Protokoll:
18179

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 179

  • date_rangeDatum: 23. Juni 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:15 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/179 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 179. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 23. Juni 2016 Inhalt: Wahl der Abgeordneten Nina Warken als or- dentliches Mitglied des Gemeinsamen Aus­ schusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17575 A Wahl des Abgeordneten Steffen Bilger als ordentliches Mitglied des Vermittlungsaus­ schusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17575 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17575 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 14, 15 b und 25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17576 D Begrüßung des Botschafters der Republik Polen, Herrn Jerzy Jozef Marganski . . . . . . 17613 C Tagesordnungspunkt 5: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2016 Drucksache 18/7620 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17577 A b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Forschung und Innovati­ on 2016 Drucksache 18/8550 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17577 A c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Mikroelektronik aus Deutschland – In­ novationstreiber der Digitalisierung – Rahmenprogramm der Bundesregie­ rung für Forschung und Innovation 2016 bis 2020 Drucksache 18/7729 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17577 B d) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Oliver Krischer, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Innovationspo­ litik neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern Drucksache 18/8711 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17577 B Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 17577 C Dr . Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 17578 C René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17579 C Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17580 D Dr . Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17581 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 17583 B Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 17584 B Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17586 A Steffen Kampeter (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 17587 A Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17588 C Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) . . . . . . . 17589 C Dr . Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . . 17590 C Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz beginnt heu­ te Drucksache 18/8876 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17592 C b) Antrag der Abgeordneten Annalena Baer- bock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Un­ terzeichnung des Pariser Klimaabkom­ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016II mens – Klimaschutz wirksam verankern und Klimaziele einhalten Drucksache 18/8080 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17592 C c) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Bärbel Höhn, Annalena Baer- bock, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festlegung nationa­ ler Klimaschutzziele und zur Förderung des Klimaschutzes (Klimaschutzgesetz – KlimaSchG) Drucksachen 18/1612, 18/8770 . . . . . . . . . 17592 D d) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verkehrs­ politik auf Klimaschutzziele ausrichten Drucksache 18/7887 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17592 D e) Antrag der Abgeordneten Annalena Baer- bock, Bärbel Höhn, Dr . Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weichen für die ökologische Modernisierung der Wirtschaft stellen – Chancen des Klima­ schutzes nutzen Drucksache 18/8877 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17593 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten Kai Gehring, Annalena Baerbock, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für ein Rahmenprogramm für Klima­ und Kli­ mafolgenforschung Drucksachen 18/7048, 18/8873 . . . . . . . . . . . 17593 A Dr . Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17593 A Andreas Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 17594 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 17596 B Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17597 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17599 A Dr . Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 17600 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17600 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17601 D Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 17603 A Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17604 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17605 B Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 17605 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17606 C Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17607 B Dr . Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . . 17608 C Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17610 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17611 A Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17611 A Günter Lach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 17611 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Versöhnung, Partnerschaft, Zusam­ menarbeit – 25 Jahre deutsch­polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 18/8861 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17613 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Versöhnung, Partnerschaft, Zusam­ menarbeit – 25 Jahre deutsch­polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 18/8765 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17613 C Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . 17613 D Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 17614 D Dr . Franz Josef Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 17616 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17617 C Dr . Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . . 17618 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17619 C Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 17620 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17621 D Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 17622 B Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17622 D Dr . Stefan Heck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 17624 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 III Tagesordnungspunkt 29: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset­ zes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Otto­von­ Bismarck­ Stiftung Drucksache 18/8497 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17625 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Inte­ grationsgesetzes Drucksachen 18/8829, 18/8883 . . . . . . . . . 17625 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset­ zes zu dem Abkommen vom 12. Novem­ ber 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien zur Besei­ tigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie zur Verhinde­ rung der Steuerverkürzung und ­umge­ hung Drucksache 18/8830 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17625 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Bun­ deskanzler­Helmut­Schmidt­Stiftung Drucksache 18/8858 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17626 A Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richt­ linien (EU) 2015/566 und (EU) 2015/565 zur Einfuhr und zur Kodierung mensch­ licher Gewebe und Gewebezubereitun­ gen Drucksachen 18/8580, 18/8840, 18/8906 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17626 B b)–g) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich­ ten 327, 328, 329, 330, 331 und 332 zu Petitionen Drucksachen 18/8727, 18/8728, 18/8729, 18/8730, 18/8731, 18/8732 . . . . . . . . . . . . 17626 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aussagen von Bundesminister de Maizière zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren . . . . . . . . . . Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17627 A Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17628 C Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17630 C Dr . Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 17631 D Dr . Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . 17633 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 17634 C Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 17635 C Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17636 C Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/ CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17638 A Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17639 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 17640 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 17641 D Barbara Woltmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 17643 A Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgut­ schutzrechts Drucksachen 18/7456, 18/8908 . . . . . . . . . . . 17644 B Monika Grütters, Staatsministerin BK . . . . . . 17644 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 17645 D Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 17647 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17648 D Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 17650 A Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17651 C Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 17652 C Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17653 C Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Katja Kipping, Karin Binder, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sexis­ mus die Rote Karte zeigen – Für einen bun­ desweiten Aktionsplan Drucksache 18/8723 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17654 D Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 17655 A Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 17656 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17658 A Dr . Dorothee Schlegel (SPD) . . . . . . . . . . . . . 17659 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17660 B Birgit Kömpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17662 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016IV Tagesordnungspunkt 10: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der interna­ tionalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Verein­ ten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch­Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicher­ heitspräsenz (KFOR) und den Regie­ rungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Repu­ blik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksachen 18/8623, 18/8760 . . . . . . . . . 17663 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8761 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17663 B Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17663 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 17664 D Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17665 C Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17666 C Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 17667 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 17668 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17669 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosen- heimer, Kai Gehring, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbische, schwule, bisexuelle, trans­ und intergeschlechtliche Jugendliche stärken Drucksache 18/8874 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17668 C Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17668 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17672 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17674 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17674 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 17675 C Susann Rüthrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17676 C Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 17677 D Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 17679 B Tagesordnungspunkt 12: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations In­ terim Force in Lebanon“ (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) und nachfolgender Verlängerungsreso­ lutionen des Sicherheitsrates der Ver­ einten Nationen, zuletzt Resolution 2236 (2015) vom 21. August 2015 Drucksachen 18/8624, 18/8762 . . . . . . . . . 17680 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8763 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17680 C Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 17680 C Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 17681 D Dr . Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 17682 D Inge Höger (DIE LINKE) 17683 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17684 A Dr . Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 17685 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 17686 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17694 C Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Her- bert Behrens, Karin Binder, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mieterinnen und Mieter besser schüt­ zen – Zweite Mietrechtsnovelle vorlegen Drucksache 18/8863 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17686 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Heidrun Bluhm, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mietspiegel – Sozial gerecht und mietpreisdämpfend erstellen Drucksachen 18/5230, 18/8754 . . . . . . . . . 17686 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für bezahlbare Mietwoh­ nungen – Modernisierungsumlage re­ duzieren, Luxusmodernisierungen ein­ schränken Drucksachen 18/7263, 18/8764 . . . . . . . . . 17686 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 V in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespann­ ten Wohnungsmärkten durch Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts Drucksache 18/8857 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17686 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespann­ ten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen Drucksache 18/8856 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17686 C Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 17686 C Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 17687 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17689 C Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17690 D Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . 17691 B Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 17692 A Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17693 A Tagesordnungspunkt 8: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozi­ algesetzbuch – Rechtsvereinfachung Drucksachen 18/8041, 18/8909 . . . . . . 17697 B – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8910 . . . . . . . . . . . . . . 17697 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Gewährleistung des Existenz­ und Teilhabeminimums verbessern – Keine Rechtsvereinfa­ chung auf Kosten der Betroffenen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grund­ sicherung einfacher und gerechter gestalten – Jobcenter entlasten Drucksachen 18/8076, 18/8077, 18/8909 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17697 C Anette Kramme, Parl . Staatssekretärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17697 D Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 17698 D Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 17699 D Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 17701 B Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17702 B Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 17703 C Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 17704 B Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17705 A Kai Whittaker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 17706 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 17707 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17707 D Tagesordnungspunkt 15: a) Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Mindestqualitäts­ vorgaben für Internetzugänge einführen Drucksache 18/8573 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17710 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17710 D Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17711 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17713 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 17713 D Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17714 C Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17715 C Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . 17715 D Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energie­ wende Drucksachen 18/7555, 18/8919 . . . . . . . . . . . 17716 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016VI Florian Post (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17716 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 17717 C Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 17718 C Dr . Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17719 C Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17720 D Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 17721 C Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Katja Kipping, Dr . Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rechenschaftspflicht und entwicklungspoli­ tisches Mandat der Deutschen Investitions­ und Entwicklungsgesellschaft DEG stärken Drucksache 18/8657 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17722 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 17722 D Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17723 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 17724 D Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17725 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17725 C Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 17726 C Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17727 D Zusatztagesordnungspunkt 8: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Weiterent­ wicklung des Strommarktes (Strom­ marktgesetz) Drucksachen 18/7317, 18/8915 . . . . . . 17728 D – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8920 . . . . . . . . . . . . . . 17728 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr . Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunft des Strommarktes – Mit öko­ logischem Flexibilitätsmarkt klima­ freundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten Drucksachen 18/7369, 18/8915 . . . . . . . . . 17728 D Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17729 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 17730 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17730 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17732 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 17733 A Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17733 C Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Netz­ neutralität im Rahmen der Vorgaben der EU­Verordnung gesetzlich absichern Drucksachen 18/6876, 18/8813 . . . . . . . . . . . 17734 D Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Den europäischen Binnenmarkt wei­ ter vertiefen – Bewährte Standards erhalten Drucksache 18/8867 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17734 D Tagesordnungspunkt 20: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än­ derung des Standortauswahlgesetzes Drucksachen 18/8704, 18/8913 . . . . . . . . . 17735 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8914 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17735 A Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Sozialen Basisschutz in Entwicklungs­ ländern schaffen Drucksache 18/8862 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17735 B Tagesordnungspunkt 22: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge­ setzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht Drucksache 18/8826 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17735 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge­ setzes zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäi­ schen Patentreform Drucksache 18/8827 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17735 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 VII Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg­ , umweltschadens­ und wasserrechtli­ cher Vorschriften zur Umsetzung der Richt­ linie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore­Erdöl­ und ­Erdgasaktivitäten Drucksachen 18/8703, 18/8902 . . . . . . . . . . . 17735 D Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Elektromobili­ tät im Straßenverkehr Drucksache 18/8828 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17736 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17736 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 17737 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Jarzombek (CDU/CSU) zu der Ab- stimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts (Tagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17737 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- rung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10 . Juni 1999 und des Militä- risch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Ju- goslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9 . Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . 17738 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wa- wzyniak, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Netzneutralität im Rahmen der Vorgaben der EU-Verordnung gesetzlich absichern (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 17738 D Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 17738 D Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17739 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 17740 D Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17741 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Den europäischen Binnenmarkt weiter vertiefen – Bewährte Standards erhalten (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 17742 B Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 17742 B Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 17743 C Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17744 C Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 17745 A Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 17745 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17746 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 17747 A Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 17747 A Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17747 D Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 17748 D Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 17749 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17750 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17751 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Sozialen Basisschutz in Entwicklungs- ländern schaffen (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 17752 A Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 17752 A Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17753 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016VIII Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 17754 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17754 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Über- einkommen vom 19 . Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas- sung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform (Tagesordnungspunkt 22 a und b) . . . . . . . . . . 17755 B Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . 17755 C Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17757 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 17757 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17758 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17759 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg-, umweltschadens- und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 17760 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . . 17760 B Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17761 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 17761 D Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17762 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen För- derung von Elektromobilität im Straßenver- kehr (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 17763 B Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17763 B Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) . . . . . . . 17764 B Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17765 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 17765 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17766 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17767 B (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17575 179. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 23. Juni 2016 Beginn: 9 .00 Uhr
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    1) Anlage 10 Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17737 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bellmann, Veronika CDU/CSU 23 .06 .2016 Brähmig, Klaus CDU/CSU 23 .06 .2016 Fabritius, Dr . Bernd CDU/CSU 23 .06 .2016 Ferlemann, Enak CDU/CSU 23 .06 .2016 Ferner, Elke SPD 23 .06 .2016 Groth, Annette DIE LINKE 23 .06 .2016 Heller, Uda CDU/CSU 23 .06 .2016 Hintze, Peter CDU/CSU 23 .06 .2016 Hirte, Dr . Heribert CDU/CSU 23 .06 .2016 Hübinger, Anette CDU/CSU 23 .06 .2016 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 23 .06 .2016 Krichbaum, Gunther CDU/CSU 23 .06 .2016 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 23 .06 .2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 23 .06 .2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23 .06 .2016 Mortler, Marlene CDU/CSU 23 .06 .2016 Nowak, Helmut CDU/CSU 23 .06 .2016 Petzold, Ulrich CDU/CSU 23 .06 .2016 Pflugradt, Jeannine SPD 23 .06 .2016 Radomski, Kerstin CDU/CSU 23 .06 .2016 Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU 23 .06 .2016 Schimke, Jana CDU/CSU 23 .06 .2016 Warken, Nina CDU/CSU 23 .06 .2016 Wicklein, Andrea SPD 23 .06 .2016 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 23 .06 .2016 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Jarzombek (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesre­ gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts (Tages­ ordnungspunkt 7) Die Fraktionen CDU/CSU und SPD haben im Koaliti- onsvertrag 2013 eine Novellierung des Kulturgutschutz- gesetzes verabredet . Es soll ein „den Kulturgutschutz stärkendes, kohärentes Gesetz“ geschaffen werden, um sowohl illegal ausgeführtes Kulturgut anderer Staaten effektiv an diese zurückzugeben, als auch deutsches Kulturgut besser vor Abwanderung ins Ausland zu schüt- zen .“ Dieses Ziel teile ich . Der Schutz von national wertvollen Kulturgütern vor dem Verkauf ins Ausland soll durch Aufnahmen in ent- sprechende Verzeichnisse erfolgen . Als Abgeordneter aus Nordrhein-Westfalen kenne ich die vielfältige Kunst- und Kunsthandelsszene aus eigener Erfahrung; Düsseldorf ist eines der wichtigsten Zentren mit einer Vielzahl von Galerien und Kunsthändlern . Die vielfach geäußerte Kritik am Gesetzentwurf zu den Beschränkungen beim Import von Kulturgütern teile ich ausdrücklich nicht . Das Ziel ist, dadurch die Geld- ströme von Kriminellen und Terroristen aus dem Verkauf von Antiquitäten und Kunstwerken aus Raubgrabungen in  archäologischen  Stätten,  insbesondere  in  Konflikt-  und Kriegsgebieten, auszutrocknen . Das kulturelle Erbe der Menschheit ist für einige Konfliktparteien nur Geld- erwerb für Terror und Verbrechen . Illegal gehandelte Kulturgüter dürfen nicht nach Deutschland eingeführt werden, wenn sie aus Fundstätten früherer Hochkulturen rücksichtslos geplündert wurden und damit für das kul- turelle Erbe der Menschheit und künftige wissenschaftli- che Forschung unwiederbringlich verloren gehen . Die Beschränkungen bei der Ausfuhr von Kulturgü- tern sehe ich hingegen kritisch . Es droht die Gefahr, dass das Gesetz das Gegenteil dessen erreicht, was es bezwe- cken soll . Es ist zu befürchten, dass bis zum Inkrafttreten des Gesetzes nach der Übergangszeit mehr Kulturgüter das Land verlassen als anschließend geschützt werden . Selbst der Westdeutsche Rundfunk (WDR) verkauft mehrere wertvolle Werke aus seiner Sammlung zur kurz- fristigen Finanzierung über Auktionshäuser im Ausland . Seit der Diskussion über das Kulturgutschutzgesetz ist zu beobachten, dass deutsche Galerien jetzt zunehmend De- pendancen im europäischen und außereuropäischen Aus- land eröffnen . Auch die Museen in Deutschland werden Probleme haben, internationale Leihgaben für ihre Häu- ser zu bekommen . Auch Sammler werden sich zukünftig fragen, ob ein Investment in zeitgenössische Kunst sinn- voll ist, wenn sie später nicht wissen, ob sie die Waren verkaufen können . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617738 (A) (C) (B) (D) Mit dieser persönlichen Erklärung möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich das Ziel und weite Teile des Gesetzes grundsätzlich befürworte . Die praktischen Auswirkungen der Exportbeschränkungen sehe ich aber nicht ausreichend gewürdigt . Aus diesem Grund enthalte ich mich bei der Abstim- mung über den Gesetzentwurf . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting­Uhl (BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Ab­ stimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bun­ desregierung: Fortsetzung der deutschen Beteili­ gung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch­Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicher­ heitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Ser­ bien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 10) Den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicher- heitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolu- tion 1244 aus dem Jahr 1999 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10 . Juni 1999 und des Militä- risch-Technischen Abkommens zwischen der internatio- nalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Serbien) und der Republik Serbien vom 9 . Juni 1999 lehne ich ab . Ich begründe das: Dieses Mandat besteht nunmehr seit 17 Jahren . Jahr für Jahr wird es verlängert . Nach 17 Jahren internationaler Sicherheitspräsenz ist die Sicherheitslage in Kosovo und der umgebenden Region weiterhin fragil . Übergriffe und Gewaltakte sind fast an der Tagesordnung . Die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo können Beobachtern zufolge jeder- zeit in einen offenen Konflikt münden.  Die sozioökonomische Lage in Kosovo ist unverän- dert schlecht . Vor allem Jugendliche sind in unverant- wortbarem Ausmaß von Perspektivlosigkeit betroffen . Bad Governance sorgt für Klientelismus und Korruption und setzt der weit verbreiteten organisierten Kriminalität nichts entgegen . Das Leben von Minderheiten wie der Roma ist grundsätzlich von Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung geprägt . Macht es Sinn, aus einem solchen Land die Bun- deswehr, die dort Teil der Sicherheitspräsenz ist, abzu- ziehen? Nur das Dort und Jetzt betrachtet: Nein, sicher nicht! In dieser Denklogik verlängert der Deutsche Bundes- tag das KFOR-Mandat jedes Jahr . Auch die Bundestags- fraktion Bündnis 90/Die Grünen gibt ihre Zustimmung mit großer Mehrheit . Der Grund dafür ist durchaus be- rechtigt: Nichts würde besser, wenn das Mandat beendet würde, im Gegenteil würde sich die Situation von Gewalt und Bedrohung eventuell rapide verschlechtern . Responsibility to protect kann sich für mich – wenn der Begriff zu Ende gedacht wird – nicht in militärischer Präsenz erschöpfen . Aber Europa und die UN versagen völlig im Entwickeln einer zukunftsfähigen Strategie für den Westbalkan . Die Republik Kosovo ist noch nicht ein- mal von allen Mitgliedstaaten der EU anerkannt . Trotz des am 1 . April 2016 in Kraft getretenen Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens ist die EU kein Treiber beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Insti- tutionen in Kosovo . Mit militärischer Präsenz allein hat aber weder die EU noch haben die Vereinten Nationen in Kosovo ihr Soll erfüllt . Deutschland hat darüber hinaus Kosovo inzwischen als „Sicheres Herkunftsland“ deklariert . Daraus ergibt sich  für mich  eine ganz besondere Verpflichtung,  beim  Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und Good Governance in Kosovo  behilflich  zu  sein.  Ich  nehme  hier  keine  ange- messenen Bemühungen wahr . Ich lehne deshalb – anders als im letzten Jahr – die Verlängerung des Mandats ab . Nicht, weil ich nicht über- zeugt wäre, dass die internationale militärische Präsenz die Sicherheit dort zumindest in einer fragilen Lage hält, sondern, weil mir die Alibi-Verantwortungsübernahme durch militärischen Einsatz zu wenig ist . Nach 17 Jahren muss die Sinnhaftigkeit eines vor allem auf militärischem Einsatz beruhenden Engagements hinterfragt werden . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weite­ rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Netzneutralität im Rahmen der Vorgaben der EU­Verordnung gesetzlich absichern (Tagesord­ nungspunkt 19) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke ist mittlerweile mehr als sieben Monate alt . In diesen Monaten hat sich eine Men- ge getan . Die Argumentation der Linken, dass wir durch die Verordnung in ein Zwei-Klassen-Internet abrutschen könnten, ist nicht haltbar . Man muss erst einmal deutlich sagen: Es ist eine gro- ße Leistung, dass die Europäische Kommission und das Europäische Parlament mit der Verordnung zum TK-Bin- nenmarkt eine europaweite Verordnung zur Netzneutra- lität auf den Weg gebracht haben . Wir haben erstmals eine einheitliche europäische Regelung . Genau das war das Ziel, welches auch im Koalitionsvertrag verabredet wurde . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17739 (A) (C) (B) (D) Wenn wir als Gesetzgeber anfangen, diese Verordnung wieder in nationale Gesetze umzusetzen, dann machen wir eine Rolle rückwärts . Es ist also schon vom Grundan- satz her eigentlich widersinnig, was Sie in Ihrem Antrag fordern . In der Verordnung zum TK-Binnenmarkt wurde das Thema aus unserer Sicht gut umgesetzt . Ich möchte noch mal kurz deutlich machen, warum wir diese Verordnung brauchen . Wer sich über die Jah- re hinweg an der Diskussion beteiligt hat, weiß, dass Netzneutralität ein sehr dynamisches Phänomen ist . Aus technischer Sicht haben wir stetig steigende Datenmen- gen im Internet zu verzeichnen, mit denen wir verant- wortungsbewusst umgehen müssen . Aus wirtschafts- und netzpolitischer Perspektive darf beim Marktzugang nie- mand diskriminiert werden, um innovativen Start-ups, der Innovationskraft des Mittelstands und der Informa- tionsfreiheit nicht im Wege zu stehen . Die gesellschafts- politischen Fragestellungen drehen sich um einen freien, offenen und diskriminierungsfreien Zugang, für eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe am Internet . Diesen Dreiklang galt es bei der Verordnung zu vereinen, was meiner Meinung nach gut gelungen ist . Wer einen Blick in die Zukunft wirft, wird zudem er- kennen, dass der sich am Horizont abzeichnende neue 5G-Standard im Bereich der mobilen Telekommunikati- on Einzug halten wird . Dann wird das Thema Netzneu- tralität keine Rolle mehr spielen . Beim 4G-Standard, den wir derzeit noch haben, ist das anders . Daher ist die Netz- neutralität derzeit noch notwendig, aber in Zukunft wird genügend Bandbreite zur Verfügung stehen . Aber das nur am Rande . Der jetzige Kompromiss sieht vor, dass wir notwen- dige Investitionen und damit Investitionsanreize für pri- vatwirtschaftliche Netzbetreiber schaffen wollen . Wir benötigen diese, damit der Netzausbau noch schneller vorangeht und weiter leistungsfähige Anschlüsse ge- schaffen werden . Der Staat alleine wird diese Investi- tionen nicht stemmen können . Sie werden allerdings benötigt, um zukünftige Anwendungen im Bereich der Telemedizin, des automatisierten Fahrens oder der Indus- trie 4 .0 mit hohen Bandbreiten und niedrigen Latenzzei- ten gewährleisten zu können . In der Gesamtkonstellation ist es richtig, dass die Bundesnetzagentur für Deutschland die Aufgabe über- nimmt, die Umsetzung der europäischen Regelungen zu überwachen . Die Aufgabe der Spezialdienste ist in der Verordnung ganz klar geregelt: Sie können künftig an der Finanzierung des zusätzlichen Infrastrukturausbaus beteiligt  werden,  indem  sie  für  kostenpflichtige  quali- tätssichernde Datenübertragungen im Internet bezahlen . Ich kann die Diskussion darüber nicht nachvollziehen; denn Spezialdienste dürfen nur angeboten werden, wenn das entsprechende Angebot notwendig ist . Spezialdiens- te dürfen kein Ersatz für offenes Internet sein; das ist ja genau das, was wir alle hier in diesem Hohen Hause gemeinsam fordern . Spezialdienste dürfen nur bei aus- reichenden Netzkapazitäten erbracht werden; auch das ist ein sehr wichtiger Punkt . Dort, wo Bandbreiten nicht ausreichend zur Verfügung stehen, werden auch keine Spezialdienste angeboten werden können . Auch noch wichtig ist: Spezialdienste dürfen die gesamte Qualität des Internets nicht beeinträchtigen . Damit ist festzustellen: Von europäischer Ebene aus sind entsprechende Sicherungen eingebaut worden, so- dass man sagen kann: Das Internet für alle – und das ist das, was wir alle wollen – ist damit abgesichert . Das offe- ne Internet bleibt der Regelfall . Netzbetreiber dürfen aus kommerziellen Gründen weder sperren noch verlangsa- men . Es geht nicht darum, dass Netzbetreiber in Zukunft entscheiden können, welche Inhalte sie transportieren, sondern darum, dass sie in bestimmten Bereichen zusätz- liche entgeltliche Leistungen anbieten können . Dabei ist zu gewährleiten, dass Spezialdienste diskriminierungs- frei ausgestaltet werden, damit keine Nachteile für den Mittelstand oder Gründer entstehen . Denn klar ist auch: Wir brauchen diese Spezialdienste . Das wissen Sie selbst sehr genau . Zu den Spezialdiensten gehören zum Beispiel lebensrettende Dienste, das kön- nen telemedizinische Dienste sein . Das sind auch Diens- te, die für die gesamte Steuerung des Straßenverkehrs notwendig sind . Insofern stehen wir zu den Spezialdiensten . Spezial- dienste werden möglicherweise nicht zum gleichen Preis angeboten werden, aber die Voraussetzungen für die Nut- zung sind klar definiert. Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Eine Umset- zung in nationales Recht ist nicht erforderlich, da die Ver- ordnung europaweit gilt . Ein nationaler Alleingang wäre sogar eher kontraproduktiv, da er zu einer Zersplitterung des Binnenmarktes führen und die Rechtsunsicherheiten erhöhen würde . Zudem hat die europäische Regulie- rungsstelle BEREC am 6 . Juni 2016 einen im Vergleich zu diesem Antrag viel differenzierteren Leitlinienentwurf vorgelegt und verschiedenste Marktteilnehmer dazu kon- taktiert . Die Bundesnetzagentur hat nun die Aufgabe, eine praktische Umsetzung der Regelungen in Deutsch- land zu überwachen . Leitlinien für deren Durchsetzung sollen bis Ende des Sommers erarbeitet werden . Ein jähr- liches  Monitoring  und  weitreichende  Berichtspflichten  wurden ebenfalls vereinbart, um in Brüssel gegebenen- falls gegensteuern zu können . Ich kann nur sagen: Wir sind bei diesem Thema auf einem guten Weg . Ich hoffe, dass der dynamische Prozess hin zum nächsten Standard auch auf europäischer Ebene weiter verfolgt wird . Wir werden Ihren Antrag ablehnen . Klaus Barthel (SPD): Nach der vielfachen Diskussi- on über diesen Antrag der Linksfraktion hätte ich erwar- tet, dass er zurückgezogen wird, anstatt das Plenum des Deutschen Bundestages noch mal damit zu belasten . Schon bei der ersten Beratung am 14 . April 2016 an dieser Stelle haben die Redner der Regierungskoalition überzeugend dargelegt, dass der Antrag nicht geeignet ist, uns dem gemeinsamen Ziel der Netzneutralität auch nur einen Millimeter näher zu bringen . Wir haben – ebenso wie der Antrag – auf die EU-Ver- ordnung 2015/2120/EU hingewiesen . Wie die Links- fraktion in ihrer Begründung selbst feststellt, gilt diese Verordnung mit unmittelbarer Wirkung in allen Mitglied- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617740 (A) (C) (B) (D) staaten . Es ist also nicht möglich, sie durch nationale Ge- setze zu verändern oder aufzuheben . Genau das fordert die Linksfraktion, indem sie die Verordnung ausführlich erörtert und kritisiert . Die Antragsverfasserinnen und -verfasser sind sich dieses Widerspruchs unfreiwillig bewusst, wenn sie im Schlussabsatz der Begründung schreiben: „Mit der vorgeschlagenen Regelung wird die EU-Verordnung umgesetzt“ – Anmerkung: sollen wir jetzt eine Verordnung umsetzen, die Sie vorher wortreich kritisieren? – „und in deren Rahmen die Netzneutralität gewahrt“ – Anmerkung: nachdem Sie vorher ausgeführt haben, dass die Verordnung dies gerade nicht tut . Weiter heißt es: „Dies entbindet nicht davon, zukünftig dafür zu werben, dass die Ausnahmen von der Netzneutralität durch die EU-Verordnung wieder rückgängig gemacht werden .“ So endet Ihr Papier . Das wäre aber auch der ehrliche Ansatz, nämlich zu sagen, dass die Verordnung eigentlich Mist ist, den man ändern muss . Dann sollte man sich aber die Prosa spa- ren, um diesen Mist vorher durch ein nationales Gesetz umzusetzen . Logisch wäre also etwas anderes . Schon aus rein formalen Gründen ist also der Antrag abzulehnen . Aber auch inhaltlich können wir dem Antrag nicht folgen . In der Tat schreibt nämlich die EU-Verordnung die Netzneutralität als Grundsatz fest . Gleichzeitig lässt sie Ausnahmen davon zu, aber sehr begrenzte . So dür- fen Eingriffe nur erfolgen, soweit dies zur Aufrechter- haltung  eines  effizienten Datenverkehrs  erforderlich  ist  oder dies im öffentlichen Interesse liegt, zum Beispiel zur Gewährleistung der Netzsicherheit oder zur Krimi- nalitätsbekämpfung . Bevorzugter Zugang gegen Bezah- lung ist verboten, und Spezialdienste wie Internetfernse- hen oder -spiele dürfen die Qualität des offenen Internets nicht beeinträchtigen . Das ist eine wesentlich sinnvollere Regelung als die von der Linken vorgeschlagene 5-Pro- zent-Regelung, weil erstere auf die Art der Dienste ab- hebt, anstatt für alles Mögliche 5 Prozent zu erlauben . An dieser Stelle wird auch die beschränkte Bedeutung der Netzneutralitätsdebatte sichtbar . Es geht im Kern um die Frage: 5 Prozent von was? Für den Kunden oder die Kundin geht es im Ergebnis um die Frage, wie viel Bandbreite ihm oder ihr zur Verfügung steht . Die meis- ten verfügen heute beispielsweise über 1 Megabit pro Sekunde, es blieben also 0,95 Megabit übrig . Wer aber über 100 Megabit pro Sekunde verfügt, hätte dann immer noch das 100-Fache an Kapazität . Wenn wir unser Breit- bandziel erreichen, alle mit 50 Megabit pro Sekunde zu versorgen, hätten alle das 50-Fache des 1-Megabit-An- schlusses . Wir wollen also in erster Linie nicht wie Linksfrak- tion und Grüne den Mangel verwalten, sondern die Ka- pazitäten erhöhen . Vor diesem Hintergrund stellt sich mir die Frage, weshalb gerade Linksfraktion und Grüne so vehement gegen den Netzausbau durch Vectoring ab Hauptverteiler polemisieren, das als Übergangstechnolo- gie kurzfristig für immerhin rund 15 Prozent der Kund- schaft höhere Übertragungsraten ermöglichen würde . Wer glaubt, dass der Glasfaserausbau, den auch wir für die sinnvollste Infrastrukturmaßnahme halten, schneller ohne Vectoring voranginge, muss sich fragen lassen, wes- halb dort nicht schon längst, bevor Vectoring kommen konnte, mehr investiert wurde und weshalb es derzeit nur deshalb vorangeht, weil EU, Bund, Länder und Kommu- nen großzügig subventionieren . Woher der Anreiz kom- men soll, hier mehr zu investieren, wenn Netzneutralität pur kommt – so wie es der Antrag fordert – und somit ja gerade Geschäftsmodelle mit Gewinnanreiz total verbo- ten werden, steht für mich in den Sternen . Der auf europäischer Ebene jetzt beschrittene Weg er- scheint uns als der einzig sinnvolle . Das Gremium Euro- päischer Regulierungsstellen für elektronische Kommu- nikation, BEREC, ist jetzt in einem ersten Schritt seinem Auftrag nachgekommen, Leitlinien zur Netzneutralität zu entwickeln . Seit dem 6 . Juni 2016 kann man den Ent- wurf einsehen und kommentieren . Die Konsultations- phase dauert bis zum 18 . Juli . Also, liebe Oppositions- fraktionen, auf geht’s! Dort ist die richtige Stelle für Ihre Umsetzungsvorschläge, nicht hier im Bundestag . Auch alle anderen interessierten Kreise sind aufgeru- fen, zu kommentieren, bevor sich dann BEREC erneut mit dem Thema befassen und am 30 . August die endgül- tige Fassung veröffentlichen wird . BEREC betont die Bedeutung der Netzneutralität und definiert die Ausnahmen abschließend: Verkehrsmanage- ment zur Erfüllung rechtlicher Anforderungen, Wahrung von Netzintegrität und -sicherheit sowie Bewältigung von Überlastungen, jeweils unter der Bedingung der Gleichbehandlung gleichwertiger Daten . Es werden die verschiedenen Arten von Diensten definiert, die Ausnah- mebedingungen, unter denen Zero-Rating zulässig sein könnte, ebenso das Verkehrsmanagement, Spezialdiens- te, Transparenz usw . Schließlich wird beschrieben, wel- che Aufgaben die nationalen Regulierungsbehörden bei der Durchsetzung dieser Vorschriften haben . An dieser Stelle zurück zum Antrag der Linksfrakti- on . Sie spricht der Bundesnetzagentur die Legitimation ab, festzustellen, was ein „diskriminierungsfreier Netz- zugang“ ist . Mit Verlaub: Im Rahmen des TKG und der dazugehörigen Verordnungen gehört es zum Alltagsge- schäft der Regulierungsarbeit der Bundesnetzagentur, mit solchen Begriffen umzugehen . Die EU-Verordnung und die BEREC-Regeln werden es der Bundesnetzagen- tur genauso ermöglichen, dies auszulegen . Ich wüss- te nicht, weshalb in diesem Fall der Gesetzgeber dazu besser befähigt wäre . Der Antrag der Linksfraktion gibt darauf leider keine Antwort . Deshalb und aus all den anderen Gründen empfehlen wir die Annahme der Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, gerade im Interesse einer praktikablen Durch- setzung der Netzneutralität . Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Das Internet ist in Gefahr . Zumindest das Internet, so wie wir es kennen . Wir sind drauf und dran, das Internet als Medium für alle zu verlieren. Schuld sind die Profitinteressen einiger we- niger Konzerne . Sie wollen aus dem Mitmach-Internet ein Geldmach-Internet machen . Herauskommen wird ein Zwei-Klassen-Internet, in dem diejenigen, die wenig besitzen, nur noch Basis-Funktionen und diejenigen, die bereit sind, Geld locker zu machen, alle Funktionen nut- zen können . Das klingt alles sehr drastisch, aber das wird Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17741 (A) (C) (B) (D) Ergebnis der EU-Verordnung sein, die Ende letzten Jah- res verabschiedet wurde und das Prinzip der Netzneutra- lität aushöhlt . Wir müssen endlich gewahr werden, dass Netzneutralität nichts anderes ist als die soziale Frage des digitalen Zeitalters . Doch so weit muss es nicht kom- men . Denn die EU-Verordnung bietet die Möglichkeiten, Netzneutralität weitestgehend zu sichern und das Netz für alle offen zu halten . Derzeit diskutiert die europäische Regulierungsbehör- de BEREC darüber, wie die EU-Verordnung ausgelegt werden kann . Leider hält sich die Bundesregierung kom- plett aus dieser Diskussion raus und überlässt das lieber der Bundesnetzagentur . Wir Linke haben spätestens seit dem unsäglichen Vorgehen der Bundesnetzagentur bei ihrer Entscheidung zum Ausbau von DSL-Vectoring un- sere Zweifel, ob da wirklich etwas herauskommt, was die Nutzerinnen und Nutzer des Internets im Fokus hat und nicht die Profitinteressen der Konzerne. Denn was  die Bundesnetzagentur beim DSL-Vectoring veranstaltet hat, nützt ausschließlich der Telekom . Wir wollen daher, dass die Bundesregierung Position bezieht und selbst dafür sorgt, dass die Netzneutralität auf Grundlage der EU-Verordnung gesichert wird . Nun hat BEREC ihre Vorstellungen einer Interpreta- tion der EU-Verordnung vorgelegt . Ganz so katastrophal wie befürchtet sind sie zum Glück nicht . Aber es bleiben immer noch Schlupflöcher. Und diese Schlupflöcher sind  nach meiner Auffassung die Knackpunkte, will man ein Zwei-Klassen-Internet verhindern . Diese Knackpunkte heißen Zero-Rating, zweiseitige Märkte und Spezial- dienste . Diese stellen die größte Gefahr des neutralen Internets da . Und diese wären alle nach den BEREC-Plä- nen erlaubt . Wir wollen, dass zweiseitige Märkte und Zero-Ra- ting-Angebote untersagt werden . Zweiseitige Märk- te bedeutet, dass Zugangsanbieter wie beispielsweise die Telekom nicht nur Geld für den Internetanschluss, sondern noch zusätzlich für dessen Nutzung nehmen können . Wer schneller durchgeleitet werden will, muss mehr zahlen . Hierbei handelt es sich aber um Priorisie- rung, die nur auf kommerziellen Erwägungen beruht . Es hängt wohl kaum ein Leben davon ab, dass ein Vi- deostreamingdienst schneller durchgeleitet wird als ein anderer . Das ist ausschließlich eine Einnahmequelle für Internetanbieter . Verkehrsmanagement-Maßnahmen aus kommerziellen Gründen sind aber laut Artikel 3 Absatz 3 der EU-Verordnung nicht erlaubt . Gleiches gilt auch für Zero-Rating-Angebote wie die schon angesprochene Spotify-Flatrate der Telekom . Auch das ist ein kommer- zielles Verkehrsmanagement und wäre nicht erlaubt . Es würde also der EU-Verordnung entsprechen, wenn zwei- seitige Märkte und Zero-Rating-Angebote explizit unter- sagt würden . Darüber hinaus fordern wir, dass priorisierte Dienste höchstens 5 Prozent der aktuellen Übertragungskapazität ausmachen dürfen, bis  ein flächendeckendes Glasfaser- netz aufgebaut wird . So bleibt sichergestellt, dass aus- reichend Netzkapazität für das offene Internet zur Verfü- gung steht . Als Nebeneffekt würde dies einen Anreiz für Telekommunikationsunternehmen bieten, das Glasfaser- netz schnell und umfassend auszubauen . Nun kann man argumentieren, dass ein solcher Antrag etwas spät kommt . Dieser Auffassung, unter anderem von den Grünen vertreten, kann ich mich nicht anschlie- ßen . Denn würde dieser Antrag angenommen, wäre er ein deutliches Signal an die Bundesregierung und auch an die Bundesnetzagentur, sich konsequent in den Ver- handlungen um die Auslegung der EU-Verordnung für ein wirklich neutrales Netz einzusetzen . Ich kann sie nur inständig darum bitten, mit uns gemeinsam dieses Signal zu setzen . Denn noch ist es eben nicht zu spät, um das Netz für alle zu sichern . Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Netzneutralität – und damit die Gleichbehandlung von Daten bei der Übertragung im Internet und der diskri- minierungsfreie Zugang bei der Nutzung von Datennet- zen – ist in unserer modernen und digitalen Gesellschaft ein hohes und schützenswertes Prinzip . Ein offenes und diskriminierungsfreies Netz hat große und vielfältige Be- deutung für Demokratie sowie wirtschaftliche Innovati- on . Wir als Politikerinnen und Politiker müssen uns dafür einsetzen, Netzneutralität effektiv zu schützen . Es darf nicht zu einem Zwei-Klassen-Netz kommen . Was da nun im vergangenen Herbst auf EU-Ebene, mit den Stimmen der SPD, abgestimmt wurde, ist eine klare Aufweichung der Netzneutralität . Die verabschiedete Telecom-Single-Market-Verordnung beinhaltet zahlrei- che Schlupflöcher und unbestimmte Rechtsbegriffe, die  Spezialdienste grundsätzlich ermöglichen . Dies zeigte sich bereits kurz nach Verabschiedung der Verordnung, als die Telekom just die Einführung von Spezialdiensten ankündigte . Zudem will die Telekom für schnelle Über- tragungsdienste zukünftig am Umsatz von Unternehmen beteiligt werden . Diese Ankündigungen sind nur ein Vor- geschmack dafür, wie die Netzneutralität untergraben wird . Diese Tendenz ist auch aus wirtschaftlicher Sicht fatal . Denn sie könnte auch zu einer Monopolisierung der Digitalwirtschaft führen . Um Deutschland als einen gründungsfreundlichen und innovationsstarken Wirt- schaftsstandort zu etablieren, gilt Netzneutralität als einer der wichtigsten Schlüssel . Um eine Vielfalt von Inhalten und Anbietern zu garantieren, müssen alle Un- ternehmen, vor allem auch kleine und Start-ups, Diens- te und Anwendungen im Internet ohne Diskriminierung und mit gleichen Chancen anbieten können – gerade auch, weil ein Großteil der Innovationen in Start-ups und bei nichtkommerziellen Anbietern entsteht . Diskriminie- rungsfreier Internetzugang ist somit Basis für Vielfalt in einer digitalisierten Gesellschaft und fördert zugleich das Innovationspotenzial unserer Wirtschaft . Die Bundesregierung hat hier klar versagt, sich auf EU-Ebene für den Schutz der Netzneutralität einzuset- zen . Indem sie nun auf die Bundesnetzagentur als Re- gulierungsbehörde verweist, wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht . Es braucht klare nati- onale gesetzliche Regelungen, um die Netzneutralität zu gewähren . Für eine offene und digitale Gesellschaft sowie Wirt- schaft brauchen wir einen allgemein verfügbaren Zugang Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617742 (A) (C) (B) (D) zu schnellem Internet . Dazu braucht es ein bundesweites Breitbandnetz, welches die infrastrukturelle Grundla- ge einer digitalen Gesellschaft ist . Dies so schnell wie möglich zu erreichen, sollte unser aller Ziel sein . Eine fehlende Festschreibung von Netzneutralität und damit die Möglichkeit, Spezialdienste mit Zusatzgebühren an- zubieten, steht hierzu im Widerspruch . Telekommuni- kationsanbieter werden sich so noch weniger bemüßigt fühlen, den Breitbandausbau voranzutreiben . Die Diskussionen um Netzneutralität führen wir seit Jahren . Aber es folgen keine Taten . Die Bundesregie- rung bleibt stumm, anstatt sich klar zu einer freien und digitalen Gesellschaft zu bekennen und sich durch kla- re Regelungen dafür einzusetzen . Ein Blick in andere Länder zeigt, dass dies möglich ist . In den USA hat sich Präsident Obama für Netzneutralität ausgesprochen und höchstpersönlich dafür eingesetzt, dass im vergangenen Sommer weitreichende Regelungen verabschiedet wur- den . Bezahlte Überholspuren sind danach untersagt . Zu- dem müssen Telekommunikationsanbieter transparent und verbindlich darlegen, zu welchen Preisen und mit welchen Geschwindigkeiten sie ihre Dienste anbieten . Zudem unterstützt die dortige Regulierungsbehörde FCC als Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger und Unter- nehmen, wenn es Beschwerden gibt . Das zeigt, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg . Insgesamt unterstützen wir die Intention des vorge- legten Antrags, Netzneutralität gesetzlich zu sichern . Allerdings kommt der Antrag zu spät und spricht sich zudem dafür aus, einen bestimmten Prozentsatz für Spe- zialdienste zuzulassen – dies sehen wir kritisch . Daher enthalten wir uns . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Den europäischen Binnen­ markt weiter vertiefen – Bewährte Standards er­ halten (Tagesordnungspunkt 18) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag „Den europäischen Binnenmarkt weiter vertie- fen – Bewährte Standards erhalten“ reiht sich in eine Viel- zahl von Anträgen und Maßnahmen wie zum Beispiel die Transparenzinitiative und unseren Entschließungsantrag aus dem Januar diesen Jahres: „Berechtigte Interessen des Handwerks und der Freien Berufe im europäischen Binnenmarkt schützen“ ein, die wir als CDU/CSU-Frak- tion in den vergangenen drei Jahren initiiert haben . Wir stellen insbesondere die spezielle Bedeutung des Binnenmarktes für einen freien Handel mit Produkten und Dienstleistungen in den Mittelpunkt unserer Aus- führungen . Die im Oktober 2015 veröffentlichte Kom- missionsmitteilung spricht von 23 Einzelmaßnahmen . Im Bereich der Dienstleistungen, der Freien Berufe und im Handwerk sollen davon alle Punkte bis 2017 umgesetzt werden . Mit unserem Antrag und der heutigen Diskussion hat sich der Bundestag vor dem Hintergrund der Binnen- marktstrategie der Europäischen Kommission ein weite- res Mal zu den bewährten Strukturen im Handwerk und den Freien Berufen bekannt . Es muss aber in diesem Zu- sammenhang weiterhin betont werden, dass die Kompe- tenz der Mitgliedstaaten insgesamt für Berufsregelungen nicht infrage gestellt werden darf . Aus meiner Sicht eines der wichtigsten politische Signale in Richtung Brüssel . Wir sollten heute ein weiteres Signal setzen . Denn im Bereich des Binnenmarkts ist es ganz klar so, dass die vorgelegte Binnenmarktstrategie der KOM zwar im Kern zu begrüßen ist, aber Deutschland auf europäischer Ebe- ne immer wieder mit angeblich „bestehenden Hindernis- sen“ auf dem Dienstleistungsmarkt konfrontiert wird . Wir dürfen uns hierbei aus meiner Sicht nicht verun- sichern lassen . Im Gegenteil: Wir müssen sorgfältig da- rauf achten, dass bestimmte geplante Maßnahmen, die die Stärke der Freien Berufe und auch des Handwerks ausmachen, nicht durch Deregulierung konterkariert werden . Ich möchte exemplarisch einige Beispiele hervorhe- ben: Die KOM will mit einem Dienstleistungspass, mit ei- nem einheitlichen Mitteilungsformular und einem elek- tronischen Dokumentenverzeichnis „für mehr Sicher- heit“ sorgen und Hindernisse für Anbieter, die auf andere EU-Märkte expandieren möchten, abbauen . Zudem wird ein Analyseraster vorgeschlagen, auf das die Mitgliedstaaten zurückgreifen können, wenn sie be- stehende Vorschriften prüfen oder zusätzliche einführen . Schließlich will die KOM „regulatorischer Hindernis- se“ abbauen, zu denen unterschiedliche Rechtsformen, Anforderungen an die Beteiligungsverhältnisse und so- genannte „multidisziplinäre Einschränkungen“ für wich- tige Unternehmensdienstleistungen gehören . Ziel der Binnenmarktstrategie ist die Vertiefung des gemeinsamen Binnenmarkts und der Abbau „ungerecht- fertigter Regulierung“, zu der aus Sicht der Europäischen Kommission eben auch zahlreiche berufsrechtliche Re- gelungen der Freien Berufe und des Handwerks gehören . Wir wollen und müssen aber dafür sorgen, dass deutsche Produkte und Dienstleistungen zukünftig noch besser vermarktet werden können . Und auch deshalb darf es nicht zu einer Senkung der Qualitätsstandards oder gar zur Einführung des Herkunftsprinzips „durch die Hinter- tür“ kommen . Ich denke, wir haben mit dem vorliegenden Antrag drei grundlegende Themenblöcke markiert: in erster Li- nie wirtschaftspolitische Fragen mit dem Blick auf die Stärkung des Binnenmarktes, den „Motor Europas“ . Zu- dem setzen wir zwei wichtige, zusätzliche Signale: Die Weiterentwicklung darf auf keinen Fall zu mehr Büro- kratie führen, und sie muss unter der Einhaltung der Sub- sidiarität vollzogen werden . Bei der Vielzahl der Themen innerhalb der Binnen- marktstrategie gilt es die Kernanliegen deutlich zu ma- chen, das heißt Schwerpunkte zu setzen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17743 (A) (C) (B) (D) Zentrale Forderungen unseres Antrages sind: Praxisrelevante Binnenmarkthindernisse angehen . Wir wollen keine neue Bürokratie aufbauen . Wir wollen bei möglichst allen angekündigten Maßnahmen auf Prak- tikabilität achten . Wir wollen kein Herkunftslandprinzip „durch die Hin- tertür“ – etwa bei Versicherungsvorschriften oder durch den Dienstleistungspass . Ebensowenig wollen wir den Anwendungsbereich der DL-Richtlinie „durch die Hintertür“ ausweiten . Es muss klar werden und notfalls beharrlich immer wieder betont werden, dass Berufszugangs- und Be- rufsausübungsregelungen nur eingebettet im jeweiligen nationalen Kontext sinnvoll zu bewerten sind . Meine Kollegin Barbara Lanzinger wird später diesen Aspekt hervorheben . Die genannten Punkte bedeuten für die EU, dass sie im internationalen Standortvergleich auf Wachstum und zugleich auf Qualitätswettbewerb setzen muss . Es bedeutet außerdem, dass Verbraucherschutz als wichtiges Politikziel erkannt werden muss . Wir können nicht ausschließlich auf ökonomische Aspekte abzielen, denn freiberufliche Dienstleistungen sind nicht „normier- bar“ . An dieser Stelle möchte ich kurz – als Berichterstat- terin für die Freien Berufe – auf aktuelle Zahlen hinwei- sen: Als Arbeitgeber beschäftigen die rund 1,3 Millionen selbstständigen  Freiberufler  in  Deutschland  mittler- weile über 3,3 Millionen Mitarbeiter – darunter circa 122 500 Auszubildende . Gemeinsam wird ein Jahresum- satz von rund 370 Milliarden Euro erwirtschaftet und somit knapp über 10 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beigesteuert . Diese Zahlen sollten wir bei den möglichen Auswir- kungen im Falle einer falschen Weichenstellung der europäischen Binnenmarktpolitik auf die deutsche Wirt- schaft immer im Hinterkopf behalten . Zur Weiterentwicklung des Binnenmarktes brauchen wir nicht immer neue Regelwerke . Wenn zum Beispiel ein Dienstleitungsausweis keinerlei Mehrwert für die davon in der Praxis betroffenen Unternehmen bietet, brauchen wir ihn vielleicht auch nicht . Was wir hingegen einfordern müssen, ist vor allem eine zielgerichtete, effi- ziente Umsetzung und Anwendung schon beschlossener Maßnahmen . Mit unserem Antrag verbinden wir deshalb zum Bei- spiel auch die Absicht, dass der Deutsche Bundestag die Europäische Kommission auffordert, im „Bereich Un- ternehmen“ ein umfangreiches KMU-Programm in An- griff zu nehmen, um die Sichtbarkeit der europäischen KMU-Politik weiter zu erhöhen . Denn es ist notwendig, dass kleine und mittlere Unternehmen die Potenziale des Binnenmarktes optimal nutzen und wachsen können – auch über nationale Grenzen hinaus . Wir werden die europäischen Rechtssetzungsprozesse zur Umsetzung auch der digitalen Binnenmarktstrategie weiter eng begleiten . Unser gemeinsames Ziel dabei ist ein Binnenmarkt, der es Bürgern und Unternehmen er- möglicht, ihre Chancen optimal zu nutzen, um an den Vorteilen dieses Binnenmarktes teilhaben zu können . Seit 1992 trägt der Binnenmarkt, eine der größten Er- rungenschaften der europäischen Integration, zu Wachs- tum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in den Mitgliedstaaten bei . Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte, dass das so bleibt, und dass Deutschland mit seinen hohen Standards seine erfolgreiche Vorreiterrolle, von  der  unsere Bürger  und  unsere Unternehmen  profi- tieren, behält . In diesem Sinne bitte ich um Ihre Unter- stützung . Barbara Lanzinger (CDU/CSU): In diesen Tagen ist das Thema Europa wieder sehr präsent in der öffent- lichen Debatte . Wie wichtig die Europäische Union für unser aller Wohl ist, für eine starke Wirtschaft und für Frieden und Zusammenhalt in Europa, bedarf hier kei- ner weiteren Ausführung . Allerdings – und das sehen wir auch am heutigen Referendum der Briten zum Verbleib in der Europäischen Union – gibt es große Herausfor- derungen, die wir bewältigen müssen . Wir müssen der Tatsache ins Auge schauen, dass es Menschen gibt, die die Vorteile der Europäischen Union infrage stellen . An dieser Stelle möchte ich den früheren tschechi- schen Staatspräsidenten Vaclav Havel zitieren: „Wenn die Einwohner Europas begreifen lernen, dass es sich nicht um ein bürokratisches Monstrum handelt, das ihre Eigenständigkeit einschränken oder gar leugnen möchte, sondern lediglich um einen neuen Typus von Gemein- schaft, der ihre Freiheit vielmehr wesentlich erweitert, dann braucht der Europäischen Union um ihre Zukunft nicht bange zu sein .“ Damit ist auf den Punkt gebracht, was meiner Ansicht nach ein Teil unseres aktuellen Problems ist: Die Sorge vor einem Zuviel an europäischer Regulierung und der Aushöhlung des Subsidiaritätsprinzips gefährden die Akzeptanz der Europäischen Union . Mit anderen Worten muss hinsichtlich der Gesetzgebung aus Europa gelten: So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich . Dieses Prinzip motiviert auch den vorliegenden An- trag zur Binnenmarktstrategie der Europäischen Kom- mission . Der europäische Binnenmarkt ist ganz ohne Zweifel eine große Errungenschaft und hat entscheidend zur Wettbewerbsfähigkeit und zum Wohlstand in Euro- pa beigetragen . Wir begrüßen daher, dass die Kommis- sion sich nun der Modernisierung des Binnenmarkts annimmt . Gleichzeitig wirft die Strategie aber auch an vielen Stellen Fragen auf . Deshalb richten wir uns mit unserem Antrag nicht nur an die Bundesregierung mit der Bitte, die Haltung des Deutschen Bundestages zur Binnenmarktstrategie mit Nachdruck gegenüber der Kommission zu vertreten, son- dern explizit auch an die Kommission selbst . Der Deutsche Bundestag hat bisher noch nicht um- fassend zur Binnenmarktstrategie Stellung genommen, sondern lediglich zu wichtigen Teilbereichen . In diesem Antrag findet sich nun eine Positionierung zu allen Po- litikfeldern, die in der Strategie angesprochen sind . Ich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617744 (A) (C) (B) (D) möchte mich aber auf einige aus meiner Sicht entschei- dende Punkte konzentrieren . Wir machen explizit deutlich, wie wichtig dem Deut- schen Bundestag die in Deutschland bewährten Berufs- zugangs– und Ausübungsregeln und Honorarordnungen für Freie Berufe und Handwerk sind . Diese müssen un- bedingt weiterhin möglich bleiben, denn sie sichern Qua- lität und die Exzellenz, für die wir international geschätzt werden . Sie dienen außerdem dem Verbraucherschutz . Das be- tone ich ausdrücklich, denn aus meiner Sicht wird viel zu häufig eine reine Preisbetrachtung angestellt, die eben  nur vermeintlich im Verbraucherinteresse ist . Die Siche- rung der Qualitäts- und Ausbildungsstandards, also die Professionalität der Leistungserbringung und der Erhalt der Angebotsvielfalt, sind aber genauso wichtig für den Verbraucherschutz . Was wir nicht wollen, ist, dass die Vorschläge der Kommission zum Abbau von Regulierungshemmnissen bei den reglementierten Berufen die mitgliedstaatliche Regelungskompetenz infrage stellen . Es ist auch fraglich, ob es überhaupt notwendig ist, in die gewachsenen Strukturen der nationalen Staaten derart einzugreifen, wie es die Kommission an einigen Stellen tut – beispielsweise, indem sie sich gegen die Mindestsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure wendet . Zum einen schützen die Mindestsätze vor einem Preisunterbietungswettbewerb, der die Exis- tenz unserer Betriebe vor Ort sichert und, wie gesagt, die Qualität der Leistung garantiert . Zum anderen fehlt ein Nachweis darüber, dass ein tat- sächlicher Bedarf für eine Deregulierung besteht, dass also tatsächlich eine nennenswerte Anzahl an ausländi- schen Unternehmen in diesem Bereich auf den deutschen Markt drängen würde, wenn es unsere Berufsregelungen nicht gäbe . Die größten Hürden dürften doch wohl eher Sprachbarrieren und mangelnde Praktikabilität einer Leistungserbringung im Ausland sein . Außerdem ist die Mobilität von Selbstständigen und abhängig Beschäftigten im Binnenmarkt aus unserer Sicht bereits über die Regelungen zur Anerkennung von Berufsqualifikationen hinreichend abgesichert.  Aus ähnlichen Gründen ist auch fraglich, ob es über- haupt eine Notwendigkeit für den sogenannten Dienst- leistungspass gibt, den die Europäische Kommission plant . Jedenfalls darf dieser nicht zu einer Einführung des Herkunftslandprinzips durch die Hintertür führen . Regelungen, die dem Schutz der Arbeitnehmer dienen, wie zum Beispiel der Mindestlohn, müssen unbedingt erhalten bleiben . Was die Vergabe öffentlicher Aufträge betrifft, hat die Europäische Kommission 2014 ein umfassendes Richtlinienpaket vorgelegt, dessen Umsetzungsfrist im April 2016 abgelaufen ist und das in Deutschland frist- gerecht umgesetzt wurde . Bevor nun weitere gesetzge- berische Maßnahmen ergriffen werden, sollte erst einmal die Umsetzung in allen Mitgliedstaaten abgewartet und evaluiert werden . Auch müssen wir vermeiden, dass es zu neuen oder zusätzlichen bürokratischen Lasten wie zum Beispiel Berichts- und Informationspflichten für die  Mitgliedstaaten kommt . Last but not least möchte ich betonen, dass wir es be- grüßen, dass die Kommission sich dem Bereich der so- genannten „Sharing Economy“ oder der partizipativen Wirtschaft annimmt . Dies ist ein spannender Bereich, der jede Menge Innovationspotenzial für die Wirtschaft be- inhaltet . Ganz besonders relevant ist er für den Bereich Tourismus, zum Beispiel bei Online-Plattformen für pri- vate Übernachtungsangebote oder Transportmöglichkei- ten . Hier gilt es, das richtige Augenmaß zu bewahren, um diesen neuen Bereich gut zu gestalten und Innovationen zu ermöglichen, ohne dass es zu Wettbewerbsverzerrun- gen kommt . Und auch hier halte ich es für unabdingbar, dass den Mitgliedstaaten bei einer Europäischen Agenda für die Sharing Economy Gestaltungsspielraum einge- räumt wird . Ich betone noch einmal: Weniger ist manchmal mehr, und gerade in diesen Tagen ist es wichtiger denn je, den europäischen Binnenmarkt mit Augenmaß und auch mit einer gewissen Zurückhaltung zu gestalten . Matthias Ilgen (SPD): Fakt ist: Im Vergleich zu den USA, aber auch zu aufstrebenden Wettbewerbern aus China, Südkorea oder Israel entwickelt sich die digitale Wirtschaft in Europa zu langsam . In der Binnenmarktstra- tegie, über die wir heute beraten, widmet sich die Kom- mission daher zu Recht der partizipativen Wirtschaft . Ich begrüße es, dass die Kommission sich in jüngster Zeit verstärkt der digitalen Wirtschaft annimmt . Zwar haben wir auch bei uns viele gute Ideen für diesen neuen Wirt- schaftszweig, die erfolgreichsten Unternehmen haben ih- ren Sitz aber in den USA . Daher ist der Ansatz der Kom- mission richtig, zu untersuchen, wie Hemmnisse gerade für die partizipative Wirtschaft innerhalb der EU abge- baut werden können . Ich denke dabei beispielsweise an das immer noch verbreitete Geoblocking, das es in einem Binnenmarkt eigentlich nicht geben dürfte . Was wir aber nicht wollen, sind neue Geschäftsmodelle, die sich auf Kosten von sozialer Sicherung, Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechten durchsetzen . Unsere volle Unterstützung hat die Kommission, wenn sie Bürokratie abbauen will für Unternehmen, die über die Grenzen hinweg expandieren wollen . Das zentrale digitale Zugangstor, mit dem verschiedene Onlinediens- te der EU zur Information und Unterstützung für KMU gebündelt werden, ist ein Schritt in die richtige Richtung . Auch eine einheitliche Normung in Europa würde für Hersteller und Dienstleister in der EU vieles erleichtern . Die gemeinsame Normungsinitiative der Kommission begrüßen wir deshalb ausdrücklich . Wenn die EU-Kommission die Zuwanderung von un- ternehmerischen Talenten in die EU fördert, kann sie auf die Unterstützung der SPD zählen . Hier geht es nicht um einen Verdrängungswettbewerb mit bereits in Europa le- benden Menschen, sondern darum, die EU attraktiv zu machen für Männer und Frauen, die ihre Arbeit nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere mitbringen . In Deutschland haben wir mit unserem Aufenthaltsgesetz Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17745 (A) (C) (B) (D) bereits die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, da- mit Unternehmer das Silicon Valley in Richtung Berlin verlassen können . Gemeinsam mit meiner Fraktion unterstütze ich das Ziel der Kommission, den Binnenmarkt für Unterneh- men attraktiver zu machen . Fest steht für mich auch, dass dabei Arbeitnehmerrechte, fairer Wettbewerb und Ver- braucherschutz nicht auf der Strecke bleiben dürfen . Sabine Poschmann (SPD): Der gemeinsame Bin- nenmarkt gehört ohne Zweifel zu den größten Erfolgen der Europäischen Integration . Unternehmen können ihre Waren ungehindert und ohne Zölle über nationale Gren- zen hinweg vertreiben . Die Bürgerinnen und Bürger ge- nießen Reisefreiheit und können selber entscheiden, in welchem Land der EU sie leben, lernen und arbeiten oder vielleicht eine Firma gründen wollen . Mir ist weltweit kein zweiter Wirtschaftsraum dieser Art bekannt! An dieser Stelle sei erwähnt, dass auch unsere briti- schen Freunde einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieses gemeinsamen Marktes geleistet haben – allein schon deshalb wäre ihr Austritt aus der EU höchst be- dauerlich . Der gemeinsame Markt hat Europa auf vielen Gebie- ten zusammenrücken lassen . Deshalb begrüßen wir, dass die EU-Kommission den Binnenmarkt weiterentwickeln will und sich neuen Herausforderungen annimmt . Dazu gehört ohne Frage die Digitalisierung der Wirt- schaft . Viele Branchen verändern sich, neue Geschäfts- modelle entstehen, Innovationen werden vorangetrieben . Davon sollen alle profitieren können. Das aber bedingt  einheitliche Spielregeln und einheitliche Rahmenbedin- gungen . Deshalb sind wir durchaus bereit, unsere nati- onalen Regeln zu prüfen . Allerdings sagen wir ebenso deutlich: Es gibt Grenzen . Dienstleistungen am Men- schen sind nicht gleichzusetzen mit Waren . Wir machen uns mit Nachdruck dafür stark, dass unse- re bewährten Standards erhalten bleiben, und eben nicht in eine Abwärtsspirale geraten . Vor allem nicht, wenn es um den Gesundheitsschutz geht, die Qualitätssicherung und die Rechte von Arbeitnehmern . Ich denke dabei be- sonders an die Berufsregeln für das Handwerk, aber auch an die Honorarordnungen für einige Freie Berufe . Warum sollen wir ein System der Transparenz, der Unabhängigkeit und der Kompetenz aufgeben? Es ist ein Irrglaube zu meinen, dass sich automatisch und per se mehr Wachstum und Beschäftigung einstellen . Län- der wie Italien, Belgien oder Österreich zeigen, dass dies eben nicht der Fall ist . Bei einigen der von der EU-Kommission angekün- digten Maßnahmen müssen wir genauer hinsehen . Zum Beispiel beim Dienstleistungspass . Mit dem Dienstleis- tungspass soll Bürokratie abgebaut werden . Das klingt natürlich gut, denn wer hätte etwas dagegen einzuwen- den? Wenn aber mit einem solchen Pass das sogenann- te Herkunftslandprinzip durch die Hintertür eingeführt wird, werden wir dem eine Absage erteilen . Es muss si- chergestellt sein, dass unsere bewährten Standards wei- terhin gelten . Es muss sichergestellt sein, dass jedes Land das Recht hat, die Einhaltung dieser Standards auch zu prüfen . Deshalb haben wir kein Verständnis für Vorschläge, die zum Beispiel das Fremdkapitalverbot für Kanzleien unterlaufen könnten . Wenn ich zu einem Rechtsanwalt gehe, möchte ich weiter sicher sein, dass er meine Inte- ressen vertritt und nicht die fremder Kapitalgeber oder Anteilseigner . Wir senden ein klares Signal an die EU-Kommission: Ja, wir möchten den europäischen Binnenmarkt wei- terentwickeln . Ja, wir möchten Maßnahmen, mit denen wir Bürokratie abbauen, Verfahren vereinfachen und be- stimmte Standards vereinheitlichen . Was wir nicht möchten, sind der Abbau von Arbeit- nehmerrechten sowie Verschlechterungen beim Ver- braucherschutz und bei der Qualität von Produkten und Dienstleistungen . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Es mutet schi- zophren an, dass zu einem Zeitpunkt, zu dem die aus- einanderstrebenden Fugalkräfte in der EU mittlerweile unübersehbar geworden sind und munter von rechten Regierungen bespielt werden, die Koalitionsfraktionen einen Antrag einbringen, der sich zur Binnenmarktstra- tegie der Kommission verhält, während wenig bis nichts aus dieser Ecke zu den Zerfallstendenzen in der EU zu vernehmen ist . Just heute stimmen die Briten über den Austritt aus der EU ab . Bildlich gesprochen ist das Fun- dament des „Hauses Europa“ am Zerbröseln, aber die Koalition möchte im Erdgeschoss weiter rumwerkeln . Verrückt . Allerdings ist der gemeinsame Binnenmarkt durch- aus Synonym für die Ursachen dieses Zerfallsprozesses . Denn die europäische Integration hauptsächlich über ei- nen gemeinsamen Binnenmarkt gestalten zu wollen, der so konstruiert ist, dass sich sowohl die Arbeitenden als auch die Unternehmen der Mitgliedsländer gegenseitig niederkonkurrieren und staatliche Interventionsmöglich- keiten zugunsten einer anderen, nicht neoliberalen Wirt- schaftspolitik verunmöglicht werden, muss über kurz oder lang zwangsweise zu ihrem Scheitern führen . Die Finanzkrise und die Schäuble’schen „Lösungskonzepte“ waren da nur noch der Brandbeschleuniger . Statt den Zusammenschluss des weltgrößten Wirt- schaftsraums für harmonisierte und koordinierte Min- deststandards zu nutzen und diese auf dem Weltmarkt zu behaupten, basteln die EU-Eliten aber lieber an TTIP mit den USA und CETA mit Kanada . Auch da geht es nicht um eine Harmonisierung auf höchstem Niveau, sondern um möglichst viel „Beinfreiheit“ für große Konzerne und Banken . Dagegen kann nur Sozialstaatlichkeit im Primärrecht Grenzen setzen . Es muss wohl Ignoranz sein, denn Sie scheinen ja ernsthaft zu glauben, dass die Bürger der EU dauerhaft akzeptieren, dass sie Mitglied eines Vereins sind, der sie aufeinander hetzt, sie gegeneinander ausspielt und der Wirtschaft den Primat gegenüber der Politik einräumt . Wirtschaftliche Interessen sind originär Interessen von Einzelnen, bestenfalls kleinen Kreisen . Politik, zumal in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617746 (A) (C) (B) (D) demokratisch verfassten Systemen, soll aber den Interes- sen der Mehrheit zu Geltung verhelfen und die benach- teiligter – wohlgemerkt benachteiligter! – Minderheiten berücksichtigen . Das würde bedeuten, für einen vertraglichen Neustart der EU einzutreten, der gemeinsame soziale Mindest- standards und eine koordinierte Lohnpolitik festlegt, eine harmonisierte Unternehmensbesteuerung durchsetzt, die Finanzmärkte endlich streng reguliert und eine Zentral- bank installiert, deren Geld- und Währungspolitik nicht völlig abgekoppelt ist von politischen Konstellationen und Zielstellungen . Die Banker der EZB sind nämlich weder demokratisch legitimiert noch müssen sie sich ir- gendwo rechtfertigen . Gegenwärtig haben die Menschen den Eindruck, dass es fast egal ist, wen sie wählen, da ja sowieso alles „al- ternativlos“ sei . An dieser Wahrnehmung ist viel dran . Diesen Schuh muss sich aber das politische Personal von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP anziehen . Die haben in trauter Einigkeit jahrelang die EU- und vor allem Kri- senpolitik gemeinsam getragen . Ändert sich nicht schleunigst etwas an den benannten Punkten, wird das nicht nur das Ende der EU, sondern – das gemahnt der Blick nach Ungarn oder Polen – wo- möglich auch das der neuzeitlichen Demokratie . Denn auch der europaweite Frust, die Geringschätzung gegen- über Politikern, der Erfolgsrausch von Rechtspopulisten und Nationalisten haben hier ihren Ursprung . Wie auch immer: Nach dem heutigen Brexit-Refe- rendum wird die EU nicht mehr dieselbe sein . Geben Sie der EU einen Verstand aus Rechts- und Sozialstaatlich- keit und ein Herz aus Solidarität! Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der europäische Binnenmarkt hat eine überragen- de Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft . Knapp 60 Prozent der deutschen Exporte gingen 2015 in Länder der EU . Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland wie in Europa sind eng verknüpft mit einem funktionie- renden europäischen Binnenmarkt . Umso wichtiger ist es, dass dieser Binnenmarkt ständig weiterentwickelt wird, um mit technologischen, aber auch gesellschaftli- chen Veränderungen Schritt zu halten . Und was legt uns die Große Koalition dazu heute vor? Ein Papier mit 39 Spiegelstrichen – ohne erkennbare Fo- kussierung auf die wirklich drängenden Themen, ohne Ordnungsprinzip und in vielen Punkten diktiert von den Interessengruppen . Das ist keine Binnenmarktstrategie, das ist ein Luftballon mit viel heißer Luft, aufgeblasen von den Lobbyverbänden . Was nutzt, wird gelobt, und wenn auch mal von der Bundesrepublik regulatorische Anpassungen eingefordert werden, um Hemmnisse im Binnenmarkt abzubauen, wird der Status quo aufs Äu- ßerste verteidigt, egal ob es Sinn macht oder nicht . Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern: Im Handwerksbereich ist es nach wie vor so, dass Unter- nehmen aus anderen Staaten der EU sehr viel leichter Dienstleistungen erbringen können als Handwerker aus der Bundesrepublik, die keine Meisterprüfung abgelegt haben . Während es teilweise sehr viel leichter ist, sich in einem anderen EU-Land selbstständig zu machen, be- stehen hier oft hohe Hürden . Das ist nicht per se schlecht oder falsch . Aber es ist ein objektiver Nachteil für Ar- beitskräfte aus der Bundesrepublik . Vorschläge, wie das verhindert werden kann, findet man bei Ihnen im Antrag  vergeblich. Man findet keine Aussagen darüber, dass wir  in Deutschland ohne Zweifel einen hohen Qualitätsstan- dard erhalten und vielleicht wiedererlangen wollen – ich verweise auf die immer mehr um sich greifenden Män- gel im Bauwesen –, wir im Hinblick auf die Niederlas- sungsfreiheit aber neue Überlegungen zu einer Öffnung der Handwerksordnung bei gleichzeitiger Stärkung der Qualitätsanforderungen brauchen . Auch verlieren Sie kein Wort über eine stärkere Har- monisierung des europäischen Unternehmenssteuer- rechts . Gerade hier existieren große Verzerrungspoten- ziale des europäischen Binnenmarktes . Natürlich sollte nicht die nationale Steuerrechtskompetenz infrage ge- stellt werden . Aber die Zersplitterung des europäischen Binnenmarktes in 28 unterschiedliche Unternehmens- steuerrechte führt dazu, dass internationale Konzerne effektiv deutlich niedrigere Steuern zahlen als rein na- tional tätige Unternehmen . Sie suchen sich die günstigs- ten Regelungen und sorgen damit dafür, dass der inner- europäische Steuerwettbewerb zwischen Staaten immer schädlichere Züge angenommen hat . Eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer und europäische Mindeststeuersätze würden das beheben und so auch ein Stück weit den EU-Binnenmarkt stärken . Zu- gegeben, ein hartes Stück Arbeit, aber es gehört unbe- dingt auf die Agenda . Gleiches gilt bei der Mehrwertsteuer . Die Koalition mahnt hier zu Recht an, dass die neuen Vorschläge der Kommission nicht zulasten des nationalen Steuerauf- kommens gehen dürfen . Es ist geradezu absurd, dass die Kommission hier wieder ein Stück weit zurück von der Harmonisierung gehen will . Die Bundesregierung beför- dert das Ganze allerdings noch durch ihren lobbygetrie- benen Einsatz für eine mehrwertsteuerliche Ermäßigung für elektronische Dienstleistungen . Wir haben das Pro- blem, dass die großen Internetkonzerne sich sehr ein- fallsreich und legal einer Steuerzahlung entziehen . Der Mehrwertsteuer können sie sich aktuell nur schlecht ent- ziehen . Es ist also falsch, dass Union und SPD hier auf die Einflüstereien der Internetkonzerne hören.  Damit fehlen in Ihrem Antrag wichtige Elemente, die zum europäischen Binnenmarkt dazugehören . Richtig sind ihre Feststellungen und Forderungen zum Erhalt so- zialer und verbraucherschutzrechtlicher Standards . Dass sie dabei die ökologischen Standards nicht erwähnen, zeigt allerdings ihr Desinteresse an dieser Stelle . Insgesamt dürfen hohe ökologische oder soziale Stan- dards in der Tat nicht durch das Herkunftslandsprinzip oder europäische Rechtsformen für kleine und mittlere Unternehmen ausgehebelt werden . Hier sprechen wir also mit einer Stimme, wenn es darum geht, Arbeitneh- merinnen- und Arbeitnehmerinteressen und Mitbestim- mungsrechte zu wahren und andere schädliche Gestal- tungen zu verhindern . Auch mit anderen Punkten aus Ihrem Antrag stimmen wir überein: Eine KMU-Strategie Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17747 (A) (C) (B) (D) kann helfen, Wettbewerbsnachteile kleiner und mittle- rer Unternehmen am internationalen Markt zu beheben . Auch die europäische Bürokratie sollte maßvoller wer- den . Hier versagt die Bundesregierung aber schon im eigenen Land . Meine Damen und Herren, ich hätte mir einen Antrag gewünscht, der klarere Akzente setzt, in den Bereichen der Dienstleistungen, des Steuerrechts, der Digitalisie- rung und der damit verbundenen Chancen . Das kann ich bei dem vorliegenden Antrag nicht erkennen, deshalb können wir dem Antrag nicht zustimmen . Da viele – nicht alle – Einzelpunkte aber durchaus richtige Sach- verhalte adressieren, werden wir uns zu diesem Antrag enthalten, verbunden mit der Aufforderung an die Große Koalition, nachzuarbeiten und klarer die Zukunftsfelder herauszuarbeiten . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes (Tages­ ordnungspunkt 20) Steffen Kanitz (CDU/CSU): Mit dem heute zu eva- luierenden Standortauswahlgesetz setzen wir Empfeh- lungen der Endlagerkommission zur Neuorganisation im Bereich der Endlagerung um . Allen Unkenrufen zum Trotz wird durch maßgebliche Impulse der Endlagerkommission die größte organisato- rische Neuordnung im Bereich der nuklearen Endlage- rung seit über 40 Jahren umgesetzt . Das ist ein – erster – Erfolg der Endlagerkommission, den man nicht hoch genug einschätzen kann . Mein Dank geht an das BMUB für die gute Zusammenarbeit, aber auch an die weiteren beteiligten Ressorts und Fachaus- schüsse . Wir haben ihnen mit dem verkürzten Verfahren einiges zugemutet, aber das hatte seinen guten Sinn: Zum einen endet die Arbeit der Kommission am 5 . Juli 2016 mit der der Übergabe des Abschlussberichts an den Bundestagspräsidenten . Als Union ist es uns wichtig, dass die Empfehlungen der Kommission schnell umge- setzt werden . Die organisatorischen Voraussetzungen da- für schaffen wir heute . Zum anderen ist es für uns von wesentlicher Bedeu- tung, dass Fragen der Organisation und der Sicherheit nicht mit Finanzierungsfragen vermischt werden . Die Ergebnisse der Kommission zur Überprüfung der Finan- zierung des Kernenergieausstiegs (KFK) werden voraus- sichtlich im Herbst parlamentarisch beraten . Daher woll- ten wir eine klare zeitliche Trennung . Nun komme ich zu dem wahrscheinlich nachvoll- ziehbarsten Argument: Die betroffenen Mitarbeiter im Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE), der Asse GmbH, von Schacht Konrad sowie im Endlager für radioaktive Abfälle Mors- leben (ERAM) und Gorleben brauchen endlich Pla- nungssicherheit . Über die Neuorganisation im Endlagerbereich reden wir nun schon seit zwei Jahren, das heißt, es gibt ein Maß der Verunsicherung, was dazu führt, dass sich viele gute Fachkräfte wegbewerben . Wir brauchen aber in Zukunft mehr und nicht weniger kluge Köpfe, um die schwierige Aufgabe der Endlager- suche erfolgreich zu betreiben . Mit diesem Antrag sehen wir als Politik auch ein Zei- chen: Die Endlagersuche, der Rückbau und die Stillle- gung von Kernkraftwerken ist eine Zukunftsaufgabe, die uns in Deutschland noch über Jahrzehnte gut bezahlte Arbeitsplätze bietet . Wir wollen die besten Fachkräfte gewinnen, um diese anspruchsvolle Aufgabe zu meistern, und bitten hier um Unterstützung . Mit dem heutigen Antrag setzen wir europarechtliche Vorgaben zur klaren Trennung von Aufsicht und Betrieb um . Wir schaffen eine effiziente Aufbau- und Ablauforga- nisation und sichern eindeutige Zuständigkeiten . Wir bekommen einen Regulierer, der, mit klaren Kompetenzen ausgestattet, das Standortauswahlverfah- ren Schritt für Schritt überwacht . Wir gründen eine bundeseigene Gesellschaft, die als Vorhabenträger die Betreiberaufgaben von BfS, der DBE, Schacht Konrad, Asse GmbH, dem ERAM und Gorleben übernimmt und zudem eigenverantwortlich sein kann . Während in der Vergangenheit selbst Entscheidungen von untergeordneter Bedeutung einem Lauf von Pontius zu Pilatus gleichkamen, erhält die neu zu gründende bun- deseigene Gesellschaft im Wege der Beleihung hoheitli- che Kompetenzen und kann im Rahmen eines genehmig- ten Budgets eigenverantwortlich handeln . Diese neue Struktur wird nicht nur kostengünstiger sein, weil der Gewinnaufschlag entfällt, sondern insbe- sondere, weil die klaren Zuständigkeiten zu einer zügi- gen Realisierung der Projekte beitragen . Zeit ist der ent- behrliche Kostentreiber, und den bekommen wir jetzt in den Griff . Vor diesem Hintergrund ist es uns unverständlich, dass die Linke diesem Antrag nicht zustimmt . Gerade Ihnen war es doch so wichtig, dass wir Empfehlungen der Endlagerkommission umsetzen . An diesen Grundsatz sollten Sie sich auch halten und heute aus gutem Grunde mitstimmen . Florian Oßner (CDU/CSU): Es ist schon etwas sehr Besonderes, wenn ein Gesetzentwurf von allen vier im Bundestag vertretenen Fraktionen gemeinsam einge- bracht wird . So viel Einigkeit findet sich selten  in diesem Hohen  Haus, was sicher auch ein Indiz für die sehr gute Arbeit der Endlagerkommission ist, die im Mai 2014 ihre Arbeit Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617748 (A) (C) (B) (D) aufgenommen hat und am 5 . Juli ihren Abschlussbericht vorlegen wird . Allen Beteiligten möchte ich deshalb zunächst meinen allerherzlichsten Dank aussprechen für die sehr gute und kollegiale Zusammenarbeit in den letzten zwei Jahren . Besonderes Lob verdient mein geschätzter Fraktions- kollege Steffen Kanitz, der als Sprecher unsere Positio- nen immer wieder deutlich gemacht hat . Lieber Steffen, du hast maßgeblich zum erfolgreichen Abschluss des Kommissionsberichts beigetragen – gro- ßen Dank dafür! Erstens . Weswegen Öffentlichkeitsbeteiligung? Die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Lagerung radioaktiver Abfallstoffe haben gezeigt, dass Standortbenennungen, die intransparent vorbereitet und anschließend an die breite Öffentlichkeit vermittelt wer- den, unüberwindbare Widerstände erzeugen . Deswegen hat bei uns in der Endlagerkommission auch von Anfang an Einigkeit darüber geherrscht, dass die Auswahl eines Standorts für hochradioaktive Abfäl- le mit der bestmöglichen Sicherheit nur erfolgreich sein kann, wenn ein gesellschaftlicher Konsens erreicht wird . Zweitens . Zwischenlager, keine Endlager: Bei allem, aufgrund der Geschichte auch gut nachvoll- ziehbaren Streben danach, eine wirklich einvernehmli- che Entscheidung zu erreichen, müssen wir uns aber auch stets bewusst sein, dass wir die Verpflichtung haben, bei  der Suche nach einem geeigneten Standort auch zu Er- gebnissen zu kommen . Denn: Zwischenlager dürfen keine Endlager werden . Dies können wir der Bevölkerung in den betroffenen Re- gionen nicht vermitteln . So ist zum Beispiel am Standort Isar II bei Landshut mit dem Zwischenlager BELLA nur eine Notlösung geschaffen, welche von uns nie gewollt und nun auch so schnell wie nur irgendwie möglich auf- gelöst werden sollte . Drittens . Sinn und Zweck des Nationalen Begleitgre- miums: Ein zentrales Element der Bürgerbeteiligungen an der neuen Endlagersuche soll das „Nationale Begleitgremi- um“ sein . Was genau kann man sich hierunter vorstellen? Das Nationale Begleitgremium soll eine unabhängige gesellschaftliche Instanz sein, dessen zentrale Aufgabe darin besteht, den Standortauswahlprozess zu begleiten, zu erklären und zu überwachen . Das Gremium soll sich vor allem durch Neutralität und Fachwissen auszeichnen und schlichtend zwischen den Akteuren des Standortauswahlverfahrens eingreifen können . Viertens . Gründe für die Änderung des Standortaus- wahlgesetzes: Bisher war im StandAG festgelegt, dass das Begleit- gremium erst nach der Evaluierung des Gesetzes durch den Bundestag eingesetzt wird, und zwar auf Grundlage des Kommissionsberichtes . Nun besteht jedoch die Gefahr, dass zwischen der Ab- gabe des Berichts und dem Inkrafttreten des evaluierten StandAG der über die Jahre gewachsene, gute gesell- schaftliche Dialog abreißen könnte . Sowohl bei den Kommissionsmitgliedern als auch bei allen an diesem Gesetzentwurf beteiligten Fraktionen hat die Befürchtung bestanden, dass durch diesen „Faden- riss“ der Konsensgedanke sowie mühsam aufgebautes Vertrauen wieder verloren gehen könnte . Dies gilt es unbedingt zu verhindern, weswegen wir uns fraktionsübergreifend auf die vorliegende Änderung des Standortauswahlgesetzes verständigt haben . Denn die gute und harte Arbeit der Kommission, der letzten Jahre, darf unter keinen Umständen zunichtegemacht werden . Sie muss unbedingt ihren Niederschlag im spä- teren Suchverfahren finden. Das Nationale Begleitgremium muss deshalb unbe- dingt „ab Tag 1“ der Standortauswahl einsatzbereit sein, auch wenn dies zunächst nur in einer „Brückenphase“ der Fall sein wird . In dieser Phase wird das Gremium zunächst aus neun Mitgliedern bestehen . Hiervon sollen sechs Mitglieder sich durch ein „gesellschaftlich hohes Ansehen“ aus- zeichnen und je zur Hälfte von Bundestag und Bundes- rat vorgeschlagen werden . Zudem sollen dem Gremium zwei Bürger sowie ein Vertreter der „jungen Generation“ angehören . Die Amtszeit der Mitglieder wird auf drei Jahre be- grenzt . Jedes Mitglied kann insgesamt dreimal berufen wer- den und soll keiner gesetzgebenden Körperschaft in Bund oder den Ländern sowie keiner Bundes- oder Lan- desregierung angehören . Auch sollen die Mitglieder kei- ne wirtschaftlichen Interessen in Bezug auf die Standort- auswahl oder die Endlagerung im weitesten Sinn haben . Fünftens . Stand der Arbeit der Koalition: In Absprache mit allen Fraktionen haben wir uns da- für entschieden, in Anpassung an die Wahl der Mitglieder der Endlager-Kommission die Personen direkt durch den Bundestag und Bundesrat wählen zu lassen . Zudem sollen die zwei Bürger sowie der Vertreter der jungen Generation durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit einge- bracht werden . Sechstens . Schluss: Ich denke, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ha- ben wir eine gangbare Regelung gefunden, um die gute und konstruktive Arbeit der letzten Jahre offen und trans- parent sowie mit Beteiligung der Öffentlichkeit weiter fortzuführen . Deswegen werbe ich ausdrücklich um Zu- stimmung zu dem Gesetzentwurf . Dr. Matthias Miersch (SPD): Der Deutsche Bundes- tag setzt heute ein ganz wichtiges Signal . Mit ausdrückli- cher Unterstützung aller im Bundestag vertretenen Frak- tionen setzen wir heute ein unabhängiges Gremium ein, das die Suche nach einem atomaren Endlager aus Ge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17749 (A) (C) (B) (D) meinwohlperspektive aktiv begleiten soll . Wir nehmen damit Vorschläge bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf, die in der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Ab- fallstoffe erarbeitet worden sind . Kräftig ist im Vorfeld über die Kompetenz eines sol- chen Gremiums diskutiert worden . Nachdem wir als Be- richterstatter den Vorschlag gemacht haben, wurden wir von Rechtsprofessoren massiv kritisiert . Es hieß sogar, unser Vorschlag sei mit der Verfassung nicht vereinbar . Wir würden in die Gewaltenteilung eingreifen wollen . Diese Kritik offenbart, dass die Lehren aus einem jahrzehntelangen Holzweg in der Endlagersuche in Deutschland immer noch nicht allseits anerkannt werden . Es geht nicht um die Schwächung von Politik und Ver- waltung . Es geht darum, jahrzehntelang gewachsenes – und in der Endlagerfrage auch begründetes – Misstrau- en in staatliche Strukturen wettzumachen . Das wird nur durch deutliche Signale der Vertrauensbildung erreicht werden können . Diese müssen auch institutionell abgesi- chert werden . Insoweit ist das Nationale Begleitgremium ein Mosaikstein in einer neuen Kultur der Transparenz und des Lernens . An den Kompetenzen der Gewalten in unserem Verfassungssystem wird nicht gerüttelt . Aber wir setzen auf ein unabhängiges Gremium, das den Pro- zess von Beginn an begleitet, fragt und Empfehlungen aussprechen kann . Es kann wissenschaftliche Expertise anfordern und Defizite klar benennen, wenn sie denn auf- treten . Dabei geht es um die gesamtgesellschaftliche Per- spektive . Insoweit ist es wichtig, dieses Gremium jetzt auf den Weg zu bringen und nicht erst, wenn Bundestag und Bundesrat die Empfehlungen der Endlagerkommis- sion ausgewertet haben . Bereits jetzt werden Behörden gebildet . Auch das bringen wir heute auf den Weg, sodass die Begleitung auf Augenhöhe von Anfang an entschei- dend ist . Dabei greifen wir direkt auch Vorschläge auf, die di- rekt aus den Workshops der Kommission heraus entstan- den sind . Von den zunächst eingesetzten neun Mitglie- dern des Nationalen Begleitgremiums werden drei nach dem Zufallsprinzip ausgewählt . Darunter wird auch eine Vertreterin oder ein Vertreter der jüngeren Generation sein . Sicher, Zufallsbürger sind kein Garant für ein faires Verfahren . Viele Beispiele – bis hin zu der Erarbeitung von Verfassungen in anderen Staaten – belegen aber, dass Zufallsbürger  den Prozess  positiv  beeinflussen  können.  Der Begründungsdruck wird gesteigert . Die Anforderun- gen an Plausibilität und Nachvollziehbarkeit von Ent- scheidungen werden erhöht . Insoweit ist auch diese Ent- scheidung ein wichtiger Schritt, dass wir Neues wagen . Wie schon erwähnt, werden wir mit dem Gesetz heute auch die Behördenstruktur neu regeln . Diese Novellie- rung basiert ebenfalls auf einem Beschluss der Endla- gerkommission . Entscheidende Neuerung dabei ist die Entprivatisierung der atomaren Entsorgungsaufgaben . Denn die deutsche bundeseigene Gesellschaft für kern- technische Entsorgung, kurz die BGE, wird als Vorha- benträger im Bereich der Endlagersuche fungieren und damit Aufgaben des Bundesamtes für Strahlenschutzes übernehmen, das sich bislang privater Gesellschaften als Verwaltungshelfer bedienen musste . Da die Verträge zum Teil aus den 80er-Jahren stammen und der monopolisti- schen Aufgabe entsprechend gestaltet sind, wird mit der nun angestrebten Neuordnung auf lange Sicht erhebli- ches Einsparpotenzial verbunden sein . Durch die Strukturänderung agiert das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) zukünftig vollständig getrennt von der für die Auswahl, die Errich- tung, den Betrieb und die Stilllegung von Endlagern so- wie der für die Schachtanlage Asse II zuständigen Orga- nisationseinheit. Die Verwaltung wird dadurch effizienter  und transparenter das Verfahren steuern . Zudem haben wir für Planungssicherheit bei den Beschäftigten der DBE und der Asse GmbH gesorgt . Machen wir uns nichts vor: Die Suche nach einem atomaren Endlager wird noch ein sehr langer Weg . Es geht um ganz viel . Viel Vertrauen ist in der Vergangen- heit zerstört worden . Gerade deshalb müssen wir unserer Verantwortung auch gegenüber nachfolgenden Genera- tionen gerecht werden . Die Einsetzung des Nationalen Begleitgremiums ist ein erster wichtiger Schritt . Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Wieder einmal be- schäftigt sich der Bundestag mit dem Thema Atommüll, wie die radioaktiven Abfälle unter Kontrolle zu bringen und wie sie dauerhaft und möglichst sicher zu lagern sind . Das nukleare Erbe einer unverantwortlichen Energiepo- litik, die niemals hätte begonnen werden dürfen und mit der sich noch viele Generationen abquälen müssen . Meine Fraktion hat das Standortauswahlgesetz bei sei- ner Einbringung 2013 abgelehnt, und daran halten wir auch weiterhin fest . Noch ist die Kommission bis nächste Woche dabei, ihre Empfehlungen zur Evaluation dieses Gesetzes zu beschließen . Aber ich verrate hier kein Geheimnis, wenn ich sage: Wir sind sehr skeptisch, dass die von uns und vielen Antiatomorganisationen kritisierten schweren Mängel in dem Gesetz tatsächlich beseitigt werden . Meine Fraktion Die Linke wird sich heute in der Abstimmung des anstehenden Änderungsantrages zum Standortauswahlgesetz enthalten . Wir unterstützen ausdrücklich die Initiative, ein nati- onales Begleitgremium für die Bürgerbeteiligung bei der Suche nach einem Atommüll-Dauerlager vorzuziehen . Dies haben wir gemeinsam mit den Berichterstattern der anderen Fraktionen auf den Weg gebracht, denn damit wird eine Lücke bei der Öffentlichkeitsbeteiligung ge- schlossen . Wir finden es auch richtig, wenn im Zuge der verän- derten Behördenstrukturen die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE), die zu 75 Prozent den AKW-Betreibern gehört, nicht mehr Teil des Verfahrens sein wird . Denn dieses muss in verstaatlichten Strukturen ablaufen . Wir enthalten uns dennoch, weil mit dem „Bundesamt für kerntechnische Entsorgung“ eine Superbehörde beim Bundesumweltministerium entstehen soll, die nur sinn- voll ist, wenn es als Ausgleich sehr starke Bürgerrechte und vor allem Klagerechte für die künftig Betroffenen gibt . Dazu liegt uns derzeit nichts vor, die Endlagersuch- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617750 (A) (C) (B) (D) kommission strickt noch an Vorschlägen, aber wir müs- sen befürchten, dass es diese erforderlichen starken Bür- ger- und Klagerechte am Ende nicht geben wird . Wenn es gelingen soll, den seit Jahrzehnten andauern- den  schweren  gesellschaftlichen Atomkonflikt  zu  über- winden, dann gehört zu dem oft behaupteten Neustart bei der Endlagersuche aus meiner Sicht unbedingt dazu, eine Politik staatlicher und wirtschaftlicher Machtdurchset- zung zu beenden . Frau Umweltministerin Hendricks . Sie haben der An- tiatombewegung jüngst bescheinigt, dass sich diese um „unser Land verdient gemacht“ hat, weil sie die „Risiken einer zu gefährlichen Art der Energieerzeugung“ nicht hingenommen hat . Für diese Worte danke ich Ihnen . Aber lassen Sie mich auch feststellen: Atomkraftgegner haben nicht nur „Schmähungen“, wie Sie sagen, ertragen müssen . Sie sind immer wieder mit massiver Staatsge- walt, mit Kriminalisierung, Demonstrationsverboten und vielem mehr konfrontiert worden . Diese Antiatombewe- gung hat aufgrund vieler – oft sehr persönlicher – Erfah- rungen gute Gründe, staatlichem Agieren gegenüber sehr misstrauisch zu sein . Daher braucht es auch mehr als nur warmer Worte und Beteuerungen, wenn es bei der Atompolitik tatsächlich um einen Neustart gehen soll . Es ist jedenfalls nicht son- derlich überzeugend, von Neustart zu sprechen, wenn im gleichen Moment die Haftung der Atomkonzerne für die Finanzierung der Atommüllberge letztlich abgeschafft wird und den Bürgerinnen und Bürgern im Wendland er- klärt wird, dass Gorleben weiter im Rennen bleibt . Das schafft kein Vertrauen und keinen Neuanfang . Ein Neustart braucht nicht nur Worte, sondern konkre- te Taten: Deshalb muss Gorleben aus dem Verfahren ge- nommen werden, und deshalb braucht es zum Ausgleich einer zentralisierten Behördenstruktur starke Bürger- und Klagerechte . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor zwei Jahren wurde auf Basis des Standortauswahl- gesetzes eine Kommission aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingesetzt, die unter anderem auch den Auftrag hatte, das gerade beschlossene Gesetz zu evalu- ieren . Dem sind wir in aller Ausführlichkeit nachgekom- men . Wenn die Kommission am kommenden Montag ihre Arbeit mit Beschluss ihres Berichtes abschließt, dann werden Bundestag und Bundesrat nicht nur Empfehlun- gen für neue Partizipationsstrukturen übergeben, nicht nur Kriteriensätze für die sicherheitsorientierte Stand- ortauswahl, sondern auch viele weitere Empfehlungen zum Rechtsschutz, zum Exportverbot von Atommüll, zur Behördenstruktur – um nur die Herausragendsten zu nennen . Zwei Teile dieses umfassenden Konvoluts legen wir bereits heute vor . Zwei Teile, deren Implementierung bereits vor Beginn der Standortsuche nötig ist . Es geht einmal um das Nationale Begleitgremium und zum ande- ren um die Behördenstruktur . Ich begrüße es sehr, dass wir bei der vorgezogenen Einsetzung des Nationalen Begleitgremiums einen Kon- sens über alle Bundestagsfraktionen hinweg erzielen konnten . Dies ist ein gutes Zeichen und gibt Hoffnung, dass alle politischen Kräfte bei dem so herausfordernden wie singulären Projekt einer vergleichenden Endlagersu- che konstruktiv an der Erreichung des Ziels mitwirken . Es wird alle Kräfte brauchen, um die Endlagersuche am Ende nicht in einen Bürgerkrieg münden zu lassen, son- dern durch Transparenz, Partizipation und nachvollzieh- bare Sicherheitsorientiertheit der Akzeptanz eine Chance zu geben . Das Nationale Begleitgremium wird hierbei ein un- verzichtbarer Akteur sein . Als gemeinwohlorientierter Vermittler und Beobachter soll es der Behörde und dem Vorhabenträger beratend zur Seite stehen und darauf achten, dass das Verfahren entsprechend der gesetzlichen Vorgabe und den Empfehlungen der Kommission umge- setzt wird . Das Gremium wird eine moralische Instanz sein, vergleichbar dem Ethikrat, das die Rechte aller Be- troffenen und übrigens auch der nachfolgenden Genera- tionen im Blick haben wird . Dieses Gremium ist ganz ausdrücklich keine Vertretung irgendwelcher Einzelinte- ressen, weshalb dort auch keine Vertreter betroffener Re- gionen Mitglieder sein sollen . Diese wirken in anderen Beteiligungsgremien und Formaten wie den Regional- konferenzen oder dem Rat der Regionen mit . Anders als in der Endlagerkommission, in der es da- rum ging, die diversen Akteure der Gesellschaft, die ein Interesse an der Entwicklung des Suchverfahrens haben, zusammenzubringen, geht es im Nationalen Begleitgre- mium darum, Personen zu finden, denen von einem mög- lichst großen Teil der Gesellschaft hohes Vertrauen und Wertschätzung entgegengebracht wird . Sie werden zwei Drittel des Nationalen Begleitgremiums ausmachen . Das dritte Drittel soll von „Zufallsbürgern“ gebildet werden . Einer der Schlüsselbegriffe der neuen Standortsuche ist das „Lernende Verfahren“ . Aus Fehlern zu lernen, aber auch die Bereitschaft, Dinge anders zu machen, als man sie immer gemacht hat, weil es genügend Hinweise gibt, dass es anders besser ist, das wird für das Gelingen des großen und langwierigen Verfahrens notwendig sein . Wir haben – soweit wir dazu fähig waren – schon mal damit angefangen . Auch mit dem Zufallsbürger schlagen wir Neues vor . Die Idee wurde aus den Beteiligungsformaten an der Kommissionsarbeit an uns herangetragen, und wir wollen sie umsetzen . Es ist sehr schade, dass die Linke, anders als bei der vorgezogenen Einsetzung des Nationalen Begleitgremi- ums, der Neuorganisation der Behördenstruktur nicht zustimmen will . Mit der neuen Struktur schaffen wir Klarheit . Die Befürchtung der Linken, wir würden eine Superbehörde schaffen, die schwer zu kontrollieren ist, ist in meinen Augen nicht begründet . Das Auswahlver- fahren wird in seinem Verlauf immer wieder an Bun- destag und Bundesrat zurückgegeben, die sich mit den Vorschlägen der Behörde befassen und sowohl über die Standorte zur obertägigen und untertägigen Erkundung als auch über den endgültigen Standort per Gesetz ent- scheiden . Das letzte Wort hat also der Gesetzgeber . Die Endlagerkommission hat bei der Neuorganisati- on der Behördenstruktur Lehren aus der Vergangenheit gezogen . Es soll – anders als noch im Standortauswahl- gesetz von 2013 festgelegt – nur eine Bundesbehörde für die Endlagersuche geben, die für Aufsicht und Ge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17751 (A) (C) (B) (D) nehmigung zuständig ist . Der Vorhabenträger wird eine neue bundeseigene Gesellschaft sein, die zu 100 Prozent in öffentlicher Hand sein wird und deren zukünftige Pri- vatisierung ausgeschlossen ist . Die Energieversorgungs- unternehmen, die über ihre Tochter GNS die bisherige Endlagerbaugesellschaft DBE zu 75 Prozent besitzen, werden an Endlagersuche und Endlagerbau also nicht mehr beteiligt sein . Diese Struktur beschließen wir heute, allerdings harrt die mögliche Umsetzung noch der dafür notwendigen Gespräche mit den Energieversorgern . Die Verhandlun- gen wurden, als die Atomfinanzierungskommission KFK  eingerichtet wurde, auf Eis gelegt . Über die Ergebnisse der KFK wird an anderer Stelle noch zu reden sein . Die Gespräche mit den Energieversorgern sollten jetzt drin- gend wieder aufgenommen werden . Der heute vorgelegte Gesetzentwurf ist nur ein klei- ner Teil dessen, was die Endlagerkommission empfiehlt.  Dass sowohl in der Vorbereitung des Gesetzentwurfs wie auch in der Beratung im Umweltausschuss große Einig- keit herrschte, nehme ich als gutes Zeichen für die große Novelle des Standortauswahlgesetzes, die wir im Herbst vor uns haben . Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um- welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode parteiübergreifend ein sehr großes Ziel vorgenommen: Nach dem endgül- tigen Ausstieg aus der Atomenergie in wenigen Jahren in Deutschland wollen wir mit den atomaren Hinterlas- senschaften verantwortungsvoll und in größtmöglichem gesellschaftlichen Konsens umgehen . Bis Mitte des Jahr- hunderts soll ein Endlager für die hochradioaktiven Ab- fälle gefunden und fertiggestellt werden . Die Koalition hat vereinbart, in dieser Legislaturperi- ode die Lösung der Endlagerfrage ein großes Stück vo- ranzubringen . Nur wenn wir von Anfang an darauf ach- ten, dass alle Schritte sorgsam und zeitgerecht gegangen werden, wird es möglich sein, den zwar lang erscheinen- den, tatsächlich aber doch ambitionierten Zeitplan ein- zuhalten . Wir haben uns das Thema nicht selbst ausgesucht, aber wir sehen das als unsere Verantwortung gegenüber den Generationen an, die nach uns kommen . Eine der drängenden Aufgaben ist die Fertigstellung des Endlagers Konrad für die schwach- und mittelradio- aktiven Abfälle . Dass es in der Vergangenheit aus ver- schiedensten Gründen zu Verzögerungen gekommen ist, ist zwar bedauerlich, aber „Bauen im Bestand“ birgt im- mer auch zeitliche Risiken; das ist nicht zu ändern . Was verbessert werden kann und muss, ist die Orga- nisation im Bereich der Endlagerung, die im Moment noch auf Entscheidungen aus den 70er-Jahren beruht . Sie gewährleistet heute keine effiziente Erledigung der hoch- komplexen Endlageraufgaben mehr . Wir wollen optimale Bedingungen für die Suche nach einem Endlagerstandort insbesondere für Wär- me entwickelnde Abfälle schaffen . Deswegen wird der fraktionsübergreifende Gesetzentwurf zur Änderung des Standortauswahlgesetzes von der Bundesregierung vollumfänglich mitgetragen . Der vorliegende Gesetzentwurf zielt darauf ab, die Zuständigkeiten eindeutig zuzuordnen und eine effizien- tere Aufgabenerledigung zu gewährleisten . Die Betrei- ber- und Betriebsführungsaufgaben, die bislang durch das Bundesamt für Strahlenschutz einerseits und die Ver- waltungshelfer DBE mbH und Asse GmbH andererseits wahrgenommen wurden, werden zukünftig auf eine bun- deseigene, privatrechtliche Gesellschaft übertragen . Dadurch werden „lange Wege“ zwischen Vorhaben- träger und Verwaltungshelfer beseitigt, was völlig richtig und sinnvoll ist . Auf behördlicher Seite werden die Genehmigungs- und Aufsichtsaufgaben im Bundesamt für kerntechni- sche Entsorgung konzentriert . Durch die Trennung von Betreiberaufgaben und Regulierungsaufgaben werden die Zuständigkeiten eindeutig festgelegt . Außerdem kann die Zulassungs- und Aufsichtsbehörde so vollständig un- abhängig agieren . Und schließlich wird das Bundesamt für Strahlen- schutz als eigenständige Bundesoberbehörde erhalten und sich ausschließlich auf die vielfältigen Fragen des Strahlenschutzes konzentrieren können, die in der öf- fentlichen Wahrnehmung in der Vergangenheit häufig im  Schatten der Entsorgungsfragen standen . Mit dem vorliegenden Gesetz setzen wir übrigens auch einen entsprechenden Beschluss der Endlagerkom- mission um . Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Mitgliedern der Endlagerkommission, aber auch den involvierten Behörden BfS und BfE für die geleistete Arbeit bei der Neuorganisation herzlich zu danken . Der Deutsche Bundestag hat die Kommission 2014 eingesetzt, mit dem Ziel, die Entscheidungsgrundlagen für ein Standortauswahlverfahren zu entwickeln . Die Ar- beit dort läuft sehr konstruktiv . Wir erwarten, dass die Beratungen noch in diesem Monat abgeschlossen und der Bericht im Anschluss vorgelegt werden kann . Der Gesetzentwurf sieht auch vor, das Nationale Be- gleitgremium für den Standortauswahlprozess vorzeitig einzusetzen, damit der Faden der gesellschaftlichen Be- teiligung nicht abreißt . Dadurch kann die gemeinwohlorientierte Begleitung des beginnenden Auswahlverfahrens fortgeführt werden, die ursprünglich erst nach der Evaluierung des Standort- auswahlgesetzes vorgesehen war . Die Aufgabe dieses Gremiums wird vor allem eine vermittelnde und unab- hängige Begleitung des Prozesses sein . Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Konsens bei der Suche nach einem Standort für ein Endlager möglich ist . Ein Konsens kann gelingen, wenn alle Beteiligten bis zum Schluss vertrauensvoll zusammenarbeiten – und der Prozess für die Öffentlichkeit transparent gestaltet wird . Neben der offenen Diskussion, die für mich selbstver- ständlich ist, machen klare Organisationsstrukturen die Sache besser und verständlicher . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617752 (A) (C) (B) (D) Die Atomkraft bindet uns bis in alle Ewigkeit an die Folgen einer Technologie, die gerade einmal 60 Jahre lang  in  Betrieb  war. Wir  haben  die Verpflichtung,  den  kommenden Generationen dieses Problem in geordneter Weise zu übergeben . Das heute vorgelegte Gesetz wird uns dabei nachdrücklich helfen . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD: Sozialen Basisschutz in Entwick­ lungsländern schaffen (Tagesordnungspunkt 21) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): 1948 wurde in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung das Recht auf so- ziale Sicherheit aufgenommen . Funktionierende soziale Sicherungssysteme sind dafür zwingend notwendig . So- ziale Sicherungssysteme entstehen aber nicht über Nacht . Ein funktionierendes System muss wachsen, es muss aus dem individuellen Staat heraus gebildet werden . Wie aus dem ILO-Bericht von 2015 hervorgeht, werden diesem Ideal heute nur 27 Prozent der weltweiten Staaten mit einem umfassenden sozialen Sicherungssystem gerecht . 73 Prozent haben nur partielle oder gar keine Deckung . Blicken wir in unsere eigene Vergangenheit, zeigt sich der Grundstein des deutschen Sozialstaates in der Verkündung der sogenannten „Kaiserlichen Botschaft“ durch Reichskanzler Otto von Bismarck am 17 . Novem- ber 1881 . Meilensteine waren 1883 die Krankenversiche- rung, 1884 die Unfallversicherung, 1889 die Rentenver- sicherung . Dem folgte ein langer Weg mit den Lehren aus zwei Weltkriegen, der zum modernen sozialen Netz der Bundesrepublik geführt hat . Damit zeigt sich, dass auch eines der heute am besten ausgebauten Systeme sozialer Sicherung einen langen und steinigen Weg hinter sich bringen musste, um zu dem zu werden, was es ist . Zu- dem entstand unser eigenes System der sozialen Siche- rung durch innenpolitischen Druck . Dieser wurde zum einen durch die Industrialisierung und Verarmung weiter Bevölkerungskreise und zum anderen als Reaktion auf einen erstarkenden Sozialismus, dem Bismarck durch die Einführung der Versicherungen den Wind aus den Segeln nehmen wollte, verursacht . Also war auch in unserer eigenen Geschichte nicht ein Ideal Ausgangspunkt für die Etablierung der sozialen Si- cherung, sondern machtpolitische Erwägungen und die Erkenntnis bzw . Prognose der gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Vorteile, die eine soziale Sicherung bringen würde . Und genau diese Erkenntnis der Vorteile der Einführung eines Systems der sozialen Sicherung ist es, die wir aus unserer über hundertjährigen Erfahrung weitergeben müssen . Diese Erkenntnisse um die Entstehungsgeschich- te müssen aber auch in der Umsetzung im Rahmen der Entwicklungspolitik beachtet werden . Soziale Sicherung steht nicht im freien Raum des Staates, sondern muss so- wohl in der Gesellschaft als auch im politischen Raum manifestiert werden . Soziale Sicherung ist nie Selbst- zweck, sondern ein Baustein für ein funktionierendes Gemeinwesen . Daran müssen sich dann aber auch die sonstigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen orien- tieren . Sonst verfehlt die soziale Sicherung ihren Zweck, Nachteile auszugleichen und Menschen zu schützen . Die Etablierung von sozialer Sicherung ersetzt aber vor allem nicht die weiter gehende Entwicklungspolitik, die den Aufbau eines tragfähigen und leistungsfähigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zum Ziel haben muss, aus dem dann die sozialen Sicherungssysteme dauerhaft gespeist werden . Die gewissermaßen im staat- lichen Entwicklungsprozess vorgezogene Einrichtung sozialer Sicherungssysteme dient der Beschleunigung des Vorgangs, weil die Lasten der Entwicklung redu- ziert werden . Dies gilt vor allem dann, wenn durch ein stetiges und zunehmendes Bevölkerungswachstum das notwendige Wirtschaftswachstum nicht Schritt zu halten vermag . Es besteht mithin eine Wechselwirkung zwischen so- zialer Sicherung und Entwicklungsprozess . Seit der Millenniumentwicklungserklärung im Jahr 2000 hat sich die Weltgemeinschaft entschlossen, mit konkreten Zielen ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden . Die Verwirklichung der Bekämpfung von extremer Armut und Hunger, der allgemeinen Grund- schulbildung, die Förderung der Gleichstellung der Ge- schlechter, die Senkung der Kindersterblichkeit, die Ver- besserung der Müttergesundheit, die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen, die Sicherung der öko- logischen Nachhaltigkeit, der Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft sind nicht vorzustellen ohne den Aufbau sozialer Sicherungssysteme . Die 2015 verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele neh- men noch konkreter Bezug auf die Etablierung von so- zialer Sicherheit . SDG 1 .3 fordert, den nationalen Ge- gebenheiten entsprechende Sozialschutzsysteme und -maßnahmen für alle umzusetzen, einschließlich eines Basisschutzes, und bis 2030 eine breite Versorgung der Armen und Schwachen zu erreichen . SDG 3 .8 fordert eine allgemeine Gesundheitsversorgung, einschließlich der Absicherung gegen finanzielle Risiken, den Zugang  zu hochwertigen grundlegenden Gesundheitsdiensten und den Zugang zu sicheren, wirksamen, hochwertigen und bezahlbaren unentbehrlichen Arzneimitteln und Impfstoffen für alle . SDG 5 .4 fordert, die unbezahlte Pflege- und Hausarbeit durch die Bereitstellung öffentli- cher Dienstleistungen und Infrastrukturen, Sozialschutz- maßnahmen und die Förderung geteilter Verantwortung innerhalb des Haushalts und der Familie entsprechend den nationalen Gegebenheiten anzuerkennen und zu wertschätzen . Deshalb fordern wir in unserem Antrag unter Betrach- tung der  länderspezifischen Gegebenheiten speziell den  Auf- und Ausbau von Verwaltungs- und Steuersystemen sowie den Aufbau und die Stärkung von Gesundheitssys- temen . Dabei steigt und fällt der Erfolg aller Bemühun- gen mit der Bereitschaft der Schwellen- und Entwick- lungsländer, Eigenverantwortung zu übernehmen und zur Verfügung gestellte Mittel der Anschubfinanzierung  verantwortungsvoll und nachhaltig zum Wohle ihrer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17753 (A) (C) (B) (D) Bevölkerung zu verwenden . Modellrechnungen zeigen schon heute, dass auch Schwellen- und Entwicklungs- länder mithilfe einer Anschubfinanzierung sozialen Ba- sisschutz bereitstellen können . Die Vorteile von Sozialschutzsystemen für eine nach- haltige Entwicklung sind mannigfaltig . Betrachtet man die Entwicklungschancen eines Kindes, das in einem Land mit sozialen Sicherungssystemen aufwächst, zeigt sich  deren  immenser  Einfluss  auf  das  Leben  der Men- schen . Mit der Absicherung im Krankheitsfall, bei Ar- beitsunfällen oder Invalidität und der daraus resultieren- den Einkommenssicherheit kann Kinderarbeit verhindert werden . Sind Familien nicht auf das Einkommen ihrer Kinder angewiesen, sind die Lebensverhältnisse von Fa- milien nicht äußerst prekär, verbessern sich Chancen der Kinder zu einem erfolgreichen Schulbesuch und in der Konsequenz auch zu  einer qualifizierten Beschäftigung  mit besseren Erwerbschancen . Bieten Staaten funktio- nierende Gesundheitssysteme, wird ein Kind von der Geburt an betreut, steigt seine Chance auf ein gesundes und produktives Leben und einen erfolgreichen Besuch der Schule erheblich . Der Druck auf Frauen, möglichst viele Kinder zu gebären, sinkt, da die Überlebenschance eines Kindes wesentlich größer ist . Auch ein Rentensys- tem senkt zudem den Druck, möglichst viele Kinder zu bekommen, um die Eltern im Alter zu versorgen . Bekom- men Frauen weniger Kinder, sind sie wirtschaftlich leis- tungsfähiger und tragen zur Prosperität eines Staates bei . Wirtschaftliche Kraft und damit Einfluss tragen auch zu  mehr Gleichberechtigung bei und fördern damit Demo- kratie . Lassen Sie uns deshalb mit unserem Antrag die Be- deutung der steten Förderung von sozialen Sicherungs- systemen in der deutschen Entwicklungspolitik ebenso unterstreichen wie die stete Forderung nach Übernahme der Verantwortung für das Wohlergehen der eigenen Be- völkerung durch die Entwicklungs- und Schwellenlän- der . Die internationale Gemeinschaft kann Bewusstsein schaffen und beim Start helfen . Für nachhaltigen Erfolg können nur die Länder selbst sorgen . Stefan Rebmann (SPD): Wenn in unserem Land von sozialen Sicherungssystemen die Rede ist, dann denkt eine große Mehrheit wohl an notwendige Reformvorha- ben . Zu Recht . Was wir uns aber nur selten vor Augen halten: Was für uns selbstverständlich ist, nämlich überhaupt über ein System von Arbeitslosigkeits-, Kranken-, Pflege- und  Rentenversicherung zu verfügen, auch wenn es unbe- streitbar nachjustiert werden muss, existiert für einen Großteil der Menschen weltweit gar nicht . Dabei ist das Recht jedes Einzelnen auf soziale Si- cherheit ein seit 1948 auch in der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte der UN verbrieftes Menschenrecht . Leider aber ein unverwirklichtes, denn noch immer le- ben 73 Prozent der Weltbevölkerung ohne umfassende soziale Absicherung . Bis zu 90 Prozent der Bevölkerung in Niedriglohnländern leben ohne jegliche Absicherung bei Arbeitslosigkeit; 48 Prozent weltweit besitzen kei- ne soziale Sicherung im Alter . Und jeden Tag sterben 18 000 Kinder, vor allem an vermeidbaren Ursachen, die durch eine angemessene soziale Sicherung effektiv be- kämpft werden könnten . Was das konkret bedeutet, schilderten mir vor ein paar Tagen erst Gewerkschaftsgäste aus Ecuador und Costa Rica eindrucksvoll anhand der Arbeit auf Bananen- und Ananasplantagen in ihren Ländern . 10- bis 14-Stundenta- ge schwerer körperlicher Arbeit, stets ausgesetzt den aus aggressiven Chemikalien bestehenden Pestiziden zum Insektenschutz bei Pflanzen und Hungerlöhnen, die  für  Frauen noch mal halbiert werden . Sexuelle Übergriffe auf Frauen während der Arbeit gehören zum Alltag – wer sich wehrt, bekommt eine Extraschicht, das Gehalt ge- kürzt oder im schlimmsten Fall die Kündigung . Gleiches gilt für Arbeiterinnen und Arbeiter, die versuchen, sich in Betriebsräten oder Gewerkschaften zu organisieren . Die fehlende Absicherung macht gefügig . Seit 80 Jahren wer- den in Ecuador Bananen angebaut und exportiert – kein Plantagenarbeiter ist je in Rente gegangen . Ein solider Basisschutz würde diesem weit verbrei- teten Phänomen von prekärer Arbeit und weitgehender Abhängig- und Schutzlosigkeit entschieden entgegen- wirken . Es ist erwiesen, dass bereits minimale Anstren- gungen im Bereich eines Basisschutzes, der freilich spä- ter auszubauen sein sollte, verblüffende Effekte erzielen . Als Beispiele zu erwähnen sind hier, erstens, die konditi- onierten Geldtransfers in Brasilien (Bolsa Familia), Me- xiko und anderen lateinamerikanischen Ländern, die eine Art Sozialhilfe in der Weise eingeführt haben, dass sie Familien ein Mindesteinkommen sichern, wenn sie ihre Kinder zur Schule bzw . zum Arzt schicken . Zweitens . Ebenso scheinen in einigen Ländern aber auch bedingungslose Transfers zu funktionieren . So hat Lesotho im südlichen Afrika eine staatliche Grundrente für alle Menschen ab 70 Jahren eingeführt . Diese Grund- rente ist verglichen mit unseren Standards zwar sehr be- scheiden, sie hilft aber durchaus insofern, als alte Men- schen ihren Familien nicht mehr zur Last fallen müssen und nicht selten sogar die eine oder andere, zum Beispiel schulische Investition für ihre Enkelkinder tätigen kön- nen . Drittens . Und Indien hat einen Versuch unternommen, eine steuerfinanzierte Krankenversicherung einzurichten,  die arme Menschen absichert, Menschen mit mittleren Einkommen bezuschusst und die wohlhabende Schichten selbst finanzieren müssen. Leider scheint die Umsetzung  hier noch nicht optimal, aber was nicht ist, kann ja hof- fentlich noch werden . Ich finde, diese Beispiele machen Mut. Und sie sollten  uns ermutigen, unsere Partner und Partnerinnen in Ent- wicklungs- und Schwellenländern beim Auf- und Ausbau ihrer individuellen sozialen Sicherungssysteme mit unser Expertise – aber ohne ihnen unser konkretes Modell auf- drücken zu wollen –, mit technischem Know-how und bei Bedarf auch phasenweise mit finanziellen Investitio- nen zu unterstützen . Denn eine soziale Grundsicherung ist eines der effek- tivsten Mittel gegen Armut und Ungleichheit . Sie gibt dem Individuum Sicherheit und damit Perspektive, ist ökonomisch sinnvoll, weil nur wer mindestabgesichert Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617754 (A) (C) (B) (D) ist, investiert; sie ist gesellschaftlich sozial und ist last, but not least auch politisch nützlich . Denn ein Staat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern Schutz vor Lebensrisi- ken gibt, wird im Gegenzug eher Vertrauen und Legitimi- tät erhalten . Soziale Sicherung ist eine zentrale Voraus- setzung für gutes Leben . Weltweit . Lassen Sie uns deshalb den Antrag zur Unterstützung unserer Partnerländer im globalen Süden beim Auf- und Ausbau ihrer individuellen sozialen Sicherungssysteme gemeinsam annehmen . Niema Movassat (DIE LINKE): Der vorliegende Koalitionsantrag mit dem schönen Titel „Sozialen Basis- schutz in Entwicklungsländern schaffen“ reiht sich ein die die Sammlung wohlklingender Bundestagsanträge ohne jegliche Konsequenz . Die Einleitung könnte ebenso gut einem Antrag der Linken voranstehen . Sie verweist darauf, dass soziale Sicherheit ein Menschenrecht ist, das die Vereinten Na- tionen 1948 nach der Barbarei zweier Weltkriege dekla- riert haben – auf den VN-Sozialpakt von 1966, die Agen- da 2030 für nachhaltige Entwicklung, die in den nächsten 14 Jahren die extreme Armut weltweit beseitigen will . Alles richtig, wichtig, schön und gut . Das Problem ist nur, die konkrete Politik der Bundesregierung hat nati- onal als auch international vor allem ein gemeinsames Merkmal: Sie schwächt soziale Sicherungssysteme . Sie konzentriert Reichtum in immer weniger, immer rei- cheren Händen . Im Umkehrschluss führt sie zu immer weniger sozialer Sicherheit für immer mehr Menschen . Gleichzeitig haben Union, SPD gemeinsam mit FDP und Grünen in Deutschland die einst gut funktionierenden Sozialversicherungen in den letzten Jahren abgeholzt . Sie haben die Mittelschicht dezimiert und weite Teile der Bevölkerung abgehängt, indem sie reine Konkurrenz ge- predigt und jeden ganz alleine für sein eigenes Wohl ver- antwortlich erklärt haben . In dieser Logik stärken sozia- le Sicherungssysteme vor allem das Humankapital und erleichtern so den Strukturwandel in Volkswirtschaften, wie es in dem Antrag heißt . Sozialer Friede basiert aber auf Solidarität . Solidari- tät bedeutet, dass man Schwächeren zur Seite steht, auch wenn es einem selbst vielleicht Nachteile bringt . Die Wirtschafts- und Entwicklungspolitik der Bundesregie- rung dient aber vor allem der deutschen Wirtschaft . Cre- do bei der Entwicklungszusammenarbeit ist: Für jeden Euro, den wir investieren, fließen drei nach Deutschland  zurück . Wer also an Entwicklungszusammenarbeit vor allem noch verdienen will, zeigt sein wahres Gesicht . Da hilft es dann auch nichts, sich verbal für soziale Basisge- sundheitssysteme auszusprechen . Gerade erst hat der Bundesverband der Deutschen In- dustrie für eine noch stärkere staatliche Unterstützung bei Investitionen in Entwicklungsländern geworben . Entwicklungshelfer müssten deutschen Unternehmen beim Zugang zu Märkten helfen . Das ist deshalb absurd, weil die Bundesregierung und die EU genau das seit Jahrzehnten bis zum Exodus einheimischer Wirtschafts- zweige in Entwicklungsländern exerzieren . Altbekanntes Beispiel ist der Export von subventioniertem Milchpul- ver in afrikanische Länder . Wenn die dort ansässigen Milchproduzenten ihre Existenzgrundlage zugunsten der europäischen Milchwirtschaft verlieren, brauchen sie erst gar keine Sozialtranfers . Bevor die Bundesregierung die Symptome bekämpft, sollte sie lieber die Ursachen beseitigen . Der Antrag fordert kaum konkrete Handlungen, son- dern beschränkt sich fast ausschließlich auf allgemeine Appelle . Wenn die Koalition fordert, die Bundesregierung solle sich für den Aufbau und die Stärkung von Gesundheits- systemen in Entwicklungsländern einsetzen, sage ich Ihnen: Halten Sie doch erst mal ihr 0,7-Prozent-Entwick- lungshilfequote-Versprechen und erhöhen Sie endlich die Budgethilfe, statt weiter zahllose fremdbestimmte Ein- zelprojekte in den Ländern des Südens unter Einbindung etwa der Pharmaindustrie durchzuführen . Wenn die Koalition fordert, die Partnerländer beim Aufbau  effizienter  Steuersysteme  zu  unterstützen,  sage  ich Ihnen: Verpflichten Sie deutsche Unternehmen doch  endlich zu einer öffentlichen Country-by-Country-Be- richterstattung über grundlegende Geschäftszahlen, da- mit Unternehmen aus den reichen Industriestaaten nicht länger bis zu 200 Milliarden Dollar jährlich an Steuer- zahlungen an Entwicklungsländer vermeiden oder hin- terziehen . Wenn die Koalition fordert, den Kampf gegen die Korruption in den Ländern des Südens zu unterstützen, sage ich Ihnen: Räumen Sie doch erst mal bei VW und in anderen deutschen Großkonzernen auf – zur Korruption braucht es immer zwei –, und bringen Sie doch hierzu- lande erst mal ein paar vernünftige Antikorruptionsgeset- ze auf den Weg . Von Worten zu Taten ist es ein weiter Weg, sagt ein deutsches Sprichwort . Leider macht sich die Bundes- regierung mit diesem Antrag immer noch nicht auf den Weg . Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich begrüße sehr, dass die Koalition das Thema soziale Si- cherung mit dem vorliegenden Antrag endlich aufgreift . Eine entsprechende Initiative war längst überfällig . Nach wie vor wird der Bereich soziale Sicherung viel zu stief- mütterlich von dieser Bundesregierung behandelt . Wir haben bereits 2012 im Rahmen eines Antrags einen Ak- tionsplan zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme welt- weit gefordert . Geschehen ist in diesem Zusammenhang leider immer noch viel zu wenig . Auch mit dem vorlie- genden Antrag benennen Sie zwar die bestehenden De- fizite teils deutlich, verpassen aber die Chance, konkre- te Instrumente aufzuzeigen, mit denen die bestehenden Lücken gefüllt werden sollen . Die strukturellen Hinder- nisse, die dem Aufbau sozialer Sicherungssysteme ent- gegenstehen, wie beispielsweise Steuervermeidung und -hinterziehung durch transnationale Unternehmen, wer- den in Ihrer Analyse gleich ganz ausgespart . Sie weisen darauf hin, dass gerade im Gesundheits- bereich der Aufbau sozialer Sicherungssysteme beson- ders dringend benötigt wird . Dem stimme ich zu . Es sind Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17755 (A) (C) (B) (D) vor allem die Ärmsten, die im Krankheitsfall durch das Fehlen sozialer Absicherung besonders bedroht sind . Die Kosten für Behandlung und Medikamente stürzen ge- rade die ärmsten Bevölkerungsgruppen oftmals in den endgültigen Ruin . Krankheit bleibt nicht nur Folge, son- dern auch Ursache von Armut . Damit konterkariert der fehlende Zugang zu sozialer Absicherung die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung . Erst im vergangenen Jahr wurden wir im Zuge der Ebola-Epidemie Zeuge, welche dramatischen und teils tödlichen Folgen das Fehlen eines stabilen öffentlichen Gesundheitssystems haben kann . Mit den vielbeschwo- renen „lessons learned“ aus der Ebola-Epidemie ist das Schlagwort Gesundheitssystemförderung längst zu ei- nem Modewort aufgestiegen, das selbst die Kanzlerin in regelmäßigen Abständen bei G7-Gipfeln bemüht . Ich denke, es ist höchste Zeit, dass wir die Stärkung von Gesundheitssystemen nicht mehr nur als rhetorisches Allheilmittel herbeibeschwören . Die Bundesregierung muss mit einem neuen Aktionsplan den Aufbau von Ge- sundheitssystemen in Entwicklungsländern wirksam vo- rantreiben . Beginnen wir bei der Finanzierung: Anstatt entsprechend der WHO-Empfehlung 0,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammen- arbeit im Gesundheitsbereich zur Verfügung zu stellen, stagniert der deutsche Beitrag bei 0,028 Prozent . Es ist höchste Zeit, dies zu ändern . Gerade Deutschland verfügt über wertvolle Expertise, um den Aufbau von öffentlichen und solidarisch orga- nisierten Sicherungssystemen wirksam zu unterstützen . Diese Expertise gilt es zu nutzen und das Feld nicht allein privaten Versicherungskonzernen zu überlassen . Gerade im Gesundheitsbereich, der durch privatwirtschaftliche und philanthropische Initiativen in vielen Entwicklungs- ländern besonders beeinflusst wird, ist besondere Wach- samkeit geboten . Nicht überall dort, wo derzeit Gesund- heitssystemförderung plakatiert wird, ist am Ende auch solidarisch und systemisch organisierte Gesundheitsför- derung enthalten . Werte Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind uns einig: Soziale Sicherheit bildet eine entscheidende Grundlage für Entwicklung . Ich hoffe, dieser Antrag bleibt mehr als eine bloße Bestandsaufnahme . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom­ men vom 19. Februar 2013 über ein Einheitli­ ches Patentgericht – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patent­ rechtlicher Vorschriften auf Grund der europä­ ischen Patentreform (Tagesordnungspunkt 22 a und b) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Wir beraten heute über die Umsetzung der europäischen Patentre- form . Mit den beiden heute erstmals zu beratenden Ge- setzentwürfen wollen wir dieser Reform einerseits zu einer nahtlosen Einfügung in unser nationales Recht ver- helfen und andererseits dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht zustimmen . Die vorliegende europäische Patentreform ist ein gro- ßer Durchbruch; durch sie wird das Patentsystem in Eu- ropa nachhaltig zum Positiven verändert . Der Zugang zu einem einheitlichen Patentschutz innerhalb der EU wird nicht nur den Schutz von Erfindungen stärken, sondern  auch deutlich verbesserte Rahmenbedingungen für eine innovative Industrie und einen integrierten europäischen Binnenmarkt schaffen . Bereits seit den 1960er-Jahren gab es Bestrebungen in Europa, den Patentschutz zu vereinheitlichen . Zahlreiche Verhandlungen und Bemühungen sind in der Vergangen- heit gescheitert . Auch bei der vorliegenden Patentreform gab es große Herausforderungen . Trotz intensiver Ver- handlungen war es leider nicht möglich, innerhalb der EU die Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu erlangen . Die Verabschiedung des Reformpakets war daher nur im Wege der verstärkten Zusammenarbeit möglich . Klagen vor dem EuGH, die im weiteren Verlauf durch Italien und Spanien angestrengt wurden, blieben aber erfolglos . Er- freulicherweise wirkt Italien inzwischen bei der verstärk- ten Zusammenarbeit mit, gemeinsam mit 25 weiteren EU-Staaten . Die Reform besteht rechtstechnisch aus drei Elemen- ten: zwei EU-Verordnungen, die sich zum einen auf die Schaffung des einheitlichen Patentschutzes und zum zweiten auf die insoweit anzuwendenden Übersetzungs- regeln beziehen, sowie dem dritten Element, einem völ- kerrechtlichen Vertrag zur Schaffung eines Einheitlichen Patentgerichts . Warum aber ist diese Reform notwendig? Bislang gibt es nationale Patente, die auf national- staatlicher Ebene gemäß den jeweiligen nationalen Ver- fahrensvorschriften erteilt werden . Außerdem ist es mög- lich, ein sogenanntes „Europäisches Patent“ zu erhalten, das vom Europäischen Patentamt auf Grundlage des Eu- ropäischen Patentübereinkommens erteilt wird . Nach ei- nem einheitlichen Prüfungsverfahren erteilt das Europä- ische Patentamt durch einen einzigen Erteilungsakt das Patent, das jedoch in ein Bündel von nationalen Patenten für die benannten Vertragsstaaten zerfällt, weshalb man auch vom sogenannten „Bündelpatent“ spricht . Konsequenz ist, dass wie bei jedem nationalen Patent gerichtlicher Rechtsschutz für das europäische Patent oder Bündelpatent nur vor den jeweiligen nationalen Gerichten möglich ist . Der Rechtsschutz bleibt natio- nalstaatlich beschränkt . Für Patentverletzungsverfahren oder -nichtigkeitsverfahren bedarf es daher bislang einer Reihe von Gerichtsverfahren in den jeweiligen Vertrags- staaten . Dies kann zu sich widersprechenden Urteilen über die Verletzung oder den Bestand des Schutzrechts innerhalb des gemeinsamen Binnenmarktes führen . Die Folge ist nicht nur erheblicher Aufwand und eine ent- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617756 (A) (C) (B) (D) sprechende Rechtsunsicherheit, sondern auch eine Zer- splitterung des Marktes . Die vorliegende Reform löst diese Probleme und führt in begrüßenswerter Weise zu einem einheitlichen europä- ischen Patentrechtsschutz, der langfristig den Flickentep- pich nationalstaatlicher Regelungen ersetzen soll . Das „europäische Patent mit einheitlicher Wirkung“ oder Einheitspatent stellt den teilnehmenden Staaten ein Patent mit einer einheitlichen Schutzwirkung für alle teilnehmenden EU-Staaten zur Verfügung . Dementspre- chend kann das Patent auch nur auf alle Mitgliedstaaten beschränkt, übertragen oder für nichtig erklärt werden oder erlöschen . In Hinblick auf die Erteilung wird die bestehende In- frastruktur des Europäischen Patentamtes genutzt, die sich über die letzten Jahrzehnte bewährt hat . Patentan- meldungen für das Einheitspatent erfolgen beim Euro- päischen Patentamt, wobei das bisherige Prüfverfahren unverändert beibehalten wird . Erteilt das Europäische Patentamt wie bisher üblich ein Bündelpatent, kann der Patentanmelder innerhalb eines Monats die einheitliche Wirkung des Patents beantragen . Dabei ist eine Kombination aus Einheits- und Bündel- patent möglich . Für die an der verstärkten Zusammenar- beit teilnehmenden EU-Staaten kann ein Einheitspatent erlangt werden, während für die nicht an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden EU-Staaten, wie etwa Spanien, oder für Nicht-EU-Staaten, die Vertragsstaaten des EPÜ sind, wie beispielsweise Norwegen, die Schweiz oder die Türkei, ein Bündelpatent erlangt werden kann . Die Übersetzungsregelungen zum Einheitspatent ba- sieren auf dem Drei-Sprachen-System des europäischen Patentamts (Deutsch/Englisch/Französisch), das heißt, eine Patentanmeldung hat grundsätzlich in einer Sprache des Drei-Sprachen-Systems zu erfolgen beziehungswei- se ist zeitnah entsprechend zu übersetzen . Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentge- richt komplettiert als drittes Element die Patentreform . Das Einheitliche Europäische Patentgericht wird in erster Instanz in Zentral-, Regional- und Lokalkammern aufge- teilt . In Deutschland soll es für die erste Instanz insge- samt vier Lokalkammern geben . Damit wollen wir eine räumliche Nähe zum Gericht und einen leichteren Zu- gang zur Gerichtsbarkeit ermöglichen . Mit Düsseldorf, Hamburg, Mannheim und München haben wir für die vier deutschen Lokalkammern die bereits jetzt für Ge- richtsverfahren in Patentstreitigkeiten wichtigsten Stand- orte ins Auge gefasst . In zweiter Instanz kann ein Berufungsgericht angeru- fen werden, das seinen Sitz in Luxemburg haben wird . Ist eine Frage des Unionsrechtes zu klären, wird wie bei nationalen Gerichten eine Vorlage an den EuGH zur Vor- abentscheidung erfolgen . Sachlich zuständig wird das Einheitliche Patentgericht für Patentverletzungsklagen, Nichtigkeitsklagen und einstweilige Maßnahmen und Sicherheitsmaßnahmen einschließlich einstweiliger Ver- fügungen sein . Auf nationaler Ebene soll durch den Gesetzentwurf zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften aufgrund der europäischen Patentreform die Einarbeitung des neu- en Schutzrechts in das deutsche Recht erfolgen . Durch die vorgesehenen Änderungen insbesondere des Interna- tionalen Patentübereinkommensgesetzes werden Anwen- dungsschwierigkeiten, die sich aus einem Nebeneinander von innerstaatlichen und europäischen Regelungen erge- ben könnten, vermieden . Unberührt von der europäischen Patentreform blei- ben nationale Patente, die wie bisher auch weiterhin von nationalen Behörden erteilt werden können . Die Einfüh- rung des europäischen Einheitspatents schließt die oben genannten Optionen des Bündelpatents und des natio- nalen Patents also keineswegs aus . Vielmehr erhält der Anmelder die Möglichkeit der alternativen Patentanmel- dungen, damit er individuell bestimmen kann, welcher Patentschutz den individuellen Bedürfnissen am ehesten entspricht . Der Entwurf sieht darüber hinaus aber auch die Auf- hebung des bisher bestehenden Doppelschutzverbo- tes  vor.  Für  dieselbe  Erfindung  wäre  demnach  künftig  Schutz durch ein nationales Patent und parallel dazu durch ein europäisches Patent mit oder ohne einheitliche Wirkung möglich . Der Befürchtung einer missbräuchli- chen Durchsetzung inhaltsgleicher Schutzrechte in unter- schiedlicher Jurisdiktion durch den Schutzrechtsinhaber begegnet der Entwurf durch die Einführung der „Einrede der doppelten Inanspruchnahme“ . Die Einführung einer solchen Einrede ist, will man das Doppelschutzverbot aufheben, zwingend notwendig . Ob die Ausgestaltung der Einrede in ihrer jetzigen Form der Befürchtung der missbräuchlichen Durchsetzung hinrei- chend begegnen kann, werden wir im weiteren Gesetzge- bungsverfahren sicherlich näher beleuchten müssen . Ebenfalls erscheint es mir notwendig, sich mit der grundsätzlichen Frage nach der Abschaffung des Dop- pelschutzverbotes auseinanderzusetzen . Der europäische Rechtsrahmen räumt den Mitgliedstaaten in dieser Hin- sicht Gestaltungsspielraum ein, und im Rahmen des Mar- ken- und Geschmacksmusterrechtes wurden positive Er- fahrungen einer Koexistenz gemacht . Zugleich soll durch die europäische Patentreform eine System- und Verfah- rensvereinfachung mit einer damit verbundenen Kosten- reduktion und Erhöhung der Rechtssicherheit erreicht werden . Die Zulässigkeit von parallelen Schutzrechten für ein und dieselbe Erfindung könnte gerade diese Ziele  der Reform konterkarieren und die verbesserte Integrati- on des Binnenmarktes untergraben . Im laufenden Gesetzgebungsverfahren sollten wir daher insbesondere die Abstimmung und das Verhältnis zwischen dem nationalen und dem europäischen Recht noch einmal genau unter die Lupe nehmen . Damit die europäische Patentreform und die beiden erwähnten EU-Verordnungen zur Anwendung gelangen, muss das Übereinkommen über ein Einheitliches Patent- gericht in Kraft treten . Von dreizehn notwendigen Ver- tragsstaaten haben zehn Staaten das Übereinkommen be- reits ratifiziert. Ferner ist die Ratifikation durch die drei  Mitgliedstaaten, in denen es im Jahr vor dem Jahr der Unterzeichnung des Übereinkommens die meisten gel- tenden europäischen Patente gab, zwingend notwendig . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17757 (A) (C) (B) (D) Dies sind Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich . Frankreich hat das Übereinkommen bereits ratifiziert  und  ist  mit  gutem  Beispiel  vorangegangen.  Dem sollten wir zügig folgen . Nicht nur in Hinblick auf das Einheitspatent bleibt schließlich zu hoffen, dass das Vereinigte Königreich sich für einen Verbleib in der EU bei dem heute stattfin- denden Referendum entscheidet . Ein Austritt des Verei- nigten Königreichs wäre nicht nur ein schwarzer Tag für Europa und die EU, sondern würde auch das Inkrafttreten der europäischen Patentreform um einige Zeit verzögern oder schlimmstenfalls diese sogar durch den Verlust des so wichtigen Marktes Großbritannien gänzlich infrage stellen . Christian Flisek (SPD): Mit dem Gesetz zum Über- einkommen über ein Einheitliches Patentgericht, welches wir heute beschließen, stellen wir unseren europäischen Patentbau fertig, mit dessen Errichtung wir 1977 begon- nen haben, als das Europäische Patent- und Markenamt gegründet wurde . Mit diesem letzten Stein runden wir unser gemeinsames, europäisches Patentschutzsystem ab . Ein Einheitliches Patentgericht ist vor allem für die- jenigen wichtig, die auf effektiven Patentschutz ange- wiesen sind . Das sind die klugen Köpfe aus Forschung und Wissenschaft, aber auch forschungs- und damit ri- sikofreudige Unternehmen . Für ein wirtschaftlich und sozial attraktives Europa ist es essenziell, ein innovati- onsfreundliches Rechtsumfeld für diese Personen und Unternehmen zu schaffen . Das Einheitliche Patentgericht ist dafür ein wichtiger Baustein . Besonders positiv hervorzuheben ist, dass die Reform, die wir heute beschließen, mit immensen Kosteneinspa- rungen vor allem für Forschungseinrichtungen sowie kleine und mittlere Unternehmen verbunden ist, die auf- grund ihrer begrenzten Ressourcen auf einen effektiven Schutz  ihrer  Erfindungen  am  dringendsten  angewiesen  sind . Von jetzt an ist ein sogenannter Doppelschutz gege- ben, das heißt, neben einem europäischen Schutztitel er- hält der Patentinhaber in Zukunft Schutz durch nationale Patente in jedem Mitgliedstaat . Kommt es zu rechtlichen Konflikten,  muss  der  Patentinhaber  seine  Patente  aber  nicht mehr in jedem Mitgliedstaat separat durchsetzen, sondern kann dies zentral bei dem neuen Einheitlichen Patentgericht tun . Zugleich steht dem Patentinhaber die Einrede doppelter Inanspruchnahme zu, wonach ein- gewendet werden kann, nicht aus zwei Schutztiteln für dieselbe  Erfindung  in Anspruch  genommen werden  zu  können . Für die Patentinhaber sind diese Neuerungen mit deut- lichen Kosteneinsparungen verbunden, weil sich sowohl die laufenden Ausgaben, etwa für Übersetzungen oder bei den jährlichen Gebühren, als auch die Kosten für die Rechtedurchsetzung  signifikant  verringern.  Vergleicht  man etwa die Gebühren für die Erteilung und Aufrecht- erhaltung nationaler Patente in allen 26 teilnehmenden EU-Ländern mit denen für ein genauso wirksames neues Einheitspatent, können die Einsparungen bis zu 80 Pro- zent betragen . Das neue Patentsystem bringt aber nicht nur Kos- teneinsparungen für die Betroffenen mit sich, es stärkt auch die Stellung Europas im globalen Wettstreit um die attraktivsten Innovationsbedingungen . Wir beenden die Fragmentierung der europäischen Patentrechtsdurchset- zung und verringern damit bisher bestehende Rechtsun- sicherheit . Das wird in Zukunft dazu führen, dass die EU als Innovationsstandort gegenüber den USA und asiati- schen Ländern attraktiver wird . Ich bitte daher um Ihre Zustimmung . Klaus Ernst (DIE LINKE): Wir behandeln heute zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung in erster Lesung . Der  erste  dient  dazu,  die  Voraussetzung  zur  Ratifizie- rung des Übereinkommens vom 19 . Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht zu schaffen, der zweite der Anpassung patentrechtlicher Vorschriften an dieses Übereinkommen sowie an mehrere EU-Verordnungen . Die Bundesregierung erhofft sich, mit dieser Reform die Rahmenbedingungen für die innovative Industrie im europäischen Binnenmarkt durch einen besseren Schutz von  Erfindungen  nachhaltig  zu  stärken.  Die  besondere  wirtschaftliche  Bedeutung  eines  flächendeckenden  ein- heitlichen Patentschutzes in Europa liege in der Kosten- günstigkeit und darin, dass er „in einem Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht mit Wirkung für alle teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten durchgesetzt werden kann“ . Insbesondere die deutsche Industrie, auf die rund 40 Prozent der an Anmelder aus Europa erteilten euro- päischen Patente entfallen, soll von dem verbesserten Schutz ihrer Erfindungen profitieren. Wie es auf der Seite des Bundesministeriums der Jus- tiz und für Verbraucherschutz heißt, bringt die europäi- sche Patentreform „mehr als fünf Jahrzehnte währende Bemühungen erfolgreich zum Abschluss“ . Angesichts dieser beachtlichen Zeitspanne davon zu sprechen, dass „die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten damit ihre Handlungsfähigkeit bei der Schaffung gemeinsamer verbesserter Rahmenbedingungen für ein innovatives Europa eindrucksvoll unter Beweis“ stellen, wie es Bun- desjustizminister Heiko Maas in einer Pressemitteilung tut, ist etwas fehl am Platz . Wermutstropfen bleibt auch, dass diese Einigung nur über den Umweg einer „ver- stärkten Zusammenarbeit“ gelang, das heißt unter Aus- schluss Italiens und Spaniens als Gegner des EU-Patents in Zusammenhang mit der Sprachenregelung des Euro- päischen Patentübereinkommens, nach der die Amtsspra- chen des Europäischen Patentamts Englisch, Französisch und Deutsch sind . – Aber das nur nebenbei bemerkt . Um was geht es? Das Einheitliche Patentgericht soll bei Streitigkeiten über Patente, die vom Europäischen Patentamt erteilt wurden, mit europaweiter Wirkung entscheiden . Die ers- te Instanz soll ihren Sitz in Paris nehmen, mit Außenstel- len in London und München . Die Berufungsinstanz soll in Luxemburg angesiedelt werden . Von dieser Zentrali- sierung erhofft man sich Konsistenz und Kostenersparnis für die streitenden Parteien . Bisher muss bei Nichtig- keitsklagen und Verletzung vor den jeweiligen nationa- len Gerichten geklagt werden, die Wirkung der gerichtli- chen Entscheidung bleibt auf das jeweilige Staatsgebiet Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617758 (A) (C) (B) (D) beschränkt . Insofern ist die vorgesehene Errichtung eines Einheitlichen Patentgerichts zu begrüßen . Große Frage bleibt die Kostentragfähigkeit für kleine und mittlere Unternehmen – war es doch eines der Kern- anliegen der politischen Bemühungen um die Schaffung eines Einheitspatents und eines Einheitlichen Patentge- richts, kleinen und mittleren Unternehmen die Anmel- dung und Durchsetzung von Patenten zu erleichtern . – Dazu später . Neben der europäischen Patentgerichtsbarkeit soll ein „Einheitliches Europäisches Patent“, auch EU-Patent ge- nannt, eingeführt werden . Bisher gab es zwei Arten von Schutzrechten: nationale Patente und europäische (Bün- del-)Patente . Bei europäischen Patenten erfolgen die An- meldung und das Verfahren zur Erteilung zentral beim Europäischen Patentamt . Doch nach der Erteilung hat es dieselbe Wirkung wie ein nationales Patent in jenen Staa- ten, die in der Anmeldung benannt wurden und für wel- che die jeweiligen nationalen Phasen durch Zahlung der entsprechenden Gebühren und Übersetzung der Patent- schrift in die jeweilige Amtssprache eingeleitet wurden . Bei Rechtsstreitigkeiten sind die jeweiligen nationalen Gerichte zuständig . Das ändert sich mit dem EU-Einheitspatent: Es soll in der gesamten Europäischen Union bzw . durch den Spe- zialfall der Verstärkten Zusammenarbeit in 25 EU-Mit- gliedstaaten einheitliche Gültigkeit haben . Die Überset- zungsanforderungen sind geringer . Davon verspricht man sich Vereinfachung und erhebliche Kosteneinsparungen . In einer Pressemitteilung des Europäischen Parla- ments vom 11 . Dezember 2012 heißt es: „Nach über 30 Jahre währenden Bemühungen werden die Kosten für ein EU-Patent um bis zu 80 Prozent sinken, was auch die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA oder Ja- pan stärkt . Das Parlament hat die Kosten besonders für KMU gesenkt und die neuen Vorschriften deren Bedürf- nissen angepasst .“ Damals allerdings fehlten jegliche konkreten Kostenregelungen . Es gibt Stimmen, die die Kosten ersparnis für kleine und mittlere Unternehmen stark in Zweifel ziehen . Eine Untersuchung des briti- schen Patent amts prognostizierte bereits 2014, dass die Kosten des neuen Systems wahrscheinlich die KMU am stärksten treffen werden . Auch die EU-Kommission sah in einem Arbeitspapier die Notwendigkeit einer Prozess- kostenversicherung für KMU . Eine solche gibt es jedoch nicht . Wie kommt es zu den unterschiedlichen Einschätzun- gen? Offenbar beruhten die positiven Prognosen für KMU auf recht unrealistischen Vergleichsberechnungen zwi- schen EU-Patent und Bündelpatent: So ist es etwa nicht üblich, Patente in sämtlichen EU-Länder anzumelden, sondern nur in den jeweils relevanten – in der Berech- nung ging man dennoch davon aus . Außerdem werden nicht mal 10 Prozent aller Patentverletzungsstreitigkeiten in mehr als einem Mitgliedstaat ausgetragen . Während sich die Gerichtskosten im Rahmen bewegen, sind die Vertretungskosten sehr hoch und aufgrund von Ausnah- me- und Ermessensregelungen unkalkulierbar und gehen damit mit einem hohen Risiko einher . Wirksame Maßnahmen zur Förderung von KMU wä- ren auf der Erteilungsseite eine Rabattierung der Amtsge- bühren und auf der Durchsetzungsseite die Ausweitung der Prozesskostenhilfe auf juristische Personen und die Schaffung einer geeigneten Prozesskostenversicherung . Doch davon ist bisher nichts im europäischen Patent- paket zu finden. „Profiteure des  ‚Einheitspatent-Pakets‘  sind diejenigen, die einen geografisch möglichst breiten  Patentschutz benötigen und über die erforderliche Fi- nanzausstattung verfügen, um die hierfür und für die ge- richtliche Durchsetzung ausgerufenen Kosten zu tragen . Das ausdrückliche Kernziel des Gesetzgebers aber war die Förderung von KMU .“ Das schlussfolgert deshalb der Autor des Buches „Die parlamentarische Historie des ‚europäischen Einheitspatents‘ .“ Es sollte sich daher von selbst verstehen, vor einer endgültigen Verabschiedung der beiden Gesetze sicher- zustellen,  dass  auch  KMU  von  der  Reform  profitieren  können . Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist Donnerstag, der 23 . Juni 2016 . Während hier im Deut- schen Bundestag über ein Einheitliches Europäisches Patentgericht beraten wird, wird im Vereinigten König- reich über den Brexit abgestimmt . Die F.A.Z. schrieb am 21 . Juni: „Kommt der Brexit, steht das gesamte neue europäische Patentsystem wieder auf der Kippe – noch bevor es überhaupt gestartet ist .“ Damit wird anschaulich deutlich, welch massive Auswirkungen die Entscheidung der Britinnen und Briten bis in Detailregelungen hinein haben kann . Umgekehrt wird deutlich: Das neue europäische Pa- tentsystem ist keine europäische Fußnote . Jahrzehnte- lang verhandelten die Mitgliedstaaten der EU über die Schaffung eines einheitlichen Patents und eines einheitli- chen europäischen Patentgerichts . Im Jahr 2012 erfolgte der Durchbruch: Bald bringt das geplante europäische Einheitspatent Erfindern echten supranationalen Schutz. Derzeit entscheiden nationale Gerichte und andere Behörden über die Verletzung und die Rechtsgültigkeit europäischer Patente . In der Praxis führt dies zu einer Reihe von Problemen, wenn ein Patentinhaber in mehre- ren Ländern ein europäisches Patent durchsetzen möchte oder ein Dritter in mehreren Ländern den Widerruf ei- nes europäischen Patents erwirken will: Hohe Kosten, die Gefahr voneinander abweichender Entscheidungen und mangelnde Rechtssicherheit sind die Folgen . „Fo- rum-Shopping“ ist ebenfalls unvermeidlich, denn Betei- ligte versuchen, die Unterschiede in der Auslegung des harmonisierten europäischen Patentrechts durch nationa- le Gerichte und im jeweiligen Verfahrensrecht sowie in der Geschwindigkeit der Verfahren und der Zuerkennung von Schadenersatzzahlungen auszunutzen . Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patent- gericht löst die vorgenannten Probleme durch die Ein- richtung eines eigenständigen Patentgerichts mit der ausschließlichen gerichtlichen Zuständigkeit für Strei- tigkeiten in Bezug auf europäische Patente . Die Quali- tät der Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts wird eng verknüpft sein mit seiner Besetzung durch https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ische_Union https://de.wikipedia.org/wiki/Verst%C3%A4rkte_Zusammenarbeit Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17759 (A) (C) (B) (D) fachkundige Richterinnen und Richter . Denn letztlich werden das neue EU-Patentsystem und seine Akzeptanz von der Qualität und Verlässlichkeit der Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts abhängen . Danach wird sich zeigen, wie schnell sich das neue System etabliert . Wegen der Mitwirkung von Richterinnen und Richtern aus unterschiedlichen europäischen Jurisdiktionen wird es einige Zeit dauern, bis sich eine gefestigte und einheit- liche Rechtsprechung herausbildet . Denn die wesentliche Frage ist, wie sich das neue Pa- tentsystem und sein Gericht inhaltlich bewähren . Gerade in Technologieländern wie Deutschland gelten Patente in vielen Branchen als „Marker“ für die Innovationskraft von Branchen oder sogar von Staaten . Speziell in deut- schen Kernsektoren wie dem Fahrzeug- oder Maschinen- bau werden jährlich Tausende von Patenten angemeldet und erteilt, um damit geistiges Eigentum zu schützen . Der Deutsche Bundestag hatte die Bundesregierung zu Recht in der vergangenen Wahlperiode in einem An- trag – 17/8344 – dazu aufgefordert, keine Patente auf konventionelle Züchtungsverfahren für landwirtschaftli- che Nutztiere und Nutzpflanzen zuzulassen. Denn es ist  ein Unterschied, ob ich ein Patent auf ein Radio anmelde oder auf Radieschen . Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat im Brokkoliurteil biologi- sche Verfahren wie Kreuzung und Selektion von einer Patentierung ausgenommen . Konventionelle Züchtungs- verfahren werden damit in Deutschland und in Europa auch in Zukunft unpatentierbar bleiben . Es gibt aber bei den Biopatenten auch noch offene Baustellen . Das gilt gerade auch für die Patentierung der Produkte aus konventionellen Züchtungsverfahren . Die Vielfalt der Nutzpflanzen und Nutztiere  ist das Produkt  der Arbeit vieler vorhergehender Generationen . Unseren Landwirtinnen und Landwirten, den Züchterinnen und Züchtern muss diese Vielfalt auch weiterhin in vollem Umfang zur Verfügung stehen . Deshalb spreche ich mich ganz klar gegen die Patentierung der Produkte aus klas- sischen Züchtungsverfahren aus . Der Zugang zu den ge- netischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft muss weiterhin für alle offen stehen . Im Bereich der Biopatente liegt seit Februar 2012 ein klarer Auftrag des Bundestages an die Bundesregierung vor: Um die wiederholte Erteilung umstrittener Biopa- tente zu stoppen, soll die Bundesregierung die dafür verantwortlichen Grauzonen im nationalen und europä- ischen Biopatentrecht bereinigen . Wir dürfen in diesem Parlament stolz auf diesen einstimmigen Beschluss sein . Deswegen habe ich nun im Statut für das Einheitliche Patentgericht und in den geänderten patentrechtlichen Vorschriften nachgeschaut, ob die Chance genutzt wurde, diesen Beschluss des Bundestages umzusetzen. Ich finde  ihn darin jedoch nicht wieder . Ja; das im deutschen Recht bekannte  Pflanzenzüchterprivileg, wonach  die Nutzung  biologischen Materials zum Zwecke der Züchtung, Ent- deckung  und  Entwicklung  einer  neuen  Pflanzensorte  erlaubt ist, ist auf deutsche Anregung hin im Überein- kommen verankert worden (Artikel 27 Buchstabe c des Übereinkommens) . Aber das ist auch schon alles . Es ist beschämend, dass die Bundesregierung mit ih- rem Gesetzentwurf dem gemeinsamen Beschluss von 2012 nicht nachkommt . Grade der Ausschluss von Paten- ten auf die Produkte ist jetzt nicht aufgenommen, ebenso fehlt eine Ergänzung zu technisch ergänzten Züchtungs- verfahren . Für uns Grüne steht fest: Pflanzen und Tiere sind kein  „geistiges Eigentum“, das irgendjemand für sich rekla- mieren darf . Und eine Tomate, die aus einem nicht-pa- tentierbaren Züchtungsverfahren hervorgeht, darf ebenso wenig patentierbar sein wie ein Ketchup, das ohne wei- tere  „Erfindungsleistung“  aus  dieser Tomate  gewonnen  wird . Wir haben schon viel zu viel an biologischer Vielfalt verloren, da dürfen wir die sowieso schon rasante Mo- nopolisierung im Saatgut- und Lebensmittelbereich nicht auch noch durch Biopatente verstärken . Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Mit den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen sendet die Bundesregierung ein positives Signal nach Europa: Wir möchten die europäische Patentreform, auf die wir uns nach jahrzehntelangen Verhandlungen erfolgreich geei- nigt haben, endlich in die Tat umsetzen: Mit dem Über- einkommen über ein Einheitliches Patentgericht vom 19 . Februar 2013 soll ein für alle teilnehmenden EU-Mit- gliedstaaten zuständiges Gericht geschaffen werden, das über erstinstanzliche Kammern in den Mitgliedstaaten und ein Berufungsgericht in Luxemburg verfügt . Das Gericht soll über bestehende europäische Patente so- wie das neue EU-Einheitspatent urteilen, das im Wege zweier EU-Verordnungen im Dezember 2012 geschaffen worden ist . In Deutschland als bedeutendem Patentland sind vier Lokalkammern – Düsseldorf, Hamburg, Mann- heim, München – und eine Zentralkammerabteilung – München – vorgesehen . Das vorliegende Vertragsgesetz schafft  die  Voraussetzungen  für  die  Ratifikation  des  Übereinkommens . Mit dieser Reform sollen die Rahmenbedingungen für die innovative Industrie im europäischen Binnenmarkt durch einen besseren Schutz von Erfindungen nachhaltig  gestärkt werden . Das ist von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung. Künftig wird es in Europa einen flächende- ckenden einheitlichen Patentschutz geben . Er wird kos- tengünstig zu erlangen sein. Und er wird auch effizient  in einem Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht, dem ersten grenzüberschreitend zuständigen Zivilgericht Europas, mit Wirkung für alle teilnehmenden EU-Mit- gliedstaaten durchgesetzt werden können . Die deutsche Industrie wird von dem verbesserten Schutz ihrer Erfin- dungen besonders profitieren. Rund 40 Prozent der vom  Europäischen Patentamt an europäische Anmelder erteil- ten europäischen Patente entfallen auf die deutsche In- dustrie . An den Arbeiten zur Schaffung eines Einheitlichen Patentgerichts hat sich die Bundesregierung von Anfang an mit großem Engagement beteiligt . Wir haben dabei insbesondere auch die Interessen der kleinen und mitt- leren Unternehmen im Blick . Gerade auch den kleinen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617760 (A) (C) (B) (D) und mittleren Unternehmen kommt es zugute, dass in einem europäischen Verfahren Rechtssicherheit für den gemeinsamen Markt geschaffen werden kann . Besonders wichtig ist: Wir konnten uns mit unserer Forderung nach einer attraktiven Höhe der Verlängerungsgebühren für das künftige EU-Einheitspatent durchsetzen, das kommt diesen Unternehmen zugute . Das Begleitgesetz soll im deutschen Recht die Vo- raussetzungen für die Umsetzung der europäischen Pa- tentreform schaffen . Es enthält überwiegend technische Anpassungen, die erforderlich sind, um das EU-Einheits- patent und das Europäische Patentgericht mit der nati- onalen Rechtsordnung zu verzahnen . Lassen Sie mich aber ein Element hervorheben: Wir wollen in Deutsch- land künftig neben einem europäischen Patentschutz für dieselbe Erfindung auch den Schutz durch ein nationales  Patent zulassen, was bislang nicht möglich ist . Damit ein Beklagter wegen derselben Patentverletzung aber nicht mehrfach verklagt werden kann, soll diesem im nationa- len Verfahren eine Einrede zustehen, wenn er bereits vor dem Europäischen Patentgericht in Anspruch genommen wird. Mit dieser Neuerung wollen wir unseren Erfindern  Optionen für den Schutz ihrer Innovationen bieten . Er- finder können sich dann für den für sie im Einzelfall am  besten geeigneten Schutz entscheiden . Für die Bundesregierung ist die europäische Patentre- form ein bedeutsames Projekt . Wir beteiligen uns weiter mit großem Engagement an den bereits sehr weit ge- diehenen Arbeiten in den vorbereitenden Gremien . An- gestrebt wird, dass das Einheitliche Patentgericht nach einer noch für 2016 vorgesehenen Phase der vorläufigen  Anwendung des Übereinkommens, in der die Arbeitsfä- higkeit des Gerichts endgültig hergestellt wird, dann im Frühjahr 2017 den Echtbetrieb aufnimmt . Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ihre Unterstützung dieses Vor- habens . Es liegt in unserem Interesse, beide Gesetzge- bungsverfahren möglichst zügig durchzuführen . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge­ setzes zur Änderung berg­, umweltschadens­ und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore­Erdöl­ und ­Erdgasaktivitäten (Tages­ ordnungspunkt 23) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): 19 Millionen Barrel ausgelaufenes Öl, 2000 Kilometer verschmutzte Küste, elf Menschenleben – der Untergang der Ölplatt- form „Deepwater Horizon“ brachte Opfer und katastro- phale Folgen mit sich, Folgen in einem Ausmaß, welches es in dieser Art bisher nur selten gab . Die Havarie sollte zu einem Wendepunkt in der Um- weltgeschichte werden . Die internationale Politik hat sich der Katastrophe angenommen, sie hat darauf re- agiert . Glücklicherweise blieben europäische Gewässer zwar von auch nur annähernd verheerenden Katastro- phen bisher verschont, das war aber kein Grund für die Europäische Gemeinschaft, ihre Augen zu verschließen . Eine solche Katastrophe darf es – egal wo – nicht noch einmal geben . Daher ist uns sehr daran gelegen, die im Zusammen- hang mit „Deepwater Horizon“ überarbeiteten europä- ischen Richtlinien national bestmöglich umzusetzen . Seit Jahrzehnten gehören wir zu den Vorkämpfern einer fortschrittlichen und nachhaltigen Umweltpolitik . Im Be- reich der Erdöl- und Erdgasförderung haben wir daher bereits  sehr  strenge Auflagen,  die  sich  in  vielen Teilen  schon mit den europäischen Richtlinien decken . Zwar  nutzen  wir  in  unseren  flachen  deutschen  Ge- wässern lediglich die als risikoarm eingeschätzte Flachwassertechnik . Außerdem beherbergen unsere Hoheitsgebiete nur zwei der insgesamt 600 Erdöl- und Erdgasplattformen in europäischen Gewässern . Für den Erlass der EU-Offshore-Richtlinie nach dem Unfall im Golf von Mexiko haben wir uns trotzdem intensiv ein- gesetzt. Die Definition  einheitlicher  Standards  für Off- shore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten muss ein internatio- nales Interesse sein . Die Europäische Union nahm die Katastrophe in Me- xiko zum Anlass, einheitliche Standards für die Erdöl- und Erdgasförderung auf EU-Ebene festzusetzen . Die Richtlinie 2004/35/EG wurde geändert . Gleichwohl wur- de mit der RL 2013/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12 . Juni 2013 eine neue Richtlinie über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasak- tivitäten beschlossen . Ihr zum Dank können Unfälle im Zusammenhang mit Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivi- täten in Zukunft verhindert werden . Der Umweltschutz kann erhöht und die Notfallmechanismen im Falle eines Unfalls können verbessert werden . Die nationale Umsetzung dieser europäischen Richt- linie über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten in Deutschland wird in einer neuen Offshore-Bergverordnung umgesetzt . Risikomanage- ment, Sicherheits- und Umwelterwägungen in Bezug auf die Genehmigungsverfahren sowie die Aufgaben der zuständigen Behörden und das Berichtswesen sind die Hauptpunkte des Regelwerks . Bisherige Bestimmungen zu Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten, welche in der Festlandsockel-Bergverordnung und im Anhang 3 der Allgemeinen Bundesbergverordnung festgelegt waren, werden in der Novelle zusammengenommen . Die Bereiche Risikomanagement, Arbeits- und Ge- sundheits- sowie Umweltschutz werden so in einer Verordnung gebündelt . Dies ist sowohl hilfreich in der betrieblichen Praxis als auch in der Rechtsanwendung . Gleichzeitig wird das Risiko für schwere Unfälle mini- miert, da auf diesem Weg alle Aspekte gemeinsam be- trachtet werden . Die europäische Richtlinie sieht vor, dass Unterneh- men eine Vorsorge zur Deckung von Haftungsverbind- lichkeiten zu  treffen und die  technische und finanzielle  Leistungsfähigkeit nachzuweisen haben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17761 (A) (C) (B) (D) Im Rahmen der Arbeiten an unserer nationalen Off- shore-Verordnung hat sich ergeben, dass es für die Um- setzung einer Vorgabe dieser europäischen Richtlinie an einer eindeutigen Ermächtigungsgrundlage im Bundes- berggesetz fehlt . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir nun in § 66 des Bundesberggesetzes mit einer Ergänzung diese Ermächtigungsgrundlage . Aufgrund der Rechtssystematik erfolgen außerdem Anpassungen im Wasserhaushaltsgesetz, im Umwelt- schadensgesetz sowie in der Verordnung über die Um- weltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben . Die europäische Richtlinie über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten erhöht den Schutz der Meeresumwelt und verbessert entscheidend die Notfallmechanismen im Falle eines Unfalls oder ei- ner Havarie . Unser heute zu beratender Gesetzentwurf schafft Rechtssicherheit bei der nationalen Umsetzung . Ich hoffe dabei auf ihre Unterstützung . Johann Saathoff (SPD): Am 20 . April ereignete sich im Golf von Mexiko ein schrecklicher Unfall . Bei der Explosion der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ kamen insgesamt elf Menschen zu Tode, und es kam zu einer der schwersten Umweltkatastrophen der Vereinigten Staaten . Infolge der Explosion traten Tonnen an Erdöl ungehin- dert ins Meer . Die Explosion der „Deepwater Horizon“ war aber nicht nur für die Umwelt im Golf von Mexiko eine Ka- tastrophe unvorstellbaren Ausmaßes . Die Folgen waren sogar noch weit verheerender . Ein Großteil der Bevöl- kerung in der Region lebt von der Fischerei . Der Fische- reibetrieb musste im Sommer 2010 aber in weiten Teilen eingestellt werden . Die Umweltkatastrophe hatte damit auch eine schwere wirtschaftliche und soziale Krise zur Folge . Mit diesem Gesetz wollen wir nun dazu beitragen, dass sich genau solche schrecklichen Ereignisse nicht wiederholen . Konkret geht es heute um die Schaffung eindeutiger und europaweit einheitlicher Sicherheitsstan- dards im Bereich der Offshore-Erdöl- und -Erdgasakti- vitäten . Damit wollen wir einen Teil einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 12 . Juni 2013 umsetzen . Die Schaffung einheitlicher Standards und Rahmen- bedingungen auf europäischer Ebene ist der folgerichti- ge Schritt nach der Explosion der „Deepwater Horizon“ . Sie ist auch sinnvoll vor dem Hintergrund, dass mehr als 90 Prozent des in Europa geförderten Erdöls und mehr als 60 Prozent des geförderten Erdgases aus der Off- shore-Produktion kommen . Das sind beachtliche Zahlen, insbesondere im Zusammenhang mit der Tatsache, dass im Jahre 2015 noch immer mehr als 50 Prozent des Pri- märenergieverbrauchs durch Erdöl und Erdgas gedeckt wurden . Die Offshore-Förderung von Erdöl und Erdgas spielt eine wichtige Rolle im Zusammenhang der Ener- gieversorgungssicherheit . In Deutschland selbst gibt es derzeit zwei Off- shore-Anlagen . Die Bohr- und Förderinsel Mittelplate und die Gasförderplattform A6-A . Das heißt, auch für unsere Küstenregionen besteht ein gewisses, wenn auch eher ein marginales Risiko einer vergleichbaren Umwelt- katastrophe . Es soll an dieser Stelle nun nicht darum gehen, grund- sätzliche Kritik an der Offshore-Förderung von Erdöl und Erdgas zu üben . Unfälle wie im Golf von Mexiko sind glücklicherweise die sehr seltene Ausnahme . Die Frage der Sicherheit der Meeresumwelt und der Küs- tenregionen ist meiner Ansicht nach aber immer mit be- sonderer Sorgfalt zu behandeln . Man „mutt d’n Alltied n’Oog an hemm“ würde man in Ostfriesland sagen, stets wachsam bleiben . Gerade im Bereich der Offshore-Erdöl- und -Erdgas- aktivitäten besteht ein Interesse daran, besonders hohe Sicherheitsstandards zu setzen . Die Verabschiedung die- ses Gesetzes soll dazu beitragen, dass der Schutz und die Erhaltung der Umwelt auch weiter gewährleistet werden kann und dass ein vernünftiger Umgang mit den natürli- chen Ressourcen sichergestellt ist . Denn stellen Sie sich einmal die Auswirkungen einer mit der Explosion im Golf von Mexiko vergleichbaren Katastrophe an der deutschen Küste vor . Ich komme aus Ostfriesland, einer Region, die insbesondere auch für das Wattenmeer bekannt ist . Der Nationalpark Niedersächsi- sches Wattenmeer gehört seit dem 26 . Juni 2009 mit zum UNESCO-Welterbe . Damit  profitieren  ostfriesische  Gemeinden  unglaub- lich stark vom Tourismus . Die Bedeutung des Tourismus und die enorme touristische Wertschöpfung in den Küs- tenregionen lassen sich exemplarisch anhand von weni- gen Zahlen verdeutlichen . Insbesondere für die ostfriesischen Inseln ist der Anteil des Tourismus an der Wertschöpfung natürlich enorm . Allein die Insel Norderney verzeichnete im Jahr 2014 über 500 000 Besucher . Es wurden damit mehr als 3,4 Millionen Übernachtungen generiert . Doch auch das Festland gehört zu den Profiteuren des  Tourismus . Auch in der Gemeinde Krummhörn ist die Wertschöpfung durch die Tourismusbranche beachtlich . Aktuelle Zahlen kommen zu dem Schluss, dass sich für die Krummhörn eine touristische Wertschöpfung von insgesamt 56,4 Millionen Euro ergibt . Die langfristigen Folgen einer vergleichbaren Ölkata- strophe wären also auch hier fatal . Einerseits die Folgen für den Umweltschutz und andererseits die wirtschaftli- chen und sozialen Folgen für unsere Küstenregionen . Es ist demnach aus vielerlei Hinsicht zu begrüßen, dass mit dem Gesetz nun einheitliche europäische Rah- menbedingungen und höchste Umwelt- und Sicherheits- standards sichergestellt werden . Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Heute diskutieren wir erneut über die Umsetzung der Richtlinie 2013/30/ EU vom 12 . Juni 2013 über die Sicherheit von Off shore- Erdöl- und -Erdgasaktivitäten . Ziel der Richtlinie ist, „die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617762 (A) (C) (B) (D) Häufigkeit  von  schweren  Unfällen  im  Zusammenhang  mit Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten so weit wie möglich zu verringern und ihre Folgen zu begrenzen …“ . Die Umsetzung der Richtlinie erfolgt dabei nicht nur über gesetzliche Vorschriften, sondern auch über eine Verordnung . Am 25 . Mai dieses Jahres hat die Bundes- regierung die Änderungsverordnung zu bergrechtlichen Vorschriften beschlossen . Sie liegt jetzt dem Bundesrat zur Beschlussfassung vor . Über die gesetzlichen Ände- rungen kann nicht gesprochen werden, ohne sich mit der Änderungsverordnung auseinanderzusetzen . Ich hätte erwartet, dass wir eine intensive Debatte da- rüber führen, wie wir einen hohen Standard der Anlagen- sicherheit für Offshore-Aktivitäten erreichen . Stattdes- sen haben sich SPD und CDU/CSU in der ersten Lesung lediglich selbst gelobt und nichts zu einer Fachdebatte beigetragen . Die Kollegin von den Grünen hat es vor- gezogen, auf das Thema „internationaler Meeresschutz“ auszuweichen . Dies hätten Sie in der Sitzung des Wirtschaftsaus- schusses am letzten Mittwoch korrigieren können . Doch stattdessen gab es von Ihnen keine einzige Wortmeldung zu diesem Thema . Diese Sprachlosigkeit wird der großen Bedeutung des Themas Störfallvorsorge nicht gerecht . Demonstratives Desinteresse am Thema Offshore- Öl- und -Gasförderung haben wir Ende letzten Jahres schon bei der Bundesregierung festgestellt . So hatte die Firma Maersk Oil beantragt, in der dänischen Nordsee im Grenzgebiet zum deutschen Entenschnabel mit neu- en Bohrungen Öl und Gas zu fördern . Im Rahmen des GORM-Projekts will die Firma dabei die umweltzer- störende Fördermethode Fracking anwenden . Während Fracking bereits an Land unverantwortbar ist, wären die Folgen eines Offshore-Frackings noch weniger be- herrschbar . Die notwendigen Aktivitäten der Bundesre- gierung, um dieses Projekt zu verhindern, hat es jedoch nie gegeben . Bereits am 9 . Juni habe ich darauf hingewiesen: Offshore-Fracking kombiniert die Gefahren des Fra- ckings an Land mit den klassischen Gefahren der Öl- und Gasgewinnung im Meer . Durch die eingesetzten Frack- flüssigkeiten,  deren  Zusammensetzungen  nicht  veröf- fentlicht werden, kann es zu Wasserkontaminationen kommen . Das Aufbrechen des Untergrundgesteins und das Wiederverpressen des Flowbacks kann Erdbeben hervorrufen . Und durch Leckagen kann in erheblichem Maß das klimaschädliche Treibhausgas Methan entwei- chen . Während der Sondierungs-, Förder- und Außerbe- triebnahmeaktivitäten kann es außerdem zu schweren Unfällen kommen . Dazu gehören Öl- und Chemikalien- freisetzungen im Falle einer Schiffskollision oder von Pipelineleckagen . Größere Gasfreisetzungen können auf- grund eines Blowouts erfolgen . Eine mögliche größere Ölpest hätte erhebliche negative Auswirkungen auf das empfindliche marine Ökosystem.  Angesichts dieser möglichen Folgen ist Offshore-Fra- cking nicht verantwortbar . Fracking auf hoher See muss auf jeden Fall verboten werden . Das sieht die Bundes- regierung im vorliegenden Offshore-Regelungspaket je- doch nicht vor . Dies ist nicht der einzige Kritikpunkt . Die Linke for- dert, Offshore-Aktivitäten unter den Geltungsbereich der Störfall-Verordnung fallen zu lassen, um einen einheit- lichen und hohen Sicherheitsstandard zu erreichen . Die nun vorgesehenen Sicherheitsanforderungen sind jedoch bedeutend geringer als im üblichen Recht der Anlagen- sicherheit . Die betrifft nicht nur die Einführung des undefinier- ten Begriffs des „vertretbaren Risikos“, mit dem der in Deutschland übliche auswirkungsorientierte Ansatz ver- lassen wird . Die Öl- und Gaskonzerne können so selbst bestimmen, was sie für vertretbar halten und welchen Gefahren sie Mensch und Umwelt aussetzen . Dies gilt auch für die in der Störfall-Verordnung klar festgelegte Hierarchie, dass Störfälle zu verhindern sind, und nur dann, wenn dies nicht möglich sein sollte, ihre Auswirkungen so gering wie möglich zu halten . In § 3 der oben genannten Änderungsverordnung zu bergrecht- lichen Vorschriften verwischt diese Hierarchie, die An- forderungen werden auf eine Ebene gestellt . Zudem kritisieren wir, dass Leitfäden zu bewährten Verfahren für die Beherrschung ernster Gefahren bei Ak- tivitäten für die gesamte Auslegungs- und Betriebspha- se der Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten nicht von unabhängigen Stellen erstellt werden sollen . Stattdessen formuliert der jeweilige Unternehmer oder sein Unter- nehmensverband diese selbst . Damit wird dem Miss- brauch Tür und Tor geöffnet . Aus diesen Gründen fordert die Linke, dieses Paket zurückzuziehen und grundlegend zu überarbeiten . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir reden heute wieder über die Sicherheit an Öl- und Gas-Förderplattformen in den Meeren . Dazu muss die Bundesregierung eine europäische Regelung in nationa- les Recht umsetzen . Mit der Umsetzung hat sie sich mal wieder sehr viel Zeit gelassen . Sie wartet ja immer so lange, bis sie sich die europäische Watschen mit einem Vertragsverletzungsverfahren abholt . Darum muss das Gesetz nun kurz vor der Sommerpause im Hauruckver- fahren durch das Parlament geprügelt werden . Liebe Kollegen von der Linken, Ihre Verbindung zu Fracking, die Sie in der letzten Debatte eingebracht ha- ben, ist doch wirklich sehr konstruiert . In Deutschland gibt es nach meinem Wissensstand nur zwei Öl- und Gas- förderanlagen im Meer . Das sind die Ölbohrinsel Mittel- plate vor Dithmarschen und die Gasbohrinsel A6/B4 in der Außenwirtschaftszone . Weitere Förderanlagen sind nicht absehbar, geschweige denn Offshore-Fracking-An- lagen zur Förderung von Erdöl oder Erdgas . Auch in den Nachbarstaaten sind solche Vorhaben nicht geplant . Ihr Einwurf ist also unqualifiziert.  Richtig aber ist: Fracking ist die denkbar schlechteste Fördermethode und mit großem Risiko verbunden . Aber das Thema hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nichts zu tun . Das behandeln wir erst am Freitagmorgen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17763 (A) (C) (B) (D) Wir sollten uns vielmehr Gedanken darüber machen, wie wir unsere Meere auch in Zukunft sauber halten, lie- be Kollegen von der Linksfraktion . Sehr viel wichtiger sind in diesem Zusammenhang internationale Standards zu Rohstoffförderungen in arktischen Regionen oder in der extremen Tiefsee . So was ist Realität, zum Beispiel vor Brasilien oder vor Westafrika . Gerade die Schlampe- rei von BP bei „Deepwater Horizon“ im Jahre 2010 hat gezeigt, dass diese Risiken real sind und nicht nur graue Theorie . Aber das scheint Sie von der Linkspartei nicht zu interessieren . Wir sollten also darauf bedacht sein, dass in Europa die Standards für Rohstoffförderungen hoch sind . Damit setzen wir auch Maßstäbe für andere Regionen weltweit . Es kann nicht sein, dass in arktischen Regionen Erdöl ge- fördert wird, aber völlig unklar ist, wie die Rettung im Fall einer Havarie aussieht . Die Rettungseinrichtungen und Versorgungshäfen sind in arktischen Regionen meist sehr weit weg . Mee- resströmungen können das kalte zähe Erdöl in abgele- gene Regionen bringen . Mit Eis verbunden wird eine Entsorgung nahezu unmöglich . Solch ein Unfall muss konsequent verhindert werden . Das ist die Zukunftsauf- gabe in der Meeres- und Energiepolitik . Das sind wir un- seren nachfolgenden Generationen schuldig . Wir werden heute dem Gesetzentwurf zustimmen . Die europäische Richtlinie zur Sicherheit von Erdöl- und Erdgas-Förderplattformen muss endlich auch in Deutsch- land umgesetzt werden . So erhöhen wir die Sicherheit an solchen Anlagen . Auf diesem Vorhaben darf sich die Bundesregierung aber nicht ausruhen . Viele weitere Regelungen stehen noch an, um den Meeresschutz regional in Deutschland, aber auch auf europäischer und internationaler Ebene um- zusetzen . Denn Meeresschutz ist jetzt mit dem SDG 14 ein internationales Nachhaltigkeitsziel . Da sollten wir in der Umsetzung konsequent sein . Meeresschutz wäre doch eine wunderbare Aufgabe für den Maritimen Koordinator der Bundesregierung . Dann hätte er richtig was zu tun . Heute gehen wir nur einen kleinen, aber notwendi- gen Schritt in Richtung Meeresschutz . Dafür hat sich die Regierung sehr lange Zeit gelassen . Zeigen Sie endlich mehr Engagement beim Schutz der Meere! Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge­ brachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Elektromobilität im Straßenver­ kehr (Tagesordnungspunkt 27) Florian Oßner (CDU/CSU): Als CDU/CSU-Frak- tion haben wir der Elektromobilität schon immer einen besonders hohen Stellenwert zugemessen . Auch haben wir stets die enorm hohe Bedeutung der Elektromobili- tät sowohl für den Umwelt- und Klimaschutz als auch für den Automobilstandort Deutschland und dessen Zu- kunftsfähigkeit herausgestellt . Ich würde sogar so weit gehen, die Förderung der Elektromobilität, inklusive der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, als das bedeutendste Verkehrsthema der absehbaren Zukunft zu bezeichnen . Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf sind wir unserem Ziel, bis 2020 unseren CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent zu senken, einen großen Schritt näher gekommen . Denn jeder Schritt, der Elektro- mobilität für die Nutzer attraktiver macht, ist ein Schritt für eine nachhaltigere automobile Zukunft . Wir wollen, dass der Straßenverkehr seinen adäquaten Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen und somit zur angestrebten Dekarbonisierung leistet . Hierfür ist jedoch zwingend erforderlich, dass sich die Anzahl von Elektrofahrzeugen im Straßenverkehr deutlich erhöht . Besonders freut es uns natürlich, wenn es sich hierbei vornehmlich um Fahrzeuge aus heimischer Produktion und nicht solcher aus Übersee handelt . Erstens . BMW-Werk Landshut als Beispiel/Aufgabe der Politik: In meinem Wahlkreis in Landshut hat die Firma BMW ein Kompetenzzentrum für Leichtbau und Elekt- romobilität errichtet . Rund 160 Ingenieure forschen hier technologieübergreifend an innovativen Werkstoffen, Mischbaukonzepten und Fertigungsverfahren . Daneben werden im dazugehörigen Werk verschiedene Bauteile für die Elektromotoren und CFK-Karosserieteile für die Elektro- und Hybridfahrzeuge i3 und i8 gefertigt . Schon frühzeitig hat man hier die enormen Chancen erkannt, die das Zusammenwirken von Leichtbau und Elektromobilität für Umweltschutz und Nachhaltigkeit sowie für die Zukunft der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer in Deutschland bietet . Als weiteren wichtigen Schritt in meiner Heimatregion sehe ich die Schaffung einer Wasserstofftankstelle, an deren Umsetzung wir ge- rade arbeiten . Unsere primäre Aufgabe als Politik sollte es daher sein, Sorge dafür zu tragen, dass derartige Innovationen in Deutschland auch weiterhin möglich bleiben, denn nur so werden wir im internationalen Markt weiter gegen die Konkurrenz aus Japan, Südkorea und den USA bestehen können . Wir dürfen uns als Politik aber nicht nur darauf be- schränken, die Rahmenbedingungen für eine innova- tive Forschung und Fertigung im Automobilbereich zu schaffen, sondern sollten diese auch aktiv unterstützen, damit Deutschland weiterhin die „Poleposition“ als füh- render Innovationstreiber im Automobilbau behaupten kann . Arbeitsplätze sollen weiter bei BMW, Mercedes und Volkswagen entstehen und nicht nur bei Tesla und Toyota . Deswegen appelliere ich an Sie, liebe Kollegen von den Grünen und den Linken, lassen Sie endlich dieses ständige Störfeuer gegen die Automobilbranche . Sie sä- gen sich damit auch Ihren eigenen Ast ab, auf dem Sie sitzen . Wir dürfen nicht mit der einen Hand das umrei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617764 (A) (C) (B) (D) ßen, was wir mit der anderen in mühsamer Arbeit jahr- zehntelang aufgebaut haben . Zweitens . Maßnahmen im Gesetz: Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf nehmen wir einige Änderungen im Bereich der Kraftfahrzeugsteuer und der Einkommensteuer vor, um die Elektromobilität auf Deutschlands Straßen ein ganzes Stück voranzutrei- ben: Bei erstmaliger Zulassung reiner Elektrofahrzeuge gilt seit dem 1 . Januar 2016 bis zum 31 . Dezember 2020 eine fünfjährige Kraftfahrzeugsteuerbefreiung . Diese wird rückwirkend zum 1 . Januar 2016 nun auf zehn Jah- re verlängert . Die zehnjährige Steuerbefreiung für reine Elektrofahrzeuge wird zudem auf technisch angemesse- ne, verkehrsrechtlich genehmigte Umrüstungen zu rei- nen Elektrofahrzeugen ausgeweitet . Im Einkommensteuergesetz werden vom Arbeitge- ber  gewährte  Vorteile  für  das  elektrische Aufladen  ei- nes privaten Elektro- oder Hybridelektrofahrzeugs des Arbeitnehmers im Betrieb des Arbeitgebers und für die zur privaten Nutzung zeitweise überlassene betriebliche Ladevorrichtung steuerbefreit . Der Arbeitgeber erhält die Möglichkeit, geldwerte Vorteile aus der unentgeltli- chen oder verbilligten Übereignung der Ladevorrichtung und Zuschüsse pauschal mit 25 Prozent Lohnsteuer zu besteuern . Die Regelungen werden befristet für den Zeit- raum vom 1 . Januar 2017 bis 31 . Dezember 2020 . Diese steuerlichen Maßnahmen stellen ein eindeutiges Bekenntnis zu einer klimagerechten Zukunftspolitik dar und ergänzen das Maßnahmenbündel der Bundesregie- rung zur Förderung der Elektromobilität im Straßenver- kehr, das zeitlich begrenzte Anreize, weitere Mittel für den Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie zusätzliche An- strengungen bei der öffentlichen Beschaffung von Elek- tro- und Brennstoffzellenfahrzeugen beinhaltet . Drittens . Schluss: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum bedeu- tendsten Verkehrsthema der absehbaren Zukunft zeigt die CDU/CSU-Fraktion wieder einmal, dass wir Antworten auf die drängenden Fragen geben – und nicht nur me- ckern und uns beklagen, wie die linken Parteien . Aus den genannten Gründen bitte ich um Zustimmung für den Antrag . Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Die meis- ten von Ihnen werden mir zustimmen: Die Elektromobi- lität ist von besonderer klimapolitischer und verkehrspo- litischer Relevanz . In der Debatte wird hingegen oft übersehen: Es ist eine industriepolitische Schicksalsfrage, ob Deutsch- land sich als Industriestandort und Synonym für hoch- qualitative Spitzenfahrzeuge behaupten kann . Das ist die Entscheidungsfrage für die rund 800 000 Menschen, die heute in der deutschen Automobilindustrie in Lohn und Brot stehen . Ob diese Arbeitsplätze erhalten bleiben, das hängt davon ab, ob die Industrie es schafft, sich auf die- sem Leitmarkt der Zukunft zu positionieren . Hersteller aus China und den USA befinden sich  im  Bereich der massentauglichen E-Fahrzeuge wie auch im Luxussegment schon lange auf der Überholspur . Damit diese Überholmanöver sich nicht auf Dauer nachhaltig negativ auf die deutsche Automobilindustrie auswirken, müssen Politik und Wirtschaft jetzt gemeinsam Lösun- gen entwickeln und sie mit Vollgas dann auch umsetzen . Die Politik hat mit den hier vorgebrachten Initiativen ei- nen wichtigen Beitrag dazu geleistet . Das Laden beim Arbeitgeber wird einfacher, die Kfz-Steuerbefreiung wird verlängert, es gibt eine Kauf- prämie, die von der EU grünes Licht bekommen hat . Und über die öffentliche Beschaffungspolitik werden mehr Elektroautos auf die Straßen kommen . Zudem wird in den Ausbau der Ladeinfrastruktur investiert, deren Stan- dards klar definiert wurden. Viele Kritiker missverstehen die Kaufförderung als eine Art Bevorzugung reicherer Käuferschichten . Dem kann man zuerst entgegenhalten, dass die Kaufprämie zu gleichen Teilen von Staat und Herstellern getragen wird . Und nicht zuletzt ist das Setzen von Kaufanreizen zugleich eine industriepolitische Flankierung, um den Markthochlauf zu stimulieren . Denn ohne Absatz kein Leitmarkt . Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass eine Kaufförderung die Marktdurchdringung von Elekt- roautos beschleunigt . Die SPD-Bundestagsfraktion hat weitergehende Maß- nahmen gefordert, so zum Beispiel eine bessere degressi- ve Abschreibung für gewerbliche Nutzer . Und das bereits vor zwei Jahren . Ich möchte hier niemandem den schwarzen Peter zu- schieben, aber es ist den teils diffusen ordnungspoliti- schen Bedenken unseres Koalitionspartners geschuldet, dass wir so lange auf konkrete Maßnahmen warten muss- ten . Doch natürlich gilt auch hier: Es ist jetzt besser, eine Kerze anzuzünden, als über die Dunkelheit zu jammern . Die Politik hat klare Impulse gegeben, nun sind die Hersteller gefragt . Die Politik kann die Automobilindus- trie schließlich nicht ständig zum Jagen treiben . Hatte es noch vor kurzem den Anschein, als habe man bei VW, BMW, Audi und Daimler den Startschuss über- hört, mehren sich inzwischen die Anzeichen für einen Spätstart . Vielleicht liegt es an Dieselgate, vielleicht auch an der allgemeinen Einsicht, dass Wettbewerber der Zielge- raden schon deutlich näher sind . Die deutsche Automo- bilindustrie stellt sich jetzt jedenfalls mit deutlich mehr Elan der Herausforderung Elektromobilität und alternati- ver Antriebe . Die Zahl der alternativ angetriebenen Autos in den Flotten steigt . Man widmet sich endlich wieder der erforderlichen Batteriezellproduktion, was zentral für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ist . Bei dieser neuen Dynamik ist es zumindest möglich, das Ziel der 1 Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen bis 2020 nicht gänzlich aus dem Auge zu verlie- ren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17765 (A) (C) (B) (D) Andreas Schwarz (SPD): Die Bundesrepublik Deutschland tut viel für den Klimaschutz . Aber wir müs- sen uns noch mehr anstrengen, wenn wir die Klimaziele von Paris erreichen wollen . Wenn wir diese Ziele errei- chen wollen, müssen wir endlich mehr Elektroautos auf die Straße bringen . Es ist ja vollkommen richtig, dass auf unseren Straßen viel zu wenige Elektrofahrzeuge unterwegs sind . Im letzten Jahr waren es gerade mal 25 500 Fahrzeuge . Wenn wir hier nichts unternehmen, sind die Klimaziele von Paris in Gefahr . Und deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass hier das Bundeswirt- schaftsministerium mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aktiv geworden ist, um uns auf diesem Gebiet endlich entscheidend voranzubringen . Die Bundesregierung verfolgt dabei den absolut rich- tigen Ansatz, mit einer Kaufprämie die nötigen Anreize für höhere Verkaufszahlen zu schaffen . Die 4 000 Euro Kaufprämie – bei Hybrid 3 000 Euro – sind ein überzeu- gendes Signal an die vielen Interessentinnen und Interes- senten in unserem Land . Und wir fördern hier ausdrück- lich keine Luxusklassenfahrzeuge für die Gutsituierten . Wir haben bewusst eine Obergrenze von 60 000 Euro eingezogen, damit vor allem die breite Masse profitiert. Unser Ziel ist es, dass in den nächsten Jahren 300 000 zusätzliche Elektroautos zugelassen werden . Und es wirkt ja jetzt schon, obwohl das Gesetz noch gar nicht verabschiedet ist . Autohersteller melden uns, dass sowohl Interesse als auch Nachfrage der Kundinnen und Kunden seit dem Beschluss der Bundesregierung, hier ein milliardenschweres Förderprogramm für Elek- tromobilität aufzulegen, deutlich angestiegen ist . Das freut uns . Und das alles, wie gesagt, bevor die Kaufprä- mie abgerufen werden konnte . In diesem Zusammenhang begrüßen wir, dass das Prüfverfahren der EU-Kommission nun endlich abge- schlossen ist und die Menschen die Kaufprämie endlich in Anspruch nehmen können . Aber allein der Anreiz über die Kaufprämie wird nicht den erhofften und gewünschten Erfolg bringen . Da be- darf es schon eines Maßnahmenbündels, und zwar von Maßnahmen, die nur gemeinsam wirken können . Das von der Bundesregierung beschlossene Maßnah- menpaket gibt genau die richtigen Antworten auf die Frage vieler Interessenten, die gerne ein Elektrofahrzeug kaufen würden, aber vor Ort zu wenige Ladestationen vorfinden. Wir  brauchen  also  die  Kaufprämie  und  zu- sätzliche Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur, um erfolgreich zu sein . Die SPD-Bundestagsfraktion un- terstützt daher die Investitionen in den Ausbau der In- frastruktur für Elektrofahrzeuge . Uns war auch wichtig, dass sich auch die Autoindustrie an den Gesamtkosten dieses Maßnahmenpakets von gut 1 Milliarde Euro hälf- tig beteiligt . Ich bin überzeugt, diese Summe ist für beide Seiten gut investiertes Geld! Zusätzlich schaffen wir einen steuerlichen Anreiz . Es sollen diejenigen steuerlich belohnt werden, die sich ein Elektrofahrzeug zulegen . Eine zehnjährige Steuerbefrei- ung ist genau das richtige Signal an all diejenigen, die jetzt einsteigen wollen . Ich komme zum Schluss: Wenn wir jetzt den Markt mithelfen anzuschieben, wird das überdies dazu führen, dass die deutsche Automobilindustrie noch intensiver an Innovationen, beispielsweise an noch besseren Batterie- zellen, arbeiten wird . Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, weil wir über- zeugt sind, dass wir damit auf einem erfolgreichen Weg sind . Richard Pitterle (DIE LINKE): Kürzlich erklärte der christlich-soziale Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung Christian Schmidt den Bauern, die der Preis- verfall bei Milch in den Ruin treibt, es sei in einer sozi- alen Marktwirtschaft nicht Aufgabe des Staates, sich in die Preispolitik einzumischen . Und kaltschnäuzig hieb die sozialdemokratische Mi- nisterpräsidentin Hannelore Kraft in die gleiche Kerbe, als sie Flutopfern die Hilfe des Landes verweigerte, weil schließlich nicht alle mit Steuermitteln begünstigt wer- den könnten, die keine Versicherung abschlössen . Heute aber stehen wir hier und beraten auf Initiative der schwarz-roten Koalition die milliardenschwere Ein- mischung des Staates in die Preispolitik durch Begünsti- gungen aus Steuermitteln . Wieder einmal! Nur kurz zur Erinnerung: Gegen unseren Widerstand wurden superreichen Ree- dern Milliarden in der naiven, längst widerlegten Hoff- nung geschenkt, sie würden dann wohlgefällig vielleicht den einen oder anderen Arbeitsplatz in der maritimen Wirtschaft erhalten . Gegen unseren Widerstand versuchen Sie, mit Steuer- geschenken kopf- und planlos den Bau von Wohnungen zu fördern, nachdem Sie jahrzehntelang dem Todeskampf des sozialen Wohnungsbaus von der Seitenlinie zugese- hen haben, obwohl Ihnen Experten nur Mitnahmeeffekte für Luxuswohnungen prophezeien . Und gegen unseren Widerstand und sogar trotz klarer Ansagen des Bundesverfassungsgerichts gegen die Ver- schonung superreicher Erbinnen und Erben wird die Bi- lanz Ihrer schon peinlichen Auseinandersetzung um die Reform darauf hinauslaufen, die Reichsten der Reichen weiterhin zu verschonen . Nun bin ich wie auch meine Partei Die Linke sicher nicht verdächtig, neoliberaler Wirtschaftspolitik das Wort zu reden . Denn genau das machen Kraft und Schmidt, wenn sie den Staat aus der Verantwortung entlassen und auf Markt und Eigenverantwortung verweisen . Und ge- nau das macht, wer Steuervorteile prinzipiell geißelt . Das Steuerrecht wird in vielen Politikbereichen nicht nur zur Einnahmenerzielung, sondern auch oder sogar fast ausschließlich zur Verhaltenslenkung genutzt . In einer komplexen Gesellschaft wie der unsrigen ist dies unbestreitbar  ein  effizientes  und  auch  unverzichtbares  Mittel, um Politikziele zu erreichen . Bei von Justi heißt es im Jahre 1766: „Die Steuer ist ein sehr glückliches Mittel, den Staat zu bilden und ein- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617766 (A) (C) (B) (D) zurichten, wie es den Absichten einer ‚weisen‘ Regie- rung gemäß sei“ . Das heißt aber nicht, dass wir die wenig weise Steu- erpolitik nach schwarz-rotem Rezept gutheißen . Dieses schlichte Rezept passt sogar auf einen Bierdeckel: Mäch- tige  Wirtschaftslobbyisten  flüstern  den  Untergang  des  Mittelstandes, wenn nicht gleich der Welt ein, der nur mit Steuergeschenken vorzugsweise an sich und an Besser- verdienende aufgehalten werden kann . In  dieser  langjährigen  Tradition  findet  sich  die  nun  breit angelegte Förderung der Elektromobilität im Stra- ßenverkehr wieder, für die vorliegender Gesetzentwurf ein Baustein ist . Als Resultat von Kamingesprächen im Kanzlerinnenamt mit den Lobbyisten der deutschen Autoindustrie wird nun ein gewaltiges Subventions- programm auch für einen halbstaatlichen Autokonzern aufgelegt, der wegen illegaler Abgasmanipulationen mit dem Rücken zur Wand steht und die internationale tech- nische Entwicklung einfach verschlafen hat . Die Querfinanzierung  Ihrer Förderung durch Steuer- geschenke an Besserverdienende zahlen diejenigen Bür- gerinnen und Bürger, für die Elektromobilität im Alltag so realistisch ist wie der Jahresurlaub in der Karibik . Wie falsch Ihr Ansatz ist, lässt sich aber am deutlichs- ten in Zahlen ausdrücken: So ziemlich alle größeren Volkswirtschaften fördern die Elektromobilität seit vielen Jahren . In den meisten Staaten gibt es vergleichbare Programme seit gut acht Jahren . In Japan sogar seit 1996! Neben klassischen Förderungen mit Kaufanreizen wie Kaufprämien, Steu- ererstattungen gibt es viele weitere, wie kostenlose Park- plätze, Mautfreiheit, die Nutzung von Sonderspuren im Straßenverkehr . Die Höhe der Kaufanreize ist ebenfalls ähnlich: in der Regel mehrere tausend Euro für ein Fahr- zeug . Was hat es gebracht? Derzeit gibt es weltweit circa 1,5 Milliarden Fahrzeu- ge . Davon sind circa 1 Million Fahrzeuge Elektroautos . Also weniger als 0,001 Prozent . Weltweit führend sind derzeit noch die USA, obwohl China mit massiver und bekannt wenig marktwirtschaftlicher staatlicher Inter- vention die Führungsposition angreift . Der milliarden- schwere Wettkampf hat aber bisher nur zu 400 000 Elek- troautos, also 0,3 Prozent der Fahrzeuge, in den USA gereicht . Die Zahl der Neuzulassungen in den USA stag- niert, obwohl neben Bundesprogrammen auch die Bun- desstaaten eigene Förderprogramme haben . Deutschland ist ohne Förderung weltweit auf Platz 7 mit einem Elektrofahrzeuganteil von 0,07 Prozent . Vor- zeigeland Norwegen hat gerade mal eine 1,6-prozentige Quote trotz massiver Förderung . Eine Umfrage des Instituts für Verkehrsforschung be- stätigt die Nutzlosigkeit von steuerlichen und sonstigen Kaufanreizen: Kaufentscheidend sind eine öffentliche Ladeinfrastruktur, die Zuverlässigkeit der Technik und günstige Strompreise . Investieren Sie in die Forschung und Entwicklung, in die allgemeine Infrastruktur und in alternative Ver- kehrskonzepte, statt mit Steuergeschenken Strohfeuer anzufachen . Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Steuerliche Anreize zur Förderung der Elektro- mobilität sind als begleitende Maßnahme grundsätzlich richtig . Die Verlängerung der Kfz-Steuerbefreiung für reine Elektrofahrzeuge auf zehn Jahre ist allerdings eine rein symbolische Maßnahme . Ein Fahrzeughalter eines leichten Nissan Leaf würde gerade mal 45 Euro pro Jahr sparen . Über zehn Jahre macht das also eine Steuerer- sparnis von mageren 450 Euro . Das ist kein wirksamer Anreiz, sich ein Elektroauto zu kaufen . Der Gesetzentwurf sieht zudem vor, das Einkommen- steuergesetz zu ändern . Ermöglicht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, sein privates Elektroauto während der Arbeitszeit am Arbeitsort aufzuladen, so soll dies steuerbefreit werden – also kein geldwerter Vorteil . Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die betriebliche Ladevorrichtung zeitweise zur privaten Nutzung überlässt . Diese Maßnahme begrüßen wir . So können Arbeitgeber mit nur geringen Kosten die Elekt- romobilität ihrer Mitarbeiter fördern, ohne dass sich da- durch neue bürokratische Hürden auftun . Ich will die Gelegenheit mit der Beratung des Gesetz- entwurfes nutzen, um auf die fehlende Gesamtstrategie der Bundesregierung zur Förderung der Elektromobilität zu sprechen zu kommen: Vor ziemlich genau einem Jahr wurde das Elektromo- bilitätsgesetz beschlossen . Es hat bisher keine Impulse für die Förderung der Elektromobilität gesetzt . So gut wie keine Kommune hat Busspuren für Elektroautos freigegeben, Zufahrtsbeschränkungen gelockert oder kostenlose Parkplätze eingerichtet . Die neuen E-Kenn- zeichen sind ein Ladenhüter . Ein Scheitern mit Ansage: Es ist naiv, zu glauben, Kunden würden sich in Scharen für Elektroautos entscheiden, weil sie kostenfrei parken oder die Busspur nutzen können, während die Fahrzeuge deutlich teurer sind und Ladeinfrastruktur fehlt . Das Elektromobilitätsgesetz muss daher überarbeitet werden . Jetzt müssen die Rechtsgrundlagen für die Aus- rüstung von Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden mit Ladeinfrastruktur geschaffen werden . Frankreich macht es uns vor: Bei öffentlichen Einrichtungen gehört Ladeinfrastruktur zum Standard . Die ein Jahr diskutierte Kaufprämie für Elektroautos ist mittlerweile beschlossen . Doch anstatt die Prämie über ein Bonus-Malus-System bei der Kfz-Steuer zu fi- nanzieren und damit eine ökologische Lenkungswirkung zu schaffen, werden die Mittel aus dem Energie- und Kli- mafonds genommen . Diese Gelder werden nun für ande- re wichtige Klimaschutzprojekte fehlen . Um wesentlich stärkere Klimaschutzwirkungen zu erzielen, müsste stär- ker in andere Bereiche investiert werden . Elektromobilität bedeutet für die Bundesregierung le- diglich, dass Autos elektrisch fahren sollen . Das ist mehr als kurzsichtig . Die Förderung der Elektromobilität darf nicht zu reiner Industriepolitik verkommen . Sie ist eine Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 2016 17767 (A) (C) (B) (D) zentrale verkehrspolitische Herausforderung . Was wir brauchen, ist ein verkehrsträgerübergreifender Ansatz: Mit den 600 Millionen Euro Steuergeldern sollten wir besser Elektrobusse, E-Taxis und elektrische Nutz- fahrzeuge für die städtische Logistik fördern . Denn bei Elektromobilität geht es bei weitem nicht nur um den Austausch des Antriebs, sondern um die Veränderung bis- heriger Verkehrsstrukturen und um neue Mobilitätskon- zepte . Gerade in Ballungsräumen rückt die Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsträger in den Vordergrund . Der Schienenverkehr fährt bereits heute weitgehend elektrisch . Viele Bahnstrecken, insbesondere im länd- lichen Raum, warten  jedoch noch  auf  ihre Elektrifizie- rung. Hier wäre ein Elektrifizierungsprogramm notwen- dig, was auch den Güterverkehr auf der Schiene fördern würde . Allein die Umstellung des gesamten Bahnstroms auf Ökostrom würde achtmal mehr CO2 einsparen als 400 000 Elektroautos, die über die Kaufprämie gefördert werden sollen . Widersprüchlich ist die uneinheitliche Definition von  Elektroautos bei der Bundesregierung und die damit ein- hergehende Förderung: Nach dem Elektromobilitätsge- setz zählen auch Leichtfahrzeuge der Klassen L3e, L4e, L5e und L7e als Elektroautos und erhalten ein E-Kenn- zeichen . Von der Förderung durch die Kaufprämie sind die aber ausgeschlossen . Von der Kfz-Steuerbefreiung profitieren lediglich reine Elektrofahrzeuge sowie – und  neu im vorliegenden Gesetzentwurf – Fahrzeuge, die von Verbrennungs- auf reinen Elektromotor umgerüstet wur- den . Die einkommensteuerlichen Maßnahmen beziehen sich wiederum sowohl auf Elektrofahrzeuge als auch auf Plug-in-Hybride . Wie sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher da noch durchsehen? Sie sind nicht stringent und schaffen einen Förderdschungel . Der Verkehr ist das Sorgenkind im Klimaschutz . Seine Treibhausgasemissionen liegen heute über denen im Ba- sisjahr 1990 . Wir müssen Elektromobilität daher endlich breit fördern und uns nicht nur auf das Auto fokussieren . Sonst sind die Klimaschutzziele nicht zu schaffen . Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Im Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket zur Förderung der Elektromobilität beschlossen . Teil des Paketes sind auch Steuervorteile für Elektrofahrzeuge . Eine richtige Entscheidung . Warum? Die im vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur steu- erlichen Förderung von Elektromobilität im Straßenver- kehr enthaltenen Maßnahmen machen die Nutzung von umweltschonenden, klimafreundlichen Elektrofahrzeu- gen attraktiver, für Privatpersonen und für Unternehmen . Die Steuervorteile ergeben sich zum einen bei der Kraft- fahrzeugsteuer und zum anderen bei der Einkommen- steuer . Drei praktische Beispiele darf ich Ihnen vorab an die Hand geben: Erstens . Wer im Zeitraum vom 1 . Januar 2016 bis zum 31 . Dezember 2020 ein reines Elektroauto erstmals zu- lässt, ist zehn Jahre lang von der Kraftfahrzeugsteuer be- freit . Dies entspricht im Vergleich zum Status quo einer Verdoppelung des Befreiungszeitraumes . Zweitens . Wer sein privates Elektrofahrzeug im Be- trieb des Arbeitgebers aufladen darf, kann  sich darüber  freuen, dass dieser sogenannte „geldwerte Vorteil“ lohn- steuerfrei ist . Der Arbeitnehmer spart sich die Stromkos- ten sowie die darauf entfallende Einkommensteuer, und der Arbeitgeber braucht für das „Volltanken“ mit Strom keine Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen . So pro- fitieren beide Seiten.  Drittens . Übereignet der Arbeitgeber dem Arbeitneh- mer die Ladevorrichtung verbilligt oder gibt er ihm einen Kaufzuschuss, so ist eine Pauschalierung der Lohnsteuer mit nur 25 Prozent möglich . Sie sehen: So einfach kann Steuerrecht sein . Die mit diesem Gesetzentwurf verfolgten steuerlichen Maßnahmen sollen in erster Linie eine entsprechende Lenkungswirkung haben und der Verwirklichung der Ziele der Bundesregierung dienen: der Verbesserung der Luftreinhaltung und einer klimagerechten Zukunftspoli- tik . Mit dem Ziel vor Augen, bis 2020 den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent zu senken, sind auch im Verkehrssektor Emissionsminderungen not- wendig . Die Steigerung des Anteils von Elektrofahrzeu- gen ist eine zentrale Maßnahme, um den Straßenverkehr umweltverträglicher zu machen und einen adäquaten Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen zu leisten . Um die Zahl der Neuzulassungen von Elektrofahrzeu- gen und den Umstieg auf klimafreundlichere Fahrzeuge deutlicher zu erhöhen, braucht es jedoch mehr Akzeptanz und Attraktivität für die Nutzer . Mit dem nunmehr vorliegenden Maßnahmenpaket zur Förderung der Elektromobilität stellt der Bund zu- sätzlich etwa 1 Milliarde Euro für die direkte Förderung des Erwerbs von E-Fahrzeugen – sogenannter Umwelt- bonus – sowie für die Verbesserung der Ladeinfrastruk- tur bereit . Und auch die öffentliche Hand selbst wird bei ihren eigenen Fuhrparks mit gutem Beispiel vorangehen . Der Anteil der durch die Bundesregierung in ihrem Ge- schäftsbereich zu beschaffenden Elektrofahrzeuge soll auf mindestens 20 Prozent erhöht werden . Ziel des Maß- nahmenpakets ist, neben der weiteren Förderung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten dem Markt- hochlauf für E-Fahrzeuge einen kräftigen Impuls zu ge- ben . Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren im Rahmen des Regierungsprogrammes Elektromobilität gut 1,5 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung bereitgestellt . Durch Forschungs- und Entwicklungsakti- vitäten, aber auch durch steuerliche Anreize soll Elektro- mobilität kostengünstiger und alltagstauglicher werden . Im Einzelnen sieht der Ihnen vorliegende Gesetzent- wurf folgende Maßnahmen vor . Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 179 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . Juni 201617768 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de Momentan gilt bei erstmaliger Zulassung reiner Elek- trofahrzeuge im Zeitraum vom 1 . Januar 2016 bis zum 31 . Dezember 2020 eine fünfjährige Steuerbefreiung ab der Erstzulassung . Diese Kraftfahrzeugsteuerbefreiung soll rückwirkend zum 1 . Januar 2016 in eine zehnjährige Befreiung verlängert werden . Die zehnjährige Steuerbefreiung für reine Elektro- fahrzeuge soll darüber hinaus auch für solche Fahrzeuge gelten, die technisch angemessen und verkehrsrechtlich genehmigt zu reinen Elektrofahrzeugen umgerüstet wor- den sind . Änderung des Einkommensteuergesetzes: Im Zeitraum vom 1 . Januar 2017 bis 31 . Dezember 2020 sollen vom Arbeitgeber an Arbeitnehmer gewährte Vorteile für das elektrische Aufladen eines privaten Elek- trofahrzeugs oder Hybridelektrofahrzeugs im Betrieb des Arbeitgebers steuerfrei sein; Gleiches soll für die zur pri- vaten Nutzung zeitweise überlassenen betrieblichen La- devorrichtungen gelten . Der Arbeitgeber soll zudem die Möglichkeit erhalten, geldwerte Vorteile aus der unentgeltlichen oder verbil- ligten Übereignung der Ladevorrichtung und Zuschüsse pauschal mit 25 Prozent Lohnsteuer zu besteuern . Das Thema Elektromobilität liegt der Bundesregie- rung am Herzen . Maßnahmen zur Förderung der Elektro- mobilität sind Antwort auf die steigenden Anforderungen an Klimaschutz – CO2-Ausstoß – und Luftreinhaltung – Stickoxid, Rußpartikel etc . . Als Bindeglied zwischen der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen und dem Verkehrssektor ist die Elektromobilität ein wichtiger Baustein der Energiewende . Mithilfe der Elektromobilität können wir verkehrsbe- dingte lokale Emissionen verringern und zum Ausbau klimafreundlicher Verkehrssysteme beitragen . Durch in- novative Ideen und Technologien tragen wir zur Nach- haltigkeit und zum Klimaschutz bei . Deutschland braucht die Elektromobilität, und die Elektromobilität bringt Deutschland eine Verbesserung der Luftreinhaltung und eine klimagerechte Zukunftspo- litik . Lassen Sie uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gemeinsam einen weiteren Schritt nach vorne in Rich- tung einer klimagerechten Zukunft machen . Ich freue mich auf die Beratungen in den entsprechen- den Fachausschüssen . 179. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 5 Forschung und Innovation 2016 TOP 6, ZP 1 Klimaschutz ZP 2 u. 3 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag TOP 29, ZP 4 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 30 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 5 Aktuelle Stunde zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren TOP 7 Neuregelung des Kulturgutschutzrechts TOP 9 Aktionsplan gegen Sexismus TOP 10 Bundeswehreinsatz in Kosovo (KFOR) TOP 11 Unterstützung queerer Jugendlicher TOP 12 Bundeswehreinsatz im Libanon (UNIFIL) TOP 13, ZP 6 u. 7 Mietrecht TOP 8 Änderung des SGB II – Rechtsvereinfachung TOP 15 Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugänge TOP 16 Digitalisierung der Energiewende TOP 17 Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft ZP 8 Weiterentwicklung des Strommarktes TOP 19 Netzneutralität TOP 18 Europäischer Binnenmarkt TOP 20 Änderung des Standortauswahlgesetzes TOP 21 Sozialer Basisschutz in Entwicklungsländern TOP 22 Anpassung patentrechtlicher Vorschriften TOP 23 Sicherheit von Offshore-Erdöl- und Erdgasaktivitäten TOP 27 Steuerliche Förderung von Elektromobilität Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817900000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zu unserer 179 . Plenarsitzung . Es
gibt eine Reihe amtlicher Mitteilungen, mit denen wir
beginnen .

