Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zu unserer Plenarsitzung und rufe gleich den Ta-
gesordnungspunkt 1 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 17./18. März 2016
in Brüssel
Hierzu liegen drei Entschließungsanträge der Frak-
tion Die Linke und ein Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über einen Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke werden wir später
namentlich abstimmen. Ich möchte also schon jetzt da-
rauf aufmerksam machen, dass nach Ende der Ausspra-
che die Abstimmungen über diese Anträge, darunter eine
namentliche Abstimmung, stattfinden werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 96 Minuten vorgesehen. – Das ist offenkundig ein-
vernehmlich. Also können wir so verfahren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Der Europäische Rat imMärz ist klassischerweise ein Wirtschaftsrat. Auch wennin Europa derzeit andere Themen im Vordergrund stehen,ist es wichtig, die wirtschaftlichen Fundamente der Eu-ropäischen Union weiter zu stärken. Denn nur wenn wirwirtschaftlich gut dastehen, werden wir auch in Zukunftin der Lage sein, die drängenden Herausforderungen un-serer Zeit zu bewältigen.Im Rahmen des sogenannten Europäischen Semesterswird sich der morgen und übermorgen stattfindende Eu-ropäische Rat mit der wirtschaftlichen Lage in der ge-samten Europäischen Union befassen, und wir werdendarauf drängen, dass die Mitgliedstaaten der Europäi-schen Union ihre Volkswirtschaften durch Strukturre-formen und Investitionen stärken sowie eine verantwor-tungsvolle Haushaltspolitik betreiben.Meine Damen und Herren, im Mittelpunkt des morgenund übermorgen stattfindenden Europäischen Rates wirdaber erneut die Flüchtlingspolitik und dabei vor allem dieZusammenarbeit mit der Türkei stehen. Für Deutschlandund für die Europäische Union als Ganze ist die Flücht-lingsfrage die größte Herausforderung seit Jahrzehnten.Konflikte, die uns früher sehr weit weg erschienen, be-treffen uns heute direkt, und sie werden uns auch in Zu-kunft immer wieder direkt betreffen. Das sehen wir anSyrien, das sehen wir an Afghanistan, und das sehen wiram Irak.Wir erleben, dass es sich bei der Flüchtlingsfrage umeine Aufgabe handelt, die uns allen sehr viel abverlangt,die unsere ganze Kraft und auch unsere volle Aufmerk-samkeit erfordert. Denn unser Umgang mit der Flücht-lingsfrage wird Deutschland wie auch Europa auf langeZeit prägen, sowohl nach innen als auch nach außen. Undumso mehr setze ich mich dafür ein, dass wir als reicherKontinent zeigen, dass wir in der Lage sind, eine solcheHerausforderung gemeinsam zu meistern.
Dabei dürfen wir nie vergessen: Auch Deutschlandgeht es auf Dauer nur dann gut, wenn es auch Europa gutgeht, also Europa als Ganzes. Für mich bedeutet das, dasswir weiterhin unverändert auf allen Ebenen an dauerhaf-ten Lösungen arbeiten müssen: national, europäisch undinternational. Wir müssen dabei von dem Ansatz ausge-hen, dass wir die Ursachen bekämpfen, die die Menschendazu veranlassen, ihre Heimat zu verlassen. Mit diesemAnsatz werden wir es auch schaffen, die Zahl der nachEuropa und Deutschland kommenden Flüchtlinge spür-bar und dauerhaft zu reduzieren; denn so können dieMenschen vor Ort bzw. in der Nähe ihrer Heimat sichervor Krieg und Verfolgung wie auch mit einer Perspektivefür sich und ihre Familien leben. Denken wir an Themenwie Gesundheit, Bildung, Arbeit, aber eben allzu oft auch
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Ernährung. Und mit diesem Ansatz werden wir es auchschaffen, in Zukunft wirklich denen zu helfen, die tat-sächlich auf unseren Schutz angewiesen sind.Ich glaube, dass wir beiden Zielen zuletzt ein gutesStück näher gekommen sind, sowohl in Europa als auchbei uns zu Hause in Deutschland. Hier bei uns haben un-sere ordnenden und steuernden Maßnahmen – von denseit September geltenden Kontrollen an unserer nationa-len Grenze bis zu den Asylpaketen I und II – begonnenWirkung zu entfalten, genauso wie die vielen Verände-rungen zum Beispiel im Bundesamt für Migration undFlüchtlinge.Ohne jeden Zweifel profitieren wir in Deutschland ge-genwärtig auch davon, dass der Flüchtlingszuzug, aller-dings durch einseitige Entscheidungen Österreichs undder Staaten entlang der Westbalkanroute, zum Stillstandgebracht wurde.
Doch ich kann gar nicht oft genug davor warnen, unshiervon täuschen zu lassen; denn die momentane Erleich-terung, die Deutschland und einige andere Mitgliedstaa-ten jetzt spüren, ist das eine, die Lage in Griechenland istdas andere; und diese muss jedem von uns große Sorgebereiten, weil sie natürlich nicht ohne Folgen für uns allein Europa bleiben wird. Der Zustand dort kann und darfnicht von Dauer sein, sonst kämen wir nach einer kurz-fristigen Erleichterung bei uns vom Regen in die Traufe.Deshalb lautet die alles entscheidende Frage unverän-dert, wie es uns gelingen kann, die Zahl der Flüchtlingenicht nur für einige, sondern für uns alle zu reduzieren,und zwar nachhaltig und dauerhaft und ohne dass we-sentliche Errungenschaften unseres Lebens in Europageschwächt werden.
Genau das sind die Ziele des gesamteuropäischen Ansat-zes.Erstens, weil gerade Deutschland als Land in der Mit-te Europas wie kein zweites Land von der Reisefreiheitin Europa profitiert. Das gilt eben auch für unsere Wirt-schaft.Zweitens, weil wir nur mit einer gesamteuropäischenLösung verhindern können, dass mit einer Schließung derBinnengrenzen die Fluchtrouten verlagert würden; dennwenn jetzt wieder neue, noch kompliziertere und gefähr-lichere Routen entstünden, dann profitierten davon nurdie kriminellen Schlepper. Den höchsten Preis bezahltendann die Flüchtlinge, häufig mit ihrem Leben. Aber auchwir Deutsche und Europäer zahlten einen hohen Preis,weil ja offenkundig würde, dass bisherige Maßnahmennur Scheinlösungen gewesen wären, die lediglich an denSymptomen der Krise ansetzten, nicht aber an den Ur-sachen. In der Folge wäre die Enttäuschung der Bürgernoch um ein Vielfaches größer als manche Sorge heute.
Und drittens können wir nur mit dem gesamteuropäi-schen Ansatz Lösungen entwickeln, die den letzten Mit-gliedstaat in der Reihe nicht alleine lassen, in diesem FallGriechenland. Noch einmal: Auch Deutschland geht esauf Dauer nur dann gut, wenn es auch Europa gut geht,also Europa als Ganzes. Deshalb ist es richtig und wich-tig, dass die Europäische Union Griechenland jetzt hu-manitäre Hilfe anbietet und dafür auch die erforderlichen700 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt bereitgestelltwerden. Auch Deutschland hat Griechenland Hilfe ange-boten. Ich bin dazu mit dem griechischen Ministerpräsi-denten in engem Kontakt, der Bundesinnenminister ist esmit seinem griechischen Kollegen, der Bundesaußenmi-nister ebenfalls.Genauso wichtig ist, dass Griechenland seinen eige-nen Verpflichtungen nachkommt. Dazu gehören der volleBetrieb der Hotspots und damit eine umfassende Re-gistrierung der Flüchtlinge. Wir haben erhebliche Fort-schritte bei der Registrierung und bei der Aufnahme indie Eurodac-Datenbank zu verzeichnen. Das gilt auch fürdie Bereitstellung von Flüchtlingsunterkünften, nachdemes zuvor viel zu viele Verzögerungen gegeben hatte. Wirbrauchen nur daran zu erinnern, dass wir darüber seitdem Herbst des letzten Jahres reden: Im Oktober hattenwir eine Konferenz der Staaten des westlichen Balkansund Griechenlands, und dort ist verabredet worden, dassjedes dieser Länder ausreichend Unterbringungskapazi-täten bereitstellt. Aber auch hier sind jetzt in Griechen-land Fortschritte deutlich erkennbar.Griechenland will gemeinsam mit den anderen27 EU-Mitgliedstaaten und dem UN-Flüchtlingshilfs-werk UNHCR die Krise humanitär vertretbar lösen, alsomit sicherer und menschenwürdiger Versorgung und Un-terkunft. Wir helfen Griechenland dabei, sowohl finanzi-ell als auch vor Ort mit konkreter Unterstützung. Genaudieses Vorgehen unterscheidet die Situation heute vonder in und mit Ungarn im letzten Sommer.
Sicherlich sind viele Flüchtlinge enttäuscht, wenn sienicht dorthin reisen können, wohin sie wollen, weil wiruns in Europa einig sind, dass es kein Recht auf Asyl ineinem bestimmten Land gibt. Die Menschen haben aberAnspruch auf eine menschenwürdige Behandlung. Ge-nau dafür arbeiten wir gemeinsam mit Griechenland,auch für die Menschen, die jetzt in Idomeni ausharrenund die der griechischen Regierung vertrauen sollten,dass es ihnen in den neugeschaffenen Unterkünften inGriechenland deutlich besser geht als jetzt in Idomeni.Eine wirklich tragfähige Lösung jedoch haben wirerst dann erreicht, wenn nicht nur nach Deutschland,sondern in die gesamte Europäische Union dauerhaftweniger Menschen illegal einreisen als bisher. Um daszu erreichen, führen wir derzeit wichtige Gespräche mitder Türkei. Die Türkei ist das mit Abstand wichtigsteTransitland, über das die Menschen – im Augenblick je-denfalls – illegal nach Europa kommen. Die Seegrenzezwischen Griechenland und der Türkei ist unsere euro-päische Außengrenze. Sie muss geschützt werden. DazuBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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gehört ein entschlossener Kampf gegen Schlepper undSchleuser.
In Zusammenarbeit mit der Türkei haben wir ver-schiedene Schritte eingeleitet. So setzen wir auch auf denAufklärungseinsatz der NATO in der Ägäis, für den sichdie Verteidigungsministerin unermüdlich eingesetzt hatund der ich dafür ganz herzlich danken möchte.
Ich will es auch hier ganz offen sagen: Auch dieser Ein-satz kommt nur Schritt für Schritt in Gang. Wir habenbis jetzt erste Überwachungsmöglichkeiten hinsichtlichder Insel Lesbos. Wir brauchen weitere Zugänge in dietürkischen Territorialgewässer, damit alle Inseln über-wacht werden können; denn es zeigt sich schon in denletzten Tagen, dass jetzt, wo Lesbos sehr gut überwachtist, in Chios mehr Flüchtlinge ankommen. Und auch dasist eben keine nachhaltige Lösung. Deshalb brauchen wirZugang zu allen Bereichen der türkischen Territorialge-wässer.Bislang war es für Europa ein großes Problem, dassillegal eingereiste Menschen nicht wieder in die Türkeizurückgeschickt werden konnten, selbst wenn sie keinenSchutzanspruch in Europa hatten. Genau bei diesem Pro-blem setzen jetzt die Vorschläge an, die der türkische Mi-nisterpräsident Ahmet Davutoglu am 7. März beim Gip-fel mit den europäischen Staats- und Regierungschefs inBrüssel vorgelegt hat. Seine Grundidee ist, dass die Tür-kei sich verpflichtet, alle Flüchtlinge zurückzunehmen,die zuvor illegal über die Ägäis nach Europa gekommensind. Wann immer ein syrischer Flüchtling in die Türkeizurückgebracht werde, dürfe – so der Vorschlag des tür-kischen Ministerpräsidenten – im Gegenzug ein anderersyrischer Flüchtling legal aus der Türkei nach Europareisen.Es ist ganz offenkundig: Ziel einer solchen Rege-lung ist es, den Flüchtlingen den Anreiz zu nehmen, inein Schlauchboot krimineller Schlepper zu steigen undsich auf die lebensgefährliche Überfahrt nach Europazu begeben. Eine Umsetzung dieses Vorschlags könntealso dazu führen, dass den kriminellen Schleppern in derÄgäis die Geschäftsgrundlage entzogen wird. Stattdes-sen gäbe es eine legale Alternative, die für Flüchtlinge si-cher und für Europa kontrollierbar wäre. Da es aber unserZiel ist, sehr schnell die Illegalität sozusagen zum Erlie-gen zu bringen, wird dieser Vorschlag im Anschluss, alsospäter, ergänzt werden durch freiwillige Kontingente, dieeuropäische Mitgliedstaaten übernehmen, um dann auchsyrische Flüchtlinge aufzunehmen. Damit würde dasgrausame Sterben in der Ägäis endlich ein Ende finden.Allein in diesem Jahr, 2016, sind über 350 Menschenin der Ägäis ertrunken; im vergangenen Jahr waren es800 Menschen.Ohne Zweifel handelt es sich bei dem türkischen Vor-schlag um sehr weitreichende Überlegungen. Es war des-halb wichtig, eine endgültige Entscheidung nicht schonam 7. März zu treffen, sondern uns die Zeit zu nehmen,rechtliche und politische Fragen im Zusammenhang mitdiesem Vorschlag eingehend und sorgfältig zu prüfen.Wir haben zum Beispiel auch den UNHCR konsultiert,um seinen Sachverstand zu nutzen. Aber – und das hal-te ich für sehr wichtig – aus dem türkischen Vorschlagspricht auch – das war bereits bei der Zustimmung zurNATO-Mission der Fall –, dass die Türkei mit Blickauf das Flüchtlingsthema ein eigenes Interesse hat, denFlüchtlingszuzug in das eigene Land zusammen mit Eu-ropa zu ordnen und zu steuern, damit die Schleuserstruk-turen nicht noch weiter um sich greifen, als sie das ohne-hin, wie wir alle wissen, schon tun. Das ist nämlich einZustand, der auch für die Türkei selbst auf Dauer nichttragbar ist. Das Ziel ist also eine faire Teilung der Lasten.Dass die Türkei im Rahmen der Verhandlungen mitder EU außerdem ihre Interessen im Zusammenhangmit dem Beitrittsprozess zur EU artikuliert, das kannund sollte eigentlich niemanden von uns verwundern.Entscheidend ist auch hier, wie wir damit umgehen, obund wie wir also einen Ausgleich der Interessen schaffenkönnen, der unseren Werten entspricht.Die Türkei ist seit vielen Jahren Beitrittskandidat zurEuropäischen Union. Für mich als Bundeskanzlerin undfür die Bundesregierung galt immer das Prinzip: Pactasunt servanda. Das hieß bislang und das heißt auch fürdie Zukunft: Wenn wir im Falle einer vertieften Zusam-menarbeit neue Verhandlungskapitel öffnen sollten, dannist und bleibt weiterhin unverändert entscheidend, dassdie Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mitder Türkei ergebnisoffen geführt werden. Schon darausfolgt, dass der Beitritt der Türkei zur Europäischen Uni-on jetzt wirklich nicht auf der Tagesordnung steht.
Auch bei den Verhandlungen über neue Kapitel kannund wird es keine Abstriche bei unseren eigenen Prinzi-pien geben. Dazu will ich zwei Bemerkungen machen:Erstens. Die Eröffnung neuer Kapitel ist nicht wegenuns so schwierig, sondern wegen der ungelösten Zy-pern-Frage. Das heißt, wir haben bis zum morgigen Ratnoch Arbeit vor uns. Ich kann den Ausgang auch nichtprognostizieren.Zweitens bitte ich, gerade in der Eröffnung der Kapi-tel 23 und 24, in denen es um Rechts- und Justizfragengeht, vor allen Dingen auch die Chancen zu sehen, mitder Türkei in einen wichtigen Dialog einzutreten, dersehr drängend ist.
Intensiv beraten werden gegenwärtig die Themen„Rückführung von Drittstaatsangehörigen aus der EUin die Türkei“ und „Visumsfreiheit“. Hierzu haben dieSpitzen der Koalition am 5. November letzten Jahres ineinem Beschluss vereinbart, sich für die Beschleunigungdes Inkrafttretens der Rückführung von Drittstaatsange-hörigen aus der EU in die Türkei und parallel dazu für dieBeschleunigung der Verhandlungen über die Visumsfrei-heit einzusetzen. In der Folge habe ich für Deutschlandbeim Europäischen Rat am 29. November letzten Jahresgemeinsam mit den anderen 27 Mitgliedstaaten der Eu-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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ropäischen Union in der EU-Türkei-Agenda vereinbart,dass die Rückführung von Drittstaatsangehörigen imJuni dieses Jahres und die Visumsfreiheit spätestens abOktober dieses Jahres in Kraft treten. Alle 28 Mitglied-staaten der Europäischen Union hatten das einvernehm-lich beschlossen.Hinsichtlich der Visumsfreiheit möchte die Türkeidiesen Prozess nun noch einmal beschleunigen und ihnstatt im Oktober bereits Ende Juni dieses Jahres abschlie-ßen. Im Gegenzug bietet die Türkei an, alle Flüchtlingewieder zurückzunehmen, auch die mit Bleiberecht – dasbetrifft mehr als nur normale Drittstaatler –, und das allesab sofort. Dafür möchte sie die Visumsfreiheit ebenfallsdrei Monate vorher erreichen. Sie sagt zu – das ist ab-solut unabdingbar für uns –, dafür alle Bedingungen zuschaffen. Das alles gilt es im Zusammenhang zu beach-ten. Entscheidend also ist, dass sich die Voraussetzungennicht ändern, die die Türkei für eine Visumsliberalisie-rung erfüllen muss. Diese sind und bleiben unverändert.Es ist im Übrigen noch vieles zu lösen. Wir werden si-cherstellen, dass diese Bedingungen vollständig einge-halten werden, und wir werden Sie alle zu all diesemnatürlich immer wieder konsultieren.Nicht zuletzt bittet die Türkei um zusätzliche finan-zielle Unterstützung bis Ende 2018, da nach ihrem Ver-ständnis die bereits bewilligten 3 Milliarden Euro fürFlüchtlingsprojekte nur ein erster Schritt waren. Auchfür Europa ist entscheidend, dass Flüchtlinge, die wiederin die Türkei zurückgeschickt werden, dort entsprechendunseren humanitären Kriterien und denen des UNHCRbehandelt werden; denn wenn die Türkei den Menscheneine sichere Versorgung, eine angemessene Lebenspers-pektive im Einklang mit den internationalen Verpflich-tungen bietet, dann nimmt das den Menschen einen wich-tigen Grund mehr, sich auf die lebensgefährliche Fluchtmit Schleusern und Schleppern einzulassen.Ich halte den türkischen Wunsch nach mehr finanziel-ler Hilfe deshalb für völlig nachvollziehbar. Die Europä-ische Union ist dazu auch bereit. Entscheidend ist, dassdiese Mittel tatsächlich in sinnvolle Projekte, und zwar indie sinnvollsten, fließen – in Unterbringung, in Schulenoder in medizinische Versorgung. Auch das werden wirsicherstellen. Die Türkei bittet darum, dass dies mög-lichst schnell geht. Um das zu erreichen, sind die Mecha-nismen in der Europäischen Union aber manchmal etwasschwierig.Die ersten 95 Millionen Euro wurden bereits ausge-zahlt. Sie helfen, 100 000 syrischen Flüchtlingskindernden Schulbesuch zu ermöglichen, und zwar in arabischerSprache, und 700 000 Syrer in der Türkei mit Lebensmit-teln zu versorgen.Bei aller notwendigen Sorgfalt, mit der wir die Ge-spräche mit der Türkei jetzt führen und zu führen haben,sollten wir eines aber nicht übersehen: Das, was die Tür-kei für weit über 2 Millionen Flüchtlinge, genau gesagtfür etwa 2,7 Millionen Flüchtlinge, in ihrem Land seitJahren leistet, kann gar nicht hoch genug gewürdigt wer-den. Es gereicht Europa nicht zur Ehre, sich als Unionvon 28 Mitgliedstaaten mit 500 Millionen Bürgern bis-lang so schwergetan zu haben, die Lasten zu teilen.
Umso wichtiger ist es, dass wir nun dabei sind, doch we-nigstens schrittweise voranzukommen.Meine Damen und Herren, die weitreichenden Vor-schläge des türkischen Ministerpräsidenten zeigen, dasswir in den europäischen Verhandlungen zur Lösung derFlüchtlingsfrage an einem entscheidenden Punkt ange-kommen sind. Eine vertiefte Zusammenarbeit, wie wirsie mit der Türkei anstreben, ist immer eine Angelegen-heit des Gebens und des Nehmens, des Kompromissesund des Ausgleichs von Interessen; und das gilt für bei-de Seiten gleichermaßen. Es versteht sich deshalb vonselbst, dass wir gegenüber der Türkei unsere Überzeu-gungen zum Beispiel zur Wahrung der Pressefreiheitoder zum Umgang mit den Kurden entschieden einbrin-gen, bei dem trotz allem notwendigem Kampf gegen denTerror der PKK stets die Angemessenheit des Vorgehensin Bezug auf alle Kurden zu beachten ist.
Eine vertiefte Zusammenarbeit, wie wir sie jetzt an-streben, zum Beispiel auch in der Diskussion über ge-öffnete Kapitel, kann hierfür im Übrigen den richtigenRahmen bieten, wenn wir das auf der Grundlage der kla-ren Kriterien und Voraussetzungen machen, von denenich eben gesprochen habe. Wir spüren, dass auf beidenSeiten die ernsthafte Bereitschaft besteht, die Problemein der Flüchtlingspolitik gemeinsam zu lösen. Und daserachte ich als einen großen Fortschritt.Doch noch ist das Ergebnis nicht erzielt, noch sind au-ßerordentlich schwierige rechtliche wie politische Fragenzu klären, damit der Ausgleich der Interessen ein echterAusgleich wird. Die Kommission hat heute im Übrigenzu den rechtlichen Fragen noch einmal eine Mitteilungveröffentlicht. Gleichzeitig muss der Ausgleich der In-teressen dem Ziel des europäisch-türkischen Ansatzesdienen, die Zahl der Flüchtlinge dauerhaft und nachhal-tig für alle zu reduzieren sowie auch weiterhin den Men-schen Schutz geben zu können, die diesen Schutz auchwirklich brauchen. Beim Europäischen Rat morgen undübermorgen geht es also darum, ob es gelingt, eine Eini-gung zu erzielen, mit der wir zum ersten Mal eine echteChance auf eine dauerhafte und gesamteuropäische Lö-sung in der Flüchtlingsfrage haben könnten.Zu dieser gesamteuropäischen Lösung gehört im Üb-rigen neben der Türkei auch die Partnerschaft mit un-seren anderen Nachbarn, etwa in Nordafrika. Ich dankeInnenminister Thomas de Maizière, der auf seiner Reisenach Marokko, Algerien und Tunesien weitreichendeVereinbarungen getroffen hat. Genauso danke ich demEntwicklungsminister Gerd Müller, der dies in Fragender Entwicklungshilfe getan hat. Thomas de Maizièrehat vereinbart, dass zukünftig Rückführungen von nicht-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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schutzbedürftigen Migranten in diese Länder erleichtertwerden.Zu einer gesamteuropäischen Lösung gehört ganzentscheidend, dass wir die Fluchtursachen gemeinsambekämpfen. Hier sind die Friedensgespräche für Syrienvon großer Bedeutung, bei denen ich dem Bundesau-ßenminister allen Erfolg wünsche. Das ist ein langer, einschwieriger Weg; aber in den letzten Wochen haben wirdoch eine ganze Reihe von Ereignissen gesehen, die unszumindest mehr Hoffnung geben, als wir über lange, lan-ge Zeit hatten.
Natürlich gehört es auch zu unserer Agenda, dass wirdie Schlussfolgerungen des Valletta-Gipfels mit unserenafrikanischen Nachbarn umsetzen, und zwar konsequentumsetzen.Zu einer gesamteuropäischen Lösung gehört außer-dem, langfristig auch das Dublin-System zu reformieren.Die EU-Kommission wird demnächst Vorschläge vor-legen. Sie wollte das heute tun. Angesichts der intensi-ven Debatten über die rechtlichen Grundlagen der Tür-kei-Fragen hat sie das verschoben, aber sie wird das tun;denn wir müssen wissen, wie wir das Dublin-System andie veränderten Gegebenheiten anpassen und zukunfts-fest machen können. Diese Vorschläge werden dann auchGrundlage für die weiteren Überlegungen sein. Ich sageganz klar: Nur mit einer Reform von Dublin werden wirSchengen langfristig aufrechterhalten können. Denn zueiner gesamteuropäischen Lösung gehört nicht zuletztauch, dass wir schrittweise zu den offenen Binnengren-zen zurückkehren können, von denen wir im Schen-gen-Raum so sehr profitieren.Neun Schengen-Staaten, unter anderem Deutschland,sahen sich in den vergangenen Monaten gezwungen,temporäre Binnengrenzkontrollen einzuführen. Ich be-grüße daher, dass die Kommission einen sehr ehrgeizi-gen Fahrplan vorgelegt hat, der das Ziel enthält, bis Endedes Jahres alle temporären Kontrollen wieder aufzuhe-ben. Aber auch dafür müssen natürlich die Bedingungenerfüllt sein. Sonst können wir das nicht machen. Dasheißt, wir müssen bis dahin die Situation an den europä-ischen Außengrenzen in den Griff bekommen, und alleMitgliedstaaten müssen wieder ihre Verpflichtungen ausdem Schengener Grenzkodex einhalten.Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, mei-ne Damen und Herren, wenn sich all diese Bausteine zueiner Gesamtstrategie zusammenfügen, dann können wireine dauerhaft tragfähige gesamteuropäische Lösung tat-sächlich erreichen. So haben wir es als Staats- und Regie-rungschefs bei unseren Treffen im Februar und AnfangMärz gemeinsam vorgezeichnet. Und der morgen begin-nende Europäische Rat ist hierfür eine weitere und, ichwürde auch sagen, durchaus entscheidende Wegmarke,ohne dass ich schon voraussehen kann, wie die Entschei-dungen genau aussehen.Ich bin und bleibe überzeugt: Wir brauchen ein Eu-ropa, in dem gemeinsame Herausforderungen durch eu-ropäische Solidarität und durch gemeinsames Handelngemeistert werden. Das ist der einzige Weg, der Europalangfristig Erfolg verspricht und der dazu führen wird,dass Europa und damit alle seine Mitgliedstaaten auchaus dieser Krise stärker hervorgehen werden, als sie insie hineingekommen sind.Herzlichen Dank.
Ich eröffne die Aussprache. Dietmar Bartsch ist der
erste Redner für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mehrfach in Ihrer Rededavon gesprochen, dass die aktuelle Flüchtlingskrise nurgelöst werden kann, wenn die Fluchtursachen beseitigtwerden. Ja, das ist richtig, aber das darf nicht zu einerPhrase werden, meine Damen und Herren.
Ich will es noch einmal klar und deutlich sagen: DieFlüchtlinge sind die Botschafter der Kriege und desElends dieser Welt. Deutschland und Europa müssen andie Ursachen, an den Kern des Problems gehen, und derliegt nun mal im Krieg und in der Zerstörung in Syri-en, im Irak und in der ganzen Region. Das bedeutet aberauch: Schluss mit Waffenlieferungen in Krisenregionen,Schluss mit militärischer Logik in Krisenregionen
und Nachdenken über eine andere Weltwirtschaftsord-nung. Ich könnte jetzt noch einmal die Situation in Af-ghanistan seit 2002 schildern. Da sehen wir die Ergebnis-se der Politik. Das kann so nicht weitergehen.
Sie haben zu Beginn Ihrer Rede auf die Situation inGriechenland Bezug genommen. Ich habe gestern einVideo gesehen, das Norbert Blüm in Idomeni zeigt. Indiesem Video sagt er: Was ist das für ein Europa? Hier,wenn ich die Bahngleise sehe, wenn es um Geschäft undWaren geht: freie Bahn; wenn es um die Menschen geht:dann nicht. Geldgeschäfte: global und grenzenlos. Wennes um die Menschen geht: eingesperrt. Was ist das füreine Welt? Ist das Globalisierung? – Norbert Blüm hatmit den Fragen und der Analyse völlig recht.
Es ist leider so: An vielen innereuropäischen Grenzenund auch an seinen Außengrenzen hat Europa seine Hu-manität, seine Menschlichkeit verloren. Der Tod – Sie ha-ben die Zahlen genannt – ist zu einer alltäglichen Nach-richt geworden, und es sind keine Lösungen in Sicht. Dasgroße Projekt Europa, das ein Projekt des Friedens, derKultur und der Solidarität ist, steht vor dem Scheitern. EsBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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geht Europa nicht gut, Frau Bundeskanzlerin. Um dieseDimension geht es, um nicht mehr und auch nicht weni-ger.
Nun sind in diesen Gipfel auch mit Blick auf die Land-tagswahlen, die stattgefunden haben, viele Erwartungengesetzt worden. Natürlich ist unbestritten: Die Türkei istein Schlüsselland in dieser Krise. Sie meinen, Lösun-gen gefunden zu haben, indem Sie mit dem DespotenErdogan einen Schulterschluss suchen. Erdogan diktiertEuropa Bedingungen.Frau Merkel, Sie haben eben von Angemessenheit ge-sprochen. Sie hofieren einen Mann, der Wissenschaftle-rinnen und Wissenschaftler entlässt, weil sie von ihremRecht der freien Meinungsäußerung Gebrauch machenund sich für den Frieden in der Türkei einsetzen. Sie ho-fieren einen Mann, der die Türkei zu einer Kriegsparteiin Syrien gemacht hat, der die Türkei über Jahre zu ei-nem Transitland des Terrorismus gemacht hat. Sie hofie-ren einen Mann, der Journalisten verhaften lässt, der diePressefreiheit abschafft und kritische Zeitungen staatlichbesetzen lässt. Sie hofieren einen Mann, der Krieg ge-gen die eigene Bevölkerung, gegen die Kurden führt mitHunderten Toten, der sogar im Irak, also in einem ande-ren Land, bombardieren lässt. Sie hofieren einen Mann,der Frauen niederknüppeln lässt und der kurz vor demInternationalen Frauentag mit Gummigeschossen ge-waltsam gegen eine friedliche Demonstration von Frau-en vorgegangen ist. 103 ermordete Frauen im Jahr 2015!Mit so einem Partner kann es keine Lösung für Europageben. Menschenrechte dürfen nirgendwo und niemalsauf dem Verhandlungstisch liegen.
– Auch nicht in Russland, Herr Kauder. Da haben Sievöllig recht. Ich habe „nirgendwo“ gesagt.Ihre Vorvereinbarung auf dem letzten EU-Gipfel be-sagt, dass Sie Flüchtlinge vor allen Dingen aus Griechen-land wieder in die Türkei abschieben wollen. Sie habendas eben noch einmal dargelegt. Für jeden abgeschobe-nen Flüchtling sollen andere aus Syrien in die EU einrei-sen dürfen. Darunter sind im Übrigen unter Umständenauch Kurdinnen und Kurden. Stellen Sie sich vor, dassvon Griechenland Kurdinnen und Kurden in die Türkeiabgeschoben werden. Was ist denn das für eine Herange-hensweise? Das kann doch nicht wahr sein.
Das alles ist ein scheinheiliger Deal. Sie schaffen damitdas fundamentale Recht in der Europäischen Union aufein individuelles Asylverfahren ab. Dieses Recht ist abernun einmal ein Grundrecht.
Während in Idomeni im Dreck und in Fäkalien Kin-der geboren werden und leben müssen, machen Sie unsvor, dass es eine europäische Lösung geben kann. Siehaben völlig recht – auch Herr Blüm hat das gesagt –:500 Millionen Europäer müssten in der Lage sein, diesesProblem zu lösen. Ja, es muss eine europäische Lösungunter Einbeziehung der Menschen geben. Doch das Pro-blem ist: Europa folgt Ihnen nicht mehr. Sie haben ebende facto kein Wort zu den problematischen europäischenPartnern gesagt, weder zu Ungarn noch zu Polen oderzu Frankreich. Beim Verteilungsschlüssel wollen dieEU-Staaten nicht mitmachen. Das ist doch die reale Lage.Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, al-Hussein,bezeichnet die kollektive und willkürliche Ausweisungvon Flüchtlingen sogar als illegal. Das EuropäischeParlament ist gegen Ihren Vorschlag. Die Mehrzahl derEU-Staaten will nicht mitmachen.Es gibt dafür einen Grund: Frau Bundeskanzlerin, Siehaben einen Beitrag dazu geleistet, dass Europa so ent-zweit ist. Das hat auch mit Alleingängen und Drohun-gen Richtung Athen vor anderthalb Jahren zu tun. Das istdoch die Realität. Ist Ihnen aufgefallen, dass Nicht-EU-Staaten die Grenzen zu uns dichtmachen? Mazedonienbaut Grenzanlagen gegen die EU. Früher wollten dieseLänder die Schlagbäume Richtung EU einreißen. Das al-les ist auch das Ergebnis von zehn Jahren Ihrer Politik,Frau Merkel. Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik.
