Protokoll:
18133

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 133

  • date_rangeDatum: 5. November 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:32 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/133 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 133. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. November 2015 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abge- ordneten Helmut Brandt, Inge Höger und Marlene Mortler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12887 A Begrüßung der neuen Abgeordneten, Frau Petra Rode-Bosse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12887 B Wahl der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach und Hubertus Heil als Mitglieder des Verwal- tungsrates der Kreditanstalt für Wiederauf- bau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12887 B Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . 12887 B Begrüßung der Präsidentin der Saeima der Re- publik Lettland, Frau Inara Murniece . . . . . . 12898 B Glückwünsche zur Verleihung des Leo-Baeck- Preises an den Abgeordneten Volker Beck (Köln) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12902 B Tagesordnungspunkt 3: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativge- setz – HPG) Drucksachen 18/5170, 18/5868, 18/6585 . . . 12887 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Wöllert, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hochwertige Palliativ- und Hospizversorgung als soziales Men- schenrecht sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Versorgung am Lebensende sichern – Palliativ- und Hospizversorgung stärken Drucksachen 18/5202, 18/4563, 18/6585 . . . 12887 D Hermann Gröhe, Bundesminister BMG . . . . . 12888 A Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 12889 B Dr . Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12890 B Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12891 C Emmi Zeulner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12892 C Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12894 B Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12895 A Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12896 A Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12896 D Helga Kühn-Mengel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12898 C Heiko Schmelzle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12899 C Bettina Müller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12900 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015II Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Wissenschaftszeitver- tragsgesetzes Drucksache 18/6489 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12902 C Dr . Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12902 D Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12905 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12906 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12908 D Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) . . . . . . 12911 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12913 A Dr . Simone Raatz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12913 D Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 12916 A Dr . Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 12917 B Katrin Albsteiger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12918 D Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schützen Drucksache 18/6362 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12920 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und umfassend regulieren Drucksachen 18/4839, 18/5449 . . . . . . . . . 12920 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 12920 B Albert Stegemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12921 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 12923 A Albert Stegemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12923 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12923 D Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12924 D Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12925 D Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12927 C Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12928 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12929 D Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12930 A Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12931 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 12932 C Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12933 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 12934 B Tagesordnungspunkt 31: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 28. März 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Chi- na zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung und zur Verhinderung der Steuer- verkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/6449 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12935 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1007/2011 und zur Ablösung des Textilkennzeichnungsgesetzes Drucksache 18/6488 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12936 A c) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Eisenbahnbau- und Be- triebsordnung zur Erhöhung der Si- cherheit im Eisenbahnverkehr Drucksache 18/5406 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12936 A Tagesordnungspunkt 32: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung vom 10. Dezember 2014 des Übereinkom- mens vom 27. Juni 1980 zur Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe Drucksachen 18/6294, 18/6576 . . . . . . . . . 12936 B b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz: Übersicht 6 – über die dem Deut- schen Bundestag zugeleiteten Streitsa- chen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/6572 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12936 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 III c)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 236, 237, 238, 239, 240, 241 und 242 zu Petitionen Drucksachen 18/6354, 18/6355, 18/6356, 18/6357, 18/6358, 18/6359, 18/6360 . . . . 12936 C Tagesordnungspunkt 6: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung ei- nes Zweiten Nachtrags zum Bundes- haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Drucksachen 18/6090, 18/6447, 18/6580, 18/6581 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12937 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Artur Auernhammer, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bernhard Daldrup, Johannes Kahrs, Doris Barnett, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für gleichwertige Lebensver- hältnisse – Kommunalfreundliche Politik des Bundes konsequent fort- setzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübin- gen), Luise Amtsberg, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not Drucksachen 18/6062, 18/6069, 18/6582 . . . 12937 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- ten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Stra- ßen befreien Drucksachen 18/3051, 18/6570 . . . . . . . . . 12937 C Norbert Brackmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12937 C Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 12939 A Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12940 A Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12941 B Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 12942 C Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12943 B Christian Haase (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12944 A Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12945 B Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbe- kämpfungsgesetzen Drucksachen 18/5924, 18/6177, 18/6579 . . . . 12946 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 12946 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12948 B Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12949 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12951 B Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12952 B Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren Drucksachen 18/1464, 18/6422 . . . . . . . . . . . 12954 B Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12954 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12955 B Sebastian Steineke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12956 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12958 B Dr . Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12959 C Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12961 A Tagesordnungspunkt 9: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Kranken- hausstrukturgesetz – KHSG) Drucksache 18/5372 . . . . . . . . . . . . . . 12962 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015IV – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversor- gung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) Drucksachen 18/5867, 18/6586 . . . . . . 12962 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6587 . . . . . . . . . . . . . . 12962 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Dr . Dietmar Bartsch, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Versorgungsqualität und Arbeitsbedingungen in den Kran- kenhäusern verbessern – Bedarfsge- rechte Personalbemessung gesetzlich regeln – zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr . Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Versorgung, gute Arbeit – Kranken- häuser zukunftsfest machen Drucksachen 18/5369, 18/5381, 18/6586 . . . 12962 D Hermann Gröhe, Bundesminister BMG . . . . . 12962 D Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12964 A Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12965 A Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12966 A Dr . Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12967 A Marina Kermer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12968 A Lothar Riebsamen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12969 C Tagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe- bung des Betreuungsgeldgesetzes Drucksachen 18/5, 18/6200 . . . . . . . . . . . . 12971 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Betreuungsgeld für den Kitaaus- bau nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Katja Dörner, Beate Walter-Rosenheimer, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Betreu- ungsgeld in Kitas investieren Drucksachen 18/6041, 18/6063, 18/6200 . . . 12971 B Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12971 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 12972 D Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12974 A Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12975 D Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12976 D Dr . Dorothee Schlegel (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12978 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 12981 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12981 A Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung agrar- marktrechtlicher Bestimmungen Drucksachen 18/6160, 18/6438 . . . . . . . . . . . 12979 D Hermann Färber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12979 D Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 12983 B Dr . Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 12984 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12986 A Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12986 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 12990 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12990 B Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Omid Nouripour, Tom Koenigs, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Frieden und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 V keine Stabilität ohne Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für eine weitsichtige europäische Nachbarschaftspolitik gegen- über den Staaten Nordafrikas Drucksache 18/6551 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12988 B Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12988 B Dr . Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12989 B Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12993 B Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12994 B Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Ver- einten Nationen vom 8. Juli 2011 und Fol- geresolutionen, zuletzt 2241 (2015) vom 9. Oktober 2015 Drucksache 18/6504 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12995 C Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 12995 D Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 12997 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 12997 D Dr . Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12998 C Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12999 C Michael Roth, Staatsminister AA (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13000 C Dr . Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13000 D Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung und Landwirtschaft – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bestandsobergren- zen für Tierhaltungen einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zukunft der Tierhaltung – Artge- recht und der Fläche angepasst Drucksachen 18/1872, 18/3732, 18/6437 . . . 13001 B Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13001 B Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 13002 B Christina Jantz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13003 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13004 C Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13005 C Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Re- solution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2228 (2015) vom 29. Juni 2015 Drucksache 18/6503 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13007 A Dirk Vöpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13007 B Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 13008 C Dr . Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13009 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13010 C Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13011 B Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studi- enchancen für Flüchtlinge schaffen Drucksache 18/6345 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13012 C Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13012 C Cemile Giousouf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13013 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 13014 D Dr . Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13015 C Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 13016 D Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Zu den Überlegungen der Europäi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015VI schen Kommission zur Schaffung einer Eu- ropäischen Einlagensicherung Drucksache 18/6548 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13017 D Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13018 A Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13018 D Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13019 C Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13020 B Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13021 A Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13022 A Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile Registrierungssysteme stärken Drucksache 18/6549 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13023 A Tagesordnungspunkt 19: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asi- atischen Infrastruktur-Investitionsbank Drucksachen 18/6163, 18/6448, 18/6568 . . . 13023 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6577 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13023 B Dr . Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 13023 B Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13025 A Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13025 D Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13026 D Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über die Feststellung des Wirtschafts- plans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016) Drucksachen 18/6159, 18/6574 . . . . . . . . . . . . 13028 A Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten Drucksachen 18/6280, 18/6575 . . . . . . . . . . . 13028 B Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Geset- zes gegen den unlauteren Wettbewerb Drucksachen 18/4535, 18/6571 . . . . . . . . . . . 13028 C Tagesordnungspunkt 23: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung Drucksachen 18/5294, 18/5770, 18/6569 . . . 13028 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6578 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13028 D Tagesordnungspunkt 24: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsänderungsge- setzes (7. BesÄndG) Drucksachen 18/6156, 18/6583 . . . . . . . . . 13029 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6584 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13029 B Tagesordnungspunkt 25: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsin- frastrukturfinanzierungsgesellschaftsge- setzes Drucksache 18/6487 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13029 C b) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Planungen für die Gründung einer Bun- desfernstraßengesellschaft sofort ein- stellen Drucksache 18/6547 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13029 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13029 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 VII Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 13031 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstim- mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ver- besserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) (Tagesordnungspunkt 3 a) Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13031 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13031 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Dittmar (SPD) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Reform der Strukturen der Kranken- hausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) (Tagesordnungspunkt 9 a) . . . . . . . . 13032 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29 . Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (Tagesord- nungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13033 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zi- vile Registrierungssysteme stärken (Tagesord- nungspunkt 18) Dr . Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13033 C Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 13034 D Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13036 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13036 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermö- gens für das Jahr 2016 (ERP-Wirtschaftsplan- gesetz 2016) (Tagesordnungspunkt 20) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 13037 A Dr . Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13038 A Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13039 A Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13039 B Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13040 A Iris Gleicke, Parl . Staatssekretärin BMWi . . . 13040 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgerä- ten (Tagesordnungspunkt 21) Andreas G . Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 13041 B Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13042 B Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13043 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 13043 D Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13044 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes gegen den unlauteren Wett- bewerb (Tagesordnungspunkt 22) Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 13046 C Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13048 A Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13048 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13049 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13050 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung (Tagesordnungspunkt 23) Margaret Horb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13050 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015VIII Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13052 B Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13053 B Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 13053 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsände- rungsgesetzes (7 . BesÄndG) (Tagesordnungs- punkt 24) Oswin Veith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13054 D Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 13056 A Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13057 A Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13058 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinan- zierungsgesellschaftsgesetzes – des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort ein- stellen (Tagesordnungspunkt 25 a und b) Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13059 A Reinhold Sendker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13059 D Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13060 C Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13061 B Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13062 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 12887 133. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. November 2015 Beginn: 9 .00 Uhr