Wir müssen zwei Wahlen durchführen . Die CDU/
CSU-Fraktion schlägt vor, für den ausgeschiedenen
Kollegen Thomas Strobl die Kollegin Nina Warken als
ordentliches Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses
gemäß Artikel 53a des Grundgesetzes zu berufen . Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der
Fall . Dann ist die Kollegin als ordentliches Mitglied in
ein Gremium gewählt, das wir hoffentlich nie brauchen .

Des Weiteren schlägt die CDU/CSU-Fraktion vor,
den Kollegen Steffen Bilger für den ausgeschiedenen
Kollegen Thomas Strobl als ordentliches Mitglied des
Ausschusses nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgeset-
zes, also des Vermittlungsausschusses, zu berufen . Sind
Sie auch mit diesem Vorschlag einverstanden? – Ich höre
keinen Widerspruch . Dann ist der Kollege Bilger als
ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses ge-
wählt .

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord­
nung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punk-
te zu erweitern:

ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Annalena Baerbock, Özcan Mutlu, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Für ein Rahmenprogramm für Klima­ und
Klimafolgenforschung

Drucksachen 18/7048, 18/8873

ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenar­
beit – 25 Jahre deutsch­polnischer Vertrag
über gute Nachbarschaft und freundschaftli­
che Zusammenarbeit

Drucksache 18/8861

ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenar­
beit – 25 Jahre deutsch­polnischer Vertrag
über gute Nachbarschaft und freundschaftli­
che Zusammenarbeit

Drucksache 18/8765

ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver­
fahren


(Ergänzung zu TOP 29)


Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Errichtung einer Bundeskanz­
ler­Helmut­Schmidt­Stiftung

Drucksache 18/8858
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Aussagen von Bundesminister de Maizière zu
ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren

ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Re-
nate Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise
Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des
Mietanstiegs auf angespannten Wohnungs­
märkten durch Streichung der Rügepflicht
und die Schaffung eines Auskunftsrechts

Drucksache 18/8857






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise
Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des
Mietanstiegs auf angespannten Wohnungs­
märkten bei umfassenden Modernisierungen

Drucksache 18/8856
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

ZP 8 a) – Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des
Strommarktes (Strommarktgesetz)


Drucksache 18/7317

Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie

(9 . Ausschuss)


Drucksache 18/8915


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/8920

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena
Baerbock, Dr . Julia Verlinden, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Zukunft des Strommarktes – Mit ökologi­
schem Flexibilitätsmarkt klimafreundliche
Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg
einleiten

Drucksachen 18/7369, 18/8915

ZP 9 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteu­
er­ und Schenkungsteuergesetzes an die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsge­
richts

Drucksachen 18/5923, 18/6279, 18/6410
Nr. 4

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/8911


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/8912

ZP 10 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset­
zes zur Änderung wasser­ und naturschutz­
rechtlicher Vorschriften zur Untersagung und
zur Risikominimierung bei den Verfahren der
Fracking­Technologie

Drucksachen 18/4713, 18/4949

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/8916

ZP 11 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset­
zes zur Ausdehnung der Bergschadenshaftung
auf den Bohrlochbergbau und Kavernen

Drucksachen 18/4714, 18/4952

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/8907

ZP 12 Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut­
scher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Ope­
ration SOPHIA

Drucksache 18/8878
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Dabei geht es um die Beratung von drei Anträgen, um
acht Beschlussempfehlungen und einen Gesetzentwurf,
der ohne Debatte aufgesetzt und überwiesen werden soll .

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden .

Der Tagesordnungspunkt 14 – hier geht es um die Be-
schlussempfehlung zum Gesetzentwurf zur Bekämpfung
des internationalen Terrorismus – soll am heutigen Tag
abgesetzt werden . Die Koalitionsfraktionen haben bean-
tragt, diesen Tagesordnungspunkt am Freitag nach dem
Tagesordnungspunkt 24 wieder aufzusetzen .

Die Tagesordnungspunkte 15 b – hier geht es um einen
Antrag mit dem Titel „Interessenkonflikte durch staats-
nahe Oligopolisten beenden – Anteile an der Deutschen
Telekom AG veräußern und Erlöse in Breitbandausbau
investieren“ – und 25 – hier geht es um den Ernährungs-
politischen Bericht der Bundesregierung für das Jahr
2016 – sollen ebenfalls abgesetzt werden .

Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkte-
liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs .

In der sicheren Vermutung, dass Sie das jetzt alles
mühelos nachvollzogen haben, frage ich, ob Sie damit
einverstanden sind . – Das ist gerade deshalb sicher der

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Fall . Dann bedanke ich mich, und dann können wir so
verfahren .

Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 d
auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Gutachten zu Forschung, Innovation und
technologischer Leistungsfähigkeit Deutsch­
lands 2016
Drucksache 18/7620
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bundesbericht Forschung und Innovation
2016
Drucksache 18/8550
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss Digitale Agenda

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Mikroelektronik aus Deutschland – Innovati­
onstreiber der Digitalisierung
Rahmenprogramm der Bundesregierung für
Forschung und Innovation 2016 bis 2020
Drucksache 18/7729
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss Digitale Agenda

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Oliver Krischer, Katja Dörner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Innovationspolitik neu ausrichten – Forschen
für den Wandel befördern
Drucksache 18/8711

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aus-
sprache 60 Minuten vorgesehen . – Das ist offensichtlich
unstreitig . Dann können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Stefan Kaufmann für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1817900100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Das diesjährige EFI-Gutach-
ten, über das wir heute im Kern debattieren, und auch der
Bundesbericht Forschung und Innovation 2016 beschrei-
ben eine Erfolgsgeschichte: Dieses Jahr liegen die Ausga-
ben im Bundeshaushalt für Forschung und Entwicklung
bei 15,8 Milliarden Euro . Damit sind die Ausgaben des
Bundes in diesem Bereich in den letzten zehn Jahren um
sage und schreibe 75 Prozent gewachsen . Zusammen mit
der Wirtschaft hat der Staat im Jahr 2014 sogar 84 Milli-
arden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben .
Das ist beeindruckend, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die gestiegenen Investitionen zeigen Wirkung: Die
Zahl neuer Arbeitsplätze für Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler hat zwischen 2005 und 2013 fast um ein
Drittel zugenommen . Heute arbeiten sage und schreibe
600 000 Menschen in Deutschland in Forschung und
Entwicklung . Die Zahl weltmarktrelevanter Patente pro
1 Million Einwohner liegt in Deutschland um mehr als
240 Prozent über dem EU-Durchschnitt und ist damit
doppelt so hoch wie in den USA .

Flankiert wird dies durch nachhaltige Investitionen
in die Exzellenz . Ich darf in diesem Zusammenhang die
Bundesregierung zu der Verabschiedung des Exzellenz-
paketes in der letzten Woche beglückwünschen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Bundesregierung hat also die Zeichen der Zeit
schon seit langem erkannt . Und die Zahlen zeigen: Wir
sind auf einem guten Weg, und wir sind in vielen Berei-
chen international vorne . Doch, meine Damen und Her-
ren, reicht das aus, um im internationalen Wettbewerb,
der immer rascher voranschreitet und bei dem immer
ehrgeizigere Ziele angestrebt werden, vorne zu bleiben?

Dazu sage ich nur: „Sonnenweg“ . Wer in den letzten
Wochen die internationale Wissenschafts- und Innova-
tionspolitik verfolgt hat, wird etwas mit diesem Wort
anfangen können . Denn mit „Sonnenweg“ wird der neu-
este und schnellste Supercomputer der Welt bezeichnet,
den die Chinesen in der letzten Woche vorgestellt ha-
ben . Schon der bisher zweitschnellste Rechner der Welt
kam aus China . Der Abstand wird immer größer: Jetzt
wird eine Leistung von 93 PetaFLOPS erreicht . Das sind
93 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde . Damit ist

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


der neue Supercomputer dreimal schneller als alle bishe-
rigen Rechner auf der Welt .

Das Besondere, meine Damen und Herren, an die-
sem neuen Supercomputer ist: Die Chinesen haben kei-
ne importierte Technologie von Intel oder IBM benutzt,
sondern die Chips und sogar die Software zur Steuerung
der Chips selbst entwickelt . Es handelt sich also um eine
chinesische Eigenproduktion . Nur „copy and paste“, das
war einmal . Der schnellste Supercomputer Deutschlands
steht übrigens in meiner Heimatstadt Stuttgart . Er hat al-
lerdings eine Leistung von nur 5,9 PetaFLOPS .

Was zeigt uns das? Die Chinesen sind gewillt, massiv
in Zukunftstechnologien zu investieren, und wir drohen
in diesem Bereich durchaus etwas abgehängt zu werden .
Das aber können wir uns nicht leisten; denn viele wesent-
liche Erkenntnisse gerade im Bereich der Computer – da-
bei geht es um Simulationen zum Klimawandel, um Erd-
bebenvorhersagen usw . – sind nur mit solch unglaublich
schnellen Anlagen zu gewinnen .

Was wir also brauchen, meine Damen und Herren,
sind noch mehr Investitionen in unsere Forschung und
Wissenschaft . Wir brauchen eigene Innovationen und
dürfen nicht von Innovationen aus den USA und China
abhängig werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen gab es in den letzten Wochen ja auch die Auf-
regung um den Augsburger Robotikhersteller Kuka . For-
schung und Innovation sind eben entscheidende Faktoren
für unsere künftige internationale Wettbewerbsfähigkeit .
Deshalb war es gut und richtig, dass sich die Bundes-
kanzlerin letzte Woche in China erfolgreich dafür ein-
gesetzt hat, dass die Mehrheit der Geschäftsanteile von
Kuka weiterhin in der Hand europäischer Investoren
bleibt . Herzlichen Dank dafür .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Übrigen regt das EFI-Gutachten in diesem Kontext
eine eigene deutsche Robotikstrategie an, die auch ich
hier gerne unterstütze . Doch nicht nur in der Robotik gilt:
Die großen FuE-Supermächte USA, Japan, Südkorea,
Israel und eben auch China stehen mit Deutschland in
unmittelbarem Wettbewerb . Und hier bedeutet Stillstand
für uns mehr denn je Rückschritt .

Nur zur Erinnerung nenne ich zum Vergleich – be-
zogen auf den Anteil am Bruttoinlandsprodukt – die
FuE-Ausgaben im Jahr 2013: Schweiz 3,0 Prozent, Japan
3,4 Prozent, Südkorea 4,2 Prozent und Baden-Württem-
berg 5,1 Prozent . Auch das ist eine sehr beeindrucken-
de Zahl! Das müsste eigentlich unsere Benchmark sein .
Deshalb frage ich: Warum sind wir nicht mutig und set-
zen uns für das Jahr 2025 wenigstens einen Anteil von
3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung als
Ziel? Das ist – das möchte ich gleich dazusagen – ein
ehrgeiziges Ziel, welches natürlich nur gemeinsam mit
den Anstrengungen auch der Wirtschaft zu realisieren ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber nur so stellen wir sicher, dass Deutschland wei-
terhin zur internationalen Spitzenklasse gehört . Deshalb
lassen Sie uns alle gemeinsam daran arbeiten . Wir hier
sind der Haushaltsgesetzgeber, haben es also letztlich
auch ein Stück weit selbst in der Hand . Gehen wir also –
gemeinsam mit der Regierung, die schon viele Vorleis-
tungen erbracht und wirklich Erfolge vorzuweisen hat,
aber auch gemeinsam mit den Unternehmen – mutig
voran . Und nutzen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dabei vor allem auch das riesige Innovationspotenzial der
kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Bundesregierung hat dazu ein Programm vorgelegt,
das genau in die richtige Richtung weist . Wenn wir dies
alles realisieren, mutig und ehrgeizig bleiben, dann, mei-
ne Damen und Herren, bleiben wir auch das Land der
Ideen und der Innovationen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817900200

Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817900300

Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Als Haushaltspolitikerin sehe ich
meine Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass unser aller
Geld an der richtigen Stelle ankommt . Da ist wirklich
noch eine Menge zu tun .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Hochschulen in unserem Land leiden seit Jahren
an Geldmangel . Immer mehr Menschen studieren, je-
doch häufig in überfüllten Hörsälen, unter schlechten Be-
dingungen . Was für eine Verschwendung von Kreativität,
Potenzial und Lebenszeit . Das können wir uns wirklich
nicht leisten .


(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Reden Sie mal mit den Bundesländern!)


Die Hochschulen versuchen nun, irgendwie mit der
dauerhaften Unterfinanzierung umzugehen. Die Leidtra-
genden sind in der Regel die Beschäftigten, die immer
mehr in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gedrängt
werden . 80 Prozent – ich wiederhole: 80 Prozent – des
hauptamtlich beschäftigten wissenschaftlichen Perso-
nals an den Hochschulen und 60 Prozent an den außer-
universitären Forschungseinrichtungen haben befristete
Arbeitsverträge . Die Hälfte aller Verträge für die Be-
schäftigten läuft lediglich zwölf Monate oder gar kürzer .
Wenn wir die klügsten Köpfe in der Wissenschaft halten
wollen, müssen wir die Arbeitsbedingungen grundlegend
verbessern .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Stefan Kaufmann






(A) (C)



(B) (D)


Wir als Linke haben dazu den Antrag „Gute Arbeit in
der Wissenschaft“ eingebracht, den Sie leider abgelehnt
haben . Aber wir können noch einmal darüber diskutieren .

Die Bundesregierung setzt nicht auf gute Arbeit in
der Wissenschaft, sondern auf maximale Flexibilisierung
der Arbeit auf Kosten der Beschäftigten, aber auch auf
Kosten der Wissenschaft selbst . Wer glaubt, dass maxi-
male Flexibilisierung im Wissenschaftsbetrieb die Inno-
vationsfähigkeit fördert, der irrt . Das ist ein gefährlicher
Irrglaube . Dem dürfen wir nicht verfallen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wer einen Zwölfmonatsvertrag hat, ist die Hälfte der
Zeit mit der Beantragung von neuen Fördermitteln und
Stipendien beschäftigt . Aber Wissenschaft braucht Zeit,
und gute Wissenschaft braucht mehr Zeit . Wir wären ver-
antwortungslos, wenn wir unseren Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern diese Zeit nicht gäben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun könnten die Wissenschaftspolitiker aller Frakti-
onen sagen: Soll doch der Haushaltsausschuss einfach
höhere Ausgaben für die Wissenschaft beschließen und
möglichst noch günstige Kredite aufnehmen . – Das wäre
die einfache Lösung . Die bessere Lösung ist aber, dass
wir endlich einmal darüber reden, wofür wir eigentlich
unser Geld ausgeben und ob wir in diesem Haus wirklich
immer die richtigen Prioritäten setzen .

An zwei aktuellen Beispielen zeige ich Ihnen, welche
falschen Entscheidungen hier getroffen werden . Beispiel
eins: Der Haushaltsausschuss hat gestern gegen den Wil-
len der Opposition 85 Millionen Euro für die Subventi-
onierung des Kaufs von Elektrofahrzeugen freigegeben .
Diese Kaufprämie führt zu einem reinen Mitnahmeeffekt,
es handelt sich keineswegs um Innovationsförderung .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Genau!)


Sie werden mir doch alle zustimmen, dass diese 85 Mil-
lionen Euro in der Wissenschaft und Forschung wirklich
besser angelegt gewesen wären .


(Beifall bei der LINKEN)


Vorhin gab es schon einen Zwischenruf zu den Län-
dern . Ja, nicht nur der Bund muss sich in der Wissen-
schaftsfinanzierung  engagieren,  auch  die  Länder  sind 
gefordert .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!)


Morgen soll der Bundestag eine Erbenverschonungssteu-
er, eine Geschenkpackung für reiche Erben beschließen .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer gehen direkt in
die Haushalte der Bundesländer . Ich frage mich, warum
die Bundesländer, insbesondere auch Bayern, so großzü-
gig auf zusätzliche Einnahmen verzichten . In jedem Jahr
werden in Deutschland 200 Milliarden Euro vererbt . Ein
lächerlicher  Bruchteil  fließt  in  die  Kassen  der  Länder. 
Bundesregierung und Bundesländer verhalten sich so,
wie wir es von Steueroasen kennen . Die Linke will aus

der Steueroase Deutschland endlich eine Bildungs- und
Forschungsoase machen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817900400

Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege René

Röspel das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1817900500

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Man muss die knapp 360 Seiten des
„Bundesberichts Forschung und Innovation 2016“ nicht
unbedingt lesen – das ist eine recht anstrengende Aufga-
be –, aber das ist ein guter Überblick über die Situation
von Forschung und Wissenschaft in Deutschland. Ich fin-
de es sehr lohnenswert, da einmal hineinzuschauen, weil
man wirklich feststellen kann, dass sich Deutschland zu
einem guten Wissenschaftsstandort entwickelt hat .

1998 – wir dürfen nicht nur die letzten zehn Jahre
betrachten – haben wir unter Rot-Grün die Trendwende
geschafft und seitdem endlich wieder Bildung und For-
schung einen anderen Stellenwert verschafft . Das hat uns
alle gemeinsam in den letzten Jahrzehnten nach vorne
gebracht .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden weiterhin nur dann ein guter Standort für
Wissenschaft und Forschung sein, wenn es uns gelingt,
junge Menschen zu begeistern, Forschung zu betreiben,
wenn es uns gelingt, junge Menschen dafür zu interes-
sieren, sich die Fragen zu stellen: Wie entsteht Leben?
Wie kann man eine Krankheit bekämpfen und heilen?
Wie produzieren wir Strom umweltverträglich? Ich habe
den Eindruck, diese Begeisterung bei jungen Menschen
erwecken wir nicht mit Reden wie der, die Sie, Frau Kol-
legin Lötzsch, gerade gehalten haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Diese, glaube ich, schreckt junge Menschen eher ab, sich
der Herausforderung zu stellen, sich ins Wissenschafts-
system zu begeben, das spannend ist und mit dem man
viel erreichen kann .

Gerade ein guter Forscher – natürlich auch eine For-
scherin – zeichnet sich dadurch aus, dass er seine Feh-
ler erkennt . Ein Spitzenforscher zeichnet sich dadurch
aus, dass er aus seinen Fehlern lernt und selbstkritisch
ist . Diese Kritik zu üben, gilt es immer wieder; das ist
gar keine Frage . Sich Kritik von außen einzuholen, das
ist die Aufgabe der Expertenkommission Forschung und
Innovation, EFI, die jedes Jahr einen Bericht vorlegt, um
uns darauf hinzuweisen, wo welche Schwierigkeiten in
der technologischen Entwicklung und Zukunft Deutsch-
lands liegen und wie sie zu beheben sind . Aus Zeitgrün-
den kann ich leider nur ein paar Beispiele herausgreifen;

Dr. Gesine Lötzsch






(A) (C)



(B) (D)


Kollege Kaufmann hat in seiner guten Rede gerade schon
einiges angesprochen .

Ein Kapitel des Bundesberichts befasst sich mit dem
Zustand der Robotik in Deutschland . Im Bereich der In-
dustrierobotik, gerade in der Automobilindustrie, sind die
deutschen Hersteller, ist die Bundesrepublik Deutschland
gut aufgestellt . Aber wir verlieren hier den Anschluss an
andere, bzw . es droht uns die Gefahr, von China, Süd-
korea und anderen überholt zu werden . Das heißt, wir
müssen uns da besser aufstellen; wir müssen uns auch
anderen Anwendungsbereichen von Robotik, zum Bei-
spiel der Servicerobotik, öffnen . Wir müssen darüber
nachdenken, wie wir da weiterkommen können . Das
heißt, wir müssen Fehler erkennen und Kritik annehmen
und versuchen, umzubauen .

Besonders gefreut hat mich, dass in dem Gutachten
der Expertenkommission Forschung und Innovation
das Thema „soziale Innovationen“ erstmals ausführli-
cher angesprochen wird . Es wird ausdrücklich gemahnt,
dass wir uns mehr um soziale Innovationen kümmern,
sie stärker in unser Blickfeld einbeziehen und dass wir
nicht immer nur auf technologische Innovationen und
Fortschritte schauen . Es gilt festzustellen, dass zwar zur
Bewältigung vieler Probleme des täglichen Lebens oder
unserer zukünftigen Gesellschaft Technologie gebraucht
wird, dass es aber häufig so ist, dass wir auch soziale und 
gesellschaftliche Veränderungen brauchen, wenn wir die
Probleme wirklich lösen wollen . Beides gehört zusam-
men .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir als Sozialdemokratie sind froh, dass wir in den letz-
ten Jahren über eine veränderte Hightech-Strategie auch
in diesem Bereich weitergekommen sind .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur millimeterweise!)


Keine technische Innovation wird letztlich Erfolg haben,
wenn es uns nicht gelingt, sie in die gesellschaftlichen
Verhältnisse einzupassen und entsprechend zu fördern .

Wir haben aus dem letzten Jahr auch die Ankündigung
der Expertenkommission mitgenommen, sich einem Pro-
blem zu widmen, das auch in diesem Bericht beschrie-
ben wird: der Tatsache, dass die Innovationsintensität
der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland
zurückgegangen ist . Der Anteil des Umsatzes, den ein
kleines oder mittleres Unternehmen für Innovationen
aufwendet, ist im Vergleich zu anderen Ländern also
geringer . Gleichzeitig ist festzustellen, dass der Anteil
staatlicher Forschungsförderung für kleine und mittlere
Unternehmen in Deutschland deutlich niedriger als in an-
deren Ländern wie zum Beispiel Österreich oder Italien
ist . Diese Länder geben ihren kleinen und mittleren Un-
ternehmen mehr Geld für Forschung und Entwicklung .

Trotzdem zählen die deutschen kleinen und mittleren
Unternehmen zu den erfolgreichsten weltweit. Ich finde, 
diesen Punkt muss man in Gesprächen mit dieser Kom-
mission einfach vertiefen: Sind die Befunde eigentlich
richtig? Ist es nicht eher gut, dass unsere Unternehmen
mit einem relativ geringen Aufwand an Innovationsaus-
gaben große Umsätze erzielen? Liegt die Stärke deut-

scher Unternehmen vielleicht nicht nur in Innovations-
fähigkeit, sondern auch darin, qualitativ hochwertige
Produkte herzustellen? Ist es eigentlich schlecht, wenn
unser Staat seinen KMUs relativ wenig Forschungsgeld
geben muss, weil sie auch ohne zurechtkommen? Ist es
nicht eher schlecht, wenn Österreich und Italien mehr
Geld für ihre kleinen und mittleren Unternehmen ausge-
ben müssen, damit sie genauso innovativ wie deutsche
sind?


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist ja fast schon eine neoliberale Rede, die Sie da halten!)


Das sind eben Fragen, die wir noch beleuchten müssen .

Aber ein wichtiges Innovationshemmnis für kleine
und mittlere Unternehmen erwähnt der Bericht trotzdem,
nämlich den zunehmenden Fachkräftemangel . Damit
komme ich zu einer Kritik an diesem Bericht: In den letz-
ten Jahren war der Bericht deutlich stärker im Bereich
Bildung und Fachkräftemangel aufgestellt . Da liegen
definitiv  die  zentralen  Aufgaben  unserer  Gesellschaft, 
und da gibt es Defizite. Wenn man  in die Kindergärten 
und in die Schulen geht, sieht man ganz viele Kinder und
junge Menschen, die, wenn man es richtig macht, dafür
zu begeistern sind, in die Wissenschaft oder in die For-
schung zu gehen . Das ist eine große Aufgabe, gerade in
den Großstädten, und das wird immer schwieriger . Wir
brauchen Schulsozialarbeit, mehr Investitionen in Bil-
dung, auch vom Bund; denn wir als SPD sind der Über-
zeugung: Die Zukunft unseres Landes wird nicht nur in
den Forschungsinstitutionen gemacht, sondern auch in
den Kindergärten und Schulen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817900600

Kai Gehring ist der nächste Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817900700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,

wir haben ein starkes und ein kreatives Wissenschafts-
system . Wer aber bei Forschung, Entwicklung und Inno-
vation wirklich vorn mitspielen will, der darf sich nicht
auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen, liebe
Bundesregierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die EFI hat ein ganz vielschichtiges Bild der deut-
schen Innovationslandschaft gezeichnet . In dieser Land-
schaft gibt es durchaus Erfolgsprojekte, aber auch etliche
Baustellen, die die Bundesregierung partout nicht an-
geht . Zu den Baustellen gehört die bessere Finanzierung
von Forschung und Entwicklung .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Verdopplung des Etats in den letzten zehn Jahren! Lesen hilft!)


René Röspel






(A) (C)



(B) (D)


Schon  für  2010  hatte  sich  Deutschland  verpflichtet, 
3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und
Entwicklung zu investieren . Dieses Ziel wird seit Jahren
systematisch verfehlt . Das muss sich endlich ändern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Wir Grüne, die EFI, Wissenschaft und Wirtschaftsver-
bände fordern längst 3,5 Prozent, um mehr Kreativität zu
entfachen und um wieder Anschluss an die internationa-
len Innovationsspitzenreiter zu finden. Deutschland muss 
Land für mehr Ideen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu den Baustellen gehört auch die fehlende steuerli-
che Forschungsförderung für kleine und mittlere Unter-
nehmen . In der EU haben nur Estland und Deutschland
keine solche Förderung . Wissenschaftler fordern sie seit
Jahren . Am letzten Freitag hat Sie auch der Bundesrat
aufgefordert, mit diesem Instrument Forschungs- und
Entwicklungsanreize für KMU zu setzen . Also legen
Sie endlich los, liebe Koalition, oder folgen Sie unserem
grünen Gesetzentwurf oder der Entschließung des Bun-
desrates! Das wäre auch ein großer Gewinn für die Fach-
kräfteentwicklung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen Forschung mehr Richtung geben . Wie, das
beschreiben wir in unserem Antrag „Innovationspolitik
neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern“ .


(René Röspel [SPD]: Der ist gar nicht so schlecht!)


Wer unser Land sozial, ökologisch und digital moderni-
sieren will, der muss anders wirtschaften und der muss
auch anders forschen . Wissenschaft muss noch stärker
dabei helfen, die großen Herausforderungen zu bewälti-
gen und die großen Menschheitsfragen zu lösen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen Forschungsfreiheit einen besseren Rah-
men garantieren . Dazu gehören eine auskömmliche
Grundfinanzierung der Hochschulen statt Unterfinanzie-
rung, faire statt prekäre Arbeitsbedingungen in der Wis-
senschaft und auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . René Röspel [SPD])


denn es fehlt an Mut zu unkonventionellen Methoden
und Ansätzen . Es fehlen Frauen, junge Forschende, und
es gibt unterrepräsentierte Gruppen . All das hemmt Inno-
vation, und das muss sich dringend ändern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit mehr Vielfalt in der Wissenschaft können wir das
ganze Spektrum an Erfahrungen, Ideen und Kreativität
ausschöpfen . Daher ist Diversity bei Personal und bei
Forschungsansätzen so wichtig . Mehr Beteiligung im
Forschungsprozess und Bürgerwissenschaften sind drin-
gender denn je notwendig – dafür sind die Reallabore

in Baden-Württemberg ein großartiges Beispiel –; denn
Forschung muss den Menschen stärker dienen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Forschungspolitik muss neu gedacht werden . Wir
wollen, dass Nachhaltigkeit durchgängiges Prinzip der
Forschungsförderung wird und nicht länger ein Ziel un-
ter vielen ist .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Ich glaube, nur so können wir die großen gesellschaft-
lichen Herausforderungen, ob das die Klimakrise, die
Energiefrage, die Ressourcenknappheit, Migration oder
Demografie  ist,  wirklich meistern;  nur  so  gelingen  die 
Modernisierung und Transformation unserer Wirtschafts-
weise .

Und  wir  sagen:  Die  reine  Technikfixierung  Ihrer 
Hightechpolitik muss durch ein ganzheitliches Innovati-
onsverständnis abgelöst werden . Denken Sie an Mikro-
kredite, Energiegenossenschaften, Carsharing, Transition
Towns, Foodsharing und Repair Cafés! Solche sozialen
und ökologischen Innovationen lösen ungeahnte positive
Dynamiken aus . Darauf sollten Sie stärker setzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zaudern Sie daher nicht länger! Lassen Sie uns
Deutschland zum Pionierland für nachhaltige Innovatio-
nen machen . Dazu braucht es höhere Investitionen, bes-
sere Rahmenbedingungen, gute Arbeitsbedingungen in
der Wissenschaft, eine nachhaltige Forschungsförderung
und damit endlich mehr Zukunftsorientierung in diesem
Land .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817900800

Für die Bundesregierung erhält nun die Bundesminis-

terin Professor Wanka das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Gehring, Sie sagten gerade: Wir müssen den Anschluss
schaffen . – Diese Aussage zeigt, dass Sie den Bericht
nicht gelesen haben . Wenn Sie sich einmal anschauen,
was das Weltwirtschaftsforum und alle Rankings sagen,
dann stellen Sie fest: Wir müssen nicht den Anschluss
schaffen, wir sind ganz weit vorn .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Gehring muss ihn schaffen!)


– Vielleicht . – Wir sind innovationsstark . Wir sind ef-
fektiv bei den Innovationen . Herr Röspel hat das auch
noch einmal herausgehoben . Aber es gilt das, was Stefan
Kaufmann gesagt hat: Sich darauf auszuruhen, geht nicht .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allein schon bei Robotik!)


Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


Wir sind ganz vorn . Aber wir bleiben nicht ganz vorn,
wenn wir uns nicht verändern, wenn wir nicht besser
werden, wenn wir nicht noch anderes machen und wenn
wir nicht noch mehr Geld ausgeben . Das ist die These .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die EFI nimmt sich immer auch Themenbereiche vor,
die sie besonders intensiv untersucht . Ein Punkt, den kein
Mensch hier erwähnt hat, ist der Bereich Hochschulpo-
litik . Die EFI hat sich einmal angeschaut, was wir in
diesem Bereich machen . Das Urteil der EFI ist grandios,
finde ich jedenfalls.

Frau Lötzsch, als ich Ihre Rede hörte, dachte ich: Man
hat Ihnen das falsche Redemanuskript gegeben .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Total!)


Sie haben so geredet, als sei das Wissenschaftszeitver-
tragsgesetz nicht novelliert worden .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie haben von Zwölfmonatsverträgen geredet . Das ist
einfach schon erledigt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wird die Evaluation zeigen! – Zurufe von der LINKEN)


Ich will aber jetzt nicht die Fakten, die gut sind, nen-
nen, sondern auf die Probleme oder – positiv formuliert –
die Herausforderungen hinweisen; denn wir haben in dem
Bericht auch Hinweise für unsere Politik bekommen .

Ein Punkt, der uns beschäftigt, ist, dass unsere For-
schungs- und Entwicklungsausgaben – zwei Drittel
kommen aus dem privaten Bereich, ein Drittel aus dem
öffentlichen Bereich – sehr stark auf einige wenige Bran-
chen – Automobil, Chemie, Maschinenbau – konzentriert
sind . Hier müssen wir die Förderung dringend verbrei-
tern . Das heißt eben auch, mehr Geld für Innovationen in
kleinen und mittleren Unternehmen bereitzustellen . Ihre
differenzierte Betrachtung, Herr Röspel, mit dem inter-
nationalen Vergleich war völlig richtig . Trotzdem muss
man sagen: Durch das EFI-Gutachten wissen wir, dass
nicht erst seit dem letzten Jahr, sondern schon viel länger
das viele Geld, das wir da bereitstellen – allein ZIM hat
ja schon ein Volumen von einer halben Milliarde Euro –,
nicht reicht bzw . nicht den gewünschten Effekt hat .

Allein durch mehr Geld wird das Problem aber nicht
gelöst . Vielmehr muss man überlegen, woran es liegt,
dass dieses Geld nicht den gewünschten Effekt hat . Das
haben wir über einen langen Zeitraum mit den Betroffe-
nen, unter anderem mit Wissenschaftlern, diskutiert und
daraus Konsequenzen gezogen mit unserem Zehn-Punk-
te-Programm „Vorfahrt für den Mittelstand“ . Von der
Presse wurde es im ersten Moment nicht so begeistert
aufgenommen, aber von den Handwerkskammern, den
Industrie- und Handelskammern und Managern haben
wir viele Reaktionen bekommen . Übernächste Woche
wird eine große Konferenz zu diesem Thema stattfinden, 

damit dieses Programm auch wirklich in der Praxis ge-
nutzt wird .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wurde so schön gesagt: Junge Leute begeistern . –
Partizipation ist für uns ein Thema, und zwar noch viel
stärker als vor fünf oder sieben Jahren . Es gibt die In-
ternetseite buergerschaffenwissen .de, wo wir versuchen,
das zu aktivieren . Wir unterstützen die Maker-Bewegung
und bereiten gerade eine Bekanntmachung zum Thema
„Förderung im Bereich Citizen Science“ vor . Das ist ein
Thema, das für uns in der Koalition ganz wichtig ist .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hat sich unser Druck aber gelohnt! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie erst mal baff!)


Thema Digitalisierung . Wir brauchen in Deutschland,
um die Chancen, die wir haben, zu nutzen, eine Bil-
dungs- und Qualifizierungsinitiative im Bereich der Di-
gitalisierung; da bin ich mir mit meiner Kollegin Nahles
sehr einig . Ich denke, dass die Fördermechanismen, die
wir diesbezüglich entwickelt haben, zum Beispiel die
Programme zur Medizininformatik und Mikroelektro-
nik – eben wurde der Superleistungsrechner in China
angesprochen – geeignet sind . Unser Rahmenprogramm
zur Mikroelektronik, das hier auch zur Diskussion steht,
ist, glaube ich, ein richtiger Schritt . Liebe Haushälter,
das muss natürlich auch entsprechend finanziell unterlegt 
werden . Da können Sie etwas machen .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Weil der Schäuble so gut haushalten kann!)


– Hoffe ich . – Aber wir haben durch die Veränderung
der EU-Beihilferegelung wirklich eine Chance, um den
Standort Europa – nicht unbedingt nur Deutschland – in
diesem internationalen Wettbewerb ganz weit nach vorn
zu bringen . Dazu zählen natürlich die Dinge, die im Be-
reich Forschung und Entwicklung getan werden .

Wenn ich mir das EFI-Gutachten und anderen Gutach-
ten anschaue, dann ist es so, dass ich viele Empfehlun-
gen teile, aber nicht alle Analysen gleichermaßen richtig
finde.

Zum Thema Robotik kann ich Ihnen sagen: Es ist
immer noch so, dass China und die USA am meisten in
Deutschland ordern und kaufen . Natürlich sind wir in der
Produktionsrobotik die Stärkeren . Das hat aber auch et-
was mit kulturellen Dingen zu tun . Servicerobotik für Äl-
tere, wie zum Beispiel in Japan eingesetzt, werden wir nie
so haben, wollen wir auch nicht . Trotzdem haben wir im
Hightechforum Schlussfolgerungen gezogen . Wir freuen
uns, lieber Stefan Kaufmann, dass das Future Work Lab
im Herbst 2016 in Stuttgart eröffnet wird, gemeinsam,
meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, mit den
Gewerkschaften . Es ist eine wichtige Schnittstelle, an der
es vor allen Dingen um die sozialen Aspekte der Weiter-
entwicklung geht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Steuerliche FuE-Förderung: Dafür bin ich sehr . Das
ist ein Punkt, über den wir weiter diskutieren müssen,

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka

http://www.buergerschaffenwissen.de/





(A) (C)



(B) (D)


weil wir das – das muss man ehrlich sagen – in den Koa-
litionsverhandlungen nicht geschafft haben . Ich sehe hier
viele Kollegen, die das genauso sehen; damals ist uns
eben nicht alles gleichzeitig gelungen .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eben!)


– Eben nicht . Herr Kampeter, das muss man an der Stelle
sagen .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Auf den letzten Metern noch frech werden! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Legislatur ist ja noch nicht vorbei!)


– Ja, eben .

3 Prozent vom BIP: Hier müssen wir uns natürlich
noch steigern; das ist völlig klar . Wir müssen aber auch
realistisch sein und schauen, was das für die Wirtschaft
heißt . Anzunehmen, dass die Wirtschaft für Forschung
und Entwicklung circa 25 Milliarden Euro so schnell zu-
sätzlich zu den 60 Milliarden Euro, die sie bringt, auflegt, 
ist irreal . Deswegen ist es wichtig, dort realistische For-
derungen zu stellen und natürlich von staatlicher Seite,
was unser Drittel anbetrifft, vorwegzumarschieren . Ich
glaube, da haben wir, wenn ich mir unsere mittelfristige
Finanzplanung anschaue, sehr, sehr gute Möglichkeiten


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine letzte Bemerkung . Herr Gehring, Sie schauen
doch immer auf unsere Seiten, sind da also gut infor-
miert . Dann müssten Sie doch eigentlich gesehen haben,
dass wir Ihren Antrag, den Antrag der Grünen, gar nicht
schlecht finden, weil wir die darin formulierten Ziele tei-
len .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das findet er  jetzt wieder schlecht!)


Im Gegensatz zu Ihnen verfolgen wir sie schon und brau-
chen keine Nachhilfe .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817900900

Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sag doch mal was Nettes!)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817901000

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Herr Kaufmann, wenn China erfolgreich
Supercomputer entwickelt, basiert dies auf chinesischer
Planwirtschaft .


(Lachen bei der SPD)


Die Bundesregierung plant folgerichtig auch –


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Immer noch!)


leider nur für Spitzenforschung . Die Bundesregierung
will bestmögliche Forschungsinfrastrukturen, zumindest
behauptet sie das . Ich zitiere aus der Antwort der Bundes-
regierung auf meine Frage zur Bedeutung der Zentralbib-
liothek Medizin, ZB MED, in Köln:

Die ZB MED hat in ihren Fachbereichen den welt-
weit größten Bestand an Medien .

Und weiter:

Im Ausland besitzt die „National Library of Medi-
cine“ in den USA den weltweit größten Bestand zu
Medizin und Gesundheitswesen, der allerdings im
Bereich der Literatur aus Europa … Lücken auf-
weist . Das Gleiche gilt für die „National Agricul-
tural Library“ in den USA für deren Fachgebiete .
Ansonsten gibt es keine vergleichbaren Bestände an
Bibliotheken weltweit .

Wow . – Ich gratuliere der Bundesregierung, solch eine
weltweit führende Einrichtung finanziert zu haben. 

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, die ZB MED wird
demnächst abgewickelt .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Begründung: Sie hat kein ausreichendes eigenes For-
schungspotenzial .

Im Februar beschloss das Deutsche Institut für medi-
zinische Dokumentation und Information, seine medizi-
nischen Datenbanken nicht mehr zu betreuen und diese –
man höre – an die ZB MED zu übergeben . Dumm, die
geplante Schließung war da nicht bekannt .

Frau Wanka, wie soll es mit den Beständen weiter-
gehen? Unsere Forscherinnen und Forscher, die kleinen
und mittleren Pharmaunternehmen haben dann nur noch
einen Weg: Sie müssen ihre Informationen teuer bei aus-
ländischen Bibliotheken oder privaten Onlinediensten
einkaufen Ich zitiere den Geschäftsführer des Bundes-
verbandes der Arzneimittelhersteller:

Mit dem Aus der Literaturdatenbanken bricht auch
für die Arzneimittel-Hersteller die zentrale Infra-
struktur für wissenschaftliche Recherchen weg .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wirtschaftsfeindliche Bundesregierung!)


Die Datenbanken des Deutschen Instituts für Medizini-
sche Dokumentation und Information und die Bestände
der ZB MED sind für die Spitzenforschung unverzicht-
bar, und deshalb will die Linke sie erhalten .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie von der Union leben von bester Infrastruktur und
schauen zu, wie Ihr Ministerium wichtige Infrastruktur
vernachlässigt . Stärken Sie die Basis, wie es die Linke
fordert: sichere Finanzierung der Forschungsinfrastruk-
tur, auch der Bibliotheken und Datenbanken, bessere
Grundfinanzierung von Hochschulen, zusätzliche unbe-
fristete Stellen in Wissenschaft, Forschung und Lehre .


(Beifall bei der LINKEN)


Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie schwärmen vom
Forschungsstandort Deutschland . Aber nicht nur Da-
tenströme und Wirtschaft vernetzen sich, sondern auch
die einzelnen Bereiche der Wissenschaft verschmelzen
miteinander . Nur wer in vielen Bereichen forscht, kann
bestehen . 2015 wurde das Leibniz-Institut für Gemüse
und Zierpflanzenbau in Erfurt, das IGZ, von einer Kom-
mission aus internationalen Wissenschaftlern sehr posi-
tiv bewertet . Wieso die Vertreter der Bundesregierung
im Senat der Leibniz-Gesellschaft der Schließung die-
ser einzigartigen deutschen Forschungseinrichtung zu-
stimmten, ist nicht nachvollziehbar . Mit der Schließung
würde die Bundesregierung die Grundlagenforschung in
diesem Bereich vollständig aufgeben . Die rot-rot-grüne
Landesregierung in Thüringen schöpft all ihre Möglich-
keiten aus, dieses Institut zu erhalten .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber ohne Bundesmittel kann Thüringen dies kaum
stemmen .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wieso nicht?)


Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie können morgen bei
der gemeinsamen Kultusministerkonferenz die Schlie-
ßung  des  Pflanzenforschungsinstituts  in  Erfurt  verhin-
dern und damit diese Forschung erhalten . Und Sie können
eine dauerhafte Lösung für die medizinischen Datenban-
ken und die ZB MED veranlassen . Das ist Ihr Job .

