselbe Art und Weise – da muss ich Ihnen ganzexplizit widersprechen, Herr Fuchs – werden CETA undauch TTIP behandelt . Die Geheimhaltung dieser Abkom-Dr. Michael Fuchs
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men und auch die Geheimhaltung des Mandates habennicht allein die Europäische Kommission zu verantwor-ten, sondern auch Sie als Bundesregierung . Diese Ge-heimhaltung ist auf derselben Ebene .
Es ist ziemlich billig von Ihnen, Herr Fuchs, sich hierhin-zustellen und zu sagen, dass dieses Abkommen vor zweiJahren veröffentlicht wurde und damit total transparentsei . Damit sagen Sie, dass das Abkommen dann veröf-fentlicht werden muss, wenn es fertig ist . Genau das istdas Problem an diesen Abkommen .
Im gesamten Verhandlungsprozess wird niemand anden Verhandlungen beteiligt; niemand kann wissen, wasverhandelt wird . Wenn ein Abkommen fertig ist – das ha-ben wir über die letzten zwei Jahre erlebt –, stellt sichdie Bundesregierung hin und sagt: Ich kann daran nichtsmehr ändern . Das Abkommen ist ausverhandelt . Das istmit den Vertragspartnern so vereinbart worden . – Es istein Riesenärger und ein Riesengezerre, zumindest nochKleinigkeiten in diesem Abkommen zu verändern . An ei-ner einzigen Stelle haben wir es geschafft, Nachverhand-lungen durchzusetzen . In allen anderen Bereichen habenwir es nicht mehr geschafft, über dieses Abkommen zureden . Das ist genau der Grund dafür, warum wir trans-parente und offene Verhandlungen brauchen .Ich sage Ihnen, Herr Fuchs: Gerade in der Zeit, in derwir uns aktuell in Europa befinden, in der Rechtspopulis-ten in sehr vielen europäischen Ländern Verschwörungs-theorien und auch Unfug auf die Europäische Unionprojizieren, sollten wir nicht durch Verfahrenstricks undHinterzimmerpolitik eine reale Angriffsfläche bieten.
Gerade in dieser Zeit ist es aus meiner Sicht notwendig,dass wir eine demokratische Politik machen, dass wirtransparente und klare Regeln haben und sie auch ein-halten .Wenn Sie CETA durchsetzen wollen, Herr Fuchs,dann müssen Sie auch etwas zu der Kritik an diesem Ver-tragstext sagen, dann können Sie nicht allgemeine blumi-ge Sonntagsreden darüber halten, dass Sie Außenhändlersind, weswegen der Außenhandel ganz grundsätzlich su-per ist,
sondern dann müssen Sie sich mit diesem Vertragstext inder Sache auseinandersetzen .
Ich möchte Ihnen nur drei Beispiele dafür nennen, wa-rum dieser Vertragstext abgelehnt werden muss .Das erste Beispiel sind die Schiedsgerichte, die unse-re etablierten rechtsstaatlichen Prinzipien infrage stellenund massiven Druck auf eine fortschrittliche Umwelt-und Sozialgesetzgebung ausüben werden . Sie haben hierein bisschen nachverhandeln können, aber trotzdem sindes die Schiedsgerichte im alten Gewand . Ich habe in Ih-rer Rede kein einziges Argument dazu gehört, warum Siediese Schiedsgerichte für richtig und unproblematischhalten
und warum die fachliche Kritik, die wir jetzt seit zweiJahren im Deutschen Bundestag daran formulieren, nichtzutreffend ist .
Zu diesem Punkt kam kein einziges Argument von Ihnen .
Das zweite Beispiel ist das Thema Vorsorgeprinzip,der Grundpfeiler unseres europäischen Verbraucher-schutzes . Es steht nicht im Vertrag .
Mehrere Experten haben schon bescheinigt, dass mitCETA die Gefahr einer deutlichen Schwächung des eu-ropäischen Vorsorgeprinzips gegeben ist . Sie haben dieseGutachten vielleicht nicht gelesen . Wir haben uns inten-siv damit auseinandergesetzt . Von Ihnen kam kein einzi-ges Argument in dieser Sache .
– Sie sind eingeladen, hier gleich noch zu reden, um die-ses Argument zu widerlegen . – Wir haben von der SPDund von der CDU/CSU noch nie etwas zum europäischenVorsorgeprinzip in der Sache gehört . Es wäre jetzt end-lich an der Zeit, sich diesen Fachargumenten zu stellen,wenn Sie irgendwie überzeugend darlegen wollen, wa-rum Sie diesem Abkommen zustimmen .Das dritte und letzte Beispiel ist die Beeinträchtigungder Handlungsfähigkeit der Kommunen . Auch dazu gibtes Gutachten . Es gibt Kritik daran, dass mit Negativlistenund unklaren Rechtsbegriffen, die die Handlungsfähig-keit der Kommunen einschränken, gearbeitet wird . Auchdazu, warum das unproblematisch sein soll, gibt es vonIhnen in keiner Debatte im Deutschen Bundestag auchnur eine einzige konkrete Begründung .Meine Botschaft an Sie ist daher: Jetzt ist endlichSchluss mit dieser Hinterzimmerpolitik, mit dem Ver-schieben von Argumenten, mit dem „Wir warten noch;wir müssen den Vertragstext erst bekommen“ .
Katharina Dröge
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Sie sind jetzt gefordert, ein Argument dafür zu liefern,warum es in der Sache vernünftig sein sollte, dass Siedieses Abkommen durchdrücken wollen .
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer .
U
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Frau Dröge, lieber Herr Ernst, das, was Sie hierbetreiben, ist Desinformation .
Hier wird kein Parlament ausgehebelt . Das Parlamentredet mit bei CETA – das war Ihre Forderung, und daswar auch unsere Forderung, die der Sozialdemokraten inDeutschland und in Europa . Wir haben uns immer dafüreingesetzt, dass das Parlament, der Deutsche Bundestag,und der Bundesrat darüber beraten und beschließen, undjetzt passiert es .
Ihre Aufregung über das, was Sie hier als „Hinterzim-merpolitik“ beschreiben, ist absolut unsinnig .
Sie desinformieren die Leute im Lande in einer Art undWeise, dass das Selbstverständnis dieses Parlamentes da-runter leidet .Der Bundesrat – das war Ihr Vorwurf an den Kollegen,liebe Frau Dröge – hat ein eigenes Selbstverständnis . Erwird sich zu Worte melden und ebenfalls darüber beratenund beschließen . Glauben Sie mir das . Wenn Sie einmalim Bundesrat gesessen haben,
dann wissen Sie, mit welchem Selbstverständnis die Da-men und Herren aus den Bundesländern dort arbeiten .Dazu brauchen sie keinen Hinweis von Ihnen .
Zur Geheimhaltung . Ich habe bisher nichts von Ge-heimhaltung gespürt . Die Punkte, die Sie beispielhaftvorgetragen haben, sind in den letzten Wochen und Mo-naten nachverhandelt worden . Gott sei Dank hat es einenRegierungswechsel in Kanada gegeben, der dazu beige-tragen hat, dass die Signale der Sozialdemokratie aus Eu-ropa aufgenommen worden sind .Zum Thema Vorsorgeprinzip . Ich sage es Ihnen ganzdeutlich: Es gilt . Daran wird gar nichts verändert . DasVorsorgeprinzip in Deutschland und in Europa gilt . Glau-ben Sie mir das . Wenn Sie mir das nicht glauben, dannsollten Sie sich daran orientieren, was von der Fachweltaktuell dazu geschrieben wird .
Zu den Investitionsgerichten . Wir sind weg von priva-ten Gerichten . Wir haben nachverhandelt und sie abge-schafft . Das ganze Thema ist inzwischen erledigt . WennSie der Bevölkerung immer wieder die alten Kamellen,die Sie sich irgendwann zurechtgelegt haben, präsentie-ren, wird das langsam langweilig und dröge .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Ab-kommen ist ein gutes Abkommen . Es geht darum, in derWeltwirtschaft gemeinsame Spielregeln zu schaffen . Ge-meinsame Spielregeln sind nämlich besser als gar kei-ne Regeln . Wenn wir kein Abkommen haben, haben wirkeine Regeln .
Dann wird die Situation schlechter sein als die, die wirerreichen könnten . Ich denke, wir wollen die wirtschaft-liche Globalisierung in der Welt politisch mitgestalten .Wer diesen Anspruch aufgibt, der sollte überlegen, sichaus diesem Parlament zu verabschieden .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sagen„Freihandel“, aber wir wollen dafür fortschrittliche Re-geln . Ich denke, die letzten Monate haben deutlich ge-zeigt, dass wir uns bei dem CETA-Abkommen auch inschwierigen Zeiten durchsetzen können . Dies ist einebeachtliche Leistung, die in den letzten Monaten auchdurch Druck aus Deutschland zustande gekommen ist .Die Initiativen, die von Sigmar Gabriel und anderen So-zialdemokraten in Europa gestartet worden sind, warenzielführend und haben dazu beigetragen, dass diese ge-meinsamen historischen Ziele, die wir in Europa haben,angestrebt werden und dass sich die Prinzipien von De-mokratie und Rechtsstaatlichkeit, von Freiheit, von so-zialer Marktwirtschaft, von Respekt vor Individuen indiesem Vertragstext wiederfinden.Ich glaube, dass uns die nächste Generation dafürdankbar sein wird, dass wir mit CETA eine solche Ori-entierung hinbekommen haben . Ob uns das mit TTIP ge-lingt, weiß ich nicht . Aber wir werden es erleben, wennwir uns mit diesem Thema auseinandersetzen werden .Katharina Dröge
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Wir wollen – auf diesen Punkt komme ich zurück –die Globalisierung gestalten . Unsere zentralen Anliegensind: Menschenrechte anerkennen, sozial-ökologischeStandards verankern, Europäerinnen und EuropäernZugang zum Jobmarkt in Kanada zu verschaffen undumgekehrt . Wir machen Schluss mit privaten Schieds-gerichten . Wir geben ein, denke ich, richtiges Signal indie Welt, was wir aus europäischer Sicht unter neuen undmodernen Handelsabkommen verstehen .Die Themen, die in diesem Handelsabkommen veran-kert sind, wie Gestaltung der Globalisierung, Investiti-onsschutz, aber auch die ILO-Kernarbeitsnormen, wer-den beachtet . Tun wir doch bitte nicht so und weisen mitdem Finger auf die angeblich so dummen Kanadier, dassdie die Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnormen nichtauf die Reihe bekommen . Der Mindestlohn gilt dort,glaube ich, seit 100 Jahren .
Daran möchte ich nur einmal erinnern . Die Kanadiersind in diesem Punkt schon viel weiter, als wir es nochbis vor ein paar Jahren waren . Als die deutschen Indus-triegewerkschaften noch darüber gestritten haben, ob sieden Mindestlohn haben wollten, hatten die Kanadier ihnschon .Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchtean dieser Stelle auch hinzufügen: Wir haben bei der Wirt-schaft gute Entwicklungen erreicht . Wir haben bei demThema Zolllinien gute Ergebnisse erzielt . Wir kommendazu, dass wir im Bereich der Exporte pro Jahr eine halbeMilliarde Euro einsparen können . Wir werden bei demThema Staatsunternehmen Regelungen bekommen undbei öffentlichen Aufträgen Zugang zu ungefähr 100 Mil-liarden kanadische Dollar Auftragsvolumen bekommen .Diese Chancen sollten wir nicht ausschlagen . Umgekehrtgilt das allerdings auch . Dabei wahren wir aber unsereindividuellen und auch gesellschaftlichen Rechte . „Rightto regulate“ gilt, aber für beide Seiten . Das, denke ich,müssen wir akzeptieren . Die Kanadier sind Demokraten,wir sind Demokraten . Daran sollten wir uns orientieren .Die Errungenschaften der Daseinsvorsorge, die wirhochhalten, werden in keiner Weise beeinträchtigt . Dasist eine Mär . Mit dieser Mär sollten wir endlich einmalSchluss machen . Sie sollten nicht immer diese falschenBehauptungen wie Fackeln vor sich hertragen und mitDesinformationen arbeiten . Machen Sie endlich Schlussmit solchen orientierungslosen Politikinhalten! Diesehelfen uns nicht weiter . Die Menschen wollen Orientie-rung und Klarheit . Aber was Sie mit manchen Redebei-trägen, aber auch mit manchen Veröffentlichungen errei-chen, ist genau das Gegenteil . Es tut mir leid, Ihnen dasins Stammbuch schreiben zu müssen .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion
Dr . Joachim Pfeiffer .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Heute ist es eine Aktuelle Stunde; sonst sind es reguläreDebatten, und auch in jeder Ausschusssitzung wird dasThema seit Jahren diskutiert .
Worum geht es? Kollege Beckmeyer, Michael Fuchsund andere Redner haben es gerade angesprochen . Esgeht um das bisher modernste Handels- und Investitions-schutzabkommen, das es weltweit gibt, zwischen der Eu-ropäischen Union und Kanada als einen ersten Schritt hinzu einem transatlantischen Binnenmarkt, dem nach unse-rem gemeinsamen Wunsch auch die USA folgen sollenund werden – wir haben hier im Deutschen Bundestagein entsprechendes Verhandlungsmandat erteilt –, unddas die Globalisierung gestaltet . Das ist unser Wunsch;das ist unser Ziel . Wenn wir das nicht tun, bleibt es nichtungeregelt: Dann werden es andere tun .Wir haben die historische Chance, die Globalisierungzu gestalten und Regeln zu finden, die Vorbildcharakterhaben und später für andere Abkommen mit China, mitASEAN-Staaten oder vielleicht sogar, was hoffentlichimmer noch unser gemeinsames Ziel ist, statt bilatera-len Abkommen multilaterale Abkommen im Rahmen derWTO zu erreichen . Ich hoffe, dass wir uns in dieser Fra-ge einig sind .Deshalb finde ich es, ehrlich gesagt, schade, dass wirauch heute – Kollege Beckmeyer hat es schon angespro-chen – wenig über inhaltliche Fragen sprechen, sondernnur über Verfahrensfragen, und dass reflexhaft Dinge wieParalleljustiz, Geheimhaltung, Verschwörungstheorienund Hinterzimmer aufgenommen werden . Das ist derPopanz, den Sie hier aufzubauen versuchen . Sie sagen,dass eine demokratische Legitimation dessen, was hiererarbeitet wurde, fehlt, verweigert wird oder was auchimmer .