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    2) Anlage 11 Vizepräsident Johannes Singhammer (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13031 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05 .11 .2015 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 05 .11 .2015 Bülow, Marco SPD 05 .11 .2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 05 .11 .2015 Ferlemann, Enak CDU/CSU 05 .11 .2015 Glöckner, Angelika SPD 05 .11 .2015 Jung, Andreas CDU/CSU 05 .11 .2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05 .11 .2015 Kolbe, Daniela SPD 05 .11 .2015 Linnemann, Dr . Carsten CDU/CSU 05 .11 .2015 Murmann, Dr . Philipp CDU/CSU 05 .11 .2015 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 05 .11 .2015 Rosemann, Dr . Martin SPD 05 .11 .2015 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05 .11 .2015 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 05 .11 .2015 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05 .11 .2015 Wicklein, Andrea SPD 05 .11 .2015 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Baehrens (SPD) und Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutsch- land (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) (Ta- gesordnungspunkt 3 a) Heike Baehrens (SPD): Mit dem heute verabschie- deten HPG wird die Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland entscheidend weiterentwickelt . Ich begrüße, dass die Palliativversorgung ein ausdrücklicher Bestand- teil der Regelversorgung in der gesetzlichen Kranken- versicherung wird und die Krankenkassen verpflichtet werden, die Patienten bei der Auswahl von Angeboten der Palliativ- und Hospizversorgung individuell zu bera- ten . Sowohl die Verbesserungen in der ambulanten Ver- sorgung als auch die Stärkung der stationären Hospize sowie der Hospiz- und Palliativversorgung in den Kran- kenhäusern ist ein wichtiger Schritt, und daher stimme ich dem Hospiz- und Palliativgesetz zu . Während der Gesetzentwurf die Rahmenbedingungen für Hospiz- und Palliativversorgung in stationären Hos- pizen und Krankenhäusern verbessert, werden stationäre Pflegeeinrichtungen nur unzureichend berücksichtigt. Zwar wird Sterbebegleitung, die dem hospiz-palliativen Versorgungsbedarf Rechnung trägt – Gesetzesbegrün- dung –, Bestandteil des Versorgungsauftrages der gesetz- lichen Pflegeversicherung. Eine verbindliche Regelung zur Finanzierung dieser Leistungsverpflichtung wird je- doch nicht verankert . Die Anforderungen an eine würdevolle pflegerische Versorgung und Begleitung sind aufgrund der sich än- dernden Bewohnerstruktur und der immer kürzeren Verweildauern in den Pflegeheimen seit Einführung der Pflegeversicherung sehr gestiegen . Die Menschen in den Heimen wurden älter, multimorbider und ihre Pflege- und Behandlungsbedarfe immer komplexer . Obwohl der Bedarf an medizinischer Behandlungspflege und Ster- bebegleitung enorm zugenommen hat, blieben die Per- sonalschlüssel in der stationären Pflege auf dem Niveau von Anfang der 90er-Jahre und die Fachkraftquote noch immer bei lediglich 50 Prozent Mit meiner persönlichen Erklärung möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es nach deutlichen Verbesse- rungen in der ambulanten Versorgung und für stationäre Hospize nun überfällig ist, auch den Bereich der statio- nären Pflege strukturell zu stärken und die Krankenkas- sen zu verpflichten, die hospizliche und palliative Ver- sorgung auch in der stationären Pflege auskömmlich zu finanzieren . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stimme zu, dass der Gesetzentwurf ein Fortschritt ist . Dies reicht aber immer noch nicht aus, soll ambulante Palliativversorgung für Patienten und ihre oftmals ja auch betagten Angehörigen praktikabel sein . Deshalb wäre es richtig, in § 37 b SGB V mindestens klar zu regeln, dass alle notwendigen (fach-)ärztlichen, pflegerischen und sonstigen (Apotheke, Pflegehilfsmittel) Leistungen aus einer Hand erbracht werden müssen . § 37 b SGB V Absatz 1 Satz 3 sollte lauten: „Die spe- zialisierte ambulante Palliativversorgung umfasst ärztli- che und pflegerische Leistungen sowie die Versorgung durch Apotheken und mit Pflegehilfsmitteln einschließ- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513032 (A) (C) (B) (D) lich ihrer Koordination insbesondere zur Schmerzthera- pie, Symptomkontrolle und notwendigen fachärztlichen Interventionen und zielt darauf ab, die Betreuung der Versicherten nach Satz 1 in der vertrauten Umgebung des häuslichen oder familiären Bereichs zu ermöglichen . Hierzu zählen beispielweise Einrichtungen der Einglie- derungshilfe für behinderte Menschen und der Kinder- und Jugendhilfe .“ Die jetzige Reform geht in die richtige Richtung . Eine weitergehende Regelung im § 37 b SGB V brächte aber mehr Rechtssicherheit für die Versorgung von Patienten . Hierzu muss aber das Gesundheitsministerium auch noch Mut haben, den Leistungserbringern verbindliche Vorga- ben zu machen, von denen sie eben nicht nach unten ab- weichen dürfen . Dies muss im Rahmen der Evaluierung erneut diskutiert werden . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Dittmar (SPD) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Kran- kenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) (Tagesordnungspunkt 9 a) Das Krankenhausstrukturgesetz enthält viele wichtige Regelungen, um die Betriebs- und Behandlungskosten zu stabilisieren, die hohe Qualität im stationären Sektor wei- ter zu verbessern und echte strukturelle Veränderungen einzuleiten . Insgesamt ist das Gesetz sehr zu begrüßen . Als zuständige Berichterstatterin für die ambulante Versorgung habe ich mit Blick auf den Änderungsan- trag 22 zu Artikel 6 Nummer 4 a neu (§ 87 b SGB V) „Notdienst- und Notfallvergütung im Honorarvertei- lungsmaßstab“ allerdings große Sorge, dass es zu einem unkontrollierbaren Mittelabfluss aus der MGV kommen kann mit negativen Auswirkungen für das Honorar der grundversorgenden Haus- und Fachärzte in der Regelver- sorgung . Ich möchte dies näher begründen: Es ist richtig, dass die Krankenhausambulanzen zu- nehmend sowohl in sprechstundenfreier als auch inner- halb der Sprechstundenzeit Fälle behandeln, die ein- deutig dem ambulanten Sektor zuzuordnen sind . Die Gründe hierfür sind sicher vielfältig: vergrößerte Be- reitschaftsdienstbereiche der KVen, Selbsteinweiser, die aus forensischen oder Marketinggründen von den Kran- kenhausambulanzen nicht abgewiesen werden, generell mangelnde Möglichkeiten der Patientensteuerung, aber auch der allzu schnelle Verweis einiger KV-Ärzte auf die Krankenhausambulanz . Das KHSG nimmt sich dieser Problematik in Än- derungsanträgen an . So ist es richtig, dass wir die For- derung aus dem VSG zu mehr Kooperation zwischen KV-Ärzten und Krankenhäusern im Notdienst in Form von Portalpraxen im KHSG konkretisieren . Denn selbst- verständlich muss in manchen Fällen im Notdienst auch die diagnostische und therapeutische Kompetenz der Krankenhausambulanz genutzt werden . Dieses Leis- tungsspektrum muss zweifelsohne entsprechend und rentierlich honoriert werden . Dies soll künftig durch eine nach Schweregrad differenzierte Notfall-EBM für den ambulanten und stationären Bereich geschehen . Das ist durchaus eine Lösung, um die unterschiedliche Kosten- struktur der krankenhausspezifischen, fachspezifischen und allgemeinen Notfälle besser abzubilden . Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Mehrzahl der höher bewerteten Leistungen in der KH-Ambulanz anfallen und so deutlich mehr Honorar aus der vertrags- ärztlichen Vergütung in den stationären Bereich fließt. Dieses Honorarplus wird komplett aus der Morbiditäts- orientierten Gesamtvergütung der Vertragsärzte gezahlt und nicht extrabudgetär geregelt . Ich betone nochmals, dass Leistungen auch entspre- chend ihrem Umfang vergütet werden müssen . Durch die vorgesehene Neuregelung der Notfall- und Notdienstver- gütung sind die Auswirkungen auf das Regelhonorar der Haus- und Fachärzte und hier vor allem der Grundver- sorger allerdings nicht kalkulierbar . Die ganzen Maßnah- men, die wir zur Stärkung der grundversorgenden Me- dizin im Versorgungsstärkungsgesetz getroffen haben, werden damit ein Stück weit ad absurdum geführt . Zudem kritisiere ich die Regelungen zur Aufhebung der Mengenbegrenzung, die eine Vielzahl von Interpre- tationen zulassen . In der Vergangenheit wurden ambu- lante Notfallbehandlungen zur sprechstundenfreien Zeit immer ohne Mengenbegrenzung und Abzug sowohl den Vertragsärzten als auch dem KH honoriert . Die Notfall- leistungen, die innerhalb der Sprechstundenzeiten anfie- len, wurden bei den Vertragsärzten in der Regel über das Regelleistungsvolumen (RLV) vergütet, im Krankenhaus wurden sie quotiert. Die offene Formulierung im ÄA 22 „Für Leistungen im Notfall und Notdienst dürfen im Verteilungsmaßstab keine Maßnahmen zur Begrenzung oder Minderung des Honorars angewandt werden“ lässt verschiedene Inter- pretationen zu . Nachdem der Notfall sowohl in der sprechstundenfrei- en Zeit als auch innerhalb der Sprechstundenzeit auftre- ten kann, ist für mich völlig unklar, wie zukünftig die Vergütung im Bereich der KV-Praxen und der KH-Am- bulanzen geregelt wird . Sollte der Notfall innerhalb der Sprechstundenzeit sowohl in der KH-Ambulanz als auch in der KV-Praxis unbegrenzt vergütet werden, ist zu befürchten, dass dies nicht absehbare negative Auswirkungen auf die Mengen- entwicklung und den verbleibenden Honorartopf haben wird . Sollte es so sein, dass die Behandlung des Notfalls in- nerhalb der Sprechstundenzeit durch die KV-Praxis wei- terhin im Rahmen des RLV bzw . EBM zu vergüten ist und gleichzeitig die Behandlung innerhalb der Sprech- stundenzeit in der KH-Ambulanz mit den höheren Not- fall-EBM ohne Abzüge bezahlt wird, führt dies zu einer eklatanten Ungleichbehandlung der Sektoren . Das würde Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13033 (A) (C) (B) (D) die Prämisse „ambulant vor stationär“ vollkommen kon- terkarieren . Auch wenn in zwei Jahren eine Evaluation stattfin- det und ich dem Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung zustimme, möchte ich in dieser persönlichen Erklärung meine Bedenken bezüglich der geplanten Änderungen bei der Notdienst- und Notfallver- gütung zum Ausdruck bringen . Trotz Ablehnung des ÄA 22 werde ich dem KHSG zustimmen, da es insgesamt zu sehr deutlichen Verbes- serungen führt . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (Tagesordnungs- punkt 19) Die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) wird voraussichtlich eine prägende Rolle in der interna- tionalen Zusammenarbeit des 21 . Jahrhunderts spielen . Ob sie eine sinnvolle Ergänzung zur Weltbank oder eine geostrategische Konkurrenzstruktur Chinas zu den USA darstellen wird, hängt maßgeblich davon ab, ob sich eu- ropäische Staaten an ihr beteiligen . Nur ein engagierter Beitrag der Mitgliedstaaten der AIIB wird dazu führen, dass die von ihr finanzierten Projekte ökologische und soziale und vor allem menschenrechtliche Standards ein- halten sowie die Zivilgesellschaft an Projekten beteiligt . Meine Fraktion und ich bemängeln, dass zum Zeit- punkt der angestrebten Abstimmung im Deutschen Bun- destag über die Beteiligung der Bundesrepublik an der AIIB die genauen Standards der AIIB den Mitgliedern des Deutschen Bundestages noch nicht vorliegen . Wir fordern die Bundesregierung auf, erstens bei den weiteren Verhandlungen über die Standards der AIIB mindestens auf die Einhaltung der bestehenden umwelt-, sozial- und menschenrechtlichen Schutzklauseln und Investitionsstandards der Weltbank zu bestehen, darunter beispielsweise auch den Ausschluss von Investitionen in Atom- und Kohlekraftwerke, zweitens darauf zu bestehen, dass ein permanentes, unabhängiges und effizientes Monitoring-Instrument etabliert wird, das die Grundlage für die zukünftige Ver- besserung der Standards verbindlich liefert, drittens sich bei den weiteren Verhandlungen über die Standards der AIIB für die bei anderen internationalen Finanzinstitutionen, insbesondere der Weltbank, gelten- den Standards in Bezug auf die Rechenschaftspflicht und Transparenz der AIIB auszusprechen, viertens sich bei den weiteren Verhandlungen für öf- fentliche Konsultationen zur Ausgestaltung eines unab- hängigen Beschwerdemechanismus auszusprechen, fünftens nach Beitritt zur AIIB dem Deutschen Bun- destag den jeweiligen Jahresbericht und zusätzlich die vierteljährlichen Zwischenberichte umgehend zur Kennt- nis zu übermitteln . Diese Forderungen können nur dann ernsthaft in An- griff genommen werden, wenn Deutschland Mitglied der AIIB ist . Deshalb stimme ich dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ratifizierung des Beitritts Deutsch- lands der AIIB zu . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD: Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile Registrierungssysteme stärken (Tagesord- nungspunkt 18) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): In der Entwick- lungszusammenarbeit stellt sich für uns immer die grundlegende Frage, inwieweit es sinnvoll, nützlich oder sogar unerlässlich ist, deutsche oder sogar europäische Werte einfließen zu lassen. Dies ist sicher für Fragen der Menschenwürde, der Gleichberechtigung oder der körperlichen Unversehrtheit keine Frage, sondern eine zwingende Voraussetzung . Allerdings sind auch diese elementaren Grundwerte nicht in jedem Entwicklungs- land sofort eine willkommene Botschaft . Auch begegnet uns immer wieder die Forderung nach Good Governan- ce – guter Regierungsführung – und damit implizit nach funktionierenden Verwaltungsstrukturen eines Staates . Verwaltung ist aber ebenso häufig ein Begriffspaar von Bürokratie, die gerne als Synonym von Schwerfälligkeit oder Bevormundung der Bürger verstanden wird . So ist Bürokratieabbau in einem modernen Industrie- staat eine Aufgabe der positiven Entwicklung, der Ver- besserung und für manchen fast schon so etwas wie ein modernes Menschrecht . Hierzulande beschweren wir uns allzu oft über die Bürokratie: die Bürokratie eines Bür- geramtes, deutsche Bürokratie im Allgemeinen oder den „berühmten“ Brüsseler Beamten, der mit seinen Geset- zen unser Leben überreguliert . Kann es dann sein, dass Ausprägungen der Bürokra- tie in bestimmten Stadien der staatlichen Entwicklung geradezu einen Baustein für eine erfolgreiche Entwick- lung und vor allem ein hohes Schutzgut des Menschen verkörpern könnten? Genau das kann es, wenn es dazu angelegt ist, dem Menschen seine staatliche Identität zu geben und ihn in das Gefüge staatlicher Existenz zu im- plementieren . Ich möchte heute aber kein kritikloses Loblied auf die Bürokratie singen . Dies umso mehr, als das Thema des heutigen Antrags seinen Ursprung eigentlich im kirchli- chen Bereich hatte und es die Kirchen waren, die began- nen, die sogenannten Personenstandsfälle aufzuzeich- nen . Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle fanden Eingang in die Kirchenregister der Pfarrämter . Erst 1792 wurden diese Aufgaben von der zivilen Verwaltung über- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513034 (A) (C) (B) (D) nommen und letztlich Standesämter durch den Code Ci- vil errichtet . Es dürfte kein Zufall sein, dass gerade im Zusammen- hang mit der französischen Revolution der Wert des Indi- viduums durch eine staatliche Registrierung seine Aner- kennung der Menschrechte erhielt . Menschenrechte sind keine abstrakte Größe, sondern sie leiten sich aus der Beziehung zum Staat ab . Mit der Registrierung des Ge- burtsdatums und dem erwählten Namen wird der Mensch zum Individuum und ist damit in der Lage, seine Rechte konkret einzufordern . Auch wenn Bürokratie in der freien Übersetzung die Herrschaft der Beamten verkörpert, so ist es aber auch die Erklärung dafür, dass sich der Staat gegenüber sei- nen Bürgern respektvoll und dem Gesetz unterworfen verhält . Besinnen wir uns auf die Grundwerte, so ist schnell klar, dass es für die Entwicklungsländer dringend dieser Regularien bedarf, um den Bewohnern ihre Individualität zu verleihen, damit sie Träger und nicht nur Objekte des Staates sind . Und dies gilt gerade zu dem Zeitpunkt, an dem der Mensch seine Individualität schutzlos verteidi- gen muss – als Neugeborenes, als Kind . Für Staatlichkeit braucht es deshalb eine Bürokratie, die gewissenhaft die Kinder ihres Landes zählt . Denn: keine Geburtsurkunde und kein Name – keine Bürger- rechte . Keine Geburtsurkunde – kein Schutz vor früher Heirat . Keine Geburtsurkunde – kein Schutz vor Kin- derarbeit . Keine Geburtsurkunde – kein Schutz im Falle einer Entführung . Keine Geburtsurkunde – keine kon- trollierte Einschulung . Keine Geburtsurkunde – kein kontrolliertes Impfen . Keine Geburtsurkunde – keine Kontrolle der Volljährigkeit . Laut einem Bericht vom UNHCR kommt jedoch alle zehn Minuten ein Baby ohne Pass auf die Welt . Damit sind 230 Millionen Kinder unter fünf Jahren weltweit nicht erfasst . Das ist jedes dritte Kind unter fünf Jahren . In Entwicklungsländern sind 50 Prozent aller unter Fünf- jährigen nicht offiziell gemeldet. Alle zehn Minuten fällt damit ein Kind durch das Sicherheitsnetz, das eine Regis- trierung bieten würde . Wir sprechen von „unsichtbaren“ Kindern . In Somalia und Äthiopien werden weniger als 10 Prozent der Kinder bei ihrer Geburt registriert . Und blicken wir auch einmal nach Südasien: Auch hier sind nur 37 Prozent aller Kin- der registriert . Was können wir nun tun, um diese Kinder sichtbar zu machen? Wir müssen sie zuallererst ins Blickfeld der lo- kalen Behörden bringen . Diese müssen ihre Verantwor- tung wahrnehmen . Sie dürfen nicht diskriminieren auf Basis des Geschlechts und der Ethnie . Die Registrierung muss für Eltern praktisch machbar sein, ohne Hürden, fi- nanzieller oder anderer Natur . Dies muss nicht zuletzt auch aus Eigeninteresse der Staaten erfolgen, denn nur registrierte Bürger können auch steuerlich erfasst werden . Wie will ein Staat seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bürgern erfüllen, wenn er gar nicht weiß, wie vie- le Menschen und an welchen Orten des Landes er mit Infrastruktur wie Wasser, Sanitärleistungen, Energie, Ge- sundheitsleistungen oder Nahrung versorgen bzw . hierzu die Voraussetzungen schaffen muss? Die unkontrollierte Urbanisierung in den Entwicklungsländern ist eine un- mittelbare Folge davon, dass die Regierungen keine reale Vorstellung davon haben, wie viele Menschen sich auf ih- rem Staatsgebiet aufhalten und welche Bedürfnisse drin- gend befriedigt werden müssen . Bevölkerungsentwick- lung und Familienplanung sind ein untrennbares Duo und führen bei Kontrollverlust zu abstrusen politischen Entscheidungen wie der verkündeten Ein-Kind-Politik von China . Fehlende Geburtenregistrierung löst bei der be- reits