Frau Ministerin, Herr Kollege Röspel, statt sich über
die sinkenden Forschungsausgaben kleiner und mittlerer
Unternehmen zu beschweren, kümmern Sie sich besser
um die Infrastruktur, die diese Unternehmen benötigen .


(Beifall bei der LINKEN)


Schöne Worte wurden genug gewechselt: Handeln
Sie!


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817901100

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege

Hubertus Heil .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1817901200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Sehr geehrter Herr Lenkert, Ihren Hinweis darauf,
dass Innovationen aus Planwirtschaften automatisch ent-
springen würden, können wir nicht vollständig teilen, es
sei denn, Sie glauben, dass die Entwicklung des räumlich
größten Mikrochips der Welt durch die DDR wirklich ein
Sprung war . Das war sie nicht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auf der anderen Seite nehme ich Ihre Aussage aber sehr
ernsthaft auf . Die Wahrheit ist auch nicht, dass reine
und freie Marktwirtschaft Innovationen hervorbringt .
Nur das Zusammenspiel von Wirtschaft, die frei ist, und
Staat, der aktiv ist, bringt Innovationen hervor .

Die amerikanisch-italienische Ökonomin Mariana
Mazzucato hat dazu ein bemerkenswertes Buch ge-
schrieben, es heißt Das Kapital des Staates. Darin weist
sie nach, dass vieles von dem, was vermeintlich aus der
Innovation der Wirtschaft kommt – Geräte, die auf den
Markt gekommen sind; das iPhone zum Beispiel –, in
Wahrheit durch ganz viel öffentliche Grundlagenfor-
schung entstand . Das gilt in vielerlei Hinsicht, nicht nur
für das GPS . Nein, es geht nicht um Markt oder Staat, es
geht um die Frage, wie Staat und Markt gemeinsam da-
für sorgen, dass wir wirtschaftlich, wissenschaftlich und
technisch innovativ bleiben . Das ist auch die Aufgabe,
die wir in Deutschland haben, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Aber es braucht mehr, meine Damen und Herren . Der
amerikanische Ökonom Richard Florida hat 2003 in sei-
nem Buch The Rise of the Creative Class drei Vorausset-
zungen identifiziert und beschrieben, wie Gesellschaften 
und Volkswirtschaften innovativ, kreativ und erfolgreich
bleiben . Er hat gesagt: Wir bräuchten Technologie, Ta-
lente und Toleranz .

Meine Damen und Herren, das sage ich auch an die-
sem besonderen Tag, mit Blick auf eine Abstimmung,
die heute in Großbritannien stattfindet. Ich sage an dieser 
Stelle: Toleranz, Technologie und Talente sind die Din-
ge, die Europa ausmachen . Wenn Europa nicht weltof-
fen bleibt, wenn Europa nicht zusammenhält, wenn wir
unsere offenen Gesellschaften nicht verteidigen, dann ist
das nicht nur eine Herausforderung für die Demokratie,
in der wir leben, dann werden wir auch nicht innovativ
bleiben .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist an dieser Stelle der Appell an unsere briti-
schen Freunde, in Europa zu bleiben, gemeinsam an der
Zukunft dieses Kontinents zu arbeiten, zum gemeinsa-
men Nutzen wichtig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nur wenn wir wissenschaftlich und technologisch auf
der Höhe der Zeit sind, werden wir Wohlstand und sozia-
len Zusammenhalt sichern können . Nur wenn wir ausge-
zeichnete Bildung und Ausbildung so gestalten, dass sich
alle Talente entfalten können, dass nicht Herkunft zählt,
sondern Leistung, dass Menschen selbstbestimmt leben
können, werden wir erfolgreich sein . Nur wenn wir freie,
weltoffene und tolerante Gesellschaften bleiben, werden
wir innovativ bleiben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, werfen wir einen Blick da-
rauf, wo wir stehen . Die Ministerin hat es deutlich ge-
macht, die Vorredner der Koalition auch: Deutschland
steht gut da . Wir nehmen im weltweiten Wettbewerbsfä-
higkeitsindex des World Economic Forum Platz vier ein .
60 Milliarden Euro investieren Wirtschaft und Staat ge-
meinsam Jahr für Jahr in Innovationen, in Forschung und
Entwicklung . Das Ziel, 3 Prozent des Bruttoinlandspro-

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


dukts in Forschung und Entwicklung zu investieren, ist
mit einem Wert von immerhin 2,88 Prozent – gemeinsam
von Staat und Wirtschaft – fast erreicht . 600 000 Men-
schen in diesem Land arbeiten im Bereich Forschung und
Entwicklung .

Der Bund hat daran in den letzten Jahren einen großen
Anteil gehabt . Wir haben seit 2005 die Mittel des Bundes
um 75 Prozent gesteigert, sie liegen bei 15,8 Milliarden
Euro . Kollege Röspel hat recht: Die Tatsache, dass wir
hier so gut dastehen, ist das Ergebnis der Entwicklung
nicht nur der letzten elf Jahre, sondern der Entwicklung
seit 1998 . Seitdem ist es gelungen, vieles auf den Weg zu
bringen . Wir haben die Hightech-Strategie zu so etwas
wie einer gesamtgesellschaftlichen Innovationsstrategie
weiterentwickelt . Wir stellen uns den Herausforderungen
der Digitalisierung .

Mit den Wissenschaftspakten von Bund und Län-
dern, mit dem Pakt für Forschung und Innovation, mit
dem Hochschulpakt, mit dem Qualitätspakt Lehre, mit
der Exzellenzstrategie, mit dem Programm „Innovative
Hochschule“, mit dem neuen Pakt für wissenschaftlichen
Nachwuchs hat unser Land die besten Rahmenbedingun-
gen in seiner Geschichte, was Wissenschaft und Fort-
schritt in diesem Land anbelangt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darauf können wir gemeinsam stolz sein .

Es ist richtig: Wir haben keinen Grund, uns selbst-
zufrieden zurückzulehnen . Denn die Berichte, die wir
heute diskutieren, vor allen Dingen das EFI-Gutachten,
beleuchten Stärken, aber eben auch Schwächen, die wir
haben . Dazu sind vorhin einige Bereiche genannt wor-
den . Ich will deutlich machen, dass wir beispielsweise
im Bereich der Digitalisierung aufpassen müssen . Da gilt
es, Frau Ministerin, tatsächlich, nicht den Anschluss zu
verlieren . Da sind wir nämlich nicht ganz weit vorne; bei
digitalen Dienstleistungen, vor allen Dingen bei IT und
IT-Anwendungen, gehören wir nicht zur Spitzengruppe .
Da müssen wir in vielerlei Hinsicht nachlegen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


auch wenn wir den Weg in Richtung Industrie 4 .0 ge-
hen wollen, also der intelligenten und internetbasierten
Vernetzung der modernen Produktion . Im Hinblick auf
datengestützte Geschäftsmodelle und Dienstleistungen
haben wir da einen großen Aufholbedarf .

Das gilt auch für die Frage der Souveränität Deutsch-
lands und Europas im Bereich der Mikroelektronik; die
Ministerin hat es deutlich gesagt . Frau Wanka, wir sind
gemeinsam der Auffassung, dass wir hier richtig Geld in
die Hand nehmen müssen, um den Anschluss nicht zu
verlieren . Auch da werbe ich bei Haushältern und Fi-
nanzministern aller Couleur, dafür zu sorgen, dass wir
diesen Weg gemeinsam gehen können .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich will auch darauf hinweisen: Wenn wir im Bereich
von IT und IT-Anwendungen innovativ bleiben wollen,
muss der Staat mit besserem Beispiel vorangehen . Kol-
legin Esken wird sicherlich darauf eingehen, dass wir in

diesem Bereich, beim E-Government – das müssen wir
unserer Bundesregierung selbstkritisch ins Stammbuch
schreiben –, eher einem „NATO“-Prinzip folgen: No
Action, Talk Only . Wir quatschen ganz viel über E-Gov-
ernment . Wir haben versäulte Insellösungen . Wir haben
bei der Flüchtlingsfrage erlebt, dass wir im Bereich der
öffentlichen Verwaltung nicht wirklich gut sind .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Hochschulzulassungssystem auch!)


Es steckt eine ganze Menge an Potenzial für Innovati-
onen darin, uns in Bund und Ländern, in den verschie-
denen Ministerien – ministerienübergreifend, nicht in
Ressortegoismen – konsequenter der Modernisierung der
IT und der digitalen Dienstleistungen des Staates zuzu-
wenden .


(René Röspel [SPD]: Wobei mir das bei der NATO gefällt, nicht zu handeln!)


– Es war jetzt nicht die Verteidigungspolitik gemeint . Es
ging nur um die Abkürzung „NATO“: No Action, Talk
Only .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wäre aber mal ein guter Vorschlag!)


Die Robotik ist angesprochen worden . Ich bin der
Ministerin sehr dankbar, dass sie deutlich gemacht hat:
Es geht nicht nur um Industrierobotik; es geht auch um
Services im sozialen Bereich, im Bereich Pflege, im Be-
reich Haushalt, übrigens auch im Bereich Sicherheit, in
der Landwirtschaft, in vielen anderen Bereichen . Auch
da gibt es eine Menge an Potenzial, das wir noch nicht
gehoben haben .

Ich will noch einen Bereich hinzufügen . Mit Blick
auf die Energiewende, meine Damen und Herren, haben
wir uns auf den Weg gemacht, in der Automobilindus-
trie konsequenter als bisher in Richtung Elektromobili-
tät zu gehen . Wir wissen aber: Wenn wir den Weg im
Rahmen einer erfolgreichen Strategie schaffen wollen,
dann brauchen wir nicht nur Infrastrukturen im Sinne
von Ladeinfrastrukturen sowie Kaufanreize, sondern wir
brauchen vor allen Dingen Batteriezellenforschung in
diesem Land,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


um die Batteriezellen der Zukunft in Deutschland zu ent-
wickeln und – das füge ich hinzu; es ist auch ein Ap-
pell an die Wirtschaft – die Batteriezellenproduktion der
Zukunft in Deutschland zu haben . 30 Prozent der Wert-
schöpfung im Bereich der Elektromobilität entfallen auf
die Batteriezellenproduktion . Deshalb ist der Aufruf an
die großen Automobilunternehmen, an die chemische
Industrie und auch an die Zulieferindustrie: Geht diesen
Weg, investiert in Deutschland!


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817901300

Herr Kollege Heil .


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1817901400

Wir setzen bessere Rahmenbedingungen, damit dieser

Weg gelingt . Toleranz, Talente und Technologie – das

Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


ist unser Verständnis von Innovation . So werden wir
Deutschland voranbringen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817901500

Ich erteile das Wort der Kollegin Katja Dörner für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817901600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer
auf der Tribüne! Was wäre unsere Welt ohne Johannes
Gutenberg, ohne Marie Curie? Wo wären wir alle ohne
Steve Jobs?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Katja Dörner!)


Penicillin, Urban Gardening, Solarzellen, Mikrokredite,
aber auch die großartige Babyphone-App,


(Heiterkeit des Abg . Hubertus Heil [Peine] [SPD])


das alles wäre ohne Forschung und Wissenschaft über-
haupt nicht möglich .


(Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nur Forschung und Innovation können Antworten auf
die zentralen Herausforderungen unserer Zeit geben, bei
uns, aber auch weltweit . Deshalb ist die Forschungs- und
Wissenschaftspolitik auch so immens wichtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade weil wir vor so drängenden Herausforderun-
gen stehen – Klimakrise, demografischer Wandel, Digi-
talisierung, um nur einige wenige zu nennen –, reicht es
nicht, sich auf die Schulter zu klopfen . Die Ministerin
sagt: „Wir klopfen uns nicht auf die Schulter“, dann aber
erleben wir zehn Minuten nichts anderes . Es ist natürlich
richtig, zu fragen: Wo müssen wir besser werden? Was
müssen wir dafür tun? Aber auf diese Fragen habe ich
von der Bundesregierung keine Antworten gehört .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das EFI-Gutachten gibt klare Hinweise . Die High-
tech-Strategie setzt immer noch zu sehr auf Technik und
auf klassische naturwissenschaftliche Herangehenswei-
sen . Unterbelichtet bleiben weiterhin die sozialen In-
novationen, aber gerade die brauchen wir doch, um die
gesellschaftlichen Herausforderungen bewältigen zu
können . Wir Grüne sagen ganz klar: Wir wollen Nach-
haltigkeit und gesellschaftliche Relevanz viel stärker ins
Zentrum der Forschungsförderung rücken . Wir wollen,
dass technische und soziale Innovationen gleichberech-
tigt gefördert werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Natürlich sind die Anzahl der Patentanmeldungen und
der Anstieg des Exports forschungsintensiver Waren be-
eindruckend . Der Wachstumsansatz der Hightech-Strate-
gie funktioniert an vielen Punkten, aber das reicht eben
nicht . Forschung und Wissenschaft sind mehr als bloßer
Input für die Exportindustrie . Vielmehr geht es um nicht
weniger als darum, einer wachsenden Weltbevölkerung
ein gutes Leben auf diesem Planeten zu ermöglichen .
Deshalb wollen wir Grüne eine andere Hightech-Stra-
tegie, eine Innovationsstrategie für Nachhaltigkeit oder
kurz: mehr Forschung für den Wandel .

600 000 Menschen arbeiten in Wissenschaft und For-
schung – das ist eine beeindruckende Zahl –, aber die
Forscherinnen und Wissenschaftlerinnen bekommen in
der Breite doch eher die Krümel vom Kuchen ab . Wo ist
denn der Innovationsgeist der Bundesregierung, wenn es
um die Gleichstellung von Frauen im Wissenschaftssys-
tem geht? Nicht einmal 2 Seiten ist Ihnen die Chancen-
gleichheit von Frauen in einem rund 350-seitigen Bericht
wert . Wo bleibt das im Koalitionsvertrag angekündigte
Kaskadenmodell, wo der Einsatz für eine verstärkte Ein-
haltung der Gleichstellungsstandards? Wer Weltmeister
der Innovation sein möchte, der kann auf die Förderung
von klugen Frauen auf keinen Fall verzichten .


(René Röspel [SPD]: Das stimmt!)


Aber hier bleibt die Bundesregierung weiterhin blank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wer Weltmeister der Innovation sein möchte, kann
auf eines ganz bestimmt verzichten – da werde ich ganz
konkret –, nämlich darauf, Milliarden in Forschung zur
Kernfusion, zur Transmutation und zu neuen Atomreak-
toren zu stecken .


(René Röspel [SPD]: Wer steckt denn Milliarden rein?)


ITER ist hier das beste Beispiel . Laut Schätzungen sind
die Kosten von 4,6 auf 20 Milliarden Euro gestiegen .
Wenn überhaupt – das ist mittlerweile klar –, dann wird
diese Technologie 2050 zum Einsatz kommen . 2050!
Wind- und Sonnenstrom werden dann bereits unschlag-
bar günstig sein . Deshalb ist klar: ITER ist ein Milliar-
dengrab, und deshalb sollten wir diesen Unsinn auch
beenden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich an
der Zeit, die Energieforschung für die Zukunft aufzustel-
len und auf die Energiewende auszurichten . Beim Kampf
gegen die Klimakrise brauchen wir mehr Innovationen,
mehr Entdeckergeist . Wir haben dafür nicht mehr viel
Zeit .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817901700

Nun erteile ich dem Kollegen Kampeter das Wort für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD])



Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1817901800

Danke . – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser
Debatte geht es im Kern darum, welchen Beitrag techno-
logischer Fortschritt und Innovationen für eine positive
wirtschaftliche Entwicklung und damit für den inneren
sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft liefern kön-
nen .

Der Vorsitzende des Weltwirtschaftsforums, Klaus
Schwab, nennt die technologischen Umbrüche, über die
wir derzeit diskutieren, die vierte industrielle Revolution .
Ich finde, er hat  recht; denn noch nie hat ein  technolo-
gischer Umbruch Wirtschaft und Gesellschaft so rasch,
so global und so grundlegend geändert wie die digitale
Transformation . Und wenn das eine industrielle Revo-
lution ist, dann sollte die Bundesrepublik Deutschland,
das Land, in dem der Anteil der Industrie an der Wert-
schöpfung doppelt so hoch ist wie im Durchschnitt der
EU-Länder, bei der Förderung von Technologien und
Innovationen an der Spitze stehen . Das macht die Bun-
desregierung, und dabei unterstützen wir als Fraktion sie .
Wir sind einen großen Teil des Weges gemeinsam erfolg-
reich gegangen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Tatsache ist aber auch Folgendes: An die Spitze zu
kommen, ist das eine, die Tabellenführung zu verteidi-
gen, das andere . Deswegen wird es in den nächsten Jahren
unsere Aufgabe sein, diese Entwicklung als Gesetzgeber
und als Bundesregierung weiter positiv zu begleiten . Wir
müssen uns vor der Hybris, vor der Selbst überschätzung,
schützen . Wir dürfen nicht die Hände in den Schoß le-
gen, sondern müssen auf hohem Niveau weitermachen .
Die Innovationsnation in Europa zu sein, das ist unser
Anspruch an uns selbst . Das sollte auch unser Anspruch
sein, um unsere Wettbewerbsposition verteidigen zu kön-
nen .

Ich möchte Sie, Frau Bundesministerin, ermutigen,
diesen Weg weiterzugehen und dabei eine breit angelegte
Strategie zu verfolgen . In meiner Heimatregion ist eines
der wenigen industriebasierten Cluster von Ihnen geför-
dert worden . Das zeigt, dass sich die industrielle Basis
Deutschlands durch Innovationen verbessert .

Aber es geht nicht nur um Industrieproduktion; denn
die digitale Transformation betrifft uns auch in vielen an-
deren Bereichen. Ich nenne den Bereich der beruflichen 
Bildung, in dem der Kollege Kretschmer für unsere Frak-
tion wichtige Initiativen übernommen hat .


(Beifall der Abg . Michaela Noll [CDU/CSU])


Dabei geht es beispielsweise darum, wie die Ausbil-
dungsordnungen zukünftig gestaltet werden und wie das
Berufsschulwesen organisiert wird . Es ist zu fragen, ob

wir unsere Nachwuchskräfte in Berufsschulen an Ma-
schinen, die eher in ein Technikmuseum gehören, ausbil-
den wollen oder an modernisierten Schulen .


(René Röspel [SPD]: Nicht in NRW!)


All das sind Aufgaben, die uns als Gesetzgeber, die
Kommunen, Länder und Bund erreichen . Das Motto
„Lebenslanges Lernen“ ist eine Aufforderung, diese Ver-
änderungen  auch  im  Bereich  der  beruflichen  Bildung 
kontinuierlich zu berücksichtigen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist einiges über E-Government gesagt worden . Ich
glaube, dass dieses Hohe Haus, der Deutsche Bundes-
tag, durch die digitale Transformation genauso heraus-
gefordert ist . Das wird deutlich, wenn wir uns vor Augen
führen, wie Abstimmungsprozesse vor 10 oder 15 Jahren
stattgefunden haben . Durch die digitale Repräsentation
ist ein neuer Wettbewerb entstanden, ein Meinungsbil-
dungsprozess, der den Abgeordneten herausfordert . Ich
persönlich glaube, dass das Repräsentationsprinzip und
die digitale Kommunikation ein bisschen besser mitei-
nander harmonieren müssen . Wir müssen sehen, welchen
Beitrag sie für eine lebendige Demokratie liefert und wo
Grenzen sind . Was ist beispielsweise mit bezahlten digi-
talen Kampagnen gegen Freihandelsabkommen, mit de-
nen die repräsentative Demokratie in Teilen ausgehebelt
werden soll? Das sind Fragen, über die wir uns Gedanken
machen sollten .


(Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Die Arbeitgeberverbände machen das geschickter!)


Ja, diese digitale Transformation hat auch eine soziale
Dimension . Denken wir an diejenigen, die am digitalen
Wandel teilhaben, und diejenigen, die davon ausgeschlos-
sen sind . Heiner Geißler, der ehemalige Generalsekretär
der CDU, würde hier wahrscheinlich von einer neuen so-
zialen Frage sprechen, weil die Zukunftschancen der in-
formationsreichen im Vergleich zu den Zukunftschancen
der informationsarmen Gesellschaften auch eine soziale
Herausforderung darstellen . Im Land der sozialen Markt-
wirtschaft gehört es, glaube ich, dazu, dass man für ein
vernünftiges und sehr solides Maß an Gerechtigkeit und
fairer Chancenverteilung sorgt . Das ist nicht nur dem in-
neren Zusammenhalt einer Gesellschaft zuträglich, son-
dern sorgt auch für einen langfristigen wirtschaftlichen
Erfolg . Das sollten wir in dieser Debatte nicht vergessen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, dass es dabei auch nicht nur um Tonnen-
ideologie geht, also darum, wie viel Geld wir ausgeben
oder welche Quote wir bereits haben . Es geht hier nicht
um Quantität, sondern um Qualität .


(Beifall des Abg . Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Darauf müssen wir im Einzelfall immer achten . Ich bin
nicht der Auffassung, dass eine Verkomplizierung des
Steuerrechts zu mehr Innovation führt . Im Kern geht
es vielmehr um einen Bewusstseinswandel in unserer
Gesellschaft . Wir als Bundesrepublik Deutschland, die






(A) (C)



(B) (D)


deutsche Nation, die Menschen mit unterschiedlicher
kultureller Herkunft, die hier leben, haben in den ver-
gangenen Jahrzehnten erfolgreich Innovation betrieben .
Wir müssen das fortsetzen . Technologische Verände-
rung birgt Risiken, aber wir müssen vor allen Dingen die
Chancen nutzen . Dieser Bewusstseinswandel in unserer
Gesellschaft ist das Zentrale, was Bildungs- und For-
schungspolitik in den nächsten Jahren unterstützen wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich mit einer persönlichen Bemerkung
schließen . Ich werde nach 25 Jahren und sieben Monaten
in den nächsten Tagen beim Präsidenten meinen Verzicht
auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erklären .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Recht der Freiheit!)


– Ja, ich nehme mein Recht der Freiheit zum Verzicht auf
das Mandat nach 25 Jahren wahr . – Heinz Riesenhuber
teilte mir gestern mit: Das ist ja fast schon ein Viertel-
jahrhundert Tätigkeit in diesem Parlament .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Also halb so lange wie er!)


Ich war gerne Abgeordneter des Deutschen Bundestags .
Ich finde, das ist eine formidable und tolle Tätigkeit. Ich 
habe viel Kameradschaft erlebt, und mich hat auch viel
kollegiale Kritik erreicht . In 25 Jahren kommt man auch
ein bisschen herum . Ich kann sagen: Der Deutsche Bun-
destag muss sich im internationalen Vergleich nicht in ir-
gendeiner Art und Weise verstecken . Wir sind ein nobles,
wir sind ein effektives und an Arbeit reiches Parlament .
Ich war gerne dabei . Ich bin auch ein bisschen stolz, an
vielen Entscheidungen mitgewirkt zu haben .

Ich möchte einfach Danke sagen, dass Sie mich so
lange mitgenommen haben . Ich hoffe, dass uns Entschei-
dungen wie die zum ausgeglichenen Haushalt oder zu
Menschenrechtsfragen, mit denen ich mich im letzten
Jahr beschäftigt habe, weiter umtreiben . Der Deutsche
Bundestag ist ein Ort, an dem mitzuarbeiten sich lohnt .
Ich bin dankbar dafür .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817901900

Lieber Kollege Kampeter, ich nutze die Gelegenheit

gerne, Ihnen auch im Namen aller Kolleginnen und Kol-
legen für die gute Zusammenarbeit in diesem Vierteljahr-
hundert zu danken und Ihnen alles Gute für das neue Amt
zu wünschen . Es ist nicht ganz so formidabel wie das
Mandat, das Sie jetzt freiwillig aufgeben,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


dafür aber besser bezahlt .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Im Übrigen dürfen wir sicher sein, dass wir Ihnen
nicht aus dem Auge geraten . Wir sagen Ihnen das aller-
dings auch umgekehrt zu .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Möglicherweise empfiehlt sich die Unterscheidung zwi-
schen Quantitäten und Qualitäten in der neuen Aufgabe
in ähnlicher Weise, wie Sie uns das hier für unsere weite-
re Arbeit mit auf den Weg gegeben haben .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Saskia Esken ist die nächste Rednerin für die
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1817902000

Vielen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mei-
ne Vorredner haben ja jetzt schon zahlreiche Aspekte des
Gutachtens angesprochen . Hubertus Heil hat ganz richtig
getippt: Ich will mich auf die zehn Seiten des Berichts
konzentrieren, die sich mit dem Sachstand beim E-Gov-
ernment in Deutschland befassen . Das Ergebnis, zu dem
das EFI-Gutachten kommt, lautet: Es gibt viel Luft nach
oben . Das scheint kein Zufallsbefund zu sein . Auch der
Normenkontrollrat kommt in seiner vom Fraunhofer-In-
stitut FOKUS erstellten umfangreichen Studie zu der
Wahrnehmung: So etwas wie E-Government gibt es in
Deutschland nicht, es existiert hier nicht, zumindest nicht
systematisch, nicht durchgehend und deshalb leider nicht
wirksam .

Auch das EFI-Gutachten schaut genau hin und ver-
gleicht den Digitalisierungsgrad einiger zentraler Ver-
waltungsverfahren wie der Steuererklärung, der An- und
Abmeldung eines Autos oder der Baugenehmigung in
Deutschland mit dem in Estland, Finnland, Südkorea
und den USA . Gibt es überhaupt einen digitalen Zugang?
Ist er bedienerfreundlich? Wird er auch genutzt? Ist nur
der Zugang digital, oder liegt dahinter ein durchgängig
digitalisierter Verwaltungsprozess ohne Medienbrüche?
Anhand dieser Kriterien kommt das Gutachten zu dem
Ergebnis: Deutschland hinkt bei vielen Verfahren den ge-
nannten Ländern hinterher .

Zudem fehlt, so die Expertenkommission, ein zentra-
les Portal, in dem alle online verfügbaren Verwaltungs-
vorgänge einheitlich und übersichtlich angeboten wer-
den . Ein solcher sogenannter One-Stop-Shop verlangt
dem Nutzer nicht ab, dass er weiß oder zeitaufwendig
recherchiert, welches Ressort oder welche Verwaltungse-
bene für sein Anliegen zuständig ist und ob es dazu über-
haupt einen digitalen Zugang gibt . Ich habe ein Anliegen,
und  ich  finde  direkt Zugang  zum Verfahren  –  so muss 
das sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch im Bereich der offenen Verfügbarkeit von Ver-
waltungsdaten, der Open-Government-Data, kommt das
EFI-Gutachten zu keinem guten Ergebnis für Deutschland

Steffen Kampeter






(A) (C)



(B) (D)


im Ländervergleich . Immer noch werden in Deutschland
Daten der Verwaltung ganz überwiegend nur auf Antrag
und, ehrlich gesagt, eher widerwillig bereitgestellt . Dabei
sind sich, wenn es nicht um die eigenen Daten geht, doch
alle über die spannenden Potenziale mit wirtschaftlichem
und gesellschaftlichem Mehrwert einig .

Die Bundesregierung sollte diese Berichte ernst neh-
men . Wir haben im Koalitionsvertrag, in der Digitalen
Agenda der Bundesregierung und im Regierungspro-
gramm „Digitale Verwaltung 2020“ wichtige Vorha-
ben zur Verbesserung der E-Government-Angebote in
Deutschland vereinbart . Leider ist davon bisher nur we-
niges auf den Weg gebracht, und – auch das mahnt das
EFI-Gutachten an – es fehlt an der Verbindlichkeit . Die
föderale Struktur unseres Landes darf nicht weiterhin als
Entschuldigung dafür gelten, dass es hierbei nicht vor-
angeht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zudem müssen wir jetzt – das haben wir im Koaliti-
onsvertrag auch vereinbart – ein umfassendes Open-Da-
ta-Gesetz auf den Weg bringen, das zumindest die Bun-
desbehörden  dazu  verpflichtet,  ihre  Daten  proaktiv  zu 
veröffentlichen, also von sich aus und ohne Antrag .

Die Daten sollen frei lizenziert sowie für Mensch und
Maschine lesbar sein . Das soll für alle Daten gelten, wenn
nicht gewichtige datenschutz- oder sicherheitsrelevante
Gründe dagegensprechen . Wir würden uns sehr freuen,
einen Open-Data-Gesetzentwurf des Innenministeriums
noch in dieser Legislaturperiode beraten und beschließen
zu können .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich bin der Überzeugung, meine Damen und Herren:
Die Offenheit, aber auch die Wirksamkeit des Handelns
von Regierung und Verwaltung sind wichtige Grundla-
gen dafür, dass Bürgerinnen und Bürger diesem staatli-
chen Handeln vertrauen, dass sie es als notwendig und
richtig akzeptieren und womöglich sogar als hilfreich
empfinden. Einiges davon hat in jüngerer Zeit gelitten. 

Der digitale Wandel kann zugleich Motor und Unter-
stützung  für  eine  moderne,  effiziente  und  transparente 
Verwaltung und Regierung sein . Also: Machen wir unse-
re Hausaufgaben aus der Digitalen Agenda . Das EFI-Gut-
achten ist, wie viele andere, ein guter Hinweisgeber .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817902100


Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Wolfgang
Stefinger das Wort. 


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Wolfgang Stefinger (CSU):
Rede ID: ID1817902200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

neigen dazu, unser Licht unter den Scheffel zu stellen
und doch eher das Negative zu betonen .


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Dabei gibt es doch so viele positive Nachrichten in
unserem Land . Ich sehe Steffen Kampeter, und das bringt
mich dazu: Wir haben einen ausgeglichenen Haushalt im
Bund und über 43 Millionen sozialversicherungspflichti-
ge Arbeitsplätze .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Was? Wo haben Sie denn die Zahl her?)


Die Wirtschaft läuft gut . Wie das heute diskutierte Gut-
achten zeigt, ist Deutschland in der Spitzengruppe bei
Forschung und Innovation . Ich kann nur sagen: Herzli-
chen Glückwunsch Deutschland!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Laut dem Index des Weltwirtschaftsforums liegt
Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit weltweit an vierter
Stelle . Vor uns liegen nur die Schweiz, Singapur und die
USA. Diese  Stärke  verdanken wir  den  vielen  fleißigen 
Menschen in unserem Land und der Innovationskraft von
Wissenschaftlern und Unternehmen .

Wir gehören zur Weltspitze; wir wissen aber auch:
Der Erfolg kommt nicht von allein, und die Konkurrenz
schläft nicht . Wenn wir weiterhin zur Weltspitze gehö-
ren wollen, müssen wir am Ball bleiben – nicht nur beim
Fußball . Wir müssen neue Trends und Herausforderun-
gen frühzeitig aufgreifen und schauen, wo wir nachsteu-
ern müssen .

Wir wissen: Die Grundlage für unseren Erfolg ist Bil-
dung und Forschung . Daher investieren wir massiv in
diesen Bereich . Staat und Wirtschaft geben jährlich rund
84 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus .
Damit erreichen wir rund 2,9 Prozent des BIP und damit
nahezu das 3-Prozent-Ziel der Strategie „Europa 2020“ .

Der Bund gibt knapp 16 Milliarden Euro für Forschung
und Entwicklung aus . Zwei Drittel der Gesamtausgaben
in diesem Bereich kommen von der Wirtschaft – auch
dafür vielen Dank .

Das Fundament des Forschungssystems sind die
Hochschulen . Da möchte ich schon darauf hinwei-
sen, dass Bayern, mein Heimatbundesland, die freien
BAföG-Mittel in die Hochschulen und damit in die Zu-
kunftsfähigkeit investiert .


(Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Und immer noch weniger Studierende ausbildet im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen! Was ist denn da los in Bayern?)


Herr Lenkert, Sie haben ZB MED angesprochen . Sie
wissen, dass das eine Bund-Länder-Entscheidung ist .
Auch Ihr Ministerpräsident ist daran beteiligt .

Die Gutachter, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, haben in dem vorgelegten Bericht auch einige Emp-
fehlungen ausgesprochen, unter anderem, die Forschung
und Entwicklung in kleinen und mittelständischen Un-

Saskia Esken






(A) (C)



(B) (D)


ternehmen zu stärken . Das wollen wir auch weiterhin
tun . Hier gibt es eine Vielzahl von Programmen . Bis
2017 wird das Fördervolumen in diesem Bereich allei-
ne vom Forschungsministerium auf 320 Millionen Euro
aufgestockt . Es gibt Unterstützung für Unternehmen in
den Bereichen Digitalisierung und Industrie 4 .0, um nur
einige zu nennen . Im Rahmen des Programms „KMU-in-
novativ“ wurde bereits eine Fördersumme von insgesamt
920 Millionen Euro genehmigt .

Auch die Robotik ist angesprochen worden . Dieses
Thema haben wir bereits aufgegriffen . Denn wir wis-
sen natürlich: Dieser Trend ist nicht aufzuhalten und für
Deutschland als Fabrikausrüster der Welt von entschei-
dender Bedeutung . Hier müssen wir mithalten .

Im April dieses Jahres wurde die Förderlinie „Autono-
me Roboter für Assistenzfunktionen“ gestartet, und auch
die Förderung zur Mensch-Technik-Interaktion läuft be-
reits .

Auch Fraunhofer, gefördert mit viel Geld vom Bund,
forscht zur Assistenzrobotik . Als unser Schaufenster zur
Welt dient in diesen Tagen die Messe München mit der
Automatica, wo auch dieses Thema eine wichtige Rolle
spielt . Gäste aus aller Welt kommen dorthin, kommen
nach Deutschland, um die Neuheiten kennenzulernen .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die
Mikroelektronik ist natürlich wichtig . In fast allen elek-
tronischen Geräten befindet sich Mikroelektronik, ob im 
Smartphone, Tablet, Auto oder Industrieroboter . Deswe-
gen müssen wir auch diese Technologie weiter stärken .
Sie ist unverzichtbar für die Umsetzung der Digitalisie-
rung in der Wirtschaft, unverzichtbar für Industrie 4 .0 .

So darf ich schon sagen – das ist vorhin auch schon
vom Kollegen Kaufmann angesprochen worden –: Ich
beobachte die Pläne einiger Unternehmen, ihre For-
schungs- und Entwicklungsabteilungen ins Ausland zu
verlagern, mit Sorge . Die dort entwickelte Technik, zum
Beispiel bei Nokia am Standort München, ist gerade für
die von uns geförderten Bereiche von extrem hoher Be-
deutung .

Es ist nicht nur eine Frage der Arbeitsplätze, sondern
eben auch eine Frage des Standorts Deutschland, eine
Frage der Zukunftstechnologien, die meiner Meinung
nach bei uns im Land oder zumindest in Europa bleiben
sollten .


(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD])


Neben all den technischen Förderungen vergessen wir
aber auch Mensch und Umwelt nicht . Mit Programmen
zur Arbeitsforschung oder zu Erde und Umwelt unter-
streichen wir, dass diese unionsgeführte Bundesregie-
rung eine zukunftsorientierte Innovationspolitik betreibt
und damit Deutschland auf Erfolgskurs hält .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817902300

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Heinz Riesenhuber .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Mein Lieblingsredner! Meine Erwartungen sind hoch!)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1817902400

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Wir erfreuen uns alle

daran, dass Deutschland zurzeit in einem guten Zustand
ist .


(René Röspel [SPD]: Ja!)


Einige sagen: Seit 2005 ist dies durch tatkräftige Leistun-
gen der Bundesregierung erreicht worden .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Falsch! Seit 1998!)


– Hubertus Heil korrigiert: seit 1998 .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und ich habe recht!)


Es ist unwahrscheinlich, dass man vergessen hat: Es gab
auch vorher schon Politik .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Ja, ja! Aber der Rüttgers war nicht so gut! Schlechtes Thema!)


Ich nenne nur Gerhard Stoltenberg – Minister ab 1965 –,
Matthöfer oder Ehmke .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Oder Riesenhuber!)


Auch in den 80er-Jahren hatten wir prächtige For-
schungsminister .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: An wen dachten Sie da konkret, Herr Kollege?)


Das alles sollte hier in der großen Kontinuität unserer Ar-
beit gewürdigt werden .


(Beifall des Abg . Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Denn dass wir diese Stärke erreicht haben, liegt daran,
dass wir in Kontinuität in jeder Zeit die Akzente gesetzt
haben, die notwendig waren,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bis auf Rüttgers!)


und somit das Ganze zusammengehalten und Deutsch-
land vorangebracht haben .


(Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Nach Riesenhuber ging es bergab!)


–  Dieser  Zwischenruf  –  er  findet  sich  im  Protokoll  – 
bleibt unkommentiert .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine lieben Freunde, gerade wenn es uns gut geht,
wenn wir stark sind, ist es gut, dass wir eine intelligente

Dr. Wolfgang Stefinger






(A) (C)



(B) (D)


Begleitung, in diesem Fall durch die EFI, haben . Der Ex-
pertenrat sucht sich immer Kernpunkte heraus und sagt
uns, an welchen Stellen wir noch besser werden könnten .
Frau Wanka sagt völlig zu Recht: Wenn wir glauben, dass
wir gut sind, dann soll uns das nicht hindern, besser zu
werden .

Wo stehen wir? Über die kleinen und mittleren Un-
ternehmen hat Kai Gehring gesprochen, und wir haben
kürzlich in der Debatte zur steuerlichen Forschungsför-
derung auch darüber geredet . Das ist ein Schwerpunkt,
und das ist richtig . Hier müssen wir noch einiges tun . So
ist zum Beispiel die Digitalisierung bei den kleinen und
mittleren Unternehmen ein bisschen schwierig . Sie frem-
deln noch .

Frau Esken hat über E-Government gesprochen .
Schon 2010 hatten wir hier ein entsprechendes nationa-
les Konzept,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!)


und seit 2013 haben wir ein Gesetz .

Aber wir haben auch unser föderales System . Wir
müssen das so zusammenführen, dass jetzt eine nutzer-
freundliche durchgängige Digitalisierung als Dienst-
leistung angeboten wird . Das hat natürlich auch seine
Auswirkungen auf den Rest der Welt – einschließlich des
forschenden Mittelstandes .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: So ist es! In der Tat!)


Zur Digitalisierung – dies ist der zweite große Schwer-
punkt von EFI – gehören die jungen Unternehmen . Hier
setzen wir an vielen Stellen an . Als Beispiele nenne ich
die Deutsche Börse mit den Fintechs in Frankfurt und
die prächtige Berliner Start-up-Szene mit einer munteren
Community, die sich vor allem daran erfreut, dass man in
Berlin fröhlich leben kann, aber die darüber hinaus bereit
ist, mehr als – man glaubt es nicht – 38 Stunden in der
Woche zu arbeiten .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unglaublich! – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Hört! Hört!)


Daraus entsteht eine dynamische, fröhliche Gemein-
schaft .

Aber das wächst zu langsam . Wir haben hier mit Wag-
niskapital durchaus noch die Möglichkeit, zusätzliche
Ansätze zu schaffen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich wünsche der Bundesregierung allen Erfolg bei der
Arbeit, jetzt mit Unterstützung der Wissenschaft ein bei-
hilferechtlich unbedenkliches Konzept für den Erhalt
von Verlustvorträgen bei Wachstumsfinanzierungen jun-
ger Technologieunternehmen zu entwickeln .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist der Herr Schäuble denn heute? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Elf Jahre CDU/ CSU-Regierung, und dann wird das gefordert!)


Bei der Digitalisierung geht es um den Bereich der
Mikroelektronik – hier sind wir stark – und um Indus-
trie 4 .0 . Anwendungsbeispiele sind die Automatisierung,
die Diagnosetechnik, die Automobilindustrie und der
Anlagenbau . Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, das hier
so zu bündeln, wie es das Mikroelektronik-Programm
der Bundesregierung sagt, wonach die Kompetenzen auf
europäischer Ebene zur kritischen Masse zu führen sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen jetzt ein beihilferechtlich sauberes Kon-
zept bekommen . Die EU eröffnet eine Möglichkeit,
Projekte zur Förderung der Mikroelektronik von ge-
meinsamem europäischen Interesse von Beihilfeverfah-
ren freizustellen . In diesen Verfahren haben wir uns auf
dem Weg, den die praktische Vernunft weist, manchmal
in kompliziertester Weise selber ein Bein gestellt – eine
faszinierende Erfahrung . Die Freistellung ist eine Vo-
raussetzung dafür, dass wir das große Mikroelektro-
nik-Projekt hinkriegen . Die Industrie hat es mit der Wis-
senschaft ausgearbeitet, und wir sind gespannt, wie der
Wirtschaftsminister das jetzt mit der leidenschaftlichen
Unterstützung des Finanzministers in den Haushalt ein-
passen wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bei der Digitalisierung geht es auch um den Weltraum .
Das soll jetzt angegangen werden . Der Wirtschaftsminis-
ter hat eine Studie zu „NewSpace“ vorgelegt . Die Unter-
nehmen müssen sich jetzt auf diese neue Welt – Stich-
wort weltraumgestützte Dienstleistungen – einlassen .

Die riesigen Datenströme der Satelliten müssen ver-
nünftigen Nutzungen zugeführt werden . Dafür müssen
die notwendigen Endgeräte, die Infrastrukturen vorhan-
den sein . Die Industrie darf dabei nicht alleine auf das
schauen, was der Staat hier beschließt und als geniale
Ziele vorgibt, sondern auf den Markt, und sie muss das
Potential so nutzen, wie das in den USA schon geschieht .
In den USA sind im letzten Jahr knapp 2 Milliarden Dol-
lar an Wagniskapital in Space-Start-ups bzw . NewSpace
investiert worden . Das müssen wir auch hinkriegen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817902500


Herr Kollege .


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1817902600


Diese Leidenschaft bauen wir auf .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817902700


Herr Kollege, würden Sie freundlicherweise zwi-
schendurch einmal auf die Uhr blicken?

Dr. Heinz Riesenhuber






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1817902800

Ich habe das schon einmal gesagt: Das irritiert eher .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817902900

Dann mache ich Sie hilfsweise darauf aufmerksam,

dass in wenigen Minuten der Parlamentarische Abend,
das Sommerfest, beginnt, zu dem Sie rechtzeitig erschei-
nen sollten .


(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1817903000

Herr Präsident, wenn Sie mir bis dahin Zeit geben,

dann werde ich sie gerne nutzen .


(Heiterkeit)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir leben in
einer digitalen Welt, und sie wächst unter unseren Hän-
den . Das Entscheidende ist, dass wir sie so gestalten, dass
die Leute Freude daran haben, und dass sie nutzerfreund-
lich wird und human bleibt .

Die digitale Welt ist zwar prima, aber wir leben ana-
log . Dass wir in unserem analogen Leben Freude an der
digitalen Welt haben, wird entscheidend dafür sein, dass
sie gelingt . Daran wollen wir in diesem überaus kompe-
tenten Parlament arbeiten


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Und heute Abend feiern!)


und die Zukunft freudig angehen . Und heute Abend wol-
len wir feiern .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817903100

Ich mache nur der guten Ordnung halber darauf auf-

merksam, dass die namentlichen Abstimmungen, die für
den späteren Nachmittag oder früheren Abend angekün-
digt sind, nicht drüben, sondern hier stattfinden.


(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/7620, 18/8550, 18/7729 und
18/8711 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist offensichtlich der Fall . Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen .

Dann kommen wir jetzt zu den Tagesordnungspunk-
ten 6 a bis 6 e sowie dem Zusatzpunkt 1:

6 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Peter
Meiwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaschutzplan 2050 – Echter Klima­
schutz beginnt heute

Drucksache 18/8876
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia
Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Unterzeichnung des Pariser Klima­
abkommens – Klimaschutz wirksam ver­
ankern und Klimaziele einhalten

Drucksache 18/8080
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

c) Zweite und dritte Beratung des von den
Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena
Baerbock, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Ab-
geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Festlegung nationa­
ler Klimaschutzziele und zur Förderung

(Klimaschutzgesetz – KlimaSchG)


Drucksache 18/1612

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/8770

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel,
Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verkehrspolitik auf Klimaschutzziele
ausrichten

Drucksache 18/7887
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Dr . Julia
Verlinden, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN






(A) (C)



(B) (D)


Weichen für die ökologische Modernisie­
rung der Wirtschaft stellen – Chancen
des Klimaschutzes nutzen

Drucksache 18/8877
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Annalena Baerbock, Özcan Mutlu, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Für ein Rahmenprogramm für Klima­ und
Klimafolgenforschung

Drucksachen 18/7048, 18/8873

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Aussprache dazu 77 Minuten dauern . – Auch das ist of-
fenkundig wieder einvernehmlich so . Also können wir so
verfahren .

Erster Redner ist der Kollege Anton Hofreiter für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817903200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Persönlich empfinde ich es als bitter, dass wir 
die Bundesregierung mit dieser Debatte schon wieder an
die Notwendigkeit des Klimaschutzes erinnern müssen .
Wir dachten eigentlich, dass wir weiter wären .

Schauen wir uns an, was in der Welt los ist: Extrem-
wetterereignisse in ganz Deutschland, etwa in Nieder-
bayern oder Baden-Württemberg, Hitzewellen in Indi-
en und in anderen Regionen der Welt . Wenn man sich
anschaut, welche Auswirkungen die Klimakrise bereits
jetzt zeitigt, müssen wir klar sagen: Die Bundesregierung
sollte sich endlich an die Arbeit machen und das Klima-
schutzabkommen von Paris umsetzen . Die Bundesregie-
rung ist noch immer nicht in der Realität angekommen .
Die Bundesregierung ist jetzt dran . Jetzt geht es darum,
endlich zu handeln . Handeln Sie endlich im Sinne des
Abkommens von Paris!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Bei dem, was hier passiert, hat man den Eindruck,
dass der Klimaschutz mal wieder im tristen Ressortden-
ken dieser Bundesregierung versumpft . Sie führen mal
wieder die längst eingeübte und inzwischen ziemlich
langweilige Arbeitsteilung vor: Die Frau Bundeskanz-
lerin glänzt auf internationalen Konferenzen, findet dort 
warme, zum Teil schöne und zum Teil auch richtige Wor-
te . Das Umweltministerium schreibt schöne Pläne auf .
Und das Wirtschaftsministerium, das Verkehrsministeri-
um und das Landwirtschaftsministerium, die diese Pläne

in konkrete Politik umsetzen müssten, üben sich darin,
diese zu hintertreiben .

Schauen wir uns die einzelnen Ministerien an . Herr
Gabriel spielt sich als der Schutzpatron der Kohle, ins-
besondere der Braunkohle, auf, der schmutzigsten Art,
Energie zu erzeugen, und bremst gleichzeitig die erneu-
erbaren Energien aus . Damit schadet er nicht nur dem
Klimaschutz . Damit schadet er auch einem der innova-
tivsten und modernsten Teile unserer Wirtschaft . Das
kann so nicht weitergehen . Wir erwarten von der SPD,
dass sie da endlich Änderungen durchsetzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Schauen wir uns die Verkehrspolitik an . Dabei habe
ich das Bild vor Augen, wie Herr Dobrindt am Steuer
eines Diesel-SUV im Stau irgendeiner seiner Umge-
hungsstraßen ganz gemütlich vor sich hin döst und davon
träumt, wie er der Autoindustrie weiterhin helfen kann,
den Dieselskandal zu vertuschen . Auch das kann so nicht
weitergehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns den Mobilitätsbereich an . Im Mobi-
litätsbereich passiert gerade derart viel: Digitalisierung,
Elektrifizierung.  Dort  entstehen  neue  Konzerne  wie 
Tesla . Wer hätte vor wenigen Jahren geahnt, dass ein
neuer Konzern innerhalb von fünf Tagen die Zahl von
300 000 Bestellungen für ein Elektroauto, bei dem man
sogar noch 1 000 Euro anzahlen muss, erreichen kann .

Und was macht unser Verkehrsminister? Unser Ver-
kehrsminister erzählt ein bisschen was; unser Verkehrs-
minister trauert immer noch seiner Ausländermaut
hinterher, und unser Verkehrsminister baut ein paar Um-
gehungsstraßen .

Nein, was wir brauchen, ist eine Gesamtstrategie für
den Ausbau des ÖPNV . Wir brauchen eine Gesamtstra-
tegie, um endlich die Bahn flottzumachen, und eine Ge-
samtstrategie, um die Autoindustrie auf Vordermann zu
bringen . Denn wenn die Autoindustrie bei uns hopsgeht,
dann haben wir nicht nur ein Problem mit dem Klima-
schutz, sondern auch mit den Arbeitsplätzen . Sorgen Sie
deswegen endlich dafür, dass dieser Industriezweig ver-
steht, dass nur die Fahrzeuge eine Zukunft haben, die die
Gesundheit und das Klima nicht gefährden! Sorgen Sie
endlich dafür! Trauen Sie sich endlich da ran!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der dritte Bereich, der in diesem Zusammenhang
wichtig ist, ist die Landwirtschaft . Da haben wir einen
noch krasseren Fall: Wir haben einen Minister, der sich
erst mal schon gar nicht um die Probleme der Bauern
kümmert, was ja angesichts der dramatischen Lage der
Landwirtschaft und des Milchpreises, der im Keller ist,
seine zentrale Aufgabe wäre . Aber er nimmt nicht einmal
diese Aufgabe wahr, und man stellt fest: Er erkennt noch
nicht einmal, dass der Klimaschutz in seinen Zuständig-
keitsbereich fällt, dass Klimaschutz und Landwirtschaft
etwas miteinander zu tun haben und dass Landnutzungs-
änderungen und die Zerstörung von Regenwäldern auch

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


etwas mit der Art und Weise zu tun haben, wie wir hier
Fleisch produzieren . Er verleugnet das Problem noch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir hören immer wieder Argumente wie „Der Klima-
schutz gefährdet Arbeitsplätze“ . Ich glaube, da ist etwas
ganz Grundlegendes nicht verstanden worden . Funktio-
nierender Klimaschutz ist die Voraussetzung dafür, dass
wir unsere Lebensgrundlagen nicht zerstören . Das heißt,
Klimaschutz ist eine Grundlage für erfolgreiches Wirt-
schaften, Klimaschutz ist eine Grundlage für erfolgrei-
che Landwirtschaftspolitik, Klimaschutz ist auch eine
Grundlage für erfolgreiche Sozialpolitik . Denn die Kli-
makrise trifft die Ärmsten am härtesten . Insbesondere im
globalen Süden sind es die Ärmsten dieser Welt, die als
Erste von der Klimakrise betroffen sind und dadurch die
größten Schwierigkeiten bekommen .

Damit ist die Klimakrise auch ein Turbo für alle Kri-
sen, die wir weltweit haben, weil nämlich schwache
Staaten, Staaten, die ohnehin bereits instabil sind, umso
härter getroffen werden, wenn es Überschwemmungen,
Trockenkatastrophen und daraus folgende Nahrungs-
krisen gibt . Das heißt, nicht erfolgender Klimaschutz
kostet uns erstens sehr, sehr viel Geld und ist zweitens
ein Turbo für alle Krisen auf dieser Welt und eine echte
Fluchtursache .

Wenn Sie also wirklich Fluchtursachen bekämpfen
wollen, was die Kanzlerin oft angekündigt hat, dann
machen Sie endlich erfolgreichen Klimaschutz! Zeigen
Sie endlich der Welt, wie es geht! In Deutschland hätten
wir die besten Voraussetzungen dafür . In Deutschland
haben wir immer noch eine Industrie, die moderne Lö-
sungen für erneuerbare Energien zeigen und Lösungen
für moderne Mobilität bieten kann . Wir haben auch Be-
reiche in der Landwirtschaft, die zeigen, was moderne
und nachhaltige Landwirtschaft ist . Sorgen Sie endlich
dafür, dass diese Industrien florieren, und hören Sie auf, 
diesen modernen Industrien Knüppel zwischen die Beine
zu werfen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit den Anträgen, die wir vorgelegt haben, zeigen wir
auf, was notwendig ist: Wir brauchen einen schrittweisen
Ausstieg aus der Kohle . Es heißt immer, man kann nicht
gleichzeitig aus der Atomkraft und der Kohle aussteigen .
Es geht darum, dass wir schrittweise, planbar und im
Konsens aus der Kohle aussteigen, damit Wirtschaft, Ge-
werkschaften und Arbeitnehmer wissen, wann welches
Kohlekraftwerk vom Netz geht, und damit wir wissen:
„Raus aus der Kohle“ ist der Plan . Das ist im Konsens
planbar . Wir brauchen einen Plan für die Regionen, die
von einem Strukturwandel betroffen sind . Packen Sie das
endlich an, statt weiterhin Geld in die Braunkohle zu ste-
cken! Das ist verlorenes Geld . Stecken Sie lieber Geld in
das, was wirklich notwendig ist!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Des Weiteren brauchen wir eine moderne Mobilitäts-
politik und eine moderne Landwirtschaftspolitik . Diesen
Umbau unserer Wirtschaft sind wir unseren Arbeits-

plätzen schuldig, aber wir sind es auch, weil es um den
Schutz unserer Lebensgrundlagen geht, vor allem unse-
ren Kindern und Kindeskindern schuldig .

Packen Sie es endlich an! Fangen Sie endlich an, zu
handeln, statt nur Pläne zu schreiben!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817903300

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege

Andreas Jung das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Frank Schwabe [SPD])



Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1817903400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Klimawandel ist die zentrale ökologische Heraus-
forderung in unserer Zeit, in unserem Jahrhundert . Er ist
bereits vorangeschritten . Wir können die Auswirkungen
in vielen Ländern sehen, in denen sich Dürren ausbrei-
ten – wodurch Menschen ihre Lebensgrundlage verlie-
ren – und in denen es Überschwemmungen gibt . Aber
auch in unserem eigenen Land können wir sie – durch
eine Häufung extremer Wetterereignisse und Naturkatas-
trophen – sehen . Das ist uns nicht nur bewusst, es ist uns
Auftrag zu konsequentem Handeln . Deshalb müssen wir,
Herr Kollege Hofreiter, nicht erst durch Anträge der Grü-
nen an die Herausforderung des Klimaschutzes erinnert
werden . Klimaschutz ist eine prioritäre Aufgabe . Er hat
hohe Priorität in der Politik der Bundesregierung und der
Koalitionsfraktionen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Eines ist – das haben wir immer deutlich gemacht –
klar, dass nämlich Deutschland bei dieser globalen Auf-
gabe – wir können sie nur global lösen, weil es eben eine
internationale, gemeinsame Aufgabe ist – eine besondere
Verantwortung hat . Diese Verantwortung besteht im Üb-
rigen nicht darin, Klimaschutz und Arbeitsplätze gegen-
einander auszuspielen, sondern darin, dass wir zeigen,
dass ambitionierter Klimaschutz und Arbeitsplätze in
einem Industrieland zusammengebracht werden können
und dass uns das gemeinsam nach vorne bringt . Das ist
Ziel und Aufgabe der Bundesregierung und unsere be-
sondere Verantwortung, damit wir erstens unserem An-
spruch, Vorreiter zu sein, gerecht werden und zweitens
andere dazu bringen, dass sie, weil sie unser Beispiel –
das eben nicht zu weniger Wohlstand, sondern mit Inno-
vation und Technologie zu mehr Wohlstand führt – se-
hen, es attraktiv finden und ihm folgen. Das müssen wir 
leisten, und das ist die Leitlinie unserer Politik .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dem werden wir in vielfacher Weise gerecht . Deutsch-
land ist Antreiber im internationalen Klimaprozess .
Deutschland ist Finanzierer im internationalen Klima-
schutz, Deutschland ist Partner von Entwicklungsländern
und Schwellenländern bei der Umsetzung von Techno-
logien, aber auch von Anpassungsmaßnahmen . Wir sind
Taktgeber innerhalb der Europäischen Union und mit ei-
ner ambitionierten Klimapolitik in Deutschland Vorbild .

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


Deshalb ist klar: Deutschland war Vorreiter im Klima-
schutz, Deutschland ist Vorreiter im Klimaschutz, und
wir werden mit einer ambitionierten Politik auch Vorrei-
ter bleiben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Hofreiter, Sie haben gesagt, die Kanzlerin glänzt
auf der internationalen Bühne . Diesem Halbsatz möchte
ich ausdrücklich zustimmen und hinzufügen: Das schafft
sie eben nicht nur durch Worte, sondern durch konkre-
te Taten . Das tut die Bundeskanzlerin, das tut die ganze
Bundesregierung . Wir sind uns doch einig, dass Paris ein
Meilenstein für den internationalen Klimaschutz gewe-
sen ist,


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Aber das muss national umgesetzt werden!)


weil wir es nach jahrelangem Ringen endlich geschafft
haben, dass nicht nur Deutschland oder Europa, also eini-
ge wenige, Vorreiter sind, sondern dass sich alle Staaten
der Welt „committed“ und gesagt haben: Wir machen ge-
meinsam Klimaschutz .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Jetzt!)


Warum hat es denn geklappt? Es hat deshalb geklappt,
weil die Kanzlerin auf Schloss Elmau mit den internati-
onalen Partnern die Grundlagen gelegt hat, weil Dekar-
bonisierung vereinbart wurde und man, ausgehend von
von Elmau, gerade mit den französischen Partnern als
Gastgeber der Konferenz in Paris sowie mit den übrigen
europäischen Partnern gearbeitet und überzeugt hat so-
wie glaubwürdig gewesen ist . Im Übrigen war man im
Bereich der Klimafinanzierung Vorbild. Damit hat man 
gezeigt: Wir nehmen es ernst, wir gehen jetzt voran . Und
so ist es gelungen, am Ende alle zusammenzubekommen .
Das ist auch ein Erfolg dieser Bundesregierung . Natür-
lich gilt es jetzt, darauf aufzubauen . Das tun wir national .

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu unseren
Aufgaben in der Europäischen Union . Es war auch ge-
rade Deutschland, das sich mit anderen Partnern dafür
eingesetzt hat, dass das 2030-Ziel der EU insofern am-
bitioniert ausgestaltet wird, als man gesagt hat: Wir wol-
len bis 2030 – in Deutschland wollen wir das schon zehn
Jahre vorher erreichen – mindestens eine CO2-Reduzie-
rung von 40 Prozent . Dieses „mindestens“ hatte eine Vo-
raussetzung, dass es nämlich zu einem internationalen
Klimavertrag kommt . Der ist jetzt da . Das soll überprüft
werden . Deshalb müssen wir als Europäer da noch am-
bitionierter vorangehen, um die Lücke, die es nach Paris
bei  den  Reduktionsverpflichtungen  im  internationalen 
Klimaschutz gibt, zu schließen . Das müssen wir in Euro-
pa erreichen . Dabei müssen wir auch erreichen, dass der
Emissionshandel – er ist das Herzstück der europäischen
Klimapolitik – gestärkt wird . Der Emissionshandel hat
jetzt mit der Marktstabilitätsreserve eine Reform erfah-
ren . Darauf müssen wir in der nächsten Handelsperiode
aufbauen . Es muss klargemacht werden: Der Emissions-
handel muss so gut sein, dass nationale Ergänzungsmaß-
nahmen nicht notwendig sind . Er muss funktionieren .

Dieses Herz der europäischen Klimaschutzpolitik muss
schlagen . Dafür setzen wir uns ein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ute Vogt [SPD])


Die EU muss auch in den anderen Sektoren vorange-
hen, beim Verkehr, bei der Energieeffizienz und bei den 
erneuerbaren Energien . Damit komme ich zu unserem
Land . Ich will den Eindruck, den Sie zu erwecken ver-
suchen, nämlich dass die Bundesregierung nicht handle,
in aller Entschiedenheit und Deutlichkeit zurückweisen .
Die Bundesregierung hat das nationale Aktionsprogramm
Klimaschutz 2020 und den Nationalen Aktionsplan Ener-
gieeffizienz  auf den Weg gebracht. Wir  stellen uns un-
serer Verantwortung und verpflichten uns, dass bis 2020 
die Emissionen um 40 Prozent sinken . Wir wissen, dass
dazu noch eine Wegstrecke zu gehen ist . Zu Beginn der
Legislaturperiode haben wir eine Lücke von 5 bis 8 Pro-
zent ausgemacht . Mit vielfältigen Maßnahmen in allen
Bereichen, die Sie genannt haben, wird angestrebt, diese
Lücke zu schließen . Diese Maßnahmen sind nicht etwa
nur in der Diskussion, sondern alle in der Umsetzung .
Daran werden wir weiter arbeiten . Dieses Ziel ist uns
Verpflichtung, weil daran unsere Glaubwürdigkeit hängt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Glaubwürdigkeit hängt im Übrigen auch an
unserem Beitrag – ich hatte das schon angesprochen –
zur  internationalen  Klimafinanzierung.  In  Paris  wurde 
beschlossen, dass bis 2020 100 Milliarden US-Dollar
jährlich für den internationalen Klimaschutz ausgegeben
werden sollen . Wir haben unseren Anteil aufgestockt .
Wir geben viermal so viel in diesem Bereich aus wie
2005 . Wir haben also richtig draufgesattelt in den letzten
Jahren . Die Mittel sind im Haushalt des BMZ eingestellt
worden . Wenn wir am Ende 10 Prozent von dem tragen,
was international vereinbart wurde – so ist die Ansage –,
dann kann man schon sagen, dass wir in besonderer Wei-
se der deutschen Verantwortung gerecht werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das gilt auch für die einzelnen Sektoren . Mit dem
Klimaschutzplan müssen wir den Weg zur Dekarbonisie-
rung beschreiben . Wir müssen schrittweise aus der Kohle
aussteigen, wobei der Ausstieg gesellschaftlich diskutiert
werden muss, sozialverträglich sein muss und mit den
Regionen auf den Weg gebracht werden muss . Am Ende
muss er zu dem Ergebnis führen, dass wir spätestens zur
Mitte des Jahrhunderts – besser früher – in Deutschland
keine Kohleverstromung mehr haben .

Wir müssen weitere Anstrengungen im Bereich Ver-
kehr, den Sie angesprochen haben, unternehmen . Wir
haben ein dynamisches Wachstum der Verkehrsleistung
und der Verkehrsbewegungen . Der CO2-Ausstoß stag-
niert . Wir müssen es schaffen, mit weiteren Maßnahmen
den CO2-Ausstoß zu reduzieren . Ich will für die Natio-
nale Plattform Elektromobilität werben . Damit haben
wir eine Plattform, in deren Rahmen Maßnahmen nicht
nur diskutiert, sondern auch umgesetzt werden; denn un-
ser Ziel ist eine nachhaltige Mobilität, unser Ziel ist es,
Vorreiter bei alternativen Antrieben zu werden . Genau

Andreas Jung






(A) (C)



(B) (D)


das tut die Bundesregierung: Sie ist Taktgeber in Ab-
stimmung mit der Automobilindustrie und anderen Ak-
teuren. Unser Ziel  ist, dass wir die effizientesten Autos 
in Deutschland produzieren, fahren und exportieren und
damit über Deutschland hinaus ausstrahlen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Morgen diskutieren wir über das Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz, wir diskutieren auch über dieses Thema,
und vielleicht streiten wir darüber . Aber es ist doch un-
bestreitbar, dass die Förderung der erneuerbaren Energi-
en dazu geführt hat, dass Ökostrom jetzt Tabellenführer
im Strommix der Bundesrepublik Deutschland ist . Die-
sen Weg werden wir weitergehen, damit wir 2050 in
Deutschland das erreichen, was in Elmau beschlossen
worden ist, nämlich die Dekarbonisierung in den Berei-
chen Strom, Wärme und Mobilität . Unser Anspruch ist
die Einhaltung der ehrgeizigen Klimaziele in Höhe von
80 bis 95 Prozent bis 2050 . Daran arbeiten wir mit einer
ambitionierten und konsequenten Politik .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817903500

Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter

für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817903600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Echter Klimaschutz braucht einen echten Plan . Dieser
Klimaschutzplan 2050, den die Bundesregierung gerade
ausarbeitet, ist darum eigentlich eine feine Sache . Wir
haben Kritik, vor allem was die fehlende Verbindlichkeit
angeht; aber die Grundtendenz stimmt erst einmal .

Wir warten jetzt darauf, dass dieser erste Masterplan
für Klimaschutz in Deutschland endlich offiziell vorliegt.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn wenn sie gut sind, ist besonders die Linke für Pläne
zu haben – das wissen Sie ja –, vor allem dann, wenn
der Wirtschaft gezeigt wird, dass private Profite nicht vor 
Allgemeinwohl gehen . Wer die Pariser Klimabeschlüs-
se ernst nimmt, der braucht einen Plan . Wer immer noch
glaubt, der Umbau einer ganzen Volkswirtschaft auf kli-
maneutral sei ohne ein starkes Konzept zu schaffen, der
meint es mit dem Klimaschutz nicht ernst oder ist ein
zukunftsblinder Ignorant .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Linke meint es ernst mit dem Klimaschutz . Da-
rum unterstützen wir die Anträge der Grünen . In weiten
Teilen spiegeln sie auch unsere Vorstellungen von nach-
haltigem Klimaschutz wider .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Bis 2050 muss Deutschland seinen Treibhausgasausstoß
um 100 Prozent gesenkt haben – um 100 Prozent! Das
ist das Ziel, hinter dem die Linke steht . Das geht nur mit
einem sektorübergreifenden Klimaschutzfahrplan, also
über alle Bereiche hinweg .

Aber nicht alle politischen Kräfte im Parlament sind
für Klimaschutz . Teile der Union schießen weiter gegen
jedes Vorhaben . Ganz vorne mit dabei ist der CDU-Wirt-
schaftsrat . Vorgestern musste sich sogar die Bundeskanz-
lerin den Kopf waschen lassen: mehr Markt, Steuern run-
ter, alles für die Unternehmen – das ist dort die Devise .
Zusammen mit dem BDI trommeln auch einige Kollegen
der CDU gegen den Klimaschutzplan . Das Umweltmi-
nisterium habe die Wirtschaft nicht in den breitangeleg-
ten Beteiligungsprozess mit einbezogen . Also wirklich,
das ist völliger Unsinn! Alle konnten sich einbringen .
Schauen Sie sich einmal die Webseite des Ministeriums
an. Da finden Sie Ihren BDI ganz oben auf der Liste.

Aber das wissen Sie: Den Kritikern geht es gar nicht
um Beteiligung . Sie sind von denen vorgeschickt – das
ist mein Eindruck –, die den Schuss von Paris nicht hö-
ren wollen . Die großen Bosse glauben eben nicht an eine
Welt ohne Kohle und Erdöl . Intern lachen sie sich über
die deutschen Klimaschutzziele kaputt . Nach draußen
erzählen sie dann immer wieder dieselben Märchen: Kli-
maschutz schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland .
Die anderen Wettbewerber am Weltmarkt sind die heim-
lichen Gewinner von Energiewende oder Emissionshan-
del . – Sogar von einem deutschen Sonderweg ist immer
wieder die Rede . Ich sage Ihnen: Dahinter steht der alte
Abwehrkampf großer Konzerne gegen demokratische
Vorgaben der Politik, und das geht einfach nicht .


(Beifall bei der LINKEN – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Hier wird auch jedes Klischee bedient!)


Wollen wir aber verhindern, dass Ökosysteme und das
Leben von Millionen von Menschen gefährdet werden,
dann sind Klimaschutzanstrengungen per Gesetz ein-
fach notwendig, und zwar nicht nur von Alleinerziehen-
den, von kleinen Bäckern oder Bäckerinnen oder vom
Kfz-Mechaniker . Was wir brauchen, ist ein Klimaschutz-
beitrag der großen Wirtschaft:


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


vom Stahlwerk zur Automobilindustrie, vom Energiever-
sorger zu Wohnungsbaugesellschaften, von der Airline
bis zur Tiermastanlage . Alle Bereiche werden mehr denn
je zum Klimaschutz beitragen müssen; das können wir
nicht oft genug sagen . Unser Ziel wird erreicht mit In-
vestitionen in mehr Energieeinsparung, mit erneuerbaren
Energien, mit Investitionen in Innovationen – darüber
wurde schon viel gesagt –, aber auch mit einer Abkehr
von Wachstumswahnsinn, Lohndumping und sozialem
Kahlschlag .


(Beifall bei der LINKEN)


Es wird immer wieder die Frage gestellt: Hat Klima-
schutz der Wirtschaft bisher geschadet? Natürlich nicht!
Deutschland erzielt einen Exportrekord nach dem nächs-
ten . Für die verteufelten Energiekosten hat das der Sach-

Andreas Jung






(A) (C)



(B) (D)


verständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen
darum noch einmal aufgeschrieben . Ich zitiere:

Durchschnittlich machen in der deutschen Industrie
die Energiekosten nur etwa 2 % der Gesamtkosten
aus . Für die Mehrzahl der Industriebetriebe wären
mithin selbst substanzielle Energiekostensteigerun-
gen verkraftbar . Auch sind die Energiestückkosten

(der Anteil der Energiekosten an der Bruttowertschöpfung)

internationalen Vergleich . . . geringer als in den
meisten europäischen Staaten oder in China .

Das sagt der Sachverständigenrat der Bundesregierung
für Umweltfragen – und nicht irgendjemand .

Da ist also noch Luft für mehr Klimaschutz vorhan-
den . Der Weg in die Dekarbonisierung liegt vor uns .
Also: Packen wir es an!

Danke .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817903700

Für die Bundesregierung erhält die Bundesministerin

Barbara Hendricks das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
einem halben Jahr hat die Weltgemeinschaft in Paris ein
historisches Klimaschutzabkommen beschlossen, ein
Abkommen, das den Weg in eine treibhausgasneutrale
Gesellschaft beschreibt . Das war für uns alle, glaube ich,
eine schöne Nachricht, die uns mit Freude erfüllt hat .

Wie das mit Abkommen so ist: Wenn sie einmal be-
schlossen sind, dann müssen sie auch umgesetzt werden;
daran denken vielleicht nicht immer alle . Mit den Vorbe-
reitungen für die Ratifizierung sind wir auf einem guten 
Weg . Ich werde dem Kabinett in Kürze den Gesetzent-
wurf vorlegen . Mit Unterstützung des Deutschen Bun-
destages können wir es schaffen, die Ratifizierung noch 
vor der Klimakonferenz in Marrakesch im November ab-
zuschließen . Um diese Unterstützung will ich Sie schon
heute bitten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ab Ende der nächs-
ten Woche haben wir 35 Ministerinnen und Minister und
viele Verhandlungsgruppen beim Petersberger Klimadi-
alog hier in Berlin zu Gast . Auch dort wird die Umset-
zung des Paris-Abkommens eine zentrale Rolle spielen .
„Making the Paris Agreement a Reality“ lautet der Ti-
tel der diesjährigen Veranstaltung . Wir unterstützen die
Entwicklungsländer dabei, ihre Kapazitäten für den Kli-
maschutz aufzubauen . Wie im letzten Jahr angekündigt,
werden wir unsere internationale Klimafinanzierung bis 
2020 von circa 2 Milliarden Euro auf circa 4 Milliarden
Euro erhöhen .

Aber auch in Deutschland müssen wir unsere Haus-
aufgaben machen . In Deutschland leisten wir unseren
Beitrag, indem wir unsere Klimaschutzziele für 2020,
2030 und 2050 einhalten und indem wir uns auf der Stre-
cke immer wieder fragen, ob wir genug tun, was übrigens
mit der globalen Bestandsaufnahme alle fünf Jahre, wie
im Paris-Abkommen festgelegt, auch im Einklang ist .

Die Bundesregierung verfolgt die Umsetzung der
internationalen  Klimaschutzverpflichtungen  mit  zwei 
wichtigen Instrumenten: mit dem Aktionsprogramm
Klimaschutz 2020 und mit dem Klimaschutzplan 2050 .
Die meisten Maßnahmen des Aktionsprogramms Klima-
schutz 2020 sind bereits umgesetzt bzw. befinden sich in 
den letzten Zügen der Umsetzung . Das werden Sie dann
auch dem Klimaschutzbericht 2016 entnehmen können,
den wir Ihnen im November vorlegen werden . Im Klima-
schutzplan 2050 beschreiben wir den Pfad der Treibhaus-
gasminderung von 2020 bis 2050 . Wir haben unsere Ar-
beiten an dem Entwurf abgeschlossen und gehen damit in
Kürze in die Ressortabstimmung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Aktionspro-
gramm und der Klimaschutzplan sind notwendig; denn
der Klimaschutz braucht langfristige Orientierung und
Planungssicherheit – für Wirtschaft und Investoren, für
die Beschäftigten in den Unternehmen genauso wie für
Verbraucherinnen und Verbraucher . Wir haben uns in der
Regierung entschieden, diese langfristige Orientierung
nicht normativ, sondern stärker handlungsorientiert zu
geben .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon ist nichts zu merken!)


Denn, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, ein Gesetz ist kein Wert an sich; es kommt da-
rauf an, welches Ergebnis am Ende für den Klimaschutz
erreicht wird .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Klimaschutzplan wird ein verlässlicher Fahrplan
sein, der dennoch flexibel  für Änderungen und Innova-
tionen auf der Wegstrecke bis 2050 ist . Er ist vor allem
ein Wegweiser für die Richtung, die von allen Sektoren
eingeschlagen werden muss .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns war wichtig,
bei einem so grundlegenden Prozess eine breite gesell-
schaftliche Akzeptanz  zu  finden.  Herausgekommen  ist 
das Leitmotiv einer umfassenden Modernisierungsstrate-
gie . Glauben Sie mir: Der Wandel, der vor uns liegt, bie-
tet große Chancen für unser Land . Der Klimaschutz ist
schon heute ein Wachstumsmotor, der uns Beschäftigung
über Jahrzehnte sichern kann und wird . Denken Sie an
die vielen neuen Technologien, Produktionsprozesse und
Infrastrukturen! Ich will auch denjenigen, die in Sorge
um den Industriestandort Deutschland sind, eine gute
und wichtige Nachricht überbringen: Der Anteil an der
industriellen Produktion in Deutschland wird in diesem
Prozess weiter steigen . Allein im Bereich Umwelt- und

Eva Bulling­Schröter






(A) (C)



(B) (D)


Klimaschutz haben wir schon heute über 2 Millionen Ar-
beitsplätze .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie sind gerade dabei, das kaputtzumachen!)


Unsere Technologien für intelligente Stromnetze zum
Beispiel finden weltweit großes Interesse. Sie kennen un-
seren Weltmarktanteil bei den sogenannten grünen Pro-
dukten . Er liegt bei gut 14 Prozent und wird sicherlich
noch weiter steigen .

In Deutschland haben wir es geschafft, das Wachstum
von den Emissionen zu entkoppeln . Von 1990 bis 2014
sind die Emissionen um 27 Prozent gesunken,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Feier des Tages steigen sie wieder!)


während die Wirtschaft im gleichen Zeitraum um 39 Pro-
zent gewachsen ist . Man könnte auch sagen: Klimaschutz
schafft Wachstum . Dieses Wachstum hätten wir nicht
ohne die erfolgreiche Umweltpolitik in Deutschland,
vom Atomausstieg über das EEG bis zur Energiewende
und zu innovativen, ressourcenschonenden und treib-
hausgasarmen Produktionsprozessen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Vorreiterrolle hat uns genutzt, nicht nur wirtschaft-
lich, sondern auch deshalb, weil wir andere Staaten über-
zeugen konnten, dass der Wandel weg vom Öl und hin zu
den Erneuerbaren in einem der größten Industrieländer
möglich ist . Diesen Weg, der Deutschland so erfolgreich
gemacht hat, werden wir konsequent weiterverfolgen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist wichtig, dass
wir uns klare Zwischenziele für die einzelnen Hand-
lungsfelder für 2030 vornehmen . Das gilt auch für die
Bereiche, die ihre Beiträge zur Treibhausgasminderung
noch deutlich steigern müssen, namentlich der Verkehr
und die Landwirtschaft . Dazu, dass unsere Emissionen
seit 1990, wie eben erwähnt, in der gesamten deutschen
Volkswirtschaft um rund 27 Prozent gesunken sind, hat
der Verkehr bisher leider nichts beigetragen . Für den
Verkehr liegen die Werte noch immer auf dem gleichen
Niveau wie damals . Insgesamt macht der Anteil des Ver-
kehrs an den nationalen Treibhausgasemissionen 18 Pro-
zent aus . Das kann natürlich nicht so bleiben, wenn wir
unsere Klimaschutzziele erreichen wollen . Wenn wir
ernst nehmen, was die Bundeskanzlerin mit den Staats-
und Regierungschefs der G-7-Staaten auf Schloss Elmau
mit ihrem Dekarbonisierungsbeschluss vereinbart hat
und was 195 Staaten gemeinsam in Paris beschlossen ha-
ben, dann muss auch der Verkehr im Jahr 2050 nahezu
treibhausgasneutral sein .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt denn Herr Dobrindt dazu?)


Wir brauchen eine Stärkung der klimafreundlichen
Verkehrsträger und eine gänzlich andere Energieversor-
gung des Verkehrs, die dann auf der Nutzung erneuerba-
rer Energien basieren wird . Das ist technologisch bereits
machbar . Die Energiequellen des Verkehrs der Zukunft

werden in erster Linie Wind- und Sonnenenergie sein .
Damit kann man sich ausrechnen, dass ab 2030 Neuzu-
lassungen über einen Elektroantrieb verfügen oder auf
Basis von regenerativ erzeugtem Gas versorgt werden
müssen . Auch der Verbrennungsmotor könnte noch eine
Zukunft haben, wenn er mit synthetischen Kraftstoffen
aus Wind- und Sonnenstrom betrieben wird .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Josef Göppel [CDU/CSU])


Das Jahr 2030 ist für die Welt der Automobilindustrie
mit ihren Entwicklungs- und Produktionszyklen nicht
mehr weit weg . Ich hoffe, dass dies einem verantwor-
tungsbewussten Management in dieser für Deutschland
so wichtigen Branche auch klar ist . Leider scheint es so,
dass es erst krisenhafte Entwicklungen braucht, um um-
denken zu können .

In der Landwirtschaft wird eine Minderung auf null
Emissionen auch langfristig nicht möglich sein; denn hier
haben wir es ja mit biologischen Prozessen im Pflanzen-
bau und in der Tierhaltung zu tun . Das heißt aber nicht,
dass hier keine Potenziale bestehen . Gegenüber heute
müssen und können wir die landwirtschaftlichen Emis-
sionen bis 2050 halbieren . Das ist anspruchsvoll, aber
machbar . Dafür müssen wir unsere Stickstoffüberschüs-
se endlich in den Griff bekommen . Wir kommen aber
auch nicht darum herum, uns mit unbequemen Themen
wie dem Abbau von Tierbeständen, dem Fleischkonsum
und mit der Verschwendung von Lebensmitteln zu be-
fassen . In diesen Bereichen sind Forschung, Entwick-
lung und Verbraucherinformation besonders wichtig .
Eine Landwirtschaft, die ein angemessenes Verhältnis
von der Anzahl der Tiere zur Nutzfläche nicht mehr be-
achtet, die teilweise an den Wünschen und Erwartungen
der Verbraucherinnen und Verbraucher vorbei produziert
und die eben auch die Umwelt- und Klimafolgen nicht
ausreichend mindert, sägt am Ende den sprichwörtlichen
Ast ab, auf dem sie selbst sitzt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, welche
Herausforderungen wir noch vor uns haben: Verkehr,
Automobilindustrie, Landwirtschaft, um beispielhaft nur
drei wichtige Bereiche aus unserem gesellschaftlichen
Leben und unserer Wirtschaft zu nennen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817903800


Frau Ministerin .

Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

In allen Bereichen ist das möglich . Dafür ist es aber
nötig, sich jetzt auf den Weg zu machen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817903900


Bärbel Höhn erhält das Wort für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen .

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)



Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817904000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wa-

rum haben wir diesen Tagesordnungspunkt heute aufge-
setzt? Wir haben ihn aufgesetzt, weil es endlich Zeit ist,
darüber zu sprechen, weil es endlich Zeit ist, in Deutsch-
land etwas für den Klimaschutz zu tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hiltrud Lotze [SPD]: Machen wir doch!)


Das Abkommen von Paris bedeutet eine Riesenheraus-
forderung . Deutlich unter 2 Grad heißt nichts anderes, als
dass wir 2050 – bis dahin sind es gerade einmal 34 Jah-
re – eine klimaneutrale Stromproduktion haben müssen,
eine klimaneutrale Wärmeerzeugung, einen klimaneut-
ralen Verkehrssektor und eine klimaneutrale Landwirt-
schaft . Das werden Sie und diese Bundesregierung mit
den Instrumenten, die Sie heute auf den Tisch gelegt ha-
ben, nicht erreichen . Deshalb müssen wir hier zu einer
Änderung kommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum werden wir das Ziel so nicht erreichen? Ich
mache das einmal an den Instrumenten klar, die die Mi-
nisterin eben dargelegt hat . Sie hat ja gesagt, am Ende sei
entscheidend – ich verkürze das jetzt einmal –, was hin-
ten rauskommt . Und das gucken wir uns jetzt einmal an .
Das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 wurde vor an-
derthalb Jahren auf den Weg gebracht . Darin stand, dass
wir einen wichtigen Beitrag der Kohleindustrie brauchen;
das wurde sehr deutlich gesagt . Ansonsten erreichen wir
unser für 2020 gesetztes Ziel nicht . Und wie wurde die-
ses Aktionsprogramm im Folgejahr umgesetzt? Es gab
keine Abgabe für Kohlekraftanlagen, sondern eine Sub-
vention für Kohlekraftanlagen . Das Gegenteil von dem,
was im Aktionsprogramm stand, haben Sie umgesetzt .
So funktioniert Klimaschutz nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Sehen wir uns doch einmal an, wie man es machen
könnte . Machen Sie den Klimaschutz doch endlich einmal
verbindlich! Wir haben Ihnen hier einen Entwurf eines
Klimaschutzgesetzes vorgelegt . Darin stehen sehr klare
Instrumente; dort steht, was Sie machen müssen, wenn
Sie in dem einen Jahr Ihre Ziele nicht erreichen, was Sie
machen müssen, damit endlich auch hier in Deutschland
Klimaschutz stattfindet. Was nicht funktioniert, ist, wenn 
Sie immer vor Konferenzen ein Klimaaktionsprogramm
oder einen Klimaschutzplan machen, sich dort abfeiern
lassen und dann hier das Gegenteil von Klimaschutz tun .
So funktioniert das nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir sind auf diesem Gebiet gar keine Vorreiter . Wir
haben pro Kopf mehr CO2-Ausstoß in Deutschland
als der Durchschnitt in der EU . Sind wir damit Vorrei-
ter, Herr Jung? Nein, das sind wir eben nicht . Wir sind
Hauptverursacher der Klimakrise . Deutschland hat zu
den Emissionen von CO2 und klimaschädlichen Gasen

7,3 Prozent beigetragen. Wir haben also eine Verpflich-
tung, hier etwas zu tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb sage ich: Nein, es ist viel zu wenig, was hier
stattfindet. 

Gucken wir uns doch einmal den Automobilbereich
an . Da ist in den letzten Jahren nichts passiert . 10 Prozent
mehr Spritverbrauch seit 2007! Weil die Kanzlerin zur
EU gerannt ist und für minimale CO2-Werte, also eine
Absenkung der Standards, plädiert hat, hat die Trickserei
erst angefangen . Die Unternehmen haben das als Auffor-
derung zum Tricksen gesehen und nicht mehr zum Ein-
halten von Grenzwerten . So, meine Damen und Herren,
kriegen Sie die Transformation, die notwendig ist, nicht
hin . Sie gefährden Arbeitsplätze, anstatt neue zu schaf-
fen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Sie haben ja auch schon dazu beigetragen, viele Ar-
beitsplätze abzubauen . Ich nenne den Bereich Photovol-
taik . Wir könnten jetzt rein in den Mietmarkt, wir könnten
endlich Mieterstrom anbieten . Das verhindern Sie von
der CDU . Andere Länder sind doch schon lange an uns
vorbei: China, Japan, USA – das sind die Spitzenreiter
der Photovoltaik, nicht mehr Deutschland . In Deutsch-
land sind in diesem Bereich mindestens 40 000 Arbeits-
plätze wegrationalisiert worden durch eine falsche Poli-
tik, für die auch die CDU Verantwortung trägt .


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das wird ja immer besser!)


– Ja, es wird immer besser . – Wenn Sie eine Landwirt-
schaft  betreiben,  bei  der  wir  bei  Schweinefleisch  und 
Geflügel  20 Prozent  über  dem Bedarf  liegen,  dann  be-
deutet das mehr Exporte, mehr klimaschädliche Ausga-
sungen bei uns . Diese Art von Landwirtschaft entspricht
nicht dem Klimaschutzplan, den Sie auf den Tisch legen
wollen . Wir müssen die Landwirtschaft verändern, um in
Deutschland Klimaschutz zu machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss . – In den letzten zehn Jah-
ren sind die umwelt- und klimaschädlichen Subventio-
nen von 50 Milliarden Euro auf 60 Milliarden Euro ge-
stiegen . Hören Sie endlich damit auf! Dann würden wir
schon etwas für den Klimaschutz tun . Und steigen Sie
aus finanziellen Investments in fossile Energieträger aus! 
Auch das wäre ein guter Beitrag für den Klimaschutz .

Es gibt so viel zu tun . Handeln Sie endlich hier, und
halten Sie nicht immer Sonntagsreden auf internationa-
len Konferenzen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817904100

Anja Weisgerber ist die nächste Rednerin für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817904200

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Mit dem Pariser Abkommen wurde ein
Meilenstein gesetzt . Das sieht man auch daran, dass am
22 . April in New York 175 Staaten an der Unterzeich-
nung teilgenommen und die Ratifizierung eingeleitet ha-
ben . Das sind so viele Staaten wie nie zuvor bei einem
vergleichbaren multilateralen Abkommen; beim Kio-
to-Abkommen waren am Ende nur noch 37 Staaten mit
an Bord . Alle Staaten der Welt haben klar zum Ausdruck
gebracht, dass sie hinter diesem Abkommen stehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damit ist die Arbeit noch lange nicht abgeschlossen; das
ist richtig . Jetzt geht es um die Umsetzung dieser Inhalte
in allen Staaten der Welt .

Werte Kollegin Höhn, auch in Deutschland arbei-
ten wir intensiv an der Umsetzung der deutschen und
europäischen Klimaziele . Die Bundesregierung hat be-
reits im Dezember 2014 das Aktionsprogramm Klima-
schutz 2020 vorgelegt, das rund 100 Maßnahmen in allen
Sektoren vorsieht . Diese Maßnahmen werden umgesetzt;
die Finanzierung der Fördermaßnahmen ist sicherge-
stellt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das sind die mittelfristigen Maßnahmen bis 2020 .
Deutschland geht aber noch darüber hinaus . Ich würde
einmal behaupten, dass es wenige Vertragsstaaten gibt,
die schon bis 2050 Festlegungen treffen . Derzeit arbeitet
das BMUB am Klimaschutzplan bis 2050, basierend auf
einem breiten Bürgerdialog .

In dem Ziel sind wir uns doch alle einig . Nicht einig
sind wir uns über den Weg zu diesem Ziel . Sie schlagen
ein Klimaschutzgesetz vor . Dazu möchte ich Folgendes
sagen: Nordrhein-Westfalen hat zwei Jahre gebraucht,
bis es ein solches Klimaschutzgesetz auf den Weg ge-
bracht hat . In Berlin wurde nach fünfjährigem Ringen
erst vor wenigen Tagen ein solches Gesetzgebungsver-
fahren abgeschlossen .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben vor zwei Jahren angefragt!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Zeit haben wir
nicht; das wissen Sie auch . Wir handeln jetzt, und zwar
mit den richtigen Maßnahmen . Wir kümmern uns um
die Umsetzung unserer Ziele . Zeit in ein intensives Ge-
setzgebungsverfahren zu einem Klimaschutzgesetz ohne
konkrete Maßnahmen zu investieren, das ist nicht der
richtige Weg, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wichtig ist jetzt, die Maßnahmen zur Erreichung der
Ziele fortzuführen und weiterzuentwickeln und Entwick-
lungs- und Schwellenländer mit Projekten und Geldern
zu unterstützen, damit sie ihre Wirtschaft von Anfang an
klimaneutral aufbauen können . Beides macht die Bundes-
regierung . Wir haben gestern im Umweltausschuss ge-
hört, was das Entwicklungshilfeministerium alles macht .
Über 2 Milliarden Euro jährlich investiert das BMZ in

den internationalen Klimaschutz . Der Grüne Klimafonds
wird nach und nach immer weiter aufgefüllt . Deutsch-
land ist auch hier Vorreiter . Erste Projekte werden bereits
umgesetzt . Die Förderkriterien sind streng ausgerichtet .
Die Länder werden unterstützt, ihre selbstgesteckten Kli-
maziele mit eigenen Projekten zu erreichen . Ich nenne
als Beispiel Projekte zu erneuerbaren Energien in Afrika .

Aber auch auf nationaler Ebene treffen wir die richti-
gen Maßnahmen . Ich möchte an dieser Stelle einen Be-
reich herausgreifen, der ein sehr großes Einsparpotenzial
hat: die energetische Gebäudesanierung .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817904300

Frau Weisgerber, darf der Kollege Krischer eine Zwi-

schenfrage stellen?


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817904400

Ja, gerne .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817904500

Herzlichen Dank, Frau Weisgerber, dass Sie die Zwi-

schenfrage zulassen . – Sie haben gesagt, es würde zwei
Jahre brauchen, bis ein Klimaschutzgesetz realisiert ist .
Nun hat es die Regierung bzw . die Mehrheit des Hauses
in der Hand, wie lange Gesetzgebungsprozesse dauern .
Wir haben einen Entwurf eines Klimaschutzgesetzes
zum ersten Mal vor zwei Jahren eingebracht . Das heißt,
es könnte schon beschlossen sein, selbst wenn man einen
solch langen Gesetzgebungszeitraum annimmt .

Ihre Argumentation, dass Maßnahmen bereits statt-
finden,  stimmt  nicht.  Wenn  ich  der  Umweltministerin 
gerade richtig zugehört habe, hat sie gesagt, im Verkehr
seien wir sogar in der falschen Richtung unterwegs . Mor-
gen beschließen wir ein EEG, mit dem der Ausbau den
Erneuerbaren reduziert wird . Bei der Gebäudesanierung
geht nichts voran; wir sind weit unter dem Ausbaukorri-
dor . In der Landwirtschaft passiert überhaupt nichts; die
Emissionen steigen . Man könnte diese Liste fortsetzen .
Das heißt, die Maßnahmen, von denen Sie sagen, sie
würden  ohne  Klimaschutzgesetz  umgesetzt,  finden  gar 
nicht statt .

Wäre es nicht Ihrer Meinung nach sinnvoll, dass wir
endlich eine gesetzliche Grundlage schaffen, damit hier
von Ihnen und von Frau Hendricks nicht nur schön gere-
det wird, sondern dann auch Herr Dobrindt und andere in
ihren Ressorts einmal Klimaschutzpolitik betreiben, was
bisher nicht stattfindet?


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817904600

Gerne antworte ich auf Ihre Frage und möchte ganz

konkret auf Ihren Entwurf eines Klimaschutzgesetzes
eingehen . Sie schlagen Zwischenziele und jährliche
Zielvorgaben vor . Sie schlagen vor, dass auf nationaler
Ebene – zusätzlich zum europäischen Emissionshandel –
Auflagen  gemacht  werden,  dass  auf  nationaler  Ebene 
ständig Steuern auf Emissionshandelszertifikate auf Ba-






(A) (C)



(B) (D)


sis eines Mindestpreises für CO2-Emissionszertifikate 
neu errechnet werden .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie Frankreich und Großbritannien übrigens! Die haben das eingeführt!)


Sie sagen, das sorge für Verlässlichkeit und Planbarkeit .
Da sage ich ganz klar: Wenn auf nationaler Ebene neue
Steuern  errechnet  werden  und  neue Auflagen  gemacht 
werden, dann ist das genau das Gegenteil von Verläss-
lichkeit und Planbarkeit für die Wirtschaft .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Großbritannien und Frankreich machen doch den Mindestpreis!)


Zwischenziele jährlich zu berechnen, obwohl Experten
sagen, dass die Zwischenergebnisse in den einzelnen
Jahren Einflüssen wie der Witterung, dem Mineralölpreis 
usw . ausgesetzt sind, ist der falsche Weg . Es ist falsch,
ein Gesetz zu schaffen, das nicht mit Maßnahmen unter-
legt ist und zusätzliche nationale Auflagen vorsieht, das 
uns im europäischen Wettbewerb eher benachteiligt und
dazu führt, dass die Emissionshandelszertifikate, die bei 
uns freigesetzt werden, in anderen europäischen Ländern
verbraucht werden . Das führt letztendlich nicht zu dem
Ziel, das wir alle haben, nämlich auf europäischer Ebene
den Klimaschutz voranzubringen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817904700

Frau Kollegin?


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817904800

Ich würde jetzt ganz gern mit meiner Rede fortfahren

und danach bei Bedarf eventuell auch noch einmal ant-
worten .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817904900

Alles klar .


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817905000

Ich möchte noch einmal auf die nationale Ebene ein-

gehen . Ich möchte einen Bereich herausgreifen, der ein
großes Einsparpotenzial birgt: die energetische Gebäu-
desanierung .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das blockiert doch Herr Seehofer! Das ist doch unglaublich!)


Im Gebäudebereich fallen 40 Prozent des Energiever-
brauchs und ein Drittel der CO2-Emissionen in Deutsch-
land an . Deshalb haben wir hier zahlreiche Programme
der KfW aufgelegt, die wir weiterentwickeln und deren
Mittel wir immer weiter aufstocken, und das ist auch gut
so . Aber – jetzt komme ich gleich auf Ihren Zwischen-

ruf – es muss noch mehr getan werden, ja . Der wirksams-
te Hebel ist


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer abwählen!)


die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudes-
anierung .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Seehofer verhindert! Herr Seehofer!)


Der Unterschied zwischen Ihren Vorschlägen und den
Vorschlägen Bayerns ist, dass Bayern sagt: Wir brauchen
keine  Gegenfinanzierung;  wenn  dieses  steuerliche  In-
strument kommt, dann wird über die Mehrwertsteuerein-
nahmen so viel Geld in die Landeskassen hineingespült,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es ja selber noch nicht verstanden!)


dass sich das Projekt letztendlich von selbst amortisiert .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Was soll das denn?)


Da möchte ich Ihnen zurufen: Statt auf nationaler Ebe-
ne, auf Bundesebene, ein Klimaschutzgesetz zu fordern,
ohne die entsprechenden Maßnahmen zu treffen, sollten
Sie in die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung fah-
ren, dort die grünen Politiker ansprechen


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir!)


und dafür sorgen, dass wir gemeinsam, und zwar ohne
diesen parteipolitischen Twist, der uns an der Stelle kli-
mapolitisch nicht voranbringt, die steuerliche Förderung
der energetischen Gebäudesanierung auf den Weg brin-
gen, zusammen mit den Bundesländern; denn das ist ein
Instrument, das uns wirklich einmal voranbringen würde .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817905100

Frau Kollegin, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage

von Frau Höhn?


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817905200

Ich gestatte die Zwischenfrage, wenn ich dann länger

sprechen darf .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817905300

Sie dürfen auf die Frage antworten . Ansonsten bleibt

es bei der Redezeit .


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817905400

Ja .


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817905500

Frau Kollegin Weisgerber, Sie haben eben gesagt,

das Problem sei, Steuern zu erheben, und deshalb könn-
ten Sie beim Mindestpreis für CO2 nicht mitgehen . Bei

Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)


CO2-Emissionszertifikaten  haben  wir  momentan  in 
Großbritannien einen Mindestpreis von 23 Euro . Frank-
reich wird nächstes Jahr einen Mindestpreis einführen,
der ungefähr bei 30 Euro pro Zertifikat, also pro Tonne 
CO2, liegt . Wenn Großbritannien in der EU bliebe – was
wir wollen – und wir in Deutschland einen Mindestpreis
festlegten, dann hätten die drei Großen – Großbritannien,
Frankreich und Deutschland – einen Mindestpreis und
könnten ihn damit auch international, auf europäischer
Ebene, verankern . Warum sperren Sie von der CDU/
CSU sich gegen diesen europäischen Mindestpreis? Mit
den beiden anderen Ländern könnten wir es machen .
Deutschland ist jetzt beim Mindestpreis auf EU-Ebene
der Blockierer und nichts anderes .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817905600

Die Herzkammer der europäischen Klimapolitik ist

der europäische Emissionshandel . Wir brauchen keine
nationalen Mindestpreise, die von den einzelnen Mit-
gliedstaaten auch noch unterschiedlich hoch festgelegt
werden .


(Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU])


Wir setzen darauf, dass wir den Emissionshandel durch-
aus ehrgeizig reformieren .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Emissionshandel haben Sie kaputtgemacht!)


Sie wissen, dass momentan in einem Gesetzgebungsver-
fahren auf europäischer Ebene die Reform des Emissi-
onshandels verhandelt wird . Wir brauchen einen funk-
tionierenden, marktbasierten Emissionshandel, aber wir
müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass durch Carbon-
Leak age-Effekte keine Arbeitsplätze bei uns in Deutsch-
land gefährdet werden . Vielmehr geht es darum, den Kli-
maschutz auf europäischer Ebene insgesamt voranbringt .

Wie gesagt: Wenn man auf nationaler Ebene noch zu-
sätzliche Instrumente schafft, dann führt das zu einer Be-
nachteiligung der Unternehmen in dem jeweiligen Mit-
gliedsland. Es führt dazu, dass Emissionszertifikate aus 
Frankreich oder Großbritannien frei werden, die dann
von Polen oder Ländern in Südeuropa genutzt werden .
Ich frage mich: Was bringt das im Ergebnis dem Kli-
maschutz? Es bringt dem Klima nichts, es schadet ihm
sogar . Deswegen setze ich auf eine Stärkung des Emissi-
onshandels insgesamt, und zwar auf europäischer Ebene .
Ich setze darauf, dass sich die Bundesregierung intensiv
in den Prozess einbringt und eine eigene Position in Be-
zug auf faire Carbon-Leakage-Mechanismen entwickelt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Arno Klare [SPD])


So weit meine Antwort auf Ihre Frage .

Ich möchte in meiner Rede fortfahren und den Unter-
schied zwischen einem nationalen Klimaschutzgesetz,
wie Sie es wollen, und den Maßnahmen, die wir auf
den Weg bringen, darstellen . Wir wollen Klimaschutz,
der alle Sektoren mitnimmt . Wir wollen Klimaschutz-

maßnahmen, die Umweltinnovationen auslösen und
Arbeitsplätze schaffen . Wir möchten die Klimaschutz-
maßnahmen nicht durch auf nationaler Ebene verhängtes
Ordnungsrecht gefährden . Wir möchten Anreize für den
Klimaschutz schaffen . Wir möchten Technologieneutra-
lität . In diesem Sinne bringen wir uns weiterhin in den
Prozess ein .

Wir brauchen auch einen funktionierenden Emissions-
handel. Wir müssen unsere Anlagen, die zu den effizien-
testen gehören, bei uns behalten . Eine Abwanderung un-
serer Anlagen ginge Hand in Hand mit der Abwanderung
von Forschung und Entwicklung . Das ist kontraproduk-
tiv . Deswegen noch einmal mein Appell: Wir brauchen
praxistaugliche und gerechte Carbon-Leakage-Regeln .
Wir hoffen, dass sich die Bundesregierung jetzt wirklich
konstruktiv in den Prozess auf europäischer Ebene ein-
bringt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als Letztes möchte ich in meiner Rede auf eine Reihe
von Äußerungen der Opposition der letzten Wochen zum
Thema EEG eingehen; auch vorhin ging es um die Ener-
giewende . Da ist von einem Ausbremsen usw . die Rede .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja auch so!)


Von einem Ausbremsen kann nicht die Rede sein .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


In den letzten zwei Jahren ist der Anteil der erneuerba-
ren Energien um 7,4 Prozent gewachsen, so viel wie nie
zuvor . Ich frage mich – eben war Kollege Trittin noch
hier –, ob Sie Ihre eigenen Ziele, die Sie sich damals ge-
setzt haben, auch so erreicht haben wie wir .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817905700

Frau Kollegin, entschuldigen Sie bitte . Ich wollte Sie

fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder einen Kommen-
tar von Frau Bulling-Schröter zulassen .


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817905800

Ich würde diesen Gedanken zu den erneuerbaren

Energien ganz gerne fortführen –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817905900

Gut .


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817906000

– und dann zum Ende meiner Rede kommen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817906100

Genau .


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1817906200

Von einem Ausbremsen kann nicht die Rede sein .

Man muss dazusagen: In diesem Jahr liegt die
EEG-Umlage bei rund 7,5 Cent, nächstes Jahr soll sie
bei rund 8 Cent liegen, mit Mehrwertsteuer entspricht das

Bärbel Höhn






(A) (C)



(B) (D)


rund 10 Cent. Das bedeutet  für  eine vierköpfige Fami-
lie Mehrkosten von 500 Euro pro Jahr . Das ist wahrlich
kein Pappenstiel . Sie schlagen nun die Abschaffung der
Deckelungsregelung und den Erhalt der festen Einspeise-
vergütung vor . Die Folge wäre letztendlich eine Preisex-
plosion, und dann käme es – das wollen wir alle nicht;
denn wir wollen die Energiewende, und wir wollen die
Bürger mitnehmen – zu einem Akzeptanzverlust bei den
Bürgerinnen und Bürgern . Das können auch Sie nicht
wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen .

Ich komme zum Schluss meiner Rede . Klimaschutz ist
eine der wichtigsten Herausforderungen unseres Jahrhun-
derts; so möchte ich das als Klimapolitikerin formulie-
ren . Ich sage Ihnen: Wir nehmen diese Herausforderung
gerne an . Wir handeln und machen Klimaschutzpolitik
mit Augenmaß .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817906300

Vielen Dank, Frau Kollegin Weisgerber . – Die nächste

Rednerin: Sabine Leidig für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817906400

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Werte

Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Grünen fordern ein
verbindliches Klimaschutzgesetz . Das ist sicher richtig .
Wir brauchen ein solches Gesetz, weil wir in Sachen Kli-
maschutz keineswegs Vorreiter sind, wie es hier immer
tönt . Es ist auch richtig, dass konkrete Maßnahmen in
verschiedenen Politikfeldern verankert werden müssen .
Die Debatte hier zeigt aber auch, dass der Klimawandel
keineswegs ein Umweltproblem ist, dass es auch nicht
um die Zukunft der Erde geht, sondern um die Zukunft
unserer Gesellschaft und darum, wer die Folgen und die
Lasten des Klimawandels zu tragen hat, und darum, ob
wir zulassen, dass immer die Gleichen die Bestimmer
und die Gewinner sind . Wir als Linke wollen das nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen, dass es einen sozial-ökologischen Umbau
dieser Gesellschaft gibt . Wir wollen, dass über Vertei-
lungsfragen geredet wird, über die Frage, wie Konzer-
ne, die dafür sorgen, dass wir immer noch Braunkohle
verbrennen und immer mehr Autos in unseren Städten
und immer mehr Lkws auf unseren Autobahnen haben,
entmachtet werden können . Wir müssen eine Umkehr
organisieren .

Das wird nicht mit den Spitzen der Automobilkon-
zerne gehen . Frau Hendricks, Sie haben von verantwor-
tungsvollem Management in den Automobilkonzernen
gesprochen . Ich bitte Sie, wo leben Sie denn? Diese Au-
tomobilindustriemanager haben zusammen mit dieser
Bundesregierung dafür gesorgt, dass es in Europa keine
sinnvollen, deutlich reduzierten CO2-Abgasnormen für
Autos gibt . Man kann das in der Süddeutschen nach-
lesen . Dort ist Schritt für Schritt dokumentiert, wie die

Deutsche Umwelthilfe und andere Verbände ausgebootet
wurden und wie die Kanzlerin auf europäischer Ebene
praktisch dafür gesorgt hat, dass die deutsche Automo-
bilindustrie auch weiterhin große, dicke Autos bauen und
exportieren kann . Das ist das Gegenteil von verantwort-
licher Mobilitätspolitik . Dagegen muss man ernsthaft
Politik machen .


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt sind Sie auf die glorreiche Idee gekommen, eine
Kaufprämie für Elektroautos einzuführen . Das läuft un-
ter der Überschrift „Klimaschutz“ . Das ist völlig absurd .
Jeder, der sich ein bisschen damit beschäftigt, weiß, dass
die Tatsache, dass zusätzlich Elektroautos auf unseren
Straßen fahren, überhaupt nichts zum Klimaschutz bei-
trägt . Man könnte fast sagen: Im Gegenteil . Erstens wis-
sen wir, dass das Zweitwagen sein werden . Es wird also
kein einziges normales Auto stattdessen abgemeldet wer-
den . Zweitens wissen wir aus Norwegen, dass die Leute,
die ein Elektroauto haben, 80 Prozent weniger den öf-
fentlichen Nahverkehr nutzen . Warum? Weil sie das Ge-
fühl haben: Jetzt ist ja alles öko, jetzt kann ich ja auch
mein Auto nehmen . – Das stimmt aber nicht .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also keine E-Mobilität? Das ist falsch, oder wie? Was denn jetzt?)


Für die Produktion von Elektroautos muss mehr Energie
aufgewendet werden als für die Produktion von norma-
len Autos, und wenn man sich anschaut, mit welchem
Strommix sie fahren, muss man sagen: Im Endeffekt ist
die CO2-Bilanz von Elektroautos nicht besser .

Das heißt, das ist ein Riesenplacebo . Sie geben
600 Millionen Euro aus, um eine Automobilindustrie zu
pampern,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die auch 600 Millionen zahlen muss!)


die wirklich großen Schaden für diese Volkswirtschaft
und den sozial-ökologischen Umbau verursacht hat, und
Sie sorgen dafür, dass sich einige Besserverdienende ein
ökologisches Feigenblatt anschaffen können .

Wir sind dagegen . Wir wollen, dass mit diesem Geld
wirklich der Umbau der Mobilität für alle finanziert wird.


(Michael Donth [CDU/CSU]: Die Linke gegen Elektromobilität! Bravo!)


Was könnte man machen? Man könnte mit 600 Millio-
nen Euro beispielsweise 4 300 Kilometer Fahrradwege
bauen .


(Michael Donth [CDU/CSU]: Oh!)


Das Volksbegehren in Berlin hat gezeigt, dass die Leu-
te genau das wollen . Innerhalb von dreieinhalb Wochen
haben 105 000 Menschen unterschrieben, dass sie einen
sehr systematischen Umbau der Stadt wollen, sodass so-
wohl Kinder als auch alte Leute sicher und in Ruhe Fahr-
rad fahren können . Damit tragen sie ungleich viel mehr
zum Klimaschutz bei als mit den allertechnokratischsten
Modellen, die Sie sich überlegen können .

Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)


Sie tragen damit übrigens auch dazu bei, dass die Le-
bensqualität in den Städten besser wird . Sie tragen auch
dazu bei, dass es gute Arbeit gibt . Gute Arbeitsplätze in
der Verwaltung werden gefordert . Der öffentliche Dienst
in Berlin ist kaputtgespart worden . Wenn man vernünf-
tige Strukturen für das Fahrradfahren entwickeln will,
wenn man Stadtumbau machen will, braucht man mehr
Beschäftigte im öffentlichen Dienst . Natürlich braucht
ein  solcher Umbau  auch Baufirmen  und Unternehmen, 
die genau das organisieren . Mehr Fahrräder werden auch
gebraucht .

Wenn es Ihnen wirklich darum gehen würde, die Be-
schäftigten in der Automobilindustrie zu unterstützen,
dann würden Sie einen Umbaufonds einrichten . Dann
würden Sie die 7 Milliarden Euro, die Sie nutzen, um
Diesel zu subventionieren, dort einzahlen und den Leu-
ten, den Gewerkschaften und den Beschäftigten, sagen:
Überlegt euch, wie man das Geld so einsetzen kann, dass
niemand arbeitslos wird, dass es vernünftige Perspekti-
ven gibt und dass Arbeitszeitverkürzungsmodelle sub-
ventioniert werden . Da gibt es gute Erfahrungen . Aber
so weiterzumachen und die Automobilmanager weiter
am Ruder zu lassen und ihnen neue Geschäftsfelder zu
ermöglichen, das ist der falsche Weg .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Keine Autos, nur Fahrräder!)


Wir schlagen Alternativen vor . Ich hoffe, dass wir in
dieser Richtung irgendwann einmal einen Schritt weiter-
kommen .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817906500

Vielen Dank, Kollegin Leidig . – Für die SPD: Frank

Schwabe .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1817906600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Damen und Herren! Ich glaube, es ist in der De-
batte deutlich geworden: Wir sind mittendrin in einem
Veränderungsprozess von einer unglaublichen Dimensi-
on . Diese Dimension haben wir alle wahrscheinlich noch
gar nicht verstanden . Wir verändern unsere Art, Energie
zu produzieren . Wir werden in der Tat Industrie anders
organisieren, nicht weniger, aber wir werden ganz andere
Prozesse brauchen und ganz andere Produkte erzeugen .
Wir werden uns anders fortbewegen müssen . Der Ver-
kehr wird sich dramatisch verändern müssen . Wir werden
auch dramatische Veränderungen in der Landwirtschaft
brauchen, um unsere Klimaziele zu erreichen . In all dem
liegen Chancen und Risiken . Es ist unsere Aufgabe, dies
zu gestalten .

Es ist völlig klar: Mit der Klimakonferenz in Paris
sind diese Prozesse nicht nur in Deutschland, sondern
weltweit unumkehrbar geworden . Wir reden über das

Jahr 2050, wenn wir über den Klimaschutzplan oder Kli-
maschutzgesetze reden . Das ist in 34 Jahren; das ist eine
enorme Zeit . In dieser Zeit ist manches möglich . Es gibt
manche Technologiesprünge, die wir uns heute noch gar
nicht vorstellen können . Trotzdem ist es die Verantwor-
tung von uns allen, hier heute die Grundlage für eine sol-
che Politik bis zum Jahr 2050 zu legen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zwei Dinge sind nach Paris klar geworden . Zwei
Prinzipien funktionieren nicht . Das eine ist das Vo-
gel-Strauß-Prinzip, also den Kopf in den Sand zu stecken
und zu sagen, dass nichts gewesen ist . Es gibt ein paar,
die das so sehen . Ich habe beim Wirtschaftsrat der CDU
so etwas gelesen, aber ich nehme an, dass das nicht hand-
lungsleitend für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist .

Das Zweite, das nicht funktioniert, ist, zu sagen:
Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass . Man
kann nicht über das jubeln, was in Paris erreicht wurde,
und am Ende nicht bereit sein, die nationalen Konsequen-
zen zu tragen . Wenn man eine Begrenzung des Tempera-
turanstiegs auf 2 Grad Celsius – besser noch 1,5 Grad
Celsius – will, dann ist es eine Frage der Mathematik, zu
schauen, was das für die einzelnen Nationalstaaten heißt,
was das zum Beispiel für die Bundesrepublik Deutsch-
land heißt . Ich kann von dem, was Kollege Jung hier vor-
hin gesagt hat, alles unterstreichen . An einer Stelle würde
ich aber ein Stück wegstreichen . Ich glaube, das hast du
aber schon richtig intoniert . Du hast gesagt: Wir brau-
chen eine Reduktion um 95 Prozent . Dann hast du noch
hinterhergeschoben: bis 80 Prozent . – Das sind die Zie-
le, die wir einmal aufgeschrieben haben . Wenn man aber
Paris und die Verantwortung Deutschlands ernst nimmt,
dann ist völlig klar, dass es mindestens 95 Prozent sein
müssen; denn sonst können wir unseren Verpflichtungen 
nicht nachkommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der deutschen Klimapolitik haben wir sozusagen
mehrere Phasen gehabt . Wir hatten eigentlich immer
ganz gute Ziele . Für diese haben wir gemeinsam gestrit-
ten, übrigens auch in allen unterschiedlichen Bundesre-
gierungen . Zum Beispiel ist das Ziel von minus 40 Pro-
zent bis zum Jahr 2020 entstanden . Wir hatten auch
entsprechende Programme . Sie waren aber manchmal
nur mittelgut . Das hat man erkannt, wenn man sie sich
im Detail angesehen hat . Miserabel war aber der Prozess
der Überprüfung . Er war miserabel, weil es schwierig ist,
sich irgendwann einzugestehen, ob wir auf dem Weg zur
Erreichung des Ziels auf Linie sind oder nicht .

Deswegen, finde ich, gilt der gesamte Dank des Hau-
ses – ich habe das schon ein paar Mal gesagt; ich kann
das nur wiederholen – Ministerin Hendricks, die dafür
gesorgt hat, dass wir jetzt endlich Monitoring-Prozesse
haben . Ich würde sie Mrs Monitoring nennen .


(Beifall bei der SPD)


Denn das wird, glaube ich, am Ende von dem übrig blei-
ben, was sie für die deutsche Klimaschutzpolitik erreicht
hat .

Sabine Leidig






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt geht es um zwei zentrale Pläne . Das eine ist das
Klimaschutzprogramm 2020: minus 40 Prozent . Das an-
dere ist das, was gerade von der Bundesregierung erar-
beitet wird: der Klimaschutzplan 2050 .

Die Sozialdemokratie hätte sich ein Gesetz vorstel-
len können . Das stand in unserem Wahlprogramm . Am
Ende haben wir uns auf einen Plan geeinigt . Das heißt,
am Ende wird der Deutsche Bundestag nicht darüber
entscheiden, sondern das wird die Bundesregierung tun .
Aber es hilft nichts: Am Ende muss es ein Konzept sein,
das den nationalen Zielen gerecht wird . Das wird gerade
in der Bundesregierung erarbeitet und im Kabinett wahr-
scheinlich in Kürze beschlossen .

Unser gemeinschaftliches Signal aus dem Bundes-
tag muss sein: Wir wollen einen Klimaschutzplan, der
in der Tat in einzelnen Bereichen Maßnahmen vorsieht,
die vielleicht dem einen oder anderen nicht gefallen . Wir
wollen aber, dass er sich am Ende am Reduktionsziel von
minus 95 Prozent orientiert . Deswegen sind wir partei-
und fraktionsübergreifend der Meinung, dass die Minis-
terin unsere gesamte Unterstützung hat, wenn ein solcher
Plan entsprechend aufgelegt wird .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817906700

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von

Herrn Krischer?


(Heiterkeit bei der SPD – Zuruf von der SPD: Da freut er sich aber!)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1817906800

Ah ja .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817906900

Wenn Sie wollen; das ist Ihre Entscheidung .


Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1817907000

Ja .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817907100

Herr Kollege Schwabe, herzlichen Dank für die kla-

ren Aussagen, was 2050 angeht . Sie haben aber zwi-
schendurch in einem Satz gesagt, es gehe auch um das
Ziel 2020 . Die Große Koalition hat gearbeitet . Wir be-
schließen jetzt noch ein paar Gesetze, die eher in die
falsche Richtung gehen, Stichwort EEG morgen . Mich
interessiert: Glauben Sie mit Blick auf die Politik dieser
Bundesregierung, dass das Klimaschutzziel 2020 bei der
großen Lücke, die Sie beschrieben haben, noch erreich-
bar ist?


Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1817907200

Darüber hätte ich ein bisschen länger reden können .

Aber die Ministerin hatte ein bisschen überzogen . Da war
eine Minute bei mir weg . Aber danke, dass ich das jetzt
nachholen darf .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist gar keine Frage des Glaubens, sondern das ist
eine Frage der Ziele und der Wege, wie man Ziele er-
reicht .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erreichen Sie dieses Ziel?)


Natürlich ist das schwierig – das weiß jeder –: Wenn ich
sage, das alles sei wunderbar und werde mit Leichtig-
keit erreicht, ist das völliger Quatsch . Aber wir haben ein
nationales Reduktionsziel, das übrigens schon aus dem
Jahr 2007 und ziemlich alt ist . Wir hatten lange Zeit, uns
sozusagen diesem Ziel zu nähern . Das ist wahnsinnig
schwer zu erreichen . Wenn es aber eine Chance gibt, das
zu erreichen, liegt sie darin, jedes Jahr nachzuschauen:
Wo sind wir auf dem Weg der Zielerreichung? Dann ist
die Gelegenheit, das heftig zu diskutieren . Die Oppositi-
on wird Vorschläge machen, aber auch die Bundesregie-
rung muss Vorschläge machen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halten Sie das Ziel für erreichbar mit dieser Politik?)


Jedes Jahr muss überprüft werden, ob das Ziel erreicht
wird . Wir wollen, dass das Ziel erreicht wird . Wenn wir
nicht auf dem Weg der Zielerreichung sind, muss es neue
Maßnahmen einer Bundesregierung geben, die hier im
Bundestag beschlossen werden müssen .


(Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war noch keine Antwort! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Schwabe glaubt offensichtlich selbst nicht mehr daran!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817907300

Vielen Dank, Frank Schwabe . – Der nächste Redner

für die CDU/CSU: Matern von Marschall .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1817907400

Verehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank . – Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen haben an sich
völlig recht, lieber Kollege Hofreiter, mit dem Inhalt des
Antrages, dass echter Klimaschutz heute beginne . Ganz
recht haben sie aber nicht; denn er hat schon längst be-
gonnen . Wir haben etwa mit Blick auf die internationale
Unterstützung beim Klimaschutz die Mittel in der letzten
Dekade auf unterdessen fast 2,5 Milliarden Euro erhöht .
Das ist eine Verfünffachung der Mittel für den Klima-
schutz in zehn Jahren . Wir sind also nicht erst heute da-
bei, sondern wir arbeiten schon lange auch im internatio-
nalen Bereich am Klimaschutz .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Frank Schwabe [SPD])


Herr Hofreiter hat zu Beginn suggeriert, die Indus-
trie habe Angst um Arbeitsplätze im Zusammenhang mit
dem Klimaschutz . Das ist überhaupt nicht zutreffend .
Vielmehr werden für Arbeitsplätze sowohl bei uns wie
auch in den Ländern, in denen wir mit Unterstützung aus
dem BMZ Klimaschutz wirksam durchsetzen, natürlich
sehr umfangreiche Mittel eingesetzt .

Frank Schwabe






(A) (C)



(B) (D)


Schauen Sie: Ein besonders gutes Beispiel – das habe
ich mir heute Morgen noch angeschaut – ist in Marok-
ko der Solarpark Ouarzazate . Das ist ein unglaubliches
Projekt, das Sie sich mal anschauen müssen . Das ist
ein sogenanntes Parabolrinnenkraftwerk und nicht zu
vergleichen mit den Photovoltaikanlagen, die wir übli-
cherweise kennen, sondern das sind riesengroße Spiegel,
die auf einen zentralen Punkt hin ausgerichtet werden .
Dieser zentrale Punkt enthält eine Turbine . Diese Turbine
ist von Siemens gebaut . Die 500 000 – stellen Sie sich
das einmal vor: 500 000! – Parabolspiegel, die auf diese
Turbine ausgerichtet sind und das Licht konzentrieren,
kommen aus Bayern, von der Firma Flabeg .


(Beifall des Abg . Klaus Mindrup [SPD])


Das ist doch ganz beachtlich . Das ist ein gutes Zusam-
menspiel zwischen Förderung von Arbeitsplätzen in
Deutschland und erfolgreichem Klimaschutz, der dort
auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen dient .

Ich bin ja häufig und mit vielen Kolleginnen und Kol-
legen aus allen Fraktionen bei Klimaschutzprojekten –
auch mit Frau Kollegin Höhn, aber sie liest gerade; dabei
will ich sie nicht stören –,


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


die wir weltweit unterstützen, vor Ort gewesen . Wichtige
Fragen waren da immer: Sind diese Dinge nachhaltig?
Ist es also nicht einfach nur ein Investment, das nichts
bringt, sondern nützt es auch den Menschen vor Ort? Ge-
rade in Bezug auf dieses Solarprojekt in Marokko hören
wir von NGOs, etwa von Germanwatch: Jawohl, auch
die Menschen dort sind glücklich damit . – Es ist wichtig,
dass wir eben nicht nur einfach irgendwo Geld ausgeben,
sondern auch wissen, dass das für die örtliche Bevölke-
rung von einer nachhaltigen Bedeutung ist, dass sie es
positiv sieht und mitgenommen wird . Auch das gelingt
dort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das heißt, wenn wir diesen Ansatz verfolgen


(Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Frau Kollegin Baerbock, das will ich noch kurz zu Ende
bringen; dann kommt Ihre Frage, aber auch herzlich ger-
ne –, dann haben wir das, was in die Zukunft ausgerichtet
die wesentliche Präambel unseres politischen Handelns
sein muss, nämlich das Prinzip der Nachhaltigkeit . Denn
der Pariser Klimaschutzvertrag ist eben nicht isoliert von
dem zu sehen, was wir im September 2015 in New York
verabredet haben, nämlich die Sustainable Development
Goals . Wir nennen das vielleicht besser – damit ist es et-
was griffiger – den Weltzukunftsvertrag. 


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817907500

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung der Kollegin Baerbock?


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hatte mir schon das Wort erteilt!)



Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1817907600

Ja, ich hatte an sich schon kurz angedeutet, dass ich

das gerne machen würde .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817907700

Aber Sie haben ja geredet . Ich wollte Sie nicht unter-

brechen .


Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1817907800

Ja, genau . – Also, bitte schön, Frau Kollegin .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Er hatte mir ja netterweise schon das Wort erteilt . –
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen .

Sie sind ja explizit auf die nachhaltigen Projekte, die
wir alle befürworten, eingegangen . Aber wir wissen, dass
es  bei  der Auslandsfinanzierung  nicht  so  ist,  dass  das 
Geld überall sprudelt, sondern dass man Prioritäten set-
zen muss . Sie sagten, wie wichtig diese nachhaltigen und
grünen Projekte sind . Auch Sie wissen ja, dass – dieses
Unternehmen haben Sie angesprochen – Siemens, geför-
dert von der KfW IPEX-Bank, nach wie vor auf der einen
Seite einen wunderbaren Solarpark errichtet und auf der
anderen Seite zum Beispiel beim Kohlekraftwerk in Süd-
afrika als Zulieferer beteiligt ist . Deswegen meine Frage:
Wenn Sie es mit der Nachhaltigkeit in der Auslandsfinan-
zierung ernst meinen, werden Sie sich dann dafür ein-
setzen, dass wir zukünftig von der Auslandsfinanzierung 
fossiler Projekte Abstand nehmen, und wird das auch im
Klimaschutzplan der Bundesregierung bzw . des jetzigen
Umweltministeriums auftauchen? Denn bisher fehlt das
dort ja leider vollends .


Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1817907900

Frau Kollegin Baerbock, ich werde mich bestimmt

dafür einsetzen – da können Sie ganz sicher sein und
mich daran auch erinnern –, dass wir, soweit es geht und
so schnell es geht, auf die Förderung von Projekten, die
auch im Sinne des Klimaschutzes nicht nachhaltig sind,
verzichten . Wenn es sich um Projekte handelt, die einst-
weilen in einer auslaufenden Phase gefördert werden, die
also nicht vollständig CO2-frei sind, dann wird natürlich
auf jeden Fall und vor allen Dingen darauf geachtet wer-
den müssen, dass es sich um Projekte handelt, die ein
effizienterer Ersatz für eine vorher schmutzige oder noch 
schmutzigere Technologie sind . Aber die Zielrichtung
ist – da haben Sie vollkommen recht –, die Förderung
von Projekten aus Fossilen auslaufen zu lassen und nur
noch Erneuerbare zu fördern . Wenn das Ihre Frage beant-

Matern von Marschall






(A) (C)



(B) (D)


wortet: Dafür werde ich mich sicher gerne auch künftig
starkmachen .


(Beifall der Abg . Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte ganz kurz klarmachen, worum es in der
Zusammenschau geht . Erinnern wir uns einen Moment
daran, wo wir stehen geblieben waren: In Marokko geht
es nicht nur um den Einsatz von Mitteln aus dem Bun-
deshaushalt . Ich hatte ja erwähnt: Unterdessen sind es im
Bereich des Klimaschutzes 2,3 Milliarden Euro, die aus
dem BMZ kommen . Damit kommen 90 Prozent dessen,
was wir international in den Klimaschutz investieren, aus
dem BMZ, und wir sind dort übrigens global führend .
Das darf man an dieser Stelle auch noch einmal sagen .
Das heißt, wir sind gut . Wir müssen und können natürlich
noch besser werden, aber wir sind schon auf einem ganz
ordentlichen Niveau .

Ich glaube, es ist sehr wichtig, zu erkennen, dass die
Chancen, die wir mit der Entwicklung der erneuerbaren
Energien in Drittstaaten – auch außerhalb der Europäi-
schen Union – eröffnen, in Form von sauberem Strom,
der  zu  uns  zurückfließt,  auch  uns  zugutekommen  kön-
nen . Das entsprechende Kraftwerk hat eine Größe von
4 000 Fußballfeldern und eine Leistung von 500 Mega-
watt und kann den produzierten Strom in die Europäische
Union exportieren, sodass erneuerbare Energien von au-
ßerhalb der EU in die EU hineinkommen .

Dazu muss aber – damit möchte ich als Europapo-
litiker zum Schluss kommen – vor allen Dingen beim
Netzaufbau innerhalb der Europäischen Union auch eine
Kohärenz gegeben sein . Das ist unter dem Stichwort
„Energieunion“ thematisiert worden . Ich glaube, daran
wird im europäischen Kontext sehr stark und schnell zu
arbeiten sein, weil wir nur dann den günstig produzierten
Strom aus Photovoltaik- oder Parabolanlagen im Süden
auch wirklich in den Norden bekommen, und das ist das
Beste, was wir für die Arbeitsplätze dort und für markt-
gerechte und günstige Strompreise bei uns tun können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817908000

Vielen Dank, Herr Kollege . – Nächster Redner: Klaus

Mindrup für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Mindrup (SPD):
Rede ID: ID1817908100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde es gut, dass wir heute über eine lang angeleg-
te Politik diskutieren . Das ist in diesen hektischen und
kurzatmigen Zeiten sehr sinnvoll .

Wir brauchen einen ehrgeizigen Klimaschutz-
plan 2050, und ich bin der Bundesumweltministerin,
Frau Dr . Hendricks, dankbar, dass sie Anfang des Jahres
einen breiten Bürgerdialog durchgeführt hat . Wir haben
die Schwarmintelligenz unserer Bevölkerung genutzt,

und ich kann nur sagen: Die Vorschläge, die dort aufge-
schrieben wurden, werden uns noch über Jahre begleiten
und sind gutes Material für unsere weitere Arbeit .