Ich glaube, ehrlich gesagt, dass Sie mit dem, was Sie,insbesondere die Opposition, tun, der Demokratie in Eu-ropa einen Bärendienst erweisen .
Sie liefern nämlich diese Fragen dem politischen Popu-lismus und den Geschäftsmodellen der Empörungsindus-Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
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trie von Campact, Foodwatch und wie sie alle heißen ausund beteiligen sich auch noch daran .
Wir haben eine Arbeitsteilung .
In Handelsfragen gab es schon einmal zersplitterte Staa-ten in Deutschland . Dann wurden der Deutsche Zoll-verein und das Deutsche Reich gegründet, und es wur-de beschlossen, die Handelsfragen gemeinsam zu lösenstatt jeder für sich in Württemberg, Bayern und wie auchimmer die einzelnen Staaten früher hießen . Wir habendann einen Rechtsstaat mit einer föderalen Arbeitsteilungbekommen: Die Kommunen haben die Zuständigkeit fürdie örtlichen Belange . Die Länder haben die Zuständig-keit für Bildung, und der Bund hat die Zuständigkeiten,über die wir hier diskutieren .Im Zuge der europäischen Integration haben wirgesagt: Wir wollen bestimmte Bereiche an Europaübertragen, und zwar die Landwirtschaft, im Wettbe-werbsbereich Stahl und Kohle – schon früh – und auchKlimafragen . Für die Europäische Union verhandeltnicht Deutschland, sondern der EU-Kommissar bzw . dieEU-Kommissarin . So haben wir uns entschlossen, diesauch in Handelsfragen zu machen . Dem Vertrag von Lis-sabon – insofern sind die Linken halbwegs konsequent –haben Sie nicht zugestimmt .
Aber 92 Prozent der Grünen haben dem Vertrag vonLissabon zugestimmt . In den Artikeln 207 und 216 desVertrags von Lissabon sind genau diese Fragen geregelt .Wenn wir sagen: „Es gibt Dinge, die wir an Europaübertragen wollen“, und der Europäischen Union einMandat erteilen,
dann ist die Frage, wie wir damit umgehen . Was Sie jetztmachen, ist das Gegenteil dessen . Schön, dass Sie dasind, Herr Trittin . Ich habe mir nämlich die Mühe ge-macht, nachzulesen, wer damals was zum Lissabon-Ver-trag gesagt hat . Jürgen Trittin hat in der zweiten Lesungzum Lissabon-Vertrag am 24 . April 2008 Folgendes ge-sagt, dem ich eigentlich nichts hinzufügen kann:Wenn wir die Europaskepsis überwinden wollen,müssen wir mit dieser Politik, europäisch zu redenund national zu blockieren, aufhören .
Damit haben Sie vollkommen recht .Deshalb kann ich nur hoffen, dass wir in diesen zen-tralen europäischen Fragen zu der Aufgabenverteilung,die wir gemeinsam vorgenommen haben, stehen und unsnicht in die Büsche schlagen und mit vermeintlich klei-ner politischer Münze, die wir national daraus ziehen zukönnen meinen, dem billigen Populismus anheimgeben .Wo das endet, das haben wir vor zwei Wochen in Groß-britannien gesehen .
Enden müssen Sie auch .
Sie werden sehen, dass Sie das, was Sie hier sehen, im
Ergebnis nicht ernten wollen . Insofern kann ich nur alle
auffordern, diese Dinge in diesem Haus mit Maß und Ziel
in dem weiteren Verfahren, das wir haben, zu behandeln .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Pfeiffer . – Nächster Redner für die
Linke: Alexander Ulrich .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Pfeiffer, Sie haben es richtig beendet: Was sind dieSchlussfolgerungen aus dem Brexit in Großbritannien?Ich glaube, wenn es einer Schlussfolgerung bedarf, dannjener, dass dieses unsoziale und antidemokratische Euro-pa endlich beendet werden muss, deshalb müssen auchTTIP und CETA gestoppt werden .
Man hat ja wirklich den Eindruck, dass Herr Juncker denSchuss des Brexit nicht gehört hat . Wer nur wenige Tagenach dieser Entscheidung zum europäischen Rat geht unddort verkündet, das würde ein EU-only-Abkommen, derist als EU-Kommissionspräsident völlig fehl am Platz .
Ein Neustart Europas ist mit Juncker nicht möglich .Was wir auch sagen können, ist: Die „Stop TTIP undCETA“-Kampagne hat gestern einen ersten großen Er-folg erzielt . Deshalb kann man nur die vielen, vielenProteste beglückwünschen – 3,5 Millionen, die sich ander europäischen Bürgerinitiative beteiligt haben . Es istein erster großer Erfolg, dass die Nationalparlamente nunmitbestimmen können . Das ist ein großer Erfolg auf demWeg, TTIP und CETA zu Fall zu bringen . HerzlichenGlückwunsch an die außerparlamentarische Bewegung!
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Herr Pfeiffer, wenn Sie hier abwertend sagen, wasdiese Menschen für Sorgen haben – das tun Sie ja in je-der Rede –, dann sollten Sie sich auch einmal mit die-sen Argumenten beschäftigen . Warum gehen denn dieseMenschen auf die Straße? Weil sie Angst haben, dassunter dem Deckmantel freien Handels und scheinbarerArbeitsplätze Arbeitnehmerrechte abgebaut werden, Ver-braucherschutzstandards abgesenkt werden und die De-mokratie gefährdet wird . Dies alles treibt die Menschenum . Und ich bin beschämt, dass hier Parlamentarier sit-zen, denen es offensichtlich egal ist, was mit der Demo-kratie passiert . Solche Leute wie Sie, Herr Pfeiffer, undandere sind die Sargnägel dieser Europäischen Unionund der Menschen in diesem Land .
Aber auch wenn wir einen Zwischenerfolg haben, istder nächste Schritt schon wieder geplant; denn natürlichist schon das Nächste vorbereitet: dass man dieses Ab-kommen vorläufig anwenden will. Auch dazu sagen wirklipp und klar: Das lehnen wir als Linke ab . Herr Gabriel,Sie haben auch eine Stimme im Ministerrat . Wir erwartenvon Ihnen, dass Sie im Ministerrat deutlich sagen: Es gibtkeine vorläufige Anwendung, ohne dass dies die Natio-nalparlamente ratifiziert haben.
Wir brauchen keine Einschränkungen in diesen Berei-chen, deshalb muss die vorläufige Anwendung gestopptwerden .Ich glaube, Herr Gabriel, Sie haben jetzt auch einStück weit eine Verantwortung . Sie haben letzte Wochegroßartig gesagt, Sie wollen die progressiven Kräfte Eu-ropas wecken .
Wer die progressiven Kräfte Europas wecken will, darfTTIP und CETA nicht die Tür öffnen .
Wer die progressiven Kräfte Europas tatsächlich ver-einen will, muss Nein sagen zu TTIP und CETA, musssofort die Verhandlungen stoppen und möglicherweisedie Handelsabkommen fairer verhandeln als das, was inden Verträgen steht .
Herr Beckmeyer, ich weiß nicht, ob Sie nicht auch einwenig beschämt über Ihre Worte sind, als Sie vorhin zudem, was Abgeordnete der Grünen oder der Linken ge-sagt haben, sagten: Wer solche Argumente liefert, gehörtnicht in dieses Haus .
– Man kann es so verstehen . Er hat es so ausgedrückt . Siekönnen sich die Rede noch einmal durchlesen . – Ich willes noch einmal sagen: Ich glaube, es ist unsere Aufgabe,deutlich den Finger zu erheben, wenn durch die privatenSchiedsgerichte oder durch die Neufassung dessen, wiees jetzt ist, eine Paralleljustiz eingeführt wird, die es inZukunft verhindert, dass sozialer Fortschritt oder Fort-schritt im Verbraucherschutz noch möglich ist, ohne dassman verklagt wird .Es ist unsere Aufgabe im Parlament, den Finger zu he-ben . Deshalb gehören Sie vielleicht nicht in dieses Parla-ment, wenn Sie eine andere Auffassung haben .
– Die Wähler haben es entschieden .
Es wäre schön, wenn die Wählerinnen und Wähler inDeutschland über solche Verträge abstimmen könnten .
Ich bin mir sicher: Hätten wir eine Volksabstimmungüber TTIP und CETA, dann hätten wir das Thema schnellbeendet . Aber Sie haben Angst davor, die Wählerinnenund Wähler zu fragen . Wir glauben, dass gerade TTIPund CETA ein Beweis dafür sind, warum wir Volksab-stimmungen über solche Verträge brauchen . Dann wärenTTIP und CETA schnell erledigt .
Ich komme zum Schluss . Die „Stop TTIP und CETA“-Bewegung hat einen Zwischenerfolg zu ver-zeichnen, der nicht geringzuschätzen ist . Wir haben nundurch die Grünen und ihre Beteiligungen an Landesregie-rungen im Bundesrat die Chance, das Thema in Deutsch-land zu beenden . Wir rufen alle auf – auch in den anderenStaaten –, nun die Chancen zu nutzen . Aber wir müssenden Druck erhöhen, um die vorläufige Anwendung zuverhindern . Wir müssen weiterhin deutlich machen, wa-rum wir gegen diese Verträge sind . Am 17 . Septembergibt es wieder Großdemonstrationen in sieben deutschenStädten . Wir rufen dazu auf, sich daran zu beteiligen, da-mit Herr Gabriel zwei Tage später auf der Konferenz derSPD, die am 19. September stattfinden soll, sagen kann:Jawohl, wir haben verstanden . – Der Druck muss weitererhöht werden .Vielen Dank .
Vielen Dank, Alexander Ulrich . – Nächster Redner inder Debatte: Bernd Westphal für die SPD .
Alexander Ulrich
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit gestern ist klar: Die EU-Kommission be-
wertet in ihrem Beschlussvorschlag das CETA-Abkom-
men aus politischen Motiven als gemischtes Abkommen .
Kommissarin Malmström bleibt aber bei ihrer juristi-
schen Bewertung, dass CETA anders einzustufen sei . Wir
begrüßen die Entscheidung sehr, dass es sich um ein ge-
mischtes Abkommen handelt . Herr Kollege Ulrich, wenn
Sie das demokratisch gewählte Europaparlament als un-
demokratisch diffamieren, dann ist das keine vernünftige
Europapolitik .
Das Abkommen tritt nur in Kraft, wenn das Parlament zu-
stimmt . Das ist eine ganz normale demokratische Übung .
Im Übrigen haben wir immer dafür plädiert, dass es
sich um ein gemischtes Abkommen handelt . Der Ju-
ristische Dienst des Rates hat sich dieser Betrachtung
angeschlossen . Die Bewertung von EU-Kommissions-
präsident Jean-Claude Juncker war sicherlich in eini-
gen Phasen nicht hilfreich . Aber der politische Druck
der Bundesregierung und insbesondere unseres Wirt-
schaftsministers sowie einiger Parlamentarier und unse-
res Parlamentspräsidenten hat zu einem Einlenken der
Kommission geführt . Nun wird CETA als gemischtes
Abkommen nicht nur vom Ministerrat und vom EU-Par-
lament, sondern auch von allen nationalen Parlamenten
der Mitgliedstaaten – ebenso wie vom Bundesrat – rati-
fiziert. Nach der Vorlage der übersetzten Texte liegt nun
die Phase vor uns, die Texte zu prüfen .
Im Rahmen der Rechtsförmlichkeitsprüfung ist es ge-
lungen, die wesentlichen Elemente des EU-Vorschlags
für einen modernen Investitionsschutz in CETA festzu-
schreiben . Nach dem Freihandelsabkommen mit Vietnam
ist dies das zweite Abkommen, in dem die EU-Kommis-
sion einen modernen Investitionsschutz und Investitions-
gerichte vereinbaren konnte . Wir haben in engem Dialog
mit der Handelsministerin von Kanada, Madame Free-
land, über diese Themen diskutiert . Auch sie kommt zu
der Bewertung, dass wir mit den gefundenen Formulie-
rungen betreffend einen internationalen Handelsgerichts-
hof eine Modernisierung der Freihandelsabkommen er-
zielen können . Das ist eine gute Entwicklung .
Wir haben ein fortschrittliches Abkommen, weil
wir – das wollten wir immer – fairen Handel sowie die
Standards und Normen, die in Kanada und der EU gel-
ten, verankern können . Dieses Abkommen ist so wichtig,
weil wir damit eine Chance haben, die hohen Standards
von EU und Kanada als globale Richtschnur zu setzen .
Das kann man nur machen, wenn man sich an den Ver-
handlungstisch begibt und verhandelt . Deshalb sind For-
derungen, TTIP und CETA sofort zu stoppen, völliger
Blödsinn .
Wir müssen uns an den Tisch setzen und verhandeln . Nur
dann können wir etwas erreichen und verbessern .
Mit Kanada haben wir bisher kein Handelsabkommen
abgeschlossen, obwohl es zu unseren engsten Partnerlän-
dern weltweit gehört . Leider gab es viele Missverständ-
nisse, da zu wenig zwischen TTIP und CETA differenziert
wurde . Damit ist nun Schluss . Der deutsche Vertragstext
liegt in dieser Woche vor . Er ermöglicht es, eine Analy-
se und Bewertung vorzunehmen . Ich glaube ganz sicher,
dass wir es mit dem vorliegenden Text schaffen, einige
Mythen, die einige Politiker draußen in Diskussionen
verbreiten, zu entkräften .