Sie sind mitverantwortlich für die politische, humanitäreund soziale Krise in Europa. Sie waren es doch, die sichmit ihrem Finanzminister geweigert hat, die Verantwort-lichen für die Wirtschafts- und Finanzkrise wirklich zurVerantwortung zu ziehen.Das, was Krise in Griechenland, Spanien und anderenLändern ist, ist im Übrigen auch Krise in unserem Land.Auch da sage ich ganz klar: Was waren denn die Rezep-te? Weiterhin die schwarze Null. Ein Ergebnis ist, dasses in unserem Land auf der einen Seite immer mehr Kin-der und immer mehr Rentnerinnen und Rentner in Armutgibt und dass auf der anderen Seite wenige Menschenextrem viel Geld besitzen, und zwar obszön viel Geld,meine Damen und Herren.
Warum wird die ungerechte Verteilung von Einkommenund Vermögen in Deutschland und Europa angesichtsdieser Krise nicht einmal thematisiert?
Kurz vor den Landtagswahlen kam der Vizekanzlermit der Forderung, in Deutschland müsse mehr in Sachen„sozial“ getan werden. Das, lieber Herr Gabriel, kamzwar spät und direkt vor den Wahlen – na ja –, aber esist völlig richtig. Auch wir sind dieser Auffassung. Aller-dings sind wir der Auffassung, dass es für alle in diesemLand ein Solidaritätspaket geben sollte. Ja, das solltenwir machen.
Deswegen gibt es unseren Entschließungsantrag. Wirfordern mehr Investitionen unter anderem in den sozialenWohnungsbau, ins Gesundheitswesen, in Schulen und inDr. Dietmar Bartsch
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Bildung. „5 x 5“ haben wir vorgeschlagen, also fünfmal5 Milliarden Euro für ein soziales Land, solide finanziert.Das muss doch wirklich möglich sein.
Meine Damen und Herren, es wurde in diesem Landbereits viel Vertrauen in die Politik zerstört. Was das be-deutet, haben wir alle am letzten Sonntag sehen können.Die Braunen im nationalkonservativen blauen Gewandsind in drei Landtage zweistellig eingezogen, und sie fi-schen ganz bewusst am ganz rechten Rand.
Die AfD ist aber nicht nur rechtspopulistisch und ras-sistisch. Nein, sie würde das Land sogar noch unsozi-aler machen. Die AfD spaltet die Gesellschaft. Sie willHartz IV absenken, den Mindestlohn abschaffen, dieFrauen zurück an den Herd schicken und fürs Vaterlandgebären lassen. Deshalb, meine Damen und Herren: Dasübliche Parteiengeplänkel ist keine Antwort auf die Fra-gen der Zeit. Alle in diesem Haus haben am 13. Märzverloren. Das muss man erst einmal anerkennen und ent-sprechend handeln.
Wir als demokratische Sozialistinnen und Sozialis-ten haben einen Vorteil. Wir sagen: Wir können niemalsglücklich sein, wenn andere unglücklich sind.
– Sie auch? Sehr schön. Nur mittun! Sie haben nachherdie Möglichkeit; denn dann findet eine wunderbare Ab-stimmung statt.
Die alten Recken der Union haben das im Übrigen be-griffen. Sie haben begriffen: Die Menschen in diesemLand wollen wieder ernst genommen und gehört werden,und sie wollen mehr soziale Gerechtigkeit. Wir habendas verstanden. Ich hoffe, Sie auch. Kommen Sie mit denentsprechenden Ergebnissen vom Gipfel zurück!Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion erhält nun Thomas Oppermann
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DerEU-Gipfel in den nächsten beiden Tagen wird einer derwichtigsten der letzten Jahre sein. Denn nach wie vor be-findet sich die Europäische Union in einer äußerst ange-spannten Lage. Es geht um die Frage: Überwinden wirdie Flüchtlingskrise gemeinsam auf einem europäischenWeg, oder zerfällt Europa in einzelne nationale Entschei-dungen?Wir haben in den letzten Wochen gesehen, wohin na-tionale Alleingänge führen: Das Schengen-System ist anvielen Stellen außer Kraft, es gibt diplomatische Span-nungen zwischen EU-Staaten, und Griechenland trägtzurzeit die ganze Last der Probleme. Das ist keine dau-erhafte Lösung, und das ist auch nicht der richtige Wegfür Europa.
Deshalb sind die Ergebnisse des EU-Türkei-Gipfelsder vergangenen Woche aus meiner Sicht ein gutes Zwi-schenergebnis. Es war auf diesem Gipfel das erste Malseit längerer Zeit wieder spürbar, dass es ein gemeinsa-mes Interesse an einer europäischen Lösung gibt. Des-halb hoffe ich sehr, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie inden nächsten beiden Tagen aus diesem Zwischenergeb-nis einen tragbaren, dauerhaften Kompromiss entwickelnkönnen.Dazu gehören für uns erstens ein Rücknahmeabkom-men zwischen der EU und der Türkei, zweitens eineVereinbarung über Flüchtlingskontingente, mit denenwir die Türkei entlasten und unsere eigenen humanitärenVerpflichtungen erfüllen können, drittens die europäischeUnterstützung von Griechenland und viertens ein klaresSignal, dass die EU entschlossen ist, die Fluchtursachenentschieden zu bekämpfen. Mit einem solchen Ergebniskönnen wir die Spaltung der Europäischen Union in derFlüchtlingsfrage überwinden und die Flüchtlingsströmereduzieren und wieder in geordnete Bahnen lenken.
Vor allem aber ist es wichtig, dass alle Flüchtlingewissen: Wer mit Schleppern über die Ägäis kommt, dermuss damit rechnen, wieder zurückgeschickt zu werden.Denn erst dann werden die Flüchtlinge aufhören, ihre Er-sparnisse den Schleppern anzuvertrauen, und erst dannwerden wir in der Lage sein, den kriminellen Banden inder Ägäis endlich das Handwerk zu legen.
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass diese Lö-sung nicht jedem gefällt. Der UN-Menschenrechtskom-missar hat die geplante Rückführung von Flüchtlingenkritisiert.
Das ist ein gewichtiges Wort, das wir ernst nehmen müs-sen. Ich bin mir sicher, dass der EU-Gipfel diese Kritikaufnehmen und menschenwürdige und rechtskonformeLösungen finden wird, um die Zusammenarbeit mit derTürkei zu ermöglichen. Das ist aus zwei Gründen wich-tig:Erstens. Die Sicherung der europäischen Außengren-ze in der Ägäis ist ohne die Kooperation zwischen Grie-chenland und der Türkei ausgesprochen schwierig. Wennuns hier keine Übereinkunft mit der Türkei gelingt, dannwird es überall in Europa zu einer nationalen Grenz-Dr. Dietmar Bartsch
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schutzpolitik, zu einer Renationalisierung der Grenzenund zu einer schweren Beeinträchtigung der Freizügig-keit und der Reisefreiheit kommen.Ich darf daran erinnern: In Deutschland hängt jedervierte Arbeitsplatz direkt von der Exportwirtschaft ab.
Der Export-Vizeweltmeister Deutschland als abgeschot-teter Nationalstaat: Das wäre ein Treppenwitz der Ge-schichte. Mit Grenzschließungen können wir unserenWohlstand nicht erhalten.
Zweitens. Trotz aller berechtigten Kritik an PräsidentErdogan und seiner Politik gilt: Syrische Flüchtlinge sindin der Türkei sicher. Die Türkei gibt mehr Syrern Schutzund Sicherheit als alle anderen europäischen Länder zu-sammen.
Deshalb ist eine überhebliche und herablassende Haltunggegenüber der Türkei in der Flüchtlingsfrage völlig un-angebracht.
Es gibt in diesem Land allerdings zwei gravierendeMängel bei der Flüchtlingsunterbringung.
Darf die Kollegin Hänsel eine Zwischenfrage stellen?
Ja, bitte.
Danke schön, Herr Präsident und Herr Oppermann,
für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. – Sie
sagten, mit Grenzschließungen werde unser Wohlstand
nicht zu halten sein. Meine Frage ist: Werden wir mit
unserer derzeitigen Handelspolitik, durch die die Län-
der des Südens, die afrikanischen Länder, ausgebeutet
werden, unseren Wohlstand weiterhin halten können?
Brauchen wir hier nicht noch ganz andere grundsätzliche
politische Veränderungen? Ansonsten werden wir doch
nicht dazu beitragen, dass es weniger Menschen gibt, die
fliehen müssen.
Sie können sich doch nicht nur darauf konzentrieren,
zu sagen, dass wir unseren Wohlstand halten und versu-
chen müssen, unseren Binnenmarkt zu erhalten, sondern
wir brauchen hier doch eine andere Politik.
Zum einen: Frau Kollegin Hänsel, dass Sie den Wohl-stand erhalten wollen, hat der Kollege Bartsch, Ihr Frak-tionsvorsitzender, hier eben noch einmal bekräftigt.
Er hat gesagt: Die Linken sind nicht glücklich, solangenicht alle anderen glücklich sind. – Ohne wirtschaftli-chen Wohlstand geht das nicht wirklich.
Zum anderen: Natürlich müssen wir die Abhängig-keitsverhältnisse in der Weltwirtschaft abbauen. Wirversuchen das auch mit einer Politik der wirtschaftli-chen Zusammenarbeit. Diese Bundesregierung hat ausHaushaltsüberschüssen in der mittelfristigen Finanzpla-nung 8 Milliarden Euro zusätzlich für wirtschaftlicheZusammenarbeit zur Verfügung gestellt. Ich glaube, wirwerden auch sehr stark gefordert sein, wenn es gelingt,den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden; denn wenn die-ser Bürgerkrieg zu Ende ist, muss das Land wieder auf-gebaut werden. Der syrische Bürgerkrieg ist aber nichtetwa aufgrund eines direkten Ausbeutungsverhältnissesentstanden. Er hat völlig andere Ursachen. Deshalb mussdieser Krieg erst einmal beendet werden, wenn wir in derRegion zu einer nachhaltigen Politik kommen wollen.
Die Türkei hat 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenom-men. Diese syrischen Flüchtlinge in der Türkei werdendort auch akzeptiert. Die Menschen haben Verständnisfür die Fluchtgründe; aber es gibt zwei gravierende Pro-bleme. Dabei geht es zum einen um den Zugang zu me-dizinischer Versorgung und zum anderen um den Zugangzu Bildungsmöglichkeiten für die Kinder. Genau diesebeiden Dinge aber können und werden wir ändern, indemwir 3 Milliarden Euro Unterstützung aus der EU primärgenau für diese beiden Bereiche einsetzen werden.
Flüchtlinge haben ein Recht auf Schutz, aber sie ha-ben keinen Anspruch darauf, selber bestimmen zu kön-nen, welches Land diesen Schutz gewähren muss. Wer inein bestimmtes Land einreisen möchte, der muss schondie Einreise- und Einwanderungsbestimmungen diesesLandes beachten. Die Flüchtlinge haben einen Anspruchauf Schutz, aber keinen Anspruch auf freie Wahl desSchutzlandes.Meine Damen und Herren, die Türkei bietet syrischenFlüchtlingen Sicherheit. Das heißt aber natürlich nicht,dass auch sonst in der Türkei alles in Ordnung wäre. ImGegenteil: Erdogan verletzt Menschenrechte. Er gehtbrutal gegen die kritische Opposition vor, lässt Protesteniederknüppeln und bekämpft die Kurden mit rücksichts-losen Militäreinsätzen. Die Presse in der Türkei wirdeingeschüchtert. Bei Bedarf werden regierungskritischeZeitungen gestürmt und einer staatlichen Kontrolle un-terworfen. Dazu sagen wir ganz klar: Dieser Umgang mitThomas Oppermann
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Opposition und Meinungsfreiheit ist einer Demokratienicht würdig.
Aber, meine Damen und Herren, die Türkei wünschtsich eine Perspektive mit Blick auf die Europäische Uni-on. Und wenn jetzt neue Verhandlungskapitel eröffnetwerden, dann ist das auch eine Chance, auf grundlegendeVeränderungen in der Türkei hinzuarbeiten und die Men-schenrechtslage dort nachhaltig zu verbessern.Meine Damen und Herren, die AfD-Ergebnisse bei denLandtagswahlen am vergangenen Wochenende warenzweifellos ein Warnsignal. Auch Deutschland ist nichtimmun gegen rechtspopulistische Parteien, die in unsereLandtage einziehen. Aus anderen europäischen Ländernwissen wir: Das wäre schleichendes Gift für eine weltof-fene, liberale und gerechte Politik. Deshalb sage ich: Wirmüssen uns mit den Gründen für den Wahlerfolg dieserPartei auseinandersetzen, und davon gibt es eine ganzeReihe. Ein Teil der Wähler vermisst eine konservativepolitische Heimat. Ein anderer Teil fühlt sich von demsogenannten politischen Establishment nicht mehr ver-treten. Und manche wollen mit ihrer Wahl einfach ihrenProtest ausdrücken – ob gegen die Euro-Rettung oder dieFlüchtlingspolitik.Mir zeigt der Erfolg der AfD aber vor allem eines: DieSpaltung der Gesellschaft hat schon begonnen. Deshalbsind die richtigen Aufgaben für die Politik jetzt folgende:Wir müssen erstens den Riss, der in der Flüchtlingspo-litik mitten durch unsere Gesellschaft geht, wieder kittenund die Zahl der Flüchtlinge auf ein vernünftiges Maß re-duzieren. Wir brauchen zweitens ein finanziell kraftvollausgestattetes Integrationsgesetz mit klaren Regeln undAngeboten für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive.
Wir brauchen drittens ein Einwanderungsgesetz, mit demwir Deutschland als Einwanderungsland gestalten undmit dem wir die Einwanderung von Fachkräften sinnvollsteuern können.
Wir müssen viertens den Staat wieder zum unbestrittenenGaranten für die öffentliche Sicherheit in diesem Landemachen. Aber vor allem müssen wir fünftens die sozialeSpaltung der Gesellschaft stoppen.Um zu wissen, was die Menschen in diesem Landeumtreibt, lohnt sich übrigens ein Blick in unseren Ko-alitionsvertrag. Über 1 Million Leiharbeiter und Werk-vertragsnehmer warten auf eine anständige Regulierungder Leiharbeit und darauf, dass wir den Missbrauch vonWerkverträgen stoppen.
Die Lohnlücke bei der Bezahlung von Männern undFrauen und die trotz jahrzehntelanger Arbeit drohendeAltersarmut bei Niedrigverdienern empfinden viele alseine große Ungerechtigkeit.
Unsere Kommunen warten auf die versprochenen Entlas-tungen, die jetzt tatsächlich kommen müssen.
Millionen von Menschen wünschen sich, dass die Politikdie antiquierte Eingliederungshilfe reformiert und Men-schen mit Behinderungen die Möglichkeit gibt, ihr Lebenselbstständig und autonom zu gestalten.
– Wir sind mittendrin.
Meine Damen und Herren, keines dieser Probleme istdurch die Flüchtlingskrise weniger wichtig geworden.Deshalb müssen wir den Menschen jetzt zeigen: Wirwerden die Probleme anpacken und die Lösungen umset-zen, so wie das vereinbart worden ist.
Für mich hat der Wahlkampf in Rheinland-Pfalz vorallem eines gezeigt: dass den Menschen in Deutschlandder Zusammenhalt der Gesellschaft ganz besonders amHerzen liegt. Dieser Wunsch hält viele Menschen davonab, in großer Zahl die AfD zu wählen – aber nur dann,wenn wir tatsächlich in Integration und in sozialen Zu-sammenhalt investieren. Gerade die Ärmsten, die Ar-beitslosen und die Migranten, die hier schon leben – daskann ich sagen, ohne irgendwelche Gruppen gegeneinan-der auszuspielen –, sind doch die Ersten, die zu Flücht-lingen in Konkurrenz geraten können oder zumindest dasGefühl haben, dass das passieren könnte. Deshalb war esabsolut richtig, dass wir eine Ausnahme vom Mindest-lohn für Flüchtlinge strikt zurückgewiesen haben, meineDamen und Herren.
Deshalb werden wir darauf bestehen und daran arbei-ten, dass diese Dinge jetzt angepackt und umgesetzt wer-den. Wir dürfen bei der Integration nicht an den falschenStellen sparen. Wir müssen Wohnungen schaffen, Erzie-herinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer einstel-len sowie Ausbildungsplätze und Kapazitäten an Berufs-schulen bereitstellen. Wir müssen Eingliederungen fürden Arbeitsmarkt aktivieren. Wir müssen die Flüchtlingeund die Langzeitarbeitslosen in Arbeit bringen.
Dazu werden wir den Haushalt 2017 nutzen.Thomas Oppermann
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Ich freue mich auf die konstruktiven Gespräche, diewir dazu in der Koalition haben werden. Ich sage: Wirhaben viel zu tun. Lassen Sie uns das gemeinsam anpa-cken!Vielen Dank.
Anton Hofreiter erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, für Ihregrundsätzliche Linie in der Flüchtlingspolitik der letztenMonate haben Sie auch von meiner Partei viel Respektund Zustimmung erfahren.
Sie haben der zum Teil hysterischen Stimmung in Ihreneigenen Reihen nicht nachgegeben – auch nicht der beider CSU – und sich im Grundsatz an Humanität und Soli-darität orientiert. Ja, Ihre Partei hat bei den Wahlen nichtdavon profitiert. Aber Ihre Haltung ist durch die Erfolgevon Malu Dreyer und Winfried Kretschmann inhaltlichbestätigt worden.
Die große Mehrheit in unserem Land hat Parteiengewählt, die eine humane, eine realistische und eine eu-ropäische Flüchtlingspolitik unterstützen. Die Mehrheitunserer Bevölkerung bleibt gelassen und hält Kurs, liebeKolleginnen und Kollegen. Das sollte uns alle freuen.
Unser Ziel muss eine europäische Lösung bleiben, diedas individuelle Recht auf Asyl bewahrt, GeflüchtetenSchutz bietet und in der Tat auch unsere Außengrenzensichert.Sie, liebe Frau Bundeskanzlerin, sagen, Sie wollenKurs halten. Aber zurzeit sprechen Ihre Taten leider eineandere Sprache. Als sich vor einem halben Jahr die dra-matischen Szenen in Budapest ereignet haben, haben Siegeholfen. Heute ereignen sich ähnlich dramatische undzum Teil noch dramatischere Szenen in Idomeni. Wobleibt da Ihre Hilfe? Wo bleibt da das Signal aus Deutsch-land? Dieses Mal tun Sie nichts, und das ist beschämendfür die Bundesregierung und für unser Land.
Dabei wäre angesichts der Bedingungen, unter denen dieMenschen dort leben, humanitäre Soforthilfe nötig.Im Rahmen des beschlossenen europäischen Verteil-mechanismus müssten auch wir 28 000 Geflüchtete ausGriechenland aufnehmen. Warum zaudern Sie? Warumzaudert die Bundesregierung, die von Ihnen selbst hoch-gehaltenen Beschlüsse umzusetzen? Ich spreche garnicht von den insgesamt 160 000 Geflüchteten. Der deut-sche Anteil sind 28 000. Warum gehen wir nicht als gutesVorbild bei der Umsetzung voran, indem wir die 28 000Geflüchteten aufnehmen? Damit wäre vielen Menschenin Griechenland geholfen. Handeln Sie endlich! Es istZeit.
Auch mit Blick auf den Deal, der beim EU-Gipfeldroht, habe ich sehr große Zweifel daran, dass Sie ge-denken, Ihren Kurs beizubehalten. Denn es droht uns einschmutziger Deal. Wenn man die Unterlagen genau stu-diert, dann stellt man fest, dass da Formulierungskünstleram Werk sind, die den Anschein erwecken wollen, dassalle Geflüchteten ein faires Verfahren erhalten würden.Aber seien Sie doch ehrlich: Nur Syrer sollen noch nachEuropa kommen; alle anderen sollen in die Türkei zu-rückgeschickt werden. Seien Sie ehrlich: Das ist de factonichts anderes als eine flexible Obergrenze. Deshalb fra-ge ich mich – und das frage ich auch die lieben Kolle-ginnen und Kollegen von der CSU –, warum sich HerrSeehofer wieder wie Rumpelstilzchen aufführt.
Bei dem Deal, der uns droht, sind Geflüchtete keineIndividuen mehr, deren Schutzbedürftigkeit im Einzelfallentsprechend geprüft wird. Es sind nur noch Rechengrö-ßen im Tauschhandel zwischen der Europäischen Unionund der Türkei, bei dem zum Beispiel Afghanen und Ira-ker komplett unter den Tisch fallen. Das ist unmensch-lich. Das ist Europas unwürdig, und es ist inakzeptabel.Deshalb: Stoppen Sie das, Frau Merkel!
Ich gebe Ihnen völlig recht, Frau Merkel, dass es be-schämend ist, dass dieses Europa – 28 Nationalstaatenund 505 Millionen Einwohner allein in der EuropäischenUnion – nicht in der Lage ist, einige HunderttausendGeflüchtete bei uns unterzubringen und immer nur aufeinzelnen nationalen Lösungen besteht. Ich mache Ihnennicht den Vorwurf, dass Sie alleine an dem vergiftetenKlima in Europa Schuld sind. Aber in den anderen euro-päischen Ländern ist nicht vergessen worden, dass es erstgut zwei Jahre her ist, dass Italien in großen Schwierig-keiten war und um eine solidarische Lösung gebeten hat,als viele Geflüchtete nach Lampedusa kamen. Damalshat ein deutscher Innenminister gesagt: Das ist ein reinnationales Problem; das ist allein das Problem von Itali-en. – Insofern glaube ich: Wenn in Europa immer nur die-jenigen für eine solidarische Lösung kämpfen, die geradein dem Moment Solidarität brauchen, dann wird Europanicht funktionieren.
Thomas Oppermann
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Jetzt ist das alles vergossene Milch. Bei uns ist dasweitgehend vergessen. Aber ich sage Ihnen, Frau Merkel:In den anderen europäischen Ländern ist das nicht ver-gessen. Deshalb: Geben Sie sich einen Ruck, und hörenSie nicht auf, weiter für eine solidarische Lösung zukämpfen. Geben Sie sich aber vor allem einen Ruck, undsagen Sie: Es tut uns leid. In der Vergangenheit, als an-dere auf Solidarität angewiesen waren, waren wir unso-lidarisch. Wir haben jetzt verstanden, wie problematischdas ist. – Ich glaube, wenn Sie das deutlich aussprechenwürden, wenn Sie sich bei Italien entschuldigen würden
für die Haltung, die damals der deutsche Innenministerinnehatte, dann würde man sich viel leichter tun, zu einersolidarischen Lösung und zu einer gemeinsamen Zusam-menarbeit zu kommen. Wenn man bereit ist, die eigenenFehler und die eigene Unsolidarität zuzugeben, dannwerden die Verhandlungen leichter werden. Wenn manhingegen immer nur mit dem Finger auf andere zeigt,wird es problematisch.
Die Türkei hat sehr viele Geflüchtete aufgenommen,und zwar mehr als die gesamte Europäische Union. Dassehen wir, und das muss man anerkennen. Aber manmuss auch sehen, dass es in der Türkei kein faires Verfah-ren für Geflüchtete gibt. Schlimmer noch: Zum Teil ist inBerichten zu lesen, dass die Türkei Geflüchtete zurückin den Bürgerkrieg schickt. Wenn Sie nun, liebe Bun-deskanzlerin, unsere humane Verantwortung, die Ver-antwortung Europas zur Wahrung der Menschenrechte,auf Erdogan abschieben, dann ist das nur noch grotesk.Hören Sie damit auf! Beenden Sie das!
Die Türkei steht am Rande eines Bürgerkriegs. Dieschrecklichen Anschläge in der Türkei bedrücken unsalle. Es muss uns wirklich besorgt machen, dass die Re-gierung Erdogan das Land mehr spaltet als vereint sowiemassiv gegen die Menschen- und Bürgerrechte ihrer ei-genen Bürgerinnen und Bürger verstößt.Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, Ihre Bemer-kung, wir sollten uns nicht zum Schiedsrichter beim The-ma Menschenrechte aufspielen, ist eine Unverschämtheit
gegenüber denen, die unter Erdogans Repressionen undden Angriffen der türkischen Armee in den Kurdengebie-ten leiden. Diese Bemerkung ist eine Unverschämtheitgegenüber den Journalisten und Oppositionellen, die imGefängnis sitzen. Da darf Europa nicht wegschauen. Dadarf Europa nicht schweigen, und dazu darf auch dieBundesregierung nicht schweigen. Hierzu muss man sichganz deutlich äußern.
Es ist richtig, die Türkei finanziell zu unterstützen.Auch bei der Visafreiheit haben Sie unsere Unterstüt-zung. Aber wir appellieren an Sie, Frau Merkel: GehenSie nicht jeden Deal bei den bevorstehenden Verhand-lungen ein! Lassen Sie sich nicht von den Seehofern, denOrbans und den anderen Asylgegnern in Europa treiben!Verraten Sie nicht die Werte Europas! Verraten Sie nichtdie Geflüchteten! Verraten Sie nicht die Menschen, die andie Werte Europas glauben, beim nächsten Gipfel!
Lassen Sie sich auch nicht von der AfD vorantreiben.Die AfD, wie wir sie erlebt haben, verfolgt reaktionäre,völkische und menschenverachtende Ziele. Wir müssenmit ihr streiten und deutlich machen, dass Hass keineAlternative für Deutschland ist. Das tun wir Grüne mitunseren Argumenten und die SPD und die Union mitihren. Das wird nicht immer gleich klingen. Aber einessollte uns allen klar sein: Keiner von uns darf den rassis-tischen Motiven hinterherlaufen. Das ist keiner der hierim Hohen Hause vertretenen Parteien würdig. Es bringtzudem keinen Erfolg; denn im Zweifel wählen die Men-schen lieber das Original für rechte Sprüche, und dasOriginal für rechte Sprüche ist nun einmal die AfD. Las-sen Sie uns streiten mit sachlichen Argumenten über dieFlüchtlingspolitik, über Verteilungspolitik und über dieEuro-Politik. Nichts ist alternativlos. Demokratische Par-teien bieten Alternativen. Streit ist fruchtbar, wenn er aufdem Boden des Grundgesetzes geführt wird. Weite Teileder AfD und ihres Umfeldes tun das aber nicht. Der Hassin den sozialen Netzwerken, auf den Pegida-Demons-trationen und in den AfD-Wahlprogrammen verletzt denpolitischen Grundkonsens unserer Republik. Deren Al-ternativen sind keine Alternativen, sondern Angriffe aufunsere Werte, und zwar auf unsere gemeinsamen Werte.
Nicht nur der Streit in der Regierung und über denUmgang mit den Geflüchteten spielt der AfD in die Kar-ten. Was der AfD jenseits der harten Rechtsextremistenunter ihren Wählern weiterhin in die Karten spielt, ist,dass viele Menschen gefühlt Angst vor dem sozialenAbstieg haben, unabhängig davon, ob sie wirklich da-von bedroht sind oder nicht. Das liegt auch daran, dassviele Menschen das Empfinden haben, dass die sozialeHerkunft stark die Bildungs- und Aufstiegschancen be-stimmt. Das Versprechen der sozialen Marktwirtschaftist doch: Aufstieg aufgrund eigener Leistung ist möglich.Dieses Versprechen löst unser Wirtschaftssystem zu häu-fig nicht mehr ein. Dieses gebrochene Versprechen istbrandgefährlich für den Zusammenhalt. Wer etwas ge-gen die Menschenfeindlichkeit tun will, der muss auchfür eine gerechtere Gesellschaft arbeiten, für mehr Chan-cen für alle.
Herr Kollege.
Die SPD und Sigmar Gabriel haben dazu ein paarrichtige Vorschläge gemacht. Aber Herr Gabriel hat seinSolidarpaket unter dem Motto verkauft: Jetzt sind auchDr. Anton Hofreiter
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einmal die Deutschen dran. – So spielt man aber Men-schen gegeneinander aus. So bestätigt man das Motivder AfD. Das ist keine konstruktive, das ist keine linkePolitik.
Die Abgehängten und die sich abgehängt Fühlendenanzusprechen, ohne Ressentiments zu bedienen, dasmüsste die SPD doch schaffen. Deshalb: Achten wirdarauf, dass wir diesen Parolen nicht hinterherlaufen.Weder durch Arroganz noch durch Hinterherlaufen oderdumme Sprüche werden wir die AfD bekämpfen. Wir ha-ben eine Verantwortung für die Demokratie. Werden wirihr gerecht – hier im Bundestag, in den Landtagen undauf den europäischen Gipfeln.
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun Volker Kauder
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Wieder einmal, so könnte man fragen, ein neuer Gipfel,und was wird das Ergebnis dieses Gipfels sein? Aberwenn wir uns die letzten Gipfel anschauen, dann sehenwir, dass wir immer vorangekommen sind. Wir habenin Europa schon immer erlebt, dass es manchmal etwaslangsam und schwierig gegangen ist, dass wir aber danndoch zu Ergebnissen gekommen sind. Ja, auch mir gehtes bei der Frage der europäischen Flüchtlingspolitik zulangsam. Deshalb ist es aber doch richtig, dass wir dieje-nige unterstützen und derjenigen Erfolg wünschen, der esauch zu langsam geht, nämlich unserer Bundeskanzlerin.
– Da darf der Beifall bei unserem Koalitionspartner ruhigetwas größer sein;
denn ich gehe davon aus, dass auch Sie den Erfolg wol-len.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ja,das Gesicht, das Europa im Augenblick in Griechenlandzeigt, ist nicht das Gesicht von Europa, das ich mir in derganzen Welt vorstelle.
Das, was wir in Griechenland erleben, ist aber das Er-gebnis davon, dass Europa nicht schnell genug gehandelthat, und das ist das Ergebnis ausschließlich nationalerMaßnahmen.
Das zeigt, dass wir eine wirkliche Lösung nur hinbekom-men, wenn wir europäisch handeln.Jetzt, Herr Kollege Hofreiter: Wir müssen schon dieWirklichkeit richtig darstellen. Ein Teil des Protestpoten-zials, das sich auch – nicht nur, aber auch – in Stimmenfür die AfD zeigt, hängt auch damit zusammen, dass wirdie Dinge, wie sie wirklich sind, manchmal nicht so rich-tig bezeichnen. Wenn Sie jetzt versuchen, die Situation inGriechenland mit der damals in Ungarn zu vergleichen,dann ist das eben nicht fair.
– Nein. In Ungarn gab es eben keine Möglichkeiten fürdie Flüchtlinge, in entsprechende Einrichtungen zu ge-hen.Die Ungarn haben die Flüchtlinge auf die Straße ge-schickt, damit sie woanders hingehen; aber in Griechen-land gibt es Plätze, wohin die Flüchtlinge gehen können.
Insofern besteht ein Unterschied, und das sollten wirauch sagen.Richtig ist aber auch – das sieht man an diesem Bei-spiel –, dass es mit europäischen Werten nichts zu tunhat, wenn wir denjenigen im Stich lassen, der jetzt dieganze Last tragen soll, nach dem Motto: Es interessiertuns nicht, was die Griechen zu tun haben. – Das geht aufgar keinen Fall. Es bringt Europa an den Rand des Zer-falls, wenn so gedacht wird. Wir wären dann nicht mehrfüreinander da, und wir würden uns dann nicht mehr inschwierigen Situationen helfen. Das wäre nicht das Eu-ropa, wie ich es mir vorstelle. Dafür kämpft die Bundes-kanzlerin auch auf dem bevorstehenden Gipfel.
Ich wünsche ihr dabei viel Erfolg.Es wird – auch dies ist klar – ohne den Beitrag derTürkei nicht gehen. Deswegen ist es richtig, dass wir mitder Türkei darüber sprechen, welchen Beitrag sie leistenkann, und dass wir der Türkei auch klar sagen, wie es dieBundeskanzlerin gesagt hat: Das, was ihr macht, ist nichtnur etwas, was ihr für uns in Europa tut, sondern es istauch etwas, was die Türkei für sich selber tut. – Sie hatalso ein Eigeninteresse. Trotzdem ist klar, dass wir mitder Türkei auch darüber reden müssen, welche Wünscheund Vorstellungen sie hat.Ich bin froh darüber, Herr Kollege Hofreiter, dass Siegesagt haben: Die finanziellen Leistungen an die Türkeisind richtig, und sie sind auch notwendig, um dort mitzu-helfen, zu stabilisieren und damit Fluchtursachen zu re-duzieren. Jetzt hat die Türkei noch eine Reihe von ande-ren Wünschen. Man muss mit der Türkei darüber reden,was gehen kann und was nicht gehen kann.Dr. Anton Hofreiter
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Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht – ich wäre derLetzte, der das bestreiten würde; schließlich habe ich esbereits mehrfach gesagt –: Wir müssen mit der Türkeireden – ich habe nie etwas anderes gesagt –, obwohlsich mir dabei manche Fragen im Hinblick auf meinenEinsatz für Religionsfreiheit und verfolgte Christen stel-len. Wir, die Unionsfraktion, haben der Bundeskanzle-rin immer gesagt: Wir wollen, dass das nächste Kapitel,das bei den Verhandlungen mit der Türkei eröffnet wird,Menschenrechte, Rechtsstaat und Religionsfreiheit undkein anderes Thema betrifft. Wenn das jetzt geschieht,dann werde ich mir die eine oder andere Diskussion inder Türkei und mit der Türkei notwendigerweise leisten.Auch das ist klar. Aber das heißt doch nicht, dass wir jetztüberhaupt nicht mit der Türkei darüber sprechen, wie sieuns helfen kann, bei diesem wichtigen Thema voranzu-kommen.
