Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sieherzlich .Bevor wir in die Regierungsbefragung und anschlie-ßend in die Fragestunde eintreten, möchte ich gerne IhreZustimmung zu einer interfraktionellen Vereinbarungherbeiführen, nämlich den Entwurf eines Zweiten Ge-setzes zur Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes aufder Drucksache 18/8043 dem Ausschuss für Gesundheitzur Mitberatung zu überweisen . Können Sie sich damitanfreunden? – Das ist offenkundig der Fall . Da wird sichder Ausschuss freuen, dass das mit diesem einmütigenVotum des Plenums auch zu seiner Mitberatung überwie-sen ist .Denjenigen, die nach der Regierungsbefragung, zu derwir gleich unter Tagesordnungspunkt 1 kommen werden,an der Fragestunde beteiligt sind, will ich schon jetzt denHinweis geben, dass weit weniger als die Hälfte der ein-gereichten Fragen zur mündlichen Beantwortung übriggeblieben sind, sodass diejenigen, die glauben, mögli-cherweise just in time zur Beantwortung ihrer Frage er-scheinen zu können, vielleicht ein bisschen neu dispo-nieren sollten, weil diese womöglich zügiger aufgerufenwird, als man anhand der Papierform vermuten könnte .Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 1:Befragung der BundesregierungDie Regierung hat als Thema der heutigen Kabinetts-sitzung den Berufsbildungsbericht 2016 angegeben .Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,Frau Dr . Wanka .Ich darf jetzt schon bitten, soweit es absehbare Nach-fragen aus den Fraktionen gibt, mir Hinweise zu geben,um das vorab sortieren zu können .Frau Ministerin, Sie haben das Wort .Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Wir haben heute früh im Kabinettden Berufsbildungsbericht 2016 beraten . Man kann sa-gen – das vielleicht auch als Botschaft an die jungenLeute, die heute hier sind –: Die Ausbildungschancen fürjunge Leute sind derzeit in Deutschland so gut wie seitüber 20 Jahren nicht mehr . Wir haben mehr als 522 000abgeschlossene Ausbildungsverträge, und es sind noch41 000 Stellen offen . 41 000 Stellen warten auf jungeLeute, die Interesse daran haben, eine Ausbildung zu be-ginnen .Auf der anderen Seite haben rund 21 000 junge Leu-te – die genaue Zahl steht im Bericht – noch keine odernoch nicht die richtige Ausbildung gefunden . Das ist ei-nes der Probleme, an deren Lösung wir seit Jahren ar-beiten, nämlich dass die Wünsche der Jugendlichen zuden Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt passen müssen .Viele unserer Instrumente – über einige werden wir jaheute in der Befragung vielleicht auch reden – sind da-rauf ausgerichtet, dies passend hinzubekommen und denjungen Leuten zu zeigen, wie vielfältig die Berufsmög-lichkeiten und wie interessant die unterschiedlichen Be-rufe sind .Die Zahl der Ausbildungsverträge ist annähernd sohoch wie im letzten Jahr – nur ein klein wenig niedri-ger. Ein Grund dafür ist natürlich die demografische Ent-wicklung . Wenn wir in der Bundesrepublik Deutschlandinsgesamt wesentlich weniger junge Leute haben, die ineinen Ausbildungsberuf gehen können, dann macht sichdas auch an der Zahl der Ausbildungsverträge bemerk-bar . Zum anderen haben wir in den letzten Jahren natür-lich auch ein gestiegenes Interesse am Studium bemerkt .Was für uns kritisch ist und uns Sorgen macht, ist dieTatsache, dass die Ausbildungsbetriebsquote, das heißtdie Zahl der Betriebe, die ausbilden, verglichen mit derGesamtzahl der Betriebe, gesunken ist . Wir liegen derzeitbei etwa 20 Prozent . Der Schnitt lag über viele Jahre bei25 Prozent . Die Ausbildungsbetriebsquote ist seit 2009gesunken . Wenn man genauer hinschaut, dann stellt manfest: Es sind nicht die großen und mittleren Betriebe –
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diese bilden mehr oder auf gleichem Niveau aus –, son-dern es sind vor allen Dingen die kleinen und kleinstenBetriebe, die nicht mehr ausbilden – zum Teil auch ausResignation, weil sie über Jahre keinen Lehrling, keinenAuszubildenden mehr bekommen haben .Wir waren und sind stolz, dass es uns gelungen ist, dieZahl der jungen Leute, die im Übergangssystem sind –darin waren einmal über 400 000 junge Leute –, Schrittfür Schritt jedes Jahr zu senken, und zwar um insgesamt165 000 . Jetzt sind erstmals nach einer Reihe von Jahrenmehr junge Leute im Übergangssystem, nämlich 7 Pro-zent . Nach Auswertungen des BIBB handelt es sich umjunge Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind und sichjetzt im Übergangssystem in einer schulischen Fortbil-dung befinden. Das Übergangssystem ist ja das System,was jungen Leuten, die noch nicht ausbildungsreif sind,die Möglichkeit zur Ausbildungsreife bieten soll . Des-wegen sind sie, glaube ich, an dieser Stelle ganz richtigaufgehoben .Wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, dannstellt man außerdem fest: Vor allen Dingen bei den Ju-gendlichen mit ausländischer Staatsangehörigkeit – ichmeine jetzt nicht die jungen Flüchtlinge, die gekommensind, sondern die Jugendlichen mit Migrationshinter-grund, bei denen zum Teil schon die Eltern oder Großel-tern nach Deutschland gekommen sind – nehmen zurzeit,obwohl es Steigerungen gab, nur rund 31 Prozent eineberufliche Ausbildung auf. Bei den deutschen Jugend-lichen sozusagen sind es 56 Prozent . Deswegen sindMaßnahmen wie die KAUSA-Servicestellen für uns sehrwichtige Instrumente, um die Zahlen in diesem Bereichzu verbessern . Wir werden die Zahl der 13 KAUSA-Ser-vicestellen in diesem Jahr verdoppeln, um sehr viel mehrjunge Leute und junge Unternehmer mit Migrationshin-tergrund zu erreichen .Insgesamt kann man sagen, dass die Maßnahmen, diewir in der Allianz für Aus- und Weiterbildung verein-bart haben, greifen . Wir haben zum Beispiel 5 000 jungeMenschen in einer assistierten Ausbildung . Wir treibenDinge wie Bildungsketten in starkem Maße voran . Dasist immer noch das beste Instrument, um für eine berufli-che Ausbildung zu werben und richtige Entscheidungenherbeizuführen .Letzte Bemerkung: Eine unserer großen Aktivitä-ten – eine Maßnahme unseres Hauses gemeinsam mitdem Zentralverband des Deutschen Handwerks und derBundesagentur – ist ein Programm, das 10 000 jungeLeute, junge Flüchtlinge, in Ausbildung, in handwerkli-che Berufe, bringen soll . Es gibt 41 000 unbesetzte Stel-len . Wenn es uns wirklich gelingt, 10 000 dieser jungenFlüchtlinge in eine handwerkliche Ausbildung zu brin-gen, dann geht es um eine Größenordnung, die all dasübertrifft, was wir durch viele Einzelinitiativen bisher er-reicht haben . Darum ist das, wie ich glaube, eine Chance,die wir nutzen sollten, und damit kann sich die Lage ineiner Situation, in der wir mehr Fachkräfte brauchen, ineine positive Richtung entwickeln .
Herzlichen Dank . – Wir beginnen jetzt mit den Nach-
fragen . Die erste Nachfrage stellt Frau Hein .
Vielen Dank . – Frau Ministerin, ich gebe zu, dass ich
die positive Sicht, die Sie versucht haben zu verkünden,
nicht so ganz teilen kann; denn aus den Daten und Zah-
len, die uns bisher zugänglich waren, bzw . aus Zeitungs-
berichten oder Pressemitteilungen ist zu entnehmen, dass
es an den signifikanten Stellen, über die wir in den letz-
ten Jahren immer wieder geredet haben, lediglich Ver-
änderungen von unter 1 Prozent gibt, und das seit dem
Jahre 2012 . Deswegen können wir nicht von einer Ver-
besserung reden – wir würden es zumindest nicht tun –,
sondern eher von einer Stagnation .
Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich für mich die
Frage: Vor kurzem wurde der Bericht zur Evaluation des
Berufsbildungsgesetzes veröffentlicht . Auch die Bun-
desregierung ist zu dem Schluss gekommen, dass es nur
marginaler Veränderungen bedarf . Ich würde Ihnen gern
die Frage stellen, wieso wir unter diesen Gesichtspunk-
ten, wo wir doch einen erheblichen Handlungsbedarf
haben – das haben Sie zum Teil selbst gesagt –, einen
geringen Novellierungsbedarf beim BBiG haben sollen .
Danke schön .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Frau Hein, Sie haben von Stagnation gesprochen . Wo-
rauf beziehen Sie das? Auf die Zahl der Ausbildungsver-
träge?
Ja, 0,1 Prozent .Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Ja . – Man überlege sich einmal, dass in dem Zeit-raum von 2006 bis 2015, in dem das untersucht wurde,die Zahl der jungen Menschen, die die Schule verlassenund damit überhaupt in eine Ausbildung gehen könnten,um 14 Prozent zurückgegangen ist . Wenn man einmaldiejenigen herausrechnet, die eine Studienberechtigunghaben, und diejenigen nimmt, die keine Studienberechti-gung haben – das sind ja in allererster Linie diejenigen,auf die wir im Ausbildungssystem warten –, dann siehtman, dass seit 2006 die Zahl der infragekommenden jun-gen Leute um 22 Prozent zurückgegangen ist, die Zahlder Ausbildungsverträge um 9 Prozent . Daran sieht man,dass es dort eine enorme Kraftanstrengung von allen be-teiligten Seiten gibt – die spürt man –, und das würdeich nicht als Stagnation bezeichnen . Das muss man, auchwenn man in der Opposition ist, fairerweise registrieren .Sie haben außerdem von der Evaluation des Berufs-bildungsgesetzes gesprochen . Den Schluss, dass dasBerufsbildungsgesetz beispielsweise die Ursache derPassungsprobleme ist, kann ich überhaupt nicht teilen .Ich denke, wir werden über die Notwendigkeit einerBundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Novellierung diskutieren . Aber dafür, dass das Gesetznovelliert werden muss, weil es an ihm liegt, dass es zuPassungsproblemen kommt, sehe ich kein Indiz .
Rainer Spiering .
Frau Ministerin, herzlichen Dank für den Berufs-
bildungsbericht . Sie haben bei einem Unterpunkt die
Flüchtlinge erwähnt und gesagt, dass sie jetzt vorrangig
an Schulen unterrichtet werden . Ich möchte vorwegschi-
cken: Wir haben heute Morgen ein Gespräch mit VW ge-
habt . Es ging auch darum, wohin es in Zukunft geht . Da
wird es um die große Frage der Digitalisierung gehen .
Eine zentrale Rolle im Rahmen der Berufsausbil-
dung – ich glaube, da sind wir uns alle einig – spielt der
Lernstandort Berufsschule, vielleicht sogar die zentralste
Rolle . Vor dem Hintergrund der Herausforderungen der
Zukunft – Stichwort „Digitalisierung“, aber auch die
vielen Menschen, die frohen Mutes nach Deutschland
kommen – würde ich gerne wissen: Was plant die Bun-
desregierung im Bereich der Berufsausbildung, auch vor
dem Hintergrund, dass Länder mit der Bewältigung die-
ser großen Herausforderungen völlig überfordert sind?
Was machen wir im Rahmen der universitären Berufs-
schullehrerausbildung? Wie fördern wir sie? Wo stehen
wir da?
Herr Kollege .
Und was plant die Regierung, um der Herausforde-
rung „Digitalisierung des Lernstandortes Berufsschule“
gerecht zu werden?
Frau Ministerin .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Vielen Dank . – Die universitäre Berufsschullehreraus-
bildung ist ein Punkt, dem wir bei der Qualitätsoffensi-
ve Lehrerbildung besondere Aufmerksamkeit gewidmet
haben . Das ist ja ein Programm, bei dem es nicht da-
rauf ankommt, die Länder zu entlasten, die natürlich die
Hauptlast der Lehrerausbildung tragen, sondern bei dem
es darum geht, neue Wege zu erproben, zum Beispiel hin-
sichtlich der Frage, wie man die Digitalisierung in der
Lehrerausbildung, auch in der Berufsschullehrerausbil-
dung, verankern kann . Ich glaube, mehr als die Hälfte
der Projekte, die dort eingereicht wurden, beschäftigt
sich mit diesem Thema, auch im Hinblick auf die Berufs-
schulen . Ich will aber nicht verhehlen, dass ich mir noch
mehr konkrete Projekte gerade im Bereich der Berufs-
schullehrerausbildung gewünscht hätte, weil wir schon
seit Jahren Probleme haben, überhaupt geeignete junge
Leute zu finden, die sich für dieses Studium bewerben. –
Das ist also ein Aspekt, der für uns sehr wichtig ist .
Das, was wir im Bereich der überbetrieblichen Ausbil-
dungsstätten machen, gehört zu den Maßnahmen, die wir
im Rahmen unserer Kompetenzen durchführen können .
Dort können wir mit Geld fördern, dort können wir mit
Know-how fördern .
Frau Ministerin .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wir wollen aber auch die betrieblichen Ausbilder im
Bereich der Medieninformatik fit machen. Wir haben
Projekte, in deren Rahmen wir jetzt ungefähr 1 200 Aus-
bilder in diesem Bereich weiterbilden . Das sind Berei-
che, in denen die Bundesregierung Akzente setzt – aber
natürlich nicht im Bereich der Berufsschulen, der in der
originären Verantwortung der Länder liegt; da haben wir
keinen Zugriff .
Gut .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Aber in der Hinführung und auch in der Ausbildung
der Berufsschullehrer und eben dann vor Ort, da sind wir
als Bundes – –
Vielen Dank . Wir hatten jetzt eine etwas längere Frageund eine folgerichtig etwas längere Antwort . Aber da esviele Nachfragen gibt, würde ich noch einmal darum bit-ten, dass wir uns um die Einhaltung der Grenze von einerMinute bemühen . – Frau Walter-Rosenheimer .
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben vorhin selbsterwähnt, dass viele Betriebe mittlerweile davon absehen,auszubilden, dass die Ausbildungsquote jetzt bei circa20 Prozent liegt, nachdem es über Jahre hinweg 25 Pro-zent waren, und es vor allem kleine und Kleinstunter-nehmen sind, die sich da ausklinken . Meine Frage an Sieist, ob Sie sich von einer Stärkung der überbetrieblichenAusbildung versprechen würden, dass diese kleinen Be-triebe und Kleinstunternehmen wieder Interesse an derAusbildung gewinnen und sich dann vorstellen können,da wieder mitzumachen . Also, sehen Sie darin einenWeg?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Ja, sehe ich auf jeden Fall . Wir versuchen auch, diekleinen und kleinsten Betriebe zu stärken – das Pro-blem ist ja nicht neu –, und haben zum Beispiel in ei-nem Programm die Möglichkeit eröffnet, auch Verbund-ausbildung zu ermöglichen, also dass mehrere Betriebegemeinsam die Ausbildung zum Beispiel eines Drehersrealisieren . Die außerbetrieblichen AusbildungsstättenBundesministerin Dr. Johanna Wanka
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sind ein ganz wichtiges Element, um die Betriebe zumotivieren und ihnen zu zeigen: Wenn die jungen Leutedort ausgebildet werden, dann können sie mehr als derMeister im Betrieb, vor allen Dingen im Hinblick auf In-formatik und Digitalisierung .
Katrin Albsteiger .
Frau Ministerin, herzlichen Dank für Ihren Bericht .
Ich denke, dem Bericht ist durchaus zu entnehmen, dass
es die eine oder andere Herausforderung gibt, den einen
oder anderen Punkt, auf dem wir noch aufbauen müssen,
auch politisch . Auf der anderen Seite wird aber durchaus
auch bestätigt, dass unsere politische Arbeit erfolgreich
gewesen ist . Wir sehen auch an der niedrigen Jugendar-
beitslosigkeitsquote in unserem Land, dass die berufliche
Bildung ein Erfolgsmodell ist . Mich würde interessieren,
in welcher Art und Weise sich die Bundesregierung ein-
setzt, um auch in anderen europäischen Ländern dabei
unterstützend tätig zu sein .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Es gab in den letzten Jahren nicht nur ein großes Inte-
resse vonseiten anderer Länder in Europa, sondern auch
vonseiten Chinas oder auch der amerikanischen Ministe-
rin jetzt auf der Messe in Hannover an der dualen Ausbil-
dung . Wir versuchen, diesem großen Interesse Rechnung
zu tragen, indem wir alle, die damit befasst sind – ob das
nun das Auswärtige Amt ist, ob das die Kammern sind –,
an einen von uns koordinierten runden Tisch zu bringen
und dort zu besprechen, wie zum Beispiel Griechenland
oder anderen Ländern, die daran Interesse haben, das
System der dualen Ausbildung zu vermitteln ist . Wir ha-
ben dafür beim BIBB in Bonn eine Anlaufstelle mit mitt-
lerweile ungefähr 17 Mitarbeitern eingerichtet, die sich
professionell um das Thema kümmern .
Es geht nicht darum, dass wir unser duales Ausbil-
dungssystem eins zu eins auf China übertragen . Vielmehr
soll entschieden werden: Welche Elemente unserer dua-
len Ausbildung passen zu dem dortigen System, um die
besondere Verbindung von betrieblicher und schulischer
Bildung zu realisieren?
Auch auf europäischer Ebene haben wir Abkommen
geschlossen, um die duale Ausbildung beispielsweise
nach Spanien oder in andere Länder zu übertragen . Man
muss sagen: Unsere Firmen im Ausland, vor allem die
größeren, versuchen immer, dort duale Ausbildung an-
zubieten .
Frau Binder .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, zum
30 . September 2015 gab es 20 700 unversorgte Jugend-
liche . Die Allianz für Aus- und Weiterbildung hatte da-
mals versprochen, wer bis dahin noch nicht vermittelt
oder versorgt sei, solle von der BA drei Stellenangebote
bekommen . Ich wüsste jetzt gerne: Wie viele dieser jun-
gen Menschen haben tatsächlich Angebote erhalten, noch
dazu drei Stück? Ich wüsste, wenn möglich, auch gerne:
Wie viele davon konnten denn vermittelt werden?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Die Zahlen liegen uns nicht vor, das ist auch nicht so
einfach nachzuverfolgen . Aber im Rahmen der Allianz
für Aus- und Weiterbildung sind wir mit dem Arbeitsmi-
nisterium, das in Bezug auf diesen Part mehr Einsichts-
möglichkeiten hatte, auf einem guten Weg .
Ich kann sagen, dass die Wirtschaft im Jahr 2015
7 300 zusätzliche Ausbildungsstellen zur Verfügung ge-
stellt hat und dass es im März dieses Jahres im Vergleich
zum März 2014 20 000 Ausbildungsstellen mehr gab .
Kollege Rossmann .
Frau Ministerin, ein Erfolg ist ja auch, dass Bund
und Länder zusammen mit den Tarifpartnern erreicht
haben, dass die Zahl der Jugendlichen im sogenannten
Übergangssystem deutlich zurückgegangen ist, von über
400 000 auf 250 000 . Ich frage mich, ob wir nicht besser
statt von einem Übergangssystem von einem Einstiegs-
system sprechen sollten, um der Denunziation, dass es
dabei nur um Warteschleifen geht, schon vom Begriff her
entgegenzutreten . Deshalb meine Frage: Haben Sie Ide-
en, wie man das Einstiegssystem alias Übergangssystem
verbessern bzw . so ausrichten könnte, dass am Ende noch
mehr junge Menschen einen direkten Einstieg in eine
vollwertige Berufsausbildung erreichen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ja, Herr Rossmann . – Wir wissen ja, dass „Übergangs-
system“ einmal die richtige Vokabel war, weil es in einer
Zeit, in der es bundesweit zu wenige Ausbildungsplät-
ze gab, eigentlich ein Zwischenparken war . Wir wissen
auch, dass die unterschiedlichsten Dinge im Übergangs-
system stattgefunden haben .
Unser Ziel ist, dass es ein Einstiegssystem für diejeni-
gen wird, die wirklich der Unterstützung bedürfen . Wenn
die Gruppe von Jugendlichen nicht zu groß oder zu he-
terogen ist – als Beispiel sind jene zu nennen, die schon
eine Ausbildung haben, aber noch etwas Weiteres su-
chen –, dann ist es möglich, es noch mehr zu strukturie-
ren . Derzeit haben wir ein sehr breitgefächertes Angebot,
wobei wir in den Beratungen mit den Ländern natürlich
immer auf das, was die Länder an der Stelle für eine opti-
male Lösung hielten, Rücksicht genommen haben . Aber
wenn es sich auf die Kerngruppe konzentriert, dann kann
es, glaube ich, auch strukturierter, also so, wie es Ihnen
vorschwebt, gestaltet werden .
Frau Pothmer .Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Das passt ja . Bei meiner Frage geht es auch um das
Übergangssystem . Frau Wanka, Sie haben in Ihrer letzten
Haushaltsrede schon prognostiziert, dass die Zahl der Ju-
gendlichen im Übergangssystem wieder anwachsen wür-
de . Das hat mich, ehrlich gesagt, mit tiefer Sorge erfüllt;
denn wir wissen ja, dass das Übergangssystem – das
wissen wir aus den gemachten Erfahrungen, das wissen
wir durch Evaluierungen – die an es gesetzten Erwartun-
gen bei weitem nicht erfüllt, nämlich die Jugendlichen
tatsächlich der Ausbildungsreife näherzubringen . Im
Gegenteil: Das Übergangssystem wirkt eher demotivie-
rend . Man kann zusammenfassend sagen: Es ist teuer und
schlecht .
Deswegen finde ich es hochgradig bedauerlich, dass
wir in dieser Situation die Jugendlichen in dem, wie Sie
ja selbst sagen, zumindest noch sehr breiten Angebot
zwischenparken . Ich hätte von Ihnen deswegen gerne
ein paar konkretere Hinweise darauf, wie Sie das Über-
gangssystem tatsächlich zu einem System des Einstiegs
auf dem Weg zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung
entwickeln wollen .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich muss Sie korrigieren . Ich habe nicht gesagt, dass
wir da jetzt junge Leute parken, sondern ich sagte, dass
wir zeitweise – zum Beispiel zu Ihrer Regierungszeit
war es so – eine hohe Anzahl an jungen Leuten in die-
sem Übergangssystem hatten . Da gab es wirklich viele
Parkmöglichkeiten . Wir haben uns seit Jahren intensiv
bemüht, sie zu reduzieren . Das ist auch gelungen – aber
noch nicht hinreichend .