Ich bin auch dankbar, dass es einen Klimaschutz-
plan 2050 der deutschen Zivilgesellschaft gibt . Organisa-
tionen wie Brot für die Welt, Greenpeace, BUND, WWF
und FÖS haben super Ideen aufgeschrieben . Das sollten
wir als Material für unsere Arbeit nutzen .

Ich gehöre nicht zu den Kolleginnen und Kollegen, die
der Meinung sind, man brauche in der Politik keine Vi-
sionen . Heute Morgen bin ich, wie fast jeden Tag, durch
meinen Wahlkreis gejoggt, den Prenzlauer Berg, und ich
habe mir überlegt, wie er eigentlich im Jahre 2050 ausse-
hen wird . Was passiert bis dahin?

Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass wir dann mehr
Grün im Stadtteil haben werden, weil Grün die Luft rei-
nigt, weil Grün für Abkühlung in der Stadt sorgt . Es wer-
den vielleicht nicht mehr Grüne sein – das ist aber ein an-
deres Thema –, aber es werden auch grüne Produktionen
in die Stadt ziehen müssen . Wir werden in 2050 keine
Autos mehr haben, die mit Benzin oder Diesel betrieben
werden . Wir werden Autos zwar nicht verbieten, aber wir
werden andere Antriebe haben – das hat die Umweltmi-
nisterin schon gesagt –, und ich bin der Auffassung, dass
wir in der Stadt ein anderes Mobilitätsverhalten haben
werden: Carsharing, Ausbau des ÖPNV, natürlich mehr
Fahrräder – auch elektrisch betriebene . 2050 werde ich
wahrscheinlich ein elektrisch betriebenes Fahrrad brau-
chen . Es wird in den Städten mehr Eigenerzeugung –
Stichworte: Photovoltaik, Brennstoffzellen, Wärme- und
Kältespeicher – geben, und wir werden die Produktion
in die Städte ziehen, zum Beispiel 3-D-Druck mit um-
weltfreundlichen Materialien . „Cradle to Cradle“ ist hier
ebenfalls ein wichtiges Stichwort .

Für mich ist das keine Zukunft, vor der man Angst ha-
ben muss . Angst müsste man davor haben, wenn wir jetzt
nicht entschieden handeln würden .

Die Warnungen der Klimawissenschaftler sind ernst
zu nehmen . Wir haben bereits – das ist heute ja auch
schon gesagt worden – die ersten empirischen Hinwei-
se darauf, dass der Klimawandel stattfindet und dass wir 
deswegen energisch handeln müssen .

Es gibt planetare Grenzen . Wir sind – das ist hier im
Haus schon mehrfach gesagt worden – die letzte Gene-
ration, die den Klimawandel begrenzen kann . Deswegen
haben wir eine besondere Verantwortung . Wenn wir über
Nachhaltigkeit reden, muss klar sein, dass das oberste
und wichtigste Ziel der Nachhaltigkeit die Einhaltung der
planetaren Grenzen ist . Die Ziele sind nicht gleichrangig;
das muss ganz klar sein .

Ich muss an dieser Stelle auch an die Verantwortung
der Bundeskanzlerin appellieren . Es ist richtig: Sie hat
sich an die Spitze des Klubs der Ambitionierten in Paris
gestellt . Wir müssen aber tatsächlich handeln und brau-
chen dafür auch die Unterstützung der großen Volkspar-
tei CDU, deren Vorsitzende sie ist, und keine Schüsse

Matern von Marschall






(A) (C)



(B) (D)


gegen den Klimaschutzplan, die im Augenblick von der
Seite kommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die SPD hat ein Klimaschutzgesetz gefordert . In die-
ser Koalition hat man sich erst einmal auf einen Klima-
schutzplan 2050 geeinigt, der durch das Kabinett gehen
wird . Aber ich bin auch der Auffassung, dass der Klima-
schutz in der nächsten Wahlperiode wieder auf den Tisch
gehört; denn Klimaschutz ist eine Aufgabe des Parla-
ments, und wir müssen das Parlament stärken .

Wir stehen vor einem tiefgreifenden Strukturwandel .
Der BDI sagt dazu, dass wir uns in diesem Zusammen-
hang vor Nachteilen fürchten müssen . Ich sage: Wir müs-
sen uns davor nicht fürchten . Im Augenblick geben wir
90 Milliarden Euro für Energie aus, nämlich für Importe
von fossilen Energien . Wenn wir dieses Geld im Land
für  Energieeffizienz  und  erneuerbare  Energien  nutzen, 
schaffen wir mehr Arbeitsplätze vor Ort . Das ist wichtig:
Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die größte Gefahr für den Klimaschutz ist das kurz-
fristige Denken . Bei Konzernen geschieht das oftmals im
Rhythmus von Quartalsberichten, also alle drei Monate .
Da sind Familienunternehmen und auch Gewerkschaften
wie die IG Metall weiter . Die Konzerne müssen aufpas-
sen, dass sie nicht die Zukunft verschlafen . Es ist eben
schon gesagt worden: Nicht die Politik regelt alles, son-
dern auch der Markt . Wir haben gesehen, wie unsere gro-
ßen Stromkonzerne in schwieriges Fahrwasser geraten
sind . Was passiert, wenn auch die Automobilunterneh-
men die Zukunft verschlafen? Auch sie müssen handeln,
nicht nur durch unsere Gesetze, sondern auch durch die
Reaktion der Verbraucher .

Wir werden im Jahr 2050 keine fossilen Brennstoffe
mehr nutzen können . Öl, Kohle und Gas werden dann in
der Erde bleiben müssen . Damit richten wir auch keinen
Schaden  in der Atmosphäre an. Das  ist gut  so.  Ich fin-
de es gut, dass wir morgen ein Verbot für das Schiefer-
gas-Fracking in Deutschland beschließen werden . Das ist
ein wichtiger Schritt und ein wichtiges Signal: Es muss
nicht alles aus der Erde geholt werden, was in der Erde
ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme nun zum Ende . Es gibt das schöne Zitat –
ich weiß gar nicht, von wem es kommt –: Die Steinzeit
ist nicht aus einem Mangel an Steinen zu Ende gegan-
gen . – Das Ölzeitalter wird auch nicht an einem Mangel
an Öl zu Ende gehen . Wir können handeln . Wind und
Sonne sind kostengünstig und gehören allen . Diese Ener-
gieformen müssen wir nutzen . Dann haben wir eine gute
Zukunft . Der Klimaschutz ist dann für alle gut und be-
zahlbar .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinnig originell!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817908200

Vielen Dank, Kollege Mindrup . – Nächste Rednerin

für die CDU/CSU-Fraktion: Dr . Herlind Gundelach .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1817908300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Klimaschutz – ich denke, darin sind wir uns einig – gibt
es nicht erst seit dem Abkommen von Paris . Seit Jahr-
zehnten treiben wir den Klimaschutz in Deutschland,
in Europa und in der Welt voran . Paris ist allerdings ein
Meilenstein – das haben wir heute schon mehrfach ge-
hört –, aber nicht nur für die deutsche Politik . Paris ist ein
Zeichen für mehr Klimaschutz in der ganzen Welt .

Dieser Umstand und auch diese Erkenntnis sind rele-
vant für die Weiterentwicklung unserer nationalen Kli-
mapolitik . Bei uns macht sich immer wieder – manchmal
leicht versteckt, manchmal etwas offener – die Haltung
breit – über die Motive will ich jetzt gar nicht spekulie-
ren –, dass Deutschland dem Klimawandel auch alleine
begegnen oder als Vorreiter vorangehen könnte, während
wenige andere folgen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das denn? Niemand sagt das!)


– Das kommt immer wieder . – Wenn ich mir den Antrag
der Grünen so durchlese, dann kann ich nur sagen: Das
ist zum Teil offensichtlich auch ihre Auffassung .

Ich bin in der Zwischenzeit seit über drei Jahrzehnten
in der Politik und habe zeitweise in dem gleichen Haus
gearbeitet, das jetzt den Klimaschutzplan entwickelt .
Meine Umweltminister hießen Töpfer und Merkel . Bei-
den gemein war die Erkenntnis, dass Klimaschutzpolitik
nur im internationalen Maßstab wirklich erfolgreich ge-
staltet werden kann . Wir als schwarz-rote Koalition ha-
ben daher aus gutem Grund im Koalitionsvertrag festge-
halten, dass wir den Klimaschutz europäisch denken und
dass unser zentrales Instrument – der Kollege Jung hat
das schon gesagt – im Kampf gegen den Klimawandel
der europäische Emissionshandel ist . Deswegen möchte
ich hier ausdrücklich mit einer immer wiederkehrenden
Fehlinterpretation aufräumen .

Der  europäische  Zertifikatehandel  gibt  dem  klima-
schädlichen CO2 einen Preis, zugegebenermaßen im
Augenblick nur einen sehr geringen . Das ändert aber
nichts daran, dass die Emissionen im vereinbarten Maße
zurückgehen, auch wenn der Ertrag für die öffentliche
Hand geringer ist als erwartet und deswegen aus Steuer-
geldern in einem Fonds nachgesteuert werden muss . In-
sofern entfaltet der europäische Emissionshandel durch-
aus seine Wirkung für den Bereich, für den er gedacht ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Klaus Mindrup






(A) (C)



(B) (D)


Diese europäische Lösung, der wir alle in diesem
Hause zugestimmt haben, führt aber zu einem Problem,
wenn wir im gleichen Feld eigene rationale Lösungen
einführen wollen . Alles, was wir zusätzlich einsparen,
kann an anderer Stelle – auch das ist schon mehrfach ge-
sagt worden – wieder verbraucht werden, direkt oder mit
einer gewissen Verzögerung . Das heißt, eine zusätzliche
deutsche Maßnahme in Sektoren, in denen der Zerfitika-
tehandel wirkt, hätte keinen Effekt auf die insgesamt für
diesen Bereich zur Verfügung stehende Menge an CO2 .
Ich glaube, das kann man nicht häufig genug betonen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Energie-
wende, ein wichtiger Baustein in der Klimapolitik, hat
noch immer eine große Unterstützung in der Bevölke-
rung . Aber wenn wir ehrlich sind, stellen wir fest: Diese
hat in den vergangenen Monaten durchaus gelitten . Hin-
tergrund ist: Die gestiegene EEG-Umlage, die Kosten für
den Netzausbau, der Netzausbau insgesamt, Mangel an
Netzanschlüssen, zu wenig Marktwirtschaft und zu viel
Planwirtschaft sowie steigende Redispatch-Kosten for-
dern durch dramatisch gestiegene Kosten ihren Tribut .

Ähnliches kann uns auch – darauf möchte ich hinwei-
sen – bei einer falschen und vermeintlich gutgemeinten
Klimapolitik passieren . Denn Klimapolitik ist – ich glau-
be, das zeigen auch viele Diskussionen, die wir vor Ort
führen – für die meisten Menschen nach wie vor abstrakt
und sehr schwer zu fassen . Theoretisch gefragt, unter-
stützt jeder die Klimapolitik, vor allem wenn das mit so
einfachen Fragen wie „Sind Sie für oder gegen Klima-
schutz?“ einhergeht .

Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland leisten
bereits ihren Beitrag zum Klimaschutz, und zwar auf
sehr unterschiedliche Weise . Denn die Durchführung
von  energieeffizienten  Maßnahmen  zum  Beispiel  ist 
auch Klimaschutzpolitik . Wir haben dazu in Deutschland
eine ganze Menge geleistet: Wir haben heute effizientere 
Kühlschränke, Energiesparlampen, Null-Energie-Häuser
und vieles andere mehr .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super! Super Konjunkturprogramm!)


– Ja, und damit wollen wir auch weitermachen .

Wenn Sie aber fragen, ob zum Beispiel Mietsteigerun-
gen aufgrund energetischer Sanierung oder der Wegfall
bzw . die Verlagerung von Arbeitsplätzen aufgrund höhe-
rer Energiekosten akzeptiert werden, käme vermutlich
eher eine negative Antwort . Das sollten wir auch und
gerade im Interesse des Klimaschutzes zu vermeiden
wissen . Deswegen ist für mich ganz wichtig: Wir müs-
sen die Menschen bei unserer Politik mitnehmen, und sie
müssen sie verstehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die CDU hat sich 1994 – das ist schon lange her – in
ihrem Grundsatzprogramm nach intensiver Diskussion
zur ökologischen und sozialen Marktwirtschaft bekannt .
Das heißt, wir haben uns zu marktwirtschaftlichen Struk-

turen mit ökologischen und sozialen Leitplanken be-
kannt . Das ist auch heute noch unsere Maxime .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817908400

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Bulling-Schröter?


Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1817908500

Im Prinzip ja, aber ich habe momentan wahnsinnige

Probleme mit meiner Stimme,


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Sehr seltsam!)


und deswegen bin ich froh, wenn ich gut zum Ende kom-
me .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Logisch! Bei den Grünen hätten Sie es schon erlaubt!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817908600

Okay, dann nicht .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Sehr seltsam!)



Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1817908700

Danke . – Denn wir sind eben nicht davon überzeugt,

dass Menschen sich aufgrund von staatlichen Vorgaben
ändern . Sie ändern ihr Verhalten aus Überzeugung oder
aus Eigeninteresse . Und das ist unser Weg: Wir wollen
überzeugen und sie durch Anreize dafür gewinnen, den
richtigen Weg zu gehen . Das Stichwort NAPE ist heute
schon gefallen . Dabei waren wir durchaus erfolgreich .
Von 1990 bis 2015 sank der Treibhausgasausstoß um
mehr als 27 Prozent .

Zeitgleich ist es uns gelungen – auch das möchte ich
betonen –, den Anteil der industriellen Bruttowertschöp-
fung bei rund 23 Prozent zu halten; in Europa beträgt
dieser Anteil 17 Prozent . Daraus resultiert nicht zuletzt
unsere Wirtschaftskraft .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Energiewirtschaft und die Industrie setzen heute
immer stärker auf eine Verzahnung von Energieumwand-
lung, Industrie, Mobilität, Gebäude, Wärme und flexible 
Speicherlösungen . Durch Digitalisierungsmärkte werden
die Energieeffizienz und die Flexibilität des Energiesys-
tems gestärkt und neue Wachstumsfelder erschlossen .
Die  Umstellung  auf  ein  intelligentes,  effizientes  Ener-
giesystem kann allerdings nur gelingen, wenn Planungs-
sicherheit und ein verlässlicher Ordnungsrahmen mit
gemeinsamen Standards geschaffen werden, damit Un-
ternehmen für Innovationen Sorge tragen können .

Daher sollten nach unserer Auffassung die in den
Klimaschutzplan aufzunehmenden Maßnahmen unter
folgenden Prüfkriterien ausgewählt werden: Kosten-Nut-
zen-Analyse, Auswirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit
und die Arbeitsplätze, Technologieoffenheit, Rechts- und
Investitionssicherheit, EU-Kompatibilität und letztend-
lich auch die Einbettung in ein globales Regime .

Dr. Herlind Gundelach






(A) (C)



(B) (D)


Ich bin sicher: Wenn wir so vorgehen, dann wird die
Regierung einen guten Klimaschutzplan vorlegen und
dann brauchen wir Ihr Klimaschutzgesetz definitiv nicht.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817908800

Vielen Dank, Frau Kollegin, und gute Besserung für

Ihre Stimme .

Der nächste Redner: Arno Klare für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1817908900

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren! In vier Minuten kann
ich nicht all das sagen, was ich eigentlich gerne sagen
würde . Aber ich werde trotzdem anfangen . Ich will über
Placebomaßnahmen reden, weil sich die Kritik am Kli-
maaktionsplan auch darauf bezieht .

Ein Placebo ist, wie wir alle wissen, ein Medikament,
eine Pille oder ein Therapeutikum, in dem kein Wirkstoff
enthalten ist . Im Klimaaktionsplan wurde gefordert: Wir
müssen den öffentlichen Personennahverkehr fördern .
Als diese Forderung aufgenommen worden ist, waren im
Haushalt an Regionalisierungsmitteln 7,299 Milliarden
Euro eingestellt . Jetzt steht da „8,2 Milliarden Euro“ . Das
ist kein Placebo, es ist Verum, ein Medikament, in dem
etwas drin ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Parallel dazu haben wir zweitens eine Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung – das ist in der Tat etwas
Kompliziertes, das in der Öffentlichkeit nicht sofort in
jedem Kopf ankommt – mit der Bahn verhandelt . Für die
nächsten fünf Jahre ist danach ein Investitionsvolumen
für die Infrastruktur der Bahn von 28 Milliarden Euro
vorgesehen . Auch das ist ein Rekordwert .

Drittens – da bin ich völlig anderer Meinung als Frau
Leidig – haben wir – das ist auch kein Placebo – 1,2 Mil-
liarden Euro – 600 Millionen Euro von der Automobil-
industrie und 600 Millionen Euro aus dem Bundeshaus-
halt – vorgesehen, um die Elektromobilität wirklich auf
die Straße zu bringen . Auch das ist ein Betrag, der Wir-
kung zeigen wird, und kein Placebo .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu kommen 300 Millionen Euro im Haushalt – sie
sind übrigens von Herrn Rimkus mit erstritten – für
15 000 Ladestellen, die gebaut und in der Bundesrepu-
blik Deutschland installiert werden sollen .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zehn Jahre zu spät!)


Zehn Jahre Kfz-Steuer-Befreiung sind da auch noch mit
enthalten .

Auch werden wir viertens – das ist ein weiterer wich-
tiger Punkt – die steuerliche Vergünstigung bei Erdgas
und Autogas verlängern, um eine Brückentechnologie zu
ermöglichen . Auch das werden wir tun . Das ist ebenfalls
kein Placebo .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Haushalt sind weitere entsprechende Positionen
enthalten . Brigitte Zypries ist für das Luftfahrtforschungs-
programm LuFo verantwortlich . Dafür sind – bitte, kor-
rigieren Sie mich, wenn ich mich vertue – 500 Millio-
nen Euro vorgesehen . Ist das richtig? – Damit wird die
Forschung angereizt und unterstützt . Das geschieht zum
Beispiel  mit  der  Programmlinie  „Ökoeffizientes  Flie-
gen“ . Dabei geht es um die Förderung von Spritsparen
und Lärmverminderung etc . aus dem Bundeshaushalt .
Auch diese 500 Millionen Euro sind kein Placebo . Auch
das ist Wirksamkeit!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich will keine Zwischenfragen, bitte schön .

Die Bundesregierung investiert auch in anderen Berei-
chen in Forschung . Sie investiert zum Beispiel in intel-
ligente Mobilität . Wir als Koalition haben einen Antrag
zur intelligenten Mobilität vorgelegt . Das hat etwas mit
Ökologie, mit Steuerung von Verkehr und mit Big-Da-
ta-Programmen – sie sind notwendig, um Intermodalität
möglich zu machen – zu tun . Ich weiß gar nicht, wie Sie
von der Opposition sich damals zu dem von uns gestell-
ten Antrag verhalten haben . Ich bin ziemlich sicher: Die
Linke hat ihn abgelehnt .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817909000

Herr Klare, lassen Sie eine Zwischenfrage zu oder

nicht?


Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1817909100

Nein, ich lasse sie nicht zu . – Wir investieren in

Power- to-X-Modelle . Da geht richtig viel Geld rein . Wir
investieren in Forschung und Entwicklung von autono-
mem Fahren und nicht zuletzt in den Bereich Logistik 4 .0 .
Das heißt, das Aktionsprogramm, das wir beschlossen
haben, wird umgesetzt . Das Klimaschutzprogramm ist –
die Ministerin hat es angekündigt – auf dem Weg . Es ist
in der Tat das Recht der Opposition, Kritik zu üben . Aber
nehmen Sie bitte, bevor Sie anfangen, lauthals Kritik zu
üben, endlich einmal die Fakten zur Kenntnis .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817909200

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin

Annalena Baerbock .

Dr. Herlind Gundelach






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Klare, schade, dass Sie die Zwischenfrage nicht
zugelassen haben . Sie haben ja gesagt, Sie hätten zu we-
nig Redezeit .

Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten von „Placebo“
geredet . Sie haben da vielleicht meiner Kollegin Höhn
nicht richtig zugehört . Das haben wir nicht gesagt, son-
dern wir haben über die Maßnahmen gesprochen, die
wirken . Und die Umweltministerin hat ja selber an-
gesprochen, dass wir im Verkehrsbereich leider einen
gegenteiligen Effekt haben, dass die Maßnahmen of-
fensichtlich nicht wirken und dass Geld allein – das ist
eine richtige Feststellung – hier nicht reicht . Deswegen
frage ich: Warum steht nichts über CO2-Grenzwerte im
Klimaschutzplan? Man beschreibt lediglich, dass es auf
EU-Ebene ja etwas gibt . Das Hauptinstrument jedoch,
worüber im Verkehrsbereich derzeit gestritten wird – da
gibt es offensichtlich Nachbesserungsbedarf –, taucht in
diesem Klimaschutzplan nicht auf . Und mit Geld allein
werden Sie dieses Defizit definitiv nicht heilen. So wird 
der Verkehrsbereich seinen Beitrag zum Klimaschutz in
Deutschland nicht leisten können .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817909300

Herr Kollege Klare, bitte .


Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1817909400

Meine Antwort lautet wie folgt: Erst einmal muss man

zwei Dinge – den Klimaaktionsplan 2020 und den Kli-
maschutzplan 2050 – auseinanderhalten .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Wir reden über 2050!)


Wenn Sie den Klimaschutzplan 2050, der jetzt, wie wir
gerade erfahren haben, im November vorgestellt werden
soll, bereits im endgültigen Wortlaut kennen, haben Sie
einen riesigen Vorsprung . Ich habe ihn noch nicht im
endgültigen Wortlaut vorliegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt, Sie reden gerade über etwas, was Sie gar nicht
kennen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, wir kennen den!)


Sie reden so über das, was Sie nicht kennen, als sei das,
was Sie sagen, definitiv.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, wir kennen den!)


Das ist unredlich .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie mit Ihrem Ministerium! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesepause!)


Ich gebe Ihnen völlig recht – da sind wir gar nicht aus-
einander –, dass wir im Verkehr eine enorme Aufgabe vor

uns haben . Ich habe gerade versucht, an wenigen Punk-
ten deutlich zu machen, wie wir es schaffen können, dass
wir durch eine Dekarbonisierungsstrategie den Verkehr
wirklich sauber bekommen . Es ist schon einiges von dem
realisiert worden, was Sie angemahnt haben .


(Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] hält ein Papier hoch)


Sie haben gefordert, dass es eine Kaufprämie geben
möge . Ihr von mir übrigens sehr geschätzter Kollege
Stephan Kühn hat am Rednerpult gestanden und eine
Prämie für den Kauf eines Elektrofahrzeugs gefordert .
Jetzt wird sie gemacht, und Sie kritisieren sie .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Das ist für mich völlig unbegreiflich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817909500

Der letzte Redner in dieser lebhaften Debatte ist der

Kollege Günter Lach für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Günter Lach (CDU):
Rede ID: ID1817909600

Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!


(Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] legt dem Abg . Arno Klare [SPD] ein Papier vor)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817909700

Entschuldigung . – Der Kollege möchte jetzt gerne re-

den .


Günter Lach (CDU):
Rede ID: ID1817909800

Ich würde auch gerne mitdiskutieren .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817909900

Nein, Sie reden jetzt .


(Heiterkeit)


Entschuldigung . – Bitte, Herr Lach .


Günter Lach (CDU):
Rede ID: ID1817910000

Frau Präsidentin! Der Tagesordnungspunkt 6 a lautet

„Klimaschutzplan 2050“ und hat den Untertitel „Echter
Klimaschutz beginnt heute“ . Ich würde sagen: Wir alle
machen mit .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Abg . Volker Kauder [CDU/CSU] gewandt: Wir haben ihn!)


Diese Diskussion hat gezeigt, dass wir uns doch alle
einig sind, dass das verbindliche Abkommen der UN-Kli-
makonferenz von Paris ein großer Durchbruch für den
weltweiten Klimaschutz gewesen ist . Es ist das erste
Klimaschutzabkommen,  das  alle  Länder  in  die  Pflicht 






(A) (C)



(B) (D)


nimmt . Die Weltgemeinschaft bekennt sich völkerrecht-
lich verbindlich zum Ziel, die Erderwärmung auf unter
2 Kelvin zu begrenzen . Es ist nicht zu leugnen, dass wir
noch weitere Anstrengungen unternehmen müssen, um
die Ziele von Paris umzusetzen .

Das müssen wir unbestreitbar, auch im Verkehrssek-
tor . Hier gilt es vor allen Dingen, die CO2-Emission
bei der Kraftstoffverbrennung zu verringern . Die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen hat den Antrag gestellt,
Verkehrs politik auf Klimaschutzziele auszurichten . Sie
kritisiert darin die bisherigen klimapolitischen Maßnah-
men der Bundesregierung im Verkehrssektor und spricht
sogar von einem „blinden Fleck“ . Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen, ich kann Ihre Ansicht nicht teilen . Im
Gegenteil: Mit den zahlreichen Programmen und Maß-
nahmen hat die Bundesregierung ein deutliches Zeichen
gesetzt . Ich nenne hier nur das Aktionsprogramm Klima-
schutz 2020 .

Es stärkt zum Beispiel die Schiene und sieht Inves-
titionen in die Wasserstraßen vor . Hier möchte ich ein
Beispiel zur Investition in Wasserstraßen nennen . In der
Region, aus der ich komme, haben wir den bekannten
Mittellandkanal . An diesem Mittellandkanal liegt ein gro-
ßes Automobilwerk . Wir haben vor zehn Jahren versucht,
viele Güter auf diese Wasserstraße zu bringen . Dazu war
es erforderlich, die Wasserstraße nach europäischen Nor-
men auszubauen . Als es dann um die Ausbaumaßnahmen
ging, nämlich um eine kleine Vertiefung und darum, die
Böschung zu erweitern,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Waren die Grünen dagegen!)


waren es die Grünen, die diese Ausbaumaßnahmen be-
hindert haben .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus Naturschutzgründen, ja!)


Das kann natürlich keine klimafreundliche Politik sein .

Ich nenne ein weiteres Beispiel, nämlich Güter ver-
stärkt auf die Bahn zu bringen . Hier haben wir erhebli-
che Probleme beim Lärmschutz, gerade in den Ballungs-
gebieten . Wenn in den Ballungsgebieten Güterzüge im
Zehnminutentakt an Wohnbereichen vorbeifahren, müs-
sen wir für ausreichenden Lärmschutz und dergleichen
sorgen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Dafür gibt es Maßnahmen!)


Das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 beinhaltet
aber auch eine Stärkung des öffentlichen Personennah-
verkehrs sowie den Ausbau von Fuß- und Radwegenet-
zen . Ich komme aus einer Stadt, die Autos baut . Gestern
fand eine Sitzung des Rates der Stadt Wolfsburg statt .
Es wurden bei dieser Ratssitzung allein zehn neue Fahr-
radwege mit insgesamt 120 Kilometern auf den Weg ge-
bracht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herzlichen Glückwunsch! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Zehn! Dann ist der Klimaschutz ja gerettet! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und das in Wolfsburg!)


– Und das in Wolfsburg, der Autostadt .

Wenn ich schon einmal bei Wolfsburg bin, Frau
Leidig: Was Sie vorhin über die Automobilindustrie ge-
äußert haben, ist, meine ich, erschreckend . Dass wir hier
in Deutschland diesen Wohlstand haben, ist auch ein gro-
ßer Verdienst der Automobilindustrie in Deutschland .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie meinen, wir sollten alle nur kleine Autos fah-
ren: Die Zeit des Trabbis ist vorbei .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Die Linke fährt auch Porsche! Zumindest teilweise!)


Wir setzen weiter auf Elektromobilität . Ich bin hier
ganz ehrlich – ich bin selbst ein Autobauer, ich war
40 Jahre im Betrieb –, ich gestehe es: Wir haben die
Elektromobilität ein bisschen vernachlässigt . Darum bin
ich froh, dass gestern bei der Aktionärsversammlung des
größten deutschen Automobilherstellers seitens des Vor-
stands gesagt wurde: Wir setzen verstärkt auf Elektromo-
bilität . – Es ist ein richtiges Zeichen, das hier von der
Automobilindustrie gesendet wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Gestatten Sie mir noch ein Wort .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817910100

Ein Wort, ja .


Günter Lach (CDU):
Rede ID: ID1817910200

Ein Wort muss ich noch sagen . Ich rede so wenig; da-

her darf ich jetzt ruhig eine Minute nachholen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817910300

Das ist jetzt wirklich kein Argument . Das klären Sie

bitte mit Herrn Kauder .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Günter Lach (CDU):
Rede ID: ID1817910400

Ich möchte ein Wort zum Kollegen Hofreiter sagen,

der vorhin etwas zur Braunkohle gesagt hat . Ich war am
vergangenen Montag bei einer Veranstaltung im Helm-
stedter Revier, wo es um die Braunkohle ging und um das
Braunkohlekraftwerk Buschhaus .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Investor ist der, der Vattenfall kaufen will!)


Wenn Sie dort mit den Menschen sprechen, dann stellen
Sie fest: Diese Menschen haben eine ganz andere Ein-
stellung . Wir, die Politik, müssen aufpassen, dass wir die
Menschen nicht alleinlassen . Es geht nicht an, dass die
Firmen, die die Kraftwerke abschalten, das Geld kassie-

Günter Lach






(A) (C)



(B) (D)


ren, und Arbeiter auf der Straße stehen und keinen Sozi-
alplan haben .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Menschen beim
Klimaschutz mitnehmen .

Ich danke dafür, dass ich ein bisschen länger sprechen
durfte . Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Tag
und hoffe, dass sich das Sitzungsende nicht nach hinten
verschiebt .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817910500

In Zukunft vereinbaren Sie die Redezeiten bitte mit

Ihrer Fraktionsführung . – Vielen Dank, Herr Kollege
Lach . – Damit schließe ich die Aussprache .

Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie 6 d und 6 e .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 18/8876, 18/8080, 18/7887 und 18/8877 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . – Sie sind damit einverstanden . Dann sind die
Überweisungen so beschlossen .

Tagesordnungspunkt 6 c . Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Festlegung
nationaler Klimaschutzziele und zur Förderung des Kli-
maschutzes . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/8770, den Gesetzent-
wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/1612 abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt . Zustim-
mung zum Gesetzentwurf: Bündnis 90/Die Grünen und
Linke . Ablehnung des Gesetzentwurfes: CDU/CSU und
SPD . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung .

Zusatzpunkt 1 . Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für ein Rah-
menprogramm für Klima- und Klimafolgenforschung“ .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung 
auf Drucksache 18/8873, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7048 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD; dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .

Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, bitte ich
Sie, die Plätze einzunehmen oder zu tauschen . Ich bitte
Sie, das auch zügig zu tun .

Ich rufe die Zusatzpunkte 2 und 3 unserer Tagesord-
nung auf:

ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenar­
beit – 25 Jahre deutsch­polnischer Vertrag
über gute Nachbarschaft und freundschaftli­
che Zusammenarbeit

Drucksache 18/8861

ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenar­
beit – 25 Jahre deutsch­polnischer Vertrag
über gute Nachbarschaft und freundschaftli­
che Zusammenarbeit

Drucksache 18/8765

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Lassen Sie mich im Namen des ganzen Bundesta-
ges auf der Ehrentribüne herzlich begrüßen Jerzy Jozef
Marganski, den Botschafter der Republik Polen. Sei-
en Sie uns willkommen!


(Beifall)


Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort an
Axel Schäfer für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU])



Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1817910600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Freund Marganski, am 16 . April 1945, nach der
Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald bei
Weimar durch amerikanische Soldaten, verfassten de-
mokratische Sozialisten aus acht Nationen ein Manifest .
Darin stand: Wir wollen die Vereinigten Staaten von
Europa . Für Deutschland ist es nach diesem Krieg das
Wichtigste, eine Verständigung und eine Freundschaft
mit Frankreich und Polen anzustreben . – Das ist uns ge-
meinsam gelungen . Vielen Dank .


(Beifall im ganzen Hause)


Wenn wir heute zum 25 . Jahrestag über den pol-
nisch-deutschen Freundschaftsvertrag reden, reden wir
auch über das Fundament, auf dem dieser Vertrag steht:
Ja, es war die Denkschrift der EKD zur Ostpolitik, ja, es
war der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe in Polen,
ja, es war der Kniefall von Willy Brandt im Warschauer
Ghetto 1970, und, ja, es war Solidarnosc ab 1980, die
Frieden und Verständigung in Europa und insbesondere
die deutsch-polnischen Beziehungen, so wie wir sie heu-
te haben, tatsächlich ermöglicht haben .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der deutsch-polnische Vertrag ist ohne die Europapo-
litik von Helmut Kohl nicht denkbar – ebenso wie das
Weimarer Dreieck nicht ohne die damaligen Außenmi-

Günter Lach






(A) (C)



(B) (D)


nister Genscher, Skubiszewski und Dumas denkbar ist .
Der Beitritt Polens zur Europäischen Union 2004, auch
unter den Konditionen, war nur möglich, weil ein deut-
scher Bundeskanzler, Gerhard Schröder, sich in beson-
derer Weise im Kreise seiner Kolleginnen und Kollegen
der Staats- und Regierungschefs der EU dafür eingesetzt
hat . Das ist wichtig zu wissen, das ist wichtig zu erin-
nern . Denn es ist klar: Das Geheimnis der Versöhnung
und der Verständigung ist die Erinnerung . – Das leisten
wir heute .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir leisten das in einer Zeit, in der wir vor außer-
gewöhnlichen Herausforderungen stehen, die auch die
Beziehung zwischen unseren beiden Ländern betreffen .
Deshalb war es gut, dass die Bundeskanzlerin und die
polnische Regierungschefin gestern deutlich gemacht ha-
ben, dass es morgen von deutscher und polnischer Seite
ein klares Signal geben wird – ich glaube, auch ein klares
Signal der 27 Staats- und Regierungschefs der EU – für
den Zusammenhalt, für den weiteren Integrationsweg in-
nerhalb dieser Gemeinschaft, die wir haben, die wir wol-
len und an deren Erfolg wir gemeinsam arbeiten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen die Probleme klar benennen und das euro-
päische Selbstverständnis gerade an einem Tag wie heute
unterstreichen . Manches Komplizierte ist ja ganz einfach .
Erstens . Es kann keinem Land alleine gut gehen, wenn
es den Nachbarn schlecht geht . Zweitens . Das wichtig-
ste Interesse jedes Mitgliedslandes in der EU bleibt die
Einigung . Drittens . Nationalismus ist Fremdenhass . Das
gemeinsame Europa ist auch Nächstenliebe . – Das ist
es, was uns alle hier in diesem Hause von denen unter-
scheidet, die außerhalb dieses Hauses die Zerstörung der
Europäischen Union und damit auch die Zerstörung der
deutsch-polnischen Zusammenarbeit faktisch voranbrin-
gen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade weil wir
uns in so vielen Dingen so nahe sind, gerade weil die
deutsch-polnische Zusammenarbeit eine Erfolgsge-
schichte der letzten 25 Jahre ist, muss auch kritisch mitei-
nander geredet werden . Ja, man braucht auch Tapferkeit
vor dem Freund . So etwas wie der Rechtsstaatsmecha-
nismus, den die EU wegen konkreter politischer Kritik
an der polnischen Regierung jetzt in Gang gesetzt hat,
ist selbstverständlich erlaubt . Es geht in der Politik im-
mer auch um Kritik an bestehenden Regelungen und be-
stehenden Regierungen . Das heißt aber nicht, dass wir
ganze Völker oder unsere Zusammenarbeit kritisieren .
Dieses Missverständnis muss von uns unbedingt ausge-
räumt werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wir machen das, indem wir jeden Tag daran arbei-
ten, dass dieses deutsch-polnische Gemeinschaftswerk
im Alltag gelingt . Ich komme aus Bochum . Dort gab es
vor 100 Jahren einen großen Bevölkerungsanteil, der aus
unserem östlichen Nachbarland zugewandert war . Heute
haben wir dort das  im Aufbau befindliche Dokumenta-
tionszentrum Porta Polonica . Heute haben wir dort eine
Vielzahl von Veranstaltungen, die deutlich machen: Ja,
wir wollen das Gemeinsame benennen, ohne Trennendes
einfach zu vergessen . Es wird darauf ankommen, dass
wir in diesem Jahr das, was beide Länder in Verantwor-
tung in Europa einbringen können, auch umsetzen . Wir
wissen, dass die Gefährdung, der Europa heute ausge-
setzt ist, nicht mehr darin besteht, dass wir uns politisch
über diesen oder jenen Tatbestand inhaltlich streiten .
Vielmehr geht es um die Existenz der Europäischen Uni-
on . Die Existenz der Europäischen Union werden wir nur
gemeinsam sichern, wenn wir auch bilateral in der Lage
sind – besonders deutsch-französisch und deutsch-pol-
nisch –, mit Partnerschaften vor Ort, mit Schüleraus-
tausch, mit allen anderen Projekten, die wir gemeinsam
vorangebracht haben, immer und immer wieder die Zu-
sammenarbeit und das gemeinsame Europa zu stiften .
Wir haben eine klare Ausrichtung . Diese lautet: Nicht
mit dem Scheitern drohen, sondern ins Gelingen verliebt
sein .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817910700

Vielen Dank, Axel Schäfer . – Der nächste Redner für

die Linke: Thomas Nord .


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Nord (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817910800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr

Botschafter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Noch vor einem Jahr hätte man
annehmen können, die heutige Debatte über den 25 . Jah-
restag des Vertrags über gute Nachbarschaft und freund-
schaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und
Polen würde eine unaufgeregte Würdigung . Die Bezie-
hungen zwischen Deutschland und Polen sind in vielen
Bereichen gut und robust . Trotz der aktuellen Differen-
zen ist es das beste Verhältnis zwischen beiden Staaten
seit Jahrhunderten .

Zum 20 . Jahrestag gab es einen Antrag aller Fraktio-
nen, mit Ausnahme meiner Fraktion . Der 25 . Jahrestag
des Nachbarschaftsvertrags wäre ein sinnvoller Anlass
gewesen, auch meine Partei in die Debatte einzubezie-
hen . Stattdessen haben wir nun zwei verschiedene An-
träge, einen Antrag der Regierungsfraktionen und ei-
nen der Grünen . Der Stein des Anstoßes, die Charta der
deutschen Heimatvertriebenen, hat hier seit Jahren keine
Rolle mehr gespielt . Dass die Union gerade jetzt dieses
Thema aus der Mottenkiste holt, ist dem Anlass unange-
messen, ist rückwärtsgewandt und nicht auf die wesentli-

Axel Schäfer (Bochum)







(A) (C)



(B) (D)


chen Fragen für die deutsch-polnische Zukunft sowie der
Europäischen Union ausgerichtet .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Also führen wir erneut die Geschichtsdebatte . Jahr-
hundertelang waren die Polinnen und Polen Spielball
europäischer Großmächte und Opfer machtpolitischer
Absprachen – häufig zugunsten Russlands und Preußens 
bzw . später Deutschlands . Daher kann die Sicht auf den
September 1939 hierzulande auch nicht die polnische
sein . Die deutsche Perspektive darf nicht hinter die Fest-
stellung Richard von Weizsäckers zurückfallen, nach der
der 8 . Mai und seine Folgen – also auch der Überfall auf
Polen und die Sowjetunion – untrennbar auf den Beginn
der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland 1933
zurückzuführen sind . Weiter heißt es: „Die Initiative zum
Krieg aber ging von Deutschland aus, nicht von der So-
wjetunion .“


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das waren noch Christdemokraten!)


An dieser Verantwortung Deutschlands ändert auch
der „Teufelspakt“ – wie ihn der Historiker Sebastian
Haffner nannte – zwischen Hitler und Stalin nichts . Aus
polnischer Perspektive gehören der Hitler-Stalin-Pakt
und sein Vollzug zur vierten Teilung Polens . Es gab
nicht nur Millionen Opfer der nationalsozialistischen
Blut-und-Boden-Ideologie, sondern auch Hunderttausen-
de Opfer durch stalinistische Säuberungen . Polen hatte
im Zweiten Weltkrieg – gemessen an der Bevölkerungs-
zahl – die meisten Opfer zu beklagen . 17 Prozent der Be-
völkerung wurden getötet . Himmlers „Generalplan Ost“
hatte nicht nur das Ziel, 50 bis 60 Prozent der Russen,
sondern auch 80 bis 85 Prozent der polnischen Bevöl-
kerung zu vernichten und zu vertreiben . Nicht nur Polen
als Staat, sondern auch die Polinnen und Polen sollten
ausgelöscht werden . „Germanisierung“ nannte sich das
in der Sprache der Dichter und Denker . Gemessen daran
ist die Aussage in der Charta der deutschen Heimatver-
triebenen geradezu zynisch:

Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung
am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom
Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen emp-
finden.

Die Polinnen und Polen konnten nach dem Zweiten
Weltkrieg keine souveräne Entscheidung über ihre Zu-
kunft treffen . Die Entscheidung über die polnische Nach-
kriegsexistenz haben die Alliierten in Jalta getroffen,
ohne die Polen selbst zu fragen, und das, obwohl Hun-
derttausende von ihnen auch in den alliierten Armeen
zum Sieg über Hitler beigetragen haben .

Polen hat sich das Recht, souverän über Gegenwart
und Zukunft zu entscheiden, hart erkämpft . Seine Ent-
scheidungen sind gerade von uns Deutschen zu respek-
tieren . Das schließt den demokratischen Diskurs über
politische Differenzen mit ein . Aber weder Äußerungen,
dass man Polen „unter Aufsicht“ stellen sollte, noch das
Drohen mit Sanktionen sind hier hilfreich, im Gegenteil .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen ist es auch gut, dass die Gestaltung der ak-
tuellen Zusammenarbeit einen großen Teil des Antrags
der Regierungsfraktionen ausmacht . Hier gibt es viele
gemeinsame Aufgaben und Ziele, auf die wir uns kon-
zentrieren sollten . Aus meiner Arbeit als Vorsitzender der
Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe und als Ab-
geordneter, dessen Wahlkreis an Polen grenzt, weiß ich,
welche große Bedeutung eine konstruktive Zusammen-
arbeit zwischen unseren Ländern im Alltag vieler Men-
schen beiderseits der Oder hat . Ohne Zweifel hat diese
in der Wirtschaft, beim Ausbau der Infrastruktur, bei der
Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, im Verhält-
nis zwischen den Kommunen und der Zivilgesellschaft,
bei Bildung, Wissenschaft und Kultur große Fortschritte
gemacht . Der Antrag zählt dafür viele konkrete Beispiele
auf .

Selbstverständlich bleibt viel zu tun, kann es besser, in-
tensiver und gründlicher gemacht werden . Die Forderun-
gen an die Bundesregierung in diesem Zusammenhang
tragen wir weitgehend mit . Mich persönlich bewegen
dabei der bedarfsgerechte Ausbau weiterer grenzüber-
schreitender Verkehrsverbindungen und die Entwicklung
des deutsch-polnischen Grenzgebietes als gemeinsamer
Wirtschaftsraum . Das ist für die Oderregion von priori-
tärer Bedeutung . Wichtig scheint es mir zu sein, Forde-
rungen nach Förderung der in Deutschland lebenden Po-
linnen und Polen sowie polnischstämmiger Bürgerinnen
und Bürger und die Verbreitung der polnischen Sprache
verstärkt in konkretes Handeln umzusetzen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsch-polni-
schen Beziehungen waren schon in der Vergangenheit
häufig mehr als eine bilaterale Frage. Heute gilt das umso 
mehr . Die aktuellen Debatten mit der neuen Regierung
Polens sind daher auch mehr als eine Debatte zwischen
Nachbarn, nämlich eine über die Zukunft der Europäi-
schen Union . Diese Zukunft ist für beide Staaten eine
zentrale, vermutlich sogar existenzielle Frage . Umso
mehr kommt es in den kommenden Monaten und Jahren
darauf an, die gemeinsamen Interessen in den Fokus bi-
lateraler Politik zu stellen . Weimarer Dreieck und Vise-
gradgruppe sind zum Beispiel keine Gegensätze, sondern
können sich vorteilhaft ergänzen . Polen ist zweifellos ein
Schlüsselstaat für den Erfolg der EU-Osterweiterung .
Diese Aufgabe erfordert jedoch weiterhin die Solidarität
aller Mitgliedstaaten .

Das EU-Rechtsstaatsverfahren und die Kritik der Ve-
nedig-Kommission des Europarates müssen ihre Grund-
lagen ausschließlich in der Mitgliedschaft Polens und
den damit eingegangenen rechtlichen Vereinbarungen
zwischen souveränen Mitgliedstaaten der EU über unver-
letzbare Grundstandards zu Rechtsstaatlichkeit, Unab-
hängigkeit der Justiz sowie Presse-, Kunst- und Medien-
freiheit haben . Der humanitäre Umgang mit Flüchtlingen
ist eine gemeinsame europäische Herausforderung, die
sowohl eine solidarische Grundhaltung gegenüber den
Flüchtenden als auch zwischen den Mitgliedstaaten der
EU erfordert .

Gestern, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde hier
im Plenum, am 75 . Jahrestag des Überfalls auf die So-
wjetunion, sehr nachdenklich über die Verantwortung
Deutschlands für die Gestaltung der gegenwärtigen Be-

Thomas Nord






(A) (C)



(B) (D)


ziehungen zu Russland diskutiert . Es gibt keinen Grund,
auch nur das Geringste von dem infrage zu stellen, was
mein Kollege Gysi hier dazu gesagt hat . Zugleich soll-
ten wir bei dieser Debatte immer in Erinnerung behalten,
dass dem Überfall auf die Sowjetunion der auf Polen vo-
rausging . Wer eine Politik der friedlichen und nachhalti-
gen Koexistenz sowie ein kollektives System für Frieden
und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands an-
strebt, kann und darf nicht aus den Augen verlieren, dass
diese Sicherheit auch eine für die mittel- und osteuropäi-
schen Staaten sein muss .


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese lässt sich nicht durch Säbelrasseln und Wettrüsten
erreichen und setzt die Bildung von Vertrauen zwischen
allen betroffenen Staaten voraus .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die wechselseitige Garantie der bestehenden Gren-
zen ist dafür unerlässlich . Gerade der 25 . Jahrestag des
deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages ist ein guter
Anlass, dies festzustellen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817910900

Vielen Dank, Thomas Nord . – Nächster Redner ist

Dr . Franz Josef Jung für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1817911000

Frau Präsidentin! Herr Botschafter! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Unterzeichnung des Vertrages über gute
Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit
zwischen Deutschland und Polen vom 17 . Juni 1991 mar-
kiert den Beginn einer neuen Ära in der Geschichte der
deutsch-polnischen Beziehungen . 25 Jahre deutsch-pol-
nischer Nachbarschaftsvertrag ist eine Erfolgsgeschichte
der Versöhnung, der Partnerschaft und der Freundschaft
unserer beiden Völker . Deshalb können wir heute dank-
bar diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen .


(Beifall im ganzen Hause)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bei der Un-
terzeichnung des Vertrages gab es die Hoffnung, dass es
so kommen würde . Aber es mussten noch ein paar Hin-
dernisse aus dem Weg geräumt werden . Bundeskanzler
Helmut Kohl hat damals wörtlich formuliert – ich zitie-
re –:

Deutsch-polnische Versöhnung kann nicht durch
Regierungen verordnet . . . werden . Im Gegenteil,
das Werk der Versöhnung kann nur gelingen, wenn
unsere beiden Völker sich dazu bekennen, wenn je-
der Deutsche und jeder Pole es auch als seine per-

sönliche Aufgabe annimmt . Mit dem Vertragswerk
haben die Regierungen das Feld bereitet für gute
Nachbarschaft, enge Partnerschaft, freundschaftli-
che Zusammenarbeit .

Heute können wir feststellen: Die Erwartungen und
Hoffnungen wurden erfüllt . Wir haben eine intensive Zu-
sammenarbeit zwischen Deutschland und Polen .

Es war ein Akt menschlicher Größe und christlicher
Gesinnung, dass Polen jenem Land eine versöhnende
Hand gereicht hat, das die Verantwortung für die an Mil-
lionen von Polen verübten Verbrechen trägt . Beispielhaft
steht dafür der Brief der polnischen Bischöfe an ihre
deutschen Amtsbrüder, in dem es heißt: „Wir vergeben
und bitten um Vergebung .“ Der Versöhnungsgedanke
wurde von vielen Bürgerinnen und Bürgern auf bei-
den Seiten vorangetrieben. Ich finde, er hat auch in der 
Charta der deutschen Heimatvertriebenen seinen Nieder-
schlag gefunden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich will es – gerade im Hin-
blick auf das, was gerade formuliert wurde – so sagen:
Wenn man bedenkt, dass 8 Millionen Menschen Vertrei-
bung erlitten haben, ist es schon zu würdigen, dass 1950
der versöhnende Charakter der Charta vonseiten der Hei-
matvertriebenen unterstrichen worden ist .

Meine Damen und Herren, der über Jahrzehnte andau-
ernde Prozess der gesellschaftlichen und politischen Aus-
söhnung zwischen Polen und Deutschen hat zur Über-
windung der Spaltung Europas beigetragen . Wir sind
noch heute der Solidarnosc-Bewegung für ihre friedliche
Revolution dankbar, die letztendlich die Mauer zwischen
Ost und West mit zum Einsturz gebracht hat .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817911100

Herr Dr . Jung, erlauben Sie eine Zwischenfrage?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1817911200

Nein, ich möchte gern im Zusammenhang vortragen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817911300

Gut . Danke schön .


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1817911400

In diesem Zusammenhang ist auch das positive Wir-

ken des polnischen Papstes Johannes Paul II . positiv zu
würdigen . Die Versöhnungsmesse in Kreisau, die dort
stattgefundene Umarmung zwischen Bundeskanzler
Helmut Kohl und Ministerpräsident Mazowiecki, hat ein
deutliches Zeichen des Miteinanders gesetzt .

Heute ist Polen fest in die Europäische Union und
in die NATO eingebunden. In ein paar Tagen findet der 
NATO-Gipfel in Warschau statt . Auch die Einbindung
deutscher und polnischer Soldaten in das multinatio-
nale Korps in Stettin macht die enge Zusammenarbeit
zwischen beiden Ländern deutlich . Gerade wenn wir in
schwierigen Zeiten zum gemeinsamen Handeln aufge-
fordert sind, ist es wichtig, in Verantwortung, Solidarität

Thomas Nord






(A) (C)



(B) (D)


und gegenseitigem Verständnis für die Betroffenheit des
Partners zusammenzuwirken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies gilt beispielsweise im Zusammenhang mit der Mi-
litärintervention Russlands in der Ukraine, dem Krieg
in Syrien, der Bekämpfung des menschenverachtenden
IS-Terrors und den Flüchtlingsbewegungen .

Polen kommt an der EU-Außengrenze eine besondere
Rolle zu . Als Mitinitiator der Östlichen Partnerschaft ist
Polen ein bedeutender Brückenbauer der Europäischen
Union . Polen engagiert sich beispielsweise bei der Un-
terstützung der Reformprozesse in der Ukraine . Auch die
Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland im
Rahmen der OSZE ist hier besonders hervorzuheben .

Polen und Deutsche haben im vereinten Europa zu ei-
ner engen Partnerschaft gefunden, die auch in Formaten
wie zum Beispiel dem Weimarer Dreieck ihren Ausdruck
findet. Europa als der Raum des Friedens, der Demokra-
tie und des Rechtes ist das gemeinsame Zuhause beider
Nationen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist es auch bedauerlich, dass wegen der Situation
betreffend das polnische Verfassungsgericht ein Verfah-
ren des EU-Rechtsstaatsmechanismus eingeleitet worden
ist . Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, dass es hier alsbald
zu einer einvernehmlichen Lösung kommt . Es liegt nach
meiner Auffassung im Interesse Polens, hier zu einer Lö-
sung beizutragen, damit seine Gestaltungsfähigkeit in
Europa wieder gestärkt wird . Wir brauchen Polen in Eu-
ropa als Problemlöser, nicht als problembehaftetes Land .

Ich denke, die deutsch-polnische Zusammenarbeit
wird nicht nur von der Politik auf Bundesebene geprägt .
Entscheidend sind auch die Partnerschaften der Länder
mit den Woiwodschaften und den Kommunen, aber auch
die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit auf allen Ebe-
nen . Dies bezieht das Deutsch-Polnische Jugendwerk,
das Deutsche Polen-Institut und viele andere mehr ein .
Dass die kilometerlangen Staus an den Grenzübergängen
inzwischen der Vergangenheit angehören, ist für die Bür-
ger mit das augenfälligste Zeichen des Zusammenwach-
sens unserer Länder .

Wir können heute mit Dankbarkeit feststellen: 25 Jah-
re deutsch-polnischer Vertrag haben zur Versöhnung, zur
Partnerschaft und zur Freundschaft zwischen Deutsch-
land und Polen beigetragen . Lassen Sie uns deshalb alles
daransetzen, dass wir weiterhin mit Polen in einem ver-
einten Europa unsere Zukunft gestalten können .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817911500

Vielen Dank, Dr . Jung . – Der nächste Redner für

Bündnis 90/Die Grünen: Manuel Sarrazin .


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817911600

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!

Exzellenz Marganski! Als ich das erste Mal in den Zug
stieg, um nach Polen zu reisen, wusste ich noch nicht,
dass mich dieses Land von diesem Zeitpunkt an immer
begleiten würde . Es ist für meine Generation – und in
meinem Alter kann man anfangen, so zu reden; 1982
geboren, 1999 Schüleraustausch in Warschau – bezeich-
nend, dass wir die Europaenthusiasten sind, für die die
Osterweiterung eines der wichtigsten Ereignisse in ihrem
Leben war . Am Tag des Referendums über den Beitritt
Polens zur EU war ich zu einem Nachtreffen in Stettin .
Die jungen Menschen strömten zur Abstimmung . Am
Ende stimmten zwei Drittel der Bevölkerung für Europa .
Das zeigt: Man kann Referenden über Europa gewinnen .
Das ist heute vielleicht ein gutes Signal .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich glaube, unsere wichtigsten Partner und Verbün-
deten in der Welt sind Frankreich, die Vereinigten Staa-
ten von Amerika und Polen . Punkt! Ohne Polen gibt es
meiner Ansicht nach keine Zukunft für die europäische
Familie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dass wir dies heute so sagen, liegt auch an dem Vertrag,
über den wir heute sprechen . Das Besondere, die Geni-
alität dieses Vertrages, der 1991 unterzeichnet wurde,
ging zunächst von polnischer Seite aus . Schon in den
70er-Jahren im Pariser Exil hat die Kultura genauso wie
die Solidarnosc in den 80er-Jahren und in der entschei-
denden Zeit von 1989 bis 1991 verstanden: Ein freies Po-
len wird es nur mit einem vereinten Deutschland geben .

Mit dem Vertrag von 1991 hat Deutschland ein Ver-
sprechen gegeben . Deutschland hat das Versprechen
gegeben, Polen in die westlichen Bündnisse NATO und
EU zu führen, und es hat dieses Versprechen gehalten .
Deutschland war vom Anfang der Verhandlungen bis zu
den erfolgreichen Beitritten der Anwalt Polens . Das war
wegweisend für eine lange Zeit von mehr als einer Ge-
neration . Auch deswegen sollten wir uns an den Vertrag
heute erinnern: 1991 waren wir in der Lage, etwas zu for-
mulieren, was 25 Jahre lang wegweisend war, und Ver-
sprechen zu geben, die wir 25 Jahre lang einhalten konn-
ten . Abgesehen von der Tatsache, dass ich in Deutschland
immer Polen und in Polen immer Deutschland verteidi-
ge – genauso wie viele von uns aus anderen Fraktionen –,
kam mir der Gedanke, als ich über diese Rede nachge-
dacht habe: Vielleicht fehlt uns 25 Jahre nach dem Ver-
sprechen ein neues Versprechen; vielleicht ist das ein Teil
des Problems des Sich-gegenseitig-Verstehens .

Hinzu kommt, dass die Osterweiterung, die meine
Generation als unglaublich grandiosen Schritt wahrge-
nommen hat – sie ist vielleicht noch wichtiger als die
Einführung des Euro –, viel zu wenig im Bewusstsein
Deutschlands als größte Erfolgsgeschichte verankert ist,
die Europa zumindest seit der dunklen Zeit des 20 . Jahr-

Dr. Franz Josef Jung






(A) (C)



(B) (D)


hunderts zu verzeichnen hat . Die Osterweiterung war in
der Lage, einen Systemumbruch herbeizuführen und eine
historische Gerechtigkeit – das ist ein schwieriges Wort,
aber ich sage es – zumindest teilweise wiederherzustel-
len . Dabei ist die Osterweiterung, wenn man ab 1991
rechnet, weitestgehend friedlich verlaufen; die 14 Men-
schen, die beim Sturm des Fernsehturms in Vilnius star-
ben, werden wir niemals vergessen .

Diese Osterweiterung war so erfolgreich, weil sie es
geschafft hat, Gesellschaften zu verändern, weil sie da-
bei Stabilität und Frieden geschaffen hat und weil sie es
geschafft hat, fast alles zu verbessern, und zwar nicht nur
in Polen, sondern auch hier . Der wirtschaftliche Erfolg
Deutschlands in den letzten Jahren ist meiner Ansicht
nach ohne die Osterweiterung und ohne Polen nicht voll-
kommen zu verstehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen – das hat Herr Nord gerade schon gesagt;
das können Wahlkreisabgeordnete immer wundervoll
darlegen – ist die deutsch-polnische Grenze heute im-
mer noch Beweis der Kraft der europäischen Integrati-
on . Wenn man die Situation an der deutsch-polnischen
Grenze in den letzten Jahrzehnten vergleicht – die Situ-
ation zunächst an der ostdeutsch-polnischen und dann
an der gesamtdeutsch-polnischen Grenze –, dann muss
man sagen, dass das vielleicht das größte Versprechen
ist, das Europa abgeben kann . Vielleicht lautet das Ver-
sprechen, das wir einander neu geben müssen, dass wir
nicht nachlassen in dem Versuch, einander gegenseitig zu
verstehen, weil auch 25 Jahre nach dem Vertrag vieles
schwer zu verstehen ist, aber vieles auch nicht verstanden
werden will .

Das ist der Grund, warum wir uns am Ende nicht auf
einen gemeinsamen Antrag einigen konnten . Es geht
nicht darum, die Leistung von Vertriebenen nicht zu wür-
digen . Es geht auch nicht darum, nicht darüber zu reden,
dass auch die Charta an gewissen Stellen Leistungen er-
bracht hat . Es geht darum, das zu kontextualisieren, weil
die Formulierung des Rechts auf Heimat als Recht auf
Rückkehr nach 1950 ein großes Problem für die Versöh-
nung war . Voraussetzung für die Versöhnung war, dass
die Vertriebenenverbände und viele Menschen, die ver-
trieben worden sind, verstanden haben, dass es in der
politischen Realität kein Wiederbekommen des Verlore-
nen auf Basis eines individuellen Rechtsanspruchs geben
kann . Das war hart – das möchte ich würdigen –, aber es
war notwendig, um die Aussöhnung möglich zu machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir sehen die Charta in ihrer Gesamtheit, auch auf-
grund des wissenschaftlichen Forschungsstands dazu,
nicht einseitig als Schritt in die richtige Richtung, son-
dern, wie Helga Hirsch es sagte, als Dokument von Ra-
dikalität und Mäßigung zugleich . Wir waren nicht bereit,
darauf zu verzichten, dass der Forschungsstand in diesem
Antrag abgebildet wird .

Ich mache mir wie die Kollegen Schäfer, Nord und
Jung Sorgen, was den Weg Polens unter seiner neuen Re-
gierung angeht. Ich finde es richtig, dass die Europäische 

Kommission diese Regierung in einen Dialog gebracht
hat . Für mich war Polen immer ein Vorbild, wenn es um
das Selbstverständnis einer freiheitlichen Demokratie
ging . Wenn ich von den Eltern meiner Austauschpartner
Geschichten über den Kriegsrechtszustand gehört habe,
dann wusste ich, dass in diesem Land Demokratie sehr,
sehr viel stärker gelebt wurde als in vielen anderen Län-
dern . Dieses Vorbild Polen möchte ich nicht verlieren .

Das heißt nicht, dass ich mit dem Finger auf Polen
zeige . Ich höre von vielen Polen und aus allen Parteien,
dass man sich Sorgen über den Weg Deutschlands macht,
und zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen . Manche
Gründe, die ich politisch nicht teile, beziehen sich auf
Flucht, Migration und Islam . Andere Gründe teile ich
mehr . Dabei geht es um die Frage nach der Solidarität in
Zeiten der Bedrohung, um unseren Blick auf die Ukraine
und die östliche Nachbarschaft sowie um eine Tendenz
zu einem Kerneuropa und das damit verbundene Beisei-
teschieben Polens .

Ich glaube – ich komme zum Schluss, Frau Präsiden-
tin –, wenn wir es schaffen, in diesen Zeiten eine neue
Idee  zu finden,  ein  neues Versprechen  für Deutschland 
und Polen in Europa, und dabei nicht in neue geschichts-
politische Debatten verfallen, dann ist das das Beste, was
wir im Moment für die deutsch-polnische Freundschaft,
aber vor allem auch am Tag des Brexit-Referendums für
Europa tun könnten .

Danke sehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817911700

Vielen Dank, Manuel Sarrazin . – Der nächste Red-

ner in der Debatte: Dr . Christoph Bergner für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1817911800

Frau Präsidentin! Exzellenz! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte mit einem Dank an meinen Kolle-
gen Dietmar Nietan und sein Büro beginnen . Wir haben
uns in der Arbeit der beiden Büros gemeinsam bemüht,
sehr viele Anregungen, Vorschläge und Zuarbeiten, die
wir nicht nur aus unseren Fraktionen, sondern auch aus
der Zivilgesellschaft von Verbänden und Organisationen
zu diesem Antrag erhalten haben, sachgerecht in einen
gemeinsamen Antrag einzubinden . Ich erwähne das des-
halb, weil die allermeisten dieser Zuschriften ungeachtet
gelegentlicher politischer Irritationen, die aktuell in den
deutsch-polnischen Beziehungen auftauchen, von dem
Wunsch geprägt waren, Erfolge, Fortschritte, Positives
der letzten 25 Jahre zu benennen, zu dokumentieren und
gemeinsame Zukunftspläne und Projekte für die weitere
deutsch-polnische Zusammenarbeit zu entwerfen .

Dies scheint mir wesentlich . Denn mir ist bei der Er-
arbeitung dieses Antrags erneut deutlich geworden: Der
deutsch-polnische Vertrag über gute Nachbarschaft und
freundschaftliche Zusammenarbeit kennzeichnet eine

Manuel Sarrazin






(A) (C)



(B) (D)


Erfolgsgeschichte, und das vor dem Hintergrund einer
Ausgangslage, die eine solche Entwicklung durchaus
nicht selbstverständlich macht .

Als der Eiserne Vorhang 1989/90 fiel, gewannen die 
Appelle – Herr Schäfer hat sie schon verlesen – der un-
mittelbaren Nachkriegszeit wieder Bedeutung . In den
Appellen ging es darum, die Beziehungen zwischen
Deutschland und Polen müssten die gleiche Qualität
wie unsere Beziehungen zu Frankreich haben . Was nach
dem Zweiten Weltkrieg zwischen der alten Bundesrepu-
blik und Frankreich an Aussöhnung und Verständigung
im Westen möglich war, das müsse nun nach dem Fall
des Eisernen Vorhangs auch zwischen dem vereinten
Deutschland und Polen möglich werden . Diese Appelle
haben gewissermaßen Maßstäbe gesetzt . Aber so richtig
und wichtig das darin formulierte Ziel war und bleibt,
so unvergleichbar ist doch die Ausgangslage, was unser
Verhältnis zu Frankreich und zu Polen betrifft .

Auf dem deutsch-polnischen Verhältnis liegen spezi-
fische historische Lasten, die insbesondere mit dem von 
Deutschland losgebrochenen Zweiten Weltkrieg und sei-
nen Folgen zu tun haben . Ich denke, es ist deshalb unver-
zichtbar, dass wir uns bewusst machen, dass der Zwei-
te Weltkrieg für Polen nicht nur vom Überfall, sondern
auch vom Terror gegen die Zivilbevölkerung im besetz-
ten Polen bestimmt war . Es gab Vertreibungen im Rah-
men des Generalplans Ost, bei denen rund 1,5 Millionen
Polen zwangsumgesiedelt und 200 000 polnische Kinder
zwangsgermanisiert wurden . Rund 600 000 Polen wur-
den zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich deportiert .
Nicht zu vergessen sind die Schrecken des Holocaust auf
polnischem Boden und, weil der Hitler-Stalin-Pakt die
Voraussetzung war, auch der Terror im sowjetisch besetz-
ten Ostpolen .

Das  alles  sind  Traumata,  die  spezifische  historische 
Belastungen ausmachen . Es beeindruckt und berührt
mich immer wieder, wenn ich in der Warschauer Altstadt
durch Straßen gehe, in denen an jedem Haus eine Erin-
nerungstafel hängt, die von Erschießungen oder Kampf-
handlungen der Besatzungszeit zeugen .

Aber zu diesen schweren historischen Belastungen
gehören auch die Traumata deutscher Betroffenheit: Hei-
matverlust, Flucht, Vertreibungen Millionen Deutscher
und Zwangsassimilation der relativ wenigen in der Hei-
mat verbliebenen Deutschen unter der kommunistischen
Herrschaft .

Mich wundert nun nicht, dass wir bei der Erarbeitung
unseres Antrags gewissermaßen mit den positiven Seiten
so schnell fertig waren, aber den Absatz über den Prozess
der Nachkriegsaussöhnung am meisten diskutiert, am
häufigsten umformuliert haben und mit Manuel Sarrazin 
zu guter Letzt keine Einigung erreichen konnten .

Einigkeit bestand in der Würdigung und beim Dank an
die Polen, die nach den schrecklichen Kriegserfahrungen
die Hand zur Versöhnung ausgestreckt haben . Wladys-
law Bartoszewski steht beispielhaft dafür . Anerkennung
gebührt den Deutschen, die den Weg der Gemeinsamkeit
gesucht und gestaltet haben . Wir glauben, dass bei die-
sem letzten Aspekt zumindest unter den Gesichtspunkten
des Gewaltverzichtes und der Mitgliedschaft in der Euro-

päischen Union die Charta der deutschen Heimatvertrie-
benen nicht unerwähnt bleiben sollte .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817911900

Herr Dr . Bergner, erlauben Sie eine Zwischenfrage

oder Zwischenbemerkung vom Kollegen Sarrazin? – Bit-
te schön .


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817912000

Ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir in den Ver-

handlungen immer bereit waren, diese Brücke zu neh-
men, obwohl das für uns natürlich auch nicht leicht ist .

Wenn Sie die vorliegenden Anträge vergleichen, se-
hen Sie, dass wir im Textentwurf auch die Charta der
deutschen Heimatvertriebenen würdigen . Denn wir wür-
digen auch diejenigen deutschen Heimatvertriebenen,

die sich im Geiste der Versöhnung engagierten und
die den in der Charta der deutschen Heimatvertrie-
benen vom 5 . August 1950 geforderten Gewaltver-
zicht und den Appell für europäische Lösungen zur
Richtschnur ihrer Arbeit machten,

– und wir fügen hinzu –

auch wenn die Charta aufgrund des Postulats eines
Rechts auf Heimat im Verständnis eines Rechts auf
Rückkehr und aufgrund der Vorgeschichte einige
ihrer Unterzeichner in ihrer Versöhnungsleistung
historisch nicht unumstritten ist .

Dieser Zusatz war der Stein, über den Ihre Fraktion
nicht springen wollte . Das gemeinsam festzuhalten, ist
vielleicht eine Grundlage für Debatten oder Diskussio-
nen untereinander zu einem späteren Zeitpunkt, die nicht
mehr an solchen Steinen hängen bleiben . Aber mir ist
trotzdem wichtig, festzuhalten, dass wir nicht die Ver-
söhnungsleistung der Charta insgesamt infrage stellen
wollten, obwohl auch diese  in Teilen der Historiografie 
schon sehr umstritten ist . – Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1817912100

Lieber Kollege Sarrazin, ich habe es am meisten

bedauert, dass wir uns in diesem Punkte nicht einigen
konnten . Ich will als Erwiderung aus meiner Sicht noch
einmal deutlich machen, wo der Unterschied liegt und
weshalb er mit der nachgeschobenen Formulierung nicht
ausreichend berücksichtigt wurde . Das ist dem Umstand
geschuldet, dass wir bei der Charta der Heimatvertriebe-
nen eine unterschiedliche Wahrnehmung in Deutschland
und in Polen haben .

Ich habe nun – du wirst es auch getan haben – ge-
nug Gespräche mit polnischen Vertretern und Kollegen
geführt . Klar ist, dass im Nachkriegspolen der Verzicht
auf Rache und Vergeltung aus polnischer Perspektive sei-
nerzeit als Zynismus betrachtet wurde . Man sagte: Hier
ist eine Untäternation, und sie verzichtet großzügig auf
Rache und Vergeltung . – In umgekehrter Weise ist die
deutsche Perspektive zu betrachten . Man stelle sich nur
einmal vor, die Vertriebenen wären 1950 nicht zu diesem
Bekenntnis in der Lage gewesen: Welch problematische

Dr. Christoph Bergner






(A) (C)



(B) (D)


Entwicklung für die Bundesrepublik Deutschland und
für Europa wäre daraus entstanden! Für Deutschland war
dieser Verzicht eine ungeheure Leistung .

Wenn ich das noch anfügen darf: Unser Bundestags-
präsident hat bei seiner Rede zum Gedenktag für die
Opfer von Flucht und Vertreibung eine ganz wichtige
Bemerkung gemacht . Er sagte: Wenn man angesichts
historischer Entwicklungen in beiden Ländern eine un-
terschiedliche Wahrnehmung hat, sollte man diese Wahr-
nehmung nicht verschweigen, weil sie unterschiedlich
ist, sondern man sollte sich über die unterschiedlichen
Wahrnehmungen austauschen . – Das ist das Anliegen,
das wir mit unserer Formulierung vertreten, weshalb wir
den Gedanken, der der Charta der deutschen Heimatver-
triebenen anhaftet, in dieser Weise in den Antrag einge-
baut haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Aussöhnung erreicht
man – wenn ich daran anknüpfen darf – also nicht, wenn
man unterschiedliche Wahrnehmungen nicht offen und
respektvoll austauscht . Das haben wir versucht .

Ich darf mit einer persönlichen Bemerkung schließen,
anknüpfend an Manuel Sarrazins Erinnerungen an die
erste Polen-Reise . Meine erste längere Reise als Student
1969 durch Polen – mit vielen Bekanntschaften und Be-
gegnungen – endete an der Grenzkontrolle in Frankfurt,
wo mir als DDR-Bürger der DDR-Zoll Broschüren und
Schallplatten, die mir zum Teil von polnischen Bekann-
ten geschenkt worden waren, abnahm, weil sie – so wa-
ren die Zollbestimmungen – nicht dem fortschrittlichen
Kulturschaffen des besuchten Brudervolkes entsprechen .


(Vereinzelt Heiterkeit)


Meine Damen und Herren, damals, als mir der Zoll-
beamte der DDR diese Dinge der polnischen Freunde
abnahm, ist mir eines klar geworden: Die ideologischen
Gemeinsamkeiten, die zwischen der Regierung der DDR
und den Regierungen bzw . Staatsführungen der Volks-
republik Polen bestanden, hatten sehr wenig mit wirk-
licher deutsch-polnischer Aussöhnung und Freundschaft
zu tun . Die wirkliche deutsch-polnische Aussöhnung und
Freundschaft hat mit dem Fall des Eisernen Vorhangs
richtig beginnen können, und sie hat im europäischen
Einigungsprozess eine würdige Fortsetzung gefunden .
Dafür bin ich dankbar, und darüber sollten wir uns ge-
meinsam freuen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817912200

Vielen Dank, Dr . Bergner . – Das Wort hat Dr . Bernd

Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1817912300

Frau Präsidentin! Exzellenz! Herr Botschafter! Meine

Damen und Herren! Vergangenen Freitag jährte sich die
Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschafts-
vertrages zum 25 . Mal . Deutschland und Polen haben
1991 einen Vertrag ausgehandelt, aus dem viel Gutes er-
wachsen ist, der Austausch, Verständigung und Freund-
schaft gefördert und gefestigt hat . Einzelheiten wurden
bereits zutreffend gewürdigt .

Zweifelsfrei war und ist dieser Vertrag wie auch der
bereits erwähnte Hirtenbrief der polnischen Bischö-
fe, die Ostdenkschrift der EKD und auch die Charta
der deutschen Heimatvertriebenen ein Meilenstein der
deutsch-polnischen und der europäischen Verständi-
gungsarchitektur und eine der Grundlagen des modernen
Europa .

Im zivilgesellschaftlichen Prozess zur Festigung
gutnachbarschaftlicher Beziehungen sind die deutsche
Volksgruppe in Polen, die Polen in Deutschland und auch
die deutschen Heimatvertriebenen ganz natürliche Brü-
cken zwischen den Ländern . Gerade die deutschen Ver-
triebenen haben frühzeitig durch ihre Charta die Hand
zur Versöhnung gereicht und den beherzten Willen zum
Einsatz für ein Europa in Frieden und Freiheit bekräftigt .


(Beifall des Abg . Max Straubinger [CDU/ CSU])


Die Hilfsbereitschaft gegenüber Vertriebenen und
Flüchtlingen von heute hat auch den Blick auf die eige-
nen Opfer der Nachkriegszeit verändert . Es gibt plötzlich
einen persönlichen Zugang zur Vertreibungsgeschichte
der Eltern und Großeltern, von Nachbarn und Freun-
den . Bronislaw Komorowski hat bei seiner Rede hier im
Deutschen Bundestag mit Verweis auf die eigene Vertrei-
bungserfahrung betont, er könne den Schmerz wegen des
erlittenen Leides und des Verlustes der Heimat gut ver-
stehen . Diese Fähigkeit zur Empathie, meine Damen und
Herren, ist nicht nur beim damaligen polnischen Staat-
spräsidenten, sondern auch in der polnischen Bevölke-
rung vorhanden .

Ich ermuntere die Polen mit ähnlichen Vertreibungs-
biografien  im  Geiste  bester  Nachbarschaft:  Fahren  Sie 
zum Beispiel nach Litauen, und suchen Sie nach den
Wurzeln Ihrer Familien! In einem vereinten Europa ist
die Möglichkeit dazu ein großes Geschenk . Nehmen Sie
es an! Genauso fordere ich die Deutschen auf: Besuchen
Sie die Orte aus den Erzählungen Ihrer Eltern und Groß-
eltern! Die EU-Osterweiterung hat den Vertriebenen ein
Stück weit ihre alte Heimat und ihre ehemaligen Nach-
barn zurückgegeben . Eine Begegnung kann für beide
Seiten unglaublich heilsam sein .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genau davon ist in Artikel 1 des deutsch-polnischen
Nachbarschaftsvertrages die Rede, in dem von dem
„Wunsch beider Völker nach dauerhafter Verständigung
und Versöhnung“ gesprochen wird .

Dr. Christoph Bergner






(A) (C)



(B) (D)


Ich erinnere mich sehr gut an den Moment, als ich mit
meinen Eltern das Haus meiner Kindheit in Hermann-
stadt wiedersah . Die Familie, die mittlerweile dort lebt,
bat uns herein, und es entwickelte sich nach anfänglicher
Distanz ein gutes Gespräch . Als meine Mutter den guten
alten gusseisernen Herd wiedersah, auf dem sie immer
für uns gekocht hatte, brach sie in Tränen aus . Die heuti-
gen Bewohner, meine Damen und Herren, haben meinen
Eltern dieses Erinnerungsstück spontan überlassen . – Die
Familiengeschichten der deutschen Vertriebenen sind
voll solcher Gesten der Versöhnung und Verständigung
von Mensch zu Mensch .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch zivilgesellschaftlich und kommunalpolitisch
ist der Vertrag durch viele überwiegend in den letzten
25 Jahren entstandene Partnerschaften über Grenzen hin-
weg mit Leben erfüllt worden . Nur der Dialog der höchs-
ten politischen Ebene in Polen mit ihren vertriebenen
Deutschen kommt schwer in Gang . Die Ursachen dafür
sind vielfältig; das räume ich ein . Zum Teil sind sie auch
hier in Berlin, im Deutschen Bundestag, zu suchen .

In Zeiten des Rückfalls in nationale Egoismen und
anlässlich dieses Jubiläums wäre es mehr als ein moti-
vierendes Signal für vollständige gutnachbarschaftliche
Beziehungen gewesen, hätte der Bundestag eine über
Koalitionsgrenzen hinweg mehrheitsfähige Entschlie-
ßung zu diesem wertvollen Verständigungswerk verab-
schieden können .

Umso bedauerlicher ist es, dass die SPD in der letz-
ten Woche für eine gemeinsame Entschließung nicht zu
gewinnen war und dass sich die Grünen im Deutschen
Bundestag auch heute noch einem gemeinsamen Antrag
mit einer aufgrund der schon aus Gründen der Vollstän-
digkeit notwendigen Erwähnung der Charta der deut-
schen Heimatvertriebenen verweigert haben, damit sie
nun in einem eigenen Antrag die Versöhnungsleistung
der Charta mit Hinweis auf das darin selbstverständlich
enthaltene Recht auf Heimat – natürlich verbunden mit
einem prinzipiellen Recht auf Rückkehr nach ethnischen
Säuberungen – in Verruf bringen können .


(Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich erlaube keine Zwischenfrage .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Frechheit!)


Ich darf Ihnen hierzu Artikel 13 Absatz 2 der Allge-
meinen Erklärung der Menschenrechte in Erinnerung
rufen:

Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich sei-
nes eigenen, zu verlassen und in sein Land zurück-
zukehren .

Das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat, welches Sie
hier als etwas Umstrittenes und Verwerfliches darstellen, 
ist für viele der heute weltweit 65 Millionen Vertriebenen
eine der wenigen Quellen von Hoffnung . Wie kommen

Sie dazu, den Opfern von Flucht und Vertreibung damals
und heute genau diese Hoffnung zum Vorwurf zu ma-
chen? Die Angst vor dem Verlust viel zu lange gepflegter 
Feindbilder scheint bei einigen von Ihnen größer zu sein
als die Bereitschaft zur Anerkennung gegenseitiger Ver-
söhnungsleistungen .

Lassen Sie sich eines sagen: Heimatvertriebene,
Zwangsarbeiter und Deportierte haben nach dem Krieg
ein Sonderopfer erbringen müssen . Sie haben stellvertre-
tend für die gesamte deutsche Gesellschaft gelitten und
oft ihr Leben oder zumindest ihre Heimat verloren – auch
für Sie . Dafür haben Sie nur Empathielosigkeit und ideo-
logische Instrumentalisierung übrig . Sie tun damit genau
das, was Sie den Heimatvertriebenen vorwerfen . Sie sind
damit selbst rückwärtsgewandt .


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wäre ich aber mal ganz vorsichtig!)


Ich komme mit folgender Feststellung zum Ende:


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die moralische Überheblichkeit gegenüber den eigenen
Opfern von Flucht und Vertreibung wird langsam be-
denklich .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bedenklich ist Ihre Rede!)


Sie sollten sich fragen, ob es das wert war .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten sich fragen, ob Sie eine solche Rede halten sollten!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817912400

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin

Annalena Baerbock .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Fabritius, ich
verstehe jetzt, ehrlich gesagt, nicht, was Ihr Angriff soll,
und bin maßlos schockiert .

Manuel Sarrazin hat sehr deutlich gemacht, weswegen
wir eine Kontextualisierung der Charta eingefordert ha-
ben . Mit Ihrer Rede haben Sie jetzt noch einmal deutlich
gemacht, dass es mehr als nötig war, dass wir diese Kon-
textualisierung hier eingefordert haben;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


denn offensichtlich ist noch immer nicht erkannt worden,
um was es geht . Es geht hier nicht um die polnische oder
die deutsche Sicht, sondern es geht um unsere deutsche
Sicht auf unsere eigene Vergangenheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dr. Bernd Fabritius






(A) (C)



(B) (D)


Gestern haben wir gesagt: „Wir müssen aus den Lehren
unserer Vergangenheit die Zukunft bauen“, und dabei
muss man auch offen darüber reden, wie verschiedene
Dinge einzuordnen sind .

Wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin, möchte ich ger-
ne zitieren aus einem Buch von Andreas Kossert mit dem
Titel Kalte Heimat – Die Geschichte der deutschen Ver-
triebenen nach 1945:

Das „Recht auf die Heimat“ verstand der BdV als
Recht auf Rückkehr, weshalb er anstrebte, die pro-
visorischen Grenzen von 1945 mit Hilfe des Selbst-
bestimmungsrechts der Völker zugunsten Deutsch-
lands zu revidieren .

Wir haben gehört, dass das von einigen am Anfang als
Versöhnung gesehen wurde . Aber es hat bis Mitte der
70er-Jahre gedauert, bis die Revision der deutschen
Grenzen nicht weiter eingefordert wurde .

Ich möchte gerne weiter zitieren:

Mit Kritikern . . . ging der BdV äußerst schroff um . . .
Einer der ersten, die offen gegen den bundesdeut-
schen Konsens auf eine Rückkehr der Ostgebiete
auftraten, war der Leiter des Sozialamts der Evan-
gelischen Kirche in Westfalen und ehemalige pom-
mersche Gutsbesitzer Klaus von Bismarck, der
auf dem Leipziger Evangelischen Kirchentag im
Juli 1954 ausdrücklich auf seine Güter in Pommern
verzichtete . . .

Das wurde vom BdV-Vizepräsidenten Erich Schellhaus
massiv verurteilt . Selbst noch 1962 forderte dieser gar
ein Gesetz,

das Verzichtsbekundungen in bezug auf „ostdeut-
sches Land“ mit Gefängnis bestrafen sollte .

Das können wir doch nicht einfach leugnen . Deswe-
gen müssen wir diese Passage hier kontextualisieren . Es
ist wirklich traurig, dass Sie sich den Vorrednern Ihrer
Fraktion nicht anschließen konnten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817912500

Bernd Fabritius, bitte schön .


Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1817912600

Frau  Kollegin,  schockierend  finde  ich,  dass  Sie  es 

auch heute nicht unterlassen können, die Frage der Gren-
zen mit der Frage eines Heimatrechtes zu verbinden . Die
Grenzen werden deutlich nicht infrage gestellt .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich kommentiere, Herr Kollege, nicht mögliche Posi-
tionen, die ein halbes Jahrhundert alt sind, wie ich im
Übrigen auch nicht Positionen der Grünen kommentiere,
die sich in den letzten 20 oder 30 Jahren in anderen Be-
reichen geändert haben .

Ich habe in meiner Rede bedauert, dass bei den Grü-
nen offenkundig nicht die Bereitschaft besteht, gemein-
same Versöhnungsleistung anzuerkennen .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen finde ich es unredlich, dass auch die Grünen 
regelmäßig die Kritik an der Unterzeichnung der Char-
ta der deutschen Heimatvertriebenen immer wieder wie
eine Monstranz vor sich hertragen .

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Menschen, die
in ihrer Zusammensetzung die gesamte deutsche Zivilge-
sellschaft vertreten, vertrieben worden sind, darunter mit
Sicherheit auch Menschen, die vorher Schuld auf sich
geladen haben; das wird nicht infrage gestellt . Aber die
Zusammensetzung des BdV als Verband dieser gesamten
vertriebenen Zivilgesellschaft war doch keine andere als
zum Beispiel die Zusammensetzung beim ADAC oder
bei anderen Verbänden,


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sagt Ihre eigene CDU etwas anderes!)


die ich Ihnen alle aufzählen könnte .


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Oh mein Gott!)


Ich bedauere sehr, dass bei Ihnen offenkundig nach
wie vor die Bereitschaft, eine gemeinsame Versöhnungs-
leistung anzuerkennen, fehlt . Ich wünschte mir, Sie wür-
den das Wesen des deutsch-polnischen Nachbarschafts-
vertrages selbst verinnerlichen und in die Zukunft tragen .

Danke .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817912700

Nächster Redner in der Debatte: Dietmar Nietan für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dietmar Nietan (SPD):
Rede ID: ID1817912800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir führen die Debatte zur Würdigung des Nachbar-
schaftsvertrags und seiner 25-jährigen Geschichte an ei-
nem für Europa sehr denkwürdigen Tag . Lassen Sie mich
so viel sagen: Ob die gerade zu beobachtende innenpo-
litische deutsche Nabelschau der Bedeutung des Themas
„25 Jahre Nachbarschaftsvertrag“ an diesem Tag, an dem
die Briten über ihren Verbleib in der EU abstimmen, ge-
recht wird, muss jeder für sich selber entscheiden . Ich
habe dazu meine ganz persönliche Meinung .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Annalena Baerbock






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte mich ausdrücklich bei Christoph Bergner
bedanken . Lieber Christoph, ich gebe das Dankeschön
gerne zurück . Ich möchte mich auch bei Manuel Sarrazin
bedanken . Wir haben sehr gut zusammengearbeitet . Ich
stelle einmal die gewagte These auf: Wenn Sarrazin,
Bergner und Nietan die Dinge hätten alleine entscheiden
können, hätten wir heute einen gemeinsamen Antrag ge-
habt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Bernd Fabritius [CDU/CSU])


Ich habe es schon betont: Heute ist ein wichtiger Tag
für Europa . Deshalb erlauben Sie mir bitte, nachdem
schon so viel zum Nachbarschaftsvertrag gesagt worden
ist, ein paar grundsätzliche Anmerkungen .

Viele Polen und Deutsche sind heute in dem Hoffen
und Bangen miteinander vereint, dass die Bürgerinnen
und Bürger Großbritanniens, die sich für den Verbleib
Großbritanniens in der EU aussprechen, eine Mehrheit
haben.  Ich  finde,  unabhängig  davon, wie  die Entschei-
dung in Großbritannien heute ausgeht, sollten uns der
Mut und der Freiheitswille der polnischen Nation ein
Vorbild sein, morgen unabhängig vom Ausgang dieses
Referendums noch härter und noch intensiver daran zu
arbeiten, dass Europa zusammenwächst .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den Tag genau
46 Jahre, nachdem der Warschauer Aufstand von den
deutschen Besatzern brutal niedergeschlagen wurde,
konnten wir Deutschen unsere Wiedervereinigung feiern .
Wir konnten sie auch deshalb feiern, weil das polnische
Volk immer schon für die Freiheitsliebe und für die Frei-
heit in Europa gestanden hat . Ich erinnere an die erste
moderne Verfassung, die es in Polen gab . Ich erinnere
an die Losung des Novemberaufstands von 1830: „Für
unsere und eure Freiheit!“

Ich selber werde den 14 . August 1980 nicht vergessen .
An jenem Tag konnten wir ein Bild sehen, das um die
Welt ging . Damals stand ein Mann mit einem sehr cha-
rakteristischen Schnauzbart auf der Mauer der Danziger
Lenin-Werft, und man konnte seinem Blick entnehmen,
dass er sehr entschlossen war und keine Angst hatte .
Lech Walesa stand auf der Mauer und lächelte die Hoff-
nung zuversichtlich heraus . Dieses Bild werden viele von
uns nicht vergessen .

Es ist schon etwas ganz Besonderes, dass ausgerech-
net das polnische Volk, welches unermesslich unter
deutscher Barbarei gelitten hat, einen so herausragenden
Beitrag geleistet hat, damit die Deutschen ihre Einheit
wiedererlangen konnten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es nötigt einem allen Respekt ab, mit welcher Chuzpe
Lech Walesa und seine Freunde es geschafft haben, eine
Diktatur ohne Blutvergießen zu stürzen, indem sie sich
mutig und kaltschnäuzig mit ihrem Unterdrücker, Ge-

neral Jaruzelski, an einen Tisch gesetzt und einfach das
Regime wegverhandelt haben . In einem Staat, in dem zu
dieser Zeit über 100 000 sowjetische Soldaten stationiert
waren, war das ein unglaubliches Meisterstück .

Es ist schon fast ein Treppenwitz der Geschichte, dass
die Anhänger und ideologischen Chefdenker der heuti-
gen Regierung ausgerechnet das Lech Walesa vorwerfen:
dass er es geschafft hat, ohne Blutvergießen eine Diktatur
zu stürzen.  Ich finde, Lech Walesa  ist derjenige, der  in 
dieser großartigen Freiheitstradition des polnischen Vol-
kes steht .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch etwas hat die Solidarnosc-Revolution aus mei-
ner Sicht ausgezeichnet . Der große polnische Denker
Aleksander Smolar hat das auf den Punkt gebracht, als er
sagte: Der Erfolg der Solidarnosc war eine Antirevoluti-
on, weil der Bewegung der Solidarnosc das revolutionäre
Pathos fehlte, dass sie eine Revolution machen würden,
die alle Menschen schlagartig befreie und das Himmel-
reich auf Erden schaffe .

Ich finde, dass es gar nicht genug wertzuschätzen ist, 
welchen Beitrag die Polen mit dieser, wenn ich es so sa-
gen darf, revolutionären Antirevolution zur europäischen
Ideengeschichte des 20 . Jahrhunderts geleistet haben . Ich
finde,  heute  ist  ein  guter Tag,  daran  zu  erinnern,  nicht 
nur wegen der Abstimmung in Großbritannien, sondern
auch, weil wir feststellen müssen, dass die Freiheit in Eu-
ropa durch innere und äußere Feinde immer mehr unter
Druck gerät .

Uns gefährdet nicht nur ein Terrorismus, der unsere
Werte ablehnt . Es sind gerade die inneren Feinde in un-
seren Staaten, die glauben, mit autoritärem Gebaren, mit
einfachen Lösungen und einem plumpen Nationalismus,
der zwischen uns und denen unterscheidet, irgendetwas
erreichen zu können, und die die oft berechtigten Ängste
der Menschen schamlos ausnutzen für ein Spiel mit der
Angst, das am Ende in Europa nicht mehr, sondern weni-
ger Freiheit bringen wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen,
macht es vielleicht Sinn, auch heute noch einmal nach
Danzig zu schauen, zu dieser Stadt, in der so vieles an-
fing. Direkt an der Lenin-Werft steht heute das Europäi-
sche Zentrum der Solidarnosc . Und ebenfalls in Danzig
entsteht gerade ein großartiges Museum zur Geschichte
des Zweiten Weltkrieges . Beide Einrichtungen sorgen
dafür, dass die Geschichte der Freiheit und des Kampfes
um Freiheit in Europa eben nicht vergessen wird . Sie
sorgen weiterhin dafür, dass wir diese Geschichte im
Rahmen einer Multiperspektivität in einem europäischen
Kontext betrachten können, um durch ein gemeinsames
Lernen und Handeln aus der Geschichte heraus zu einem
gemeinsamen Europa zu kommen . Das ist ein völlig an-
derer Ansatz als das engstirnige und ausgrenzende nati-
onalistische Pathos, das gerade diejenigen in Polen vor-

Dietmar Nietan






(A) (C)



(B) (D)


bringen, denen diese beiden Einrichtungen in Danzig ein
Dorn im Auge sind .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb macht es, finde ich, auch Sinn, heute zu unter-
streichen, dass genau solche Einrichtungen in der großen
polnischen Tradition der Freiheitsliebe stehen . Das trifft
leider nicht auf das zu, was wir von der derzeitigen pol-
nischen Regierung sehen müssen .

Vor allen Dingen wird aber die Tradition, sich für
die Freiheit einzusetzen, von den vielen Bürgerinnen
und Bürgern in Polen fortgesetzt, die sich im Komitee
zur Verteidigung der Demokratie zusammengeschlossen
haben. Ich finde, diese Bürgerinnen und Bürger sind die 
wahren europäischen Patrioten, die wir in allen Ländern
der Europäischen Union – und nicht nur in Polen – brau-
chen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
zum Schluss noch einmal unterstreichen, dass wir eben
diese europäischen Patrioten brauchen, die sich für ein
gemeinsames, freies und solidarisches Europa einsetzen,
welches den aufkommenden nationalistischen Ideologien
die unideologische Idee der so erfolgreichen Antirevolu-
tion der Solidarnosc entgegensetzt, die da lautet, einfach
mit solidarischem Handeln die Wirklichkeit Schritt für
Schritt gemeinsam zum Guten zu verändern, anstatt sich
einer Ideologie zu verschreiben .

In diesem Sinne möchte ich zum Schluss meinen pol-
nischen Freunden zurufen: Walczmy znow razem za wol-
nosc wasza i nasza we wspolnej, wolnej i solidarnej Eu-
ropie! – Lasst uns wieder gemeinsam kämpfen für eure
und unsere Freiheit in einem gemeinsamen, freien und
solidarischen Europa!

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817912900

Das Wort hat der Kollege Dr . Stefan Heck für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stefan Heck (CDU):
Rede ID: ID1817913000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Es ist ja nie ganz leicht, wenn man der letzte
Redner in einer Debatte ist . Es kommt hinzu, dass in die-
ser Debatte die Europa- und Außenpolitiker die bilatera-
len Fragestellungen und auch die offenen Fragen umfas-
sender und kenntnisreicher dargestellt haben, als es ein
Rechtspolitiker wie ich könnte .


(Beifall des Abg . Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Trotzdem freue ich mich sehr, dass ich heute als Vor-
standsmitglied der Deutsch-Polnischen Parlamentarier-
gruppe sprechen darf . Mir liegen unser Nachbarland und
die deutsch-polnische Freundschaft sehr am Herzen .

Der bescheidene Beitrag, den ich am Ende dieser De-
batte beisteuern kann, ist zugegebenermaßen eher etwas
persönlich gefärbt . Ich hoffe aber, dass meine eigene
Geschichte in Bezug auf unser Nachbarland stellvertre-
tend für die Gemeinsamkeiten steht, die es inzwischen
gerade in der jungen Generation gibt: von anfänglicher
Unkenntnis über ehrliches Interesse hin zu aufrichtiger
Zuneigung und Freundschaft .

Als während meines Studiums die Entscheidung über
ein Auslandssemester anstand, zog es viele nach Frank-
reich, Italien, Spanien oder England . Ich bin eher zufäl-
lig – durch einen Aushang in der Uni – auf einen Stu-
dienplatz in Krakau gestoßen . Ich war vorher nie dort .
Auch familiär hatte ich keine Bindungen dorthin, und
insbesondere kannte ich die polnische Sprache nicht .
Vielleicht aber fand ich diese Wahl gerade deshalb so
spannend . Die Wahl dieses vermeintlich exotischen
Studienortes wurde ein wenig dadurch erleichtert, dass
es eine ausgesprochen großzügige Förderung des Deut-
schen Akademischen Austauschdienstes gab . So hat sich
das, was im deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag
niedergelegt ist, auf mein Studium bzw . meine Ausbil-
dung ganz unmittelbar ausgewirkt .

Das war im Jahr 2005, ein Jahr nach dem EU-Beitritt
von Polen . Das war das Jahr, in dem Papst Johannes
Paul II ., der frühere Erzbischof von Krakau, starb . Sein
Wirken ist hier schon angemessen gewürdigt worden . Ich
will hinzufügen: Man darf überhaupt nicht unterschät-
zen, welcher Beitrag es für das Bild der Deutschen in
unserem Nachbarland war, dass auf diesen großen polni-
schen Papst ein deutscher folgte .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Ich kann jedenfalls rückblickend sagen, dass die Zeit in
Krakau zu den lehrreichsten und sicherlich auch zu den
prägendsten Jahren meiner Ausbildung gehörte .

Es ist gut, dass Deutschland heute in vielen Bereichen
Spitzenpositionen einnimmt . Aber ich bin der festen
Überzeugung, dass Deutschland und Europa auch eine
Menge von unseren polnischen Nachbarn lernen können .
Es sind zwei Punkte, die mich immer wieder besonders
beeindrucken .

Dies sind erstens die Freiheitsliebe und die Standfes-
tigkeit des polnischen Volkes . Es gab viele Staaten, in de-
nen die Kommunisten geherrscht haben, aber kein ande-
res Volk hat sich diesen Herrschern so widersetzt, wie es
die Polen getan haben . In keinem anderen Land war die
Distanz zwischen diesem Regime und der Gesellschaft
so groß, wie sie in Polen war . Vielleicht war das die Vo-
raussetzung dafür, dass in Polen die Grundlage für die
Freiheit von Deutschland und Europa gelegt worden ist .
Es waren die mutigen Polinnen und Polen der 80er-Jahre,

Dietmar Nietan






(A) (C)



(B) (D)


denen wir heute nicht dankbar genug sein können . Ohne
sie wäre unsere Freiheit nicht möglich gewesen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt noch einen zweiten Punkt, der mich immer
wieder besonders beeindruckt . Das galt 2005, und das
gilt nach wie vor . Es ist die große Begeisterung gerade
der jungen Generation in Polen für die gemeinsame Idee
Europa . Wie oft verlieren wir uns in Deutschland, aber
auch in anderen Ländern, in kleinteiligen Debatten über
das, was möglicherweise richtig und falsch ist, und ver-
lieren das große Ganze aus den Augen . Ich habe gerade
von den jungen Polen gelernt, wie heilsam manchmal
der unverstellt optimistische Blick auf dieses große Frie-
densprojekt sein kann .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde,  lieber Manuel Sarrazin, es  ist  eine  schöne 
Fügung, dass nicht nur wir beide 1982 geboren sind,


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gutes Jahr!)


sondern auch der neu gewählte Vorsitzende der Pol-
nisch-Deutschen Parlamentariergruppe im Sejm . In den
Jahren, als wir zwei uns in unser östliches Nachbarland
aufgemacht haben, um zu studieren und um Freundschaf-
ten zu pflegen, hat er sich auf den Weg nach Deutschland, 
nach Osnabrück gemacht, wo er einen Teil seines Studi-
ums verbracht hat .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über Osnabrück muss man noch mal diskutieren!)


Eine gute Freundschaft zwischen Deutschland und
Polen ist noch keine hinreichende, aber doch eine zwin-
gend notwendige Voraussetzung für den Zusammenhalt
in Europa . Lassen Sie uns weiter gemeinsam daran ar-
beiten, mit Freude am Erreichten, mit der Betonung von
Gemeinsamkeiten und auch mit der offenen Aussprache
von Trennendem, so wie es echte Freunde miteinander
tun . Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass
auch künftig die jungen Generationen die Erfahrungen
machen können, die Manuel Sarrazin, Szymon Szyn-
kowski und ich im letzten Jahrzehnt machen durften . Das
ist das Beste, was wir tun können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817913100

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/8861 mit dem Titel „Versöhnung, Partnerschaft,
Zusammenarbeit – 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag
über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusam-
menarbeit“ . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt

dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/8765 mit dem Titel „Versöhnung, Partnerschaft,
Zusammenarbeit – 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag
über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusam-
menarbeit“ . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab auch Enthaltungen in den Reihen der SPD! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei der SPD ist alles möglich!)


– Es gab einige Enthaltungen in den Reihen der SPD .
Das tragen wir jetzt für das Protokoll nach .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c sowie
den Zusatzpunkt 4 auf:

29 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über die Er­
richtung einer Otto­von­Bismarck­Stif­
tung

Drucksache 18/8497

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Integra­
tionsgesetzes

Drucksachen 18/8829, 18/8883

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der
GO

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 12. November 2015
zwischen der Bundesrepublik Deutsch­
land und Australien zur Beseitigung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der
Steuern vom Einkommen und vom Ver­
mögen sowie zur Verhinderung der Steu­
erverkürzung und ­umgehung

Drucksache 18/8830

Dr. Stefan Heck






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

ZP 4 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Errichtung einer Bundeskanz­
ler­Helmut­Schmidt­Stiftung

Drucksache 18/8858
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach­
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 g auf .
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 30 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge­
setzes zur Umsetzung der Richtlinien (EU)

2015/566 und (EU) 2015/565 zur Einfuhr und
zur Kodierung menschlicher Gewebe und Ge­
webezubereitungen

Drucksachen 18/8580, 18/8840

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/8906

Mit dem Gesetzentwurf werden detaillierte Verfah-
rensvorschriften für die Einfuhr menschlichen Gewebes,
menschlicher Zellen bzw . von Gewebezubereitungen in
nationales Recht umgesetzt . Des Weiteren wird die Ko-
dierungsrichtlinie umgesetzt, durch die die verpflichtende 
Verwendung einer einheitlichen europäischen Kodierung
von Geweben und Gewebezubereitungen vorgesehen
wird .

Der  Ausschuss  für  Gesundheit  empfiehlt  in  seiner 
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8906, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 18/8580 und 18/8840 in der Ausschussfassung an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion,
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen

und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 30 b bis 30 g .

Tagesordnungspunkt 30 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 327 zu Petitionen

Drucksache 18/8727

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 327 ist einstimmig an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 30 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 328 zu Petitionen

Drucksache 18/8728

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 328 ist ebenfalls ein-
stimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 30 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 329 zu Petitionen

Drucksache 18/8729

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 329 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 30 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 330 zu Petitionen

Drucksache 18/8730

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 330 ist einstimmig an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 30 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 331 zu Petitionen

Drucksache 18/8731

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 331 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Tagesordnungspunkt 30 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 332 zu Petitionen

Drucksache 18/8732

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Sammelübersicht 332 ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Aussagen von Bundesminister de Maizière zu
ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Herr Bundesinnenminister, am Wochen-
ende haben Sie gesagt, 70 Prozent der abschiebepflich-
tigen Flüchtlinge unter 40 Jahren würden sich Gefäl-
ligkeitsatteste beschaffen und damit ihre Abschiebung
aussetzen . Sie setzen das in die Welt . Sie können das
nicht belegen . Das ist dreist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist ein Affront gegen die Ärzteschaft, das ist eine
Stigmatisierung von Flüchtlingen, und das ist Brennstoff
für den Hass, der unser Land derzeit verzehrt – und das
vom Bundesinnenminister . Herr de Maizière, Sie sind für
Sicherheit zuständig und nicht für Verunsicherung in eh
schwierigen Zeiten durch Lügen und durch Laisser-faire .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist nicht die erste Äußerung dieser Art . Erinnern
Sie sich noch? Ich zitiere:

Sie

– die Flüchtlinge –

gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein
Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hun-
derte von Kilometern durch Deutschland zu fahren .

Was treibt Sie dazu, Menschen, die Haus und Auto, die
ihre Heimat verloren haben und hierhergekommen sind,
so zu stigmatisieren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie haben behauptet, 30 Prozent der Flüchtlinge wür-
den sich fälschlich als Syrer ausgeben . In Wahrheit war
es, glaube ich, ein halbes Prozent .

Sie haben vorgeschlagen, Hilfspolizisten auszubilden,
nachdem sich in manchen Teilen dieses Landes Bürger-
wehren gegen diesen Staat aufstellen . Das ist unverant-
wortlich . Wollen Sie das eigentlich noch füttern?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dann Ihre Aussage: „Ein Teil dieser Antworten würde
die Bevölkerung verunsichern .“ Man fragt sich: Warum
sagt ein Innenminister so etwas? Hat er eigentlich sich
und sein Haus wirklich noch unter Kontrolle?


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wohl!)


Diese Fragen stelle nicht nur ich mir . Wenn man sich
hier im Hause umschaut und umhört, dann stellt man
fest: Das geht vielen Kolleginnen und Kollegen der SPD
so, ja sogar Teilen der Union . Ich will jetzt keine Speku-
lationen darüber anstellen, warum sich die Redeliste hier
dauernd ändert .

Es ist nicht nur so, dass Sie häufig die falschen Worte 
finden  –  so wie  bei  der  kleinlichen  und  peinlichen At-
tacke auf die wenigen hundert Fälle von Kirchenasyl
in Deutschland –; Sie lassen sogar die neuen Überwa-
chungsgesetze ausgerechnet von den Sicherheitsbehör-
den schreiben, deren Rechte ausgeweitet werden und die
Sie eigentlich kontrollieren sollen – nach dem Motto:
Das ist ja auch bequemer .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Am Schluss werden diese Schreiber des Gesetzes auch
noch als unabhängige Sachverständige eingeladen . Das
hat doch mit Parlamentarismus, mit Unabhängigkeit, mit
Gewaltenteilung nichts mehr zu tun, meine Damen und
Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


In genau dem Moment, in dem die Verunsicherung
am größten ist und die rechtspopulistischen Angriffe auf
unsere Grundwerte, auf unsere Demokratie und auf den
friedlichen Zusammenhalt am heftigsten sind, erleben
wir einen Innenminister, der ganz offensichtlich Politik
aus dem Bauch heraus macht . Meine Damen und Herren,
das kann doch nicht sein . Es geht doch hier um Sicher-
heit . Es geht doch hier um das Sicherheitsgefühl . Es geht
doch hier darum, den Zusammenhalt zu stärken und in
dieser Situation nicht noch weiter zu spalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dabei gäbe es wirklich viel zu tun . Welche Pläne ha-
ben Sie eigentlich, um den Berg von fast 500 000 unerle-
digten Asylanträgen abzutragen? Wie gedenken Sie den
Saustall im Bundesamt für Verfassungsschutz eigentlich
in den Griff zu kriegen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei Vizepräsidentin Petra Pau der CDU/CSU – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Unerhört!)





(A) (C)


(B) (D)


Wir würden gern wissen, was auf den Handys und
SIM-Karten von NSU-Zeugen gespeichert ist, die hier im
Wochentakt neu auftauchen, meine Damen und Herren .

Herr Innenminister, man hat nicht mehr das Gefühl,
dass Sie führen und regieren . Sie mussten sich bei der
Zuständigkeit für die Flüchtlingskoordinierung vom
Bundeskanzleramt jemanden vor die Nase setzen lassen .
Ich sage Ihnen eines – das weiß hier auch jeder –: Ich bin
mit harten Angriffen und auch mit Rücktrittsforderungen
sehr vorsichtig


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Oh!)


– das sollte man übrigens auch sein –, aber nach dieser
Latte von Äußerungen, diesem Versagen und nach Ihrer
Äußerung vom letzten Wochenende kann ich nur sagen:
Sie sind als Innenminister für diese Republik aus meiner
Sicht nicht mehr tragbar .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Tun Sie uns und dem Land den Gefallen: Treten Sie zu-
rück! Nehmen Sie Herrn Maaßen gleich mit! Machen Sie
jetzt den Weg frei für faktenbasierte Politik, für Sorgfalt!


(Erika Steinbach [CDU/CSU]: Das ist der Grund, warum ich aus der Kirche ausgetreten bin!)


Machen Sie in diesem Augenblick Platz, damit die Si-
cherheitspolitik in diesem Land wieder auf vernünftige
Füße gestellt werden kann!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man könnte jetzt sagen: Das Innenministerium ist seit
elf Jahren in den Händen von CDU und CSU, und al-
les ist eigentlich immer schlimmer geworden . Aber was
wir jetzt wirklich brauchen, ist jemand, der dafür sorgt,
dass sich die Menschen in diesem Land gut aufgehoben
fühlen, dass sie sich sicher fühlen und nicht weiter ver-
unsichert werden durch Scheinfakten, durch einen Minis-
ter dieser Bundesregierung . Das wird nichts mehr . Auf
Sicherheit kommt es doch an, und zwar für jeden und
jede, jeden Tag, egal ob jemand einen Tag oder schon
sein ganzes Leben in diesem Land lebt, egal ob es gegen
den islamistischen Terror geht oder den immer weiter
steigenden Rechtsterror .


(Erika Steinbach [CDU/CSU]: Und den Linksterror!)


Meine Damen und Herren, wir brauchen wieder Sicher-
heit in diesem Land und einen Minister, der das verkör-
pert und ausstrahlt .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817913200

Das Wort hat der Bundesminister des Innern

Dr . Thomas de Maizière .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Vielleicht wird es einige von
Ihnen überraschen, aber ich bin froh und dankbar, dass
die Grünen diese Aktuelle Stunde beantragt haben . Wa-
rum? Wir diskutieren mit Herz und Kopf über Fragen der
Integration . Das tun wir viel, und das tun wir zu Recht .
Wir sprechen gern über Förderung,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fakten!)


über Fördern und Fordern,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ist besser!)


über den Zusammenhalt der Gesellschaft, über Chancen,
und wir freuen uns, wenn Integration gelingt .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der erfundenen Statistik?)


Nicht so gern sprechen aber einige über die andere
Seite derselben Medaille:


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erfundene Statistiken!)


über die Durchsetzung von ablehnenden Asylentschei-
dungen,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Wir!)


über Rückführungen und Abschiebungen und über Pro-
bleme, von denen jeder weiß, dass es sie gibt .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir zum Beispiel!)


Das haben die Grünen heute beantragt . Deswegen sage
ich: Gut so! Reden wir also darüber .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Aber die Wahrheit sagen! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher haben Sie denn die Zahlen, die Sie immer verwenden?)


– Seien Sie doch einmal ganz ruhig, ich komme ja auf
den Punkt zu sprechen .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Was ist denn mit der Statistik?)


– Frau Haßelmann, ich komme darauf . Eine Rede entwi-
ckelt sich doch .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Wohin?)


Als Bundesinnenminister spreche ich seit Monaten
mit Länderkollegen, Landräten, Bürgermeistern, freiwil-

Katrin Göring­Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


ligen Helfern und Praktikern der Ausländerbehörden und
der Polizeien,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)


zuletzt heute, vor zwei Stunden, mit Vertretern des Deut-
schen Städtetages . Bei alledem wird mir ein Bild über die
wirklichen Probleme vor Ort vermittelt . Sie alle berich-
ten mir das Gleiche: Ja, wir kümmern uns um Integration .
Wir wollen das gerne tun . – Aber es gibt in Deutschland
auch Probleme bei freiwilligen Rückführungen und erst
recht bei Abschiebungen von abgelehnten Asylbewer-
bern . Einige berichten von merkwürdig hohen Kranken-
ständen unter abgelehnten Asylbewerbern, andere von
Menschen, die ihre Pässe wegschmeißen, andere von
Menschen, die untertauchen, weil sie ihrer Abschiebung
entgehen wollen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde Sie nervend!)


Viele berichten auch von der mangelnden Bereitschaft
mancher Herkunftsländer, ihre eigenen Staatsbürger zu-
rückzunehmen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interessant! Was haben Sie da getan?)


Alle diese Probleme gibt es . Sie sind real, und wir sind
gut beraten, sie nicht zu verschweigen,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


sondern sie anzusprechen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und auch nicht zu übertreiben! Nicht verschweigen und nicht übertreiben!)


– Das ist wahr .

Ende Mai dieses Jahres hielten sich in Deutschland
über 220 000 vollziehbar Ausreisepflichtige  auf,  davon 
etwa 52 000 sogar ohne eine Duldung . Dieser hohen Zahl
stehen zum gleichen Zeitpunkt nur knapp 11 300 Ab-
schiebungen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres
gegenüber . Hinzu kommen rund 25 000 vom Bund geför-
derte freiwillige Ausreisen .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das Thema der Aktuellen Stunde ist etwas anders!)


Das sind viel mehr als in den vergangenen Jahren – das
ist richtig so –, aber es sind angesichts der Größe der
Aufgabe immer noch zu wenig . Diese Zahlen haben ih-
ren Grund eben auch in sogenannten medizinischen Ab-
schiebehindernissen, auf die ich hingewiesen habe .

Ich habe, Frau Göring-Eckardt, in diesem Zusammen-
hang  in einem Interview eine Zahl genannt, keine offi-
zielle Statistik, sondern einen Erfahrungswert aus den
Gesprächen, die ich zu diesem Thema geführt habe .


(Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ CSU: So ist es!)


Ja, ich hätte diesen Prozentsatz so nicht nennen sollen .
Das will ich klar und unmissverständlich sagen . Ich habe
bereits vor dieser Aktuellen Stunde diese Aussage zu-
rückgenommen .

Tatsache ist aber: Es gibt beim Thema Abschiebung
Probleme durch Krankschreibungen und Atteste . Darü-
ber müssen wir öffentlich diskutieren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Leute krank sind!)


Durch Leugnen, Kleinreden oder Wegschmeicheln löst
man die Probleme nicht .

Wenn wir die Probleme beim Namen nennen, müssen
wir auch über Größenordnungen reden . Eine gemeinsa-
me Bund-Länder-Arbeitsgruppe aus Praktikern von Bund
und Ländern, die sich tagtäglich um Abschiebungen und
Vollzugsdefizite kümmern, hat im April 2015 einen Be-
richt zu Vollzugsdefiziten bei Rückführungen vorgelegt. 

Ein Beispiel aus diesem Bericht: Wenn Ausreise-
pflichtige zur Klärung ihrer Staatsangehörigkeit von den 
Botschaften zu ihrer Herkunft befragt werden sollen, gibt
es zahlreiche Krankmeldungen . Bei einer Stichprobe
der Ausländerbehörde Berlin meldeten sich 80 Prozent
der Ausreisepflichtigen mit Attest krank – ausgerechnet 
dann, wenn der Termin für eine Anhörung vorgesehen
war .

Ein weiteres Beispiel aus diesem gemeinsamen Be-
richt von Bund und Ländern über Vollzugsdefizite: Eine 
Evaluierung des Innenministeriums in Nordrhein-West-
falen hat ergeben, dass 70 Prozent der Ausreisepflichti-
gen psychische Erkrankungen als Vollzugshindernis gel-
tend gemacht haben .


(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und noch ein Beispiel aus dem Bericht: Die Zentrale
Ausländerbehörde in Dortmund hat berichtet, dass dort
über 85 Prozent der Menschen, die im Vorfeld einer Ab-
schiebung medizinische Hindernisse geltend gemacht
haben, im Anschluss an die Abschiebung einen bereits
von hier aus organisierten medizinischen Dienst in ihrem
Heimatland gar nicht mehr in Anspruch genommen ha-
ben .

Nun sage ich Ihnen: Derart hohe Zahlen über Kran-
kenstände und Atteste widersprechen einfach jeder Le-
benserfahrung, und das wissen Sie selber auch .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag
haben dieses Problem längst erkannt . Im Asylpaket II ha-
ben wir die Anforderungen an Qualität und Vorlage einer
ärztlichen Bescheinigung erhöht und uns damit auch der
Praxis der Vorratsatteste entgegengestellt . Das haben wir
nicht ohne Grund und Anlass gemacht, und wir haben es
hier beschlossen .

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Eines sollte uns allen klar sein: Wer sich an einer Stel-
le für Integration einsetzt, der muss an anderer Stelle auf
der Ausreise abgelehnter Asylbewerber bestehen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, tun wir!)


Selbst die Grünen haben auf ihrer Bundesdelegierten-
konferenz Ende letzten Jahres beschlossen – ich zitiere –:

Dabei ist klar, dass nicht alle, die in Deutschland
Asyl beantragen, auch bleiben können .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)


Meine Frage ist ja nur: Wie denn, mit welchen Maß-
nahmen? Finden denn diejenigen irgendwo Unterstüt-
zung,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht durch Unterstellungen! Fahren Sie nach Marokko!)


die das machen müssen – die Bundespolizisten –, die
eine Ausweisung verfügen, die eine Leistungskürzung
vornehmen, von den Grünen?


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, kriegen sie! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wäre es, wenn Sie mal bei richtigen Zahlen blieben?)


Das möchte ich einmal erleben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die freiwillige Rückfüh-
rung von Menschen ohne Bleiberecht und die unfrei-
willige Abschiebung sind unbequem . Und ich verstehe,
warum .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Unterstellungen helfen Ihnen nicht weiter!)


Es geht um das Schicksal von Menschen, denen eine
zumindest wirtschaftlich ungewisse Zukunft droht . Ich
verstehe natürlich Menschen ohne Bleiberecht, die mit
sich ringen, wie sie eine drohende Abschiebung mögli-
cherweise noch abwenden können . Ich verstehe nicht alle
Rechtsanwälte, die daraus ein Geschäftsmodell machen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau!)


Aber all das kann kein Maßstab für einen Rechtsstaat
sein . Bei dieser Aufgabe brauchen wir Herz und Ver-
stand . Nicht alle, die in Deutschland Asyl beantragen,
können in Deutschland bleiben . Das ist Teil unserer
Rechtsordnung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen und müssen beim Thema Rückführung
vorankommen – ohne Vorwürfe, ohne gegenseitige
Schuldzuweisungen zwischen Bund und Ländern oder
zwischen den Ländern . Bund und Länder handeln ge-
meinsam .

Es ist die Aufgabe des Bundesinnenministers und von
uns allen, bestehende Probleme anzusprechen, seien sie
auch noch so unangenehm . Und es ist unsere gemeinsa-
me Aufgabe, Lösungen zu entwickeln, ohne zu behaup-
ten, alle Probleme seien sofort oder mit einem Schlage
zu lösen .

Meine Damen und Herren, ein faires Verfahren für
alle, Hilfe, Schutz und Integration für Schutzbedürftige
und Rückführung für nicht Schutzbedürftige – am bes-
ten freiwillig; da wo es nicht geht, auch durch Abschie-
bung –: Das ist ein Dreiklang, ein gemeinsamer Auf-
trag, der uns alle zusammenführen sollte, nicht nur hier
im Deutschen Bundestag, sondern auch dort, wo diese
schwierige Aufgabe im Alltag erfüllt werden muss .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817913300

Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817913400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Vorab drei Anmerkungen zu Ihren Ausführun-
gen, Herr Innenminister .

Erstens . Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie
Ihre Aussage bezüglich der 70 Prozent zurückgenommen
haben . Ich will klar sagen: Das kann jedem einmal pas-
sieren, aber einem Bundesinnenminister darf das in die-
sen Zeiten nicht passieren .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Es geht heute entgegen Ihren Ausführungen
in erster Linie nicht um Integration, sondern es geht um
Sie, um Ihre Art, Politik zu machen, und darum, wie Sie
Ihr Amt führen .

Drittens . Ich will zu Ihrer Rede noch einmal deutlich
sagen: Diejenigen vor Ort, die Sie angesprochen haben –
Kommunalpolitiker, Vereine, Verbände und viele ande-
re –, leisten reale Integrationsarbeit . Mit Ihrem Gerede
konterkarieren Sie dies jeden Tag . Das muss deutlich
gesagt werden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige Ältere
werden sich noch erinnern: Bundesinnenminister de
Maizière galt einmal als möglicher Nachfolger der Bun-
deskanzlerin Merkel . Davon redet keiner mehr, und zwar
zu Recht . Allerdings reden Sie sich jede Woche um Kopf
und Kragen . Das hat ja offenbar Methode . Das fällt bei
Ihnen besonders auf, weil Sie einmal als jemand gestar-
tet sind, der alles technokratisch und seriös managt . Sie
haben eine Methode entwickelt, die umso ausgereifter
wird, je weniger Einfluss Sie haben: Zunächst behaupten 
Sie irgendetwas, am liebsten in Sonntagszeitungen, dann

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


gibt es seriöse Nachfragen von der Opposition oder den
Journalisten und Sie können ihre Behauptung nicht bele-
gen, wie ich gleich beweisen werde, anschließend wird
eingeräumt, dass die Aussage vielleicht doch nicht rich-
tig gewesen ist . Das Schlimme ist: Drei Wochen später
machen Sie schon wieder eine Falschaussage . Das ist die
Methode de Maizière, die für einen Innenminister inak-
zeptabel ist .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Katrin Göring-Eckardt hat dies eben ausgeführt .

Ich will Ihnen vorlesen, was Sie behauptet haben und
jetzt als falsch eingeräumt haben: Es kann nicht sein,
dass 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren vor einer
Abschiebung für krank und nicht transportfähig erklärt
werden . – Ich habe verstanden, dass Sie das nicht richtig
finden. Das Problem ist, dass Sie einmal deutlich sagen 
müssen, dass es reine Fantasiezahlen sind, die Sie in die-
ser gesellschaftlichen Situation herausfeuern . Das ver-
giftet das Klima . Ich will eines sagen: Flüchtlinge sind
Menschen . Jeder Einzelne hat ein Schicksal, und er hat
das Recht, dass nicht in Zahlenkolonnen über ihn geredet
wird, wie Sie das machen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Mindeste, was Sie heute tun müssen, ist, sich
nicht nur bei den Flüchtlingen für diese Unterstellung zu
entschuldigen, sondern auch bei den Ärztinnen und Ärz-
ten . Dass Sie das nicht getan haben, ist wirklich nicht zu
fassen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will ein zweites Beispiel nennen, um zu zeigen,
was die Methode de Maizière ausmacht . Sie haben vor
einiger Zeit von den vielen Integrationsverweigerern ge-
sprochen und behauptet, dass wir massive Sanktionen
brauchen, um die Integrationsverweigerer zu bestrafen .
Wahr ist – im Gegensatz zu Ihrer Aussage –, dass dies
schon immer im Aufenthaltsgesetz stand . Auf Nachfrage
von Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundes-
tages konnten Sie nicht eine wirkliche Zahl nennen, wie
viele Integrationsverweigerer es gibt . Das ist die Metho-
de de Maizière, die einzig und allein das Klima vergiftet .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will auch deutlich sagen: Wenn Sie einmal mit
Flüchtlingen reden, so werden Sie feststellen, dass der
Integrationswille und die Integrationsmotivation von
Flüchtlingen deutlich höher sind als die Zahl der Inte-
grationsangebote, die die Bundesregierung macht . Auch
das muss einmal deutlich gesagt werden . Das haben Sie
vollständig verschlafen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann einmal daran erinnern – die Kollegen von
der Union gucken schon ganz betreten –:


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ob der Qualität Ihrer Rede!)


Es war nicht nur die Opposition, sondern es war auch
Ihre Bundeskanzlerin, die immer wieder auf die Fal-
schaussagen aufmerksam gemacht hat . Ich möchte da-
ran erinnern, dass sie es war, die auf dem Höhepunkt der
Debatte um die Flüchtlinge den dafür eigentlich zustän-
digen Innenminister politisch erster Klasse beerdigt hat
und die Zuständigkeit für das Thema auf ihren Freund
Altmaier übertragen hat, weil es der Innenminister nicht
hinbekommen hat . Daran darf man doch wohl in diesem
Zusammenhang erinnern .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will auch daran erinnern, Herr Innenminister, dass
Sie das Parlament schon offen belogen haben .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Hey!)


Ich erinnere an den 14 . April 2015, als Sie auf Nachfra-
ge, ob es denn eine Wirtschaftsspionage durch die NSA
gebe, gesagt haben, das gebe es nicht, obwohl Sie vorher
längst darüber informiert gewesen sind . Auch daran muss
in diesem Zusammenhang erinnert werden .

Zusammenfassend kann man doch nur sagen: Sie,
Herr de Maizière, sind in diesen schwierigen Zeiten, in
denen wir uns befinden, nun wirklich der denkbar unpas-
sendste Innenminister, den man sich nur vorstellen kann .
Über Flüchtlinge wird von Ihnen nur in Form von Zahlen
und Problemen geredet . Dies vergiftet das Klima . Die
AfD braucht kein Plakat aufzuhängen, solange es solch
einen Innenminister gibt – um auch das klar zu sagen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Solange es solche Reden wie Ihre gibt!)


Abschließend stelle ich fest: Wenn man einmal zu-
rückschaut, dann erkennt man, dass es schon Minister
gab, die wegen bedeutend geringerer Verfehlungen ihr
Amt zur Verfügung gestellt haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817913500

Das Wort hat der Kollege Dr . Lars Castellucci für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Heiko Schmelzle [CDU/CSU])



Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1817913600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister,
zunächst einmal können wir über Inhalte reden, und dann
müssen wir über dieses Interview reden .

Jan Korte






(A) (C)



(B) (D)


Bei den Inhalten haben wir im Prinzip kaum einen
Dissens . Denn keine Frage: Wir wollen das, was wir hier
rechtsstaatlich miteinander vereinbart haben, in diesem
Land auch durchsetzen . Wir wollen, dass die Menschen,
die zu uns kommen, sich an die Spielregeln halten . Also
müssen wir uns auch selbst an die Spielregeln halten .
Deswegen gehören auch Rückführungen und Abschie-
bungen dazu – das ist gar keine Frage . Das macht nie-
mandem Spaß,  am wenigsten  denen,  die  zu  uns  geflo-
hen sind und hier kein Bleiberecht haben; Familien und
Kinder sind betroffen . Das macht auch den Verwaltungen
keinen Spaß, das macht der Polizei keinen Spaß . Neben-
bei: Viel sinnvoller ist es, auf freiwillige Rückkehr zu
setzen und Rückkehrhilfen zu geben . Noch viel besser
wäre es, wir würden dafür sorgen, dass Menschen, die
gar keine Chance haben, hierbleiben zu dürfen, sich gar
nicht erst auf den Weg zu uns machen, weil sie die ent-
sprechenden Informationen schon in ihren Herkunftslän-
dern bekommen hätten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt einen Dissenspunkt . Wir sind anders als Sie
der Meinung, dass wir dann auch andere, legale Zu-
gangswege nach Deutschland eröffnen müssen . Da geht
es um ein Einwanderungsgesetz; es ist bitter nötig . Das
gehört in diesem Zusammenhang auch gesagt .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber jetzt, Herr Minister, kommen wir zu Ihrem Inter-
view . Ich bin diese Woche mal wieder von meiner Hoch-
schule hierher angereist . Ich kam bei der Vorbereitung
auf meine Rede am heutigen Tag nicht umhin, Parallelen
zwischen dem, was ich am Montagmorgen gesagt habe,
und dem, was ich jetzt sage, festzustellen .

Der erste Punkt, den ich am Montagmorgen den Stu-
dierenden gesagt habe, war: Wenn ihr Behauptungen auf-
stellt, dann braucht ihr gute Argumente, dann müsst ihr
Belege anführen, dann braucht es seriöse Quellen . Herr
Innenminister, das erwarte ich auch von Ihnen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt haben Sie gesagt, Sie hätten diese Zahl nicht
nennen sollen . Aber Sie haben in Ihrer Rede deutlich ge-
macht, dass Sie inhaltlich überhaupt nichts zurückneh-
men . Herr Innenminister, das ist nicht ausreichend .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich zitiere Sie:

Es kann nicht sein, dass 70 Prozent der Männer un-
ter 40 Jahren vor einer Abschiebung für nicht trans-
portfähig erklärt werden .

Genauso gut hätten Sie jetzt sagen können: Ja, genau, ich
habe doch gesagt, es kann nicht sein . – Damit hätten Sie
auch nichts zurückgenommen .

Wenn Sie eine Behauptung aufstellen, dann müssen
Sie sie entweder belegen – was Sie nicht können – oder
sie richtig zurücknehmen . Das ist meine Erwartung .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum zweiten Punkt, der am Montag wichtig war . Ich
habe den Studierenden gesagt: Fehler dürft ihr machen –
dann lernt ihr vielleicht sogar etwas dabei –, aber bitte
wiederholt die Fehler nicht; denn wenn ihr Fehler wie-
derholt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass ihr nichts
gelernt habt .