Wir müssen lernen, dass wir mit Ländern, bei denenwir glauben, dass sich im Rechtsstaatsdialog mit ihneneiniges verändern muss, reden, dass wir klare Kante zei-gen, wenn es um unsere Positionen geht, dass wir sie aberauch dort mitnehmen, wo sie Beiträge im gemeinsamenInteresse leisten müssen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, dasswir nicht von uns aus nach dem Motto vorgehen: Jetztsteht der schnelle Beitritt der Türkei vor der Tür. Das ent-spricht nicht der Wahrheit. Es trüge zur Verunsicherungin der Bevölkerung bei und auch dazu, dass der eine oderandere sagt: Dann suche ich mir ein Ventil in einer Par-tei wie der AfD. Deswegen müssen wir alle miteinanderüberlegen – auch in diesem Hohen Haus –, welchen Bei-trag wir durch unsere Diskussionsbeiträge dazu leisten,dass Menschen verunsichert werden und sich dann einenanderen Weg suchen, statt bei den Parteien zu bleiben,die für das Wohl dieses Landes mehr getan haben, alsParteien wie die AfD jemals tun werden.
Dazu trägt auch bei, dass wir, die wir in einer Koaliti-on sind, das tun, was wir vereinbart haben, und nicht nurständig darüber reden, was wir tun wollen. Deswegen istes besser, zunächst einmal miteinander zu sprechen, be-vor man ein neues Programm heraushustet.
Ich kann nur sagen: Peter Struck hat einmal zu mirgesagt: Wenn du etwas heraushustest, ohne es vorher mitmir besprochen zu haben, dann kannst du das gleich inmeine Pfeife stopfen.
Deswegen kann ich nur raten, dass man sich als Koa-lition nicht über das Wochenende in Wochenendmagazi-nen mit neuen Vorschlägen überrascht, sondern vielleichtvorher miteinander spricht. Mit mir hat man auf jedenFall nicht gesprochen – um das einmal klar zu sagen.
Lieber Kollege Oppermann, das gilt natürlich wech-selseitig auch für die andere Seite. Das sage ich in beideRichtungen.
– Frau Göring-Eckardt, wir können das nachher auchbilateral klären. Jetzt lassen Sie erst einmal die Ba-den-Württemberger ihre Gespräche führen, und dann re-den wir miteinander.
Ich möchte darauf hinweisen, dass das deswegenschwierig ist, weil wir einen Punkt – auch in den Reden,die heute gehalten worden sind – völlig vernachlässigtbzw. gar nicht angesprochen haben. Es geht doch jetztnicht in erster Linie darum, neue Pakete zu schnüren, alsob wir bisher gar nichts getan hätten. Vielmehr hat dieseKoalition im sozialen Bereich doch sehr viel auf den Weggebracht. Bei dem einen waren wir nicht so fröhlich da-bei, bei dem anderen aber schon.Wir haben für 9 Millionen Mütter die Mütterrentegeschaffen. Wir haben die Rente mit 63 geschaffen. Au-ßerdem haben wir den Mindestlohn eingeführt. Insofernkann man doch nicht so tun, als ob man jetzt erst damitanfangen müsste, in diesem Bereich etwas zu tun. Ma-chen wir uns doch nicht selbst kleiner, als wir wirklichsind, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Jetzt kommt mein Thema: Wir diskutieren immer wie-der darüber, wie es mit der Rente weitergeht und ob dasRentenniveau in Ordnung ist. Dazu muss man die ganzeWahrheit sagen. Wir sind aktuell nicht bei einem Ren-tenniveau von 42 Prozent angekommen, wie immer wie-der behauptet wird. Wir werden bei diesem Niveau auchniemals ankommen, wenn wir endlich einmal verstehen,dass – –
– Das ist ganz falsch. Darüber reden wir gleich aber auchnoch.Wir werden auf diesem Niveau gar nicht erst ankom-men, wenn wir weiterhin wirtschaftlich stark bleiben.Wirtschaftliche Stärke und Wachstum werden das Ren-tenniveau nicht nach unten, sondern nach oben bringen.
Deswegen sage ich auch, dass wir in erster Linie einenPakt für Wachstum und Innovation in diesem Land brau-chen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Gestern ist die CeBIT eröffnet worden. Wenn mansieht, was dort passiert – darüber wird heute gar nichtVolker Kauder
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gesprochen –, kann ich nur sagen: Es ist richtig, dass wirin Infrastruktur investieren.
– Ja, ja. – Ich will einmal Folgendes sagen: Wenn wir esnicht zügig angehen, dieses Land von der Struktur her fitzu machen für die neuen Herausforderungen, dann wer-den wir kein einziges soziales Problem mehr lösen, liebeKolleginnen und Kollegen. Deswegen sind Innovationund Wachstum die entscheidenden Punkte.
Wir müssen die Menschen auch damit einmal konfrontie-ren und ihnen sagen, dass wir das wollen.
Es ist mit Blick auf die Wahlergebnisse, die uns amvergangenen Sonntag präsentiert worden sind, auch rich-tig, dass die Flüchtlingsfrage wie ein Katalysator gewirkthat. Sie war nicht das Einzige, was Menschen dazu be-wogen hat, nicht mehr uns oder die Parteien zu wählen,die sie bisher gewählt haben, aber sie war ein Katalysa-tor, durch den vieles aufgebrochen ist. Dabei geht es jetztgar nicht um die Benachteiligten.Da sind vielmehr Menschen auf einmal sauer darü-ber – sie haben das auch formuliert –, dass seit längererZeit die Themen „Innere Sicherheit“ oder „Einbruchs-kriminalität“ überhaupt nicht richtig behandelt werden.Dazu kann ich nur sagen: Wir in der Koalition hättenbeim passiven Einbruchschutz auch mehr tun können;vielleicht können wir das noch nachholen.
Da glauben Menschen, dass die Bekämpfung von Kri-minalität in bestimmten Regionen gar nicht mehr statt-findet. Es ist doch dramatisch, wenn wir in Zeitungen amWochenende lesen müssen, dass es in Dortmund, in Ber-lin und überall Viertel gibt, wo die Polizei schon längstdie Waffen gestreckt hat und nichts mehr passiert.
Da kann ich nur sagen: Es wäre wirklich kurzsichtigund würde kein einziges Problem lösen, wenn wir glau-ben: Ausschließlich das Flüchtlingsthema hat die Men-schen zur AfD gebracht. – Das belegt die Wahlanalysehundertprozentig nicht, meine sehr verehrten Kollegin-nen und Kollegen.
Wir sprechen ständig davon, Herr Hofreiter: Es mussmehr für Bildung und, und, und getan werden.
So stimmt das aber nicht. Wenn ich in mein Heimatlandschaue, dann muss ich sagen:
Es ist nicht das Thema, mehr für Bildung zu tun, sondernes geht darum, das Falsche zu vermeiden und das Richti-ge zu tun. Das ist der entscheidende Punkt.
Aber darüber diskutieren wir nicht hier im DeutschenBundestag, sondern das muss in den Ländern stattfinden.
Ich wehre mich ein bisschen dagegen, dass jedes Pro-blem, das in den Ländern nicht richtig behandelt wird,hier bei uns im Bund abgeladen werden soll. So funkti-oniert Föderalismus auf gar keinen Fall. Wir werden unsdaran auf jeden Fall nicht beteiligen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, jetzt haben wirauf dem Gipfel eine große Aufgabe vor uns. Ich glau-be, dass mehr europäische Länder erkannt haben, dassdas, was sich im Augenblick in Griechenland abspielt, sonicht gehen kann, so nicht funktionieren kann. Deswegenwünsche ich der Bundeskanzlerin, dass sie mit ihrer Mis-sion auf dem Gipfel Erfolg hat. Ich will, dass Europa einmenschliches Gesicht zeigt und nicht das zeigt, was sichjetzt gerade in Griechenland abspielt.
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Högl für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Herr Kauder,
wenn Sie festgestellt haben, dass es in Berlin Viertel gibt,in denen die Polizei nicht mehr präsent ist und Krimina-Volker Kauder
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lität nicht mehr bekämpft, dann empfehle ich, dass Siedas dem Berliner Innensenator, Herrn Henkel, mitteilen.
Wenn Sie das nicht machen, übernehme ich das gern.Ich muss Ihnen sagen: Ich als Berliner Bundestagsab-geordnete habe das noch nicht feststellen können.
Ich finde, wir sollten so etwas auch nicht herbeireden.Unsere Polizei ist landauf, landab gut aufgestellt, auchin Berlin.
Lieber Herr Kauder, in der Koalition können wirgleich morgen über mehr Geld für die Einbruchsicherungund auch über mehr Unterstützung für die Polizei spre-chen. Da haben Sie uns, die SPD-Bundestagsfraktion,wirklich ganz an Ihrer Seite.
Sie wissen auch, dass wir bei den Gesprächen immereher in diese Richtung gedrängelt haben, als dass wir dablockiert haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lenke unserenBlick wieder zurück auf die Lage in Europa und auf denbevorstehenden Gipfel. Ich möchte damit beginnen, dassich noch einmal hervorhebe, dass die Lage in Griechen-land und die Bilder aus Idomeni uns jeden Tag vor Augenführen – das sage ich jetzt sehr deutlich –, wie grausamGrenzschließungen sind und welch gravierender Verstoßgegen Menschenrechte und gegen internationales Asyl-recht diese Grenzschließungen zwischen Mazedonienund Griechenland sind und wie absurd, sinnlos und hilf-los solche nationalen Alleingänge sind. Deshalb, FrauBundeskanzlerin, haben Sie uns, die SPD-Bundestags-fraktion, selbstverständlich an Ihrer Seite, wenn es darumgeht, eine gemeinsame europäische Politik zu gestalten.
Ich möchte eines noch einmal ganz deutlich sagen,liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn Personen vorVerfolgung, vor Folter, vor Vertreibung und vor Kriegfliehen, dann hat jede einzelne dieser Personen das Rechtdarauf, in Europa um Schutz zu bitten – jede einzelnePerson.
Diese Personen handeln nicht illegal – auch nicht,wenn sie von der Türkei nach Griechenland kommen –,sondern sie haben einen Anspruch darauf, dass wir ihrAnliegen prüfen. Sie haben einen Anspruch auf ein fai-res Verfahren, und wenn sie schutzberechtigt sind, habensie auch einen Anspruch auf Schutz. Deswegen erübrigtsich in dieser Debatte jede Diskussion über Obergrenzen,über Tageskontingente oder über Grenzschließungen,weil sie weder rechtlich zulässig noch, wie ich finde, mo-ralisch vertretbar, sinnvoll oder wirksam sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine ein-fachen Antworten, weil wir natürlich wissen, dass nichtalle Menschen, die verfolgt sind, nach Europa kommenkönnen und auch nicht alle in Deutschland Zuflucht fin-den können; das haben wir hier schon oft betont. Es gibtnur schwierige Antworten, um die lange gerungen wer-den muss. Eines will ich aber deutlich sagen – das habenSie herausgestrichen, Frau Bundeskanzlerin –: Die Ant-wort liegt in einer gemeinsamen europäischen Politik.Alle anderen Antworten sind unzureichend, und deswe-gen müssen wir gemeinsam daran arbeiten.Ich finde, wir müssen klarmachen, dass es etwas ge-ben muss zwischen einer Festung Europa auf der einenSeite – was wir nicht wollen, sind Stacheldraht undGrenzpolizei – und einer unkontrollierten und unbe-grenzten Einwanderung auf der anderen Seite; das wol-len wir natürlich auch nicht. Was wir wollen und woranwir gemeinsam in Europa arbeiten müssen, sind Rechtund Ordnung sowie faire Verfahren. Ich finde, es lohntsich, unsere gesamte politische Anstrengung genau da-rauf zu lenken, dass wir in Europa diesen Weg weiterbeschreiten.
Dies setzt voraus – das ist schon erwähnt worden; ichmöchte es aber noch einmal betonen –, dass wir Grie-chenland unterstützen. Ja, es gehört zur Wahrheit, dasswir – Deutschland – es waren, die die Mitgliedstaaten,die eine EU-Außengrenze haben, insbesondere die Mit-gliedstaaten am südlichen Rand der Europäischen Union,in den vergangenen Jahren mit dem Thema Flüchtlings-politik alleingelassen haben. Diese Politik müssen wirjetzt ändern.
Es ist wichtig, dass wir das Dublin-System weiter-entwickeln. Das Dublin-System ist von der Anlage gutund richtig; es beinhaltet richtige Prinzipien. Aber wirmerken jetzt, dass es unter diesem enormen Druck nichtfunktioniert, und wir stellen auch fest, dass sich nicht alleMitgliedstaaten daran halten. Deswegen ist es wichtig,dass wir das Dublin-System weiterentwickeln, und zwarin die Richtung, wie es ursprünglich einmal angelegtwar: Wir müssen eine einheitliche Registrierung, einheit-liche Standards und einheitliche Kriterien für die Über-prüfung, ob eine Person Schutz bekommt, schaffen.Ich würde das Dublin-System auch gerne in die Rich-tung weiterentwickeln, dass wir einen einheitlichenFlüchtlingsausweis für ganz Europa bekommen. Das istsicherlich noch Zukunftsmusik, aber ich glaube, dass essinnvoll und richtig wäre, wenn wir mit dem Dublin-Sys-tem genau dahin kämen.
Ein paar Sätze zur Türkei. Auch ich bin der Auffas-sung – dieser Auffassung ist die gesamte SPD-Bundes-tagsfraktion –, dass wir die Türkei als GesprächspartnerDr. Eva Högl
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brauchen. Die Türkei ist das Nachbarland von Syrien.Die meisten Flüchtlinge, die jetzt versuchen, über dieBalkanroute zu kommen, kommen von Syrien über dieTürkei. Die Türkei ist ein wichtiger und notwendigerPartner, aber selbstverständlich – das ist heute schon ge-sagt worden – nicht um jeden Preis. Das sagt auch nie-mand, der für die Zusammenarbeit mit der Türkei wirbt.Selbstverständlich nutzen wir die Gespräche auch, umdie Einhaltung der Menschenrechte und der Pressefrei-heit sowie die Situation der Kurdinnen und Kurden anzu-sprechen. Aber wenn die Zusammenarbeit mit der Türkeiunsere Möglichkeit ist, legale Wege nach Europa zu öff-nen, den Schleppern das Handwerk zu legen und in Euro-pa zu einer einheitlichen Politik zu kommen, dann ist dasalle Anstrengung wert, dann lohnen sich die Gesprächemit der Türkei, und dann ist das sinnvoll und richtig.
Die Türkei möchte von uns gern Erleichterungen inder Visapolitik und eine Visafreiheit haben. Ich wunde-re mich ein bisschen – jetzt gucke ich ein wenig nachrechts –, wer sich jetzt alles zu Wort meldet und sagt,dass es nicht vereinbart und auf keinen Fall machbar sei,mit der Türkei über Visaerleichterungen zu sprechen. Wirhaben das längst vereinbart. Die Gespräche laufen seit2012. Das, was wir jetzt vereinbart haben, ist genau derrichtige Weg, nämlich diese Vereinbarung zu beschleu-nigen und vorzuziehen. Wir haben übrigens auch in derKoalition längst gemeinsam besprochen, dass wir Visaer-leichterungen für die Türkei auf den Weg bringen wollen.Natürlich wird es keine voraussetzungslose Visafrei-heit geben; auch das ist längst vereinbart. Die Türkei mussVoraussetzungen erfüllen, was die Sicherheit der Doku-mente, den Austausch der Daten und natürlich auch ihreeigene liberale Visapolitik angeht. Beispielsweise müsstesie ihre Visafreiheit mit Ländern der Maghreb-Staatenoder Pakistan einschränken, damit wir davon ausgehenkönnen, dass, wenn wir Visafreiheit gewährleisten, da-durch keine weiteren Lücken und Schlupflöcher entste-hen. Es wird noch schwierig genug, bis die Türkei dieseVoraussetzungen erfüllen kann, aber die Anstrengungenlohnen sich auf jeden Fall.Deshalb sage ich, wir haben ein klares Programm:Fluchtursachen bekämpfen, gemeinsame Politik in Euro-pa sowie hier in Deutschland die richtigen Voraussetzun-gen dafür schaffen, dass Flüchtlinge aufgenommen undintegriert werden können.Mit Blick auf den europäischen Gipfel, Frau Bundes-kanzlerin, wünschen wir Ihnen viel Erfolg. Kommen Siemit guten Ergebnissen zurück. Ich wünsche uns weiter-hin gute Beratungen.
Sevim Dağdelen ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Währendwir hier heute debattieren, treibt die Bundesregierungnoch mehr Menschen in die Flucht. Hubschrauber, Ge-wehre, Pistolen für die Emirate, Saudi-Arabien undOman: Die Rüstungsindustrie hat neue Millionenge-schäfte abgeschlossen. Genehmigt haben sie aber FrauBundeskanzlerin Merkel und Herr WirtschaftsministerGabriel. Wie lange, glauben Sie, wird es dauern, bis sichdie 5 Millionen Binnenflüchtlinge im Jemen aus der sau-dischen Kopf-ab-Diktatur, die Sie, meine Damen undHerren hochrüsten, auf den Weg nach Europa machen?Wie lange wird es dauern, bis sich noch mehr Menschenaus Syrien aufmachen werden, weil sie vor den islamis-tischen Terrorbanden fliehen müssen, die Sie dadurchunterstützen, dass Sie Saudi-Arabien und die Türkei be-waffnen, meine Damen und Herren? Statt Fluchtursachenzu bekämpfen, liefert die Bundesregierung kriegführen-den Staaten weiterhin Waffen und trägt dazu bei, dass im-mer mehr Menschen ihre Heimat verlassen müssen. IhreWaffenlieferungen, Frau Merkel und Herr Gabriel, sindein Verbrechen gegen die Menschen in der Region.
Jetzt versuchen Sie erneut, mit dem TerrorpatenErdogan zu einem Vertragsabschluss zu kommen. DerTürkei-Plan, der jetzt vorliegt, ist im Kanzleramt ge-schrieben worden. Fast alle anderen europäischen Part-ner haben Sie mit diesem Alleingang wieder einmalbrüskiert. Sie, Frau Merkel, versuchen, Ihre Politik mitjemandem wie dem türkischen Präsidenten Erdogandurchzusetzen, der Zeitungsredaktionen stürmen lässtund die Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen tritt. DieAlleingänge der Bundesregierung, ihre Bereitschaft, je-den Verstoß Erdogans gegen die Grundwerte unserer Zi-vilisation zu decken, hat die Bundesregierung in Europaisoliert wie noch nie zuvor. Bei Ihrer Achse Berlin–An-kara will so gut wie niemand – nur Luxemburg – mitma-chen. Wir sagen Ihnen: Europa hat Ihre Alleingänge satt.Sie zerstören mehr und mehr all das, was an Vertrauen inEuropa nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde.
Ich sage Ihnen auch: Ihr Glaube, mit jemandem wieErdogan, der Krieg gegen die Kurden führt, dafür sorgenzu wollen, dass weniger Menschen, weniger Flüchtlingenach Europa kommen, ist ungefähr so stimmig wie dieHoffnung, dass ein Mafiaboss dafür sorgen würde, dasses weniger Verbrechen gibt. Sie machen mit Erdoganden Bock zum Gärtner. Mit dem, der Krieg führt, der dieKurden massakriert, der Menschen zwingt, ihre Heimatzu verlassen, wollen Sie Geschäfte machen, damit keinerflieht. Aber ich frage mich: Wem wollen Sie eigentlichdiesen Bären aufbinden? Das ist doch ein Stück aus demTollhaus, Herr Kauder. Das müssen Sie doch einmal ein-sehen.
Der Preis, den Sie bereit sind für Ihre tödlichen Illusi-onen zu bezahlen, ist sehr hoch.
Dr. Eva Högl
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Sie schweigen zu den Gewerkschaftern, Sie schweigenzu den Journalisten in den Kerkern Erdogans, und Sieschweigen zu den zerstörten Kirchen
und den in die Flucht getriebenen Christen aus Diyarba-kir. Die UNO und der Europarat sagen Ihnen, dass dieserPlan mit der Türkei gegen das Völkerrecht verstößt, weilErdogan dabei ist, die Flüchtlinge weiter in das Bürger-kriegsland Syrien zurückzuschieben. Doch dadurch las-sen Sie sich offensichtlich nicht aufhalten. Ich frage Sie:Ist jetzt eigentlich Rechtsnihilismus die offizielle Politikdieser Bundesregierung? Reicht es Ihnen nicht, durchIhre Unterstützung der Regime-Change-Politik und derÖlkriege internationales Recht zu missachten? Ich finde,der Preis, den Sie da zahlen, ist hoch –
obwohl die Türkei voll auf dem Weg in die Diktatur ist.Herr Kauder, ich finde es wirklich unerträglich, dass Siejetzt auch noch versprechen, einer Diktatur den Weg indie EU zu bahnen, und dabei sozusagen alle Perspektivenfür ein soziales und demokratisches Europa verspielen.
Frau Kollegin.
Eine solche Perspektive bedeutet für Europa eine Be-
erdigung erster Klasse. Dagegen werden Sie auf jeden
Fall Widerstand erfahren. Wir werden dagegen Wider-
stand leisten.
Das Wort erhält nun Gerda Hasselfeldt für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wieder einmal beschäftigt sich ein europäischer Gipfelim Schwerpunkt mit der Bewältigung der Flüchtlings-problematik, und das ist auch gut so. Denn eines gilt: Mitrein nationalen Maßnahmen wird dieses Problem nichtzu lösen sein. Es gilt aber auch: Je weniger auf europä-ischer Ebene gelöst wird, desto größer wird der Druck,noch mehr nationale Maßnahmen zu ergreifen, und jemehr auf europäischer Ebene gelöst wird, desto geringerwird dieser Druck sein.
Worum geht es? Ich will ins Gedächtnis rufen, dasses – zum Ersten – darum geht, mit den Menschen, die zuuns kommen, aber auch mit den Menschen, die in Kri-sengebieten unter schwierigen Umständen leben, humanumzugehen und unseren Beitrag dazu zu leisten. Ich sagebewusst: mit denjenigen, die bei uns sind, aber auch mitdenjenigen – auch sie müssen wir im Blick haben –, diein den Krisengebieten und Kriegsgebieten sind, dort un-ter schwierigen Verhältnissen leben, in den Flüchtlings-lagern sind oder auch in Staaten und Ländern leben, indenen die Verhältnisse sehr schwierig sind.Ich will bei der Gelegenheit deutlich machen: Das,was in unserem Land an Nächstenhilfe, an humanitärerBegleitung bei der Unterbringung, bei der Versorgung,bei der Integration geleistet wird, ist beispielhaft undkann nicht oft genug gewürdigt werden; dafür gilt unserDank.
Ich will auch sagen: Das, was zur Bekämpfung derFluchtursachen, zur Verbesserung der Situation der Men-schen in den Krisengebieten, geleistet wird – mittlerwei-le mehr und intensiver, als es in den vergangenen Mona-ten zu spüren war –, darf nicht einfach negiert werden,sondern muss erwähnt und auch weitergeführt werden.Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie diesheute angesprochen hat. Dazu gehört zum Beispiel dieHilfe für Griechenland und andere Länder.
Es geht um ein Zweites: um die Integration derjeni-gen, die eine Bleibeperspektive haben. Auch da wirdEnormes unternommen, wenn auch in den einzelnenLändern unterschiedlich viel. Aber die Integration ist kei-ne Angelegenheit, die man nur mit Geld und noch so vie-len Kursen lösen kann, sondern sie ist – liebe Kollegin-nen und Kollegen, auch darauf will ich hinweisen – einegesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das, was heute schonvon unseren Vereinen – nicht nur von den Sportvereinen,sondern auch von vielen anderen in unserem Land – ge-leistet wird, ist beispielhaft und vorbildlich. Ich möchteausdrücklich dafür danken.
Es geht um ein Drittes, nämlich um die Begrenzungder Zahlen. Das ist wichtig; denn die Integration vonund der humanitäre Umgang mit Flüchtlingen sind nurzu leisten, wenn wir die Zahl der Flüchtlinge deutlichund nachhaltig reduzieren. Die Integrationskraft unseresLandes hat Grenzen, und diese Grenzen müssen wir be-achten.
Nun geht es darum: Wie machen wir das auf nationa-ler, europäischer und internationaler Ebene? Auf natio-naler Ebene haben wir in den vergangenen Monaten eineganze Reihe von Gesetzen verabschiedet: Asylpaket II,Asylpaket I. Wir haben die Westbalkanländer als siche-re Herkunftsstaaten eingestuft. Nur als Randbemerkung:Wenn die Grünen rechtzeitig bereit gewesen wären, eineentsprechende Entscheidung zu fällen,
Sevim Dağdelen
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dann wären viele Hunderttausende von Flüchtlingen imvergangenen Jahr nicht in unser Land gekommen. Auchdas gehört zur Wahrheit.
In den nächsten Wochen gilt es, weitere Vorhaben umzu-setzen, zum Beispiel die Einstufung der Maghreb-Staa-ten als sichere Herkunftsstaaten. Auch das gehört zu un-serer nationalen Verantwortung.
Auf dem Europäischen Gipfel stehen die Verhand-lungen mit der Türkei im Mittelpunkt. Wir alle wissen,dass die Türkei ein Schlüsselland bei der Bewältigungder Problematik ist. Das ist unbestritten. Trotz all dem,was wir kritisieren, was uns besorgt durch die Bilder undBerichte zur Menschenrechtssituation, zur Pressefreiheitund zur Meinungsfreiheit, deren Einhaltung in der Türkeisehr zu wünschen übrig lässt, gilt: Wir müssen mit derTürkei reden, verhandeln und zu Lösungen kommen. Dasist unbestritten.Es gibt eine Reihe von Forderungen vonseiten derTürkei. Ich habe Verständnis für die finanziellen For-derungen. Ich habe auch für manche andere ForderungVerständnis. Ich will für die Landesgruppe der CSU al-lerdings deutlich machen: Wir haben in der Tat Bedenkenhinsichtlich der vollen Visumsfreiheit. Eines darf nichtpassieren: Die Überprüfung der Bedingungen, die dieTürkei zu erfüllen hat, darf nicht zu lasch gehandhabtwerden. Auf die Einhaltung der Bedingungen muss ge-achtet werden. Ich bin dankbar, dass die Bundeskanzle-rin heute klargestellt hat: Von der Verbindlichkeit dieserBedingungen wird kein Jota abgewichen. Das ist für unsganz wichtig.
Ich will darüber hinaus zum Ausdruck bringen: Wirwissen, dass im Laufe der Beitrittsverhandlungen immerwieder Kapitel eröffnet werden. Die Eröffnung weitererKapitel kann durchaus zu einer Modernisierung in derTürkei führen. Aber ich will deutlich machen – nichtdass man später einmal sagt: „Ihr hättet ja was sagenkönnen!“ –: Wir sehen im derzeitigen Stadium keineMöglichkeit, dass die Türkei volles Mitglied der Europä-ischen Union wird. Das will ich deutlich zum Ausdruckbringen.
Es ist meines Erachtens ein richtiger Ansatz, dieRücknahme von Flüchtlingen aus Drittstaaten zu ver-einbaren. Es ist wichtig, dass die Türkei die Flüchtlin-ge, die von der Türkei in die Europäische Union, nachGriechenland kommen, wieder zurücknimmt. Das kannzur Eindämmung der Arbeit der Schleuser- und Schlep-perbanden führen. Ich hoffe sehr, dass es dazu kommtund dass im Zuge dessen die syrischen Flüchtlinge inEuropa verteilt werden. Es muss allerdings auch sicher-gestellt werden, dass die Last dieser Verteilung nichteinseitig auf Deutschland liegt, vielmehr muss diese inEuropa gerecht verteilt werden; das gilt sowohl für die160 000, deren Verteilung vereinbart wurde, als auch fürden Anteil, der darüber hinausgeht. Auch dies ist für unsein wichtiger Bestandteil der Vereinbarung.
Dass bei jeder Gelegenheit in Gesprächen mit der Tür-kei auf die Menschenrechte, auf die Bürgerrechte, auf dieDefizite bei der Pressefreiheit und bei der Meinungs-freiheit hingewiesen wird, das versteht sich von selbst.Das hoffe ich zumindest. Wir werden jede Gelegenheitwahrnehmen, darauf hinzuweisen. Vielleicht sind dieBeitrittsverhandlungen und die weitere Öffnung der Ka-pitel auch Anlass dazu, sich zu bewegen.Meine Damen und Herren, dabei darf es aber nichtbleiben. Wir haben noch eine ganze Reihe an zusätzli-chen Aufgaben in Europa, nämlich die wirkliche Um-gestaltung von Frontex in einen effektiven Grenz- undKüstenschutz oder die Instandsetzung der Hotspots, derEinrichtungen an den europäischen Außengrenzen, damitsie so, wie es von Anfang an gedacht war, genutzt werdenkönnen, nämlich zur Registrierung der Flüchtlinge, aberauch zur Rückführung derer, die keine Bleibeperspektivein Europa haben, und zur gerechten Verteilung in Europa.So war die Arbeit der Hotspots tatsächlich vereinbart. Ichweiß, dass da noch ein Stück Arbeit vor uns liegt, aberwir dürfen da nicht einfach stehenbleiben, sondern wirmüssen dies auf den Weg bringen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, Europa hat in den vergangenen Jahren undJahrzehnten schon viele schwierige Zeiten erlebt. Vieleschwierige Entscheidungen waren zu treffen, viele wich-tige Weichen wurden gestellt, und nicht immer war esam Anfang gleich so, dass die Lösung auf dem Tisch lag.Ähnlich ist es auch jetzt. Es ist eine objektiv schwierigeSituation, dieses weltweite Problem der Flüchtlingsströ-me zu bewältigen, und es ist in einem Europa mit unter-schiedlichen nationalen Interessen in dieser Frage ganzbesonders schwierig. Nicht zuletzt deshalb wünschen wirIhnen, Frau Bundeskanzlerin, eine weiterhin glücklicheHand und viel Erfolg bei diesen schwierigen Verhand-lungen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Spinrath
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Traditionell soll sichja der Frühjahrsgipfel mit Wirtschaftsthemen beschäfti-gen und gemeinsame Strategien zur Wirtschaftspolitikentwickeln. Angesichts der aktuellen Herausforderun-Gerda Hasselfeldt
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gen in der Flüchtlingspolitik, aber auch zuletzt bei denVerhandlungen mit Großbritannien sind die normalenThemen aber immer wieder in den Hintergrund gedrängtworden. Dabei gilt es aus meiner Sicht nicht nur bei derFlüchtlingspolitik und nicht nur bei den großen Aufre-gern Brexit oder Grexit in Brüssel belastbare Politik zumachen; denn eine ständige Weiterentwicklung der Lö-sungsmechanismen und der Strategien und eine ständigeVertiefung der Europäischen Union – das sage ich ganzbewusst und schiele dabei natürlich in Richtung Lon-don – sind die Grundlage dafür, dass wir in Europa füralle Menschen, auch für Neuankömmlinge, leistungsfä-hig bleiben können.Das Europäische Semester ist Teil der Koordinierungder Wirtschaftspolitik. Ganz klar: Eine echte Verände-rung der Währungsunion hin zu einer Vertiefung derWirtschaftsunion ist das noch nicht, aber es ist immerhinein Schritt in die richtige Richtung.Nun stellt sich jedes Jahr, wenn wir die nationalenReformpläne und die länderspezifischen Empfehlungendiskutieren, die Frage: Wie ernst nehmen dies eigentlichdie Mitgliedstaaten? Wie ernst nimmt es Deutschland mitden Verpflichtungen, mit den länderspezifischen Emp-fehlungen? Die Kommission sagt, die wirtschaftlicheSituation in Deutschland sei gut, dennoch würden seitJahren nötige öffentliche und private Investitionen nichtvollzogen, auch nicht die in den letzten länderspezifi-schen Empfehlungen von 2015 empfohlenen Investitio-nen. Die Kommission sagt, dass in der Vergangenheit inDeutschland Investitionen in Infrastruktur, Bildung undWohnen vernachlässigt wurden. Das führt zum Fazit,dass wir sozialen Wohnungsbau brauchen, dass wir mehrInvestitionen in die soziale Stadtentwicklung brauchenund Anreize für den Neubau bezahlbaren Wohnraums fürdie Normalverdiener schaffen müssen.Wir in der SPD haben das verstanden, und wir ha-ben mit unserem Drängen die Bundesregierung dahinbewegt, mit dem Umsteuern zu beginnen. Das wird füruns in der SPD das Topthema der kommenden Monateund Jahre bleiben. Wir brauchen eine Investition in dieZukunft aller Menschen in Deutschland, sowohl in dieZukunft derjenigen, die schon lange oder schon immerhier leben, als auch in die Zukunft der Neuankömmlinge.Wir brauchen ein Solidarprojekt für Deutschland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa steht beidiesem Gipfel und bezüglich der aktuellen Flüchtlings-politik an einer Wegscheide. Die Erwartungen an diepolitisch Handelnden sind derzeit enorm hoch. Von al-len Partnern in Europa, natürlich auch von uns, werdenKompromissbereitschaft und Flexibilität verlangt. Dabeimüssen wir aber immer auf der Grundlage der gemein-samen Werte dieser Europäischen Union handeln. Ichbegrüße ausdrücklich die Lösungsvorschläge der Euro-päischen Kommission und den umfassenden Ansatz, mitdem der Rat in den nächsten zwei Tagen der Aufgabe derBewältigung der aktuellen Migrationsbewegungen be-gegnen will. Man will beraten und wird hoffentlich zuwichtigen und richtigen Entscheidungen kommen; dennnur gemeinsames europäisches Handeln kann uns letzt-endlich zu dauerhaften und zufriedenstellenden Lösun-gen führen. Eine gemeinsame europäische Lösung in derFlüchtlingsfrage ist aber sicherlich nicht in den nächstenzwei Tagen zu erzielen. Sie braucht Zeit. Aber es brauchtin den nächsten Tagen zumindest gemeinsame Signale.Es mag sein, dass wir als einer der 28 Partner zusam-men mit einigen wenigen Willigen besondere Anstren-gungen unternehmen und einseitig Vorleistungen erbrin-gen müssen. Aber ich bleibe dabei: Wir sind 28 in derEuropäischen Union, und die 28 Mitgliedstaaten müssendie Bewältigung der Flüchtlingssituation als gemeinsameAufgabe ansehen und auch zu gemeinsamen Lösungengelangen.