Sigmar Gabriel hat Vorschläge unterbreitet, die in die
Kommissionsvorschläge eingeflossen sind. Ich bin ihm
ausdrücklich dankbar dafür, dass nun endlich mit gehei-
men, in Hinterzimmern stattfindenden Schiedsverfahren
Schluss ist und dass wir mit einem internationalen Han-
delsgerichtshof die Modernisierung der Handelsabkom-
men beschleunigen . Dafür sind wir ihm sehr dankbar .
Wir haben Standards im Umweltschutzbereich und im
Verbraucherschutz, wir haben die Möglichkeit, Arbeit-
nehmerrechte in Form von ILO-Kernarbeitsnormen zu
verankern . Selbst die kanadische Regierung hat letzten
Monat von den acht ILO-Kernarbeitsnormen das siebte
ratifiziert und macht sich auf den Weg, die Standards
zu erhöhen . Auch das Vorsorgeprinzip konnte verankert
werden . Frau Dröge, was Sie in Ihrer Rede zitiert haben,
sind vielleicht wissenschaftliche Gutachten, das steht
aber so nicht im Verhandlungstext .
Daher kann ich Ihnen empfehlen, wenn der Text diese
Woche vorliegt, genau das nachzulesen . Es ist dort ver-
ankert . Deshalb ist das eine wichtige Entwicklung, was
Freihandel angeht .
Fest steht jetzt: Mit der Vorlage des Textes können wir
viele Dinge beweisen und erklären . Wir können draußen
für mehr Transparenz in der Debatte sorgen . Bundestag
und Bundesrat können ihre Beteiligungsrechte wahrneh-
men . Die EU und Kanada haben die Chance, diese Stan-
dards weltweit als Orientierung für andere Abkommen
zu etablieren . Deshalb ist das ein gutes Zeichen .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Westphal . – Nächster Red-
ner: Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichwusste gar nicht, dass Uwe Beckmeyer so ein Ökologeist, dass er jetzt die Einführung der US-Stickstoffnormenfür Europa fordert . Wir können ihn dabei nur unterstüt-
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 2016 17943
(C)
(D)
zen und warten auf die entsprechende Gesetzesinitiativeder Bundesregierung .
Nur, das wird sie nicht tun . Damit sind wir bei demKern des Problems . Wenn man über Handelsabkommenredet und sich Handelsabkommen vorstellen würde, beidenen sich beide Seiten auf die höheren sozialen undökologischen Standards einigen würden, dann würdenSie aufseiten der Linken und der Grünen niemanden fin-den, der gegen ein solches Abkommen ist .
Aber darum geht es hier überhaupt nicht . Das, was Siehier praktizieren, ist nichts anderes, als dass Sie die Mög-lichkeiten der Bundesländer, der Kommunen, des Deut-schen Bundestags, des Europäischen Parlaments und derEuropäischen Kommission über ein ausgefeiltes Systemder regulatorischen Kooperation erschweren wollen . Siewollen die Standardsetzung künftig schwerer machen .Wer sich die einzelnen Regulierungen anschaut, der wirdsehr schnell sehen, wozu das führt, nämlich dazu, dassder Lobbydruck auf demokratisch gewählte Volksvertre-ter in den Kommunen, in den Bundesländern, im Bun-destag und im Europäischen Parlament erhöht wird . Dasist das Problem, und das ist übrigens das Problem, daswir in ganz Europa haben .
Aus diesem Grunde, weil dieses Abkommen so um-fassend eingreift, ist das ein gemischtes Abkommen . Ichhabe mich schon gewundert, Herr Pfeiffer: Jetzt sind wireinmal mit der Bundesregierung einer Meinung . Es istdie Auffassung der Bundesregierung, dass es sich umein gemischtes Abkommen handelt . Daran können auchallgemeine Ausführungen über den Lissaboner Vertragnichts ändern .Völlig klar im Lissaboner Vertrag geregelt – deswe-gen habe ich für seine Annahme hier plädiert – ist, dass,wenn in Kompetenzen nationaler oder subnationaler Ge-setzgebung eingegriffen wird, ein solches Abkommennicht nur von der Mehrheit des demokratisch gewähltenParlamentes, nicht nur von der qualifizierten Mehrheitdemokratisch gewählter Regierungen in Europa, sondernauch von den nationalen und gelegentlich regionalen Par-lamenten mit ratifiziert werden muss. Das ist die Rechts-lage . Ein guter Europäer sollte zu dieser Rechtslage ste-hen und das hier nicht verunklaren, wie Sie das gemachthaben .
Ich will aber anhand eines Punktes eine nachdenklicheAnmerkung über die Lesefähigkeit der Kollegen machen .Ja, das Vorsorgeprinzip steht drin, vorne in der Präambel .Ich glaube, es ist aus der Rio-Konvention übernommen .Aber schauen Sie sich einmal die einzelnen Fachkapitelan . Dort ist überall vom „wissenschaftsbasierten Ansatz“die Rede .
Das ist das Gegenteil von dem, was behauptet wordenist . In Richtung der Sozialdemokraten sage ich: Micherinnert das an den 18. Brumaire des Louis Bonaparte.Dessen Autor hat einmal geschrieben: Die Freiheit wirdin der Phrase beschrieben, und die Aufhebung der Frei-heit steht in der Fußnote . – Sie vertuschen, was in derFußnote steht .Der Unterschied zwischen dem wissenschaftsbasier-ten Ansatz und dem Vorsorgeprinzip ist ziemlich ein-fach – ich sage das für die auf der rechten Seite des Hau-ses, die es nicht wissen –: Beim wissenschaftsbasiertenAnsatz muss man am Ende nachweisen, ob irgendeineChemikalie Krebs erzeugt . Erst am Ende eines solchenProzesses wird sie verboten . – Ich rede nicht von Gly-phosat . Ich rede von den Zuständen, die in den 70er-Jah-ren des letzten Jahrhunderts zum Holzschutzmittelskan-dal geführt haben .
Dem haben wir gemeinsam ein Ende gesetzt, und seit-dem gilt in Deutschland das Vorsorgeprinzip . Das wollenwir nicht durch Handelsabkommen an dieser Stelle aus-hebeln lassen .
Letzte Bemerkungen . Auch ich habe mich gesternkurz gefreut, als ich gehört habe, dass die Kommissionihre Haltung zum Inkraftsetzen von CETA geändert hat .Nur, ich glaube, zur Freude besteht gar kein Anlass .
Die Kommission hat gesagt, was passiert, wenn sie aufihrer Rechtsposition beharrt: Dann passiert gar nichts .Sie will aber, dass dieses Abkommen schnell in Krafttritt . Also hat sie ihre vermeintlich sichere Rechtspositiongeräumt . Sie hat CETA zu einem gemischten Abkommenerklärt und setzt alles daran, dieses Abkommen, auch denInvestitionsteil, vor einer Ratifizierung vorläufig in Kraftzu setzen .
Wenn Sie, lieber Herr Ulrich, sagen, die hätten denSchuss nicht gehört: Die haben mehrere Schüsse nichtgehört . Die sind auch nicht willens, an dieser Stelle wei-tere Schüsse zu hören .Ich glaube, dass die Bundesregierung gut beratenwäre, an dieser Stelle klar zu sagen: Wir sind nicht be-reit, ein vorläufiges Inkraftsetzen dieses Abkommens, dieErrichtung neuer Hürden für demokratische Regulierungzu akzeptieren . – Wir sind der festen Überzeugung, dassdie Bundesregierung ein vorläufiges Inkraftsetzen im Ratablehnen muss . Wir sagen Ihnen auch: Wenn wir dahinkommen wollen, wohin Herr Beckmeyer wollte, dannbrauchen wir einen Neustart, nicht nur in Europa, son-Jürgen Trittin
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dern insbesondere auch in der Handelspolitik . Denn amEnde bleibt richtig: Nur fairer Handel ist freier Handel .
Vielen Dank, Jürgen Trittin . – Der nächste Redner:
Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Was wir hier erleben, ist sozusagen der Vorge-schmack auf die Debatten, die uns in den nächsten Mo-naten ereilen werden .
Die gestrige Entscheidung der Europäischen Kom-mission, CETA als gemischtes Abkommen zu behandeln,war schon überraschend; schließlich hat der Kommissi-onspräsident noch letzte Woche kraftvoll getönt, dass esüberhaupt keine Chance dafür gebe . Mittlerweile ist dererste Jubel hier im Saale verhallt . Wenn man die öffentli-che Meinung verfolgt, stellt man fest, dass ein Nachden-ken darüber einsetzt, ob sich die Entscheidung, die jetztunter gewissem politischen Druck getroffen worden ist,letztendlich im Sinne der europäischen Handelspolitikauszahlen wird .Diskutiert wird jetzt in 28 Parlamenten; das ist ersteinmal gut . Wir haben hier immer die Haltung vertreten,dass es dann, wenn ein Abkommen fertig ist, genügendRaum vorhanden ist, über die Inhalte zu diskutieren . Dasheißt nicht, dass wir an jedem Freitag einer Sitzungswo-che um 15 Uhr eine linke Debatte führen, in der wir im-mer wieder das Gleiche durchkauen .
Letzte Woche haben wir hier im Deutschen Bundes-tag eine Sondersitzung zum Brexit durchgeführt, also zurEntscheidung der Bürgerinnen und Bürger des Vereinig-ten Königreiches, dass ihr Land aus der EU austritt . Ge-rade die Grünen, die Linken, eigentlich alle haben davorgewarnt, den Populisten in Europa Raum zu geben undihnen auf den Leim zu gehen . Ich bin wirklich gespannt,wie diese Debatte verlaufen wird . Das, was von FrauDröge und von der linken Seite abgeliefert worden ist,geht genau in diese Richtung . Das heißt, es wird hier po-pulistischst mit einfachsten Parolen Angst gemacht .
Schauen Sie sich einmal die Webseiten der Organisa-tionen an, die vor allem den Grünen und den Linken na-hestehen, Campact zum Beispiel! Ich lese Ihnen einmalvor, was auf einer Webseite steht:Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern Campactund Foodwatch bringen wir CETA, das Handels-abkommen zwischen Kanada und der EU, vor dasBundesverfassungsgericht . Mit unserer Klage wol-len wir überprüfen lassen, ob die vorläufige Anwen-dung . . . mit dem Grundgesetz vereinbar sind . CETAist nicht nur demokratiepolitisch gefährlich, sondernauch verfassungsrechtlich bedenklich .
Weiter heißt es – jetzt kommt der entscheidende Satz –:Kippen wir CETA, dann ist wahrscheinlich auchTTIP erledigt .
Meine Damen und Herren, das ist der Geist .Wenn Sie dann einmal auf diesen Seiten nachfor-schen: „Wo sind eigentlich Argumente dafür? Was wirdeigentlich dazu geliefert, warum das so ist?“,
finden Sie gar nichts.
Sie finden nicht einmal ein paar Zeilen, in denen erklärtwird, was CETA ist, was eigentlich die Hauptinhaltesind . Nichts! Das ist der blanke Populismus, meine Da-men und Herren .
Das hat in Großbritannien zum Erfolg der Populistengeführt . Das Geschrei ist jetzt überall groß . Man kannnur davor warnen, hier in Deutschland so eine Diskussi-on über die Handelsabkommen zu führen .
Es hat niemand etwas dagegen, dass man sich mit Ar-gumenten auseinandersetzt . Aber, Herr Ernst, ich habevon Ihnen kein einziges Argument gehört – nur die übli-chen Parolen . Frau Dröge, bei Ihnen ist genau das Glei-che .
Sie erzählen das schon seit Jahren . Sie haben einfach ig-noriert, dass es in den ganzen Verfahren bereits Fortschrit-te gegeben hat . Sie ignorieren das, weil Sie überhauptnicht darüber diskutieren wollen, weil Sie überhaupt kei-ne Aufklärung der Menschen wollen . Sie schüren ganzeinfach Angst, und das werden Sie auch weiter betreiben .
Das Ergebnis könnte sein, dass die EU in ihrer Han-delspolitik völlig unbeweglich wird, dass keine internati-onalen Abkommen mehr zustande kommen
Jürgen Trittin
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und dass sich die Welt fragt: Was ist denn eigentlich dieseEU noch? Kann man mit denen überhaupt noch reden?Hat es überhaupt Sinn, in Verhandlungen einzutreten,wenn in 28 Parlamenten letztendlich die Dinge zerredetwerden? Das ist eine ganz grundsätzliche Frage, und esist eine ganz grundsätzliche Verantwortung, die wir Poli-tiker hier im Deutschen Bundestag jetzt tragen . Das solltejede Partei für sich einmal diskutieren .Ich glaube, an dieser Diskussion über CETA wird sichentscheiden, ob wir in der Lage sind, die Dinge den Men-schen wirklich nahezubringen, aber mit Argumenten undnicht mit Parolen .