Da komme ich zu Ihrer Aussage aus dem letzten
Herbst, Sie haben gesagt: Ungefähr 30 Prozent der Men-
schen, die kommen und behaupten, sie seien Syrer, sind
gar keine . Es gebe Flüchtlinge, die sich Taxis bestellen
und erstaunlicherweise das Geld hätten, um Hunderte
von Kilometern durch Deutschland zu fahren .


(Zuruf des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Innenminister, auch für diese Punkte hatten Sie kei-
ne Belege .

Vielleicht erwarten Sie jetzt hier von einem Mitglied
einer Koalitionsfraktion Unterstützung und Rückende-
ckung, aber ich erwarte von meinen Studierenden und am
Ende auch von meinem Innenminister, dass sich Fehler
nicht wiederholen . Sie laufen immer wieder in die Falle
hinein, dass Sie Dinge behaupten, hinter denen Sie am
Ende nicht stehen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Ich habe dann von irgendeinem Staatssekretär einen
Brief bekommen, in dem stand, dass solche Aussagen zur
Darstellung des Gesamtbildes möglich sein müssen . Jetzt
frage ich Sie: Wo ist denn hier ein Gesamtbild entstan-
den?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist eine Aussage in der Welt, die das soziale Klima in
unserem Land vergiftet . Das ist brandgefährlich .

Zum dritten Punkt . Die Studierenden kommen manch-
mal nicht ganz pünktlich; es war dann der böse Verkehr
oder ein Zug ist ausgefallen . Meine dritte Botschaft an
diesem Montagmorgen war: Leute, bitte übernehmt für
euch Verantwortung . Herr Minister, mir fällt auf, dass Sie
immer jemanden finden, der schuldig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In der Vergangenheit waren es die Flüchtlinge, die sich
nicht dankbar für das Essen zeigen, oder die Bundeslän-
der, die nicht kooperieren . In diesem Fall sind es die Ärz-
tinnen und Ärzte, die nicht das tun, was Sie für richtig
halten .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Unverschämtheit!)


Dr. Lars Castellucci






(A) (C)



(B) (D)


Herr Minister, es war in den letzten Monaten nicht
einfach, aber unter der Aufsicht Ihres Ministeriums sind
Asylanträge schon liegen geblieben, da hatten wir noch
gar keine Flüchtlinge .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich befürchte, dass die Registrierungszentren zu dem
Zeitpunkt perfekt funktionieren, wenn wir gar keine
Flüchtlinge mehr haben . Darüber könnte man sich amü-
sieren, wenn es nicht so traurig wäre .


(Ute Bertram [CDU/CSU]: Was ist denn mit Ihrem Minister, den Sie in Niedersachsen stellen?)


Es gibt derzeit 500 000 – eine halbe Million! – auf-
gelaufene Verfahren . Menschen sind in unbekannter Zahl
über die Grenzen gekommen, ohne dass sie registriert
worden sind . Wir verlangen von den Menschen, dass sie
sich integrieren, aber wir liefern ihnen nicht die ausrei-
chenden Angebote für Integrationskurse . Das alles liegt
in erster Linie in Ihrer Verantwortung . Dafür trägt nie-
mand anders Verantwortung .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen ist meine Botschaft: Werden Sie Ihrer Ver-
antwortung gerecht . Schieben Sie die Probleme unseres
Landes nicht auf Dritte .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817913700

Das Wort hat der Kollege Dr . Stephan Harbarth für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stephan Harbarth (CDU):
Rede ID: ID1817913800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Göring-
Eckardt, Ihr Plädoyer für faktenbasierte Politik hat mich
heute mit einer gewissen Verwunderung zurückgelassen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe vor wenigen Tagen gelesen, dass die Kölner
Journalistenschule einen Faktencheck durchgeführt hat .
Wer dort ganz blamabel abgeschnitten hat – zugegebe-
nermaßen noch übertrumpft von Frau Petry –, das waren
Sie, Frau Göring-Eckardt .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich mal die Methoden an!)


Deshalb würde ich Ihnen vorschlagen: Wenn Sie für
mehr Faktentreue in der Politik plädieren, legen Sie die
gleichen Maßstäbe an sich selbst an .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Erlauben Sie mir eine zweite Vorbemerkung an un-
seren Koalitionspartner . Wenn man in der Koalition der
Auffassung ist, dass einzelne Minister keine hinreichen-
de Leistung erbringen, dann rate ich unserem Koaliti-
onspartner, kritisch zu hinterfragen, woran es eigentlich
liegt, dass er in den Wahlen und in den Umfragen nicht
vor, sondern hinter der Union liegt .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Zurufe von der SPD)


Das liegt nicht daran, dass Ihre Minister die besseren
sind . Vielmehr liegt es daran, dass wir für Qualität ste-
hen und dass Ihre Minister in den Ressorts, für die sie
Verantwortung tragen, die Arbeit nicht so verrichten, wie
es sein sollte .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist keine gesicherte Statistik!)


Der Bundesminister hat ausgeführt – und dafür bin
ich ihm dankbar –: Wir werden die Akzeptanz der deut-
schen Bevölkerung bei der Aufnahme von Flüchtlingen
dauerhaft nur dann erhalten, wenn es uns gelingt, die
Menschen, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, zurück-
zuführen .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der Statistik?)


Bei den Rückführungen geht es auch um Gerechtigkeit .
Es kann nicht sein, dass derjenige, der sich seiner Aus-
reisepflicht nur  lange genug widersetzt, dafür am Ende 
belohnt wird, womöglich durch eine Altfallregelung der
Grünen,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist so menschenverachtend!)


und dass der gesetzestreue Ausländer, der freiwillig und
frühzeitig das Land verlässt, am Ende der Dumme ist .
Dafür sind wir nicht zu haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es kann doch überhaupt nicht bestritten werden, dass
eine sehr große Zahl von Rückführungen daran scheitert,
dass gleichsam in letzter Sekunde medizinische Gründe
ins Feld geführt werden, ohne dass diese nachvollzogen
werden können .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das entscheiden Ärzte und nicht Sie!)


Die angesprochene Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rück-
führung“, der auch grün regierte Länder und sozialde-
mokratisch geführte Länder angehören, hat sich mit dem
Themenkreis doch eingehend befasst . Die Arbeitsgruppe,
der auch Vertreter von Regierungen, an denen Sie betei-
ligt sind, angehören, ist zu einer Gesamtbetrachtung ge-
kommen, aus der ich zitieren darf:

Oft hält das als Beleg einer Reiseunfähigkeit im
Endstadium einer Abschiebung von dem Betroffe-
nen selbst oder von Unterstützern vorgelegte Gut-
achten der Überprüfung nicht stand .

Dr. Lars Castellucci






(A) (C)



(B) (D)


Das sagt nicht die Unionsfraktion, sondern das sagen
Vertreter der Regierungen, an denen Sie politisch betei-
ligt sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Sie nehmen all dies nicht zur Kenntnis . Das hat nichts mit
Problemlösung zu tun, sondern das hat etwas zu tun mit
Realitätsferne, mit Realitätsverweigerung und mit Rea-
litätsflucht; und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir könnten Rückführungen vermeiden, wenn wir
dafür sorgen würden, dass weniger Menschen ins Land
kommen . Deshalb bin ich Ihnen dankbar, dass Sie diese
Aktuelle Stunde beantragt haben . Hätten Sie das nicht
getan, hätten wir das tun müssen;


(Lachen bei der LINKEN)


denn es gab in den letzten Tagen in der Tat einen asylpo-
litischen Skandal . Skandalös waren nicht die Hinweise
des Bundesinnenministers, sondern skandalös war Ihr
Versuch, über den Bundesrat eine längst überfällige Re-
form des Asylrechts zu blockieren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die Einstufung der Maghreb-Staaten blo-
ckiert, obwohl Sie wissen, dass es in erster Linie öko-
nomische Motive sind, die Migranten aus Marokko,
Algerien und Tunesien zur Stellung eines Asylantrags in
Deutschland veranlassen . Sie haben diese Entscheidung
blockiert, obwohl Sie genau wissen, dass durch die Ein-
stufung kein einziger Asylantrag automatisch abgelehnt
wird . Sie haben diese Entscheidung blockiert, obwohl
die gemäßigten Kräfte in Ihrer Partei – ich nenne den
baden-württembergischen Ministerpräsidenten – bereit
sind, diesen Kurs der Vernunft im Bundesrat mitzutra-
gen . Ich möchte Sie auffordern: Kommen Sie bei der
Frage der Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere
Herkunftsstaaten endlich zu dem Ergebnis, das wir auch
infolge der Ereignisse in Köln der Bevölkerung schul-
den . Die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-West-
falen hat noch im Frühjahr mit Blick auf Migranten aus
Nordafrika von einer Problemklientel gesprochen und ei-
nen Aufnahmestopp für diese Gruppe erklärt . Halten Sie
sich an diese Maßstäbe . Bekennen Sie im Bundesrat end-
lich Farbe . Wenn wir dafür sorgen, dass weniger Men-
schen nach Deutschland kommen, dann brauchen wir
auch weniger Abschiebungen . Das ist unser aller Ziel .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, ist das übel! – Jan Korte [DIE LINKE]: Ganz schlecht!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817913900

Die Kollegin Ulla Jelpke hat für die Fraktion Die Lin-

ke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817914000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was

Sie sich hier gerade geleistet haben, war purer Zynismus


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


vor dem Hintergrund einer sehr wichtigen und traurigen
Debatte, die wir hier gerade führen .

Herr Minister, ich muss Ihnen sagen: Sie haben heute
eigentlich noch einen draufgesetzt .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Erst waren es die Ärzte; jetzt haben die Rechtsanwälte
noch einen draufgekriegt . Ich frage Sie: Hat es in Ihrem
Ministerium jemals eine Untersuchung darüber gegeben,
in welchem psychischen und medizinischen Zustand
Flüchtlinge nach Deutschland kommen und welche me-
dizinische Hilfe geleistet werden müsste?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hat es eine solche Untersuchung jemals gegeben?

Stattdessen beziehen Sie sich hier auf irgendwelche
Zahlen, die 2011 in NRW erhoben wurden, und sagen, sie
widersprechen jeder Lebenserfahrung . Wissen Sie, was
ich glaube? Flüchtlinge, die aus dem Krieg kommen, die
jahrelang Gewalt und Verfolgung erlebt haben, sind oft
krank und häufig  traumatisiert. Man kann  sie gar nicht 
mit uns vergleichen, sondern man muss sie ganz spezi-
ell sehen . Man muss ihre Geschichte sehen . Man muss
sehen, was sie erlitten und erlebt haben . Wir als Linke
fordern, dass Sie das endlich berücksichtigen .

Ich will hier noch einmal daran erinnern – viele
Menschen wissen das gar nicht –: Flüchtlinge, Schutz-
suchende in diesem Land haben nur Anspruch auf eine
medizinische Notfallversorgung . Das heißt, sie müssen
zur Behörde gehen, um einen Krankenschein zu erhalten
und zum Arzt gehen zu können . Das heißt, sie stehen vor
hohen bürokratischen Hürden . Die Bundeskanzlerin hat
die Gesundheitskarte erst angekündigt und diese Ankün-
digung dann nicht erfüllt . Das wäre doch das Mindeste:
eine Gesundheitskarte für alle Flüchtlinge, damit sie un-
bürokratisch zum Arzt gehen können


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


und man sie nicht permanent drangsaliert; das ist gerade
auch, was ihre Situation angeht, wichtig .

Die Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initia-
tive hier in Berlin zum Beispiel dokumentiert Jahr für
Jahr Abschiebefälle . Ganz aktuell gibt es Fälle, da wird
einem angst und bange . Ein Beispiel ist der Fall eines
Flüchtlings aus Niger . Er hatte eine Bauchoperation, hat-
te Schmerzen, seine Wunde war nicht verheilt . Trotzdem
hat man ihn 14 Tage später in diesem Zustand abgescho-
ben . Pro Asyl berichtet über diverse Fälle, zum Beispiel

Dr. Stephan Harbarth






(A) (C)



(B) (D)


von einer schwer traumatisierten Frau, die in psychothe-
rapeutischer Behandlung war . Der Facharzt hat geraten,
sie nicht abzuschieben . Sie wurde trotzdem abgescho-
ben . Vielleicht sollten wir uns wirklich einmal mit sol-
chen Fragen beschäftigen statt immer nur damit, wie man
möglichst schnell, schnell, schnell alle Leute aus diesem
Land abschieben kann, Herr Minister .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will noch einmal darauf hinweisen: Gerade mit
dem Asylpaket II haben Sie weitere Verschärfungen in
diesem Bereich vorgenommen . Zum Beispiel muss in-
nerhalb von zwei Wochen ein fachliches Gutachten von
einem Flüchtling oder einem Schutzsuchenden besorgt
werden, damit er einen Beleg hat, dass er nicht abge-
schoben werden darf . Ich bin fest davon überzeugt, dass
weder privilegierte Privatversicherte geschweige denn
irgendjemand von den MdBs aus diesem Raum inner-
halb von zwei Wochen ein medizinisches Fachgutachten
bekommen kann . Ich halte es wirklich für einen Skandal,
dass Sie solche Auflagen in Gesetze geschrieben haben. 
Hier haben Flüchtlinge nicht einmal mehr die Möglich-
keit, sich zu wehren .


(Beifall des Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE])


Bei einem weiteren Punkt sieht es nicht anders aus:
Psychologische Gutachten dürfen nicht mehr als Beleg
für ein Abschiebehindernis verwendet werden . Dagegen
protestieren zum Beispiel Verbände . Das interessiert Sie
aber gar nicht . Sie machen weiterhin eine Politik, die
unmenschlich ist, die den Bedürfnissen der Flüchtlinge
wirklich nicht gerecht wird und die vor allen Dingen
nicht in ihrem Interesse ist .

Kranke und traumatisierte Flüchtlinge brauchen be-
sonderen Schutz . Das hat die Linke immer wieder ge-
fordert . Wir brauchen endlich eine Gesundheitskarte . Wir
brauchen die Standards, die die EU-Aufnahmerichtlinie
für kranke und traumatisierte Flüchtlinge festgeschrieben
hat . Sie sind oft Opfer von Folter und Gewalt .

Herr Minister, ich habe mir jetzt erspart, noch einmal
alle Falschmeldungen, die Sie immer wieder herausgege-
ben haben, aufzuzählen . Das ist in den Reden hier heute
vielfach schon geschehen . Aber ich möchte noch einen
Punkt deutlich machen: Es hat eine gewisse Systematik .
Sie als Innenminister müssen doch wissen – er ist gar
nicht mehr da; doch, er steht da hinten –, was für eine
Stimmung in diesem Land vorherrscht .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Eine Unverschämtheit, in der Debatte aufzustehen!)


Diese Stimmung bedienen Sie im Grunde genommen mit
Ihren ständigen Unwahrheiten und Lügen, Sie bedienen
im wahrsten Sinne des Wortes rassistische Ressenti-
ments .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist unglaublich! – Dr . Volker Ullrich [CDU/ CSU]: Es ist eine Frechheit, was Sie sagen! Eine Riesenfrechheit! Hätten Sie geschwiegen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Eine Riesenfrechheit!)


Sie machen damit auch Kräfte wie AfD und andere
Hetzer gegen Flüchtlinge stark . Das muss endlich ein
Ende haben . Deswegen ist heute völlig berechtigt die
Forderung nach Ihrem Rücktritt aufgetreten . Wir brau-
chen einen Innenminister, der Feingefühl hat und der vor
allen Dingen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
angeht und sie nicht permanent mit anheizt .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist eine bodenlose Frechheit!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817914100

Das Wort hat der Kollege Sebastian Hartmann für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1817914200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bürge-
rinnen und Bürger unseres Landes vertrauen auf einen
handlungsfähigen Staat, der auf Basis von Fakten, Er-
fahrungswerten und vernünftigen Analysen umsichtig
handelt. Das verpflichtet uns alle. So ist die Debatte, die 
wir heute führen, gerade angesichts der öffentlich aufge-
heizten Diskussion rund um die Behauptungen, dass man
dem Staat nicht vertrauen kann, und in der die Presse in
weiten Teilen immer wieder als Lügenpresse bezeichnet
wird, eigentlich im Kern völlig unnötig und überflüssig, 
vor allen Dingen wenn sie auf unbedarften Äußerungen
fußt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist etwas, das uns gerade auch angesichts der The-
matik rund um Flüchtlinge, Menschen, die zu uns kom-
men, mit Blick auf unsere internationale Verantwortung,
die wir im europäischen Verbund wahrnehmen, zur Zu-
rückhaltung mahnt, wenn wir Zahlen aufgreifen . Herr de
Maizière, Sie haben als Innenminister eine Zahl aufge-
griffen . Sie ist in einem Interview zitiert worden . Sie ist
von Ihnen zurückgenommen worden .


(Zustimmung des Bundesministers Dr . Thomas de Maizière)


Aber so etwas darf nicht die Basis unseres Handelns sein .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!)


Das ist die Verantwortung, die wir haben . Ich kann
mich gut an den 13 . Mai erinnern, als wir im Plenum da-
rum gerungen haben, Staaten einzuordnen und bestimm-
te Zahlen zur Grundlage von Entscheidungen zu machen .

Ich habe auch in meinen Unterlagen sehr genau ge-
schaut und gesagt: Wie ist die Zahl der Fälle in Nord-
rhein-Westfalen wirklich? Ist das die Basis unseres

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


Handelns? Es ist doch unsere Verantwortung als Parla-
mentarierinnen und Parlamentarier, dass wir das nicht
aufgrund von gefühlten Wahrnehmungen und Annahmen
entscheiden, sondern dass wir eine belastbare Grundla-
ge haben, um vernünftige Entscheidungen zu treffen und
vor allen Dingen dann auch zu verantworten, liebe Kol-
leginnen und Kollegen .

Deswegen sind solche Zahlen immer zu hinterfragen,
wenn sie im Raum sind . Ich sage Ihnen in aller Klarheit,
weil wir um manche Dinge wirklich sehr gerungen und
uns immer wieder an den tatsächlichen Fällen orientiert
haben: Auch bei Menschen, die krank sind, bei denen
es echte Abschiebehindernisse gibt, bei denen es keine
Möglichkeit gibt, vielleicht ein entsprechendes Attest
beizubringen, muss das die Grundlage des Handelns
sein . Es hat uns erschüttert, und es ist auch von führen-
den Politikerinnen und Politikern der SPD sehr deutlich
an diesem Wochenende gesagt worden, dass dieser Punkt
so nicht in Ordnung ist .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Als diejenigen, die die Verantwortung tragen, müssen
wir auch – das ist angesprochen worden – ganz klar sa-
gen: Der Präsident der Bundesärztekammer hat sich sehr
eindeutig zu der Frage verhalten, ob er auf der einen Sei-
te Erfüllungsgehilfe einer Regierung ist und auf der an-
deren Seite Gefälligkeitsatteste verfasst . Ich möchte den
Ärzten in diesem Land zurufen: Auch Sie bringen wie
viele andere Berufe Ihre Verantwortung ein, indem unter
anderem Ärzte ehrenamtlich in Einrichtungen arbeiten
und sich um Menschen kümmern,


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


die tatsächlich krank sind und die nicht in einen Topf mit
Menschen geworfen werden dürfen, die nicht krank sind
und die das vielleicht als Umgehungstatbestand nutzen .

Deswegen dürfen wir diese Debatten nicht miteinan-
der vermischen . Lassen Sie uns vernünftig streiten über
die Fragen eines vernünftigen Integrationskonzeptes,
über den tatsächlichen Umgang mit kranken Menschen,
aber lassen Sie uns das sauber von dem trennen, was un-
sere eigene Verantwortung und unsere Verpflichtung an-
gesichts der öffentlichen Stimmung in diesem Land ist .
Die Menschen in unserem Land vertrauen darauf, dass
wir entsprechend umsichtig handeln .

Man kann aus dieser Diskussion etwas ableiten . Das
wiederhole ich jetzt als Koalitionspartner in aller Klar-
heit, weil man vielleicht doch noch aus einer wirklich
unnötigen Debatte lernen kann, unnötig nicht, weil der
Grund nicht gegeben ist, sondern unnötig, weil sie zur
Unzeit kommt; wir müssen uns um viel Wichtigeres
kümmern . Dass wir selbst in diese Lage gebracht worden
sind, ist ärgerlich . Daher erneuere ich unsere Forderung,
dass wir das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
mit einem eigenen ärztlichen Dienst ausstatten sollten,
der den Staat in die Lage versetzt, rechtssicher zu prüfen,
was in den Raum gestellt worden ist, um vielleicht das
zu verbessern, was die Opposition kritisiert hat und was
wir als regierungstragende Koalition verantworten, was

die Regierung dann entsprechend umzusetzen hat . Diese
Forderung möchte ich hier erneuern .


(Beifall bei der SPD)


Ich komme zu einem letzten Punkt, weil meine Rede-
zeit abläuft . Manche Punkte, die in die öffentliche Dis-
kussion eingebracht worden sind, sind geeignet, uns zu
verunsichern . Manche Antworten – auch nicht gegebene
Antworten – haben Menschen in diesem Land verunsi-
chert . Lassen Sie uns das aber als Mahnung nehmen, dass
wir jetzt an einem Punkt angelangt sind, an dem wir un-
ser Handeln an Fakten orientieren und das zur Grundlage
des weiteren Handelns machen müssen . Denn auch wir,
Herr Innenminister, haben uns in unseren Beratungen da-
rauf verlassen, dass es belastbare Grundlagen gibt, die
die Ausgangslinie der Regierungspolitik bilden .

Vielen Dank, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817914300

Die Kollegin Luise Amtsberg hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817914400

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Herr Innenminister, das Bedauerliche und
Traurige an dieser Debatte ist, dass sie sich an eine Grup-
pe richtet bzw . dass eine Gruppe Vorwürfe aushalten
muss, die sich gerade im vergangenen Jahr an so vielen
Stellen ehrenamtlich eingebracht hat, die Überstunden
in der eigenen Praxis geschoben hat, die am Nachmittag
nach der eigenen Schicht in die Flüchtlingsheime gegan-
gen ist und die Menschen versorgt hat, die auf andere Art
und Weise sonst durch das Raster gefallen wären .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist das wirklich Bedauerliche an dieser Debatte:
dass Sie nicht nur die Ärzteschaft verprellen, sondern
auch diejenigen füttern, die am liebsten das ganze Grund-
recht auf Asyl abschaffen wollen . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, deshalb war es richtig, diese Aktuelle Stunde
zu diesem Verhalten und zu dieser Art der Kommunika-
tion jetzt endlich durchzuführen und die größtmögliche
Öffentlichkeit dafür zu schaffen, dass die genannte Zahl
nicht belastbar ist, sondern auf einem Erfahrungswert,
der nur vom Hörensagen bekannt ist, basiert und dass es
hierfür keinerlei Quellen gibt .

Aber es ist wirklich nicht von der Hand zu weisen,
dass das Methode hat; das haben wir in der Vergangen-
heit gelernt . Es ist wirklich bedauerlich, dass wir, statt
uns hier unseren eigentlichen Aufgaben zuzuwenden, im-
mer wieder mit diesen Fragen und Richtigstellungen be-
schäftigt sind . Als Sie behauptet haben, dass 30 Prozent
der Flüchtlinge Passfälscher sind, war es die Opposition,
die aufgeklärt hat, dass es sich um lediglich 116 nach-
weisliche Fälle handelte . 1 Million Flüchtlinge, 116 Fäl-
le: Ich bin nicht gut in Mathe; aber ich weiß, dass das
keine 70 Prozent sind . Ich kann nur sagen: Es ist gut, dass

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


es die Opposition gibt, dass sie den Finger in die Wunde
legt, genau da nachfragt und die Zahlen richtigstellt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aber – da spreche ich sicher auch für meine Kollegin-
nen und Kollegen von den Linken – wir haben eigent-
lich Besseres zu tun . Wir haben eigentlich die Aufgabe,
gemeinsam in diesem Parlament daran zu arbeiten, eine
Stimmung und ein Klima zu erzeugen, die den Menschen
da draußen die Sicherheit geben, dass wir mit dieser Si-
tuation, mit vielen Flüchtlingen in Deutschland, adäquat
umgehen, niemanden auf der Strecke lassen und uns um
diese Menschen kümmern .

Anfang letzter Woche hat das BMI bzw . haben Sie,
Herr Innenminister, beklagt, dass es bei Abschiebungen
immer wieder zu Protesten aus der Bevölkerung kommt,
und darauf hingewiesen, dass es für ein Bleiberecht eben
nicht ausreicht, wenn man als Flüchtlingskind der bes-
te Torschütze im dörflichen Fußballverein ist oder wenn 
eine Familie das Nachbarschaftsleben mit bereichert .
Das reicht für ein Bleiberecht, sagen Sie, nicht aus . Ja,
da haben Sie recht . Juristisch ist das sicher nicht aus-
reichend; menschlich aber ist es das . Das ist genau der
Punkt, der mir an dieser ganzen Debatte missfällt: Worte
des Dankes an die Menschen, die mit Flüchtlingen arbei-
ten, die sich um Flüchtlinge kümmern, zu adressieren, ist
auch die Aufgabe eines Innenministers, und der werden
Sie nicht gerecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich finde das wirklich in vielerlei Hinsicht erstaunlich. 
Denn Sie sollten eigentlich dankbar sein für die vielen
Menschen, die diese Emotionen aufbringen, die an den
Menschen, die um sie herum leben, Anteil haben, die sich
einbringen, sich ehrenamtlich engagieren . Denn, Herr
Innenminister, ohne diese vielen ehrenamtlichen Ärz-
te, Lehrer und Sozialarbeiter sähe Ihre Bilanz, sähe die
Bilanz des Innenministeriums bei der Bewältigung der
Aufgaben in der Flüchtlingspolitik noch katastrophaler
aus . Wir können froh sein, dass es diese Menschen gibt
und dass sie vieles von dem kompensiert haben, was wir
nicht schaffen konnten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Lars Castellucci [SPD])


Ein Gutes hat es, dass wir uns über dieses Thema un-
terhalten – das muss man hinzufügen –: Wir schaffen
nämlich ein Bewusstsein für ein ziemlich wichtiges The-
ma, und zwar dafür, dass in Zeiten einer immer restrik-
tiver werdenden Asylpolitik ärztlichen Attesten, Ärzten
und der Fachmeinung von Ärzten eine größere und be-
sondere Bedeutung zukommt . Das ist auch gut so . In Zei-
ten wie diesen können ärztliche Atteste eine behördliche
Entscheidung korrigieren .

Im Übrigen kennen wir das hier im Parlament sehr,
sehr gut . Wir hatten im Petitionsausschuss vor kurzem
einen  Dublin-Fall  einer  schwerbehinderten,  pflegebe-
dürftigen jesidischen Irakerin, die trotz Vorliegens eines
ärztlichen Gutachtens, das besagt hat, dass sie nicht rei-

sen kann, nach Schweden zurücküberstellt werden sollte .
Es war der Staatssekretär Ihres Hauses, Ole Schröder,
der dann im Gespräch mit uns davon abgesehen und das
Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik erklärt hat . Die
Frau ist inzwischen operiert, sie lebt mit ihrer Familie in
Bayern und wird dort gepflegt. Also, auch wir korrigie-
ren hier behördliche Entscheidungen und gehen andere
Wege . Es ist auch gut so, dass mehrere Menschen drauf-
gucken; denn die Situation ist angespannt . Wir müssen
alle Kräfte, die da sind, um menschenwürdig und nach
menschenrechtlichen Maßstäben zu entscheiden, nutzen
und in Anspruch nehmen . Daraus einen Vorwurf an die
Ärzte zu formulieren, ist infam .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Viele
Flüchtlinge leiden unter schweren Erkrankungen, nach-
vollziehbarerweise oft aufgrund der Geschehnisse im
Heimatland, aber eben auch aufgrund ihrer Flucht hier-
her . Auch die Flucht ist eine enorme Belastung für viele
Menschen . Diesen Belastungen und dem Erkennen einer
Posttraumatischen Belastungsstörung wird im Asylver-
fahren viel zu wenig Raum gegeben . Das ist ein Pro-
blem . Genau darüber sollten wir uns unterhalten, damit
nicht am Ende Ärzte dies korrigieren und die Freiräume
schaffen müssen, die wir im Vorfeld gesetzlich nicht er-
möglicht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist im Übrigen auch der Grund dafür, dass es so vie-
le Atteste gibt: dass die Menschen, die hierherkommen,
diese Umstände und die Brutalität von Krieg und Gewalt
erlebt haben .

Herr Innenminister, Sie haben mit Ihrer in den Raum
geworfenen Zahl nicht nur den Ärztinnen und Ärzten in
Deutschland Fehlverhalten unterstellt, sondern auch die
Glaubwürdigkeit – das finde ich als Parlamentarierin be-
sonders erwähnenswert und auch traurig –, die ein In-
nenminister qua Amt hat, benutzt, um mit ausgedachten
Zahlen Stimmung zu machen.  Ich finde, das  ist massiv 
befremdlich und eigentlich nicht anders als mit „Miss-
brauch“ zu bezeichnen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb erwarte ich nicht nur gegenüber dem Parlament
eine Entschuldigung, sondern vor allen Dingen auch ge-
genüber denjenigen, gegen die sich dieser Vorwurf ge-
richtet hat, der nicht gerechtfertigt ist .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Rüdiger Veit [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817914500

Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Luise Amtsberg






(A) (C)



(B) (D)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1817914600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Frau Göring-Eckhardt, es wird viel und in
alle Richtungen über Ihre Regierungsfähigkeit im Bund
spekuliert . Deswegen wünsche ich mir bei jeder innenpo-
litischen Rede, die Sie oder Ihre Kolleginnen und Kolle-
gen zu halten versuchen, neue Einsichten .

Nach dem, was Sie gesagt haben, kann ich eigentlich
nur noch eines erkennen: Die Identitätskrise, die Verwei-
gerungshaltung und die völlig ungeklärte Position zum
Thema „Innen- und Sicherheitspolitik“ verfestigen sich
bei Ihnen zur Blockade,


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


so wie Sie seit Jahren hier jedes Sicherheitsgesetz blo-
ckieren, so wie Sie seit Jahren unsere Arbeit zum The-
ma Antiterror behindern und blockieren . Wie wollen Sie
sich eigentlich wegen vielleicht eines Kretschmanns auf-
schwingen, uns zu erklären, wie Sicherheitspolitik geht?


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Elf Jahre, Herr Schuster!)


Es tut mir furchtbar leid, aber wenn einer das nicht darf,
dann sind Sie es .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Versuchen Sie, irgendwann einmal einen Innenminis-
ter in einem Land zu stellen . Dann traue ich Ihnen auch
etwas zu . Aber den Mumm haben Sie ja nicht .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie das doch mal!)


Ich traue mich ja noch nicht einmal, das Modell eines
Wasserwerfers hierhin mitzubringen . Dann würdet ihr ja
eine allergische Reaktion erleiden .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Arroganz bekommt einen Namen! – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das nicht verstanden! Das war damals, Herr Schuster!)


Frau Jelpke, um das gleich fortzusetzen: Uns eint das
Ziel, dass ausgerechnet in diesen Saal hier keine Rechts-
populisten einziehen sollen in 2017 .


(Jan Korte [DIE LINKE]: Sagen Sie das dem Innenminister!)


Aber so, wie Sie argumentieren, legen Sie ihnen prak-
tisch einen roten Teppich in diesen Saal hinein . Wie kön-
nen Sie einem Innenminister vorwerfen, er hätte rassisti-
sche Ressentiments?


(Jan Korte [DIE LINKE]: Unfug!)


Das ist ein ganz starkes Stück; das ist eine Unverschämt-
heit . Wenn sich hier jemand entschuldigen muss, dann
sind Sie es .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Union macht nicht Po-
litik mit einem zentrierten Staatsbild, wie Sie es haben .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, mit Stimmungsmache!)


Für uns ist das wichtig, was das Volk denkt .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Sie sind das Volk?)


Das Volk hat eine Sprache, in der genau all das vor-
kommt, was der Innenminister immer wieder zu Recht
sagt . „Authentizität“ heißt: Die Menschen da draußen
wollen in uns erkennen, dass wir sie verstehen und ihre
Sprache sprechen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit den 70 Prozent zu tun? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema verfehlt!)


Was Sie machen, meine Damen und Herren von den
Grünen, ist nichts anderes, als jeden Tag eine neue mis-
sionarische Leistung zu vollbringen mit einem besseren
Weltmodell und besseren Weltbild .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das braucht nicht Ihr Problem sein, oder?)


Das braucht in diesem Land niemand . Unsere Deutschen
sind selber schlau .


(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So schlau, dass sie sich nicht belügen lassen wollen! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie einmal zum Thema sprechen? Das wäre sehr hilfreich!)


Ich sage Ihnen jetzt ganz ehrlich: Wir haben zu gerin-
ge Abschiebezahlen – das weiß jeder da draußen –, wir
haben konstruierte Abschiebehindernisse – das weiß je-
der da draußen –, wir haben Identitätstäuschungen, wir
haben zuhauf Asylbewerber, die zwar Zeit haben, ihr
Handy mitzunehmen, aber nicht ihren Pass,


(Dr . Lars Castellucci [SPD]: Billig! – Jan Korte [DIE LINKE]: Reden Sie nur weiter!)


wir haben Mehrfachregistrierungen, wir haben Täu-
schungsversuche, und wir haben illegale Einreisen, und
ich werde nicht aufhören, solche Missstände zu benen-
nen,


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nicht mit falschen Zahlen!)


weil das Vertrauen schafft .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer täuscht, sind Sie! Einen Täuschungsversuch machen Sie doch hier! Reden Sie mal zur Sache!)


Der Deutsche liebt es, gut zu sein und bei den Guten
zu sein, aber er liebt es auch, wenn wir den Dingen kri-
tisch auf den Grund gehen . Wenn wir diese Probleme im
Land haben, dann müssen sie angesprochen werden, weil






(A) (C)



(B) (D)


sie zu Asylpaketen führen, die wir machen . Sie führen zu
einem Integrationsgesetz, das wir verabschiedet haben,
sie führen zur Benennung von sicheren Herkunftsstaaten .

Wer den Dingen kritisch auf den Grund geht und nicht
irgendeine grüne Soße nimmt und sie über die Realität
kleistert, der kommt auch zu guten Gesetzen, und die hat
dieser Innenminister eben gemacht . Das nervt Sie näm-
lich in Wirklichkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])


Sie hätten gerne unsere Zuwanderungspolitik gemacht
und hätten gerne dann auch noch die Kompetenz, das in-
nenpolitisch hinzukriegen . Das fehlt Ihnen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn genommen?)


Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Fahren Sie nach
Stuttgart, und nehmen Sie dort Nachhilfeunterricht . Da
gibt es einen in ganz Deutschland, der vielleicht hilfreich
sein könnte . Ich bin dem Innenminister jedenfalls dank-
bar .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dankbar für falsche Zahlen?)


Ich würde mir wünschen, liebe SPD, auf dieser Re-
gierungsbank säßen noch ein paar mehr Regierungsmit-
glieder, die klar ansprechen würden, was in diesem Land
sehr gut läuft, und sich auch nicht davor scheuen, kritisch
anzusprechen, was noch nicht gut läuft .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Aber mit wahren Zahlen!)


Damit erzeugt man Vertrauen bei den Menschen . Und
damit erkennen die Menschen auch, dass es keine AfD
braucht, sondern eine Union,


(Jan Korte [DIE LINKE]: Weil ihr den Job mitmacht! Genau!)


die den Dingen auf den Grund geht .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dieser Union bereiten Sie der AfD den Weg! – Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist das Problem!)


Noch eines zum Schluss, Frau Göring-Eckardt . Sie
haben darüber gemutmaßt, warum Wolfgang Bosbach
plötzlich seine Rede nicht gehalten hat . Wir können poli-
tisch streiten . Aber Ihr Menschenbild ist irgendwie merk-
würdig . So etwas in seine Rede einzubauen, ist genauso
unmöglich wie eine Rücktrittsforderung, die völlig gaga
ist . Ich danke der Kollegin Barbara Woltmann, die spon-
tan eingesprungen ist . Ich glaube, es kann passieren, dass
man seine Rednerliste ändert . Insofern bitte ich darum,
solche Mutmaßungen zu unterlassen .

Fazit: Wenn Sie eine Aktuelle Stunde zu einem sol-
chen Thema brauchen, dann müssen Sie von unserer Zu-
wanderungspolitik schon ziemlich begeistert sein .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsche Behauptung!)


Wenn Sie so etwas hochziehen müssen, um überhaupt
noch parlamentarisch zu streiten, wenn Sie so kniebohre-
risch versuchen, die Welt zu missionieren, dann heißt das
für uns, dass wir verdammt viel richtig machen .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das niedlich!)


Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Eva Högl [SPD] – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß nicht, was Sie genommen haben, aber Sie müssen weniger davon nehmen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817914700

Das Wort hat die Kollegin Hilde Mattheis für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1817914800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich muss schon sagen, Kollege Schuster: Wer hier rechts-
populistische Vorurteile bestärkt, der stärkt rechtspopu-
listische Parteien . Das ist so .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hat er doch gar nicht! Das machen Sie!)


Ich bin schon einigermaßen entsetzt, auf welchem
Niveau hier von Ihrer Seite diskutiert wird . Ich glaube:
Es steht uns gut zu Gesicht, das zu unterstreichen, was
uns in der parlamentarischen Arbeit miteinander stärkt
und gestärkt hat, nämlich zu sagen: Wir sind eine offe-
ne Gesellschaft, in der wir die Menschen aufnehmen, die
Schutz suchen . Diese Menschen bekommen Schutz bei
uns .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist doch unsere Aufgabe, genau das zu dokumentieren
und daher Äußerungen zu vermeiden, um nicht das Vor-
urteil, das so häufig geschürt wird, zu untermauern, dass 
nämlich Menschen hierherkommen, um unseren Sozial-
staat auszunutzen . Wir dürfen diese Vorurteile nicht auch
noch stützen .

Als Gesundheitspolitikern will ich an dieser Stelle
einfach sagen: Wir können stolz sein, dass wir eine sol-
che Gesundheitsversorgung anbieten und wir es uns in
unserer großen Solidarität leisten können, Menschen zu
versorgen . Mittlerweile hat sich die Einsicht durchge-
setzt: Egal ob es um psychische oder somatische Erkran-
kungen geht: Beides sind Erkrankungen, und beide sind
gleichermaßen zu behandeln .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb kann man nicht sagen: Die einen markieren
nur und wollen uns ausnutzen . Die anderen, zum Bei-

Armin Schuster (Weil am Rhein)







(A) (C)



(B) (D)


spiel die mit dem Blinddarmdurchbruch, können noch
ein paar Tage bei uns bleiben . – Es hat sich gezeigt: Die
Zahlen, die in dem Interview des Bundesinnenministers
genannt worden sind, sind nicht gedeckt . Es gibt keinen
bundesweiten Durchschnittswert, der diese Behauptung
in irgendeiner Weise belegt . In diesem Punkt schließe ich
mich gerne meinen Vorrednerinnen und Vorrednern an .

Ich habe die Gesundheitsversorgung in Deutschland
von Anfang an so erlebt, dass diese Menschen in den
Krankenhäusern oder in der Erstaufnahme durch das
Rote Kreuz, durch Pflegepersonal, durch Ärztinnen und 
Ärzte pragmatisch unterstützt wurden . Dabei ging es da-
rum, die Menschen wirklich abzuholen, egal ob es um
Krätze oder um Posttraumatische Belastungsstörung
ging . „Abholen“ war die Devise . Das hat man pragma-
tisch gemacht . Nicht pragmatisch ist man dagegen im
Innenministerium vorgegangen . Die dortige Taskforce
hat es nicht geschafft, das, was wir als SPD in jeder Sit-
zung gesagt haben, umzusetzen: fahrbare Röntgengeräte
zu organisieren oder bereitzustellen und die Länder zu
fragen, was sie brauchen . Nein, die Gesundheitsversor-
gung blieb im Prinzip den pragmatischen Ansätzen vor
Ort überlassen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch das schürt im Prinzip Vorurteile: wenn man et-
was nicht tut, was man eigentlich tun sollte . Deshalb rate
ich jedem, der in einer Debatte wie dieser, in der es auch
um paritätische Finanzierung und um einen möglichen
Anstieg der Zusatzbeiträge im nächsten Jahr geht, argu-
mentiert: „Es handelt sich darum, dass wir mehr Geld für
Flüchtlinge ausgeben müssen“, sehr davon ab, weil er
damit den rechten Rand unterstützt und ihm Argumente
liefert .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man muss sich vielmehr an dieser Stelle auf Fakten
berufen: Menschen, die bei uns Schutz suchen, verur-
sachen unterdurchschnittlich hohe Kosten im Gesund-
heitswesen . Jemand, der die Gesundheitskarte angeboten
bekommt, nutzt sie nicht aus . Die Gesundheitskarte ent-
lastet die Verwaltungen der Länder . Hamburg spart durch
die Gesundheitskarte jährlich 1,6 Millionen Euro an Ver-
waltungskosten . Wer diese Fakten negiert und stattdes-
sen Vorurteile schürt, der handelt unverantwortlich .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, ange-
sichts dieser Dinge, die jetzt auch in der Öffentlichkeit zu
Vorurteilen führen, sollten wir uns, was unsere Gesund-
heitsversorgung und die Finanzierung unseres Gesund-
heitssystems anbelangt, darauf konzentrieren: Solidarität
ist keine Einbahnstraße; es muss wieder Parität her . Und
wir können es uns durchaus leisten, Menschen zu versor-
gen, die unseren Schutz brauchen .

Vielen Dank, liebe Genossinnen und Genossen .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Der SPD-Parteitag ist woanders! Hier ist der Plenarsaal des Bundestages!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817914900

Wir fahren in der Debatte fort . Das Wort hat der Kolle-

ge Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1817915000

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich möchte den Grünen
ausdrücklich dafür danken, dass sie diese Aktuelle Stun-
de beantragt haben


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer gerne!)


– und ich hoffe, dass möglichst viele Bürgerinnen und
Bürger die Gelegenheit nutzen, dieser Aktuellen Stunde
zu folgen –,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


weil aus meiner Sicht im Rahmen dieser Aktuellen Stun-
de in wunderbarer Weise klar wird, wer auf der einen Sei-
te, wie die Linken und die Grünen, für parteipolitischen
Klamauk und unanständige Agitation steht und wer auf
der anderen Seite, so wie wir, die CDU/CSU, für seriöse,
verantwortungsbewusste Politik steht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch einmal in aller Deutlichkeit sagen,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Sie haben sei-
tens der Opposition in Ihren Reden inflationär mit Vor-
würfen der Lüge und Unwahrheit um sich geworfen . Sie
haben mehrmals den Vorwurf gemacht, dass durch den
Bundesinnenminister und die CDU/CSU rassistische
Ressentiments geschürt und bedient wurden . Das ist un-
anständig; das ist infam, und dagegen verwahre ich mich
in aller Deutlichkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben in Ihrer
Rede in unbotmäßiger Weise den Verfassungsschutz in
Bausch und Bogen verunglimpft . Auch so etwas tut man
nicht .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim Bundesamt für Verfassungsschutz arbeiten über
2 000 Menschen tagtäglich für unser Wohl und unsere
Sicherheit, und diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so
zu diskreditieren, das ist politisch unanständig .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Beim Thema Abschiebungen geht es um weit mehr
als ärztliche Atteste . In den Reden der Opposition wur-

Hilde Mattheis






(A) (C)



(B) (D)


de auch klar: Sie haben ein grundsätzliches Problem mit
dem Rechtsvollzug im Aufenthaltsrecht .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ein grundsätzliches Problem mit belastbaren Zahlen und Fakten!)


Denn zu einem ordnungsgemäßen Rechtsvollzug gehört
auch,  dass  ausreisepflichtige  Personen,  die  unser  Land 
nicht freiwillig verlassen, abgeschoben werden müssen .
Wer das negiert, negiert unser deutsches Recht .

Es ist nun einmal ein Faktum, dass in den letzten
Monaten und Jahren Hunderttausende von Menschen in
Deutschland vergeblich, ohne Aussicht auf Erfolg, einen
Antrag auf Asyl oder auf Anerkennung des Flüchtlings-
status gestellt haben und deshalb ausreisepflichtig sind. 
Wir haben derzeit in unserem Land ungefähr 230 000 aus-
reisepflichtige Personen. Ich sage ganz bewusst: ausrei-
sepflichtige Personen. Es handelt sich bei ihnen nicht um 
Flüchtlinge . Denn es wurde immer wieder behauptet, der
Bundesinnenminister habe die Flüchtlinge diskreditiert .
Es handelt sich eben nicht um Flüchtlinge, sondern um
ausreisepflichtige  Personen,  um  Personen  also,  die  an 
sich unser Land verlassen müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das geschieht häufig nicht, weil es sowohl in rechtlicher 
als auch in praktischer Hinsicht Abschiebehindernisse
gibt.  Es  fehlt  häufig  an  der  Rückkehrbereitschaft  oder 
auch an der Rücknahmebereitschaft der jeweiligen Hei-
matländer .

Ich bin unserem Bundesinnenminister sehr dankbar,
dass er Ende Februar, Anfang März in Marokko, Tune-
sien und Algerien war, um auch bei deren Regierungen
dafür zu werben, dass sie besser mit uns kooperieren,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist dabei rausgekommen?)


dass sie dazu beitragen, dass die Identitätsfeststellung ih-
rer Staatsangehörigen schneller erfolgen kann, und diese
letzten Endes auch zurücknehmen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts ist dabei rausgekommen!)


Ein herzliches Dankeschön dafür an unseren Bundesin-
nenminister!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gehört zur Wahrheit, dass natürlich auch gesund-
heitliche Gründe in der Praxis häufig ein Abschiebehin-
dernis sind . Der eigentliche Skandal in dieser Angele-
genheit ist die Ignoranz der Opposition gegenüber einem
tatsächlichen politischen Problem .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nennen Sie es doch mal!)


Mich würde einmal interessieren, meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, bei welchem
Prozentsatz Sie  tatsächlich von einem signifikanten po-
litischen Problem sprechen würden . Sind es 30 Prozent,
40 Prozent, 50 Prozent, 60 Prozent oder 70 Prozent? Es
ist aber doch anerkannt und unstreitig, dass gesundheit-
liche Gründe in signifikanter Größenordnung tatsächlich 

ein Abschiebehindernis sind . Ich erwarte von unserem
Bundesinnenminister, dass er ein derartiges politisches
Problem auch adressiert . Deshalb hatte er recht, als er da-
rauf hingewiesen hat, dass in der Praxis gesundheitliche
Gründe häufig ein Abschiebehindernis sind.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber falsche Belege! Belege!)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
gibt immer wieder auch Fälle von willfährig und leicht-
fertig ausgestellten Attesten . Es war deshalb auch rich-
tig – wir haben doch nicht ohne Grund gehandelt –, dass
wir im Asylpaket II festgeschrieben haben, dass es von
nun  an  einer  erhöhten Begründungspflicht  bedarf,  dass 
Ärzte nicht nur lapidar eine Reiseunfähigkeit wegen der
Traumatisierung des Ausreisepflichtigen feststellen dür-
fen . Vielmehr bedarf es einer substanziierten Begrün-
dung . Dieses Attest muss auch zeitnah vorgelegt werden .
Und der Umstand, dass im Heimatland nicht gleichwer-
tige gesundheitliche Versorgungsbedingungen herrschen,
ist kein Abschiebehindernis mehr . Das ist richtig . Hier
hat die Große Koalition auf Druck der CDU/CSU gehan-
delt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
ist wirklich unbotmäßig und fragwürdig, wie Sie von
den Grünen, aber auch von den Linken sich der Realität
verweigern . Sie verharmlosen hier tatsächlich ein poli-
tisches Problem . Wir hatten im letzten Jahr – bei, wie
gesagt, 230 000 ausreisepflichtigen Personen; tagtäglich 
werden es mehr – 20 000 Abschiebungen .

Ich bin gespannt . Wir werden ja sehr bald den Lack-
mustest machen können, wenn am 8 . Juli im Bundesrat
das Gesetz zu den drei sicheren Herkunftsstaaten Ma-
rokko, Tunesien und Algerien zur Disposition steht . Sie
von den Grünen fordern immer schnellere Verfahren . Am
8 . Juli können Sie ganz konkret mit dazu beitragen,


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Vorschläge gemacht, die die Menschenrechte nicht mit Füßen treten! Die können Sie sich mal durchlesen!)


dass, indem diese drei Länder als sichere Herkunftsstaa-
ten deklariert werden, die Verfahren in Zukunft schnel-
ler durchgeführt werden können . Dann kommt es zum
Schwur, dann sind Sie gefordert!

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817915100

Die Kollegin Andrea Lindholz aus der CDU/

CSU-Fraktion hat nun das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1817915200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um
es gleich vorwegzusagen: Selbstverständlich werden wir
diejenigen, die in Deutschland berechtigt Schutz suchen,

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


bei uns aufnehmen und ordnungsgemäß integrieren . Das
steht auch heute nicht im Fokus der Debatte . Im Fokus
der heutigen Debatte steht die Frage nach der Zahl der
Rückführungen nicht schutzberechtigter Personen aus
Deutschland .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist nicht das Thema der Aktuellen Stunde!)


Des Weiteren geht es in der heutigen Debatte um eine
Aussage des Innenministers, die auf folgender Frage ba-
siert:


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Die falsch war! Die einfach falsch war!)


Nordrhein-Westfalen konnte bisher nur 20 der 1 300 ab-
gelehnten Asylbewerber in ihr Land zurückbringen .
Macht sich der Staat nicht lächerlich? – Es ging bei die-
ser Frage also um das Thema der Rückführung abgelehn-
ter Asylbewerber . Der Innenminister hat heute klar zum
Ausdruck gebracht, dass er die Zahl „70 Prozent“ nicht
hätte nennen dürfen . Darum allein aber geht es nicht . Es
geht darum, dass wir die Probleme, die bei der Rückfüh-
rung abgelehnter Asylbewerber bestehen, nicht ignorie-
ren bzw . kleinreden dürfen . Denn Probleme nicht anzu-
sprechen, ist Wasser auf die Mühlen der Populisten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In Deutschland wird nach wie vor jeder dritte Asylan-
trag abgelehnt . Die Schutzquote liegt aktuell bei 61 Pro-
zent . Eine Rückführung wird aber weder in Deutschland
noch in Europa in gleichem Maße betrieben . Deswegen
haben alle 16 Innenminister der Länder – auch die mit
grüner und linker Regierungsbeteiligung – gemeinsam
mit dem Bundesinnenminister in ihrer Schengener Erklä-
rung vom 16 . Juni wörtlich gefordert:

Insbesondere muss für Schutzsuchende eine faire
Zuständigkeitsregelung zwischen den Mitglieds-
staaten gefunden werden . Dazu gehört auch, dass
die Schengen-Mitgliedsstaaten ein effektives Rück-
führungsmanagement betreiben .

Das ist nicht unmenschlich, sondern notwendig und er-
forderlich .

Die EU-Kommission berichtet, dass weniger als
40 Prozent der ausgewiesenen irregulären Migranten
die EU tatsächlich verlassen . Bei uns ist der Wert noch
deutlich niedriger . Am 31 . Mai 2016 waren im Auslän-
derzentralregister  224  396  ausreisepflichtige  Personen 
registriert, und von Januar bis Mai wurden gerade ein-
mal 11 294 Personen zurückgeführt . Das heißt also, die
Ausreiseverpflichtung wird nur  in 5 Prozent  aller Fälle 
zwangsweise durchgesetzt . Selbst wenn ich die freiwilli-
gen Ausreisen mit etwas über 20 000 Personen hinzuneh-
me, komme ich gerade einmal auf 14 Prozent aller Fälle .
Hier von einer schnellen und inhumanen Rückführung zu
sprechen, wie es heute teilweise angeklungen ist, kann
auf gar keinen Fall akzeptiert werden .

Die angesprochenen Probleme sind nicht aus der
Luft gegriffen, sondern wurden in einer Analyse der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe  identifiziert,  die  ganz  klar 
festgestellt hat, dass die Rückführung deshalb oft nicht

funktioniert, weil die Verwaltung überfordert ist, weil die
Identität der Migranten nicht geklärt ist, weil die Reise-
papiere fehlen und weil medizinische Gründe vorgescho-
ben werden, um Abschiebungen zu verhindern . Das ist
ein Problem, mit dem wir uns auseinandergesetzt haben .
Deswegen haben wir gemeinsam in diesem Haus mit der
Koalition mit dem Asylpaket II klare Vorgaben für die
Ausgabe und Verwendung ärztlicher Atteste beschlossen .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gab es vorher auch schon!)


Es können nur noch schwerwiegende und lebensbedroh-
liche Erkrankungen ein Abschiebehindernis darstellen .

Warum haben wir das gemacht? Weil es dafür eine
Notwendigkeit gibt . Das sind Fakten, Herr Castellucci .
Ich bin wirklich enttäuscht darüber, dass Sie heute in
Ihrer Rede die Arbeit, die die Koalition in den letzten
Monaten gemeinsam im Innenausschuss mit dem Innen-
minister geleistet hat, nicht gewürdigt haben . Wir haben
vieles geregelt, viele Pakete geschnürt und viele Gesetze
verabschiedet, was Sie mit nichtssagenden Worten zur
Seite geschoben haben, als wären Sie dafür nicht mitver-
antwortlich gewesen, als würde die Arbeit nicht auch Ihre
Handschrift tragen . Man kann nicht auf der eine Seite in
der Regierung sein, aber dann heute Opposition spielen .
Das funktioniert nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Noch ein Wort zu den Ärzten . Natürlich dürfen Ärzte
nicht unter Generalverdacht gestellt werden .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun Sie aber!)


Aber auch diese Unterstellung ist geradezu absurd .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorgeschoben, haben Sie selber gesagt!)


Mir, die ich aus einem Arzthaus komme – ich habe drei
Geschwister, die Ärzte sind –,


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mein Bruder ist auch Arzt!)


das zu unterstellen, liegt völlig neben der Sache . Ärzte
haben die Pflicht, nach ihrem medizinischen Verständnis 
Patienten zu behandeln . Das stellt hier überhaupt nie-
mand in Abrede .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Der Minister schon!)


Ich glaube, dass wir mit der Neuregelung, die wir im
Asylpaket II getroffen haben, auch den Ärzten etwas
mehr an die Hand gegeben haben .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die haben sich richtig doll darüber gefreut!)


Die Arbeitsgemeinschaft Rückführung hat diese Pro-
bleme aufgezeigt . Damit sage ich nicht, dass die Ärzte
falsche Atteste ausstellen . Aber es stellt sich die Frage,
welche Erkrankungen für uns so gravierend sind, dass die
Rückführung nicht erfolgen kann .

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


Derzeit sind viele Reformvorschläge für ein gemein-
sames europäisches Asylsystem auf dem Weg, für einen
europäischen Grenzschutz durch Frontex . Auf EU-Ebe-
ne arbeitet der Innenminister mit seinen Vorschlägen,
die im Übrigen alle im Intranet abrufbar sind, an einer
Lösung dieser Flüchtlingskrise mit, unter Beachtung
der menschlichen Seite, aber auch unter Beachtung der
effektiven Rückführung, die erfolgen muss . Das ist der
richtige Weg – und nicht solche polemischen Debatten
und Beschimpfungen, wie ich sie hier heute teilweise er-
lebt habe .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817915300

Die Kollegin Barbara Woltmann hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1817915400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Deutschland leistet seit Monaten wirklich Gran-
dioses . Daran sind viele beteiligt: öffentliche Stellen,
Hilfsorganisationen und auch viele ehrenamtlich Tätige;
das ist hier heute schon angesprochen worden . Niemand
hier im Hause, glaube ich, hat in irgendeiner Weise vor,
dieses großartige Engagement der vielen Ehrenamtli-
chen, seien es Ärzte, sei es das Deutsche Rote Kreuz, zu
schmälern . Im Übrigen hat heute Morgen ein Frühstücks-
gespräch mit dem Deutschen Roten Kreuz stattgefunden,
in dem diese Arbeit dargestellt worden ist und geschildert
wurde, was da Großartiges geleistet wird . Ich möchte
hier nur einmal in die Runde fragen: Welches Land, wenn
nicht Deutschland, hätte das bisher so gut geschafft, wie
wir es mit diesem großartigen Engagement geschafft ha-
ben?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber ich sage auch: Bei über 1 Million Menschen, die
im letzten Jahr, auch im Winter, nach Deutschland ge-
kommen sind, müssen auch Regeln eingehalten werden .
Wir haben gemeinsam mit der SPD mit dem Asylpaket I,
mit dem Asylpaket II und mit dem Datenaustauschver-
besserungsgesetz viele gute Regelungen auf den Weg
gebracht, indem wir im Parlament entsprechende Be-
schlüsse gefasst haben; auch meine Vorrednerin hat das
gesagt . Wir haben gute, richtungsweisende Entschei-
dungen getroffen . Ich kann mich nur dem Lob und dem
Dank an das Innenministerium und an den Innenminister
anschließen . Wir sind froh, dass Sie, Herr de Maizière,
unser Innenminister sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])


Es sind gute Entscheidungen getroffen worden .

Wenn wir über Flüchtlinge reden, müssen wir aber
auch  immer wieder darüber reflektieren, dass nicht alle 
Flüchtlinge aus Kriegsgebieten kommen, wie Sie es im-
mer glauben machen wollen . Nein, das ist eben nicht
so . Viele kommen aus wirtschaftlichen Gründen zu uns .

Niemand, wirklich niemand, stellt das Asylrecht der
Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen, die unseres
Schutzes bedürfen, infrage, ganz und gar nicht . Vielmehr
haben wir mit den Gesetzen, die wir hier verabschiedet
haben, die richtigen Weichen dafür gestellt, dass die
Menschen, die unseres Schutzes bedürfen, diesen Schutz
auch bekommen . Wenn wir aber nach rechtsstaatlichen
Verfahren festgestellt haben, dass jemand keine Bleibe-
perspektive hat, dann muss er zurück in das Land, aus
dem er gekommen ist, oder, nach der Dublin-Verord-
nung, in das europäische Land, in dem er erstmals auf
europäischem Boden war .

Ich spreche jetzt ganz bewusst die Opposition an:
Wenn  es  hier  um  vollziehbar  Ausreisepflichtige  geht, 
dann sind das eben keine Flüchtlinge mehr; denn den
Flüchtlingsstatus haben sie nur vorher . Wenn durch das
Verfahren beim BAMF entschieden worden ist, dass
Menschen keine Flüchtlinge sind, gibt es für sie keinen
Schutzgrund, weder nach Artikel 16a Grundgesetz noch
nach der Genfer Flüchtlingskonvention . Wenn es so ist,
dass sie ausreisen müssen, dann müssen wir das auch
umsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eines will ich Ihnen sagen: Die Menschen haben ein
ganz feines Gespür dafür, was richtig ist . An die Oppo-
sition gewandt, frage ich: Reden Sie eigentlich nicht mit
den Bürgern in Ihrem Wahlkreis? Was sagen sie Ihnen
denn? Das feine Gespür der Menschen lässt sie zu Recht
sagen: Schutz – ja, für alle, die ihn benötigen; aber die,
die ihn nicht benötigen, müssen dann auch abgeführt
werden . – Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür,
dass sich Menschen – in welcher Zahl auch immer – der
Abschiebung dadurch entziehen wollen, dass sie ein At-
test vorlegen, das der Wahrheit nicht entspricht . Ich weiß
nicht, ob Sie einmal mit Anwälten gesprochen haben, die
sich auf diesen Bereich spezialisiert haben .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir auch schon gemacht, ja!)


Diese Anwälte sagen: Wir müssen nur dafür sorgen, dass
die Menschen so lange wie möglich in Deutschland blei-
ben; dann wird die Abschiebung immer schwieriger .

Was die Atteste, die hier angesprochen worden sind,
angeht: Es ist gut, dass wir diesbezüglich eine andere
Regelung gefunden haben, dass sie nicht mehr vordatiert
werden dürfen, dass sich Amtsärzte die betreffenden
Personen anschauen . Wer krank ist, soll entsprechenden
Schutz bekommen und ist erst einmal vor Abschiebung
geschützt, es sei denn, er soll in ein Land zurückgeführt
werden, in dem die ärztliche Versorgung mit der bei uns
vergleichbar ist .

Frau Göring-Eckardt, mit Verlaub, das Bundesamt für
Verfassungsschutz als einen Saustall zu bezeichnen, fin-
de ich unerträglich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie kommen Sie überhaupt dazu? Es mag ein Fehlver-
halten einzelner geben; aber dann das gesamte Amt in

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


Bausch und Bogen zu verurteilen und als Saustall zu be-
zeichnen, das finde ich ganz furchtbar und abenteuerlich.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Da ist eine Entschuldigung erforderlich!)


Dafür – das kann ich hier nur sagen – könnten Sie sich
entschuldigen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die sicheren Herkunftsländer sind schon angespro-
chen worden . Sie sollten sich einen Ruck geben und der
Einstufung der drei Maghreb-Staaten als sichere Her-
kunftsländer zustimmen .

Ich könnte noch viel sagen, muss aber leider feststel-
len, dass meine Zeit abgelaufen ist .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Zum Glück! – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das war eine gute Rede!)


Herr Minister, Sie haben mein und unser aller Vertrauen .
Wir finden, Sie sind ein guter Innenminister, und das soll 
auch so bleiben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817915500

Die Aktuelle Stunde ist beendet .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts

Drucksache 18/7456

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Kultur und Medien (22 . Ausschuss)


Drucksache 18/8908

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Wir warten noch darauf, dass die Kolleginnen und
Kollegen, die an dieser gewiss spannenden Debatte nicht
teilnehmen können, den Saal verlassen haben .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Staats-
ministerin Professor Monika Grütters .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


M
Monika Grütters (CDU):
Rede ID: ID1817915600


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Spätestens heute wissen wir, was Karl
Valentin gemeint hat, als er mal seufzte: „Kunst ist schön,
macht aber viel Arbeit .“ Ja, es war ein steiler und sogar
steiniger Weg . Deshalb bin ich umso dankbarer, dass wir
nach einem Jahr intensiver Diskussion gemeinsam doch
so weit gekommen sind . Union und SPD haben im Koa-

litionsvertrag für eine Novellierung des Kulturgutschutz-
gesetzes votiert . Ich hoffe, dass wir heute sagen können:
Die erste Etappe ist mit dem Beschluss des Deutschen
Bundestages geschafft .

Der Kulturgutschutz ist eine im Grundgesetz festge-
schriebene Aufgabe . Dahinter steht die Überzeugung,
dass Kunst einen Wert hat, nicht nur einen Preis . Als
Spiegel unserer Geschichte und Identität darf Kunst
staatliche Förderung, aber auch staatlichen Schutz erwar-
ten . Das gilt erstens bei der Einfuhr . Deutschland muss
endlich seinen Beitrag zur Eindämmung des illegalen
Handels mit Kulturgütern leisten . Hier geht es nämlich
um nicht weniger als um den Schutz des kulturellen Er-
bes der Menschheit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens gilt das bei der Ausfuhr, beim Schutz unseres
eigenen kulturellen Erbes . In den wenigen Fällen, in de-
nen Kulturgüter wirklich emblematisch sind für unsere
Geschichte und Identität, muss es meiner Meinung nach
möglich sein, sie vor Abwanderung ins Ausland und auch
vor Zerstörung zu schützen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern,
dass mehr als 130 Staaten dieser Erde die UNES-
CO-Konvention zum Kulturgutschutz aus dem Jahr 1970
ratifiziert  haben. Alle  diese  Staaten  haben  ein  gemein-
sames Grundverständnis vom Schutz von Kulturgütern
im Allgemeinen und natürlich von ihrer jeweils eigenen
Kunst im Besonderen . Es steht auch Deutschland sehr
gut an, sich immer wieder selbst zu vergewissern, was
hier national wertvoll ist und sein soll .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für die wenigen Fälle, in denen Kulturgüter für unsere
Geschichte und Identität – sie ist schwierig genug – von
herausragender Bedeutung sind, gibt es schon seit 60 Jah-
ren – es handelt sich hier um eine Novelle und nicht um
ein neues Gesetz – ein Verfahren, das weitgehend kon-
fliktfrei praktiziert wird. Ich bin sicher, dass das auch in 
Zukunft gelingen wird, zumal die neuen Regelungen so-
wohl Museen als auch private Eigentümer, Sammler und
Leihgeber in vielen Punkten deutlich besserstellen als die
bisherigen Regelungen .

Worin bestehen die Verbesserungen? Ich will sie kurz
benennen, weil bei vielen Sammlern – das ist Ihnen nicht
verborgen geblieben – der Eindruck erweckt wurde, sie
könnten künftig nicht mehr frei über ihr Eigentum ver-
fügen. Das ist falsch. Gerade Sammler profitieren sogar 
von der Novellierung dieses Gesetzes .

Erstens . Im aktuell geltenden Kulturgutschutzgesetz
aus  dem  Jahr  1955  gibt  es  keine Definition  dafür, was 
national wertvoll ist . Anhaltspunkte fanden sich bisher
nur in einer Empfehlung der KMK . Nach intensiven
Beratungen gerade zu diesem Punkt, nach Konferenzen,
nach Anhörungen und nach unzähligen Einzelgesprächen
präzisieren wir im Gesetzentwurf erstmals Kriterien für

Barbara Woltmann






(A) (C)



(B) (D)


Werke, die in ein Verzeichnis national wertvollen Kul-
turguts einzutragen sind . Das sorgt für deutlich mehr
Rechtssicherheit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens . Der Entwurf sieht vor, dass die Sachver-
ständigenausschüsse, die diese Prüfung vornehmen – es
ist ja nicht die Politik, sondern es sind die Sachverstän-
digenausschüsse, die prüfen müssen, ob ein Kunstwerk
als national wertvoll einzustufen ist –, aus Vertretern von
Museen, Archiven, Wissenschaft, Handel und Sammlern
gestärkt werden . Das Verfahren wird zukünftig deutlich
transparenter . Eigentümer von Kulturgütern werden da-
mit viel stärker abgesichert als bisher .

Drittens . Leihgaben an öffentliche Museen können –
natürlich  mit  jederzeit  widerruflicher  Zustimmung  des 
Leihgebers; dass man das anfügen muss, ist schon ku-
rios – vorübergehend vom gesetzlichen Schutz öffent-
licher Museen  profitieren.  Niemand muss  seine  Bilder 
abhängen . Falls Leihgaben gestohlen werden und auf
illegalem Weg ins Ausland gelangen, bestehen Rückga-
beansprüche künftig nicht mehr nur für 30 Jahre, son-
dern für 75 Jahre . Auch das ist gut für Sammler und für
Leihgeber .

Viertens . Im Gesetz von 1955 gibt es keine Verfah-
rensregeln . Diese haben wir nun in die Novelle aufge-
nommen . Sie schreiben beispielsweise ausdrücklich
eine maximale Bearbeitungsfrist von zehn Tagen für die
Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung vor . Für den sel-
tenen Fall, dass eine Eintragung als national wertvolles
Kulturgut erfolgt, ist dieses Verfahren im Regelfall in-
nerhalb von sechs Monaten von den Sachverständigen
abzuschließen . Auch diese Fristen gab es bisher nicht .
Ich glaube, dass eine solche Befristung im Wesentlichen
Eigentümer und Sammler stärkt .

Fünftens. Sammler profitieren künftig beim Kauf des 
Kunstwerkes davon, dass der gewerbliche Kunsthandel
im Rahmen des Zumutbaren die Herkunft und Proveni-
enz eines Werkes prüfen muss, das er verkauft – eigent-
lich eine Selbstverständlichkeit .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sechstens . Eine Verbesserung speziell für Museen ist,
dass sie künftig im internationalen Leihverkehr keine
Einzelgenehmigungen mehr brauchen, sondern eine fünf
Jahre gültige allgemeine Genehmigung beantragen kön-
nen . Das reduziert in großem Stil den Verwaltungsauf-
wand für die Museen, aber natürlich auch für die Länder,
die uns gegenüber angegeben haben, dass der Genehmi-
gungsaufwand bisher zu fast 90 Prozent den Leihverkehr
betrifft . Wir können den zukünftigen Bürokratieaufwand,
über den ja viel gesprochen worden ist – auch die Länder
spekulieren zurzeit darüber –, nicht verbindlich bezif-
fern . Deshalb wollen wir ihn auch schon in zwei Jahren
evaluieren .

Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, dass wir
mit der Gesetzesnovelle, über die wir heute abstimmen,
dank der intensiven Diskussion der vergangenen Mona-
te jetzt die richtige Balance gefunden haben zwischen
unterschiedlichen, jeweils sehr legitimen Interessen . Ich
bin dankbar, dass wir einen breiten Konsens all derer er-

reicht haben, die Kulturgüter vor illegalem Handel und
unrechtmäßiger Ausfuhr im Interesse des Gemeinwohls
schützen wollen . Zu den Unterstützern zählen unter an-
derem der Deutsche Museumsbund, der Internationale
Museumsrat, der Bundesverband Bildender Künstlerin-
nen und Künstler, der Deutsche Kulturrat und viele ande-
re mehr . Zu den Unterstützern zählen insbesondere auch
viele Staaten aus dem Nahen Osten und aus Süd- und
Mittelamerika, deren Botschafter sich mit einem Besuch
bei uns im Kanzleramt ausdrücklich bedankt haben . Sie
haben im Übrigen dem Deutschen Bundestag, also Ihnen
allen, geschrieben, wie sehr sie auf einen solchen Gesetz-
entwurf gewartet haben und dass sie ihn ausdrücklich be-
grüßen .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
öffentliche Auseinandersetzung und die Kommunika-
tion waren nicht immer einfach; das gehört zur Wahr-
heit dazu . Aber bei Kunst und Kultur liegt es quasi in
der Natur der Sache, dass Leidenschaften den Austausch
kühler Sachargumente und Fakten gelegentlich auch
einmal überlagern . Die parlamentarischen Beratungen,
lieber Siegmund Ehrmann als Vorsitzender des Kultur-
ausschusses – das möchte ich ausdrücklich sagen –, fand
ich wohltuend sachorientiert und angesichts dieser kom-
plexen und wirklich sehr sensiblen Materie entsprechend
konstruktiv .

Mit dem neuen Kulturgutschutzgesetz erkennt
Deutschland, wenn auch mit jahrzehntelanger Verspä-
tung, endlich internationale UNESCO- und europäische
Standards an, die in fast allen Staaten Europas längst
gelten . Herzlichen Dank also an Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, an die Berichterstatterinnen und Bericht-
erstatter, dass Sie in vielen, wie ich fand, sehr hilfreichen
Diskussionen dazu beigetragen haben . Lassen Sie uns
heute auch für Deutschland ein Kulturgutschutzgesetz
beschließen, das einer Kulturnation würdig ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817915700

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist für die Fraktion

Die Linke die Kollegin Sigrid Hupach .


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817915800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau
Staatsministerin, Sie haben eben in Ihrer Rede deutlich
gemacht, worum es beim Kulturgutschutz geht und wa-
rum dieses Gesetz das vielleicht wichtigste kulturpoliti-
sche Vorhaben der Koalition ist . Auch meiner Fraktion ist
es wichtig, dass wir endlich zu einer wirksamen Umset-
zung der UNESCO-Konvention von 1970 kommen und
entschieden gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern
vorgehen .

In der Anhörung im Kulturausschuss haben verschie-
dene Sachverständige eindrücklich geschildert, wie sehr
sich Deutschland zu einem ganz zentralen Standort für
den illegalen Handel entwickelt hat . Auch die Berichte

Staatsministerin Monika Grütters






(A) (C)



(B) (D)


von den Kulturzerstörungen im Nahen Osten, die uns ge-
rade im letzten Jahr erschüttert und fassungslos gemacht
haben, haben den Handlungsdruck mehr als deutlich ge-
macht . Es ist also eminent wichtig, dass wir immerhin
fast 50 Jahre nach der Pariser UNESCO-Konferenz nun
endlich zu gesetzlich fixierten und durch Ermittlungsbe-
hörden auch kontrollierbaren Maßnahmen kommen,


(Beifall bei der LINKEN)


die den illegalen Handel mit geraubten Kulturgütern un-
terbinden und die Rückgabe an die Herkunftsstaaten er-
leichtern . Ihre Initiative, Frau Staatsministerin, haben wir
daher sehr begrüßt; wir erkennen auch Ihr Engagement in
dieser Sache an .

Auch die folgenden Beiträge werden zeigen, wie einig
wir uns in diesem Anliegen sind. Daher finde ich es umso 
ärgerlicher, dass vonseiten der Koalition kein Versuch
unternommen worden ist, interfraktionell zu einem über-
arbeiteten Gesetzentwurf zu kommen .


(Beifall bei der LINKEN)


Es gab nicht einmal ein Berichterstattergespräch . Sie
sind als Große Koalition viele, aber eben nicht das ge-
samte Parlament .

Ich  finde  schon,  dass  es  eine Zumutung  ist,  uns  am 
Dienstag um 16 Uhr einen Änderungsantrag mit 97 Sei-
ten zuzusenden, zu dem die ersten mitberatenden Aus-
schüsse bereits Mittwoch ab 8 Uhr ein Votum abgeben
sollten . Ich spreche das nicht an, weil wir nicht bereit
wären, abends zu arbeiten, sondern weil ich darin eine
Missachtung der parlamentarischen Arbeit der Opposi-
tion sehe und dieses Verfahren außerdem dem wichtigen
Thema des Kulturgutschutzes nicht angemessen ist .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Gesetzentwurf regelt ja nicht nur die Frage,
welches Kulturgut unter welchen Bedingungen nach
Deutschland eingeführt werden darf, sondern auch, wel-
ches Kulturgut wir aufgrund seiner identitätsstiftenden
Bedeutung vor der Abwanderung schützen wollen, wel-
che Objekte also in das Verzeichnis national wertvollen
Kulturguts eingetragen werden sollen . Damit verbunden
sind nicht nur ein besonderer Schutzstatus oder steuerli-
che Vorteile bei privaten Eigentümern, sondern auch ein
Ausfuhrverbot . Lässt man einmal den aufgeregten und in
Teilen auch sprachlich unangemessenen Aufschrei man-
cher Künstler, Rechtsanwälte oder Kunsthändler außen
vor, so berührt diese Frage natürlich den Kern unseres
Verständnisses als Kulturstaat und die Grundfesten unse-
rer Gesellschaft . Daher sind wir hier zu einer gewissen-
haften Diskussion verpflichtet.

Die CDU/CSU-Fraktion hat es gestern im federfüh-
renden Ausschuss jedoch nicht einmal für nötig erachtet,
unsere Vorschläge oder die Vorschläge der Grünen über-
haupt zu kommentieren . Der Ausschussvorsitzende hat
da anders gehandelt . Daher will ich hier noch einmal auf
die Punkte eingehen, die uns wichtig sind .

Wir begrüßen, dass mit dem Gesetz die öffentlichen
Museen und Sammlungen gestärkt werden und ihre Be-
stände generell unter Schutz gestellt werden . Ihnen wird

im Alltag manches durch das Gesetz erleichtert werden .
Gern aber hätten wir die öffentlichen Einrichtungen da-
hin gehend gestärkt, dass die Bedingungen für die vorü-
bergehende Ein- und Ausfuhr von Kulturgut in den §§ 25
und 73 auf Begutachtungs- und Digitalisierungsvorhaben
ausgedehnt worden wären .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sehr bedauerlich ist auch, dass die Koalition die ande-
ren öffentlichen Sammlungen unberücksichtigt lässt und
so zum Beispiel den universitären Forschungssammlun-
gen den Schutzmantel des Gesetzes verwehrt .

Dass die Frage der Behandlung von Leihgaben jetzt
im Gesetz genau geregelt ist, finden wir richtig. Gleiches 
gilt  für  die begriffliche Trennung von  archäologischem 
und paläontologischem Kulturgut in § 2 . Gerade für die
naturwissenschaftlichen Sammlungen und für ihren en-
gen Kontakt zu Sammlerinnen und Sammlern und den
sogenannten Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissen-
schaftlern  ist  das wichtig.  Sie  profitieren  auch  von  der 
Erweiterung der Ausnahmen beim Beschädigungsverbot
in § 18, wo nun die Forschungszwecke ausdrücklich er-
wähnt werden, die ja auch invasiv und destruktiv sein
können. Wir hätten an dieser Stelle gern eine Pflicht zum 
Substanzerhalt im Gesetz festgeschrieben .

Auch das Ankaufsangebot in § 23 unterstützen wir .
Die Idee dabei ist, dass der Staat identitätsstiftendes Kul-
turgut, das ausgeführt werden soll, selbst erwirbt und da-
für einen fairen und angemessenen Preis anbietet .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Martin Dörmann [SPD])


Ich hoffe sehr, dass sich alle bei den nächsten Haushalts-
verhandlungen daran erinnern und die Ankaufetats für
Museen und eben auch für die Kulturstiftung der Länder
entsprechend aufgestockt werden .

Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Gesetzentwurf
klar regelt, dass NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kul-
turgut bei der Restitution von allen Ausfuhrbeschränkun-
gen ausgenommen ist . Nicht nachvollziehbar ist aber für
uns, warum dies nicht auch für ursprüngliche Besitzer
oder deren Rechtsnachfolger in Deutschland gelten soll .
Die moralische Verpflichtung, die wir hier haben, ist so 
besonders, dass unseres Erachtens auch besondere Rege-
lungen gerechtfertigt sind .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ganz zentral ist für uns auch, dass die Wertgrenze für
archäologische Kulturgüter auf null Euro abgesenkt wur-
de. Jedoch sind die Sorgfaltspflichten beim gewerblichen 
Inverkehrbringen in § 42 noch immer an das Kriterium
der wirtschaftlichen Zumutbarkeit geknüpft . Ich empfeh-
le, sich noch einmal die öffentliche Anhörung im Kultur-
ausschuss in Erinnerung zu rufen, um zu verstehen, wie
absurd das ist .

In die gleiche Kerbe schlägt, dass bei der Definition 
von Inverkehrbringen das Vorrätighalten nicht aufge-
nommen worden ist . Das aber wäre für die Bekämpfung
des illegalen Handels besonders wichtig; denn diese Ob-

Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


jekte stehen eben nicht in einem feinen Ladenlokal, son-
dern in dunklen Hinterzimmern .

Wir haben in einem Änderungsantrag die Anglei-
chung der Alters- und Wertgrenzen mit der europäischen
Ebene vorgeschlagen, sodass die gleichen Bedingungen
gelten, egal ob ein Gemälde zum Beispiel nach Frank-
reich oder in die Schweiz ausgeführt wird . Wenn aus der
Perspektive des Handels die Alters- und Wertgrenzen
der EU-Verordnung für zu gering erachtet werden, ist
die Bundesregierung angehalten, sich für eine Änderung
einzusetzen – aber eben auf europäischer Ebene .


(Beifall bei der LINKEN)


Richtig ist, dass mit den erhöhten Alters- und Wert-
grenzen der bürokratische Aufwand verringert wird . Die-
ser entsteht ja vor allem in den Ländern; denn bei den
dortigen Behörden müssen die Ausfuhrgenehmigungen
beantragt werden . Vom Kulturgutschutz aus gedacht,
darf dieser Aspekt aber nicht im Zentrum stehen . Der
Bund ist hier in der Pflicht, die Länder entsprechend zu 
unterstützen. Wir finden es gut, dass im Gesetz festgelegt 
ist, dass gerade der Erfüllungsaufwand bereits zwei Jahre
nach Inkrafttreten des Gesetzes geprüft werden soll .

Wir sind überzeugt, dass manches, was als Belastung
empfunden wird, durch ein gutes Internetportal zum Kul-
turgutschutz abgemildert werden kann . Wir haben uns
daher dafür eingesetzt, dass das Internetportal Beispie-
le für geeignete Unterlagen vorstellt und dass dort alle
Ausfuhrbestimmungen der Dritt- und der Vertragsstaaten
verbindlich eingestellt sind, bevor das Gesetz in Kraft
tritt .

Leider ist es vonseiten der Regierung bisher unterblie-
ben, eine breite öffentliche Debatte zu der Frage anzu-
stoßen, was im europäischen und im globalen Kontext
national wertvolles und identitätsstiftendes Kulturgut
sein kann . Daher ist es umso wichtiger, die größtmögli-
che Transparenz gerade auch bei der Arbeit der Sachver-
ständigenausschüsse zu gewährleisten . Um nicht miss-
verstanden zu werden: Wir setzen sehr großes Vertrauen
in die Arbeit der Sachverständigenausschüsse, so sie
denn von den unterschiedlichen Interessen her gerecht
zusammengesetzt sind . Da sie aber in jedem Einzelfall
entscheiden müssen, was national wertvoll und identi-
tätsstiftend ist, wollen wir, dass diese Entscheidungsfin-
dung auch für die Öffentlichkeit nachvollziehbar ist . Ich
bin überzeugt, dass das über eine entsprechende Doku-
mentation auf dem Internetportal möglich ist, ohne die
Persönlichkeitsrechte zu verletzen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir sollten die kommenden fünf Jahre bis zum
Evaluationsbericht nutzen, um für die Notwendigkeit
des Kulturgutschutzes noch stärker zu sensibilisieren
und eine möglichst breite Debatte in der Wissenschaft,
in der Politik und vor allem in der Öffentlichkeit anzu-
zetteln über die Frage, was wir unter identitätsstiftendem
Kulturgut verstehen – vor dem Hintergrund des kulturel-
len Welterbes und in Anbetracht des doch sehr überholt
klingenden Begriffs der Kulturnation in einer Einwande-
rungsgesellschaft .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817915900

Frau Kollegin Hupach, kommen Sie jetzt bitte zum

Schluss .


Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817916000

Ja, ich komme zum Schluss . – Meine Fraktion wird

sich bei der Abstimmung enthalten . Wir unterstützen
zwar das Anliegen und finden auch manches gut. Der Ge-
setzentwurf geht uns aber in den zentralen Punkten der
Sorgfaltspflichten und der Transparenz nicht weit genug. 
Deshalb werden wir uns enthalten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817916100

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der

Kollege Siegmund Ehrmann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Siegmund Ehrmann (SPD):
Rede ID: ID1817916200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Ja, in der Tat: Seit mehr als einem Jahr tobt
eine heftige Debatte über die Frage, ob und in welchem
Maße es Aufgabe des Staates ist, besonders bedeutsames
und identitätsstiftendes Kulturgut als kulturelles Erbe zu
schützen . Auch Kollegin Hupach hat diese Frage gerade,
am Schluss ihrer Rede, scharf formuliert . Insofern möch-
te ich einige grundsätzliche Anmerkungen voranstellen .

1936 hat Walter Benjamin in seinem Werk Das Kunst-
werk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit
formuliert:


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich gelesen!)


Die Einzigartigkeit des Kunstwerks ist identisch mit
seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der
Tradition .

Dieser Gedanke verweist letztendlich auf eine speziel-
le Authentizität, auf die Aura von Kunstwerken – Frau
Staatsministerin Grütters würde formulieren: auf das
Emblematische, also das ganz Besondere .

Den Bogen in die Gegenwart schlägt Wolfgang Thierse
in einem jüngst veröffentlichten Aufsatz . Ich zitiere:

Gerade in Zeiten heftiger Umbrüche, beschleunig-
ter … wirtschaftlicher, sozialer und auch ethnischer
Veränderungen ist das individuelle und kollektive
Bedürfnis nach Vergewisserung und Verständigung
über Gemeinsamkeiten, also nach Identität beson-
ders groß .

Dies ist ohne gegenständliche Basis nicht möglich .
Dazu gehört unabdingbar das kulturelle Erbe einer
Nation, die Hinterlassenschaft der Vorgängergene-
rationen, also die großen und wichtigen Kunstwer-

Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


ke, in denen sich kollektives Selbstverständnis ver-
dichtet, materialisiert hat . Wie sollte man sich

– so Thierse –

über das Eigene, das kulturelle Selbst, verständigen
können, wenn dieses Erbe nicht mehr zur Verfügung
steht, nicht mehr angeschaut werden kann?

Diesem grundlegenden Selbstverständnis folgend,
schützen nahezu alle Staaten ihre bedeutsamen Kulturgü-
ter . Dies ist im besten Sinne des Wortes internationalis-
tisch und findet Ausdruck im UNESCO-Abkommen ge-
gen illegalen Handel mit Kulturgut aus dem Jahre 1970 .
Die  unterzeichnenden  Staaten  sind  dazu  verpflichtet, 
ebendieses geschützte Kulturgut im Falle illegalen Han-
dels den berechtigten Eigentümern zurückzugeben . Es
bedarf deshalb Schutzmechanismen für das eigene Kul-
turgut und effektiver Rückgaberegelungen im Hinblick
auf das Kulturgut anderer Staaten . Insofern sind Ein- und
Ausfuhrregelungen zum Schutz von Kulturgut zwei Sei-
ten einer Medaille .

Deutschland hat dieses UNESCO-Abkommen 2007
in nationales Recht umgesetzt, doch hat sich das Kul-
turgüterrückgabegesetz letztendlich als wirkungslos er-
wiesen . Dazu ein konkretes Beispiel: Da gab und gibt
es eine Sammlung von rund 1 200 archäologischen
Objekten aus Südamerika, die sich zunächst in Spanien
befand . Dort wurden die meisten Objekte peruanischer
Herkunft beschlagnahmt und restituiert . Daraufhin wur-
de die Sammlung nach München verbracht . Das baye-
rische LKA hat die Sammlung sichergestellt . Straf- und
zivilrechtliche Verfahren folgten, liefen weitestgehend
ins Leere . Rechtshilfeersuchen von Mexiko, Guatem-
ala, Costa Rica, Kolumbien, Ecuador und Peru blieben
erfolglos . Der Hauptgrund: das fehlende Register in den
Ursprungsländern, das nach unserem Gesetz vorliegen
musste .

Das ist kein Einzelfall . Vor wenigen Wochen trafen
Mitglieder vieler Ausschüsse Botschafter unterschiedli-
cher Staaten: Irak, Guatemala, Sudan, Ägypten, Bolivi-
en, Mexiko, Honduras und auch China . Es geht hier also
nicht um einen Vorgang, der sich nur auf die arabische
Halbinsel bezieht . Die Botschafter beklagten, dass die
Rückgabe von Objekten, die unrechtmäßig in den deut-
schen Handel gelangt sind, ins Leere läuft . Sie verbanden
und verbinden Hoffnungen mit der Entscheidung, die wir
heute treffen .

Wenn wir uns aus guten Gründen dem Schutz des
kulturellen  Erbes  anderer  Staaten  verpflichtet  fühlen, 
müssen wir uns in gleichem Maße den eigenen Belangen
widmen, dem Schutz unseres besonderen Kulturgutes .
Insofern haben wir dieses Gesetz auch im parlamentari-
schen Verfahren weiterentwickelt .

Wir übertragen die Genehmigungsvorbehalte, die für
den EU-Außenhandel gelten, auf den EU-Binnenmarkt –
eine Praxis, die in nahezu allen europäischen Staaten
gilt –, und das bei sehr weit und großzügig bemessenen
Alters- und Wertgrenzen . Diese Absicht wird nach wie
vor und mit Vehemenz bis zum heutigen Tag vom Han-
del kritisiert . Aber nicht nur vom Handel: Heute formu-
lierte ein nicht mehr aktiv lehrender Hochschullehrer in

der Süddeutschen Zeitung, wir würden letztendlich unser
Kulturgutschutzrecht  „‚völkisch‘  einkäfigen“  –  ein  un-
glaublicher Begriff.  Ich finde  es  schon  erstaunlich, mit 
welchen Bandagen und Begriffen da gearbeitet wird .

Ich will ausdrücklich hervorheben: Nicht der Markt-
wert oder das Alter eines Objektes per se ist das ent-
scheidende Kriterium . Es geht um das Besondere, das
Einzigartige, das Identitätsstiftende . Es kann insofern
immer nur um herausragende Einzelobjekte gehen, die
die Schutzwirkung rechtfertigen .

Wir haben im vorliegenden Gesetzentwurf einiges
modifiziert und vieles geändert. Auf manche Punkte  ist 
die Staatsministerin eingegangen, daher will ich sie nicht
weiter hervorheben .

Mir bleibt zum Schluss meiner Rede noch, den Kol-
leginnen und Kollegen der Regierungskoalition meinen
großen Dank für die Zusammenarbeit auszusprechen,
insbesondere Ansgar Heveling . Ich möchte ausdrück-
lich hervorheben, dass die Zusammenarbeit weit im
Vorfeld mit den Akteuren in den Bundesländern und
auch im Bundesrat ausgesprochen hilfreich und gut war .
Nicht zuletzt gilt mein Dank der Staatsministerin und
ihrem Team, insbesondere dem zuständigen Referenten
Herrn Dr . Peters, aber auch dem Abteilungsleiter Herrn
Dr . Winands .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich denke, dass es ein gutes Gesetz ist . Am Ende des
Tages wird sich erweisen: Nichts wird so heiß gegessen,
wie es gekocht wird . Viele Interessen waren abzuwägen .
Ich glaube, wir sind damit unserer Aufgabe, die wir hier
im Deutschen Bundestag haben, gerecht geworden, näm-
lich dem Gemeinwohl zu dienen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817916300

Vielen Dank . – Ulle Schauws spricht jetzt für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817916400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Kulturelle Güter haben einen Wert, der
über das Materielle hinausgeht . Deshalb haben wir uns
in Deutschland und Europa immer für einen besonderen
Schutz der kulturellen Güter ausgesprochen, nicht zu-
letzt durch eine UNESCO-Konvention . Es kommt also
nicht von ungefähr, dass wir in dieser Legislaturperiode
immer wieder darüber sprechen, wie wir die kulturelle
Vielfalt bewahren und schützen können . Wir diskutieren
dies im Kontext von TTIP, im Kontext der Frage nach
der Gleichberechtigung von Frauen im Kulturbetrieb und
nun im Rahmen der Novellierung des Kulturgutschutz-
gesetzes .

Im Bereich des Kulturgutschutzes besteht dringender
Handlungsbedarf . Wohl auch deshalb hat die Kultur-
staatsministerin die Novellierung als eines der wichtigs-
ten kulturpolitischen Vorhaben dieser Legislaturperiode
ausgegeben; einmal davon abgesehen, dass die Pflichten 

Siegmund Ehrmann






(A) (C)



(B) (D)


zur Umsetzung einer EU-Richtlinie die Regierung in die
Verantwortung nehmen .

Von Beginn der Debatte an war aber eines klar: Der
Widerstand war riesengroß, und bis heute sind weder
vorhandene Ängste und Sorgen ganz ausgeräumt, noch
sind die Beschwörungen des Szenarios um drohende Ab-
wanderungen von Kunst beendet . Umso erstaunlicher ist
daher, dass die endlos diffuse Kommunikation der Bun-
desregierung verbunden mit einem Krisenmanagement
das zusätzliche Misstrauen hat entstehen lassen . Das war
weder elegant noch klug .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ein weiterer zentraler und vieldiskutierter Punkt ist
die Frage, welche Kulturgüter vor Abwanderung ge-
schützt werden sollen . Es geht also um die Frage: Was
ist national wertvoll? Selbst Kanzlerin Merkel hat sich
vor 14 Tagen im Rahmen ihrer Rede des von der CDU/
CSU-Fraktion veranstalteten Kultursalons diese Frage
noch gestellt . Auch von den Expertinnen und Experten
wurde schon im letzten Jahr deutlich eine zügige Klärung
dieser Frage angemahnt . Es wird also Zeit, einen institu-
tionalisierten Prozess in Gang zu bringen, der eigentlich
schon längst hätte begonnen werden können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn der Weg
zum Ziel unserer Meinung nach sowohl in der externen
als auch in der internen Kommunikation besser hätte
gelöst werden können, begrüßen wir Grünen, dass man
endlich einen Gesetzentwurf zur abschließenden Bera-
tung vorlegt, vor allem dass jetzt noch viele Anmerkun-
gen und Bedenken vieler Expertinnen und Experten in
den  Gesetzentwurf  eingeflossen  sind.  Dies  betrifft  die 
Wertgrenze, die wieder auf null gesetzt wurde und die
so verhindert, dass Objekte zerstückelt werden können,
um die Sorgfaltspflicht zu umgehen. Dies betrifft die für 
die Naturwissenschaften so wichtige Ausweitung der
Ausnahmeregelungen zum Beschädigungsverbot für na-
tional wertvolles Kulturgut . Schließlich betrifft dies die
Wiederaufnahme der Vermutungsregelung hinsichtlich
der Herkunft in § 52 des Kulturgutschutzgesetzes . Ein
Fehlen dieser Regelung hätte in der Praxis zu einer ho-
hen Hürde hinsichtlich des Rückgabeanspruchs von Her-
kunftsstaaten geführt, also genau zu dem Gegenteil von
dem, was eine zentrale Intention des Gesetzes ist . Hier
ist die Kritik unserer Fraktion gehört und entsprechend in
diesen Gesetzentwurf eingearbeitet worden . Für die Wir-
kung des Gesetzes sind das drei zentrale Punkte, deren
Aufnahme in den Gesetzestext wir sehr begrüßen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings lässt der Gesetzentwurf zwei wichtige
Aspekte außer Acht, die zu einem besseren Schutz von
archäologischen Kulturgütern hätten beitragen können .
Erstens . Die Schutzregelungen für den Verkauf von Kul-
turgütern müssen erweitert werden . Bis jetzt schließt
das Gesetz Kulturgüter, die in Nebenräumen lagern und
gegebenenfalls für den sogenannten Verkauf unter der

Hand vorgesehen sind, von diesen Schutzregelungen aus,
und das darf nicht sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Ausweitung der Schutzregelung ist ein wesentlicher
Schritt, um den illegalen Handel mit illegalen Kulturgü-
tern effektiv zu erschweren . Der zweite Punkt betrifft die
Ausweitung der erhöhten Sorgfaltspflichten. Sie sollten 
zusätzlich für alle archäologischen Kulturgüter gelten,
die laut der Roten Liste des Internationalen Museums-
rates in eine der Kategorien der gefährdeten Kulturgüter
fallen . Nur so kann wirklich ein umfassender Schutz von
archäologischem Kulturgut sichergestellt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Darüber hinaus sollten die Begründungen der Sach-
verständigenausschüsse öffentlich zugänglich gemacht
werden . Das ist Transparenz auf allen Ebenen . Das ist für
uns bei diesem Gesetz elementar .

In der ganzen Diskussion über Ausfuhrgenehmigun-
gen sind die neuen Regelungen der Einfuhr und Rück-
gabe von Kulturgütern sehr wichtig . Der illegale Handel
mit Kulturgütern ist keine kulturelle Randnotiz. Er findet 
weltweit statt, und nicht nur in den besonders betroffenen
Ländern wie Ägypten, Afghanistan, Syrien und Irak . Seit
1990 hat sich der illegale Handel mit diesen Gütern ver-
vielfacht . Mit schätzungsweise 6 bis 8 Milliarden Euro
Umsatz jedes Jahr stehen die Gewinne aus diesem ille-
galen Handel mit Kulturgütern an dritter Stelle aller Ein-
nahmequellen der organisierten Kriminalität, gleich nach
Waffen und Drogen .

Deutschland darf nicht länger ein Umschlagplatz für
geraubte Kulturgüter und Antiquitäten sein, an dem ohne
belastbaren Herkunftsnachweis Antiken verkauft werden
können . Das Recht von Staaten auf den Besitz ihrer Kul-
turgüter muss endlich auch von Deutschland akzeptiert
werden . Es kann nicht sein, dass bei uns ein lukrativer
Marktplatz zur Finanzierung von Terroristen und inter-
nationalen Banden weiter existieren kann . Deutschland
steht hier international in einer politischen und morali-
schen Verantwortung und muss jetzt seinen Beitrag leis-
ten .

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir, dass das bis-
lang geltende ungeeignete Listenprinzip abgeschafft
wird . Stattdessen müssen Ausfuhrgenehmigungen des
Herkunftslandes vorgelegt werden . Allerdings – das sage
ich ganz klar – wird es für den Zoll keine leichte Aufgabe
sein, zu entscheiden, ob eine vorgelegte Ausfuhrerlaub-
nis gültig ist und wirklich das vorgelegte Objekt erfasst .
Das wäre schon für manche Kunstexpertin und manchen
Kunstexperten eine Herausforderung . Daher stellt sich
nach wie vor die Frage: Ist diese Regelung am Ende des
Tages wirklich besser als die alte?

Ich denke, das ist ein Aspekt, der für den gesamten
Gesetzentwurf gilt . Die grundsätzliche Stoßrichtung ist
richtig und gut . Aber die Reichweite und Praxistauglich-
keit einzelner Details ist zum jetzigen Zeitpunkt in Gänze
schwer abschätzbar . Es bleibt daher die Aufgabe für uns
als Politik, die Wirkung des Gesetzes weiter zu beob-

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


achten, um zu sehen, ob die Neuregelungen wie erhofft
wirken .

In diesem Sinne vielen Dank fürs Zuhören und einen
schönen Tag .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817916500

Vielen Dank . Das wünschen wir auch . – Nächster Red-

ner ist der Kollege Ansgar Heveling, CDU/CSU-Frakti-
on .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1817916600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mich heute gemeinsam mit Ihnen an Rose
Valland erinnern . Sie arbeitete während der Besetzung
Frankreichs durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg
als Kunsthistorikerin im Pariser Museum Jeu de Paume .
Dieses Museum wurde von den Nationalsozialisten als
Zwischenlager für Raubkunst missbraucht . Der deut-
schen Sprache mächtig, verfolgte sie unbemerkt alle Ge-
spräche der deutschen Offiziere und vermerkte jeden Ab-
transport der Kunstgegenstände sowie ihren jeweiligen
Zielort . Aus ihren Aufzeichnungen ließe sich eine beein-
druckende Karte für eine atemberaubende Schatzsuche
zusammenstellen . Zugute kam ihr Wissen auch einer
kleinen Einheit der amerikanischen Streitkräfte, den so-
genannten Monuments Men, die sich in den Jahren 1945
bis 1947 daranmachte, versteckte Naziraubkunst aufzu-
spüren und in Sicherheit zu bringen .

Diese Episode aus der Vergangenheit zeigt, dass Kul-
turgutschutz nicht erst heute ein wichtiges Anliegen ist .
So hat Rose Valland nicht nur unschätzbare Dienste dazu
geleistet, dass nach dem Zweiten Weltkrieg viele der ge-
raubten Kunstschätze wiedergefunden werden konnten,
sondern sie hat sich in den Jahren danach auch intensiv
für die Belange des Kulturgutschutzes eingesetzt, un-
ter anderem als Leiterin des französischen Dienstes des
Schutzes von Kunstwerken .

Auch bei uns wird mit dem heute zu beschließenden
Gesetz der Kulturgutschutz nicht neu erfunden . Bis-
her war unser Kulturgutschutz im Wesentlichen in drei
Gesetzen geregelt . Die jetzige Novelle führt diese drei
Gesetze mit notwendigen Neuregelungen zu einem Kul-
turgutschutzgesetz zusammen, dessen Bestimmungen
kohärent ineinandergreifen . Damit werden künftig alle
Aspekte des Kulturgutschutzes durch ein Gesetz erfasst .

Durch geeignete Einfuhrregelungen soll der illegale
Handel etwa mit Antiken aus Kriegs- und Krisengebieten
unterbunden werden . Mithilfe von Ausfuhrregelungen
wird darüber hinaus unserem Land die Möglichkeit gege-
ben, national wertvolles Kulturgut, das eine einzigartige,
herausragende und identitätsstiftende Bedeutung für un-
ser Land hat, vor Abwanderung zu bewahren . Schließlich
enthält das Gesetz auch Regelungen für die Rückgabe
unrechtmäßig verbrachten Kulturguts .

Die Neuregelung des Kulturgutschutzes ist im Übrigen
kein deutscher Alleingang, sondern stellt ein Vorgehen
im Sinne der Forderung der Vereinten Nationen dar . Wir
sind schon vor langer Zeit einem internationalen Über-
einkommen beigetreten, das inzwischen von 131 Staaten
ratifiziert worden ist. Es ist unser ureigenes Anliegen, die 
UNESCO-Konvention zum Schutz von Kulturgut von
1970 jetzt endlich wirkungsvoll und vor allem vollstän-
dig in deutsches Recht umzusetzen . Die Kulturgüter sind
Zeugnis unserer Menschheitsgeschichte und für die Nati-
onen und Völker unserer Welt identitätsstiftend .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Gerade in den letzten Jahren mussten wir mit ansehen,
wie im Nahen und Mittleren Osten, in Palmyra, in Nim-
rud und Mossul, Jahrtausende alte Zeugnisse der Kultur
ausgeraubt und dem Erdboden gleichgemacht wurden .
Mit Blick auf diese Ausbeutung und Zerstörung sehen
wir uns in der Verantwortung, den illegalen Handel wei-
ter zu bekämpfen, international wertvolle Kulturgüter zu
schützen und damit auch für unsere nachfolgenden Ge-
nerationen zu bewahren . Denn jeder Staat hat in zuneh-
mendem Maße die moralische Verpflichtung zur Achtung 
seines kulturellen Erbes und des Erbes anderer Nationen .

Nach engagierten und konstruktiven Debatten ent-
scheiden wir heute über einen, wie  ich finde,  sehr aus-
gewogenen und praktikablen Gesetzentwurf, der in den
parlamentarischen Beratungen noch vielfältige Verän-
derungen erfahren hat . Für ganz besonders wichtig halte
ich, dass mit der Novelle erstmals gesetzlich geregelt und
definiert wird, was national wertvolles Kulturgut ist. Das 
ist für eine Kulturnation wie die unsrige ein nötiger und
überfälliger Akt der demokratischen Legitimation des
Kulturgutschutzes .

Der Entwurf grenzt nun präzise zwischen archäologi-
schem und paläontologischem Kulturgut ab . Das ist einer
der Punkte, die wir aus der Anhörung mitgenommen ha-
ben . Er fördert grenzüberschreitenden Kulturaustausch;
denn er stellt klar, dass auch ein längerer Aufenthalt von
Leihgaben keine besondere Beziehung zum deutschen
Kulturgutschutz begründet . Letztlich berücksichtigt die
Neuregelung auch die berechtigten Interessen des Kunst-
und Kulturhandels in Deutschland . Selbstverständlich
sind wir uns hierbei auch des Spannungsverhältnisses
zwischen Eigentumsschutz und Kulturgutschutz bewusst .

Ich nenne Ihnen drei Beispiele .

Mit einem Negativattest kann im Vorhinein der Aus-
fuhrmöglichkeit rechtsverbindlich geklärt werden, dass
keine Eintragung als national wertvolles Kulturgut er-
folgt .

Für Kulturgut, das sich maximal zwei Jahre in
Deutschland befindet, braucht man keine Ausfuhrgeneh-
migung . Es gilt das sogenannte Laissez-passer-Verfah-
ren . Das ist ein wichtiger Schritt gewesen, den wir inner-
halb der parlamentarischen Beratungen gegangen sind .

Der Entwurf berücksichtigt auch die Unterschiedlich-
keit der verschiedenen Kunsthandelsgewerbe . So sind
beispielsweise Sonderregelungen für Münzen in den Ge-
setzesentwurf eingegangen . Sie gelten nicht als archäolo-
gische Kulturgüter, wenn sie in großer Stückzahl vorhan-

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


den sind und keinen relevanten Erkenntniswert für die
Archäologie haben .

Allen Vertragsstaaten der UNESCO-Konvention ist
gemein, sich aktiv für einen Abwanderungsschutz einzu-
setzen und sich gegenseitig darin zu unterstützen . Daher
werden bei der Einfuhr von ausländischem nationalem
Kulturgut in Zukunft zu Recht hohe Prüfmaßstäbe an-
gelegt . Ist ein Kulturgut in einem Vertragsstaat entspre-
chend eingestuft, müssen bei der Einfuhr entsprechende
Unterlagen des Herkunftsstaates die Rechtmäßigkeit
der Ausfuhr belegen . Hierbei haben wir im parlamenta-
rischen Verfahren klargestellt, dass sich die Nachweis-
pflicht  nur  auf  solche Kulturgüter  bezieht,  die  im Her-
kunftsland als nationales Kulturgut eingetragen oder
definiert worden sind. 

Neben dem Schutz vor Abwanderung geht es auch
um die Rückgabe illegal eingeführter Kulturgüter . Nach
der bisherigen Rechtslage war dies kaum möglich . Unter
anderem flankiert zukünftig eine gesetzliche Vermutung 
diesen Rückgabeanspruch, sofern sie – wie auch sonst im
Verwaltungsrecht – nicht mit Beweismitteln, einschließ-
lich der eidesstattlichen Versicherung, widerlegt werden
kann .

Wir haben uns in den letzten Monaten sehr intensiv
mit dem Entwurf beschäftigt, auch mit einer Vielzahl
von Detailfragen, die insbesondere in der Anhörung der
Sachverständigen im April an uns herangetragen wur-
den . In den vergangenen Wochen haben wir diese Fragen
eingehend erörtert und dem Entwurf seinen letzten Fein-
schliff verpasst .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einer der Monument
Men war auch George Stout, Konservator des Fogg-Mu-
seums der Harvard University . Im Ersten Weltkrieg hat er
als junger Mann die Zerstörung von Kulturgütern erlebt .
Seiner eigenen Forderung nach einer praktischen Um-
setzung des Kulturgutschutzes folgend, kämpfte er unter
anderem mit Rose Valland in Europa für die Sicherstel-
lung und den Erhalt der von den Nationalsozialisten er-
beuteten und versteckten Kunst. Die ihm filmisch nach-
empfundene Figur des Lieutenants Frank Stokes im Film
Monuments Men bringt seine Motivation auf den Punkt:

Man kann Menschen einer ganzen Generation aus-
löschen, ihre Häuser niederbrennen, aber sie werden
immer einen Weg zurück finden. Vernichtet man je-
doch ihre Geschichte, vernichtet man ihre Errungen-
schaften, und das ist so, als hätten sie nie existiert .

Dass die Geschichte und die Errungenschaften in Er-
innerung bleiben, ist eine wesentliche Aufgabe des Kul-
turgutschutzes . Tragen wir heute unseren Teil dazu bei,
die Kultur der Völker für uns und nachfolgende Genera-
tionen zu bewahren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817916700

Danke schön . – Die Kollegin Susanne Mittag ist die

nächste Rednerin für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Susanne Mittag (SPD):
Rede ID: ID1817916800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Griechenland, Italien, Ägypten,
Türkei, Syrien, Irak und Deutschland: Was betrifft all die-
se Länder? Illegale Ausgrabungen von archäologischem
Kulturgut, das ganz einfach nur zu Geld gemacht wird .

Archäologische Zeugnisse werden ohne Rücksicht auf
Verluste oder Beschädigungen ausgegraben, historische
Anlagen gesprengt oder komplette Museen gestürmt und
geplündert . Besonders dramatisch ist die Situation seit
einiger Zeit in Syrien und dem Irak, aber das wird je-
der mitbekommen haben . Der IS verkauft Lizenzen für
illegale Grabungen, erhebt Steuern für die Ausfuhr oder
handelt selbst – so finanzieren zum Beispiel Terroristen 
ihren Krieg . Aber auch die organisierte Kriminalität be-
teiligt sich seit Jahren systematisch an illegalen Grabun-
gen und dem weltweiten Handel von Kulturgütern, und
zwar mit  großem  finanziellem Erfolg. Das  ist  die  eine 
Seite der Medaille, die der Raubgräber und Grabräuber,
die Kulturgüter ausgraben und mit ihrem leider sehr gro-
ben Vorgehen eine wissenschaftliche Untersuchung von
Fundzusammenhängen eigentlich ausschließen .

Die andere Seite der Raubgräbermedaille ist aber auch
hier in Deutschland zu finden, und das sind die Händler 
und Käufer, der Markt für archäologisches Kulturgut, der
gerade in Deutschland sehr etabliert ist . Zum Teil wird er
bestimmt – das muss man schon sagen – von Skrupello-
sigkeit und Gewinnorientierung . Die Bedingungen, wie
die Güter auf den Markt kommen, werden nicht hinter-
fragt . Wer vom Fach ist, weiß, woher sie kommen .

Damit stelle ich nicht alle Kunst- und Antiquitä-
tenhändler unter einen Generalverdacht . Aber man muss
schon sagen: Auch in dieser Szene sind nicht alle edel,
hilfreich und gut; die Regeln sind völlig klar .

2003 wurden mit der sogenannten Irak-Verordnung
der Europäischen Kommission die Einfuhr, die Ausfuhr
und der Handel von irakischem Kulturgut verboten; das
müsste in der Szene bekannt sein . Die gleiche Regelung,
die für das galt, was nach dem 6 . August 1990 aus dem
Irak ausgeführt wurde, wurde für syrisches Kulturgut im
Dezember 2013 beschlossen .

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
fördert seit 2015 ein Verbundprojekt mit rund 1,2 Milli-
onen Euro, um das Dunkelfeld des illegalen Handels mit
Kulturgut zu erhellen . Es gab einige erhellende Erkennt-
nisse, und sie sind sehr erschreckend . Seit August 2015
wurden 45 Auktionen und Onlineplattformen gesichtet
und über 4 300 archäologische Objekte aus dem östlichen
Mittelmeerraum – nur als Beispiel – wissenschaftlich be-
gutachtet . Dabei wurde festgestellt, dass 561 Objekte,
also 13 Prozent, aus Irak und Syrien stammen . Davon
waren allerdings nur 2 Prozent von einer lückenlosen
Provenienz begleitet, also mit einem Herkunftsnachweis
ausgestattet und somit nicht zu beanstanden . 2 Prozent!
94 Prozent der Objekte hatten eine lückenhafte oder ver-
schleiernde Provenienz .

Bislang reichten irgendwelche handschriftlichen Zet-
tel, auf denen notiert war, dass das Objekt vom Boden
oder aus einer Privatsammlung kommt – dass es so viele

Ansgar Heveling






(A) (C)



(B) (D)


Böden und Privatsammlungen gibt, ist ja kaum zu glau-
ben –, und auch der Flohmarkt wurde immer wieder ger-
ne zitiert; auch von dort kamen offensichtlich sehr viele
dieser Altertümer . 4 Prozent hatten überhaupt gar keine
Nachweise . Trotzdem waren sie im Handel .

Das Zwischenergebnis zeigt, dass sich in Deutschland
ein Markt etabliert hat, auf dem mit Objekten oft frag-
würdiger Herkunft viel Geld verdient wird . Deswegen
treffen wir mit dem neuen Kulturgüterschutzgesetz allen
öffentlichen Beschwerden zum Trotz Regelungen, die
hier in Deutschland den Handel mit Kulturobjekten aus
den sogenannten Raubgrabungen verhindern sollen .

Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir
im parlamentarischen Verfahren die Wertgrenze für ar-
chäologisches Kulturgut – sie ist schon erwähnt wor-
den – auf null gesetzt haben . Es ist ja nicht zum ersten
Mal passiert, dass Teile zerschlagen wurden, und dann
wurden sie billiger .

Damit ist klar: Unabhängig vom Wert eines einzel-
nen archäologischen Objektes gelten endlich erweiterte
Sorgfaltspflichten  für gewerbliche Händler. Sie müssen 
die Identität des Verkäufers festhalten und eine Beschrei-
bung sowie Abbildungen zur Identitätsfeststellung des
Kulturgutes anfertigen . Darüber hinaus muss der Nach-
weis der Herkunft, der Provenienz des Kulturgutes ge-
führt werden . Notwendig sind auch Dokumente, die die
rechtmäßige Ein- und Ausfuhr belegen . Diese Dokumen-
te müssen geprüft und dürfen nicht einfach so entgegen-
genommen werden .

Um diese Angaben in Zweifelsfällen aber überprüfen
zu können, müssen Behörden auch auf einen unabhän-
gigen Expertenpool zurückgreifen können; denn das ist
nicht einfach, und daran fehlt es uns noch ganz massiv .
Darüber hinaus müssen wir bei den anstehenden Haus-
haltsberatungen, die wir demnächst durchführen, dafür
sorgen, dass wir zum Beispiel das Personal beim BKA
so stärken, dass es überhaupt über den nötigen Sach-
verstand auf diesem Gebiet verfügt . Auch die Aus- und
Weiterbildung für Zoll, Staatsanwaltschaften, Landesbe-
hörden und Richter, um Verfahren in diesem schwierigen
Themenkomplex überhaupt begleiten zu können, sind zu
unterstützen .

Wir dürfen beim Blick nach Syrien und in den Irak in
Bezug auf das Thema der Raubgrabungen nicht verges-
sen, dass auch unsere Gesellschaft Opfer von Raubgra-
bungen ist . Die berühmte Himmelsscheibe von Nebra,
die 3 600 Jahre alt und die weltweit bekannteste konkrete
Darstellung des Kosmos ist, stammt nicht aus einer re-
gulären archäologischen Grabung . Nein, zwei Raubgrä-
ber – unterwegs mit einer Metallsonde – fanden dieses
Kulturgut und haben den Fund verkauft, nachdem sie es
mit Stahlwolle ein bisschen saubergemacht hatten . Das
hat bei der Wissenschaft natürlich unheimlich geholfen .


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach einigen Verkaufsstationen konnte die Himmels-
scheibe im Jahr 2002 bei einem fingierten Ankaufsange-
bot der Schweizer Polizei sichergestellt werden; sie wäre
sonst weg gewesen .

Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz den
Schutz von Kulturschätzen, die uns einen Blick zurück
in die Vergangenheit erlauben, stärken . Im Rahmen der
vorgesehenen Evaluierung werden wir die Schutzwir-
kung genau beobachten und das Gesetz gegebenenfalls
nachschärfen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817916900

Vielen Dank . – Als Nächste spricht die Kollegin

Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1817917000

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Heute

auf den Tag genau vor 61 Jahren hat der Vermittlungsaus-
schuss sein Ja zum Gesetz zum Schutz deutschen Kultur-
gutes gegen Abwanderung gegeben . Im Sommer 1955,
also wenig später, ist es dann in Kraft getreten . Das ist
natürlich ein historischer Zufall, aber auch eine schöne
Gelegenheit, sich anzuschauen, wie die Bundestagsde-
batten damals abliefen: Welches Ziel wurde ausgegeben?
Wo  lagen  die  Konfliktlinien?  Und,  meine  Damen  und 
Herren, was soll ich Ihnen sagen: Geschichte wiederholt
sich doch .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In  der  Debatte  von  1955  fielen  Begriffe  –  drei  im 
Wesentlichen –, die uns auch heute wieder beschäftigt
haben . Es ging schon heute vor 61 Jahren um Enteig-
nung, um einen Ankaufszwang oder ein Vorkaufsrecht
des Staates und um die Belastungen für den deutschen
Kunsthandel .

Lassen Sie mich vorne beginnen, also mit der Ent-
eignung . – Nein, selbstverständlich legt die Novelle des
Kulturgutschutzgesetzes nicht die Grundlage für eine
Enteignung von Kunsteigentümern oder -sammlern . Je-
der, der den Gesetzentwurf gelesen hat, weiß das auch .

Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, national wertvol-
les, für uns prägendes und identitätsstiftendes Kulturgut
vor Abwanderung zu schützen . Das steht einer Kultur-
nation, wie wir es sind und worauf wir zu Recht stolz
sind, auch gut zu Gesicht . Kulturgüter sind eben nicht nur
Wertanlagen, sondern können auch einen ideellen Wert
haben . Sie können für unsere Geschichte und für die Ge-
genwart prägend sein . Das ist gerade in Zeiten, in denen
wir gelegentlich den Eindruck haben, dass die Welt aus
den Fugen gerät, wichtig . Nehmen Sie etwa die Tagebü-
cher Alexander von Humboldts . Eine Abwanderung wäre
für uns Deutsche ein großer Verlust gewesen .

Das Eintragungsverfahren wurde mehrmals höchst-
richterlich für verhältnismäßig erklärt . Der geltende Kul-
turgutschutz war „auf einen gerechten Ausgleich der öf-
fentlichen und privaten Interessen angelegt“ . So hat das
Bundesverwaltungsgericht geurteilt . Dies bleibt er auch
mit der vorliegenden Novellierung .

Susanne Mittag






(A) (C)



(B) (D)


Der zweite Punkt von damals, der uns auch heute
wieder beschäftigt,  ist die Ankaufspflicht oder das Vor-
kaufsrecht des Staates . Wir führen jetzt ein Angebotsmo-
dell ein . Es soll ein Verfahren geben, durch das national
wertvolles Kulturgut, das nicht ins Ausland gelangen
soll, durch Museen oder andere Einrichtungen angekauft
und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden
kann . Kommt es dazu nicht, darf dieses Kulturgut das
Land trotzdem nicht verlassen .

Wir haben uns damit genauso wie unsere Vorgänger
vor 61 Jahren aus guten Gründen gegen eine Ankaufs-
pflicht  entschieden;  denn  dort, wo  sie  praktiziert wird, 
werden die Nachteile in schlechten Zeiten schnell deut-
lich, und was wir nicht wollen, ist ein Kulturgutschutz
nach Kassenlage .

Der dritte Punkt damals wie heute waren die Folgen
für den Kunsthandel . Damals, 1955, sprach der bayeri-
sche CSU-Abgeordnete Josef Ferdinand Kleindinst aus
Augsburg über dieses Gesetz . Er war der Berichterstat-
ter . Er erklärte die Änderungen, die im parlamentarischen
Verfahren eingefügt wurden, und stellte dann fest: Der
Kunst- und Antiquitätenhandel hat nichts zu befürch-
ten . – Auch damals war der Protest groß, und ich möchte
es ihm gleichtun und die Änderungen erwähnen:

Das Eintragungsverfahren wird viel transparenter und
nachvollziehbarer . Mit einem Negativattest können Ei-
gentümer Rechtssicherheit erhalten .

Die Regelung eines Laissez-passer entlastet Kunst-
handel und Restauratoren, wenn es um vorübergehend in
Deutschland befindliches Kulturgut geht. 

Etliche Erleichterungen bei der Sorgfalts- und Nach-
weispflicht  sowie  die  Ausweitung  der  Altersgrenzen 
dämmen Bürokratie ein .

Der Kunst- und Antiquitätenhandel muss also auch
heute nichts befürchten . Er muss sich aber durchaus auf
Veränderungen einstellen, und es wird an einigen Punk-
ten auch aufwendiger werden .

Zum Schluss möchte ich auf einen Punkt zu sprechen
kommen, der damals, vor 61 Jahren, kein Thema war,
heute aber ein großes Thema ist, nämlich die Regeln zur
Einfuhr von Kulturgütern .

Was wir uns selbst herausnehmen und für uns bean-
spruchen – wir schützen unser national wertvolles Kul-
turgut –, müssen wir auch den anderen zugestehen und
ermöglichen . Ganz abgesehen von internationalen und
europäischen Vorgaben werden wir damit auch unserer
moralischen,  kulturellen  und  rechtlichen  Verpflichtung 
gerecht . Das hat auch etwas mit der Haltung zu tun, wie
man mit fremdem Kulturgut umgeht .

Die Regeln, die wir dafür bisher hatten, waren nicht
sehr wirksam, und deshalb brauchen wir neue . Den An-
lass gab sicher der Handel mit Antiken aus Kriegs- und
Krisengebieten . Wir wollen nicht, dass mit dem Handel
dieser Antiken Kriege finanziert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen, meine Herren, der vorliegende Ge-
setzentwurf ist keine Revolution, sondern eine Weiter-
entwicklung und Zusammenführung bestehender Re-
gelungen . Er schließt Lücken, die sich aufgetan haben .
Wir haben einen Kompromiss gefunden, der die Wirkung
des Gesetzes erhält und gleichzeitig den bürokratischen
Aufwand eindämmt . Es ist wichtig, dass wir einen wirk-
samen und vernünftigen Kulturgutschutz in Deutschland
haben: für die Bewahrung des kulturellen Erbes für unse-
re Kinder und Kindeskinder .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817917100

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Martin Dörmann, SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1817917200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der Tat: Das geplante Kulturgutschutzgesetz haben
von Anfang an kontroverse Debatten in der Kultursze-
ne begleitet . Das hat nicht zuletzt mit der Doppelnatur
von Kulturgütern zu tun . Einerseits sind sie Bestandteil
der Kultur und damit der Identität einer Gesellschaft .
Gerade aus diesem Grund verdienen national besonders
wertvolle Kulturgüter Schutz . Andererseits sind sie aber
auch Waren, mit denen gehandelt und Geld verdient wer-
den kann . Das ist übrigens gut . Denn letztendlich sichert
es dadurch langfristig das Einkommen von Künstlern .
Deshalb müssen wir auch die Interessen an einem freien,
freilich legalen Handel berücksichtigen .

Die Herausforderung bei dem vorliegenden Gesetz-
gebungsverfahren besteht also gerade darin, dieser Dop-
pelnatur von Kulturgütern gerecht zu werden . In unserer
Anhörung hat es eine der Expertinnen, Frau Professor
Odendahl, gut auf den Punkt gebracht: Es geht um Kom-
promisse, die ausgewogen und angemessen sein müssen
und letztendlich eine Balance zwischen dem kulturellen
und dem finanziellen Wert von Kulturgütern wahren. Es 
hat sich gezeigt, dass der Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung diese Balance noch nicht hinreichend hergestellt
hat . Deshalb haben die Koalitionsfraktionen in guter
Zusammenarbeit umfangreiche Änderungen verabredet,
nämlich an insgesamt 41 Stellen .

Lassen Sie mich konkrete Beispiele nennen . Die Na-
turwissenschaftler haben zu Recht darauf hingewiesen,
dass das geplante Beschädigungsverbot für eingetrage-
nes national wertvolles Kulturgut zu weit ging .


(Beifall des Abg . Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU])


Denn natürlich muss es möglich sein, einen Archaeop-
teryx oder die Himmelsscheibe von Nebra wissenschaft-
lich zu untersuchen . Das leuchtet jedem ein, und das wer-

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


den wir ermöglichen . Dabei müssen selbstverständlich
anerkannte wissenschaftliche Standards gewahrt werden .

Ein weiteres Beispiel . Die Eintragung als national
wertvolles Kulturgut  und  die  damit  verbundene  Pflicht 
zur Genehmigung von Ausfuhren sind ein Eingriff in das
Eigentumsrecht . Dieser muss angemessen und verhält-
nismäßig sein . Nun erweitern wir die bereits bestehende
Pflicht zur Genehmigung von Ausfuhren in Drittstaaten 
um die Staaten der EU, machen also den Schutz effekti-
ver . Von dieser neuen Regelung fühlen sich deshalb ins-
besondere Sammler und Kunsthändler verunsichert oder
nachteilig betroffen . Beiden Gruppen sind wir nun sehr
stark entgegengekommen, ohne allerdings die Kernziel-
richtung des Gesetzes aufzugeben .

Auch dazu einige Beispiele . Die erstmalige gesetzli-
che  Definition  national  wertvollen  Kulturgutes  schafft 
mehr Rechtssicherheit und erhöht übrigens die Schwelle
gegenüber der heutigen Rechtslage . Es wird also künftig
eher weniger eingetragen als bisher . Jedenfalls schätzen
namhafte Experten die jährliche Zahl der Objekte auf un-
ter zehn . Auch das relativiert manche Kritik, die geäußert
wurde .

Wie bisher gibt es für die betroffenen Eigentümer
steuer- und erbrechtliche Vorteile und eine Billigkeitsre-
gelung im Falle der wirtschaftlichen Notlage . Und neu:
Als zusätzliche Kompensationsmöglichkeit ist nun auf
Initiative der SPD-Bundestagsfraktion hinzugekommen,
dass künftig der Staat zugunsten des Eigentümers ein An-
kaufsangebot vorlegen kann . Der Eigentümer kann also
dann sein neu eingetragenes Kulturgut gegen einen ange-
messenen Preis an den Staat verkaufen, selbstverständ-
lich nur dann, wenn beide Seiten sich einigen .

In den anstehenden Haushaltsberatungen wollen wir
dafür sorgen, die hierfür notwendigen Mittel einzustel-
len . Dadurch wollen wir zugleich ermöglichen, dass na-
tional wertvolles Kulturgut der Öffentlichkeit auch tat-
sächlich zugänglich gemacht wird . Es soll eben nicht im
Safe verbleiben, sondern der Allgemeinheit in Museen
zur Verfügung gestellt werden .


(Beifall bei der SPD)


Wir schaffen zudem das Recht auf ein sogenanntes
Negativattest, um Unsicherheiten im Kunsthandel aus-
zuräumen . Künftig kann jeder Eigentümer aktiv prüfen
lassen, ob sein Kulturgut eintragbar ist . Und – das ist
bereits erwähnt worden – mit einer sogenannten Lais-
sez-passer-Regelung wird es möglich sein, Kulturgut
zeitlich befristet aus dem Ausland nach Deutschland zu
bringen, ohne dass eine Eintragung in die Liste national
wertvollen Kulturgutes erfolgt . Diese Regelung sichert
den grenzüberschreitenden Handel und ist gerade für
Auktionshäuser und Messen relevant .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesen Beispie-
len sehen Sie, dass wir berechtigte Forderungen aufge-
nommen haben und angemessene, praxisnahe Lösungen
erarbeitet haben . Wir haben so eine neue, eine bessere
Balance hergestellt . Von daher erhoffe ich mir eine breite
Zustimmung für dieses so geänderte Gesetz, und zwar
nicht nur hier im Hause, sondern auch in der Öffentlich-
keit . Denn Kultur ist identitätsstiftend – das ist der Kern

unserer heutigen Debatte –, und wir sollten alle gemein-
sam dieses Erbe pflegen und unterstützen.

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817917300

Vielen Dank .– Die Aussprache ist damit beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung des Kulturgutschutzrechts . Hierzu liegt eine Erklä-
rung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss  für  Kultur  und Medien  empfiehlt  in 
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8908,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/7456 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Opposition angenommen .

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/8921 . Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
abgelehnt .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Katja Kipping, Karin Binder, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Sexismus die Rote Karte zeigen – Für einen
bundesweiten Aktionsplan
Drucksache 18/8723
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen und die Gesprä-
che außerhalb des Plenarsaals weiterzuführen .