vorhandenen Bevölkerungsdichte auf dieser Erde zwangsläufig eine Spirale des Chaos und der Rechtlo- sigkeit aus, der die Menschen in ihrer Verzweiflung und ihrem Kampf ums Überleben zu entfliehen suchen. Auch dies ist eine rudimentäre Ursache der jetzigen Flücht- lingsbewegung . Doch können wir die Versäumnisse auf diesem Gebiet heute noch korrigieren? Als Erstes muss bei den Eltern Aufklärung über die Notwendigkeit und Vorteile der Registrierung ihrer Kin- der geleistet werden . Fatalerweise setzt sich die fehlen- de Registrierung schon in mehreren Generationen fort . Ein Bezug zu den Eltern ist deshalb mit den historischen Mitteln der Registrierung durch Eintragung in zentrale Verzeichnisse oft nicht möglich . Hier bieten jedoch die digitalen Medien interessante Möglichkeiten . Afrika zeigt uns schon heute, was alles mit Handys und Digitalisierung machbar ist . Geburten- registrierung via Mobiltelefon ist da nur eine denkbare Möglichkeit . Fingerabdrücke und der Scan der Iris im Auge erlaubt die Festlegung unverwechselbarer Merk- male, die dem Namen zugeordnet werden können . Vor allem erlaubt diese Methode die schnelle und überregi- onale Zusammenführung der Daten sowie die Abrufbar- keit an jeder Stelle des Landes . Mit den entwicklungspolitischen Maßnahmen des Ge- sundheitsschutzes durch vorbeugende Impfungen lassen sich diese Erfassungen nicht nur sinnvoll verbinden, son- dern sind gerade zur Gesundheitsvorsorge eine planvolle Ergänzung . Ein Staat ist kein Staat, wenn er seine Kinder nicht kennt . Ein Bürger ist kein Bürger, wenn er seine Rech- te gegenüber seinem Heimatland nicht einfordern kann, weil seine Existenz nicht gegenüber Dritten dokumen- tiert werden kann . Wir sind daher aufgefordert, in der Entwicklungs- zusammenarbeit intensiv daran mitzuwirken, dass die Geburtenregistrierung als wesentlicher Bestandteil des Aufbaus funktionierender Regierungssysteme mit den uns zur Verfügung stehenden modernen Medien massiv vorangetrieben wird . Michaela Engelmeier (SPD): Der Antrag von CDU/ CSU und SPD: „Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile Registrierungssysteme stärken“ hat einen durch- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13035 (A) (C) (B) (D) aus sehr sperrigen Titel . Wer Böses denkt, könnte mei- nen, dass die Deutschen auch in der Entwicklungspolitik das tun, was sie angeblich am besten können: verwalten und bürokratisieren . Das ist aber in diesem Antrag wirk- lich nicht der Fall . Es geht um Zukunftsfragen . Und damit Kinder eine Zukunft haben, müssen wir uns mit vielen Dingen befas- sen, damit unsere jüngst in diesem Jahr verabschiedeten nachhaltigen Entwicklungsziele auch bei der zukünftigen Generation Chancen eröffnen . Wir wollen mit unserem Antrag eine Initiative ergrei- fen, um ein für uns in den Industrienationen alltägliches Kinderrecht umzusetzen . Und zwar: Jedes Kind hat ein verbrieftes Recht auf die Registrierung seiner Geburt und die Ausstellung einer Geburtsurkunde! Für uns alle eine Selbstverständlichkeit: nach der Geburt unseres Kindes zum Standesamt zu gehen und eine Geburtsurkunde zu bekommen, mit welcher der Name des Kindes, seine Herkunft und seine Eltern nie- dergeschrieben werden . Mit dieser Urkunde ist das Kind Träger von Grundrechten, die es einklagen kann, und es kann einen Ausweis erhalten – es existiert . Es ist nicht unsichtbar, und es kann auch nicht einfach spurlos ver- schwinden . In vielen Entwicklungsländern ist das nicht der Fall . Oft fehlt einem Staat die Möglichkeit zur Registrierung, oft sind es Bürgerkrieg und Armut und die Häufung von Naturkatastrophen, die es verhindern . UNICEF beziffert die Zahl der Kinder unter fünf Jah- ren, deren Geburt nie registriert wurde, mit 230 Millio- nen . Und an dieser Stelle wollen wir ansetzen, damit sich an dieser Sachlage etwas ändert . Wir werden am 20 . November an die Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention erinnern . Sie wurde am 20 . November 1989 von der UN-Generalversamm- lung angenommen . Beim Weltkindergipfel vom 29 . bis 30. September 1990 in New York verpflichteten sich Re- gierungsvertreter aus der ganzen Welt zur Anerkennung der Konvention . Der Kinderrechtskonvention sind mehr Staaten beigetreten als allen anderen UN-Konventionen . Und nicht nur mir sind sie wichtig . Mit einer großen Übereinstimmung haben 195 Staaten die Kinderrechts- konvention unterzeichnet und damit ein Zeichen gesetzt . Leider bis heute nicht die USA . Ich stelle diesen Zusammenhang dar, weil mir die Wahrung der Kinderrechte besonders wichtig ist . Die völkerrechtliche Grundlage für Geburtsregistrie- rung findet gemäß Artikel 7 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes seine Verankerung . Demnach erfolgt das Recht für das Kind durch die offizielle Re- gistrierung seiner Geburt, das heißt das Recht auf eine Geburtsurkunde, einen Namen und die Erfassung in offi- ziellen Registern . Diese Schutzbestimmung geht in ihrer Wirkung aber darüber hinaus, denn erst durch eine Registrierung wird im modernen Staat mit seinem Erfordernis einer funktio- nierenden Verwaltung ein Mensch zum Staatsbürger und kann in den vollen Genuss der ihm zustehenden Rechte gelangen . Dies betrifft die passive und die aktive Teil- nahme an Wahlen, die Möglichkeit, Personalausweise, Reisepässe und andere Dokumente zu erhalten, Sozial- leistungen zu beziehen oder die Schule zu besuchen . Es bietet Kindern auch den Schutz vor Verbrechen, vor Kin- derarbeit, vor dem Kriegsdienst und vor sexueller Aus- beutung und Frühverheiratung . Nichtregistrierte Geburten sind ein Symptom für Un- gerechtigkeit und Ungleichheit. Häufig betroffen sind Kinder aus religiösen oder ethnischen Minderheiten, Kinder aus abgelegenen Regionen, Kinder aus armen Familien, Kinder mit Müttern ohne oder mit geringer Schuldbildung, Straßenkinder sowie Waisenkinder und Kinder mit Behinderung . Ohne Eintrag in ein Geburtenregister wird ein Kind häufiger Opfer von Menschenhandel und illegaler inter- nationaler Adoption, es kann kein Grundeigentum erwer- ben, ein Konto eröffnen oder erben . Mit der Ausbreitung von HIV und Krankheiten wie Ebola wächst die Zahl der Waisen, und die Eigentumsfrage ist für die betroffenen Kinder eine wichtige Überlebensfrage . Für nichtregis- trierte Kinder ist zudem der Zugang zu staatlicher Bil- dung schwierig bis unmöglich, was den Ausweg aus der Armut besonders erschwert . Ebenso sieht es im Gesund- heitsbereich aus: Eine Registrierung ist oft Bedingung, um kostenlose Impfungen und andere Gratisgesundheits- dienstleistungen zu erhalten . Weiterhin können nicht- registrierte Kinder in legalen Arbeitsverhältnissen bei- spielsweise keinen Mindestlohn beanspruchen und keine Sozialversicherungs- und Steuernummer beantragen . Bei Kindern, die von Flucht in einen anderen Staat betroffen sind, kann eine fehlende Registrierung zur Staatenlosig- keit führen . Mit der Verbesserung dieser Problemlagen befasst sich unser Antrag mit dem Thema „Geburtenregistrie- rung in Entwicklungsländern“ . Er befasst sich mit den dabei auftretenden Problemen und zeigt Lösungsmög- lichkeiten auf . Er enthält einen Maßnahmenkatalog, wie die Verfahren zur Registrierung seitens der Bundesregie- rung und des Parlamentes unterstützt und weiterentwi- ckelt werden können . Unser Engagement muss darauf abzielen, sich mit den Problemen zu befassen, warum eine Registrierung nicht erfolgt . Das liegt nicht allein an einem reinen Mangel an administrativer Infrastruktur, sondern an unterschiedli- chen Gründen: Die Registrierung kann Geld kosten, das viele nicht haben . Sie kann nicht erreichbar sein, weil es nur in Städten oder im Land nur eine Meldestelle gibt . Es gibt ein mangelndes Problembewusstsein, was auch am Bil- dungsgrad liegt . In manchen Fällen ist es legal nicht möglich, zum Beispiel wenn die Mutter und das Kind ei- ner ethnischen Minderheit angehören . Das Kind ist une- helich, und dadurch können soziale Stigmatisierung oder Unterhaltsverpflichtungen entstehen. Für diese Vielzahl von Gründen für die Nichtregistrie- rung von Geburten muss sich eine entsprechende Viel- zahl von Lösungsansätzen finden. Daher müssen wir, wie es in unserem Antrag formuliert ist, unsere Initiativen er- weitern: mit Aufklärung und Bildung, denn ohne das Be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513036 (A) (C) (B) (D) wusstsein für die Wichtigkeit der Geburtenregistrierung kann keine technische Verbesserung das Problem lösen; mit flächendeckenden Registrierungsstellen und kos- tenloser Registrierungsmöglichkeit; mit Unterstützung von Reformen von nationalen Gesetzen; mit nationalen Partnerschaften und Zusammenarbeit mit dem Gesund- heitssektor beispielsweise in Kliniken oder in Schulen und sozialen Projekten; mit mehr Engagement auf höhe- rer politischer Ebene und der Diplomatie; und auch mit niedrigschwelligen Angeboten wie der Registrierung per SMS . In den Entwicklungsländern gibt es eine rasante Entwicklung des Mobilfunknetzes . Es gibt auch schon gute Erfahrungen mit diesem von einigen Verbänden ge- förderten und praktizierten Verfahren . Ich bitte Sie, unser Anliegen zu unterstützen . Niema Movassat (DIE LINKE): „Jedes Kind hat ein verbrieftes Recht auf die Registrierung seiner Geburt .“ Diesem ersten Satz des vorliegenden Koalitionsantrags kann ich nur zustimmen . Und ich möchte hinzufügen: Und jedes Kind hat das Menschenrecht auf Nahrung, auf Gesundheit, auf ein Leben in Würde . Noch immer ist nahezu jedes dritte Kind unter fünf Jahren nicht registriert . Jährlich werden rund 230 Milli- onen neugeborene Kinder weltweit nicht registriert . Da- raus ergeben sich dramatische Nachteile und Gefahren . Wer keine Geburtsurkunde bekommt, startet bereits be- nachteiligt ins Leben . Meist sind es Kinder aus armen Verhältnissen, die so keinen Identitätsnachweis besitzen und ihre Rechte nicht einmal theoretisch einklagen kön- nen – unter Umständen ein Leben lang . Die Gefahr, Op- fer von Menschenhandel zu werden, steigt extrem . Häufig ist es Familien in abgelegenen Regionen nicht möglich, die weite und beschwerliche Reise zur nächsten amtlichen Meldestelle anzutreten. Häufig wissen sie gar nicht um die Bedeutung einer Geburtsurkunde . In ande- ren Fällen entscheiden sie sich ganz bewusst dafür, ein „Phantomkind“ zu behalten, weil sie aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit staatlichen Repressalien ausgesetzt sind oder der Staat sowieso keinerlei Angebo- te der Daseinsvorsorge zur Verfügung stellt . Meist scheitert die Registrierung jedoch schlicht und einfach an den Kosten . Deshalb brauchen wir unbedingt kostenlose und niedrigschwellige Registrierungsangebo- te . Moderne Lösungen, beispielsweise ein SMS-basiertes System, klingen vielversprechend angesichts der weiten Handyverbreitung auch in abgelegenen Regionen . Am wichtigsten sind aber vor allem Aufklärungskampagnen, um für das Thema zu sensibilisieren . Umgekehrt erschwert die Nichtregistrierung von Neu- geborenen auch maßgeblich politische Maßnahmen aller Art . Wie sollen Bildungs- und Gesundheitsangebote den Bedarf decken, wenn nicht einmal klar ist, für wie viele Menschen sie reichen müssen? Es ist aus diesen Gründen zu begrüßen, dass die Ver- einten Nationen die universelle Geburtenregistrierung bis 2030 als Unterziel der SDG-Entwicklungsziele auf- genommen hat . Die Koalitionsfraktionen beschreiben die Geburtenregistrierung als ein zentrales Thema der Ent- wicklungspolitik, und das sieht auch die Linksfraktion so . Die Forderung nach einem Forschungsauftrag über die Wirksamkeit von Registrierungssystemen und die Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit, hier voranzukommen, unterstützen wir . Dennoch muss ich abschließend darauf hinweisen, dass die Bundesregierung selbst jederzeit ganz unmittel- bare und wirksame Schritte unternehmen könnte, um be- nachteiligten Kindern im globalen Süden zu helfen . Än- dern Sie endlich Ihre Wirtschaftspolitik, liefern Sie keine Waffen mehr ins Ausland – das alleine würde auch das Leben von unregistrierten Kindern überall auf der Welt verbessern helfen . Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die weltweit krisenhafte Situation gezeichnet durch Krieg, Verfolgung, Klimawandel und Hungersnöte zwingt über 60 Millionen Menschen zur Flucht . Diese huma- nitäre Katastrophe hat auch zur Folge, dass mittlerweile alle zehn Minuten ein staatenloses Kind geboren wird; so die jüngsten Zahlen des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen . Sie sind staatenlos aufgrund feh- lender oder diskriminierender Gesetzgebung oder etwa, weil sie in einem Land geboren werden, das nicht ihr Heimatland ist . Die Registrierung der Geburt ist dabei der zentrale und erste Schritt für die rechtliche Anerken- nung . Weltweit leben aber 230 Millionen Kinder ohne Geburtsnachweis . Dies hat gravierenden Folgen für ihre Entwicklungschancen und die Wahrung ihrer Rechte . In 230 Millionen Fällen wird damit auch ganz besonders die UN-Kinderrechtskonvention missachtet . Diesen Kindern bleibt oftmals der Zugang zu elemen- taren Bereichen der Grundversorgung, etwa zu Bildung und Gesundheit, verwehrt . Sie sind auch in besonderem Maße Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt, zum Bei- spiel im Bereich der Kinderarbeit . Ich stimme daher in weiten Teilen der Analyse des uns vorliegenden Antrages zu . Sie sprechen in Ihrem Antrag auch ganz konkret davon, dass ein registriertes Kind etwa davor bewahrt werden kann, „durch gefähr- liche Arbeit … ausgebeutet zu werden“ . Das kann stim- men . Es hilft aber dem Kind nichts, wenn das derzeit zu verabschiedende deutsche Vergaberecht nicht gleichzei- tig etwas dazu leistet, Kinderarbeit zu bekämpfen . Es ist skandalös, dass diese Bundesregierung Kinderarbeit nicht als zwingenden Ausschlussgrund bei der öffentli- chen Auftragsvergabe formuliert hat . Während wir uns also hier in dieser Debatte für die Rechte von Kindern einsetzen, wird in der kommenden Woche – nach jetzi- gem Stand – ein Vergaberechtsmodernisierungsgesetz verabschiedet, welches die politischen Spielräume etwa im Kampf gegen die Kinderarbeit bewusst ignoriert . Wir können hier noch so viele gutgemeinte Anträge debattie- ren und verabschieden; das nützt nichts, wenn an ande- rer Stelle die Bundesregierung eine weltweit nachhaltige Entwicklung mit ihrem Handeln konterkariert . Es zeigt sich leider einmal mehr, dass Politikkohärenz für diese Bundesregierung ein Fremdwort ist . Und daran ändert leider Ihr Antrag nichts . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13037 (A) (C) (B) (D) Fremd ist Ihnen scheinbar auch die Finanzierungsfra- ge . Ohne zusätzliche Mittel bleiben Ihre Forderungen ein reines Lippenbekenntnis . Es kostet schlichtweg Geld, behördliche Registrierungssysteme zusammen mit den Partnerländern aufzubauen . Deutschland muss an dieser Stelle diese Länder auch mit finanziellen Mitteln unter- stützen; alles andere ist zwar schöne Prosa, aber mehr auch nicht . Wir alle wissen: Kinder haben ein Recht auf eine po- sitive Entwicklung, auf eine Perspektive . Sie bilden den Grundstein für eine bessere Zukunft . Kindern einen ge- sunden und geschützten Start ins Leben zu ermöglichen, stellt eine der bedeutendsten Investitionen in die Zukunft dar – in allen Ländern dieser Welt . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Son- dervermögens für das Jahr 2016 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2016) (Tagesordnungspunkt 20) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Das ERP-Son- dervermögen bezeichnet ein vom Bund verwaltetes Sondervermögen aus dem European Recovery Program (ERP) . Auf der Grundlage des Marshallplans diente es ursprünglich der Förderung der deutschen Wirtschaft . Seit nahezu 70 Jahren ist dieses Förderinstrumentarium weiterentwickelt worden und wird im Wesentlichen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und den Haus- banken durchgeführt . In jedem Jahr und so auch heute wird das Wirtschaftsplangesetz auf den Weg gebracht und somit die rechtliche Grundlage zur Verwendung der Mittel geschaffen . Für 2016 sollen 760,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden . Hier sprechen wir insbesondere über Förderungen von Existenzgründungen, Wachstumsfi- nanzierungen, Innovationsförderung sowie Exportfi- nanzierungen . Unternehmen der gewerblichen mittel- ständischen Wirtschaft und die Freien Berufe können so zinsgünstige Finanzierungen mit einem Gesamtvolumen von rund 6,03 Milliarden Euro erhalten . Die ERP-Programme liefern damit einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung mittelständischer Unterneh- men . Denn gerade in Bereichen, wo Banken bei der Kre- ditvergabe zurückhaltender sind oder ein geeignetes An- gebot fehlt, setzen die Instrumente ein und ermöglichen den Start in die Selbstständigkeit oder die Beteiligung an einem Unternehmen . Genau das macht die ERP-Pro- gramme wertvoll, weil sie auf die Bedürfnisse der kleine- ren und mittleren Unternehmen fokussiert sind . Hervorzuheben ist, dass zwei Drittel der zur Verfü- gung stehenden 6,03 Milliarden Euro in den Bereichen Existenzgründung und Innovation bereitgestellt werden . Diese Zahlen verdeutlichen, wo die Schwerpunkte der Förderung liegen sollen . Dabei ist davon auszugehen, dass die für 2016 geplanten ERP-Mittel die voraussicht- liche Nachfrage nach Darlehen und Beteiligungskapital decken . Wenn man die einzelnen Haushaltspositionen ver- gleicht, fällt ins Auge, dass der Mittelansatz im Grün- derbereich um 300 Millionen Euro niedriger liegt als im Vorjahr . Und man fragt sich: Warum? Die technokrati- sche Antwort lautet: Nach dem Haushaltsrecht haben sich die angesetzten Planvolumina, sprich: Summen, an der zu erwartenden Nachfrage zu orientieren, und diese wird sehr wahrscheinlich 2016 geringer ausfallen . Die Gründe sind nachvollziehbar: Zum einen haben wir seit längerem ein historisch niedriges Zinsniveau, sodass auch Bankenkredite vergleichsweise günstig an- geboten werden . Zum anderen investieren die Unterneh- men zurzeit eher zurückhaltend, und die Stimmung be- züglich Gründungen ist momentan verhalten . Deshalb müssen wir mit einem Bündel von Maßnah- men das Klima für ein innovatives Deutschland und eine Kultur der Selbstständigkeit weiter fördern . Dazu gehört auch die KfW, die ihre guten Angebote bedürfnisorien- tiert weiterentwickeln und attraktiv gestalten muss . Da- mit reden wir zum Beispiel über längere Laufzeiten für Kredite oder auch unbürokratische Verfahren bei der An- tragstellung . Ein für mich wichtiger Impuls ist die Entscheidung der KfW, wieder im Wagniskapitalmarkt mitzumischen . Mit dem neuen Instrument „ERP-Venture-Capital-Fondsin- vestments“ wird eine Förderung von technologieorien- tierten Start-ups und innovativen Unternehmen verbes- sert . So sollen in den nächsten fünf Jahren Investitionen von bis zu 400 Millionen Euro generiert werden . Damit stellt die KfW ein Fondsvolumen von rund 2 Milliarden Euro für den Venture-Capital-Markt zur Verfügung . Aus meiner Sicht ein starkes Signal für interessierte kleine und mittlere Unternehmen . Ein starkes Signal deshalb, weil der deutsche Wagnis- kapitalmarkt gemessen an der deutschen Wirtschaftskraft eher gering ist . So nehmen wir in Deutschland lediglich 0,02 Prozent des BIP für Investitionen in die Hände . Demgegenüber steht zum Beispiel in den USA fast das Zehnfache (0,17 Prozent des BIP) des deutschen Wertes zur Verfügung . Und das müssen wir ändern! Unser Gesetzentwurf zeigt deutlich, dass wir verant- wortlich und mit großer Wertschätzung unsere mittel- ständischen Unternehmen unterstützen wollen, weil ge- nau diese Unternehmen einen unschätzbaren Beitrag zu unserer insgesamt erfolgreichen Wirtschaft leisten . Und weil der Mittelstand so erfolgreich ist, junge Menschen ausbildet, Arbeitsplätze schafft und sich gleichzeitig den Herausforderungen der Globalisierung stellt, wollen und müssen wir die richtigen politischen Rahmenbedingun- gen setzen . Angefangen beim Unterausschuss „Regionale Wirt- schaftspolitik und ERP-Wirtschaftspläne“ über den Ausschuss für Wirtschaft und Energie gab es bisher ein einstimmiges Votum, und ich wünsche mir in Richtung unserer mittelständischen Wirtschaft auch heute ein ebenso starkes Signal aus diesem Plenum . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513038 (A) (C) (B) (D) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Über 150 Milliarden Euro – dieser Betrag wurde der deutschen Wirtschaft für Investitionen aus dem ERP-Sondervermögen bis 2015 bereitgestellt . Etwa 15 000 Einzelkredite gingen alleine 2014 an mittelständische Unternehmen . Das ist die Bilanz aus über 60 Jahren Wirtschaftsför- derung durch das Wirtschaftsplangesetz, um das es heute geht . Und diese Bilanz ist gut . Aber nur, weil etwas gut ist, heißt das ja nicht, dass es nicht noch besser werden kann . Das gilt auch für das Wirtschaftsplangesetz 2016 . Gut ist, dass für das Jahr 2016 Mittel in Höhe von rund 760 Millionen Euro bereitgestellt werden . Gut ist, dass diese Mittel Auslei- hungen an die verschiedenen Kreditprogramme in Höhe von etwa 6 Milliarden Euro ermöglichen . Damit wird zahlreichen Existenzgründern und innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland ge- holfen . Denn diese sind in ihrer Finanzierungsstruktur gegenüber Großunternehmen oftmals benachteiligt . Die Programme sind somit ein wichtiger Baustein zur Siche- rung und Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze . Es ist ein Glücksfall, dass dieses Kapital in Deutsch- land seit über 60 Jahren zur Verfügung steht . Es stammt ursprünglich aus Mitteln des Marshallplans zum Wieder- aufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg . Zu dieser Zeit lag der Fokus noch auf dem Wiederaufbau der Wirtschaft . Heute liegt der Schwerpunkt im Wesent- lichen auf der regionalen Wirtschaftsförderung, der Fi- nanzierung von Existenzgründungen, der Förderung von Innovationen und dem Gebiet der Exportfinanzierungen. Diese Schwerpunkte spiegeln sich in vielzähligen ERP-Programmen wider . Es ist gut, dass mit dem Start- fonds-Programm junge Technologieunternehmen in 2016 mit 80 Millionen Euro gefördert werden . Es ist auch gut, dass mit dem Regionalfonds-Programm regi- onale Wirtschaftsstrukturen mit bis zu 350 Millionen Euro verbessert werden sollen . Und es ist gut, dass für die Gründungsfinanzierung Mittel in Höhe von 3,3 Milli- arden Euro eingeplant werden . Und damit sind nur einige der Programme genannt . Angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase ist es je- doch wichtig, zu fragen, ob Zinsverbilligungen der richti- ge Anreiz für die Kapitalnehmer sind . Hier liegt auch ein wichtiger Grund, warum die Mittel in den letzten Jahren nicht vollständig abgeschöpft wurden . In den ERP-Pro- grammen müssen daher die richtigen Anreize gesetzt werden . Eine Möglichkeit der Anreizförderung ist das Instru- ment der Teilerlasse . Bei diesem müssen gewährte Darle- hen nur anteilig zurückgezahlt werden . Das wäre ein ziel- gerichteter Anreiz für potenzielle Unternehmensgründer in einem Niedrigzinsumfeld . Ein weiterer Schwerpunkt für die Zukunft sollte die Förderung von Wagniskapital sein . Mit Wagniskapital können Kapitalnehmer bei Ideen unterstützt werden, die Banken nicht finanzieren. Das betrifft insbesondere den finanziell riskanten Innovationsbereich. Ich begrüße es daher sehr, dass der Bereich des Wagniskapitals im Wirtschaftsplangesetz 2016 einen höheren Stellenwert genießt . Ich begrüße den ERP-Gründerkredit Startgeld, mit dem Startups und junge Unternehmen in Deutschland durch zinsgünstige Darlehen gefördert werden . Bis zum Jahr 2018 sollen Darlehen in Höhe von insgesamt 1 Mil- liarde Euro unterstützt werden . Das Ziel ist die Förderung von bis zu 15 000 Startups und jungen Unternehmern . Ich begrüße die Einrichtung des Venture Capital Fonds . Dieses neue Programm im Wirtschaftsplange- setz 2016 ermöglicht der KfW als ausführender Instituti- on, als Ankerinvestor in den Wagniskapitalmarkt zurück- zukehren . Ich begrüße außerdem die Aufstockung der Mittel für den European Angels Fund von 130 Millionen auf über das Doppelte . Business Angels sind private Investoren, die Kapital und Know-how in die Unternehmen mit ein- bringen . Sie sind wichtige Enabler, also Ermöglicher, für junge Unternehmer . Wir müssen aber noch bessere Rahmenbedingungen schaffen, um die Innovationskraft zu fördern . Wir müssen die Besteuerung von Wagniskapital im Sinne der Unternehmer verbessern . Im Koalitionsver- trag zwischen CDU, CSU und SPD steht hierzu, dass wir „Deutschland als Investitionsstandort für Wagniska- pital international attraktiv machen“ wollen . Außerdem soll das Investieren „in junge Unternehmen und junge Wachstumsunternehmen“ attraktiver werden . Daran müssen wir uns messen lassen! Wir brauchen außerdem eine positivere Innovations- kultur . Gründen ist ein Wagnis . Solche Vorhaben können auch scheitern – das gehört dazu! Außergewöhnliche Produkte und Innovationen werden nur im Grenzbereich entwickelt . Scheitern muss erlaubt sein, um eine Kultur des Gelingens – des Zutrauens in die eigenen Stärken – zu etablieren . Die Bundesregierung greift das in ihrem Eckpunktepapier zu Wagniskapital vom September 2015 auf . Ein Teil des Wirtschaftsplangesetzes umfasst die Förderung transatlantischer Begegnungen . In den letz- ten Jahren konnte hier der Planansatz nicht ausgenutzt werden . Ich begreife das als Chance für innovative, zu- kunftsweisende Programme für den transatlantischen Austausch . Eine möglicher Ansatz wären Kooperationszentren für Firmengründungen und Startups – diesseits und jen- seits des Atlantiks . Die unterschiedlichen Kulturen in- nerhalb der Gründerszenen könnten sich so gegenseitig bereichern . Auch in Zukunft kann das ERP-Sondervermögen ei- nen wichtigen Beitrag für die deutsche Wirtschaft leisten . Dazu müssen wir neue Trends, neue Wohlstandstreiber in die Programme des ERP einbauen . Ich habe den The- menbereich des Wagniskapitals angesprochen; ein wei- terer ist beispielsweise der Bereich der Digitalisierung . Letztlich müssen wir weiter Innovationen und Unter- nehmensgründer fördern . Denn Innovationen von heute sind der Wohlstand von morgen . Firmengründer von heu- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13039 (A) (C) (B) (D) te sind die Unternehmerpersönlichkeiten von morgen . Startups von heute sind der Mittelstand von morgen . In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung für das Wirtschaftsplangesetz 2016 . Bernd Westphal (SPD): Mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf wird das diesjährige ERP-Wirtschaftsplan- gesetz umgesetzt . Kleine und mittlere Unternehmen stehen für den Erfolg unserer Wirtschaft . Ihr Erfolg ist letztlich der Erfolg Deutschlands . Deshalb müssen wir sie gezielt fördern und entsprechende Rahmenbedingun- gen schaffen . Umso wichtiger sind Förderprogramme, die die typi- sche Kreditfinanzierung im Rahmen des Hausbankensys- tems sinnvoll ergänzen . Der vorliegende Gesetzentwurf tut genau das . Mit dem Fördervolumen von insgesamt 760 500 000 Euro wird ein maximales Neukreditvolu- men von rund 6,3 Milliarden Euro ermöglicht . Das etwas geringere Fördervolumen im Vergleich zum Vorjahr trägt dabei den spezifischen Finanzierungserfordernissen am Markt Rechnung, indem die Nachfrage, der Konjunktur- verlauf und die Zinserwartung einbezogen worden sind . Mit diesen Geldern wird die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen gestärkt . Besonders in den Bereichen Unternehmensgründungen, Innovatio- nen, Exportförderung und Energieeffizienz werden ent- sprechende Maßnahmen gefördert . Auch der Aufbau und die Modernisierung bestehender Unternehmen in den neuen Bundesländern sowie in regionalen Fördergebie- ten in den alten Bundesländern ist ein wichtiges Ziel des ERP-Wirtschaftsplangesetzes . Das sichert nicht nur be- stehende Arbeitsplätze, sondern schafft auch neue . Zudem wird im Rahmen des Fördervolumens Be- teiligungskapital in Form von Venture Capital, Private Equity und Mezzaninkapital bereitgestellt. Damit wird die deutsche Startup-Szene unterstützt . Der hohe Inno- vationsgrad und das große Wachstumspotenzial der Star- tup-Szene wirken dabei wie ein Beschleuniger für die deutsche Wirtschaft . Die dritte Säule des ERP-Sondervermögens stellt die Unterstützung von Stipendienprogrammen dar, wodurch für mehr kulturellen Austausch mit den USA, aber auch mit ost- und mitteleuropäischen Ländern gesorgt wird . Das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016 steht damit noch heute in der Tradition des einstigen Marshallplans: Es unterstützt den wirtschaftlichen Aufbau und den kul- turellen Austausch . Es fördert und überwindet Grenzen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stimmen wir für eine Förderung des Mittelstandes, für mehr Wett- bewerbsfähigkeit und für einen Beitrag zu einer neuen deutschen Gründerzeit . Thomas Nord (DIE LINKE): Das ERP-Sonderver- mögen entstand nach 1948 im Zusammenhang mit dem Marshallplan und wird heute durch das Wirtschaftsminis- terium verwaltet . Im Dezember 1949 wurde ein Abkom- men über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA geschlossen . 1953 wurde festgelegt, dass die Mittel ausschließlich dem Wiederaufbau und der Förderung der deutschen Wirtschaft dienen sollten . Nach Beendigung der eigentli- chen Phase des Wiederaufbaus wurden ERP-Kredite zur Unterstützung der Exportwirtschaft und insbesondere zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen verwen- det . Seit den 1990er-Jahren wird es schwerpunktmäßig zur Förderung im ostdeutschen Mittelstand eingesetzt . Darin erkennen wir einen sinnvollen Beitrag zur Wirtschafts- förderung in den ostdeutschen Bundesländern . Die Linke wird dem eingebrachten Entwurf des Ge- setzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens 2016 wie in den vorhergehenden Jahren zustimmen . Denn es ist aus unserer Sicht eine sinnvolle Einrichtung und eine vernünftige Wirtschafts- förderung damit möglich . Allerdings möchte ich kritisch dazu anmerken, dass der letzte Evaluierungsbericht über die praktische Umset- zung bzw . Nutzung des Sondervermögens aus dem Jahr 2011 stammt . Lediglich für das ERP- und McCloy-Sti- pendienprogramm, das seit 1994 durch das BMWi aus dem ERP-Topf finanziert wird, ist ein Bericht für das Jahr 2014 auffindbar. Es ist aus unserer Sicht notwendig und sinnvoll, die Evaluierung zu erneuern und in einem regelmäßigen Zeitraum zu überprüfen . Beginnen sollten wir im kom- menden Jahr mit einem Bericht für die Jahre 2011 bis 2015, da der letzte für die Jahre 2005 bis 2010 erfolgte . Wir schlagen vor, danach eine solche Überprüfung je- weils in der Mitte der Legislaturperiode vorzulegen . Das würde auch die Transparenz weiter erhöhen, die mit der Änderung des Gesetzes von 2012 formuliert wurde . Der Bericht von 2011 weist auf eine hohe Anzahl von Mitnahmeeffekten bei den regionalen Förderprogram- men hin; sie lag damals bei 38 Prozent . In dem neuen Bericht sollte überprüft werden, ob und, wenn ja, in wel- chem Umfang die angegebene Prozentzahl sich verrin- gert hat . Wenn sie sich nicht verändert hat, ist das Mi- nisterium aufgefordert, Vorschläge zu präsentieren, wie diese Quote verringert werden kann . Auch wird 2011 eine Verschiebung der Einsetzung der Mittel hin zu größeren Unternehmen erwähnt . Die Verwendung des ERP-Sondervermögens ist aber mit besonderem Blick für kleine und mittelständische Un- ternehmen gedacht . Das entspricht durchaus dem kon- zeptionellen Denken linker Politik, denn gerade kleine Unternehmen sind auch in den Zeiten der Globalisierung die Basis für erfolgreiches lokales Handeln . Dies wird gerade in den Flächenländern vor dem Hintergrund der gleichwertigen Lebensverhältnisse von zunehmender Bedeutung sein . In einer aktuellen Evaluierung sollte deshalb auch ein detaillierter Blick auf die Förderungen der größeren Un- ternehmen durch das Sondervermögen gelegt werden . Dabei halten wir es für sinnvoll, die unterschiedlichen Größen der geförderten Unternehmen genauer voneinan- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513040 (A) (C) (B) (D) der abzugrenzen und die Erfolge bzw . Misserfolge der wirtschaftlichen Förderungen detailliert zu betrachten . Da die Verwendung des ERP-Sondervermögens bis- her immer einvernehmlich war und dies so bleiben soll, habe ich die Hoffnung, dass Sie die kritischen Bemer- kungen wohlwollend prüfen und aufnehmen werden . Legen Sie dem Parlament vor dem neuen Gesetzentwurf für die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Son- dervermögens 2017 einen aktuellen Evaluierungsbericht der Jahre 2011 bis 2015 vor . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ERP-Förderprogramm hat eine richtige Zielsetzung: die Unterstützung kleiner und mittlerer Un- ternehmen sowie die Förderung strukturschwacher Re- gionen . In Hinblick auf diese Zielsetzung stimmen wir dem Gesetzentwurf zu . Ich stelle fest: Die genannten Ziele sind Konsens im Deutschen Bundestag . Im Großen und Ganzen werden die ERP-Mittel auch für die genann- ten Ziele eingesetzt, und die Programme funktionieren . Aber immer dann, wenn man sich für ein neues Jahr fest- legt, ist es geraten, den Status kritisch zu analysieren und sich zu fragen, ob und gegebenenfalls an welcher Stelle Änderungen notwendig sind, um die Ziele wirklich zu erreichen bzw. die Effizienz zu erhöhen. Aber genau die- se kritische Analyse kann ich nicht feststellen; zumindest wurden dazu im Ausschuss keine belastbaren und in die Tiefe gehenden Analysen vorgelegt . Vielmehr wurde nur gesagt: Wir machen weiter, business as usual . Dabei stellen wir insgesamt eine weiterhin geringe In- vestitionsneigung fest . Und dies eben nicht nur im öffent- lichen Bereich – da fehlt schlicht die Fokussierung auf die richtigen Schwerpunkte –, sondern vor allem auch im privaten Bereich . Und: Das Umfeld hat sich verändert. Wir befinden uns unzweifelhaft in einer länger anhaltenden Niedrig- zinsphase . Dies schmälert die Wirksamkeit der ERP-Pro- gramme, weil sie weitgehend auf Zinsvergünstigungen basieren . Es werden zum Beispiel weniger Gelder für Unternehmensgründungen abgerufen, obwohl die Bun- desrepublik hier durchaus Nachholbedarf hat . Schon seit seiner Umstrukturierung im Jahr 2007 wird die mögliche und vor allem auch die angepeilte Höchstförderung durch das ERP-Sondervermögen nicht erreicht . Dies und die mangelnde Transparenz dieser Tatsache haben den Bundesrechnungshof zu einem sehr kritischen Bericht veranlasst . Das Bundeswirtschaftsmi- nisterium versäumt es, dem Parlament die Gründe für das Unterschreiten der Fördergrenzen zu nennen, und auch die genauen Zahlen zur tatsächlichen Abrufung der be- willigten Fördergelder werden verschwiegen . Dies ist kein angemessenes Verhalten gegenüber dem Parlament, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Bundes- rechnungshof diese Versäumnisse bereits vor einigen Jahren bemängelte . Außerdem schmälert die Intranspa- renz womöglich die Akzeptanz der ERP-Programme . Ich will das an einem Punkt verdeutlichen: Systema- tisch ist eine geringere Nachfrage nach Fördermitteln in den ostdeutschen Ländern festzustellen . Das wird dann immer wieder auf die geringere Risikobereitschaft der Menschen dort geschoben . Aber es könnte einen weite- ren Grund geben: Die Kreditzusagen gerade an Gründer werden ja nur gegeben, wenn die Darlehen auch ausrei- chend besichert sind . Vor dem Hintergrund der bekannten auch regionalen Vermögensungleichgewichte – in Osten gibt es ein signifikant geringeres Vermögen – könnte die fehlende Nachfrage vor allem nach Gründungskapital schlicht damit zusammenhängen, dass im Osten eben ge- ringere Vermögenswerte zur Besicherung der Darlehen vorhanden sind . Diese These muss nicht richtig sein . Ich kritisiere, dass zu wenig Analyse betrieben wird, denn diese ist eine Voraussetzung dafür, dass Förderprogram- me effektiv sind . Ein weiteres Problem besteht beim Thema Wagnis- kapital in Bezug auf Transparenz . Es werden und sollen weiter in verstärktem Umfang Beteiligungen an Wagnis- kapitalfonds durch Mittel des ERP-Sondervermögens eingegangen werden . Dabei unterstreichen wir die Rich- tigkeit des Zieles, Wagniskapital zu fördern . Allerdings bekommen wir als Parlamentarierinnen und Parlamen- tarier Informationen zu diesen Fondsbeteiligungen nur unter Einhaltung von Geheimhaltungsvorschriften . Der Öffentlichkeit bleiben die Informationen gänzlich ver- borgen . Da es sich aber um den Einsatz von öffentlichen Mitteln handelt, muss das Bundeswirtschaftsministerium hier eine Lösung finden, die Transparenz ohne jegliche Einschränkungen sicherstellt . Hier könnte zum Beispiel der Mittelstandsbeirat beim Bundeswirtschaftsminister eine Verantwortung übernehmen . Meine Ausführungen zeigen, dass es durchaus Hand- lungsbedarf bei den ERP-Wirtschaftsplänen gibt . Die Bundesregierung muss sich aktiv mit weiteren Optionen der Förderpolitik auseinandersetzen, die nicht allein auf Zinsverbilligungen abzielen . Diese verpuffen aktuell, und ein Ende der Niedrigzinsphase ist nicht in Sicht . Ein dauerhaftes Unterschreiten der Förderhöchstmittel unter- mauert den Handlungsbedarf . Auch müssen die Transpa- renzstandards erhöht werden . Schon 2007 bei der Um- strukturierung der ERP-Mittel haben wir auf die Gefahr hingewiesen, dass die Neustrukturierung des ERP-Son- dervermögens zulasten von Transparenz geht . Das ist zu korrigieren, damit das Programm weiter erfolgreich sein kann . Iris Gleicke, Parl . Staatssekretärin beim Bundesmi- nister für Wirtschaft und Energie: Deutschland befindet sich in einer wirtschaftlich guten Verfassung . Dies ist nicht zuletzt den vielen kleinen und mittleren Unterneh- men in Deutschland zu verdanken . Wir müssen dafür sor- gen, dass der deutsche Mittelstand seine Leistung auch weiterhin erbringen kann . Wir müssen dazu beitragen, dass er die Investitionen tätigen kann, die wir mittel- und langfristig brauchen . Hierfür ist ein gut funktionierendes Finanzierungsangebot unabdingbar . Auch hier gibt es eine gute Nachricht: Die Finanzierungsbedingungen sind derzeit auch für kleine und mittlere Unternehmen so gut wie selten zuvor . Aber es gibt Bereiche, in denen das bestehende Markt- angebot nicht ausreicht . Zu nennen sind da insbesondere Stichworte wie Gründungen, Innovationsfinanzierung und Wagniskapital . Hier setzen wir als Bundeswirt- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13041 (A) (C) (B) (D) schaftsministerium mit dem breiten Förderangebot aus dem ERP-Sondervermögen an . Der heute vorliegende Wirtschaftsplan für das Jahr 2016 schafft hierfür die Grundlage . Für das Jahr 2016 bieten wir zinsgünstige und lang laufende Finanzierungen und Beteiligungskapi- tal für kleine und mittlere Unternehmen mit einem Volu- men von bis zu rund 6,3 Milliarden Euro . Unternehmen in den neuen Bundesländern erhalten besondere Förder- vorteile . Mit dem ERP-Regionalförderprogramm gibt es ein eigenes Finanzierungsangebot für die regionalen Fördergebiete . Allein in den ersten drei Quartalen des Jahres 2015 konnten in den neuen Bundesländern rund 500 Vorhaben mit einem Volumen von rund 150 Milli- onen Euro allein aus diesem speziellen Programm ge- fördert werden . In den alten Bundesländern wurden mit diesem Programm Zusagen mit einem Volumen von rund 100 Millionen Euro getätigt . Damit ermöglichen wir in volkswirtschaftlich wichtigen Bereichen Investitionen, die ohne die ERP-Förderung nicht oder nur schwer reali- siert werden könnten . Auch im Bereich der Förderung von jungen Wachs- tumsunternehmen bilden die vorhandenen ERP-Pro- gramme das Rückgrat der Wachstumsförderung in Deutschland . Der vorgelegte Wirtschaftsplan für das Jahr 2016 setzt auf Kontinuität und Verlässlichkeit . Das ist für die Unternehmen ein wichtiges Signal . Denn die Konti- nuität der bewährten Programme bietet kleinen und mitt- leren Unternehmen die erforderliche Verlässlichkeit, die sie für ihre Planung benötigen . Der ERP-Wirtschaftsplan 2016 wird nach meiner Überzeugung seinem Ziel gerecht, Investitionen zu un- terstützen und die Wettbewerbsfähigkeit von KMU zu stärken . Er dient damit vor allem der Schaffung und Si- cherung von Arbeitsplätzen . Ich bitte daher um Ihre Zu- stimmung . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsend- geräten (Tagesordnungspunkt 21) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Im Juni 2008, also vor über sieben Jahren, haben wir in der Europä- ischen Union vereinbart, den Endgerätemarkt im Sinne der Richtlinie 2008/63/EG über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsendeinrichtungen voll- ständig zu liberalisieren . Der nun vorliegende Gesetzent- wurf zum Anschluss und zur Auswahl von Endgeräten setzt diesen Auftrag eins zu eins um . Dies wird auch langsam Zeit . Im Koalitionsvertrag haben wir seinerzeit festgelegt, dass wir eine gesetzliche Klarstellung für den Netzzu- gang von Telekommunikationsanbietern wollen . „Nutze- rinnen und Nutzer müssen die freie Auswahl an Routern behalten . Daher lehnen wir den Routerzwang ab . Die zur Anmeldung der Router . . . am Netz erforderlichen Zu- gangsdaten sind den Kundinnen und Kunden unaufge- fordert mitzuteilen“, heißt es wörtlich . Warum reden wir heute immer noch darüber? Immer- hin ist es uns doch auch erfolgreich gelungen, seinerzeit den Markt für Telefonanschlüsse zu liberalisieren, ohne dass es zu solchen Diskussionen gekommen ist . Wir be- nötigen dieses Gesetz also, da viele Kunden bei einigen – ich betone ausdrücklich: nicht allen – Telekommunikati- onsanbietern bis zum heutigen Tage keine Möglichkeit haben, den von ihnen verwendeten Router frei zu wäh- len . Dies ist darauf zurückzuführen, dass einige Netzbe- treiber am Breitbandanschluss ausschließlich den Betrieb des von ihnen vorgegebenen Gerätes zulassen . Dieser Praxis liegt die Auffassung zugrunde, dass das öffentliche Telekommunikationsnetz erst an einem Punkt endet, der hinter einer Schnittstelle zum Anschluss von Geräten liegt . Das anbietereigene Gerät sei also aus funk- tionalen Gründen zum Netz dazuzuzählen . Diesen soge- nannten Netzabschlusspunkt legen wir im vorliegenden Gesetz nun endgültig fest – im Sinne der Verbraucher vor dem Router . Dazu passen wir das Gesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen (FTEG) an . Es erfolgt eine Konkretisierung der Netzzugangsschnitt- stelle . Netzbetreiber müssen ihren Kunden alle Einrich- tungsdaten für den Router zur Verfügung stellen, damit der Zugang zum Telekommunikationsnetz eigenständig möglich ist . Um die Wahlfreiheit der Endkunden auch in der Praxis abzusichern, werden außerdem bußgeldbe- wehrte Informationspflichten für die Netzbetreiber auf- genommen . Im abgelaufenen parlamentarischen Verfahren wur- den viele Argumente zur Umsetzung des Gesetzentwurfs ausgetauscht . Es wurde des Öfteren behauptet, dass eine Abschaffung des Routerzwangs aus technischer und ju- ristischer Sicht nicht möglich sei . Ich möchte nur darauf hinweisen, dass ich im ge- samten Verfahren zu keiner Zeit schlüssige Argumen- te gehört habe, warum dem so sei . Die Bedenken, dass es zu keiner hinreichenden Kompatibilität von „freien“ Endgeräten in bestimmten Netzen, zum Beispiel Glasfa- ser- oder Kabelnetzen, kommen kann, sind aus meiner Sicht gegenstandslos . Grundsätzlich dürfen bereits nach geltendem Recht nur Geräte angeschlossen werden, die dem „bestimmungsgemäßen Zweck“ entsprechen und die heutigen Sicherheits-, Integritäts- und Funktionali- tätsstandards erfüllen, unabhängig von der technischen Ausgestaltung . Der Anschluss inkompatibler, ungeeigneter Endgerä- te kann unabhängig von der technischen Ausgestaltung des Netzabschlusspunktes gleichermaßen – auch aktuell schon – problematisch sein . So kann der Anschluss eines nicht DSL-kompatiblen Endgerätes an einem DSL-An- schluss auch zu Störungen und Leistungsmängeln füh- ren . Der Betreiber der TK-Endeinrichtung hat deshalb für eine fachgerechte Anschaltung Sorge zu tragen . Die zivilrechtlichen Haftungsregelungen gelten im Übrigen unverändert, wonach grundsätzlich der Verursacher eines Schadens haftet . Bei Geräten, die Störungen verursachen, kann der Anschluss darüber hinaus unter bestimmten Vo- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513042 (A) (C) (B) (D) raussetzungen verweigert bzw . das Gerät abgeschaltet werden . Aus Sicherheits- und Transparenzaspekten bin ich ebenfalls der festen Überzeugung, dass die Einrichtungs- daten und damit die sicherheitsrelevanten Dokumente in die Hände der Nutzer gehören, denn heterogene Netze sind von ihrer Architektur immer schwerer angreifbar . Was passieren kann, wenn man sich ausschließlich auf Zwangsrouter verlässt, lässt sich momentan an einem Vorfall festmachen: Mehrere Hunderttausend Zwangs- router im deutschen Kabelnetz erfüllen offensichtlich nicht hinreichende Sicherheitsstandards, sodass weitge- hende Firmware-Updates nötig sind, um Schaden abzu- wenden . Ein vielfältiges Angebot von Routern wird auf dem Markt zu einem Wettbewerb führen, bei dem sich die besten Produkte durchsetzen werden . Die Gefahr flächendeckender Sicherheitslücken kann damit durch dieses Gesetz deutlich reduziert werden . Außerdem wird der Verbraucherschutz gestärkt, da die Verpflichtung, Zu- gangsdaten an die Nutzer herauszugeben, dem Kunden eine eigene Auswahl und Konfiguration ermöglicht. Aber nicht nur die Sicherheitsinfrastruktur wird ge- stärkt . Zwangsrouter stammen größtenteils aus Südost- asien und werden dort sehr billig produziert, was nicht immer für eine gute Qualität spricht . Die Abschaffung des Routerzwangs kann den Wirtschaftsstandort Deutschland beleben, da Privatkunden bei der Auswahl ihres Routers verstärkt auf die Qualität achten, wovon auch deutsche Unternehmen profitieren können. Mit der Verpflichtung der Netzbetreiber, die technischen Spezifikationen der Schnittstellen zu veröffentlichen, sollen die Geräteher- steller in die Lage versetzt werden, entsprechende End- geräte zu entwickeln und zu produzieren, insbesondere auch für künftige neue Netztypen . Gleichzeitig wird mit dem Kriterium des „passiven“ Netzabschlusspunk- tes verhindert, dass die Netzbetreiber die Schnittstellen als zum öffentlichen Netz gehörend in Endgeräte inte- grieren, damit den Zugangspunkt zum öffentlichen Netz beliebig bestimmen können und dem Endnutzer folglich keine Geräteauswahl ermöglichen . Ich denke, dass ich Ihnen hier eine Menge guter Grün- de darlegen konnte, warum wir mit dem Gesetz auf dem richtigen Weg sind . Mit dem Kriterium des „passiven Netzabschlusspunktes“ sowie einem technologieneutra- len Ansatz wird die europäisch vorgegebene Endgeräte- freiheit zugunsten der Endnutzer unter Berücksichtigung der harmonisierten Vorgaben über den gemeinschafts- weiten Handel und die Inbetriebnahme von Endgeräten gewährleistet . Aus meiner Sicht ist dies heute ein guter Tag zur Stär- kung der Rechte der Endgerätenutzer . Klaus Barthel (SPD): Mit dem heute zur abschlie- ßenden Beratung vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir die sogenannte freie Routerwahl sicherstellen . Damit wird die Praxis einiger Netzbetreiber beendet, ihren Kun- den vorzuschreiben, welchen Router oder welches Mo- dem sie für ihren Breitbandanschluss verwenden müssen . Der Gesetzentwurf orientiert sich eng an den euro- päischen Vorgaben, die zum Ziel haben, einen offenen, wettbewerbsorientierten Warenverkehr von Telekom- munikationsendeinrichtungen zu gewährleisten und den Endnutzern eine freie Routerwahl zu ermöglichen . Das Artikelgesetz umfasst zwei Gesetzesanpassungen: Mit den Änderungen im Gesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen (FTEG) wird klargestellt, dass alle Arten von Endgeräten (Router, Ka- belmodem) von dieser Liberalisierung erfasst sind . Ergänzend wird im Telekommunikationsgesetz (TKG) der Zugang zum öffentlichen Telekommunikationsnetz als „passiver Netzabschlusspunkt“ definiert. Damit wird die aktuelle Praxis einiger Anbieter beendet, den Zu- gangspunkt zum öffentlichen Netz in ihren eigenen Rou- ter oder ihr eigenes Modem zu verlegen . Wir haben uns sorgfältig mit dem von einigen Ka- bel- und Glasfasernetzbetreibern erhobenen Einwänden befasst . Im Ergebnis halten wir sie weder in technischer noch in rechtlicher Hinsicht für überzeugend . So wurde vorgetragen, die Übertragungsdienstleistung sei nur mit von ihnen vorgegebenen Modems störungsfrei und si- cher zu erbringen . Das sehen wir nicht so: Erstens gab es gerade in diesen Tagen Meldungen, wonach auch vom Netzbetreiber gestellte Endgeräte erhebliche Sicherheits- probleme aufwiesen . Zweitens müssen alle Geräte, die auf dem EU-Binnenmarkt in Betrieb genommen wer- den dürfen, den gleichen gesetzlichen Anforderungen entsprechen . Dies ist nun allein Aufgabe der Endgeräte- hersteller, die zum Teil schon heute solche Geräte im Auftrag der Netzbetreiber produzieren . Deshalb besteht kein Anlass, bei einzelnen Netztechnologien Ausnahmen vorzusehen . Es gilt der Grundsatz der „Technologieneu- tralität“ . Es genügt also in Zukunft, dass der TK-Anbieter dem Kunden die Schnittstelleninformationen zur Verfü- gung stellt . Der Gesetzentwurf kommt den Anliegen der Beteilig- ten im Übrigen entgegen, da sie für gegebenenfalls not- wendige Umstellungen im Geschäftsbetrieb noch sechs Monate Zeit erhalten . Zudem gilt die Regelung nicht für Altverträge . Auch kann jeder Endkunde sein bisheriges, vom Netzbetreiber gestelltes Gerät behalten . Mit einer freien Endgerätewahl werden also die Rech- te der Verbraucher gestärkt, die Abhängigkeit von End- geräteherstellern von wenigen Abnehmern reduziert so- wie innovative Entwicklungen gefördert . Der in der Anlage beigefügte Änderungsantrag wurde den Fraktionen und Ausschüssen im Zuge der Beratun- gen zugeleitet . Es handelt sich lediglich um eine rechts- förmliche Anpassung: Bei der Erstellung des Zulei- tungsexemplars an Bundestag und Bundesrat gab es ein technisches Problem . Die rechtsförmlich erforderliche Fußnote, auf die im Titel des Gesetzentwurfs hingewiesen wird (EU-Umsetzung, noch Teil des Kabinettentwurfs), ist in den Bundestags- und Bundesratsdrucksachen nicht mehr enthalten . Der Parlamentsdienst hatte uns darauf aufmerksam gemacht und den Hinweis gegeben, dass man das nicht im Wege eines Berichtigungsverfahrens, sondern nur über einen Änderungsantrag heilen kann . Es Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13043 (A) (C) (B) (D) handelt sich also nicht um eine Veränderung im Gesetz- entwurf selbst, sondern dieses Gesetz ist eines der weni- gen, die den Bundestag aus guten Gründen so verlassen, wie sie hereingekommen sind . Zum Schluss noch eine Bemerkung, weil ich manche Aufregung in den letzten Tagen nicht verstehe: Was wir heute beschließen, ist eigentlich nichts anderes als längst geltendes deutsches und europäisches Recht (seit 1989 bzw . 2008) . Wir machen nichts anderes als eine Klarstel- lung, die spätestens bei Verabschiedung des Koalitions- vertrages als absehbar hätte gelten müssen . Die Geset- zesänderung kommt also alles andere als überraschend . Offensichtlich – und das sollte uns allen zu denken ge- ben – wird unsere Gesetzgebungsarbeit inzwischen so wenig ernst genommen oder für so beeinflussbar gehal- ten, dass „schwerste Bedenken“ erst in der Schlussphase unserer Beratungen geltend gemacht werden und dann als letztes Mittel längere Übergangsfristen vorgeschla- gen werden . Umso erfreulicher ist heute der breite Konsens hier im Hause, der Innovation und Wettbewerb im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher fördert . Wir ver- hindern damit auch Geschäftsmodelle, die beim Kunden Routersalat oder Zusatzzahlungen für einzelne Dienste aufgrund von Endgerätekonstellationen verursachen . Auf diesem Weg ließe sich das sicher teilweise vorhandene Problem der Refinanzierung von Netzinvestitionen aber auch nicht lösen . Lars Klingbeil (SPD): Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommuni- kationsendgeräten . Bereits gestern haben die Ausschüsse dem Entwurf mit großer Mehrheit oder sogar einstimmig zugestimmt – und dies ist ein wichtiges Zeichen . Mit der Abschaffung des Routerzwangs soll die Pra- xis einiger Netzbetreiber beendet werden, ausschließlich von ihnen vertriebene Geräte zuzulassen . Damit wird das Recht der Nutzerinnen und Nutzer gestärkt, Endgeräte ihrer Wahl an den sogenannten Netzabschlusspunkt an- zuschließen . Viele von Ihnen kennen sicher das Problem, dass man eben bei einigen Anbietern nicht selbst den Router aus- suchen und damit die Funktionalitäten wählen kann, die man möchte, sondern einen bestimmten Router des An- bieters nutzen muss . Begründet wird dies oft mit technischen Gründen und der Behauptung, dass ein unsicherer Router eines einzel- nen Nutzers Störungen im Netz verursachen und viele andere Kunden beeinträchtigen könnte . Auch der Bun- desrat hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Abschaffung des Routerzwangs um eine Prüfung gebeten, ob es für den Anschluss von Telekommunika- tionsendeinrichtungen an das Netz nicht doch weiter- gehender Anforderungen bedarf und ob die Definition des Endpunkts des öffentlichen Telefonnetzes bei Fi- bre-to-the-Home-Netzen sowie bei Kabelnetzzugang nicht neu gefasst werden müsse . Begründet wurde dieser Prüfauftrag insbesondere mit den technischen Aspekten der Sicherheit, der Netzintegrität, der Übertragungsqua- lität und der Funktionalität . In der Praxis sah es aber oft sogar so aus – und erst vor wenigen Tagen gingen wieder entsprechende Meldungen durch die Medien –, dass die vorgegebenen Zwangsrouter sogar anfälliger waren für Störungen als die Router manch namhafter Routerher- steller, insbesondere aus Deutschland . All diese Fragen wurden bereits im Rahmen der Erar- beitung des Gesetzentwurfes und in der Ressortabstim- mung und nun auch nochmals hier im parlamentarischen Verfahren überprüft . Ergebnis dieser Prüfungen ist, dass es keine juristischen oder technischen Gründe gibt, die gegen die Wiederherstellung der ursprünglich ja auch vom Gesetzgeber beabsichtigten Wahlfreiheit und des Anschlussrechts für Telekommunikationsendgeräte spre- chen . Das Gesetz soll mit einer Klarstellung den Nutzern die Freiheit bei der Wahl ihrer Router zurückbringen . Zugleich wird das auch den Wettbewerb unter den Her- stellern wieder ankurbeln und so auch ermöglichen, dass sich bessere und auch sicherere Produkte am Markt eta- blieren . Mit dem Gesetz setzen wir eine wichtige Vereinbarung des Koalitionsvertrags um . Die Abschaffung des Rou- terzwangs ist von Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch großen Teilen der Wirtschaft immer wieder gefordert worden . Der nun bevorstehende Beschluss ist zugleich ein weiterer wichtiger Schritt in der Umsetzung der Digitalen Agenda . Es ist ein wichtiger Baustein der Digitalen Agenda, dass der Routerzwang damit nun endlich der Vergangen- heit angehört, und es ist ein wichtiges Signal, dass der Bundestag dieses Gesetzgebungsverfahren mit dieser großen Mehrheit beschließt . Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Es ist selten, da- her umso erfreulicher: Die Bundesregierung hat einen vernünftigen Gesetzentwurf vorgelegt . Es geht um die Abschaffung des sogenannten Routerzwangs bzw . um die Wahlfreiheit bei Telekommunikationsendgeräten . Bisher war es so, dass Netzbetreiber ihren Kundinnen und Kunden vorschreiben konnten, welche Router sie zu verwenden haben, um das Internet nutzen zu können . Das ging zum Teil sogar so weit, dass den Kundinnen und Kunden nicht einmal ihr Nutzername und ihr persön- liches Kennwort für den Zugang des Internetanschlusses übermittelt wurden, um zu verhindern, dass ein anderer Router verwendet werden kann . Doch viel zu oft entspre- chen die Geräte, die vom Netzbetreiber zur Verfügung gestellt wurden, nicht den Qualitätsansprüchen von Ver- braucherinnen und Verbrauchern, oder es fehlten wichti- ge Funktionen . Diese äußerst verbraucherunfreundliche Praxis wurde von der Bundesnetzagentur auf Basis der geltenden gesetzlichen Regelungen erlaubt . Die Krux ist die Festlegung, wo der sogenannte Netz- abschlusspunkt liegt . Also: Wo liegt der Punkt, an dem das öffentliche Netz und damit das Netz des Netzbetrei- bers enden und ab dem die Verbraucherin und der Ver- braucher frei verfügen können? Bisher definierten viele Netzbetreiber den Netzabschlusspunkt an dem Endge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513044 (A) (C) (B) (D) rät, meist ein Modem mit eingebautem WLAN-Router . So wurde legitimiert, dass die Endgeräte genutzt wer- den mussten, die der Netzbetreiber zur Verfügung stellt . Mit dem Gesetzentwurf soll der Netzabschlusspunkt nun schon an der Telefonbuchse liegen, nicht erst beim Endgerät . Das heißt, dass der Router nun nicht mehr im Besitz des Internetanbieters wäre, sondern im Besitz der Kundinnen und Kunden . Diese könnten somit frei wäh- len, ob sie den Router des Anbieters nutzen oder einen anderen . Daher begrüßen wir diese Festlegung ausdrück- lich . Um eine solche Wahlfreiheit zu ermöglichen, ist es wichtig, dass die Internetanbieter die Zugangsdaten an die Nutzerinnen und Nutzer herausgeben . Dass die Netz- betreiber das müssen, legt der Gesetzentwurf explizit fest . Auch das ist begrüßenswert . Nicht nur aus Verbrauchersicht, auch aus Sicherheits- aspekten sind Zwangsrouter suboptimal . Weitverbeitete einheitliche Geräte bedeuten immer ein größeres Risi- ko . Wenn erst einmal in einem dieser Zwangsrouter eine Sicherheitslücke entdeckt wurde, sind viel mehr Geräte angreifbar, als wenn Geräte verschiedener Hersteller ver- wendet würden . Erst vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass in den Routern von Kabel Deutschland zwei kriti- sche Sicherheitslücken klaffen . Damit sind nun auf einen Schlag 1,3 Millionen Geräte über das WLAN angreifbar . Natürlich sind einige Netzbetreiber alles andere als begeistert von diesem Gesetzentwurf . Man muss schon fast dankbar sein, dass Sie – anders als der Bundes- rat – diesen Argumenten nicht gefolgt sind . Technische Schwierigkeiten, insbesondere mit Kabel- und Glasfa- sertechnologie, werden unter anderem angeführt . Bei genauerem Hinschauen fällt allerdings auf, dass diese Argumente wenig stichhaltig sind . So wird gerne ange- führt, dass durch die Verwendung nichtkompatibler End- geräte Störungen verursacht werden könnten . Da fragt man sich, wie das die ganzen ISDN- und DSL-Betreiber hinbekommen, die es ihren Kundinnen und Kunden seit Jahrzehnten ermöglichen, ihre Endgeräte frei zu wählen . Von Störungen, die durch Router verursacht wurden, ist zumindest nichts bekannt . Auch im Ausland, zum Bei- spiel in den USA, wo auch in Kabel- und Glasfasernet- zen kein Routerzwang besteht, ist nichts davon zu hören, dass die freie Endgerätewahl zu Störungen im großen Stil geführt habe . Letztlich geht es für die Provider, die sich gegen die- sen Gesetzentwurf gewehrt haben, hauptsächlich darum, Kosten zu sparen und zusätzliche Einnahmen zu gene- rieren . Durch den zwanghaften Verkauf von Endgeräten lässt sich eben gutes Geld machen, und noch mehr Geld lässt sich machen, wenn man für die Freischaltung ei- ner WLAN-Funktion, die in den meisten Routern eine Standardfunktion ist, in Zwangsroutern aber vom Netz- betreiber beliebig an- und abgeschaltet werden kann, ei- nen Aufschlag verlangen kann . Es ist also gut, dass Sie sich in diesem Fall einmal nicht haben reinreden lassen und die Wahlfreiheit der Router konsequent durchziehen. Es hat allerdings sehr lange gedauert . Viel zu lange . Schon vor über zwei Jahren machte die Linke in einer Kleinen Anfrage die damalige schwarz-gelbe Bundes- regierung auf dieses Problem aufmerksam . Damals bekamen wir die lapidare Antwort, dass man keinen Handlungsbedarf sehe . Dabei war schon damals der Handlungsbedarf mehr als offensichtlich . Es ist schade, dass der Handlungsbedarf erst so spät erkannt wurde . Aber besser spät als nie . Noch besser wäre aber, Sie hö- ren das nächste Mal gleich auf uns und nicht erst Jahre später . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Diskussion um die sogenannten Zwangsrouter, also von den Anbietern vertraglich vorgeschriebene Ge- räte für den Zugang zum Internet, führen wir seit mehre- ren Jahren . Seit langem ist klar: Zwangsrouter schränken die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher stark ein. Zudem ist die Verpflichtung der Nutzerinnen und Nutzer, bestimmte, vertraglich vorgegebene Router zu verwenden, sowohl aus datenschutzrechtlichen wie auch IT-sicherheitspolitischen Überlegungen heraus kon- traproduktiv . So wurden wiederholt Sicherheitslücken in Routern bekannt, die aufgrund einer Verpflichtung zur Nutzung eines bestimmten Endgerätes häufig eine sehr hohe Anzahl von Kunden betroffen haben . Die bisherige Praxis hat verhindert, dass Kunden Ge- räte nutzen konnten, die entweder noch vorhanden waren, günstig gebraucht erstanden oder kostenlos überlassen wurden oder deren Einsatz bewusst dem anderer Geräte vorgezogen wurde, da sie eventuell höheren sicherheits- und datenschutzpolitischen Anforderungen genügten als die bereitgestellten Komponenten, die zudem oftmals von den Kunden käuflich erworben werden müssen. Als grüne Bundestagsfraktion haben wir die Bundere- gierung, gemeinsam mit vielen Verbündeten, immer wie- der aufgefordert, der bisherigen Praxis, den Kundinnen und Kunden bestimmte Router vorzuschreiben, einen Riegel vorzuschieben . Denn diese Praxis stand unserem Verständnis nach im offenen Widerspruch sowohl zu EU-rechtlichen Vorgaben als auch zum deutschen Tele- kommunikationsgesetz (TKG) . Die bisherige Möglichkeit, Zwangsrouter vorschrei- ben zu können, hat man auf europäischer Ebene bereits vor langer Zeit als kritisch erkannt und den Verbrauchern das explizite Recht eingeräumt, die benötigte Hardware ungeachtet ihrer Herkunft, frei nach Preis und Qualitäts- kriterien wählen zu können . Auch das maßgebliche deut- sche Telekommunikationsgesetz (TKG) fordert von der Bundesnetzagentur, den Teilnehmern einen „größtmögli- chen Nutzen in Bezug auf Auswahl, Preise und Qualität“ zu sichern . Dennoch kam es jahrelang, auch aufgrund ei- nes starken Lobbying, nicht zu einer Klarstellung . Auch der Versuch, den Routerzwang per Netzneutra- litätsverordnung nach § 41 a Absatz 1 TKG zu regeln, scheiterte an einem mehr als halbherzigen Agieren, durch das es verpasst wurde, eine Klarstellung im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher vorzunehmen . So konnte der Anbieter Router nach eigenem Ermessen zum Bestandteil seines Netzes erklären, da die Definition von „Netzabschlussgerät“ bisher zu seinen Gunsten ausgelegt wurde . Sowohl Bundesregierung als auch Bundesnetz- agentur spielten hier lange Zeit keine rühmliche Rolle . Anfang Januar 2013 kam die BNetzA zu dem Schluss, dass sie keine rechtliche Handhabe gegen die Kopplung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13045 (A) (C) (B) (D) eines Vertrags mit einem bestimmten Router habe . Sie verwies darauf, dass Netzbetreiber nach den Vorgaben des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikati- onsendeinrichtungen (FTEG) zwar den Anschluss und Betrieb jedes zulässigen Endgerätes an der entsprechen- den Schnittstelle gestatten müssen, gleichzeitig jedoch der Gesetzgeber nicht festgelegt habe, welche konkre- ten Schnittstellen das Netz des Netzbetreibers mit dem Heimnetz des Endkunden verbinden . Vielmehr sei es dem jeweiligen Netzbetreiber überlassen, dies zu defi- nieren . Man selbst könne das nicht . Wir teilten diese Rechtsauffassung nicht und haben wiederholt auf entsprechende EU-Vorgaben verwiesen, in denen festgelegt wird, dass die nationale Regulie- rungsbehörde durchaus für die Festlegung des Standortes des Netzabschlusspunkts zuständig ist und im Vorfeld lediglich Vorschläge einholen muss . Mit ihrer frühzei- tigen Festlegung hat die Agentur die Verbraucherinnen und Verbraucher lange im Regen stehen lassen und es verpasst, die eigentliche Intention des Gesetzgebers um- zusetzen und Vorschläge zu unterbreiten, wie die beste- hende Rechtslage im Sinne der Entscheidungsfreiheit zu konkretisieren wäre . Daher war eine Vorgabe durch den Gesetzgeber un- ausweichlich . Auf die Notwendigkeit haben die Ver- braucherverbände, genauso aber digitale Bürgerrechts- organisationen immer wieder hingewiesen . Für diese Beharrlichkeit im Sinne der Nutzerrechte gebührt ihnen unser Dank . Viel zu lang hatten die Nutzerinnen und Nutzer diese Wahlfreiheit eben nicht . Die vorgebrachten Argumente für die Verpflichtung, zum Beispiel ein geringerer Servi- ceaufwand für die Anbieter, haben uns als Gesetzgeber, gerade in Abwägung mit den bereits erwähnten Vorteilen für die Endnutzer, nicht überzeugen können . So verwun- derte es nicht, dass sich bei entsprechenden Anhörungen, die wir hierzu im Bundestag durchgeführt haben, auch kein Anbieter fand, der die bisherige Praxis der Zwangs- router verteidigen wollte . In zahlreichen Stellungnahmen und Hintergrundgesprächen, die hierzu in den letzten Jahren geführt wurden, sah dies freilich anders aus . Umso erfreulicher ist die erreichte interfraktionelle Einigkeit . Wir begrüßen, dass die Bundesregierung nach jahre- langer Diskussion nun endlich eine Regelung vorgelegt hat, die die Rechte der Verbraucherinnen und Verbrau- cher erfreulich deutlich stärkt und daher unsere Unter- stützung findet. Gerade in Anbetracht anderer, sehr viel weitreichenderer Entscheidungen, die ebenfalls in die Verantwortlichkeit des Wirtschaftsministeriums fallen, ist dies ein Lichtblick, wenn auch angesichts der Dimen- sion der Entscheidung, die Netzneutralität nun final über den Umweg Europa zu opfern, ein kleiner . Der vorliegende Gesetzentwurf ist das Resultat einer jahrelangen Diskussion. Die nun gefundene Definition des passiven Netzabschlusspunktes und die Möglich- keit der Nutzerinnen und Nutzer, das Gerät hinter die- sem Netzabschlusspunkt grundsätzlich frei wählen zu können, begrüßen wir ausdrücklich . Als grüne Fraktion freuen wir uns, dass es hier, auch aufbauend auf der guten Zusammenarbeit in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, gelungen ist, sich interfrak- tionell im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher zu einigen und die Diskussion heute zu einem guten Schluss zu bringen . Diese Einigung würden wir uns auch in anderen netzpolitischen Debatten wünschen . Die Netzneutralität, über die wir hier in exakt einer Woche diskutieren, hatte ich bereits erwähnt . Auch hier könn- te die Bundesregierung durchaus noch im Rat dem von der Kommission vorgelegten „Kompromiss“, der einem „Zwei-Klassen-Netz“ Tür und Tor öffnet und aus gutem Grund von beinahe allen deutschen SPD-Abgeordneten abgelehnt wurde, die Zustimmung verweigern . Auch bezüglich der genauso seit Jahren in der Diskus- sion befindlichen Störerhaftung, die ebenfalls im BMWi angesiedelt ist, wäre es ein Leichtes, die Rechte der Nut- zerinnen und Nutzer zu stärken und es zugleich Privat- personen und Freifunkinitiativen zu ermöglichen, ihre Netze Dritten gegenüber rechtssicher zu öffnen, wie dies in beinahe allen unseren Nachbarländern möglich ist . Entsprechende Gesetzentwürfe liegen seit langem vor, genauso wie deutliche Aufforderungen des Bundesrats, die morgen noch einmal erneuert werden . Gerade aus verbraucherschutzpolitischer Sicht ist das bisherige Agieren der Bundesregierung eine echte Ent- täuschung . Statt digitale Verbraucherrechte auszubauen, wie Sie es am Anfang der Legislaturperiode vollmundig versprachen, als Sie ankündigten, die digitalen Verbrau- cherrechte zu einem – ich zitiere – „Schwerpunkt in dieser Legislatur“ machen zu wollen, haben Sie diese in den vergangenen zwei Jahren geschwächt . Dringend not- wendige Reformen, zum Beispiel im Bereich des Daten- schutzes, verweigern Sie bis heute . Angesichts der Her- ausforderungen, vor die uns Internet und Digitalisierung heute stellen, beispielsweise hinsichtlich einer effektiven Durchsetzung des Rechts auf informationelle Selbstbe- stimmung, versagt diese Regierung völlig . Dabei ist Ihr bisheriger Laisser-faire-Ansatz längst gescheitert . Kon- sequenzen aus den Enthüllungen Edward Snowdens zie- hen Sie noch immer nicht . Das von Ihnen vor kurzem erst, pünktlich zur Cebit, vorgelegte IT-Sicherheitsgesetz greift viel zu kurz und geht an den tatsächlichen Proble- men meilenweit vorbei . Die Bundesregierung muss endlich die Dimension der Kompromittierung unserer digitalen Infrastrukturen verstehen und entsprechend tatsächliche Konsequenzen ziehen . Sie muss ihre Anstrengungen, die Integrität di- gitaler Kommunikationsinfrastrukturen schnellstmöglich wiederherzustellen, dringend intensivieren . Eine grund- legende Überprüfung von Leitungen, Hard- und Soft- ware und eine IT-Sicherheitsstrategie, die ihren Namen verdient, sind überfällig . Konkrete Vorschläge haben wir Ihnen vor langer Zeit unterbreitet . Statt sie aufzugreifen, führen Sie die Vorratsdaten- speicherung wieder ein und setzen den Inlandsgeheim- dienst auf die private Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger in den sozialen Netzwerken an . Ihre IT-Si- cherheitspolitik ist auch weiterhin höchst widersprüch- lich . Heute wollen Sie Deutschland zum „Verschlüsse- lungsland Nummer eins“ machen, morgen stellen Sie Verschlüsselungen und die rechtlich klar verankerte Anonymität grundsätzlich infrage . Statt Vertrauen wie- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513046 (A) (C) (B) (D) derherzustellen, schüren Sie so weitere Verunsicherung . Statt sich des digitalen Wandels anpackend anzunehmen und gesellschaftliche Debatten über die Zukunft unserer digitalen Gesellschaft anzustoßen und das Know-how der Zivilgesellschaft aufzugreifen, verschanzen sich Uni- on und SPD hinter verschlossenen IT-Gipfel-Türen . All das geht in die völlig falsche Richtung . Insge- samt müssen wir die Selbstbestimmung in der digitalen Welt als Gesetzgeber stärken und den Nutzerinnen und Nutzern mehr statt weniger Autonomie über die eigenen Daten, aber eben auch die verwendeten IT-Komponenten einräumen . Dies gilt umso mehr nach den Enthüllungen Edward Snowdens . Ein zentraler Baustein, hierauf zu re- agieren, ist, auch die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken und ihnen so die Möglichkeit zu eröffnen, IT-Komponenten einzusetzen, die sich bei- spielsweise durch hohe Datenschutzstandards auszeich- nen . Wir brauchen insgesamt mehr vertrauenswürdige Hard- und Software, die von den Nutzerinnen und Nut- zern und einer vitalen zivilgesellschaftlichen Bewegung überprüft und weiterentwickelt werden kann . Hier ist auch der Staat in der Verantwortung, entsprechende pro- aktive Anreize zu setzen, beispielsweise durch Auditie- rungen oder die Vergabe von Gütesiegeln . Zudem kann er selbst mit gutem Beispiel vorangehen, zum Beispiel indem er Ausschreibungsregularien überprüft und freie Software, die zahlreiche Vorteile bietet, gegenüber ge- schlossenen, proprietären Formaten bevorzugt . Vielleicht erinnert sich ja jemand in Bundesregierung oder Regierungsfraktionen noch daran, dass die Enque- te-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ meh- rere Hundert Handlungsempfehlungen für den jetzigen, den 18 . Bundestag, erarbeitet hat – welche übrigens mit den Stimmen aller Fraktionen einstimmig verabschiedet wurden . Sie endlich aufzugreifen, wäre auch angesichts Ihrer dünnen Digitalen Agenda überfällig . In dem heute diskutierten Kontext empfehle ich die nochmalige Lektüre der Zwischenberichte der Projekt- gruppen „Interoperabilität, Standards, Freie Software“ und „Verbraucherschutz“ . Insgesamt gebe ich die Hoff- nung nicht auf, dass wir, auf die gute interfraktionelle Zusammenarbeit in der Enquete aufbauend, endlich die überfälligen netzpolitischen Weichenstellungen angehen und uns den Herausforderungen des digitalen Wandels als Gesetzgeber in der verbleibenden Zeit der Wahlperi- ode gemeinsam stellen . Die heutige Verabschiedung der Initiative, die den Zwangsroutern endlich einen gesetz- lichen Riegel vorschiebt, ist nur ein kleiner Schritt auf einem weiten Weg, aber es könnte ein erster sein . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbe- werb (Tagesordnungspunkt 22) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Wir beraten heute abschließend den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb . Dazu haben die Koa- litionsfraktionen einen umfangreichen Änderungsantrag vorgelegt . Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens ist, dass die Europäische Kommission die deutsche Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftsprak- tiken zwischen Unternehmen und Verbrauchern im Ge- setz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) von 2008 beanstandet hat . Anfang 2014 hatte sie ein Vertragsver- letzungsverfahren eingeleitet . Die im Vertragsverletzungsverfahren benannten Kri- tikpunkte wollen wir nun aufgreifen . Dazu nehmen wir Klarstellungen bei der Gesetzessystematik des UWG vor und passen das Gesetz stärker an den Wortlaut der Richt- linie an . Über Änderungen der Systematik und des Wortlauts des Gesetzes wollen wir – lassen Sie mich das klar for- mulieren – ausdrücklich keine inhaltlichen Änderungen im materiellen Lauterkeitsrecht mit der Novellierung bewirken . Auch bislang war es schon so, dass die Ge- richte das UWG richtlinienkonform ausgelegt haben . Wir knüpfen daran an und wollen die bestehende Judikatur im Einklang mit der Richtlinie kodifizieren. Nicht mehr und nicht weniger . Die Vorschriften, die das Verhältnis von Unterneh- mern und Verbrauchern (B2C) regeln, sollten laut der Kommission stärker von den Vorschriften, die das Ver- hältnis von Unternehmen untereinander (B2B) regeln, abgegrenzt werden . Dazu sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung als Gegenstück zu der neu gefassten Verbrauchergeneralklausel die Einführung einer auf Mit- bewerber und sonstige Marktteilnehmer bezogene Un- ternehmergeneralklausel vor . Im gleichen Zug wurde der Begriff der fachlichen Sorgfalt spiegelbildlich als Lau- terkeitsmaßstab auch im Verhältnis von Unternehmern zu Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern in § 3 Absatz 3 UWG-E neu eingeführt . Im Laufe des parlamentarischen Verfahrens hat sich herausgestellt, dass der Entwurf der Bundesregierung mit Blick auf das selbstgesetzte Ziel, keine materiell- rechtlichen Änderungen vorzunehmen, die Kritikpunkte der Kommission zum Teil nicht ausreichend, zum Teil überschießend aufgegriffen hat . Der Entwurf beschränk- te sich nicht allein auf die Umsetzung der Richtlinie, sondern ging teilweise über die Vorgaben der Richtlinie hinaus . Gerade die Neuerungen im B2B-Bereich stellen einen unnötigen und nicht erforderlichen Eingriff in die bestehende Rechtslage dar und hätten erhebliche Folgen für die Rechtsanwendungspraxis gehabt . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hätte inso- weit das selbstgesetzte Ziel verfehlt, das deutsche UWG an die Richtlinie anzupassen und keine inhaltlichen Än- derungen an der Rechtslage vorzunehmen . Diesbezüglich gilt mein Dank besonders Herrn Pro- fessor Helmut Köhler und Herrn Professor Ansgar Ohly von der Ludwig-Maximilians-Universität München Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13047 (A) (C) (B) (D) und Herrn Richter am Bundesgerichtshof Dr . Wolfgang Kirchhoff, die uns hier wertvolle Hinweise gegeben haben . Danach war klar: Für eine richtlinienkonforme Umsetzung sind deutliche Änderungen am Regierungs- entwurf notwendig . Diese haben wir mit dem Ände- rungsantrag der Koalitionsfraktionen vorgenommen . Wir stellen sicher, dass die materielle Rechtsanwendung im Lauterkeitsrecht grundsätzlich nicht verändert und von nicht gebotenen Änderungen der Rechtslage durch die Richtlinie abgesehen wird . In der Folge haben wir eine Reihe von Anpassungen der Gesetzessystematik sowie sprachlicher und redaktio- neller Art in Anlehnung an den Richtlinienwortlaut vor- genommen . Hervorzuheben ist etwa, dass wir von einer eigenstän- digen Generalklausel in § 3 Absatz 3 UWG-E für den unternehmerischen Bereich absehen . Das hatte der Re- gierungsentwurf so vorgesehen . Eine solche Unterneh- mergeneralklausel für den B2B-Bereich war aber durch die Richtlinienumsetzung gar nicht geboten, weil diese nur Vorgaben für den B2C-Bereich enthält . Bei der im Kabinettsentwurf vorgeschlagenen Generalklausel wäre zudem der Mitbewerberschutz im Vergleich zur gelten- den Rechtslage deutlich geschwächt worden . Denn alle geschäftlichen Handlungen, die sich zugleich an Ver- braucher richten oder diese erreichen – was die Mehrheit aller Handlungen betroffen hätte –, wären letztlich der Verbrauchergeneralklausel unterworfen worden . Die An- wendung der mitbewerberschützenden Vorschriften wäre dabei regelmäßig ausgeschlossen gewesen . Eine Doppel- kontrolle hätte nicht mehr stattgefunden . Eine Streichung von § 3 Absatz 3 UWG-E war somit auch zur Verhin- derung von Schutzlücken durch einen zu engen Anwen- dungsbereich notwendig . Nicht zuletzt hatte sich auch gegen den Begriff der fachlichen Sorgfalt in § 3 Absatz 3 UWG-E zum Teil erhebliche Kritik geregt, der Maßstab sowohl für den B2C- wie auch für den B2B-Bereich sein sollte . Mit dem Änderungsantrag sehen wir davon ab, den Begriff der fachlichen Sorgfalt zur Definition der Unlauterkeit auch im B2B-Verhältnis zu verwenden . Das verhindert Rechtsunsicherheiten, wie der neue Begriff auszulegen ist . Damit wird nicht zuletzt auch ein Anliegen des Bun- desrates aufgegriffen . Mit der Streichung von § 3 Absatz 3 als Generalklau- sel für den unternehmerischen Bereich bleibt § 3 Ab- satz 1 UWG-E als Auffangtatbestand für sonstige un- lautere Handlungen erhalten, die künftig nicht nach den spezielleren Tatbeständen der §§ 4 ff . UWG-E zu beur- teilen sind . Der Entwurf der Bundesregierung sah noch vor, dass § 3 Absatz 1 UWG-E von einer Generalklausel auf eine bloße Rechtsfolgenregelung reduziert werden sollte . Dies hätte zur Folge gehabt, dass bestimmte Fallgruppen, wie zum Beispiel hoheitliches Handeln der öffentlichen Hand oder Verstöße gegen die Menschenwürde, sich nicht mit der Verbrauchergeneralklausel und der Unternehmerge- neralklausel hätten sachgerecht erfassen lassen . Insoweit wäre der Anwendungsbereich des UWG in nicht gebote- ner Weise beschränkt worden . Im Hinblick auf das in diesem Zusammenhang dis- kutierte Fehlen des Spürbarkeitserfordernisses in § 3 Absatz 1 UWG-E möchte ich in aller Deutlichkeit da- rauf hinweisen, dass dieses ausdrücklich in den Spezi- altatbeständen der §§ 4 ff . UWG-E geregelt ist . In der Ausschussbegründung haben wir dazu klargestellt, dass es beim Auffangtatbestand des § 3 Absatz 1 UWG-E der Rechtsprechung überlassen bleibt, nach wie vor ange- messene Spürbarkeitserfordernisse aufzustellen . Die Be- fürchtungen insbesondere des Handels, dass es zukünftig schon bei bloßen Bagatellverstößen zu Abmahnungen wegen unlauteren Handels kommen würde, sind damit unbegründet . Am Spürbarkeitserfordernis ändern wir nichts . Des Weiteren wird der Wortlaut von § 2 Absatz 1 Nummer 7 UWG-E der Richtlinie angenähert und der Begriff der fachlichen Sorgfalt durch den Begriff der unternehmerischen Sorgfalt ersetzt . Dies entspricht dem Sinn nach dem Begriff der beruflichen Sorgfalt in der deutschen Sprachfassung . Der Regierungsentwurf sah weiterhin vor, dass die in § 4 UWG genannten Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen künftig als Beispiele von Verstößen gegen die fachliche Sorgfalt eingestuft werden sollten . Dies ist von der Richtlinie ebenfalls nicht gefordert, weswegen der Normcharakter vom bisherigen § 4 UWG beibehalten wird . In der Folge wird § 4 UWG-E auf Grundlage des bis- herigen § 4 UWG umgestaltet und gesetzessystematisch auf zwei Paragrafen aufgeteilt: Dabei entfallen § 4 Nummer 1 bis 5 . Der Regelungs- gehalt zu aggressiven und irreführenden geschäftlichen Handlungen wird nunmehr durch § 4 a, § 5 sowie § 5 a UWG-E abgebildet . An dieser Stelle ist besonders zu betonen, dass materielle Änderungen an der Rechtslage damit nicht vorgesehen sind, auch wenn aufgrund dessen § 4 a UWG-E auf „sonstige Marktteilnehmer“ erweitert wird . Dies beruht auf der Aufhebung von § 4 Nummer 1 UWG und entspricht inhaltlich der bisherigen Rechtsla- ge . Insbesondere soll sich nichts an der Handhabung von harten Verhandlungen durch Ausübung von Druck durch die Rechtspraxis ändern . Bezüglich der Frage, wann künftig eine Handlung ge- genüber besonders verletzlichen Verbrauchern unlauter ist, wird mit Blick auf den Regelungsgehalt des zu strei- chenden § 4 Nummer 2 UWG ein klarstellender Hinweis bezüglich aggressiven geschäftlichen Handlungen in § 4 a Absatz 2 Satz 2 UWG-E aufgenommen . Schließlich wird der Tatbestand des Rechtsbruchs aus § 4 Nummer 11 UWG in einen neuen § 3 a UWG-E überführt . Damit soll klarer als bisher zum Ausdruck kommen, dass es sich hier um einen Spezialtatbestand einer unlauteren Handlung außerhalb des beschränkten Anwendungsbereichs der Richtlinie handelt . Im Ergebnis enthält § 4 UWG-E nach den genannten Streichungen ausschließlich eine Regelung zum Mitbe- werberschutz und entspricht damit den bisherigen Rege- lungen in § 4 Nummer 7 bis 10 UWG . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513048 (A) (C) (B) (D) Wir haben den Anspruch, dass der Gesetzgeber die Richtlinie in diesem Anlauf sauber und ohne materielle Rechtsänderungen umsetzt . Dies ist uns mit dem Gesetz- entwurf in seiner geänderten Fassung gelungen . Zudem führt das Gesetz mit einer klaren Systematik im Sinne der Verbraucher und Unternehmen zu einer verbesserten Verständlichkeit der die Unlauterkeit begründenden Nor- men . Viele an mich herangetragene und noch offene Fragen des Wettbewerbsrechts konnten wir in diesem Verfahren bedauerlicherweise nicht erörtern . Wegen des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens wollten wir ein schnelles Gesetzgebungsverfahren . Bald ergibt sich aber eine neue Gelegenheit: Im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken im nächsten Jahr werden wir die noch offenen Punkte im Lauterkeitsrecht aufgreifen können . Darauf freue mich . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Mit dem Änderungs- gesetz zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ge- hen wir einen weiteren Schritt zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit . Das ist wichtig, sowohl für Verbrau- cher als auch für Unternehmen, denn nur so können wir gewährleisten, dass hiesigen Unternehmen und Verbrau- chern die gleichen Rechte zukommen und mit gleichen Standards konkurriert wird . „Unlauter“ als sprachliches Synonym von „unehrlich“ und „betrügerisch“ ist nega- tiv konnotiert und bedarf allein deshalb einer gesetzge- berischen, klaren Richtlinie . Denn die Aufgabe, die dem Staate zukommt, ist es, für Gerechtigkeit auf dem Markt und in der Gesellschaft zu sorgen . Gerechtigkeit ist ein grundlegender und zentraler Begriff der Ethik . Sie ist ein Wert mit hohem Anspruch und die Berufung auf selbige von großer Bedeutung . Ge- rechtigkeit kann als eine Charaktertugend umschrieben werden, eine auf das Gerechte ausgerichtete innere Ein- stellung . Die ausgleichende Gerechtigkeit – also die des Gesetzgebers – besteht in der tatkräftigen Bereitschaft, dem Einzelnen bzw . einer anderen Gemeinschaft das Zustehende zu gewähren . Dieser Gedanke ist nicht neu, sondern findet sich bereits bei Aristoteles. Ich bin davon überzeugt, dass Vorschriften – damals wie heute – eindeutig formuliert sein müssen . Dies dient nicht nur der Rechtlichkeit, sondern schützt Verbraucher und Unternehmen gleichermaßen und ahndet Verstöße zielführend . In diesem Sinne wurde bereits vor über zehn Jahren das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das am 8 . Juli 2004 in Kraft trat, eingeführt . Dieser Grundsatz muss in Deutschland und Europa gleichermaßen gelten . Diese geschaffene rechtswirksa- me Harmonisierung auf den europäischen Märkten ist ein wichtiges Gut, um den Standards und Ansprüchen in allen Ländern der Europäischen Union in gleichem Maße zu genügen . In der EU sollte die Rechtssetzung im Bereich des Wirtschaftsrechts einheitlich gesetzt werden . So muss gelten, dass ein Rechtsrahmen nicht nur in der Bundes- republik Bestand hat, sondern auch in der EU insgesamt verfolgt werden kann . Denn damit wird einmal mehr eine vollständige Harmonisierung des Rechts in der Europä- ischen Union gewährleistet . Es ist nicht zumutbar, sich durch eine Vielzahl von Urteilen verschiedenster Gerich- te zu schlagen, wenn es einen einfacheren Weg gibt . Al- lein schon deshalb sind wir verpflichtet, für Einheitlich- keit zu sorgen, wo Unsicherheiten bestehen . Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das vormals im Juli 2004 in Kraft trat und das wir heute in zweiter Lesung konkretisieren und beraten, ist ein weite- rer Schritt für mehr Rechtssicherheit – für Deutschland und Europa . Für Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für Mitbewerber und andere Marktteilnehmer wollen wir ein einheitliches Recht schaffen . Hierzu werden Begriffe konkreter formuliert und klarer definiert. So schaffen wir Transparenz und Rechtssicherheit gleichermaßen, sodass den streitenden Parteien vor Gericht ein umfassender und einheitlicher Rechtsschutz gewährt wird . Von zentraler Bedeutung ist die Neufassung des § 3 Absatz 1 UWG, der nunmehr lauten soll: „Unlautere ge- schäftliche Handlungen sind unzulässig .“ Dieser Satz ist schlicht, und dennoch lässt er für jeden Rechtsanwender erkennen, dass unlauterer Wettbewerb verboten ist . Diese Generalklausel findet in den nachfolgenden Vorschriften im UWG ihre konkrete Ausgestaltung . Als Beispiele seien nur verschleierte Werbung oder die Ver- unglimpfung von Mitbewerbern genannt . Gleichermaßen muss die Generalklausel ihre Schranken bei Bagatellfäl- len finden. In einer Vielzahl von Tatbeständen befinden sich sogenannte Relevanzklauseln . Die unlautere ge- schäftliche Handlung muss auch geeignet sein, das wirt- schaftliche Handeln wesentlich zu beeinflussen. Dieses Korrektiv ist nötig, um Bagatellfälle ausschließen zu können . Die Generalklausel soll gerade nicht das Ein- fallstor für ungerechtfertigte Abmahnungen durch Mit- bewerber sein . Gleichermaßen ist eine beeinflussende geschäftliche Handlung erst unzulässig, wenn diese die Fähigkeit des Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt . Eine mit harten Bandagen ge- führte geschäftliche Verhandlung stellt daher, selbst bei einer stärkeren Verhandlungsposition einer Seite, noch keinen unlauteren Wettbewerb dar . Mit den neuen Regelungen im Gesetzentwurf schaffen wir noch mehr Transparenz . Der Rechtsanwender erkennt genauer, wann eine unlautere geschäftliche Handlung vorliegt . Mit dem Ziel von mehr Verbraucherschutz und Rechtssicherheit bitte ich daher um Ihre Unterstützung . Das Gesetz dient ebenfalls der Umsetzung europäi- scher Vorgaben . Daran halten wir uns . Ich werbe um Zustimmung zum Gesetzentwurf! Christian Flisek (SPD): Heute verabschieden wir das zweite Änderungsgesetz des Gesetzes gegen unlau- teren Wettbewerb (UWG) . Dass wir das UWG innerhalb weniger Jahre zum zweiten Mal ändern (müssen), macht deutlich, dass wir es mit einem gleichermaßen wichtigen wie sensiblen Gesetzeswerk zu tun haben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13049 (A) (C) (B) (D) Auch wenn die allermeisten Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande niemals vom UWG gehört haben, ge- schweige denn sich damit beschäftigt haben oder dies jemals tun werden, ist das Gesetz gegen unlauteren Wett- bewerb ein wichtiges Fundament unserer Wirtschaftsord- nung . Unsere Wirtschaftsordnung beruht auf dem Wert der Freiheit und der Überzeugung, dass jeder auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten nach seinen eigenen Bedürfnissen und seinen persönlichen Zielen handeln kann und dass dieses individuelle Streben zum Wohle aller führt . Das ist die Grundidee der freien Marktwirt- schaft . Voraussetzung dafür ist jedoch ein freier und fairer Wettbewerb . Der schöne aus dem Mittelhochdeutschen kommende Begriff der „Lauterkeit“ bedeutet nun nichts anderes als „Anständigkeit“ oder schlicht „ein faires und ehrliches Verhalten“ . Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ist also ein Gesetz gegen unfairen und unan- ständigen Wettbewerb . Es dient dem Schutz der Mitbe- werber, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen und schützt damit zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb . Wegen seiner zentralen Bedeutung für die Wirtschafts- ordnung ist es nicht verwunderlich, dass es seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1896 häufig novelliert wurde. Mit der Neufassung im Jahre 2004 wurde das UWG vor dem Hintergrund europarechtlicher Vorgaben grundlegend reformiert . Mit der Richtlinie über unlautere Geschäfts- praktiken von Unternehmen gegen Verbraucher im Bin- nenmarkt (und weiteren europäischen Richtlinien) wurde das Lauterkeitsrecht im Verhältnis von Unternehmen zu den Verbrauchern auf europäischer Ebene weitgehend vollharmonisiert und mit dem Ersten Gesetz zur Ände- rung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb 2008 in deutsches Recht umgesetzt . Aus Sicht der EU-Kommission war das jedoch nur unzureichend gelungen . Mit dem jetzt vorliegenden Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb nehmen wir die Kritikpunkte der EU-Kommission auf . Unser Bestreben war dabei von Anfang an, das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland abzuschließen und ausschließlich für eine beanstandungsfreie Umsetzung der Richtlinie zu sorgen . Ich kann mit guten Gewissen an dieser Stelle sagen, dass wir uns zusammen mit unserem Koalitionspartner diese Aufgabe nicht leicht gemacht haben und uns im in- tensiven Austausch mit Sachverständigen und Rechtsgut- achtern um eine möglichst wortgetreue Umsetzung der Richtlinie bemüht haben, ohne dass wir die Systematik und die Struktur des UWG grundlegend verändert haben . Diese Feinarbeit führte dazu, dass wir mit einem Ände- rungsantrag weitere Modifizierungen am ursprünglichen Gesetzentwurf vorgenommen haben . So haben wir zum Beispiel die Definition der „ge- schäftlichen Entscheidung“ aus der Richtlinie übernom- men und auf eine eigenständige Generalklausel für den unternehmerischen Bereich, wie er noch im ersten Ent- wurf enthalten war, verzichtet . Der Mitbewerberschutz wird zudem in einem eigenen Paragrafen geregelt, eben- so wie die Regelungen zu aggressiven geschäftlichen Handlungen, die nun auf Unternehmen als Abnehmer ausgedehnt werden . Wir sind davon überzeugt, dass wir mit diesen und weiteren Änderungen eine vollständige Rechtsanglei- chung im Sinne der EU-Richtlinie im Wortlaut des UWG erreicht haben . Ich kann die Kritik der Opposition verstehen, die wei- tergehende materielle Änderungen angemahnt hat . Ich kann mit dieser Kritik aber gut leben, weil das auch nicht das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes war . Caren Lay (DIE LINKE): Verbraucherinnen und Ver- braucher sind am Markt noch lange nicht auf Augenhö- he mit den Unternehmen . Das sagen nicht nur die Linke und die Verbraucherverbände, sondern auch die EU, die bereits 2005 eine klarstellende Anpassung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb eingehandelt hat . Diese wurde dann 2008 aber nur mangelhaft umgesetzt, sodass die EU-Kommission sich sogar gezwungen sah, ein Ver- tragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzulei- ten . Insbesondere bemängelte sie, dass Verbraucherinnen und Verbraucher immer noch zu wenig Rechtssicherheit genießen . Und deswegen müssen wir leider noch einmal ran an den unlauteren Wettbewerb . Das hätte man sich mit etwas Sorgfalt auch sparen können . Schauen wir einmal in den Gesetzentwurf: Der § 3 wird als Generalklausel neu formuliert, und es wird deutlicher zwischen unlauteren Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern und gegenüber Mitbewerbern unterschieden . Das ist ein Schritt in die richtige Richtung . Zu begrüßen ist, dass im § 4 definiert ist, dass Beein- flussung durch Belästigung und Gewalt zukünftig als un- lauterer Wettbewerb geahndet werden soll . Das sollte ei- gentlich ganz selbstverständlich sein: Eine erpresste oder erschlichene Geschäftsentscheidung, ob durch Gewalt oder Lockvogelangebote, muss ungültig sein . Der Refe- rentenentwurf definiert dies auch noch näher; die Große Koalition macht nun mit ihrem Änderungsantrag eine Rolle rückwärts und will dies wieder streichen . Damit sorgt sie unnötig für Unklarheit . Ich frage mich wirklich, warum hier zurückgerudert wird . § 5 hingegen beschreibt, was unter dem Vorenthalten einer Information zu verstehen ist . Versicherungs- und Finanzvermittler bzw . Anlageberater müssen die neuen Vorschriften nicht nur in der Beratung ihrer Kundinnen und Kunden, sondern auch bei der Erstellung der gesetz- lich vorgeschriebenen Beratungsdokumentation beach- ten . Dennoch hätten wir uns hier eine Konkretisierung gewünscht . Der § 10 hingegen, der die Abschöpfung von unrecht- mäßigen Unternehmensgewinnen beinhaltet, wäre drin- gend zu reformieren . Wir brauchen für Firmen, die mit zwielichtigen Geschäften Geld ergaunern, Sanktions- möglichkeiten – die dann unmittelbar der Verbraucher- arbeit, und damit den Geschädigten, zufließen können. Selbst das Verbraucherministerium hat das 2010 schon angemahnt . Passiert ist seither nichts . Hier haben Sie eine Chance vertan . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513050 (A) (C) (B) (D) Ich gestehe der Koalition zu, dass sie durch die Recht- sprechung des Europäischen Gerichtshofes wenig Spiel- raum hatte . Dennoch wäre hier deutlich mehr möglich gewesen . Anstatt für Verbesserungen zu sorgen, schaffen die Unklarheiten eher Verschlechterungen oder werden die Probleme nicht aufgegriffen bzw . der Handlungs- spielraum der Richtlinie nicht ausgereizt . Darüber hinaus ist es unklar strukturiert und wenig anwenderfreundlich . Schade . Eine weitere Chance zur Stärkung der Verbrau- cherrechte wurde vertan . Die Linke lehnt den Gesetzent- wurf daher ab . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Entwurf zur Änderung des Gesetzes gegen den un- lauteren Wettbewerb, UWG, haben Sie auf Urteile und Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs reagiert und Klarheit geschaffen, wann Schneeball- und Pyramiden- systeme unlauter sind . Doch aus Sicht der grünen Bundestagsfraktion hätte der Gesetzentwurf weiter gehen und in einem Aufwasch andere, lange bekannte Probleme im Bereich des Wettbe- werbsrechts aufgreifen müssen: Erstens hätten Sie das Problem lösen müssen, dass der im UWG verankerte Gewinnabschöpfungsanspruch in der Praxis ins Leere läuft . Die Abschöpfung von Un- rechtsgewinnen, die sich Unternehmen durch unseriöse Geschäftsmodelle aneignen, ist auf Grundlage der jetzi- gen Regelung praktisch kaum möglich . Rechtswidriges Verhalten lohnt sich immer noch viel zu oft, weil die Unternehmen das zu Unrecht erworbene Geld behalten können, wenn ihnen beispielsweise kein Vorsatz nach- zuweisen ist . Dieses Problem ist der Bundesregierung seit Jahren bekannt . Eine Studie aus 2011, vom Bundes- verbraucherministerium in Auftrag gegeben, kommt zu dem klaren Ergebnis, dass die Regelung in der derzeiti- gen Form wirkungslos ist . Leider hat Heiko Maas keine Schlüsse daraus gezogen und lässt die zahnlose Rege- lung, wie sie ist . Von einem Verbraucherschutzminister hätte ich mehr erwartet . Zweitens hätte bei Rechtsverletzungen im Onlinehan- del endlich die Möglichkeit des fliegenden Gerichtsstan- des abgeschafft werden müssen . Denn diese Regelung ermöglicht es, dass Abmahner sich aussuchen können, an welchem Gericht sie klagen . Dies hat mit Verbraucher- schutz nichts zu tun und geht zudem zulasten von kleinen und mittleren Unternehmen, für die ein Gerichtsverfahren weit weg vom Geschäftssitz mit hohen Kosten verbun- den ist. Die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes und die damit verbundene Eindämmung der Geschäfte- macherei mit Massenabmahnungen wurden zu Oppositi- onszeiten von der SPD geteilt . Jetzt in Regierungszeiten ist diese sinnvolle Forderung im Sinne von Verbrauchern und Kleinunternehmen leider dem Koalitionsfrieden mit der Union zum Opfer gefallen – ziemlich schwache Vor- stellung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD . Drittens vertut der Gesetzentwurf eine Chance für bes- seren Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Abzocke im Netz . Bei digitalen Diensten wie Smartphone-Apps und Onlinespielen lauern Kostenfallen, zum Beispiel wenn Kinder aufgefordert werden, bestimmte virtuelle Hilfen zu kaufen, damit sie ein Onlinespiel weiterspie- len können, oder kostenpflichtig Futter für ein digitales Haustier zu kaufen, damit dieses nicht den virtuellen Tod stirbt . Wir fordern die Einführung eines eigenen Buß- geldtatbestandes in § 20 UWG für Verstöße gegen das Verbot direkter Kaufaufforderungen gegenüber Kindern . Vor der Sommerpause hat uns die Bundesregierung, vertreten durch Staatssekretär Kelber, in einem Bericht- erstattergespräch nachdrücklich darauf hingewiesen, dass wir mit der Novellierung des UWG zeitlich in Ver- zug sind . Um Sanktionsmaßnahmen vonseiten der EU zu vermeiden, müssten die vom EuGH angemerkten Veränderungen nun zügig durchgeführt werden, und es bleibe kein Raum und keine Zeit für weitere Regelungen . Staatssekretär Kelber hat mir bei dem Berichterstatter- gespräch allerdings auch beigepflichtet, dass die Bun- desregierung bei den Themen „Gewinnabschöpfungsan- spruch“ und „fliegender Gerichtsstand“, die man auch im UWG regeln müsste, Handlungsbedarf sehe . Wann die Bundesregierung diese Themen aber anpacken wird, hat sie bis heute offengelassen . Zugleich war es mit der Novellierung des UWG wohl dann doch nicht so eilig, denn die Bundesregierung hat weitere vier Monate verstreichen lassen . Jetzt haben wir zum Gesetzentwurf der Bundesregierung noch einen Än- derungsantrag der Koalition auf dem Tisch . Mit den klei- neren Veränderungen und vorgenommenen Korrekturen, insbesondere bei der Veränderung der Regelbeispiele in § 4, können wir leben . Aber wir fragen uns schon, ob man diese Zeit nicht auch hätte nutzen können, um die Verbesserung des Gewinnabschöpfungsanspruchs und die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands herbeizu- führen . Studien und Gutachten zu diesem Thema liegen vor; das Rad muss hier also bei den bereits seit Jahren bekannten Problemen nicht neu erfunden werden . Der Gesetzentwurf bleibt unter seinen Möglichkeiten und ist so mutlos und halbherzig wie diese Große Koa- lition . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuor- ganisation der Zollverwaltung (Tagesordnungs- punkt 23) Margaret Horb (CDU/CSU): Vor über 2 000 Jahren hatten die Zöllner keinen besonders guten Ruf . Viele kennen die Geschichte vom Zöllner Matthäus, den Jesus zu einem seiner Jünger machte und der dann zu einer tra- genden Säule im „Kabinett Jesu“ wurde . Heute, 2 000 Jahre später, ist der Zoll eine tragende Säule unserer Finanzverwaltung . In den letzten beiden Jahrtausenden hat sich das Bild vom Zoll Gott sei Dank deutlich gewandelt . Ohne die Zollverwaltung würde die Finanz- und Sicherheitsarchitektur unseres Landes zu- sammenkrachen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13051 (A) (C) (B) (D) Der Zoll erhebt Bundessteuern, Verbrauchsteuern und Zölle . Der Zoll bekämpft organisierte Kriminalität, Schwarzarbeit und Schmuggel . Der Zoll sichert unsere Grenzen . Er kontrolliert die Produkte, die in unser Land fließen und die es verlassen. Der Zoll sorgt für einen rei- bungslosen Warenfluss und ist ein wichtiger Ansprech- partner sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für die Unternehmen in unserem Land . Die Wirtschafts- und Exportnation Deutschland braucht eine effiziente, wirtschaftsfreundliche, ansprech- bare Zollverwaltung . Fast 40 000 kompetente Zöllnerin- nen und Zöllner leisten Tag für Tag in Deutschland ihren Beitrag für den Erfolg unseres Wirtschaftsstandortes . Für unseren Staat nehmen diese Frauen und Männer jährlich fast 130 Milliarden Euro ein . Ob bundesweit oder in meiner Heimat Baden-Würt- temberg, ob im Mannheimer Hafen, am Stuttgarter Flug- hafen oder bei der Zollfahndung in Karlsruhe – die Zöll- nerinnen und Zöllner leisten hervorragende, wichtige Arbeit . Anfang Oktober hat der Zoll 370 Beamte an die Bun- despolizei und das Bundesamt für Migration und Flücht- linge entsandt . Freiwillig unterstützen die Zöllner uns bei der Bewältigung der Mammutaufgabe, die Flüchtlings- ströme in geordnete Bahnen zu lenken . Ich habe davor großen Respekt und sage als Bürgerin und Bundestags- abgeordnete an dieser Stelle von ganzem Herzen Danke! Unsere Aufgabe als Politiker ist es, dafür zu sorgen, dass der Zoll auch in Zukunft seine Aufgaben effizient und effektiv erfüllen kann . Der Zoll hat in den letzten Jahren deutlich an Kompetenzen und vielfältigen Auf- gabenbereichen hinzugewonnen . Man denke nur an die Kontrolle des Mindestlohns oder die Verwaltung der Kfz-Steuer . Diesem gewachsenen Aufgabenspektrum tragen wir nun durch eine umfassende Strukturreform Rechnung . Vielleicht beraten wir heute das am meisten unter- schätzte Finanzgesetz dieser Legislaturperiode . Das Gesetz zur Neuorganisation der Zollverwaltung ging wenig kontrovers durch die parlamentarischen Beratun- gen . Auch die Medien berichteten kaum . Und dennoch schreibt der Bundesrat in seiner Stellungnahme: „Die mit dem Gesetzentwurf vorgeschlagene Neuorganisation der Zollverwaltung zählt zu den bedeutsamsten und nach- haltigsten Strukturveränderungen in der Verwaltung des Bundes .