Ich kann nur eine Überschrift aus einer Zeitung von heutezitieren: „Mitsprache nach Stimmungslage“ – Fragezei-chen . Die Zukunft wird zeigen, ob die Zeitung recht hat .Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Lämmel . – Nächster Redner: Klaus
Barthel für die SPD .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wir wären nicht hier, um zudiskutieren, wenn wir diese Abkommen, auch CETA, umdas es heute gehen soll, nicht auch differenziert betrach-ten würden . Das fehlt mir in der Debatte etwas . Die einenwerben mit großem Einsatz dafür, und die anderen ar-gumentieren dagegen; die Argumente sind ganz wider-sprüchlich .Auch bei uns in der Sozialdemokratie und in der Ge-werkschaftsbewegung gibt es erhebliche Bedenken ge-gen bestimmte Formulierungen, die darin enthalten sind .Wir haben jetzt die Möglichkeit, weil wir endlich einedeutsche Fassung haben, uns gründlich damit zu beschäf-tigen, was es zum Beispiel auf sich hat mit gerechter undbilliger Behandlung – „fair and equitable treatment“ –,mit legitimen Erwartungen von Investoren, mit legitimenPolitikzielen, was vom „right to regulate“ übrig bleibt,warum man in so einem Abkommen überhaupt braucht,was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist . Wir wer-den hinterfragen, wie es sein kann, dass Investorenrechtemit Schiedsgerichtbarkeit geschützt werden, während esmit der Durchsetzung von Umweltstandards, Arbeitneh-merrechten und Nachhaltigkeit so schwierig ist . Wir wer-den den Negativlistenansatz hinterfragen, dass es näm-lich heißt „Liberalisierung generell“ und dann Hundertevon Seiten mit Ausnahmen kommen .Also, Diskussionsbedarf gibt es da genug, und wirsollten uns jetzt dieser inhaltlichen Debatte stellen undwirklich schauen, was darin steht . Dazu haben wir jetztgenügend Gelegenheit . Deswegen will ich das Verfahrennoch einmal deutlich machen; denn hier werden tatsäch-lich Popanze aufgebaut, die der Sache nicht gerecht wer-den .Wir haben heute im Wirtschaftsausschuss diskutiert,wie das alles weitergeht . Es ist deutlich geworden, dasssich der Deutsche Bundestag in einem zweistufigenVerfahren damit befassen wird, nämlich einmal vor derBefassung durch die Europäischen Räte und durch dasEuropäische Parlament . Die Bundesregierung hat hier zuProtokoll gegeben – ich will das zitieren –:Die Bundeskanzlerin und Bundesminister Gabrielhaben deutlich gemacht, dass ein Votum des Bun-destags vor der Beschlussfassung im Rat aus Sichtder Bundesregierung wünschenswert wäre . DieBundesregierung wird dem Bundestag eine Stel-lungnahme ermöglichen, indem sie ihn gemäß ihrergesetzlichen Verpflichtungen– das ist Artikel 23 Grundgesetz –weiter frühestmöglich und fortlaufend über die Be-ratungen zu CETA und den weiteren Zeitplan un-terrichtet . Die Ausgestaltung der parlamentarischenBefassung mit CETA liegt in der Organisationsho-heit des Deutschen Bundestags und kann nichtdurch die Bundesregierung festgelegt werden .Deswegen haben wir heute im Wirtschaftsausschussnoch einmal eine Anhörung beschlossen, und wir werdendann in den Gremien, in den verschiedenen Ausschüs-sen und sicherlich auch im Plenum beraten, bevor es zuEntscheidungen auf europäischer Ebene kommt . Wer dasnoch einmal nachlesen will, findet in Artikel 23 Absatz 2und 3 des Grundgesetzes, welche Rechte der Bundestaghier hat . Dazu braucht man hier keinen Popanz – von we-gen Geheimnistuerei, am Parlament vorbei usw . – aufzu-bauen . Das ist alles ganz transparent . Deswegen: HörenSie endlich damit auf, und diskutieren Sie über den In-halt!Wir sagen aber auch dazu, dass es rechtliche Regelun-gen gibt, die eben auf europäischer Ebene zu entscheidensind . Wir müssen damit aufhören, so zu tun, als wäre dasEuropäische Parlament keine demokratisch legitimierteVeranstaltung .
Die haben darüber zu entscheiden . So ist es nun einmal .Dafür werden sie gewählt . Das kann man nicht dadurchentwerten, dass man ständig so tut, als wären nur wir hierdemokratisch legitimiert und könnten dazu irgendetwasentscheiden .Die zweite Stufe wird dann nach der Entscheidung dereuropäischen Gremien ein Ratifizierungsgesetz sein, dasdie Bundesregierung dem Parlament vorlegt . Wir habendafür gesorgt, dass es ein solches Verfahren gibt und dasssich hiermit der Deutsche Bundestag und auch der Bun-desrat sorgfältig befassen können .Andreas G. Lämmel
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Ich will aber auch sagen: Wir machen das nicht alsSelbstzweck . Ich glaube, man kann schon sehen, dasssich dort auch etwas bewegt hat . Es ist eben nicht mehr –mit Verlaub, Kollege Fuchs – dieselbe Fassung des Ver-trags wie im November 2014, sondern da hat es wesentli-che Veränderungen gegeben . Das ist ein Riesenerfolg auseinem gesellschaftlichen und demokratischen Beratungs-prozess heraus . Den sollten wir nicht einfach unter denTisch fallen lassen .
Zu den Schiedsgerichten ist ja schon gesagt worden,dass es keine privaten Schiedsgerichte mehr gibt . Abereinen Punkt will ich schon noch erwähnen: Ich glaubenicht, dass jetzt in Kanada Gesetzgebungsverfahren lau-fen würden, die ILO-Kernarbeitsnormen umzusetzen –Verbot von Kinderarbeit und volle Wiederherstellung derGewerkschaftsrechte gegenüber den Anschlägen, die diekonservative Regierung gegen die Gewerkschaften inKanada gemacht hat –, wenn es nicht den Druck aus die-sen Verhandlungen über CETA und über internationaleHandelsverträge gäbe .
Ich glaube, auf diesem Weg muss man weitergehen .Und da sind solche Verträge, solche Fair-Handelsver-träge, wie wir sie anstreben, ein Weg, um internationalvorwärtszukommen . Wer diesen Weg nicht beschreitenwill, vergibt eine riesige Chance bei der Gestaltung derGlobalisierung .Danke, Frau Präsidentin .
Bitte, Herr Kollege . Danke schön, Klaus Barthel .
Der nächste Redner ist Hansjörg Durz für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Die EU-Kommission hat am gestrigen Tag zweifelloseine wichtige und bemerkenswerte Entscheidung ge-fällt . Nach dem Vertrag von Lissabon – Kollege Pfeifferhat vorhin darauf hingewiesen – war die Kommissionermächtigt, das Freihandelsabkommen mit Kanada zuverhandeln, und wurde dazu mit einem starken Mandatdurch die Mitgliedstaaten ausgestattet . Nun haben wirseit einiger Zeit das Verhandlungsergebnis vorliegen . InKürze wird uns die deutsche Übersetzung vorgelegt wer-den, und in den nächsten Monaten wird sich der Bundes-tag mit dem Text auseinandersetzen .Ganz unabhängig von der rechtlichen Frage, ob es sichbei CETA um ein gemischtes oder um ein EU-only-Ab-kommen handelt – diese Auseinandersetzung und inten-sive Befassung des Deutschen Bundestages wäre ohne-hin erfolgt und dringend notwendig, einerseits wegenunserer Beteiligungsgesetze und andererseits, weil wir eszum Teil mit einer zutiefst verunsicherten Bevölkerungzu tun haben, deren Verunsicherung in hohem Maße aufFehlinformationen und Vorurteilen beruht .
Daher halte ich es neben der nun geklärten rechtli-chen Frage vor allem für politisch zwingend erforderlich,den Bürgerinnen und Bürgern in unserer Eigenschaft alsVolksvertreter zu erklären, warum es als BundesrepublikDeutschland sinnvoll und in unserem ureigenen Interesseist, für freien Handel einzutreten .
Würden wir nicht so verfahren, würden wir die intensiveöffentliche Debatte einfach ignorieren und damit genaujenen Vorurteilen Vorschub leisten, die einer technokrati-schen Entrücktheit und Bürgerferne der politischen Klas-se das Wort reden .Stattdessen lohnt es sich, nach dem, was mir bisherbekannt ist, sich für den Abschluss des Abkommens of-fensiv einzusetzen . Wir müssen den Bürgerinnen undBürgern die Verunsicherung nehmen und verdeutlichen:Wir haben es bei CETA mit einem guten Verhandlungser-gebnis zu tun . Das müssen wir erklären, und das könnenwir auch erklären .
Ich möchte drei Beispiele herausgreifen, um zu ver-deutlichen, was bei CETA erreicht werden konnte; es istzum Teil schon erwähnt worden .Erstens . Die EU hat sich mit Kanada darauf geeinigt,technische Handelshemmnisse abzubauen, die den ge-genseitigen Handel behindern . Der Mechanismus zurgegenseitigen Konformitätsbewertung wird bestehendetechnische Handelsbarrieren abbauen . Vor allem klei-ne und mittelständische Unternehmen werden von derneuen Regelung profitieren und leichter auf dem kana-dischen Markt Fuß fassen . Ausfuhrabgaben oder sonsti-ge Beschränkungen werden zudem untersagt . Besondersunsere Elektroindustrie und der Maschinenbau werdenvon CETA profitieren.
Zweitens . CETA stellt den Schutz der öffentlichenDienstleistungen und damit der Daseinsvorsorge sicher .Die öffentliche Versorgung mit Wasser, Energie, Bildungoder Gesundheitsleistungen liegt weiterhin in der Handder Mitgliedstaaten . CETA schränkt die EU und ihre Mit-gliedstaaten nicht darin ein, Maßnahmen im öffentlichenInteresse zu ergreifen . CETA beinhaltet zudem keineVerpflichtung zur Privatisierung öffentlicher Dienstleis-tungen; auch Rekommunalisierungen sind mit CETAweiterhin möglich .
Drittens . Es ist gelungen, mit Kanada eine Einigungauf ein reformiertes System zur Beilegung von Investi-tionsstreitigkeiten zu erzielen; das ist schon mehrfachangeklungen . Es handelt sich eben nicht um die altenKlaus Barthel
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Schiedsgerichte, sondern um ein sehr innovatives Kon-zept . Private Schiedsgerichte gehören damit der Vergan-genheit an .Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Freihan-del ist gerade für Deutschland von überragender Bedeu-tung . Ein Blick auf die einschlägigen Statistiken verdeut-licht dies . Sie zeigen, in welch hohem Maße die deutscheWirtschaft exportorientiert und damit auch exportabhän-gig ist . Schon der Aufstieg der deutschen Wirtschaft vorbald 200 Jahren war untrennbar mit der Schaffung vonFreihandelszonen und Zollunionen verbunden . Gleichesgalt später für die Wirtschafts- und Währungsunion, undheute hängt jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland amExport .Nun stehen wir an der Schwelle zu einem neuen Zeit-alter . Die globalen Kräfteverhältnisse werden neu be-stimmt . Neue Akteure formieren sich, und neue Allianzenwerden gebildet . Welches Gewicht hat die EU gegenüberLändern wie China und Indien in Zukunft? Von den Kri-tikern des Abkommens höre ich dazu keine konstrukti-ven Vorschläge . Wir müssen unsere Handelsbeziehungenausweiten und pflegen, um langfristig wettbewerbsfähigzu bleiben . Eine Exportnation braucht Märkte .Das Freihandelsabkommen mit Kanada ist eine gro-ße Chance für Deutschland wie die gesamte EU, sichin diesem Geflecht neu zu positionieren. CETA bildetdafür einen modernen Rahmen, um unsere hohen euro-päischen Standards zu Weltstandards auszuweiten . MitCETA können wir weltweit neue Maßstäbe für Freihan-delsabkommen setzen . Wir müssen und wir werden unsin den nächsten Monaten sachlich mit den tatsächlichenInhalten von CETA auseinandersetzen, und dabei werdenwir unsere Bevölkerung mitnehmen und verdeutlichen,weshalb es eine gute Idee ist, auf Freihandel zwischenEuropa und Kanada zu setzen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Hansjörg Durz . – Der nächste Redner:
Dirk Wiese für die SPD .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich glaube, als wir in der vergangenen Wochedas Statement von Jean-Claude Juncker in Brüssel gehörthaben, ist der eine oder andere fassungslos geworden .Man muss das einmal deutlich sagen . Ich habe gedacht,dass die Zeiten von Karel De Gucht in Brüssel der Ver-gangenheit angehören, aber diese Aussage hat der ganzenDebatte Schaden zugefügt . Ich bin Sigmar Gabriel dank-bar, dass er umgehend reagiert hat und deutlich gemachthat, dass dieses Verhalten nichts anderes als töricht warund nicht hinnehmbar gewesen ist .
Ich will auf die Pressekonferenz von Cecilia Malmström eingehen, die sie am gestrigen Tage gehaltenhat . Wir haben uns alle darüber gefreut, dass sie die Ab-kehr von der ursprünglichen Äußerung von Jean-ClaudeJuncker deutlich gemacht hat, dass es sich um ein ge-mischtes Abkommen handelt . Allerdings hat Malmströmin einem Punkt unrecht . Sie hat gesagt: Rechtlich ist esein EU-only-Abkommen, aber aus politischen Gründenwürde sie ein gemischtes Abkommen vorlegen . – Nein,Frau Malmström, das ist falsch . Es ist auch rechtlich ein-deutig ein gemischtes Abkommen .
Das hat die Rechtsauffassung des Juristischen Diens-tes bestätigt, das haben Gutachter für das Bundeswirt-schaftsministerium bestätigt und das haben auch Ver-treter der EU-Kommission in Anhörungen bestätigt, diewir im Wirtschaftsausschuss bereits durchgeführt haben .Ich will auch deutlich machen: Es gibt ein VerfahrenEU-Singapur, wo diese Frage geklärt werden soll . Die-ses Verfahren – das hat Cecilia Malmström eindeutig imWirtschaftsausschuss gesagt – hat keinen Einfluss aufirgendwelche Einstufungen der Zuständigkeiten im Rah-men EU-Kanada . Egal wie der EuGH im nächsten Jahrin dieser Frage entscheidet: Das Abkommen EU-Kanadaist ein gemischtes Abkommen . Diese Position ist auchrechtlich fundiert .
Ich war auch ein bisschen erstaunt, Herr Pfeiffer – hiermuss ich Sie heute kritisieren –, dass Sie letzte Wocheentgegen allem juristischen Sachverstand gesagt haben,dass Juncker recht habe . Das ist falsch . Ich hoffe, dassSie diese Position noch einmal überdacht haben .