Dann eröffne ich die Aussprache . Das Wort hat die
Kollegin Cornelia Möhring, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


1) Anlage 2

Martin Dörmann






(A) (C)



(B) (D)



Cornelia Möhring (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817917400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In den letzten zwei Wochen waren die Medien voll mit
zwei sehr unterschiedlichen Fällen von Sexismus . Das
war  zum  einen  der Gina-Lisa-Lohfink-Prozess. Worum 
ging es dabei? Eine Frau erstattet wegen Vergewalti-
gung Anzeige gegen zwei Männer . Sie hatten ein Video
online gestellt, in dem die Frau hörbar „Hör auf!“ sagt .
Die Männer werden freigesprochen, auch deshalb, weil
es nach jetzigem Recht nicht ausreicht, wenn eine Frau
„Nein!“ oder „Hör auf!“ sagt . Im Gegenzug wird sie von
den beiden Männern wegen angeblicher Falschbeschul-
digung angezeigt .

Eines hat der Fall noch einmal sehr deutlich gemacht,
nämlich wie wichtig die Verankerung des Grundsatzes
„Nein heißt nein“ im Sexualstrafrecht ist . Es freut mich
wirklich sehr, dass wir das wohl in der nächsten Sitzungs-
woche im Bundestag gemeinsam beschließen werden .


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Aber machen wir uns nichts vor: Wenn Frauen sexu-
elle Belästigung erfahren, wenn Frauen sexuelle Gewalt
erleben, dann kommen meist sie in die Situation, sich
rechtfertigen zu müssen . Dann müssen meist sie ihr Ver-
halten hinterfragen lassen, und es wird meist immer noch
behauptet, dass ihr Nein gar kein Nein ist .

Dahinter steht die sexistische Grundannahme einiger
Männer – die übrigens leider auch von vielen Frauen im-
mer wieder reproduziert wird –, sie hätten ein Recht auf
Sex, als Gegenleistung für was auch immer, und Frauen
denken oft, sie seien selber schuld, warum auch immer .
In der öffentlichen Diskussion und in der Rechtspre-
chung setzt sich diese Grundannahme häufig fort. 

Das Problem dahinter ist: In solch einem Frauenbild
ist für sexuelle Selbstbestimmung zu wenig Platz .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir können aber auch daraus schlussfolgern, dass die
richtige Änderung des § 177 Strafgesetzbuch und damit
der Grundsatz „Nein heißt nein“ leider nicht ausreicht .
Diese Vorstellungen müssen raus aus den Köpfen . Ein
Aktionsplan gegen Sexismus, den wir mit unserem An-
trag fordern, muss deshalb auch unbedingt die Stärkung
sexueller Selbstbestimmung in den Blick nehmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein nicht mehr zeit-
gemäßes Frauenbild zeigt sich auch bei meinem zweiten
Beispiel . Hier kommt der Sexismus ganz anders daher .
Das erste Mal in der Geschichte der Männer-Europa-
meisterschaft wurde ein Spiel von einer Frau kommen-
tiert . Dass dieses Ereignis erst 2016, Jahre nach Beginn
unserer Zeitrechnung, stattfand, ist ja an sich schon ein
ziemlich merkwürdiger Fakt . Der sexistische Shitstorm
aber, der sich durch die sozialen Netzwerke zog, war
schier unglaublich .


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Nun kann man zur eigenen Entlastung das Thema da-
mit abtun, dass man sagt: Da waren ein paar sexistische
Flachpfeifen am Werk . Das löst dieses Problem aber lei-
der nicht . Beispiele dieser Art machen uns Sexismus als
Problem konkret und anschaulich . Ich will aber klar sa-
gen: Nur weil das einzelne Fälle sind, heißt es nicht, dass
man das nur auf der Ebene von Einzelfällen behandeln
kann . Es geht nicht um individuelle Probleme, sondern
um gesellschaftliche Praktiken bzw . verfestigte Einstel-
lungen . Auch geht es um Entscheidungen von Institutio-
nen, die Personen aufgrund ihres Geschlechtes abwerten .
Das trifft hauptsächlich Frauen, aber auch trans- und in-
tersexuelle Menschen .

Sexismus in unserer Gesellschaft ist nicht immer
gleich erkennbar . Er kommt aber in allen Bereichen
unserer Gesellschaft vor und sorgt für eine anhaltende
Diskriminierung . Frauen werden auf der Straße belästigt
oder beleidigt . Ihr Nein wird missachtet . Frauen werden
in Jobmeetings nicht ernst genommen und anders – meist
schlechter – beurteilt . Sie werden bei der Beförderung
übergangen . Frauenarbeit wird systematisch schlechter
bezahlt oder gar nicht entlohnt . Frauen werden in den
Entscheidungsgremien von Wirtschaft und Politik mit
fadenscheinigen Begründungen nicht paritätisch betei-
ligt . In mancher Werbung werden Frauen auf Körper
reduziert und sexualisiert präsentiert . Vorurteile werden
verstärkt . Leider, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
diese Liste nicht allumfassend; aber all das gehört zum
Sexismus . Die negativen Folgen werden dann noch für
diejenigen verstärkt, die mehreren Diskriminierungsfor-
men ausgesetzt sind . Das kann ich an dieser Stelle aber
nur erwähnen und nicht länger ausführen .

Vor ziemlich genau sechs Monaten haben wir hier in
höchster Aufregung über sexistische Übergriffe disku-
tiert . Zur selben Zeit hat Ministerin Schwesig das Jahr
der Frauen ausgerufen . Viel passiert ist bis jetzt leider
nicht. Es hatte sich aber, wie ich finde, eine Art Zeitfens-
ter geöffnet, in dem offensichtlich in der Gesellschaft
und vielleicht auch hier Bereitschaft und Offenheit für
eine Diskussion gegen Sexismus und Gewalt sowie für
sexuelle Selbstbestimmung zugenommen haben. Ich fin-
de, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Diskussion
darf auf keinen Fall abbrechen . Wir müssen sie wieder
aufnehmen . Vor allem müssen wir sie so aufnehmen, dass
auch mehr getan wird .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das komplexe Problem des Sexismus in der Gesell-
schaft muss endlich mit einem komplexen Lösungsan-
satz angepackt werden . Deshalb möchten wir Sie gerne
dafür gewinnen, einen bundesweiten Aktionsplan gegen
Sexismus auf den Weg zu bringen . Unsere Idee dabei ist:
Am Anfang steht ein runder Tisch . An diesem runden
Tisch sollen sich Expertinnen und Experten aus Theorie
und Praxis, Akteurinnen und Akteure, die gegen Sexis-
mus arbeiten, sowie Politikerinnen und Politiker der
verschiedensten Felder zusammenfinden. Es sollen ganz 
konkrete, umsetzbare Maßnahmen erarbeitet werden,
um die Folgen von Sexismus und sexualisierter Gewalt
zu mindern . Auch sollen Vorschläge erarbeitet werden,
mit denen systematisch die Ursachen bekämpft und die






(A) (C)



(B) (D)


Selbstbestimmungsrechte gestärkt werden . Damit die
Maßnahmen fruchten und die Debatte nach vorne los-
geht, muss eine Kampagne gegen Sexismus eine Kampa-
gne für die sexuelle Selbstbestimmung sein .

Ich  finde,  Peter Weiß  hat  es  einmal  in  einem  ande-
ren Zusammenhang treffend gesagt: Wenn wir uns nicht
selbst befreien, bleibt es für uns ohne Folgen . Deswegen
lege ich ganz viel Wert darauf, dass diese Diskussion ge-
gen Sexismus und sexualisierte Gewalt auch mit einem
Eintreten für mehr sexuelle Selbstbestimmung verknüpft
wird .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dann können wir eine gesellschaftliche Debatte entfa-
chen, und alte Vorstellungen über die Geschlechter wer-
den das Zeitliche segnen . Zeigen wir gemeinsam Sexis-
mus die rote Karte!

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817917500

Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Sylvia Pantel,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1817917600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im
Familienausschuss habe ich für die Unionsfraktion unter
anderem die Berichterstatterthemen Prostitution, Men-
schenhandel, Gewalt gegen Frauen, Genitalverstümme-
lung und Zwangsverheiratung, also all jene Themen, die
sich mit Gewalt gegen Frauen befassen . Das sind Proble-
me, über die man nicht gerne spricht .

Nun wurde ich gebeten, für die Union Stellung zu Ih-
rem Antrag zu beziehen . Ich habe Ihren Antrag gelesen .
Zuerst habe ich mich gewundert . Er hat mich irritiert, und
dann habe ich ihn erneut gelesen . Dann habe ich mich
richtig geärgert . Was erlauben Sie sich? Was erlauben Sie
sich, das Leid der Opfer von sexueller Gewalt zu rela-
tivieren und für Ihre Umerziehungspläne auszunutzen?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe von Ihrem Antrag nun wirklich nichts Kon-
struktives erwartet, aber das, was ich lesen musste, ist
schon  sehr  oberflächlich.  Sie  erwecken  den  Eindruck, 
als hätten wir gesetzgeberisch in den vergangenen drei
Jahren die Hände in den Schoß gelegt . Dabei wissen Sie
ganz genau, was diese Regierungskoalition alles auf den
Weg gebracht hat, um die Situation für Frauen zu ver-
bessern .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nichts!)


Ihr Antrag ist der große Rundumschlag, Sie wollen ei-
nen großen Wurf . Dabei vergessen Sie aber, zu erzählen,
womit Sie werfen wollen, auf was gezielt werden muss,

wen oder was Sie treffen wollen und wer überhaupt der
Werfer sein soll . Stattdessen werfen Sie wild mit Ideolo-
gie und Worthülsen um sich . Sie relativieren dabei das
Leid der Opfer und verschweigen die wirklichen Proble-
me .

Gleich im ersten Punkt Ihres Antrags beginnen Sie
damit, die Tatsachen zu verdrehen . Sie schreiben, die
Ereignisse der Kölner Silvesternacht hätten ausländer-
feindliche Vorurteile geschürt, seien benutzt worden für
rassistische Hetze und Stigmatisierung von Muslimen .


(Sönke Rix [SPD]: Stimmt leider auch!)


Das sind also Ihre Schlüsse und das, was Sie an der
Kölner Silvesternacht stört . Mich stört, dass mitten in
Deutschland, mitten im pulsierenden Zentrum einer
Stadt, die heute für Lebensfreude, Freiheit und rheinische
Liberalität steht, Frauen begrapscht, beraubt und verge-
waltigt  wurden. Mich  stört,  dass  Polizisten  hilflos  und 
überfordert waren, als Gruppen von nordafrikanischen
Männern junge Frauen genötigt und erniedrigt haben .

Die Ergebnisse der Ermittlungen zeigen ganz genau,
wer die Tätergruppen waren . Es waren eben nicht deut-
sche junge Männer, sondern es waren junge Männer aus
Nordafrika, die sich zumeist als falsche Flüchtlinge in
Deutschland aufhalten . Das heißt natürlich nicht, dass
alle Männer aus Nordafrika Vergewaltiger, Grapscher
oder Diebe sind . Das sagt auch niemand . Aber wir müs-
sen die Dinge beim Namen nennen und differenzieren .
Das heißt, dass wir zielgerichtet Werte vermitteln müs-
sen, und das heißt, dass wir mit allem Nachdruck Gren-
zen aufzeigen müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Grenzen gelten für jeden in unserem Land, egal
woher er oder sie kommt .

Wenn im Jemen eine Frau nicht alleine aus dem Haus
darf, in Nigeria Mädchen wie Vieh verkauft werden oder
in Syrien und Ostanatolien minderjährige Mädchen von
ihren Familien verheiratet werden, dann will ich Protest
hören . In vielen Regionen dieser Welt haben Frauen kei-
ne Rechte, und niemand sagt etwas, wenn sie geschlagen
oder vergewaltigt werden . Niemand sorgt dafür, dass die
Mädchen zur Schule gehen und eine angemessene Aus-
bildung bekommen . Niemand erklärt dort jungen Frauen,
dass sie und nur sie allein über ihren Körper bestimmen .
Das sind die wirklichen Probleme . Wir müssen genau da-
rauf achten, dass wir diese Probleme nicht in unser Land
importieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das wir durch
Gesetze und Unnachgiebigkeit gegen die Täter lösen
müssen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zu unserem Antrag!)


Genau deshalb haben wir jetzt eine Lösung gefunden .
Das „Nein heißt nein“ gilt ohne Wenn und Aber . Dafür

Cornelia Möhring






(A) (C)



(B) (D)


bedanke ich mich im Übrigen auch ausdrücklich bei den
SPD-Frauen,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD] – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht euer Ding!)


die mit den Unionsfrauen gemeinsam dafür gekämpft ha-
ben, dass Justizminister Maas ein Gesetz abliefert, das
Frauen Schutz und Rechtssicherheit bietet .


(Zuruf von der LINKEN: Da klatscht nicht einmal die CDU!)


Als Nächstes fordern Sie in Ihrem Antrag eine ge-
schlechtersensible Pädagogik, dazu noch ein Kontroll-
gremium, das Werbung verhindern  soll,  die  spezifische 
Geschlechterrollen nutzt . Müssen demnächst in der Spül-
mittelwerbung immer gleichzeitig ein Mann und eine
Frau an der Spüle stehen? Ist es schon Sexismus, wenn
bei der Grillwürstchenwerbung ein Mann mit Bier am
Grill steht und Frauen mit der Flasche Sekt daneben sit-
zen? Wer entscheidet, ob das eine sexistische Darstellung
oder vielleicht auch einfach die Wirklichkeit ist, wie sie
in Hunderttausenden Gärten in Deutschland beobachtet
werden kann?

Der uns hier vorliegende Antrag beklagt den Sexis-
mus und sieht ihn an jeder Ecke in unserer Gesellschaft .
Für manche ist die Verwendung des generischen Mas-
kulinums bereits Sexismus, also wenn man „Schüler“,
„Studenten“ und „Kollegen“ statt „Schüler und Schüle-
rinnen“, „Studenten und Studentinnen“ und „Kollegen
und Kolleginnen“ sagt . Auf die Spitze getrieben wird
die Angst, sich dem Vorwurf des Sexismus auszusetzen,
wenn zum Beispiel der sprachlich völlig verkorkste Be-
griff „Studierende“ benutzt wird . Dabei spielen Wortsinn
und Grammatik für Sie schon lange keine Rolle mehr .
Sprache lebt; aber sie entwickelt sich und darf nicht von
oben verordnet werden .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden! Sie haben einfach nicht verstanden!)


Wir alle wissen ja: Linke geben gern das Geld der an-
deren aus . Aber haben Sie nie darüber nachgedacht, was
es die Universitäten kostet, Ihren ideologischen Forde-
rungen gerecht zu werden?


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reden Sie schon wie die Kerle!)


Da werden Schilder, Dokumente und Millionen Seiten
Papier neu gedruckt, weil aus dem „Studentenwerk“ ein
„Studierendenwerk“ geworden ist .


(Zuruf von der LINKEN)


– Aus „Studentenwerk“ ist „Studierendenwerk“ gewor-
den, richtig .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stand das nicht auch bei der AfD?)


Hat sich dadurch die Situation der Studenten verbessert?
Oder haben Sie dadurch etwas für die Forschung getan?

Nein . Bekommt auch nur eine einzige Frau eine bessere
Ausbildung, einen besseren Job oder mehr Gehalt, weil
Sie einen gendersensiblen Sitzkreis mit Unterstrich und
Sternchen abgehalten haben? Nein .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so billiger Populismus!)


Genau das ist das Problem bei dieser Debatte . Es geht
Ihnen weder um den Schutz der Opfer noch darum, das
Leben der Menschen in unserem Land so zu verbessern,
dass sie ihren eigenen Weg finden können.


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie etwas zu unserem Antrag!)


Nein, es geht Ihnen um Ideologie, Bevormundung und
Umerziehung .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zu unserem Antrag!)


– Das ist Ihr Antrag . Den sollten Sie besser lesen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Den haben wir gelesen!)


Sie sprechen in der Begründung Ihres Antrages davon,
dass in unserem Land Sexismus als eine Strategie zur
Absicherung patriarchaler Herrschaft – –


(Zurufe von Abgeordneten der LINKEN)


– Nun hören Sie doch zu . Ich lese gerade Passagen aus
Ihrem Antrag vor .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ich bin ganz Ohr!)


Sie sprechen in der Begründung Ihres Antrages davon,
dass in unserem Land Sexismus als eine Strategie zur
Absicherung patriarchaler Herrschaft alle Politik- und
Lebensbereiche durchziehe .


(Beifall bei der LINKEN)


Ist das Ihr Ernst? Haben Sie einmal einen Blick in das
Kanzleramt und an den Kabinettstisch geworfen?


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt Kanzlerinnenamt!)


Meinen Sie wirklich, die Bundeskanzlerin oder zum Bei-
spiel die Ministerinnen Nahles, Schwesig oder von der
Leyen hätten nicht ganz genau im Blick, wie es um die
Rollen der Frauen in unserem Land steht?


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Leider nicht!)


Meine Damen und Herren von der Linken, Ihr Antrag
will einen bundesweiten Aktionsplan zum Sexismus die
Rote Karte zeigen . Ich sage, wir müssen solchen Anträ-
gen wie dem Ihren die Rote Karte zeigen, damit nicht
mehr relativiert wird, damit Geld nicht mehr in absurde
Gender-Mainstreaming-Projekte  fließt,  damit  vielmehr 

Sylvia Pantel






(A) (C)



(B) (D)


Opfern geholfen wird, damit Täter verfolgt und damit
Frauen gefördert werden .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Schöne Grüße an die AfD!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817917700

Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Ulle Schauws

vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817917800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Kollegin Pantel, Ihre Rede war an Popu-
lismus echt nicht zu überbieten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich muss ehrlicherweise sagen: Die Sprüche, die Sie ge-
rade von sich gegeben haben, habe ich in den letzten an-
derthalb Jahren durchaus auch schon in anderen Papieren
gelesen .


(Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Auch wenn sie jemand anders sagt, sind sie wahr!)


Ich will jetzt hier in der Öffentlichkeit keinen Vergleich
ziehen; aber Sie müssten sich sehr genau überlegen, wo-
gegen Sie sich abgrenzen wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dass Sexismus leider nach wie vor in unserer Gesell-
schaft tief verankert ist, wird niemand ernsthaft bestrei-
ten können . Dank der Initiative der Linken debattieren
wir dieses Thema heute hier. Ich finde, das ist mehr als 
notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein aktuelles Beispiel ist die Debatte um die ZDF-Mo-
deratorin Claudia Neumann . Hochkompetent kommen-
tierte sie zwei Spiele dieser Fußball-EM der Herren, mit
der Konsequenz, dass sie sich einem ungeheuerlichen
Shitstorm ausgesetzt sah . Sie wurde auf das Übelste be-
schimpft und attackiert . Männer spuckten ihre Empörung
über sie in der sogenannten Männerdomäne Fußball re-
gelrecht ins Netz . Es geht dabei nicht um Leistung, ge-
schweige denn um Fußball; es geht um das Geschlecht,
um einen gefühlten Verrat in einem Ritual, das rein den
Männern vorbehalten sein soll . Diese Beleidigungen bis
hin zu Verachtung, sexualisierten Drohungen und Hass
gegenüber Frauen sind Ausdruck eines tiefverwurzelten
Sexismus in unserer Gesellschaft .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Feministinnen erleben gezielte Attacken im Netz regel-
mäßig .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, je sichtbarer Frauen
in die Öffentlichkeit treten, desto stärker werden sie Ziel

von Angriffen und ungefilterten Pöbeleien – bis hin zu 
Folter- und Gewaltfantasien . Laut einem Bericht aus dem
EU-Parlament sind Frauen doppelt so oft Opfer von Cy-
bermobbing . Der Handlungsbedarf für einen breitange-
legten und gesamtgesellschaftlichen Ansatz liegt nahezu
auf der Hand, und ich begrüße deswegen ausdrücklich
die Initiative der Linken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ringen um po-
litische Lösungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit
zeigen die Erfahrungen aus jüngster Zeit, dass es wich-
tig und richtig ist, das Engagement aus Frauenverbänden
und auch aus der Zivilgesellschaft einzubeziehen, etwa
bei der Initiative für Frauen in die Aufsichtsräte . Die
Verbände und die parlamentarische Initiative der Frauen
aller Fraktionen mit der Berliner Erklärung haben durch
ihr Beharren letztendlich gemeinsam die Quote durchge-
setzt . Wir als Grüne wären gerne weiter gegangen; das
wissen Sie .

Gleiches passiert gerade beim Sexualstrafrecht . Da ha-
ben die Frauenverbände den Boden so bereitet, dass wir
hier – wir im Parlament – über die Istanbul-Konvention
und die Strafrechtslücke im Vergewaltigungsparagrafen
debattieren – gegen die Blockade von Minister Maas und
auch gegen die Blockade der Bundesregierung .

Die Übergriffe auf Frauen an Silvester haben bewirkt,
dass das Thema „Gewalt gegen Frauen“ unübersehbar
wurde . Es kam darum wieder oben auf die Agenda . Aber
im Fokus sind bei alldem immer noch zu wenig die be-
troffenen Frauen und Maßnahmen zur Prävention und
zum Schutz gewesen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seither ist einiges
zum § 177 Strafgesetzbuch passiert, sodass wir kurz da-
vor stehen, „Nein heißt nein“ endlich umsetzen zu kön-
nen, und zwar fraktionsübergreifend .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Maik Beermann [CDU/CSU])


Das wäre ein großer Erfolg, und zwar wäre es der Erfolg
vieler Frauen, die innerhalb und außerhalb des Parla-
ments hier gemeinsam an einem Strang gezogen haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Übrigens zeigt der Bundesrichter Thomas Fischer
in seiner Kolumne in der Zeit jüngst, dass er in die un-
terste sexistische Schublade greifen muss, um gegen die
Reform des § 177 zu wettern, dass er es ebenso wie die
männlichen Empörer gegen eine weibliche Fußballre-
porterin nicht erträgt, dass sich die Welt auch ohne seine
Expertise weiterdreht .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht nur
wichtig, Sexismus die Rote Karte zu zeigen, so wie es
im Antrag steht; es ist vielmehr an der Zeit, Sexismus
zu disqualifizieren. Deswegen frage ich: Frau Ministerin 
Schwesig, messen Sie dem Staatenbericht von CEDAW
wirklich so hohe Bedeutung bei, wie Sie am Frauentag

Sylvia Pantel






(A) (C)



(B) (D)


angekündigt haben? Denn dann könnten Sie einem Ak-
tionsplan gegen Sexismus zustimmen . Wann kommen
endlich die wirksamen Maßnahmen, die für fairen Lohn
von Frauen sorgen? Wann geben Sie in der Union endlich
Ihren Widerstand gegen das Entgeltgleichheitsgesetz auf,
Frau Pantel?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Es muss auch was bringen!)


Und wo bleiben die vom Justizminister angekündigten
Maßnahmen gegen sexistische Werbung? Ein Artikel-
chen in der Bild-Zeitung hilft hier null weiter, Herr Maas .
Der CEDAW-Bericht legt dazu einen Vorschlag auf den
Tisch, den ich für zielführender halte als ein Verbotsge-
setz, nämlich die Einrichtung einer unabhängigen Kom-
mission, die sexistische Werbung deutlich neutraler be-
werten könnte, als es der von der Werbewirtschaft selbst
geschaffene Deutsche Werberat je tun kann . Dazu habe
ich von Minister Maas nichts mehr gehört . Und wann las-
sen Sie, Frau Schwesig, auf Ihre Worte zum Schutz von
geflüchteten Frauen  und  zu  ihrer  Integration Taten  fol-
gen, nachdem unsere Anträge zur Umsetzung konkreter
Maßnahmen abgelehnt wurden?

Darum am Ende noch einmal ganz klar: Es gibt Instru-
mente im Kampf gegen Sexismus . Es gibt Instrumente
gegen die Diskriminierung von Frauen . Worauf es aber
ankommt, ist, dass man sie nicht nur ankündigt, sondern
beschließt und dann einsetzt . Auf uns Grüne können Sie
dabei zählen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Da müssen die unionsgeführten Länder mitmachen! Hessen müsste die Blockade aufgeben!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817917900

Vielen Dank . – Jetzt spricht die Kollegin Dr . Dorothee

Schlegel, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Dorothee Schlegel (SPD):
Rede ID: ID1817918000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen

und Kolleginnen! Sehr geehrte Herren und Damen! Sie
merken schon: Meine Sprache verrät mich möglicher-
weise . Ich denke, es ist wichtig, auf eine gendergerechte
oder nicht sexistische Sprache Wert zu legen .

Wir diskutieren heute über einen Antrag der Frakti-
on Die Linke mit dem Titel „Sexismus die Rote Karte
zeigen – Für einen bundesweiten Aktionsplan“ . Um es
vorwegzusagen: Wir freuen uns, dass Sie dieses Thema
überhaupt und dann auch noch in einer nicht nur für Fuß-
ballfans verstehbaren Titulierung aufgreifen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie rennen damit bei uns als SPD offene Türen ein .

Leider hat die Diskussion über das Geschlechterver-
hältnis – sprich: Sexismus – in unserer Gesellschaft erst

nach den Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silves-
ternacht wieder Fahrt aufgenommen . Die Zuwanderung
stellt uns alle vor neue Aufgaben . Für die Frauen- und
Gleichstellungspolitik in Deutschland bedeutet dies
auch, dass Menschen, die zu uns kommen, von Anfang
an erfahren, dass alle Geschlechter hier gleichberechtigt
sind .


(Beifall bei der SPD)


Sexismus und sexualisierte Gewalt sind in Deutschland
aber keine neuen Probleme, die von anderen importiert
wurden .

Meine Damen und Herren, die SPD steht für eine pro-
gressive Geschlechter- und Familienpolitik . Wir haben –
das wurde schon erwähnt – in einem Vorstandsbeschluss
das Jahr 2016 zum Jahr für die Frauen erklärt . Sechs
Punkte sind uns dabei besonders wichtig .

Erstens: Gerechtigkeit in der Arbeitswelt schaffen .
Das heißt, die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen
zu schließen und soziale Berufe aufzuwerten .

Zweitens: Vereinbarkeit von Familie und Beruf ver-
bessern . Bundesfamilienministerin Schwesig hat das
Konzept einer Familienarbeitszeit vorgelegt, um mehr
Zeit für die Familie zu ermöglichen .

Drittens: Frauen im Beruf und in der Wirtschaft stär-
ken .

Viertens: Frauen vor Gewalt schützen . Bundesjustiz-
minister Heiko Maas hatte schon vor den Übergriffen in
Köln an der Verschärfung des Sexualstrafrechts gearbei-
tet . Wir alle kennen die Zahlen der europäischen Grund-
rechteagentur: Jede dritte Frau in der Europäischen Uni-
on erlebt sexualisierte oder körperliche Gewalt; mehr als
jede zweite erlebt sexuelle Belästigungen . Bislang sind
sexuelle Handlungen nur dann strafbar, wenn das Opfer
Gegenwehr leistet oder nur darauf verzichtet, weil Ge-
walt angedroht wird . Wir wollen die konsequente Umset-
zung der Istanbul-Konvention mit dem Grundsatz „Nein
heißt nein“ .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nun haben wir erfolgreich die Union ins Boot geholt .
Wir haben am 1 . Juni 2016 ein Eckpunktepapier zur
Reform des Sexualstrafrechts vorgelegt . Der Grundsatz
„Nein heißt nein“ ist darin verankert . Lassen Sie uns die-
sen Weg gemeinsam – Männer natürlich inklusive – wei-
tergehen .

Meine Damen und Herren, „Respekt im Alltag ver-
schaffen, Geschlechterbild modernisieren“ ist der fünfte
Punkt . Die SPD hat beschlossen, sexistische Werbung
zu verbieten . Wir begrüßen daher entsprechende Überle-
gungen des Bundesjustizministers . Wer hier „Bevormun-
dung“ oder „Geschmackspolizei“ schreit, hat nicht ver-
standen, worum es geht. Denn Werbung beeinflusst nicht 
nur das Kaufverhalten, sondern auch das Selbstbild von
Männern, Frauen und insbesondere von Heranwachsen-
den . Wir wollen, dass Mädchen und Jungen respektvoll
miteinander aufwachsen und umgehen lernen und dass
Gleichberechtigung für sie selbstverständlich wird . Auch

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


rassistische Werbung ist ja nicht akzeptabel . Warum also
soll sexistische Werbung weiterhin hingenommen wer-
den?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was zulässig ist und was nicht, wird von Fall zu Fall
zu entscheiden sein . Wichtig ist – das wird zu Recht in
Ihrem Antrag genannt –, dass es für Beschwerden von
Verbraucherinnen und Verbrauchern, Unternehmen und
Organisationen künftig eine wirksame rechtliche Grund-
lage geben wird, und zwar jenseits der nicht besonders
wirkungsvollen Selbstregulierung der Branche .

Zum letzten Punkt: Frauenrechte international stärken .
Hierzu zählt die Neuauflage der EU-Gleichstellungsstra-
tegie, die Ende 2015 ausgelaufen ist und bisher leider
nicht erneuert wurde . Am 16 . Juni dieses Jahres herrsch-
te auf EU-Ebene Einigkeit über die Schlussfolgerungen
des Rates zur Geschlechtergleichstellung . Das lässt hof-
fen . Unser Sechs-Punkte-Programm ist gleichstellungs-
politisch ambitioniert, aber realistisch . Vieles haben wir
zudem bereits umgesetzt: Mindestlohn, Frauenquote, das
Bundesprogramm „KitaPlus“, das Elterngeld Plus und
das Pflegezeitgesetz. All das hilft Frauen wirklich weiter.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bündnisse über politische Lager hinweg konnten er-
hebliche Fortschritte herbeiführen . Lassen Sie uns daran
anknüpfen! Der Oppositionsantrag ist dafür eine gute
Grundlage . Ich freue mich daher auf die Beratungen im
Familienausschuss .

Schließen will ich mit einem Wort in Anlehnung an
Simone de Beauvoir . Sie sagte: Wir Menschen sind nur
frei, wenn wir einander so, wie wir sind, als Subjekte
anerkennen können . – Ich füge hinzu: Subjekt mit dem
Prädikat „wertvoll“ .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817918100

Danke schön . – Jetzt spricht der Kollege Paul

Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1817918200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Zuschauerinnen! Liebe Zuschauer!
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Lin-
ke, herzlichen Dank für Ihren Antrag „Sexismus die Rote
Karte zeigen – Für einen bundesweiten Aktionsplan“ .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Gern!)


Der Antrag betrifft ein Thema – ich denke, da sind wir
uns fraktionsübergreifend einig –, das uns alle umtreibt .
Die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung
der Rolle der Frauen in unserem Land liegen den Fami-

lienpolitikerinnen und Familienpolitikern der Union sehr
am Herzen .


(Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich freue mich, dass ich als Mann nach den Reden einer
Vielzahl qualifizierter Frauen auch ein paar Sätze zu die-
sem Thema sagen darf .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Kollegin Möhring, Sie haben ja sicherlich recht,
wenn Sie darauf hinweisen, dass die Ankündigung, dass
ein Europameisterschaftsspiel von einer Journalistin
kommentiert werden soll, im Netz auf Kritik gestoßen
ist .


(Sönke Rix [SPD]: Auf Kritik? Das ist untertrieben!)


Da ist sicherlich noch einiges aufzuarbeiten . Hier ist
das Bewusstsein noch zu schärfen . Aber, Frau Kolle-
gin Möhring, achten Sie auch darauf: Seit Jahr und Tag
wird die Sportschau am Samstagabend von Frau Katrin
Müller-Hohenstein mit viel Erfolg und auf absolut sou-
veräne Art und Weise moderiert . Es gibt also auch das
Gegenbeispiel, das zeigt, dass es schon toll funktioniert .
Frau Müller-Hohenstein ist sowohl bei Männern als auch
bei Frauen anerkannt, weil sie die Sportschau kompetent
moderiert . Also auch das gibt es .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sollten aufpassen, dass wir nicht zu arg schwarz-
weiß malen, Frau Schauws, sondern auch die Zwischen-
töne wahrnehmen und fairerweise auch sagen, was schon
erreicht worden ist .

Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist im
Grundgesetz in Artikel 3 Absatz 2 verankert . Obwohl wir
mit Dr . Angela Merkel eine Frau als Bundeskanzlerin,
mit  Frau  Gerda  Hasselfeldt  eine  Landesgruppenchefin 
für Bayern im Bundestag haben, obwohl immer mehr
Väter in Elternzeit gehen und obwohl erfolgreiche Frau-
en  in  Führungspositionen  zahlreich  zu  finden  sind,  ist 
die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern
in Deutschland noch nicht in allen Bereichen derart ver-
wirklicht, wie wir es uns vielleicht wünschen .

Gewalt gegen Frauen beschränkt sich trotz harter
Strafen – darauf haben die Vorrednerinnen und Vorred-
ner auch hingewiesen – und Aufklärung in Europa lei-
der nicht auf Einzelfälle . Ebenso verhält es sich leider
mit sexueller Gewalt . Laut einer Studie der europäischen
Grundrechteagentur aus dem Jahr 2014 gab eine von drei
Frauen an, dass sie seit ihrem 15 . Lebensjahr körperliche
oder sexuelle Gewalt erfahren hatte . Jede zweite Frau
gab an, mit einer oder mehreren Formen der sexuellen
Belästigung konfrontiert worden zu sein . Die jüngsten
Ereignisse in Köln in der Silvesternacht – auch hierauf
wurde bereits von Kollegin Pantel hingewiesen – haben
nun die Sexismusdebatte in Deutschland erneut entfacht .
Die Übergriffe haben besonders deutlich gezeigt, dass
Frauen auch in Deutschland im öffentlichen Raum vor
körperlicher und sexualisierter Gewalt nicht sicher sind .

Dr. Dorothee Schlegel






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, es gibt hier noch einiges zu
tun . Aber zur Wahrheit gehört auch, dass wir uns dieses
Problems – entgegen der Auffassung, die in Ihrem An-
trag zum Ausdruck kommt – sehr wohl bewusst sind und
in den vergangenen Jahren und Monaten durch die uni-
onsgeführte Bundesregierung bereits einige Maßnahmen
und Regelungen auf den Weg gebracht haben, um hier
Abhilfe zu schaffen . Herr Kollege Birkwald, Sie monie-
ren immer, wir arbeiteten zu wenig mit Ihren Anträgen .
Wenn ich mir aber Buchstabe c auf Seite 3 Ihres Antrags
anschaue – Maßnahmen gegen Sexismus, verbindliche
Frauenquoten für Entscheidungsgremien –, dann muss
ich sagen: Haken! Das hat die Große Koalition erledigt .
Buchstabe d – Maßnahmen zur Stärkung und Auswei-
tung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes –:
Das ist in der Großen Koalition in guten Händen . Haken,
erledigt! Buchstabe e – Maßnahmen im Bereich Gewalt
gegen Frauen wie die Umsetzung des Grundsatzes „Nein
heißt nein“ –: Auch das wurde durch die Große Koalition
erledigt . Haken!


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Weiter so!)


Also, wir sind schneller als Sie . Der Antrag, lieber Kol-
lege Birkwald, datiert vom 8 . Juni 2016 . Das heißt, Sie
hätten schon wissen können, was wir bereits alles umge-
setzt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, wir setzen uns mit aller
Kraft für die Gleichstellung von Männern und Frauen
ein, um bestehende Ungerechtigkeiten zwischen Frauen
und Männern zu beseitigen . Der vorliegende Antrag ist
zwar gut gemeint, aber, wie bereits ausgeführt, in vielen
Bereichen längst nicht mehr up to date .

Im Antrag wird beispielsweise gefordert, den Grundsatz
„Nein heißt nein“ im Rahmen der Reform des Sexual-
strafrechts umzusetzen . Hier, meine sehr geehrten Da-
men und Herren von der Linken, haben wir die entspre-
chende Reform bereits angestoßen . Das wurde von Frau
Kollegin Schlegel und von Frau Kollegin Pantel bereits
bestätigt, übrigens auch von Frau Schauws . Ich bedan-
ke mich, dass Sie als Grüne unsere Reform ausdrücklich
loben . Hier können wir konstruktiv zusammenarbeiten .

Wir werden alle bestehenden Strafrechtslücken schlie-
ßen und damit jegliche nicht einvernehmliche sexuelle
Handlung unter Strafe stellen . Es wird bald ausreichen,
wenn eine Frau nur konkludent zum Ausdruck bringt,
dass sie nicht will, beispielsweise durch Weinen . Darü-
ber hinaus wollen wir auch das einfache Grapschen unter
Strafe stellen; denn Frauen sind kein Selbstbedienungsla-
den, und Grapschen ist kein Kavaliersdelikt .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Mit diesem Vorstoß stärken wir das sexuelle Selbst-
bestimmungsrecht auch im Strafrecht, und zwar ohne
Einschränkung . In diesem Zusammenhang möchte ich
darauf hinweisen, dass wir selbstverständlich auch über
das Strafrecht hinaus Maßnahmen ergriffen haben und
ergreifen werden . So haben wir beispielsweise bereits im

März 2013, also vor über drei Jahren, das Hilfetelefon
„Gewalt gegen Frauen“ eingerichtet . Unter der bundes-
weiten kostenfreien Rufnummer 08000 116 016 gibt es
ein anonymes Erstberatungsangebot . Hier wird Hilfe
für Betroffene von sexualisierter Gewalt, für Angehö-
rige und sonstige Personen angeboten – unkompliziert,
in 15 Sprachen, 24 Stunden am Tag . Ich wiederhole die
Nummer noch einmal für die Zuhörerinnen und Zuhörer
am Fernseher zum Mitschreiben: 08000 116 016 .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier wird immer mitgeschrieben!)


– Ich meine die Damen und Herren an den Fernsehgerä-
ten, Frau Kollegin .

Soweit Sie in Ihrem Antrag Maßnahmen gegen Sexis-
mus in der Arbeitswelt fordern, möchte ich Sie daran er-
innern, dass wir auch hier bereits tätig geworden sind .
Im vergangenen Jahr haben wir das Gesetz zur gleich-
berechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Füh-
rungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentli-
chen Dienst auf den Weg gebracht . Das Gesetz soll dazu
beitragen, eine Diskriminierung von Frauen in der Ar-
beitswelt zu bekämpfen und eine Steigerung des Anteils
von weiblichen Führungskräften in Spitzenpositionen in
der deutschen Wirtschaft und in der Bundesverwaltung
herbeizuführen . Frauen werden künftig öfter Schlüssel-
stellen besetzen und dann vertreten sein, wo entschieden
wird . So können sich auch Frauen für Frauen einsetzen
und auf diese Weise einen Wandel in den Unternehmens-
kulturen herbeiführen .

Entscheidend ist aber, dass wir die verschiedenen
Bereiche der Arbeitswelt nicht überreglementieren und
möglicherweise das Gegenteil bewirken . Vielmehr müs-
sen wir als Politiker die Rahmenbedingungen schaffen,
die zu einem Umdenken in den Köpfen unserer Gesell-
schaft führen . In diesem Zusammenhang möchte ich
noch das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie,
Pflege und Beruf erwähnen, das wir im letzten Jahr ver-
abschiedet haben .

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen der Linken, die in
Ihrem Antrag geforderten Maßnahmen für mehr Entgelt-
gleichheit haben wir bereits im gemeinsamen Koalitions-
vertrag mit der SPD verankert . Wir wollen die bestehen-
de Lohnlücke zwischen Männern und Frauen beseitigen;
denn auch wir wollen – hier möchte ich meinen geschätz-
ten Kollegen Marcus Weinberg zitieren –, dass unsere
Töchter später genauso viel verdienen wie unsere Söh-
ne . Wir werden für mehr Transparenz sorgen und damit
Licht ins Dunkel der Gehaltslisten bringen . Gleichzeitig
werden wir hierbei dafür Sorge tragen, dass die kleinen
und mittleren Unternehmen in unserem Land nicht mit
zu hohen bürokratischen Anforderungen belastet werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau das Problem! Da sind die meisten Frauen beschäftigt!)


Meine Damen und Herren, wir werden den Antrag der
Linken sicher nicht positiv begleiten können . Wir werden
ihn ablehnen . Aber wir sind dankbar, dass Sie das The-

Paul Lehrieder






(A) (C)



(B) (D)


ma abermals aufgegriffen haben . Sie haben es in meiner
Rede gehört: Wir sind bei den Zielen nicht so weit ausei-
nander, aber der Weg dorthin unterscheidet uns .

Herzlichen Dank . Einen schönen Tag noch .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817918300

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt

Birgit Kömpel .


(Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Jetzt sagt die SPD: Wir stimmen zu! Und dann?)



Birgit Kömpel (SPD):
Rede ID: ID1817918400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das
Thema Sexismus ist nicht erst seit der Kölner Silvester-
nacht wichtig, aber es ist seither in aller Munde . Leider
wurde es vor allem auch für rassistische Hetze und pau-
schale Stigmatisierung von Flüchtlingen missbraucht .


(Beifall bei der SPD – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: So ist es!)


Dabei ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem
gesellschaftlichen Problem Sexismus gefragt . Nicht nur
in Sonntagsreden müssen wir Sexismus entgegentreten,
sondern vor allem im Alltag . Ich begrüße daher sehr,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, den An-
trag „Sexismus die Rote Karte zeigen“ . Denn der Antrag
zeigt, wie stark Sexismus in unseren Alltag hineinwirkt
und welche negativen Folgen das hat .

Ich möchte mich auf drei mir wesentlich erscheinen-
de Punkte konzentrieren: Lohnungleichheit, mangelnde
Präsenz von Frauen in Führungspositionen und Sexismus
in den Medien .

Lohnungleichheit basiert zu einem nicht unerhebli-
chen Teil auf Sexismus . Geschlechterstereotypen schrei-
ben Mädchen und Jungen bereits im jungen Alter ganz
bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten zu . Diese frü-
he Festlegung beeinflusst nachweislich auch die spätere 
Berufswahl . Während hauptsächlich Jungen MINT-Be-
rufe ergreifen und dann sehr gut verdienen, arbeiten in
schlecht entlohnten sozialen Berufen Frauen . Auch der
Umstand, dass in Deutschland noch immer eine Lohnlü-
cke von circa 22 Prozent zwischen Männern und Frauen
klafft, hilft uns hier nicht weiter .

Also wo, meine Damen und Herren, müssen wir anset-
zen? Ich sage: in der Pädagogik, bei den Gehältern, bei
der Transparenz . Wir müssen bereits bei Kleinkindern
im Kindergarten anfangen und Rollenklischees wirksam
entgegentreten, Interesse wecken und Begeisterung er-
kennen – ohne geschlechtliche Scheuklappen . Das heißt
für mich, auch Mädchen selbstverständlich für Natur-
wissenschaften zu begeistern oder unsere Jungen für das
Soziale .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Wir müssen an die Gehälter ran . Berufe in den Berei-
chen Erziehung, Pflege, Lebenshilfe etc.  setzen ein ho-
hes Maß an Verantwortungsbereitschaft und eine lange,
qualifizierte Ausbildung voraus, und man wird trotzdem 
schlecht bezahlt . Wir müssen hier dringend zu einer Auf-
wertung kommen . Ich bin sehr stolz, dass unsere Minis-
terin Manuela Schwesig sich dafür starkmacht .


(Beifall bei der SPD)


Ihr Gesetzesvorhaben für mehr Lohngerechtigkeit geht
aber noch einen Schritt weiter . Als erste Ministerin traut
sie sich an einen ganz heiklen Punkt heran: die Trans-
parenz – Transparenz bei den Gehältern, Transparenz
bei der Beförderung, Transparenz bei der Beschreibung
von Stellenprofilen und Anforderungen. Erst umfassende 
Transparenz schafft hier für Frauen die Möglichkeit, sich
zu wehren und sexistischer Abwertung wirksam entge-
genzutreten .


(Beifall bei der SPD)


Bereits auf den Weg gebracht haben wir das Gesetz für
die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern
an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öf-
fentlichen Dienst . Hier gilt: Bei Frauen wird automatisch
davon ausgegangen, dass sie sich alleine oder zu einem
großen Teil um die Kindererziehung kümmern . Deshalb
haben Frauen beim Zugang zu Führungspositionen häu-
fig schlechtere Chancen. Aber damit ist jetzt Schluss.


(Beifall bei der SPD)


Denn wenn mehr Frauen in Führungspositionen arbeiten,
ändert sich die Sicht auf Frauen, ändern sich die Arbeits-
bedingungen in den Unternehmen, ändern sich Rollen-
verhalten und Stereotypen, ändert sich die Sprache in
unseren Führungsetagen,


(Beifall bei der SPD)


wenn auch nicht von heute auf morgen . Aber es nutzt
eben nichts, der Dame die Tür aufzuhalten, wenn man
sie im anschließenden Teammeeting nicht ernst nimmt,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Josef Rief [CDU/CSU])


Ich komme zum letzten Punkt: Sexismus in den Medi-
en . Solange Frauen durch Sexismus abgewertet werden,
als Sexobjekte oder untertänige Gattinnen beschrieben
werden, wird sich hier gesellschaftlich nichts ändern .


(Beifall bei der SPD)


Ich erinnere zum Beispiel an die uns allen bekannten
Überschriften einer einschlägigen Tageszeitung und den
weitverbreiteten Sexismus in der Werbung . – Meine Da-
men und Herren, wie Sie sehen, handelt es sich um eine
Werbeanzeige mit einer Frau, die nur mit Unterhose be-
kleidet in eine Waschmaschine hineinkriecht . Ich frage
ganz ehrlich: Möchten Sie als Frau auf „halbnackt“ und
„Waschmaschine“ reduziert werden,


(Ulli Nissen [SPD]: Nein!)


Paul Lehrieder






(A) (C)



(B) (D)


als wären Sie zu blöd, so etwas selber zu reparieren,
als wären das unsere einzigen Kompetenzen? So etwas
macht mich wütend, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Wir sehen an diesem Bild deutlich: Sexuelle Belästigun-
gen finden nicht  nur  körperlich  statt,  sondern  auch op-
tisch und verbal . Dem müssen wir entschieden entgegen-
treten . Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes mahnt
uns auch hier, die tatsächliche Durchsetzung der Gleich-
berechtigung von Frauen und Männern zu fördern, und
die gibt es nur ohne Sexismus .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817918500

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die
Vorlage auf Drucksache 18/8723 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird . Sind Sie
damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an
der internationalen Sicherheitspräsenz
in Kosovo auf der Grundlage der Resolu­
tion 1244 (1999) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und
des Militärisch­Technischen Abkommens
zwischen der internationalen Sicherheits­
präsenz (KFOR) und den Regierungen der

(jetzt: Re­ publik Serbien)

vom 9. Juni 1999

Drucksachen 18/8623, 18/8760


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/8761

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfeh-
lung werden wir später namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte Sie, die Plätze zügig einzunehmen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Josip Juratovic, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1817918600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir diskutieren heute über das Kosovo und
über die Mandatsverlängerung des Einsatzes deutscher
Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der KFOR-Mis-
sion . Das Positive an unserer Debatte ist, dass wir die
Truppenstärke verringern werden von bisher 1 850 auf
jetzt maximal 1 350 Soldatinnen und Soldaten in 12 statt
bisher 14 Einsatzkompanien . Der negative Beigeschmack
bleibt: Eine Truppenstationierung ist auch 17 Jahre nach
dem Kosovo-Krieg noch nötig . Am Anfang meiner Rede
ist mir jedoch besonders wichtig: Mein Dank und Res-
pekt gilt zuallererst den Soldatinnen und Soldaten im
Einsatz .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor wenigen Tagen
war ich im Kosovo . Nach mehreren früheren Reisen habe
ich ein weiteres Mal erlebt, dass die aktuelle Lage im
Kosovo und auf dem Westbalkan im Allgemeinen desolat
ist, um nicht zu sagen: verheerend . Am eindrucksvolls-
ten wird dies bestätigt durch jene fast 50 000 Menschen
aus dem Kosovo, die in den vergangenen zwei Jahren in
Deutschland Asyl beantragt haben . Warum tun sie das?

Erstens . Trotz der Bemühungen, wirtschaftlichen Auf-
schwung in Gang zu setzen, liegt die Arbeitslosigkeit,
insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, bei über 50 Pro-
zent . Bei einem Rückkehrprojekt der Arbeiterwohlfahrt
in Pristina wurde mir die Verzweiflung der Menschen vor 
Ort deutlich vor Augen geführt .

Zweitens. Pristina  befindet  sich  seit  langem  in  einer 
Dauerregierungskrise . Das parlamentarische Selbst-
verständnis ist schwach oder so radikal, dass der par-
lamentarische Weg nicht beschritten wird, sei es durch
eine Opposition, die im Plenarsaal mit Tränengas wirft,
oder schließlich durch Boykott des Parlaments . Die poli-
tischen Eliten kranken an drei Symptomen: Korruption,
Vetternwirtschaft und Nationalismus . All das führt zu ei-
ner immensen Menschenflucht, entweder in Richtung EU 
oder in Richtung IS .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das passiert,
obwohl wir seit Jahren im Kosovo aktiv sind . Deutsch-
land hat seit 1999 450 Millionen Euro aus Töpfen der
Entwicklungszusammenarbeit investiert . Die EU allein
hat von 2007 bis 2013 635 Millionen Euro an IPA-Mit-
teln in das Kosovo gelenkt . Die gleiche Summe ist für
2014 bis 2020 veranschlagt . Die Rolle der internationa-
len Gemeinschaft ist trotzdem alles andere als glücklich .
Im Kosovo selbst wird die EU zunehmend mit Skepsis
betrachtet . Insbesondere die europäische Rechtsstaatlich-
keitsmission EULEX hat in der Bevölkerung den Ruf,
eine korrupte Brüderschaft mit den Eliten zu pflegen. Zur 
Ehrlichkeit gehört aber auch: Wer gezwungen ist, Kom-
promisse mit Korrupten zu schließen, wird den Verdacht
nicht los, selbst korrupt zu sein .

Nun könnte man argumentieren, dass wir unser En-
gagement lieber einstellen und die Kosovaren sich selbst
überlassen sollten . Dieser Gedanke mag verführerisch
sein, weil er so einfach klingt . Das wäre aber verhee-

Birgit Kömpel






(A) (C)



(B) (D)


rend für die Sicherheit und die Stabilität Europas . Meine
Überzeugung ist: Der Westbalkan ist ein wunder Punkt
mitten in der Europäischen Union; deshalb muss die EU
gerade im Zeitalter globaler Krisen für eine europäische
Zukunft des Westbalkans stärker politisch handeln .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Versetzen wir uns einmal in die Lage des Kosovo . Das
Kosovo und  seine Bevölkerung befinden  sich  in  einem 
permanenten psychologischen Zustand der Ungleichheit
in seiner Region, zum Beispiel bei der Frage der Visali-
beralisierung: Als Einzige auf dem Westbalkan müssen
Kosovaren für eine Reise in die EU immer noch ein Vi-
sum beantragen .

Ein anderer Aspekt: Die Nachbarstaaten des Kosovo
sind auch nicht gerade vorbildliche Musterbeispiele für
Sicherheit und Stabilität . Ganz wichtig für das Kosovo
ist die Normalisierung seiner Beziehungen zu Serbien .
Aber auch die neueste Entwicklung in Mazedonien kann
für den Kosovo zur Bedrohung werden; denn Mazedoni-
en unter der Regierungspartei VMRO ist weder ethnisch
noch gesellschaftlich oder politisch ein Sicherheitsfaktor .

Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir an dieser
Stelle noch eine Anmerkung zum Nachbarland Mazedo-
nien.  In Skopje und anderen Städten des Landes findet 
seit Wochen die sogenannte Bunte Revolution gegen die
korrupte Regierung Mazedoniens statt . Diese Bürgerin-
nen und Bürger Mazedoniens verdienen unseren Respekt
und unsere Unterstützung;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


denn diese mutigen Menschen verteidigen mit letzter
Kraft die demokratischen Werte in einem immer mehr
nach rechts außen kippenden Europa .

Blicken wir wieder auf den Kosovo . Die Verlängerung
des KFOR-Einsatzes ist leider auch Bestätigung dafür,
dass unsere Soldatinnen und Soldaten das Unvermögen
der EU, das Thessaloniki-Versprechen von 2003 umzu-
setzen, ausgleichen müssen . Wir Europäer tragen also
eine Mitverantwortung für die desolate Lage auf dem
Westbalkan, zum Beispiel weil Mazedonien seit 2008
auf die Eröffnung seiner Verhandlungskapitel wartet,
weil Griechenland jeglichen Fortschritt blockiert oder
weil im Kosovo mehr als 1 000 juristische Expertinnen
und Experten von EULEX es seit Jahren nicht schaffen,
eine vernünftige Korruptionsverfolgung aufzubauen . Die
Glaubwürdigkeit der Argumente aus Brüssel schwindet
bei den Menschen im Kosovo zunehmend . Deshalb soll-
te die EU jetzt dringend politische Handlungsfähigkeit
beweisen:

Erstens . Das Kosovo braucht endlich eine gerechte
Gleichbehandlung in der Region des Westbalkans . Dazu
gehört auch die Umsetzung der Visaliberalisierung .

Zweitens . Die EU-Verhandlungskapitel 23 und 24 –
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte – stehen für die
fundamentalen Werte der EU . Wenn man es mit EULEX

als Rechtsstaatsmission ernst meint, muss man gerade
diese Kapitel schleunigst eröffnen, und zwar für alle
Westbalkanstaaten . Den Skeptikern unter uns will ich sa-
gen: Eine Kapiteleröffnung bedeutet noch lange nicht die
Schließung des Kapitels und auch keinen Automatismus,
der zum EU-Beitritt führt . Die Kapiteleröffnung setzt
aber gesellschaftliche und politische Kräfte in Gang, die
glaubwürdig die notwendigen Reformen umsetzen und
unsere demokratischen Werte vor Ort mit Leben füllen
können .

Kolleginnen und Kollegen, am allerwichtigsten ist
aber: Wir müssen als EU endlich entschlossen politisch
handeln, damit unsere KFOR-Soldatinnen und -Soldaten
ihre Arbeit beenden und nach Hause zurückkehren kön-
nen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Bis dahin bitte ich um Ihre Zustimmung zum Antrag der
Bundesregierung .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817918700

Vielen Dank. – Sevim Dağdelen spricht  jetzt  für die 

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817918800

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und

Herren! Wenn wir heute hier gleich namentlich abstim-
men, stimmen wir nicht nur über eine erneute Verlänge-
rung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo ab . Nein, die
heutige Abstimmung ist eigentlich auch eine Abstim-
mung über die verheerende Außen- und Sicherheitspoli-
tik der Bundesregierung insgesamt .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Die Bundesregierung setzt nicht mehr nur auf Militär-
einsätze zum Schutz autoritärer – das sagte selbst mein
Vorredner – und korrupter Regime im Kosovo . Nein,
aus den jüngsten Äußerungen der Bundeskanzlerin muss
man schließen, dass die Bundesregierung alles tut, um
sich auf einen großen Krieg vorzubereiten .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Bundeskanzlerin Merkel erklärte gestern, dass sie in
Zukunft 2 Prozent des deutschen Bruttosozialprodukts
für Militär und Rüstung ausgeben möchte . Ich als Linke
finde das wirklich skandalös. Das darf nicht hingenom-
men werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Das passt auch nicht zu den Aussagen des deutschen Au-
ßenministers, der vor Säbelrasseln und Kriegsgeheul ge-
warnt hat . Dialog, Verständigung und Diplomatie in der

Josip Juratovic






(A) (C)



(B) (D)


Außenpolitik sehen anders aus, als in die Rüstung und
das Militär zu investieren .


(Beifall bei der LINKEN)


2015 gab Deutschland über 35,5 Milliarden Euro für
Militär und Rüstung aus . Das waren 1,2 Prozent des
Bruttosozialprodukts . Merkel wird jetzt mit ihrer Erhö-
hung auf 2 Prozent


(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch gar nicht!)


die deutschen Militärausgaben in Zukunft auf sage und
schreibe 63 Milliarden Euro erhöhen . Das ist fast eine
Verdoppelung . Diesen Rüstungswahnsinn der Bundes-
kanzlerin lehnen wir als Linke kategorisch ab .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es stellt sich die Frage, wer hier wahnsinnig ist!)


Wir  finden,  es  ist  unverantwortlich,  die  Sicherheit 
der Menschen in unserem Land auf diese Art und Weise
aufs Spiel zu setzen . Man muss sich fragen, ob sie sich
überhaupt noch an ihren Amtseid erinnert, Schaden vom
deutschen Volk abzuwenden, wenn sie die Rüstungsaus-
gaben verdoppeln will .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Kennen Sie den überhaupt?)


Jetzt sagen Sie, der Einsatz im Kosovo für die nächs-
ten zwölf Monate koste ja nur rund 46 Millionen Euro;
so steht es in Ihrem Antrag . Aber man muss sich auch
einmal vor Augen führen, was das eigentlich bedeutet .
Seit 17 Jahren steht die Bundeswehr jetzt im Kosovo .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha!)


Das heißt, Sie haben für diesen Einsatz insgesamt bereits
fast 1 Milliarde Euro ausgegeben .

Was ist eigentlich Ihre Bilanz? Sie fabulieren in Ihrem
Antrag von einem stabilen, einem demokratischen, einem
multiethnischen und friedlichen Kosovo . Aber nein, das
Kosovo ist nichts von alledem, was Sie in Ihrem Antrag
geschrieben haben . Es ist nicht stabil . Die Bevölkerung
lebt dort im Elend und stimmt zu Hundertausenden mit
den Füßen gegen diese schlimmen Verhältnisse im Land
ab . Korrupte Eliten beherrschen Politik und Wirtschaft .
Eine Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der UCK findet 
weiterhin nicht statt . Im Kosovo gibt es keinen Rechts-
staat . So lautet der Befund aller internationalen Organi-
sationen .

Das US-Außenministerium berichtet von 300 Kämp-
fern aus dem Kosovo, die sich dem Kampf, dem Krieg
des „Islamischen Staates“ angeschlossen haben . Das ist
sehr viel für ein solch kleines Land wie das Kosovo . Das
wäre übertragen auf die deutsche Bevölkerung so, als
würden sich 12 000 Kämpfer aus Deutschland dem IS in
Syrien und dem Irak anschließen; aus Deutschland sind
es tatsächlich etwa 700 . Aber wer Saudi-Arabien auch im
Kosovo als Premiumpartner hat, muss sich darüber ei-
gentlich nicht wundern .

Nicht zuletzt werden die Minderheiten der Serben und
der Roma im Kosovo weiterhin massiv diskriminiert .

Aber Sie haben das Kosovo ja erst kürzlich zu einem si-
cheren Herkunftsstaat erklärt. Ich finde, das ist wirklich 
eine Farce .


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre Bilanz dieses Bundeswehreinsatzes im Kosovo
ist ein Desaster . Ziehen Sie die Konsequenzen . Ziehen
Sie die Bundeswehr ab . Beenden Sie den Einsatz dort .
Beenden Sie die Unterstützung von korrupten und auto-
ritären Regimen . Frieden und Sicherheit in Europa geht
anders .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817918900

Jetzt hat der Kollege Peter Beyer, CDU/CSU-Frakti-

on, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1817919000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einer Be-
merkung direkt auf Ihre Rede, Frau Kollegin Dağdelen, 
replizieren . Ich hätte mir gewünscht, dass Sie zur Sache
geredet hätten . Stattdessen haben Sie hier mit Zahlen zu
irgendwelchen Plänen bezüglich des Verteidigungsbud-
gets hantiert . Insbesondere – denn das macht mich an
dieser Stelle wirklich stinksauer – muss ich sagen: Die
Bilanz, die Sie gezogen haben, und die Schlussfolge-
rung – sie ist natürlich falsch –, dass die Soldaten der
Bundeswehr abgezogen werden sollen, sind eine Unver-
schämtheit gegenüber denjenigen Soldatinnen und Sol-
daten der Bundeswehr und auch der anderen Nationen,
die in den letzten 17 Jahren für Stabilität in der Region
gesorgt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN)


Aber Teile der Linksfraktion sind leider bis heute ge-
schichtsvergessen . Deswegen möchte ich mich jetzt mei-
ner eigentlichen Rede zuwenden .

Meine Damen und Herren, das knüpft aber just an das
an, was ich gerade gesagt habe . Denn vergleichen wir
doch einmal die noch vor wenigen Jahren herrschende
Situation im Norden des Kosovo, also in dem Grenzge-
biet zwischen Serbien und Kosovo, mit der heutigen Si-
tuation . Da sind wirklich Erfolge – bei allen Problemen,
die wir sicherlich nicht negieren – im gesamten Land,
in der Region zu verzeichnen . Diese Erfolge lassen sich
nachweisen . Zu dem einen oder anderen Erfolg kann ich
etwas sagen .

Meine Damen und Herren, zunächst einmal möch-
te ich aber für diese Erfolge den Männern und Frauen,
den Soldatinnen und Soldaten danken, die dafür gesorgt
haben, dass es in der Grenzregion und in der gesamten
Westbalkanregion zu Verbesserungen gekommen ist,
dass ethnische Spannungen im Zaum gehalten worden

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


sind und dass auch Reformprozesse möglich gewesen
sind . Herzlichen Dank dafür .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren, klar ist aber auch – das sa-
gen wir an dieser Stelle immer wieder, weil es richtig
ist –: Eine rein militärische Lösung der vielen Probleme,
die es noch gibt, ist nicht möglich . Daher ist es eine rich-
tige und eine gute Politik, die durch die Bundesregierung
betrieben  wird,  dass  es  flankierende  Maßnahmen  zur 
Unterstützung gibt: die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission
EULEX oder auch die Programme der wirtschaftlichen
Zusammenarbeit durch das BMZ .

Die lokalen Sicherheitskräfte und Polizeikräfte – wir
haben das bei den gewaltsamen Demonstrationen in Pris-
tina verfolgen können – sind mittlerweile selbst in der
Lage, ohne dass KFOR zur Seite steht – KFOR steht zwar
parat, musste aber nicht mehr eingreifen –, für Ordnung
und Stabilität zu sorgen . Auch das ist in der Erfolgsbilanz
zu verzeichnen, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Was für ein Erfolg nach 17 Jahren!)


Des Weiteren sind wichtige Schritte bei der Norma-
lisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Koso-
vo zu verzeichnen . Ich nenne das Abkommen, das Ende
August letzten Jahres unterzeichnet worden ist, und auch
das Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen zwischen
der Europäischen Union und Serbien, meine Damen und
Herren . Das sind wichtige Dinge . Dieses SAA, wie es ab-
gekürzt heißt, ist übrigens Anfang dieses Jahres in Kraft
getreten .

Bei allem Fortschritt dürfen wir den Blick nicht nur
auf die ethnischen Spannungen im Norden des Kosovo
verengen . Vielmehr erlangt Bedeutung – das sollten wir
mehr in den Fokus rücken – die sozioökonomische Si-
tuation im Kosovo . Da stimme ich dir, Josip Juratovic,
der du als Erster geredet hast, durchaus zu – das hattest
du auch thematisiert –: Da liegt noch vieles im Argen .
Eine Jugendarbeitslosigkeit im Kosovo von 70 Prozent
ist ein ganz gefährlicher Nährboden, der zu Spannungen
führt und übrigens auch das Feld für eine weitere Islami-
sierung eröffnet . Islamistische Kräfte agieren dort . Das
müssten wir auch unter Beobachtung halten .

Wegen vieler schwieriger Dinge, die wir in den ver-
gangenen Monaten im Kosovo beobachten mussten, ist
es zu einem Stillstand im Reformprozess gekommen –
auch im Dialog über die Normalisierung der Beziehun-
gen mit Serbien . Es herrscht eine Krise im Land Kosovo .
Welche Konsequenzen ziehen wir nun daraus? Das müs-
sen wir uns bei unserer Westbalkanpolitik fragen . Kön-
nen wir sagen: „Die Reduzierung der Truppenobergrenze
kann immer weiter gehen“? Wir wünschen uns das . Aber,
meine Damen und Herren, wir müssen auch sehen: Die
Sicherheits- und Stabilitätslage, die im Moment dank
KFOR besteht, ist ein Stück weit auch fragil . Wenn es
zu weiteren Ausschreitungen kommt, wenn die Spannun-
gen zu gewaltsamen Ausbrüchen führen, kann es sein,

dass KFOR wieder Einsätze durchführen muss . Im letz-
ten Mandatszeitraum, im vergangenen Jahr, mussten die
KFOR-Kräfte nicht eingreifen .

Wir müssen uns überlegen, ob wir uns nicht um einen
gewissen Freiraum bzw . Flexibilität bringen, wenn wir
weiter automatisch Jahr für Jahr die Truppenobergrenze
reduzieren . Wenn die Sicherheits- und Stabilitätslage im
Land und in der Region es erlauben, ist das sicherlich
der richtige Schritt, wie es auch jetzt der richtige Schritt
ist . Aber ich will darauf hinweisen: Wir müssen die dor-
tige Lage sehr im Auge behalten . Gerade angesichts der
sozioökonomischen Situation im Land könnte da etwas
passieren, auf das wir vielleicht nicht vorbereitet sind .

Deswegen schließe ich mit meinem Appell, das
KFOR-Mandat, das völkerrechtlich durch eine Resoluti-
on des UN-Sicherheitsrates auf soliden Füßen steht, wei-
ter zu verlängern unter den Konditionen, die im Mandat
ausgeführt sind .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817919100

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt

Marieluise Beck das Wort .

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das KFOR-Mandat geht in das 18 . Jahr – das
ist eine lange Zeit, länger als wir alle sicherlich erwartet
hatten –, und es ist begründungsbedürftig, wenn so ein
Mandat Jahr für Jahr verlängert werden muss . – Ich sehe
gerade meine Kollegin Frau Keul an, die immer wieder
nachgefragt hat, wie es hier weitergehen soll .

Es bleibt aber dabei: Diejenigen, die nicht nur das
Kosovo, sondern auch den Westbalkan insgesamt in
den Blick nehmen und noch in Erinnerung haben, was
für blutige Opfer es in dieser Region gegeben hat, kom-
men zu dem Schluss, dass das Militär offenbar heute in
der Lage ist, diejenigen, die mit dem Gedanken spielen
könnten, wieder militärisch, also mit Waffengewalt, zu
agieren, präventiv davon abzuhalten .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Ist das so, ja?)


In diesem Sinne ist dieses präventive Mandat ein
Mandat, das Menschen schützt und damit Spielräume für
die Veränderungen, die in dem Land unbedingt notwen-
dig sind, eröffnet . Denn es ist richtig, dass die inneren
Entwicklungen – die Bekämpfung von Korruption, die
Verbesserung der ökonomischen Situation – sehr zu wün-
schen übrig lassen .

Der Blick auf den Westbalkan kann nicht beruhigen .
Die Region ist immer noch, auch 20 Jahre nachdem Ju-
goslawien zerfallen ist, instabil . In Bosnien und Herze-
gowina verzichten nationalistische Politiker nicht darauf,
ethnische Konflikte  zu  befeuern. Auf  diese Weise wol-
len sie ihre Macht stabilisieren . In der Republika Srps-
ka wird von Ministerpräsident Dodik immer wieder mit

Peter Beyer






(A) (C)



(B) (D)


einer drohenden Abspaltung hantiert . Ministerpräsident
Dodik hat – so etwas ist verheerend – Kriegsverbrecher
verherrlicht . In Pale wurde ein Studentenwohnheim nach
Karadzic benannt – eine unerträgliche Provokation . Bei
den landesweiten Sozialprotesten konnte 2012 in Mostar
das Umschlagen in ethnische Gewalt nur knapp verhin-
dert werden .

Auch in Mazedonien erleben wir, dass der Friede eher
ein kalter ist und dass das Fehlverhalten der politischen
Verantwortungsträger das ganze Land in große Fragili-
tät stürzt . Es gab Blutvergießen in Kumanovo, und es
ist nicht auszuschließen, dass ein möglicher ethnischer
Konflikt  zwischen  der  albanischen Minderheit  und  der 
slawischen Mehrheit wieder zu Kettenreaktionen in der
gesamten Region führen könnte .

Insofern bleibt die politische Aufgabe, alle Kraft auf
diese Region zu verwenden . Wir wissen, dass die Per-
spektive einer EU-Mitgliedschaft der Motor sein kann,
um die Blockaden und „bad governance“, was es in vie-
len dieser Länder gibt, zu überwinden . Wir lernen aber
auch – das geht an unsere Adresse –, dass die Transfor-
mation von Gesellschaften zu rechtsstaatlichen und de-
mokratischen Verhältnissen offenbar länger dauert, als
wir gedacht haben . Insofern ist das auch eine Aufgabe
für uns .

Ich würde mir wünschen – auch wenn ich weiß, dass
der Herr Bundesaußenminister durch die Welt saust und
schneller kaum sausen kann –, dass, weil der Westbalkan
so nah an Deutschland ist und weil Instabilität dort für
uns Flüchtlinge und Schutzsuchende bedeutet, aus der
EU und aus Deutschland heraus die diplomatischen An-
strengungen in dieser Region verstärkt werden und wir
damit zeigen: Wir wissen, dass ein Westbalkan, der vor
unserer Haustür in Unruhe ist, auch Gefahr und Unruhe
bei uns bedeutet . Deswegen müssen wir große Anstren-
gungen unternehmen . Türen auf zur Europäischen Union
und Türen auf durch Reisefreiheit für die Menschen von
dort, damit sie sehen, wie gut es sich in rechtsstaatlichen
und demokratischen Systemen leben lässt .

Schönen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817919200

Vielen Dank . – Als letzte Rednerin in dieser Debat-

te hat Julia Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort .


Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1817919300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zurzeit findet die Fußballeuropameisterschaft 
statt .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?)


Dieses Jahr treten 24 Mannschaften an, mehr als zuvor .
Doch die kosovarische Nationalmannschaft sucht man
auf dem Spielplan vergeblich . Der lange Weg des Koso-

vo in die Normalität und in die internationale Gemein-
schaft spiegelt sich also auch im Sport wider .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Holland ist auch nicht dabei!)


Die Nationalelf des Kosovo hat erst kürzlich ihr erstes
Länderspiel absolviert, nämlich am 3 . Juni 2016 . Der
Weg in die Normalität ist also lang, und Deutschland be-
gleitet diesen Weg seit vielen Jahren .

Wie nötig diese Unterstützung in vielen Bereichen ist,
ist mir auch auf meiner letzten Reise in den Kosovo noch
einmal deutlich geworden . Ich durfte unseren Bundesent-
wicklungsminister Gerd Müller begleiten . Wir hatten
auch die Gelegenheit, mit den Soldatinnen und Soldaten
zu sprechen, die dort in der KFOR-Truppe im Einsatz
sind . Sie beschrieben die Lage als weitgehend ruhig, je-
doch auch als schwer berechenbar .

Unsere Männer und Frauen in Uniform stellen das
zweitgrößte Kontingent im Kosovo und tragen dort maß-
geblich zur Stabilisierung und Normalisierung vor Ort
bei . Die Präsenz der KFOR-Truppen ist nach wie vor Ga-
rant für die Sicherheit des Landes .

Zwar kam es zuletzt teilweise zu gewaltsamen innen-
politischen Auseinandersetzungen, doch die politische
Lage hat sich wieder beruhigt . Zwar wird der Normali-
sierungsprozess immer wieder von ethnischen Spannun-
gen begleitet, doch diese konnten von der kosovarischen
Polizei entschärft werden, bevor die Lage eskalierte . Die
Polizeikräfte kontrollieren – gut ausgebildet von den
KFOR-Truppen – selbstständig die Lage im Land . Unse-
re Soldatinnen und Soldaten sind jedoch weiterhin wich-
tige Begleiter und Vermittler vor Ort .

Weil sich die Sicherheitslage verbessert hat, unterstüt-
zen wir das neue Konzept zur flexibleren Anpassung der 
Truppenstärke und senken wir die Mandatsobergrenze
von 1 850 auf 1 350 Soldatinnen und Soldaten . Dennoch
ist die KFOR-Mission nach wie vor eine tragende Säule
des umfassenden vernetzten Ansatzes, den wir gemein-
sam mit unseren Partnern im Kosovo verfolgen; denn nur
in einem sicheren Umfeld sind politische Fortschritte und
Entwicklungen möglich . Diese braucht der kleinste der
Balkanstaaten dringend .

Dementsprechend sind der wirtschaftliche Wieder-
aufbau und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, gerade
auch durch Bildung und Ausbildung, wichtige Ansatz-
punkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit . So
werden in Pristina beispielsweise mit deutscher Hilfe
Kfz-Mechaniker ausgebildet . Der Besuch in der Berufs-
schule vor Ort hat uns gezeigt: Durch solche Projekte
erhalten die jungen Kosovaren eine Perspektive für eine
Zukunft in ihrer Heimat .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Weitere Schwerpunkte des deutschen Engagements sind
die Förderung von Demokratie, Zivilgesellschaft und öf-
fentlicher Verwaltung sowie der Aufbau einer nachhalti-
gen Energieversorgung .

Marieluise Beck (Bremen)







(A) (C)



(B) (D)


Insgesamt haben wir in den vergangenen 15 Jahren
etwa 510 Millionen Euro für die Entwicklungszusam-
menarbeit mit dem Kosovo bereitgestellt . Wir werden bei
unseren diplomatischen sowie entwicklungs- und sicher-
heitspolitischen Bemühungen aber auch weiterhin einen
langen Atem brauchen .

Um noch einmal auf das Bild des Fußballs zurückzu-
kommen: Die junge kosovarische Fußballmannschaft hat
ihr erstes Länderspiel absolviert . Nun wird sie sich auch
an der Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft 2018 
beteiligen . Das ist sportlich der nächste Schritt . Damit
der Kosovo nicht nur sportliche Fortschritte macht,
braucht das Land weiterhin unsere Unterstützung, und
deshalb bitte ich Sie heute um Ihre Zustimmung zur Ver-
längerung des KFOR-Mandates .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817919400

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich

schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses auf Drucksache 18/8760 zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen
Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in
Kosovo,  KFOR.  Der Ausschuss  empfiehlt,  den Antrag 
auf Drucksache 18/8623 anzunehmen . Wir stimmen über
diese Beschlussempfehlung namentlich ab .1)

Ich möchte jetzt die Schriftführerinnen und Schrift-
führer bitten, ihre Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? – Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, ich kann die Abstimmung nicht eröffnen, solange
die Schriftführer nicht an den Urnen sind . – Sind jetzt
alle Urnen mit Schriftführerinnen und Schriftführern be-
setzt? – Das ist der Fall . Dann eröffne ich jetzt die Ab-
stimmung .

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall . Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später mitge-
teilt .2)

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/8884 . – Ich muss die Kollegen bitten,
sich zu setzen; sonst können wir nämlich nicht abstim-
men . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch
eine lange Tagesordnung vor uns . Von daher bitte ich Sie,
sich zu setzen .

Ich wiederhole: Wir kommen zur Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/8884 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer

1) Anlage 3
2) Ergebnis Seite 17669 D

enthält sich? – Das ist niemand . Dann ist dieser Ent-
schließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen abgelehnt worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Ulle Schauws,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbi­
sche, schwule, bisexuelle, trans­ und interge­
schlechtliche Jugendliche stärken

Drucksache 18/8874
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in die-
ser Debatte hat Beate Walter-Rosenheimer von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Das
Massaker von Orlando ist noch nicht einmal zwei Wo-
chen her . Es war der schlimmste Anschlag eines einzel-
nen Täters in der Geschichte der USA, und 49 Menschen
sind gestorben . Wir sind entsetzt und schockiert, und wir
trauern . Ich kann heute keinen Antrag zu diesem Thema
vorstellen, ohne an diese Menschen zu erinnern .

Während der Eiffelturm ziemlich sofort in Regenbo-
genfarben erstrahlte und in Wien die Trambahnen mit Re-
genbogenflaggen bestückt wurden, während das britische 
Parlament die Regenbogenfahne hisste und am Samstag
mit einem eigenen Wagen am Pride in London teilneh-
men wird, haben sich die deutschen Spitzenpolitiker und
Spitzenpolitikerinnen, allen voran die Kanzlerin, schwer-
getan, die richtigen Worte zu finden, um das Attentat auf 
Homosexuelle auch als solches zu benennen . Es hat vier
Tage gedauert, bis die Kanzlerin reagiert und es beim Na-
men genannt hat . Da wünsche ich mir mehr Mut, und ich
wünsche mir, dass Sie endlich Flagge zeigen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich möchte an dieser Stelle die Publizistin Carolin
Emcke zitieren, die über das Massaker schreibt:

. . . wenn Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender,
Intersexuelle oder queere Menschen etwas mitei-
nander gemein haben, dann die Erfahrung der Ver-
wundbarkeit .

Julia Obermeier






(A) (C)



(B) (D)


. . . dieses Gefühl der Verletzbarkeit: immer noch mit
herablassenden Blicken betrachtet zu werden, wenn
wir auf der Straße Hand in Hand laufen oder uns
küssen, immer noch mit Schimpfwörtern bedacht
und bedroht zu werden auf dem Schulhof oder in
der U-Bahn oder im Netz, . . .

Und hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir
mitten im Thema . Genau das ist der Punkt, warum wir
heute unseren grünen Antrag „Jung, queer, glücklich in
die Zukunft“ einbringen . Wir wollen, dass queere Men-
schen nicht mehr dieses Gefühl der Verwundbarkeit ha-
ben, dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, nur weil man
nicht heterosexuell liebt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Nun werden einige von Ihnen, sofern sie zuhören, sa-
gen: Wieso? Es gibt doch in Deutschland mittlerweile die
eingetragene Lebenspartnerschaft . Niemand wird mehr
benachteiligt . Passt doch alles, betrifft uns nicht . – Nein,
liebe Kolleginnen und Kollegen: Und ob uns das betrifft!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Schwul oder lesbisch leben, queer leben stößt immer
noch auf massive Ablehnung, wie wir gerade aus der ak-
tuellen „Mitte“-Studie gehört haben . Lesben, Schwule,
Bisexuelle, Intergeschlechtliche und Transgender haben
ein Recht darauf, in unserer Gesellschaft selbstverständ-
lich und sichtbar zu sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Im November letzten Jahres veröffentlichte das Deut-
sche Jugendinstitut eine umfangreiche Studie . Diese Stu-
die lag sehr lange in der Schublade . Es hat viel Anschub
gebraucht, um sie voranzubringen . Kai Gehring, mein
Kollege, hat sich da sehr eingesetzt . Im November wur-
den die Ergebnisse zur Lebenssituation queerer Jugend-
licher im Alter zwischen 14 und 27 Jahren veröffentlicht .
Das Ergebnis ist erschreckend: 82 Prozent der befragten
Jugendlichen gaben an, Angst vor Diskriminierung zu
haben und/oder bereits schon Opfer von Mobbing und
Diskriminierung geworden zu sein . Bei den befrag-
ten Transjugendlichen waren es sogar 96 Prozent . Was
für eine Zahl, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist
alarmierend; denn hinter diesen Zahlen stecken schließ-
lich junge Menschen, die am Beginn ihres Lebens stehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Nun ist die Pubertät, ist die Jugendzeit ohnehin eine
vulnerable Zeit, eine Zeit der Umbrüche und voller
Selbstfindungs-  und Entwicklungsprozesse. Sie  ist  eine 
empfindliche  Phase.  Dazu  kommen  bei  queeren  Ju-
gendlichen – so wird es jetzt in dieser Studie beschrie-
ben – noch die Angst, der Druck und die Unsicherheit .
Sie fürchten sich davor, ihre Freunde zu verlieren, sowie
vor Mobbing in der Schule oder beim Sport . Sie haben
Angst vor den Reaktionen von Menschen, die sie lieben .

„Schwul“  ist  eine  der  häufigsten  Beschimpfungen  auf 
deutschen Schulhöfen . Schule ist immer noch – und so-
gar wieder vermehrt – ein homophober Ort .

Nachdem nun endlich aussagekräftige Zahlen vor-
liegen, gilt es, die politischen Stellschrauben so zu ver-
ändern, dass queere Jugendliche unter den gleichen Be-
dingungen wie heterosexuelle Gleichaltrige aufwachsen
können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen auch von
der Union, ist kein grüner Plan, keine grüne Vision .
Nein, dieser Anspruch leitet sich aus den Kinder- und
Jugendrechten der UN-Kinderrechtskonvention ab . Und
Deutschland hat sich schließlich verpflichtet, sie einzu-
halten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Hier muss die Bundesregierung einfach mehr tun . Sie
darf nicht so tun, als gäbe es diese Probleme gar nicht .
Auch hier braucht es mehr Mut . Wir legen mit unserem
Antrag heute konkrete Vorschläge dazu vor .

In Deutschland beginnen jetzt in diesen Tagen die
CSDs . Viele Menschen machen sich Sorgen über die
zunehmende homo- und transphobe Entwicklung . Wir
brauchen genau jetzt ein starkes Bündnis aus Politik und
Zivilgesellschaft, damit Lesben, Schwule, Bisexuelle,
Intergeschlechtliche, Transgender und queere Menschen,
damit wir alle offen und frei in der Mitte unserer Ge-
sellschaft leben können . Lassen Sie uns zusammenstehen
gegen Homophobie und Transphobie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817919500


Vielen Dank . – Bevor ich Gudrun Zollner von der
CDU/CSU-Fraktion als nächster Rednerin das Wort er-
teile, möchte ich das Ergebnis der namentlichen Ab­
stimmung bekannt geben . Wir haben über den Antrag
der Bundesregierung „Fortsetzung der deutschen Beteili-
gung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Koso-
vo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10 . Juni 1999
und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen
der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den

(jetzt: Republik Serbien)

1999“ auf den Drucksachen 18/8623 und 18/8760 abge-
stimmt . Abgegeben wurden 572 Stimmen . Mit Ja haben
gestimmt 502 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein ha-
ben gestimmt 64, und enthalten haben sich 6 Kollegin-
nen und Kollegen . Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen worden .

Beate Walter­Rosenheimer






(A) (C)



(B) (D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 572;
davon

ja: 502
nein: 64
enthalten: 6

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs

Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb

Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt

Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle






(A) (C)



(B) (D)


Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker

Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß

Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)


Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath






(A) (C)



(B) (D)


Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann

Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Nein

SPD

Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh-Krämer

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord

Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Sylvia Kotting-Uhl
Hans-Christian Ströbele

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer

Wir fahren in der Debatte fort . Gudrun Zollner hat das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1817919600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Jedes
Kind ist ein Geschenk Gottes, und Eltern sollten dieses
Geschenk freudig annehmen, unabhängig davon, ob das
Kind ein Mädchen oder ein Junge ist, ob es gesund oder

behindert ist oder mit welcher sexuellen Identität es ge-
boren wird;


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


denn jedes Kind kommt mit dem Recht auf die Welt, an-
genommen und geliebt zu werden – ohne Beschimpfun-
gen, ohne Mobbing, ohne Gewalt .

Meine Generation und zwei, drei Generationen davor
sind mit der Gesetzeslage groß geworden, die es ermög-
lichte, homosexuelle Handlungen von Männern unter
Strafe zu stellen . Wir lernten also, dass Schwulsein ab-






(A) (C)



(B) (D)


zulehnen sei . Dieser Irrglaube ist Gott sei Dank aus der
Welt . Weitere Maßnahmen müssen nun folgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Es ist deshalb wichtig, dass wir Eltern unseren Kin-
dern Werte wie Freiheit, Gleichheit, Respekt, Weltoffen-
heit, Toleranz und Akzeptanz mitgeben . Schon Augusti-
nus sagte: „Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die
Kinder lesen .“

Sehr geehrte Damen und Herren, geschockt und ent-
setzt blicken wir auf die Tat von Orlando, durch die uns
eindringlich bewusst wurde, zu was Intoleranz und ho-
mophober Hass führen können . Wir als CDU/CSU-Frak-
tion verurteilen Homophobie und Anschläge dieser Art
aufs Schärfste .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir stehen für Chancengleichheit aller Menschen ein,
unabhängig von Alter, Geschlecht, Religion, Herkunft
oder sexueller Orientierung . Die LSU und die „Wil-
de 13“ sind der beste Beweis . Unsere eigene Emanzipa-
tionsgeschichte zeigt, dass lesbische, schwule, bisexuel-
le, transgender und intersexuelle Menschen in unserem
Land noch nie so frei und selbstbestimmt leben konnten
wie jetzt, und das ist auch gut so .

Wir alle erinnern uns sicher noch gut an die Zeit unse-
rer eigenen Pubertät,


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Ist schon lange her!)


diese  schwierige  Zeit  der  eigenen  Persönlichkeitsfin-
dung . Es gibt aber auch Jugendliche, die genau in die-
ser Zeit der Bewusstwerdung über die tatsächliche ge-
schlechtliche Zugehörigkeit ein Gefühl der Andersheit
entwickeln, oft auch schon während der Grundschulzeit .
Die Unsicherheit beim inneren Coming-out, das als nicht
passendes sexuelles oder geschlechtliches Erleben wahr-
genommen wird, führt zu großen Belastungen und Ängs-
ten, leider auch viel zu häufig zu Suizid. 

Wieder sind es die Eltern, die sich an das Geschenk
der Geburt erinnern sollten und ihre Kinder so annehmen
sollten, wie sie nun einmal sind: lesbisch, schwul oder
transgender .


(Beifall im ganzen Hause)


Viele sind mit dieser Situation aber regelrecht über-
fordert . Die Reaktionen reichen leider oft von deutlicher
Ablehnung bis hin zum – schlimmstenfalls – Bezie-
hungsbruch .

Ich durfte am Fachtag „Homosexualität in der Fami-
lie – Angehörige kompetent begleiten“ in Berlin teilneh-
men . Hier wurde eine Studie vorgestellt, die von 2011 bis
2014 vom Familienministerium gefördert wurde und die
Herausforderungen für familienbezogenes Fachpersonal
in Einrichtungen der sozialen Arbeit dokumentierte .

Bei der Veranstaltung „Sexualität – Identität – Ge-
schlecht: Akzeptanz von Vielfalt in Bildung und Sport“
im vergangenen November am Pädagogischen Institut in
München konnte ich als Podiumsgast das Forschungs-
projekt „Coming-out – und dann . . .?!“ kennenlernen . Das
ist übrigens die Studie, von der die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen berichtet . Die Finanzierung erfolgte über-
wiegend aus Mitteln des Familienministeriums und der
Länder . Projektförderungen kamen auch aus dem Bun-
desministerium für Bildung und Forschung und von der
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld .

Die Studie zeigt aber auch, dass ein neues Verständnis
und eine neue Normalität sexueller und geschlechtlicher
Vielfalt vorhanden sind . Aber ja, es gibt sie leider auch,
die Anfeindungen, Beschimpfungen und die Gewalt ge-
gen die LGBTI-Jugendlichen auf den Schulhöfen . Es ist
unser aller Aufgabe, dem entschieden entgegenzutreten .

Mehr als die Hälfte der Jugendlichen befürchten da-
rüber hinaus, durch ein Coming-out Probleme im Bil-
dungs- und Arbeitsbereich zu bekommen . Sie stehen
daher vor der großen Herausforderung, sich in der Ge-
sellschaft zu verorten . Eine große Unterstützung wäre es
für diese Schüler, wenn endlich auch mehr Pädagogen
den Mut aufbringen würden, sich zu outen .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Denn wie immer im Leben braucht es Vorbilder .

Vorbildlich war auch das Outing von Thomas Hitzl-
sperger; denn die Erzählungen von Jugendlichen zeigen,
wie stark Fußball Erwartungen an bestimmte Geschlech-
terrollen prägt und transportiert . Deshalb freue ich mich
sehr, dass DFL-Präsident Dr . Reinhard Rauball jedem
Fußballer seine persönliche Unterstützung zugesagt hat,
der diesen Schritt gehen möchte – vielleicht sogar jetzt
während der EM?


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Vorbilder
müssen aber auch wir Politiker sein . Parteipolitische
verbale Attacken, besonders zu diesem Thema, bringen
uns und die Gesellschaft nicht weiter, ganz im Gegen-
teil . Deshalb sollte die Diskussion um ein Wort mit drei
Buchstaben endlich ein gütliches Ende haben . Wenn zwei
sich lieben und heiraten wollen, sollten wir es „Ehe“ auf
der einen Seite und zum Beispiel „Lebensbund“ auf der
anderen Seite nennen .


(Mechthild Rawert [SPD]: „Ehe“ reicht!)


Werte Kolleginnen und Kollegen von der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen, ich möchte mich für Ihren
Antrag bedanken . Er gibt mir die Möglichkeit, einmal
aufzuzeigen, was vonseiten der Regierungskoalition zu
diesem Thema alles unternommen wird .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja nicht so viel! Sie haben ja auch nicht mehr so viel Zeit!)


Neben den beiden Projekten, die ich bereits erwähnt
habe, wurde im Jahr 2014 innerhalb des Bundesministe-
riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Refe-
rat „Gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Geschlechts-

Gudrun Zollner






(A) (C)



(B) (D)


identität“ neu eingerichtet, das zudem koordinierender
Ansprechpartner für Länder, Betroffenenorganisationen
und Verbände ist .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817919700

Frau Zollner, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Künast zu?


Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1817919800

Ja, gerne .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817919900

Frau Kollegin, ich war beeindruckt, als Sie sich gerade

gewünscht haben, dass sich jemand von den Fußballern
outet, vielleicht noch während der EM . Quer durch den
Saal haben daraufhin einige applaudiert . Das fand ich
gut . Es erfordert nämlich Mut von einem Sportler, sich
auch noch während eines Wettbewerbs zu outen, in dem
er sich ja konzentrieren will . Mir wäre auch jeder andere
Zeitpunkt recht . Punkt!


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Siegerehrung!)


– Volker schlägt vor: bei der Siegerehrung . Okay .

Ich will auf etwas anderes hinaus . Erst sagen Sie, Sie
wünschten sich, dass sich jemand outet, vielleicht noch
bei der EM, bei der Siegerehrung oder beim Fest nachher
am Brandenburger Tor . Wer weiß es? Aber warum haben
Sie, Frau Zollner, dann nicht umgekehrt den Mut, beides
„Ehe“ zu nennen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der LINKEN und der SPD)


Sie haben erst über den Mut geredet, sich zu outen, und
dann haben Sie gesagt, wir sollten den Streit um ein Wort
mit drei Buchstaben beenden . Nach Ihnen soll das eine
„Ehe“ heißen und das andere „Lebensbund“ . Das habe
ich jetzt muttechnisch nicht verstanden .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1817920000

Ich glaube, die Diskussion dreht sich leider immer nur

um diesen Begriff . Es geht doch eigentlich um viel mehr .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Eben! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Diskussion dreht sich immer nur um die Union! – Weitere Zurufe)


Es gibt die Gleichstellung, auch wenn man es etwas an-
ders nennt; ich bin fest davon überzeugt .


(Beifall des Abg . Martin Patzelt [CDU/CSU])


Wir tun niemandem etwas Böses . Es geht doch darum,
dass man den heiraten darf, den man heiraten will . Wie
das im Endeffekt heißt, ist doch eigentlich nicht mehr re-
levant .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das so egal ist, dann nennen wir es doch „Ehe“!)


Ich gebe zu: „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ ist ein
fürchterliches Wort . Darum war mein Vorschlag, um et-
was  Druck  rauszunehmen:  Lebensbund.  Das  ist,  finde 
ich, ein toller Name .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Das ist immerhin besser als der Rest Ihrer Kollegen! – Zuruf der Abg . Mechthild Rawert [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817920100

Frau Zollner, es gibt die Bitte nach einer zweiten Zwi-

schenfrage .


Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1817920200

Herr Beck .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817920300

Frau Zollner, ich weiß, dass wir da eigentlich ge-

meinsam in eine Richtung ziehen wollen – im Sinne von
Gleichberechtigung und Akzeptanz .


Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1817920400

Genau .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817920500

Trotzdem wollte ich den Satz: „Es ist egal, wie das

heißt“, nicht ganz so stehen lassen . Abgesehen davon,
dass ich finde: „gleiche Rechte, gleiche Würde, Augen-
höhe“ heißt auch „gleicher Name“ .


(Beifall des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1817920600

Nein .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817920700

Es ist nicht nur ein Streit um Worte in einem Geset-

zestext, sondern es hat leider auch praktische Auswirkun-
gen, und zwar dann, wenn es sich um Menschen handelt,
die aus dem Ausland herkommen, um hier eine Partnerin
oder einen Partner zu heiraten .


Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1817920800

Heiraten! Genau das ist das Wort: heiraten .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817920900

Lassen Sie mich kurz ausreden . – Dann steht in allen

Dokumenten inklusive Visum zur Einreise in die Bun-
desrepublik Deutschland: Visumsgrund: Eingehung ei-
ner eingetragenen Lebenspartnerschaft . – Das ist eine
Zusatz information im Pass, die in Verfolgerstaaten nicht
irrelevant ist .

Ich habe in meinem Büro für jemanden aus München
Probleme lösen müssen . Da kam jemand aus dem Jemen,
einem Verfolgerland, und es gab Riesenprobleme, die

Gudrun Zollner






(A) (C)



(B) (D)


Unterlagen für die Ehe, das Ehefähigkeitszeugnis, zu be-
kommen . Man muss sagen, wozu man es braucht . Man
braucht es hier nicht zu einer Eheschließung . Man hat
dann das Problem, dass „eingetragene Lebenspartner-
schaft“ im Pass steht, und diese Information kann dazu
führen, dass die Person dann am Ende nicht ausreisen
kann, weil sie Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wird .

Deshalb ist es keine Lappalie, ob es gleich heißt . Wenn
es gleich heißt, ist das auch ein Moment des Datenschut-
zes . Man muss dann nicht bei jeder Gelegenheit offen-
baren, dass man in einer homosexuellen Lebenspartner-
schaft lebt – es heißt dann nämlich, dass man in einer Ehe
lebt –; das geht, wenn man es nicht will, die Behörden
und sonst jemanden einfach nichts an . Deshalb bitte ich,
darüber auch noch einmal in praktischer Hinsicht nach-
zudenken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1817921000

Ich habe es nie als Lappalie bewertet . Wir haben be-

reits dieses Gespräch geführt: Verheiratet oder verpart-
nert? Da sind wir eh schon auf einem guten Weg, das
einfach „verheiratet“ zu nennen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, „Lebensbund“! – Weitere Zurufe)


– Ich mache jetzt einfach mal weiter .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Des Weiteren wurde eine interministerielle Arbeits-
gruppe zur Situation trans- und intergeschlechtlicher
Menschen eingerichtet . Die vielfältigen und für die Be-
troffenen schwerwiegenden Problembereiche sollen dort
angemessen beleuchtet und gegebenenfalls gesetzgeberi-
schen Lösungen zugeführt werden .

Darüber hinaus gab es vom Familienministerium den
Kongress „Respekt statt Ressentiment – Strategien gegen
die neue Welle von Homo- und Transphobie“, der 2015
durchgeführt wurde .

Nicht zu vergessen das Modellprojekt „Beratungs-
kompetenz zu Regenbogenfamilien“, das zusammen
mit dem LSVD angeboten wird! In diesem Zusammen-
hang leistet die 2011 errichtete Bundesstiftung Magnus
Hirschfeld hervorragende Arbeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte mich an dieser Stelle insbesondere bei den
zahlreichen Verbänden bedanken, die besonders zum Er-
folg dieser Projekte beigetragen haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Wir alle möchten unsere nächsten Generationen stär-
ken, natürlich auch die lesbischen, schwulen, bisexuel-
len, trans- und intergeschlechtlichen Jugendlichen . Aber

gerade wenn es um den Bereich „Schulen und Lehrplä-
ne“ geht, wie im Antrag aufgeführt, ist es Aufgabe der
Länder und nicht Aufgabe des Bundes .


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das haben wir näher ausgeführt!)


Von daher können wir uns dem heute vorliegenden An-
trag nicht anschließen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schade!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817921100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Harald Petzold

von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817921200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Kolleginnen Walter-Rosenheimer und
Zollner haben auf das schreckliche Attentat in Orlando
hingewiesen, bei dem 49 Menschen umgebracht und 53
schwer verletzt worden sind . Ich möchte zur Reaktion
der Kanzlerin nur so viel sagen: Ich bin natürlich sehr
berührt davon gewesen, dass sie gesagt hat, ihr Herz
sei schwer angesichts der Opfer . Das ging mir ähnlich .
Gleichwohl hat sie mich ratlos zurückgelassen, was ihr
Bauchgefühl anbelangt, das bislang erfolgreich verhin-
dert hat, dass wir zu einer vollständigen Gleichstellung
von queeren Menschen in unserem Land kommen, das
bisher leider verhindert hat, dass wir Menschen, die nach
1945 nach § 175 StGB verurteilt worden sind, endlich re-
habilitieren und auch entschädigen können, und das eben
leider nicht dazu beiträgt, dass wir zu einer vollständi-
gen Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen,
Transgendern und intergeschlechtlichen Menschen in der
Gesellschaft kommen .

So sehr, wie ich bei Ihrer Rede geklatscht habe, liebe
Kollegin Zollner: Es ist Ihnen möglicherweise nicht ent-
gangen, dass bei einigen Passagen Ihrer Rede die linke
Hälfte des Hauses stärker geklatscht hat als die rechte .
Das ist der Punkt, an dem wir noch ganz viel Arbeit zu
leisten haben . Es gibt eben leider einen Zusammenhang
zwischen der Nichtgewährung gleicher Rechte und sol-
chen Ergebnissen wie dem von der enthemmten Mitte
der Gesellschaft, wie wir sie in der Studie der Universität
Leipzig, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Hein-
rich-Böll-Stiftung präsentiert bekommen haben, und es
gibt eben leider auch einen Zusammenhang dazu, dass
sich Menschen dann ermutigt fühlen, Gewalt auszuüben,
andere zu diskriminieren und Menschen auszugrenzen .
Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen . Deswe-
gen bin ich den Kolleginnen und Kollegen von Bünd-
nis 90/Die Grünen sehr dankbar für diesen Antrag, der
uns heute erstens diese Debatte bringt und zweitens auch
noch einmal deutlich macht, welche Verantwortung wir
gerade für junge Menschen und ihre Zukunft haben .

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


Wenn es von meiner Seite überhaupt einen Punkt der
Kritik gibt am Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, dann
ist es die Frage, liebe Bündnisgrünen: Warum habt ihr
nicht die Größe, auf das ganze Land zu schauen? Ihr
zählt nur die vielen hervorragenden Beispiele aus NRW
und Rheinland-Pfalz auf . Es war 2010 in Berlin, als die
rot-rote Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung
und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ – die Grünen haben
parallel dazu einen eigenen Antrag zu einem Aktionsplan
gegen Homophobie eingebracht, zu dem es eine gemein-
same Abstimmung gab –


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beispiele sind vom Charakter her immer beispielhaft!)


ein wunderbares Aktionsprogramm auf den Weg ge-
bracht hat .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Ich kann nur sagen: Wir sollten den Ehrenamtlerinnen
und Ehrenamtlern des LSVD, von ABqueer, des Jugend-
netzwerkes Lambda – die Liste ließe sich fortsetzen –
sowie den vielen Initiativen und Projekten dankbar sein,
die an der Umsetzung dieses Planes erfolgreich arbeiten .
Liebe Mechthild Rawert, wenn du klatschst, freue ich
mich natürlich darüber, aber wir müssen auch zur Kennt-
nis nehmen, dass der gegenwärtige Berliner Senat an die-
ser Stelle noch ein bisschen mehr tun könnte als das, was
er im Moment tut, damit die Initiative nicht einschläft .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb haben wir die nicht als Beispiel gewählt!)


Es waren auch grüne Abgeordnete in Brandenburg,
die mit dazu beigetragen haben, dass es jetzt auch in mei-
nem Bundesland einen Aktionsplan gegen Homophobie
und für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt gibt . Man
muss auch sagen, dass es seit Mitte der 90er-Jahre eine
regenbogenbunte Aufklärungs- und Informationstour
„Brandenburg bleibt bunt!“ gibt, die genau das macht,
was ihr in eurem Antrag an Aufklärungskampagnen für
Jugendliche fordert .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen das jetzt bundesweit! Das ist der Kern des Bundestagsantrags! – Beate WalterRosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen das bundesweit! – Sönke Rix [SPD]: Halten wir fest: Bei allen Sachen ist die SPD dabei!)


Wir sollten, wenn wir davon sprechen, dass wir uns
für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen stark-
machen wollen, durchaus auch die positiven Beispiele,
die hier in Berlin oder auch in Brandenburg inzwischen
auf den Weg gebracht worden sind, nennen . Wie gesagt,
der einzige Kritikpunkt, den ich an diesem Antrag hätte,
wäre: Warum nur NRW und Rheinland-Pfalz?

Ich bin sehr gespannt auf die Diskussion in den Aus-
schüssen . Die Rede der Kollegin Zollner hat mich auch
ein bisschen ermutigt, dass die Diskussionen in der Uni-
onsfraktion weitergehen . Liebe Kollegin Zollner, gehen
Sie zur Bundeskanzlerin und sagen Sie ihr, sie soll ihr

schlechtes Bauchgefühl endlich ablegen, damit dieser
Antrag nicht das gleiche Schicksal erleidet wie die Ge-
setzesinitiativen von Linken und Bündnis 90/Die Grünen
zur Öffnung der Ehe und in den Ausschüssen verschmort,
sondern damit wir hier im Deutschen Bundestag endlich
Taten sehen .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817921300

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Susann

Rüthrich von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Susann Rüthrich (SPD):
Rede ID: ID1817921400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Politikerinnen, Politiker, Ex-Fußballer, Fern-
sehstars: Schwules und lesbisches Leben ist in Deutsch-
land zum Glück kein allzu starkes Tabu mehr . Einzelne
queere Prominente sind ein wichtiges Zeichen gerade für
Jugendliche . Eine noch größere Sichtbarkeit etwa von
Trans- und Intermenschen wäre aber nötig; denn für Ju-
gendliche auf der Suche nach der eigenen Lebensform
ist es wichtig, auch verschiedene Rollenbilder zu sehen .

Frei von Diskriminierung ist das queere Leben leider
trotzdem noch nicht – weder in den Medien noch in den
Schulbüchern und leider auch nicht in unseren Gesetzen .
Das bleibt nicht ohne Folgen für die jungen Menschen .

Ja, was bedeutet das für queere junge Menschen? Was
wissen wir denn eigentlich von ihnen? Dass die Jugend
eine absolut prägende und einzigartige Zeit ist, wissen
wir . Deswegen hat sich das Bundesfamilienministeri-
um mit Manuela Schwesig auf die Fahnen geschrieben,
eine eigenständige Jugendpolitik zu machen . Wir wissen
auch, „die Jugend“ gibt es heute gar nicht, schon gar
nicht „die Jugend von heute“ . Die Jugendlichen sind sehr
vielfältig und haben nicht alle die gleichen Bedürfnisse .
Aber was bedeutet das nun wieder für die Jugendlichen?

Um die Bedeutung zumindest für die queeren Jugend-
lichen besser zu verstehen, hat das Bundesfamilienmi-
nisterium gemeinsam mit der Bundesstiftung Magnus
Hirschfeld die Studie des Jugendinstitutes „Coming-out –
und dann …?!“ gefördert . Es wurde schon erwähnt: Die
Ergebnisse sind absolut eindrücklich . Sehr viele Jugend-
liche, die eben nicht hetero lieben oder die sich nicht in
der zugewiesenen Kategorie Junge/Mädchen, Mann/Frau
selbst erkennen, berichten davon, dass sie aus Angst vor
den Reaktionen von Freunden und Familie ihre wahren
Gefühle lange verdrängten .

Während dieser meist jahrelangen Unterdrückung der
tatsächlichen sexuellen und geschlechtlichen Identität
entwickeln sich oft psychische oder psychosomatische
Symptome . Die Zahl der Suizidversuche und Suizide bei
diesen Jugendlichen ist signifikant höher.

Vielen Betroffenen ist ja lange klar, was sie eigentlich
fühlen und erleben . Die Mutter eines Transkindes hat uns
im letzten Jahr in der Kinderkommission berichtet, dass

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


ihr Kind bereits mit vier Jahren gesagt hat: Mama, ich bin
ein Junge . – Es wollte nicht als Mädchen angesprochen
werden . Das öffentliche Coming-out – das sagt die Stu-
die  –  gerade  bei Transpersonen  findet  im Durchschnitt 
mit 18 Jahren statt . Das innere Coming-out liegt oft weit,
weit vor dem öffentlichen Coming-out .

Was bedeutet es für die Zukunft und Identität von in-
tergeborenen Kindern, wenn sie begreifen, dass Ärzte
und Eltern eine irreversible Operation nach der Geburt
zur „Anpassung“ des Geschlechts an die optischen Merk-
male von Junge oder Mädchen vorgenommen haben?
Damit sind nicht selten lebenslange Hormontherapien,
Unfruchtbarkeit und Fremdheitsgefühl im eigenen Kör-
per verbunden .

Wie geht es denn einem Jugendlichen damit, wenn
„schwul“ das verbreitetste Schimpfwort auf einem Schul-
hof ist? Wem fällt denn dann das eigene Coming-out
leicht?

Das alles sind Beispiele, die zeigen, unter welchem
enormen Druck diese Jugendlichen stehen . Gerade Schu-
le spielt da eine zentrale Rolle . Das ist ein Lebensbereich,
dem sich kein Jugendlicher entziehen kann .


(Sönke Rix [SPD]: Möchte er aber manchmal!)


Und es gibt immer wieder Beispiele, in denen Schullei-
tungen, Lehrkräfte und dann auch die Mitschülerinnen
und Mitschüler völlig überfordert sind von dem Thema .

Das ist ja auch kein Wunder: Solange in Schulmateri-
alien nur heterosexuelle Lebens- und Liebensweisen und
eine klare Zweigeschlechtlichkeit reproduziert werden,
so  lange  wird  das  andere  Empfinden  als  Abweichung 
empfunden .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Wir haben also noch einen Weg vor uns, damit alle Ju-
gendlichen tatsächlich ihre Persönlichkeit frei entfalten
können, wie es das Grundgesetz garantiert .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist zum Beispiel
zu tun? Klar, das fängt – erstens – an mit Unterstützung,
Beratung und Begleitung dieser Jugendlichen, zweitens
der Fachkräfte und drittens der Lehrer . Dafür gibt es in
Deutschland – Herr Petzold hat das gerade gesagt – her-
vorragende und spezialisierte Beratungsstellen . Diese
müssen eine verlässliche und ausreichende Finanzierung
und strukturelle Absicherung haben . Doch diese spezi-
alisierten Beratungsstellen und Initiativen reichen allein
nicht; denn sie sind eben nicht überall für jeden Jugend-
lichen in erreichbarer Nähe . Dafür braucht es mehr: zum
einen digitale Informationsangebote, zum anderen die
Verankerung der Themen genau dieser Jugendlichen in
allen Regelstrukturen, in allen Beratungsstrukturen und
in der gesamten Jugendhilfe .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Beratung darf sich aber nicht nur auf die Schule rich-
ten, sondern muss sich genauso auf Kita, Arbeitswelt,
Vereine und Freizeiteinrichtungen richten .

Aber es fängt noch früher an, wie wir in der inter-
fraktionellen Arbeitsgruppe „inter und trans“, zu der ich
einlade, festgestellt haben . Wir sind für ein Verbot von
geschlechtsanpassenden Operationen an nicht einwilli-
gungsfähigen Interkindern, es sei denn, es bestünde Ge-
fahr für Leib und Leben .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die interministerielle Arbeitsgruppe unter Leitung des
Familienministeriums prüft derzeit die Notwendigkeit
eines Verbots . Ich hoffe auf eine Klarstellung im Sinne
der Selbstbestimmung und des Rechts auf eine offene
Zukunft für diese betroffenen Kinder . Dabei ist klar: Die
Familien dürfen mit der Situation nicht alleingelassen
werden und brauchen Beratung und Unterstützung .

Diskriminierung, ja sogar Pathologisierung, ist nicht
weiter hinnehmbar .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen wollen wir im Nationalen Aktionsplan gegen
Diskriminierung klarstellen: Es müssen die Merkmale
„sexuelle und geschlechtliche Identität“ enthalten sein .
Deshalb muss er erweitert werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Jugendlichen
sollen sich zu der Persönlichkeit entwickeln können, die
sie selbst in sich wissen . Wir haben die Aufgabe sowohl
als Politik als auch als Gesellschaft, sie dabei nach besten
Kräften zu unterstützen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817921500

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Markus Koob

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1817921600

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist schon von meinen Vorrednern heute an-
gesprochen worden: Diese Debatte steht unter dem Vor-
zeichen der schrecklichen Ereignisse von Orlando, die
noch keine zwei Wochen her sind, bei denen 49 junge
lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle Men-
schen ihrer Zukunft beraubt wurden und ihr Leben ge-
lassen haben .

Dieser menschenverachtende Anschlag hat uns ein-
mal mehr vor Augen geführt, dass freie, tolerante und
offene Gesellschaften angreifbar sind, und der Weg, den
wir gehen, um homophobe Vorurteile abzubauen, noch
nicht zu Ende sein kann . Zwar ist die Dimension dieses

Susann Rüthrich






(A) (C)



(B) (D)


homophoben Hassverbrechens von Orlando in der west-
lichen Welt einzigartig, homophobe Hassverbrechen sind
es bedauerlicherweise nicht . 2015 gab es in Deutschland
offiziell 220 Straftaten aufgrund sexueller Orientierung. 
Die Dunkelziffer wird auf ein Vielfaches geschätzt . Erst
im vergangenen Monat wurde beispielsweise eine Frau
in der Berliner S-Bahn homophob beschimpft und ihr
ins Gesicht geschlagen . Die Ausnahme ist hier nicht das
Verbrechen, sondern dass das Opfer die Tat zur Anzei-
ge gebracht hat . In Zukunft müssen mehr Opfer diesen
Weg gehen, damit die Möglichkeit besteht, diese Täter
aus dem Verkehr zu ziehen, damit unsere Kinder und Ju-
gendlichen frei von Hass und Gewalt, unabhängig von
der eigenen sexuellen Identität glücklich in die Zukunft
gehen können .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In der Leipziger „Mitte“-Studie, die vor zwei Wochen
veröffentlicht wurde, erklärten 40,1 Prozent der Befrag-
ten, dass es ekelhaft sei, wenn sich Homosexuelle in der
Öffentlichkeit küssen . 24,8 Prozent der Befragten halten
Homosexualität generell für unmoralisch . Diese Resulta-
te sind schlimm und zeigen zugleich das Gefährdungspo-
tenzial, das es trotz aller Fortschritte der letzten Jahre und
Jahrzehnte für unsere homo-, bi-, trans- und intersexuel-
len Jugendlichen, aber auch Erwachsenen in Deutschland
gibt . Die Gesellschaft und wir als Politikerinnen und Po-
litiker dürfen niemals zulassen, dass Liebe und das Zei-
gen dieser Liebe als ekelhaft bezeichnet werden dürfen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen Homophobie und Transphobie ebenso
entschlossen entgegentreten, darüber aufklären und argu-
mentieren, wie wir es bei Rassismus, Xenophobie und
Sexismus ebenfalls machen .

Menschen werden homo-, hetero- oder bisexuell ge-
boren . Das ist kein Lifestyle, den man sich aussuchen
oder wechseln kann, für oder gegen den man sich ent-
scheiden kann . Das ist schlicht und ergreifend die eigene
biologische Identität .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Bevor ich mich inhaltlich den Forderungen Ihres An-
trags zuwende, möchte ich noch einmal sehr deutlich
machen, dass ich, wie auch der überwiegende Teil der
deutschen Gesellschaft, jegliche Form der Diskriminie-
rung aufgrund der sexuellen Orientierung aufs Schärfste
verurteile . Gesellschaftliche Minderheiten aller Art ge-
nießen in Deutschland Schutz und alle Rechte, die das
Grundgesetz jedem Menschen zugesteht . Diskriminie-
rung, Gewalt oder Hass gegen Homo-, Bi-, Trans- oder
Intersexuelle sind ein Angriff auf die gesamte Gesell-
schaft, da sie den Boden unserer freiheitlich-demokrati-
schen Grundordnung, den Boden unseres Grundgesetzes
verlassen .

Trotz des Weges, der vor allem auf gesellschaftlicher
Ebene noch vor uns liegen mag, dürfen wir nicht verges-

sen, von wo wir gekommen sind: Bis 1990 galt Homo-
sexualität noch als Krankheit, und sexuelle Handlungen
unter Männern waren bis vor 22 Jahren strafbar .

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurde ein
langer Weg zurückgelegt . Als heterosexueller Mann kann
ich mich nur sehr schwer in die Lage versetzen, wie es
sein muss, dass das Bekenntnis zur eigenen Sexualität
den Frieden und die Harmonie innerhalb einer Familie
stören und die eigene Zukunft verändern kann . Für LSB-
TI-Jugendliche – ich verwende jetzt der Einfachheit hal-
ber die Abkürzung; ich habe da auch dazugelernt – muss
es eine sehr schwere Entscheidung sein, sich Freunden
und Familienmitgliedern anzuvertrauen . Auch heute füh-
ren Coming-outs nicht selten zu Spannungen und Zer-
würfnissen in den Familien und Freundeskreisen . Auch
ein einfaches Händchenhalten führt in der Öffentlichkeit
schnell zu Spannungen und Beleidigungen . Die Schul-
zeit begleitet von homophoben Beschimpfungen zu über-
stehen, wenn man als Person selbst noch nicht gefestigt
ist, ist herausfordernd . Das Leben der eigenen Sexuali-
tät ähnelt für Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuelle oft-
mals einem Spießroutenlauf und verlangt von ihnen viel
Selbstbewusstsein . Ich ziehe daher meinen Hut vor dem
aufrechten Gang so vieler LSBTI .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


In Ihrem Antrag fordern Sie uns auf, bei den Ländern
darauf hinzuwirken, die positive Darstellung der Vielfalt
der Familienmodelle und Lebensweisen in den Schul-
und Lehrbüchern sowie Lehrplänen zu verankern . Liebe
Grüne, es tut mir als CDUler durchaus etwas weh, aber
Sie sind ja mittlerweile, was die Vertretung in den Lan-
desregierungen angeht, stärker als meine eigene Partei .
Die von Ihnen adressierten Themen liegen in der Zustän-
digkeit der Länder . Ich habe da – vielleicht im Gegensatz
zu Ihnen – sehr hohes Vertrauen in die Kolleginnen und
Kollegen, die in Ihren Landesregierungen sitzen, dass sie
dieses Thema dort ansprechen, wo es eben auch geregelt
werden muss .


(Beifall der Abg . Sibylle Pfeiffer [CDU/ CSU])


Eine Bevormundung durch den Bund benötigen wir si-
cherlich nicht . Der richtige Ort für eine Koordinierung
Ihres Anliegens ist die Kultusministerkonferenz und
nicht der Deutsche Bundestag .


(Beifall des Abg . Maik Beermann [CDU/ CSU] – Dagmar Ziegler [SPD]: Das stimmt! – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vielen Dank für das Vertrauen!)


Auch für geeignete Aus- und Weiterbildungsprogramme
für Lehrkräfte sind die Kultusminister der Länder ver-
antwortlich .

Ich glaube an die Arbeit der Verbände und Vereine,
die sich um junge homo-, bi-, trans- und intersexuelle
Menschen kümmern . Ich möchte ihnen an dieser Stelle
für ihre hervorragende Arbeit danken . In Ihrem Antrag

Markus Koob






(A) (C)



(B) (D)


gehen Sie zu Recht auf die gute Arbeit ein, die dort ge-
leistet wird .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zahlreiche Menschen arbeiten täglich daran, dass die
Kinder und Jugendlichen heute unbeschwerter mit ihrer
eigenen Sexualität aufwachsen können als alle Generati-
onen vor ihnen . Das ist zuallererst ein Erfolg der Com-
munity und ihrer vielen Unterstützerinnen und Unterstüt-
zer . Informationsmaterialien, wie Sie sie in Ihrem Antrag
fordern, gibt es meines Erachtens von den Vereinen und
Verbänden der Community schon heute in ausreichen-
der Zahl . Manchmal erreicht man durch Quantität eher
das Gegenteil von dem, was man sich wünscht . Qualita-
tiv hochwertige  Informationen findet man bereits heute 
zahlreich im Internet, ebenso Beratungsangebote, auch
zielgruppenspezifische.

Zudem frage ich mich, welches Bild Sie von der Kin-
der- und Jugendhilfe in Deutschland haben,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein sehr positives!)


wenn Sie es für nötig erachten, das Sozialgesetzbuch VIII
zu ergänzen, um die Grundrichtung der Erziehung der
LSBTI sicherzustellen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch so gut in die Rede gestartet!)


Ihrem Wunsch nach einer alle vier Jahre erscheinen-
den Studie zur Lebenssituation lesbischer, schwuler,
bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher Jugendlicher
kann ich durchaus etwas abgewinnen .

Der Rest Ihres Antrags besteht aus Forderungen nach
Aktionsplänen, Pilotprojekten, Kampagnen und Koordi-
nierungsstellen – viele neue Bürokratiestrukturen, anstatt
existierende Strukturen einfach zu nutzen und weiterzu-
entwickeln .

Sie haben ein hehres Ziel, für das ich persönlich
durchaus viele Sympathien habe . Bei der Erreichung
dieses Ziels gehen wir aber getrennte Wege, so auch bei
diesem Antrag .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also machen Sie Ihren Aktionsplan gegen Homophobie nicht mehr? – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Schade, schade, schade!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817921700

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Karl-

Heinz Brunner von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1817921800

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen

und Kollegen! Die Kollegin Walter-Rosenheimer hat –
wie auch die Kollegin Zollner und der Kollege Koob –

bereits ausgeführt, dass im sonnenverwöhnten Orlando
bei einem sinnlosen, brutalen und selbstzerstörerischen
Anschlag 49 Menschen ihr Leben gelassen haben . Aber
auch ihre Träume, ihre Sehnsüchte, ihre Lebensplanun-
gen – all das, was sich jeder von uns wünscht, und junge
Menschen erst recht – wurden zerstört und zunichtege-
macht . Und warum? Aus Hass, vielleicht aus Selbsthass,
vielleicht aus Abneigung gegen Schwule, gegen Lesben,
Trans und Queere, sicher aber aus Homophobie in seiner
widerlichsten Fratze .

Aber was geschah nach der Erkenntnis, dass es kein
IS-Anschlag war, dass nicht der islamistische Terroris-
mus dahintersteckte? Eigentlich nichts, weder in der Ge-
sellschaft noch in der Politik . Wo waren denn wie beim
Anschlag auf das Magazin Charlie Hebdo die breite So-
lidarität, die Aufkleber, die Transparente? Ich hätte mir
gewünscht, dass es hier in Deutschland ebenfalls Trans-
parente mit der Aufschrift „Je suis gay“ – ich bin schwul,
ich bin lesbisch, ich bin queer – gibt .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hätte mir Solidaritätsbekundungen gegenüber
denjenigen gewünscht, liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren auf den Tribünen, denen der
Angriff galt . Leider Fehlanzeige! Ich sage: Welch fata-
les Signal! Wie müssen sich junge Menschen in unse-
rem Land in der Phase der Selbstfindung, die die Kolle-
gin Zollner so treffend dargestellt hat, in der Phase der
Pubertät in der Schule, im Sport, in Vereinen und in der
Familie fühlen? Die jungen Menschen müssen gerade in
dieser Lebensphase wissen – das sage ich an uns gerich-
tet –: Ihr gehört zu uns, wir sind für euch da . Ich würde
fast sagen – biblisch gesprochen –: Fürchtet euch nicht
in diesem Land .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Beate WalterRosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bin den Kolleginnen und Kollegen von Bünd-
nis 90/Die Grünen außerordentlich dankbar, dass sie
das Thema „jung, queer, glücklich“ auf die Agenda ge-
setzt haben und dabei die gleichen Fragen stellen, die
uns bewegen und die wir Sozialdemokraten uns bereits
im Frühjahr im Rahmen unseres Dialogforums gestellt
haben . Gemeinsam mit Fachleuten sind wir der festen
Überzeugung: Wir brauchen in diesem Land ein breites
Bündnis gegen Trans- und Homophobie . Wir brauchen
Aufklärung statt Angst .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Beate WalterRosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir sind der Auffassung, dass sich der Einsatz – der
Staatssekretär ist noch anwesend – unseres Bundesminis-
teriums des Innern deutlich verbessern lässt und freuen
uns, wenn diesem Hohen Haus endlich ein beratungsfä-
higer nationaler Aktionsplan gegen Homophobie vorge-
legt wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Markus Koob






(A) (C)



(B) (D)


Denn so steht es im Koalitionsvertrag, und so, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, wollen wir es, wir Sozialdemo-
kratinnen und Sozialdemokraten erst recht .

Eines wollen wir nicht mehr, nämlich dass junge Men-
schen, wie der Schüler, der mich jüngst in Berlin besuch-
te, abends an der Bushaltestelle angepöbelt, beleidigt und
genötigt werden . Christian, so heißt der junge Mann, hat-
te den Mut, Anzeige zu erstatten . Er hatte den Mut, sich
zu wehren und Öffentlichkeit herzustellen . Hut ab dafür,
sage ich, und Danke .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg . Wilfried Lorenz [CDU/CSU])


Und doch: Wir, das deutsche Parlament, wir, die deut-
sche Gesellschaft, müssen all diejenigen, die noch nicht
den Mut aufbringen konnten, sich zu outen, nicht den
Mut aufbringen konnten, Anzeige zu erstatten, weil sie
wissen, dass sie auf dem entsprechenden Polizeirevier
womöglich auch wieder belächelt werden, dazu ermuti-
gen . Wir müssen ihnen unseren besonderen Schutz an-
gedeihen lassen . Jeder in diesem Land muss wissen: Ein
Angriff auf Schwule, auf Lesben, Bi, Trans, Queer ist
ein Angriff auf unsere Gesellschaft und unsere Freiheit .
Es muss endgültig klar sein: Wir sind hetero, wir sind
schwul, wir sind lesbisch, bi, trans, queer, transgender,
sexuell in gleicher Orientierung, wir sind Deutschland .
Das wünsche ich mir .

In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufmerksam-
keit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817921900

Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/8874 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesord-
nungspunkt 12 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der „United Na­
tions Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL)

auf Grundlage der Resolution 1701 (2006)

und nachfolgender Verlängerungsresolutio­
nen des Sicherheitsrates der Vereinten Na­
tionen, zuletzt Resolution 2236 (2015) vom
21. August 2015

Drucksachen 18/8624, 18/8762


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/8763

Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses werden wir später namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Gibt es Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlos-
sen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat
Dr . Fritz Felgentreu für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1817922000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wis-

sen es alle: Der Libanon braucht unsere Hilfe . Aber nicht
allen ist klar: Wir brauchen auch die Hilfe des Libanon,
und wir nehmen sie reichlich in Anspruch .

Dieses kleine Land am Mittelmeer, ein gar nicht so
ferner Nachbar, leistet Tag für Tag Unglaubliches . Bei ei-
ner Einwohnerzahl von 6 Millionen hat es über 1 Million
syrische Flüchtlinge aufgenommen, die größtenteils in
Lagern im Norden und Osten des Landes mehr schlecht
als recht ihr Dasein fristen . In keinem Land der Welt le-
ben mehr Flüchtlinge im Verhältnis zur angestammten
Bevölkerung . Nach den Erfahrungen des vergangenen
Jahres kann Europa, kann Deutschland vom Libanon kei-
ne größere Hilfe erwarten, als dass es dabei bleibt, ha-
ben wir uns doch im vergangenen Jahr als reichstes und
größtes Land Europas mit der Aufnahme von in etwa der
gleichen Anzahl von Flüchtlingen politisch und adminis-
trativ zum Teil überfordert gezeigt .

Es grenzt an ein Wunder, dass das kleine Land am
Mittelmeer unter dieser großen Verantwortung noch
nicht zusammengebrochen ist, zumal der Staat in einer
Weise schwach ist, die für uns unvorstellbar wäre: Das
Amt des Staatspräsidenten ist seit zwei Jahren vakant .
Neben der regulären Armee steht vor allem in Süden
des Landes die schiitische Terrormiliz Hisbollah, die mit
ihrem politischen Arm auch im Parlament vertreten ist .
Die Hisbollah verfügt über eine unbestimmte Anzahl von
Kämpfern, schwere Waffen und moderne Raketen mit
großer Reichweite, und zwar in großer Zahl . Die Regie-
rung hat weder politisch noch militärisch die Kraft, die
Hisbollah zu entwaffnen .

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion ist
unter diesen Rahmenbedingungen nicht nachvollziehbar,
wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, den deut-
schen Beitrag zur Libanon-Mission der Vereinten Natio-
nen infrage zu stellen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Alles spricht dafür, dass wir uns hier weiter beteiligen .
Seit fast 40 Jahren ist die UNIFIL immer wieder das Ein-
zige, was zwischen Israel und seinen Feinden im Libanon
steht und so verhindert, dass punktuelle Gewalt sich zum
Krieg ausweitet . Die UNIFIL mit ihren 10 000 Soldaten

Dr. Karl­Heinz Brunner






(A) (C)



(B) (D)


aus über 20 Ländern ist Garant für den Waffenstillstand .
Zugleich stellt sie die Plattform für Abstimmungen isra-
elischer Stellen mit libanesischen Stellen bereit, und sie
sichert die notwendige Stabilität, damit die humanitäre
Hilfe in der Flüchtlingskrise überhaupt ihre Adressaten
erreicht .

Gemessen an der Größe der Aufgabe ist der deut-
sche Beitrag klein . Mit einer Korvette, gegenwärtig der
„Braunschweig“, trägt die Bundeswehr zur Aufklärung
und zum Küstenschutz bei . Außerdem bilden deutsche
Soldaten Personal des libanesischen Küstenschutzes und
der libanesischen Radarüberwachung an der Küste aus .
Der Wert der deutschen Beteiligung ist dennoch nicht
zu unterschätzen . Abgesehen vom unmittelbaren Nut-
zen, der groß ist, kommt es dabei auch auf die politische
Botschaft an . Wir bekennen uns mit der Beteiligung an
UNIFIL unmissverständlich zu den Vereinten Nationen
als Ordnungsmacht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir zeigen dem Libanon, dass wir ihn nicht im Stich las-
sen . Wir leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Sicher-
heit Israels .

Dass neben dem militärischen Engagement ein finan-
ziell knapp zehnmal größeres humanitäres Engagement
der Bundesrepublik steht, hat zwar mit dem Mandat nicht
unmittelbar etwas zu tun, entspringt aber derselben Ver-
antwortung für die Stabilität des Libanon . Wenn wir er-
reichen wollen, dass sich die Flüchtlinge, die sich zurzeit
dort aufhalten, nicht doch noch nach Europa aufmachen,
dann brauchen sie und ihre Kinder im Libanon eine Per-
spektive . Arbeit und Bildung sind dafür entscheidend .
Deshalb ist es gut und richtig, dass die Bundesregierung
allein im Jahr 2016 300 Millionen Euro für diese Zwe-
cke zur Verfügung stellen will .