Der jetzige Anstieg ist auf die Tatsache zurückzufüh-
ren, dass man, was ich gut finde, sich um diese Jugendli-
chen bemüht und sie zumindest in eine schulische Vorbe-
reitung im Hinblick auf eine Ausbildung bringt .
Ansonsten glaube ich, dass die Maßnahmen, die wir
auch in der Allianz verabredet haben, wie die assistierte
Ausbildung oder die Begleitung von Jugendlichen, wenn
sie nicht gleich in der Ausbildung Tritt fassen, durch eh-
renamtliche Lotsen und andere, Wege sind, um etwas zu
erreichen . Und damit die Jugendlichen nicht sozusagen
ellenlang auf eine Ausbildung warten, vermitteln wir
ihnen im Übergangssystem zielgerichtet die Qualifika-
tionen, die ihnen fehlen – etwa ein fehlender Berufsab-
schluss oder ähnliche Dinge –, oder Qualifikationen in
Richtung Digitalisierung, die neuerdings für viele Berufe
gebraucht werden und vielfach nicht vorhanden sind .
Thomas Feist .
Frau Ministerin, vielen Dank für den Berufsbildungs-
bericht . – Ich, und nicht nur ich, habe den Eindruck, dass
die berufliche Bildung nicht nur Ihnen, sondern auch Ih-
rem Haus verstärkt am Herzen liegt . Das freut mich sehr,
weil die berufliche Bildung neben der akademischen Bil-
dung eine ganz wesentliche Grundlage dafür ist, wie wir
in Deutschland dastehen .
Zwei Fragen habe ich konkret .
Bei meiner ersten Frage geht es darum, dass die kleinen
und Kleinstbetriebe kaum noch ausbilden . Hängt das
vielleicht auch damit zusammen, dass wir 2004 viele
Meisterberufe, also Berufe, bei denen ein Meistertitel
für die Übernahme eines Betriebes notwendig war, ab-
geschafft haben und somit die entsprechenden Betriebe
überhaupt nicht mehr ausbilden? Gibt es da vielleicht
Handlungsbedarf?
Bei meiner zweiten Frage geht es um die Informati-
onskampagne. Ich finde es wichtig, auch jungen Leuten
zu vermitteln: Berufliche Bildung ist etwas wert. – Sie
haben dazu auch etwas gesagt . Inwiefern könnte man
denn die besonders begabten jungen Leute in der berufli-
chen Bildung, die beispielsweise bei den EuroSkills oder
bei den WorldSkills sehr erfolgreich sind, als authenti-
sche Botschafter einsetzen? Denn wenn nur die Politik
das macht, wird das nicht den gewünschten Erfolg haben .
Das müssen gleichaltrige junge Menschen machen .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ja, das ist ein Problem in Betrieben . Für eine Ausbil-
dung ist im Handwerk ein Meister notwendig . Für die
Berechnung der Ausbildungsbetriebsquote werden alle
Betriebe gezählt, also auch die, die gar nicht ausbil-
dungsberechtigt sind . Der Anteil hat sich natürlich erhöht
aufgrund dieser Entscheidungen, die wir beide und viele
andere in diesem Raum bedauern .
Was die Informationskampagne betrifft, denke ich:
Es wirkt immer am besten, wenn Gleichaltrige werben,
also hier junge Leute, die in der beruflichen Bildung
sind . Dass da die besonders Leistungsstarken von uns
noch stärker eingespannt oder genutzt werden sollen,
ist eine der Überlegungen in unserem Haus . Wir haben
heute eine neue Informationskampagne gestartet, bei der
wir uns sehr stark daran orientiert haben, dass die jungen
Menschen sehr stark über Facebook und ähnliche Infor-
mationskanäle miteinander kommunizieren . Wir hoffen,
dass das auch ein Beitrag ist, um deutlich zu machen, wie
attraktiv duale bzw . betriebliche Ausbildung in Deutsch-
land ist .
Kai Gehring .
Frau Ministerin, die Hälfte der nach Deutschland Ge-flüchteten ist bekanntlich unter 25 Jahre jung. Das heißt,es geht um mehr als eine halbe Million junger Men-schen . Gerade haben Sie einmal mehr verkündet, dassbei der Qualifizierungsinitiative „Wege in Ausbildungfür Flüchtlinge“ das BMBF mit ZDH und BA zusam-men Geflüchtete so unterstützen wollen, dass sie einenvon 10 000 angekündigten zusätzlichen neuen Ausbil-
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dungsplätzen erhalten . Uns interessiert natürlich sehr:Wie hat sich dieses Programm entwickelt? Angesichtsder genannten Zahlen kann das ja nicht alles sein . Wastun Sie darüber hinaus, um Flüchtlinge in Ausbildung zuvermitteln und sie dort auch zu einem entsprechendenAusbildungserfolg zu führen?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Herr Gehring, als ich einmal las, was Ihre Fraktionsich wünscht, habe ich mir dabei gedacht: „Die Grünenkannten unser Programm ‚Wege in Ausbildung‘ schonvorher“, weil Sie viele Elemente dieses Programms an-gesprochen haben . Dieses Programm ist zum 1 . Aprildieses Jahres gestartet . Es tut mir leid, aber ich kann jetztnoch keinen Zwischenbericht dazu liefern, wie es sichgestaltet . Wichtig ist aber, wie viele Ausbildungsplätzevom Handwerk zur Verfügung gestellt werden; denn dasProgramm funktioniert nur – das ist die Bedingung –,wenn konkrete Ausbildungsplätze zur Verfügung gestelltwerden . Ein Ausbildungsbetrieb muss sagen: Ich möchtegerne einen jungen Flüchtling als Auszubildenden . – Daswaren auf Anhieb über 2 700 Betriebe, glaube ich . DieseZahl wird jetzt natürlich gesteigert .Darüber hinaus leisten wir eine Vielfalt von Dingen .Zum Beispiel ist es im Rahmen des Anerkennungsge-setzes – Stichwort „Validierung“ – möglich, dass Fer-tigkeiten von jungen Flüchtlingen, die keinen Abschlusshaben – haben sie ja in der Regel oft nicht, weil es inihren Herkunftsländern keine Ausbildung gibt und sienur über eine Grundbildung verfügen –, aber praktischeFähigkeiten besitzen, weil sie zum Beispiel jahrelang ineiner Schmiede oder Schusterei gearbeitet haben, auf Ba-sis des Systems, das wir jetzt bundesweit gemeinsam mitden Kammern entwickeln, im Rahmen einer Ausbildungberücksichtigt werden, wenn die Jugendlichen einenentsprechenden Abschluss erwerben wollen . Zum Teilkönnen Sie sogar gleich einen entsprechenden Abschlussbescheinigt bekommen .Alles, was wir in den Bereichen Sprache und Integra-tion machen, –
Redezeit!
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Okay .
Den Satz können Sie natürlich zu Ende sprechen .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
– jetzt war ich ganz diszipliniert, und dann passt es
auch wieder nicht – sind Maßnahmen auf dem Wege
dorthin .
Sehr schön . – Sven Volmering .
Frau Ministerin, vielen Dank auch von meiner Seite
für den Bericht . Mich würde interessieren, wie Sie die
Entwicklung des Ausbildungsmarktes im nächsten Aus-
bildungsjahr einschätzen, um auch einmal einen Blick in
die Zukunft zu werfen .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Im März eines jeden Jahres werden vorläufige Zahlen
veröffentlicht . Wenn man die Zahlen dieses Jahres mit
den Zahlen aus 2015 vergleicht, sieht man, dass sich die
Tendenz, die wir derzeit haben, fortsetzt . Das heißt, die
Relation zwischen offenen Stellen und Bewerbern wird
aus Sicht der jungen Leute noch besser . Die Zahl der
angebotenen Ausbildungsstellen ist erheblich größer ge-
worden . Diese Entwicklung bricht also nicht ab, sondern
diese Tendenz setzt sich nach den ersten Zahlen, die für
2016 vorliegen, fort .
Frau De Ridder .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Frau Ministerin . – Gestern war der Tagdes Brotes . Wir hörten allenthalben, dass auch die BäckerProbleme haben, Auszubildende zu gewinnen . Sie habeneben völlig zu Recht zwischen Bildungsinländerinnenund Bildungsinländern und geflüchteten Jugendlichen,die möglicherweise hier in Ausbildung kommen wollen,differenziert . Sie sahen in diesen jugendlichen Flüchtlin-gen auch eine Zielgruppe für das Handwerk . Mich würdevor dem Hintergrund Ihrer Sicht auf den Ausbildungs-markt interessieren, was Sie für die QualitätsoffensiveLehrerbildung zu tun gedenken, und zwar nicht nur mitBlick auf die Berufsschullehrer, sondern auch mit Blickauf grundsätzliche didaktische Überlegungen . Das The-ma „Digitalisierung“ haben Sie erwähnt . Ich bin sicher,Sie haben noch weitere gute Ideen .Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung ist ein Wettbe-werb . Der Bund zahlt eine halbe Milliarde, die Ländernull . Dieser Wettbewerb läuft . Das heißt, wir sagen nicht:„Ihr müsst das und das machen“, sondern im Rahmendieses offenen Wettbewerbs gehen verschiedene Anträgeein, in denen es zum Beispiel darum geht, wie wir für einebessere Inklusion in der Grundschule sorgen können, wiewir die berufliche Ausbildung betriebsnäher gestaltenkönnen oder wie wir die Digitalisierung fördern können .Kai Gehring
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Diese Anträge sind wissenschaftlich bewertet worden,und dann wurde der Zuschlag erteilt . Das läuft jetzt . Undes besteht die Verpflichtung, Best-Practice-Beispieleflächendeckend umzusetzen. Man bekommt also nichtGeld, um etwas nur zu erproben, sondern wenn mansagt: „Das ist gut“, dann muss das auch in die Curriculader unterschiedlichen Lehrerbildungsinstitutionen über-nommen werden . Ich kann also nicht vorschreiben, wasgenau gemacht werden soll . So war das nicht gedacht .An dieser Stelle muss man auf die Kreativität und denIntellekt der Betreffenden vertrauen .
Kollege Mutlu . – Er rechnet noch gar nicht damit,
dranzukommen .
Herr Präsident, danke . Ich habe wirklich nicht da-
mit gerechnet, dass ich so schnell drankomme . – Meine
Frage an die Ministerin lautet: Welchen Beitrag will die
Bundesregierung zur Erreichung der Ziele des Dresdener
Bildungsgipfels leisten, insbesondere im Hinblick auf
das Ziel der Halbierung der Zahl der Schulabbrecher und
der Zahl der jungen Menschen ohne Berufsausbildung?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Herr Mutlu, auf dem Dresdener Bildungsgipfel wur-
den ja bestimmte Zielzahlen formuliert, zum Beispiel,
wie Sie sagten, die Halbierung der Zahl der Schulabbre-
cher . Man kann feststellen, dass die relevanten Indikato-
ren und Kenngrößen für alle Ziele, die man sich vorge-
nommen hat, in die richtige Richtung weisen: weniger
Schulabbrecher, mehr Studium und Lehre und anderes .
Nicht in jedem Fall ist die Zielzahl erreicht, wobei sich
der Gipfel auf das Jahr 2015 bezieht . Es muss also erst
noch einmal genau evaluiert werden, wie viel wir bis zu
dem Zeitpunkt erreicht haben . Der Gipfel hatte den Ef-
fekt, dass sich jede dieser Größen verbessert hat,
dass also die Indikatoren von allen Ländern – es geht ja
auch viel um das Schulsystem – sehr viel stärker ange-
nommen wurden . Für mich ist der Bildungsgipfel also
ein ganz wichtiges Instrument gewesen, um die Bil-
dungsrepublik Deutschland ein Stück voranzubringen .
Uwe Schummer .
Bei meiner Frage geht es um junge Menschen, die
eine Hochschulausbildung beginnen und dann während
des Studiums erkennen, dass eine berufliche duale Aus-
bildung für sie doch besser wäre . Welche Instrumente
gibt es, um Kompetenzen von Studienabbrechern in der
dualen Berufsausbildung anzuerkennen und die Ausbil-
dungsmöglichkeiten zu beschleunigen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich habe mir das angeschaut . Meist konzentrieren wir
uns darauf, wie man den Schwächsten helfen kann, dass
sie doch noch eine Ausbildung machen und abschließen .
Viel zu wenig im Blick der gesamten Wirtschaft sind die
jungen Leute, die pfiffig sind, die ein Studium beginnen
und es dann aus verschiedenen Gründen, zum Beispiel,
weil es sie langweilt oder weil es im Privatleben Ver-
änderungen gibt, abbrechen . Deswegen haben wir eine
Kampagne gestartet, dass man, wenn man aus der Hoch-
schulausbildung in die duale Ausbildung wechselt, nicht
bei null anfangen muss, sondern dass anerkannt wird,
was man geleistet hat, und man dadurch auf einer be-
stimmten Stufe einsteigt . Dazu haben wir in der Bundes-
republik 18 große Projekte laufen .
Es gibt – dies hatte ich so gar nicht erwartet – sehr gro-
ße Resonanz von den jungen Leuten, von den Studienab-
brechern, -umwandlern oder wie auch immer, die sich
getraut haben und erstaunt waren, wie begeistert man bei
der Industrie- und Handelskammer darüber war, dass sie
Lust haben, jetzt einen Beruf zu erlernen . Das hat also
sehr viel bewegt, auch in den Hochschulen . Man küm-
mert sich jetzt um diese jungen Leute, vermittelt sie so-
zusagen und zeigt ihnen, dass sie Chancen in der dualen
Ausbildung haben . Denn wir brauchen die Schwächeren
und auch die Leistungsstarken .
So, ich habe jetzt noch erneute Nachfragen von Frau
Hein, den Kollegen Rossmann, Pothmer, Gehring und
Spiering . Damit würde ich dann gerne diesen Teil der
Befragung abschließen . Jedenfalls hat sich niemand noch
zusätzlich gemeldet .
– Frau Pothmer, hatte ich Sie gerade nicht aufgerufen?
Sie stehen bei mir auf dem Zettel . Okay . – Frau Hein .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, ichfinde es ein bisschen schwierig, dass man den Vergleichzum Jahr 2005 suchen muss – in dem Jahr hatten wir einehohe Zahl von Schulabgängern –, um eine Verbesserungdes Übergangs in Ausbildung zu konstatieren . Ich hattemich auf das Jahr 2012 bezogen . Seitdem verändern sichdie Zahlen nur noch marginal. Das ist, finde ich, auchschon ein Problem .Deshalb habe ich noch eine Frage zum Übergangsbe-reich . Auch er verändert sich seitdem nur marginal vonetwa 260 000 auf 257 000 . Nun liegt die Zahl dieses Jahrbei 270 000 . Sie haben das mit dem Aufwuchs durch dieBeschulung Geflüchteter begründet. Ich würde gern wis-sen, woher Sie diese Zahlen nehmen, ob Sie das verifi-zieren können . Sie sind meines Wissens nicht erhobenBundesministerin Dr. Johanna Wanka
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worden . Wenn Sie sie kennen, wie hoch wäre denn dieZahl im Übergangsbereich ohne die Geflüchteten?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Ich habe sie nicht erhoben, aber das BIBB hat auf derGrundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes sig-nalisiert, dass diese Größenordnung, diese 7 Prozent, derZahl der geflüchteten Jugendlichen entspricht, die in dasÜbergangssystem, in die schulische Bildung gekommensind . Das ist die Auswertung des BIBB . Ich selbst habekeine Untersuchung veranlasst . Aber das BIBB ist ja dieInstitution, die die Daten für den Ausbildungsmarkt er-hebt .
Kollege Rossmann .
Frau Ministerin, in dem Bericht weisen Sie ja ehrlich
darauf hin, dass es in Deutschland rund 2 Millionen jun-
ge Menschen ohne Berufsabschluss gibt . Gleichzeitig
haben Sie auf diese Initiative zwischen DIHK, Hand-
werk und Ihnen, ValiKom, verwiesen, bei der es um die
Feststellung von dem, was die können, im formellen und
informellen Bereich geht . Welche Gedanken verfolgt
die Regierung, um nicht nur Kompetenzen und Lücken
festzustellen, sondern auch nachzuhelfen, dass die Be-
troffenen einen vollwertigen Berufsabschluss erlangen
können? Wird auch in Bezug auf diese jungen Men-
schen – wir kennen dies vom Anerkennungsgesetz – ein
System zur Nachqualifizierung aufgebaut? Was sind Ihre
Initiativen dazu?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Geplant ist, dass wir nicht nur Kompetenzen und
Lücken feststellen und sagen, was noch fehlt, um zum
Beispiel Friseur zu werden . Allerdings können wir nicht
in jedem Fall die entsprechende Nachqualifizierung, die
noch fehlt, realisieren .
Wir haben große Programme, zum Beispiel im Ar-
beitsministerium das Programm „2 . Chance“ . Dieses
Programm bietet allen jungen Menschen zwischen 25
und 34 die Möglichkeit, einen beruflichen Abschluss zu
erwerben. Wenn man hier qualifiziert vorhandene Kom-
petenzen einschätzt – das gab es ja bis jetzt noch nicht –,
kann man dazu beitragen, dass dieses Programm mehr
als bisher genutzt wird; denn in vielen Bereichen wird
es noch nicht genutzt. Vielleicht ist es, finanziell gese-
hen, nicht so attraktiv, weil die Betroffenen in Arbeit
sind . Wenn es aber die Chance gibt, dass ihre praktischen
Fähigkeiten wirklich qualifiziert bewertet werden, dann,
glaube ich, werden die Instrumente, die wir schon haben,
noch sehr viel stärker genutzt .
Darüber hinaus müssen wir innerhalb der Regierung
überlegen, welche Nachqualifizierungsmöglichkeiten
wir, ähnlich wie beim Anerkennungsgesetz, aus dem Be-
reich der BA anbieten können .
Frau Pothmer .
Frau Ministerin, im Rahmen der Allianz für Aus- und
Weiterbildung hat die Wirtschaft im Dezember 2014 die
Schaffung von 20 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen
zugesagt; bereitgestellt hat sie bis jetzt 7 300 . Meine Fra-
ge ist: Welche Konsequenz hat dies für die weitere Arbeit
in der Allianz? Was wollen Sie tun, um diese Lücke zu
schließen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Dieses Angebot der Wirtschaft, das sie gemacht hat,
ist in der nächsten Sitzung der Allianz natürlich ein The-
ma .
Ich kann Ihnen dazu folgende Auskunft geben: Dass bis
Ende letzten Jahres 7 300 Ausbildungsplätze zusätzlich
bereitgestellt worden sind, ist völlig korrekt; das sind
noch längst nicht 20 000 . Vergleicht man die Zahl der
Ausbildungsplätze, die im März dieses Jahres gemel-
det worden ist, mit der entsprechenden Zahl vom März
des vorletzten Jahres, kann man allerdings ein Plus von
20 000 Plätzen verzeichnen . Das heißt nicht unbedingt,
dass am Ende in Summe auch 20 000 mehr da sein wer-
den. Dafür zu sorgen, ist die Verpflichtung der Wirtschaft;
diese Zusage muss erfüllt werden . Aber bestrafen können
wir sie, sollte dies nicht geschehen, nicht .
Herr Kollege Spiering .
Frau Ministerin, Sie haben die „QualitätsoffensiveLehrerbildung“ angesprochen . Ich würde gerne von Ih-nen wissen, ob alle Mittel aus dieser Qualitätsoffensiveabgeflossen sind, wenn nein, wie groß die Restbeständesind, und ob sich die Bundesregierung vorstellen kann,diese Mittel speziell für die Ausbildung von Berufsschul-lehrern mit Blick auf die Kernkompetenz Methodik/Di-daktik auszuloben .Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Bei der Qualitätsoffensive gehen gerade die Projek-te der zweiten Bewilligungsrunde an den Start . Danachmuss geschaut werden: Wie viele Mittel sind abgeflos-sen, und welche Maßnahmen werden nach der Zwischen-evaluation weiterhin gefördert? Ich gehe davon aus, dasswir eine bestimmte Summe zur Verfügung haben werden .Die Überlegung, die Ausbildung von Berufsschullehrernbzw . von Lehrern im Allgemeinen eventuell besonders inden Fokus zu nehmen, wird in unserem Haus angestellt .Dr. Rosemarie Hein
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Letzte Nachfrage zu diesem Themenkomplex: Kai
Gehring .
Vielen Dank . – Frau Ministerin, in dieser Woche
ist der bundesweite Girls’ and Boys’ Day . Was unter-
nimmt die Bundesregierung eigentlich jenseits dieses
symbolischen Aktionstages, um das nach wie vor sehr
geschlechtsspezifische Ausbildungs- und Berufswahl-
verhalten von Mädchen und Jungen aufzubrechen und
beiden Geschlechtern ein möglichst breites Spektrum an
Ausbildungs- und Jobmöglichkeiten aufzuzeigen? Wir
glauben, das würde beim Matching helfen, und das wäre
auch ein Beitrag dazu, kein Talent zurückzulassen .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ganz klar: Das ist ein Instrument . Ich zum Beispiel
bin morgen im Naturkundemuseum,
und zwar gemeinsam mit jungen Frauen, die sich da-
für interessieren . Unser Haus hat im Rahmen seiner
20 000 Projekte ein großes Paket von Maßnahmen zu-
sammengestellt – ich stelle es Ihnen gerne schriftlich
zur Verfügung –, um die MINT-Fächer zu stärken und
Frauen mehr als bisher für eine berufliche Ausbildung
oder ein Studium in diesem Bereich zu motivieren . Ich
kann diese Maßnahmen hier nicht alle aufzählen . Ich
kann Ihnen aber einen Erfolg im Bereich der akademi-
schen Ausbildung nennen: Mittlerweile sind 40 Prozent
aller Bachelorstudenten der MINT-Fächer Frauen; im
OECD-Durchschnitt sind es 26 Prozent .
Auf dem Gebiet der beruflichen Ausbildung ist die Si-
tuation leider eine andere . Gerade bei den technischen
Berufen haben wir einen vergleichbaren Erfolg bisher
noch nicht erzielt . Das Interesse ist noch zu gering, und
der Anteil junger Frauen in der beruflichen Ausbildung
ist hier viel geringer als im akademischen Bereich . Des-
wegen ist es in meinem Haus ein Schwerpunkt, die Din-
ge, die bei der akademischen Ausbildung gut funktioniert
haben, genau zu analysieren, um herauszufinden, was
man mit Blick auf die berufliche Bildung tun kann, vor
allen Dingen im Hinblick auf die Mädchen . Mit Blick
auf Studentinnen der Informatik und solche Frauen, die
in diesem Bereich eine berufliche Ausbildung machen,
gehen wir das jetzt an . Aber hier ist, wie gesagt, noch
mehr zu tun als im akademischen Bereich .
Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihren Bericht und
die Beantwortung der Fragen .
Ich hatte bei der Nachfrage des Kollegen Gehring ei-
nen Augenblick lang die Sorge, dass er mit Blick auf den
Boys’ and Girls’ Day fragen wollte, ob nicht auch dies
gesetzliche Feiertage werden müssten,
und zwar jeweils gesondert . Ich bin vollständig beruhigt,
dass uns diese Frage, jedenfalls heute, nicht als akuter
Handlungsbedarf erreicht .
Ich darf jetzt fragen, ob es weitere Fragen an die Bun-
desregierung gibt . – Bitte schön, Frau Haßelmann .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich habe eine Frage an
die Bundesregierung in Bezug auf einen möglichen Ge-
setzentwurf zur Abschaffung des § 103 Strafgesetzbuch,
in dem es um die sogenannte Majestätsbeleidigung geht .
Die Bundeskanzlerin hat ja letzte Woche in einer
Pressekonferenz angekündigt, dass sie beabsichtigt, den
§ 103 Strafgesetzbuch – Majestätsbeleidigung – jetzt
sehr schnell und sehr zeitnah abzuschaffen . Ich habe
daneben öffentliche Äußerungen von Herrn Kauder,
dem Fraktionsvorsitzenden, dazu gelesen, und auch von
Herrn Oppermann war zu vernehmen, dass er hier initia-
tiv werden möchte .
Meine Frage an die Bundesregierung lautet deshalb:
Wann gedenken Sie, den Gesetzentwurf zeitnah in den
Deutschen Bundestag einzubringen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Das war nicht Gegenstand der Beratungen im Kabi-
nett .
– Ja, das darf ich doch .
Im Rahmen unserer Geschäftsordnung ist gefragt wor-den, ob es unabhängig von den heutigen Themen in derSitzung des Kabinetts Überlegungen oder gar Festlegun-gen der Bundesregierung dazu gibt .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Bei der Abschaffung des § 103 StGB geht es ja auchum die Fragen, wie das Verhältnis zum Bundespräsiden-ten ist usw . Hier sind wir in einer intensiven Diskussionund Abstimmung . Es ist unsere Absicht, alle Folgerun-
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gen genau zu bedenken, bevor wir an eine Änderung desGesetzes gehen .
Herr Kollege Ströbele .
Danke, Herr Präsident . – Ich habe dazu eine Ergän-
zungsfrage .
Mindestens genauso interessant wie die Frage, wann
das eingebracht wird, ist ja die Frage, was in dem Gesetz-
entwurf dazu stehen wird, ab wann dieses Gesetz in Kraft
tritt . Wird bei den Überlegungen, die Sie ja in den Raum
gestellt haben, auch berücksichtigt, ob das Verfahren ge-
gen Herrn Böhmermann zu diesem Zeitpunkt schon zu
Ende ist, weshalb ihm die Aufhebung der Bestimmung
nicht mehr zugutekommen kann, oder geht das seinen
normalen rechtlichen Gang, sodass möglicherweise auch
Herr Böhmermann noch in den Genuss der Aufhebung
dieses Paragrafen kommen kann?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir haben über die-
sen Punkt noch nicht entschieden .
Ich darf im Übrigen darauf aufmerksam machen: Auch
der Gesetzgeber wird sich mit diesem Text beschäftigen
müssen . – Frau Künast, vielleicht können Sie das für den
Rechtsausschuss auch noch einmal unterstreichen .
Danke für den Hinweis, Herr Präsident . Natürlich
werden dazu am Ende intensivste Beratungen im Rechts-
ausschuss dieses Hauses und drei Lesungen stattfinden
müssen . Das war aber gar nicht der Kern meiner Frage .
Frau Wanka hat gesagt, sie würden das alles beraten .
Die Kanzlerin hat aber selber verlautbart bzw . unwider-
sprochen verlautbaren lassen, dass sie eine Aufhebung
des § 103 StGB will, in dem es um die sogenannte Ma-
jestätsbeleidigung geht . Dies solle aber erst 2018 in Kraft
treten .
Daran schließt sich ja die Frage an: Soll das so sein,
oder ist das noch offen in der Diskussion, sodass man das
unter gehöriger Beteiligung des Rechtsausschusses auch
innerhalb von drei bis vier Monaten – selbst inklusive ei-
ner Anhörung – entscheiden kann? Ich frage danach, weil
ich jetzt gerne einmal wissen möchte, ob 2018 stimmt
oder ob Sie das hier widerrufen .
Wenn es stimmen sollte, dann stellt sich natürlich die
Frage: Warum sollte aus heutiger Sicht 2018 etwas rich-
tig sein, was 2016 noch nicht richtig sein soll, nämlich
die Abschaffung?
Frau Ministerin, es hat selten die Gelegenheit zu Wi-
derrufen gegeben . Das ist eine seltene Vorlage .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich wollte nur sagen: Netter Versuch, aber meine Ant-
wort ist klar .
– Die, die ich gerade gegeben habe .
Liebe Frau Künast, der Gesetzgeber sitzt nicht auf der
Regierungsbank . Völlig unabhängig, zu welchem Zeit-
punkt die Regierung einen Gesetzentwurf einbringen
will: Ob und wann dieser Gesetzentwurf verabschiedet
wird, entscheidet der Bundestag . Das könnte früher oder
später sein, als die Überlegungen der Bundesregierung
vorsehen,
die offenkundig noch nicht abgeschlossen sind . – Frau
Haßelmann .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Seien Sie versichert,
Herr Präsident, dass wir wissen, dass wir das Parlament
und damit der Gesetzgeber sind . Noch lieber wäre es mir,
wenn Frau Wanka sagen würde: Wir bereiten gar keinen
Gesetzentwurf vor, sondern wir schließen uns dem Ge-
setzentwurf zur Abschaffung des § 103 StGB von Bünd-
nis 90/Die Grünen an, der schon eingebracht ist, und
müssen gar keine eigene Arbeit mehr leisten . – Von daher
ist meine Frage: Haben Sie sich denn mit unserem Ge-
setzentwurf vielleicht schon befasst, da Sie im Moment
doch alle Aspekte erörtern?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich betone noch einmal, dass dies der Bereich des re-
gierungsinternen Handelns ist. Über diesen befinden wir
in der Regierung und informieren dann .
Jetzt liegt mir noch der Wunsch des Kollegen Kekeritznach einer Frage zu anderen Themen vor . Oder hat sichdas erledigt?
– Wer nicht da ist, kann auch keine Fragen stellen . – Dannschließe ich damit die Regierungsbefragung ab .Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:FragestundeDrucksache 18/8190Wir beginnen in dieser Woche mit dem Geschäfts-bereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend . Die Frage 1 der Kollegin BeateWalter-Rosenheimer wird schriftlich beantwortet . Damitkönnen wir diesen Bereich wieder verlassen .Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Gesundheit . Hier steht die KolleginFischbach zur Beantwortung zur Verfügung .Auch die Fragen 2 und 3 der Kollegin Scharfenbergwerden schriftlich beantwortet .Wir kommen zur Frage 4 der Kollegin PiaZimmermann:Seit wann haben nach Kenntnis der Bundesregierung wel-che staatlichen bzw . im öffentlichen Auftrag tätigen Institutio-nen Kenntnis von dem jetzt bekanntgewordenen systematischorganisierten Betrug in der Pflege?I
Liebe Frau Kollegin Zimmermann, ich beantworte
Ihre Frage wie folgt: Der Bericht des Bundeskriminalam-
tes vom Oktober 2015 wurde dem Bundesministerium
für Gesundheit am 22 . April 2016 übermittelt . Darüber
hinaus stand nach Informationen der Bundesregierung
eine Information des BKA über die Erkenntnisse zum
Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch soge-
nannte russische Pflegedienste in Berlin auf der Tages-
ordnung der Sitzung vom 10 . und 11 . März 2016 der
Konferenz der obersten Landessozialbehörden . An die-
ser Veranstaltung hat kein Ressort der Bundesregierung
teilgenommen . Der dortige Vortrag des BKA sollte der
Sensibilisierung der nachrangigen Träger der Sozialhilfe
dienen .
Dem Bundesministerium des Innern wurde der Aus-
wertebericht des BKA am 19 . April 2016 zugesendet .
Das BKA hat das BMI am 25 . April 2016 darüber infor-
miert, dass die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen
über den GKV-Spitzenverband seit November 2014 in
die Auswertung eingebunden waren, dass das BKA die
Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbän-
de im Dezember 2015 über die Ereignisse der strategi-
schen Auswertung informiert und um Sensibilisierung
nachgeordneter Stellen in eigener Zuständigkeit gebeten
hat, dass im Dezember 2015 das Ministerium für Arbeit,
Integration und Soziales, NRW, als Geschäftsstelle der
Konferenz der obersten Landessozialbehörden durch
Versand eines Berichts informiert worden ist, dass mit
Schreiben vom 30 . September 2015 das Ministerium für
Arbeit, Integration und Soziales dem BKA mitteilte, dass
das Anliegen des BKA am 4 . Dezember 2015 in der Ar-
beitsgruppe der KOLS „Auswirkungen des neuen Pfle-
gebedürftigkeitsbegriffs/des Zweiten Pflegestärkungs-
gesetzes – PSG II – auf die Hilfe zur Pflege nach dem
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ behandelt wurde . Das
Ministerium für Gesundheit ist kein Mitglied dieser Kon-
ferenz .
Nachfrage? – Bitte schön .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Vielen Dank für die
Beantwortung der Frage . Allerdings fehlt mir ein biss-
chen die Bezugnahme auf die Systematik in der ganzen
Geschichte . Das ist der erste Punkt . Der zweite Punkt:
Mir fehlt eine Aussage zur Mitverantwortung der Bun-
desregierung .
Deshalb möchte ich auf Ihre Antwort eingehen und
Sie fragen: Worin sieht die Bundesregierung denn die
Ursachen für diesen systematischen Betrug in der Ab-
rechnung von Pflegeleistungen, und wie bewertet sie ein
mögliches Mitverschulden ihrerseits, was die bestehende
Gesetzgebung angeht?
Ich muss noch dazu sagen: Ich finde es einigermaßen
verwunderlich, dass vonseiten der Bundesregierung so
wenig Selbstkritik kommt . Wenn ich mich recht erinnere,
haben Sie es doch befürwortet, dass Pflege auch in priva-
te Hände kommt, dass man sich mit der Pflege finanziell
verbessern kann bzw . dass man mit der Versorgung von
kranken und pflegebedürftigen Menschen Gewinn ma-
chen kann . Insofern wäre es doch gut, zu sagen, welche
Mitverantwortung die Bundesregierung in Bezug auf die
vorliegenden Sachverhalte hat .
I
Frau Kollegin, ich kann Ihnen versichern, dass wir mit
unseren Gesetzentwürfen gerade für den Pflegebereich
alles tun, damit die Menschen, die Pflegeleistungen brau-
chen, diese auch bekommen . Wir tun alles, damit sie die
hochqualitativen Pflegeleistungen und die Unterstützung
bekommen, die sie brauchen .
Ich weise darauf hin, dass die Machenschaften, die
jetzt bekannt geworden sind, nicht der organisierten Kri-
minalität zuzuordnen sind, weil sie sich unterhalb der
Schwelle befinden. Es handelt sich hier um organisierten
Betrug, mit dem man in dieser Weise nicht rechnen konn-
te . Wir haben dann aber die notwendigen Schritte ver-
anlasst . Das heißt, wenn ein Betrugsfall durch Hinweise
aufgedeckt wird, dann müssen an erster Stelle die Straf-
verfolgungsbehörden eingeschaltet werden . Sie müssen
ihre Arbeit tun; denn den Hinweisen muss natürlich in
strafrechtlicher Hinsicht nachgegangen werden .
Ein zweiter Schritt besteht dann darin, dass die verant-
wortlichen Stellen im Gesundheitswesen an einen Tisch
geholt werden müssen, um die Sache zu klären . Das hat
der Bundesminister für Gesundheit sofort getan, nach-
dem er Kenntnis von diesem Sachverhalt bekommen
hatte . Ich denke, damit sind wir in einem ersten Schritt
unserer Verantwortung nachgekommen .
Frau Klein-Schmeink .Präsident Dr. Norbert Lammert
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Waren der Bundesregierung und dem Gesundheits-ministerium die Problemanzeigen des Berliner Senatsaus dem Jahre 2012 sowie die Veröffentlichungen derAOK Nordost dazu bekannt, mit denen darauf hingewie-sen wurde, dass ein Drittel der 560 in Berlin zugelasse-nen ambulanten Pflegedienste falsch abrechnet? Wenn ja,was haben Sie dann nachfolgend ab dem Jahr 2012 indieser Hinsicht unternommen?I
Frau Kollegin, nachdem diese Dinge damals in der
Amtszeit des Vorgängers von Hermann Gröhe im Ge-
sundheitsministerium besprochen worden waren, wur-
den mit dem Inkrafttreten des Assistenzpflegegesetzes
zum 1 . Januar 2013 – dabei geht es um Änderungen im
SGB XI – die Zusammenarbeit und der Datenaustausch
zwischen Pflegekassen, Krankenkassen und Sozialhilfe-
trägern bei Fehlverhalten und in Betrugsfällen verbessert .
Herr Kollege Terpe .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Staatssekretärin,
ich möchte da noch einmal nachhaken . Gibt es denn kon-
krete Gegenmaßnahmen, die die Vorgänger von Herrn
Gröhe – vielleicht auch Herr Gröhe selbst – eingeleitet
haben, als diese zwei Hinweise aus Berlin in den Jah-
ren 2012 und 2014 – es war ja nicht nur ein Hinweis,
sondern es waren zwei – bekannt wurden?
I
Herr Kollege, wir haben bei den Gesetzgebungs-
verfahren zu den Pflegestärkungsgesetzen I und II alle
Hinweise und Informationen, die uns vorlagen, in die
Beratungen miteingebracht. Mit beiden Pflegestärkungs-
gesetzen haben wir eine Vielzahl von Regelungen auf
den Weg gebracht, um die Qualität und auch die Prü-
fungs- bzw . Kontrollmöglichkeiten zu verbessern . Ich
nenne in dem Zusammenhang beispielhaft die unange-
meldeten Besuche, die in Verdachtsfällen möglich sind .
Weiter nenne ich das Beispiel, dass seit Januar dieses
Jahres der MDK im Bereich der Abrechnungen Prüfun-
gen vornehmen muss . Vorher war es eine Kannleistung .
Es gibt also eine Menge von Regelungen, die wir mit den
beiden Pflegestärkungsgesetzen eingeführt haben.
Frau Binder .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Mich würde interes-
sieren, in welcher Form Pflegebedürftige und ihre Ange-
hörigen unterstützt werden, wenn sie sich aufgrund eines
Betrugsverdachtes an den Bevollmächtigten wenden?
Ich würde in dem Zusammenhang auch gerne wissen,
wie in diesem Bereich mit Whistleblowerinnen umge-
gangen wird. Im vergangenen Jahr wurde elf Pflegekräf-
ten fristlos gekündigt, weil sie auf Missstände aufmerk-
sam gemacht haben. Ich finde, dass diese Missstände in
einem direkten Zusammenhang mit den Betrugsvorwür-
fen zu betrachten sind . Denn letztendlich werden diese
Betrügereien begangen, weil in der Pflege zu wenig Zeit,
zu wenig Personal und zu wenig Material eingesetzt wer-
den, um die Menschen anständig zu versorgen .
I
Frau Kollegin, ich möchte noch einmal ganz deutlich
machen, dass wir aufgrund dieses organisierten Betruges
nicht alle Pflegebedürftigen und ambulanten Pflegediens-
te in einen Topf werfen und sie alle gleichsam mitverur-
teilen dürfen . Dagegen wehre ich mich ganz entschieden .
Der Großteil unserer Pflegeeinrichtungen und Pflege-
kräfte leistet eine hervorragende, qualitativ wertvolle Ar-
beit und ist mit Herzblut dabei .
Deshalb kann ich das so nicht stehen lassen .
Diejenigen, die Beanstandungen haben, können sich
an den Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung
wenden . Er kümmert sich darum, wie er es auch getan
hat, als er den Brief aus Berlin bekommen hat . Die Hin-
weise, die wir bekommen, fließen in unsere politischen
Beratungen mit ein .
Dann rufe ich jetzt die Frage 5 der Kollegin
Zimmermann auf:
In wie vielen Fällen wurde der Beauftragte der Bundes-
regierung für die Belange der Patientinnen und Patienten
sowie Bevollmächtigter für Pflege, Staatssekretär Karl-Josef
Laumann, über Verdachtsfälle oder Unregelmäßigkeiten in
der Leistungsabrechnung in Pflegeeinrichtungen seit seinem
Amtsantritt informiert, und welche Maßnahmen wurden da-
von ausgehend von der Bundesregierung ergriffen?
I
Die Fragen 4 und 5 gehen eigentlich in eine Richtung .
Daher können wir gleich zu den Zusatzfragen kommen .
Bitte, Frau Zimmermann .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Fischbach, zuFrage 5 muss ich noch einmal nachfragen, was ganz ge-nau passiert ist, nachdem Sie von dem Bezirksstadtratvon Dassel aus Berlin vor mehr als zwei Jahren aufgefor-dert wurden, seitens des Bundes aktiv zu werden, um denNährboden für solchen Betrug trockenzulegen . Ich wie-derhole: vor mehr als zwei Jahren . Sie haben lediglichden völlig leeren und nutzlosen Pflege-TÜV eingesetzt.Das war aber schon alles . Darum frage ich noch einmal:Welche Maßnahmen – und zwar Maßnahmen, die sofort
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beginnen und nicht erst im Jahr 2020 – hat die Bundesre-gierung ganz konkret ergriffen?Wenn Sie an dieser Stelle sagen, dass Sie so weniggewusst haben, dann muss ich feststellen, dass Sie diekonkrete Lage in vielen Pflegesituationen anscheinendgar nicht kennen. Denn sonst wäre seit den ersten Pfle-geskandalen in den letzten zehn Jahren sehr viel mehrpassiert . Ich frage Sie jetzt noch einmal ganz konkret:Welche Sofortmaßnahmen sind bzw . werden geplant, umdie Personalsituation zu verbessern?I
Ich nenne Ihnen zunächst die Maßnahmen, die wir be-
reits ergriffen haben, nachdem einzelne Hinweise einge-
gangen sind . Wir reagieren auf alle Hinweise . Ich sage es
noch einmal: Bitte tun Sie in dieser Situation nicht so, als
seien diese Einzelfälle die Gesamtheit und als sei das der
Alltag in Deutschland . Das ist nicht so .
Aber ich sage Ihnen gerne, was wir bisher getan ha-
ben. Mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz wurde mit
Wirkung zum 1. Januar 2015 die Nachweispflicht für die
Kostenerstattung in der Verhinderungspflege verschärft.
Hier waren in der Vergangenheit Missbrauchsfälle be-
kannt geworden . Wir haben darauf reagiert .
Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz wurde zum
1 . Januar 2016 eingeführt, dass der Medizinische Dienst
der Krankenversicherung bei Anzeichen von Qualitäts-
mangel, Betrug etc . unangemeldete Anlasskontrollen
auch in der ambulanten Pflege durchführen kann. Zudem
wurde eine Pflichtprüfung von Abrechnungen durch den
MDK bei allen Regelprüfungen eingeführt .
Mit dem Korruptionsbekämpfungsgesetz werden die
Fehlverhaltensbekämpfungsstellen der Krankenkassen
gestärkt . Diese Stellen müssen künftig stärker zusam-
menarbeiten .
Noch eine Zusatzfrage, Frau Zimmermann? – Nein .
Frau Klein-Schmeink .
In Frage 5 geht es darum, in wie vielen Fällen der Be-
auftragte der Bundesregierung für die Belange der Pati-
entinnen und Patienten sowie Bevollmächtigter für Pfle-
ge über solche Unregelmäßigkeiten informiert worden
ist; das ist die Ausgangsfrage . Dann hat es ein Schreiben
des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters von Ber-
lin-Mitte vom 26 . Mai 2014 an den Bevollmächtigten
für Pflege, Karl-Josef Laumann, gegeben. Angesichts
dessen stellt sich die Frage, ob Karl-Josef Laumann in
seiner Funktion den Gesundheitsminister über dieses
Schreiben informiert hat, in dem ausdrücklich gesagt
wird, dass es zu Unregelmäßigkeiten in einem großen
Umfang gekommen ist, die auf organisierten Betrug und
einen bestimmten kulturellen Zusammenhang hinweisen .
Erstens . Ist der Gesundheitsminister in dieser Form in-
formiert worden? Zweitens . Was haben Sie ganz konkret
unternommen?
I
Das Schreiben aus dem Bezirk Berlin-Mitte ist das
einzige, das dem Bevollmächtigten für Pflege zugegan-
gen ist . Der Staatssekretär hat darauf umgehend geant-
wortet . Das Schreiben enthält den Hinweis, dass zum da-
maligen Zeitpunkt, bezogen auf ganz Berlin, angeblich
150 Strafanzeigen wegen betrügerischer Abrechnung
oder betrügerischer Erbringung von Pflegeleistungen
vorliegen würden . Des Weiteren wird in dem Schreiben
ausgeführt, dass die aus diesen Anzeigen folgenden Er-
mittlungen bereits durch die Landespolizei an die Staats-
anwaltschaft übergeben wurden . – Erster Schritt: Die
Staatsanwaltschaft ist zu informieren . Zweiter Schritt:
Ein runder Tisch ist eingerichtet worden, um die Fehl-
entwicklungen aufzuklären . Der Staatssekretär ist von
einem regionalen Problem ausgegangen; so war es dem
Brief zu entnehmen . Er hat zudem den GKV-Spitzenver-
band angeschrieben und hat das, was angesprochen wur-
de, in die politischen Beratungen eingebracht .
Ich rufe die Frage 6 der Abgeordneten Maria Klein-
Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Warum kündigt die Bundesregierung erst nach diversen
Presseberichten zum Abrechnungsbetrug durch ambulante
Pflegedienste an, dagegen vorzugehen, obwohl der Bericht
des Bundeskriminalamtes, in dem diese Betrugsfälle berichtet
werden, seit Oktober des letzten Jahres vorliegt?
Frau Staatssekretärin, bitte .
I
Liebe Frau Kollegin Klein-Schmeink, Ihre Frage be-
antworte ich wie folgt: Der Bericht des Bundeskrimi-
nalamtes wurde dem Bundesministerium für Gesundheit
am 22 . April 2016 übermittelt . Vorher ist kein Eingang
des Berichts im BMG erfolgt . Dem Bundesministeri-
um des Innern wurde der Auswertebericht des BKA am
19 . April 2016 zugesandt .
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Ja .