Das hat sich heute an der einen oder anderen Stelle nocheinmal dargestellt .Wir als Bundestag werden uns jedenfalls die Zeitnehmen, diesen Prozess zu begleiten, zu entscheiden, zuberaten . Das halte ich auch für richtig . Für die SPD-Bun-destagsfraktion will ich noch einmal deutlich machen:Was ist, wenn wir zur Frage des vorläufigen Inkrafttre-tens kommen? Darum spielt das gemischte Abkommeneine so wichtige Rolle . Die Zuständigkeiten, die in diemitgliedstaatliche Kompetenz fallen, können nicht vor-läufig in Kraft treten. Zu diesen Punkten gehören ein-deutig die Regelungen des gesamten Investitionsschutz-kapitels, weil es eine Differenzierung gibt zwischenPortfolioinvestitionen und Direktinvestitionen . Hier sindmitgliedstaatliche Kompetenzen berührt . Darum wird beieinem vorläufigen Inkrafttreten, wenn es im Herbst dazukommen sollte, die Schiedsgerichtsbarkeit nicht davonbetroffen sein. Sie wird nicht vorläufig in Kraft treten.Bis sie in Kraft tritt, bedarf es einer Entscheidung desDeutschen Bundestages, also von uns allen . Darauf wer-den wir auch hinarbeiten .
Hansjörg Durz
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Ich bin ein bisschen erstaunt darüber – ich habe gesterndie Presselandschaft interessiert verfolgt und geschaut,wer sich alles geäußert hat –, wo die Stellungnahmen deshessischen Wirtschaftsministers Tarek Al-Wazir und desbaden-württembergischen Ministerpräsidenten WinfriedKretschmann sind .
Schweigen im Walde . Ich verstehe auch nicht die Positi-on der Grünen, die hier vorgetragen wurde . Alle, die sichfür die Spitzenkandidatur der Grünen bewerben, habensich hier geäußert . Aber warum haben Sie denn nicht aufdie Anfragen von Campact reagiert? Warum schweigenSie denn? Warum beantworten Sie die Fragen von Cam-pact nicht, wenn Sie als Grüne vermeintlich eine klareHaltung haben? Nein zu CETA . Nein, das ist bei Ihnennicht der Fall . Sie haben gar keine klare Haltung zu die-sem Abkommen, weil Ihre Länderminister im Bundesratzustimmen werden .
Der zweite Punkt, der mich gerade sprachlos gemachthat: Herr Trittin, ich weiß nicht, ob Sie jetzt auch IhrenHut in den Ring werfen für die grüne Spitzenkandidatur .Sie haben davon gesprochen, dass die regulatorische Ko-operation im CETA-Abkommen dazu führt, dass Stan-dards abgesenkt werden . Jetzt, wo wir den deutschen Texthaben und man kein Gutachten mehr lesen muss, das dieeigene Meinung bestätigt, können wir am Text arbeiten .Die regulatorische Kooperation im CETA-Abkommenist auf rein freiwilliger Basis . Die Amerikaner würdenniemals unterschreiben, was in diesem Abkommen steht .Wenn es um die Frage der Standards geht, dann geht es indiesem Punkt nicht um die Frage der Standardabsenkung;denn Sie haben Umweltstandards abgesprochen . Darumgeht es an diesem Punkt nicht . Ich bin auch erstaunt, dassSie heute Ihre Stimme erheben . Ich habe gerade einmalnachgeschaut . Als Sie Bundesumweltminister gewesensind, sind Handelsabkommen mit Chile, Ägypten, Jor-danien, Mazedonien, Mexiko, Marokko und San Marinoabgeschlossen worden . Sie haben nie etwas gesagt . Ichglaube nicht, dass in diesen Ländern die Standards durchdiese Abkommen gestiegen sind . Darum sollten Sie viel-leicht an der einen oder anderen Stelle mal überlegen,warum man sich heute so äußert, wenn man damals an-ders gehandelt hat .
Ich nehme die Anregung von Frau Dröge sehr gerneauf . Ich hoffe, dass Sie dann beim nächsten Mal einensachlichen Beitrag zum Text leisten und nicht wieder dasÜbliche sagen, was Sie in allen Versammlungen sagen .Zum Abschluss müssen wir feststellen, dass wir zweiGrundsätze in den Debatten der nächsten Monate nichtauflösen können. Der erste Grundsatz: Zwei Juristen,drei Meinungen . Zweiter Grundsatz: Wir bekommenmorgens ein Gutachten auf den Tisch, das besagt: „Linksabbiegen!“, und nachmittags sagt ein anderes Gutachten:„Rechts abbiegen!“ .
Das werden wir nicht auflösen können.Trotzdem freue ich mich auf die intensive Debatteüber den deutschen Text in den nächsten Wochen undMonaten . Ich hoffe, dass Sie dann auch einmal inhaltlichdazu reden werden .Vielen Dank .
Vielen Dank, Dirk Wiese . – Der letzte Redner in der
Aktuellen Stunde: Dr . Matthias Heider für die CDU/
CSU-Fraktion .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Als letzter Rednerin der Aktuellen Stunde hat man immer die Gelegen-heit, Revue passieren zu lassen, worum es eigentlichging . Weil die Opposition bis gestern noch der Annahmewar, dass der Bundestag an der Abstimmung über das CETA-Abkommen nicht beteiligt werden würde,
haben die Linken diese Aktuelle Stunde beantragt . Daswar heute falsch, das war gestern falsch, und das warauch in der letzten Woche schon falsch .
Denn die Bundeskanzlerin hat schon in der letzten Wo-che eindeutig gesagt, dass sie ein Votum des Bundestagesüber CETA einholen möchte, und das noch bevor der Ratim Herbst über CETA entscheidet .
Seit gestern wissen wir, dass die EU-KommissionCETA als ein gemischtes Abkommen behandelt . Das istfür Juristen jetzt nicht so ganz überraschend, wenngleiches da auch die ein oder andere abweichende Rechtsmei-nung geben mag . Man könnte annehmen, liebe Oppo-sition, Kollege Ernst von den Linken, damit wären Siejetzt zufriedengestellt – Thema erledigt . Aber nein, jetztkochen Sie das nächste Thema hoch:
die vorläufige Anwendbarkeit dieses Abkommens.
Ich will Ihnen an dieser Stelle einmal sagen, auch an-gesichts der fragwürdigen Anmerkungen des KollegenUlrich zu den Aufgaben frei gewählter Abgeordneter:Dirk Wiese
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Was Sie hier heute im Deutschen Bundestag mit der vonIhnen beantragten Aktuellen Stunde machen, das ist eherwie im Schnellrestaurant – reingehen, irgendetwas be-stellen, zweimal fünf Minuten kurz Dampf ablassen unddann rausgehen und draußen schlecht über das Essen re-den . Genau so ist es .
„Draußen schlecht über das Essen reden“ bedeutet: Sieverunsichern die Bürger .
Sie versuchen, die Chancen der deutschen Landwirt-schaft, der deutschen Industrie und des deutschen Hand-werks zu beschädigen .
Sie versuchen – das ist mir besonders wichtig –, Europaauseinanderzudividieren . Das ist das Problem .
Was verbirgt sich jetzt eigentlich hinter dem Themader vorläufigen Anwendbarkeit? Nichts anderes als et-was, was bei Abkommen der EU mit Drittstaaten gängigePraxis ist .
Die vorläufige Anwendbarkeit eines Abkommens be-deutet, dass die Teile eines Abkommens, für die die EUoriginär zuständig ist, bereits vor der Entscheidung überdas Abkommen durch die Mitgliedstaaten angewendetwerden können . Das ist geltendes Recht des LissabonerVertrages, den Sie ja ablehnen; Artikel 218 Absatz 5 soll-ten Sie trotzdem mal nachlesen .Ein demokratisches Problem – so haben Sie es darge-stellt – sehe ich dabei nicht; denn die Möglichkeit, einAbkommen für vorläufig anwendbar zu erklären, ist soin diesem Vertrag geregelt . Wir Parlamentarier habendie Möglichkeit, dazu im Herbst Stellung zu nehmen .Wir werden hier im Deutschen Bundestag noch vor demRatsbeschluss im Herbst einen Antrag zu CETA und zurvorläufigen Anwendbarkeit beschließen. Damit gebenwir der Regierung unsere Vorstellungen vom Abkommenmit auf den Weg. Zusammen mit dem Ratifizierungsver-fahren bedeutet das sogar eine doppelte parlamentarischeBefassung unseres Hauses. Zudem wird die vorläufigeAnwendbarkeit natürlich auch vom Europäischen Parla-ment beschlossen, also gleich dreimal . Und dann sagenSie noch mal, das Verfahren bei CETA wäre nicht parla-mentarisch legitimiert . Das nimmt Ihnen doch keiner ab .
Egal wie über die juristischen Fragestellungen entschie-den wird, wir Parlamentarier werden die Möglichkeit ha-ben, uns für dieses Abkommen auszusprechen . Das istauch richtig .CETA ist ein gutes Abkommen . Es wird in Deutsch-land und in Europa zu wirtschaftlichem Wachstum, zuBeschäftigung und zu sinkenden Preisen führen . Es wirdArbeitsplätze sichern, und es wird vor allen Dingen diepartnerschaftliche Zusammenarbeit mit Kanada weiterfördern . Wenn CETA erfolgreich abgeschlossen ist, dannfallen Zölle, es fallen nichttarifäre Handelshemmnisse,und der Marktzugang für kleine und mittlere Unterneh-men wird dadurch stark verbessert .Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kanada und Europaverbindet mehr . Uns verbinden gemeinsame Werte; ichsage das mit Blick auf die etwas antiamerikanischen Hal-tungen, die gerade durchschimmerten .
Auch politisch setzen wir ein richtiges Signal . Wir bün-deln unsere Märkte und setzen damit auf gemeinsameStandards für die Zukunft . Lassen Sie uns deshalb da-für eintreten, dass CETA erfolgreich verabschiedet wird .Lassen Sie uns der Bundesregierung im Herbst ein Jamit auf den Weg geben . Lassen Sie uns vor allen Dingendafür sorgen, dass etwas Positives für Deutschland undfür Kanada entsteht und dass Europa mit einer Stimmespricht .Vielen Dank .
Vielen Dank, Dr . Heider . – Damit ist die AktuelleStunde beendet .Ich darf die Kolleginnen und Kollegen bitten, für dennächsten Tagesordnungspunkt, den ich jetzt aufrufe, diePlätze einzunehmen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-gelung des MutterschutzrechtsDrucksache 18/8963Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Erste Rednerin ist ManuelaSchwesig für die Bundesregierung .
Dr. Matthias Heider
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Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Ich freue mich, dass wir vorder parlamentarischen Sommerpause den Entwurf einesGesetzes zur Reform des Mutterschutzrechts beraten .Diese Reform ist wichtig . Wir wollen den Mutterschutzstärken . Wir wollen werdende Mütter und Mütter, die esgerade geworden sind, besser schützen . Wir wollen denMutterschutz ausweiten, verbessern, und wir wollen ihnauch modernisieren; denn das Mutterschutzgesetz ist ausdem Jahr 1952, und seit 1952 hat sich die Arbeitsweltnatürlich massiv verändert . Deshalb ist es wichtig, aufdie neuen Bedingungen Rücksicht zu nehmen .Mir sind drei Punkte bei diesem Gesetz besonderswichtig .Erstens . Wir verbessern den Mutterschutz für Müttermit Kindern mit Behinderung . Sie werden zukünftig län-ger Mutterschutz beanspruchen können . Ich glaube, wirsind uns alle einig, dass eine solche Situation eine be-sondere Herausforderung darstellt . Es ist daher gut, dassMütter mehr Schutz erhalten .Zweitens . Zukünftig können auch Studentinnen undPraktikantinnen, die bisher nicht von diesem Gesetz pro-fitiert haben, Mutterschutz in Anspruch nehmen. Das istfür diese Frauen ebenso wichtig wie für andere .Drittens. Wir wollen Regeln finden, die verhindern,dass Frauen, wie das derzeit der Fall ist, Arbeitsverbo-te auferlegt bekommen, die sie eigentlich nicht wollen .Gleichzeitig müssen wir dafür Sorge tragen, dass Locke-rungen nicht ausgenutzt werden .Ich möchte ein Beispiel aus dem Gesundheitswesennennen . Immer mehr Frauen, die im Gesundheitsbereicharbeiten, gerade junge Ärztinnen, sagen: Kaum bin ichschwanger, bekomme ich ein Arbeitsverbot, und das willich gar nicht . Deshalb sollen Arbeitgeber zukünftig vielgenauer die Situation betrachten und gemeinsam mit derFrau beraten: Was ist denn die konkrete Gefährdungs-situation? Kann man sie beseitigen? Wie kann man dasregeln? Wir wollen nicht, dass Frauen durch ein Gesetzeingeengt werden, aber wir wollen, dass der Schutz auchweiterhin gewährleistet wird .Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich hat-te das große Glück, in den letzten Monaten selbst nocheinmal im Mutterschutz zu sein . Ich habe wieder erlebt,wie wichtig die Zeit ist, bevor das Kind zur Welt kommt,aber insbesondere, wie wichtig es ist, dass man, wenn dasKind da ist, gemeinsame Zeit hat . Dieser Schutz dientder Mutter, aber insbesondere natürlich zunächst demungeborenen und dann dem neugeborenen Leben . Esist eine große Errungenschaft, dass dieses Gesetz 1952eingeführt worden ist . Deshalb ist es wichtig, dass wiram Mutterschutz festhalten und jetzt den Mutterschutzweiter verbessern .Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungenund hoffe, dass wir dieses Gesetz zügig verabschiedenkönnen, damit die zukünftigen Mütter in unserem Land –es werden ja zum Glück immer mehr Kinder geboren;auch das ist eine gute Nachricht – noch mehr Schutz be-kommen .Zum Abschluss möchte ich mich ganz persönlich da-für bedanken, dass Sie alle es unterstützt haben, dass ichals Ministerin eine persönliche Auszeit nehmen konnte .Das ist im politischen Betrieb nicht selbstverständlich .Selbst von der Opposition – ich darf an dieser Stelle FrauDr . Brantner erwähnen – gab es öffentlich positive Rü-ckendeckung in der Form, dass sie gesagt hat, dass esrichtig ist, dass die Familienministerin im MutterschutzAnrecht auf eine Auszeit hat und sich nicht zu Wort mel-den muss . Das fand ich sehr positiv . Ich glaube, es istwichtig, dass wir Politiker nicht nur über die Dinge re-den, sondern sie auch gemeinsam tun . In diesem Sinnesei es mir erlaubt, zum Schluss dieses persönliche Dan-keschön auch für meine Mutterschutzzeit zu sagen .