Wenn aber der Kreis der Willigen in der Realität dernächsten Wochen und Monate tatsächlich beweisen kann,dass die Kombination aus Verhinderung von Grenzüber-tritt, Ausschaltung der Schlepper, Öffnung von legalenZugangswegen – ich glaube, das ist ein ganz wichtigerPunkt –, Zugang zu den Asylverfahren und menschen-würdiger Versorgung in allen Aufnahmeländern zu einemsignifikanten Nachlassen des Migrationsdrucks führt,dann entsteht hoffentlich auch bei den jetzt noch Unwil-ligen die Bereitschaft, sich doch noch auf eine gemein-same Lösung einzulassen. Appelle alleine reichen nicht.Jetzt muss gehandelt werden.Die Sicherung der Außengrenzen wird immer alsMonstranz vorangetragen. In den letzten Wochen glaubteman oft, alleine mit der Sicherung der Außengrenzen zueiner signifikanten Verringerung der Zahlen zu kommen.Die Sicherung der Außengrenzen ist richtig und wichtig,sofern damit gemeint ist, an den Außengrenzen zu erfas-sen, wer wo und unter welchen Umständen in die EUeinreist, wenn damit also ein kontrollierter Zugang fürdiejenigen gemeint ist, die zu uns kommen. Wer mit demSchließen der Grenzen aber lediglich das Ziel verfolgt,Schutzbedürftigen das Stellen eines Asylantrags zu er-schweren, der verlagert die Missachtung unserer gemein-samen Werte an die Grenzen.
Wir müssen jetzt das Signal senden – ich hoffe, dassdas von diesem Gipfel ausgehen wird –, dass wir alle inder gemeinsamen Verantwortung stehen, insbesondereGriechenland angesichts der dort aktuell entstandenenLage zu helfen. Es gilt nun, die Mittel zur Verfügung zustellen, aber auch personelle und technische Hilfe zu leis-ten. Wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass wir mitder Türkei einen Partner gewinnen, der mit uns gemein-sam ein Problem löst, das eben nicht seins ist.Es ist richtig, dass wir in der Krise mit der Türkei zu-sammenarbeiten. Hier ist der Dialog entscheidend. Ichsetze darauf, dass es über diesen Dialog gelingt, zu mehrRechtsstaatlichkeit und zur Einhaltung der Menschen-rechte zu kommen. Ich will das im Sinne von Rechts-staatlichkeit auch als Chance begreifen, einen Beitritts-prozess zur EU zu ermöglichen.
Herr Kollege.Norbert Spinrath
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Die Türkei hat, nebenbei gesagt, in den letzten Jahren
bei der Aufnahme von mehr als 3 Millionen Flüchtlingen
Erstaunliches geleistet. Jetzt sollten wir die Bedingungen
für gemeinsame Lösungen schaffen.
Liebe Frau Bundeskanzlerin – sie ist gerade nicht an
ihrem Platz –, –
Sie müssen zum Schluss kommen.
– ich möchte Ihnen viel Glück, viel Kraft und Erfolg
in Brüssel wünschen. Ich wünsche mir, dass Ihr viel zi-
tierter Satz der letzten Wochen und Monate auch für die
Verhandlungen in Brüssel gilt: Wir schaffen das, weil wir
es machen.
Michael Stübgen erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu:Ein bisschen kam es mir schon wie in TausendundeineNacht vor, als die türkische Regierung der EuropäischenUnion wenige Stunden vor dem Europäischen Rat in derletzten Woche einen sehr weitgehenden Vorschlag dazugemacht hat, was sie bereit wäre zur Lösung oder teilwei-sen Lösung der Migrationsproblematik über ihr Land indie Europäische Union zu tun. Es gibt in den deutschenMedien wilde Spekulationen darüber, wie es denn zu die-sem Vorschlag gekommen ist. Daran will ich mich nichtbeteiligen.Ich will aber eines feststellen: Wir haben es mit einemernsthaften und sehr weitreichenden Vorschlag der türki-schen Regierung an die Europäische Union zu tun. Nachmeiner eingehenden Analyse dieses Vorschlages und derVorbereitungspapiere, die unter Leitung von Ratspräsi-dent Donald Tusk entstanden sind, muss ich Ihnen sagen,dass es meine Überzeugung ist, dass dieser Vorschlagdas Potenzial hat, dass wir als Europäische Union es ge-meinsam mit der Türkei schaffen, das GeschäftsmodellBalkanroute zu beenden. Dieses Geschäftsmodell führtseit Monaten dazu, dass skrupellose Schlepperbandenauf dem Rücken von geschundenen Menschen, die flie-hen, Milliardeneinnahmen machen. Diese Banden ha-ben vorsätzlich in Kauf genommen, dass bisher mehrals 1 000 Menschen auf der Balkanroute gestorben sind.Wenn wir es schaffen sollten, wenn die Chance besteht,dieses Geschäftsmodell zu beenden, ist es alle Anstren-gungen wert, zu versuchen, bei den Verhandlungen mitder Türkei morgen und übermorgen zu einem Erfolg zukommen.
Für ein erfolgreiches Agreement mit der Türkei gibtes nach meiner Einschätzung drei grundsätzliche Fragen,die beantwortet werden müssen.Die erste ist: Können wir davon ausgehen, können wirglauben und voraussetzen, dass die Türkei dieses Malwirklich will, was sie ankündigt? Ich verstehe jeden, derin dieser Frage Zweifel hat angesichts der Politik, auchder Geopolitik der Türkei in den letzten zehn Jahren,die vorsätzlich nicht darauf ausgerichtet war, sich derEuropäischen Union anzunähern, sondern eher ein ganzanderes Ziel verfolgt hat und ganz andere geopolitischeSchwerpunkte hatte.Ich kann auch angesichts der Tatsache, wie die türki-sche Regierung in den vergangenen 15 Monaten mit derFlüchtlingswelle umgegangen ist, Zweifel verstehen. Siehat diesen Prozess in ihrem Land geduldet, ohne ihn zureduzieren oder gar zu stoppen. Denn dies war in ihremeigenen Interesse: Wenn Flüchtlinge aus der Türkei in dieEU gehen, sind weniger in der Türkei. Genauso erkenn-bar ist allerdings in den letzten Monaten, dass der Türkeidieser Prozess mehr und mehr aus dem Ruder gelaufenist. Die Entwicklung, dass sich die Türkei zu einem in-ternationalen Durchgangslager für Migranten bis hin ausIndien und Bangladesch in die Europäische Union entwi-ckelt hat inklusive der logistischen mafiösen Strukturenringsherum, ist mit Händen zu greifen.Ich gehe davon aus, dass diese Frage mit Ja beant-wortet werden kann. Ja, die türkische Regierung hatverstanden: Sie muss an der jetzigen Situation etwas än-dern. – Wir haben eine ausreichende Schnittmenge, aufAugenhöhe zwischen EU und Türkei zu verhandeln, unddie Chance, zu einem richtigen Ergebnis zu kommen.Die zweite wesentliche Frage ist: Haben wir denn eineGarantie, dass ein mögliches Agreement mit der Türkeiauch funktioniert, dass es erfolgreich umgesetzt werdenkann? Diese Frage kann man einfach beantworten: Nein,die haben wir nicht, und die werden wir auch nicht ha-ben, wenn dieses Agreement morgen oder übermorgenverabschiedet werden kann. Die nächste Frage, die sichanschließt, lautet: Ist denn die Wahrscheinlichkeit desErfolges dieser Vereinbarung groß genug? Da ist meineÜberzeugung, gerade aufgrund meiner Ausführungen zurersten Frage, dass die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgsgroß genug ist.Ich komme zur dritten und entscheidenden Frage – wirhaben sie uns im Übrigen bei allen Rettungspaketen, beiallen Rettungsprogrammen in den letzten fünf Jahren imRahmen der Euro-Krise immer wieder gestellt –: Habenwir denn für den Prozess der Umsetzung solch einer Ver-einbarung – in diesem Fall mit der Türkei – eine aus-reichende Kontrolle, und haben wir, wenn es das Agree-ment gibt, wenn es also verabschiedet ist, noch genügendMöglichkeiten und Kraft, Fehlentwicklungen, die zufäl-lig, durch Fehleinschätzungen, aber möglicherweise auch
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vorsätzlich erzeugt werden, zu korrigieren? Die Antwortauf diese Frage ist natürlich wesentlich schwieriger.Ich will nur zwei Punkte kurz ansprechen:Die Türkei wünscht sich, dass der Prozess mit derEuropäischen Union mit dem Ziel der Visafreiheit mas-siv beschleunigt wird. Es gab schon eine Roadmap, diedas für das Jahr 2017/2018 vorsah. Im Herbst des letz-ten Jahres wurde beschlossen, dass dies bis Oktober derFall sein soll. Jetzt sagt die Türkei: Wir schaffen das allesbis Ende Juni dieses Jahres. – Dass bisher wenig passiertist, hat nichts mit der EU, sondern hat damit zu tun, dassdie Türkei selber die Voraussetzungen noch nicht ausrei-chend umgesetzt hat. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Ichhabe Zweifel, dass die technischen und politischen Vo-raussetzungen bis Ende Juni dieses Jahres von der Türkeiumgesetzt werden können. Aber ich glaube nicht, dassich das Recht habe, aufgrund dieser Zweifel der Türkeigegenüber zu erklären: Ich glaube nicht, dass ihr dasschafft; also reden wir nicht darüber.
Wichtig ist, dass die notwendigen Voraussetzungen –sie sind bis ins letzte Detail definiert – umgesetzt werden,ohne politische Rabatte. Wichtig ist: Wir haben in diesemProzess als Deutscher Bundestag die vollständige Kon-trolle über die Vorgänge. Ich glaube, wenn das erfolgreichumgesetzt wird – von mir aus am besten Ende Juni –,dann werden wir mit biometrischen türkischen Pässenohne Visa wahrscheinlich eine bessere Sicherheitsstruk-tur haben als mit den bisherigen nicht fälschungssicherentürkischen Pässen mit Visa. Wir können hier also zu ei-nem Vorteil kommen.Der letzte Punkt: die Beschleunigung der Beitrittsver-handlungen. Es ist ganz eindeutig, dass die Türkei in denletzten zehn Jahren nicht wirklich Interesse daran hatte,sich anzunähern. Das Gegenteil war der Fall. Aber auchhier können wir feststellen, dass die Türkei mit ihrenehemaligen geostrategischen und geopolitischen Zielengescheitert ist; das ist sogar ein Desaster. Wenn es einUmdenken bei der türkischen Regierung in die Richtunggibt, sich der Europäischen Union anzunähern und mehrRechtsstaatlichkeit im eigenen Land umzusetzen, dannwird dies ein Vorteil für 80 Millionen Türken sein, undes wird auch ein Sicherheitsvorteil für die EuropäischeUnion als Ganzes sein.Ich glaube, dass die notwendigen Voraussetzungendafür, solch ein Agreement mit der Türkei zu erzielen,erfüllt sind. Wir als Deutscher Bundestag werden sehrgenau darauf achten, dass die Voraussetzungen erfülltwerden. In diesem Zusammenhang wünsche ich dem Eu-ropäischen Rat einen erfolgreichen Abschluss und Bun-deskanzlerin Merkel Erfolg bei den sehr, sehr komplexenund sehr, sehr schwierigen Verhandlungen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Stübgen. – Darf ich die
Kolleginnen und Kollegen, die sich so angeregt unterhal-
ten, bitten, Platz zu nehmen? Die Debatte ist noch nicht
zu Ende, und es gehört sich, den beiden Kollegen, die
noch reden, zuzuhören.
Nächste Rednerin in der Debatte: Luise Amtsberg für
Bündnis 90/Die Grünen. – Und ich meine das mit dem
Hinsetzen ernst.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! In der letzten Regierungserklärung hat die Bun-deskanzlerin betont, wie wichtig es ist, alle in Europa aneinen Tisch zu bringen, für eine gemeinsame europäischeAsylpolitik zu streiten und den nationalen Alleingängenin Europa endlich ein Ende zu bereiten. Wir haben dasvon Anfang an unterstützt, weil auch wir glauben, dasseine gemeinsame Asylpolitik bedeutet, dass es die Be-reitschaft aller in Europa zur Aufnahme von Flüchtlingengibt, und dass man die Staaten beim Aufbau von Asylsys-temen unterschiedlich stark unterstützen muss. Dem liegtnatürlich die Erkenntnis zugrunde, dass Dublin geschei-tert ist und Griechenland mit der Verantwortung nichtlänger alleingelassen werden kann.
Wir haben Sie auf diesem Weg immer unterstützt,wissend, dass nationale Alleingänge Europa schadenund den Schengen-Raum gefährden, und weil so etwasam Ende dazu führt, dass wir in Europa, wenn wir nichtgemeinsam aufnehmen, weniger Flüchtlinge aufnehmenwerden, als wir es bisher tun. Mit dem EU-Türkei-Gipfelallerdings konterkarieren Sie, Frau Bundeskanzlerin, die-se Bestrebungen. Sie konterkarieren den Plan, Flüchtlin-ge gemeinsam umzuverteilen. Davon liest man in diesenVereinbarungen nämlich gar nichts mehr, und das findenwir nicht richtig.
Ich möchte an dieser Stelle nicht falsch verstandenwerden. Die Türkei ist Teil der Lösung. Sie kann auchgar nicht nicht Teil der Lösung sein. Sie war von Anfangan Teil der Lösung und Teil der Auseinandersetzung,weil sie mit Beginn des Syrienkrieges Hauptaufnahme-land von Flüchtlingen war. Jeder, der sagt, dass die Tür-kei nicht Teil der Lösung ist, arbeitet an den Realitätenvorbei.Aber, Herr Oppermann, es geht nicht um „überheb-lich“ oder „herablassend“, wenn wir es falsch finden, dieTürkei zum europäischen Türsteher zu machen, wohlwissend, dass Erdogan diese Bedingungslosigkeit, mitder wir auf ihn zugehen, nutzt, um uns zum Schweigenzu bringen, wenn es um seine menschenverachtenden in-nen- und außenpolitischen Aktionen geht. Und genau daspassiert jetzt gerade.
Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, wollen, dass dieTürkei Flüchtlinge versorgt und ihnen internationalenMichael Stübgen
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Schutz gibt, dann verstehe ich nicht, warum alle europä-ischen Regierungen nahezu schweigen, wenn es um dieZeitung Zaman, um die Einschränkung der Pressefreiheitund um das Verhindern von Demonstrationsrechten geht.Ich verstehe auch nicht, warum die Genfer Flüchtlings-konvention nicht Bestandteil der Verhandlungen war undes keinen bedingungslosen Anspruch an die Türkei zurAufnahme von Flüchtlingen gab. Warum haben Sie darü-ber nicht gesprochen?
Die Genfer Flüchtlingskonvention ist von der Türkeinicht vollumfänglich ratifiziert worden. Wenn wir vonder Aufnahme von Flüchtlingen sprechen, dann redenwir auch über Integration. Sie ist in der Türkei nichtmöglich, solange die Genfer Flüchtlingskonvention nichtvollumfänglich umgesetzt wird.Einige Worte noch zu dem, was hier das Ziel von unsallen ist, nämlich zur Bekämpfung des Schlepperwesens:Es ist Fakt, dass man ohne Schlepper nicht nach Euro-pa kommen kann, weil es keinen Familiennachzug mehrgibt, weil wir keine Kontingente haben, weil das Reset-tlement-Programm lächerlich klein ist und weil wir indiesem ganzen Szenarium auch keine Lösung für Irakerund Afghanen haben.
Wer glaubt, dass mit Ihrem Vorgehen die Schleppereibekämpft wird, der irrt sich, und der wird das auch er-kennen.Wir glauben, das Festhalten an der Umverteilung, aneiner gemeinsamen europäischen Lösung und die Stär-kung der europäischen Institutionen sind der einzigeWeg, um hier wieder zusammenzukommen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Luise Amtsberg. – Ich darf jetzt vor al-
lem die CDU/CSU-Kollegen und -Kolleginnen, die sich
so angeregt unterhalten, noch einmal bitten, Ihrem Kol-
legen zuzuhören, weil der nächste Redner Matern von
Marschall ist, und es lohnt sich, ihm zuzuhören. Also
nehmen Sie bitte Platz.
Der letzte Redner in der Debatte: Matern von
Marschall. Bitte schön.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Frau Präsidentin, ich danke Ihnen für dieseVorschusslorbeeren,
und ich will meinen Dank auch gerne gleich mit einemKompliment an die Kolleginnen und Kollegen der Grü-nenfraktion verbinden. Dass Sie die Politik der Bundes-kanzlerin heute so ausdrücklich unterstützen, ist natür-lich erfreulich. Ich würde mir aber auch wünschen, dasssich das auch in Ihrem Zustimmungsverhalten im Bun-destag niederschlägt. Ich darf an das Asylpaket II erin-nern. Damals haben Sie vollständig dagegen gestimmt.Diese Diskrepanz werden wir hoffentlich vielleicht nochausgeräumt sehen.Herr Bartsch, nachdem ich Ihren Entschließungs-antrag gelesen hatte und Ihre Einlassungen heute zurKenntnis nehmen musste, habe ich erkannt, dass Sie mitaller Vehemenz gegen eine europäische Lösung, gegeneine Kooperation der Europäischen Union mit der Türkeiarbeiten.
Das allerdings, Herr Bartsch, wird in erster Linie dazubeitragen, dass es verstärkt zu nationalen Lösungenkommt. Und das wiederum – da können Sie ganz sichersein – wird noch mehr auch Ihrer Wähler in die Arme derAfD treiben.
Jetzt möchte ich im Detail auf das Rückübernahme-abkommen zu sprechen kommen, das zwischen Griechen-land und der Türkei – genau darum geht es nämlich – ge-troffen worden ist. In diesem Rückübernahme abkommen,das übrigens schon länger besteht, geht es sehr wohl da-rum, dass jeder Einzelne eine Anhörung bekommt unddass auch jedem Einzelnen die Möglichkeit der Inan-spruchnahme eines Rechtsbeistandes eröffnet wird. Inso-fern geht es dabei nicht um eine pauschale unrechtmäßi-ge Zurückweisung. Auch wird nicht etwa – was hier alsKritik geäußert worden ist – möglicherweise verfolgtentürkischen Bürgern der Rechtsschutz verwehrt. Sie könn-ten dann natürlich in der Europäischen Union um einAsylverfahren nachsuchen.Im Zentrum dessen, was jetzt vereinbart werden könn-te, ist ein ganz enormes Potenzial. Dabei geht es darum,dass fast niemand mehr als illegaler bzw. irregulärerMigrant über den gefährlichen Seeweg kommen muss.Das ist natürlich bemerkenswert, weil damit Verbre-chern, die sich als Schleuser betätigen und Menschen inLebensgefahr bringen, die Geschäftsgrundlage entzogenwird.
Das ist eben ein humanitärer Ansatz und kein – sohaben Sie es in Ihrem Entschließungsantrag formuliert –Menschenhandel. Auch wird die Türkei nicht – so ha-ben Sie es gleichfalls dort formuliert – in ein Gefängnisverwandelt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Mit dem3-Milliarden-Euro-Paket, das bis 2018 aufgestockt wer-den soll, wird – unter Einsatz des BMZ und gerade auchunter Einsatz der GIZ – in der Provinz Gaziantep einwichtiger, ganz zentraler Schwerpunkt insofern gesetzt,als die syrischen Flüchtlinge in den infragekommendentürkischen Gemeinden angenommen werden, dass dieKinder der Flüchtlinge in den Schulen dieser GemeindenPlätze finden, um zu lernen, auch um die türkische Spra-che zu erlernen. Weiterhin soll den FlüchtlingsfamilienLuise Amtsberg
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die Möglichkeit geboten werden, in diesem NachbarlandSyriens Fuß zu fassen. Sie können nach dem Ende desBürgerkrieges hoffentlich auch in ihre Heimat zurück-kehren.Selbstverständlich ist dieses Konzept in eine Ketteweiterer Maßnahmen eingebettet. Dabei geht es auchum das Anliegen, dass die Türkei gegenüber Drittstaa-ten Visaverpflichtungen geltend macht. Dabei geht esnicht mehr etwa nur um den Irak und den Iran, bei de-nen das schon geschehen ist, sondern eben auch um dieMaghreb-Staaten, damit die Menschen aus diesen Län-dern die Türkei nicht als Transitland benutzen, um aufdiesem Wege zu uns zu kommen. Es handelt sich also umein umfangreiches Konzept, das im Zentrum auch huma-nitäre und entwicklungspolitische Maßnahmen beinhal-tet, die den 500 000 schulpflichtigen Kindern syrischerFlüchtlinge in der Türkei zugutekommen.Ich will zum Abschluss noch einmal die Fragen stel-len: Trauen wir uns eigentlich nach lediglich sechs Mo-naten Arbeit – von September letzten Jahres bis jetzt – be-reits jetzt nicht mehr zu, diese Krise europäisch zu lösen?Wollen wir – angesichts vereinzelt unruhig werdenderRegionen in Deutschland, wenn wir auf die Wahlergeb-nisse vom letzten Sonntag schauen – 70 Jahre Frieden inEuropa riskieren?Meine Damen und Herren, jetzt gilt es doch, Rückgratzu zeigen. Jetzt gilt es doch für alle von uns, das, was Eu-ropa starkgemacht hat, aufrechtzuerhalten, nämlich unse-re Friedensgemeinschaft in Europa und Deutschland alsein wesentliches und starkes Land im Herzen Europas zustützen. Ferner sollten wir auch unsere Bundeskanzlerinbei ihren Verhandlungen stützen.
Meine Damen und Herren, es ist jetzt – angesichtsschlechter bzw. guter Wahlergebnisse für diejenigen, diewir nicht im Parlament haben wollen – nicht die Zeit, dasRückgrat zu verlieren und vielleicht – nur um kurzfristigein Mandat zu retten – diese Grundprinzipien der Euro-päischen Union wegzugeben für ein Linsengericht.Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe damit dieDebatte.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschlie-ßungsanträge und beginnen mit dem Entschließungsan-trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7884, zudem namentliche Abstimmung verlangt wurde.Ich bitte nun die Schriftführer und Schriftführerinnen,die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu signa-lisieren, wann die Urnen besetzt sind. – Sind die Urnenbesetzt? – Gut, die Plätze an den Urnen sind besetzt.Dann eröffne ich die Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag auf Drucksache 18/7884.Gibt es ein Mitglied dieses Hauses, das seine Stimmenoch nicht abgegeben hat? – Alle scheinen ihre Stimmeabgegeben zu haben. Dann schließe ich die Abstimmungund bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mitder Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnenspäter bekannt gegeben1).Ich darf die Kolleginnen und Kollegen, die noch imSaal sind, bitten, Platz zu nehmen, weil wir noch weitereAbstimmungen vor uns haben.Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 18/7883. Wer stimmt fürdiesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abge-lehnt. Zugestimmt hat die Linke, dagegengestimmt ha-ben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen.Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 18/7885. Wer stimmt für diesen Entschlie-ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zuge-stimmt hat die Linke, dagegengestimmt haben CDU/CSU und SPD, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grü-nen.Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen auf Drucksache 18/7886. Wer stimmt für die-sen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich je-mand? – Nein. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Lin-ke. Dagegengestimmt haben CDU/CSU und SPD.Dann rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zurverbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urhe-ber und ausübenden Künstler auf angemessene Ver-gütung.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister der Justiz und für Verbraucher-schutz, Herr Heiko Maas. – Herr Heiko Maas, Sie habendas Wort.Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Das Kabinett hat heute den Entwurfeiner Reform des Urhebervertragsgesetzes beschlossen.Die letzte Reform des Urhebervertragsgesetzes datiertaus dem Jahr 2002. Damals ist im Wesentlichen die Re-gelung aufgenommen worden, dass Urhebern eine ange-messene Vergütung zusteht, die in der Regel in gemein-samen Vergütungsregeln zwischen den Verwertern undden Urheberverbänden vereinbart werden soll.In der Zeit bis heute sind viele Defizite dieses Verfah-rens offengelegt worden. In der Realität ist es so, dass zu-mindest in einigen Urheberbranchen nicht angemesseneVergütungen gezahlt werden und die Urheber – seien esfreie Journalisten, Drehbuchautoren oder andere – auch1) Ergebnis Seite 15768 DMatern von Marschall
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keinerlei praktische Möglichkeit haben, ihre Rechtedurchzusetzen, weil sie sonst von ihren Auftraggebernsehr schnell damit konfrontiert werden, dass sie in Zu-kunft keine weiteren Aufträge mehr erhalten. Das hat inder Branche auch einen Fachbegriff bekommen: Das istdas sogenannte Blacklisting.Darüber hinaus ist durch die Digitalisierung und dieVervielfältigung der Verwertungsmöglichkeiten eine Si-tuation entstanden, in der viele Urheber gar nicht mehrnachvollziehen können, wo und wie oft ihre Werke ge-nutzt und verwertet werden. Deshalb ist es notwendiggeworden, in einer umfassenden Reform das Urheberver-tragsgesetz weiterzuentwickeln, und das haben wir heuteim Kabinett beschlossen.Ich will nur wenige – die wichtigsten – Punkte ausder Reform vortragen. Zum einen haben wir im Gesetz-entwurf erstmals einen gesetzlichen Auskunftsanspruchgeregelt, damit die Urheber von den Verwertern in Er-fahrung bringen können, wie oft Werke genutzt wordensind und wie viel Geld damit verdient worden ist. Diesermöglicht den Urhebern, möglicherweise Nachforde-rungen zu stellen, wenn die Nutzung im Vergleich zu derim ursprünglich abgeschlossenen Vertrag genannten ineinem Missverhältnis steht. Das ist für die Urheberseiteaußerordentlich wichtig zur Rechtsdurchsetzung.Wir haben dabei aber auch darauf Rücksicht genom-men, dass keine überbordende Bürokratie entstehen soll,indem wir diesen Auskunftsanspruch zumutbar einge-schränkt haben: Dort, wo untergeordnete Beträge betrof-fen sind, soll er in dem Umfang ausnahmsweise nichtgelten, wenn dies zu einem unzumutbaren Aufwand beiden Verwertern führen würde.Im Gesetzentwurf ist auch der Grundsatz geregelt,den wir so beschreiben, dass mehrfache Nutzung auch zumehrfacher Vergütung führen soll. Wir haben heute etwain der Filmbranche die Situation, dass sogenannte To-tal-Buy-out-Verträge abgeschlossen werden. Das heißt,es wird einmal vergütet, unabhängig davon, wie oft einFilm gezeigt wird. Wir wollen das Ausnahme-Regel-Ver-hältnis umkehren und sehen im Gesetzentwurf ausdrück-lich vor, dass die Häufigkeit der Verwertung auch bei derangemessenen Vergütung eine Rolle spielen soll, sodassin Zukunft Total-Buy-out-Verträge zurückgedrängt wer-den und Verträge, die zum Beispiel Wiederholungsho-norare einbeziehen, in Zukunft wieder häufiger genutztwerden können.Wir haben eine Regel eingeführt, die einen ganz neuenAnspruch definiert. Wir haben Urhebern ein Recht ein-geräumt, nach der zehnjährigen Nutzung ihres Werkesdurch den Erstverwerter ein Zweitverwertungsrecht gel-tend zu machen. Das heißt, bei Beibehaltung der Rechtedes Erstverwerters wird sich der Urheber, wenn er dieswill, nach zehn Jahren einen Zweitverwerter suchen kön-nen, der das Werk weiter verlegt, ausstrahlt oder in wel-cher Form auch immer verwertet. Das wird in der Praxisaber häufig dazu führen, dass sich die Urheber diesesRecht von ihren Erstverwertern abkaufen lassen werden.Auch das wird die Rechtsstellung der Urheber deutlichverbessern.Wir haben des Weiteren die Regeln zur Aufstellungder gemeinsamen Vergütungsregeln gestrafft, und zwarsowohl im Verfahren als auch organisatorisch. Wir wol-len damit erreichen, dass es schneller als bisher zu kol-lektiven Absprachen kommt; dies halten wir für sinnvoll.In der Vergangenheit haben vielfach jahrelange Vertrags-verhandlungen stattgefunden, ohne dass man zu befriedi-genden Ergebnissen gekommen ist.Letztlich haben wir ein Verbandsklagerecht im Ge-setzentwurf vorgesehen. Das heißt, dass Urheber, diekeine angemessene Vergütung erhalten, diese, vertretendurch den entsprechenden Verband, im Rahmen einerVerbandsklage geltend machen können. Wir halten dasfür sinnvoll, weil sich in der Praxis diejenigen, die inunterschiedlichen Branchen keine angemessene Vergü-tung bekommen haben, nicht getraut haben, ihre Rech-te durchzusetzen, weil sie davon ausgehen mussten,anschließend von Vertragsvergaben ausgeschlossen zuwerden. Durch die Verbandsklage, also die Möglichkeit,dass die Verbände der Urheber einen entsprechendenAnspruch durchsetzen, verändert sich diese Situation.Dabei gehe ich fest davon aus, dass das nicht unbedingtzu vielen Klageverfahren führen wird. Vielmehr wird diepräventive Wirkung der Verbandsklage wesentlich dazubeitragen, dass häufiger die angemessene Vergütung ge-zahlt wird, die vereinbart wurde.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Maas. – Bevor wir zur Fragerun-de kommen – es haben sich schon einige gemeldet, dieFragen stellen wollen; ich bitte, zuerst Fragen zu demThemenbereich zu stellen, den Minister Maas vorgestellthat –, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnenund Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-chen Abstimmung über den Entschließungsantrag zurAbgabe einer Regierungserklärung durch die Bundes-kanzlerin – das ist die Drucksache 18/7884 – bekanntgeben: abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben gestimmt53, mit Nein haben gestimmt 446, Enthaltungen 58. DerEntschließungsantrag der Linken ist damit abgelehnt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 557;davonja: 53nein: 446enthalten: 58JaDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselBundesminister Heiko Maas
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Dr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzNiema MovassatNorbert Müller
Dr. Alexander S. NeuPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeAzize TankFrank TempelAlexander UlrichKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelNeinCDU/CSUStephan AlbaniArtur AuernhammerNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerClemens BinningerPeter BleserWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr. Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h.c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringVolker MosblechElisabeth MotschmannDr. Gerd Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia Pantel
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Martin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja SchmittPatrick SchniederDr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerDieter StierRita StockhofeGero StorjohannMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Elisabeth Winkelmeier-BeckerTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareDr. Bärbel KoflerBirgit KömpelDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Michelle MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-Bosse
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Dennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk Wiese
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerEnthaltenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeDr. Julia VerlindenBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsDann kommen wir jetzt zu den Fragen. Eine MinuteFrage, eine Minute Antwort – Sie wissen, wie es geht.Wir fangen an mit Renate Künast.
Danke. – Herr Minister, wir alle haben über das Ur-
hebervertragsrecht als Bestandteil einer großen Urheber-
rechtsreform diskutiert. Dieser Bestandteil sollte dazu
dienen, den ursprünglichen Urhebern und nicht den Ver-
wertern mehr Rechte zu geben und sie zu stärken. Des-
halb frage ich Sie bezüglich zweier Punkte.
Meine erste Frage betrifft das pauschale Rückrufs-
recht, dessen Geltungsdauer Sie von fünf auf zehn Jahre
verlängert haben. Wie begründen Sie diese Verlänge-
rung? Dahinter stehen sicherlich detaillierte Überlegun-
gen. Ich möchte gerne wissen, wo das eigentlich wem
etwas bringt, zumal die Verwertungszyklen viel kürzer
sind.