Das hatte ich vermutet . – Bitte schön .
Ich habe eine Zusatzfrage, weil es Diskrepanzen zwi-schen den verschiedenen Daten gibt, die unter anderem inZeitungsartikeln erschienen sind . Wie ist es zu verstehen,dass einerseits die Welt am 21 . April 2016 im InterviewPia Zimmermann
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mit Minister Gröhe unter der Überschrift „Jeder Betrugs-fall ist einer zu viel“ behauptet, den BKA-Bericht gebe esseit Oktober, und dass der Minister das nicht dementiertund sogar behauptet, sie hätten bereits gehandelt, unddass andererseits die Sprecherin des BMG, Katja Angeli,einen Tag später der Presse mitteilt, der Bericht habe demMinisterium nicht vorgelegen? Was stimmt denn nun?Hat er vorgelegen, oder hat er nicht vorgelegen?I
Das ist klar und eindeutig aufzuklären: Der Bericht
hat nicht vorgelegen . Aber über diesen Bericht wurde
auf informelle Art und Weise informiert . Das Haus hat
davon Kenntnis bekommen . Als das Bundesministerium
für Gesundheit von den Vorgängen erfahren hat, hat es
am 19 . April ein Gespräch mit dem GKV-Spitzenver-
band und anderen Beteiligten auf Fachabteilungsebene
geführt . Bei diesem Gespräch ging es um Versorgungs-
probleme in der gesamten Intensivpflege, im Kranken-
hausbereich und in der ambulanten Krankenpflege. Aber
es wurden auch Maßnahmen erörtert, die es ermöglichen
sollten, kurzfristig zu einer Verbesserung der Prüfmög-
lichkeiten in der ambulanten Intensivpflege zu kommen.
Haben Sie noch eine zweite Zusatzfrage? – Bitte
schön .
Ich möchte gerne definitiv wissen, wann denn dem
Ministerium dieser Bericht zur Kenntnis gelangt ist . Seit
wann haben Sie Kenntnis davon, dass es diesen Bericht
gab?
I
Der Bericht liegt dem Bundesministerium für Gesund-
heit seit dem 22 . April 2016 vor . Da ist er uns übermittelt
worden .
Jetzt fragt die Abgeordnete Pia Zimmermann, Die
Linke . Danach hat Dr . Harald Terpe, Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen, das Wort . – Bitte schön .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Mich interessiert in
diesem Zusammenhang, warum die Bundesregierung
den Vorschlag des Medizinischen Dienstes der Kranken-
kassen, der in der Debatte über das PSG II gemacht wor-
den ist, ablehnt, eine stärkere Unabhängigkeit des MDK
und der Prüfungen des MDK von den Leistungserbrin-
gern herzustellen . Oder ist es etwa so, dass die Bundes-
regierung das eigentlich für gut hält oder sogar weitere
Vorschläge für eine unabhängige Pflegeprüfung verfolgt?
I
Frau Kollegin, die Frage haben Sie wortwörtlich heute
schon im Ausschuss gestellt, und Sie haben schon eine
Antwort bekommen . Sie werden sich nicht wundern,
wenn Sie jetzt dieselbe Antwort bekommen . Die Aufgabe
übernimmt der Qualitätsausschuss, den wir im Rahmen
des PSG II eingerichtet haben . Das heißt, bei ihm geht es
jetzt darum, vernünftige Kontrollmöglichkeiten, Prüfin-
stanzen und Standards zu entwickeln . Dort werden diese
Arbeiten vorbereitet und dann auch in die Wege geleitet .
Nächster Fragesteller ist Dr . Harald Terpe, Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Staatssekretärin,
in dem BKA-Bericht, der Ihnen vorliegt und der offen-
bar auch der Presse vorliegt, wird ein Hinweis darauf
gegeben, dass auch Ärzte und Apotheker – wir sprachen
bisher nur von den Pflegediensten – mit involviert sind.
Können Sie das bestätigen? Ist dieser Bericht allgemein
zugänglich?
I
Ich habe den Bericht noch nicht in Gänze gelesen .
Deswegen kann ich das im Moment nicht bestätigen . Ich
liefere Ihnen diese Informationen gerne nach .
Schönen Dank . – Nächste Fragestellerin hierzu ist die
Abgeordnete Heike Baehrens, SPD-Fraktion .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, in den öffentlichen Medien wurde im
Zusammenhang mit diesem Abrechnungsbetrug eine
Summe von 1 Milliarde Euro genannt . Da die diesbezüg-
lichen Ausgaben im Pflegebereich in Deutschland insge-
samt 4 Milliarden Euro umfassen, frage ich Sie: Ist es aus
Ihrer Sicht realistisch, dass es sich hier tatsächlich um
einen Betrug in dieser Größenordnung handelt?
I
Das Bundeskriminalamt hat die Summe von 1 Milli-arde Euro, die genannt wurde, nicht bestätigen können .Wir haben mit Baden-Württemberg ein Bundesland, dasschon bestimmte Prüfkriterien auf den Weg gebracht hat .Baden-Württemberg hat das durchdekliniert . Das Landhat keine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt,kommt aber aufgrund von Stichproben zu dem Ergebnis,dass wir in einem Bereich von unter 2 Prozent liegen,sodass wir nicht von 1 Milliarde Euro ausgehen können .Maria Klein-Schmeink
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Schönen Dank . – Dann kommen wir zur Frage 7 der
Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die
Grünen:
Was soll bei unangemeldeten, anlassbezogenen Kontrol-
len bei ambulanten Pflegediensten geprüft werden, und wie
kann durch solche Kontrollen möglicher Abrechnungsbetrug
nachgewiesen werden, vorausgesetzt alle abgerechneten Tä-
tigkeiten sind dokumentiert und abgezeichnet, auch wenn sie
möglicherweise gar nicht erbracht wurden?
Frau Staatssekretärin .
I
Gerne antworte ich auf Ihre Frage, Frau Klein-
Schmeink: Die Bundesregierung prüft, wie die Kontroll-
möglichkeiten bei ambulanten Pflegediensten zügig wei-
ter verbessert werden können . Als Kurzfristmaßnahme
kommt zunächst ein weiterer Ausbau der bestehenden
Kontrollmöglichkeiten des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung in Betracht . Die Prüfung hierzu
wird kurzfristig abgeschlossen .
Weiter hat der Spitzenverband Bund der Kranken-
kassen, GKV-Spitzenverband, zugesagt, die neuen Re-
gelungen für die Fehlverhaltensbekämpfungsstellen der
Kranken- und Pflegekassen des am 14. April 2016 im
Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Lesung be-
schlossenen Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption
im Gesundheitswesen zeitnah noch bis zum Herbst die-
ses Jahres umzusetzen . Das betrifft Richtlinien zur ein-
heitlichen und koordinierten Tätigkeit der Stellen, deren
regelmäßige Berichterstattung und deren Zusammenar-
beit mit den Strafverfolgungsbehörden . Das Bundesmi-
nisterium für Gesundheit wird den Umsetzungsprozess
eng begleiten .
Schließlich soll die neue Pflicht zur regelhaften Ab-
rechnungsprüfung in der ambulanten Pflege nach dem
Elften Buch Sozialgesetzbuch, die seit 1 . Januar 2016 in
Kraft ist, schnell flächendeckend umgesetzt werden. Das
entsprechende Prüfkonzept befindet sich derzeit in einer
Pilotphase . Es ermöglicht bei im Rahmen der Regelprü-
fung wahrgenommenen Auffälligkeiten in einem zweiten
Schritt vertiefende Prüfungen einzelner Pflegedienste
durch Pflegekassen und den Medizinischen Dienst der
Krankenkassen .
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? – Bitte
schön .
Sind Sie der Meinung – Sie haben ja gerade einige
Maßnahmen aufgezählt; unter anderem gehört die Prü-
fung nach § 114 SGB XI dazu –, dass der MDK in der
Lage ist, bei einer solchen Qualitätsprüfung auf der ge-
nannten gesetzlichen Grundlage Abrechnungsbetrug
überhaupt festzustellen?
I
Wir haben mit dem GKV-Spitzenverband Gespräche
geführt; die Vorschläge für die Entwicklung der Konzep-
te sind im Gange . Das heißt, die Abrechnungsprüfung
erfolgt, wie Sie sagen, im Rahmen des § 114 SGB XI .
Es sollen aber grundsätzlich weitere Arbeitsschritte ein-
geführt werden, sodass dann auch eine vernünftige Kon-
trolle möglich ist .
Haben Sie noch Zusatzfragen? – Das ist nicht der Fall .
Nun hat Frau Zimmermann, Fraktion Die Linke, eine
Frage .
Ich habe eine Nachfrage: Die Bundesregierung lehn-
te im Rahmen der Beratungen des Pflegestärkungsge-
setzes II den Vorschlag des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung zunächst ab, die nun in § 114 a Ab-
satz 1 Satz 3 SGB XI geregelte unangekündigte Anlass-
prüfung bei ambulanten Pflegediensten zuzulassen.
Meine Frage: Welche Regelung hält die Bundesregie-
rung für erforderlich, um bei solchen Anlassprüfungen
im ambulanten Bereich das Grundrecht auf Unverletz-
lichkeit der Wohnung zu wahren?
I
Ich hatte vorhin schon einmal geantwortet, als Sie,
Frau Kollegin Zimmermann, fragten, was wir bisher ge-
tan haben, und ich hatte noch einmal deutlich gemacht,
dass auf der Grundlage des Zweiten Pflegestärkungsge-
setzes rückwirkend zum 1 . Januar 2016 der Medizinische
Dienst der Krankenversicherung unangemeldete Anlass-
kontrollen bei Zeichen von Qualitätsmängeln, Betrug
etc. auch in der ambulanten Pflege durchführen kann.
Dies betrifft die Einrichtungen .
Was das Aufsuchen einzelner Wohnungen betrifft: Sie
wissen, es gilt der Schutz der eigenen vier Wände, und
es gestaltet sich sehr schwierig . Aber die ambulanten
Pflegeeinrichtungen können bereits heute anlassbezogen
unangemeldet kontrolliert werden .
Danke schön .Damit kommen wir zur Frage 8 des AbgeordnetenEbner, Bündnis 90/Die Grünen:Inwieweit wird sich das Bundesministerium für Gesundheit
als zuständige Behörde für die Prävention von Erkran-
kungen wie Krebs – anders als bisher; vergleiche „Der nichtzuständige Ungesundheitsminister“, taz.die tageszeitung vom18 . April 2016 – dafür einsetzen, dass die Abstimmung zurErneuerung der Glyphosat-Zulassung auf europäischer Ebene,die für Mai 2016 angekündigt ist, gestoppt wird, bis die Eu-ropäische Chemikalienagentur, ECHA, und die WHO-Pesti-zidexperten vom Joint Meeting on Pesticide Residues
ihre Bewertung zur gesundheitlichen Bedenklichkeit von Gly-phosat für die menschliche Gesundheit vorgelegt haben, und
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wie ernst nimmt das BMG die Warnungen der WHO-Experten,die Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend einschätzen?Frau Staatssekretärin .I
Herr Kollege, gerne antworte ich Ihnen auf Ihre Frage:
Die Abstimmung zur Wiedergenehmigung des Pflanzen-
schutzmittelwirkstoffes Glyphosat auf europäischer Ebe-
ne im Rahmen eines EU-Routineverfahrens steht kurz
bevor . Die Risikobewertung des Wirkstoffes Glyphosat
erfolgte gemäß den rechtlichen Vorgaben der EU, insbe-
sondere der Verordnung Nr . 1107/2009 über das Inver-
kehrbringen von Pflanzenschutzmitteln sowie der zuge-
hörigen Durchführungsverordnungen .
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit,
EFSA, und die EU-Mitgliedstaaten haben die Neube-
wertung von Glyphosat im Rahmen der routinemäßigen
Überprüfung gemäß diesen verbindlichen Vorschriften
abgeschlossen . Die zuständigen europäischen Experten
bestätigen in der EFSA-Gesamtbewertung, die die zu-
ständigen Behörden aller Mitgliedstaaten einbezogen hat,
anhand des derzeitigen Wissensstandes die gesundheitli-
che Unbedenklichkeit von Glyphosat bei sachgerechter
Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel.
Die Risikobewertung von Glyphosat war aufgrund
der Monographie der Internationalen Agentur für Krebs-
forschung, IARC, um sechs Monate verlängert worden,
um auch diese intensiv prüfen zu können . In die Ana-
lyse flossen weit mehr als 1 000 verschiedene Studien
ein, nach deren zusammenfassendem Ergebnis es un-
wahrscheinlich ist, dass Glyphosat krebserregend für den
Menschen ist . Die wissenschaftliche Risikobewertung
der EFSA auf der Basis des EU-Rechts berücksichtigt im
Gegensatz zur Arbeit der IARC zusätzlich die Gefahren-
abschätzung, ob und wie Menschen, Tiere und Umwelt
einem Stoff ausgesetzt sind .
Alle an der Risikobewertung beteiligten nationalen
und europäischen Behörden erledigten ihre gesetzlichen
Aufgaben mit größter Sorgfalt, unabhängig und streng
auf wissenschaftlicher Grundlage . In der Konsequenz er-
füllt der Wirkstoff die Anforderungen des europäischen
Rechts zur gesundheitlichen Unbedenklichkeit für die
Genehmigung von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen und
die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Die Bundes-
regierung hat sich daher darauf verständigt, dem Verord-
nungsentwurf der Europäischen Kommission zur Wie-
dergenehmigung zuzustimmen .
Für alle Aspekte einschließlich der gesundheitlichen
Auswirkungen von Glyphosat ist im Rahmen der Auf-
gabenverteilung der Bundesregierung das Bundesminis-
terium für Ernährung und Landwirtschaft federführend
sowie deren zuständige Fachbehörden . Das Bundesmi-
nisterium für Gesundheit hat im Rahmen seiner Zustän-
digkeit das Verfahren und das kompetente und unabhän-
gige Urteil der fachlich zuständigen Behörden begleitet .
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ebner? –
Bitte .
Danke schön, Frau Staatssekretärin, für die Verfah-
renserläuterungen, die an dieser Stelle nicht zwingend
notwendig gewesen wären . Ich habe Sie in der Tat als
Vertreterin des Bundesgesundheitsministeriums und da-
mit sozusagen als Vertreterin des Ministeriums, das für
die Prävention vor Erkrankungen wie Krebs wirklich
zuständig ist, gefragt . Es ging mir weniger um die Fe-
derführung .
Interpretiere ich es jetzt richtig – ich frage das, damit
alle Menschen in diesem Raum die Antwort eindeutig
gehört haben –, dass das Bundesgesundheitsministerium
die Auffassung der Internationalen Agentur für Krebsfor-
schung nicht teilt und im Gegensatz dazu der Meinung
ist, dass von Glyphosat keine Gesundheitsgefährdung für
den Menschen ausgeht, auch nicht im Hinblick auf eine
Krebserkrankung?
I
Wir gehen von den Ergebnissen der Untersuchungen
aus, die uns vorliegen . Die Studien belegen, dass bei
sachgerechter Anwendung keine Krebsgefahr vorhanden
ist . Deswegen schließen wir uns den EU-Vorgaben an .
Noch eine Zusatzfrage, Herr Ebner? – Bitte .
Sie haben den Knackpunkt, die sachgerechte Anwen-
dung, schon angesprochen . Mir stellt sich in der Tat die
Frage, wie das Bundesgesundheitsministerium die sach-
gerechte Anwendung, auf die es ja selber keinen Einfluss
hat, sicherstellen möchte . Es ist mir irgendwie ein Rätsel .
Deshalb möchte ich Sie dazu noch etwas fragen . Bun-
desgesundheitsminister Gröhe sagt sonst immer, dass
die Bekämpfung von Krebs „eine Herausforderung ers-
ten Ranges“ sei . Nun haben wir es zu tun mit einer re-
nommierten internationalen Krebsforschungsagentur, die
für die WHO tätig ist, die anerkannt ist und die hier Be-
denken geäußert hat . Warum greift nach Auffassung des
Bundesgesundheitsministeriums an dieser Stelle nicht
das Vorsorgeprinzip, obwohl es doch um die Vorsorge für
die Gesundheit der Menschen in diesem Land und auch
woanders geht?
I
Das Prinzip der Vorsorge ist uns sehr wichtig . Nichtumsonst haben die jetzige Bundesregierung und das Bun-desministerium für Gesundheit das Präventionsgesetz imvierten Anlauf auf den Weg gebracht – ein ganz wichtigerSchritt .Ich sage Ihnen noch einmal, Herr Kollege: Nach Prü-fung der bislang vorliegenden Studien, Dokumente undVeröffentlichungen einschließlich der Glyphosat-Mono-graphie der Internationalen Agentur für Krebsforschungder WHO ist nach derzeitigem wissenschaftlichen Kennt-nisstand bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Gly-phosat keine krebserzeugende Wirkung des WirkstoffesVizepräsident Peter Hintze
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für den Menschen zu erwarten . Diese Meinung vertre-ten nicht nur wir, sondern auch die Experten der anderenEU-Mitgliedstaaten und der EFSA, der EuropäischenBehörde für Lebensmittelsicherheit, in der veröffentlich-ten Schlussfolgerung EFSA-„Conclusion“ .
Wir bleiben beim Thema .
Ich rufe Frage 9 des Abgeordneten Harald Ebner auf:
Welche Bedeutung misst das BMG dem Krebsforschungs-
zentrum der Weltgesundheitsorganisation hinsichtlich
der Identifizierung von Ursachen, die zu Krebs führen, der
weltweiten Überwachung des Auftretens von Krebs, der Auf-
klärung der Mechanismen der Krebsentstehung und der Ent-
wicklung wissenschaftlicher Strategien zur Krebsbekämpfung
bei, und inwieweit fließen die wissenschaftlichen Erkenntnisse
des IARC in die Positionsfindungen des BMG bezüglich eines
Verbots von Glyphosat ein?
Frau Staatssekretärin, bitte .
I
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Die IARC ist die Internationale Agentur für Krebsfor-
schung der Weltgesundheitsorganisation, WHO . Die
Forschungseinrichtung wurde im Jahr 1965 mit der Ziel-
setzung gegründet, die internationale Zusammenarbeit in
der Krebsforschung zu intensivieren und zu fördern .
Im Zentrum des Mandats der IARC als politisch neu-
traler und global angesehener Forschungsinstitution steht
die Krebsforschung zur Verbesserung der Krebsbekämp-
fung . Sie spielt eine weltweit führende Rolle in der Beob-
achtung der Krebshäufigkeiten sowie der Erfassung der
Sterblichkeiten und der Überlebensraten bei Krebs, unter
anderem mit periodischen Publikationen eines globalen
Krebsatlasses . Die IARC gibt eine Reihe von Mono-
grafien über die Gefahren oder die potenziellen Gefah-
ren von krebserregenden Substanzen heraus, die in der
Wissenschaft und Industrie große Beobachtung finden.
Eine Risikobewertung findet dort – das ist ein wichtiger
Punkt – nicht statt .
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der IARC sind,
wie in der Antwort auf Frage 8 erläutert, in den Prozess
mit eingeflossen und wurden auch vom Bundesministeri-
um für Gesundheit zur Kenntnis genommen .
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? – Bitte
schön .
Danke schön . – Sie hatten erläutert, dass die anderen
Mitgliedstaaten ebenso wie Deutschland keine Bedenken
sehen, obwohl die IARC Bedenken äußert . Jetzt ist es so,
dass die vorgesehene Abstimmung über die Zulassung
von Glyphosat im zuständigen Gremium gescheitert ist,
weil Mitgliedstaaten plötzlich anderer Meinung waren,
weil eine erhebliche Anzahl von Mitgliedstaaten, näm-
lich ausreichend viele, um die notwendige Mehrheit zu
verhindern, Bedenken hatten, gegen eine Zulassung vo-
tiert haben, unter anderem Frankreich – mit dem Argu-
ment, dass genau diese gesundheitlichen Gefahren nicht
geklärt seien, weshalb sie eine Zustimmung nicht in Aus-
sicht stellen könnten . Insofern ist es mit dem Argument:
„Alle teilen die deutsche Bewertung; dann ist die Bewer-
tung der IARC nicht so gewichtig“, nicht so weit her .
Welche Maßnahmen unternimmt das BMG – man
muss dann doch eigene Erkenntnisse sammeln und viel-
leicht auch mal ein Ressortforschungsprogramm auf den
Weg bringen –, um auch im Hinblick auf die Exposition
der Menschen hier wirklich einmal Kenntnisse zu erlan-
gen?
I
Wir stehen in regelmäßigem Kontakt und in gutem
Austausch mit dem federführenden Bundesministerium
für Ernährung und Landwirtschaft .
Noch eine Frage? – Bitte .
„Das ist eine Drohung“, sagt mein Kollege Krischer
gerade . Das könnte man so auffassen .
Ich hatte schon etwas mehr Hoffnung in das Bundes-
gesundheitsministerium gesetzt . Ich muss noch einmal
nachfragen . Die Internationale Krebsforschungsagentur
der Weltgesundheitsorganisation, ein international aner-
kanntes, sauber und gründlich arbeitendes renommiertes
Gremium mit wirklich renommierten und anerkannten
Wissenschaftlern, hat ihre Gründe sauber dargelegt .
Wenn Sie der Meinung sind, dass die Erläuterungen in
diesem Verfahren irrelevant sind: Sind Sie dann auch der
Meinung, dass wir die IARC gar nicht brauchen?
I
Ich habe nicht gesagt, dass sie irrelevant sind, Herr
Kollege, sondern ich habe sehr deutlich auf einen fei-
nen Unterschied hingewiesen: Die IARC macht nur eine
gefahrenbezogene Analyse . Das heißt, sie prüft nur, ob
Wirkstoffe krebserzeugend sind . Das, was fehlt, für uns
in diesem Zusammenhang aber wichtig ist – das sage ich
noch einmal sehr deutlich –, ist eine Risikobewertung,
und die wird von der IARC nicht durchgeführt . Ansons-
ten schätzen wir die Arbeit der IARC; das habe ich in der
Beantwortung Ihrer Frage vorhin auch sehr deutlich zum
Ausdruck gebracht .