Der Libanon ist uns näher, als wir denken . Vor zwei
Wochen war ich zu Gast in einer Schule in Berlin-Neu-
kölln, um an einer Podiumsdiskussion über Israel und
Antisemitismus teilzunehmen . Viele der Jugendlichen
und jungen Erwachsenen, mit denen ich dort diskutiert
habe, sind durch ihre Familiengeschichte mit dem Liba-
non verbunden . Oft haben sie einen palästinensischen
Hintergrund . Im Einzelgespräch nach dem Podium wa-
ren sich zwei junge Männer, mit denen ich gesprochen
habe, ganz sicher: Der Aggressor gegenüber dem Liba-
non sei immer Israel . Die Hisbollah brauche ihre Rake-
ten nur zur Selbstverteidigung . Sie sei eine reine Vertei-
digungsarmee . Dass es im Libanon außer der Hisbollah
auch reguläre Truppen gibt, spielte für sie gar keine Rol-
le . Deutschlands Engagement in der Region nehmen sie
ausschließlich als einseitige Parteinahme für Israel wahr .
Diese Sicht der Dinge ist durchaus repräsentativ für ei-
nen gar nicht unwesentlichen Teil der Jugend in unseren
Städten .

Umso wichtiger scheint es mir, dass wir die Verpflich-
tungen, die wir für den Libanon eingegangen sind, sehr
ernst nehmen . Es geht dabei auch um die Glaubwürdig-
keit deutscher Israel-Politik . Es ist möglich, den jungen
Leuten, von denen ich gerade erzählt habe, zu erklären,

warum das Existenzrecht Israels für Deutschland von
elementarer Bedeutung ist und bleiben muss . Aber es ist
nicht einfach . Das Misstrauen ist groß . Ein aus den paläs-
tinensischen Erfahrungen erwachsener Antisemitismus
ist weitverbreitet . Leichter wird es, wenn wir nachweisen
können, dass wir uns mit Nachdruck für Stabilität, Si-
cherheit und Wohlstand in der ganzen Region einsetzen,
und wenn wir deutlich machen, dass nach unserem Ver-
ständnis ein sicheres Israel ohne stabile Nachbarstaaten,
ohne befriedete Nachbargesellschaften gar nicht möglich
ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Stabilität des Libanon und die Sicherheit Israels
sind zwei Seiten einer Medaille . Deshalb wiederhole ich:
Der Libanon ist uns näher, als wir denken . Den Libanon
in den Köpfen haben wir mitten in Berlin . Wenn wir also
dem Libanon helfen, dann helfen wir immer auch uns
selbst . Der deutsche UNIFIL-Einsatz ist dafür weiterhin
unverzichtbar .


(Beifall des Abg . Dr . Rolf Mützenich [SPD])


Deshalb bitte ich das Hohe Haus um Zustimmung zum
Antrag der Bundesregierung .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817922100

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Inge Höger

von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817922200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das

Mittelmeer ist auch durch Entscheidungen hier im Bun-
destag zum Massengrab geworden . Gleichzeitig tum-
meln sich immer mehr Kriegsschiffe im Mittelmeer .
Neben den Schiffen des UNIFIL-Mandats, über das wir
hier heute abstimmen, sind 14 Schiffe im Rahmen der
EU-Grenzschutzmission Triton unterwegs . Vier italieni-
sche Kriegsschiffe einschließlich eines Flugzeugträgers
patrouillieren als Operation Mare Sicuro in der Straße
von Sizilien . Mit Poseidon schottet eine weitere Fron-
tex-Mission in der Ägäis die EU-Außengrenze gegen
Flüchtlinge ab . Auch die Mission Sophia, die angeblich
Flüchtlinge schützt, ist Teil des Abschottungsringes rund
um Europa . Morgen soll hier im Plenum darüber disku-
tiert werden, die Befugnisse von Sophia deutlich auszu-
weiten . Das Operationsgebiet schließt dabei nah an das
von UNIFIL an .

Abgesehen davon ist im Mittelmeer seit 1992 der stän-
dige Marineverband der NATO unterwegs, der zurzeit
ebenfalls mit acht Schiffen die Ägäis gegen Flüchtlinge
abschottet . Außerdem sind seit der OAE-Mission immer
noch Reste des sogenannten Antiterrorkrieges im Mittel-
meer aktiv . Die USA ließen aktuell zwei Flugzeugträger
durchs Mittelmeer kreuzen . Sie gelten als Teil des Krie-
ges gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ .

Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)


Dazu kommen immer wieder Schiffe im internationa-
len wie im nationalen Auftrag, etwa die deutschen Flot-
tendienstboote, die nichts anderes als Spionageschiffe
sind .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Da ist ja gar kein Platz mehr im Mittelmeer! So viele Kriegsschiffe! – Weitere Zurufe)


– Das wollte ich Ihnen gerade klarmachen, dass so vie-
le Kriegsschiffe in diesem Meer operieren . Allein die-
se Vielzahl von Kriegsschiffen und Militäroperationen
zeigt, dass es sich hierbei kaum um eine politische Stra-
tegie, sondern vielmehr um gefährlichen Aktionismus
handelt .


(Beifall bei der LINKEN)


Mit Interesse habe ich der Debatte um das UNI-
FIL-Mandat in der vorletzten Sitzungswoche zugehört .
Interessant war, dass die dort angeführten Erfolge eher
dürftig waren . Auch ich begrüße, wenn es gelingt, zur
Klärung  von  Konflikten  zwischen  Libanon  und  Israel 
beizutragen .


(Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Na, dann stimmen Sie doch zu!)


Es erschließt sich aber nicht, weswegen für solche Be-
mühungen ein bewaffneter Militäreinsatz notwendig ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Staatsminister Roth hat deswegen in seinen Aus-
führungen überwiegend von den humanitären Heraus-
forderungen im Libanon gesprochen . Er bezeichnete den
deutschen UNIFIL-Einsatz als politisches Symbol für die
Unterstützung der internationalen Gemeinschaft .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Recht hat er!)


Natürlich ist auch Symbolpolitik manchmal wichtig .


(Niels Annen [SPD]: Machen Sie ja nie!)


Aber der deutsche UNIFIL-Beitrag ist ein ziemlich
nutzloses Symbol . Er wurde deswegen zu Recht von vie-
len Seiten als überflüssig bezeichnet. In der letzten Legis-
laturperiode hat auch die SPD-Fraktion UNIFIL noch als
überflüssig und als zu beenden bezeichnet. 


(Beifall bei der LINKEN – Niels Annen [SPD]: Was? – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Da hätten wir gern den Protokollauszug!)


Mit dem UNIFIL-Mandat sichert sich die Bundesre-
gierung eine militärische Präsenz in einer geostrategisch
umkämpften Region . Die Bundeswehr ist nicht nur mit
einer Korvette und Schnellbooten, sondern auch mit
Stabs- und Logistikelementen vor Ort . Sie verfügt über
einen Schutzzug des Seebataillons in Limassol auf Zy-
pern und über ein Ausbildungskommando im Libanon
sowie über einige Soldaten im UN-Hauptquartier in Na-
qura .

All das könnte man durchaus als ein kleines Syri-
en-Mandat durch die Hintertür sehen – ohne Parlament-
sentscheidung . Wir als Linke wollen keine deutsche
Macht- oder gar Großmachtpolitik . Verantwortung be-
deutet für uns die zivile Unterstützung in realen huma-

nitären Notlagen . Der Libanon mit seinen 4 Millionen
Einwohnern beherbergt 1 Million beim UNHCR regis-
trierte Flüchtlinge . Dazu kommen noch etwa 1 Million
nichtregistrierte Flüchtlinge .

Es wäre ein besseres Symbol, die dort im Jahr 2016
zur Verfügung stehenden 300 Millionen Euro für huma-
nitäre Hilfe aufzustocken .


(Beifall bei der LINKEN)


Es wäre gut, deutlich mehr Geld für die Verbesserung der
Bildungsangebote für Flüchtlinge zur Verfügung zu stel-
len . Das wäre ein Signal dafür, in der Region nicht mehr
auf Machtpolitik und auf Stellvertreterkriege zu setzen,
sondern die Lage der Menschen wirklich ernst zu neh-
men .

Wir brauchen keine Militäraufmärsche im Mittelmeer .
Militär ist keine Lösung, sondern Teil des Problems .


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die Linke ist auch Teil des Problems!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817922300

Als nächster Redner hat Dr . Johann Wadephul von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michaela Noll [CDU/CSU]: Jetzt kommt etwas Vernünftiges!)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1817922400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich kann an die Rede des Kollegen Felgentreu
anknüpfen . Das ist uns heute nicht in jeder Debatte ge-
lungen, aber bei dieser wird es uns gelingen .


(Heiterkeit – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Strohfeuer!)


Ich will Sie herzlich bitten, dem Mandat zuzustimmen .

Frau Höger, was Sie hier abgeliefert haben, ist wirk-
lich ein beredtes Zeugnis der außenpolitischen Hand-
lungsunfähigkeit der Linksfraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michaela Noll [CDU/CSU]: Und Unkenntnis!)


Die Herren Kollegen Liebich und Bartsch machen
ihre Distanz zu Ihren Ausführungen deutlich, indem sie
ganz hinten sitzen .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen, dass die Linksfraktion tief gespalten ist .


(Zuruf von der LINKEN: So ein Unsinn!)


Ich will das in aller Ernsthaftigkeit sagen: Wenn Sie
Bundeswehrmandate und die Anwesenheit von Schiffen
der deutschen Marine in Zusammenhang bringen mit be-
dauerlichen und tief tragischen Todesfällen von Flücht-
lingen, die versuchen, beispielsweise von Libyen über
das Mittelmeer zu kommen, muss ich sagen: Das stellt

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


die Tatsachen nicht nur auf den Kopf, sondern ist eigent-
lich auch eine Beleidigung für alle Bundeswehrsoldaten,
die dort im Einsatz sind und jeden Tag Menschenleben
retten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf der Abg . Christine Buchholz [DIE LINKE])


Dafür sollten wir ihnen danken und nicht Bundeswehr-
mandate diskreditieren .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn an ir-
gendeiner Stelle in dieser Region ein Bundeswehreinsatz
sinnvoll ist, dann hier .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Genau!)


Der Libanon – das ist bekannt; der Kollege Felgentreu
hat das ausgeführt – ist ein absolut destabilisierter Staat .
Es gibt die Hisbollah, die fast ein Staat im Staate ist, die
nach eigenen Regeln handelt, die stark vom Iran beein-
flusst, möglicherweise  sogar  gesteuert wird,  und die  in 
ihrem Grundsatzprogramm stehen hat, den Staat Israel
zu vernichten .


(Abg . Inge Höger [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Das versucht sie auch immer wieder; es werden immer
wieder Angriffe gestartet . Deswegen geht es hier um ein
nur zu begrüßendes militärisches Engagement, das dort –
übrigens unter Führung der UN – geleistet wird .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817922500

Herr Wadephul, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1817922600

Ja, wenn ich diesen Gedanken noch zu Ende führen

darf .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817922700

Aber sicher .


Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1817922800

Sonst komme ich noch völlig aus dem Konzept . –

Deswegen ist es an dieser Stelle wirklich nur zu begrü-
ßen, dass wir auch mit militärischer Gewalt dafür sorgen,
dass die Hisbollah nicht damit weitermachen kann, den
Staat Israel zu bekämpfen und zu beschießen . Deswegen
können wir nur glücklich und zufrieden sein, dass die is-
raelische Regierung mit dem Einsatz unserer Soldatinnen
und Soldaten einverstanden ist . Sie leisten einen guten
Dienst, sie helfen, die Situation zu entkrampfen, und sie
beschützen Israel . Da sind deutsche Soldaten in jedem
Fall und immer gut eingesetzt, meine sehr verehrten Da-
men und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


So, jetzt .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817922900

Gut . – Frau Höger .


Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817923000

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . –

Herr Wadephul, stimmen Sie mir zu, dass Flüchtlinge im
Mittelmeer ertrinken, weil es keine sicheren Herkunfts-
wege gibt, und dass sie ertrinken, weil sich die EU durch
die Mission Frontex abschottet, mit der sie verhindern
will, dass Flüchtlinge legal nach Europa kommen?


Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1817923100

Da stimme ich Ihnen nicht zu, Frau Höger, weil das

eine die tatsächlichen Wirkungen verdrehende Behaup-
tung Ihrerseits ist .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Ja!)


Frontex übernimmt eine ganz normale polizeiliche Auf-
gabe, die zu jeder Staatlichkeit gehört – auch die EU
hat sie sich gegeben, obwohl sie kein Staat ist –, indem
Frontex dafür sorgt, dass unsere Außengrenzen sicher ge-
schützt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist, glaube ich, in unser aller Interesse und in un-
ser aller Sicherheitsinteresse, dass wir eine Polizeieinheit
für einen wirksamen Außenschutz haben . Ihn wollen wir
eher stärken und wollen ihn nicht schwächen . Natürlich
ist es auch die Aufgabe – sie wird übrigens auch von
Frontex-Einheiten wahrgenommen, von Polizeieinhei-
ten genauso wie von Marineeinheiten –, sich um jedes
Flüchtlingsboot zu kümmern und jeden Menschen vor
dem Ertrinken zu retten . Ich sage Ihnen: Unsere Soldaten
und unsere Polizeibeamten – es sind auch viele Beamte
der Bundespolizei im Einsatz – haben mittlerweile Tau-
sende Menschenleben gerettet. Ich finde es wirklich un-
erträglich, dass Sie das ständig diffamieren, anstatt anzu-
erkennen, dass mit Steuermitteln und durch den Einsatz
unserer Leute dort so viel erreicht wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen an dieser Stelle aber keine Flüchtlingsde-
batte führen, sondern miteinander über das UNIFIL-Man-
dat diskutieren . Ich kann Sie wirklich nur dazu aufrufen,
Ihre dogmatische Ablehnung jedes Bundeswehreinsatzes
zu überdenken . Denn dieses Mandat – ich war gerade bei
der militärischen Komponente, was ich aber noch ergän-
zen möchte – hat auch eine Verhandlungskomponente .
Sie waren es, die immer wieder gefordert haben, eine Art
KSZE-Konferenz für den Nahen Osten zu schaffen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dringend notwendig!)


Da sind wir sogar einer Meinung . Bundesaußenminister
Steinmeier hat sogar eine etwas umfassendere Betrach-
tung der Region angestellt und diesen Vorschlag im
Hinblick auf eine mögliche Vermittlung zwischen Sau-
di-Arabien und dem Iran formuliert, was man nur begrü-
ßen und unterstützen kann . Es wäre sehr sinnvoll, wenn
es so etwas gäbe .

Was es gibt, sind zumindest kleine Anfänge . Das UNI-
FIL-Mandat ist keineswegs ein rein militärisches Man-
dat, sondern es wird auch genutzt, um einen Verhand-
lungsrahmen zu schaffen und trilaterale Gespräche zu

Dr. Johann Wadephul






(A) (C)



(B) (D)


ermöglichen: zwischen der libanesischen Regierung, so
schwach sie auch ist, der Hisbollah und Israel . Das zeigt:
Dieses Mandat ist nicht nur eine militärische, sondern
auch eine diplomatische Antwort auf die Konfliktsituati-
on, die wir dort haben .

Deswegen kann ich alle Kolleginnen und Kollegen
des Hauses nur auffordern, diesem Mandat zuzustimmen .
Wir leisten damit einen kleinen, aber nicht zu unterschät-
zenden Beitrag für etwas mehr Frieden und Verständi-
gung in dieser so gebeutelten Region .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817923200

Herzlichen Dank . – Als nächster Redner hat Omid

Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817923300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir dis-

kutieren heute das zehnte Mal über eine Verlängerung
der UNIFIL-Mission . Man muss sich einmal anschauen,
wie es angefangen hat . Ich zitiere:

Bei dem Mandat selbst lautete die Begründung – die
fand ich akzeptabel –, dass wahrscheinlich der Krieg
Israels gegen den Libanon und die Abriegelung des
Libanons nur über eine Aktion der Vereinten Nati-
onen zu stoppen sind . Das war die Ausgangslage .

Diese weisen Worte hat Wolfgang Gehrcke vor drei Wo-
chen von diesem Platz aus gesagt .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Weiß ich!)


Er hat recht .

Deshalb muss man sich anschauen, worauf die UNI-
FIL-Mission damals begründet war . Die UNIFIL-Missi-
on hat einen Krieg beendet, und es war notwendig und
richtig, dass man sich daran beteiligt hat . Es ging auch
um die Stärkung der Vereinten Nationen .

Gleichzeitig muss man auch sagen, dass die UNI-
FIL-Mission im heutigen Nahen Osten zwei große Be-
sonderheiten aufweist:

Die erste ist keine Selbstverständlichkeit: Alle Kon-
fliktparteien wollen diese Mission; das ist beim Libanon 
und bei Israel der Fall .

Die zweite ist: Durch die Ausbildungskomponente
werden die Streitkräfte – die einzige staatliche Instituti-
on, die überkonfessionelles Vertrauen genießt – gestärkt .
Das ist ein Beitrag zur Beendigung der Konfessionalität
des Libanons, auch wenn das noch ein weiter Weg ist .

Aber es gibt etwas, was weit mehr etwas Besonders
darstellt als diese Mission, und das ist der Staat Libanon
selbst . Der Libanon hat es geschafft – das hätten, ehr-
lich gesagt, auch Optimisten vor zwei Jahren nicht mehr
erwartet –, nicht zu kollabieren . Ich glaube, dass die un-
glaubliche Aufgabe, die dort bewältigt worden ist, gerade

heute von der deutschen Öffentlichkeit besser verstanden
werden kann als in den letzten Jahren .

Wir haben über 1 Million Leute aufgenommen, der
Libanon ebenfalls . Wir diskutieren über Arbeitsmarktzu-
gang, über einen Zugang zum Gesundheitssystem, über
Wohnraumfragen und über Hilfen für die Kommunen .
Das sind exakt dieselben Themen, die heute auch im Li-
banon diskutiert werden . Es gibt nur drei Unterschiede:

Der erste Unterschied: Deutschland hat 83 Millionen
Einwohner und hat über 1 Million Flüchtlinge aufgenom-
men, der Libanon hat knapp über 4 Millionen Einwoh-
ner – inklusive der palästinensischen Flüchtlinge .

Der zweite Unterschied: Die Bundesrepublik Deutsch-
land ist die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt; Liba-
non ist auf Platz 84 .

Der dritte Unterschied: Ich finde, wir haben keine be-
sonders tolle Regierung, aber wir haben eine Regierung;
der Libanon hat seit zwei Jahren eine Übergangsregie-
rung, und seit sechs Jahren wurden dort keine Parla-
mentswahlen durchgeführt .

Das alles zeigt, wie unglaublich groß die Leistung
war, die die libanesische Zivilgesellschaft erbracht hat,
und davor kann man nur auf die Knie fallen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Dr . Reinhard Brandl [CDU/CSU])


Die Frage ist: Wie können wir dabei helfen, dass der
Libanon stabiler wird und die Gefahr eines Kollaps wirk-
lich beseitigt wird? Es gibt drei Dinge:

Erstens . Ja, den Kommunen muss geholfen werden .
Dabei ist zentral, zu schauen, dass wir nicht nur den
Flüchtlingen helfen, sondern Infrastruktur schaffen, die
auch den Libanesen selbst hilft . Hier gibt es zum Beispiel
im Bildungs- und im Gesundheitsbereich sehr viel zu tun .

Zweitens . Wir müssen anerkennen, dass wir bei dem
unglaublich riesigen Bedarf, den es dort gibt, nicht so
viel Infrastruktur schaffen können, dass im Libanon
plötzlich blühende Landschaften entstehen . Ich weiß, es
ist zurzeit nicht en vogue, das zu sagen, aber: Wenn Euro-
pa einen Beitrag zur Stabilität des Libanons leisten will,
dann muss Europa auch helfen, indem es Flüchtlinge aus
dem Libanon aufnimmt, die aus Syrien kommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens . Wir müssen politisch investieren . Mittlerwei-
le gab es im Libanon 40 Wahlgänge, in denen versucht
wurde, einen Präsidenten zu wählen . Ja, das Land wird
wieder einmal immer mehr zum Schlachtfeld der Aus-
einandersetzung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien .

Die Legitimitätsdefizite der politischen Elite sind ver-
heerend und natürlich eine Riesenbarriere auf dem Weg,
das Land zu stabilisieren und den Flüchtlingen sowie den
Libanesen zu helfen . Deshalb ist es wichtig, dass wir da-
rauf drängen, dass sich die Eliten des Landes nicht darin
einrichten, dass dieses Land stabil geblieben ist und dass
sie zwar keine Legitimität haben, dass das aber nicht zum
Kollaps geführt hat, und wir müssen alles daransetzen,
dass das Land wieder eine Regierung erhält .

Dr. Johann Wadephul






(A) (C)



(B) (D)


Dafür ist die UNIFIL-Mission ein nicht besonders
großer Beitrag, aber ein Beitrag . Deshalb wird meine
Fraktion dieser Mission mit großer Mehrheit zustimmen .

Libanon ist ein sehr besonderes Land in einer großen
Ausnahmesituation, das ein bisschen mehr Normalität
bräuchte . Hier sollten wir helfen, wo wir können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817923400

Als nächster Redner hat Dr . Reinhard Brandl für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1817923500

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege

Nouripour hat eigentlich alles Wesentliche gesagt .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abstimmung!)


Es kommt selten vor, aber in diesem Fall kann ich mich
ihm weitestgehend anschließen .

Wenn man von einem Land der Welt sagen kann, dass
es sich in einer schwierigen Nachbarschaft befindet, dann 
ist es der Libanon. Die beiden großen Konflikte im Na-
hen Osten stoßen an dieser Stelle zusammen . Der eine
Nachbar auf der Landseite ist Israel mit dem Konflikt um 
Palästina und den unzähligen Auseinandersetzungen mit
der Hisbollah im israelisch-libanesischen Grenzgebiet .
Der andere Konflikt ist in Syrien: Seit 2011 herrscht Bür-
gerkrieg ohne Perspektive auf einen greifbaren Frieden .

Meine Damen und Herren, der Libanon ist ein Land,
das halb so groß wie Hessen ist und das – der Kollege
Nouripour hat es gesagt – ungefähr 1 Million Flüchtlin-
ge aufgenommen hat . Dazu kommen die ständigen Ver-
suche des IS, auch im Libanon Fuß zu fassen . Es gab
im vergangenen Jahr Anschläge des IS auf libanesische
Sicherheitskräfte . Dazu kommt auch noch eine durchaus
fragile libanesische Regierung .

Sie erinnern sich vielleicht an die Bilder der Müllber-
ge im Libanon und die Kampagne: „You stink“ . Mir ist
vor allem der Satz einer libanesischen Kolumnistin im
Gedächtnis geblieben, die damals geschrieben hat – sinn-
gemäß –: Der Libanon hat kein Regierungssystem, gegen
das man revoltieren kann . Das Problem des Libanons ist,
dass es gar kein System hat, das die praktischen innenpo-
litischen Probleme des Landes löst . – Das ist zwar etwas
übertrieben . Dennoch ist die Situation fragil . Der Kollege
Nouripour hat beschrieben, wie lange es schon dauert,
einen Präsidenten zu finden.

Unbestritten ist, dass in dieser fragilen Situation in
diesem Land UNIFIL ein wichtiger Stabilitätsanker ist .
Seit 1978 ist die UN mit Blauhelmsoldaten im Rah-
men von UNIFIL in der Region unterwegs . UNIFIL
unterstützt die Friedensbemühungen mit Israel . UNI-
FIL sichert seeseitig die Grenzen . UNIFIL verhindert
den Waffenschmuggel im Grenzgebiet und insbeson-

dere auch auf See . An UNIFIL beteiligen sich mehr als
10 000 Soldatinnen und Soldaten . Der Flottenverband
umfasst ungefähr 1 000 Soldaten . Zu diesem Flottenver-
band leistet Deutschland einen Beitrag, der im Moment
aus einer Korvette, der „Braunschweig“, und 60 Soldaten
besteht . Deutschlands Beitrag zu UNIFIL ist nicht sehr
groß . Aber der Beitrag ist wichtig . Wir erleben es auch
an anderer Stelle: Auch wenn der deutsche Beitrag nicht
groß ist: Wichtig ist sowohl für Israel als auch für den
Libanon, dass Deutschland mit dabei ist .

Dass UNIFIL nicht nur eine Militärmission ist, son-
dern auch einen wesentlichen Beitrag bei der Vermittlung
zwischen den unterschiedlichen Ländern leistet, zeigt
zum Beispiel, dass die Drei-Parteien-Gespräche, die un-
ter dem Schutz von UNIFIL geführt werden, das einzige
Format sind, in dem Israel und der Libanon direkt mitei-
nander sprechen . Allein deshalb ist UNIFIL ein wichti-
ger Stabilitätsanker für diese Region und sollte deswegen
fortgeführt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


– Vielen Dank . – Meine Damen und Herren, UNIFIL
wird nicht alle Probleme des Libanons lösen . Aber diese
Mission trägt dazu bei, dass im Libanon weniger Proble-
me entstehen . Das ist ein wichtiger Beitrag . Ich bitte Sie
auch deswegen namens meiner Fraktion um Zustimmung
zum Mandat .

Ich möchte am Ende meiner Rede noch etwas zu den
Soldatinnen und Soldaten sagen . Der deutsche Anteil an
UNIFIL ist ein Marineeinsatz . Es wurden hier auch schon
die anderen Marineeinsätze genannt . Atalanta ist ein Bei-
spiel, aber auch EUNAVFOR MED Operation Sophia,
der Einsatz in der Ägäis und jetzt auch UNIFIL . Es sind
im Kern immer wieder die gleichen Soldaten, Soldaten
der Deutschen Marine, die die Mandate für Deutschland
ausführen . Diese Soldatinnen und Soldaten sind zum Teil
hoch belastet und oft über Monate hinweg in mehreren
Mandaten unterwegs . Ich möchte ihnen von dieser Stelle
auch namens meiner Fraktion meinen herzlichen Dank
aussprechen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Sinne bedanke ich mich für den Applaus und
bitte Sie um Ihre Zustimmung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817923600

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United
Nations Interim Force in Lebanon“ . Der Ausschuss
empfiehlt  in  seiner  Beschlussempfehlung  auf  Druck-

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


sache 18/8762, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 18/8624 anzunehmen . Wir stimmen über die
Beschlussempfehlung namentlich ab . Das haben Sie alle
schon gemerkt; deshalb stehen Sie schon an den Urnen .

Wir können die Abstimmung aber erst dann eröffnen,
wenn die Schriftführer ihre Plätze an den Urnen einge-
nommen haben . Ich bitte um das Handzeichen, an wel-
cher Urne die Schriftführer schon da sind . – Solange
nicht alle Schriftführer ihre Plätze eingenommen haben,
kann ich die Abstimmung nicht eröffnen . Deshalb bitte
ich die Schriftführer, sich möglichst schnell dorthin zu
begeben . – Jetzt sind alle Plätze an den Urnen besetzt . Ich
eröffne die Abstimmung .

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sei-
ne Stimme nicht abgegeben hat? – Jetzt haben alle ihre
Stimme abgegeben . Dann schließe ich die Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen, wie üblich, später bekannt gegeben .1)

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 c
sowie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Mieterinnen und Mieter besser schützen –
Zweite Mietrechtsnovelle vorlegen

Drucksache 18/8863

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz (6 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Caren Lay, Heidrun Bluhm,
Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Mietspiegel – Sozial gerecht und mietpreis­
dämpfend erstellen

Drucksachen 18/5230, 18/8754

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6 . Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Für bezahlbare Mietwohnungen – Moderni­
sierungsumlage reduzieren, Luxusmoderni­
sierungen einschränken

Drucksachen 18/7263, 18/8764

ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate
Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise
Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des
Mietanstiegs auf angespannten Wohnungs­
märkten durch Streichung der Rügepflicht
und die Schaffung eines Auskunftsrechts

1) Ergebnis Seite 17694 C

Drucksache 18/8857
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise
Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des
Mietanstiegs auf angespannten Wohnungs­
märkten bei umfassenden Modernisierungen

Drucksache 18/8856
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und
ich kann die Aussprache eröffnen, was hiermit jetzt auch
geschehen ist .

Als erste Rednerin in der Debatte hat Caren Lay von
der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817923700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Vielleicht wollen Sie – bevor jetzt alle zum Som-
merfest der Parlamentarischen Gesellschaft gehen – hier
im Plenum noch ein wenig mit uns diskutieren; denn es
geht um ein wichtiges Thema: die Rechte von Mieterin-
nen und Mietern .


(Beifall bei der LINKEN)


Zwei Beispiele: In der Muskauer Straße in Berlin im
Stadtteil Kreuzberg – nur wenige Autominuten von hier
entfernt – wurde der halbe Block von einem britischen
Investor aufgekauft . Er will das Haus sanieren, er will es
modernisieren . Die Mieter haben mir freundlicherweise
ihre Zahlen zur Verfügung gestellt . Einem Mieter droht
durch diese Art von Entmietungsmaßnahmen, wie ich sa-
gen würde, eine Erhöhung seiner Kaltmiete um sage und
schreibe 79 Prozent .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wahnsinn!)


Anderen im gleichen Haus droht eine Erhöhung der Mie-
te um das fast Dreifache . In Prozentzahlen ausgedrückt
sind es 271 Prozent . Das sind keine Einzelfälle . Wir müs-
sen das endlich stoppen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Einige der betroffenen Mieterinnen und Mieter sind übri-
gens heute zu Gast auf der Tribüne . Ich möchte sie ganz
herzlich willkommen heißen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


In einem anderen Haus, nur wenige Straßen entfernt,
in der Schlesischen Straße, gibt es einen ähnlichen Fall .
Eine Mieterin sagte mir: Ich kann mir die Verdoppelung
meiner Miete nicht leisten . Dann muss ich ausziehen und
den Stadtteil verlassen . Meine Kinder müssen aus der
Kita, meine Kinder müssen die Schule verlassen . – Ihre
Nachbarin ergänzte: Warum lässt es die Politik eigentlich
zu, dass unser gesamter Kiez ausverkauft wird? – Ehrlich
gesagt, diese Frage stelle ich Ihnen, der Koalition, vor
allen Dingen der ach so familienfreundlichen CDU . Wol-
len Sie wirklich Familien zum Umzug zwingen? Wollen
Sie zusehen, wie Kinder aus ihrer Kita, aus ihrem Stadt-
teil gerissen werden? Das kann doch wirklich nicht wahr
sein!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie es nicht wollen, dann frage ich Sie: Warum las-
sen Sie zu, dass es derzeit in unseren Städten tausendfach
passiert? Denn es sind ja keine Einzelfälle .

Die Regierung sieht tatenlos zu, wie Tausende Mie-
terinnen und Mieter herausmodernisiert oder entmietet
werden . Spekulanten und Investoren machen einen ein-
zigen Beutezug durch unsere Städte . Die Regierung sieht
tatenlos zu . Das, meine Damen und Herren, wollen wir
als Linke heute endlich ändern .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bin übrigens auch sehr froh, dass es sehr viele
Mieterinnen und Mieter gibt, die auf die Straße gehen
und sagen: Das lassen wir uns nicht mehr länger bieten . –
Beispielsweise geschieht das im Kiez in Kreuzberg, wo
sich spontan jede Woche Hunderte von Menschen auf der
Straße versammeln. Das finde ich wirklich großartig.

Aber auch die Politik muss handeln . Die Mietpreis-
bremse der Regierung war ja ein einziger Flop, eine
Propagandaleistung . Sie haben die Studien zur Kenntnis
genommen: Selbst dort, wo sie wirkt, ist die Miete im
letzten Jahr um bis zu 17 Prozent gestiegen .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: In Hamburg nicht! In Hamburg minus 1 Prozent!)


Das war wirklich keine gute Leistung . Deswegen muss
die Mietpreisbremse auch endlich nachgebessert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Auf die Zweite Mietrechtsnovelle warten wir bis heu-
te . Minister Maas hat ja angekündigt, dass die Moderni-
sierungsumlage abgesenkt werden soll . Das, was im Re-
ferentenentwurf steht, wird es aus meiner Sicht wirklich
nicht reißen . Aber das Schlimmste ist, dass selbst dieser
Vorschlag von der CDU bis heute boykottiert wird . Erst
heute Mittag durften wir im Newsticker lesen, dass es in
der Koalition keine Einigung gibt . Ehrlich gesagt, dieser
Koalitionsstreit geht zulasten der Mieterinnen und Mie-
ter, die wegen völlig überhöhter Modernisierungskosten
aus ihren Wohnungen verdrängt werden . Bis sich die

Koalition geeinigt hat, sind diese Mieter längst aus ihren
Häusern geflogen. So geht es einfach nicht!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir legen Ihnen als Linke heute gleich drei Anträge
zur Abstimmung vor . Erstens wollen wir, dass die Umla-
ge deutlich gesenkt und perspektivisch auch überwunden
wird . Energetische Gebäudesanierung ist natürlich gut;
aber es ist völlig unsozial, wenn sie allein von den Miete-
rinnen und Mietern getragen wird .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Mieterinnen und Mieter müssen auch das
Recht haben, sich gegen unsinnige Vorschläge wehren zu
können . Nicht nur energetische Modernisierungen, son-
dern auch Luxusmodernisierungen sind ein ganz belieb-
tes Instrument der Entmietung .

Drittens muss der Mietspiegel endlich reformiert wer-
den . In der jetzigen Form ist er ein Mieterhöhungsspie-
gel. Ich finde, ehrlich gesagt, die CDU sollte sich schä-
men, dass ihr die Rendite der Vermieter wichtiger ist als
die Begrenzung der explodierenden Mieten .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Schauen Sie sich die Renditen mal an!)


Ich komme zum Schluss . Die Novelle muss endlich
auf den Tisch, sonst wird es nichts mehr in dieser Legis-
laturperiode .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817923800

Frau Lay, Sie müssen zum Schluss kommen .


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817923900

Ich weiß, dass es letztlich die CDU ist, die blockiert .

Deswegen haben wir heute einen Antrag vorgelegt, dem
auch die SPD zustimmen könnte . Zusammen mit SPD
und Grünen hätten wir eine Mehrheit dafür . Wir bean-
tragen die Sofortabstimmung über unseren Antrag; denn
dieser Beutezug durch unsere Städte muss endlich been-
det werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817924000

Als nächster Redner hat Dr . Luczak von der CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1817924100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegin-

nen und Kollegen! Ich möchte meiner Rede eine ganz
glasklare Aussage voranstellen: Die Union steht an der
Seite der Mieter .


(Zurufe von der SPD: Wo denn?)


Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


Wir wollen nicht, dass Menschen aus ihren angestamm-
ten Vierteln, aus ihren angestammten Wohnungen ver-
drängt werden .


(Ulli Nissen [SPD]: Das freut mich aber!)


Wir, die CDU, waren schon immer die Partei der sozi-
alen Marktwirtschaft . Wir stehen gerade nicht für den
ungezügelten Markt, wir stehen nicht für das Recht des
Stärkeren, sondern wir schützen die Schwachen da, wo
es notwendig ist .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia KottingUhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Das ist Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips, dem wir uns
verpflichtet fühlen. 

Der Wohnungsmarkt ist in der Tat ein spezieller
Markt . Er ist existenziell für viele Menschen . Deswegen
war ein sozial ausgewogenes Mietrecht immer schon Be-
standteil unserer Politik . Da will ich schon einmal auf die
Mietpreisbremse verweisen, die hier kritisiert wird; wir
kommen noch dazu . Sie war Bestandteil unseres Wahl-
programms . Wir haben uns klar dazu bekannt . Aber rich-
tig ist: Die Frage, wie wir die Menschen vor steigenden
Mieten schützen, ist schwierig zu beantworten . Es ist ein
komplexes Regelungsgefüge, mit dem wir uns ausein-
andersetzen müssen . Deswegen bringen uns diese einfa-
chen und populistischen Antworten, die uns die Linken
und die Grünen hier präsentieren, nicht weiter .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Erklären Sie mal, was daran populistisch ist! Unverschämtheit!)


Wir lassen uns auch nicht in die Defensive bringen und
als Blockierer in die Ecke stellen . Uns geht es darum,
nicht nur die Symptome zu bekämpfen, sondern wir
wollen an die Ursachen heran, um nachhaltig gegen stei-
gende Mieten vorzugehen . Das wird mit Ihren Anträgen,
meine Damen und Herren, in keiner Weise erreicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was wollen Sie machen? Sagen Sie mal!)


Für steigende Mieten gibt es viele Ursachen . Natürlich
geht es darum, dass wir vor allen Dingen mehr Bauland
ausweisen müssen . Wir müssen das Bauordnungsrecht
entschlacken . Wir dürfen auch nicht ständig schärfere
Standards beim Bau einführen, und wir müssen schauen,
wo wir steuerliche Anreize setzen können . Da blicke ich
auf unseren Koalitionspartner. Ich finde es sehr bedauer-
lich, dass es bislang nicht gelungen ist, uns zu einigen,
dass das blockiert worden ist .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden aber von Mieten und nicht vom Bauen!)


Wichtig ist, dass wir eine Politik aus einem Guss ha-
ben . Da muss ich schon einmal an die Linken und an die
Grünen  appellieren.  Ich  finde  es  einigermaßen  bemer-
kenswert, dass Sie uns solche Vorlagen präsentieren;
wenn es aber darum geht, die Grunderwerbsteuer zu
erhöhen, dann marschiert zum Beispiel Thüringen vor-

neweg . Da ist gerade beschlossen worden, die Grunder-
werbsteuer auf 6,5 Prozent zu erhöhen .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das hat doch mit steigenden Mieten nichts zu tun!)


Es ist Ihr Ministerpräsident in Thüringen, der das macht
und der von den Grünen unterstützt wird . Das führt na-
türlich dazu, dass Bauen teurer wird, dass die Mieten
steigen und dass die Bildung von Eigentum für junge Fa-
milien erschwert wird .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist doch völliger Quatsch! Die Grunderwerbsteuer zahlen die Eigentümer!)


Deswegen kann ich nur sagen: Es ist unredlich, wie Sie
hier argumentieren . Sie predigen Wasser und trinken
letztlich Wein . Das ist unredlich, das passt nicht zusam-
men, das ist widersprüchlich, und das machen wir nicht
mit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unter dem Strich gilt immer noch der Satz – der ist
und bleibt richtig –: Das einzige Mittel gegen steigende
Mieten ist immer noch bauen, bauen, bauen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Nein, das ist es eben nicht! Das ist falsch!)


Dafür brauchen wir die richtigen Rahmenbedingun-
gen . Es passiert jetzt viel auf dem Wohnungsmarkt:
250 000 fertiggestellte Wohnungen im letzten Jahr – das
ist eine ganze Menge, das ist sogar ein Rekord; aber es ist
immer noch viel zu wenig . Alle sind sich darin einig, dass
wir 400 000 fertiggestellte Wohnungen im Jahr brauchen,
um auf dem Wohnungsmarkt etwas ausrichten zu kön-
nen . Davon sind wir noch sehr weit entfernt . Deswegen
ist für uns als Union klar: Wir dürfen die Rahmenbedin-
gungen nicht so verschlechtern, dass Investitionen in den
Wohnungsneubau und auch Investitionen in die Moder-
nisierung wirtschaftlich nicht mehr tragbar sind . Diesen
positiven Trend auf unserem Wohnungsmarkt dürfen wir
nicht abwürgen .

Aber genau diese Gefahr, dass wir diesen positiven
Trend abwürgen, würde bestehen, wenn wir jetzt Ihren
Vorschlägen folgen würden . Da sieht man wieder einmal:
Ihre Anträge sind mit Ideologie durchtränkt, und sie sind
leider auch von wirtschaftlichem Unverständnis geprägt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie gut, dass Sie so ideologiefrei sind! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben keine Ideologie! Nein!)


Ich kann nicht im Einzelnen auf sämtliche dieser Punkte
eingehen; aber ich will es zumindest an einigen Beispie-
len deutlich machen .

Hinsichtlich der ortsüblichen Vergleichsmiete schla-
gen Sie vor, dass man alle Entgelte in ihre Berechnung

Dr. Jan­Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


einbezieht, also auch die Mieten, die vor 10 Jahren, vor
20 Jahren, vor 30 Jahren gezahlt wurden .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Logisch!)


Damit verkennen Sie völlig, was eigentlich die Funkti-
on eines Mietspiegels, was die Funktion der ortsüblichen
Vergleichsmiete ist . Hier geht es darum, Transparenz auf
dem Mietwohnungsmarkt herzustellen, Mietern wie Ver-
mietern deutlich zu machen, wie hoch die aktuell gültige
Vergleichsmiete ist . Die Umsetzung all dessen, was jetzt
diskutiert wird – etwa die Verlängerung des Betrach-
tungszeitraums von derzeit vier Jahren auf sechs, acht,
zehn oder noch mehr Jahre –, wäre dramatisch,


(Dennis Rohde [SPD]: Das fordert der eigene Senat! Das fordert das Land Berlin im Bundesrat! Herr Luczak, lesen hilft!)


weil die ortsübliche Vergleichsmiete dann sofort sinken
und im Zusammenspiel mit der Mietpreisbremse auf
niedrigem Niveau eingefroren würde .

Manche sagen jetzt: Das ist genau richtig; das wollen
wir ja . – Aber man denkt natürlich überhaupt nicht an die
wirtschaftlichen Folgen, wenn man so argumentiert . Die
Folge wäre doch, dass die Immobilienwerte sinken, weil
die Immobilien natürlich nicht mehr solch hohe Erträge
einspielen . Das würde für die Unternehmen bedeuten,
dass ihre Eigenkapitalquote sinkt, dass ihr Verschul-
dungsgrad steigt und unter dem Strich dann kein Spiel-
raum mehr für Finanzierung, für Investitionen in Neubau
und Modernisierung da ist . Deswegen sagen wir: Was
die ortsübliche Vergleichsmiete angeht, hat sich – das ist
ganz klar – der derzeitige Betrachtungszeitraum von vier
Jahren bewährt; dabei müssen wir bleiben . Wir wollen
nicht, dass Mietspiegel zum politischen Steuerungsins-
trument werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mein letzter Gedanke, den ich noch ausführen möch-
te – meine Redezeit ist schon fast abgelaufen –: Wir
wollen Exzesse bei Mietsteigerungen verhindern . Dafür
brauchen wir zielgenaue Mittel . Wir müssen zum Bei-
spiel gegen Vermieter, die das Instrument der Moderni-
sierung bewusst einsetzen, um Mieter „herauszumoder-
nisieren“, vorgehen . Das ist ganz klar .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Dann machen Sie das doch endlich! Warum lassen Sie sich so viel Zeit?)


Da können wir möglicherweise zu Mitteln des Ordnungs-
rechts greifen . Aber wir dürfen keine Rahmenbedingun-
gen schaffen, die flächendeckend Modernisierungen ver-
hindern, weil wir dann unsere gesamtgesellschaftlichen
Aufgaben, was Klimaschutz und altersgerechten Umbau
anbelangt, nicht erfüllen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817924200


Herr Luczak, auch Sie müssen zum Schluss kommen .


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1817924300

Das alles sind Dinge, denen wir uns gemeinsam ver-

schrieben haben . Wenn wir Ihren Anträgen folgen wür-
den, würde da gar nichts mehr passieren . Deswegen darf
ich Sie bitten: Kehren Sie zur Sachpolitik zurück! Stellen
Sie nicht solche Schaufensteranträge!


(Caren Lay [DIE LINKE]: Sie sitzen das aus!)


Wir führen jetzt gemeinsam mit unserem Koalitionspart-
ner eine vernünftige Mietrechtsreform durch . Sie wird
allen helfen, vor allem den Mietern . Wir wollen Exzesse
bei den Mietsteigerungen unterbinden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817924400

Als nächster Redner hat Chris Kühn von der Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Besucherinnen und
Besucher auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Herr Luczak, mit der Rede, die Sie gerade gehalten
haben, waren schon echt krasse Krokodilstränen verbun-
den . Ich möchte Ihnen ganz klar sagen: Das, was Sie hier
gerade abgeliefert haben, hat überhaupt nichts mehr mit
Sachpolitik zu tun


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ideologie pur!)


und spiegelt auch nicht wider, wie die Union in den letz-
ten drei Jahren aufgetreten ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich muss schon sagen: Wie man handelt und wie man re-
det, sollte nicht so weit auseinandergehen wie bei Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Mietenpolitik dieser Bundesregierung ist schon
ein Drama . Sie haben es schon angesprochen: Die Union
hat im Wahlkampf die Mietpreisbremse gefordert . Die
Kanzlerin hat den Mieterinnen und Mietern in Deutsch-
land das Versprechen gegeben, den Anstieg der Mietprei-
se zu beschränken und die Mieten zu senken . Man kann
nicht sagen, dass dieses Versprechen heute eingelöst ist .
Sie stehen beim Mietrecht im Augenblick nicht an der
Seite der Schwachen, sondern, wie Sie hier argumentie-
ren, an der Seite derjenigen, die dafür sorgen, dass Men-
schen „heraussaniert“ werden, ihre Wohnung verlieren
und sich eine neue Wohnung nicht mehr leisten können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie wissen das besser, Herr Kollege!)


Dr. Jan­Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


Die Verantwortung dafür tragen Sie .

Wenn ich mir Ihre Mietenpolitik anschaue, dann stelle
ich fest, dass Ihr zentrales Gesetzesvorhaben, die Miet-
preisbremse, mittlerweile durchgefallen ist, und zwar
krachend . Es ist deswegen durchgefallen, weil Sie ein-
fach nicht zugehört haben . Die Kollegen der SPD haben
sich wahrscheinlich in irrsinnig vielen Stunden gerade an
Ihnen und anderen abgearbeitet .


(Lachen der Abg . Mechthild Heil [CDU/ CSU])


Vor allem in der Anhörung sind die Kritikpunkte ganz
klar  benannt  worden:  die  Rügepflicht,  die  mangelnde 
Transparenz – man hat keine Auskunft darüber, wie hoch
die Vormiete war –, die Ausnahme beim Neubau, die
Ausnahme bei umfassender Modernisierung .

Bei alledem war von vornherein klar: Die Mietpreis-
bremse in dieser Art und Weise kann nicht funktionie-
ren . – Das haben Ihnen damals alle Experten gesagt . Jetzt
belegen es alle Studien . Sie aber stellen sich hin und er-
klären: Wir haben doch etwas für die Mieterinnen und
Mieter getan, weil wir eine Mietpreisbremse beschlos-
sen haben . – Sie haben ein Gesetz beschlossen, über dem
„Mietpreisbremse“ steht, in dem aber gar keine Bremse
ist, und das haben Sie zu verantworten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese, ich sage mal, Seifenoper, die Sie hier aufge-
führt haben, geht weiter, nämlich mit dem Mietrechtspa-
ket II, bei dem es darum geht, dass Menschen raussaniert
werden . Sie haben im Koalitionsvertrag ein Verspre-
chen gegeben, indem Sie klar gesagt haben: Wir wollen
die Modernisierungsumlage anpacken . Wir wollen die
Mietspiegel reformieren; wir wollen sie rechtssicher
machen . – Nur: Ich sehe im Augenblick keinen gemein-
samen Vorschlag der Bundesregierung oder gar der Gro-
ßen Koalition . Ich weiß gar nicht, für was Sie als Union
stehen . Ich weiß, dass Herr Maas zwei Papiere vorgelegt
hat, die beide an Ihnen gescheitert sind . Das Problem ist,
dass Menschen in diesem Land raussaniert werden; das
ist ein gesellschaftliches Problem . Ganze Wohnungsbe-
stände in Deutschland werden entmietet . Dass Sie sich
darum nicht kümmern, ist wirklich ein Skandal .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Meine Kollegin Caren Lay hat recht, wenn sie sagt: Ih-
nen ist es egal, ob Familien raussaniert werden . – Das,
finde ich, ist für eine Familienpartei wirklich unmöglich.

Ich glaube, die Vorschläge, die Herr Maas in diesen
beiden Papieren gemacht hat, werden leider den gleichen
Gang gehen wie die Mietpreisbremse . Sie werden von
der Union verzögert werden, sie werden durchlöchert
werden, und am Ende wird ein Gerippe übrig bleiben, das
nichts bringt . Damit sind Sie bei Ihrer Mietrechtspolitik
zweimal vollkommen durchgefallen . Der Aufgabe, die
wir haben, nämlich bezahlbaren Wohnraum in Deutsch-

land zu sichern – nicht nur neu zu bauen, sondern auch
zu sichern –, sind Sie wirklich nicht gerecht geworden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben zu diesem Thema zwei Gesetzentwürfe
eingebracht, in denen wir klar sagen: Die Mietpreisbrem-
se muss nachgeschärft werden. Die Rügepflicht muss ab-
geschafft werden . Wir wollen, dass es mehr Transparenz
gibt, dass Mieterinnen und Mieter kontrollieren können,
ob die Mietpreisbremse funktioniert, ob sie bei ihnen
richtig angewendet wird . Wir wollen, dass die Ausnahme
bei umfassender Modernisierung herausgenommen wird;
denn sie ist nicht sachgerecht und führt dazu, dass gera-
de in angespannten Wohnungsmärkten das Raussanieren
noch lukrativer ist, weil man nicht unter die Mietpreis-
bremse fällt .

Die beiden Gesetzentwürfe haben wir eingebracht . Sie
können nun nacharbeiten . Hier können Sie dafür sorgen,
dass das, was Sie beschworen haben, auch geschieht,
nämlich dass der kleine Mann, die Armen, diejenigen,
die sich nicht selbst schützen können, geschützt werden .
Hier können Sie Verbraucherschutz üben . Hier können
Sie Mieterschutz üben . – Sie brauchen nicht den Kopf zu
schütteln, wenn ich rede . – Hier können Sie einmal Farbe
bekennen und zeigen, ob Sie bereit sind, etwas zu ändern
oder nicht . Ich bin gespannt, wie Sie sich am Ende des
Tages entscheiden . Bisher haben Sie sich so entschieden,
dass Sie nicht an der Seite der Mieterinnen und Mieter
stehen . Wir werden Sie weiter treiben und dafür sorgen,
dass es in dieser Legislaturperiode doch noch zu einem
anständigen Mieterschutz kommt .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817924500

Als nächster Redner in der Debatte hat Michael Groß

von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1817924600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Da-

men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
wurde schon mehrfach angesprochen: Die Mietpreise
steigen seit 2010 schneller als die Einkommen, in den
Jahren 2010 bis 2014 um fast 5 Prozent jährlich – inzwi-
schen ist das etwas abgeflacht –, in den großen Städten 
sehr massiv . Das bedeutet, dass Menschen mit einem Jah-
reseinkommen von 10 000, 20 000, 30 000, 40 000 Euro
die Miete zum Teil nicht mehr bezahlen können . Uns
Sozialdemokraten ist das völlig klar, und das nicht erst
seit gestern . Wir sind mit der Mietpreisbremse in den
Wahlkampf gezogen . Wir haben gesagt, dass das Miet-
recht eine soziale Funktion hat . Uns muss niemand in den
Sattel setzen, damit wir dieses Thema weiterverfolgen .
Wir sind dafür, das Mietrecht zu stärken und die Mieter
zu schützen .


(Beifall bei der SPD)


Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


Herr Luczak, ich bin schon etwas irritiert . Ich höre Sie
hier zum dritten oder vierten Mal zu dem Thema . Es ist
fast wie das Murmeltier, das täglich grüßt .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das liegt an den Anträgen!)


Ich lese in der Zeitung ständig, was nicht mit Ihnen geht .
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die
Modernisierungsumlage senken . Sie sagen: Das geht so
nicht . – Wir haben vereinbart, dass wir eine Härtefall-
regelung schaffen wollen, dass wir regeln wollen, dass
Menschen durch die Miete nicht über einen bestimmten
Einkommensanteil hinaus belastet werden . Sie sagen:
Das geht so nicht . Wir würgen Investitionen ab . – Wir ge-
hen davon aus, dass wir das in den nächsten Wochen hin-
bekommen . Wir müssen die Mieter jetzt schützen, weil
sie den Schutz jetzt brauchen und nicht erst in vier oder
fünf Jahren . Sie haben völlig recht, dass wir eine Mo-
dernisierungsumlage brauchen, die Investitionen nicht
abwürgt . Aber Sie können doch nicht davon ausgehen,
dass jemand, in dessen Wohnung 20 000 Euro investiert
worden sind, dauerhaft eine Mieterhöhung um 180 Euro
und mehr tragen kann . Das ist eine soziale Frage, und da
bedarf es einer sozialen Antwort .

Der Verweis auf die soziale Marktwirtschaft war so-
zusagen ein Kernpunkt in Ihrer Argumentation . Soziale
Marktwirtschaft  bedeutet,  dass  Eigentum  verpflichtet 
und dass Eigentum zu schützen ist . Aber wir müssen die
Mieter vor den stattfindenden Exzessen schützen. Sie ha-
ben ja selber gesagt, dass Sie das tun wollen, aber heute
keine einzige Antwort geliefert, wie Sie das tun wollen,
und das ist zu kritisieren, Herr Luczak .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817924700

Herr Groß, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1817924800

Sehr gerne .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Cool! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So was könnt ihr doch im Koalitionsausschuss machen!)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1817924900

Danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . – Keine

Angst, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
tion, wir führen jetzt hier keine koalitionsinternen Ge-
spräche,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Interessant wäre es aber doch!)


aber ich möchte eine Sache, die Herr Groß gesagt hat,
nicht unwidersprochen so stehen lassen .

Sie sagten gerade, dass wir gegen eine Absenkung der
Modernisierungsumlage wären und dass wir dagegen
wären, eine Härtefallregelung einzuführen . Das ist nicht
der Fall . Wir haben diesbezüglich im Koalitionsvertrag

klare Absprachen miteinander getroffen, und zu diesen
Absprachen stehen wir . Wir als Union legen aber großen
Wert darauf, dass wir uns nicht ausschließlich auf das
Regulative konzentrieren . Wir sollten nicht so stark auf
die Symptome schauen, sondern auch danach fragen, was
das geeignete Mittel ist, um steigende Mieten nachhaltig
zu dämpfen und auch langfristig Erfolge zu erzielen . Da
will ich Sie jetzt gar nicht angreifen . Wenn ich aber an
die Opposition und an die Rede von Herrn Kühn denke,
muss ich sagen: Das sind einfache, populistische Ant-
worten, die hier zum Teil gegeben werden .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Was ist denn daran populistisch? Machen Sie das mal!)


Wir wollen hier stattdessen gemeinsam – da hoffen wir
auf Ihre Unterstützung – vernünftige Regelungen schaf-
fen .

Ich möchte also die Behauptung, dass wir uns gegen
vernünftige Regelungen wehren würden, so nicht stehen
lassen . Die Regelungen müssen zielgenau sein . Wir müs-
sen die Exzesse, die wir auf dem Mietwohnungsmarkt
haben, verhindern . Gleichzeitig dürfen wir aber nicht
flächendeckend Modernisierungen  verhindern. Da  bitte 
ich Sie noch einmal um Ihre Auskunft, ob Sie das auch
wollen . Ich kann mir nämlich beim besten Willen nicht
vorstellen, dass wir altersgerechten Umbau und energeti-
sche Sanierungen verhindern wollen .


Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1817925000

Nein, das wollen wir nicht verhindern . Wir haben den

sinnvollen Vorschlag gemacht, die Modernisierungsum-
lage von 11 auf 8 Prozent zu senken, weil damit gesichert
ist, dass Wohnraum bezahlbar bleibt, und wir letztendlich
auch die Ziele erreichen, die Sie gerade genannt haben:
ökologischen Umbau, Energieeffizienz und Barrierefrei-
heit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist ein vernünftiger Vorschlag . Sie wollen noch nicht
einmal die Inhalte, die wir vereinbart haben – die Sen-
kung der Modernisierungsumlage auf 10 Prozent und
die Bindung an die Amortisationszeit – umsetzen . Die
Bindung an die Amortisationszeit haben Sie in Ihrer
Argumentation völlig vergessen; die wollen Sie nicht .
Wir müssen einen Kompromiss finden, und zwar relativ 
schnell . Ich gehe nach Ihrer heutigen Einlassung davon
aus, dass Sie gesprächsbereit sind . – Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, es wird in den nächsten Tagen und Wo-
chen darauf ankommen, dass der Entwurf von Bundes-
minister Heiko Maas gut bewertet wird und wir einen
Kompromiss finden.  Ich glaube,  es  ist  ein gutes Paket. 
Damit werden wir die Härtefallregelung und die Kap-
pungsgrenze angehen und versuchen, den Mietspiegel
auf eine breitere Grundlage zu stellen . Ich glaube, das ist
eine gute Antwort auf die derzeitige Situation . Wir müs-
sen schnell handeln . Daneben – das ist schon angespro-
chen worden – müssen wir natürlich dafür sorgen, dass
genügend bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird . Das

Michael Groß






(A) (C)



(B) (D)


haben wir als Koalition getan . Wir haben die Kompensa-
tionsmittel auf 1 Milliarde Euro erhöht, und wir werden
sie um weitere 500 Millionen Euro erhöhen . Die Länder
geben uns die Rückmeldung, dass das ein gutes Instru-
ment ist, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen .

Herzlichen Dank . Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817925100

Als nächster Redner hat Dr . Volker Ullrich von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1817925200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die heute vorliegenden Anträge geben uns Ge-
legenheit, noch einmal grundsätzlich über gutes und
bezahlbares Wohnen zu sprechen . Ja, wir brauchen in
diesem Land bezahlbare Wohnungen, gerade in großen
Städten, weil es nicht sein kann, dass Menschen ver-
zweifelt nach bezahlbaren Wohnungen suchen oder Leis-
tungsträger dieser Gesellschaft wie Polizisten, Kranken-
schwestern oder Handwerker oftmals lange Pendelwege,
gerade in Metropolen, in Anspruch nehmen müssen .
Deswegen sollten uns Ernsthaftigkeit und Besonnenheit
in dieser Debatte führen . Wenn ich dann Herrn Kühn
höre, der von einem Drama gesprochen hat, oder Äu-
ßerungen über ein irritiertes Murmeltier, dann muss ich
sagen: Das ist nicht die Ernsthaftigkeit, mit der wir diese
Debatte führen sollten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Koalition hat geliefert . Sie hat die versprochene
Mietpreisbremse umgesetzt . Durch eine Mietpreisbrem-
se, eine Regulierung des Preisniveaus, kann natürlich
eines nicht entstehen: der Neubau von Wohnungen . Es
war immer eine zweiseitige Vorgehensweise: Zum einen
ging es um die Regulierung des Mietenniveaus – das
haben wir umgesetzt –, und zum anderen brauchen wir
die Neuschaffung von bezahlbarem Wohnraum . Gerade
in großen Städten lassen sich nur durch Preisregulierung
und Schaffung von neuem Wohnraum die Engpässe be-
seitigen . Wir brauchen neuen Wohnraum, und wir sollten
nicht nur die Mietenhöhe regulieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir reden heute aber über das Mietrecht und nicht über den Neubau!)


Wir wollen – die Politik der Union ist umfassend –
insgesamt vier Dinge regeln, die uns wichtig sind:

Erstens werden wir eine steuerliche Förderung von
Neubauten


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es wird zu Mitnahmeeffekten kommen!)


durch eine Sonderabschreibung gerade in angespannten
Wohnungsmärkten auf den Weg bringen . Dabei wird
auch darüber zu sprechen sein, ob wir nicht die Eigen-

heimzulage gerade für junge Familien mit Kindern wie-
der einführen sollten .

Zweitens . Wir müssen auch über die Standards reden .
Natürlich sind Umweltverträglichkeitsprüfung, Klima-
schutz, Stellplatzablöse, Brandschutz sehr ehrenwerte
Motive, die man beachten muss und beachten sollte . Man
muss sich aber überlegen, ob man das gleiche Niveau an
Schutz nicht auch durch weniger Baukosten erreichen
kann . Diese Fragen, wodurch Bauen günstiger wird, was
Familien und Wohnungssuchenden zugutekommt, wer-
den wir angehen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn drei Jahre lang gemacht? Alle Vorschläge liegen vor! Sagen Sie mal, was Sie wollen!)


Drittens . Wir müssen auch an die Kommunen heran-
treten und über das Baurecht sprechen . Wir müssen ganz
konkret deutlich machen, dass, damit Kommunen nach-
verdichten können, Bebauungspläne, auch Übertragun-
gen von Immobilien des Bundes an die Kommunen, in
verstärktem Maß möglich sein sollen, damit in den Zen-
tren der Städte neue Wohnungen entstehen .

Viertens . Wir brauchen auch ein kluges Mietrecht; das
ist gar keine Frage . Das Mietrecht ist immer eine Balance
zwischen dem Eigentumsgrundrecht des Vermieters und
dem sozialen Interesse des Mieters .

Bei dieser Debatte sollten wir uns nicht allein von
Zerrbildern oder vom Schwarz-Weiß-Denken leiten las-
sen . Ja, es gibt in diesem Land Exzesse; es gibt Exzesse
bei Investoren, die Mieter aus ihren angestammten Woh-
nungen heraustreiben .


(Ulli Nissen [SPD]: Leider viel zu viele!)


Dagegen werden wir vorgehen; das haben wir im Blick .
Aber es gibt eben auch eine andere Realität in diesem
Land . Es gibt die Realität von Millionen von Mietern,
die seit Jahrzehnten friedlich und vertrauensvoll in
Wohnungen ihres Vermieters leben . Fast die Hälfte des
Wohnungsbestandes in Deutschland ist in Händen von
Eigentümern, die nur ein Objekt haben . Dieses vertrau-
ensvolle Miteinander von Vermietern und Mietern wollen
wir schützen . Dafür werden wir behutsam ein Mietrecht
novellieren, das beide Aspekte im Blick hat . Natürlich
werden wir über eine Härtefallregelung sprechen und
über die Modernisierungsumlage . Aber wir werden das
so machen, dass wir die Menschen nicht gegeneinander
ausspielen, sondern sie mitnehmen und eine Lösung fin-
den, die für beide Seiten interessengerecht ist . Das ist die
Politik der Union: nicht ausspielen, sondern mitnehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden uns also vom Koalitionsvertrag und von
einem Mietrecht leiten lassen, das Investitionen nicht
bremst, Menschen schützt und letztlich zu gutem und
bezahlbarem Wohnen führt . In diesem Sinne: Vertrauen
Sie uns! Auf gute Beratungen! Ihre Anträge werden wir
ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Michael Groß






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817925300

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dennis Rohde

von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dennis Rohde (SPD):
Rede ID: ID1817925400

Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Herr Luczak, nach der Zwischenfrage,
die Sie gerade dem Kollegen Groß gestellt haben, kann
man eigentlich nur den Kopf schütteln . Wenn Sie sagen,
dass eine deutliche Absenkung der Modernisierungsum-
lage – sagen wir auf 8 Prozent – und die Verlängerung
des Bezugszeitraums beim Mietspiegel Populismus sind,
dann frage ich mich ernsthaft, warum eigentlich der
rot-schwarze Senat in Berlin genau das beschlossen hat .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich frage Sie: Was werfen Sie Ihren Parteifreunden im
eigenen Bundesland vor, die sich für genau das einsetzen,
wogegen Sie hier Reden halten?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da fragt man sich, ob der Schutz von Mieterinnen und
Mietern für die CDU/CSU nur in Wahlkampfzeiten inte-
ressant ist oder ob wir jetzt einmal Butter bei die Fische
geben und das Ganze hier auch umsetzen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte deutlich machen: Für uns ist Wohnraum
mehr als Lebensraum . Für uns ist die Schaffung und die
Aufrechterhaltung von bezahlbarem Wohnraum auch
eine zentrale Frage für den sozialen Zusammenhalt in
unserer Gesellschaft .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Für uns ist Wohnpolitik auch Sozialpolitik und deswegen
ganz besonders wichtig .


(Beifall bei der SPD)


Leider haben wir in Deutschland 294 angespannte
Wohnungsmärkte, die von den Landesregierungen so
eingestuft wurden . Das sind Wohnungsmärkte, um die
wir uns heute zu kümmern haben – nicht in drei Jahren,
nicht in fünf Jahren . Die Menschen brauchen heute unse-
re Hilfe . Das sind wir angegangen . Wir haben die Miet-
preisbremse auf den Weg gebracht . Wir haben das Be-
stellerprinzip bei den Immobilienmaklern auf den Weg
gebracht . Für uns ist auch klar: Wenn es Probleme bei der
Mietpreisbremse gibt, wenn dort nachgebessert werden
muss, dann machen wir uns diese Forderung zu eigen .
Wir Sozialdemokraten wollen eine Mietpreisbremse, die
auch wirkt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zu!)


Das nächste Problem sind die Mietspiegel . Mietspie-
gel sind ein richtiges Instrument, um die ortsübliche
Vergleichsmiete darzustellen . Leider haben von den 294
angespannten Wohnungsmärkten nur 77 einen Mietspie-
gel . Wenn man sich damit auseinandersetzt, warum sie
keinen Mietspiegel haben, wenn man sich mit Kom-
munalpolitikern unterhält, die Verantwortung vor Ort
tragen, dann kommt immer wieder dieselbe Antwort:
Wir wollen heute keinen Mietspiegel rausbringen, weil
ein Betrachtungszeitraum von vier Jahren in einem dy-
namischen Markt einzig und allein dazu führt, dass das
aufgenommen wird, was sich entwickelt hat, nämlich
sowieso schon überteuerte Mieten . – Die Kommunalpo-
litiker sagen, dass sie kein Interesse haben, weitere Miet-
erhöhungen zu erleichtern . Ich sage: Recht haben unsere
Kommunalpolitiker .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist das, was auch der CDU-Justizsenator in Ber-
lin vorschlägt, nämlich den Betrachtungszeitraum zu
verlängern,  genau  die  richtige Antwort.  Ich  finde,  wir 
sollten diese Antwort zeitnah geben, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das wäre auch okay, wenn man das historisch herlei-
ten will . Als die Mietspiegel 1971 eingeführt wurden,
gab es überhaupt keinen Betrachtungszeitraum . Damals
hat man alle abgeschlossenen Mietverträge einbezogen .
Von daher ist es eine sozial sehr ausgewogene Entschei-
dung, zu sagen: Wir berücksichtigen zwar nicht alle
Mietverträge, aber verlängern den Betrachtungszeitraum
auf acht Jahre und dämpfen damit die Mietanstiege . – So
sähe verlässliche Politik aus .


(Beifall bei der SPD)


Zur Modernisierungsumlage . Sie wurde 1978 mit
11 Prozent eingeführt . Seitdem wurde nichts verändert .
In einem anhaltenden Niedrigzinsumfeld müssen wir da
ran .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Wie kann eine Modernisierung finanziert werden? Sehen 
wir uns einmal die aktuellen KfW-Programme an . Beim
KfW-Programm 159 „Altersgerecht Umbauen“ beträgt
der Zinssatz für die nächsten zehn Jahre 0,75 Prozent .
Eine Modernisierung kann dazu genutzt werden, Leute
herauszumodernisieren und kräftig Rendite zu machen .
Ich  finde,  das  dürfen  wir  in  einer  sozialen Marktwirt-
schaft nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich könnte weitere Punkte unseres Gesetzentwurfs
anführen, möchte es aber dabei bewenden lassen . Statt-
dessen möchte ich versöhnlich einen der ersten Sätze des
Kollegen Luczak aufgreifen: Wir wollen etwas für die






(A) (C)



(B) (D)


Mieterinnen und Mieter machen . – Lassen Sie uns end-
lich damit anfangen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817925500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache .

Bevor ich zu den Abstimmungen komme, möchte ich
Ihnen kurz das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim­

mung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Fort-
setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an der ‚United Nations Interim Force in Lebanon‘

(UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006)

und nachfolgender Verlängerungsresolutionen des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt Resoluti-
on 2236 (2015) vom 21 . August 2015“ mitteilen – es han-
delt sich um die Drucksachen 18/8624 und 18/8762 –:
Abgegeben wurden 567 Stimmen . Davon haben mit Ja
gestimmt 496, mit Nein haben gestimmt 66, und 5 Kol-
leginnen und Kollegen haben sich enthalten . Damit ist
diese Beschlussempfehlung angenommen worden .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 567;
davon

ja: 496
nein: 66
enthalten: 5

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz

Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider

Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Hartmut Koschyk

Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg

Dennis Rohde






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Monstadt
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker

Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke

Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel

Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen






(A) (C)



(B) (D)


Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen

Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu

Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Nein

SPD

Klaus Barthel
Willi Brase
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Hiller-Ohm
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij

Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar
Hans-Christian Ströbele

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)

Cansel Kiziltepe

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Lisa Paus
Corinna Rüffer
Dr . Harald Terpe






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen über die
Anträge, die wir eben debattiert haben . Zunächst zum
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8863
mit dem Titel „Mieterinnen und Mieter besser schützen –
Zweite Mietrechtsnovelle vorlegen“ . Die Fraktion Die
Linke wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktio-
nen von CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung,
und zwar federführend an den Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz und mitberatend an den Innenaus-
schuss und an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit . Wir stimmen nach unseren
Gepflogenheiten zuerst über den Antrag auf Ausschuss-
überweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für die
beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist die Überweisung mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition be-
schlossen . Damit stimmen wir heute über den Antrag auf
Drucksache 18/8863 nicht in der Sache ab .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mietspiegel – Sozi-
al gerecht und mietpreisdämpfend erstellen“ . Der Aus-
schuss  empfiehlt  in  seiner  Beschlussempfehlung  auf 
Drucksache 18/8754, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/5230 abzulehnen . Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 13 c, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für be-
zahlbare Mietwohnungen – Modernisierungsumlage re-
duzieren, Luxusmodernisierungen einschränken“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf 
Drucksache 18/8764, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/7263 abzulehnen . – Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Beschlussemp-
fehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .

Zusatzpunkte 6 und 7 . Interfraktionell wird die
Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksa-
chen 18/8857 und 18/8856 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-

desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Neunten Gesetzes zur Änderung des Zwei­
ten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsver­
einfachung
Drucksache 18/8041
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11 . Ausschuss)

Drucksache 18/8909


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/8910

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Katja
Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Die Gewährleistung des Existenz­ und Teil­
habeminimums verbessern – Keine Rechts­
vereinfachung auf Kosten der Betroffenen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Grundsicherung einfacher und gerechter
gestalten – Jobcenter entlasten

Drucksachen 18/8076, 18/8077, 18/8909

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen je
ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Über den Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden
wir später namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in die-
ser Debatte hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Anette Kramme für die Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei der SPD)


A
Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1817925600


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bund und Länder haben einen Prozess hin-
ter sich gebracht: Sie haben lange an einer Reform des
Sozialgesetzbuches II gearbeitet, für die Jobcenter, für
die Leistungsbezieher und Leistungsbezieherinnen und
schließlich auch für die Sozialgerichte . Das vorliegen-
de Gesetz bringt Fortschritte . Unnötige Bescheide fallen
weg . Die Beratung und auch die Einbindung mithilfe von
Integrationsvereinbarungen werden verbessert . Auszu-
bildende können künftig Leistungen des Sozialgesetzbu-
ches II erhalten . Durch Klärungen und Vereinfachungen
im Verfahrensrecht schafft das Gesetz mehr Rechtssi-
cherheit . Entsprechend dem Struck’schen Gesetz hat die
Beratung hier im Parlament den Gesetzentwurf an der
einen oder anderen Stelle noch besser gemacht .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kol-
legen und Kolleginnen, dass Auszubildende, wenn Aus-
bildungsförderung und Ausbildungsvergütung nicht zum
Leben reichen, in Zukunft unkompliziert ergänzend Ar-

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


beitslosengeld II beziehen können, ist ein echter Meilen-
stein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zusätzlich haben wir eine Härtefallregelung aufgenom-
men . Dadurch bekommen auch diejenigen eine Chance,
die erst spät die Kurve kriegen . Auch sie können jenseits
der Altersgrenze von 30 Jahren eine schulische Ausbil-
dung machen, finanziert über einen Zuschuss. 

So wichtig und richtig diese Regelung im Grundsatz
ist, so will ich doch nicht verhehlen, dass sich das Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales hier auch eine
andere Lösung hätte vorstellen können, nämlich über
eine Anpassung der Altersgrenze im BAföG . Wir müssen
über diesen Punkt sicherlich perspektivisch diskutieren .


(Beifall bei der SPD)


Entscheidend ist aber: Wir ermöglichen jungen und auch
etwas älteren Menschen trotz schwieriger Umstände
doch noch den Start ins Arbeitsleben .

Beim Übergang in den Beruf, auch nach langer Ar-
beitslosigkeit, ist es oft gut und sinnvoll, die Menschen
noch eine Weile im Job nachgehend zu begleiten und
zu betreuen . Das haben wir jetzt in diesem Gesetz ver-
einbart . Wir haben damit eine Forderung umgesetzt, die
sowohl aus den Reihen der Bundesagentur, aber auch im-
mer wieder aus den Reihen der Wissenschaft vorgetragen
worden ist .

Wir haben im Zuge der Beratungen im Haus auch an
einer anderen Stelle Klarheit geschaffen: Eine Verschär-
fung der sogenannten Zwangsverrentung wollen wir
nicht . Das ist im Gesetz nicht vorgesehen .


(Beifall bei der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: War aber vorgesehen! – Gegenruf der Abg . Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/ CSU]: Die Dinge ändern sich!)


Es gab zwischenzeitlich aufgeregte Debatten auch
über das Thema „temporäre Bedarfsgemeinschaften“ .
Wie immer, wenn die Wellen hochschlagen, ist auch
hier einiges durcheinandergeraten . Ich kann Ihnen dazu
klipp und klar sagen: Es ging uns zu keiner Zeit um eine
Schlechterstellung der Betroffenen,


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Bundesregierung hatte es beschlossen als Vorschlag, als Formulierungshilfe! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Aber wir sind das Parlament! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Parlament nicht, das ist richtig!)


weder in Bezug auf die aktuelle Rechtspraxis noch in Be-
zug auf die geltende Rechtslage . Unsere Maßgabe war
immer: Die besondere Situation von Alleinerziehenden
und ihre Mehrbedarfe werden weiter berücksichtigt, und
die Leistungen werden weiterhin an den überwiegend be-
treuenden Elternteil ausgezahlt .


(Beifall bei der SPD)


Entzündet hat sich die Debatte an der Aufteilung der
Leistung . Dies ist bereits geltendes Recht . Sie hätte sich
durch die diskutierten Vorschläge, bei denen es nicht um
eine Kürzung, sondern um ein Verfahren der Aufteilung
der Leistung zwischen beiden Haushalten der Eltern
ging, nicht verändert . Aber wir wollen ausschließen, dass
es durch ein neues Verfahren zu einer Verschlechterung
im Einzelfall kommt . Darum haben wir die Regelung aus
dem Gesetzentwurf herausgenommen .

Einen Punkt möchte ich abschließend noch nennen .
Menschen, die schon lange ohne Arbeit sind, haben meist
einen langen Weg vor sich, bis sie wieder im allgemei-
nen Arbeitsmarkt Fuß fassen können . Es ist eines unserer
zentralen Anliegen, sie auf diesem Weg zu begleiten, zu
stabilisieren und zu unterstützen, und zwar durch inten-
sive Beratung und Betreuung und auch durch das Ange-
bot von Arbeitsgelegenheiten . Dabei sollen künftig auch
die Kosten sozialpädagogischer Betreuung übernommen
werden . In den Fällen, in denen 24 Monate nicht ausrei-
chen, um die Menschen zu stabilisieren, soll es in Zu-
kunft möglich sein, ein weiteres Jahr dranzuhängen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass
es uns gelungen ist, diesen langwierigen Prozess nun
zum Ende zu bringen . Sicher: Mehr geht immer . Und ich
sage an dieser Stelle ganz klar: Das Thema Sanktionen ist
für uns auch mit diesem Gesetz nicht erledigt .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Kai Whittaker [CDU/CSU])


Aber ich denke, wir haben etwas erreicht, das sich sehen
lassen kann .

In diesem Sinne: Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817925700

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

Katja Kipping .


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817925800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Kramme, was lange währt, wird eben doch nicht immer
gut .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Deshalb haben Sie auch nur drei Minuten!)


So ist es bei diesem Gesetzentwurf . Der Titel verspricht
Rechtsvereinfachung; in der Praxis bedeutet der Inhalt
des Gesetzes aber weniger Rechte für Erwerbslose, eine
zweite Säule bei Sanktionen für Erwerbslose und Mehr-
belastungen für die Mitarbeiter in den Jobcentern .


(Iris Gleicke [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Das muss man erst einmal hinbekommen: es den Leu-
ten auf beiden Seiten des Tisches schwerer zu machen .

Parl. Staatssekretärin Anette Kramme






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen sage ich ganz klar: Aus dieser Rechtsvereinfa-
chung wird nichts Gutes; das ist einfach nur eine Rechts-
verschärfung . Ich fordere Frau Nahles auf – sie ist leider
nicht anwesend –: Tun Sie sich selbst, den Erwerbslosen,
den Aufstockenden und den Beschäftigten einen Gefal-
len, und ziehen Sie diesen Murks einfach zurück!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn das Thema Sanktionen für Sie nicht erledigt ist,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, können
Sie heute zwei Änderungsanträgen zustimmen . Wir von
der Linken fordern die komplette Abschaffung der Sank-
tionen,


(Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Wir wollen kein bedingungsloses Grundeinkommen!)


und die Grünen fordern, wenigstens die 100-Pro-
zent-Sanktionen für unter 25-Jährige zurückzuziehen . Da
können Sie doch zustimmen . Das wäre keine Revolution .
Sie haben immer gesagt, Sie wollen hier etwas machen .
Jetzt können Sie es tun . Stimmen Sie einfach den Ände-
rungsanträgen zu .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Werden Sie erst einmal regierungsfähig!)


Aus Zeitgründen kann ich mich nur auf einen Kritik-
punkt konzentrieren . Ich möchte über die Trennungs-
kinder in Hartz-IV-Familien sprechen, auch bekannt als
temporäre Bedarfsgemeinschaften . Natürlich hatte das
Kabinett Verschlechterungen beschlossen .


(Markus Paschke [SPD]: Das ist falsch!)


Dass Sie nun gar nichts zu diesem Thema beschlie-
ßen, löst kein einziges Problem für Trennungskinder in
Hartz-IV-Familien . Fakt ist doch: Wenn die Eltern ge-
trennt leben und das Kind mit beiden Umgang hat, dann
fallen Mehrkosten an .


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist Sand in die Augen der Leute streuen, was Sie da machen!)


Manche Dinge müssen dann doppelt angeschafft werden .
Es fallen zum Beispiel Fahrtkosten an . Sie werden doch
nicht erwarten, dass das Kind sein Kinderbett unter dem
Arm nimmt und den gesamten Hausrat in den Rucksack
packt und damit den anderen Elternteil besucht .


(Iris Gleicke [SPD]: Es geht gar nicht um Kinderbetten!)


Das Mindeste, was wir brauchen, ist ein Umgangsmehr-
bedarf . Der gehört jetzt her .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Iris Gleicke [SPD]: Sie verunsichern die Leute! – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Sie wissen gar nichts! Unglaublich!)


Alle Familienverbände fordern einen Umgangsmehr-
bedarf . Ein Umgangsmehrbedarf bei Trennungskindern

in Hartz-IV-Familien löst nicht alle Probleme, könnte
aber etwas Entlastung bringen in einer familiären Situati-
on, die sowieso angespannt ist, die auch finanziell ange-
spannt ist . Aber dieses kleine Glück von armen Kindern
opfern Sie der schwarzen Null . Es ist beschämend, dass
Sie nicht einmal diesen Umgangsmehrbedarf gegenüber
Herrn Schäuble durchsetzen konnten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Die schwarze Null ist auch für diese Kinder!)


Wie beschämend das ist, wird deutlich, wenn man
das einer anderen Entscheidung aus dieser Woche ge-
genüberstellt, der Entscheidung zur Erbschaftsteuer . Um
es klar zu sagen: Bei Millionärserben hat Schwarz-Rot
die Spendierhosen an, bei armen Trennungskindern im
Hartz-IV-Bezug knausern Sie aber wie verrückt . Das ist
die falsche Prioritätensetzung .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)


Dieses Gesetzesvorhaben war geprägt durch die irrige
Vorstellung, wenn man den Vollzug etwas reibungslo-
ser macht, dann könne man sich Hartz IV aufhübschen .
Durch kosmetische Korrekturen wird Hartz IV nicht schö-
ner . Für uns steht einmal mehr fest: Das Hartz-IV-Sank-
tionssystem gehört in Gänze abgeschafft und mindestens
durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung und gute Ar-
beit ersetzt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817925900

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Professor

Dr . Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1817926000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Kipping, in eine Redezeit von drei Minuten so viel Inhalt
zu packen, der mit dem Gesetzentwurf eigentlich über-
haupt nichts zu tun hat, dafür haben Sie schon meine be-
sondere Hochachtung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Mit der Realität der Menschen!)


Ich muss sehr deutlich sagen: Der einzige Satz, bei dem
ich aufgehorcht habe, war der Satz: „Ich komme jetzt
zum Schluss“, und das war auch der beste Satz .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, die Staatssekretärin hat
auf die Genese des Gesetzentwurfs hingewiesen . Das ist
kein Gesetz für große Schlagzeilen, kein Gesetz für die
Talkshows . Das ist eigentlich eher ein Gesetz aus dem
Maschinenraum der Gesellschaft, mit dem wir bestimm-
te Dinge effizienter gestalten wollen, mit dem wir Dinge 
beschleunigen wollen, mit dem wir Dinge transparenter
machen wollen .

Der Gesetzentwurf hat eine lange Vorgeschichte . Es
geht um das, was eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe 2013
und 2014 zur Vereinfachung des Leistungsrechts und des
Verfahrensrechts erarbeitet hat . Wir haben diese Vorlage
in den parlamentarischen Beratungen genutzt, um eini-
ge arbeitsmarktpolitische Instrumente zu schärfen oder
neu aufzunehmen . Wir haben uns dabei von dem Ziel
leiten lassen, das SGB II durch eine Vereinfachung von
Verwaltungsvorschriften  effizienter  zu machen. Für  die 
Bezieher soll es transparenter werden . Gerade Bestehen
und Umfang von Rechtsansprüchen sollen besser erklärt
werden . Dadurch sollen die Menschen besser in den Ar-
beitsmarkt integriert werden . Das ist auch die Messlatte,
an der wir dieses Gesetz messen wollen .

Ich will aus der Vielzahl von Regelungen einige bei-
spielhaft aufgreifen, die uns an dieser Stelle besonders
wichtig gewesen sind . Die Schnittstelle von Ausbil-
dungsförderung und SGB II hat die Staatssekretärin be-
reits erwähnt . Hinzu kommt eine Härtefallregelung für
Umschüler, die wegen Überschreitung der Altersgrenze
keinen Anspruch auf BAföG hätten . Wir wollen nicht,
dass das zu einem Ausbildungsabbruch führt . Daher wol-
len wir mit der Härtefallregelung dafür sorgen, dass eine
begonnene Ausbildung zu Ende gebracht werden kann .

Ebenfalls für uns wichtig war eine Flexibilisierung
der sogenannten Zwei-in-Fünf-Regelung, also mit an-
deren Worten, dass wir Arbeitsgelegenheiten innerhalb
von fünf Jahren nur für zwei Jahre anbieten können . Es
ist nun wirklich häufig der Fall, dass Menschen auf dem 
Weg in den ersten Arbeitsmarkt nach 24 Monaten viel-
leicht noch nicht so weit sind, dass sie vielleicht 26, 28,
30 Monate brauchen. Wir wollen, dass wir da etwas fle-
xibler werden, dass die Menschen eine Chance haben,
auf den ersten Arbeitsmarkt zu kommen . Wir haben aus-
drücklich in die Begründung geschrieben, wen wir damit
besonders meinen und besonders fördern wollen, näm-
lich Ältere  und  Familien mit  schulpflichtigen Kindern. 
Ich glaube, an dieser Stelle ist das eine wirklich sinnvolle
Maßnahme .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben darüber hinaus bei der Einrichtung der
AGHs – das ist ja auch immer Diskussionsstoff gewesen,
weil gesagt wurde, dass die Zusätzlichkeit, die Wettbe-
werbsneutralität etc . ein großes Problem sind – gesagt:
Lasst uns den Sozialpartnern vor Ort mehr Mitsprache
geben . Das exkulpiert jetzt den Geschäftsführer nicht
von seiner juristischen Verantwortung, aber wenn die So-
zialpartner sagen: „Lieber Geschäftsführer, das ist wett-
bewerbsneutral, damit haben wir eigentlich überhaupt
keine Probleme“, dann, finde  ich,  ist das ein deutlicher 
Fortschritt . Wenn ein responsiver Geschäftsführer – die
meisten sind es – im Amte ist, dann wird er auf seine

Geschäftspartner hören . Wir haben da sicherlich einen
erheblichen Fortschritt in der Frage, wer eine AGH be-
kommen kann .

Wir haben außerdem die Integrationsbetriebe für psy-
chisch Kranke geöffnet . Der Kollege Whittaker wird
wahrscheinlich noch einiges dazu sagen .

Wir haben als neues Basisinstrument den neuen § 16h
SGB II, in dem wir passgenaue Lösungen vor allen Din-
gen für schwer erreichbare junge Menschen anbieten
wollen . Ich glaube nämlich wirklich – das ist bisher einer
der großen Skandale –, dass wir gerade junge Menschen
in den ersten Arbeitsmarkt sehr viel stärker integrieren
müssen; denn die Folgen, wenn wir es nicht tun, werden
uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf Trab hal-
ten . Deswegen ist das an dieser Stelle eine sehr sinnvolle
Lösung .

Wir haben darüber hinaus die Pflicht zur Zusammen-
arbeit der Behörden untereinander gestärkt, insbesondere
um Familien und junge Menschen zu fördern, um sie aus
dem Leistungsbezug herauszuholen .

Wir haben in den vergangenen Tagen eine öffentliche
Debatte über einige Punkte, auf die ich noch ganz kurz
eingehen will, gehabt . Wir haben den Grundsatz des For-
derns in dem Gesetz gestärkt . Das heißt, SGB II ist eine
nachrangige Leistung . Vorher müssen erst einmal alle
anderen Sozialleistungen abgefragt werden . Wir haben
die Mitwirkungspflichten derjenigen, die im SGB-II-Be-
zug sind, deutlich angehoben und sie darauf verpflichtet, 
mitzuwirken, um andere Sozialleistungen beantragen zu
können . Wir haben sehr deutlich in die Begründung ge-
schrieben, dass das nicht für die Rente gilt .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das steht sogar im Gesetzestext selber, nicht nur in der Begründung!)


– Vielen Dank, lieber Kollege Birkwald . Richtig, es steht
auch an anderer Stelle . Aber die Zwangsverrentung ist
explizit mit diesem Thema nicht gemeint .

Wir haben aufgrund vieler Anschreiben, die wir be-
kommen haben, das Abtretungsverbot, das relativ rigide
formuliert gewesen ist, etwas zurückgenommen, weil es
für SGB-II-Bezieher teilweise sinnvoll sein kann, eine
Abtretung von Leistungen gegenüber anderen Trägern
vorzunehmen . Das halte ich für ausgesprochen sinnvoll .

Bei den temporären Bedarfsgemeinschaften bleibt es
bei der alten Regelung . Es ist also nicht so, dass wir be-
sondere Mehrbedarfe eingeführt hätten . Die alte Rege-
lung kennt ohnehin schon Mehrbedarfe . Insofern, liebe
Frau Kollegin Kipping, ist die Aufregung da völlig um-
sonst gewesen .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wer weiß, was passiert wäre, wenn wir uns nicht aufgeregt hätten!)


Ganz bewusst nicht geregelt haben wir die Frage von
Sanktionen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist schlecht!)


Dr. Matthias Zimmer






(A) (C)



(B) (D)


Das sollte in solch einem Gesetz auch nicht der Fall sein .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja wo denn sonst?)


Meine Damen und Herren, ich hatte gesagt: Das ist
das neunte SGB-II-Änderungsgesetz . Das SGB II ist
im Jahr 2005 „ans Netz gegangen“ . Wer rechnen kann,
sieht: Im Schnitt gab es in jedem Jahr ein Änderungs-
gesetz . Das ist eine ganze Menge . Das zeigt nicht, dass
wir schlechte Gesetze machen, sondern das zeigt, dass
das SGB II ein responsives, lernendes System ist, wie es
Karl Schiewerling häufig formuliert hat, ein  lebendiges 
System und dass es sich lohnt, in diesem System nach-
zusteuern – für die Betroffenen, für die Mitarbeiter, für
die örtlichen Akteure, aber auch für die gesamte Gesell-
schaft .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe zu Anfang gesagt, meine Damen und Herren:
Das ist ein Gesetzentwurf aus dem Maschinenraum der
Gesellschaft . Ich möchte zum Abschluss sozusagen den
Maschinisten danken, die mit uns den Gesetzentwurf auf
den Weg gebracht haben, den Berichterstattern der SPD,
den Obermaschinisten aus der Bundesregierung und aus
dem Ministerium für Arbeit und Soziales . Ich glaube, das
ist ein guter Gesetzentwurf . Ich kann die Zustimmung
vorbehaltlos empfehlen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817926100

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn . Bitte schön .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Gesetzentwurf ist überschrieben mit „Rechtsver-
einfachung“ . Das wäre eigentlich unbedingt notwendig,
denn das Leistungsrecht bei der Grundsicherung ist ex-
trem kompliziert und kaum durchschaubar . Man muss
dazusagen: Es geht um ein Grundrecht, nämlich das
Grundrecht auf Existenzsicherung . Es ist eigentlich nicht
hinnehmbar, dass es so viele bürokratische Hürden gibt,
um dieses Grundrecht in Anspruch zu nehmen . Deswegen
müssten diese bürokratischen Hürden abgebaut werden,
damit die Menschen endlich zu ihrem Recht kommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber das Gegenteil ist bei diesem Gesetzentwurf der
Fall . Zusätzliche bürokratische Hürden werden aufge-
baut . Es gibt Mehraufwand bei den Jobcentern . Es gibt
zusätzliche Drangsalierungen der Betroffenen . Ich sage
es noch einmal: Es geht um ein Grundrecht . Es ist ganz
wichtig, dass wir das im Blick behalten .

Der zweite Punkt ist mindestens genauso wichtig: Die
Jobcenter betreuen heute schon 6 Millionen Menschen,
Kinder eingeschlossen . Darunter sind deutlich über

4 Millionen Erwachsene . Davon sind nur 1 Million Men-
schen langzeitarbeitslos . Eigentlich ist der ursprüngliche
Auftrag der Jobcenter gewesen, die Langzeitarbeitslosen
in den Arbeitsmarkt zu vermitteln . Jetzt kommen noch
die geflüchteten Menschen hinzu. Auch da  ist der Auf-
trag der Jobcenter eigentlich, diese Menschen in den
Arbeitsmarkt zu vermitteln . Tatsächlich haben aber auch
die Jobcenter einen Riesenaufwand mit Menschen, die
da gar nicht hingehören und eigentlich vorgelagert ab-
zusichern sein müssten . Die Jobcenter müssten endlich
einmal von Bürokratie befreit werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch das wäre ein wichtiges Ziel gewesen . Auch das
ist nicht gelungen . Das hat die Expertenanhörung ganz
deutlich gezeigt . Von den vorhandenen Verwaltungskos-
teneinsparungen – im Gesetzentwurf stehen 39 Millio-
nen Euro – gehen 38 Millionen Euro allein darauf zu-
rück, dass die Bewilligungsbescheide jetzt für zwölf und
nicht mehr für sechs Monate erlassen werden sollen . Das
passiert aber schon weitgehend . Das ist eine reine Luft-
buchung . 1 Million Euro Verwaltungskosteneinsparung
bleibt über . Das ist nicht einmal der berühmte Tropfen
auf den heißen Stein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aber es ist noch schlimmer: Durch die vielen Neure-
gelungen entsteht erst einmal Mehraufwand . Das hat die
Vertreterin der Bundesagentur für Arbeit ganz deutlich
gesagt: Mehraufwand entsteht in den nächsten Monaten,
wo zusätzliche Aufgaben auf die Jobcenter zukommen .
Allein um die IT neu zu programmieren, braucht die
Bundesagentur für Arbeit bis mindestens zum Frühjahr
nächsten Jahres .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Das zeigt, wie viel Aufwand mit diesem Gesetzentwurf
verbunden sein wird . Insofern ist das mindestens eine
Nullnummer .

Vor allen Dingen fehlen tatsächliche Vereinfachungen .
Da haben wir einen Antrag mit einigen Beispielen vorge-
legt, wie man es hinbekommt, die Vereinfachung so zu
gestalten, dass gleichzeitig die Jobcenter entlastet wer-
den können und das Existenzminimum der Betroffenen
besser abgesichert werden kann .

Ein Beispiel, über das in der Öffentlichkeit diskutiert
worden ist, ist die Absicherung von Kindern, die bei ge-
trenntlebenden Eltern aufwachsen; Herr Kollege Kauder,
wir haben ja eben schon ein bisschen darüber diskutiert .
Im Steuerrecht gibt es eine Regelung zur doppelten Haus-
haltsführung, die zu einer Ersparnis führt . Auch dann,
wenn Kinder in zwei Haushalten aufwachsen, besteht
ein zusätzlicher Bedarf, um das Existenzminimum zu
decken . Das hat die Kollegin Kipping „Umgangsmehr-
bedarf“ genannt; es heißt auch in unserem Antrag so . Um
das Existenzminimum des Kindes zu decken, braucht es
einen solchen Umgangsmehrbedarf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dr. Matthias Zimmer






(A) (C)



(B) (D)


Aber es war ja noch viel schlimmer: Die Bundesregie-
rung hat eine Formulierungshilfe beschlossen, nach der
tatsächlich alle Alleinerziehenden schlechtergestellt wür-
den, wenn das Kind ab und zu bei einem Partner wohnt .
Alle Alleinerziehenden! Das ist im Parlament Gott sei
Dank verhindert worden; dafür geht mein Dank an die
Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen . Das
lag natürlich an dem öffentlichen Druck von außen, aber
auch an dem inneren Druck der beiden Oppositionspar-
teien . Es war unser Experte in der Anhörung, der ganz
deutlich gesagt hat, dass das eine Verschlechterung für
alle ist . Es ist gut, dass das geändert worden ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der zweite Punkt – langsam geht meine Redezeit zu
Ende – betrifft die Sanktionen . Der Kollege Zimmer hat
gesagt: Da wird nichts gemacht . – Die Kollegin Kramme
hat gesagt: Das ist weiter auf der Agenda . – Es ist aber
nichts drin, obwohl alle, wirklich alle Expertinnen und
Experten, alle Wohlfahrtsverbände, die Jobcenter und
die Bundesagentur fordern, dass man da etwas machen
muss, zumindest bei den Sanktionen für unter 25-Jährige,
bei der Sanktionierung der Kosten der Unterkunft . Der
Bundesrat hat das beschlossen . Seien Sie solidarisch mit
den Ländern, in denen Sie von SPD und Union zum Teil
mitregieren .

Wir haben dazu einen Änderungsantrag eingebracht .
Sie haben die Chance, ihm zuzustimmen . Wir würden
eigentlich sogar weiter gehen, weil die Sanktionen insge-
samt überdacht werden müssen . Deswegen fordern wir
ein Sanktionsmoratorium . Ich könnte jetzt noch lange
ausführen und weitere Beispiele nennen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817926200

Aber dazu gebe ich Ihnen nicht die Erlaubnis .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Zeit habe ich jetzt aber nicht mehr . Deswegen ver-
weise ich noch einmal auf unseren Antrag . Dieses Thema
ist extrem wichtig; denn wir müssen die Jobcenter entlas-
ten . Es geht um ein Grundrecht . Es ist wichtig, dass das
einfach, unbürokratisch und transparent geregelt wird;
denn Grundsicherung ist eine Voraussetzung für ein
selbstbestimmtes Leben .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817926300

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt

Kerstin Griese .


(Beifall bei der SPD)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1817926400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das SGB-II-Änderungsgesetz, das wir heute hier bera-
ten, hat uns im Ausschuss für Arbeit und Soziales lange

beschäftigt, allerdings zunächst eher begleitend; denn
es ist erarbeitet worden von einer Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe und von Expertinnen und Experten aus den
Jobcentern, die aus Sicht der Praxis Verbesserungsvor-
schläge gemacht haben . Ich will ganz zu Beginn den Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern danken .
Ihre Arbeit ist nicht immer einfach . Sie engagieren sich
sehr für die Menschen, die zu ihnen kommen . Es ist auch
gut, wenn wir aus dieser Praxis Verbesserungsvorschläge
bekommen . Herzlichen Dank an die Mitarbeiter!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben schon viele Details dazu gehört, wo Ver-
besserungen vorgeschlagen werden . Ich will auf eine
Verbesserung kurz und auf eine länger eingehen . Eine
Verbesserung, über die ich sehr froh bin, ist die, dass wir
für anerkannte Flüchtlinge, die noch in Gemeinschafts-
unterkünften leben – davon gibt es einige –, einfachere
Verfahren einführen werden .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denen sollen die Leistungen gekürzt werden! Die sollen nur noch Sachleistungen kriegen! Das ist eine Verschlechterung, und zwar eine deutliche!)


Wenn sie sich in Gemeinschaftsunterkünften nicht selbst
versorgen können, dann werden den Betreibern die Kos-
ten für ihre Versorgung erstattet . Das ist gut, das ist pra-
xistauglich, und das ist eine Verbesserung für die Flücht-
lingsunterkünfte .


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte auf ein Thema eingehen, das schon an-
gesprochen wurde, nämlich auf die Alleinerziehenden .
Ich will ausdrücklich sagen: Wir haben uns mit Allein-
erziehenden sehr intensiv über ihre Situation unterhalten .
Ja, es war eine Regelung geplant, die zunächst wie eine
Vereinfachung und eine rechtliche Klarstellung aussah,
die aber, wäre sie so ins Gesetz aufgenommen worden,
für manche Alleinerziehenden finanzielle Einbußen hätte 
bedeuten können; das konnte man vorher nicht wissen .
Dagegen hat sich viel Protest gebildet, und das, wie wir
gemerkt haben, durchaus zu Recht .

Ich will sagen: Das war auch ein kleines Lehrstück
im Hinblick auf Theorie und Praxis bei der Umsetzung
von Gerichtsurteilen . Denn in der Theorie – aber eben
nur teilweise in der Praxis – war es so, dass nach einem
Urteil des Bundessozialgerichts die Leistungen für das
Kind aufgeteilt werden mussten und der Aufenthalt bei
beiden Elternteilen stündlich erfasst werden musste . Das
war eine riesige Bürokratie, die zu umfangreichen und
komplexen Bescheiden von 200 Seiten geführt hat . Das
wollten wir nicht mehr, und das sollte vereinfacht wer-
den .

Das war eine gute Idee . Allerdings hat sich gezeigt,
dass dieses komplizierte Verfahren in vielen Jobcentern
gar nicht angewandt wurde .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist es!)


Daraus haben wir gelernt und haben deshalb gesagt: Die-
sen Änderungsvorschlag nehmen wir aus dem Gesetz-
entwurf heraus . – Außerdem haben wir uns über dieses

Dr. Wolfgang Strengmann­Kuhn






(A) (C)



(B) (D)


Thema besonders mit den betroffenen Alleinerziehenden
unterhalten . Wir tun das, weil uns die Bedürfnisse der
Kinder wichtig sind; um sie geht es .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Verbreiten Sie bitte nicht einen solchen Unsinn wie
mit den zwei Kinderbetten . Schon jetzt werden natürlich
zwei Kinderbetten bezahlt, wenn in den Wohnungen bei-
der Elternteile ein Kinderbett nötig ist .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur bei der Erstausstattung!)


Man darf hier die Leute nicht verunsichern .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen eine Lösung, die die getrennt lebenden El-
ternteile der Kinder nicht auf Kosten der Kinder gegen-
einander ausspielt, die keine Anreize bietet, die Kinder
nicht zu dem anderen Elternteil zu lassen, und die keine
Einschränkungen der Kinder zur Folge hat . Deshalb ha-
ben wir überlegt, was wir tun können, um Alleinerzie-
henden zu helfen und sie nicht schlechterzustellen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will auch noch einmal sagen, warum: Alleinerziehen-
de sind die Gruppe, die am stärksten von Armut bedroht
ist . Von allen Kindern, die in Hartz IV leben, lebt die
Hälfte bei einem alleinerziehenden Elternteil .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Umgangsmehrbedarf?)


Deshalb haben wir innerhalb der Koalition intensiv
beraten, wie man Alleinerziehende besser unterstützen
kann, und wir sind dabei, ein Konzept für einen Um-
gangsmehrbedarf zu entwickeln .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Unser Ziel ist nämlich, dass der umgangsberechtigte El-
ternteil seinen kindbedingten Mehrbedarf decken kann,
ohne dass es bei dem anderen alleinerziehenden Eltern-
teil zu Problemen kommt .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817926500

Kommen Sie bitte zum Schluss .


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1817926600

Ich komme zum Schluss . – Dieser Umgangsmehrbe-

darf wäre eine wirkliche Verbesserung für die Kinder ge-
trennter Eltern, die sich beide – das wollen wir ja gerade
fördern – um die Kinder kümmern wollen . Wir sind in
der Koalition gerade in der Diskussion über die Ausge-
staltung und die Finanzierung und bleiben da dran; denn
ein solcher Umgangsmehrbedarf wird der Lebenswirk-
lichkeit gerecht .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817926700

Frau Kollegin Griese .


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1817926800

Ich freue mich, wenn wir ihn demnächst hier gemein-

sam beschließen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817926900

Nächster Redner ist jetzt der Kollege Matthias W .

Birkwald .


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817927000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch

Hartz-IV-Sanktionen werden arme Menschen obdachlos .
Durch Hartz-IV-Sanktionen werden arme Menschen un-
zureichend ernährt . Sanktionen bedrohen die Gesundheit
und das Leben von armen Menschen .

Artikel 1 des Grundgesetzes lautet:

Die Würde des Menschen ist unantastbar .

Das muss für alle gelten .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Sagen Sie doch einmal, wie viele Sanktionen es überhaupt gibt!)


Die Linke sagt: Sanktionen sind unmenschlich und ver-
fassungswidrig . Deshalb gehören sie abgeschafft, und
zwar komplett .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Dann klagen Sie doch dagegen, wenn es verfassungswidrig ist!)


Es ist dreist, dass sich die SPD jetzt dafür loben las-
sen will, weitere Sanktionen gegen ältere Hartz-IV-Be-
ziehende aus dem Änderungsantrag von Union und
SPD gestrichen zu haben . Dass die Verschärfung bei der
Zwangsverrentung raus ist, ist gut . Dass es die Zwangs-
verrentung überhaupt noch gibt, ist schlecht .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich frage Sie: Warum soll eine 63-jährige Hartz-IV-Be-
ziehende die Hoffnung aufgeben, noch einmal einen Job
zu finden, und stattdessen  in eine vorgezogene und mit 
lebenslangen hohen Abschlägen bestrafte Rente gezwun-
gen werden?


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das könnte eigentlich auch die Union verstehen!)


Kerstin Griese






(A) (C)



(B) (D)


Ich verstehe alle Betroffenen, die sich gegen ihre Zwangs-
verrentung wehren und an diesem unwürdigen Verfahren
nicht mitwirken wollen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Alle Älteren haben das Recht, selbst zu entscheiden,
wann sie in Rente gehen wollen – auch Hartz-IV-Betrof-
fene .

Im Übrigen, liebe Koalition: Sie wollen doch, dass
alle länger arbeiten . Ausgerechnet Hartz-IV-Betroffene
schicken Sie in die Zwangsverrentung . Widersprüchli-
cher geht es doch gar nicht .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren der Koalition, an der un-
säglichen Praxis der Zwangsverrentung von 63-Jährigen
ändern Sie gar nichts . Sie läuft genauso weiter wie bis-
her, nur eben ohne Sanktionen . Das Jobcenter stellt dann
den Antrag bei der Rentenversicherung und schiebt die
älteren Hartz-IV-Beziehenden in eine lebenslang gekürz-
te Rente ab . Das ist schlecht . Besser wäre es, ihnen Wei-
terbildungsangebote zu machen und sie in gute Arbeit zu
vermitteln .

Die SPD sagt, sie wolle die Zwangsverrentung ab-
schaffen . Die Linke sagt: Tun Sie es endlich! Kümmern
Sie sich um die Menschen, statt sie zu maßregeln!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Schaffen Sie die Zwangsverrentung ab – und alle demü-
tigenden Sanktionen bei Hartz IV gleich mit!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817927100

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Stephan Stracke,

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1817927200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ein langer Prozess geht mit diesem Änderungs-
gesetz nun zu Ende . Vor gut zwei Jahren hat das Bundes-
arbeitsministerium im Ausschuss für Arbeit und Soziales
die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorge-
stellt und uns darüber informiert .

Die nun vorliegenden Vorschläge waren überfällig .
Die Jobcenter vor Ort haben sie gefordert . Warum? Sie
haben sie vor allem deshalb gefordert, weil die Verfah-
rensabläufe sehr umfangreich und durch eine Vielzahl
von Widersprüchen und Klagen gekennzeichnet sind .
Deswegen ist der vorliegende Gesetzentwurf eine gute
Nachricht, und wir werden ihn verabschieden .

Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der mir im Rah-
men der Änderungsanträge wichtig ist . Es geht um die
bessere Vernetzung und Zusammenarbeit der Sozialleis-

tungsträger . In Bayern haben wir dazu die Modellprojek-
te KAJAK und TANDEM mit sehr guten Erfahrungen
aufgelegt . Der Kern dieses Ansatzes liegt vor allem in
einer Pflicht der Jobcenter und der Arbeitsagenturen zur 
Zusammenarbeit mit den Jugendämtern, den Schulen
und weiteren Stellen . Mit den Ergänzungen haben wir es
nun geschafft, dass wir in diesem Bereich einen konkre-
ten Handlungsauftrag für die Jobcenter formulieren und
klar adressieren, wer zuständig ist .

Es geht darum, die gesamte Bedarfsgemeinschaft in
den Blick zu nehmen, aber auch diejenigen, die sozial
benachteiligt und individuell beeinträchtigt sind . Gerade
bei jungen Menschen ist es wichtig, dass sie ihrem indi-
viduellen Bedarf entsprechend eine abgestimmte und de-
ckende Leistung erfahren . Bayern macht vor, wie es geht .
Wir haben den Praxistest erfolgreich abgeschlossen . Nun
muss dies eine entsprechende Wirkung auf alle anderen
Bundesländer entfalten .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema
der Sanktionen spielt hier im Rahmen des Gesetzge-
bungsverfahrens durchaus eine Rolle .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, leider nicht!)


Richtig ist: Wir halten an Sanktionen fest, auch an den
schärferen Sanktionen für unter 25-jährige Leistungsbe-
zieher . Sanktionen sind für den Grundsatz Fördern und
Fordern unverzichtbar . Genau diesen Grundsatz verfol-
gen wir beispielsweise auch im Integrationsgesetz . Wir
wenden uns ganz klar gegen jede Form der Verwässe-
rung und Aufweichung dieses Grundsatzes . Das würde
letztlich bedeuten, dass wir den erfolgreichen Prozess der
Hartz-IV-Reformen beschädigen würden . Sanktionsrege-
lungen müssen auch weiterhin robust sein .

Ich sage an dieser Stelle auch ganz klar: Wir waren nie
gegen Vereinfachungen im Sanktionsrecht, auch was die
Modifikationen  am Sanktionsmechanismus  angeht. Die 
Kosten der Unterkunft seien hier als Beispiel genannt .
Aber hier war die Diskussion so, dass ein Teil der Koa-
lition vor allem der Aufweichung das Wort geredet hat .
Deswegen kommen wir hier zu keinen Veränderungen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
am Ende dieses Verfahrens können wir sagen: Wir Fach-
politiker haben gute Beratungen geführt . Ich bedanke
mich für die gute Unterstützung des Bundesarbeitsminis-
teriums in dieser Hinsicht . Wir sind bei den Erstattungs-
regelungen hinsichtlich der Verpflegung von anerkannten 
Flüchtlingen zu Änderungen gekommen . Wir haben die
Eingliederungsvereinbarung so gestaltet, dass die not-
wendige Flexibilität für eine passgenaue Arbeitsvermitt-
lung weiterhin erhalten bleibt . Das zeigt, dass wir insge-
samt zu guten Ergebnissen gekommen sind .

Ich bedanke mich auch bei der Opposition . Wir hatten
nicht gerade eine einfache Debatte über Geschäftsord-
nungsfragen . Ich glaube aber, dass der Omnibus, den wir
angesetzt haben, nämlich Regelungen für die Betriebe
aufzunehmen, die von den Starkregen- und Hochwasser-
ereignissen, insbesondere in Bayern, massiv betroffen
sind, zu guten Lösungen führen wird . Das betrifft auch die
Möglichkeit, die notwendigen Finanzierungs- und Sanie-

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


rungsgespräche zu führen, ohne dabei das Insolvenzrecht
im Nacken zu haben . Ich bedanke mich ganz herzlich bei
den Kolleginnen und Kollegen des Koalitionspartners,
aber auch der Opposition, dass sie diese Änderungen so-
fort mitgetragen haben . Das zeigt, dass insbesondere die
Vorarbeit vom bayerischen Staatsminister der Justiz, un-
serem Kollegen Herrn Professor Dr . Winfried Bausback,
aber auch des Justizministeriums in diesem Feld gut war .

Ich sage zum Schluss: Wir haben ein gutes Ergebnis .
Es besteht weiterhin Handlungsbedarf, gerade was die
passiven Leistungen angeht . Die Vielzahl von Schnitt-
stellen und die Zusammenlegung der Leistungssysteme
sollten wir diskutieren . Damit sollten wir uns im Rahmen
einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe beschäftigen; das ist
eine Aufgabe, die vor allem die nächste Legislaturperi-
ode berühren dürfte . Ich lade Sie ein, in diesem Bereich
mitzumachen .

Herzliches Dankeschön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817927300

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Markus Paschke,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1817927400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
Staatssekretärin Anette Kramme hat vorhin davon ge-
sprochen, dass es ein langer Weg zu dem Gesetzentwurf
war . Damit hat sie Recht . Dazu kann ich nur sagen: Was
lange währt, wird endlich gut .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ja, ich bin davon überzeugt, dass wir wirklich etwas
Gutes hinbekommen haben .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Recht hat er!)


Wir haben in der Koalition gut und konstruktiv an Lösun-
gen gearbeitet . Gemeinsames Ziel war es immer, keine
Leistungsverschlechterungen, sondern Rechtsvereinfa-
chungen zu beschließen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist euch nicht gelungen!)


Auch wenn die Opposition einige Teile kritisiert oder gar
skandalisiert,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Zu Recht!)


hat man den Eindruck, es macht Ihnen einige Mühe, et-
was Konkretes zu finden. Denn auf den vorliegenden Ge-
setzentwurf haben Sie kaum Bezug genommen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ach, Markus!)


Sie haben vielmehr über Sachen geredet, die gar nicht
Inhalt des Gesetzentwurfs sind .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben im Ausschuss lange genug konkrete Sachen gesagt, bis an eure Schmerzgrenze!)


Im Laufe des Verfahrens gab es eine Menge Hinwei-
se von Betroffenen und Verbänden . Viele davon wurden
aufgenommen und haben zu Änderungen am Gesetzent-
wurf geführt. Ich finde, das ist ein Zeichen, dass unsere 
Demokratie funktioniert und die Anliegen von Bürgern
gehört werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch eine Selbstverständlichkeit!)


Wie schon von einigen Vorrednern angemerkt, sind
noch nicht alle offenen Fragen endgültig geklärt . Das gilt
insbesondere für die Situation der Alleinerziehenden –
Kerstin Griese hat sie deutlich beschrieben –, aber auch
für die Frage der vorgezogenen Altersrente .

Eines ist mir ganz wichtig – ich habe schon mehrfach
dazu gesprochen –, und zwar das Thema Sanktionen .


(Unruhe – Glocke der Präsidentin)


Die Frage der Sanktionen ist ganz klar . Die SPD hat ihre
Position nicht geändert . Die verschärften Sanktionen für
Jugendliche unter 25 Jahren gehören abgeschafft . Auch
alle Experten haben gesagt, dass sie nichts bringen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Zustimmen! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann könnt ihr ja zustimmen!)


Die Sanktionierung beim Bedarf für Unterkunft und Hei-
zung ist ebenfalls kontraproduktiv . Da haben wir einen
Dissens mit unserem Koalitionspartner . Deswegen ist im
Gesetzentwurf nichts dazu enthalten . Aber wir bleiben
dran . Das kann ich allen versprechen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt einen Änderungsantrag! Dem kann man zustimmen!)


Ich möchte noch ein paar Punkte erwähnen, die noch
nicht angesprochen wurden . Dazu gehören die Gesamt-
angemessenheitsgrenze bei Unterkunft und Heizung, die
eine klare Verbesserung für die Betroffenen bringt, die
Stärkung der Beratung durch die Jobcenter und der Bera-
tungsansprüche der Betroffenen . Das alles sind positive
Veränderungen für die Menschen, und das haben wir ge-
nau im Blick .

Ich möchte mich an dieser Stelle bei unserem Koaliti-
onspartner, aber auch bei der Opposition für die gute und
konstruktive Zusammenarbeit bedanken . Im Gegensatz
zu manchen Reden, die hier gehalten wurden, gab es im

Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)


Vorfeld eine wirklich gute und konstruktive Zusammen-
arbeit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mein Dank geht auch an diejenigen, die das alles jetzt
in den Jobcentern umsetzen werden . Da ich mich schon
so artig bedankt habe, möchte ich mit einem Aufruf an
die Opposition schließen: Betrachten Sie das Glas nicht
immer als halb leer, sondern auch einmal als halb voll,
und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817927500

Danke schön . – Jetzt bitte ich Sie alle noch einmal um

Ihre Aufmerksamkeit für den letzten Redner zu diesem
Tagesordnungspunkt . Das ist der Kollege Kai Whittaker,
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1817927600

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wenn ich mir die

Debattenbeiträge der Opposition heute anhöre, dann stel-
le ich fest: Das ist eine Fortführung des Medienspekta-
kels der letzten Wochen . Was wurden wir als Regierungs-
koalition nicht alles geheißen: kritisiert als kaltherzige,
unsoziale Politiker .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Stimmt!)


Sie versuchten, den Eindruck zu erwecken, wir wür-
den mit diesem Hartz-IV-Änderungsgesetz die Betroffe-
nen unterjochen und bestrafen . Sie versuchen mit Ihrer
Fundamentalkritik, Frau Kipping, das System zu diskre-
ditieren. Damit bedienen Sie, finde ich, eine plumpe Hal-
tung, nämlich die Haltung: Die da oben machen nichts
für uns da unten .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Fragen Sie doch mal die da unten! Die sehen das genauso!)


Damit, finde ich, sind Sie keinen Deut besser als die AfD. 


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit so einer Debattenkultur vergiften Sie die Diskussion
in Deutschland .

Deshalb möchte ich eines richtigstellen: Hartz IV ist
kein System, um Menschen zu gängeln . Hartz IV ist auch
kein System, um Menschen mit sinnlosen Beschäftigun-
gen zu traktieren . Hartz IV ist vielmehr ein System, um
Menschen vor Armut zu schützen, indem wir ihnen Leis-
tungen zahlen, und vor allem, indem wir sie in Arbeit
vermitteln . Darum geht es bei diesem Änderungsgesetz .


(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Schön wäre es! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das ist verhindert!)


Da sind wir nicht allein, sondern das sehen auch andere
so . Ich möchte aus der Anhörung den Deutschen Land-
kreistag zitieren . Sein Vertreter hat gesagt:

Vor dem Hintergrund unterstützen wir den Gesetz-
entwurf nach Kräften . Wir waren auch Beteiligte in
der AG Rechtsvereinfachung vor zwei Jahren und
begrüßen sehr, dass viele Vorschläge der AG hier
Umsetzung erfahren .

Auch die Bundesagentur für Arbeit begrüßte die Plä-
ne zur Rechtsvereinfachung . Sie habe sie von Anfang an
unterstützt, „auch um mit den vorhandenen Personalka-
pazitäten mehr Mitarbeiter für Beratung und Vermittlung
zur Verfügung zu haben“ .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben auch gesagt: Das ist mehr Aufwand!)


Wir versuchen, mit diesem Gesetz mehr Menschen in
Arbeit zu bekommen . Das ist wie bei einem Marathon-
lauf . Es braucht viel Training, es braucht Unterstützung
am Wegesrand, und es braucht Verpflegungsstationen un-
terwegs, damit die Menschen ins Ziel kommen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider geht bei Kilometer 20 den meisten die Puste aus!)


Dieses Gesetz optimiert das Training, indem wir zum
Beispiel die sozialpädagogische Begleitung stärken . Das
hilft den Arbeitslosen, ihre individuellen Probleme zu lö-
sen . Wir sorgen für mehr Unterstützung am Wegesrand,
indem wir die Ausbildungsförderung verbessern . Unser
Grundsatz lautet da: Wer an der Werkbank schuftet, muss
mehr haben als derjenige, der auf der Parkbank sitzen
bleibt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann macht das doch mal! Das ist doch gerade nicht der Fall!)


Und wir  bauen  einige  neue Verpflegungsstationen  auf. 
Kollege Zimmer hat schon die Verbesserungen bei den
Arbeitsgelegenheiten genannt . Ich möchte auch noch
einmal ganz klar die Öffnung der Integrationsbetriebe
für schwerbehinderte Langzeitarbeitslose ansprechen .
Mit Integrationsbetrieben haben wir in Deutschland gute
Erfahrungen gemacht, Menschen mit besonderem Han-
dicap am ersten Arbeitsmarkt einen sinnvollen Job zu
geben . Das können wir jetzt eben auch für die schwerbe-
hinderten Langzeitarbeitslosen . Darauf bin ich sehr stolz .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass wir es
den Menschen mit diesen Verpflegungsstationen ermög-
lichen, diesen Marathonlauf bis zum Ende tatsächlich zu
schaffen .

Ich mache kein Hehl daraus, dass Hartz IV sicherlich
nicht das perfekte System ist . Das habe ich selbst erlebt,
als ich Langzeitarbeitslose begleiten durfte . Auch in mei-
nem persönlichen Umkreis habe ich es erlebt . Ich habe
aber auch eines daraus gelernt: Der Hartz-IV-Satz lindert
die Arbeitslosigkeit, aber er hilft nicht, sie loszuwerden .

Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


Für Betroffene ist der Hartz-IV-Satz nicht das, was sie
wirklich umtreibt, sondern es ist die Perspektivlosigkeit,
das Zählen der Wochen, Monate und Jahre bis zur nächs-
ten Maßnahme oder bis zum nächsten Bewerbungsge-
spräch .

Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass wir verstärkt
darüber nachdenken, ob wirklich alles, was wir bei
Hartz IV tun, hilft, die Betroffenen in Arbeit zu bringen .
Das steht für mich auch für die Zukunft im Vordergrund .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die aktive Arbeitsmarktpolitik aufstocken!)


Ob das der Fall ist, daran kann man wirklich seine Zwei-
fel haben .


(Beifall des Abg . Dr . Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Einen Beleg dafür gibt es; denn noch immer kann sich
nur die Hälfte aller Mitarbeiter in den Jobcentern wirk-
lich um die Probleme der Betroffenen kümmern . Solange
das so bleibt, haben wir noch jede Menge Arbeit vor uns .
Eine davon ist, heute diesem Gesetz zuzustimmen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817927700

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet, und

wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundes-
regierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsverein-
fachung . Der Ausschuss für Arbeit und Soziales emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf 
Drucksache 18/8909, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/8041 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Hierzu liegen zwei Änderungsanträge
vor, über die wir zuerst abstimmen . Zunächst stimmen
wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/8922 .

Bleiben Sie bitte auf Ihren Plätzen . Sonst kann ich
nachher nicht das richtige Stimmenverhältnis wiederge-

ben . Wir sind noch nicht bei der namentlichen Abstim-
mung .

Wir sind beim Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/8922 . Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt .

Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8923 . Wir
stimmen über diesen Änderungsantrag auf Verlangen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab . Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen . – Ich sehe, dass alle Urnen be-
setzt sind . Dann eröffne ich die Abstimmung .

Ich bitte darum, dass nicht alle den Saal verlassen,
auch wenn sie abgestimmt haben . Wir haben nachher
noch einige Abstimmungen . Das jetzt sind nur Abstim-
mungen über Änderungsanträge . Bitte bleiben Sie im
Plenarsaal .

Gibt es noch Abgeordnete hier im Saal, die ihre Stimm-
karte nicht eingeworfen haben? – Ich sehe, das ist nicht
der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Bis zum Vorliegen des Ergebnisses ist die
Sitzung unterbrochen . Anschließend stimmen wir über
den Gesetzentwurf ab .


(Unterbrechung von 19 .54 bis 20 .03 Uhr)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817927800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene

Sitzung ist wieder eröffnet .

Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 555 . Mit Ja
haben gestimmt 94, mit Nein haben gestimmt 444, Ent-
haltungen 17 . Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 555;
davon

ja: 94
nein: 444
enthalten: 17

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm

Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr . Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann

Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank

Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Birgit Wöllert

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke

Kai Whittaker






(A) (C)



(B) (D)


Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß

Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach

Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings

Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Volker Mosblech
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)


Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Matthias Ilgen

Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel

Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack

Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Enthalten

DIE LINKE

Herbert Behrens
Christine Buchholz
Nicole Gohlke
Dr . André Hahn
Inge Höger
Ulla Jelpke
Thomas Lutze
Norbert Müller (Potsdam)

Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Dr . Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .

Tagesordnungspunkt 8 b . Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit
und Soziales auf Drucksache 18/8909 fort . Der Aus-
schuss  empfiehlt  unter  Buchstabe  b  seiner  Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/8076 mit dem Titel „Die
Gewährleistung des Existenz- und Teilhabeminimums
verbessern – Keine Rechtsvereinfachung auf Kosten der
Betroffenen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/
CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/8077 mit dem Titel „Grundsicherung
einfacher und gerechter gestalten – Jobcenter entlas-
ten“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 a auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea
Rößner, Katharina Dröge, Nicole Maisch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugän­
ge einführen

Drucksache 18/8573
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre hier
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen .


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817927900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wenn Frau Meier im Supermarkt 3 Kilogramm Mehl
kauft, dann bezahlt sie 3 Kilogramm und kriegt auch
3 Kilogramm . So weit, so logisch . Wenn Frau Meier aber
einen Internetanschluss mit 50 Mbit bucht, kann es sein,
dass sie mit nur 20 Mbit surfen muss .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Betrug!)


Frau Meier würde es zu Recht nicht akzeptieren, wenn
sie statt der bezahlten 3 Kilogramm Mehl nur 2 Kilo-
gramm bekäme . Wer für eine bestimmte Leistung zahlt,
soll diese auch bekommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Wir wollen, dass Unternehmen mindestens 90 Prozent
dessen, was sie versprechen, einhalten . Wenn Anbieter
dagegen verstoßen, müssen sie ein Bußgeld zahlen . Au-
ßerdem sollen Verbraucher ein Recht auf Schadensersatz
bekommen . Wer seine Versprechen nicht halten kann,
sollte weniger große Versprechen machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die machen die Anbieter zurzeit nämlich . Aus den bewor-
benen Maximalbrandbreiten werden im Kleingedruckten
Bis-zu-Versprechen . In der Leistungsbeschreibung des
Telekom-Tarifs MagentaZuhause stehen 40 Prozent als
Mindestbandbreite . Das wären bei Frau Meier 1,2 statt
3 Kilogramm Mehl . Für Verbraucher ist das eine Mogel-
packung . Ich kann ja auch nicht sagen, dass ich nur bis zu
100 Prozent der Telefonrechnung zahle .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre doch mal eine Idee!)


Es gibt keine gesetzlichen Mindestvorgaben für Band-
breiten . 2012 hat die Bundesnetzagentur einen Test durch-
geführt: Weniger als zwei Drittel aller Nutzer bekamen
nur die Hälfte der vermarkteten Datenübertragungsrate .
2013 erreichten nur 15,9 Prozent die volle Bandbreite .
Danach hat die Bundesnetzagentur vorsichtshalber keine
Tests mehr gemacht . In einer Studie der EU-Kommission
von 2014 wurden im europäischen Durchschnitt gerade
einmal 75,9 Prozent der versprochenen Bandbreiten er-
reicht . Bei allen untersuchten Anschlusstechnologien lag
Deutschland unter dem Durchschnitt . Darüber haben sich
auch jede Menge Leute auf unserer Homepage beim grü-
nen Breitbandcheck beschwert . Die Reaktion der Bun-
desnetzagentur? Eine neue Website! Auf der kann man
die Geschwindigkeit des eigenen Anschlusses messen .
Das Ergebnis wird dann auf einer Karte dargestellt und
zeigt: Viele Kunden bekommen nur 40 Prozent, manche
sogar nur 20 Prozent der versprochenen Bandbreite . Wie
erklären Sie die Unterschiede zwischen dieser Karte und
Ihrem Breitbandatlas?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich befürchte, dass die tatsächliche Geschwindigkeit in
Deutschland viel niedriger ist als gedacht und dass Sie
von Ihrem Breitbandziel weiter entfernt sind als je zuvor .

Die Bundesnetzagentur könnte viel mehr tun und ih-
ren Breitbandtest zu einem zertifizierten Überwachungs-
mechanismus machen, und wir sollten im Telekom-
munikationsgesetz einen Schadensersatzanspruch für
Verbraucher regeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Worauf warten Sie? Tun Sie doch endlich etwas für den
Verbraucher!

Immerhin: Die Bundesnetzagentur hat auf unseren
Antrag reagiert und eine Transparenzverordnung vor-
geschlagen . Es ist schon auffällig, dass dieser Entwurf
so plötzlich fertig wurde, nachdem sich lange überhaupt
nichts getan hatte . Nun sollen die TK-Unternehmen zu
ihren Verträgen ein standardisiertes Produktinformati-
onsblatt bereitstellen mit Infos zur maximalen Down-
load-Bandbreite und zur durchschnittlichen Surfge-
schwindigkeit . Wenn ich das kurz auf den Punkt bringen

darf: Ihnen reicht ein Infoblatt . Wir wollen verlässliche
Mindeststandards und klare Entschädigungsansprüche
für die Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn diese
Standards nicht erreicht werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie machen Symbolpolitik . Wir machen Verbraucherpo-
litik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Toller Satz!)