Vielen Dank, Manuela Schwesig . – Nächste Rednerin:
Sabine Zimmermann für die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll – dassagt zumindest die Bundesregierung – der bestmöglicheGesundheitsschutz für schwangere und stillende Frauengewährleistet werden . Sagen Sie einmal, meine Damenund Herren von der Regierung, und auch Sie, Frau Mi-nisterin Schwesig, meinen Sie das wirklich ernst? Ichhabe da so meine Zweifel . Ich will Ihnen auch erklären,warum: Kürzlich haben Sie der Rechtsverschärfung fürAlleinerziehende im Hartz-IV-Bezug zugestimmt .
Dass es nicht dazu gekommen ist und dieses Thema ersteinmal abgesetzt worden ist, haben wir nur dem massi-ven Protest der Verbände und der Linken zu verdanken .
Jetzt wollen Sie den Mutterschutz für schwangere undstillende Frauen lockern . Da versteht man doch die Weltnicht mehr, wenn Sie den alltäglichen Überlebenskampfvon Alleinerziehenden noch schwerer machen wol-len und schwangere und stillende Frauen noch wenigerschützen wollen . Was Sie hier machen, ist ein Angriff aufdie Mütter und unsere Kinder . Sie sollten sich schämen,so etwas hier in den Bundestag einzubringen .
Nun werden Sie sagen, mit dem vorliegenden Gesetz-entwurf beziehen Sie Schülerinnen, Studentinnen undPraktikantinnen in den Mutterschutz ein . Ich sage Ihnen:Das war schon längst notwendig und überfällig .
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Gleichzeitig schaffen Sie aber – hören Sie mir bitte ein-mal zu – bestehende Schutzvorschriften faktisch ab . DasVerbot der Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit soll nachIhren Vorstellungen nämlich dann nicht mehr gelten,wenn die Frau sich ausdrücklich dazu bereit erklärt . Manfragt sich ja: Welchen Bezug haben Sie zur Lebenswirk-lichkeit? Was glauben Sie denn, wie eine junge Frau, dievon ihrem Job abhängig ist, auf die Frage ihres Chefsreagieren wird, ob sie denn ausnahmsweise eventuellspätabends oder am Feiertag arbeiten würde? Sie hatdoch gar keine Alternative . Sie wird natürlich diesemAnsinnen zustimmen .Dem Chef vehement zu widersprechen, das wird wohldie absolute Ausnahme sein, sofern der Chef überhauptfragt und die Freiwilligkeit im Gesetz nicht ohnehin alsFreibrief ansieht .
Diese angebliche Verbesserung ist nichts anderes als eineAufweichung von Schutzvorschriften . Und das ist mitder Linken nicht zu machen .
Das ist Handeln getreu dem Motto: Wenn die Beschäf-tigte sich vermeintlich freiwillig bereit erklärt, ist alleserlaubt .
Und das aus einem sozialdemokratisch geführten Hause!Das macht einen wirklich fassungslos .Aber es geht noch weiter: Faktisch wollen Sie eineUnterscheidung in unverantwortbare und verantwortbareGefährdung für schwangere und stillende Frauen einfüh-ren . Entweder ist eine Arbeit gefährdend, oder sie ist esnicht . Der Begriff „unverantwortbar“ lässt doch mehr of-fen, als er tatsächlich regelt . Das geht zulasten des Schut-zes von schwangeren und stillenden Frauen . Auch das istfür die Linke völlig inakzeptabel .
Meine Damen und Herren, seit Jahren wird auf euro-päischer Ebene über die Ausweitung des Mutterschutzesdiskutiert. Deutschland befindet sich mit seinen Rege-lungen im Vergleich zu anderen EU-Staaten am unte-ren Ende . Deutschland hat auch immer einen längerenMutterschutz blockiert . Dabei zeigen Studien, dass einlängerer Mutterschaftsurlaub die Wiedereinstiegsquoteins Berufsleben fördert und Frauen gestärkter und moti-vierter wieder arbeiten gehen . Sie zeigen auch, dass einverbesserter Mutterschutz bei der Vereinbarkeit von Be-ruf und Familie hilft . Außerdem steigert er die Chancenvon Frauen im Berufsleben .Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen: Nut-zen Sie die Sommerpause, um sich vor allen Dingen miteiner echten Stärkung des Mutterschutzes zu beschäfti-gen, sofern Sie das wirklich möchten . Ich kann nicht er-kennen, dass das bislang der Fall ist .Danke schön .
Vielen Dank, Sabine Zimmermann . – Nächste Redne-
rin: Bettina Hornhues für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! In dieser Legisla-turperiode haben wir bereits viele wichtige familienpoli-tische Themen und Vorhaben umgesetzt . Nun kümmernwir uns um ein weiteres Ziel aus unserem Koalitions-vertrag: die Novellierung des Mutterschutzgesetzes . Esist unbestritten, dass aus frauenpolitischer Sicht seit derEntstehung des Gesetzes 1952 und einer ersten wichtigenReform im Jahre 1966 viel in unserer Gesellschaft pas-siert ist: Familienmodelle sind vielfältiger und flexiblergeworden, Frauen sind ein selbstverständlicher Bestand-teil der Arbeitswelt, und die Arbeitswelt als solche hatsich in den letzten 60 Jahren natürlich auch verändert .Diesen Veränderungen müssen wir nun Rechnung tragenund die schwangere und stillende Frau und ihr Kind bzw .ihr ungeborenes Kind besser schützen .Dies gelingt uns mit dem vorgelegten Gesetzentwurfmeiner Meinung nach ganz gut . Eines müssen wir uns javor Augen halten: Das novellierte Mutterschutzgesetz istein Gesetz für die Praxis . Sobald eine berufstätige Frauvon ihrer Schwangerschaft erfährt, kommen viele Fragenauf, gerade bei jungen Frauen, die ihr erstes Kind erwar-ten . Aber nicht nur aufseiten der Arbeitnehmer, sondernauch bei den Arbeitgebern bestehen bisher noch zu vieleUnsicherheiten im Umgang miteinander . Die alten Rege-lungen und Verordnungen waren undurchsichtig und fürviele schwer verständlich, was in der Praxis dazu geführthat, dass Frauen häufig voreilig aufgrund von Unsicher-heit in das Beschäftigungsverbot geschickt worden sindund der Arbeitgeber die Stelle nachbesetzt hat . An dieserStelle müssen wir nun nachbessern .Um mehr Transparenz zu schaffen und Frauen einelängere Teilhabe am Erwerbsleben auch während derSchwangerschaft zu ermöglichen, wird in dem vorliegen-den Gesetzentwurf unter anderem die Verordnung zumSchutze der Mütter am Arbeitsplatz in das Mutterschutz-gesetz integriert . Dies ist ein erster großer Fortschritt,womit die Regelungen für Arbeitnehmerinnen und Ar-beitgeber sowie für die Aufsichtsbehörden klarer undverständlicher werden .Heutzutage wollen ja viele Frauen nicht neun Mona-te zu Hause sitzen, sondern auch während der Schwan-gerschaft ihrer gewohnten Arbeit nachgehen . Damit diesfunktionieren kann, müssen bestimmte Mechanismenund Schutzmaßnahmen greifen, welche in dem neuenMutterschutzgesetz neu definiert werden.So wurde beispielsweise der Begriff der „unverant-wortbaren Gefährdung“ mit einer klaren Rangfolge derSchutzmaßnahmen eingeführt . Dadurch wird der SchutzSabine Zimmermann
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am Arbeitsplatz deutlich verbessert . Es werden früh-zeitig Schutzmaßnahmen getroffen, um Unsicherheitenzu vermeiden und Rechtssicherheit auf allen Seiten zuschaffen . Die Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzesdient als Grundlage und hat nicht nur an dieser Stelle einezentrale Bedeutung .
Arbeitsschutz kann nur funktionieren, wenn die po-tenziellen Gefährdungen im Voraus definiert sind und sofür die Schwangere analysiert werden können . Wird nuneine unverantwortbare Gefährdung festgestellt, definiertdas neue Mutterschutzgesetz eine klare Rangfolge vonSchutzmaßnahmen:Erstens . Umgestaltung der Arbeitsbedingungen .Zweitens . Ist dies nicht möglich, hat der Arbeitgeberdie Frau an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz ein-zusetzen .Drittens . Erst dann, wenn die unverantwortbare Ge-fährdung weder durch Schutzmaßnahmen noch durcheinen Arbeitsplatzwechsel behoben werden kann, erfolgtdas individuelle Beschäftigungsverbot .Frauen, die nun während ihrer Schwangerschaft ar-beiten möchten, werden zukünftig nicht nur besser ge-schützt, sondern sie können ihre Arbeitszeit auch flexiblerund zeitgemäßer gestalten . Dabei achten wir ganz beson-ders auf die Einhaltung der besonderen Bedürfnisse einerSchwangeren . Sollte einer Änderung der Arbeitszeitendurch die Landesaufsichtbehörden zugestimmt werden,geht das nicht mehr ohne ein ärztliches Attest, welchesdie Unbedenklichkeit bestätigt .Der neue Gesetzentwurf legt dabei ganz klar dieSelbstbestimmung der Frau in den Fokus, was eine mo-derne und zeitgemäße Familienpolitik widerspiegelt unddabei einen verantwortungsvollen Gesundheitsschutz fürdie schwangere und stillende Frau und ihr Kind sicher-stellt . Als Politikerin, Frau und Mutter begrüße ich diesessehr .Dazu trägt auch die Neueinrichtung eines Ausschus-ses für Mutterschutz bei . Zum einen wird er Arbeitgebernund Behörden bei der Umsetzung der neuen Regelungenhelfen . Zugleich wird der Ausschuss im Sinne des Ar-beitsschutzes sicherheitstechnische, arbeitsmedizinischeund hygienische Regeln zum Schutze der Frauen erstel-len . Somit werden mögliche Gefährdungen von schwan-geren und stillenden Frauen qualifiziert ermittelt undbegründet .
Zum anderen wird uns der Ausschuss im Rahmen seinerBeratertätigkeit helfen, den Mutterschutz stetig weiterzu-entwickeln und zu aktualisieren .Wichtig ist, dass am Ende der parlamentarischenBeratungen ein Gesetz vorgelegt wird, welches für dieSchwangeren und deren Arbeitgeber gleichermaßen kla-re Regeln für die weitere Zusammenarbeit vor, währendund direkt nach der Schwangerschaft setzt und Grund-lage für eine offene Kommunikation ist . Damit schaffenwir nicht nur die besten Voraussetzungen für einen zeit-gemäßen Mutterschutz, sondern auch für einen gelunge-nen Wiedereinstieg in das Erwerbsleben .Unsere Aufgabe ist es nun, erwerbstätige Frauenwährend der Schwangerschaft und nach der Geburt desKindes bestmöglich zu schützen, damit sie sich auf diewirklich wichtigen Dinge konzentrieren können und ins-besondere auf die Geburt ihres Kindes .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Bettina Hornhues . – Nächste Rednerin:Dr . Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen .
Danke, Frau Präsidentin . – Sehr geehrte Damen undHerren! Wir diskutieren heute über die Reform desMutterschutzgesetzes, um es etwas zu entstauben . ZumGlück kommt es zur Ausweitung des Geltungsbereichsauf Schülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnen, zurVerlängerung der Schutzfrist bei der Geburt eines behin-derten Kindes und zur Verlängerung der Kündigungsfristbei einer Fehlgeburt . Das sind wichtige Verbesserungen,die auch den Bedürfnissen der aktuellen Situation ent-sprechen .Bei den anderen Punkten, die wir jetzt schon diskutierthaben, gibt es natürlich ein Ringen zwischen dem Schutzund der Selbstbestimmung der Frau darüber, wann siewie viel arbeiten möchte . Es geht darum, das in einenguten Einklang zu bringen . Für mich muss hier die Re-gel sein: Schwangerschaft ist keine Krankheit . Deswegenmuss erst einmal alles möglich gemacht werden, damitdie Frau weiter arbeiten kann .
Manche Unternehmen machen es sich heute häufig ein-fach und erteilen sofort ein Beschäftigungsverbot, ob-wohl es vielleicht durch Anpassungen möglich wäre,eine Schwangere weiterhin zu beschäftigen . Andererseitsmuss man aufpassen, dass die Regelungen nicht dazuführen, dass viele Frauen am Ende vielleicht keine Wahlmehr haben und sich gezwungen sehen, doch arbeiten zugehen . Hier muss eine entsprechende Balance eingehal-ten werden .
Ich finde es aber traurig, dass dieses Entstauben jetztnational geschieht . Es gibt nämlich nicht nur in Deutsch-land ein Mutterschutzgesetz aus den 50ern, sondern aucheine EU-Richtlinie aus dem Jahr 1992 . Frau Reding,die EU-Kommissarin, hatte mit ähnlichen Maßnahmenwie denen, die wir jetzt hier auf dem Tisch haben, vor-geschlagen, diese auch einmal zu entstauben . Sie wolltees vielleicht sogar noch etwas moderner machen; sie hatBettina Hornhues
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nämlich erkannt, dass die Rolle der Partnerinnen bzw .Partner nach der Geburt extrem wichtig ist, sie also dasind – auch für die Gesundheit der Mutter; ich nenne nurdas Stichwort „postnatale Depression“ –, man nicht allei-ne ist . Deswegen sah die europäische Ebene auch etwasfür die Väter bzw . Partnerinnen nach der Geburt vor . Die-sen Vorschlag auf europäischer Ebene haben die Vorgän-gerregierung und auch diese Regierung zusammen mitder britischen Regierung über Jahre so blockiert, dass dieKommission ihn zurückgezogen hat .Weil wir in diesen Wochen immer viel über Europaund den Brexit reden, möchte ich das hier doch nocheinmal ansprechen: Was war eines der Argumente da-gegen? Es hieß immer, Mutterschutz, da ginge es bloßum bürokratische Regelungen . Dazu sage ich ganz klarNein . Worum geht es wirklich? Ein guter Mutterschutzist natürlich eine Einschränkung der Arbeitskraft . Das istauch ein Kostenfaktor . In einem offenen Binnenmarktmit mobilem Kapital und mobilen Waren und nicht ganzso flexiblen Menschen geht es darum, dass ein guter Mut-terschutz kein Standortnachteil ist, dass die Unternehmennicht an die Orte mit einem schlechten Mutterschutz ge-hen, um davon zu profitieren.