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin .Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . ZurBeantwortung steht der Parlamentarische StaatssekretärNorbert Barthle bereit .Die Frage 10 des Abgeordneten Stephan Kühn sowiedie Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Herbert Behrenswerden schriftlich beantwortet .Parl. Staatssekretärin Ingrid Fischbach
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(D)
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten OliverKrischer, Bündnis 90/Die Grünen, auf:Seit wann ist der Bundesregierung bzw . dem Kraft-fahrt-Bundesamt bekannt, dass Fahrzeuge mehrerer Her-steller den Schadstoff Stickoxid bei niedrigen Temperaturenstärker in die Luft ausstoßen, und welche konkreten Schrittewill die Bundesregierung unternehmen, um das Problem der„Thermofenster“ und illegalen Praxis der Abschaltung derAbgasreinigungssysteme – zuletzt durch ein von der FraktionBündnis 90/Die Grünen in Auftrag gegebenes Gutachten derWissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages als
Herr Staatssekretär, bitte .N
Herr Kollege Krischer, mit Veröffentlichung des Be-
richts der Untersuchungskommission „Volkswagen“ am
22 . April 2016 sind die Felduntersuchungen des KBA
weitestgehend abgeschlossen . Es konnte im Rahmen der
KBA-Felduntersuchung bis zur Veröffentlichung dieses
Berichts kein weiteres Fahrzeug identifiziert werden, das
ebensolche Prüfzykluserkennungen verwendet, wie sie
VW eingesetzt hat .
Über die Maßnahmen zum Thema „Thermofenster“
hat der Minister heute im Ausschuss umfassend Auskunft
gegeben, und darüber hat er auch die Öffentlichkeit in-
formiert .
Im Übrigen wird auf den Bericht der Untersuchungs-
kommission „Volkswagen“ vom 22 . April 2016 verwie-
sen, der dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infra-
struktur zugeleitet und dort, wie gesagt, heute behandelt
bzw . beraten wurde .
Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Abgeordne-
ter Krischer? – Bitte schön .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . – Herr Barthle, Sie
haben nichts zu meiner Frage gesagt, gar nichts . Ich habe
gefragt: Seit wann ist die Bundesregierung darüber infor-
miert, dass Autohersteller ihre Abgasreinigungseinrich-
tungen bei bestimmten Außentemperaturen – manche bei
10 Grad, manche bei 17 Grad, manche bei noch höheren
Temperaturen – abregeln? Es geht gar nicht um Volkswa-
gen, es geht nicht um diese Software, es geht auch nicht
um den Untersuchungsbericht; es geht einzig und allein
um die Frage, seit wann die Bundesregierung von dieser,
wie wir seit Vorlage des Untersuchungsberichts wissen,
flächendeckenden – so kann man es, glaube ich, sagen –
Praxis bei den Automobilherstellern weiß . Ich möchte
hier ein konkretes Datum hören .
N
Herr Kollege Krischer, die Bundesregierung hat im-
mer betont, dass wir einzelne Ergebnisse aus den Unter-
suchungen der eingesetzten Untersuchungskommission
dann der Öffentlichkeit mitteilen, wenn der Bericht vor-
liegt . Der Bericht wurde am 22 . April 2016 vorgelegt,
und damit ist Ihre Frage nach dem Datum beantwortet .
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte .
Die Frage ist nicht
beantwortet; denn dazu steht nichts im Bericht . Ich habe
gefragt, seit wann Sie das wissen . Ich möchte nicht wis-
sen, wann Sie den Untersuchungsbericht veröffentlicht
haben, sondern ich möchte die Information haben, wann
diese Frage beantwortet worden ist . Ich kann daraus nur
Folgendes schließen: Sie wollen sie nicht beantworten .
Sie wollen mir diese Information nicht liefern . Sie haben
auch nicht gesagt, dass Sie sie nachliefern können . Sie
wollen nicht preisgeben, seit wann der Bundesregierung
die Information vorliegt, dass bei bestimmten Außentem-
peraturen abgeregelt wird .
Ich möchte noch etwas ansprechen, was im zweiten
Teil meiner Frage zum Ausdruck kam und wozu Sie auch
nichts gesagt haben . Wir haben den Wissenschaftlichen
Dienst des Deutschen Bundestages beauftragt, zu prü-
fen, ob diese Praxis nach EU-Recht überhaupt zulässig
ist . Der Wissenschaftliche Dienst kam zu der Einschät-
zung, dass die Praxis, Abgasreinigungseinrichtungen bei
bestimmten Außentemperaturen abzuregeln, nicht zuläs-
sig – sprich: illegal – ist . Meine Frage lautet daher ganz
konkret: Wie ist die Haltung der Bundesregierung? Ist
das illegal? Ist das legal? Auf welche Rechtsgutachten
oder anderen Expertisen stützen Sie Ihre Haltung?
N
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Auffassung der Bundesregierung ist, dass die An-
passung der Emissionskontrollsysteme an verschiedene
Fahr- und Umweltbedingungen auf Grundlage des euro-
päischen Rechts zulässig, also nicht unerlaubt ist . Aller-
dings hat sich während der Untersuchungen beim KBA
ergeben, dass Anpassungen vorgenommen worden sind,
die aus unserer Sicht in diesem Rahmen nicht zu erklären
sind .
Deshalb wurde mit den Herstellern die Vereinbarung ge-
troffen, diese Anpassungseinrichtungen so auszurichten,
dass sie sich auf das tatsächlich notwendige Maß be-
schränken . Die deutschen Hersteller haben sich bereits
schriftlich bereit erklärt, dies auch im Rahmen von Rück-
rufaktionen innerhalb der Serviceintervalle im Blick zu
haben .
Dann kommen wir zur Frage 14 des AbgeordnetenOliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen:Wie hoch ist die Zahl der Leihbeamten im Bundesverkehrs-ministerium in den Abteilungen L , LA (BN) und G (B) in
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den/Institutionen kamen die Leihbeamten jeweils?Bitte schön, Herr Staatssekretär .N
Herr Kollege Krischer, in den genannten Abteilun-
gen des Bundesministeriums für Verkehr und digita-
le Infrastruktur waren in den letzten acht Jahren keine
Leihbeamten bzw . Beschäftigten aus Unternehmen und
Verbänden tätig . Im Rahmen des deutsch-französischen
Austausches wird aufgrund einer Vereinbarung mit dem
französischen Ministerium für Infrastruktur, Verkehr,
Wohnungswesen, Tourismus und Meeresangelegenhei-
ten vom 18 . Juni 2004 regelmäßig jeweils ein französi-
scher Beamter bzw . eine französische Beamtin für zwei
Jahre im Bundesministerium für Verkehr und digitale In-
frastruktur aufgenommen . Aktuell ist eine französische
Beamtin in der Abteilung L eingesetzt .
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Krischer? – Bitte .
Ich möchte das noch einmal klarstellen: Ich habe Sie
also richtig verstanden, dass es in den genannten Ab-
teilungen keine Leihbeamten mit Ausnahme des Aus-
tauschs mit Frankreich gegeben hat; das kann man hier
so festhalten .
N
So ist das .
Okay . – Danke .
Die Fragen 15 und 16 der Kollegin Dr . Valerie Wilms
sowie die Frage 17 des Kollegen Dr . André Hahn werden
schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit .
Die Frage 18 des Kollegen Dr . André Hahn sowie die
Fragen 19 und 20 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wer-
den schriftlich beantwortet .
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie . Zur Beant-
wortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Brigitte Zypries bereit .
Die Frage 21 des Kollegen Stephan Kühn sowie die
Fragen 22 und 23 der Kollegin Bärbel Höhn werden
schriftlich beantwortet .
Wir kommen zur Frage 24 des Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele:
In welcher finanziellen Gesamthöhe sind jeweils in den
Jahren 2010 bis 2015 den Firmen Heckler & Koch, Sig Sauer,
Oberland Defence und Carl Walther andere Ausfuhrgenehmi-
gungen für Kleinwaffen erteilt worden als die, die die Bun-
desregierung in ihren jährlichen öffentlichen Berichten über
ihre Genehmigungspolitik erfasst hat, und welche Angaben
macht die Bundesregierung zur jeweiligen Art der gelieferten
Waffen?
Frau Staatssekretärin .
B
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Abgeordneter,
für die angefragten Firmen sind in den Jahren 2010 bis
2015 Ausfuhrgenehmigungen für Kleinwaffen in folgen-
der finanzieller Gesamthöhe erteilt worden: für Gewehre
mit KWL-Nummer in Höhe von insgesamt 168 344 332
Euro, für Maschinenpistolen in Höhe von 54 178 021
Euro und für Maschinengewehre in Höhe von 30 028 661
Euro . Der Firma Heckler & Koch sind Ausfuhrgenehmi-
gungen für Gewehre mit einer KWL-Nummer in Höhe
von 139 478 664 Euro, für Maschinenpistolen in Höhe
von 54 097 732 Euro und für Maschinengewehre in Höhe
von 18 218 013 Euro erteilt worden . Die Firma Sig Sauer
hat keinerlei Ausfuhrgenehmigungen erhalten . Die Firma
Oberland Defence hat Ausfuhrgenehmigungen für Ge-
wehre mit KWL-Nummer in Höhe von 5 653 630 Euro
erhalten . Die Firma Walther hat keine Genehmigung er-
halten . Die restlichen Firmen haben Genehmigungen in
Höhe von insgesamt 35 102 975 Euro erhalten . Ich reiche
Ihnen die Zahlen gern schriftlich nach .
Da ich nicht weiß, ob Sie die Zusatzfrage, die mir hier
aufgeschrieben wurde, tatsächlich stellen werden, möch-
te ich gerne darauf hinweisen, dass in dieser Antwort
auch die Ausfuhrgenehmigungen in EU-, NATO- und
NATO-gleichgestellte Länder berücksichtigt sind .
Das kompensiert natürlich nicht die Zusatzfragen des
Kollegen Ströbele .
B
Das ist klar . Nur wenn er diese Frage nicht stellt: Was
mache ich dann?
Das habe ich schon verstanden .
B
Es muss ja gesagt werden, dass das nicht nur Drittlän-
der betrifft .
Herr Abgeordneter Ströbele, haben Sie eine Zusatz-frage?Vizepräsident Peter Hintze
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 166 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 27 . April 201616322
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(D)
Meine erste Frage: Welche Kriterien müssen erfülltsein, damit eine Firma in Deutschland als unzuverlässiggilt und ihr keine Ausfuhrgenehmigungen für Kriegs-waffen erteilt werden? Reicht dafür nicht, dass gegenGeschäftsführer und Mitarbeiter der Firma nicht nurstrafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet werden,sondern auch Anklage erhoben wird? Mit anderen Wor-ten: Warum bekommt die Firma Heckler & Koch immernoch Ausfuhrgenehmigungen, obwohl ein Verfahren ge-gen sie inzwischen bei Gericht anhängig ist, nicht bei derStaatsanwaltschaft? Das konnte man gestern sehr schönim Fernsehen verfolgen .B
Die Frage kann ich nur eingeschränkt beantworten .
Als Juristin weiß ich natürlich, dass die Beurteilung der
Frage nach der Zuverlässigkeit immer vom Einzelfall ab-
hängig ist . Es gibt im Zweifel keine allgemeingültige De-
finition dessen, was unzuverlässig ist. Ich weiß nicht, ob
die Firma Heckler & Koch noch Genehmigungen für den
Bereich bekommt, wo Zuverlässigkeit die Voraussetzung
ist . Ich will Ihnen das aber gerne schriftlich nachreichen .
Noch eine Zusatzfrage?
Ja, sie ist ganz kurz . – Spielt es bei den Überlegungen,
ob eine Genehmigung erteilt wird, eine Rolle, in wel-
chem Landesteil oder in welchem Wahlkreis eine Firma
liegt, wie zum Beispiel bei der Firma Heckler & Koch?
B
Das kann ich mir nicht vorstellen .
Danke schön . – Wir sind damit am Ende dieses Ge-
schäftsbereiches . Vielen Dank, Frau Staatssekretärin .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes . Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminis-
ter Michael Roth bereit .
Die Frage 25 des Abgeordneten Niema Movassat, die
Frage 26 des Abgeordneten Özcan Mutlu, die Fragen 27
und 28 der Abgeordneten Sevim Dağdelen sowie die Fra-
ge 29 der Abgeordneten Luise Amtsberg werden schrift-
lich beantwortet .
Wir kommen zur Frage 30 der Abgeordneten Katja
Keul, Bündnis 90/Die Grünen:
Inwiefern hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, ob
im Januar 2016 in Sidi Bouzid Minderjährige im
Anschluss an politische Demonstrationen verhaftet, mehrere
Wochen gefangen gehalten und dabei gefoltert wurden, und
wie fließen solche staatlichen Handlungen in die Einstufung
Tunesiens als „sicherer Herkunftsstaat“ ein?
Herr Staatsminister, bitte .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Abgeordnete
Keul, über den konkreten Sachverhalt, den Sie in Ihrer
Frage, bezogen auf die Situation in Sidi Bouzid, schil-
dern, hat die Bundesregierung keine Kenntnis .
Mitte Januar dieses Jahres war es in vielen Teilen Tu-
nesiens zu Protesten gegen die hohe Arbeitslosigkeit so-
wie gegen Korruption und Vetternwirtschaft gekommen .
Dabei kam es stellenweise zu Vandalismus und auch zu
Plünderungen . Die tunesische Regierung betonte aus-
drücklich, dass die Demonstrationen selbst rechtmäßig
seien und von den Ordnungskräften auch pflichtgemäß
geschützt worden seien . Aus Kreisen der Zivilgesell-
schaft wurde geäußert, dass der Unmut aus der Mitte
der Demonstranten gegenüber den Plünderungen dazu
geführt habe, dass die Proteste schlussendlich wieder ab-
geflaut seien.
Dann befragen Sie uns noch zu unserem Vorschlag
zur Einstufung Tunesiens als sogenannter sicherer Her-
kunftsstaat . Dieser Vorschlag erfolgte auf Grundlage ei-
ner umfassenden Prüfung anhand der vom Bundesverfas-
sungsgericht aufgestellten Kriterien . Dabei hat sich die
Bundesregierung anhand der Rechtslage, aber auch der
konkreten Rechtsanwendung und der allgemeinen politi-
schen Verhältnisse in Tunesien ein Gesamturteil über die
für eine Verfolgung bedeutsamen Verhältnisse in Tunesi-
en gebildet . Die Bundesregierung kam zu dem bekannten
Urteil, dass die Voraussetzungen für die Einstufung als
sicheres Herkunftsland erfüllt sind .
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Keul?
Ja, habe ich . Vielen Dank . – Sie haben jetzt gesagt,
dass Sie von diesem konkreten Vorfall keine Kennt-
nis haben . Das kann ich nachvollziehen . Mir ist dieser
Vorfall konkret und glaubwürdig geschildert worden .
Werden Sie denn weiteren Berichten zu diesen Vorgän-
gen nachgehen und sie prüfen? Wenn sich herausstellte,
dass Bürgerinnen und Bürger in Tunesien tatsächlich bei
der Wahrnehmung des Demonstrationsrechts willkürlich
verhaftet und anschließend auch körperlich misshandelt
werden, wäre das dann etwas, was Sie bei Ihrer Entschei-
dung möglicherweise berücksichtigen müssten?
Selbstverständlich nehmen wir mit großer Aufmerk-samkeit die Menschenrechtslage nicht nur in Tunesienwahr . Wir beobachten sie kontinuierlich, zumal Folter einwesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Lage undder Entscheidung darüber ist, ob man ein Land zu einemsogenannten sicheren Herkunftsland erklären kann .Für uns ist aber auch die Rechtslage ausschlagge-bend – nicht allein, aber auch . Die Rechtslage in Tunesi-
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en sieht folgendermaßen aus: Nach Artikel 23 der tunesi-schen Verfassung – sie stammt aus dem Jahr 2014 – wirdjede Form von seelischer und physischer Folter als einVerbrechen eingestuft, das auch nicht verjährbar ist . Des-sen ungeachtet leugnet die tunesische Regierung jedochnicht, dass Folter im Bereich von Polizei und Justiz inEinzelfällen noch zur Anwendung kommt . Sie bekenntsich zu ihrer Bestrafung auf Grundlage der entsprechen-den Vorgaben der Verfassung . Entsprechende Zeichensind auch der Beitritt Tunesiens zur Antifolterkonventionund die Einrichtung einer nationalen Behörde gegen dieFolter .
Noch eine Zusatzfrage?
Ja . – Es ist völlig unstrittig, dass in der Verfassung
jede Menge sehr lobenswerte Dinge stehen . Nichtsdes-
totrotz muss ich nachfragen; denn in der vergangenen
Woche hat sich der UN-Ausschuss gegen Folter mit Tu-
nesien beschäftigt. Im offiziellen Bericht der tunesischen
Organisation gegen Folter sind auch Fälle von Folter an
Minderjährigen aufgeführt . Amnesty International hat
bei der Anhörung vor dem Ausschuss erneut dargestellt,
dass Folter in Tunesien trotz aller Bemühungen der Re-
gierung weiterhin an der Tagesordnung ist . Haben Sie
Kenntnis von den UN-Berichten, die jetzt vorliegen, und
sind sie in Ihre Entscheidung eingeflossen?
Ich habe versucht, Ihnen deutlich zu machen, dass
die Bundesregierung über den konkreten Fall, den Sie
in Ihrer Frage schildern, keine eigenen Erkenntnisse hat .
Selbstverständlich sind uns die Berichte von Amnesty
International, aber auch von anderen Nichtregierungsor-
ganisationen oder auch UN-Organisationen bekannt . Wir
lassen natürlich all diese Berichte in unser Urteil einflie-
ßen . Wir werden auch die Menschenrechtslage in Tune-
sien weiterhin sehr aufmerksam verfolgen .
Danke schön . – Wir kommen zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums des Innern . Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Professor
Dr . Günter Krings bereit .
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele auf:
Teilt die Bundesregierung die kritische Bewertung des
Bundesministers des Innern der Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts zu den Ermittlungsbefugnissen des Bundes-
kriminalamtes vom 20 . April 2016, diese erleichtere nicht den
Kampf gegen den internationalen Terrorismus, was nach die-
ser Meinung offenbar Aufgabe der Rechtsprechung sein soll,
und auf welche Punkte und Passagen des Urteils des Gerichts
wird diese Bewertung gegebenenfalls bezogen bzw . gestützt?
Herr Staatssekretär, bitte .
D
Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Ströbele, die
Befugnisse des Bundeskriminalamts zur Abwehr von
Gefahren durch den internationalen Terrorismus sind
von besonderer Bedeutung . Aufgabe der Rechtspre-
chung ist – da stimmen wir Ihnen zu – die Wahrung und
Durchsetzung des Rechts . Die Vorgaben des Bundesver-
fassungsgerichts werden von der Bundesregierung um-
gesetzt .
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Ströbele?
Ich will die Frage, wie Ihre Erklärung mit der Äu-
ßerung des Bundesinnenministers zu vereinbaren ist,
nicht wiederholen; vielmehr möchte ich mich auf den
neu bekannt gewordenen Sachverhalt beziehen, wonach
sich der Bundesinnenminister, der Verfassungsminister,
in einem Interview dahin gehend geäußert haben soll,
dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber,
also dem Deutschen Bundestag, nicht so häufig „in den
Arm fallen“ soll . Ist das nach Auffassung der gesamten
Bundesregierung die richtige Reaktion darauf, dass das
Bundesverfassungsgericht bei 14 von 15 Bestimmungen
eines Gesetzpakets gesagt hat: „Entweder sind sie nich-
tig, weil sie verfassungswidrig sind, oder sie sind verfas-
sungswidrig und müssen nachgebessert werden“? Ist das
nicht ein Grund dafür, dass sich der Bundesinnenminister
vielleicht einen anderen Job suchen sollte?
D
Wenn ich darf, Herr Präsident?
Ich bitte darum .
D
Lieber Kollege Ströbele, zunächst einmal hat uns dasBundesverfassungsgericht – Sie haben es nur angedeu-tet – Aufgaben auferlegt, was die Nachbesserung unterdem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsprinzipsvon Vorschriften anbelangt . Es hat im Wesentlichenkeine zentralen Vorschriften aufgehoben . Der Ministerhat – das habe ich in meiner ersten Antwort eben ähnlichformuliert – in diesem Interview unter anderem gesagt:Ich habe das Urteil des … Senats … zur Kenntnisgenommen . Es ist zu respektieren und umzusetzen .Das ist als Verfassungsminister auch seine Aufgabe, dawird ihm auch kein anderer Bundesminister in der Regie-rung widersprechen .Allerdings befinden wir uns – um mit Peter Häberlezu sprechen – in einer „offenen Gesellschaft der Verfas-Staatsminister Michael Roth
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sungsinterpreten“ . In einer freiheitlichen Demokratiemüssen Verfassungsorgane miteinander kommunizieren,auch kritisch kommunizieren dürfen . Das gilt insbeson-dere auch für das Bundesverfassungsgericht, das nichtnur ein Gericht ist, sondern auch ein Verfassungsorgan,worauf die Richter zu Recht großen Wert legen . Des-halb muss vor und auch nach Urteilen des Bundesver-fassungsgerichts, unbeschadet der vollumfänglichen undkonsequenten Umsetzung der Urteile, ein Diskurs, einepolitische Bewertung möglich sein . Das ist kein Wider-spruch, das ist eine Selbstverständlichkeit . Wir sind keinRichterstaat, sondern eine offene Demokratie . Man mussmit solchen Urteilen daher offen umgehen können .Sie haben dezidiert nach der Rechtsauffassung dergesamten Bundesregierung gefragt . Ich darf darauf hin-weisen, dass nicht das Bundesinnenministerium Partei inKarlsruhe war, sondern die Bundesrepublik Deutschland .Die Bundesrepublik wird in solchen Verfahren durch dieBundesregierung vertreten, die Bundesregierung wie-derum benennt – wie auch in diesem Fall – einen Pro-zessvertreter, der die Rechtsauffassung der gesamtenBundesregierung vertritt . Richtig ist: Wir haben uns mitunserer Rechtsauffassung nicht voll durchsetzen können .Insoweit kennen Sie auch die Rechtsauffassung der Bun-desregierung .
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele?
Danke, Herr Präsident . – Herr Staatssekretär, wir re-
den über ein Gesetz, das vom Bundesinnenminister der
Großen Koalition 2009 eingebracht wurde; nicht von die-
sem Bundesinnenminister, sondern vom damaligen Bun-
desinnenminister . Das Bundesverfassungsgericht stellt
nun fest, dass große Teile des Gesetzes verfassungswid-
rig sind . Wäre es nicht die richtige Reaktion des Verfas-
sungsministers, zu sagen: „Mea culpa, mea culpa! Da ist
etwas schief gegangen . Wir reparieren das so schnell wie
möglich, und wir werden in Zukunft mehr darauf achten,
dass Gesetze verfassungskonform formuliert werden“,
statt jetzt nachzuhaken und zu sagen: „Ihr sollt euch in
das Gesetzgebungsverfahren nicht einmischen, ihr sollt
dem Gesetzgeber nicht in den Arm fallen“? Das Bundes-
verfassungsgericht ist dem Gesetzgeber im Übrigen zu
Recht in den Arm gefallen .
Herr Staatssekretär .