Zweitens. Ich halte ein verbindliches Schiedsverfah-
ren für feste, verpflichtende und gemeinsame Vergü-
tungsregelungen für ein starkes Werkzeug und eine gute
Ergänzung des Verbandsklagerechts. Ich frage mich, wa-
rum Ihr Entwurf ein solches Verfahren nicht vorsieht. Ein
solches Verfahren macht den einzelnen Urheber zum Teil
einer Gruppe und stärkt ihn damit.
Herr Maas.Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Die Tatsache, dass wir die Schiedssprüche nicht fürverbindlich erklärt haben, hat etwas damit zu tun, dasswir uns für das Instrument der Verbandsklage zur Durch-setzung von Ansprüchen auf eine angemessene Vergü-tung ausgesprochen haben. Man kann durchaus auch zuanderen Ergebnissen kommen. Wir haben uns nach derAnhörung mit den Betroffenen, und zwar von beidenSeiten, zum Schluss politisch für das Instrument der Ver-bandsklage entschieden.Zu Ihrer ersten Frage nach dem fünfjährigen Rück-rufsrecht. Der Entwurf, den das Kabinett nun beschlos-sen hat, beinhaltet ein Zweitverwertungsrecht nach zehnJahren. Es handelt sich also nicht mehr um ein Rückrufs-recht. Wir haben das nach vielen Gesprächen mit unter-schiedlichen Gruppen, für die das Urhebervertragsgesetzgilt, verändert, weil uns von der Verlagsseite deutlichgemacht wurde, und zwar insbesondere von kleinen undmittleren Verlagen, dass sie viel in Autoren investieren,deren Werke erst einmal keine hohen Auflagen erzielen.Wenn diese Erfolg und nach fünf Jahren ein Rückrufs-recht hätten, dann sei zu befürchten, dass von auf denMarkt drängenden Global Playern wie Amazon usw.
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diese Autoren weggekauft würden und dies das Ende fürkleine und mittlere Verlage sei. Das habe ich für nach-vollziehbar gehalten. Deshalb haben wir diese Bestim-mung so verändert.
Danke schön. – Nächste Fragestellerin: Halina
Wawzyniak.
Die Änderungen, die in diesem Gesetzentwurf ent-
halten sind, sind, vorsichtig formuliert, wenig urheber-
freundlich. Ich würde gerne wissen, auf wessen Vorschlä-
ge die Änderungen bei der angemessenen Vergütung,
beim Anspruch auf Auskunft und Rechenschaft, im Hin-
blick auf das vormalige Rückrufrecht und die Streichung
des Vorkaufsrechts und der Streichungsvorschlag bei der
Vergütung des ausübenden Künstlers für später bekannte
Nutzungsarten zurückzuführen sind. Von wem konkret
kamen die Vorschläge zur Änderung an diesen Stellen?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Von wem in der Anhörung – ich nehme an, dass Sie
das meinen – diese Vorschläge kamen, kann ich Ihnen
jetzt im Einzelnen nicht sagen. Das kann man aber, wenn
man sich mit der Anhörung und dem, was die Verbände
dazu geschrieben haben, noch einmal beschäftigt, sicher-
lich im Einzelnen nachvollziehen. Am Schluss haben wir
im Ministerium das entschieden.
Wir haben es, wie im Urhebervertragsrecht und im
gesamten Urheberrecht üblich, mit diametral entge-
gengesetzten Interessen zu tun. Deshalb haben wir an
bestimmten Stellen Veränderungen herbeigeführt. Am
substanziellsten ist sicherlich die Veränderung vom fünf-
jährigen Rückrufrecht in ein zehnjähriges Zweitverwer-
tungsrecht, was allerdings die Begründung hatte, die ich
Frau Künast gerade genannt habe. Auch an anderen Stel-
len – etwa beim Auskunftsrecht, bei dem wir Ausnahmen
für untergeordnete Beiträge eingeführt haben, oder bei
einem unzumutbaren Aufwand für die Verwerter – sind
aufgrund dessen, was uns geschildert wurde, sowohl von
der Urheberseite als auch von der Verwerterseite, diese
Änderungen in den Gesetzentwurf aufgenommen wor-
den.
An allen Stellen handelt es sich um einen Interessen-
ausgleich, der möglicherweise der einen Seite schon zu
weit geht, der anderen Seite aber nicht weit genug. Zu
glauben, dass man bei Rechtsmaterien im Urheberrecht
zu Ergebnissen kommt, die beide Seiten zufriedenstellen,
halte ich allerdings für leicht illusionär.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller: Dirk Wiese.
Sehr geehrter Herr Minister, auch ich habe eine Fra-
ge. Ich habe mir das angeschaut und festgestellt, dass es
wirklich lange gedauert hat, bis sich die Bundesregierung
nach dem sogenannten Stärkungsgesetz – ich glaube, das
war im Jahr 2002 – wieder mit dem Urhebervertragsrecht
beschäftigt hat. Vielleicht könnten Sie den Grund anfüh-
ren, weshalb die Reform jetzt neu angestoßen worden ist.
Ich habe noch eine zweite Frage. Wenn ich es richtig
mitbekommen habe, gab und gibt es gerade in der Öf-
fentlichkeit eine heftige Diskussion über die Reform des
Urhebervertragsrechts. Man kann den Eindruck gewin-
nen, dass sich die Verwerter teilweise übergangen fühlen;
so scheint es manchmal. Vielleicht können Sie darstellen,
wie deren Interessen berücksichtigt worden sind.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Wir haben bei diesem Gesetzentwurf die üblichen
Anhörungen durchgeführt. Wir haben nach den schrift-
lichen Anhörungen auch mit den wesentlichen Gruppen,
insbesondere auf der Verwerterseite, gesprochen. Wir ha-
ben im Vorfeld der Anhörung Verwerter und Urheber in
kleineren Runden zusammengebracht, weil wir aus der
Historie wussten, wie schwierig es ist, eine Reform des
Urheberrechts auf den Weg zu bringen. Das hat sich auch
daran gezeigt – Sie haben darauf hingewiesen –, dass die
Vorgängerregierung dieses Gesetz nach 2002, obwohl
die Missstände offengelegen haben, nicht mehr ange-
packt hat, eben weil das eine politisch sehr umstrittene
Materie ist. Ich bin froh, dass wir das jetzt aufgegriffen
und einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der sicherlich
im parlamentarischen Verfahren noch zu intensiven Dis-
kussionen führen wird.
Wir haben im Übrigen nicht nur an der Stelle etwas
getan, sondern auch zu dem Recht der Verwertungsge-
sellschaften einen eigenen Gesetzentwurf im Rahmen der
Umsetzung der jeweiligen EU-Richtlinie eingebracht,
und wir wollen im Laufe dieses Jahres noch einen Ge-
setzentwurf einbringen, der die Bildungs- und Wissen-
schaftsschranke neu regelt, sodass wir das Ziel, das wir
haben, nämlich umfassende urheberrechtliche Reformen
innerhalb dieser Legislaturperiode nicht nur anzustoßen,
sondern auch abzuschließen, erreichen können.
Vielen Dank. – Johannes Fechner.
Herr Minister, laut dem Gesetzentwurf soll dasSchlichtungsverfahren zur Aufstellung der gemeinsamenVergütungsregeln effektiver gestaltet werden. KönntenSie erläutern, welche Auswirkungen Sie in der Praxis er-warten und wie das konkret erfolgen soll?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Wir haben aufgrund der Praxis in der Vergangenheitfestgestellt, dass das Schlichtungsverfahren an vielenStellen zu lange dauert, weil Gutachten erstellt werdenmüssen. Es ist sehr exakt vorgegeben, wie diese Ver-fahren ablaufen, wer an welcher Stelle beteiligt ist. Wirhaben die bisherigen Fristen angepasst und auch dieVoraussetzungen dafür geschaffen, dass die Verfahrenbeschleunigt durchgeführt werden können. Wir stellenBundesminister Heiko Maas
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nicht mehr so viele unbedingte Voraussetzungen dafürauf, was alles – Informationen, Gutachten usw. – im Ver-fahren erbracht werden muss. Wir haben die Zuständig-keiten etwas klarer geregelt, als es im Gesetz bisher derFall ist. Wir gehen davon aus, dass das alles dazu beitra-gen wird, dass die entsprechenden Verfahren in Zukunftschneller vonstattengehen werden, als wir es aus der Ver-gangenheit kennen.
Vielen Dank. – Die nächste Frage kommt von Sigrid
Hupach.
Herr Minister Maas, Sie haben eben schon mehrfach
angeführt, dass Sie neben den gemeinsamen Vergütungs-
regeln auch durch das Verbandsklagerecht die Rechte der
Urheberinnen und Urheber stärken wollen. Mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf machen Sie aber eigentlich das
Gegenteil, indem den Verwertern die Möglichkeit ein-
geräumt wird, sich dem Verbandsklagerecht dadurch zu
entziehen, dass sie aus den Verwerterverbänden austreten
können. Warum regeln Sie das nicht genau umgekehrt,
sodass das Verhandlungsergebnis für die gesamte Bran-
che verbindlich gilt, also auch für die nicht organisierten
Verwerter? Warum regeln Sie das nicht so?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Weil das ein nicht unerheblicher Eingriff in die Ver-
tragsfreiheit wäre und weil wir die Erfahrung gemacht
haben, dass die Verwerter und vor allen Dingen die Ver-
wertungsgesellschaften in Deutschland bewährt sind; das
System funktioniert. Wir haben an dieser Stelle keine
weiteren strukturellen Änderungen vorgenommen, weil
wir nicht glauben, dass das System dadurch in irgendei-
ner Weise optimiert würde.
Die nächste Frage kommt vom Kollegen Hakverdi.
Herr Minister, welche konkreten Auswirkungen hat
das neue Recht auf die Beteiligten, also Urheber, aus-
übende Künstler und Verwerter, in der täglichen Praxis,
und müssen die Konsumenten, also etwa Zeitungsabon-
nenten, Käufer von Büchern oder Kunden von Strea-
ming-Diensten, Nachteile befürchten?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Wie sich das auswirkt und ob Nachteile zu befürch-
ten sind, dazu kann ich natürlich nur sehr bedingt etwas
sagen. Ich kann aber an keiner Stelle dieses Gesetzent-
wurfs erkennen, dass wir irgendetwas beschlossen haben,
was an die Verbraucherinnen und Verbraucher in Form
von höheren Kosten weitergegeben wird. Wir haben ja
keine Regelung getroffen, wie eine angemessene Vergü-
tung aussieht, sondern nur die Rechtsdurchsetzung ver-
einfacht. Geklärt werden soll: Wie können Künstlerinnen
und Künstler ihr Recht auf angemessene Vergütung auch
durchsetzen? Dazu dienen die Einführung einer Ver-
bandsklage und die Einführung eines Auskunftsrechts.
So können sie überhaupt einmal erfahren, was von dem
Werk genutzt wurde, bei dem man die Rechte an einen
Verwerter abgetreten hat, und wie viel Geld derjenige da-
mit verdient hat. Insofern glaube ich, dass den Urhebern
nur das zukommen wird, was ihnen auch zusteht, und
dass lediglich verhindert wird, dass sie weniger als eine
angemessene Vergütung bekommen.
Daraus kann ich nicht ableiten, dass das in irgendei-
ner Form Folgen haben wird, etwa dass sich Preise für
Streaming-Dienste oder für sonstige kulturelle Werke
erhöhen. Deshalb gehe ich davon aus, dass sich für die
Verbraucherinnen und Verbraucher im Wesentlichen gar
nichts verändern wird.
Vielen Dank. – Jetzt fragt Sie Dr. Stefan Heck.
Herr Minister, Sie haben schon erwähnt, dass im Ge-
setzentwurf ein Auskunftsanspruch der Urheber vorgese-
hen ist. Schon bislang gab es einen nicht kodifizierten
Auskunftsanspruch; er ist aufgrund der Rechtsprechung
entstanden. Inwieweit geht dieser Gesetzentwurf über
das hinaus, was wir bisher schon an Auskunftsansprü-
chen haben?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Der Auskunftsanspruch, den wir im Gesetzentwurf
vorgesehen haben, orientiert sich an der bisherigen
Rechtsprechung. Wir fassen damit die Grundlagen der
Rechtsprechung zum Auskunftsanspruch zusammen, der
sich bisher entweder aus einer einzelvertraglichen Rege-
lung ergeben hat oder aus Treu und Glauben, also aus
dem Zivilrecht, abgeleitet wurde.
Wir wollten dies kodifizieren, weil es in der digitali-
sierten Welt mit neuen Verbreitungs- und Nutzungsmög-
lichkeiten für Urheber sehr schwer ist, zu überblicken,
wo und wie häufig ihr Werk genutzt worden ist, um
festzustellen, ob möglicherweise Nachzahlungen einge-
fordert werden können. Deshalb ist dieser Auskunftsan-
spruch ein direkteres Recht für den Urheber, das sich in
der Rechtsprechung sicher weiter herausbilden wird und
nicht mehr über Drittquellen abgeleitet werden muss.
Auch das halten wir im Ergebnis für eine Stärkung der
Rechte von Urheberinnen und Urhebern.
Vielen Dank. – Christian Flisek ist dran.
Herr Bundesminister Maas, Sie haben in Ihrem Ein-gangsstatement angedeutet, dass sich das Urheberrechtauf sehr viele Kreativbranchen bezieht, die ausdifferen-ziert sind, die oft sehr eigene Geschäftsmodelle fahren.Der Entwurf bezieht sich jedoch auf alle Branchen glei-chermaßen im Sinne eines allgemeinen Urheberrechts.Bundesminister Heiko Maas
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Meine Frage an Sie ist: Inwieweit glaubt die Bundesregie-rung, dass die Stärkung gemeinsamer Vergütungsregelndazu beitragen kann, dass wir verstärkt branchenspezi-fische Regelungen entwickeln, die bedarfsgerecht sind?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Das halten wir für absolut sinnvoll. Ein nicht unwe-sentlicher Teil dieses Gesetzentwurfs hat genau zumInhalt, den Abschluss gemeinsamer Vergütungsregelnzu stärken, indem wir die Rechte, die wir den Urhebernzusätzlich einräumen, in diesen gemeinsamen Vergü-tungsregeln für abdingbar erklären, die so etwas wieTarifverträge sind. Deshalb wird es in Zukunft für dieVerwerterseite noch interessanter werden, solche ge-meinsamen Vergütungsregeln zu vereinbaren.Das ist in der Vergangenheit nicht in allen Branchender Fall gewesen. Es besteht die Möglichkeit, mit denUrheberverbänden diese Rechte auszuhandeln undbranchenspezifisch zu regeln. Schließlich ist das Urhe-berrecht so komplex, weil die gleichen Regelungen fürvöllig unterschiedliche Sachverhalte passen müssen, alsofür Buchverlage, für die Filmindustrie, die Musikindus-trie usw. Das ist die eigentliche Problematik. Mit ge-meinsamen Vergütungsregeln wird es ermöglicht, diesesProblem branchenspezifisch zu lösen. Wir wollen des-halb mehr gemeinsame Vergütungsregeln und haben denDruck, solche abzuschließen, mit diesem Gesetzentwurfnoch etwas erhöht.
Vielen Dank. – Renate Künast stellt die nächste Frage.
Bezüglich der vorherigen Antwort zur Verbindlich-
keit der Schiedsverfahren und zu den gemeinsamen Ver-
gütungsregeln muss ich ehrlich sagen, dass ich relativ
wenig Druck spüre. Ich spüre auch relativ wenig Druck
beim Thema Auskunftsanspruch; der Kollege Heck hat
bereits danach gefragt. Ich verstehe gar nicht, warum der
Anspruch ausgeschlossen werden soll, wenn der Urheber
einen „lediglich untergeordneten Beitrag zu einem Werk,
einem Produkt oder einer Dienstleistung erbracht hat“
oder aus anderen Gründen die Auskunft unverhältnismä-
ßig ist. Ich verstehe diese unbestimmten Rechtsbegriffe
nicht. Sie öffnen damit meiner Meinung nach Tür und
Tor dafür, eine Nichtauskunft zu geben, und Tür und Tor
für Gerichtsverfahren.
Ich verstehe den Aspekt „untergeordneter Beitrag“
nicht, wenn man doch die kleinen Urheberrechteinha-
ber unterstützen will. Diese sind auf kleine Beträge und
kleine Nutzungen und das Wissen darüber angewiesen.
Deshalb frage ich, warum Sie statt dieser Rechtsbegriffe
nicht gesagt haben, dass es Auskunftsansprüche immer
dann gibt, wenn es sich um direkt verbundene Vertrags-
partner handelt.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Das ist ganz einfach so, weil uns in den Anhörungen
Fallgestaltungen dargelegt worden sind, bei denen der
unmittelbare Gewinn für den Urheber und der daraus
resultierende Aufwand für den Verwerter zur Feststel-
lung der Verwertung und der Häufigkeit der Verwertung
in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander gestan-
den haben. Es gibt eine Rechtsprechung, wann ein Aus-
kunftsersuchen unverhältnismäßig ist.
Das haben wir in die Regelung aufgenommen, die wir
vorgeschlagen haben.
Es ist nun einmal so, dass wir mit dem Auskunfts-
anspruch einen konkreten Anspruch definieren, den es
zuvor im Gesetz so nicht gegeben hat, der aus anderen
Rechtsquellen abgeleitet werden musste. Dass es Fall-
konstellationen gibt, in denen die Wahrnehmung eines
Auskunftsanspruchs nicht mehr verhältnismäßig ist,
steht, glaube ich, außer Frage. Darauf weisen wir hin. Im
Übrigen wäre dies in der Praxis, auch bei einer anderen
Formulierung, von Gerichten möglicherweise ebenfalls
so festgestellt worden.
Also: Wir nehmen die Rechtsprechung auf, die es dazu
gibt. Dass in Ausnahmefällen bei unzumutbarem Auf-
wand auch von der Erfüllung eines Auskunftsanspruchs
abgesehen werden kann, halte ich für relativ realistisch.
Halina Wawzyniak.
Ich würde gern noch einmal auf das ursprünglicheRückrufrecht zurückkommen; es geht um fünf Jahre oderzehn Jahre. Sie haben versucht, zu erklären, warum Sieden Zeitraum von fünf Jahren auf zehn Jahre ausgewei-tet haben. Sie haben im neuen § 40 a des Urheberrechts-gesetzes im Zusammenhang mit dem ausschließlichenNutzungsrecht noch eine Einschränkung vorgenommen,nämlich: „gegen eine pauschale Vergütung“. Da würdemich interessieren: Wie kommt es zu dieser Einschrän-kung, die vorher nicht vorgesehen war, zumindest nichtim Referentenentwurf?Wenn wir schon beim neuen § 40 a sind, würde michnoch interessieren, wie Sie auf die Idee gekommen sind,dass ein zeitlich unbeschränktes Nutzungsrecht einge-räumt werden kann, wenn das Werk nicht veröffentlichtwerden soll. Also: Welche Fälle gibt es, in denen jemandein zeitlich unbeschränktes Nutzungsrecht einräumt,wenn das Werk nicht veröffentlicht werden soll?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Was die erste Frage angeht: Wir haben die pauscha-lierten Verträge von der Zweitverwertungsregel ausge-nommen, weil sie im Wesentlichen Fallgestaltungen imBuchverlagswesen und in der Musikindustrie betreffen.Dort werden in der Regel stückzahlabhängige VerträgeChristian Flisek
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abgeschlossen. Das heißt, die Autoren werden nach Auf-lage oder die Musiker nach dem Platten- oder CD-Ver-kauf entlohnt. Wir haben aufgrund der Mechanismen undder Mischkalkulation, die es in den Verlagen oder in Un-ternehmen der Musikbranche gibt, nicht die Auffassunggewonnen, dass es hier die größten Missstände gibt. Dashat sich im Übrigen auch daran gezeigt, dass es eine nichtunerhebliche Anzahl von Autoren großer, kleiner undmittlerer Verlage gegeben hat, die darauf hingewiesenhaben, dass durch ein fünfjähriges Rückrufrecht nebenden zusätzlichen Rechten, die den Urhebern eingeräumtwerden, auch Gefahren drohen und insbesondere klei-ne und mittlere Verlage dadurch Probleme bekommenkönnten. Wir haben uns deshalb entschlossen, von derRegelung, so wie wir sie ursprünglich vorgesehen hatten,abzusehen. Es bleibt immer noch ein Mehrwert, nämlichdas Zweitverwertungsrecht für Urheber nach zehn Jah-ren, das es im jetzigen Gesetz so nicht gibt.Die Antwort auf die zweite Frage werde ich nachlie-fern, weil ich jetzt keine Zeit mehr habe.
Danke schön. – Dann noch Frau Hupach und Herr
Flisek.
Herr Minister Maas, ich komme noch einmal auf den
Anspruch auf Auskunft und Rechenschaft zurück, und
zwar auf die sogenannte Kannregelung, die Sie jetzt vor-
schlagen, und darauf, dass der Anspruch zusätzlich auf
den Fall der entgeltlichen Nutzung beschränkt wird. Sie
haben eben gesagt, dass manchmal die Verhältnismäßig-
keit nicht gegeben ist. Wie würden Sie das definieren?
Könnten Sie einmal näher erläutern, nach welchen Krite-
rien die Verhältnismäßigkeit festgestellt werden soll und
warum es zu dieser Kannregelung kommt?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Es gibt ganz einfach Fälle, in denen Kosten und Nut-
zen außer Verhältnis stehen. Wenn jemand zu einem
Vertrag, bei dem es um 100 Euro geht, einen Auskunfts-
anspruch geltend macht, der einen Verlag oder einen
Sender über Monate beschäftigt, dann, glaube ich, ist
das unverhältnismäßig. Ehrlich gesagt glaube ich, dass in
einem solchen Fall zwischen den Vertragspartnern bzw.
ehemaligen Vertragspartnern auch eine gütliche Rege-
lung möglich sein müsste, weil es sich um nicht so große
Beträge handelt. Wenn es also darum geht, Kleinstbeträ-
ge zu erstreiten, und dafür ein großflächiges Auskunfts-
ersuchen geltend gemacht wird, sind wir der Auffassung,
dass es sinnvoller ist, das außerhalb eines Auskunftsersu-
chens einvernehmlich zu regeln. Auf jeden Fall glauben
wir, dass es eine Grenze gibt, die im Übrigen auch die
Rechtsprechung ableitet, nämlich dass die Geltendma-
chung des Auskunftsersuchens nicht unverhältnismäßig
sein darf. Ins Verhältnis gesetzt werden muss das, was
es möglicherweise an Nachzahlung gibt, und das, was
die Erfüllung des Auskunftsanspruchs beim Verwerter an
Kosten verursacht.
Vielen Dank, Herr Maas. – Als Letzter zu diesem The-
ma hat Christian Flisek die Fragemöglichkeit.
Herr Bundesminister Maas, Sie haben gesagt, im Ge-
setzentwurf sei eine Stärkung der gemeinsamen Vergü-
tungsregeln vorgesehen. Auf der anderen Seite steht die
Durchsetzung dieser gemeinsamen Vergütungsregeln in
Form einer Verbandsklage. Auf Verwerterseite finden
sich ausreichend mächtige Organisationen wieder, die
für eine solche Verbandsklage durchaus auf der Pas-
sivseite stehen könnten. Wie ist die Einschätzung der
Bundesregierung: Sind die Kreativen, die Urheber auch
ausreichend organisiert, um von diesem Verbandsklage-
instrument in der gewünschten Form Gebrauch machen
zu können?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Ich glaube, dass es bei den Kreativen grundsätzlich
keinen größeren Drang zur Organisation in Verbänden
gibt. Das hat etwas mit dem Selbstverständnis in den
unterschiedlichen Branchen zu tun. Wir würden uns
wünschen, dass sich mehr Kreative, also Urheber, in Ver-
bänden zusammenschließen, weil das die Schlagkraft der
Verbände und damit auch die Rechtsdurchsetzung der
Urheber verbessern würde. Letztlich ist das aber eine
Entscheidung, die jeder selber treffen muss. Wir glauben,
dass wir es ihnen mit den Rechten, die wir jetzt einge-
räumt haben, noch deutlich attraktiver gemacht haben,
einem Verband anzugehören. Mich würde nicht wun-
dern, wenn sich Kreative an der einen oder anderen Stelle
aufgrund der neuen Rechtslage entschließen, Verbänden
beizutreten. Ich persönlich würde das begrüßen.
Dann kommen wir zum Fragekomplex „Themen der
heutigen Kabinettssitzung“. – Katja Keul.
Vielen Dank. – Ich habe eine Frage zu der Reform des§ 179 StGB, also zum Sexualstrafrecht. Dies war heuteauch Gegenstand der Kabinettssitzung. Ich würde gernevon Ihnen wissen, warum Sie sich auf den Tatbestand dessexuellen Missbrauchs von Widerstandsunfähigen beru-fen, der zudem nach dem neuen Gesetzentwurf einenniedrigeren Strafrahmen hat als die Vergewaltigung einergesunden Person. Das verstehe ich nicht. In der Begrün-dung heißt es:Der … niedrigere Strafrahmen rechtfertigt sich da-raus, dass der Täter des § 177– das ist die Vergewaltigung –zusätzlich einen entgegenstehenden Willendes Opfers durch Zwang beugen muss unddaher wegen Nötigung mit einer Mindestfrei-heitsstrafe von einem Jahr rechnen muss.Bundesminister Heiko Maas
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Demgegenüber muss der Täter, der einen Widerstandsun-fähigen vergewaltigt, den Widerstand nicht überwindenund wird deswegen milder bestraft.Das ist doch eine Diskriminierung behinderter Perso-nen. Das wurde schon immer am § 179 StGB kritisiert.Sie behalten das aber ausdrücklich bei. Warum?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Zunächst einmal will ich darauf hinweisen, dass mitdem Gesetzentwurf überhaupt erst eine Rechtsgrundlagedafür geschaffen wird, dass geistig behinderte Menschenzukünftig durch das Strafgesetzbuch besser geschütztwerden können. Bisher ist es gar nicht möglich, geistigbehinderte Menschen zu „vergewaltigen“, weil sie nachder Rechtsprechung und den Rechtsgrundlagen gar kei-nen entgegenstehenden Willen bilden können. Das wirdin diesem Gesetzentwurf aufgehoben. Damit wird dieRechtsgrundlage verändert, auf der entschieden wird.Dass es einen unterschiedlichen Strafrahmen gibt, hatetwas damit zu tun, dass die Widerstandshandlungen inunterschiedlicher Intensität wahrgenommen werden, undwird durch die Definition in der Begründung gerechtfer-tigt.
Vielen Dank. – Die nächste Frage hat Frau Haßelmann.
Herr Maas, es kann uns doch nicht zufriedenstellen,
wenn Sie sagen: „Bisher war es nicht strafbar; deshalb
machen wir das jetzt hier“, und das sollen wir gut finden.
Das bedeutet ja, dass Sie diese Regelung im Jahr 2016 so
anlegen, dass sie im Hinblick auf behinderte Menschen,
behinderte Frauen und Mädchen, nicht diskriminierungs-
frei ist.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Ich finde schon, dass das einen Unterschied macht,
da die Einordnung einer Handlung, deren Unwertgehalt
nach unserer Auffassung eindeutig zu bestrafen ist, in
der Vergangenheit von vielen Bundesregierungen unter-
schiedlicher Couleur nie geändert worden ist.
Wir ändern das jetzt. Es ist ein deutlicher rechtspo-
litischer Fortschritt, dass wir auch nach der Art der Wi-
derstandsleistung differenzieren und danach, dass be-
stimmte Personen gar keinen Widerstand leisten, weil sie
ihn nicht leisten können. Das ist der tiefere Gehalt die-
ses Gesetzes. Wir müssen auch bei Menschen, die nicht
behindert sind, differenzieren, ob sie überrascht werden
oder keinen Widerstand leisten, weil sie befürchten, dass
ihnen noch mehr Gewalt angetan wird, oder sich irgend-
wo befinden, wo keine Hilfe absehbar ist, oder ihnen mit
dem Verlust des Arbeitsplatzes gedroht wird. Das alles
sind Umstände, die unterschiedlich behandelt werden.
Deshalb haben wir auch unterschiedliche Strafrahmen.
Wenn ein durchgeführter Widerstand mit Gewalt inner-
halb einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung
überwunden wird, dann erhöht das den Unwertgehalt
der Tat noch einmal. Das rechtfertigt unserer Auffassung
nach unterschiedliche Strafrahmen.
Vielen Dank, Herr Minister. – Katja Keul, noch ein-
mal dazu? – Gut.
Noch einmal zu demselben Gesetzentwurf, hier abereine andere Passage. Es geht darum, dass die Istan-bul-Konvention des Europarates umgesetzt werden sollund es nicht mehr auf eine Widerstandsleistung des Op-fers ankommen soll. Jetzt behalten Sie in Ihrem Gesetz-entwurf bei, dass es auf den Widerstand ankommt. Sieschreiben sogar in der Begründung: Aufgrund der Ver-knüpfung zwischen Übel und Widerstand mit den Wor-ten „im Falle eines Widerstandes“ werden nur solcheFälle erfasst, bei denen das Opfer die sexuelle Handlungzwar eigentlich ablehnt, aber den Widerstand wegen derFurcht vor dem empfindlichen Übel gleichwohl unter-lässt. Gleichzeitig werden hierdurch Fälle ausgeschlos-sen, in denen das Opfer lediglich ein Übel befürchtet, dasmit dem Widerstand in keinem Zusammenhang steht. –Das verstehe ich nicht. In Zukunft muss das Opfer wiederbeweisen, dass das Übel mit dem Widerstand zusammen-hängt und warum es keinen Widerstand geleistet hat. Dassollte doch gerade geändert werden.Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Nein, wir haben im Gesetzentwurf keine Beweislast-umkehr vorgenommen, weil das unter keinem Gesichts-punkt sinnvoll oder vertretbar gewesen ist, auch nicht beidiesen Straftatbeständen, auch wenn die deutsche Recht-sprechung in der Vergangenheit bezüglich Sexualdeliktesehr restriktiv gewesen ist,
weil es sich im Wesentlichen um Straftaten aus dem per-sönlichen Nahbereich gehandelt hat. Deshalb haben wirneben dem nichtvorhandenen Einverständnis – das istnatürlich auch in dieser Regelung abgebildet – weiterhindarauf abgestellt, dass Widerstandshandlungen vorge-nommen werden könnten. Sie müssen aber nicht mehrvorgenommen werden. Wir haben in einem langwierigenProzess mit allen Landesjustizverwaltungen in der Ge-richtspraxis noch einmal überprüft, wo die Schutzlückenbei der Vergewaltigung sind. Was führt dazu, dass nur8 Prozent der angezeigten Vergewaltigungen wirklich ei-ner Verurteilung zugeführt werden? Das hat etwas damitzu tun, dass die Rechtsprechung grundsätzlich restriktivist, weil es sich um Straftaten aus dem persönlichen Nah-bereich handelt. Deshalb haben wir die Fallgestaltungen,um die es geht, genau beschrieben. Um welche Fällees geht, zum Beispiel Überraschungsmomente, stehtim Tatbestand. Wir sind fest davon überzeugt, dass eszu häufigeren In-dubio-pro-reo-Entscheidungen führenKatja Keul
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2016 15777
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wird, wenn man sich auf den subjektiven Tatbestand be-schränkt.
Deshalb und weil mir niemand, der die reine Nein-heißt-nein-Lösung propagiert, einen Fall genannt hat, der vondem Tatbestand, wie wir ihn heute beschlossen haben,nicht erfasst wird, glaube ich, dass das Ergebnis das glei-che sein wird. In der Praxis und der Anwendung wird dieVerurteilungsquote durch das, was wir heute im Kabinettbeschlossen haben, deutlich besser angehoben
als durch andere Tatbestandsformulierungen, die reinsubjektiv sind.
Britta Haßelmann, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wir
haben gar nicht von Beweislastumkehr gesprochen. Wir
haben Sie vielmehr gefragt, warum Sie an der Stelle ei-
gentlich den Nachweis der betroffenen Frauen und Mäd-
chen durch die Formulierung, die meine Kollegin Keul
vorgetragen hat, so belassen, wie es Status quo ist. Bei
uns spricht niemand von Beweislastumkehr. Drehen Sie
das Argument also nicht um.
Zudem hat mich Ihre Erläuterung im Hinblick auf die
behinderten Menschen in keiner Weise überzeugt. Ei-
gentlich müssten wir doch sagen: Behinderte Betroffene
sind besonders schutzbedürftig. – Die Logik, hier eine
andere Argumentation für ein möglicherweise geringeres
Strafmaß anzusetzen oder die Strafbarkeit überhaupt he-
rabzusetzen, kann ich nicht nachvollziehen.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Weil behinderte Menschen besonders schutzbedürftig
sind, haben wir sie überhaupt an dieser Stelle gesondert
in den Geltungsbereich des Strafrechtes aufgenommen.
Vorher ist das nicht getan worden. Wer es vorher hätte
tun wollen, hätte es zu bestimmten Regierungszeiten
auch tun können. Es ist aber nicht geschehen.