Deswegen sind eine europäische Mutterschutzrichtlinieund ein guter europaweiter Mutterschutz keine bürokra-tischen Regelungen, sondern Ausdruck eines sozialenEuropas .
Es ist sehr schade, dass wir es nicht geschafft haben,in diesem Bereich für Millionen von Frauen europaweiteine Verbesserung hinzubekommen, weil diese Initiativeaus Deutschland blockiert wurde . Es ist schön, dass wirheute für die deutschen Frauen eine Verbesserung voran-bringen . Ich würde mir wünschen, Frau Schwesig, dassSie, sobald wir dieses Gesetz verabschiedet haben, Brüs-sel anrufen und sagen: Übrigens, wir sind jetzt bereit, ge-meinsam für ein stärkeres soziales Europa zu kämpfen,für eine europaweite Modernisierung des Mutterschut-zes . – Vielleicht werden auch wir dann noch ein bisschenmoderner und nehmen die Väter und Partnerinnen mit inden Blick . Das könnte uns auch nicht schaden .
Vielen Dank, Franziska Brantner . – Die nächste Red-
nerin: Gülistan Yüksel für die SPD .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mut-ter werden und Mutter sein gehört für viele Frauen zuden schönsten Erfahrungen im Leben . In Deutschlandgenießen werdende Mütter zum Glück schon lange ge-setzlichen Mutterschutz . Die Arbeitswelt und das Bildvon Frauen und Müttern am Arbeitsplatz haben sich aberseit 1952 grundlegend verändert . Das seit fast 65 Jahrengeltende Mutterschutzgesetz kommt langsam ins Ren-tenalter . Wir als SPD-Fraktion begrüßen deshalb sehr,dass Ministerin Schwesig die Modernisierung des Mut-terschutzrechts in Angriff genommen und einen Entwurfvorgelegt hat, der den Gegebenheiten einer modernenArbeitswelt gerecht wird .
Die geplanten Neuregelungen des Mutterschutzrechtspassen das Gesetz an den neusten Stand wissenschaftli-cher und technischer Erkenntnisse an . Sie machen denMutterschutz übersichtlicher, transparenter und verständ-licher . Das Gesetz stellt sich außerdem dem Anspruch,die Akzeptanz für den Mutterschutz insgesamt zu stei-gern, Diskriminierung vorzubeugen und Teilhabe vonFrauen zu stärken . Gleichzeitig bleibt das oberste Zielder Gesundheitsschutz von schwangeren und stillendenFrauen und ihren Kindern .Sehr geehrte Damen und Herren, nach monatelangerBlockade gilt der Mutterschutz nun erstmals auch fürSchülerinnen und Studentinnen; das ist ja hier schonmehrmals erwähnt worden . Ich möchte mich bei unsererFrauenministerin ausdrücklich bedanken, dass sie sichdafür starkgemacht hat .
Weiterhin profitieren vom Mutterschutz nun auch arbeit-nehmerähnliche Personen sowie Frauen mit Behinde-rung, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderungarbeiten, ebenso Auszubildende, Praktikantinnen, Teil-nehmerinnen des Bundesfreiwilligendienstes und Ent-wicklungshelferinnen . Das ist gut und richtig; denn egalob Schülerin oder Chefin, egal in welcher Lebensphaseoder Lebenslage eine schwangere Frau sich auch befin-det: In erster Linie ist sie werdende Mutter . Sie verdientdeshalb den bestmöglichen Schutz für sich und das un-geborene Kind .
Auch für selbstständige Frauen müssen Lösungen ge-funden werden; das ist heute noch nicht erwähnt wor-den . Hier ist es aber mit einer einfachen Ausweitung desMutterschutzes nicht getan; denn diese Frauen brauchenauch einen Ersatz für ihren Einkommensausfall währendder Schutzfristen . Wir sind auch hier im Gespräch undversuchen, eine Lösung zu finden.Eine weitere wesentliche Änderung, die schon von un-serer Ministerin Schwesig angesprochen wurde, die auchich für sehr wichtig halte und die mir sehr am Herzenliegt, ist die Verlängerung des Mutterschutzes von achtauf zwölf Wochen für Mütter, die ein Kind mit Behin-derung gebären . Gerade hier ist es wichtig, Frauen nichtalleine zu lassen, sondern ihnen mehr Zeit und Ruhe fürDr. Franziska Brantner
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sich und ihr Kind zu geben, damit sie die neue Situationnicht als Belastung, sondern als Glück erleben .Auch die Einführung eines Kündigungsschutzes vonvier Monaten nach einer Fehlgeburt, die nach der zwölf-ten Schwangerschaftswoche auftritt, ist von besondererBedeutung . Die Bindung der Mutter an ihr ungeborenesKind ist bereits zu diesem Zeitpunkt sehr intensiv . Des-halb braucht die Frau in dieser für sie schwierigen Phasemehr Zeit zur Regeneration und Verarbeitung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen des veral-teten Mutterschutzgesetzes kommt es verstärkt zu un-gewollten Beschäftigungsverboten, was vor allem vonFrauen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, oft zu Rechtbeanstandet wird . Denn viele Frauen möchten auch inder Schwangerschaft ihrem Beruf nachgehen . Die kla-reren Vorgaben für Arbeitgeber bei der Beurteilung derArbeitsbedingungen sowie bei der Rangfolge der Schutz-maßnahmen am Arbeitsplatz vermeiden ein vorschnellesArbeitsverbot . Der neue Ausschuss für Mutterschutz – erist heute noch nicht erwähnt worden – beim Familienmi-nisterium wird hierbei Betriebe und Behörden mit seinenEmpfehlungen unterstützen und beraten .Auch die neuen Regelungen zu Mehr- und Nachtarbeitgewährleisten ein hohes Maß an Selbstbestimmung . DieRegelungen werden branchenunabhängig und zeitgemäßgefasst . Nachtarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeitbleiben auch weiterhin generell verboten, aber Frauendürfen nun auf ausdrücklichen Wunsch und bei der Erfül-lung weiterer Voraussetzungen zwischen 20 und 22 Uhroder an Sonn- und Feiertagen arbeiten . Hier bekommenFrauen mehr Mitsprache . Es muss aber klar sein, dass eshier um den Wunsch der Frau geht und sie nicht unterDruck gesetzt wird .Die Kollegin Zimmermann sagte ja, dass die Schutz-vorschriften ausgehebelt werden . Ich habe das noch ein-mal nachgelesen . Also: Die Frauen müssen ausdrücklichdazu bereit sein, es muss ein ärztliches Attest vorgelegtwerden, und Alleinarbeit ist ausgeschlossen . Der Schutzwird also nicht ausgehebelt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Berücksichti-gung individueller Wünsche und Bedürfnisse von Frau-en, gepaart mit dem obersten Ziel, dem Schutz der wer-denden Mutter und des ungeborenen Lebens – das ist dieStärke dieser Reform . Sie ermöglicht Flexibilität undschafft mehr Transparenz . Sie nimmt eine verantwor-tungsvolle Abwägung zwischen Gesundheitsschutz undErwerbstätigkeit vor .Sehr geehrte Damen und Herren, die SPD steht füreine zeitgemäße und wirksame Frauen- und Familienpo-litik . Wir setzen uns für eine bessere Vereinbarkeit vonMutterschaft, Familie und Beruf ein . Wir kämpfen fürgleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Arbeits-welt, sei es bei der Frauenquote oder der Lohngerechtig-keit . Die Reform des Mutterschutzgesetzes ist dabei nurein wichtiger Baustein hin zu mehr Selbstbestimmungund mehr Mitsprache . Lassen Sie uns gemeinsam da-ran arbeiten, die bestmöglichen Voraussetzungen für dievielfältigen Lebensentwürfe der Menschen zu schaffen!Zum Vorteil der Frauen und ihrer Kinder, zum Vorteil derMänner und zum Vorteil der ganzen Gesellschaft .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollegin Yüksel . – Nächster Redner:
Maik Beermann für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Schon beim Lesen einiger Vorschriften im
Mutterschutzgesetz wird eines sofort klar: Das Gesetz
ist schon etwas in die Jahre gekommen, und es wurde
langsam Zeit, insbesondere sprachlich, Veränderungen
vorzunehmen . Insofern ist es gut und wichtig, dass wir
das Gesetz in dieser Legislaturperiode grundlegend an-
packen . Begriffe wie „Lustbarkeiten“ – ich musste erst
einmal nachlesen, was Lustbarkeiten mit Mutterschutz
zu tun haben – gehören dann nämlich der Vergangenheit
an .
Die ersten mutterschutzrechtlichen Vorschriften aus
dem Jahr 1878 sahen zum ersten Mal für Frauen ein so-
genanntes Beschäftigungsverbot von drei Wochen nach
der Geburt ihres Kindes vor .
– Ich merke gerade, mit dem Begriff „Lustbarkeiten“
habe ich etwas Unbekanntes in die Debatte gebracht .
– Das machen wir gleich bilateral .
Nein, das machen wir nicht bilateral . Sie kriegen eine
Minute mehr Redezeit, wenn Sie es uns erklären .
Das machen wir nachher . – In einer Novelle der Ge-werbeordnung wurde somit der Grundstein für den heutebekannten Mutterschutz gelegt . Mit dem Mutterschutz-gesetz vom 24 . Januar 1952 – wir haben es eben schongehört – ist wirklich ein Meilenstein geschafft worden .Der Mutterschutz erhielt Einzug ins Grundgesetz, indemin Artikel 6 jeder Mutter Schutz und Fürsorge garantiertwird . Wichtige Schutzregeln, die bis heute unverändertgelten, traten in Kraft .Heute, über 60 Jahre später, in denen wir den Mut-terschutz zwar kontinuierlich verbessert haben, wissenwir aber auch, dass die Arbeits- und Lebensrealität nichtmehr mit den Umständen von vor 60 Jahren übereinstim-men . Die Rolle und das Selbstverständnis von Frauen inGülistan Yüksel
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unserer Gesellschaft haben sich grundlegend verändert .Was wir brauchen, ist eine verantwortungsvolle Abwä-gung zwischen dem Gesundheitsschutz für die stillendeoder schwangere Frau und ihr Kind auf der einen Seite .Zugleich müssen wir aber auch Möglichkeiten schaffen,dass Frauen selbstbestimmte Entscheidungen über ihreErwerbstätigkeit treffen können .
Dabei ist es unsere Intention, die Chancen der Frauenzu verbessern und ihre Rechte zu stärken, damit sie ihremBeruf während der Schwangerschaft und Stillzeit ohneBeeinträchtigung ihrer Gesundheit und der ihres Kindesweiter nachgehen können . Die Gefährdungen einer mo-dernen Arbeitswelt für Schwangere und stillende Mütterstehen dabei ebenso im Fokus wie die mutterschutzrecht-lichen Arbeitgeberpflichten.Vor diesem Hintergrund ist es auch richtig, das Ge-setz an die heutige Zeit anzupassen – wie beim mutter-schutzrechtlichen Nachtarbeitsverbot, das in der Zeit von20 Uhr bis 6 Uhr besteht . Momentan kann eine werden-de Mutter in den ersten vier Schwangerschaftsmonatenin einzelnen Branchen, wie in der Schankwirtschaftoder auch im Beherbergungswesen, ausnahmsweise bis22 Uhr arbeiten .
Nach dem vierten Schwangerschaftsmonat ist eine Aus-nahmegenehmigung der zuständigen Aufsichtsbehördenotwendig, die überwiegend auch erteilt wird . Die Auf-sichtsbehörde muss zwar die Frau anhören; ein ärztli-ches Attest ist bis dato jedenfalls noch nicht vorgesehen .Künftig soll es möglich sein, dass eine werdende oderstillende Mutter dann bis 22 Uhr tätig sein darf, wennsie sich – Frau Yüksel hat es eben schon gesagt – erstensausdrücklich dazu bereit erklärt, zweitens aus ärztlicherSicht nichts gegen die Beschäftigung spricht und drittenseine Alleinarbeit ausgeschlossen ist . Mit diesen Kriterienstellen wir hohe Hürden zum Schutz der Frau auf .Behauptungen, der Arbeitgeber könne Druck auf dieFrau ausüben, um sie zur Arbeit nach 20 Uhr zu zwingenoder zu bewegen, kann ich persönlich nicht nachvollziehen .
Wir haben hier sowohl das Schutzkriterium in Form derEinbeziehung eines Arztes sowie die Aufsichtsbehördeals Hüterin des Mutterschutzgesetzes, die jederzeit ihrer-seits eingreifen kann .
Ich habe im Übrigen auch noch nicht davon gehört, dasseine Frau in der vorgeburtlichen Mutterschutzfrist vonsechs Wochen vor der Geburt auf Druck des Arbeitgebershätte weiterarbeiten sollen . Ich bin davon überzeugt, dassauch die Arbeitgeber den Schutz von Mutter und Kindernst nehmen; denn kein Arbeitgeber will sich vorwerfenlassen, dass er Mutter und Kind bewusst einer Gefähr-dung ausgesetzt hat . Frau Kollegin Zimmermann, Politikbeginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit, und wirsollten hier nicht immer irgendwelche Generalverdachteaussprechen .