D
Der Bundesinnenminister hat – das habe ich jetzt
schon zweimal gesagt; ich sage es Ihnen gern zum dritten
Mal – deutlich gemacht, dass nicht nur selbstverständlich
die Vorgaben aus Karlsruhe umgesetzt werden, sondern
dass sie auch schnellstmöglich umgesetzt werden . Das ist
auch unser Interesse .
Aber noch einmal: Es gehört in einer freiheitlichen
offenen Demokratie dazu, dass man nach einem Urteil
über das Urteil auch politisch reden darf . Wer das nicht
möchte, hat offenbar einen anderen Staat vor Augen . Wir
haben mit dem Bundesverfassungsgericht ein Gericht,
aber zugleich ein Verfassungsorgan, das sich diesem Dis-
kurs nicht nur stellen muss, sondern auch gerne stellt .
Das wissen wir aus vielen Diskussionen, die wir mit Ver-
fassungsrichtern führen .
Insofern waren die Äußerungen des Bundesministers
richtig . Denn er hat auf diese Punkte und auf die politi-
schen Implikationen eines Urteils hingewiesen, ohne in
irgendeiner Form auch nur in Abrede zu stellen, dass wir
natürlich konsequent die Vorgaben befolgen werden .
Herzlichen Dank . – Die Frage 32 des Abgeordneten
Andrej Hunko, die Frage 33 der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer und die Frage 34 der Abgeordneten
Ulla Jelpke werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz . Die
Frage 35 der Abgeordneten Corinna Rüffer wird eben-
falls schriftlich beantwortet .
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Finanzen . Die Frage 36 der Abge-
ordneten Ulla Jelpke wird schriftlich beantwortet .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales . Die Frage 37 der
Abgeordneten Corinna Rüffer, die Fragen 38 und 39 der
Abgeordneten Sabine Zimmermann sowie die
Fragen 40 und 41 der Abgeordneten Katrin Kunert wer-
den schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Verteidigung . Die Frage 42 des Abgeordne-
ten Niema Movassat und die Frage 43 des Abgeordneten
Andrej Hunko werden ebenfalls schriftlich beantwortet .
Wir sind damit am Ende der Fragestunde .
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundes-
tages bis exakt 15 .35 Uhr . Dann wird der Zusatzpunkt
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen zum Thema „Umgang mit der Presse- und
Meinungsfreiheit in der Türkei“ aufgerufen . Also: Um
15 .35 Uhr setzen wir das Plenum mit der Aktuellen Stun-
de fort .
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet .Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENUmgang mit der Presse- und Meinungsfreiheitin der TürkeiParl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als ersteRednerin Frau Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/DieGrünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-gen! Ich zitiere:Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffent-lichkeit politische Äußerungen gegen den türki-schen Staat zu machen . . .So steht es auf der Homepage des Auswärtigen Amts,eine Information für Türkei-Reisende .Es gibt Menschen, die haben diesen Satz in der jünge-ren Vergangenheit nicht beachtet, zum Beispiel HasnainKazim, der Türkei-Korrespondent des Spiegels – imMärz musste er ausreisen: Akkreditierung nicht verlän-gert –, zum Beispiel die niederländische JournalistinEbru Umar – Grund: kritische Äußerungen gegenüberHerrn Erdogan auf Twitter . ARD-Korrespondent VolkerSchwenck durfte gar nicht erst einreisen, der amerikani-sche Journalist David Lepeska ebenfalls nicht . Ganz zuschweigen von den noch laufenden Prozessen gegen CanDündar und Erdem Gül von der Zeitung Cumhuriyet. Siesind wegen angeblicher Unterstützung einer Terrororga-nisation mit lebenslanger Haft bedroht . Meine Damenund Herren, auf der Liste der „Reporter ohne Grenzen“zur Pressefreiheit steht die Türkei aktuell auf Platz 151von 180, damit hinter Ländern wie Simbabwe, Bangla-desch oder Äthiopien . Das kann uns nicht egal sein alsDemokratinnen und Demokraten .
Diese Entwicklung kam nicht über Nacht . Die Bun-desregierung muss es bemerkt haben und ist untätig ge-blieben . Heute sagt ein Regierungsvertreter, der nicht ge-nannt werden will, es gäbe keine schwarzen Listen vonJournalisten in der Türkei . Gibt es keine, oder wissenwir nichts Genaueres? Die Konsequenz ist dieselbe: EinLand, das immer noch die EU-Mitgliedschaft anstrebt,das kann nicht repressiv und willkürlich mit Journalis-tinnen und Journalisten umspringen . Wir müssen das alsdemokratischer Staat, müssen das als Europäer, die ihreWerte verteidigen, ansprechen .
Das ist eine Entwicklung, die nicht nur Journalistinnenund Journalisten betrifft . Sie betrifft Künstler, sie betrifftWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sie betrifftkritische Oppositionelle .Herr Erdogan ist Wiederholungstäter . Er ist nämlichnicht nur schnell beleidigt, er setzt sich auch gleich mitdem türkischen Staat, nach dem Motto: Der Staat binich . Wer gern ein absolutistischer Monarch sein will, dernimmt natürlich nicht nur jede Kritik an seiner Personübel, sondern versteht auch jede Kritik an staatlicherWillkür als Majestätsbeleidigung . Auch das ist für De-mokratinnen und Demokraten unerträglich .
Über 2 000 Prozesse führt er, zum Beispiel gegen„Academics for Peace“, deren Vertreter wegen Kritikam Vorgehen gegen die Kurden inhaftiert wurden . DieDresdner Sinfoniker sollen besser nicht mehr über Völ-kermord in Armenien konzertieren, und die EU-Kom-mission hat Informationen über das entsprechende Pro-jekt von der Homepage genommen . Meine Damen undHerren, dass eine EU-Kommission und eine deutscheBundesregierung das nicht klar und deutlich benennenund kritisieren – übrigens ein Projekt, das mit Mittelndes deutschen Staates gefördert wird –, das ist für micheine Absurdität . Das geht nicht . Das müssen Sie ändern!
Nicht zuletzt: Es wird gegen Jan Böhmermann wegenVerstoßes gegen § 103 des Strafgesetzbuchs ermittelt .Ich habe mir erzählen lassen, dass es unter Juristinnenund Juristen einen Spruch gibt, den man gerne und über-all zitiert: Ein Federstrich des Gesetzgebers, und ganzeBibliotheken werden zur Makulatur . – Sie hätten jetztdie Chance, Sie hätten jetzt die Gelegenheit . Warten Sienicht bis 2017, warten Sie bitte nicht bis 2018 oder biswann auch immer, sondern schaffen Sie jetzt nach unse-rer Vorlage sofort den § 103 StGB ab .
Beleidigung bleibt strafbar, ja, aber die Grenze zwi-schen Kritik und Beleidigung darf nicht politisch,sondern muss juristisch definiert werden. Es gilt dieHerrschaft des Rechts und eben keine Willkür . Die Pres-se- und Meinungsfreiheit ist ja nicht zuletzt auch hier beiuns unter Druck . Gerade weil in Deutschland antidemo-kratische und autoritäre Kräfte gerne den Kampfbegriffder vermeintlichen Lügenpresse im Mund führen, geradeweil die Kommentarspalten von Onlinemedien schon voraus Russland oder sonst woher finanzierten Trollen kapi-tulieren und schließen mussten, gerade deswegen müssenwir doch klar Haltung zeigen – klar Haltung zeigen fürdie Meinungsfreiheit, klar Haltung zeigen für die Presse-freiheit . Das gilt im Land, aber das gilt natürlich auch erstrecht bei Partnern, wie die Türkei einer sein soll . Das istnicht bequem, aber es ist unverzichtbar .
Ja, Deutschland unterstützt die Türkei finanziell beiden Herausforderungen, mit der großen Zahl der Ge-flüchteten umzugehen, aber es darf nicht einen Haucheines Hinweises darauf geben, dass damit die Frage derMeinungsfreiheit und der Pressefreiheit gleich mit ver-dealt wird . Die Kanzlerin hat – ich bedaure das sehr undzutiefst; sie ist die Kanzlerin eines demokratischen Lan-des – am Samstag, als sie in der Türkei war, dies nichtVizepräsident Peter Hintze
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angesprochen . Sie hat sich nicht mit Journalistinnen undJournalisten getroffen . Sie hat sich nicht mit Oppositio-nellen getroffen . Das wäre die Chance gewesen, zu zei-gen, wie viel wert uns unsere Werte sind . Diese Chancehat sie verpasst . Das kritisieren wir sehr laut, sehr deut-lich . Wer die Meinungsfreiheit verteidigen will, der tutdas hier im Land und auch überall sonst auf der Welt,gerade für diejenigen, um die es geht .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Dr . Andreas Nick, CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Gerade als Freunde der Türkei beobachten wir mancheEntwicklungen bei Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeitund dem Umgang mit Minderheiten mit Aufmerksamkeitund – zweifellos auch mit weiter wachsender – Sorge .“Dies habe ich als Türkei-Berichterstatter meiner Frakti-on in den vergangenen zweieinhalb Jahren vielfach sooder ähnlich festgestellt, nicht nur von diesem Pult aus,sondern selbstverständlich auch in zahlreichen Gesprä-chen mit Regierungsvertretern und Parlamentariern inder Türkei, zuletzt Anfang März gemeinsam mit Staats-ministerin Böhmer in Ankara . Hören Sie doch bitte auf,ständig so zu tun, als hätten wir in dieser Frage irgendei-nen Nachholbedarf .
Natürlich sind Einschränkungen der Meinungs- undPressefreiheit für uns nicht hinnehmbar . Allein die Zahlvon über 2 000 Verfahren wegen Beleidigung ist sicher-lich Beleg für die überaus ausgeprägte Empfindlichkeitdes türkischen Staatspräsidenten . Es war deshalb einwichtiges und auch in der Türkei stark beachtetes Sig-nal, dass der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, im März den Auftakt des Prozesses gegen zweiRedakteure der Zeitung Cumhuriyet persönlich beobach-tet hat . Auch wenn es nur den Anschein gibt, es gäbeschwarze Listen mit den Namen ausländischer Journa-listen, denen systematisch Akkreditierung oder Einreiseverweigert wird –
dies ist natürlich völlig inakzeptabel . Auch das solltedoch in diesem Hause völlig unstrittig sein .
Deshalb fordern wir hier umfassende Aufklärung undeine Rückkehr zur Einhaltung international üblicherStandards auch beim Umgang mit ausländischen Presse-vertretern .Diese bedauerlichen Entwicklungen vollziehen sichaber auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden poli-tischen Polarisierung in der Türkei . Neben dem gewalt-samen Konflikt mit der PKK trägt dazu gerade auch imBereich der Medien und der Justiz die Auseinanderset-zung mit der Gülen-Bewegung bei . Es ist nicht hilfreich,dass sich die parteipolitische Aufstellung in der Türkeizunehmend an religiös-weltanschaulichen und ethni-schen Trennungslinien zwischen Religiösen und Laizis-ten, Sunniten und Aleviten, kurdischer Minderheit undtürkischen Nationalisten orientiert . Das erschwert eineZusammenarbeit über Parteigrenzen immer mehr .Wir in Deutschland sollten uns aber davor hüten, zudieser Polarisierung unsererseits gezielt weiter beizutra-gen . Wir alle miteinander sollten auch der Versuchungwiderstehen, mit erhobenem Zeigefinger unseren eigenenpolitischen Willen an die Stelle des demokratischen Pro-zesses in der Türkei zu setzen oder aus innenpolitischenMotiven bewusst oder unbewusst gewisse Ressentimentsgegenüber der Türkei zu bedienen oder gar zu schüren .Lassen Sie mich mit Blick auf die jüngste Debatte inDeutschland daher eines klar sagen: Für jeden türkischenBürger, auch für den türkischen Präsidenten, wie poli-tisch sympathisch oder missliebig er wem auch immermöglicherweise gerade sein mag, gilt das gleiche Rechtauf Schutz vor persönlichen Verunglimpfungen und Be-leidigungen wie für jeden anderen in unserem Landeauch .
Auch das macht unseren Rechtsstaat aus . Deshalb ist esAngelegenheit unserer unabhängigen Justiz, diese Frageim Einzelnen zu klären .Die Türkei ist nach wie vor – daran muss man hier jagelegentlich erinnern – ein demokratischer Staat, und wirwollen, dass dies so bleibt .
Wir müssen deshalb auch zur Kenntnis nehmen, dass espolitische und gesellschaftliche Mehrheiten in der Tür-kei gibt, die sich in demokratischen Wahlen ausdrücken .Selbstverständlich ist die legitime türkische Regierungder erste Ansprechpartner der Bundesregierung in derzwischenstaatlichen Zusammenarbeit . Dass gerade wirals Parlamentarier darüber hinaus breite Kontakte mitVertretern aller Parteien pflegen, ist richtig und not-wendig . Ich treffe mich in Ankara regelmäßig auch mitVertretern der CHP, und ich habe zusammen mit JürgenHardt vor wenigen Wochen auch Herrn Demirtas hier inBerlin getroffen .
– Darum geht es . Hier brauchen wir doch überhaupt kei-nen Gegensatz aufzubauen .Im Hinblick auf die Sicherung der demokratischenGrundstruktur einer Gesellschaft und eines Staates sindPressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz zweifellosKatrin Göring-Eckardt
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besonders sensible Bereiche . Beides ist nicht verhandel-bar .
Die Position der Bundeskanzlerin und der Bundesregie-rung ist hier völlig unzweideutig .Aber es gilt auch: Wenn wir berechtigte Kritik übenund vor allem positiven Einfluss ausüben wollen, dannwird uns das eher gelingen, wenn wir es glaubwürdig auseiner Position als Freunde und Partner der Türkei tun .
Gerade durch die Eröffnung der Kapitel 23 und 24 imRahmen des Beitrittsprozesses können wir den Dialog zuFragen der Meinungs- und Pressefreiheit intensivierenund so unsere Möglichkeiten erhöhen, die Entwicklungin der Türkei positiv zu beeinflussen. Denn hier geht eskeineswegs – das wird oft falsch dargestellt – um Ver-handlungen, sondern um die Überprüfung der Einhaltungder für die EU unverzichtbaren Standards im Acquiscommunautaire .
Die Türkei ist und bleibt für uns, weit über die Flücht-lingspolitik hinaus, ein wichtiger strategischer Partner .Gerade wir in Deutschland haben aus vielfältigen Grün-den ein vitales Interesse an einer prosperierenden Tür-kei mit einer stabilen Demokratie und einer lebendigenZivilgesellschaft, in der Meinungs- und Pressefreiheiteinen selbstverständlichen Platz haben .Vielen Dank .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Dr . Dietmar Bartsch, Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut,dass die Grünen eine Aktuelle Stunde zu diesem Themabeantragt haben . Ich glaube, wir müssen diese Debattein einen Gesamtkontext stellen . Es hat natürlich mit demDeal der Bundesregierung zum Thema Flüchtlinge zutun . Es hat damit zu tun, dass Herr Erdogan in der Türkeiverkündet hat, dass ab 1 . Juli dieses Jahres Visafreiheitherrschen wird . Es gibt im Übrigen auch den Zusam-menhang, dass der Parlamentspräsident, Herr Kahraman,gesagt hat, man brauche eine islamische Verfassung .Das alles sind Dinge, die mit zu diesem Thema gehö-ren . Herr Erdogan hat, wenn man es nett sagen möchte,eine Schlüsselstellung . Man kann aber auch sagen: HerrErdogan nutzt diese und erpresst Europa . Das Schlimmeist: Er kann Europa erpressen, meine Damen und Herren .
Thomas Jefferson hat vor rund 240 Jahren gesagt:Wo Pressefreiheit herrscht und jedermann lesenkann, da ist Sicherheit .Ich füge heute hinzu: Wo Journalistinnen und Journalis-ten frei berichten können, nicht attackiert, verhaftet oderermordet werden, dort erst können Bürgerinnen und Bür-ger die Demokratie frei gestalten .
Wie aber ist die Lage in der Türkei? „Reporter ohneGrenzen“ hat festgestellt, dass die Türkei bei der Pres-sefreiheit auf Platz 151 von 180 Ländern liegt . Aktuellsind über drei Dutzend Journalistinnen und Journalistenin Haft . Unsere Fraktion hatte in der letzten Woche dieEhefrau von Can Dündar, dem Chefredakteur der Cum-huriyet, zu Besuch . Wenn man einen Betroffenen in derFraktion zu Besuch hat und mit ihm redet, dann gewinntman einen anderen Eindruck . Man erfährt zum Beispiel,dass Redaktionen gestürmt werden . Wenn man sich dasalles vor Augen führt, bekommt man eine andere Sichtauf die Situation .Im Übrigen betrifft das inzwischen auch Journalistenvon hier . Der ARD-Journalist Volker Schwenck wurdeüber zehn Stunden am Flughafen in der Türkei festgehal-ten und an der Einreise gehindert . Seit dem Amtsantrittvon Herrn Erdogan gab es in der Türkei über 2 000 Ver-fahren wegen Verunglimpfung des Staatspräsidenten .
Meine Damen und Herren, das ist doch skandalös .
Herr Böhmermann, der hier genannt wurde, ist nur dasprominenteste Beispiel hier in Deutschland . Viele habengesagt, dass es ein großer Fehler der Kanzlerin war, sichhierzu öffentlich zu äußern . Sie hat diesen Fehler einge-räumt . Es wurde auch wirklich Zeit .Aber, meine Damen und Herren, es ist mehr nötig .Wenn früher autokratische Staatschefs besucht wurden,dann hatte der Besucher immer eine Liste mit Personendabei, die aus dem Gefängnis zu entlassen waren und vorVerfolgung geschützt werden sollten . Hatte die Bundes-kanzlerin auf ihrer Reise eigentlich auch einen solchenZettel mit? War das so? Haben Sie Herrn Erdogan wirk-lich entsprechende Hinweise gegeben?Mich erinnert das Verhalten der Kanzlerin daran,was in der Reisewarnung des Auswärtigen Amts steht –Katrin Göring-Eckardt hat das zitiert –:Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffent-lichkeit politische Äußerungen gegen den türki-schen Staat zu machen . . .Dr. Andreas Nick
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Genau das hat Frau Merkel offensichtlich völlig in sichaufgenommen .Lieber Herr Nick, Sie haben gesagt: Wir betrachtendas mit Aufmerksamkeit – na, Donnerwetter! –, wir ha-ben keinen Nachholbedarf – na, Donnerwetter! –, wirwollen keinen erhobenen Zeigefinger. – EntschuldigenSie, bei dieser Entwicklung ist nun wirklich etwas mehrnötig .
Wie hat Maxim Gorkij gesagt?Die Abschaffung der Pressefreiheit ist eine physi-sche Vergewaltigung und der Demokratie unwürdig .Wir müssen aufpassen, dass das Grundrecht auf Presse-und Meinungsfreiheit hierzulande und in Europa nichtaktuellen politischen Erwägungen geopfert wird .Es ist eben so: Der lange Arm Erdogans reicht inzwi-schen sehr weit . Am Wochenende wurde die Forderungdes türkischen EU-Botschafters bekannt, Fördermit-tel der Europäischen Union für das KonzertprogrammAghet – Agit der Dresdner Sinfoniker nicht auszuzah-len . In diesem Stück wird der Massenmord an den Ar-meniern vor hundert Jahren als Genozid bezeichnet . DieEU-Kommission ist der Forderung zwar nicht nachge-kommen, hatte aber nach Angaben der Dresdner Sinfo-niker eine Entschärfung der bisherigen Formulierung aufihrer Internetseite angekündigt, und die Projektbeschrei-bung wurde deshalb von der Internetseite herunterge-nommen . Das dürfen Demokratinnen und Demokratennicht akzeptieren . Die Erpressungen müssen aufhören .
Ich will zum Schluss kommen und noch einmal zitie-ren:Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen,damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alleszu tun .In diesem Sinne, Frau Bundeskanzlerin und liebeBundesregierung – der Bundesaußenminister ist ja an-wesend –: Finden Sie deutliche Worte! Es geht nicht umerhobene Zeigefinger, es geht um die Werte, die wir ha-ben – die Werte in unserem Land und die Werte Europas .Deswegen erwarten wir eine deutliche öffentliche Posi-tionierung .Die Türkei ist ein NATO-Partner, und sie will sogar indie EU . Bei diesen Voraussetzungen – Stichworte: Frau-enrechte, Politik gegen Kurdinnen und Kurden, Trennungvon Kirche und Staat, nicht zuletzt Pressefreiheit – ist dasfür uns hier in diesem Hause aber nicht akzeptabel . Dasdürfen wir in diesem Hause – und zwar alle politischenParteien – niemals akzeptieren .Herzlichen Dank .
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Dr . Dorothee Schlegel, SPD-Fraktion, das Wort .
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!„Die Gedanken sind frei“, sagt ein altes Volkslied . Aberwir erleben, dass in der heutigen Türkei selbst die Frei-heit der Gedanken bedroht ist . Wir beobachten, dass diePresse- und Meinungsfreiheit dort in einem erbärmlichenZustand ist . Diese Entwicklung hat sich mir in der letztenWoche in Ankara und in Istanbul auch bestätigt .Als Berichterstatterin war ich mit einer Delegation desEU-Ausschusses vor Ort . Zwei Tage vor der Fortsetzungseines Prozesses trafen wir in Istanbul den JournalistenCan Dündar in den Redaktionsräumen der Cumhuriyet.Der Chefredakteur dieser ältesten Zeitung der Türkeiwurde vom Staatspräsidenten persönlich angeklagt –genauso wie etliche seiner Kollegen und annähernd2 000 Bürgerinnen und Bürger .Dündar hatte neben kritischen Kolumnen auch Bilderveröffentlicht, auf denen Lastwagen des Geheimdiensteszu sehen sind, die syrische Islamisten mit Waffen belie-fern . Die ihm drohende Strafe ist zweimal lebenslänglich .Bei allem Pessimismus habe ich Can Dündar als sehrgeradlinigen Menschen empfunden . Mich hat beein-druckt, dass er entschlossen für seine Sache einsteht –trotz staatlicher Einschüchterung . Ein gutes Vorbild!Wenige Tage zuvor konnte ich hier im Reichstag eben-falls mit seiner Ehefrau, Dilek Dündar, sprechen – auchdarüber, wie in der Türkei neuerdings Terrorismus defi-niert wird . Sie sagte: Wir haben Hoffnung, aber Wunderkönnen wir nicht erwarten . – Can Dündar hofft auf dieWachsamkeit der EU und darauf, dass nicht nur sein Pro-zess international beobachtet wird .Im Januar letzten Jahres sprach der türkische Minis-terpräsident Ahmet Davutoglu auf Einladung der Kör-ber-Stiftung in Berlin . Auf die Einschränkung der Pres-sefreiheit hin angesprochen, betonte er, die türkischePresse sei frei . In einem offenen Brief an die „Kanzlerinder freien Welt“, vom Spiegel am Samstag veröffentlicht,weist Dündar auf eine gemeinsame Pressekonferenz vonDavutoglu mit Angela Merkel im Rahmen der Verhand-lungen zum EU-Türkei-Aktionsplan im Februar diesesJahres hin . Wieder auf die Pressefreiheit angesprochen,antwortete der Ministerpräsident, dass in türkischen Ge-fängnissen keine Journalisten säßen, die für ihre Arbeitbestraft würden . Zur selben Zeit, so Dündar, saß er inHaft .Meine Damen und Herren, wenige Tage nun vor demInternationalen Tag der Pressefreiheit, am 3 . Mai, habenwir letzte Woche erlebt, dass ausländischen Journalistendie Einreise in die Türkei verweigert wurde; meine Kol-leginnen und Kollegen haben darauf schon hingewiesen .Sie wurden festgesetzt, verhaftet, freigelassen und wie-der zurückgeschickt . Diese Vorgänge sind alarmierend;Dr. Dietmar Bartsch
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denn Journalisten müssen ihrer Aufgabe ungehindertnachgehen können .