Deshalb finde ich, dass man durchaus darauf hinwei-
sen darf, dass wir eine verbesserte Rechtslage und mehr
Schutz für behinderte, insbesondere geistig behinderte
Menschen schaffen, die bisher beim Straftatbestand der
Vergewaltigung überhaupt nicht gesondert vom Straf-
recht erfasst worden sind.
Zur Frage der Beweisführung. Natürlich ändern wir
mit dem Gesetz auch maßgeblich die Regelungen zur
Beweiserbringung. Wir drehen nicht die Beweislast um –
das wollen sicherlich auch Sie nicht fordern –, aber wir
definieren genau die Fälle, in denen der Straftatbestand
erfüllt ist, ohne dass körperlicher Widerstand geleistet
wurde: bei einem Überraschungsmoment oder wenn
gedroht wurde oder wenn mit noch mehr Gewaltanwen-
dung gerechnet werden musste. Die Opfer können sich
darauf stützen; die Fälle sind im Gesetzentwurf in de-
taillierter Form zusammengefasst. Damit werden die Be-
weisbarkeit und die Beweisführung für die Opfer deut-
lich erleichtert.
Nach wie vor gilt: Die Länder, die die Lösung eines
rein subjektiven Tatbestands gewählt haben, in denen
man sich also auf eine reine Nein-heißt-nein-Lösung be-
schränkt hat – auch sie wird in der parlamentarischen De-
batte eine Rolle spielen –, können nicht darauf zurückbli-
cken, dass sich die Verurteilungsquoten damit wesentlich
verändert haben. Ich halte das Risiko für zu groß, dass
es in diesem Falle zu häufig In-dubio-pro-reo-Entschei-
dungen gibt.
Deshalb halten wir es aus dem Blickwinkel, den Schutz
für Frauen vor sexueller Gewalt zu verbessern, für rich-
tig, den Tatbestand genauer zu beschreiben, die Beweis-
führung für die Opfer zu erleichtern und damit die Verur-
teilungsquote endlich zu erhöhen.
Vielen Dank, Herr Minister. – Wir haben damit den
Bereich der Fragen zur heutigen Kabinettssitzung been-
det.
Ich komme jetzt zu der Frage, ob es darüber hinaus
Fragen an die Bundesregierung gibt. – Kollegin Künast
hat sich gemeldet, der ich hiermit das Wort erteile.
Danke, Herr Präsident. – Gefühlt zehnmal, real wahr-scheinlich erst fünfmal habe ich gelesen, dass morgenein großer Justizgipfel stattfindet, verbunden mit demWillen, der Welle von politisch motivierter Gewalt et-was entgegenzusetzen. Meine Frage lautet nun: Welchepositiven Beschlüsse haben wir morgen zu erwarten?Ich gehe einmal davon aus, dass allein ein besserer In-formationsaustausch, eine bessere statistische Erfassungund ein bisschen Richterfortbildung oder die Mitteilung,was Sie in Bezug auf Hate Crime schon gemacht haben,aber Facebook noch nicht umgesetzt hat, nicht das Er-gebnis des morgigen großen Justizgipfels sein kann. Des-halb frage ich Sie: Wird es seitens des Bundes morgendie Ankündigung geben, im Bundesbereich eine besserePersonalausstattung zu schaffen? Wird es morgen dieAnkündigung geben, mehr Sach- und Personalmittel fürein flächendeckendes Programm gegen rechtsextremeGewalt zur Verfügung zu stellen? Sonst macht die ganzeVeranstaltung keinen Sinn.Bundesminister Heiko Maas
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Ich will die Frage anschließen: Hat es eigentlich in-tern Ärger dadurch gegeben, dass nunmehr spontan dieInnenminister dazukommen, aber nur Vertreterinnen undVertreter der Großen Koalition die morgige Pressekon-ferenz bestreiten und dass das Schwesig-Ministeriumwiederum nicht beteiligt ist? Ich verstehe nicht, was dagerade personell passiert.
Herr Bundesminister, Sie haben das Wort.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Ich weiß nicht, inwiefern Sie nicht verstehen, was da
personell passiert. Was der Justizgipfel morgen beschlie-
ßen wird, kann ich Ihnen im Voraus jetzt nicht sagen.
Ihre Frage war, ob der Bund beschließt, dass es mehr
Personal geben wird. Ich kann Ihnen sagen: Der Bund
braucht das gar nicht mehr zu beschließen, sondern der
Bund hat das bereits getan und wird es auch in den kom-
menden Haushaltsjahren tun. Wir haben das Personal bei
den Gerichten – beim BGH, im Übrigen auch bei den
Strafsenaten – aufgestockt, der Generalbundesanwalt hat
mehr Geld bekommen, ebenso die Bundespolizei. Der
Bund hat das also längst getan. Insofern brauchen wir das
gar nicht zu beschließen.
Ich werde Ihre Frage gerne zum Anlass nehmen, den
Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern mitzuteilen,
dass es im Bundestag als sinnvoll erachtet wird, die Jus-
tiz personell und auch organisatorisch besser auszustat-
ten. Da ist ja auch wirklich etwas dran.
Sie haben angesprochen, dass die Innenminister am
Gipfel teilnehmen, und gefragt, ob es irgendwelchen Är-
ger gegeben hat. Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Bei
mir hat sich keiner gemeldet. Ich habe darum gebeten,
dass die Innenminister sowie das BKA oder der General-
bundesanwalt vertreten sind und jeweils berichten, weil
auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz regel-
mäßig Maßnahmen gegen extremistische Gewalt oder
gegen islamistischen Terrorismus stehen. Wir wollen uns
im Rahmen der Konferenz besser mit den Kolleginnen
und Kollegen austauschen.
Frau Kollegin Künast, Sie haben dazu noch eine wei-
tere Frage.
Danke. – Herr Maas, veräppeln kann ich mich alleine.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Das weiß ich nicht.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Landesminister
bis vor zwei Tagen nicht wussten, dass auch die Innen-
minister teilnehmen sollen. Ich kann mir nicht vorstellen,
dass Sie das mit denen nicht absprechen. Eine gemein-
same Sitzung läuft doch wohl nicht so ab, dass Sie den
Landesministern durch Zufall zukommen lassen, wer
sonst noch alles an der Veranstaltung teilnimmt; das wäre
zumindest schwer unhöflich.
Wie gesagt: Veräppeln kann ich mich alleine. Sie
glauben doch nicht im Ernst, dass irgendjemand hier im
Raum glaubt, Sie würden morgen nicht vorbereitet in die
Sitzung gehen und würden den Ländern nicht schon ei-
nen Vorschlag für ein Abschlusspapier vorgelegt haben;
denn zur Pressekonferenz haben Sie ja schon eingeladen.
Kein Mensch glaubt, dass Sie das so freihändig tun. Des-
halb frage ich noch einmal: Werden Sie selber oder an-
dere Bundesvertreter morgen konkret vorschlagen, dass
die Bundesmittel für Präventionsprojekte im Bereich
rechtsextreme Gewalt oder für Aussteigerprogramme
ausgeweitet werden sollen? – Nach Richtern habe ich gar
nicht gefragt.
Herr Bundesminister.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Vielleicht wäre es aber sinnvoll, auch nach den Rich-
tern zu fragen.
Frau Künast, Sie können noch dreimal fragen: Ich
werde hier nicht präventiv erklären, was der Justizgipfel
morgen beschließen wird, und ich werde auch nicht er-
klären, was die Bundesregierung dort vorschlagen wird.
Natürlich sind wir dabei, mit den Kolleginnen und
Kollegen aus den Ländern die Themen festzulegen, mög-
licherweise auch Themen, bei denen wir besondere Din-
ge beschließen. Das bleibt aber dem vorbehalten, was mit
den Kolleginnen und Kollegen morgen diskutiert und be-
schlossen wird. Vom Vorgehen her hielte ich es für mehr
oder weniger grenzwertig, wenn man sich am Tag vorher
vor den Bundestag stellte und erklärte, was die 16 Justiz-
minister der Länder gemeinsam mit dem Bundesjustiz-
minister zu beschließen haben.
Ich sehe keine weiteren Fragen. Dann beende ich dieBefragung der Bundesregierung.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:FragestundeDrucksache 18/7841Ich rufe die mündlichen Fragen in der üblichen Rei-henfolge auf.Renate Künast
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2016 15779
(C)
(D)
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.Für die Beantwortung steht die Frau ParlamentarischeStaatssekretärin Caren Marks zur Verfügung.Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Dr. FranziskaBrantner auf:Mit welcher Begründung ist die Ausweitung des Anwen-dungsbereiches in Artikel 1 § 1 des Referentenentwurfs zumGesetz der Neuregelung des Mutterschutzes nicht mehr fürSchülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnen vorgesehen,und unter welchen Voraussetzungen sieht das Bundesministe-rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Absprachemit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung dieMöglichkeit, Schülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnenerneut in den Anwendungsbereich des Artikels 1 § 1 des Refe-rentenentwurfs zum Gesetz der Neuregelung des Mutterschut-zes einzubeziehen?Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.C
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin
Dr. Brantner, vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne
beantworte. Der Gesetzentwurf zur Neuregelung des
Mutterschutzrechts befindet sich zurzeit in der Ressort-
abstimmung und wurde Anfang März, genauer gesagt,
am 3. März, an die Länder und Verbände zur Stellung-
nahme versandt. Vor dem Hintergrund der noch nicht
abgeschlossenen Abstimmungsprozesse ist es zu diesem
Zeitpunkt nicht möglich, nähere Auskünfte zur Einbezie-
hung von Studentinnen, Praktikantinnen und Schülerin-
nen zu geben.
Frau Kollegin Brantner, Sie haben eine Nachfrage.
Bitte sehr.
Aber Sie werden trotzdem nicht leugnen können,
dass in den ursprünglichen Entwürfen Studentinnen und
Schülerinnen Teil der Neuerung waren. In dem Entwurf,
den Sie jetzt versendet haben, sind diese Gruppen aber
offensichtlich nicht mehr dabei.
Frau Staatssekretärin.
C
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, ich
kann meine Antwort nur wiederholen: Der Entwurf ist an
die entsprechenden Verbände versandt. Er befindet sich
in der Ressortabstimmung. Genau wegen dieses Proze-
deres ist es nicht üblich, an dieser Stelle und zu diesem
Zeitpunkt nähere Auskünfte zu geben.
Für eine weitere Nachfrage hat die Kollegin
Dr. Brantner das Wort.
Soweit wir vernehmen konnten, will Frau Ministerin
Wanka diese Gruppen ausnehmen, weil sie befürchtet,
dass aus dem Gesetz eine Mussregelung für Schülerinnen
und Studentinnen werden könnte. Wir haben extra unser
Justiziariat gefragt. Es wurde eindeutig gesagt: Das war
im ursprünglichen Entwurf niemals ein Muss, sondern
eine Option. Daher die Frage an Sie: Werden Sie sich
als Familienministerium weiterhin dafür einsetzen, dass
Schülerinnen und Studentinnen Teil dieses neuen Gesetz-
entwurfs sein werden?
Frau Staatssekretärin.
C
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Kollegin, ich den-
ke, die Haltung des Ministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu dieser Thematik ist – wie auch
Ihren Ausführungen zu entnehmen ist – bekannt. Wir
werden unsere Haltung zu dieser Thematik entsprechend
unterfüttern. Wie gesagt, alles Weitere wird die Ressort-
abstimmung zeigen.
Vielen Dank. – Die Frage 2 der Kollegin Walter-
Rosenheimer wird schriftlich beantwortet. Damit können
wir den Geschäftsbereich dieses Ministeriums verlassen.
Für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Gesundheit liegt eine Frage, die Frage 3 der Kolle-
gin Kathrin Vogler, vor. Diese wird ebenfalls schriftlich
beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Für die Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Norbert Barthle zur Verfügung.
Die Frage 4 des Kollegen Andrej Hunko wird schrift-
lich beantwortet.
Damit kommen wir zur Frage 5 des Kollegen Herbert
Behrens:
Mit welcher Begründung hat der Bundesminister für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt, von der
EU-Kommission gefordert, dass es „‚ohne eine weitere Ver-
zögerung‘ zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes
ren Forderungen wurden seitens des Bundesverkehrsministers
an die EU-Kommission erhoben?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
N
Danke, Herr Präsident. – Lieber Herr Kollege Behrens,die Infrastrukturabgabe ist mit dem Europarecht verein-bar. Die Kfz-Steuer fällt eindeutig in die Zuständigkeitder Mitgliedstaaten und liegt damit außerhalb der Kom-petenz der Europäischen Kommission.Vizepräsident Johannes Singhammer
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 201615780
(C)
(D)
Herr Kollege Behrens, möchten Sie eine Nachfrage
stellen?
Herr Präsident, es handelt sich dabei nicht im eigent-
lichen Sinne um eine Nachfrage, sondern nur um die
Bitte, meine Frage zu beantworten. Ich habe danach ge-
fragt, was für Verzögerungen beispielsweise vonseiten
der Europäischen Union kamen, weil Verkehrsminister
Dobrindt – zumindest laut einer Pressemitteilung vom
5. März – gesagt hat, dass die Europäische Kommission
ohne weitere Verzögerung zu einer Entscheidung kom-
men solle. Meine Frage war auch, welche Forderungen
beispielsweise seitens des Bundesverkehrsministeriums
an die Kommission gestellt worden sind, um diese Ver-
zögerung aufzulösen.
Herr Staatssekretär.
N
Herr Kollege Behrens, wir haben auf das Aufforde-
rungsschreiben der Kommission vom Juni des vergange-
nen Jahres fristgerecht geantwortet und damit die Kom-
mission zur Einstellung des Verfahrens aufgefordert. Die
Kommission hat uns daraufhin erneut mit Schreiben vom
11. Dezember 2015 gebeten, unsere Argumentation mit
einem ergänzenden Aufforderungsschreiben zu erwei-
tern. Wir haben das fristgerecht getan mit Datum vom
2. Februar. Damit hat die Bundesregierung alle Mahn-
schreiben der Europäischen Kommission entsprechend
fristgerecht beantwortet, ist auf die Vorwürfe eingegan-
gen und hat die Kommission auch zum zügigen Fortgang
des Verfahrens und zur Einstellung des Verfahrens auf-
gefordert.
Herr Kollege Behrens, hat das Ihre Nachfrage beant-
wortet?
Damit wäre die ursprüngliche Frage beantwortet.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Dann haben Sie
dazu das Wort.
Herr Staatssekretär, wenn es diese Nachfragen oder
Nachforderungen seitens der EU-Kommission gegeben
hat, können Sie etwas zu den Inhalten dieser Nachfor-
derungen sagen? Welche Fragen hatten Sie in Ihren ers-
ten Unterlagen noch nicht beantwortet, bei denen die
EU-Kommission darauf gedrängt hat, doch bitte schön
eine Position zu beziehen?
Herr Staatssekretär.
N
Herr Kollege Behrens, die Einwendungen der
EU-Kommission bezogen sich insbesondere auf die Fra-
ge der Rechtskompatibilität mit Europarecht, weil hier
Diskriminierung zugrunde gelegt wurde. Wir sind an-
derer Rechtsauffassung. Ich wiederhole: Nach unserer
Rechtsauffassung ist die Zuständigkeit des Mitgliedstaa-
tes für die Kfz-Steuer gegeben. Dies fällt nicht in die
Zuständigkeit der Kommission. Weil wir zwei Gesetze
gemacht haben, ein Infrastrukturabgabegesetz und ein
Kfz-Steuergesetz, sind wir der Auffassung, dass unsere
Gesetze europarechtskompatibel sind. Das haben wir in
unserer Antwort an die Frau Kommissarin ausführlich so
dargelegt.
Wir kommen dann zur Frage 6 des Kollegen Behrens:
Ist die Bundesregierung bisher allen Aufforderungen der
EU-Kommission zur Vorlage weiterer Informationen im Kon-
text des Vertragsverletzungsverfahrens zur Pkw-Maut nach-
sich dieses Vertragsverletzungsverfahren aktuell?
Herr Staatssekretär Barthle, Sie haben das Wort.
N
Da habe ich eine kurze Antwort: Ja, und das Vertrags-
verletzungsverfahren befindet sich in der ersten Stufe.
Herr Kollege Behrens, Sie haben vermutlich noch eine
Nachfrage. Deswegen haben Sie das Wort.
Danke schön. – Ich möchte den Zeitraum abschätzen
können. Es geht ja auch darum, dass in den entspre-
chenden Haushalten, also nicht nur im Haushalt 2016,
sondern möglicherweise auch in weiteren Haushalten,
Pkw-Maut einnahmen berücksichtigt würden. Insofern
interessiert mich, zu welchem Zeitpunkt damit zu rech-
nen ist, dass die Stufe 1 abgeschlossen ist, also die Posi-
tion der Bundesregierung noch einmal erläutert wurde.
Dieser Stufe folgen möglicherweise weitere Stufen, wenn
die Antwort, die Sie an die EU-Kommission gerichtet ha-
ben, nicht ausreicht. Können Sie mir einen Zeitraum nen-
nen, in dem diese Verfahren üblicherweise abgeschlossen
werden, wann möglicherweise, bei einem unbefriedigen-
den Verlauf, die nächste Stufe gestartet wird?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2016 15781
(C)
(D)
N
Herr Kollege Behrens, einen konkreten Zeitraum
kann ich Ihnen da leider nicht nennen; denn es ist so,
dass für die Kommission im Unionsrecht keine Fristen
für die einzelnen Schritte eines Vertragsverletzungsver-
fahrens vorgesehen sind. Das heißt, die Kommission
entscheidet eigenständig über den weiteren zeitlichen
Fortgang innerhalb eines Vertragsverletzungsverfahrens.
Sie entscheidet auch eigenständig – das liegt im Ermes-
sen der Kommission –, welche Fristvorgaben seitens der
Mitgliedstaaten einzuhalten sind. Das gilt auch für die
Entscheidung, ob die Europäische Kommission vor den
Europäischen Gerichtshof zieht.
Herr Kollege Behrens, haben Sie noch eine weitere
Frage? – Dann haben Sie dazu das Wort.
Wir wissen, dass nach ursprünglicher Planung zum
1. Januar 2016 die Pkw-Maut „scharf gestellt“ werden
sollte; das war der Wortlaut des Bundesverkehrsminis-
ters. Jetzt meine Frage: Halten Sie es für realistisch, dass
Ihre Pkw-Maut, die wir als Ausländermaut bezeichnen,
zum 1. Januar 2017 „scharf gestellt“ werden kann?
Herr Staatssekretär.
N
Herr Kollege Behrens, ich glaube, Sie wissen so gut
wie ich, dass wir alle rechtlichen Hürden überwunden
haben – der Deutsche Bundestag hat die Infrastrukturab-
gabe beschlossen, der Bundesrat hat sie beschlossen, der
Bundespräsident hat den Gesetzentwurf unterzeichnet –;
nur die technische Umsetzung ist noch nicht erfolgt, weil
wir die technische Umsetzung dann vornehmen, wenn
wir Rechtssicherheit haben bezüglich der Europäischen
Kommission, wenn also entweder das Vertragsverlet-
zungsverfahren eingestellt wird oder ein entsprechendes
Urteil des Europäischen Gerichtshofs vorliegt, das unse-
re Rechtsauffassung bestätigt.
Der Kollege Kühn hat eine Frage. – Sie haben das
Wort, Herr Kollege.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Danke, Herr Präsident. – Danke, Herr Staatssekretär,
für die Möglichkeit, hier eine Frage zu stellen. Wie lange
wird die technische Umsetzung, die Sie gerade angespro-
chen haben, nach Schätzungen des Ministeriums dauern?
N
Herr Kollege Kühn, wir sind dabei, die notwendigen
Vorarbeiten zu erledigen. Das heißt, man muss die Aus-
schreibung vorbereiten, man muss all das vorbereiten,
was zur technischen Umsetzung notwendig ist. Da sind
wir mittendrin. In dem Augenblick, in dem wir Rechts-
sicherheit haben, können wir relativ schnell, innerhalb
weniger Monate – eine genaue Frist kann ich Ihnen nicht
nennen –, die technische Umsetzung vornehmen.
Ich sehe keine weiteren Nachfragen zur Frage 6.
Die Frage 7 der Kollegin Sabine Leidig wird schrift-
lich beantwortet, ebenso die Fragen 8 und 9 des Kolle-
gen Stephan Kühn, die Frage 10 des Kollegen Matthias
Gastel und die Frage 11 des Kollegen Oliver Krischer.
Ich bedanke mich sehr herzlich bei Herrn Staatsse-
kretär Barthle. Damit haben wir diesen Geschäftsbereich
verlassen.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit. Für die Beantwortung steht der Herr
Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold zur Ver-
fügung.
Die Frage 12 des Kollegen Oliver Krischer wird
schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 13 und 14 der
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl und die Frage 15 der Kolle-
gin Bärbel Höhn.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Christian Kühn
auf:
Werden Produkte wie Polystyrol, Textilien, Polstermöbel,
Kunststoffe mit HBCD zukünftig als Sondermüll eingestuft
bzw. klassifiziert, und, wenn ja, ab wann?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Fl
Kollege Kühn hat gefragt, ob Produkte wie Polystyrol,Textilien, Polstermöbel und Kunststoffe mit HBCD – dasist ein Stoff, der dazu dient, dass die Brandgefahr geringerist – als Sondermüll eingestuft bzw. klassifiziert werden,und, wenn ja, ab wann. Nach § 3 Absatz 1 der Abfall-verzeichnis-Verordnung sind die Abfallarten im Abfall-verzeichnis, deren Abfallschlüssel mit einem Sternchenversehen ist, gefährlich im Sinne des § 48 des Kreislauf-wirtschaftsgesetzes. Für Textilien und für Möbel sindkeine Einträge bei Abfällen vorgesehen. Bei einigen Ab-fällen, für die sowohl ein nichtgefährlicher als auch eingefährlicher Abfallschlüssel gelistet ist, kommt es daraufan, ob ein bestimmter Grenzwert überschritten wird. Dasist zum Beispiel bei polystyrolhaltigem Dämmmaterialoder Kunststoffen je nach Herkunftsbereich der Fall.Der Grenzwert für HBCD in Anhang IV der Verord-nung der Europäischen Union 850/2004, mit dem dasZiel verfolgt wird, HBCD aus dem Wertstoffkreislaufauszuschließen, wird voraussichtlich ab Herbst 2016rechtswirksam sein.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 201615782
(C)
(D)
Herr Kollege Kühn, haben Sie eine Nachfrage dazu?
Dann haben Sie das Wort.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ja, habe ich, Herr Präsident. – Herr Pronold, HBCD
wird ja, wie Sie gerade dargestellt haben, in Deutsch-
land als Sondermüll eingestuft, und zwar dann, wenn es
in der Fassadendämmung genutzt wurde. Seit wann ist
der Bundesregierung bekannt, dass dieser Stoff HBCD
in die PBT-Stoffe einzusortieren ist, also die Stoffe, die
krebserregend sind, die als Sondermüll zu klassifizieren
sind? Warum wurde in der Vergangenheit die weitere
Verwendung dieser Stoffe empfohlen, zum Beispiel über
die KfW und andere, durch die die Verwendung gefördert
worden ist?
Herr Staatssekretär.
Fl
Der erste Punkt ist, dass wir es bei der Frage der Däm-
mung bisher immer den Bauherren überlassen haben,
welche Stoffe sie einsetzen, und dass wir das nicht be-
wertet haben.
Der zweite Punkt ist, dass nach jetzigem Kenntnis-
stand – auch nach intensiven Untersuchungen des Um-
weltbundesamtes – keine Gesundheitsgefährdung vom
Einsatz dieser Stoffe, zum Beispiel auch in Dämmplatten,
für die Bewohner von Wohnungen oder Häusern ausgeht.
Der dritte Punkt ist, dass wir EU-weit eine Verord-
nung haben, die, wie ich vorhin schon gesagt habe, das
Ziel verfolgt, dass wir diesen Stoff ab einer bestimmten
Konzentration aus dem Wertstoffkreislauf ausschließen
und als Sondermüll behandeln. Bisher war es so, dass
diese Dämmplatten recycelt worden sind, auch wenn
sie einen erhöhten Konzentrationswert hatten. Im Zuge
dieses Entscheidungsprozesses, der auf der EU-Ebene
begann, wurde diese Verordnung auf Wunsch des Bun-
desrates auch bei uns zügig umgesetzt; unsere nationale
Verordnung ist unterschrieben und tritt im Herbst 2016
in Kraft.
Herr Kollege Kühn, möchten Sie noch eine weitere
Frage stellen?
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ja. – Es geht ja dann darum, wie man weiter sicher-
stellen kann, dass in Zukunft, wenn gedämmt wird, wenn
energetisch modernisiert wird, möglichst Stoffe einge-
setzt werden, die keine fatalen Folgewirkungen haben,
die recycelbar sind, die weiter im Wertstoffkreislauf sein
können, die wenig graue Energie haben, die möglichst
aus nachwachsenden Rohstoffen sind. Ich frage deswe-
gen, weil Sie ja im Bauministerium sind und es auch dort
die Frage gibt, wie man nachhaltiges Bauen schafft. Es
ist ja gleichzeitig das Umweltministerium. Plant die Bun-
desregierung aufgrund der Erfahrungen in der Vergan-
genheit mit dem Dämmen, in Zukunft Förderkriterien zu
schaffen oder Förderprogramme aufzulegen, die gezielt
auf nachwachsende Rohstoffe setzen und damit auch den
Einsatz nachwachsender Rohstoffe beim Bauen, Sanie-
ren und Dämmen fördern?
Fl
Meine Ministerin hat sich bereits vor über anderthalb
Jahren an die KfW gewandt, um auch in der Frage der
Förderkriterien auf diese Problematik, über die wir hier
diskutieren, aufmerksam zu machen. Es gibt – das sage
ich aus dem Gedächtnis heraus, nicht aus meiner Vorbe-
reitung – im Etat des Landwirtschaftsministeriums einen
Fördertatbestand für nachwachsende Rohstoffe in der
Dämmung. Auch wir unterstützen das in vielfältigen For-
schungsvorhaben. Ich bin mir relativ sicher – das zeigen
übrigens auch die ersten Reaktionen aus der Wohnungs-
wirtschaft –, dass die Klassifizierung von mit HBCD
behandelten Dämmplatten als Sondermüll dazu führen
wird, dass auch die Beteiligten in der Wirtschaft diese
Dinge nicht mehr in dem Umfang einsetzen werden, wie
sie das bisher machen, selbst wenn sie preislich ein Stück
weit günstiger sind.
Ich gebe Ihnen recht, dass es eine ganze Menge Alter-
nativen gibt. Das Problem ist, dass bisher alle preislich
etwas höher liegen als diese Materialien. Unser Ziel ist
es, auch insgesamt nachhaltig zu wirtschaften. Der Bund
geht, was den eigenen Gebäudebestand betrifft, positiv
damit um, indem er ein sehr umfassendes Zertifizie-
rungslabel anwendet, das insbesondere die nachhaltige
Verwendung von Baustoffen sehr deutlich ausweist und
zum Nachahmen anregt.
Damit kommen wir zur Frage 17 des KollegenChristian Kühn. Diese Frage wird nach Anlage 4 unsererGeschäftsordnung – dort Nummer 2 Absatz 2 – ebenfallsschriftlich beantwortet. Dahinter verbirgt sich, dass derInhalt dieser Frage einen Tagesordnungspunkt betrifft,den wir diese Woche debattieren. Deshalb erfolgt eineschriftliche Beantwortung.Wir kommen zur Frage 18 des Kollegen HubertusZdebel:Wie sieht angesichts der jüngst bekanntgewordenen Vor-gänge um die Ablagerung und den Transport von gefährlichenBohrschlämmen der niedersächsischen Erdöl- und Erdgas-
gungsstrategie der Bundesregierung aus, und welche Schrittewird die Bundesregierung ergreifen, um die Probleme bei derBeseitigung der Bohrschlämme zu lösen und den Giftmülltou-rismus zu beenden?Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Bohrschlamm-Entsorgung-Niedersachsen,bohrschlamm140.htmlhttp://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Bohrschlamm-Entsorgung-Niedersachsen,bohrschlamm140.htmlhttp://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Bohrschlamm-Entsorgung-Niedersachsen,bohrschlamm140.html
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2016 15783
(C)
(D)
Fl
Die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Frage lau-
tet, dass der Vollzug des Abfallrechts ausschließlich der
Länderkompetenz unterliegt. Das gilt auch für die hier in
Rede stehende Entsorgung von Bohrschlämmen.
Ebenso ist es die alleinige Aufgabe der Länder, im
Rahmen der Abfallwirtschaftsplanung für ausreichende
Entsorgungsanlagen zu sorgen, um eine gemeinwohlver-
trägliche Beseitigung zu gewährleisten. Die im länder-
übergreifenden Verbund stattfindende Entsorgung von
gefährlichen Abfällen – wie bei der Entsorgung von Bohr-
schlämmen – ist üblich. Sie ermöglicht eine ordnungsge-
mäße Entsorgung dieser Abfälle in dafür spezialisierten
Anlagen. Nach den Informationen der Bundesregierung
ist es so, dass sie im Einklang mit den abfallrechtlichen
Vorgaben steht.
Herr Kollege Zdebel, ich vermute, Sie haben eine wei-
tere Nachfrage. – Dann haben Sie das Wort.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Pronold, das Pro-
blem mit den Bohrschlämmen aus der Erdöl- und Erdgas-
industrie in Niedersachsen ist natürlich dramatisch. Sie
wissen ja, dass Niedersachsen keine eigenen Deponien
mehr vorhalten kann und es deswegen auch zu einem
Export, sozusagen zu einem Giftmülltourismus quer
durch die Republik, gekommen ist, unter anderem nach
Nordrhein-Westfalen. Vor diesem Hintergrund würde ich
sagen: Es mag ja sein, dass das alles legal ist. Nichtsdes-
totrotz habe ich Sie nach einer bundesweiten Strategie
gefragt. Wenn es länderübergreifend quasi eine Art Gift-
mülltourismus gibt, ist es nicht ausreichend, darauf hin-
zuweisen, dass das eine Länderangelegenheit ist, sondern
ich glaube, dass dort auch die Bundespolitik gefordert ist.
Eine konkrete Nachfrage stellt sich trotz alledem, zu-
mindest für mich, und zwar zu den Sanierungsplänen.
Hat es bezüglich dieser Bohrschlammgruben Sanierungs-
pläne gemäß § 13 Absatz 1 des Bundes-Bodenschutzge-
setzes gegeben, sind also tatsächlich Sanierungspläne
erstellt worden, bzw. in welchen Fällen ist es möglicher-
weise zu Unterlassungen gekommen?
Herr Staatssekretär.
Fl
Herr Zdebel, ich würde Ihnen auf diese Frage gerne
detailliert schriftlich antworten. Mir ist aus vergangener
Zeit – nicht aber aufgrund meiner Vorbereitung – nur im
Gedächtnis, dass natürlich bei verschiedensten Deponien
in unterschiedlichen Ländern Sanierungen stattgefunden
haben. Wenn ich es richtig im Kopf habe, ist das übrigens
auch ein Grund dafür, dass es keine Möglichkeiten mehr
gibt, die Deponierung in Niedersachsen vorzunehmen.
Ich werde erfragen, ob wir Kenntnisse haben, wie das
in den einzelnen Bundesländern ist, und werde Ihnen die
Antwort schriftlich geben.
Darüber hinaus will ich darauf hinweisen, dass zumin-
dest nach unserem Kenntnisstand eine Verbringung von
Bohrschlamm aus Niedersachsen in zwei andere Bundes-
länder stattfindet, und zwar in dafür geeignete Deponien,
die auch werkseigen sind. Das heißt also, es findet eine
Verbringung in andere Bundesländer statt.
Wichtig ist aber, dass diese Abfälle sach- und fachge-
recht entsorgt bzw. deponiert werden. Sowohl den Trans-
port als auch die Deponierung müssen die Länder – so ist
es nun einmal – gewährleisten.
Herr Kollege Zdebel, genügt Ihnen diese Antwort?
Ich habe noch eine weitere Nachfrage.
Jawohl. Dann haben Sie das Wort.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Pronold, ich habe
noch eine weitere Nachfrage, weil das in der Öffentlich-
keit jetzt auch eine Rolle spielt.
Sie wissen, dass diese Bohrschlämme anfallen, wenn
nach Erdgas bzw. Erdöl gebohrt wird, und hier stellt sich
natürlich automatisch die Frage, was eigentlich mit Fra-
cking ist.
Wir alle wissen, dass die Bundesregierung hier in
erster Lesung den Entwurf eines – ich nenne es einmal
so – Fracking-Erlaubnisgesetzes eingebracht hat, das seit
einem Jahr quasi erst einmal auf Halde liegt und hier im
Plenum nicht weiter behandelt worden ist. Wenn jetzt
aber ein Fracking-Erlaubnisgesetz in Kraft treten sollte,
von dem circa zwei Drittel der Fläche der Bundesrepu-
blik betroffen wären: Mit welchen Mengen an Bohr-
schlämmen rechnen Sie dann, und wie stellt sich vor die-
sem Hintergrund die Entsorgungsproblematik dar?