Ich bin sicher, Frau Meier findet unsere Forderung lo-
gisch und richtig . Was man verspricht, muss man eben
auch halten . Nebenbei gesagt: Das würde ich auch der
Regierung bei ihrer Breitbandpolitik empfehlen . Von den
versprochenen flächendeckenden 50 Mbit ist leider noch 
nicht wirklich viel zu spüren . Nächstes Jahr läuft Ihre Le-
gislaturperiode aus,


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank!)


und anders als bei vielen Telekommunikationsverträgen
verlängert sich Ihre Regierungszeit nicht automatisch .
Sie riskieren, dass Sie für die schlechte Quality of Ser-
vice Ihrer Regierungspolitik die Quittung bekommen .
Jetzt haben Sie die Chance, einiges besser zu machen .
Unterstützen Sie unseren Antrag!

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817928000

Danke schön . – Nächster Redner ist der Kollege

Hansjörg Durz, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1817928100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
In der Analyse stimmen wir überein, Frau Kollegin . Si-
cherlich ist es jedem von uns schon so ergangen, dass
er Internetseiten aufrufen wollte – egal ob im mobilen
Bereich oder zu Hause am PC –, dass sich aber die Seiten
nicht in der Geschwindigkeit aufgebaut haben, wie er das
gewohnt ist bzw . wie er sich das wünscht . Die Gründe
dafür sind vielschichtig . Das kann auch an der Hardware
liegen .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann es messen! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist die Hardware schuld!)


– Das kann, wie gesagt, verschiedene Gründe haben . –
Aber in der Tat steht demjenigen, der einen Breitbandan-
schluss bezahlt, auch das Recht auf Information darüber
zu, wie hoch die Geschwindigkeit tatsächlich ist bzw .
womit er rechnen darf . Er darf natürlich erwarten, die-

Tabea Rößner






(A) (C)



(B) (D)


se Geschwindigkeit zu erreichen . Transparenz ist gerade
auf dem Telekommunikationsmarkt unerlässlich, da hier
der Verbraucher eine riesige Auswahl an Tarifen und An-
geboten hat, und zwar sowohl im Festnetz- als auch im
Mobilfunkbereich .

Wie sieht die Realität aus? Da stimmen wir auch über-
ein: Erstens . Viele Kunden wissen nicht, mit welcher
Leistung sie konkret rechnen können, weil Anbieter kei-
ne oder nur wenige belastbare Aussagen zur Datenüber-
tragungsrate machen . Hierzu hat die Bundesnetzagentur
die Telekommunikationsverträge sowohl im Festnetz- als
auch im Mobilfunkbereich auf Angaben über die zu lie-
fernde Datenübertragungsrate analysiert . Das Ergebnis
ist, dass es keine standardisierten Informationen gibt, die
dem Endkunden einen transparenten Überblick über die
konkrete Leistungsfähigkeit des Anschlusses bieten . Das
ist Fakt .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie das doch!)


Zweitens . In Studien wurde die Qualität breitbandiger
Internetanschlüsse analysiert . Auch hier ist das Ergebnis:
Unabhängig von Technologien, Produkten und Anbietern
existiert eine deutliche Diskrepanz zwischen der vertrag-
lich zugesagten Datenübertragungsrate und der tatsäch-
lich gelieferten . So weit zum Status quo .

Diese nicht zufriedenstellende Situation beschreibt
der vorliegende Antrag zutreffend . Darin stimmen wir
sicherlich überein .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie ihm doch zu!)


Wir müssen die Transparenz auf dem Telekommunikati-
onsmarkt verbessern, indem wir eine transparente, ver-
gleichbare, ausreichende und aktuelle Information des
Verbrauchers in einer klar verständlichen und leicht zu-
gänglichen Form sicherstellen .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach unserem Antrag zustimmen!)


Allerdings suggeriert der Antrag, dass die Bundesregie-
rung und die Koalition diesem Zustand untätig gegen-
überstehen würden .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Dabei verkennen Sie in Ihrem Antrag zwei laufende Pro-
zesse, von denen Sie einen eben angesprochen haben .

Erstens: die TK-Transparenzverordnung, die von der
Bundesregierung bereits verabschiedet wurde und Te-
lekommunikationsanbieter zu mehr Transparenz ihren
Kunden gegenüber verpflichtet.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kam ganz kurzfristig!)


Wir werden uns in Kürze im Deutschen Bundestag damit
beschäftigen .

Zweitens . Sie haben nicht erwähnt, dass aufgrund eu-
ropäischer Vorgaben aus der TSM-Verordnung die Leit-
linien von GEREK – der Gemeinschaft der europäischen
Regulierungsbehörden zur Netzneutralität –, die neben

Transparenzvorgaben Vorgaben zur Mindestqualität an-
sprechen, von den nationalen Regulierungsbehörden um-
gesetzt werden . Was Sie in Ihrem Antrag im Grundsatz
fordern,  befindet  sich  also  in Vorbereitung  bzw.  in  der 
Umsetzung .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann packt das doch an! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bauen sich so langsam auf wie Ihre Webseite!)


Ich möchte die Gelegenheit nutzen und auf verschie-
dene Aspekte eingehen, die wir im Zusammenhang mit
Transparenz und Übertragungsqualität in den kommen-
den Wochen und Monaten regeln werden . Wie bereits
angesprochen, hat die Bundesregierung in der vergan-
genen Woche die von der Bundesnetzagentur vorgeleg-
te Verordnung zur Förderung der Transparenz auf dem
Telekommunikationsmarkt, die sogenannte TK-Trans-
parenzverordnung, verabschiedet . Mit den darin enthal-
tenen Vorgaben sollen die Anbieter verpflichtet werden, 
im Zusammenhang und auf einen Blick die vertraglich
vereinbarte minimale und maximale Datenübertragungs-
rate darzustellen . Dazu dient in Zukunft das Produktin-
formationsblatt, das über die wesentlichen Vertragsinhal-
te aufklären wird . Außerdem werden darin die Kunden
über die Vertragslaufzeit, über die Voraussetzungen für
die Verlängerung und Beendigung des Vertrages sowie
die monatlichen Kosten informiert . Darüber hinaus wer-
den Möglichkeiten geschaffen, die tatsächliche Daten-
übertragungsrate über entsprechende Tools zu messen .
Zu nennen ist hierbei das Messangebot der Bundesnetz-
agentur auf der Website www .breitbandmessung .de . Die
Messergebnisse müssen speicherbar sein und im Online-
kundencenter hinterlegt werden können . So kann der
Verbraucher ohne größeren Aufwand mehrere Messun-
gen durchführen und etwaige Abweichungen zwischen
tatsächlicher und vertraglich vereinbarter Datenübertra-
gungsrate gegenüber seinem Anbieter kommunizieren .
Der Endnutzer hat damit die Möglichkeit, die Einhaltung
vertraglich zugesagter Bandbreite zu überprüfen und da-
mit gegebenenfalls leichter als bisher Leistungsmängel
zu beanstanden .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch immer keine Mindeststandards!)


Wir begrüßen diese Vorgaben ausdrücklich und wer-
den uns im in Kürze beginnenden parlamentarischen Ver-
fahren genau ansehen, ob diese Vorgaben dazu geeignet
sind, Transparenz für die Verbraucher zu schaffen, und
ob die Vorgaben von den Telekommunikationsanbietern
umgesetzt werden können . So viel zur TK-Transparenz-
verordnung .

Parallel dazu läuft auf europäischer Ebene aktuell die
Konsultation von GEREK, dem Zusammenschluss der
nationalen Regulierungsbehörden, über die Netzneu-
tralitätsverordnung . Diese Verordnung enthält die Regu-
lierung zu Mindestqualität von Internetzugängen und ist
damit auch der richtige Ort, um die geforderten Mindest-
qualitäten vorzugeben .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Bund muss es doch umsetzen!)


Hansjörg Durz

http://www.breitbandmessung.de





(A) (C)



(B) (D)


Derzeit werden Leitlinien zur Umsetzung der Verord-
nung in der Praxis erarbeitet . Die Bundesnetzagentur
ist aktiv in den Arbeitsgruppen beteiligt . Der Entwurf
der Leitlinien wurde am 6 . Juni 2016 veröffentlicht und
zur öffentlichen Konsultation, an der sich jeder bis Mit-
te  Juli  beteiligen kann,  gestellt. Die finale Fassung der 
GEREK-Verordnung wird bis zum 30 . August verab-
schiedet werden .

Ziel ist die kontinuierliche Verfügbarkeit von nicht
diskriminierten Internetzugangsdiensten . Zur Mindest-
qualität von Breitbandanschlüssen heißt es in der euro-
päischen TSM-Verordnung sinngemäß: Die nationalen
Regulierungsbehörden können Anforderungen an tech-
nische Merkmale und Mindestanforderungen an die
Dienstequalität vorschreiben . Es wird also abzuwarten
sein, inwieweit die entsprechenden Mindestqualitäten
im Antrag der Grünen Bestandteil der Ausführungen der
TSM-Verordnung sein werden . Darüber werden wir si-
cher bei anderer Gelegenheit debattieren .

Sehr geehrte Damen und Herren, in Kürze werden wir
mit der TK-Transparenzverordnung erheblich mehr Licht
in den Dschungel aus Tarifen und Leistungsparametern
auf dem Telekommunikationsmarkt bringen . So wird die
Bundesnetzagentur im Rahmen ihrer Breitbandmessung
Jahresberichte und statistische Analysen zur Dienstequa-
lität von Breitband im Internet veröffentlichen . Darüber
hinaus wird im Sommer 2016 auf der Internetseite der
Bundesnetzagentur eine Kartendarstellung implemen-
tiert werden .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817928200

Herr Kollege Durz, wenn ich Sie unterbrechen darf:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rößner?


Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1817928300

Ja, klar .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817928400

Bitte schön, Frau Kollegin Rößner .


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817928500

Es ist sehr freundlich, dass Sie eine Zwischenfrage zu-

lassen . – Ich will noch einmal nachfragen, da Sie auf die
EU verweisen . Sie kennen sicherlich die Generaldirek-
tion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien,
kurz DG CONNECT . Diese sieht eine Zielvorgabe von
90 Prozent vor . Warum setzen Sie diese dann nicht um?


Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1817928600

Was ich Ihnen gerade darzustellen versuche, ist, dass

Prozesse auf europäischer Ebene und auf nationaler Ebe-
ne laufen . Sie müssen schon beachten, was auf europäi-
scher Ebene festgelegt werden muss und was auf natio-
naler Ebene umgesetzt werden soll . Warten Sie einfach
diesen Prozess der GEREK ab . Dort müssen die Min-
destanforderungen  definiert  werden.  Von  dort  werden 
wir in Bälde Rückmeldungen dazu haben, und dann kann
man auch eine Antwort auf Ihre Frage geben .

Die Karte soll – um das noch einmal auszuführen –
fortlaufend die Ergebnisse der bisher auf der Internetsei-
te durchgeführten Endkundenmessungen beinhalten . Die
Darstellung der Messergebnisse erfolgt unter Nennung
der Anbieternamen . Diese Verbesserung der Transparenz
hilft dem Verbraucher; seine Rechte werden gestärkt . Zu-
gleich fördern wir den Wettbewerb .

Wir sollten aber vermeiden, dass es aufgrund der
Parallelität von TK-Transparenzverordnung und
GEREK-Leitlinienprozess mit anschließender nationaler
Umsetzung der Netzneutralitätsverordnung zu Doppe-
lungen bei den Umsetzungsauflagen für die TK-Anbieter 
kommt . Diese Doppelungen hätten bei den Verbrauchern
weniger statt mehr Durchblick zur Folge, und überzogene
oder  gar  doppelte  Informationsauflagen würden  zudem 
der Wirtschaft  schaden. Daher  ist  es  definitiv  sinnvoll, 
beide Prozesse nach der Sommerpause zusammen zu be-
trachten . Dann muss aber auch eine rasche Umsetzung
erfolgen, damit wir für die Verbraucher schnellstmöglich
für Transparenz sorgen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Transparenz ist nicht alles!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817928700

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Herbert Behrens,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817928800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir alle kennen den Werbespruch mancher Warenhäu-
ser: Kauf drei, bezahl zwei! – Wenn wir uns auf diesen
Handel einlassen, wissen wir genau: Ich habe dann auch
drei Teile, wenn ich zwei bezahlt habe . – Das ist beim
Internetzugang etwas schwieriger .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist es umgekehrt!)


Wenn ich dort nämlich drei kaufe, habe ich nicht unbe-
dingt die Sicherheit, dass ich sie auch bekomme . Manche
von uns haben das sicherlich festgestellt, wenn sie sich
ihren Vertrag angesehen haben . Da heißt es eher: Nimm
zwei, bezahl drei! – Beispielsweise besagt der schon er-
wähnte Vertrag der Telekom „bis zu 50 Mbit“ . In dem
Vertrag steht des Weiteren: 16 Mbit werden garantiert . –
Wenn man an der falschen Stelle wohnt – beispielsweise
wie ich in einer niedersächsischen Kleinstadt –, steht da
unter Umständen: maximal 25 Mbit . – Bezahlt wird aber
für 50 Mbit . Das kann nicht akzeptiert werden . Das ist
Verbrauchertäuschung; das muss beendet werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es muss jetzt beendet werden, und es darf nicht mit dem
Hinweis, wie wir es gerade gehört haben, reagiert wer-

Hansjörg Durz






(A) (C)



(B) (D)


den: Da ist etwas in der Pipeline; wir kommen demnächst
mit einem Vorschlag .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das dauert!)


Lange genug haben wir zugeguckt . Das muss nun schleu-
nigst beendet werden .

Natürlich haben wir ein Problem mit der Messung
der Bandbreite; das ist schon einmal angesprochen wor-
den . Deshalb ist der Antrag der Grünen, in dem darauf
hingewiesen wird, welche Möglichkeiten bestehen, sehr
sinnvoll . Die Transparenzverordnung hat das durchaus
aufgenommen . Darin wird zumindest angekündigt, ein
erhöhtes Maß an Transparenz zu schaffen . Aber wir müs-
sen dort mehr Druck aufbauen . Das heißt, auch hier im
Parlament muss das Ganze befördert werden . Wir dürfen
uns nicht darauf verlassen, dass uns irgendwann irgend-
etwas vorgelegt wird .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem vorliegenden Antrag sollen also die Rechte
der Verbraucherinnen und Verbraucher gestärkt werden .
Allerdings müssen wir, wie gesagt, eine Möglichkeit zur
Überprüfung haben, die wirklich einfach zu handhaben
ist.  Den  auf  der  Seite  der  Bundesnetzagentur  befindli-
chen Test durchzuführen, ist teilweise schwierig . Wenn
wir uns nicht an der richtigen Stelle einklinken, haben
wir ein Problem, die Leistung wirklich zu überprüfen .
Wir sind nicht alle Fachleute, die jedes Detail kennen und
wissen, welche Begriffe sie verwenden müssen, um die
Internetleistung zu überprüfen .

Es geht nicht um den einfachen Nachweis, dass ich
eine schnelle Leitung habe, sondern darum, dass ich eine
schnelle Leitung gekauft habe, eine schnelle Leitung be-
zahle, aber keine schnelle Leitung bekomme . Das ist der
Punkt, auf den wir achten müssen . Es geht hier um Ver-
braucherrechte .


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das geht mir mit meinem Auto genauso, vor allem wenn Sie die Verkehrsbereiche in den einzelnen Ländern verantworten!)


Kundinnen und Kunden haben nur die Möglichkeit, sich
darüber mit dem Telekommunikationsunternehmen aus-
einanderzusetzen oder den Vertrag zu kündigen, ohne zu
wissen, ob der nächste Anbieter hält, was er verspricht .
Oder man muss den Klageweg beschreiten .

Das ist umständlich, und man kann nie sicher sein, ob
man Recht bekommt . Darum muss eine entsprechende
Regelung her . Die Verbraucherinnen und Verbraucher
sollen ganz einfach überprüfen können, ob sie das be-
kommen, wofür sie bezahlen .

Mit dem vorliegenden Antrag soll erreicht werden,
dass  Telekommunikationsanbieter  verpflichtet  werden, 
die korrekten Daten anzugeben . Wenn sie das nicht tun,
dann müssen sie zahlen, weil Verbraucherinnen und Ver-
braucher Schadensersatzanspruch haben . Die Bundesre-
gierung bekräftigt hier häufig: Ziel ist, bis 2018 für eine 
Internetverbindung zu sorgen, die mindestens 50 Mbit

pro Sekunde schnell ist . Aber wir wollen sicher sein,
dass das keine Bis-zu-Regelung, sondern eine verbind-
liche und verlässliche 50-Mbit-Regelung ist, die für das
ganze Land gilt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817928900

Danke schön . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der

Kollege Klaus Barthel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1817929000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es zeichnet sich ab, dass wir uns in der Sache sehr einig
sind .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


In diesem Zusammenhang wäre mir nicht das Mehl von
Frau Meier eingefallen . Vielmehr habe ich mir überlegt,
was auf dem Oktoberfest passieren würde, wenn die Maß
bis zu 1 Liter hätte . Keine Brauerei und auch kein Bier-
zeltbetreiber würde es zumindest ökonomisch überleben,
wenn kein voller Liter ausgeschenkt würde .


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wahrscheinlich wäre der Volkszorn hier größer . Wir sind
uns einig, dass etwas passieren muss .


(Beifall des Abg . Matthias Ilgen [SPD])


Wir waren es übrigens, die damals im Beirat der
Bundesnetzagentur in den Jahren 2012 und 2013 die
Erstellung der Qualitätsstudien angestoßen haben . Die
SPD-Bundestagsfraktion hat im Jahr 2013 einen Antrag
vorgelegt, in dem wir das aufgegriffen und eine entspre-
chende Umsetzung gefordert haben .

Natürlich kann man sich fragen: Warum kommt erst
2016 eine Verordnung?


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das hat lange gedauert!)


Aber wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen wer-
fen . Warum kommt der Antrag der Grünen ausgerechnet
zu diesem Zeitpunkt, obwohl sie genau gewusst haben,
dass die TK-Transparenzverordnung bei der Bundesnetz-
agentur in Arbeit ist . Es ist auch klar, warum sie jetzt in
Arbeit ist: Die Rechtsgrundlagen haben sich durch die
europäischen Verordnungen zum offenen Internet, zu den
Nutzerrechten, zum Universaldienst, zum Roaming –
das ist jetzt erst in Kraft getreten – geändert . Deswegen
kommt die Sache jetzt in Gang, und es ist gut so, dass sie
in Gang kommt . Wer in der Opposition mit dem Finger

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


auf andere zeigt, muss sich fragen lassen: Wo waren Ihre
Anträge 2013 und in den Folgejahren?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die EU-Verordnungen waren in der Tat die Grund-
lage dafür, dass die Bundesnetzagentur jetzt einen Ent-
wurf vorgelegt hat . Das Bundeskabinett hat am 15 . Juni
die Verordnung zur Förderung der Transparenz auf dem
Telekommunikationsmarkt beschlossen; darauf wurde
bereits hingewiesen . Die Kundenrechte insgesamt wer-
den gestärkt . Mehr Transparenz sowie Verbindlichkeit in
Bezug auf die Datenübertragungsrate werden geschaf-
fen . In diesem Zusammenhang muss man feststellen: Der
Verordnungsentwurf geht über das hinaus, was in Ihrem
Antrag steht, zum Beispiel was die Vertragsbedingungen
betrifft .

Ich weiß nicht, was Sie reitet, wenn Sie in Ihrem An-
trag das Gespenst an die Wand malen – eigentlich war
heute eine Debatte über dieses Thema vorgesehen –, dass
angeblich die Aufhebung des Grundprinzips der Netz-
neutralität geplant sei . Das ist nicht der Fall . Ich weiß
nicht, warum man so ein Gespenst an die Wand malen
muss . Man weckt damit nur Geister, die mit der Sache
nichts zu tun haben . So läuft die Diskussion in eine völlig
falsche Richtung .

In der Tat bleibt offen – Frau Rößner, das geben wir
zu –, was wir in Bezug auf die Sanktionen unternehmen
müssen . Sie wissen aber auch, dass das voraussichtlich
nicht über den Weg der Verordnung geht, sondern dass
wir das gesetzlich regeln müssen . Das werden wir mit
Sicherheit überprüfen .

Wir sind uns einig: Es muss etwas passieren . Aber ich
bin schon etwas verwundert über die Forderungen, die in
Ihrem Antrag enthalten sind . Sie fordern die Bundesre-
gierung auf, die Bundesnetzagentur anzuhalten, etwas zu
tun; das kommt gleich fünf-, sechsmal vor . Das kommt
ausgerechnet von den Grünen, die der Bundesregierung
ständig vorwerfen, dass sie die Bundesnetzagentur, eine
unabhängige Behörde, beeinflusst. Aber wenn es  Ihnen 
in den Kram passt, dann soll die Bundesregierung die
Bundesnetzagentur plötzlich zu etwas anhalten .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es muss eine gesetzliche Regelung geschaffen werden!)


Das passt eigentlich nicht zu dem, was Sie sonst hier ver-
treten .

Also, bitte lassen Sie uns im Herbst über diese Ver-
ordnung und über die Frage der Weiterentwicklung des
TKG diskutieren . Dabei können wir den Antrag der Grü-
nen sicher einbeziehen . Ich glaube, dann werden wir ge-
meinsam zu einem vernünftigen Ergebnis im Interesse
der Kundinnen und Kunden kommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817929100

Danke schön . – Jetzt spricht für die SPD die Kollegin

Saskia Esken .


(Beifall bei der SPD)



Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1817929200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den Fall,
dass Sie die Praxisbeispiele, die meine Kollegen genannt
haben, nicht verstanden haben, gebe ich folgendes Bei-
spiel: Stellen Sie sich vor, Sie kaufen 1 Liter Milch,


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben wir Milch, Mehl und Bier!)


– so fängt meine Rede an; ich kann nichts dafür –, und zu
Hause stellen Sie fest, dass nur ein Dreiviertelliter drin
ist . Vielleicht kam es bei der Abfüllung oder beim Trans-
port zu einem Schwund; man weiß es ja nicht . Machen
Sie dafür jetzt die Kuh verantwortlich oder die Molkerei,
oder sind Sie selbst verantwortlich? Schließlich haben
Sie die Packung transportiert . Vielleicht haben Sie unter-
wegs etwas verloren. – Nein, das finden Sie abwegig. Auf 
der Packung steht schließlich drauf, dass 1 Liter drin ist,
und damit haben Sie recht .

Auch beim Internetzugang sollte es selbstverständlich
sein, dass das, was draufsteht, drin ist . Sie gehen einen
Vertrag ein, in dem man Ihnen eine Up- und Down-
loadrate anbietet . Die bekommen Sie dann auch . Alles
andere wäre ja irgendwie unlauter . In der täglichen Pra-
xis scheint das aber anders zu sein . In Sachen Internet
bekommt kaum jemand das, was er gekauft hat . Das ist
nicht in Ordnung . Da müssen wir aktiv werden .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817929300

Frau Kollegin Esken, gestatten Sie eine Zwischenfra-

ge des Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion?


Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1817929400

Aber gerne doch .


(Zuruf der Parlamentarischen Staatssekretärin Brigitte Zypries)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1817929500

Auch wenn ich damit den Unmut von Frau Zypries

erwecke – das kann ich heute Abend ertragen –, möch-
te ich Folgendes fragen: Da Sie nicht die Erste sind, die
den Vergleich mit einem 1 Milch anstrebt, drängt sich die
Frage auf – wir reden hier ja über Netze und nicht über
Behältnisse –, ob man, wenn man den Vergleich zu an-
deren Netzen zieht, beispielsweise zum Straßenverkehr,
den gleichen Vorschlag machen würde . Würde man dann
auch sagen: „Wenn auf dem Schild ‚50‘ steht, dann muss
gewährleistet sein, dass man 50 fahren kann“?


(Klaus Barthel [SPD]: Das ist eine Höchstgeschwindigkeit und nicht eine Mindestgeschwindigkeit!)


Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)



Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1817929600

Das wäre eine hochinteressante Angelegenheit . Das ist

aber nicht so . Es handelt sich tatsächlich um eine Höchst-
geschwindigkeit . Ich glaube, für die Straßen müssen wir
eine solche Regelung nicht treffen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sie werden sehen, dass die Abweichung sehr groß ist!)


Aber das ist eine nette Idee .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817929700

Danke, Herr Kollege Jarzombek .


Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1817929800

Der Vorstoß der Grünenfraktion zielt in der Analyse

in die richtige Richtung; das hat der Kollege Durz schon
gesagt . Der Antrag hat von daher unsere Sympathie . Er
wird auch genau im richtigen Moment vorgelegt . Es
freut mich, dass die Bundesregierung jetzt diese Verord-
nung zur Transparenz auf den Weg bringen will . Es ist
vorgesehen, zur konkreten Angabe der minimalen, nor-
malerweise zur Verfügung stehenden und der maximal
möglichen Übertragungsrate zu verpflichten. Außerdem 
soll ein Tool, mit dem die Nutzer messen können, was sie
bekommen, von der Bundesnetzagentur zur Verfügung
gestellt werden .

Eine statische Mindestqualität vorzuschreiben, was
der Antrag der Grünen vorsieht, ist für die dynamische
Weiterentwicklung des Internets nicht die beste Lösung .
Brauchen wir dann eine Kommission, die jedes Jahr die
Internetmindestqualität anpasst, wie beim Mindestlohn?
Das halte ich nicht für empfehlenswert .

Zum Schadenersatz kann die Bundesnetzagentur
selbst keine Regelungen treffen . Wir gehen derzeit davon
aus, dass durch die Jahresberichte und statistischen Ana-
lysen der Bundesnetzagentur sowie die Ermächtigung
der Nutzer, die tatsächliche Datenübertragungsleistung
zu überprüfen, ein hinreichender Druck auf die Diens-
te, vertragstreu zu liefern, entstehen wird . Andernfalls
müsste man das tatsächlich gesetzlich regeln .

Ihren Antrag sehen wir deshalb als durchaus wertvol-
len Beitrag zur Diskussion an


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!)


– immerhin –, auch wenn wir ihm natürlich nicht zustim-
men können .

Ich lade Sie stattdessen ein, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen – natürlich auch alle anderen
Mitglieder des Bundestages –, den Referentenentwurf
mit uns zu beraten, wenn es so weit ist, konstruktive Vor-
schläge zur Verbesserung zu machen und im Erfolgsfall
zuzustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817929900

Vielen Dank . – Zwischen den Fraktionen wurde ver-

einbart, dass die Vorlage auf Drucksache 18/8573 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwie-
sen wird und dabei die Federführung beim Ausschuss
für Wirtschaft und Energie liegt . Sind Sie damit einver-
standen? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist auch so
beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset­
zes zur Digitalisierung der Energiewende
Drucksache 18/7555
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/8919
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Auch hier höre
ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Florian Post, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Florian Post (SPD):
Rede ID: ID1817930000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Um die Energiewende zum Erfolg zu
führen, ist es von zentraler Bedeutung, den weiter wach-
senden Anteil dezentraler, volatiler erneuerbarer Energi-
en in unser Stromsystem zu integrieren . Dafür brauchen
wir eine intelligente Netzsteuerung .

Das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende,
das  heute  verabschiedet  wird, mit  seiner Verpflichtung 
zum Einbau von Smart Metern für Verbraucher mit über
6 000 Kilowattstunden pro Jahr trägt dazu bei . Es ist aus
unserer Sicht ein Meilenstein in der Energiewende . Wir
haben immer darüber gesprochen, dass wir zur intelli-
genten Netzsteuerung, zu einem intelligenten Lastenma-
nagement kommen müssen . Auch aufgrund der Tatsache,
dass andere Länder beim Rollout, beim Einbau solcher
intelligenten Messsysteme schon viel weiter sind, ist es
überfällig, dass wir hier nachziehen . Sonst würde uns am
Tag X nichts anderes übrig bleiben, als den Standard von
anderen Ländern zu übernehmen; wir könnten hier dann
selbst keine Standards setzen .

Das Gesetz ist eines der wenigen, bei dem der Bun-
desdatenschutzbeauftragte von Anfang an eingebunden
war . Das möchte ich hier noch einmal explizit betonen,
weil gerade in puncto Datenschutz und Datensicherheit
teilweise abstruse Vorstellungen im Raum standen . Es
wird selbstverständlich auch in Zukunft nicht möglich
sein, durch die automatisierte Auslesung Rückschlüsse
zu ziehen, zum Beispiel darauf, welche Filme man sich
anschaut, wann man seinen Kühlschrank öffnet etc . Das
alles waren tatsächlich Befürchtungen, die im Raum
standen . Es werden nur Geräte eingebaut, die mit höchs-






(A) (C)



(B) (D)


tem Datenschutzsicherheitsstandard kommunizieren,
BSI-zertifiziert sind und unmittelbar eine Stufe unter der 
militärischen Sicherheitsstufe in der Datensicherheit ste-
hen . Es ist wichtig, dass wir das noch einmal betonen .

Auch bleibt der Verbraucher Herr seiner Daten . Er
wird keine Daten preisgeben müssen, die er nicht auch
schon bisher übermitteln muss, damit er von seinem Ver-
sorger eine ordnungsgemäße Stromrechnung erstellt be-
kommt . Auch in diesem Punkt standen viele nicht zutref-
fende Vorstellungen im Raum . Es ist wichtig, dass man
das noch einmal klarstellt .

Natürlich ermöglicht eine solche intelligente Mess-
technik, dass man dem Verbraucher bezogen auf sein
Verbrauchsverhalten speziell zugeschnittene Tarife an-
bieten kann .


(Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Das ist allerdings nur möglich – die Kollegin Verlinden
hat sofort reagiert –, wenn der Verbraucher vorher ex-
plizit einwilligt, dass der Stromversorger, der für ihn
zuständig ist, diese Daten auslesen kann zum Zwecke,
dass ihm ein individueller Stromvertrag angeboten wird .
Das heißt, der Stromkunde bleibt Herr seiner Daten . Man
muss in diesem Zusammenhang sehen, wie es bisher ge-
schehen ist . Bisher wird bei einem Verteilnetzbetreiber
alles gesammelt, und es gibt keinerlei Standards, was die
Datensicherheit anbelangt .

Auch in dem Spannungsfeld zwischen Verteilnetzbe-
treiber und Übertragungsnetzbetreiber haben wir einen
sehr guten Kompromiss gefunden . Wir stellen die Ver-
teilnetzbetreiber mit mehr als 100 000 Anschlusskunden
den Übertragungsnetzbetreibern gleich . Alle kleineren
Verteilnetzbetreiber, die weniger als 100 000 Anschluss-
kunden haben, müssen einmalig begründen, weshalb sie
die Daten zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben brauchen .
Dann bekommen sie sie auch. Ich finde, hier sind wir den 
Verteilnetzbetreibern ein großes Stück entgegengekom-
men und haben das Spannungsfeld erfolgreich aufgelöst .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alles in allem, finde ich, ist es ein gutes Gesetz, das es 
uns in Zukunft ermöglicht, den weiter zunehmenden An-
teil volatiler erneuerbarer Energien intelligent im Netz zu
steuern, letztendlich für Systemstabilität zu sorgen und
die Energiewende weiterhin auf Erfolgskurs zu halten .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche noch
einen schönen Abend .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817930100

Vielen Dank . – Jetzt spricht Ralph Lenkert, Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817930200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Schlimmer geht immer . Diesen schwach-
sinnigen Gesetzentwurf


(Florian Post [SPD]: Oh!)


nochmals zu verschlechtern, hätte ich nicht für möglich
gehalten . Aber die Konzernlobbyisten werden es Ihnen
danken .

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, es geht ausschließ-
lich um den Einbau von intelligenten Stromzählern bei
Ihnen zu Hause .


(Zurufe von der CDU/CSU: Quatsch! Stimmt doch gar nicht! Blödsinn!)


Legen Sie schon einmal Geld beiseite, ab 2020 werden
die meisten von Ihnen einen solchen Zähler eingebaut
bekommen . Ihr Vermieter oder ein Messstellenbetreiber
legt das für Sie fest . Sie haben kein Mitspracherecht, dür-
fen aber die 60 Euro für den Zähler und die 20 Euro für
die jährliche Datenauswertung schon mal bezahlen .

Damit Sie Strom sparen können, zeigt Ihnen eine
Anzeige, wie viel Strom Sie gerade verbrauchen . Das
soll Sie zum Sparen anregen . Die Stadtwerke Nürnberg
machten einen Versuch bei 600 Stromkunden mit einem
ernüchternden Ergebnis: Nichts wurde eingespart .

Nun erklärt diese Regierung, das Gesetz soll Sie, die
Stromkunden, dazu anregen, Strom dann zu verbrauchen,
wenn es reichlich und genügend billigen Strom gibt . Ers-
tens . Es gibt keine angebotsabhängigen Tarifangebote für
Privatkunden .


(Florian Post [SPD]: Die wird es aber zukünftig geben!)


Zweitens . Das gibt viel Spaß mit Ihren Nachbarn und
Vermietern, wenn dann nachts die Waschmaschine plötz-
lich anspringt .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist doch wirklich toll, wenn das Mittagessen morgens
früh um 4 Uhr gekocht wird, weil dann der Stromtarif
gerade billig ist . Nicht einmal meine Oma glaubt Ihnen,
dass man so Strom spart .


(Florian Post [SPD]: Ist Ihnen das nicht selbst peinlich?)


Selbst die besten Freunde der Koalition, die Über-
tragungsnetzbetreiber, sind der Ansicht – hören Sie gut
zu! –, dass es bei intelligenten Stromzählern sinnlos
ist, sie bei Kunden mit einem Jahresverbrauch unter
20 000 Kilowattstunden einzubauen .


(Florian Post [SPD]: Was? 20 000?)


Das nächste Argument von Union und SPD lautet, die-
ses Gesetz sei notwendig für die Netzstabilität


(Johann Saathoff [SPD]: Ja!)


Florian Post






(A) (C)



(B) (D)


und dafür, dass mehr Lastmanagement, also gesteuerter
Stromverbrauch, möglich wäre .


(Florian Post [SPD]: Da muss man was von Physik verstehen!)


Ich sitze im Beirat der Bundesnetzagentur, der BNetzA .
Noch nie war die Stromversorgungssicherheit so hoch
wie heute, sagt die BNetzA . Selbst die Übertragungs-
netzbetreiber räumen ein – ich zitiere –: Für den siche-
ren Betrieb der Stromnetze ist das normale kleine Ver-
brauchssegment nicht maßgebend .


(Florian Post [SPD]: Über 6 000 Kilowattstunden!)


Es gibt sogar noch eine preiswerte Alternative für ein
besseres Lastmanagement . Die Stadtwerke Nürnberg in-
vestierten 17 Millionen Euro in zwei 25 Megawatt fas-
sende Warmwasserspeicher, gekoppelt mit einem Kraft-
werk mit Wärmenutzung und zwei großen Tauchsiedern .
Damit könnten die Stadtwerke Nürnberg mehr Regelleis-
tung für das Stromnetz bereitstellen, und zwar mehr, als
2,5 Millionen intelligente Stromzähler zum Beispiel über
Kühlschränke regeln könnten . 17 Million Euro – das
macht bei 2,5 Millionen Haushalten einen Kostenanteil
von lächerlichen 7 Euro im Vergleich zu den 80 Euro, die
Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufdrücken
wollen .

Liebe Verbraucherinnen und Verbraucher, anstatt die-
se verbraucherfreundliche Lösung wie in Nürnberg zu
unterstützen, führt diese Bundesregierung parallel zu die-
sem Gesetzentwurf ein Gesetz ein, das den Rahmen für
Speicher verschlechtert . Somit wird mit diesen kein Geld
mehr verdient . Damit verhindert diese Bundesregierung
den Bau weiterer Speicher . Gleichzeitig verlagert diese
Bundesregierung das Geschäft der Stromabrechnung von
den Stadtwerken zu privaten Konzernen .


(Florian Post [SPD]: Zu welchen denn?)


Es ist unverschämt, wie dieser Wirtschaftsminister im
Schatten der Europameisterschaft Kommunen und damit
unseren Bürgerinnen und Bürgern in die Tasche greift,


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


um seinen Freunden in der Industrie Profite zuzuschan-
zen und um den Stromzählerherstellern Millionenabsätze
auf Jahre hinaus zu sichern .


(Matthias Ilgen [SPD]: Legendenbildung!)


Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, dieses Gesetz will
nicht nur Ihr Geld, sondern auch Ihre persönlichen Daten .
Die Zähler können den Verbrauch in Milliwatt erfassen –


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817930300

Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Lenkert .


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817930400

– ja –, wenn die Nachttischlampe ausgeschaltet wird

usw .

Herr Kollege Post, selbst der Bundestag, der höhere
Sicherheitsanforderungen hat, wurde letzten Sommer ge-

hackt . Gesammelte Daten sind nie sicher . Deshalb lehnt
die Linke das Sammeln und Versenden dieser überflüssi-
gen Daten komplett ab .


(Florian Post [SPD]: Zurück in die Steinzeit, oder?)


Zusammengefasst muss ich kurz vor den Ferien fest-
stellen: Dieses Gesetz ist mehr als mangelhaft . Wieder-
holen Sie Ihre Bemühungen . Die Linke lehnt diesen Mist
ab .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817930500

Danke schön . – Jetzt hat der Kollege Jens Koeppen,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1817930600

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Der Kollege Lenkert

hat gerade gesagt: Schlimmer geht immer . – Er hat das
mit seiner Rede selbst bestätigt .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Florian Post [SPD]: Sehr richtig!)


Heute heben wir den Entwurf eines Gesetzes zur Digi-
talisierung der Energiewende über die Rampe . Wir haben
es uns in der Tat nicht leicht gemacht; das muss ich sagen .
Damit meine ich aber nicht die Koalition, die Opposition
oder das Ministerium, sondern die Gesellschaft generell .
Es war ein schwieriges Unterfangen, hier zu einer ver-
nünftigen Lösung zu kommen . Aber bei diesem Thema
war das wahrscheinlich auch nicht anders zu erwarten .

Im Hinblick auf die Digitalisierung gibt es generell
viele Befürchtungen . Da gibt es entweder 0 oder 1 . Die
einen sagen: Das ist völliger Unsinn . Die anderen sagen:
Das ist unabdingbar . – Wir müssen uns einmal die Fak-
ten anschauen; denn diese Ambivalenz ist natürlich sehr
groß . Übertragungsnetzbetreiber, Stadtwerke, Bürger,
Verbraucherschützer, Behörden usw . waren der Mei-
nung, dass das sehr schwierig ist . Andere allerdings ha-
ben gesagt, dass sie das unbedingt brauchen .

Was die Digitalisierung betrifft, müssen wir aus mei-
ner Sicht immer die Chancen und den Nutzen in den
Blick nehmen und uns die Frage stellen: Gibt es bei der
Digitalisierung Angebote? Die einen sagen: Es gibt kei-
ne Angebote; also lassen wir es mit dem Gesetz . – Ich
aber denke, dass es Aufgabe der Politik ist, zu sagen:
Wir müssen bei den Smart Metern die Voraussetzungen
schaffen, um überhaupt Angebote zu generieren .

Ich bin fest davon überzeugt, dass intelligente Netze
ohne IT nicht möglich sind und dass ohne Smart Meter
das Handling vor allen Dingen der volatilen Energi-
en nicht möglich ist . Ich bin mir auch ziemlich sicher,
dass ohne die Digitalisierung der Energiewende keine
bedarfsorientierten Angebote an den Nutzer gerichtet
werden können .

Ich denke, der Einbau von Smart Metern ist immer
noch besser, als den guten Strom, den wir erzeugt haben,

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


irgendwann zu einem negativen Preis massenhaft über
die Netze an andere Länder abzugeben . Wenn das Ar-
gument angeführt wird, dass kein Angebot da ist, lautet
mein Gegenargument: Wir müssen die Voraussetzungen
schaffen, um Angebote zu generieren . Das ist die Aufga-
be der Politik .

Smart Meter ist aus meiner Sicht eine Schlüsselposi-
tion, um Energieflüsse und den Verbrauch exakt zu mes-
sen – darauf kommt es nämlich an – und Spannungspro-
bleme frühzeitig zu erkennen und schnell zu beheben .
Und: Wir müssen die Energie nutzen können, wenn sie
anfällt . Dabei geht es um die sogenannten virtuellen
Speicher . Wir müssen in Zukunft dahin kommen, dass
Energie nur dann bezahlt wird, wenn sie auch nutzbar ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei hilft letztendlich auch die Digitalisierung . Außer-
dem haben wir Zugriff auf lastabhängige Tarife .

Welche Voraussetzungen gibt es? Der Kollege Post
hat es gesagt: Wir brauchen natürlich Vertrauen in die
Systeme . Unsere persönlichen Daten müssen geschützt
werden . Der Kollege hat auch ausgeführt, wie das funk-
tioniert . Das Bundesamt für Sicherheit in der Informa-
tionstechnik hat ganz klar festgelegt: Es gibt einen Si-
cherheitsstandard, der höher ist als bei EC-Karten . Jeder
Zähler, der bei Ihnen eingebaut wird, hat also einen höhe-
ren Sicherheitsstandard als Ihre EC-Karte; das muss man
erst einmal nachmachen . Die Daten werden so aggregati-
siert, dass sie nur für die Messung bzw . für das Manage-
ment des Netzes zur Verfügung stehen .

Wir dürfen beim Thema Datenschutz aber nicht im-
mer auf der Bremse stehen . Wenn wir nämlich überbor-
dende Diskussionen über 100-prozentigen Datenschutz,
den es gar nicht geben kann, führen, dann werden wir bei
der Digitalisierung immer der zweite Sieger sein .

Was haben wir erreicht? Zu der Diskussion mit den
Übertragungsnetzbetreibern und den Verteilnetzbetrei-
bern brauche ich nicht mehr so viel zu sagen; dazu ist
schon einiges ausgeführt worden . Ich glaube, die stern-
förmige Kommunikation ist ein guter Kompromiss . Jeder
bekommt die Daten, die er zur Erfüllung seiner gesetz-
lichen Aufgaben wirklich benötigt . Das ist wichtig, und
das haben wir erreicht . Bei aller Unzufriedenheit – an-
fangs auch und gerade bei den Verteilnetzbetreibern –
können wir, glaube ich, sagen: Das ist ein guter Kompro-
miss . Wir haben lange um ihn gerungen . Aber ich glaube,
letztendlich ist dabei etwas Gutes herausgekommen .

Wir haben auch gesagt: Wir betreiben das Rollout
auch für die EEG-Anlagen unter 7 kW optional. Das fin-
de ich ganz gut, weil sie ja auch zur Reduzierung des
Netzausbaus beitragen können . Wir müssen aufpassen,
dass wir die Industrieparks nicht übermäßig belasten, in-
dem wir ihnen ein – ich sage es einmal so – Downgrade
verordnen, sondern es muss ein Upgrade sein . Bessere
und genauere Messungen sind schon jetzt möglich .

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . Die Ener-
giewende mithilfe der Digitalisierung voranzutreiben,
sie vielleicht sogar kostengünstiger zu gestalten und in
Zukunft bedarfsgerechtere Tarife für die Kunden zu ge-
nerieren, ist eine brauchbare Strategie . Ich hätte mir ein

schnelleres Rollout gewünscht, aber das ist zunächst ein-
mal zumindest ein wichtiger Schritt in die richtige Rich-
tung .

Vielen Dank dafür und auch für die gute Zusammen-
arbeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817930700

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Dr . Julia Verlinden .


Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817930800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Ohne Zweifel ist die Digitalisierung
der Stromversorgung ein wichtiger Baustein der Energie-
wende, und Deutschland hat hier Nachholbedarf .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass digitale
Systeme den Strombedarf während der Verbrauchsspit-
zenzeiten senken können . Das erhöht natürlich die Flexi-
bilität, und die Stromversorgung wird sicherer .

Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie be-
schreiten hier aber den falschen Weg; denn Sie wollen
die Stromkunden weitestgehend mit sogenannten Smart
Metern zwangsbeglücken .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Zwangsbeglückung ist normalerweise eure Aufgabe! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


– Ich wundere mich ja auch .

Es ist ja so: Wenn die Verbrauchswerte transparent
gemacht werden, dann kann damit Energie eingespart
werden, und das spart dann auch Geld . Lohnen tut sich
die Investition in die Technik aber nur, wenn der Strom-
verbrauch dann auch entsprechend hoch ist . Das ist also
nur für größere Verbraucher, wie Unternehmen, sinnvoll .


(Florian Post [SPD]: Genau deswegen heißt das auch so!)


Für kleinere Verbraucher, wie die privaten Haushal-
te, stiften diese intelligenten Messsysteme aber keinen
messbaren Nutzen .


(Florian Post [SPD]: Es ist auch nicht eingebaut!)


Hinzu kommt – darauf wurde hingewiesen –, dass es
bisher noch keine zeitvariablen Tarife für die Haushal-
te gibt, die einen ökonomischen Anreiz setzen könnten,
zum Beispiel den, die Waschmaschine dann anzustellen,
wenn gerade viel Strom produziert wird .

Wir kritisieren, dass die Mieterinnen und Mieter bei-
spielsweise nicht gefragt werden, wenn der Hausbesitzer
auf Smart Meter umstellt .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es! – Oliver Krischer Jens Koeppen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht okay!)





(A) (C)


(B) (D)


Auch die Hausbesitzer können sich in Zukunft nicht
wehren, wenn der grundzuständige Messstellenbetreiber
die neuen Zähler zur Pflicht macht. Bezahlen müssen sie 
die teuren Zähler dann dennoch, und das gefährdet die
Akzeptanz der neuen Technologie und letztlich auch der
Energiewende .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dieser Plan zur Markteinführung von sogenannten intel-
ligenten Zählern, den Sie haben, ist also unintelligent .


(Florian Post [SPD]: Es gibt eine EU-Richtlinie dazu!)


– Ja, aber auch sie eröffnet verschiedene Möglichkeiten,
damit umzugehen . Das kann man feststellen .

Akzeptanz ist die Grundbedingung dafür, dass die
Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Impulse, die
von den Smart Metern ausgehen, reagieren . Hier wäre
also Wahlfreiheit statt Einbauzwang die richtige Strate-
gie, wenn es um den Einbau dieser intelligenten Mess-
systeme geht . Warum lassen Sie also die Privathaushalte
nicht selbst entscheiden, ob sie Smart Meter haben wol-
len oder nicht? Sie haben doch hoffentlich keine Angst
vor mündigen Verbrauchern!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias Ilgen [SPD]: Sonst wollen Sie doch immer alle zwangsbeglücken!)


Wer weniger als 6 000 Kilowattstunden Strom im Jahr
verbraucht, ist nicht derart systemrelevant, dass sich eine
sogenannte Lastverschiebung lohnt . Wir Grüne wollen
deshalb die freie Entscheidung für Kunden mit einem
Verbrauch von bis zu 6 000 Kilowattstunden im Jahr und
ein Widerspruchsrecht zum Einbau eines intelligenten
Messsystems für private Haushaltskunden mit einem
Stromverbrauch zwischen 6 000 und 10 000 Kilowatt-
stunden im Jahr .

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde mit
dem Änderungsantrag der GroKo für die Betreiber von
Anlagen für erneuerbare Energien verschlechtert, indem
es nun in Zukunft den verpflichtenden Einbau von Smart 
Metern auch schon für Kleinstanlagen von 1 kW geben
soll .


(Florian Post [SPD]: Optional!)


Das betrifft vor allem Betreiber von kleinen Solarstrom-
anlagen . Dieser Zwangseinbau von Smart Metern ist
netztechnisch  überflüssig  und  kostet  nur  unnötig Geld. 
Aus meiner Sicht ist das eine weitere Schikane der Gro-
ßen Koalition . Sie wollen jetzt das Engagement der Bür-
gerinnen und Bürger für die Energiewende mit Steuern,
Abgaben und Bürokratie bestrafen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So schaffen Sie Politikverdruss .


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Das gilt erst recht auch deshalb, weil mit den digitalen
Zählern das Internet Einzug in die Stromversorgung je-
des Einzelnen hält. Durch den flächendeckenden Einbau 
der digitalen Messsysteme werden sensible Daten gene-
riert; das ist schon angesprochen worden . Der Einbau er-
möglicht eine übergreifende Auswertung nach Personen-
gruppen, Straßenzügen oder ganzen Stadtteilen .


(Florian Post [SPD]: Nein!)


Für uns als grüne Bundestagsfraktion ist wichtig, dass
die hohen Verbraucher- und Datenschutzstandards, die
wir normalerweise in Deutschland haben, und die höchs-
ten Anforderungen an die Datensicherheit auch bei die-
sem Gesetz gelten müssen .


(Florian Post [SPD]: Das tun sie! Genau das tun sie!)


Mit Ihrem Gesetz nähren Sie aber Zweifel, dass dies
erreicht wird; denn die Grundprinzipien wie Datenspar-
samkeit und der Erforderlichkeitsgrundsatz sind bei der
Erhebung, der Nutzung und auch bei der Übermittlung
dieser Verbrauchsdaten vermutlich nicht vernünftig ein-
gehalten .


(Andreas G . Lämmel [CDU/CSU]: Natürlich!)


– Dazu gab es Hinweise vom Datenschutzbeauftragten .

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Koalition hat
den internationalen Trend hin zur Digitalisierung in der
Vergangenheit lange verschlafen . Damit haben wir vor
allem in Industrie und Gewerbe große Potenziale für
mehr Effizienz und Stabilisierung der Netze brachliegen 
lassen . Jetzt wachen Sie auf und verfallen in Aktionis-
mus . Damit vergeben Sie eine große Chance und werden
bei den betroffenen Stromkunden Frust und Ärger ernten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Post [SPD]: Die Alternative ist ein Ferraris-Zähler, oder was?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817930900

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Johann Saathoff,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1817931000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Erinnern Sie sich noch an die orangefarbenen
Telefone mit der Wählscheibe?


(Florian Post [SPD]: Die wollen die Grünen wieder zurück!)


Ja? Diese gibt es aber schon lange nicht mehr . Die Tele-
kom stellt gerade deutschlandweit das Telefon von ana-
log auf digital um . Die Technik hat sich enorm weiter-
entwickelt .

Jetzt denken Sie einmal an Ihren Stromzähler . Das ist
vermutlich noch so ein ziemlich alter Drehstromzähler,
der so ähnlich heißt wie eine teure, schnelle und für ihre
rote Farbe bekannte Automarke . Jetzt hat sich aber auch

Dr. Julia Verlinden






(A) (C)



(B) (D)


die Technik bei Stromzählern und bei den Stromnetzen
insgesamt enorm verändert, so wie wir auch die fossile
Stromproduktion auf eine auf erneuerbaren Energien ba-
sierende Stromproduktion schrittweise umstellen wollen .
Dieses Projekt trägt einen schönen Namen: Energiewen-
de . Dementsprechend reden wir heute über das Gesetz
zur Digitalisierung der Energiewende .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Ein bisschen mehr!)


Mit  diesem  Gesetz  wollen  wir  die  alte,  unflexible 
und unkommunikative Technik schrittweise durch eine
neue ersetzen, die uns allen bei der Energiewende die
Möglichkeiten bietet, die wir brauchen . In den nächsten
16 Jahren – meine Damen und Herren, ich wiederhole:
16 Jahren – sollen alle analogen Zähler durch digitale er-
setzt werden, die in Sachen Design leider wenig an die
schnellen roten Autos erinnern .

Als es noch die orangefarbenen Telefone gab, hätte es
kein Mensch für möglich gehalten, dass es irgendwann
einmal Smartphones gibt . So wissen wir auch heute noch
nicht, was wir in Zukunft alles mit den Smart-Meter-
Gate ways werden anfangen können . Bislang gibt es dafür
viele Ideen, aber logischerweise kaum Anwendungen . Es
macht keinen Sinn, an dieser Stelle Ängste zu schüren .
Es steht für mich außer Frage, dass diese Anwendungen
in der Zukunft entwickelt werden . Mir ist wichtig, dass
alle Menschen mit einem Smart-Meter-Gateway selbst
entscheiden können, wer ihre Daten bekommt . Dafür
sorgen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Jens Koeppen [CDU/CSU] – Florian Post [SPD]: Das ist gewährleistet!)


Wenn es also irgendwann einmal solche Anwendun-
gen gibt, müssen die Anbieter erst mit den Kunden Ver-
einbarungen schließen, bevor diese die Daten bekommen .
Weiterhin ist der Schutz der Daten auch durch das enorm
hohe Sicherheitsniveau der Gateways gewahrt . Drei Jah-
re ist mit dem BSI daran gearbeitet worden . Selbstver-
ständlich wird dieses Schutzniveau immer wieder ange-
passt, sodass immer der höchste Standard vorliegt .

Aber wir dürfen nicht nur isoliert auf dieses Gesetz
blicken, liebe Kolleginnen und Kollegen . Wir müssen es
im Zusammenhang mit anderen für die Energiewende
wichtigen Vorhaben sehen, die wir dieser Tage beschlie-
ßen wollen . Da ist zunächst einmal das Strommarktge-
setz zu nennen . Dieses werden wir heute Abend noch
verabschieden; ich werde es in meiner Rede gleich ent-
sprechend würdigen . Dazu gehört auch das EEG 2016,
zu dem es morgen die erste Lesung geben wird . Auch
das wollen wir noch vor der Sommerpause verabschie-
den . Diese Gesetze gehören also zusammen . „Eerst so
sitt Haak in’t Steel“, sagen wir in Ostfriesland . Also: Nur
so wird das was .

Wir gehen dieser Tage die entscheidenden Schritte für
das langfristige Gelingen der Energiewende in Deutsch-
land . Darauf können wir auch ein kleines Stück stolz
sein .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817931100

Vielen Dank . – Die Debatte beschließt jetzt die Kolle-

gin Barbara Lanzinger, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1817931200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Sehr geehrte junge Leute, die uns
heute zuhören! Zu dem zentralen Bestandteil der Ener-
giewende ist alles schon gesagt . Wir haben in der Tat viel
diskutiert und viel verhandelt, und zwar – ich denke, es
ist wichtig, das zu erwähnen – mit Datenschutzbeauftrag-
ten, Verbraucherschützern, Unternehmen, Verbänden und
vielen weiteren . Ich denke, das macht auch diesen Ge-
setzentwurf aus, dass er nicht einfach so auf den Markt
geworfen wird . Das Ergebnis ist ein Kompromiss – und
ich denke, es ist ein guter Kompromiss – zwischen Ver-
braucherinteressen und – das sage ich bewusst – den In-
teressen der Wirtschaft .


(Florian Post [SPD]: Und zwischen uns!)


Wir brauchen Instrumente, um die Stabilität und Effi-
zienz zu gewährleisten . So brauchen wir die intelligenten
Messsysteme  für  die  Energieeffizienz,  und  ich  denke, 
dass den Stromkunden variable Stromtarife angeboten
werden müssen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schaffen gar nicht den Rahmen, dass das mit den Tarifen geht!)


Zentral war für uns die Datensicherheit . Das war
der wichtigste Bestandteil des Gesetzentwurfs, und das
wurde mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Infor-
mationstechnik, dem BSI, und der Bundesnetzagentur
abgestimmt . Wir verlassen uns auch darauf, dass die ver-
bindlichen Sicherheitsstandards gewährleistet sind und
dass ein Akteur im Energiesystem nur die Daten aus dem
Smart Meter erhält, die er für seine rechtlich festgelegten
Aufgaben benötigt .


(Florian Post [SPD]: Sehr gut!)


Ich wehre mich deshalb dagegen, dass von Datenkraken
oder Ausspähen geredet wird . Das ist in der Tat falsch .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein wichtiger Punkt ist der Rollout der Geräte, um
die Balance zwischen einer möglichst geringen finanzi-
ellen Belastung der Verbraucher einerseits und der Mög-
lichkeit eines wirtschaftlichen Einbaus andererseits zu
schaffen. Der Pflichteinbau ist ab einem Jahresverbrauch 
von 6 000 Kilowattstunden vorgesehen . Darunter ist das
Ganze optional. Es ist nicht verpflichtend, wie Sie gesagt 
haben, Frau Verlinden, und es kommt frühestens ab 2020 .

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


Ich wiederhole: Es gibt also für die Geringverbraucher
unter 6 000 Kilowattstunden keinen Pflichteinbau, son-
dern für sie ist der Einbau der Smart Meter optional .


(Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber man muss widersprechen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sei denn, Sie sind Mieter! Dann müssen Sie einbauen!)


Und es gibt dabei einen niedrig angesetzten Kostende-
ckel, der strikt eingehalten werden soll .

Auch das, was Sie vorhin zu den Kleinerzeugeranla-
gen erwähnt haben, ist falsch . Ich lege Wert darauf, weil
mir das in der Verhandlung sehr wichtig war, dass bei
Anlagen kleiner 1 nichts gemacht wird .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kleiner 1! Aber kleiner1 ist doch gar nichts!)


– Jetzt hören Sie doch zu! Sie haben gerade von 1 kW
gesprochen . Deshalb wiederhole ich das jetzt . Zwischen
1 und 7 kW ist es optional; als Preisobergrenze sind
60 Euro vorgesehen . Bestandsanlagen werden nicht an-
gegriffen . Der Neueinbau erfolgt ab 2018 .

Zum Schluss ist, was die Diskussion um die Über-
tragungsnetzbetreiber und die Verteilnetzbetreiber an-
geht – auch das wurde schon erwähnt –, noch die Frage
wichtig, wer die Daten letztendlich bekommen soll . Ich
denke, wir haben einen guten Kompromiss geschaffen,
dass bei einer Größe von 100 000 Zählpunkten die Daten
so weitergegeben werden, wie sie hereinkommen . Unter-
halb dieser Grenze müssen die Messstellenbetreiber den
Antrag stellen, damit sie das lösen können .

Ich komme zum Schluss . Aus unserer Sicht kann die
Energiewende nur dann gelingen, wenn alle Beteiligten
zusammenarbeiten, wenn die Unternehmen auf diejeni-
gen, die den Verbrauch steuern, die Kunden, zugehen und
ihre Sorgen ernst nehmen, die sie ja haben, wenn gute
Angebote gemacht werden, auch um dafür zu werben,
diese Messsysteme einzubauen, und wenn intelligente,
variable Strompreise angeboten werden .

Das Zusammenspiel von Verbrauchern, Messstellen-
betreibern und Erzeugern macht letztendlich den Erfolg
des Gesetzes aus . Ich denke, wir haben mit dem Gesetz-
entwurf eine gute Grundlage geschaffen, und bitte Sie
um Ihre Zustimmung .

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817931300

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Digitali-
sierung der Energiewende . Der Ausschuss für Wirtschaft
und  Energie  empfiehlt  in  seiner  Beschlussempfehlung 
auf Drucksache 18/8919, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/7555 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-

entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Damit ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men worden .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/8924 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich?
Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt
worden .

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 17:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema
Movassat, Katja Kipping, Dr . Gesine Lötzsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Rechenschaftspflicht und entwicklungspoliti­
sches Mandat der Deutschen Investitions­ und
Entwicklungsgesellschaft DEG stärken

Drucksache 18/8657
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als erster
Redner Niema Movassat von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817931400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Pana-

ma flutet  ein Staudammbetreiber das Land von  Indige-
nen gegen deren Willen und trotz jahrelanger Proteste . In
Sierra Leone verlieren Tausende Menschen ihr Land an
einen Großinvestor . Der will Biodiesel für Europa pro-
duzieren, scheitert aber . Nun stehen die Menschen ohne
Arbeit und ohne Land da . In Kenia verweigert ein Wind-
parkinvestor Menschen, die ihre Weidegründe durch das
Projekt verloren haben, jegliche Kompensationsansprü-
che und befeuert damit soziale Konflikte.

Drei Projekte, drei Länder: Panama, Sierra Leone und
Kenia . Diese Länder sind Tausende von Kilometern von-
einander entfernt, und doch haben sie eines gemeinsam:
Alle drei Projekte wurden von der DEG finanziert. Das 
ist die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesell-
schaft, eine Tochter der KfW, ein Staatsunternehmen . Als

Barbara Lanzinger






(A) (C)



(B) (D)


gemeinnütziges Unternehmen ist die DEG dem Ziel ver-
pflichtet, die Entwicklung in den Ländern des Südens zu 
fördern . Dieses Ziel will sie durch die Finanzierung von
Unternehmen – durch Darlehen und Unternehmensbetei-
ligungen – erreichen . Die Realität aber ist: Die DEG hat
Projekte finanziert, die ganz und gar nicht zur Entwick-
lung beigetragen haben . Menschen verloren ihr Land
und ihre Existenzgrundlagen und drifteten in noch mehr
Armut ab . Für eine staatliche Entwicklungsbank, die
Hoffnungen und Perspektiven für Menschen in Entwick-
lungsländern schaffen soll, ist das ein Armutszeugnis .


(Beifall bei der LINKEN)


Keiner von uns hier weiß, wie viele DEG-Finanzie-
rungen im Debakel endeten . Denn was genau die DEG
finanziert,  darüber  veröffentlicht  sie  nur  wenige  hand-
verlesene Informationen . Die DEG hält die Umwelt- und
Sozialrisikoprüfungen komplett unter Verschluss . Sie be-
gründet das mit dem Geschäftsgeheimnis . Immer wenn
ich die Bundesregierung nach der Arbeit der DEG frage,
bekomme ich als Antwort, die DEG mache gute Arbeit .
Der Beleg, den die Regierung mir dann gibt, ist, dass sie
feststellt, die DEG sage, sie mache gute Arbeit . So geht
das doch nicht! Wenn sich, wie jetzt, die Berichte über
gescheiterte DEG-Projekte häufen, können wir uns doch
nicht einfach auf solche Behauptungen verlassen .


(Beifall bei der LINKEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Was heißt denn „gescheiterte Projekte“?)


Die Bundesregierung, die letztlich Eigentümerin der
DEG  ist, muss  endlich  ihrer Aufsichts-  und Prüfpflicht 
nachkommen . Stattdessen übernimmt sie die absurden
Argumente der DEG . Landraub wird da plötzlich in „Ur-
barmachung“ und „Aufwertung“ von Land umgedeutet .
Das ist doch verrückt! Sie von der Bundesregierung be-
haupten immer, sich weltweit gegen Landraub einzuset-
zen.  Ihr  eigenes Unternehmen  aber finanziert Landräu-
ber . Das ist doch absurd!


(Beifall bei der LINKEN)


Absurd ist außerdem, dass die DEG bei vielen Finan-
zierungen nicht einmal ihre eigenen Zielvorgaben erfüllt .
So möchte die DEG Klein- und Mittelbetriebe fördern .
Allerdings hat vor kurzem selbst der Industrieverband
BDI beklagt, dass die Förderpolitik der DEG aufgrund
der großen Projektsummen Kleinbetriebe ausschließt .

Die DEG möchte Arbeitsplätze in Entwicklungslän-
dern schaffen . In Paraguay fördert sie allerdings einen
Finanzinvestor im Agrarsektor, der auf einer Fläche, die
halb so groß wie das Saarland ist, nur 128 Mitarbeiter
beschäftigt . Jobwunder sehen anders aus .

Die DEG möchte die Einkommen der Entwicklungs-
länder durch mehr Steuereinnahmen verbessern . Gleich-
zeitig unterstützt sie Absprachen zwischen Unternehmen
und Regierungen zur Steuervermeidung . Dieser Zustand
ist für eine staatliche Entwicklungsbank völlig unhaltbar .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen auf drei Ebenen aktiv werden – und das
dringend . Erstens . Es muss schwarz auf weiß nachlesbar
sein, was die DEG genau macht . Transparenz ist hier das

Stichwort . Zweitens . Es muss gesichert werden, dass die
Projekte der DEG Entwicklung schaffen . Es braucht also
klare entwicklungspolitische Vorgaben . Drittens . Die
Menschen vor Ort müssen wissen, was die DEG vorhat,
und Mitspracherechte erhalten . Entwicklungspolitik lebt
davon, die Betroffenen mitzunehmen . Das muss auch für
Projekte der DEG gelten .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich lade Sie alle ein, über die Forderungen, die wir
als Linke in unserem Antrag konkretisiert haben, in den
nächsten Wochen gemeinsam zu diskutieren, auch über
die Umsetzung.  Ich finde, wir brauchen eine breite ge-
sellschaftliche Diskussion, auch mit der DEG .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817931500

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Hans-Joachim

Fuchtel für die Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ha
Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1817931600


Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Nachdem hier nur kritische und negative Worte
gefallen sind, muss jetzt einmal die positive Seite darge-
stellt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Ich tue das auch deswegen, um Reputationsschäden
von der DEG abzuwenden . Man muss feststellen, dass
nur 15 Prozent der Finanzierungen in den Entwicklungs-
ländern von öffentlicher Seite kommen, hingegen 85 Pro-
zent vom Privatsektor . Mit solch negativen Darstellungen
ermutigen wir sicher niemanden, dorthin zu gehen, und
das, wo wir mehr Unternehmer brauchen –


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ist es die Wahrheit oder nicht?)


im Interesse der Menschen, im Interesse der Arbeit, im
Interesse von mehr Stabilität und damit weniger Men-
schen zur Flucht gezwungen sind . So wie Sie, meine
Damen und Herren, reden, helfen Sie in dieser Richtung
überhaupt nicht, mit keinem einzigen Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Jetzt sage ich Ihnen eines: Im Verwaltungsrat des Mut-
terkonzerns der DEG – die Mutter ist die KfW – sitzt
eine Vertreterin von Ihnen . Wo ist sie heute bei dieser
Debatte?


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Sie sind Aufsichtsratschef! Wo sind Sie bei den vielen Projekten?)


Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


Die Fragen, die Sie jetzt aufwerfen, können auch im
KfW-Gremium zur Sprache gebracht werden . Aus Grün-
den des Bankgeheimnisses möchte ich jetzt nicht darüber
sprechen, wer welche Fragen immer wieder anspricht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Florian Post [SPD])


Jeder ruft danach, dass mehr KMUs in die Entwick-
lungsländer gehen sollen . Aber wenn ich die Prozesse
immer mehr kompliziere, dann werde ich das Gegenteil
erreichen, und zwar zulasten der Menschen . Das können
wir nicht zulassen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die DEG verfügt über langjährige Erfahrungen und
Know-how . Das ist wohl unstrittig .


(Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


Es wird bei einer solchen Aufgabe immer wieder Punkte
geben, die man kritisch hinterfragen muss, und man wird
immer wieder dazulernen müssen . Aber die DEG hat ge-
zeigt, dass sie dazu in der Lage ist . Man hat in den letzten
Jahren sehr viel in dieser Hinsicht getan .

Heute ist die Situation so, dass man sagen kann: Aus
den Fehlern in der Vergangenheit, die in der Regel vor
der Übernahme der Leitung durch die jetzige BMZ-Füh-
rung gemacht worden sind, hat man gelernt, und man hat
in ganz vielen Fällen Verbesserungen erreicht . Da nach-
her der Kollege Kekeritz spricht, von dem ich gewohnt
bin, dass er einige neue Dinge anspricht, möchte ich we-
nigstens darauf hinweisen, dass beispielsweise die Fra-
ge von Finanzierungen über Offshore bereits vor 2010
aufgeworfen worden ist, zu Zeiten, in denen Rot-Grün
regiert hat, aber Leitlinien, um das Problem besser in den
Griff zu bekommen, erst am 1 . Januar 2010 auf den Weg
gebracht wurden und zum 1 . April 2014 noch einmal ver-
bessert wurden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Also, sehr große Vorsicht, sonst sprechen wir über alle
Fälle und legen dar, wie der Weg war, um die Historie
gänzlich darzustellen . Das würde der Sache wahrschein-
lich nicht dienen .


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konsequenzen daraus ziehen! Aber das trauen Sie sich nicht!)


Wir wollen in die Zukunft schauen . Der Kollege
Movassat hat eine Reihe von Initiativen ergriffen . Das
ist sein gutes Recht . Ich muss Ihnen aber auch sagen: Der
Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat ein-
deutig festgestellt, dass die DEG transparent arbeitet und
dass sie gewisse Bankgeheimnisse wahren muss . Das ist
in diesem Gremium amtlich beschlossen worden .


(Abg . Niema Movassat [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich habe heute Abend keine große Lust mehr, noch
Zwischenfragen zu beantworten .


(Lachen bei der LINKEN)


Warum? Der Aufsichtsrat der DEG hat beschlossen, an
den Petitionsausschuss heranzutreten und dort den ge-
samten Geschäftsbericht zur Debatte zu stellen . Mehr
kann man nicht anbieten . Deswegen brauchen wir heute
hier kein Geplänkel .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir möchten, dass Nachhaltigkeit das Geschäftsvolu-
men entsprechend prägt . Das ist in der Tat der Fall . Wir
versuchen mit den verschiedensten Instrumenten dafür
zu sorgen . Man bestätigt uns auf der ganzen Welt – auch
durch das Verfahren, das wir jetzt haben –, dass die DEG
bezüglich Transparenz gegenüber den Bürgern und als
Instrument für die Zukunft ganz weit vorn ist .

Mit Wilhelm Busch möchte ich schließen:

Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Rau-
pen selbst im Sauerkraut .


(Beifall der Abg . Sibylle Pfeiffer [CDU/ CSU])


Das ist jetzt ein bisschen polemisch . Sorgen wir mit
der Diskussion dafür, dass die Reputation der DEG gesi-
chert ist, dass wir die Firmen einladen, weltweit aktiv zu
werden . Sie dürfen von ihrem Wirken nicht abgehalten
werden; denn angesichts der Globalisierung braucht die
Welt unternehmerische Aktivität mehr denn je zuvor .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Sascha Raabe [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817931700

Vielen Dank . – Der Kollege Movassat erhält jetzt das

Wort zu einer Kurzintervention .


Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817931800

Frau Präsidentin, danke . – Herr Staatssekretär, Sie ha-

ben sich hier auf das Bankgeheimnis der DEG berufen .
Sie haben gesagt, die DEG sei in Bezug auf Transparenz
ganz weit vorn .

Fangen wir einmal mit dem Thema Transparenz an .
Die DEG sagt, sie halte die Standards der Weltbank-
tochter IFC ein . Die IFC veröffentlicht zwischen 30 und
60 Tage, bevor sie eine Finanzierung durchführt, ihre
Sozialrisiko- und Umweltrisikoprüfungen . Das macht
die DEG nicht . Das heißt, da kann die DEG gar nicht
das transparenteste Unternehmen sein; denn zumindest
an diesem Punkt ist die IFC deutlich transparenter als die
DEG .

Das, was wir als Linke hier fordern, ist keine Revo-
lution . Wir fordern, das umzusetzen, was zum Beispiel
bei der Weltbank Standard ist . Das ebenfalls zu tun, wäre
einmal ein Anfang . Dazu müssen Sie Stellung nehmen,
Herr Staatssekretär .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie sagen, wir müssten in die Zukunft schauen
und jetzt sei alles toll: In Panama wird das Barro- Blanco-
Projekt durch die DEG finanziert. Sogar der Beschwer-
demechanismus der DEG hat heftige Kritik an diesem

Parl. Staatssekretär Hans­Joachim Fuchtel






(A) (C)



(B) (D)


Projekt geübt. Da wird jetzt geflutet. Die Menschen müs-
sen ihr Land verlassen .


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Wie viele Menschen? Wie viele sind das?)


Das ist die Zukunft, die Ihrer Finanzierung sozusagen
innewohnt . Die damit zusammenhängenden Fragen müs-
sen Sie beantworten . Was ist eigentlich mit einer Kom-
pensation für die Menschen? Wird die DEG den Men-
schen da irgendwie helfen, nachdem sie ihnen das alles
eingebrockt hat? Die Menschen vor Ort leiden nämlich .

Sie sagen: Wir müssen da etwas für die Menschen
tun . – Es gibt unglaublich viele Menschen, die unter
DEG-Projekten gelitten haben .


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Wie viele?)


Da sind auch Sie als Vorsitzender des Aufsichtsrates der
DEG gefragt, zu handeln, Herr Fuchtel .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817931900

Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort zur Erwide-

rung .

Ha
Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1817932000


Lieber Kollege, Sie betonen so sehr, dass ich Vorsit-
zender des Aufsichtsrates bin . Das stimmt . Ich bringe
da viel Engagement ein . Ich darf Ihnen aber gleichzeitig
sagen: Das geschieht ohne Mehrhonorar . Ich sage das
nur, damit das hier klar ist und damit nicht der Eindruck
entsteht, dass das mit großen Vergütungen verbunden ist .

Zum Ersten . Ich hätte gedacht, Sie nehmen vielleicht
auch zur mangelnden Präsenz der Kollegin, die im Ver-
waltungsrat der KfW sitzt, hier heute Abend Stellung und
erklären hier, warum Sie so reden . Ich hätte in den Gre-
mien, in denen das zu besprechen ist, mehr Diskussionen
zu führen, wenn es tatsächlich so kritisch wäre, wie es
hier gerade dargestellt wird .

Zum Zweiten . Wir haben gerade ein Gutachten beim
Deutschen Institut für Menschenrechte in Auftrag gege-
ben . Dieses Institut arbeitet unabhängig und steht ganz
gewiss nicht im Verdacht, dass es einseitige Positionen
vertritt . Dieses Gutachten wird sicher auch Aussagen da-
rüber machen, was da noch weiter zu tun ist . Dann kön-
nen wir uns wieder über die Fragen unterhalten, die Sie
gerade angesprochen haben .

Zum Dritten: Panama: Dazu wollten Sie mich schon
gestern in der Fragestunde fragen . Ich habe anderthalb
Stunden hier gesessen und auf Ihre Frage gewartet; Sie
waren nicht da . Gut, es ist Ihr gutes Recht, dass Sie dann
von mir eine schriftliche Antwort erhalten .

Ich möchte Ihnen sagen: Auch in dem Verfahren hat
man dazugelernt . Man hat dazugelernt, zu welchem Zeit-
punkt den Beteiligten entsprechende Erkenntnisprozesse
und Mitteilungen abverlangt werden . Man kommt dazu,
dass man nicht erst dann solche Hinweise verlangt, wenn
die Finanzierungszusagen gegeben werden, sondern be-

vor die Verträge unterschrieben werden . Wenn Sie so
wollen, ist hier ein Lerneffekt eingetreten . Man hat eine
Maßnahme ergriffen . Man muss in all diesen Fragen
noch viel sorgfältiger sein .

Ich betone abschließend nochmals: Es wird gearbeitet,
wo es sehr schwierig ist . In dem konkreten Fall – Herr
Kollege, ich möchte die Zeit nicht überziehen – war es
wohl so, dass die Regierung von Panama eindeutige Aus-
sagen gemacht hat, auf die man sich verlassen hat, die
sich im Nachhinein nicht als vollständig zutreffend he-
rausgestellt haben,


(Zuruf der Abg . Inge Höger [DIE LINKE])


nämlich in der Frage, welche indigenen Gemeinschaften
gefragt wurden . Über diese Frage redet man jetzt sehr in-
tensiv, auch mit dem Bemühen um Entschädigung . Aber,
mit Verlaub, das ist nicht die Sache der DEG, sondern das
ist Sache des Landes Panama .


(Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber die DEG hat es finanziert!  Das wissen Sie schon!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817932100

Als nächster Redner in der Debatte hat Uwe Kekeritz

das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817932200

Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen!

Natürlich geht es auch um die Reputation . Aber, Herr
Staatssekretär, eines können wir nicht machen: Hier kön-
nen wir nichts zur Reputation der DEG beitragen . Das ist
Sache der DEG draußen vor Ort, und da gibt es sehr viele
Missstände .


(Zuruf der Abg . Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU])


Sie haben selber gesagt, wie viel Sie seit der Regierungs-
übernahme, seit 2013, schon geändert haben . Das ist ein
Eingeständnis, dass hier sehr viel zu tun war . Sie haben
auch davon gesprochen, dass es jetzt noch ein Gutachten
geben wird . Offensichtlich weiß auch diese Regierung,
dass nicht alles in Butter ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Insofern kann man davon ausgehen, dass hier noch sehr
viel mehr an Änderungen kommen wird .

Meine Damen und Herren, vielleicht haben auch Sie
schon Erfahrungen mit der DEG gemacht . Es ist tatsäch-
lich so, dass ich sehr viele Erfahrungen mit der DEG ge-
macht habe . Es tut mir leid: Es waren nur negative . Viel-
leicht kommt niemand, wenn etwas positiv ist; aber es ist
einfach bedrückend, wenn Vertreter von NGOs kommen
und sagen: Da sind diese und jene negativen Auswirkun-
gen . Da gibt es Ölplantagen in Indonesien, für die Torf-
moor- und Naturwald weichen musste . Es gab ein kame-
runisches Unternehmen, das Medikamente herstellte . Es
gab ein Palmölprojekt in Honduras, bei dem mindestens
25 Menschen ermordet wurden . Es ging um Land-Grab-
bing-Projekte in Sambia und Paraguay . Überall ist Geld
der DEG dabei .

Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


Wenn der Protest zu laut wird, dann zieht die DEG
auch Konsequenzen . Aber der Protest muss hier laut wer-
den . Wenn der Protest in den Entwicklungsländern laut
wird, reagiert die DEG nicht .

Vor vier Jahren hatte ich Besuch von der DEG . Vier
Herren kamen zu mir . Ich wollte mit ihnen über das Un-
ternehmen sprechen, das Medikamente in Kamerun pro-
duziert . Wir sind uns nicht einig geworden . Sie saßen
mir am Tisch gegenüber . Dann habe ich sie aufgefordert:
Nun nennen Sie mir doch bitte mal ein Projekt, das Sie
selbst als positiv einstufen würden! – Zehn Sekunden
schmerzhaftes Schweigen – und plötzlich: Sierra Leone!
25 000 Arbeitsplätze, Sozialprojekte, umweltfreundliche
Landwirtschaft, Infrastrukturaufbau .

Sierra Leone – Kollege Movassat hat es gerade er-
wähnt . Heute wissen wir: Es ist ein Fehlschlag gewesen .
Es ist eine ökologische Katastrophe geworden . Die Men-
schen wurden von ihrem Land vertrieben . Die Wasser-
versorgung ist schlechter geworden . Insgesamt sind die
Lebensverhältnisse der Menschen einfach schlechter ge-
worden . Wer es genau, detailliert haben will, der gehe
einfach mal ins Internet: YouTube, Panorama, „Sierra
Leone“ . Dort können Sie diesen 45-minütigen Bericht
sehen, der übrigens auch im Fernsehen zu sehen war . Das
Projekt ist in Hochglanzbroschüren gefeiert worden . Es
war nichts anderes als ein übles klassisches Land-Grab-
bing- und Water-Grabbing-Projekt, das einem milliar-
denschweren Konzern durch Zuckerrohrplantagen viel
Geld einbringen sollte – nicht zum Wohle der Menschen
dort . Es ist also ein klassisches Armutsprojekt gewesen .


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Schalt mal ein Stück runter! Sorry!)


H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1817932300
Es gibt viele davon . Und während deutsches Geld
daran beteiligt ist, reist unser Entwicklungsminister in
der ganzen Welt herum und lobt, was er alles für die
Fluchtursachenbekämpfung macht .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Er schafft sie!)


Fluchtursachenbekämpfung sieht anders aus . Ich bin da-
von überzeugt, dass vieles besser wäre, wenn wir nicht
Fluchtursachen befördern würden . Schauen Sie sich das
Projekt in Sierra Leone einmal an .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Ich
kritisiere überhaupt nicht die DEG . Mit dem Antrag der
Linken, der hier eingebracht worden ist und den ich für
sehr gut halte, haben wir die Verantwortung und nicht
mehr die DEG . Denn wir alle wissen: Ein Unternehmen,
das klar signalisiert bekommt: „Ihr werdet nie und nim-
mer richtig kontrolliert“, entwickelt eine Eigendynamik
und auch eine eigene Politik . VW und die Autoindustrie
zeigen ganz klar, was ich meine .

Wir brauchen hier Transparenz . Das ist überhaupt
nicht schwer zu erreichen . Wir schaffen das . Es ist rich-
tig, was Herr Movassat sagte: Die IFC ist uns in Bezug
auf Transparenz um zehn Jahre voraus . Wir haben heute

mit dem Antrag der Linken die Chance, dieses Manko
auszumerzen . Dann können wir wirklich auch noch auf
den Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte
warten . Ich glaube, dann haben wir die Grundlage ge-
schaffen für eine zukünftige positive, reputationsfördern-
de Arbeit der DEG . Diese können wir nicht hier beschlie-
ßen . Vielmehr muss die DEG selbst durch ihre Arbeit im
Ausland dafür den Grundstein legen .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817932400

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Christoph

Strässer von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1817932500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich glaube, richtig an
Ihrem Vortrag, Herr Movassat, war auf jeden Fall die
letzte Bemerkung, dass es hinsichtlich der Form der Ent-
wicklungszusammenarbeit mit privaten Unternehmen,
über die wir hier heute streiten, einer breiten gesell-
schaftlichen Diskussion und auch einer Diskussion hier
im Deutschen Bundestag bedarf . Daran gibt es aus mei-
ner Sicht überhaupt keinen Zweifel . Deshalb, sage ich
einmal, hat Ihr Antrag an dieser Stelle auch ein gewisses
Verdienst .


(Beifall der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


Was ich aber etwas schwierig finde, ist die Tatsache, 
dass wir uns über die Arbeit dieser Organisation unter-
halten und deren Qualität und Wirkung lediglich an den
vier Projekten, die Sie beschrieben haben, festmachen .
Diese vier Projekte sind uns bekannt, sie sind der DEG
bekannt, sie sind dem Aufsichtsrat bekannt, und sie wer-
den öffentlich diskutiert . Es muss sich übrigens niemand
über YouTube diesen Panorama-Artikel besorgen . Ich
kann Ihnen den gleich geben . Ich habe ihn nämlich aus-
gedruckt und habe ihn sehr sorgfältig gelesen .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Film von 45 Minuten!)


Was können wir tun? Was müssen wir tun? Das Erste
ist aus meiner Sicht, wirklich einmal hinzuschauen, über
Bilanzen zu reden, über das, was im Internet und an an-
derer Stelle öffentlich sichtbar ist,


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Dazu muss man aber lesen können!)


für das seit 2014 klar ein Beschwerdemechanismus gilt,
und einfach einmal zu fragen: Was ist da vor Ort los? Was
kann da getan werden? Welche Wirkung hat das?

Ich nehme einmal diese negativen Beispiele heraus
und nehme die Zahlen, die mir übermittelt worden sind,
die ich auch gerne weitergebe . Ich gehe davon aus, dass
sie richtig sind . Im Jahre 2015 haben 73 Unternehmen
DEG-Finanzierungen erhalten . In diesen 73 Unterneh-

Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)


men arbeiten 82 000 Menschen . In diesen Ländern wur-
den 13 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Ich fin-
de, das ist wichtig; das sollte man an dieser Stelle auch
erwähnen .

Wir haben in der letzten Sitzungswoche über die SDGs
geredet . Wir haben über SDG Nummer 8 geredet, über
Arbeit, und wir haben gesagt: Es geht nicht – in Anfüh-
rungsstrichen – nur um Arbeit, sondern es geht auch um
gute Arbeit . Nach dem, was ich weiß, was ich gesehen
habe und was ich gelesen habe, hat es im Jahre 2015 kei-
ne Kreditvergabe an Unternehmen gegeben, die nicht die
ILO-Kernarbeitsnormen respektieren und die nicht die
Arbeits- und Sozialstandards der ILO übernehmen . Ich
finde, das sollte man an dieser Stelle sagen; denn es ist 
ein positives Signal auch für unsere Diskussion an an-
derer Stelle . Ich erinnere einmal an den Nationalen Ak-
tionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ . Wenn das
stimmt – davon gehe ich aus –, macht die DEG da eine
vorbildliche Arbeit, und die sollten wir auch unterstützen
und politisch begleiten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann sind die Steuern angesprochen worden . Die
Zahlen, die hier vorliegen, gehen davon aus, dass pro
Jahr circa 1,5 Milliarden Euro an Steuern durch das, was
die DEG  an Krediten finanziert,  in  den Staaten,  in  de-
nen gearbeitet wird, gezahlt werden . Das sind nicht nur
1,5 Milliarden Euro Steuern, das sind auch insgesamt
5,7 Milliarden Euro an Investitionen . Ich bleibe dabei,
dass wir sehr, sehr kritisch beobachten müssen, was da
passiert . Ich weiß ja auch, wer im Aufsichtsrat sitzt . Da
muss man sich auch die Frage stellen, ob man dieses Sys-
tem überhaupt will, ob man will, dass der Privatsektor
unterstützt wird, dass die privaten Unternehmen auch die
Möglichkeit haben – gerade auch im Sinne einer nach-
haltigen Entwicklung –, vor Ort zu arbeiten, Arbeits-
plätze zu schaffen, Investitionen zu generieren und im
Übrigen auch im Bereich der Landwirtschaft zu arbeiten .

Sie wissen, dass wir als Sozialdemokraten dazu eine
eher kritische Haltung haben, dass große agrarökonomi-
sche Strukturen in Staaten wie zum Beispiel Sierra Leone
geschaffen werden. Deshalb  finde  ich  es  auch  gut  und 
richtig, dass die DEG an dieser Stelle eben auch den an-
deren Weg geht, dass sie auch kleinbäuerliche Strukturen
unterstützt mit ganz vielen Unternehmensbeteiligungen
in den jeweiligen Staaten, insbesondere auch in Subsaha-
ra-Afrika . Ich würde mich sehr freuen, Herr Staatssekre-
tär, wenn in den Ausschussberatungen auch Vertreter der
DEG anwesend wären, damit wir mit ihnen ganz offen
diskutieren können und von ihnen die Informationen be-
kommen, um die es geht . Dann können wir wirklich eine
sachbezogene Diskussion führen, die letztlich den Men-
schen in den Staaten, um die es geht, auch nutzt .

Darum geht es ja auch in dieser Debatte, in diesem
Antrag . Es gibt einige Verbesserungen in den letzten
zwei Jahren, sie sind schon angesprochen worden: die
Dialoge sowie die Alternativen, die durch Einrichtungen
der Zivilgesellschaft zur Verfügung stehen . Brot für die
Welt und andere sind ja im Dialog und im Diskurs mit der

DEG, um diese Probleme aufzuarbeiten, zu klären und zu
schauen, was wir machen können .

Wir haben öffentliche Jahresabschlussberichte, die
nachlesbar sind, und wir haben eben an bestimmten
Stellen Transparenzrichtlinien; sie sind zwar aus meiner
Sicht nicht wirklich ausreichend, aber ich kann nur noch
einmal sagen: Auch wenn man diesen ganzen Bereich
sehr, sehr kritisch sieht, muss man anerkennen, dass es
nicht anders geht . Das ist letztlich auch die Aufgabe der
Beratung .

Man muss dazu sagen, dass bei Vergaben an Unter-
nehmen, bei Kreditzusagen, Beratungen über Sozialpro-
jekte und über Arbeitsrecht durchgeführt werden . All die-
se Dinge müssen die Unternehmen dann akzeptieren, und
sie tun es in aller Regel auch . Das macht im Übrigen die
Kreditvergabe durch die DEG teurer, als sie im normalen
privaten Bankensektor wäre .

An dieser Stelle muss man also diesen Diskurs füh-
ren . Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass wir – das ist
ja angesprochen worden – durch die Einrichtung dieser
Beschwerdestelle, dieser internationalen unabhängigen
Beschwerdeeinrichtung, mehr Transparenz schaffen
können . Diese Stelle arbeitet seit 2015, und zwar sehr
vorbildlich im Rahmen einer bilateralen Zusammen-
arbeit mit der holländischen Organisation FMO . Auch
diese Geschichte sollten wir begleiten . Dort arbeiten
unter anderem ein Gründungsmitglied von FIAN und
der stellvertretende Direktor des Deutschen Instituts für
Menschenrechte, die Stellungnahmen abgeben; Sie ha-
ben ja selber eine angesprochen . Ich glaube, man sollte
an dieser Stelle die Kirche im Dorf lassen .

Grundsätzlich sollten wir die Arbeit der DEG wei-
ter beobachten, aber auch ganz klar sagen, dass für den
privaten Sektor die DEG aus Sicht der deutschen Ent-
wicklungszusammenarbeit unverzichtbar ist . Sie immer
besser zu machen, das kann gelingen . Daran sollten wir
gemeinsam arbeiten . Aber ich glaube schon, dass man
auch dafür sorgen muss, dass die DEG eine faire Chance
hat und dass wir an dieser Stelle gemeinsam mit ihr Ver-
besserungen für die Menschen in den betroffenen Regio-
nen herbeiführen können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817932600

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Johannes Selle

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1817932700

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Das Anliegen die-

ses Antrages ist, die Interessen von indigenen Bevöl-
kerungsschichten zu wahren und auch die Schöpfung
zu bewahren . Dieses Anliegen teilen wir ausdrücklich
in unserer Fraktion . Unser Anliegen ist es auch, in der
Entwicklungszusammenarbeit schneller voranzukom-
men, Arbeitsplätze und Zukunftsperspektiven zu schaf-
fen . Dazu brauchen wir die Privatwirtschaft – das dürfte
unstrittig sein –, und die Privatwirtschaft braucht einen
starken Finanzierungspartner . Wir können froh sein, dass

Christoph Strässer






(A) (C)



(B) (D)


unsere Betriebe eine kompetente Begleitung durch die
DEG haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie selbst sind bei den Delegationsreisen dabei, wenn
wir die Reputationen unserer Durchführungsinstitutio-
nen entgegennehmen: DEG, KfW und auch GIZ . Bei der
DEG werden große Beträge, Milliardenbeträge umge-
setzt . Hier gibt es Musterbeispiele . Eines davon ist Peru,
wo im landwirtschaftlichen Bereich 10 000 Menschen
ein Auskommen ermöglicht wurde . Durch das Projekt
mit dem deutschen Unternehmen Mobisol wird Solar-
strom in den ländlichen Bereich gebracht . Das sind doch
große und wunderbare Beispiele .

Aber bei einem Infrastrukturprojekt werden Flächen
verbraucht . Bei einem Infrastrukturprojekt müssen auch
Leute umgesiedelt werden, genau wie in Deutschland .
Bei solch großen Projekten gibt es Kritik, teilweise be-
rechtigt, genau wie in Deutschland . Damit müssen wir
umgehen . Dazu ist die DEG bereit . Aber wegen eines
schwarzen Schafes die ganze Herde verunglimpfen zu
wollen, dürfen wir nicht zulassen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das sind ein paar schwarze Schafe!)


Die DEG führt vor ihren Investitionsentscheidungen
sorgfältige Sozial- und Umweltverträglichkeitsprüfun-
gen durch .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Die sind nicht öffentlich einsehbar!)


Sie verpflichtet die Partner auf die Standards der Welt-
bank und der Internationalen Arbeitsorganisation . Diese
Standards gelten in den Ländern, in denen sie aktiv sind,
teilweise gar nicht . Das heißt, auch bei der Durchsetzung
dieser Standards liefert die DEG einen Entwicklungsvor-
schub . Das darf man dabei nicht außer Acht lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir diesen Antrag mit den ausufernden For-
derungen für Einspruchsrechte und Risikoprüfungen so
beschließen, dann passiert eines: Die Verfahren werden
unheimlich lang und die Kosten gehen in die Höhe . Das
bedeutet, die Partnerländer wenden sich anderen Gebern
zu, die wesentlich pragmatischer sind, China zum Bei-
spiel . Dann werden weniger Standards eingehalten . Das
kann auch nicht Ziel unserer Entwicklungszusammenar-
beit sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir als Gesetzgeber schützen sensible Bereiche aus
gutem Grund . Erfolgreiche Unternehmertätigkeit braucht
einen Bereich der Vertraulichkeit, sonst verlieren Sie die
Unternehmen . Die DEG geht ziemlich weit, indem sie
in Absprache mit den Partnern entsprechende Projekt-
informationen veröffentlicht . Im Jahre 2014 wurde das
Beschwerdeverfahren begonnen, und es wird genutzt,
gerade auch im Fall von Barro Blanco .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Ja, das hat nichts geholfen!)


Der Staatssekretär hat gesagt, dass dies auch eine Sache
des Staates ist und nicht alles Sache unserer Durchfüh-
rungsinstitution ist .

Industrielle Methoden in der Landwirtschaft anzu-
wenden, um die Versorgung der Bevölkerung zu verbes-
sern, ist eine linke Idee . Sie aber wollen große Agrar-
betriebe verbieten . Ich kann nur sagen, dass wir im
Osten Deutschlands Agrargenossenschaften haben, die
zukunftsfest sind und die erfolgreich tätig sind . Bei der
Forderung nach einem Verbot, große landwirtschaftliche
Betriebe zu unterstützen, werden wir Ihnen nicht folgen .


(Beifall der Abg . Sibylle Pfeiffer [CDU/ CSU])


Bei den Herausforderungen, vor denen wir in der wirt-
schaftlichen Zusammenarbeit stehen, brauchen wir eine
starke DEG, und die DEG braucht unsere Unterstützung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817932800

Vielen Dank . – Damit, liebe Kolleginnen und Kolle-

gen, sind wir am Schluss dieses Tagesordnungspunktes .
Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/8657 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strom­
marktes (Strommarktgesetz)


Drucksache 18/7317

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(9 . Ausschuss)


Drucksache 18/8915


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/8920

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie

(9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr . Julia
Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zukunft des Strommarktes – Mit ökologischem
Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitä­
ten anreizen und Kohleausstieg einleiten

Drucksachen 18/7369, 18/8915

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Johannes Selle






(A) (C)



(B) (D)


Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Debatte hat Johann Saathoff von der SPD-Fraktion das
Wort .


(Beifall bei der SPD)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1817932900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Worum geht es im Strommarktgesetz? Es geht
darum, etwas nicht zu machen, nämlich nicht einen Ka-
pazitätsmarkt zu betreiben . Dieses Gesetz ist ein klares
Bekenntnis zu einem Strommarkt – zugegebenermaßen
mit dem Risiko der kurzfristigen Preisspitzen, aber auch
mit der Chance des gesamten Bereichs der Flexibilitä-
ten im Strommarkt, zum Beispiel durch die Stärkung
der Preissignale, zum Beispiel für Speicher und für De-
mand-Side-Management . Wir ertüchtigen den Strom-
markt 2 .0 quasi in einem ersten Schritt auf dem Weg
zu einem richtigen Energy-only-Markt . Es werden also
Weichen für die Energiewelt der Zukunft gestellt, in der
der größte Teil des verbrauchten Stroms aus erneuerba-
ren Energien stammt . Damit bereiten wir die Grundlage
des Zeitalters der erneuerbaren Energien endgültig vor .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht es auch ein bisschen kleiner?)


Das Zeitalter der erneuerbaren Energien wird von
weniger  fossilen  Energieträgern,  von  fluktuierenden 
Einspeisungen, von CO2-freier Energie und davon ge-
prägt sein, dass sich der Verbrauch zum Teil auch an der
Stromproduktion orientieren kann . Dafür brauchen wir
dringend ein Gesetz zur Digitalisierung der Energiewen-
de; darüber haben wir im vorletzten Tagesordnungspunkt
miteinander beraten. Ich finde es gut, dass der alte Fer-
raris-Drehstromzähler jetzt endlich der Vergangenheit
angehören kann .


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit hat auch keiner ein Problem!)


Die Zieltrias der Energiewende lautet: Sicher, sauber,
bezahlbar . Wir regeln mit diesem Gesetz die Versor-
gungssicherheit . Wir haben in Deutschland eine enorm
hohe Versorgungssicherheit; das wird wohl niemand
bestreiten . In einem sich schnell und radikal ändernden
Umfeld der Energiewende wollen wir sie aber auch in
Zukunft gewährleisten . Beim Strommarktgesetz liegt der
Fokus der Zieltrias auf dem „sicher“ . Menschen sollen
sich darauf verlassen können, dass der Strom aus der
Steckdose kommt – immer!


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Immer, jawohl!)


Wir produzieren in Deutschland mehr Strom, als wir
benötigen . Wir haben mehr Kraftwerke, als wir wirklich
brauchen . Aber so einfach lässt sich Versorgungssicher-
heit leider nicht erklären; denn wir bilden einen Strom-
verbund mit unseren „elektrischen Nachbarn“, also den
Nachbarn, die ein Kabel direkt mit uns verbindet . Der
Strom bewegt sich frei zwischen den Ländern im Rah-
men der Grenzkuppelkapazitäten . Zum Teil haben Kraft-
werke in Deutschland direkte Verträge mit dem Ausland .
Sie produzieren gar keinen Strom für deutsche Kunden

und können also auch nicht zur Versorgungssicherheit in
Deutschland beitragen . Deshalb müssen wir die Versor-
gungssicherheit europäisch denken, und das ist einer der
Leitgedanken dieses Gesetzentwurfs .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Um sicherzugehen, dass die Versorgungssicherheit
immer gewährleistet ist, brauchen wir mindestens in ei-
nem Übergangszeitraum trotz europäischen Stromsys-
tems Reserven . Wir brauchen die Netzreserve; sie beträgt
derzeit 6 Gigawatt . Der Bedarf wird von der Bundes-
netzagentur regelmäßig ermittelt und soll regelmäßig
angepasst werden . Die Netzreserve brauchen wir zur Ge-
währleistung der Stabilität des Stromnetzes in Deutsch-
land . Es ist auch vorgesehen, eine Netzstabilisierung
speziell in Süddeutschland vorzunehmen, nämlich eine
Netzreserve in Höhe von 2 Gigawatt ab 2021 . Das ist
vorübergehend erforderlich, nämlich bis der Leitungs-
ausbau tatsächlich so erfolgt ist, wie wir es beim Ausbau
der erneuerbaren Energien geplant haben . Ich möchte an
dieser Stelle aber einen dringenden Rat geben, nämlich
den, dass diese Netzstabilisierung in Süddeutschland mit
kleinen, modularisierten Anlagen vorgenommen wird
und nicht mit Großkraftwerken; das zu sagen sei mir an
dieser Stelle gestattet .


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Guter Rat!)


Wir brauchen eine Kapazitätsreserve .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Reserven ohne Ende!)


Eigentlich brauchen wir diese Kapazitätsreserve in ei-
nem funktionierenden Strommarkt nicht, aber diese
Kapazitätsreserve ist für den Fall einer Marktstörung,
zum Beispiel, wenn ein Stromlieferant kurzfristig aus-
fällt, notwendig . Das kann durch Unfall, einen Anschlag,
durch Konkurs passieren . Dann springt die Kapazitäts-
reserve ein und stellt die Versorgungssicherheit für die
Bürgerinnen und Bürger her .

Wichtig ist mir an dieser Stelle, dass wir diese Reser-
ven auch mit einer gewissen Transparenz ausstatten, da-
mit die Menschen wissen, dass diese Reserven nicht, wie
einige irrigerweise behaupten, überflüssig sind, sondern 
dass sie „gemonitort“ werden . Den Bürgerinnen und Bür-
gern wird klargemacht, dass die Reserve erforderlich ist .


(Beifall bei der SPD)


Ich habe durchaus Verständnis für die Kritik der Op-
position an der Geschwindigkeit des Verfahrens . „So’n
Gesetz schküllert man neet eenfach so ut’ Mau“, sagt
man in Ostfriesland . Das heißt, man braucht Zeit, um
sich mit dem Gesetzentwurf zu beschäftigen . Allerdings
hat dieser Gesetzentwurf fast zwei Jahre Vorlauf . Es gab
ein enorm offen kommuniziertes Grünbuch-Verfahren
mit einer anschließenden Konsultation . Es gab darauf-
hin ein enorm breit angelegtes Weißbuch-Verfahren mit
einer entsprechenden Konsultation, sodass ich an dieser
Stelle mit Fug und Recht behaupten kann, dass es auf der
Zielgerade keine großartigen Überraschungen mehr gibt .
Und die Zeit drängt; denn am 1 . Oktober soll das erste
Kraftwerk in die Sicherheitsbereitschaft übergehen . Dass

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


wir das alle miteinander wollen, das haben wir schon in
ganz anderen Kontexten festgestellt .

Kurzum: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird
einer der drei Eckpunkte der zukünftigen Energieversor-
gung sichergestellt . Er sorgt für Versorgungssicherheit
für die Menschen in Deutschland, und damit ist er ein
guter Gesetzentwurf . Die SPD-Fraktion wird diesem Ge-
setzentwurf zustimmen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817933000

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Eva Bulling-

Schröter von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817933100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst ein Wort zum Verfahren . Staatssekretär Baake
hat am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss das Strom-
marktgesetz als die wichtigste Reform seit der Liberali-
sierung bezeichnet,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und die war 1998 . Herr Saathoff hob, wie auch heute,
hervor: Es habe kaum ein Gesetz mit einem solch um-
fangreichen Konsultationsverfahren gegeben .


(Johann Saathoff [SPD]: Richtig!)


Ich frage mich nur: Wo bleibt das Parlament an der Stel-
le, an der es spannend wird?


(Zuruf von der SPD: Sie waren doch dabei im Ausschuss! – Johann Saathoff [SPD]: Auch das Parlament darf ein Grünbuch lesen!)


Wir erhielten den 36-seitigen Änderungsantrag der Koa-
lition zum Gesetzentwurf am Mittwoch um 8 .15 Uhr per
Mail . Das war 75 Minuten vor Beginn der Ausschusssit-
zung, in der der Gesetzentwurf beraten und abgeschlos-
sen wurde .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 75 Minuten früher als beim EEG!)


Meine Damen und Herren von der Koalition, so gehen
Sie nicht nur mit der Opposition um, sondern auch mit
Ihren eigenen Abgeordneten. Das finde ich wirklich be-
schämend .

Im Übrigen haben wir jetzt 21 .47 Uhr . Die gesamte
Debattenzeit für dieses wichtigste Gesetz seit 18 Jahren
beträgt schlappe 25 Minuten,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 25 Minuten für ein epochales Werk!)


wo sonst zwei Stunden vorgesehen sind . Darum möch-
te ich auf unsere Stellungnahme zum Strommarktdesign
auf der Webseite www .nachhaltig-links .de verweisen .


(Beifall bei der LINKEN)


Punkt eins . Aus Klimaschutzsicht versagt der Gesetz-
entwurf; denn hineingeschafft hat es leider nicht die cle-
vere Klimaschutzabgabe auf Kohlekraftwerke, die vom
Wirtschaftsministerium im Frühjahr ins Auge gefasst
wurde, sondern die sogenannte Sicherheitsreserve . Mit
ersterer hätte Deutschland kluge Klimaschutzpolitik be-
treiben können, mit letzterer vergolden Sie lediglich ur-
alten Braunkohlekraftwerken die letzten Jahre . Wir reden
ja nicht über Peanuts, sondern über 1,6 Milliarden Euro;
das ist viel Geld für eine vollkommen unsinnige Braun-
kohlereserve .

Darum wird „Energiewende absurd“ wohl fortge-
führt: Ungebremste Kohlestrommengen trotz permanent
wachsendem Ökostrom . Das Ergebnis seit Jahren sind
kaum sinkende CO2-Emissionen im Stromsektor . Die
2020-Ziele im Klimaschutz können Sie getrost verges-
sen . Dafür verstopfen fossile Stromexporte die Netze, die
eigentlich zunehmend für den Windstrom benötigt wer-
den, und weil Sie Netzengpässe befürchten, treten Sie
nun mit dem EEG 2016 ausgerechnet bei den Erneuerba-
ren auf die Bremse . Also nicht Kohle wird ausgebremst,
sondern die Zukunftsenergien .


(Zuruf von der Linken: Unglaublich!)


Das ist Ihr energiepolitisches Zeugnis zur Sommerpause .

Punkt zwei . Die tatsächlichen Änderungen am Strom-
marktdesign überlassen Versorgungssicherheit und Fle-
xibilität deutlich stärker dem Markt, als dieser zu leisten
vermag . Es bleibt beispielsweise unklar, inwiefern in
diesem Strommarkt 2 .0 die künftig möglichen kurzzei-
tigen Preisspitzen an der Strombörse genug Anreize für
Investoren liefern, in Gasturbinen zu investieren, unter
anderem, weil sich auf solch einer vagen Grundlage nur
schwerlich eine Finanzierung aufbauen lässt . Die Risiken
und Zusatzkosten werden die Verbraucherinnen und Ver-
braucher zu tragen haben – wieder einmal .

Punkt drei . In letzter Minute ist eine bundeseinheit-
liche Regelung der Übertragungsnetzentgelte gestrichen
worden . Dabei haben wir inzwischen in einigen ländli-
chen Regionen Ostdeutschlands um 5 Cent höhere Netz-
entgelte als in Süddeutschland, wo man sich mit der
10H-Regelung die Energiewende vom Hals hält . Das
muss man sich einmal vorstellen: 5 Cent, das ist fast die
EEG-Umlage noch einmal obendrauf . Der Norden und
der Osten liefern Ökostrom in den bequemen und reichen
Süden und zahlen auch noch zusätzlich dafür . Die Koali-
tion verhindert jede Initiative, mit der diese Ungleichheit
beendet werden soll .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817933200

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Thomas

Bareiß von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1817933300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Mei-

ne Herren! Liebe Frau Bulling-Schröter, am 29 . Januar

Johann Saathoff

file:///T:/Produktion/2016/BD%2022/KW%2025/179/52_DTP_Setzen/Word/www.nachhaltig-links.de





(A) (C)



(B) (D)


2016 fand die erste Lesung des Entwurfs eines Strom-
marktgesetzes statt . In den letzten fünf Monaten hatten
wir viel Zeit, um über den Gesetzentwurf zu diskutieren .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat ein bisschen Schimmel angesetzt!)


Mit der heute stattfindenden zweiten und dritten Lesung 
sind wir auf der Zielgeraden . Ich glaube, wir hatten genü-
gend Debattenzeit, um diesen Gesetzentwurf in die rich-
tige Richtung zu lenken .

Wir stehen nach wie vor vor einem Riesenumbruch;
das kam in den vorangegangenen Reden schon zum Aus-
druck . Wir wollen in den nächsten Jahren hinsichtlich
des Ausbaus des Bereichs der erneuerbaren Energien
weiter vorangehen . Heute sind wir bei 33 Prozent an-
gekommen . Wir sind schneller vorangekommen als ur-
sprünglich gedacht . In diesen 33 Prozent haben wir eine
enorme Menge volatiler Stromerzeugung, eine Menge
Wind- und Sonnenenergie, die nicht verlässlich zur Ver-
fügung stehen . Das ist eine enorme Herausforderung für
den Strommarkt der Zukunft . Dieser Herausforderung
müssen wir uns stellen .

Auf der anderen Seite verlieren wir einen verlässli-
chen Kraftwerkspark . Allein in den letzten fünf Jahren
haben wir acht Kernkraftwerke verloren . In den nächs-
ten fünf Jahren wollen wir noch einmal acht Kernkraft-
werke vom Netz nehmen . Das heißt, wir müssen die
Versorgungssicherheit noch einmal stärker in den Fokus
nehmen . Wir müssen den Dreiklang ernst nehmen; denn
wir wollen auch in Zukunft eine bezahlbare, saubere und
sichere Energieversorgung gewährleisten . Die Versor-
gungssicherheit hat oberste Priorität für uns . Das ist eine
Grundaussage des Strommarktgesetzes .

Wir wollen – das kam auch in der Rede des Kollegen
Saathoff zum Ausdruck – stärker auf den Markt setzen .
Wir haben lange darüber diskutiert, was die richtigen In-
strumente sind . Wir haben uns bewusst gegen weitere
Subventionen im Strommarkt entschieden . Wir haben
gesagt: Wir wollen auf den Energy-only-Markt, auf die
freie Preisbildung setzen . So sollen die richtigen Preis-
signale für neue Kraftwerke gesetzt werden, auch für
bestehende Kraftwerke, damit sie weiterhin am Netz
bleiben, und für die flexiblen Lastpotenziale, die wir in 
Zukunft heben müssen . Ich glaube, das ist der richtige
Ansatz für die Gestaltung des Strommarktes der Zukunft .

Trotzdem brauchen wir gewisse Reserven für den Not-
fall . Auch das ist enorm wichtig und Grundaussage die-
ses Gesetzes . Wir brauchen eine Kapazitätsreserve, die
die zukünftige Kapazitätslücke schließen kann . Wir ha-
ben im parlamentarischen Verfahren nach langen Diskus-
sionen die ursprüngliche Belegung der Kapazitätsreserve
von 4,4 Gigawatt auf 2 Gigawatt reduziert, nicht weil wir
der Überzeugung sind, dass wir weniger Sicherheit brau-
chen, sondern weil wir glauben, dass wir die Kapazitäts-
reserve auf eine minimale Größe zurückfahren müssen,
weil sie keine Regulierungsfalle für uns sein darf . Wir

brauchen einen Druck im Markt . Wir müssen verhindern,
dass sich Kraftwerke in die Hängematte legen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kraftwerke in der Hängematte?)


Wir müssen verhindern, dass notleidende Kraftwerke
eine langfristige Versorgung erhalten . Wir brauchen die
Kapazitätsreserve für wirkliche Sicherheitslücken in der
Zukunft .

Darüber hinaus wollen wir die Kapazitätsreserve
einem ständigen Monitoring unterziehen . Wir wollen
schauen, ob sie wirklich ausreicht . Wenn sie nicht aus-
reicht, werden wir sie erhöhen . Diese Erhöhung werden
wir aber nur dann vornehmen – auch das ist ein wichti-
ger Aspekt dieses Gesetzes –, wenn der Bundestag zu-
stimmt . Ich glaube, es ist im Sinne von uns allen, dass
wir diesbezüglich eine breite Bundestagsbeteiligung be-
kommen .

Der zweite Punkt ist die Netzreserve . Sie sorgt dafür,
dass der langsame Netzausbau, den wir tagtäglich fest-
stellen, abgefedert wird . Temporäre Netzengpässe wer-
den dadurch ausgeglichen, vor allem im Süden Deutsch-
lands, wo in den nächsten Jahren über 5 Gigawatt fehlen
werden . Auch hier brauchen wir Sicherheit . Daher ist es
notwendig, dass wir das neue Instrument einbauen und
den Netzbetreibern die Möglichkeit geben, neue Kraft-
werke zu installieren – das können flexible Kraftwerke, 
aber auch kleine Kraftwerke sein –, damit wir eine noch
höhere Versorgungssicherheit erhalten .

Wir wollen darüber hinaus – neben der Schaffung von
Reserven – weitere Marktakteure möglich machen . Wir
wollen, dass wir die Lasten besser managen . Wir wollen
ein Lastmanagement einbauen . Wir haben hier sogenann-
te Aggregatoren möglich gemacht; wir haben die Grund-
lage für Aggregatoren geschaffen . Auch das wird, glaube
ich, zukünftig wegweisend sein .

Ein weiteres Thema, bei dem wir ein Stück weit Ver-
besserungen geschaffen haben, sind die Speicher . Wir
sind der Überzeugung, dass wir in den nächsten Jahren
eher mehr als weniger Speicher brauchen . Wir haben bei
Wirkungsgradverlusten vom Netzentgelt befreit . Das ist
ein wichtiger Schritt gewesen . Leider ist er noch nicht
ausreichend . Meines Erachtens müssen wir bei den Spei-
chern mehr tun . Hier können wir mehr tun . Wir hätten
hier gern mehr gemacht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr tut gar nichts! Thomas Bareiß, ihr tut gar nichts!)


Leider haben wir das mit unserem Partner nicht geschafft .

Wir brauchen das Strommarktgesetz, um Versorgungs-
sicherheit voranzutreiben, um die Energiewende voran-
zutreiben . Es ist ein gutes Gesetz . Ich glaube, es geht in
die richtige Richtung . Deshalb werden wir zustimmen . In
diesem Sinne hoffen wir, dass auch die anderen Partner

Thomas Bareiß






(A) (C)



(B) (D)


zustimmen . Ich wünsche allen, die hier ausgeharrt haben,
noch einen schönen Abend .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817933400

So weit sind wir aber noch nicht . – Jetzt hat als nächs-

ter Redner Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen das Wort .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817933500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe gestern im Wirtschaftsausschuss von der Bun-
desregierung gehört, das sei das wichtigste Projekt der
Energiewende in dieser Legislaturperiode . Es klang
regelrecht epochal . Daher ist es schon ein bisschen ko-
misch, dass man hier gegen 22 Uhr, kurz vor den Tages-
ordnungspunkten, bei denen die Reden zu Protokoll ge-
geben werden, über dieses epochale Werk diskutiert und
nicht zur Kernzeit . Es scheint mir doch so, dass Sie in-
zwischen gemerkt haben – dieses Strommarktgesetz hat
ja auch ein halbes Jahr lang im Bundestag gelegen und
ein bisschen Schimmel angesetzt –,


(Zurufe von der SPD: Oh! – Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wie jetzt? Der eine sagt „Zu schnell“, der andere sagt „Zu langsam“!)


dass das nicht unbedingt ein epochales Werk ist, sondern
dass das, was Sie da machen, bestenfalls – das ist schon
freundlich gemeint – ein Reförmchen ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist nicht das, was wir eigentlich brauchen: eine
Reform des Strommarktes, der einmal für Kohle- und
Atomkraftwerke gedacht war, hin zu einer Welt mit 50,
60, 70, 80 oder am Ende sogar 100 Prozent erneuerbaren
Energien . Sie gehen erste kleine Schritte, aber das, was
eigentlich notwendig wäre, packen Sie in diesem Gesetz-
entwurf überhaupt nicht an .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will nur zwei Dinge nennen . Kollege Bareiß hat es
eben gesagt: Wir müssen uns endlich darüber unterhal-
ten, wie wir mit Speichern umgehen, wie wir eine Grund-
lage für Lastmanagement schaffen, eine Speicherlast-
steuerung . Das alles packen Sie in diesem Gesetzentwurf
überhaupt nicht an . Kollege Bareiß hat – es fällt mir fast
schon schwer, das zu sagen – ganz intelligente Sachen zu
Speichern gesagt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Aber wieso stehen sie nicht in diesem Gesetzentwurf?
Sie gehören da rein . Da versagen Sie völlig . Da liefern
Sie überhaupt nichts . Sie haben Sonntagsreden gehalten
und am Ende nichts gemacht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ein zweiter Punkt . In Ihren Vordebatten mit Grün- und
Weißbuch weisen Sie ja richtigerweise darauf hin, dass

wir eine Reform der Umlagen und Entgelte brauchen,
insbesondere  der  Netzentgelte.  Aber  auch  dazu  findet 
sich in diesem Gesetzentwurf überhaupt nichts . Das wäre
aber ganz entscheidend, um tatsächlich variable Tarife zu
bekommen, um Preissignale oder entsprechende Anreize
zu setzen . Da liefern Sie nicht . Insofern ist das nicht der
Schritt in den neuen Strommarkt, sondern bestenfalls ein
kleiner Trippelschritt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meines Erachtens ist noch viel problematischer, dass
Sie zwar sagen – ich habe das eben wieder gehört –, dass
die Preissignale es jetzt regeln sollen, dass der Ener-
gy-only-Markt es machen soll, dass die Investitionen
aufgrund der Preissignale kommen werden, dass Sie aber
ein halbes Dutzend Reserven schaffen: eine Kapazitäts-
reserve, eine Netzreserve, eine Braunkohlereserve, eine
Lastabschaltreserve und eine Sicherheitsreserve . Erklä-
ren Sie mir einmal, was das mit Markt zu tun hat . Über-
haupt nichts .


(Beifall der Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie reden von Markt . Sie machen in diesem Gesetzent-
wurf aber das Gegenteil .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, das ist am Ende auch der wahre Grund, wa-
rum Sie diesen Gesetzentwurf nicht ganz nach vorne stel-
len, hier zur Kernzeit debattieren und draußen abfeiern .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Minister eigentlich?)


Sie machen etwas, was ich mir, ehrlich gesagt, am Be-
ginn des Prozesses zu Grün- und Weißbuch nicht hätte
vorstellen können . Sie führen eine Braunkohlereserve
ein . Das ist am Ende nichts anderes als der Einstieg in
die Subventionierung der Braunkohle . Statt Geld für den
Ausbau der erneuerbaren Energien zu investieren, gibt es
1,6 Milliarden Euro für RWE und das Nachfolgeunter-
nehmen von Vattenfall für Braunkohlekraftwerke . Dort
wird diese Reserve überhaupt nicht gebraucht . Denn sie
steht erst nach elf Tagen zur Verfügung . Dann ist ent-
weder der Blackout da, oder die Knappheitssituation ist
vorbei . Es geht nur darum, die Braunkohle zu subventio-
nieren . Das ist ein Unding . Das kann nicht sein .

Wir werden unsere Zustimmung dazu nicht erteilen .
Da steht zwar Strommarktgesetz drauf, am Ende ist das
einzig Substanzielle in diesem Gesetz ein Einstieg in die
Subventionierung der Braunkohle . Dafür können Sie
unsere Zustimmung nicht erwarten . Die Energiewende
braucht etwas anderes: Sie braucht den Ausbau der Er-
neuerbaren und eine ernsthafte Reform des Strommark-
tes . Die packen Sie aber überhaupt nicht an .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Thomas Bareiß






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817933600

Vielen Dank . – Als letzte Rednerin in der Debatte

hat Barbara Lanzinger von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1817933700

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich bin

noch einmal heute Abend dran, aber jetzt zum Schluss .
Ich darf heute den Schluss machen . – Es sind noch zwei
Zuhörer da .


(Heiterkeit – Thomas Jurk [SPD]: Wir hören alle zu!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817933800

Da sage ich ausdrücklich Danke .


Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1817933900

Natürlich . Ich habe als Erstes „Kolleginnen und Kol-

legen“ gesagt .

Erstens schließe ich mich den Ausführungen meines
Kollegen Thomas Bareiß an . Ich wiederhole das am spä-
ten Abend nicht mehr alles . Ich unterstütze das alles ganz
nachdrücklich .

Herr Kollege Krischer, zur Braunkohle . Ich denke, wir
sind uns alle einig, dass wir nicht von heute auf morgen
alles abschalten und alles herunterfahren können . Das
geht nicht . Deshalb steht das jetzt so im Gesetzentwurf,
wie wir es drin haben .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Will das jemand? – Eva BullingSchröter [DIE LINKE]: Das hat niemand gesagt! Niemand fordert das!)


– Doch, es kommt aber so rüber .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Nein! Nicht mal Greenpeace fordert das!)


Ich gehe jetzt nur noch auf einen Punkt ein – das ist
mein Lieblingsthema –: Speicher . Meine Kolleginnen
und Kollegen wissen das; Sie wissen das auch . Ich muss
ehrlich gestehen – das sage ich ganz kritisch –: Ich bin
schon etwas enttäuscht .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


– Jetzt lachen Sie halt nicht; seien Sie doch froh, wenn
Ihnen mal einer ein bisschen recht gibt .

Die Technologie der Speicher braucht ein Umfeld, in
dem sie sich entwickeln, entfalten und wachsen kann .
Dieses Umfeld, das erforderlich ist, um sich auch am
Markt behaupten zu können, schaffen wir leider so nicht .
Wenn ich die Kosten für Speicher im Ausland mit denen
bei uns vergleiche, komme ich zu dem Ergebnis: Wir ha-
ben doppelt so hohe Ausgaben . Das ist so . Das sind diese
sogenannten Letztverbraucherabgaben . Wir haben ganz
viel über diesen Punkt im Gesetzentwurf in den Bericht-
erstattergesprächen diskutiert .

Ich denke, wir sind uns einig – das Ministerium ist
nicht einmal dagegen –, dass wir grundsätzlich Speicher
brauchen: Energiespeicher – technologieneutral und sek-
torenübergreifend, aber nicht jetzt, sondern erst in ein
paar Jahren . Aber wenn wir jetzt nicht anfangen, haben
wir sie in ein paar Jahren auch nicht .

Ich möchte schon ganz deutlich in den Raum stellen,
dass wir jetzt beginnen müssen . Wir haben die Zusage,
dass sich das Ministerium in den nächsten Monaten Ge-
danken machen und diese Speicher sektorenübergreifend
vorschlagen will .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erzählen Sie uns schon seit fünf Jahren!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817934000

Frau Lanzinger, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1817934100

Ja, ausnahmsweise . Denn ich möchte eigentlich

Schluss machen .


(Heiterkeit)



Thomas Jurk (SPD):
Rede ID: ID1817934200

Das geht auch nicht auf Ihre Redezeit, solange ich ste-

hen bleibe . – Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie haben das
Thema „Speicher“ angesprochen . Bei „Speicher“ denken
wir sofort an die Netzentgelte . Da bin ich bei einem The-
ma, das mich sehr bewegt, nämlich die Frage der unter-
schiedlichen Netzentgelte, die wir deutschlandweit im
Übertragungsnetz haben .

Deshalb interessiert mich, warum die Union – so ist
mir zugetragen worden – während der Verhandlungen
keine Verordnungsermächtigung über einheitliche Netz-
entgelte im Übertragungsnetzbereich gewollt hat . Wie
ich den Koalitionsvertrag verstanden habe


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Weil ihr vorgeschlagen habt, den Gesetzentwurf im Ausschuss zu besprechen!)


– Kollege Pfeiffer, darf ich bitte ausreden? –, wollten
wir eine gerechte Verteilung der Lasten bei der Energie-
wende . Wir haben natürlich im Übertragungsnetzbereich
erhebliche Differenzen . Deshalb meine konkrete Frage:
Warum haben Sie das nicht gewollt?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie das Gesetz nicht noch mal vertagen? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sehen wir mal, wie das bei euch zugeht, wenn ihr verhandelt! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Was hat das mit Speichern zu tun?)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1817934300

Erstens . Die Netzentgelte mit den Kosten für Speicher

zu vergleichen, halte ich in dieser Situation nicht unbe-
dingt für konsequent . Wir haben ganz unterschiedliche
Netzausbauten . Wir haben im Osten einen ganz ande-






(A) (C)



(B) (D)


ren Netzausbau als im Süden . Darüber haben wir schon
x-mal diskutiert, und es gab dazu mehrere Anträge, auch
von den Linken . Wir haben immer gesagt: Wir wollen,
dass es unterschiedliche Entgelte gibt, weil sich auch die
Kosten ganz unterschiedlich darstellen . – Das war der
Grund, warum wir das abgelehnt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Noch einmal zu den Speichern . Ich denke, wenn wir
alle Kosten zusammenzählen – Redispatch-Kosten, die
Kosten der abschaltbaren Lasten, der Ausgleich für er-
zeugten Windstrom, der nicht eingespeist werden kann –,
kommen wir zu dem Schluss: Wir sollten uns über die
Letztverbraucherabgaben zumindest Gedanken machen
und sollten rechnen . Der Vorschlag, den es gab – Ener-
giespeicher für fünf Jahre zuzulassen, die Letztverbrau-
cherabgaben abzuschaffen und nach vier Jahren ein Mo-
nitoring durchzuführen –, wäre sinnvoll gewesen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Freese [SPD]: Der Vorschlag hilft uns doch in Ostdeutschland jetzt nicht weiter! Wir haben 30 Prozent höhere Kosten!)


– Ja, das ist schon klar .

Sie merken: Wir hätten uns an manchen Stellen viel,
viel mehr gewünscht .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also können wir festhalten: Toll ist das nicht!)


Ich weiß jetzt auch, warum Sie dagegen sind . Wir brau-
chen mehr Mut, mehr Innovation und Technologie, damit
wir in Deutschland bei den Speichern vorankommen .

Abschließend will ich noch auf die anstehende bei-
hilferechtliche Prüfung der Europäischen Kommission
eingehen . Intensiv haben wir die einzelnen Punkte mit
dem Bundeswirtschaftsministerium besprochen, um bei-
hilferechtliche Probleme auszuschließen . Ich hoffe, dass
die Antworten in den nächsten Tagen kommen . Zugesagt
wurde uns, dass diese Punkte geklärt werden . Beim The-
ma KWK war es ja genauso . Wir haben es bis jetzt noch
nicht schriftlich . Ich hoffe, dass wir da bald etwas hören .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Schluss . Das Gesetz regelt einen wesentlichen
Bestandteil unseres Energiesystems, für die Energiewen-
de heute und für die Zukunft . Ich denke, wir hören uns
dazu wieder .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Sicherheit!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817934400

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-

mit schließe ich die Debatte .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Wei-
terentwicklung des Strommarktes . Der Ausschuss für
Wirtschaft  und  Energie  empfiehlt  unter  Buchstabe  a 

seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8915,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/7317 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden .

Zusatzpunkt 8 b. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/7369 mit dem Titel „Zukunft des Strommark-
tes – Mit ökologischem Flexibilitätsmarkt klimafreund-
liche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten“ .
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Ulla
Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Netzneutralität im Rahmen der Vorgaben der
EU­Verordnung gesetzlich absichern

Drucksachen 18/6876, 18/8813

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Wir kommen damit gleich zur Abstimmung . Der Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/8813, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6876 abzu-
lehnen . Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Den europäischen Binnenmarkt weiter vertie­
fen – Bewährte Standards erhalten

Drucksache 18/8867

1) Anlage 4

Barbara Lanzinger






(A) (C)



(B) (D)


Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Auch hier sind Sie damit einverstanden .1)

Damit kommen wir auch hier jetzt gleich zur Ab-
stimmung, und zwar über den Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8867 . Wer
stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist dieser Antrag ebenfalls mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-

tionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Standortauswahlgesetzes
Drucksache 18/8704
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss)

Drucksache 18/8913


(8 . Ausschuss)

Drucksache 18/8914

Die Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden .2)

Wir kommen damit zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
empfiehlt  in  seiner  Beschlussempfehlung  auf Drucksa-
che 18/8913, den interfraktionellen Gesetzentwurf auf
Drucksache 18/8704 in der Ausschussfassung anzuneh-
men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men worden .

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Sozialen Basisschutz in Entwicklungsländern
schaffen
Drucksache 18/8862

1) Anlage 5
2) Anlage 6

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . –
Damit sind Sie einverstanden, wie ich sehe .3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/8862 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über
ein Einheitliches Patentgericht

Drucksache 18/8826
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur An­
passung patentrechtlicher Vorschriften auf
Grund der europäischen Patentreform

Drucksache 18/8827
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .4)

Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwür-
fe auf den Drucksachen 18/8826 und 18/8827 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg­,
umweltschadens­ und wasserrechtlicher
Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie
2013/30/EU über die Sicherheit von Off shore­
Erdöl­ und ­Erdgasaktivitäten

Drucksache 18/8703

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/8902

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe .5)

3) Anlage 7
4) Anlage 8
5) Anlage 9

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/8902, den Gesetzentwurf
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Druck-
sache 18/8703 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist
der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steu­
erlichen Förderung von Elektromobilität im
Straßenverkehr

Drucksache 18/8828

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/8828 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann
ist die Überweisung so beschlossen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 24 . Juni 2016, 9 Uhr,
ein – nicht später .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen allen
noch einen schönen Abend .