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat recht: InDemokratien haben schwarze Listen weder für Journa-listen noch für Akademiker oder sonstige Berufsständeetwas zu suchen . – Wir erleben in der Türkei derzeit eingroßes Aber gegen die denkende Elite . In Ankara sagtemir eine Journalistin der oppositionellen Zeitung Sözcü:Wie lange können wir noch weiterschreiben? – Sie warzuvor bei der Tageszeitung Hürriyet entlassen worden .Sie erzählte: Nach einem kurzen Sommer der Demokra-tie begannen dann im letzten November Repressionen,Kündigungen, Strafgebühren, Übergriffe, und in denKöpfen setzte die Selbstzensur ein .Der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu war beiunserem Treffen im türkischen Parlament darin mit mireinig, dass die EU-Beitrittsverhandlungen für eine de-mokratische Türkei lebensnotwendig seien . Bereits vor57 Jahren stellte die Türkei einen Assoziierungsantragan die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft .Nicht nur Kilicdaroglu ist enttäuscht darüber, dass derTürkei von der früheren schwarz-gelben Bundesregie-rung die EU-Beitrittstür ohne Not zugeschlagen wurde .Heute stehen wir vor den Folgen dieser Fehlentschei-dung . Zehn Jahre eines möglichen Demokratisierungs-prozesses gingen verloren . Wir waren mit GerhardSchröder und Joschka Fischer in dieser Frage schon ein-mal weiter .
Es ist höchste Zeit, dass die EU die Verhandlungskapi-tel 23 und 24 zu Justiz und Menschenrechten öffnet; denndann müssen die Fakten auf den Tisch und Grundwertediskutiert werden . Die Einschränkung von Grundrechtenund die Rechtsunsicherheiten schaffen in der Türkei einKlima der Angst . Sie gehen dann Hand in Hand mit demVerlust von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefrei-heit, Säkularismus und Religionsfreiheit .Wir dürfen also die gesellschaftlichen Kräfte in derTürkei, die mit hohem Einsatz gegen Repressionen undfür die Annäherung an die EU kämpfen, nicht alleine las-sen . Daher ist eine Fortsetzung eines sachlichen, klarenund kritischen Dialogs mit der türkischen Regierung un-abdingbar . Wir fordern ein Ende der Gewalt im Südostender Türkei und eine Fortsetzung der Friedensverhandlun-gen . Und wir fordern die Freilassung von Journalistenaus türkischen Gefängnissen .Herzlichen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für
die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Pressefreiheit liegt in der Türkei am Boden; da gibtes überhaupt nichts zu beschönigen . Das wird auch nie-mand tun . Diese Situation besorgt uns aus drei Gründen:Erstens . Die Türkei ist ein NATO-Partner . Zweitens . Siewill Mitglied in der EU werden . Drittens . Die Türkei istaus strategischen Gründen für uns wichtig .Jedem ist klar: Ohne Pressefreiheit kann es keine Mit-gliedschaft in der EU geben; das ist völlig unbestritten .Es kann sie übrigens auch nicht ohne Religionsfreiheit,ohne unabhängige Justiz und ohne Einhaltung von Men-schenrechten geben . Wenn das nicht gewährleistet ist,wird die Türkei kein Mitglied der EU werden können .Sie wird es auch nicht werden können – es sei mir hiernoch erlaubt, das besonders zu betonen –, wenn die Frau-enrechte nicht gewährleistet sind .Blicken wir einmal einen Augenblick zurück: DasRingen um die Presse- und Meinungsfreiheit hat sehrfrüh begonnen . Wenn man darauf schaut, wird einemklar, wie erkämpft und gar nicht selbstverständlich sieist . Schon vor 400 Jahren formulierte John Milton, einVordenker der Pressefreiheit:Die Freiheit steht an der Wiege aller großen Gedan-ken . … Gebt mir die Freiheit zu wissen, mich mit-zuteilen und, vor allem, frei nach dem Gewissen zuurteilen .Diese Worte sind nach 400 Jahren aktueller denn je . Frei-heit ist das Fundament der Demokratie, und insofern gibtes da keinen Rabatt .
– Ja, bitte! Es freut mich, wenn Sie sich einen Satz mer-ken, den ich Ihnen sage . Das kann ja nicht falsch sein . –Übrigens hat auch Immanuel Kant engagiert für dieFreiheit des Denkens geworben und von der Freiheit derFeder gesprochen . Insofern haben wir allen Grund, diePresse- und Meinungsfreiheit zu verteidigen und sie auchals Eintrittskarte für jegliche Mitgliedschaft in der EU zubenutzen .
Aber das, was für uns selbstverständlich ist – Arti-kel 5 Grundgesetz –, ist in vielen Ländern nicht selbst-verständlich . In Russland, in China und im Iran ist dasnicht selbstverständlich . Ich könnte die Liste beliebigverlängern . Egal, wo die Pressefreiheit gefährdet ist – Siesind da immer ein bisschen auf dem linken Auge blind –,müssen wir das anmahnen . Ein selektives Gewissen – daDr. Dorothee Schlegel
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habe ich bei Ihnen manchmal ein bisschen Sorge – kannes nicht geben .
Die Tatsache, dass der türkische Präsident die Pres-sefreiheit ohne Frage zurzeit mit Füßen tritt, müssen wirnatürlich in aller Deutlichkeit kritisieren, und genau dastut die Bundeskanzlerin, und genau das tut der Außenmi-nister . Sie brauchen auch gar keine Listen, Herr Bartsch;denn die Namen sind ja bekannt . Sie haben sie doch allegenannt . Man muss also weder der Bundeskanzlerinnoch dem Außenminister eine Liste zustecken . Das ha-ben die – dessen seien Sie ganz gewiss – gut im Kopf .
– Ja, gut, sie soll sie aber nennen und das bei Erdoganeinfordern .
Natürlich ist es eine Schande, Frau Göring-Eckardt,dass die Türkei in Bezug auf die Pressefreiheit aufPlatz 51 liegt .
– Entschuldigung! 151, das meinte ich auch . – Schlechtergeht es bald gar nicht mehr . Das ist eine Schande . Vor al-lem ist es eine Schande für dieses Land . Das hätte etwasBesseres verdient . Es bleibt nur die Frage, welche Kon-sequenzen wir daraus ziehen . Sollen wir etwa deshalbnicht mit der Türkei verhandeln, wenn es um die Flücht-lingsfrage geht? Das wäre doch genau falsch . Sprechen,diskutieren, verhandeln und auch streiten ist das Gebotder Stunde . Der türkische Ministerpräsident Davutoglu –er ist hier schon wiederholt zitiert worden – hat gesagt:Wir können über alles reden, auch über die Pressefrei-heit . – Dann tun wir es doch auch! Wir dürfen die Brü-cken, die es ohne Frage gibt, nicht abbrechen, sondernmüssen versuchen, sie zu stabilisieren .Viele Menschen – dazu gehört auch Herr Bartsch –fürchten, dass wir durch die aktuellen Vereinbarungenmit der Türkei in der Flüchtlingsfrage erpressbar seien .Das ist doch total falsch . Sie wissen das selber, HerrBartsch .
Niemand will das, schon gar nicht die Bundesregierung .
Pressefreiheit ist nicht verhandelbar . Gerade weil wir mitder Türkei in enger Verbindung stehen, haben wir dochdie Möglichkeit – ich beende meine Rede, Frau Präsi-dentin –, Einfluss zu nehmen und auch Druck auszuüben.
Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und der Pres-sefreiheit ist in kommunistisch regierten Ländern eben-so anzuprangern – das sollten Sie sich merken – wie inislamisch regierten Ländern . Einen Unterschied gibt esnicht. Das, finde ich, ist wichtig. Ich bin gespannt aufdie nächste Aktuelle Stunde zum Thema Russland, Chinaoder Ähnliches .
Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die
Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeBundesregierung! Die willfährige Haltung der deutschenBundeskanzlerin, die bei dieser wichtigen Debatte heuteschon wieder nicht anwesend ist – wahrscheinlich eröff-net sie gerade ein neues EU-Beitrittskapitel für die Tür-kei –,
gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan hatverheerende Konsequenzen . Erdogan und das AKP-Re-gime fühlen sich nämlich durch den schmutzigenEU-Türkei-Flüchtlingsdeal regelrecht ermutigt, immerhärter gegen Kritiker im Inland, aber zunehmend auchim Ausland vorzugehen .Für all das, was wir jetzt erleben – von den Forde-rungen des türkischen Parlamentspräsidenten nach einemGottesstaat in der Türkei bis hin zu den Einreiseverbotenfür ausländische Journalisten –, trägt diese Bundesregie-rung eine Mitverantwortung .
Kanzlerin Merkel und ihr Vize Gabriel machen Erdogannämlich durch ihre beständige Zusammenarbeit stark .Während in Ankara eine Mörderbande regiert, die Jour-nalisten wie Can Dündar verfolgen lässt, weil diese Waf-fenlieferungen an islamistische Gotteskrieger in Syriendurch den türkischen Geheimdienst aufgedeckt haben,hält es die Bundeskanzlerin nicht einmal für nötig, auchnur zu erwägen, sich mit verfolgten Journalisten in derTürkei zu treffen. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis fürElisabeth Motschmann
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eine Bundesregierung und für eine Bundeskanzlerin, diesich als Kanzlerin der freien Welt feiern lässt .
Gehört es eigentlich zum guten Ton, wenn ein NATO-Land oder EU-Beitrittskandidat wie die TürkeiWaffen an islamistische Mörderbanden in Syrien liefert,mit denen dann schlimmste Kriegsverbrechen begangenwerden? Was diese Bundesregierung in puncto Türkeiabliefert, ist wirklich zum Fremdschämen, meine Damenund Herren .
Sie machen sich an den Verbrechen Erdogans mit-schuldig, und Sie ermutigen ihn tagtäglich, noch dreistervorzugehen . Wenn Sie noch einen Funken Anstand hät-ten, dann würden Sie dieses unwürdige Schauspiel been-den . Ich meine damit: tatsächlich beenden . Es geht nichtnur darum, öffentlich Haltung zu zeigen – und noch nichteinmal dazu ist die Bundesregierung imstande –, sondernauch darum, Konsequenzen zu ziehen . Wo sind denn dieKonsequenzen angesichts der Verbrechen gegen die Zi-vilgesellschaft in der Türkei durch das AKP-Regime?Die polizeiliche, militärische und geheimdienstliche Ko-operation wird überhaupt nicht angetastet, nicht einmalvor dem Hintergrund, den ich gerade erwähnt habe, näm-lich dass islamistische Mörderbanden durch die türkischeRegierung weiter bewaffnet werden . Sie ziehen nochnicht einmal einen Waffenexportstopp in Erwägung, wieer 1992 unter Bundeskanzler Kohl und AußenministerGenscher angesichts eines Massakers in Cizre durch dietürkische Regierung und das Militär an den Kurden mög-lich war . Nicht einmal dazu sind Sie fähig .
Weil die SPD offensichtlich sehr enge Verbindungen zuder Rüstungsindustrie hat, darf es keinen Waffenexport-stopp geben. Ich finde, das ist eine moralische Bankrott-erklärung in der Außenpolitik dieser Bundesregierung .
Man sieht das auch im Vergleich mit anderen Staaten .Während die Stadt Genf sich dem widerlichen Ansinnendes Despoten Erdogan verweigert, die Meinungsfreiheitzu schleifen, kriecht die Bundesregierung zu Kreuze .Während die Genfer sie mit einem Löwenherz verteidi-gen, gibt es bei der Bundesregierung nur Duckmäuser-tum und eine Vorverurteilung eines Satirikers durch dieBundeskanzlerin höchstpersönlich . Ich wünschte mirmehr Genf in Berlin als die Bundeskanzlerin und das Au-ßenministerium .
Wir müssen hier Position beziehen und eine klare Hal-tung nicht nur gegenüber der Zivilgesellschaft, den ver-folgten Kurden, den verfolgten Aleviten, den verfolgtenArmeniern oder den verfolgten Journalisten und Gewerk-schaftern in der Türkei einnehmen . Vielmehr müssen wirsogar – dazu hat uns diese Bundesregierung gebracht –unsere verfassungsmäßigen Grundwerte und Grundrech-te verteidigen, weil Sie in den letzten Jahren Dialog mitUnterwerfung verwechselt haben . Wir brauchen einenDialog mit der Türkei . Aber wir brauchen keine Unter-würfigkeit, kein Duckmäusertum, keine ständigen Bück-linge in Ankara, die der Zivilgesellschaft in der Türkeimehr schaden als helfen .Vielen Dank .
Der Kollege Martin Dörmann hat für die SPD-Frakti-
on das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Presse- und Meinungsfreiheit sind Grundpfeiler jederDemokratie . Es muss uns deshalb umtreiben, dass in im-mer mehr Staaten Journalisten und andere kritische Stim-men mit Repressalien bedroht werden . Wir sollten lautvernehmbar unsere Stimme erheben, um unabhängigeBerichterstattung zu schützen .Das gilt auch und gerade für die Türkei, die aus vielenGründen ein wichtiges Partnerland für Deutschland ist .Umso mehr muss uns beunruhigen, dass die Türkei aufder von „Reporter ohne Grenzen“ aufgestellten Liste derPressefreiheit weit hinten liegt, nämlich auf Platz 151 von180 Staaten . Seit Jahren gibt es dort eine sehr negativeEntwicklung in Bezug auf Presse- und Meinungsfreiheit,entscheidend forciert durch die zunehmend autokratischePolitik des heutigen Staatspräsidenten Erdogan . Hunder-te türkische Journalisten müssen sich wegen kritischeroder investigativer Veröffentlichungen vor Gericht ver-antworten . Inzwischen sind beinahe 2 000 Menschen mitStrafverfahren wegen Beleidigung des Präsidenten oderähnlicher Vorwürfe überzogen worden . Die FAZ schriebgestern von einem „Zustand fortgeschrittenen Majestäts-beleidigungswahns“ des Präsidenten, der mit den Metho-den eines Polizeistaats vorgehe . Nun sind auch verstärktausländische Journalisten im Visier . Es häufen sich Be-richte über schwarze Listen . Der Spiegel-Online-Korre-spondent Hasnain Kazim musste kürzlich aus Angst voreiner Festnahme das Land verlassen . Gestern schrieb erauf Spiegel Online:Die Türkei setzt internationale Pressevertreter unterDruck, mit Einreiseverboten, Anzeigen und Hass-kampagnen im Internet . Die Reporter spüren jetztdie Angst, die ihre einheimischen Kollegen schonlange kennen .Vermehrt interveniert die Türkei jetzt bei unliebsamenBeiträgen sogar im Ausland, wie mit der Einbestellungdes deutschen Botschafters wegen eines Erdogan-kri-tischen Satireliedes in der ARD-Sendung extra3. Vordiesem Hintergrund war es richtig, dass AußenministerFrank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maasim Kabinett gegen den Antrag der Türkei im Fall Böh-mermann und damit gegen eine Strafverfolgungsermäch-tigung wegen Majestätsbeleidigung gestimmt haben;
Sevim Dağdelen
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denn bei dieser Ermessensentscheidung kam es ebennicht auf juristische Erwägungen an, sondern vor allemauf die politische Wirkung . Die Verweigerung der Er-mächtigung wäre ein starkes Signal gewesen, für Sati-re- und Meinungsfreiheit und gegen die Strategie des tür-kischen Präsidenten, kritische Stimmen mit den Mittelndes Strafrechts einzuschüchtern .Die Kanzlerin hat leider anders entschieden und damitin Kauf genommen, dass hierdurch in den Augen vielerMenschen die gegenteiligen Signale gesetzt wurden . DasVotum der Kanzlerin ist aber auch widersprüchlich; dennsie selbst hat ja die Sondervorschrift des § 103 Strafge-setzbuch, landläufig als Majestätsbeleidigung bekannt,als für die Zukunft entbehrlich bezeichnet und deren Ab-schaffung angekündigt . Die Justiz kann ja bekanntlich –wie im vorliegenden Fall – wegen des normalen Beleidi-gungstatbestandes unabhängig ermitteln, genauso wie beijedem anderen Bürger, aber eben nicht mit einer erhöhtenStrafandrohung wie bei Staatsoberhäuptern . Nun fragtsich jeder doch: Warum soll jetzt noch zur Anwendungkommen, was eigentlich entbehrlich ist? Das öffnet letzt-lich Spekulationen Tür und Tor . Es darf doch gar nichterst ein falscher Eindruck etwa in Bezug auf das Flücht-lingsabkommen der EU mit der Türkei erweckt werden .Vielmehr müssen wir klarmachen: Presse-, Kunst- undMeinungsfreiheit sind für uns nicht verhandelbar .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Bundes-tagsfraktion hat gestern einen Gesetzentwurf zur sofor-tigen Abschaffung dieses unzeitgemäßen § 103 Strafge-setzbuch vorgelegt; denn es sind nicht die Obamas dieserWelt, die sich darauf berufen; es sind andere . Deshalbzum Schluss mein Appell an unseren Koalitionspartner:Lassen Sie uns diese unselige Sondervorschrift doch ein-fach schnell streichen! Lassen Sie uns ein klares Signalsetzen, dass wir autokratischen Machthabern kein Son-derrecht mehr einräumen; denn unsere Haltung mussdoch klar sein: Im Zweifel für die Freiheit .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen .Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Worum geht es? Es geht um die Pressefreiheit,also um das unzensierte Veröffentlichen von Informati-onen und Meinungen . Es geht darum, Fakten zu recher-chieren, Licht ins Dunkel zu bringen und die Kontrolleder Regierung erst zu ermöglichen . Es geht um nichtsweniger als um das Grundnahrungsmittel in der Demo-kratie . Aber auch die Kunst, auch die Satirefreiheit – siemachen uns reich, sie müssen respektiert und geschütztwerden als universelles Recht, also bei uns und bei un-seren Partnern .
Was ist die Realität bei unserem Partner Türkei? Ent-rechtung des Rechts, Freiheit im freien Fall, systemati-scher Abbau der Demokratie . Wer in der Türkei objektivund kritisch berichtet und damit auch die dunklen Räumedes AKP-Regimes erhellt, der lebt in Angst und Gefahr:wenn es um die Abschiebung von Flüchtlingen nach Sy-rien geht, wenn es über die geheimen Waffenlieferungender Regierung an Islamisten zu berichten gilt, wenn dieSituation in den kurdischen Städten, in denen ein Krieggegen die eigene Bevölkerung geführt wird, Thema ist .Aber wir vergessen sie nicht: Can Dündar und ErdemGül von der Cumhuriyet, die wegen Beleidigung desStaatspräsidenten verurteilt worden sind und denen jetzthohe Strafen wegen angeblicher Spionage und Unterstüt-zung einer terroristischen Organisation drohen . Wir ver-gessen sie nicht: Cevheri Güven und Murat Capan vonder Nokta, angeklagt wegen angeblicher Putschpläne . IhrVerbrechen: ein Titelblatt zum Bürgerkrieg im Südostender Türkei . Abdülhamit Bilici, ehemaliger Chefredakteurder auflagenstärksten Zeitung, der Zaman: Ihm wird dieUnterstützung von Terroristen vorgeworfen, seine Re-daktion wurde gestürmt und unter Zwangsverwaltunggestellt, genauso wie die des Medienkonzerns Koza-Ipekund die von Fernsehsendern wie Bügün und Kanaltürk.Inzwischen gilt aber diese systematische Kriminali-sierung nicht mehr nur für Journalisten aus oder in derTürkei; es sind mehr und mehr auch ausländische Korre-spondenten von Repression in ihrer Arbeit betroffen . Ichwill auch sie benennen: Volker Schwenck, David Lepes-ka, Ebru Umar, Giorgos Moutafis und Hasnain Kazim.Sie, wie die 2 000 Personen, die in der Türkei derzeitwegen angeblicher Beleidigung des Präsidenten ange-klagt sind, brauchen kein stillschweigendes Wegducken,sie brauchen unsere laute Stimme der Kritik . Vor allembrauchen sie unsere deutliche Unterstützung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer soll uns denn inZukunft darüber informieren, was los ist in dem Land,dem wir nun das Schicksal von Millionen von geflüch-teten Menschen anvertrauen? Oder reicht uns etwa einevon der türkischen Regierung inszenierte Potemkin’schePolitshow in aufpolierten Flüchtlingslagern aus?Bei der Kritik an Erdogan – das ist uns sehr wichtig –oder der Kritik an der türkischen Regierung geht es abernicht um ein antitürkisches Ressentiment . Kritik heißtnicht: „Schlagt alle Türen zu!“; denn Erdogan ist nichtdie Türkei . Es geht stattdessen darum, diejenigen Kräftezu unterstützen, die eine demokratische Türkei wollen,die eine europäische Türkei wollen, die keine islamischeTürkei und keine Verfassungsänderung wollen .Doch genau bei den demokratischen, europäischenKräften ist nun der Eindruck entstanden, Deutschlandund Europa hätten sie vergessen und ließen sie allein .Martin Dörmann
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Das ist wirklich verheerend . Deshalb: Lassen wir sienicht im Stich! Verkaufen wir sie nicht für einen gefähr-lichen Deal mit Erdogan, der uns und die Türkei teuer zustehen kommt, von den Flüchtlingen ganz zu schweigen .Mit diesem Deal wird doch nicht Stabilität, nicht Frie-den unterstützt, sondern ein Destabilisator in einer ge-fährlich instabilen Region, ein Autokrat, der polarisiert,der spaltet, der kriminalisiert, der beleidigt, der neueFluchtursachen schafft und der so längst auch der wirt-schaftlichen Entwicklung in der Türkei massiv schadet .All das kann doch überhaupt nicht in unserem Interessesein . Deshalb bin ich sehr froh, dass wir uns – nicht zu-letzt in Erinnerung an den ermordeten Journalisten HrantDink – wenigstens einigen konnten, zum Genozid an denArmeniern ein klares gemeinsames Zeichen zu setzen .Vielen Dank .