Herr Staatssekretär.
Fl
Herr Zdebel, ich komme, wie Sie sich vorstellen kön-nen, zu einer völlig anderen Bewertung als die, die Sie inIhre Frage eingekleidet haben.Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorge-legt, der den bisherigen Rechtszustand beseitigt, wonachbeim Thema Fracking keine Umweltverträglichkeitsprü-fung vorgesehen war und es auch keine anderen Handha-bungen gab, wenn eine Fracking-Aufsuchungserlaubnisbeantragt worden ist. Dieser Gesetzentwurf, mit demzum Beispiel auch die Sorgen um den Schutz des Was-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 201615784
(C)
(D)
sers oder die Gesundheit von Menschen ernst genommenwerden, wird im Bundestag demnächst sicher abschlie-ßend beraten werden. Wir haben damit eine der härtestenRegulierungen vorgelegt, die es in Europa dazu gibt.Weil die wirtschaftliche Nutzung von Fracking darinüberhaupt nicht vorgesehen ist und es nur um Probe-bohrungen zur wirtschaftlichen Erprobung dieser Dingegeht, ist dort nicht von größeren Mengen Bohrschlammauszugehen. Bis zum heutigen Tage ist auch noch nichtentschieden, in welchem Umfang es solche wissenschaft-lichen Probebohrungen überhaupt geben wird.Wir haben auch noch keinerlei Mutmaßungen darüberangestellt, welche Mengen Bohrschlamm bei einer wirt-schaftlichen Nutzung der Fracking-Technologie möglichwären, weil es das Ziel unseres Gesetzentwurfes ist, dassgenau dies nicht stattfindet.
Herr Kollege Behrens, Sie haben eine weitere Nach-
frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Kollege Pronold, Herr
Staatssekretär, ich komme aus Niedersachsen, und zwar
aus der Region Rotenburg und Verden, wo es die Zwi-
schenfälle mit Fracking gegeben hat. Die entsprechenden
Schlämme und die späteren Flüssigkeiten sind hier sehr
wichtig.
Eine der vielen Fragen, die auch in Ihrer Fraktion
ständig diskutiert werden, lautet: Gibt es Möglichkeiten,
diese Abfallprodukte zu behandeln und letztendlich so zu
entsorgen, dass sie für die Umwelt und für die Menschen
ungefährlich sind? Können Sie mir sagen, welche Maß-
nahmen es dafür schon gibt, inwieweit bundesweit ent-
sprechende Anlagen installiert sind und welche Mengen
dort vor- und nachbehandelt werden können?
Herr Staatssekretär.
Fl
Bei aller Liebe zu Ihren Fragen, glaube ich, dass Sie
Ihr Fragerecht an dieser Stelle ein bisschen überdehnen,
weil Fracking nicht Gegenstand der Frage insgesamt ist.
Ich will trotzdem zunächst einmal darauf hinweisen,
dass in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung steht,
dass beim Fracking zukünftig allenfalls nur leicht was-
sergefährdende Stoffe eingesetzt werden dürfen. Dane-
ben reden wir über die Frage, was hier insgesamt heraus-
kommt und wie man das wieder entsorgen kann.
Theoretisch besteht zum Beispiel die Möglichkeit,
eine höhere Salzbelastung des dortigen Lagerstättenwas-
sers mit hohem Energieaufwand wieder zu beseitigen. Es
gibt aber niemanden – auch nicht vonseiten der Umwel-
texperten –, der eine solche Behandlung fordert. Dies gilt
vor allem dann, wenn das in sichere Regionen zurückge-
presst wird, in denen sich Wasser befindet, welches auch
eine höhere Salzbelastung aufweist. Deswegen ist nach
meinem Kenntnisstand beim Fracking bisher eine Rei-
nigung, die zum Beispiel den Salzgehalt verändert, nicht
verpflichtend vorgesehen. Sie wird so wohl nicht prakti-
ziert. Sehr wohl unterfällt das aber, wenn toxikologische
Belastungen von Bohrschlämmen vorhanden sind, nach
meinem Kenntnisstand den abfallrechtlichen Vorschrif-
ten und ist dann natürlich anders zu behandeln.
Ich sehe keine weiteren Nachfragen. Damit verlas-
sen wir diesen Geschäftsbereich. – Herr Staatssekretär
Pronold, vielen Dank.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Für die Beantwortung der diesbezüglichen
Fragen begrüße ich Herrn Parlamentarischen Staatsse-
kretär Hans-Joachim Fuchtel.
Die Fragen 19 und 20 des Abgeordneten Uwe Kekeritz
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Niema
Movassat auf:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Be-
richt „Glass Half Full: The State of Accountability in Develop-
Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH) Verbesse-
rungen bei ihrem Beschwerdemechanismus hinsichtlich Legi-
timität , Zugang (accessibility), Vorhersehbarkeit
, gleichberechtigtem Zugang (equitability),
Transparenz , Übereinstimmung mit Menschen-
rechten sowie fortlaufende Anpassung
an gemachte Erfahrungen empfiehlt (bitte
um Erläuterung, inwiefern die Bundesregierung die Notwen-
digkeit zur Verbesserung bei den einzelnen Punkten sieht und
vorantreiben wird), und wird sie sich dafür einsetzen, dass die
DEG sich ebenso wie die niederländische Entwicklungsbank
FMO, mit der die DEG den Beschwerdemechanismus einge-
richtet hat, dazu verpflichtet, die OECD Guidelines for Multi-
national Enterprises bei ihren Finanzierungen anzuwenden, in
denen Menschenrechtsstandards stärker verankert sind als bei
den IFC-Richtlinien?
Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt die Möglichkeit,
die Frage des Kollegen Movassat zu beantworten.
Ha
Das BMZ sieht in Sachen Beschwerdemechanismus
die DEG – an die Zuschauer gewandt, sage ich, dass es
sich bei der DEG nicht um eine deutsche Eisenbahn-
gesellschaft, sondern um eine große Tochter der KfW
handelt, die den Privatsektor bearbeitet – und auch das
Institut, nach dem gefragt wurde, nämlich die holländi-
sche FMO, auf einem sehr guten Weg. Bis jetzt wurden
solche Beschwerdemechanismen ausschließlich bei mul-
tilateralen Banken zur Anwendung gebracht. Hier wird
nun erstmals auf der Welt – soweit wir das überhaupt re-
cherchieren konnten – dieser Beschwerdemechanismus
in bilateralen Funktionen bei Institutionen eingesetzt, die
im Zusammenhang mit Entwicklungszusammenarbeit
Finanzierungen vornehmen.
Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
//bankwatch.org/sites/default/files/glass-half-full.pdfhttp://bankwatch.org/sites/default/files/glass-half-full.pdf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2016 15785
(C)
(D)
Herr Kollege Movassat, haben Sie eine weitere Frage?
Ja, habe ich. Danke, Herr Präsident. – Herr Staats-
sekretär, ich erhalte von der Bundesregierung immer
wieder die Antwort, dass die DEG ganz tolle Umwelt-,
Sozial- und Menschenrechtsstandards hat. Das will ich
auch gerne glauben, Herr Staatssekretär. Das Problem
aber ist, dass alle Prüfberichte nicht öffentlich sind. Das
heißt, wir haben keinen Zugang, um herauszufinden, ob
das, was Sie sagen oder die DEG sagt, auch der Wahrheit
entspricht.
Sie wissen ja: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser,
Herr Staatssekretär. Daher lautet meine Frage, ob die
Bundesregierung auch angesichts der Tatsache, dass es
immer wieder in gehäuftem Maße Berichte darüber gibt,
dass DEG-Projekte fragwürdige Finanzierungen beinhal-
ten, gedenkt, die Prüfberichte öffentlich oder einer be-
stimmten eingeschränkten Öffentlichkeit zugänglich zu
machen. Das könnte zum Beispiel ein parlamentarischer
Beirat der DEG sein. Oder es könnte irgendeine andere
Art von Offenlegung der Umwelt- und Sozialrisikoprü-
fungen geben.
Ha
Lieber Kollege, wir sind da viel weiter, als Sie ver-
muten. Hier würde ein Blick ins Internet auch bei Ihnen
die Erkenntnis noch etwas erweitern. Es gab eine Petition
von FIAN und anderen. Hierzu hat der Deutsche Bundes-
tag höchst öffentlich und mit Mehrheit festgestellt, dass
die Maßnahmen der Transparenz in sehr guter Weise re-
alisiert wurden; denn genau das war Gegenstand dieser
Petition. Wenigstens Ihren Kollegen sollten Sie glauben,
wenn Sie uns schon nicht glauben.
Herr Kollege Movassat, sind die Fragen ausreichend
beantwortet? Oder haben Sie noch eine Nachfrage?
Herr Präsident, ich habe noch eine Nachfrage. – Herr
Staatssekretär, das ändert ja nichts an der Problematik,
dass die Prüfberichte nicht zugänglich sind. Das ist ja das
Problem. Zum Beispiel gibt es immer wieder Berichte,
dass die DEG bei Finanzierungen involviert ist, bei de-
nen es zu Land Grabbing – zu sogenanntem Landraub –
gekommen ist. Was das anbelangt, so hat die Bundesre-
gierung auch die sogenannten freiwilligen Leitlinien zu
Landnutzungsrechten der FAO aus 2012 mit unterstützt.
Sie wurden verabschiedet. Das Problem besteht darin,
dass bis heute die KfW und auch die DEG nicht auf diese
freiwilligen Leitlinien verpflichtet sind, obwohl die Bun-
desregierung diese die ganze Zeit über gepusht bzw. nach
vorne gestellt hat.
Immer wenn ich danach frage – vielleicht werden Sie
mir auch dieses Mal wieder das Gleiche wie seit zwei
Jahren sagen –, höre ich die Antwort: Das Institut für
Menschenrechte soll schauen, wie man diese Leitlinien
in der KfW bzw. in der DEG umsetzen kann. – Ich finde,
zwei Jahre für eine Prüfung von Leitlinien, die Sie un-
terstützt haben, sind sehr lange. Deshalb ist meine ganz
konkrete Frage: Gibt es einen Zeitplan, wann Sie diese
Leitlinien endlich umsetzen?
Ich will Ihnen sagen: Es ist schwierig, private Unter-
nehmen dafür zu gewinnen, die freiwilligen Leitlinien
für Landnutzungsrechte umzusetzen, wenn sie noch nicht
einmal in den eigenen, hundertprozentig staatlichen Un-
ternehmen umgesetzt werden.
Herr Staatssekretär.
Ha
Wir haben mit diesem Beschwerdemechanismus ein
erstes Verfahren durchgeführt. Dabei ging es um die in-
digenen Völker in Panama und um die Berücksichtigung
von deren Interessen. Es hat sich gezeigt, dass deren In-
teressen gerechtfertigt sind. Es wurde im Rahmen der
Möglichkeiten untersucht. Das gesamte Verfahren wurde
höchst transparent durchgeführt. Solche Fragen werden
jetzt in dieser Petition an den Deutschen Bundestag be-
stätigt.
Was Sie aber wollen, ist etwas anderes. Sie möchten
gerne bei privaten Finanzierungen Transparenz, die so
weit gehen soll, dass bis unter die Haut geschaut wer-
den darf, was aber aufgrund des Bankgeheimnisses nicht
möglich ist.
Ich gebe zu bedenken, dass Sie vielleicht einer Partei an-
gehören, die darüber länger nachdenken muss als die Par-
tei, der ich angehöre. Aber das Bankgeheimnis gilt na-
türlich auch bei solchen Engagements und muss gewahrt
werden. Hier stößt auch Transparenz an ihre Grenzen.
Frau Kollegin Hänsel, Sie haben das Wort für eine Zu-
satzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, ichglaube, dass das Bankgeheimnis – darin sind wir uns ei-nig – natürlich nur vorgeschoben ist. Das haben wir auchin der ganzen Diskussion um Steuerhinterziehung erlebt.Aber irgendwann hat auch die CDU erkannt, dass sie ihreKlientel nicht uneingeschränkt schützen kann.Ich habe eine konkrete Nachfrage. Die Frage meinesKollegen bezog sich auf einen Bericht über ein DEG-fi-nanziertes Staudammprojekt in Panama, wo entgegenverfassungsrechtlichen Bestimmungen die indigenenGemeinden vor dem Beginn der Planungen für diesesProjekt eben nicht umfassend informiert, konsultiert undeinbezogen wurden, was ihr Recht ist. Mit diesem Pro-
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jekt aber droht ihnen die Existenzgrundlage entzogen zuwerden.Jetzt wurden die indigenen Gemeinden gefragt: Washat sich denn nun nach der Einführung des Beschwer-deverfahrens bei der DEG geändert? Sie haben einhelliggeantwortet: Nichts hat sich geändert. – Von daher frageich: Wie effektiv ist ein Beschwerdeverfahren, wenn sichfür die Betroffenen nichts ändert? Was wollen Sie in demkonkreten Fall unternehmen, damit dieses Staudamm-projekt nicht mithilfe der DEG auf Kosten der indigenenGemeinden in Panama durchgesetzt wird, sondern dassderen indigene Rechte geschützt werden und in Einklangmit der Rechtslage stehen?
Herr Staatssekretär, jetzt bitte ich Sie, die Frage der
Kollegin Hänsel zu beantworten.
Ha
Sie haben die Frage suggestiv gestellt. Deswegen habe
ich zwei Möglichkeiten, Ihnen zu antworten. Zunächst
einmal erkläre ich das System. Wenn Sie mir dann eine
Zusatzfrage stellen, kann ich gerne auch etwas zu dem
ganz konkreten Fall sagen.
Wie also geht ein solches Verfahren vor sich? Zu-
nächst einmal wird durch ein unabhängiges Experten-
gremium geprüft, ob eine individuelle Betroffenheit des
Beschwerdeführers vorliegt. Dann wird der Sachverhalt
geprüft. Die Entscheidungen in Konsultation mit der
Beschwerdeführung und den geförderten Unternehmen
werden dann vorbereitet. Dazu gibt es zunächst einmal
eine Mediation, um eine einvernehmliche Lösung her-
zustellen, oder es wird geprüft, ob die Richtlinien, Vor-
gaben und Standards beachtet wurden, „Compliance Re-
view“ genannt. Am Ende erscheint ein Abschlussbericht
des Panels, der in die Jahresberichte zum Mechanismus
einfließt. Das ganze Verfahren ist öffentlich.
Ich weiß nicht, wo in diesem Verfahren Lücken sind.
Sie sollten dieses Verfahren in der Praxis anhand der
Mechanismen nachvollziehen. Sie sollten versuchen,
solche Finanzierungen nicht durch Überforderungen zu
behindern. Auf der Welt brauchen wir nämlich mehr sol-
cher Finanzierungen und nicht weniger. Derzeit kommen
weltweit 15 Prozent der Wertzuflüsse aus dem öffent-
lichen Sektor und 85 Prozent aus dem privaten Sektor.
Wenn wir diese alle ausschließen und alles so kompli-
ziert machen, dann werden wir die Entwicklungspolitik
schwächen, statt sie zu stärken. Wir brauchen aber ihre
Stärkung. Das zeigt sich jeden Tag beim Fernsehen.
Herr Kollege Zdebel, Sie haben eine weitere Nachfra-
ge.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
Sie haben eigentlich die Frage überhaupt nicht beant-
wortet. Es geht um die indigenen Gemeinden in Panama
und darum, wie es ihnen damit geht. Deswegen frage ich
noch einmal ganz konkret nach und bitte Sie darum, die
Frage, wie die Lage der indigenen Gemeinden in Panama
aussieht, ganz konkret zu beantworten.
Ha
Das tue ich gerne. Danke, dass Sie mir die Chance
dazu geben. Es ging um das Vorhaben Barro Blanco,
ein Wasserkraftwerk in Panama mit einer Kapazität von
29 Megawatt, das von einer Firma getragen und von der
DEG, der FMO und einer zentralamerikanischen Bank
gemeinsam finanziert wurde.
Man muss auch wissen, dass 2,6 Prozent der Stausee-
fläche sich in einem erweiterten indigenen Territorium
befunden haben. Die Indigenen kritisieren die Unwirk-
samkeit der Zustimmung zur Landnutzung gegenüber
der Regierung und fordern den Stopp des zu 98 Prozent
fertiggestellten Vorhabens. Sie haben sich dann bei FMO
und DEG beschwert und das Panel gebeten, zu prüfen,
ob die Darlehensgeber bei der Einstufung, Prüfung und
Überwachung des Vorhabens im Einklang mit den zum
Zeitpunkt der Finanzierung geltenden Umwelt- und So-
zialrichtlinien agieren.
Das Panel kommt zu dem Ergebnis, dass DEG und
FMO zum Zeitpunkt der Kreditentscheidung keine hin-
reichenden Informationen über die Umwelt- und Sozi-
alrisiken vorlagen und dass sie damit den Landkonflikt
nicht ausreichend erkennen konnten und seine Bedeu-
tung unterschätzt haben. Das Panel empfiehlt, Kreditent-
scheidungen zukünftig erst nach Vorliegen hinreichender
Informationen über die Umwelt- und Sozialrisiken zu
treffen und insbesondere rechtliche Aspekte sowie die
Partizipation betroffener Personen vorab zu prüfen. Ge-
nau so wird künftig verfahren. Das sind lernende Syste-
me, meine Damen und Herren.
Ich habe zu Beginn gesagt, dass es weltweit das erste
Mal ist, dass man sich – nach unserer Meinung zu Recht –
auf diesen Weg begibt. Es bedarf natürlich noch weiterer
Lernfähigkeit des Systems. Aber wir können nicht sagen,
dass zu 100 Prozent Territorium der Indigenen betroffen
sind. Ich habe die Prozentzahlen genannt.
– Die leben dort; das ist richtig. Aber es geht um eine
Wasserfläche von 2,6 Prozent, meine Damen und Herren.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Fuchtel. – Damitkönnen wir diesen Geschäftsbereich verlassen.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwor-tung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretä-rin Frau Kollegin Iris Gleicke zur Verfügung.Heike Hänsel
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Wir kommen zur Frage 22 des Kollegen HubertusZdebel:Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher er-griffen und welche Schritte wird sie zukünftig ergreifen, umsicherzustellen, dass die Erdgas- und Erdölindustrie voll undganz für die Sanierungskosten der von ihr verursachten Schä-den aufkommt?Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.I
Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Kollege Zdebel,
hinsichtlich der Ersatzpflicht für Sanierungskosten für
Schäden der Erdgas- und Erdölindustrie sind drei Aspek-
te zu beachten.
Erstens. Die juristische Pflicht zur Übernahme der Sa-
nierung bzw. der Sanierungskosten ergibt sich aus dem
geltenden Recht. Demnach ist die Erdgas- und Erdölin-
dustrie ebenso wie auch alle anderen Industriezweige
oder Verursacher sowohl nach dem öffentlichen Recht
als auch nach Zivilrecht für die Sanierung von ihr verur-
sachter Schäden bzw. die Erstattung der dadurch entstan-
denen Kosten verantwortlich.
Speziell für schädliche Bodenveränderungen und Alt-
lasten sieht das Bundes-Bodenschutzgesetz die Pflicht
des Verursachers und gegebenenfalls seines Gesamt-
rechtsnachfolgers vor, Sanierungen durchzuführen. Der
zur Durchführung der Sanierung Verpflichtete hat nach
§ 24 Absatz 1 Bundes-Bodenschutzgesetz die Sanie-
rungskosten zu tragen.
Zweitens. Die praktisch wichtige Frage ist darüber
hinaus, ob der jeweilige Schaden einem Unternehmen
nachgewiesen werden kann. Hierbei handelt es sich um
eine Beweisfrage. Falls aufgrund konkreter Anhalts-
punkte der hinreichende Verdacht einer schädlichen Bo-
denveränderung oder einer Altlast besteht, kann die zu-
ständige Behörde nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz
anordnen, dass die verantwortlichen Personen die not-
wendigen Untersuchungen zur Gefährdungsabschätzung
durchzuführen haben.
Drittens kann sich die Frage stellen, ob ein festge-
stellter Verursacher wirtschaftlich in der Lage ist, seine
Pflichten zur Erstattung der Sanierungskosten zu erfül-
len. Um dies zu gewährleisten, kann die Bergbehörde
präventiv eine Sicherheitsleistung nach § 56 Absatz 2 des
Bundesberggesetzes von dem Unternehmer verlangen.
Dadurch soll verhindert werden, dass im Fall mangelnder
Leistungsfähigkeit des Unternehmers die Allgemeinheit
die Kosten einer Ersatzvornahme zu tragen hat. Die Höhe
der Sicherheitsleistung kann die Behörde in Ausübung
ihres Ermessens festlegen.
Kollege Zdebel, Sie haben das Wort zu Ihrer ersten
Nachfrage.
Danke schön, Herr Präsident. – Wir erleben im Mo-
ment, wie es um das Verursacherprinzip bzw. das Auf-
kommen für Schäden bestellt ist. Gerade im Atombereich
waren die Konzerne starke Hirsche, wenn es darum ging,
ihre Profite zu maximieren. Sie werden aber zu scheuen
Rehen, wenn es darum geht, für die Kosten der Entsor-
gung und der Endlagerung des Atommülls aufzukom-
men. Wahrscheinlich stellt sich genau dasselbe Problem
bei der Erdöl- und Erdgasindustrie. Es ist sicherlich kei-
ne falsche Vermutung, dass etliche dieser Unternehmen,
insbesondere die kleinen und vielleicht auch unterkapi-
talisierten Firmen, gar nicht mehr auf dem Markt sind.
Dann stellt sich die Frage, wie sich das Verursacherprin-
zip durchhalten lässt.
Vor diesem Hintergrund haben wir schon vor längerer
Zeit insbesondere in der Atompolitik die Forderung auf-
gestellt, einen öffentlich-rechtlichen Fonds zu schaffen,
um über das, was Sie vertreten, und das Bergrecht hinaus
sicherzustellen, dass Unternehmen in gebührender Form
für die Sanierung der von ihnen verursachten Schäden
aufkommen. Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang
zu der Forderung nach Einrichtung eines öffentlich-recht-
lichen Fonds?
Frau Staatssekretärin.
I
Die Bundesregierung hat, was die Atommüllentsor-gung angeht, die notwendigen Vorkehrungen getroffen.Im Rahmen dieser Fragestunde habe ich dazu nicht mehrzu sagen.Ich will Ihnen aber gerne noch ausführlicher Aus-kunft geben, weil ich das Gefühl habe, dass hier etwasdurcheinandergeht. Sie haben als Hintergrund Ihrer Fra-ge erläutert, dass es in Niedersachsen eine ganze Reihevon Untersuchungen sogenannter Schlammgruben gibt.Die niedersächsische Regierung hat gesagt: Wir müssendas aufarbeiten. – Diese Schlammgruben sind zwischenMitte des 19. Jahrhunderts und den 1960er-Jahren ent-standen. Das heißt, dass nicht mehr nach dem Bergrechtverfahren werden kann. Wenn heutzutage beispielsweiseeine Genehmigung für Fracking erteilt wird, dann fälltdas in das Bergrecht. Dann werden die Maßnahmen nachdem Bergrecht abgearbeitet, und zwar bis zum letztenBetriebsplan. Bei den in Rede stehenden alten Verdachts-fällen handelt es sich um Grabungs- und Bohrrückständeaus der Erdgas- und Erdölförderung, die bei jeder Tief-bohrung entstanden sind, wenn sie nicht sofort verwen-det wurden. Seit den 60er-Jahren haben die Unternehmenden Bohrschlamm von Bohrstellen in Zentraldeponienentsorgt. Bereits seit einigen Jahren dürfen Bohrschläm-me nicht mehr in Gruben neben Bohrstellen entsorgtwerden, sondern müssen nach dem Kreislaufwirtschafts-recht außerhalb des Bergbaugebiets entsorgt werden. Indiesem Zusammenhang verweise ich auf die Antwortdes Kollegen Pronold betreffend des vorhin in Rede ste-henden Sachverhalts. Insofern geht es nun darum, eineAltlastensanierung und eine Risikoüberprüfung vorzu-nehmen. Das macht die niedersächsische Landesregie-rung zusammen mit dem Wirtschaftsverband Erdöl- undErdgasgewinnung, WEG. Wie Sie wissen, gibt es einenVizepräsident Johannes Singhammer
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entsprechenden Vertrag. Die Industrie trägt die Kosten zu80 Prozent.
Herr Kollege Zdebel, haben Sie eine zweite Nachfra-
ge? – Bitte.
Danke schön, Herr Präsident. – Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Gleicke, der Vorgang ist mir natürlich
bekannt. Ich weiß auch, dass es eine Vereinbarung mit
der WEG gibt, die Sie gerade angesprochen haben. Da
geht es um 5 Millionen Euro. Die dienen aber jetzt dazu,
um überhaupt diese Standorte ausfindig zu machen. Da
reden wir noch nicht über eine mögliche Sanierung, was
das Ganze angeht.
I
Das stimmt.
Deswegen habe ich konkret die Nachfrage, ob Ih-
nen Zahlen vorliegen und wie Sie die Kosten pro Tonne
Bohrschlamm, die möglicherweise saniert werden muss,
einschätzen, damit man eine realistische Kosteneinschät-
zung bekommt, was auf die verursachende Industrie zu-
kommen könnte.
Frau Staatssekretärin.
I
Die Bohrschlämme bestehen zu 60 bis 95 Prozent aus
Wasser und zu 5 bis 15 Prozent aus Bohrklein, also er-
bohrtem Gestein. Weiterhin können geringe Mengen an
Stärke, Schwerspat, Kreide, Ton, Bentonit, Natronlauge
und Polymeren enthalten sein. Einige Bohrspülungen
enthalten Salze und Anteile von Schmierstoffen. Auch
Rückstände von Quecksilber – das war in dem Artikel
benannt – sind nicht auszuschließen. Gleichwohl liegen
uns jetzt keine Kostenschätzungen vor.
Sie haben recht: Es ist so, dass das Land und die WEG
eine Vereinbarung geschlossen haben, dass die Untersu-
chung der Verdachtsfälle, die das Land Niedersachsen
verifiziert hat, jetzt vorgenommen wird. Die Industrie
trägt, wie gesagt, zu 80 Prozent die Kosten dieser Un-
tersuchung. Vor Abschluss der Untersuchung ist natür-
lich nicht geklärt, ob und in welchem Umfang von den
Bohrschlämmen überhaupt Gefahren ausgehen und Sa-
nierungsbedarfe bestehen. Es steht also nicht fest, inwie-
weit überhaupt Kosten anfallen. Erst wenn das feststeht,
stellt sich die Frage, welche Kosten auf die Erdöl- und
Erdgasunternehmen zukommen.
Für diese Untersuchung ist eine Zeitdauer von zwei
Jahren angesetzt. Erst dann wird man belastbare Zahlen
nennen können. Das Entscheidende ist, dass jetzt erst
einmal die Aufsuchung und die Gefährdungsabschätzung
stattfinden.
Damit haben wir auch diese Frage abgeschlossen,
und wir verlassen gleichzeitig den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. – Frau
Staatssekretärin Gleicke, vielen Dank.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswär-
tigen Amts. Für die Beantwortung steht Herr Staatsmi-
nister Michael Roth zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 23 des Kollegen Niema
Movassat:
Inwiefern besteht für die 400 Millionen Euro an zusätz-
lichen Haushaltsmitteln, die dem Auswärtigen Amt von der
Bundesregierung 2016 für den Themenkomplex „Flucht und
Migration“ zur Verfügung gestellt wurden, Zweckgebunden-
heit für die ausschließliche Verwendung in bestimmten Kri-
senregionen , und inwiefern zieht die Bundesregie-
rung in Erwägung, einen Teil dieser Mittel zur Bekämpfung
der Folgen von El Niño zur Verfügung zu stellen?
Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr AbgeordneterMovassat, ich möchte Ihre Frage gerne zum Anlass neh-men, mich ganz herzlich beim Deutschen Bundestag da-für zu bedanken, dass er uns im parlamentarischen Ver-fahren für das Haushaltsjahr 2016 400 Millionen Eurozusätzlich zur Verfügung gestellt hat, insbesondere fürdie Bekämpfung der Fluchtursachen und zur Stabilisie-rung der Nachbarländer Syriens. Das ist ein ganz wich-tiger Beitrag. Wir fühlen uns natürlich diesem klarenAuftrag des Deutschen Bundestags verpflichtet. Deshalbwird der Schwerpunkt des Mitteleinsatzes im Jahr 2016in Syrien und in den Nachbarländern liegen.Wir unterstützen darüber hinaus seit 2015 im Rahmenunserer vorausschauenden humanitären Hilfe Projekte imKontext der Auswirkung des sogenannten El-Niño-Phä-nomens. Dies erfolgt in bewährter Weise in einer ganzengen Zusammenarbeit mit den Organisationen der Ver-einten Nationen, aber auch mit Nichtregierungsorgani-sationen. In Abhängigkeit von der Umsetzung anderergeplanter Projekte können diese regulären Mittel selbst-verständlich auch ergänzt werden.Es geht dabei zum einen um von Hilfsorganisationeneigens aufgelegte Projekte wie auch um bereits laufendehumanitäre Hilfsprojekte, die um Komponenten ergänztwerden, um von El Niño verursachten Auswirkungen zubegegnen. Dafür haben wir in diesem Haushaltsjahr be-reits Mittel in Höhe von rund 11 Millionen Euro bereit-gestellt. Davon sind rund 9,5 Millionen Euro nach Afrikagegangen.Darüber hinaus gehört das Auswärtige Amt zu denwichtigsten Gebern des Zentralen Nothilfefonds derVereinten Nationen. Wir haben hierfür im Jahr 2015 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Seit dem ver-gangenen Jahr wurden aus diesem Fonds der VereintenNationen rund 64 Millionen US-Dollar zur Bewältigungder Folgen von El Niño bereitgestellt.Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
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Außerdem hat das Auswärtige Amt ein umfassendesKlimamaßnahmenpaket auf den Weg gebracht, um diehumanitären Auswirkungen des Klimawandels zu lin-dern, unter anderem durch Maßnahmen der Klimarisiko-analyse sowie durch den Aufbau und die Verbesserungentsprechender Frühwarnsysteme.
Vielen Dank. – Herr Kollege Movassat, haben Sie eine
Nachfrage? Wenn ja, haben Sie das Wort.
Danke, Herr Präsident. – Herr Staatsminister, es ist
ja so: Die UNO und auch andere Hilfsorganisationen
warnen seit mehreren Monaten vor den verheerenden
Folgen von El Niño für das östliche und südliche Afri-
ka. Es sind ungefähr 50 Millionen Menschen betroffen;
das ist eine ungeheuer große Zahl. Angesichts dessen,
dass die UN einen Finanzbedarf von 5 Milliarden Dollar
veranschlagt haben, bisher jedoch noch nicht einmal ein
minimaler Anteil dieses Geldes dort angekommen ist –
dafür ist nicht nur Deutschland verantwortlich, sondern
auch andere Länder geben sehr wenig Geld –, habe ich
das Gefühl, dass man sich die Situation vor Ort kaum
vergegenwärtigt. Wenn man die Zahlen nimmt, die Sie
gerade genannt haben, und in Relation zu den 50 Millio-
nen Betroffenen setzt, kommt man zu dem Ergebnis, dass
die Bundesregierung bisher vielleicht 1 bis 2 Euro pro
Betroffenem zur Verfügung gestellt hat.
Dabei hatte, wie ich gehört habe, die Kindernothilfe
dem Auswärtigen Amt angeboten, vor Ort mit einem
Projektpartner eine Maßnahme für die Schulspeisung
von 5 000 Kindern und für die Wasserversorgung von
20 000 Menschen durchzuführen. Der Antrag, dies zu
finanzieren, wurde vom Auswärtigen Amt abgelehnt.
Angesichts dessen, dass Sie die Finanzierung konkreter
Hilfsangebote ablehnen und wenig Mittel geben, frage
ich mich: Was muss denn eigentlich passieren, dass das
Auswärtige Amt den Ernst der Lage wirklich begreift
und mehr Mittel zur Verfügung stellt?
Herr Staatsminister.
Wenn Sie mir aufmerksam zugehört haben – das unter-
stelle ich Ihnen selbstverständlich, Herr Kollege –, dann
werden Sie festgestellt haben, dass die Bundesregierung,
insbesondere das Auswärtige Amt, auf ganz vielfältige
Weise dem El-Niño-Phänomen zu begegnen versucht.
Wir sind im Rahmen des Nothilfefonds der Verein-
ten Nationen einer der größten Geldgeber gewesen, und
wir stehen in einem ständigen Kontakt mit Nichtregie-
rungsorganisationen und selbstverständlich auch mit den
Vereinten Nationen, um unsere Bemühungen engagiert
fortzusetzen. Dabei sind wir für jede weitere Initiative
dankbar.
Ich habe aber auch darauf hinweisen wollen, dass mit
den 400 Millionen Euro, die uns der Deutsche Bundes-
tag zusätzlich zur Verfügung gestellt hat, die klare Er-
wartungshaltung verbunden war, dass diese Mittel für die
Fluchtursachenbekämpfung und für die Stabilisierung
Syriens und insbesondere der syrischen Nachbarschaft
verwendet werden. Ich möchte nicht, dass ein dringliches
Projekt – da sind wir ja völlig einer Meinung – gegen
ein anderes dringliches Projekt ausgespielt wird. Die ent-
sprechenden Mittel werden wir so verwenden, wie es uns
der Deutsche Bundestag aufgetragen hat.