Es gibt noch weitere Neuregelungen, die bereits in derletzten Legislaturperiode von der damaligen Bundesfami-lienministerin Kristina Schröder angestoßen wurden, wiebeispielsweise den mutterschutzrechtlichen Kündigungs-schutz für Frauen, die eine Fehlgeburt nach der zwölftenSchwangerschaftswoche erlitten haben . Bislang – das istfür mich persönlich unbegreiflich – hängt der nachge-burtliche Mutterschutz davon ab, wie schwer das totge-borene Kind ist: Wiegt das Kind über 500 Gramm, ist dieFrau vom Schutzbereich des Mutterschutzgesetzes vollerfasst; wiegt es aber nur 499 Gramm, fällt die Frau so-fort vollständig aus dem mutterschutzrechtlichen Schutzheraus . Mit der vorgesehenen Änderung senden wir andie Frauen, die diese schreckliche Erfahrung machenmussten, ein ganz wichtiges Signal: Auch ihr seid künf-tig genauso wie alle anderen Mütter nach der Geburt vommutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz voll erfasst .
Wie Sie sehen, werden wir den Mutterschutz auf dieseArt und Weise zeitgemäß reformieren, ohne den beson-deren Schutz zu verringern .Bei allen Überlegungen für die Überarbeitung der Mut-terschutzregelungen müssen wir Folgendes im Blick ha-ben: So viel Mutterschutz, wie zum Schutz der werdendenMutter und des Kindes erforderlich, und so wenig Mutter-schutz, wie verantwortbar möglich . Wir sollten also keineÜberregulierung auf den Weg bringen, die dann eine Dis-kriminierung der Frauen zur Folge haben könnte .Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehr-ten Damen und Herren, ich spreche auch als junger Vaterzu Ihnen . Wenn ich das so beurteile, sind Mütter dochetwas Besonderes . Jeder von uns hat oder hatte eine Mut-ter und weiß sicherlich auch, was sie oder er an ihr hatbzw . gehabt hat – bei mir ist es jedenfalls so . Ich selbstbin mit einer Mutter verheiratet, nämlich mit der Muttermeiner zweijährigen Tochter Ida . Wenn ich an diesen fürmich besonderen Tag der Geburt zurückdenke, dann fälltmir eines dazu ein – Frau Präsidentin, ich bitte darum,dies noch ausführen zu dürfen –: Kleines Wunder, gro-ßes Glück! So kann man es, denke ich, definieren. DieGeburt eines Kindes ist wohl das Unglaublichste undSchönste, was man miterleben darf . Frauen sind währendder Geburt einfach göttlich . Sie schenken Leben, entwi-ckeln übermenschliche Kräfte und machen die Welt zueiner besseren . Wir Männer stehen daneben und denken,wir hätten noch Größeres vollbracht, weil wir währendder Geburt nicht umgekippt sind .
Es ist doch ein unglaublich schönes und überwältigendesGefühl, bei einer Geburt dabei sein zu dürfen . Nach ei-nem so wunderbaren Erlebnis weiß man wirklich, wofüres sich zu leben lohnt .Maik Beermann
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Lassen Sie uns im parlamentarischen Verfahren dieDinge nun so auf den Weg bringen, dass von der Gesetz-gebung viele Frauen profitieren und wir dazu beitragenkönnen, dass unser Land ein Stück weit besser wird .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Herr Kollege Beermann . – Als letzter
Redner in der Debatte: Paul Lehrieder . Vielleicht kann
uns der Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend aufklären, wie es sich mit der
Lustbarkeit verhält . Ich habe schon einmal nachgeschla-
gen . Dort steht – das geht nicht von Ihrer Redezeit ab,
Herr Vorsitzender –: Lustbarkeit – eine Veranstaltung,
die vergnügen und unterhalten soll .
In diesem Sinne hoffe ich, dass Ihre Rede uns nun Lust-
barkeit verschafft .
Letzter Redner in der Debatte: Paul Lehrieder für die
CDU/CSU-Fraktion .
Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her-
ren! Sie haben die Hürde sehr hochgelegt, wenn Sie nun
von mir Lustbarkeit von diesem Rednerpult aus erwarten .
Gleichzeitig sind die salbungsvollen Ausführungen des
Kollegen Maik Beermann für die werdende Mutter eben-
falls eine hohe Hürde . Frau Ministerin hat darauf hinge-
wiesen, dass Frauen auch nach der Geburt hübsch, schön
und ausdrucksvoll sind . – Maik, Frauen sind sowohl vor
der Geburt, also als werdende Mütter, als auch nach der
Geburt betrachtenswert .
Der gesetzliche Mutterschutz hat die Aufgabe, Mütter
bzw . werdende Mütter sowie deren Kinder während der
Schwangerschaft und einige Zeit danach vor Gefährdun-
gen, Überforderung, Gesundheitsschädigungen, finanzi-
ellen Einbußen und dem Verlust des Arbeitsplatzes zu
schützen .
Frau Zimmermann und Frau Brantner, Sie haben auf
die europäische Mutterschutzrichtlinie Bezug genom-
men . Es ist sicherlich richtig, dass auf europäischer Ebe-
ne über einen Mutterschutz diskutiert wurde, der weiter
ging als das, was wir bisher haben . Aber verkennen Sie
bitte nicht, dass wir in Deutschland mit dem Elterngeld
und der Elternzeit 12 Monate nachgeburtlichen Mutter-
schutz und zwei Drittel Lohnersatzleistungen gewähren .
In dieser Breite hat das kein anderes Land in Europa .
Bei uns gibt es sogar zusätzlich zwei Monate Väter-
schutz . Dieses Niveau müssen die anderen Länder in
Europa erst einmal erreichen . Sie sollten den Status quo
und die Realität nicht ganz ausblenden, wenn Sie über
den Mutterschutz sprechen . Man sollte durchaus darauf
hinweisen, was wir in Deutschland schon erreicht haben .
Herr Lehrieder, erlauben Sie eine Bemerkung oder
Frage von Frau Dr . Brantner?
Ja, selbstverständlich .
Herr Lehrieder, da Sie gerade darauf verwiesen haben,
dass die Forderungen auf europäischer Ebene weitgehen-
der waren: Das Elterngeld wäre darauf eins zu eins anre-
chenbar gewesen . Für Deutschland hätte sich in diesem
Bereich nicht viel verändert, wohl aber zum Beispiel bei
den Kündigungsfristen . Die Dauer des Mutterschutzes
hätte sich jedenfalls für sehr viele Frauen europaweit
verbessert . Bei uns wäre es, wie gesagt, anrechenbar ge-
wesen .
Verbesserungen für sehr viele Frauen europaweit ha-
ben wir aber verhindert . Das ist schade; denn das hätte
das soziale Europa gestärkt . Schließlich kämpfen wir im
Moment täglich dafür, den Menschen zu erklären, was
ihnen Europa bringt . Wenn ich einer Frau sagen kann:
„Durch Europa hast du einen vernünftigen Mutter-
schutz“, dann ist das etwas Konkretes . Wären Sie bereit,
zusammen mit Frau Schwesig nachher das Signal nach
Europa zu senden: „Wir haben es national geschafft; nun
darf die EU auch weiter gehen“?
Frau Kollegin Brantner, herzlichen Dank für die Fra-ge . – In den nächsten Wochen und Monaten werden sehrviele Signale nach Brüssel zu senden sein . Es wird be-reits darüber diskutiert, wie es mit Europa weitergehensoll, welche Befugnisse und Aufgaben die EuropäischeKommission in Zukunft haben soll, ob die EuropäischeKommission eine europäische Regierung mit allen Auf-gaben werden soll . Da gibt es viel zu tun . – Bleiben Siestehen, Frau Brantner . Ich bin noch nicht fertig .
Natürlich ist die Weiterentwicklung des Mutterschut-zes ein großes Thema auf europäischer Ebene . Aber mitder alten Mutterschutzrichtlinie wird es nicht weiterge-hen; denn sie wurde zurückgezogen . Ob sich Europa anDeutschland und seinen Erfahrungen, die es in den letz-ten Jahren mit dem Elterngeld gemacht hat, ein Beispielnimmt, bleibt abzuwarten . Erst vor einem Jahr haben wirdas Elterngeld Plus eingeführt . Wir entwickeln das El-terngeld und die Schutzzeit für beide Partner, für Vaterund Mutter, nach der Geburt weiter . Selbstverständlichwerden wir darauf achten . Ich weiß die Frau Ministerinauf unserer Seite, wenn wir geschwind weitere Vorschlä-Maik Beermann
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 182 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 6 . Juli 2016 17957
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ge Richtung Brüssel schicken . – Wie ich sehe, hat sichFrau Kollegin Brantner gesetzt . Dann muss ich mit mei-ner Rede fortfahren .Das Mutterschutzgesetz gilt für alle werdenden Müt-ter, die in einem Arbeitsverhältnis stehen . Weitere Rege-lungen zum gesundheitlichen Schutz werdender Müttervor Gefahren, Überforderung oder der Einwirkung vonGefahrenstoffen am Arbeitsplatz sind in der dazugehöri-gen Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatzgeregelt .Nach den geltenden Mutterschutzfristen dürfen wer-dende Mütter in den letzten sechs Wochen vor der Ent-bindung nur mit Einwilligung und bis zum Ablauf vonacht Wochen, bei Früh- und Mehrlingsgeburten bis zumAblauf von zwölf Wochen, nach der Entbindung garnicht beschäftigt werden . Zusätzlich sieht das Gesetzbeispielsweise bei Akkord-, Fließband-, Mehr-, Sonn-tags- und Nachtarbeit generelle Beschäftigungsverbotevor. Zum Schutz vor finanziellen Nachteilen regelt dasMutterschutzgesetz verschiedene Leistungen, wie zumBeispiel das Mutterschaftsgeld .Jetzt käme der Passus über die Lustbarkeiten . Um dieFrau Präsidentin nicht zu verwirren, lasse ich diesen jetztweg .
Im gemeinsamen Koalitionsvertrag mit der SPD ha-ben wir uns darauf verständigt, eine Reform des Mut-terschutzgesetzes zu erarbeiten, die einen umfassendenSchutz, mehr Transparenz und weniger Bürokratie vor-sieht . Mit der Neuregelung des Anwendungsbereichswird der gesundheitliche Mutterschutz künftig auchFrauen in Studium, Ausbildung und Schule einbeziehen .Auch für sie gilt die sechswöchige Schutzfrist vor derGeburt, in der die werdende Mutter nicht mehr arbeitenmuss, genauso wie das achtwöchige Beschäftigungsver-bot nach der Entbindung .Im Rahmen der Neuregelung des Mutterschutzrechtswar uns als Union besonders wichtig, dass Schülerinnenund Studentinnen jedoch selbst entscheiden können, obsie freiwillig an einer wichtigen Klausur, Prüfung oderHausarbeit kurz nach der Entbindung teilnehmen odernicht . Für sie gilt der Schutzbereich des Mutterschutzge-setzes, wir ermöglichen ihnen jedoch gleichzeitig Raumfür die Flexibilität, von der nachgeburtlichen Mutter-schutzfrist keinen Gebrauch zu machen, um beispiels-weise keine Nachteile in der Schule oder im Studium zuerfahren . So müssen beispielsweise die Studentinnen, diesich fit fühlen, die Klausur doch zu schreiben, nicht einoder zwei Semester verlieren, nur weil die Geburt erstwenige Wochen zurückliegt .Wir bieten hiermit ein Stück Wahlfreiheit, den Zeit-punkt der Rückkehr selbst bestimmen zu können . Ich binder Auffassung, dass wir Studentinnen und Schülerin-nen, die sich körperlich dazu in der Lage sehen, nichtauferlegen sollten, eine Prüfung aufgrund der Geburtzu verschieben und das Studium somit in die Länge zuziehen oder sonstige Nachteile im Rahmen ihrer Ausbil-dung zu erfahren . Künftig wird es darüber hinaus allenFrauen möglich sein, in den Abendstunden – hier ist einärztliches Attest notwendig; die Vorredner haben zumTeil schon darauf hingewiesen – und sonn- und feiertagsarbeiten zu können, wenn sie dies möchten und ausge-schlossen ist, dass die werdenden Mütter sich alleine anihrem Arbeitsplatz aufhalten .Die neuen mutterschutzrechtlichen Regelungen wer-den des Weiteren auch für die Arbeitgeber praxistaugli-cher gestaltet, indem wir den Begriff der unverantwort-baren Gefährdung einführen und die klare Festlegungder Rangfolge der Schutzmaßnahmen festlegen . Arbeit-geber, werdende Mütter und Aufsichtsbehörden werdenhier durch den neu geschaffenen Ausschuss für Mutter-schutz bei der Umsetzung der neuen mutterschutzrecht-lichen Regelungen unterstützt . Zudem verbessern wirden Schutz für Mütter von Kindern mit Behinderungen .Darauf haben die Kolleginnen und Kollegen bereits hin-gewiesen .Mit der Reform des Mutterschutzrechts sorgen wir fürden notwendigen Schutz für Mütter und deren Kinder,ohne dass wir mit zu starren Maßnahmen und Überregu-lierung die Interessen und Perspektiven unserer Arbeit-nehmerinnen gefährden. Die beruflichen Chancen undZiele können auch während der Schwangerschaft undnach der Entbindung ohne Beeinträchtigung der eigenenGesundheit und der Gesundheit des Kindes weiter ver-folgt werden; denn viele Frauen möchten gerne längerbis zur Geburt arbeiten . Sie müssen es nicht, Frau Kolle-gin Zimmermann, sondern sie wollen es aus freien Stü-cken . Auch das gibt es gelegentlich noch .Ich freue mich auf die Beratungen und auf die Sach-verständigenanhörung im September . Ich wünsche Ihneneinen schönen Abend .Danke schön .
Vielen Dank, Herr Kollege Lehrieder . – Ich schließe
die Aussprache und danke Ihnen für die sehr angenehme
Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/8963 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, 7 . Juli 2016, pünktlich um
9 Uhr, ein; denn wir wollen morgen pünktlich zu einer
bestimmten Uhrzeit fertig sein .
Einen schönen Abend; für die, die Fußball schauen
wollen, eine gute Beobachtung des möglicherweise über-
nächsten Gegners .
Die Sitzung ist geschlossen .