Der Kollege Matern von Marschall hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Verehrte Frau Präsidentin! Herzlichen Dank . – Ichfrage mich ein wenig, wozu die Debatte dient, ob siegegebenenfalls auch einfach nur ein Testen und Abklop-fen politischer Nähe zwischen den Fraktionen im linkenSpektrum ist . Das könnte auch gut sein .
Im Übrigen, Frau Kollegin Schlegel, sind wir in dervergangenen Woche zusammen in der Türkei gewesenund teilen im Wesentlichen die Einschätzung über dieDefizite in Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Meinungs-freiheit sowie im Demonstrationsrecht . Es geht hier abernicht um einen Deal, wie Sie, Kollegin Dağdelen undKollegin Roth, gesagt haben; Sie haben das noch mitdem Adjektiv „schmutzig“ ergänzt . Ich möchte einmaldarauf zu sprechen kommen, dass die Türkei – mit fast3 Millionen Flüchtlingen – und Deutschland die wesent-lichste Hilfe in der Flüchtlingskrise geleistet haben . Des-halb ist auch der Türkei in diesem Falle zu danken . Dieshat die Kanzlerin völlig zu Recht getan .
Da hier suggeriert worden ist, die Bundesregierungkümmere sich nicht um die Defizite, die wir als Delega-tion des Bundestages vor Ort sehr wohl haben nachvoll-ziehen können, keineswegs nur im Gespräch mit der Re-gierung, sondern auch mit den Oppositionsparteien, mitNGOs, politischen Stiftungen und vielen anderen Kundi-gen, möchte ich Ihnen zitieren, was die Bundeskanzlerinin der gemeinsamen Pressekonferenz – neben Davutoglustehend – mit Blick auf die Pressefreiheit gesagt hat:Wenn es Fälle gibt, die die Pressefreiheit betref-fen …, dann wird das angesprochen, dann wird dasauf den Tisch gelegt, dann können wir darüber auchsehr offen und ehrlich sprechen .
Das ist doch im besten Sinne das, was die Kanzlerin tut .Deshalb liegen Sie da völlig falsch . Die Intensität der Ge-spräche, die die Kanzlerin in den letzten Monaten im Zu-sammenhang mit der Flüchtlingskrise mit der türkischenRegierung geführt hat,
ist eben sehr wohl eine große Chance, auch andere The-men zu adressieren, und genau dies tut sie .
Dafür bin ich ihr auch sehr dankbar .
– Ich komme noch zu den bedrohten Journalisten .
Wir waren mit der Delegation auch bei Herrn Dündar;das war – Kollegin Schlegel, Sie haben es erwähnt – eininteressantes Gespräch . Ich muss jedoch sagen – das istmir schon sehr wichtig –: Ich habe Herrn Dündar in un-serem Gespräch als einen eleganten, höflichen und zu-rückhaltenden Mann kennengelernt . Der Text, den er imSpiegel veröffentlicht hat, ist aber ganz anders; das ist einvon brachialer Kriegsrhetorik geprägter Text .
– Ja, das will ich Ihnen sagen: weil die Polarisierung inder türkischen Gesellschaft unglaublich weit vorange-schritten ist . Ich will Ihnen auch sagen: Wenn Sie diesePolarisierung aus der Türkei hier ins Parlament tragen,dann ist das bestimmt nicht der richtige Weg, um dieMenschen in diesem Land auf den Weg einer Annähe-rung an Europa zu bringen .
Das ist nämlich der kapitale Fehler, den Sie machen, undIhr Geschwätz von Erpressbarkeit, Herr Bartsch, kannman nicht mehr hören . Das ist unterirdisch und im Grun-de auch zynisch gegenüber den Notleidenden .
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Sie können sich gern alle gegenseitig beklatschen in die-sem Spektrum . Fahren Sie nur fort in dieser Hinsicht!
– Wenn Sie wenigstens den Sprecher hier ausreden lassenwürden, dann wäre das ganz höflich.
In einer Aktuellen Stunde gibt es nämlich keine Gelegen-heit für Interventionen .
Deswegen würde ich zumindest gern die fünf Minutenmeiner Redezeit ausschöpfen .
Eines will ich Ihnen mit Bestimmtheit sagen: Mit die-ser Agitation, diesem Kampfgeschrei und diesem Getösekommen wir bei der Zusammenarbeit mit der Türkei kei-nen Schritt weiter .
Dessen können Sie gewiss sein .
Womit wir weiterkommen, das ist ein guter, sachorien-tierter, klarer und transparenter Dialog . Das ist ein gutesMerkmal unserer an Kompromiss und Konsens orientier-ten europäischen Debattenkultur .
Wenn Sie das unterlaufen und genau das Gegenteil tun,dann stärken Sie die extremistischen Kräfte in der Türkei,
und das schadet dem, was wir erreichen wollen .Herzlichen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Michelle Müntefering für
die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zunächst einmal muss ich hier feststellen, dasses hier um mehr geht als um das Abklopfen politischerNähe zwischen den Fraktionen .
Wenn die Pressefreiheit das „Brot der Demokratie“ ist,wie es der Journalist Heribert Prantl einmal formulierthat, dann sieht die Welt ganz schön mager aus, und dasist kein gutes Zeichen für den Zustand unserer Gesell-schaften . Ungefährdet ist Demokratie nie, und das giltauch für die Türkei .Ja, wir beobachten mit Sorge die Einschränkung derPresse- und Meinungsfreiheit . Diese Beobachtung unddie damit verbundene Sorge sind ganz konkret . Wir ha-ben im Laufe dieser Debatte zahlreiche Beispiele und Be-richte auch aus persönlichen Begegnungen gehört: überBeschlagnahmungen von Zeitungstiteln oder Verlagen,über Sperrungen von Internetseiten, über Verhaftungenvon Wissenschaftlern, über Interventionen und Einreise-verbote . Mittlerweile trifft es auch deutsche Journalisten .Das alles macht die aktuelle und intensive Zusammenar-beit in der Flüchtlingsfrage sicher nicht einfacher . Im Ge-genteil: Die Reaktionen des türkischen Staatspräsidentenerschweren sie . Pressefreiheit und Meinungsfreiheit, dassind keine deutschen Werte, keine türkischen Werte; essind gewachsene internationale, universelle Werte . Wirmüssen sie immer wieder neu einfordern, schützen undpflegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das unsereOrientierung in der internationalen Politik sein muss, diewir nicht verlieren dürfen .
Das Auswärtige Amt hat seine Erwartungen gegenüberder Türkei klar formuliert . Frank-Walter Steinmeier hatsich mit Vertretern der Opposition getroffen . Das hättenwir übrigens auch der Bundeskanzlerin empfohlen .
Meine Kollegin Dorothee Schlegel hat vorhin schonunsere politischen Positionen dargestellt . Ich will nochhinzufügen: Die EU könnte ein Monitoring mit demUNHCR für die Einhaltung von Menschenrechten beider Zusammenarbeit zur Bewältigung der Flüchtlingskri-se einsetzen . Das wäre einmal eine Initiative, die zeig-te, dass unsere Werte nicht nur auf dem Papier, sonderneben auch im Alltag, auch dann, wenn es schwierig wird,bestehen . Auch die Öffnung der Kapitel über Menschen-rechte und Justiz wäre ein Hebel, mit dem sich die Be-lastbarkeit unserer Beziehungen prüfen ließe .Lassen Sie mich erwähnen, was in der Türkei und auchbei vielen Deutschtürken von der Diskussion ankommt –denn auch das ist ein Teil der Wahrheit –: oft nur weni-ge, zugespitzte Worte . Das sollten wir wissen, wenn wiruns wundern, warum ein Teil der Türkinnen und TürkenMatern von Marschall
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gekränkt auf Kritik reagiert . Viele sind verletzt ob derteilweise auch ausfälligen Bemerkungen . Vielfach wer-den sie nicht als Kritik am Staatspräsidenten und seinerFührung verstanden, sondern an allen Türken . Wenn wirgenau hinsehen, stellen wir fest: An vielen Stellen im In-ternet sind diese Bemerkungen eben auch keine Satire,keine Kunst, sondern Hetze, auch von rechts .
Um dagegen vorzugehen, gibt es in der Tat Gerichte –weil Demokratie Verantwortung braucht, weil FreiheitGrenzen hat, weil der Staat seine Bürger schützen muss .Gerichte sind aber nicht dazu da, um sie politischer Ein-mischung zu unterziehen oder gar zu instrumentalisieren .In der Demokratie gilt der Satz von Voltaire: Ich verachteIhre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Siesie sagen dürfen .Besonders für die Freunde der Türkei ist die aktuelleEntwicklung niederschmetternd; denn die deutsch-türki-schen Beziehungen sind für viele von uns nicht bloß einPolitikfeld, sondern vielmehr eine Herzensangelegen-heit . Das zeigt sich, denke ich, heute in dieser intensivenDebatte .Aber wir fangen nicht bei null an . Augenhöhe, Res-pekt und eine gemeinsame Geschichte helfen, wenn esdarum geht, unter Parlamentariern auch schwierigsteThemen anzusprechen . Das ist möglich, und das ist Rea-lität, und das erwarte ich auch von der Bundesregierung,von der Spitze der Bundesregierung, liebe Kolleginnenund Kollegen .
Es war ein weiterer Autor der SZ, Gustav Seibt – denmöchte ich jetzt noch erwähnen –, der dieser Tage „dievergessene Liebe zwischen Türken und Deutschen“beschrieben hat: die außenpolitische Geschichte vonMetternich, Bismarck und Moltke, die Geschichte derGastarbeiter – bis zu den Fehlern der EU in der jüngerenVergangenheit und dem gewachsenen türkischen Mit-telstand in diesem Land –, aber vor allem auch die Ge-schichte der Türkei, die 1933 zum Exil für Künstler undfür Wissenschaftler wurde .Sie sind es, die uns heute mahnen und warnen, die un-sere Gesellschaft zu dem machen, was sie ist . Wir solltenihre Stimmen hören . Mehr noch: Wir als Politiker müs-sen ihnen die Räume der Artikulation offen halten – miteiner Außenpolitik der Zivilgesellschaften; denn es gibtkeinen Automatismus in der Geschichte . Wir bestimmensie selbst .Dazu, zum Schluss, verehrte Kolleginnen und Kolle-gen, Gustav Seibt im Zitat:Es gibt also – jenseits von NSU, Sarrazin-Debatte,Böhmermann und Erdoğan – eine deutsch-türki-sche Geschichte von säkularem Ausmaß und einezivilgesellschaftlich-kulturelle Realität, deren Viel-schichtigkeit und schiere Interessantheit oft nichtgegenwärtig sind . Diese Lieblosigkeit ist kaum zubegreifen, denn sie schwächt die Gesellschaft ins-gesamt .Auch Staatspräsident Erdogan wird einmal an dieserGeschichte gemessen werden .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Dr . Hans-Peter Uhl für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Wir befassen uns hier im Deutschen Bundes-tag auf Antrag der Grünen mit der türkischen Innenpo-litik .
Ich darf in aller Bescheidenheit daran erinnern, dass dieeigentliche Aufgabe des Bundestages
die Kontrolle der deutschen Regierung und nicht der tür-kischen Regierung ist .
Aber das ist wohl auch den Grünen und selbst den Linkenaufgefallen . Deswegen musste ein krampfhafter Versuchgemacht werden, aus dem erkennbar türkischen Fehlver-halten deutsches Fehlverhalten zu machen .
Dies treibt nun ganz besondere Blüten . Da kommt derKollege Bartsch daher und rügt lautstark, dass auf demZettel, wie er sich ausgedrückt hat, der Bundeskanzlerinauf dem Weg nach Ankara bestimmte Namen von in derTürkei Verfolgten nicht gestanden hätten . Woher wissenSie das eigentlich, Herr Bartsch?
– Ach, Sie fragen . Okay .
Ich habe ja mal fragen dürfen .Dann kommt die Frau Göring-Eckardt mit folgendemGedankengang – da treibt der deutsche SchuldkomplexMichelle Müntefering
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eine ganz besondere Blüte –: Wären wir – Ihrem – Josch-ka Fischer gefolgt, wäre die Türkei schon vor zehn Jah-ren in die EU aufgenommen worden,
und alles hätte sich völlig anders entwickelt . – Also sinddoch die Deutschen schuld an der Entwicklung in derTürkei .
Das ist der deutsche Schuldkomplex auf besonders fein-sinnige Art .
– Ich erlaube mir, davon zu sprechen .Ich möchte daran erinnern, dass der Herr Erdoganvom türkischen Volk in direkter Wahl mit 52 Prozent derStimmen zum Staatspräsidenten gewählt wurde .
Frau Roth, Sie sagen: Wir müssen zwischen dem türki-schen Volk und Herrn Erdogan unterscheiden . – Da mah-ne ich zur Vorsicht . Als Demokratin kann man 52 Pro-zent nicht einfach negieren .
Nun bin ich der Letzte, der bei der Psychostruktur die-ses Herrn sagt: Das können wir in aller Ruhe mit ihmwegverhandeln .
Ich befürchte eher, dass dieser Staatspräsident mit sei-nem weiteren Vorgehen noch viele unliebsame Überra-schungen vorhat, auch was die Migration anlangt .
Deswegen ist es richtig, über Erpressbarkeit nachzuden-ken . Ich sage zum Thema Erpressbarkeit in Bezug aufErdogan nur eines: Wenn wir das Schicksal Deutschlandsallein in die Hände dieses Herrn legen würden,
dann – um Gottes Willen – wären wir wirklich erpress-bar . Deswegen kann ich davor nur warnen .Wir kommen zu ganz anderen Schlüssen als Sie, FrauRoth .
Wir kommen zu dem Schluss, dass wir neben der Siche-rung der EU-Außengrenze durch Erdogan durchaus pa-rallel noch Binnengrenzkontrollen nach dem Motto desVolksmundes: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, vor-nehmen müssten, um uns diesem Herrn nicht ganz auszu-liefern . – So viel zu diesem Thema .
Ein schmutziger Deal muss es nicht sein . Wer das La-ger, das in der Türkei gebaut wurde, gesehen hat – nur270 000 Menschen sind dort –,
muss sagen, dass das ein Vorzeigelager ist und es sichlohnt, hier Geld hineinzustecken .Zweitens . Es ist auch wichtig, dass wir noch mehrGeld ausgeben, um die Menschen in der Region zu hal-ten, um dort einen Bleibegrund zu schaffen, damit dortSchulausbildung, Berufsausbildung und Ähnliches statt-finden kann, damit sie die Region nicht verlassen. Dasist, denke ich, kein schmutziger Deal, sondern eine guteNachricht .Aber ich möchte etwas anderes sagen, weil es um dieMeinungsfreiheit überall auf der Welt ging . Machen Siemit mir einmal das Gedankenexperiment: Dieser HerrBöhmermann hätte das, was er in die Kamera gesagt hat,nicht Erdogan, sondern Putin gewidmet . Herr Bartsch,hätten Sie dann auch eine Aktuelle Stunde beantragt?
Ich könnte mir vorstellen, dass nicht nur die deutscheParteienlandschaft, sondern auch die deutsche Medien-landschaft ganz anders darüber gesprochen und reagierthätte . Aber im Fall Erdogan ist es ja möglich .Ich habe mit Burkhard Hirsch normalerweise nichtsam Hut, aber hier hat er recht . Ich habe von ihm einenLeserbrief gelesen . Dort schreibt zu Böhmermanns – ersetzt es in Anführungszeichen – „Kunst“:… primitive Aneinanderreihung beleidigender, mie-ser …Er fährt fort:Ich bin leidenschaftlich für die Pressefreiheit, abernicht für eine Beleidigungsfreiheit …Das ist auch richtig, Herr Hirsch . Auch das sollte mansich einmal durch den Kopf gehen lassen .
Dr. Hans-Peter Uhl
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 166 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 27 . April 2016 16337
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Ich möchte zum Schluss kommen . Die EU hat einenVertrag mit Erdogan . Ich kann nur dringend ermahnen,nicht nur den Vertragstext zu lesen und zufrieden mitnach Hause zu nehmen – Papier ist geduldig –, sondernauch an den Vollzug des Vertrags zu denken . Ich möchtemahnen, die Gesetze, die er erlässt, nicht nur zu lesenund zu glauben, sondern auf den Vollzug der Gesetze zuachten . Dieser Herr ist für Willkür allemal geeignet . Des-wegen muss man ihn sehr genau überwachen .
Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meinungs- und Pressefreiheit sind die feinsten Seismo-grafen der Menschenrechtslage eines Landes . Die jährli-chen Fortschrittsberichte der EU über die Türkei machenuns seit Jahren darauf aufmerksam, dass in der TürkeiMeinungs- und Pressefreiheit Schritt um Schritt wenigergeachtet werden . Das haben wir auch hier schon debat-tiert . Wir haben nicht weggeschaut, sondern wir habenhier im Hause darüber gesprochen . Vor diesem Hinter-grund brauchen wir uns keine Vorwürfe zu machen, aberwir müssen es immer wieder ansprechen .Das aber zunehmend aggressivere Vorgehen der Tür-kei gegen Journalisten, gegen Medien, aber auch gegenunliebsame Bürger, gegen die Kurden in einer unglaub-lichen Art und Weise zeigt eine besorgniserregende Ent-wicklung, die wir nicht einfach negieren dürfen .Sowohl die EU-Fortschrittsberichte als auch die Be-richte verschiedener Menschenrechtsorganisationen wie„Reporter ohne Grenzen“ belegen seit längerem – nichterst jetzt, in einer Situation, in der wir seitens der EUein Abkommen mit der Türkei geschlossen haben – dieimmer stärkeren Einschränkungen der Meinungs- undPressefreiheit durch die türkische Regierung und sogardurch den Staatspräsidenten höchstpersönlich . Das istschon ein Novum, auch innerhalb der Türkei; das mussman deutlich sagen .Auf der Rangliste der Pressefreiheit der „Reporterohne Grenzen“ – auch das ist schon angesprochen wor-den – steht die Türkei auf einem blamablen Platz 151von 180 Staaten . Wenn man sich das vor Augen führt,dann kann man beklommen werden; denn die Türkei istein EU-Beitrittskandidat . Deshalb darf uns das nicht egalsein, deshalb haben wir es in der Vergangenheit ange-sprochen und sprechen es auch jetzt immer wieder an .
Wir sehen: Redaktionen werden von Regierungsan-hängern angegriffen, regierungskritische Medien müssenmit Razzien rechnen, kritische Journalisten werden in-haftiert und schikaniert, nicht nur offenkundig, sondernauch unter der Decke . Regierung und Staatsspitze heizendie Stimmung mit aggressiver Rhetorik und Hetze gegenJournalisten zusätzlich auf .Anfang März 2016 stellte die türkische Justiz diegrößte oppositionelle Zeitung Zaman unter Zwangsver-waltung, gefolgt von der zur gleichen Mediengruppegehörenden Nachrichtenagentur Cihan . Die Strafanzei-ge gegen den Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet,Can Dündar – auch wir haben in unserer ArbeitsgruppeMenschenrechte mit seiner Frau gesprochen –, stellte dertürkische Präsident Erdogan höchstpersönlich . Das istschon ein besonderes Kriterium im Hinblick auf die Fra-ge, wie er selbst die Pressefreiheit sieht .Als das türkische Verfassungsgericht die sofortigeFreilassung von Journalisten nach dreimonatiger Unter-suchungshaft anordnete, stellte Präsident Erdogan auchdie Zukunft des Verfassungsgerichtes infrage . Das ist einneues Kriterium, wir dürfen es nicht außer Acht lassen .
Die Repressionen richten sich inzwischen nichtnur gegen Journalisten und Medien in der Türkei, son-dern auch gegen ausländische Journalisten . Erst amMontag hatten die Behörden dem US-Reporter David Lepeska die Einreise verweigert . Am Samstag war derfür die Bild-Zeitung arbeitende griechische Fotoreporter Giorgos Moutafis auf dem Istanbuler Flughafen abgewie-sen worden . Die Fälle reihen sich wie eine Perlenketteaneinander . Die niederländische Journalistin Ebru Umarwurde am Wochenende nach kritischen Äußerungen überPräsident Erdogan vorübergehend sogar festgenommen .Der ARD-Fernsehkorrespondent Volker Schwenck durf-te nicht in die Türkei einreisen .Aber die türkische Regierung geht nicht nur innerhalbdes eigenen Landes gegen unliebsame Medienberichteund Meinungsäußerungen vor . In der Vergangenheit –auch aktuell – waren es zumeist Darstellungen über denVölkermord an den Armeniern, bei denen die türkischeRegierung auch in anderen Staaten interveniert hat . Dashaben jüngst die Dresdner Sinfoniker zu spüren bekom-men . Die Türkei verlangte, beim Projekt „Aghet – Agit“zum Völkermord an den Armeniern die Begriffe „Geno-zid“ und „Völkermord“ zu tilgen, und drohte mit einemAusstieg aus der gemeinsamen Kulturförderung mit derEU . Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann unddarf wirklich nicht sein, dass sich die EU-Kommissiondem türkischen Druck gebeugt hat .
Dass die Informationen zum Projekt zeitweise von derHomepage der EU genommen wurden, war ein peinli-cher Akt der Unterwerfung .Aber auch unsere Medien – liebe Medienvertreter, dasmuss ich einmal sagen – sollten sich vielleicht einmalselbstkritisch hinterfragen . Trotz der aktuellen Debat-te über den Genozid an den autochthonen Christen imOsmanischen Reich habe ich jedenfalls keine einzigeBerichterstattung über die beeindruckende Gedenkver-anstaltung der Armenier jetzt am Wochenende hier inBerlin gelesen . Das ist schon erstaunlich . Ich kann michDr. Hans-Peter Uhl
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 166 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 27 . April 201616338
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dabei des Eindrucks von Selbstzensur nicht ganz erweh-ren .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sind einLand, das Wandel und Handel vorantreibt und das denMenschenrechten einen hohen Stellenwert einräumt .Trotz allem sind wir immer wieder gezwungen, mit Län-dern zu verhandeln, die autochthon regiert sind, die dikta-torisch regiert sind . Wir müssen dabei unsere Werte nichtüber Bord werfen, aber wir müssen irgendwie Regularienfinden, wie wir miteinander auskommen. Wir sind näm-lich nicht ganz alleine auf diesem schönen Erdball .Danke .
Die Aktuelle Stunde ist beendet .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 28 . April 2016, 9 Uhr,
ein .
Die Sitzung ist geschlossen .