Herr Kollege Movassat, Ihre zweite Zusatzfrage.
Danke, Herr Präsident. – Herr Staatsminister, Sie wis-
sen sicherlich auch – das ist aber, glaube ich, in der Öf-
fentlichkeit relativ wenig bekannt –, dass sieben der acht
größten Flüchtlingslager auf der Welt in Ostafrika sind;
das wird ja oft vergessen. Wenn man, wie Sie ja gerade
sagten, Fluchtursachen bekämpfen möchte, dann stellt
sich natürlich schon die Frage: Was tut man, um der Situ-
ation in diesen Lagern, die schon unter normalen Verhält-
nissen kaum erträglich ist, etwa weil kaum genug Nah-
rung vorhanden ist, jetzt Herr zu werden, wo auch noch
El Niño dazukommt. Daher meine konkrete Frage: Was
wird derzeit getan, um die Zustände in den Flüchtlingsla-
gern zu stabilisieren – von „verbessern“ rede ich erst gar
nicht? Die Zustände drohen ja jetzt durch El Niño in eine
völlige Katastrophe überzugehen.
Herr Staatsminister.
Ich habe Ihnen, Herr Kollege, einen wesentlichen
Schwerpunkt unseres Engagements benannt. Aber das
heißt nicht, dass es nicht über Syrien und über die syrische
Nachbarschaft hinaus weitere Aktivitäten im Rahmen der
humanitären Hilfe gibt. Dieser fühlt sich das Auswärtige
Amt natürlich in besonderer Weise verpflichtet.
Durch das, was ich eben mit dem Hinweis auf signi-
fikante Mittel, die wir in konkrete Projekte investieren,
zum Ausdruck gebracht habe, ist doch deutlich gewor-
den, dass wir auch hier unserer Verantwortung gerecht zu
werden versuchen.
Dem Deutschen Bundestag steht es selbstverständlich
frei, weitere Mittel zur Verfügung zu stellen, damit wir
unsere bisherigen Bemühungen noch engagierter fortset-
zen können.
Frau Kollegin Hänsel.
Danke schön. – Herr Staatsminister, ich möchte auchnoch einmal nachfragen, weil ich finde, dass Ihre Ant-wort wirklich unzureichend bzw. sogar widersprüchlichist. Wenn Sie erkennen, dass man viel früher aktiv wer-den und die Fluchtursachen bekämpfen muss, um nichtStaatsminister Michael Roth
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schon jetzt die nächsten Flüchtlinge zu produzieren,dann müssen Sie doch jetzt viel mehr Geld geben, umdie Auswirkungen von El Niño aktiv zu bekämpfen undden Leuten etwas anbieten zu können. Ansonsten habenwir in einem Jahr das Problem, dass ganz viele Äthio-pierinnen und Äthiopier vor den Grenzen stehen oder garvorher im Mittelmeer ertrinken. Es kommen doch schonjetzt viele Menschen aus Äthiopien nach Deutschland.Das wissen Sie doch genau. Da kann man doch nicht sa-gen: „Wir machen ja schon viel“, wenn Sie als konkreteHilfe für diese Region nur 10 Millionen Euro vorsehenund ansonsten auf UN-Mittel sowie das Klimamaßnah-menpaket verweisen. Schauen wir uns doch nur an, dassSie für den G-7-Gipfel im vergangenen Jahr in Bayern,der drei Tage dauerte, 360 Millionen Euro ausgegebenhaben. 360 Millionen Euro in drei Tagen! Zugleich habenSie für diese Region mit 50 Millionen Menschen jedochnur 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das gehtdoch so nicht. Sie machen genau dieselbe Politik wie bis-her und wundern sich dann, dass die Bevölkerung völligunzufrieden ist, weil Sie nicht auf die Herausforderungenreagieren.
Herr Staatsminister.
Frau Kollegin, auch Ihnen dürfte nicht entgangen sein,
dass wir noch niemals zuvor in der Geschichte der Bun-
desrepublik Deutschland so viel Geld für humanitäre Hil-
fe und für die Stabilisierung von Regionen zur Verfügung
gestellt haben, und das mit Ihrer Unterstützung.
Ich habe darüber hinaus darauf hingewiesen, dass
dies nicht ausschließlich Projekte sind, die sich im Be-
reich Syriens oder der syrischen Nachbarschaft bewegen.
Vielmehr habe ich ebenso darauf hingewiesen, dass wir
ein vielfältiges Klimamaßnahmenpaket auf den Weg ge-
bracht haben, bei dem es insbesondere um Prävention
geht. Die humanitären Auswirkungen des Klimawandels
sollen gelindert werden unter anderem durch Maßnah-
men der Klimarisikoanalyse sowie durch den Aufbau
und die Verbesserung von Frühwarnsystemen. Das liegt
genau auf der Linie, die Sie zu Recht eingefordert haben.
Wir kommen jetzt zur Frage 24 der Kollegin Heike
Hänsel:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung im Rah-
men der politischen, finanziellen und entwicklungspolitischen
Zusammenarbeit gegenüber der honduranischen Regierung
nach der Ermordung von Berta Cáceres, Menschenrechts-
verteidigerin und Mitbegründerin des indigenen Rates in
am 3. März 2016 ziehen, damit dieser Fall aufgeklärt und die
Verantwortlichen verurteilt werden und auch die Rolle von
dem am Bauvorhaben des Wasserkraftwerks Agua Zarca auf
indigenem Lenca-Gebiet beteiligten deutschen Unternehmen
Siemens-Voith Hydro untersucht wird, ob es seine selbster-
Konflikt um Agua Zarca, angesichts der seit Jahren verzeich-
neten Menschenrechtsverletzungen, einhält?
Herr Staatsminister, Sie haben das Wort zur Beant-
wortung.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Hänsel,wir kommen jetzt zu einem tragischen Mordfall, der sichin Honduras abgespielt hat. Sie wissen, dass die Bundes-regierung in einem ständigen Dialog, sowohl bilateral alsauch im Rahmen der Europäischen Union, über die Situ-ation der Menschenrechte in Honduras steht. Dieser Dia-log wird selbstverständlich nicht nur mit der hondurani-schen Regierung geführt, sondern bezieht natürlich auchdie honduranischen Menschenrechtsorganisationen glei-chermaßen mit ein. Dies gilt insbesondere für COPINH,den indigenen Rat in Honduras, den Frau Berta Cáceresmitbegründet und geleitet hat.Als Kennerin der Region wissen Sie vielleicht auch,dass unsere Botschaft einen sehr engen und sehr intensi-ven Kontakt mit Frau Cáceres gepflegt hat. Wir haben ge-meinsam mit den anderen Botschaftern der EU-Staatenvor Ort dieses furchtbare Verbrechen, diesen Mord ver-urteilt und die honduranischen Behörden zur raschen undvollständigen Aufklärung aufgefordert. Darüber hinaushat die Hohe Vertreterin der EU, Federica Mogherini, am12. März gleichfalls dieses furchtbare Verbrechen verur-teilt und eine rasche Aufklärung des Verbrechens gefor-dert. Bislang liegen uns keinerlei Informationen zu denHintergründen und zu den Verantwortlichen vor.Der Lateinamerikabeauftragte meines Hauses, der sichkurz nach dieser abscheulichen Tat in Honduras befand,hat dieses Thema in allen Gesprächen angesprochen, ins-besondere in Gesprächen mit Präsident Hernández, demAußenminister, dem Justizminister und der Ministerin fürMenschenrechte – überall kam die Ermordung von FrauCáceres zur Sprache. Die honduranische Regierung hatdieses Verbrechen noch am gleichen Tag verurteilt. Siehat den UNHCHR um Hilfe bei der Aufklärung gebeten.Seit dem zweiten Tag nach der Tat sind VN-Experten vorOrt an den entsprechenden Ermittlungsarbeiten beteiligt.Uns gegenüber, Frau Kollegin Hänsel, hat die hon-duranische Regierung in allen Gesprächen versichert,dass sie sich ernsthaft darum bemühen werde, die Tatvollständig aufzuklären und vor allem auch die Situationder Menschenrechtsverteidiger in Honduras zu verbes-sern. Insofern sieht die Bundesregierung derzeit keinenAnlass, die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mitHonduras grundsätzlich infrage zu stellen.Ich habe gehört, dass der Parlamentarische Staatsse-kretär Fuchtel – er ist jetzt nicht mehr hier – Anfang AprilHonduras besuchen wird. Selbstverständlich wird auchdann der Mord Gegenstand der Gespräche mit den Re-gierungsvertretern sein.Heike Hänselhttps://amerika21.de/files/a21/offener_brief_an_die_firma_voith.pdfhttps://amerika21.de/files/a21/offener_brief_an_die_firma_voith.pdf
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2016 15791
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Darüber hinaus haben Sie noch auf das Wasserkraft-werk Agua Zarca hingewiesen. Dieses Wasserkraftwerkwird ohne deutsche Finanzierung gebaut. Die FirmaVoith soll drei Turbinen zuliefern. Das Projekt hat ins-gesamt ein Auftragsvolumen von 8 Millionen Euro. DasUnternehmen hat die Ermordung in einer Stellungnahmeam 11. März ebenfalls verurteilt.
Frau Kollegin Hänsel, Sie haben die Möglichkeit einer
Nachfrage.
Danke schön. – Herr Staatsminister, ich habe nicht die
Frage gestellt, ob Sie die Entwicklungszusammenarbeit
einstellen, sondern ob Sie sich im Rahmen der umfas-
senden politischen, finanziellen und entwicklungspoli-
tischen Zusammenarbeit mit Honduras gegenüber der
honduranischen Regierung für eine umfassende Aufklä-
rung einsetzen.
Jetzt muss man wissen: Es gibt ein enormes Maß an
Straflosigkeit in Honduras – wie in vielen anderen latein-
amerikanischen Ländern auch. Die schönen Absichtsbe-
kundungen, man wolle aufklären, bringen eigentlich so
gut wie gar nichts; in hundert anderen Fällen ist nämlich
nichts passiert.
Die Aktivistin Berta Cáceres von COPINH, die er-
mordet wurde, war sehr oft auch hier in Deutschland.
Viele Kollegen und Kolleginnen haben sie getroffen und
sie in ihren Aktivitäten im Zuge des Staudammprojekts
und in ihrem Einsatz für die Rechte Indigener unterstützt.
Wenn Sie, wie Sie sagen, Kontakt zur Familie und
zu COPINH haben, dann wissen Sie ganz genau, dass
COPINH, der indigene Rat, fordert, dass es eine unab-
hängige internationale Untersuchungskommission gibt,
weil eben nicht gewährleistet ist – wie in anderen Fäl-
len auch –, dass der honduranische Staat die Aufklärung
nachhaltig betreibt. Deshalb meine Frage an Sie: Setzt
sich die Bundesregierung gegenüber der honduranischen
Regierung für die Einsetzung einer unabhängigen Un-
tersuchungskommission des Interamerikanischen Men-
schenrechtsgerichtshofs ein? Dann würden nicht nur
irgendwelche Experten geschickt, sondern diese hätte
einen eigenen Auftrag, einen Vertrag mit der Regierung
und mit der Familie, dort unabhängig zu ermitteln.
Herr Staatsminister.
Ich habe Ihnen deutlich zu machen versucht, Frau Ab-
geordnete, dass wir in allen Gesprächen auf eine entspre-
chende Aufklärung dieser Tat drängen. Selbstverständ-
lich sind wir mit der derzeitigen Menschenrechtslage,
insbesondere auch mit der Lage der Menschenrechtsver-
teidiger, nicht zufrieden.
Ich habe schon eine Reihe von konkreten Projekten
benannt, die von der Bundesregierung und von der Eu-
ropäischen Union unterstützt werden. Ich kann da gerne
noch ein paar weitere hinzufügen: Deutschland beabsich-
tigt beispielsweise, die kürzlich ins Leben gerufene inter-
nationale Rechtsstaatsmission MACCIH finanziell und
personell zu unterstützen. Die Erfahrungen, die im Nach-
barland Guatemala gemacht worden sind, waren durch-
aus positiv. Wir wollen auf diesen Erfahrungen aufbauen.
So begrüßen wir, dass die honduranische Regierung sich
bereit erklärt hat, diese internationale Rechtsstaatsmis-
sion einzurichten. Positiv ist ebenso festzuhalten, dass
Honduras ein Abkommen mit Transparency International
abgeschlossen hat. Die Regierung hat sich zudem bereit
erklärt, dass in Tegucigalpa – Sie können das möglicher-
weise etwas besser aussprechen als ich, Frau Hänsel – ein
Büro des Hochkommissars der Vereinten Nationen für
Menschenrechte eröffnet wird. Das alles sind Beiträge,
die in die richtige Richtung weisen.
Ich kann Ihnen aber noch einmal versichern, dass
wir alles, was in unseren Möglichkeiten steht, tun wer-
den, um dazu beizutragen, dass dieser Fall aufgeklärt
wird – im Interesse der Familie, aber auch im Interesse
der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte in Hon-
duras. Das sage ich sicherlich nicht nur für die Bundes-
regierung, das ist auch das gemeinsame Bemühen der
Europäischen Union.
Frau Kollegin Hänsel.
Danke schön, Herr Staatsminister. – Ich möchte abernoch einmal darauf insistieren: Wir haben ein enorm ho-hes Maß an Straflosigkeit in Honduras. Wir haben dieErfahrung, dass Fälle nicht aufgeklärt werden. Erschwe-rend kommt hinzu, dass gestern ein weiterer Kollegevon COPINH, des indigenen Rates, ermordet wordenist: Nelson García. Aufgrund dieses weiteren Mordes inkürzester Zeit an einem Mitglied des indigenen Rates,dessen Mitglieder ja zum Beispiel involviert sind in dieAuseinandersetzung um indigene Rechte, auch bei Stau-dammprojekten, an denen Siemens-Voith Hydro beteiligtist, hat zum Beispiel die holländische Entwicklungsbankihre Gelder zurückgezogen. Sie stoppt erst einmal alleFinanzierungen für Projekte in Honduras, weil sie es alsso gravierend ansieht, wie dort mit Menschenrechtenumgegangen wird. Sie könne es einfach nicht mehr ver-antworten, hier einfach weiterzumachen.Deshalb noch einmal meine Nachfrage: Sind Sie be-reit, sich gegenüber der honduranischen Regierung fürdie Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungs-kommission des Interamerikanischen Menschenrechts-gerichtshofes einzusetzen, so wie es sie zum Beispielin Mexiko gegeben hat? Die Arbeit dieser Kommissionin Mexiko hat sehr wichtige und positive Resultate ge-bracht. Sie ist ja zum Beispiel im Fall Ayotzinapa tätiggeworden und kam im Vergleich zu den staatlichen Er-mittlungen zu ganz anderen und weitreichenden Ergeb-nissen. Setzen Sie sich also für die Einsetzung einerunabhängigen Kommission ein, wenn Sie es ernst damitmeinen, der Straflosigkeit dort den Kampf anzusagen!Staatsminister Michael Roth
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Herr Staatsminister.
Frau Kollegin Hänsel, ich habe Ihnen ja eingangs
schon deutlich zu machen versucht, was wir alles tun.
Wir werden sicherlich, auch in enger Abstimmung mit
unseren Partnerländern in der Europäischen Union, wei-
tere Schritte nicht ausschließen. Aber derzeit stimmt das,
was ich Ihnen eben als Teil meiner Antwort mit auf den
Weg gegeben habe, uns zumindest zuversichtlich, dass
die honduranische Regierung und die honduranischen
Behörden ihren Worten auch Taten folgen lassen. Das ist
eine ganz klare Erwartungshaltung der Bundesregierung
und der Europäischen Union.
Damit kommen wir zur Frage 25 der Kollegin Heike
Hänsel:
Kontrolliert die Bundesregierung in irgendeiner Art und
Weise die Verwendung der in Syrien gewonnenen deutschen
Aufklärungsprodukte mit dem Freigabevermerk „For An-
te begründen), und kann die Bundesregierung dann eindeutig
ausschließen, dass die Türkei mit den deutschen Aufklärungs-
ergebnissen andere Ziele als Anti-Daesh-Ziele bombardiert?
Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Das Thema hat ja
schon einmal unter etwas anderen Vorzeichen in der Fra-
gestunde eine Rolle gespielt. Deswegen beziehe ich mich
in Teilen auf Antworten, die Staatsministerin Böhmer
hier vorgetragen hat.
Die Bereitstellung von Aufklärungsergebnissen
im Rahmen der Operation Inherent Resolve der An-
ti-Daesh-Koalition erfolgt ausschließlich zu den Zielen
und innerhalb der Grenzen des Mandats des Deutschen
Bundestags, das heißt zur Aufklärung von IS-Zielen,
zu deren Bekämpfung und zum Schutz von ziviler In-
frastruktur. Um das zu garantieren, haben wir ein ent-
sprechendes dreistufiges Verfahren eingerichtet. Das ist
Ihnen, wie gesagt, schon in der schriftlichen Beantwor-
tung mitgeteilt worden. Ich will es hier zur Klarheit noch
einmal wiederholen.
Die erste Stufe: Ein deutscher Stabsoffizier im Haupt-
quartier in al-Udeid in Katar stellt bereits im Vorfeld, das
heißt bei der Planung der Flugeinsatzbefehle sowie auch
während der Einsatzflüge sicher, dass diese im Einklang
mit dem Auftrag des Bundestagsmandats erfolgen.
Die zweite Stufe: Ein weiterer deutscher Stabsoffizier
prüft die erflogenen und analysierten Aufklärungsergeb-
nisse nochmals auf die mandatskonforme Verwendungs-
möglichkeit.
Und die dritte Stufe: Die ausgewerteten deutschen
Aufklärungsprodukte – so heißt das offiziell – werden
mit dem Freigabevermerk „For Counter-DAESH Opera-
tion only“ versehen, um den politischen Willen, wie im
Mandat manifestiert, auszudrücken.
Die Bundesregierung hat keinen Anlass, davon auszu-
gehen, dass die von deutschen Kräften der Anti-IS-Koa-
lition zur Verfügung gestellten Aufklärungsergebnisse zu
einem anderen Zweck als der Bekämpfung von IS-Stel-
lungen verwendet werden.
Frau Kollegin Hänsel, Sie haben das Wort.
Danke schön. – Herr Staatsminister, ich habe bereits
auf die letzte mündliche Frage die Antwort erhalten,
dass die Aufklärungsprodukte geprüft werden und da-
nach sozusagen mit einem Stempel mit dem Text „Aus-
schließlich für IS-Bekämpfung zu verwenden“ versehen
werden. Dieser Stempel ist ja schön und gut. Aber kon-
trolliert denn dann die Bundesregierung in irgendeiner
Weise, ob die Aufklärungsprodukte nur dafür verwendet
werden, oder belässt sie es, zum Beispiel gegenüber dem
NATO-Partner Türkei, bei Treu und Glauben und geht
davon aus, dass die Aufklärungsprodukte schon nach
bestem Wissen und Gewissen verwendet werden? Meine
Frage: Kontrollieren Sie eigentlich, was mit den von Ih-
nen gesammelten Informationen konkret passiert?
Wenn wir dies nicht kontrollierten, würden wir sicher-
lich nicht dem entsprechenden Mandat des Deutschen
Bundestages gerecht. Das von mir vorgestellte dreistufi-
ge Verfahren dient ja gerade der Sicherung und Wahrung
dessen, wozu uns der Deutsche Bundestag verpflichtet
hat. Da mir und der Bundesregierung keine weiteren Er-
kenntnisse vorliegen, was Missbräuche betrifft, gehe ich
fest davon aus, dass es einen entsprechenden Mechanis-
mus regelmäßiger Kontrollen gibt. Einen wesentlichen
Teil dieses Kontrollmechanismus habe ich Ihnen geschil-
dert.
Frau Kollegin Hänsel, haben Sie noch eine weitere
Frage? – Dann haben Sie das Wort.
Ich möchte in eine andere Richtung nachfragen. Siesprachen davon, dass Sie das Mandat mit der Aufklärungvon IS-Zielen, also des sogenannten „Islamischen Staa-tes“, beauftragt. Nun wissen wir, dass die Konflikte inder Region – je nach Frontverläufen – sehr miteinanderverwoben sind. Man kann ja nicht sagen: Hier ist aus-schließlich der IS. – Vielmehr wissen wir, dass es geradein Nordsyrien, in Richtung der Grenze zur Türkei, nörd-lich von Aleppo, kurdische Gebiete, vom IS dominierteGebiete und von verschiedenen anderen Rebellengrup-pen dominierte Gebiete gibt. All das verschiebt sich jaständig, und es ist eine strategisch sehr wichtige Regi-on. Wie können Sie denn ausschließen, dass die Türkei,die ja nachweislich kurdische Stellungen in Nordsyrienbombardiert und angreift, die an sie weitergegebenen In-
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formationen benutzt, um kurdische Stellungen zu bom-bardieren, und Sie somit indirekt dazu beitragen? MeineFrage: Überfliegen die deutschen Tornados kurdischeRegionen in Nordsyrien, und betreiben sie dort Aufklä-rung?
Herr Staatsminister.
Frau Kollegin Hänsel, ich habe Ihnen doch deutlich
gemacht, dass wir uns in dem Rahmen bewegen, den uns
der Deutsche Bundestag gegeben hat. Dabei geht es aus-
schließlich um die Unterstützung bzw. Vorbereitung der
Bekämpfung von IS-Zielen.
Über die Art und Weise möglicher militärischer Auf-
klärung der Türkei im Norden Syriens haben wir keine
Erkenntnisse. Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Aus
Sicht der Bundesregierung eignen sich unsere Aufklä-
rungsprodukte nicht für die Bekämpfung anderer Kon-
fliktparteien. Es gibt hier einen klaren Auftrag, und den
erfüllen wir.
Die Fragen 26 und 27 der Kollegin Dağdelen, die Fra-
ge 28 der Kollegin Keul und die Frage 29 des Kollegen
Ströbele werden allesamt schriftlich beantwortet.
Insofern danke ich dem Herrn Staatsminister sehr
herzlich.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Ich freue mich, dass Herr Par-
lamentarischer Staatssekretär Dr. Günter Krings für die
Beantwortung zur Verfügung steht.
Die Frage 30 des Kollegen Ströbele, die Frage 31 des
Kollegen von Notz, die Fragen 32 und 33 der Kollegin
Jelpke und die Frage 34 der Kollegin Walter-Rosenheimer
werden schriftlich beantwortet.
Deshalb kommen wir jetzt zur Frage 35 der Kollegin
Irene Mihalic:
Welches Maß an Vernetzung sieht die Bundesregierung im
Bereich politisch rechts motivierter Straftaten mit Blick auf
die jüngsten Anschläge im brandenburgischen Nauen inzwi-
schen erreicht?
Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Frau Mihalic, schön, dass Sie
es bei der mündlichen Beantwortung der Frage belassen
haben. Das ist sozusagen der Höhepunkt der Fragestun-
de.
Aber das soll keine Kritik an den Kollegen sein, die vor
mir dran waren, im Gegenteil. – Einigen wir uns auf:
Schlusspunkt der Fragestunde.
Das Thema allerdings ist leider alles andere als posi-
tiv. Es geht um die Frage der Vernetzung bei Anschlä-
gen, insbesondere auf Asylbewerberheime, konkret auf
ein Asylbewerberheim in Brandenburg. Meine Antwort
lautet: Nach bisherigem Erkenntnisstand handelte es sich
bei den Straftaten gegen Asylunterkünfte im Bereich der
PMK-rechts – darüber haben wir schon mehrfach im In-
nenausschuss gesprochen – überwiegend um lokale Agi-
tationen, die bislang keinen Rückschluss auf eine bun-
desweit gesteuerte Strategie zulassen. Die Intensität und
die Quantität entsprechender Aktionen stehen in starker
Abhängigkeit von den organisatorischen Möglichkeiten
der jeweiligen lokalen Szenen, deshalb auch die unter-
schiedliche Ausprägung, die unterschiedliche Stärke und
Häufigkeit solcher Anschläge. Konkrete Hinweise auf or-
ganisationsgesteuerte Gewaltstraftaten in Form von an-
geordneter oder gezielt gelenkter Delinquenz durch rech-
te Parteien oder rechtsextremistische Strukturen gegen
Asylbewerber und Unterkünfte liegen bislang nicht vor.
Es wird unserer Einschätzung nach aber auch zukünf-
tig damit zu rechnen sein, dass ein nicht unerheblicher
Teil der Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte von
Personen mit Anbindung an rechte bzw. rechtsextremis-
tische Organisationsstrukturen begangen wird.
Im Hinblick auf das laufende Ermittlungsverfahren
der Staatsanwaltschaft Potsdam zu den Straftaten in Nau-
en bleibt das Ergebnis der Ermittlungen abzuwarten.
Die Sicherheitsbehörden des Bundes verfolgen den
Fortgang der Ermittlungen des Landes Brandenburg mit
großer Aufmerksamkeit. Daraus gewonnene Erkenntnis-
se, auch im Hinblick auf Vernetzungen, werden somit
auch in die Bewertungen der Sicherheitsbehörden des
Bundes einfließen. Insbesondere der Generalbundesan-
walt – das wissen Sie – steht im Kontakt mit den Ermitt-
lungsbehörden vor Ort.
Frau Kollegin Mihalic, Sie haben das Wort.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortungder Frage. Sie können sich vorstellen, dass mich IhreAntwort nicht vollumfänglich befriedigt, insbesonderewenn es darum geht, uns darüber zu verständigen, wel-cher Grad einer Vernetzung vorliegen muss, bis wir vonRechtsterrorismus sprechen. Diese Frage spielt ja dabeisozusagen eine wesentliche Rolle. In diesem Zusammen-hang stellt sich auch die Frage, inwiefern Taten wie die inNauen oder beispielsweise der Rohrbombenanschlag aufeine Flüchtlingsunterkunft in Eisenach als staatsgefähr-dend eingestuft werden oder Staatsschutzrelevanz haben.Mich interessiert deshalb die Antwort der Bundesregie-rung auf die Frage: Welche Kriterien müssen denn vorlie-gen, damit solche Ereignisse wie in Nauen oder wie dereben von mir erwähnte Rohrbombenanschlag auf eineFlüchtlingsunterkunft in Eisenach als staatsschutzrele-vant oder staatsgefährdend eingestuft werden? Ab wannwird also ein rechtsterroristischer Hintergrund angenom-men?Heike Hänsel
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Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Herr Präsident. – Zunächst einmal zum
Thema Vernetzung. Gerade im Nauener Fall gibt es – ich
muss vorsichtig sein, wie ich antworte, weil es sich um
ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt – offenbar
Bezüge zu einer rechtsradikalen Partei. Lokale Vernet-
zungen der Urheber solcher Anschläge innerhalb rechts-
radikaler Strukturen sind offenbar vorhanden.
Zur Einschätzung, ob die von Ihnen genannten De-
likte in Betracht kommen: Es ist die Aufgabe des Ge-
neralbundesanwalts, das zu entscheiden. Er hat einen
Beobachtungsvorgang angelegt und steht, wie gesagt, in
engem Kontakt mit der Staatsanwaltschaft Potsdam. Das
obliegt seiner Einschätzung; Sie hatten ja schon einmal
eine schriftliche Frage zu diesem Thema gestellt, deren
Beantwortung zuständigkeitshalber vom Bundesjustiz-
ministerium übernommen wurde.
Der Generalbundesanwalt beobachtet die Ermittlun-
gen intensiv. Nach meinem Kenntnisstand ist er bisher
nicht zu dem Schluss gekommen, dass die Grenze schon
überschritten ist. Aber dass sie relevant ist und dass wir
uns vielleicht kurz vor dieser Grenze befinden, das will
ich gar nicht in Abrede stellen. Dem Generalbundesan-
walt aber obliegt die Einschätzung, ab welcher Grenze
die von Ihnen genannten Delikte einschlägig sind und ab
wann es sich um mehr handelt als um das, was von der
Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt wird.
Frau Kollegin Mihalic.
Ich will meine Nachfrage präzisieren und an einem
Beispiel veranschaulichen; denn es geht nicht nur um
die Einschätzung des Generalbundesanwalts, sondern
auch um die Einschätzung der ermittelnden bzw. der mit
diesen Fällen betrauten Sicherheitsbehörden. Lassen Sie
mich deswegen folgenden Vergleich anstellen.
Im hessischen Oberursel befand sich eine Rohrbombe
in einem Keller, mit der mutmaßlich ein Anschlag auf
ein Radrennen in Frankfurt verübt werden sollte, und alle
beteiligten Sicherheitsbehörden gingen sofort von ei-
nem terroristisch geplanten oder motivierten Anschlags-
szenario aus. Dem gegenübergestellt haben wir einen
vollendeten Rohrbombenanschlag auf eine Flüchtlings-
unterkunft in Eisenach oder die jetzigen schrecklichen
Geschehnisse in Nauen. Da wird aber kein terroristischer
Hintergrund angenommen, bzw. dieser ist – wenn ich mir
Ihre Antwort vergegenwärtige – noch nicht ganz klar. Er-
klären Sie mir den Unterschied.
D
Wir sollten festhalten – das ist nicht so sehr an Sie ge-
richtet, sondern ich sage dies, um den Kontext klarzustel-
len –, dass es furchtbare Taten sind, unabhängig davon,
ob wir sie bereits als terroristische Taten einstufen oder
nicht. Wir gehen davon aus, dass alle Behörden vor Ort,
auch die Ermittlungsbehörden vor Ort, die Nachrichten-
dienste und der Verfassungsschutz sehr intensiv prüfen,
welche Qualität die Delikte haben. Dies gilt erst recht für
die Staatsanwaltschaften und die Polizeibehörden. Die
Frage, ob es terroristische Delikte sind, wird geprüft, und
es wird geschaut, ob diese Schwelle jeweils erreicht ist.
Ich kann das an dieser Stelle nicht Punkt für Punkt
kriminalistisch und strafrechtlich subsumieren. Aller-
dings dürften wir uns hoffentlich darin einig sein, dass
die geplante Art der Straftat – hier mit einer Rohrbom-
be – ein besonders schwerwiegendes Indiz ist. Gleich-
wohl muss die Verwendung des gleichen Mittels nicht
zwingend zum gleichen Schluss führen. Im Übrigen trug
der geplante Anschlag in Oberursel offenbar bereits ter-
roristische Züge. Der islamistische Terror in Deutschland
ist auf eine andere Weise vernetzt.
In dem von Ihnen genannten Fall prüfen wir erst. Wie
gesagt, bisher haben wir noch keine harten Anzeichen
dafür, dass es hier eine bundesweit vernetzte terroristi-
sche Struktur gibt. Aber wir haben aus den NSU-Fällen
gelernt, dass wir hier sehr wachsam sein müssen. Wir
dürfen nicht nur nach einer bestimmten Struktur suchen.
Es gibt Ausprägungen terroristischer Gruppen, die viel-
leicht anders sind, als wir das von anderen Phänomenen
und aus anderen Bereichen kennen. Insofern sind die Be-
hörden an dieser Stelle sehr wachsam.
Ich will an dieser Stelle noch ergänzen, was die Ar-
beit des Vertreters des Bundes in der länderoffenen Ar-
beitsgruppe betrifft. Wenn es um rechtsradikale Parteien
und rechtsextremistische Strukturen geht, wird geprüft,
ob etwas in den Kontext eines Verbotsverfahrens gerückt
werden kann und ob es hier Bezüge zu einer Partei gibt.
Auch das werden wir natürlich berücksichtigen. Das be-
zieht sich nicht nur auf die strafrechtliche Aufklärung.
Wir werden auch dafür sorgen, dass wir dann, wenn
etwa Bezüge zur NPD festgestellt werden sollten, diese
im Verbotsverfahren verwenden werden, das zurzeit in
Karls ruhe läuft.
Damit ist auch diese Frage abschließend beantwortet.Die Frage 36 des Kollegen Andrej Hunko wird schrift-lich beantwortet.Ich danke Herrn Staatssekretär Krings und allen an-deren herzlich.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums der Finanzen. Die Fragen 37 und 38 der Kolle-gin Katrin Kunert sowie die Frage 39 der Kollegin BrittaHaßelmann werden schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 40 und 41der Kollegin Sabine Zimmermann sowie die Frage 42 derKollegin Brigitte Pothmer werden schriftlich beantwor-tet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2016 15795
(C)
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Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die Fra-gen 43 und 44 des Kollegen Friedrich Ostendorff sowiedie Frage 45 der Kollegin Bärbel Höhn werden schrift-lich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums der Verteidigung. Die Frage 46 der KolleginKatja Keul sowie die Fragen 47 und 48 der Kollegin IngeHöger werden schriftlich beantwortet.Wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunktesund zugleich am Ende unserer Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tages auf morgen, Donnerstag, den 17. März 2016, 9 Uhr,ein.Kommen Sie alle morgen gesund wieder hierher. DieSitzung ist geschlossen.