“ Recht hat er! Wir richten mit diesem Gesetz eine Generalzolldi- rektion ein . Zurzeit gibt es fünf verschiedene Bundes- finanzdirektionen, dazu das Zollkriminalamt sowie das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanz- verwaltung . Diese Behörden sind über ganz Deutschland verteilt und unterstehen als Mittelbehörden direkt dem Bundesfinanzministerium. Dieses Nebeneinander macht eine Koordinierung deutlich schwerer, als es notwendig wäre . Deshalb bauen wir die Hierarchieebene der Mit- telbehörden ab und schaffen stattdessen an inhaltlichen Gesichtspunkten ausgerichtete Fachdirektionen in einer einzigen Bundesoberbehörde – der Generalzolldirektion . Das Ergebnis sind effizientere Schnittstellen und schnellere Entscheidungswege . Wir bekommen mehr Fachlichkeit und eine bessere, bundesweit einheitliche Koordinierung in die Zollverwaltung . Auch die internati- onale Koordinierung wird einfacher werden . Der Zoll ist auf grenzüberschreitende und europäische Zusammenar- beit elementar angewiesen . Schließlich kontrolliert er die Ein- und Ausfuhren unseres Landes . Die Zöllnerinnen und Zöllner schützen uns damit übrigens auch ganz konkret als Verbraucher, indem sie beispielsweise die eingeführten Lebensmittel, Kosmetika und andere Waren kontrollieren . Das gilt für die Peking- ente aus Fernost genauso wie für Nahrungsergänzungs- mittel aus Amerika . Betroffen von der Umstrukturierung des Zolls sind – und das ist wichtig – nur die bisherigen Mittelbehörden . Die 43 Hauptzollämter, die acht Zollfahndungsämter und die 271 Zollämter vor Ort bleiben vollständig erhalten . Der Zoll bleibt ein lokaler Ansprechpartner für Bürgerin- nen, Bürger und Wirtschaft . Künftig wird er das sogar noch besser sein können als bisher . Die Generalzolldirektion entlastet die Ortsbehör- den von Verwaltungsaufgaben . Wir bauen Doppelstruk- turen ab und verschlanken Entscheidungswege . Das hat Auswirkungen auch auf den Personaleinsatz . Wir werden künftig weniger Personal in der Verwaltung brauchen und mehr Personal für die operative Arbeit zur Verfügung ha- ben . Künftig wird es vor Ort also mehr Dienstposten ge- ben . Es ist ganz entscheidend, dass wir diese regionale Expertise der Zollverwaltung erhalten und stärken . Sehr wichtig ist auch, dass die notwendigen Perso- nalmaßnahmen sozialverträglich und im Einklang mit den Beschäftigten umgesetzt werden . Standortwechsel, beispielsweise Umzüge von Bonn nach Berlin, erfolgen freiwillig . In der Anhörung des Finanzausschusses waren gleich drei Gewerkschaften vertreten . Es gab in dieser Hinsicht überhaupt keine Kritik – sehr ungewöhnlich bei einer Strukturreform dieser Größenordnung . Es zahlt sich aus, dass das Bundesfinanzministerium die Beschäf- tigten über die Neuorganisation der Zollverwaltung um- fassend informiert und beteiligt hat . Gerade als Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Steuer-Gewerkschaft freut mich das sehr . Eine besonders wichtige Aufgabe des Zolls ist die Zollfahndung . Hier reden wir über den Kampf gegen organisierte Kriminalität, gegen Drogenschmuggel oder gegen Steuerhinterziehung, um nur einige Beispiele zu nennen . Das dafür zuständige Zollkriminalamt wird nun ebenfalls Teil der Generalzolldirektion . Es hat jedoch eine besondere Bedeutung und eine besondere Stellung . Wir wissen das und berücksichtigen das auch . Die einzi- ge Direktion innerhalb der Generalzolldirektion, die im § 5 a Finanzverwaltungsgesetz zwingend vorgeschrie- ben ist, wird diejenige für den Zollfahndungsdienst sein . Auch bei der parlamentarischen Kontrolle des Zollkri- minalamtes gibt es überhaupt keine Abstriche . Weiterhin muss die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag Rede und Antwort zu den Überwachungsmaßnahmen des Zolls stehen . Dafür gibt es das Gremium nach § 23 c Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513052 (A) (C) (B) (D) Absatz 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes, und daran än- dern wir auch nichts . Die Zollverwaltung ist mit all ihren vielfältigen Auf- gaben eine organisatorische Einheit – auch mit dem Zollfahndungsdienst . Diese Einheit wollen und werden wir mit dem vorliegenden Gesetz stärken . Kurze Kom- munikationswege zwischen den verschiedenen Teilbe- reichen – das ist unser Ziel . Bundesweit und fachüber- greifend wird der Zoll künftig schneller und stringenter arbeiten und reagieren können . Wir alle wollen ein berechenbares, partnerschaftli- ches, handhabbares und faires Steuersystem . Dafür brau- chen wir klare, administrierbare Gesetze, aber auch einen effektiven Vollzug dieser Gesetze . Mit ein paar geänder- ten Paragrafen im Einkommen- oder Umsatzsteuergesetz ist es nicht getan . Wir müssen auch für effektive, büro- kratiearme Verfahren in der Finanzverwaltung sorgen . Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, gehen wir bei der Bundeszollverwaltung genau diesen Weg . Und diesen Weg werden wir konsequent weiter gehen. In den kommenden Monaten werden wir im Bundestag das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfah- rens beraten . Wir werden unser Steuerverfahrensrecht flexibilisieren und an die technischen Möglichkeiten des 21 . Jahrhunderts anpassen . Auch die Steuerverwaltungen der Länder werden damit in Zukunft schneller und kun- denfreundlicher arbeiten können . Wir wollen eine Finanzverwaltung, die nah beim Bürger ist, die für die Unternehmen ansprechbar ist, die schnell und wirkungsvoll arbeitet . Dieses Ziel verfolgen wir mit dem Gesetz zur Neuorganisation der Zollverwal- tung, und dieses Ziel werden wir auch in Zukunft weiter verfolgen . Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Die Zollverwaltung ist eine Großbehörde mit fast 40 000 Mitarbeitern . Die- se sichern nationale und europäische Einnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe, vor allem im Bereich der Verbrauchsteuern . Für das Jahr 2014 waren das ungefähr 130 Milliarden Euro . Zu den Kernaufgaben des Zolls ge- hören die Unterbindung illegalen Handels und der Schutz der Bevölkerung durch die Bekämpfung der grenzüber- schreitenden Kriminalität . Ich nenne an dieser Stelle nur einmal exemplarisch den Schmuggel von verbrauchsteu- erpflichtigen Waren wie Zigaretten und Alkohol, Dro- gen-, Waffenschmuggel, Markenpiraterie, Geldwäsche, Artenschutz (Handel mit geschützten Tier- und Pflanzen- arten), Einfuhr verbotener Arznei- und Lebensmittel und vieles andere mehr . Mit dem Wegfall der Grenzkontrollen – Stichwort „Schengen“ – wurde der Zoll für viele Bürger weniger erfahrbar und unsichtbarer . Aufgabenspektrum und Be- deutung des Zolls aber sind seitdem nicht weniger ge- worden – ganz im Gegenteil, sie haben sogar zugenom- men . Ich nenne hier die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die seit 2004 vom Zoll übernommen wurde, die jüngst hinzugekommene Übernahme der Verwaltung der Kraft- fahrzeugsteuer von den Ländern und die Kontrolle des gerade von der Bundesregierung beschlossenen gesetzli- chen Mindestlohnes . Um dem wachsenden Aufgaben gerecht werden zu können, hat die Regierung jetzt eine umfassendere Neu- organisation der Zollverwaltung beschlossen, die wir heute im Bundestag verabschieden . Der umfangreiche gesetzliche Auftrag erfordert eine zielgerichtete und effiziente Steuerung. Wesentliches Element der Reform ist daher die Schaffung einer Ge- neralzolldirektion als zentrale Oberbehörde in Bonn . In diese werden die fünf Bundesfinanzdirektionen und die Bereiche aus dem Finanzministerium, die nicht der Gesetzgebung dienen, überführt . Das Zollkriminalamt bleibt innerhalb der Generaldirektion als eigenständige Abteilung bestehen . Die neue Einheit „Generalzolldirek- tion“ wird unmittelbar dem Bundesfinanzministerium unterstellt . In den vergangenen Wochen und Monaten wurden diese Reformüberlegungen der Bundesregierung in den Gremien intensiv beraten . In einer Anhörung hatten die betroffenen Interessenvertretungen Gelegenheit, Kritik und Verbesserungsvorschläge darzulegen . Die meisten Verbände unterstützen diesen Ansatz im Grundsatz . Die Reform wird bestehende Strukturen effizienter gestalten und verschlanken – Hierarchieebenen abbauen . Leitbild der Regierung war der Erhalt des Zolls als Einheit von Finanzverwaltung und Vollzug . Durch die Zusammenführung von Teilen der Abteilung III mit den Bundesfinanzdirektionen in der Generalzolldirektion als einheitliche Organisationseinheit wird die bisherige Strukturentwicklung in der Zollverwaltung zur Stärkung der Fachlichkeit konsequent fortgeführt. Die Strukturen werden weiter gestrafft und die Aufgabenwahrnehmung durch den unmittelbaren Geschäftsweg zwischen steu- ernder Ebene (GZD) und operativer Ebene (Ortsbehör- den) weiter optimiert . Nur die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat eine da- von abweichende Meinung vertreten . Die GdP lehnt eine Integration des Zollkriminalamtes als Teil der General- direktion ab . Vielmehr sollte das Zollkriminalamt als eigenständige Oberbehörde neben der Generaldirektion eingerichtet werden und die Durchführung aller Kon- troll- und Ermittlungstätigkeiten leiten . Dieser Position sind die Koalitionsfraktionen und auch ich selbst nicht gefolgt . Mit Blick auf das sehr komple- xe Aufgabenspektrum der Zollverwaltung teilen wir die Haltung der Bundesregierung, dass es unerlässlich ist, die gesamte Führungsebene, welche die operativen Auf- gaben steuert, in der Generalzolldirektion zu zentralisie- ren . Nur hierdurch kann ein enges Zusammenwirken der verschiedenen fachlichen Aufgabenbereiche mit den zur Durchsetzung des Rechts ermittelnd oder präventiv täti- gen Vollzugsbereichen ermöglicht werden . Die Einrich- tung einer weiteren Oberbehörde nach den Vorstellungen der GdP würde eine strikte Trennung strategischer und operativer steuernder Aufgaben beinhalten . Ein zentrales Anliegen der Strukturreform, nämlich kurze Entschei- dungswege zwischen den Ebenen der Zollverwaltung zu schaffen, würde so konterkariert . Die Strukturreform der Bundesregierung beinhaltet aber notwendige Umstrukturierungen im Bereich des Zollkriminalamtes, der neuen Direktion 8 in der General- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13053 (A) (C) (B) (D) direktion, um auch die Arbeit des Zollkriminalamtes zu erleichtern und zu optimieren . Die Aufgaben der Direk- tion 8 werden zukünftig von drei neu aufgestellten Ab- teilungen wahrgenommen . Eine davon ist die Abteilung „Unterstützung Zollfahndungsdienst“ . Dort werden die ermittlungs- und einsatzbezogenen Unterstützungsauf- gaben gebündelt . Zur Ermittlungsunterstützung gehören insbesondere alle Fragen der Spezialeinheiten des Zolls, die ermittlungstaktische Einsatzunterstützung, die Tele- kommunikationsüberwachung und der Lagebereich . Das Zollkriminalamt wird sich dadurch künftig in vollem Umfang auf die Wahrnehmung seiner fachlichen Auf- gaben konzentrieren können, da die bislang im Zollkri- minalamt wahrgenommenen allgemeinen Verwaltungs- aufgaben, die nicht zollfahndungsspezifisch sind, in die Zentraldirektionen verlagert werden . Ausdrücklich begrüße ich, dass die Regierung mit der Reform kein Personal abbauen möchte . Stellen, die durch Neu- und Umorganisation der Verwaltungsstrukturen an der einen Stelle frei werden, entfallen nicht, sondern werden dorthin verlagert, wo sie im Zuge der Neuorga- nisation benötigt werden . Es steht außer Frage, dass der Zoll heute und zukünftig jede Fachkraft benötigt . Der demografische Wandel wird auch am Zoll nicht spurlos vorbeigehen . Personalgewinnung bleibt ein zentrales Thema – nicht der Abbau! Die Herausforderungen sind und bleiben groß: Ich erinnere an die 1 600 zusätzlichen Stellen für die Mindestlohnkontrolle, die gewonnen und ausgebildet müssen . Der Zoll bleibt auch in der Fläche in vollem Umfang präsent . Kein Standort wird geschlossen . Das gilt für die ehemaligen Bundesfinanzdirektionen ebenso wie für die 43 Hauptzollämter und die acht Zollfahndungsämter . Die Fachkompetenz „vor Ort“ und „in der Fläche“ kann so erhalten werden . Ich halte die heute zur Abstimmung vorliegenden Re- formüberlegungen für geeignet, den Zoll fit für die Zu- kunft zu machen, und empfehle daher, dem Gesetzent- wurf zuzustimmen . Richard Pitterle (DIE LINKE): Die Bundesregierung will die Zollverwaltung neu organisieren und schafft da- bei mit der Generalzolldirektion eine ineffiziente und un- übersichtliche Mammutbehörde . Mehr noch: Wenn man diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung in menschli- che Gestalt gießen wollen würde, dann erhielte man wohl eine Figur mit Wasserkopf, die unter dem einen Arm eine Schreibmaschine und unter dem anderen ein geladenes Maschinengewehr trägt . Klingt erst einmal albern, ist aber leider nicht ganz fern der Realität . Ich will Ihnen das einmal an ein paar Beispielen verdeutlichen . Erster Punkt . Unter dem Präsidenten der General- zolldirektion wird eine letztlich überflüssige neue Hie- rarchieebene mit neun hochbesoldeten Direktionspräsi- denten geschaffen, bei denen man teils wohl Bedenken haben muss, dass sie sich zu Tode langeweilen werden . Denn allein fünf dieser Direktionspräsidenten haben je- weils nur eine Abteilung unter sich, die alle bereits einen Abteilungsleiter haben . Warum diesen dann jeweils ein Direktionspräsident vorgesetzt wird, weiß der Himmel, zumal diese zusätzliche Leitungsebene nicht ganz billig ist . Wir sprechen hier immerhin von einem jeweiligen monatlichen Grundgehalt von deutlich über 9 000 Euro . Hier wird der Zollverwaltung zulasten der Steuerzahle- rinnen und Steuerzahler ein stattlicher Wasserkopf auf- gesetzt . Zweiter Punkt: die Einbindung des Zollkriminalamtes in die Generalzolldirektion . Was stellt man sich gemein- hin unter dem Stichwort Zoll vor? Wahrscheinlich den- ken jetzt viele zum Beispiel an die Zollbeamtinnen und Zollbeamten bei der Einreise an den Flughäfen . Kaum jemand dürfte jedoch die Kfz-Steuer im Kopf haben . Generell kann man beim Zoll zwei große Aufgabenbe- reiche voneinander unterscheiden: zum einen die Finanz- verwaltungsaufgaben, wo es zum Beispiel um die Erhe- bung von Zöllen und Steuern wie eben der Kfz-Steuer geht, und zum anderen die Aufgaben der Kriminalitäts- bekämpfung, Stichwort Geldwäsche oder Waffen- und Drogenschmuggel . Auf der einen Seite also der klassi- sche Finanzbeamte, der am Schreibtisch sitzt und Akten bearbeitet, und auf der anderen Seite eine Beamtin mit schusssicherer Weste und Pistole im Anschlag . Das eine hat mit dem anderen nur wenig zu tun . Des- wegen wäre es sinnvoll, diese Aufgabenbereiche zu tren- nen und das Zollkriminalamt zu einer eigenständigen Behörde im Bereich des Bundesfinanzministeriums zu machen . Die Linke hat das mit ihrem Antrag zur Errich- tung einer Bundesfinanzpolizei schon vor Jahren gefor- dert . Dritter und letzter Punkt: parlamentarische Kontrolle . Das Zollkriminalamt ist befugt, Maßnahmen vorzuneh- men, die weit in Grundrechte eingreifen, so zum Beispiel bei der präventiven Post- und Telekommunikationsüber- wachung . Wenn aber schon Briefe geöffnet und Tele- fonate abgehört werden können, ist es enorm wichtig, dass hier eine ausreichende parlamentarische Kontrol- le besteht . Für die Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern muss jemand dem Bundestag auch Rede und Antwort stehen . Wer das jedoch genau sein soll, ist nach dem Gesetzentwurf nicht wirklich ersichtlich . Dem Prä- sidenten der Generalzolldirektion und dementsprechend eigentlichen Behördenleiter stehen die Abhörbefugnisse nach dem Zollfahndungsdienstgesetz gar nicht zu . Der für den Zollfahndungsdienst zuständige Direktionsprä- sident ist wiederum kein Behördenleiter, sondern unter- steht dem Präsidenten der Generalzolldirektion . Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie schaf- fen hier einen verfassungsrechtlich bedenklichen Kud- delmuddel, durch den keiner mehr durchblickt . Schlussendlich muss ich also festhalten: Diese Neu- organisation ist eine Falschorganisation, der die Linke nicht zustimmen wird . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Insbeson- dere vor dem Hintergrund der Problematik Steuerhinter- ziehung unterstützen wir grundsätzlich das Ziel des vor- liegenden Gesetzentwurfs, die Zollverwaltung, und dabei vor allem die operative Ortsebene, zu stärken . Die Me- thoden der organisierten Kriminalität werden von Jahr zu Jahr raffinierter, und damit erweitert sich auch das Auf- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513054 (A) (C) (B) (D) gabenspektrum des Zolls kontinuierlich . Zu nennen sind die Überwachung des mit unserer Unterstützung einge- führten gesetzlichen Mindestlohns, die Bekämpfung des Schwarzmarktes und der illegalen Beschäftigung sowie die Erhebung und Verwaltung der Kfz-Steuer und der Verbrauchsteuern . Es ist daher richtig und wichtig, den zunehmend kom- plexer werdenden Aufgaben mit einer effektiven und effi- zienten Struktur der Zollverwaltung Rechnung zu tragen . Genauso wichtig ist es aber auch, für eine ausreichend di- cke Personaldecke zu sorgen . Die ganze Strukturreform wird auf jeden Fall verpuffen, wenn die Personalausstat- tung des Zolls nicht aufgabenadäquat ist. Und wir wissen schon seit längerem, dass der Zoll unterbesetzt ist – ein Problem, das als Nächstes angegangen werden muss . Wir begrüßen vor diesem Hintergrund, dass die Neuor- ganisation der Zollverwaltung mit den Gewerkschaften abgestimmt wurde und nicht mit einem Personalabbau einhergeht . Die im Gesetzentwurf vorgesehene Übersiedlung der Abteilung III des Bundesministeriums der Finanzen nach Berlin ist längst überfällig, auch wenn das nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums bedeutet, dass lediglich circa 70 Mitarbeiter nach Berlin wechseln . Fragwürdig ist, warum im Jahr 2015 eine derart große Behörde mit bis zu 7 000 Mitarbeitern mit Sitz in Bonn geschaffen wird . Ich bin mir nicht sicher, ob das dem Geist des Ber- lin-Bonn-Gesetzes entspricht . Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, insbeson- dere in der Anhörung und während des Berichterstatter- gesprächs, wurde deutlich, dass eine konkrete Evaluation der bisherigen Zollverwaltungsstruktur nicht stattgefun- den hat . Inwieweit genau die neue Organisationsstruktur effek- tiver und effizienter sein wird, muss sich erst noch zei- gen . Das Gesetz allein überzeugt da noch nicht . Auch die derzeitige Struktur mit den fünf Bundesfinanzdirektionen wurde seinerzeit mit der gleichen oder einer ähnlichen Begründung eingeführt . Wir nehmen die Kritik der Ge- werkschaft der Polizei ernst, wonach mit der General- zolldirektion eine – Zitat – „Mammutbehörde“ entsteht, an deren Effektivität und Effizienz Zweifel bestehen. Im- merhin wird als Ersatz für die sechs Mittelbehörden eine Generalzolldirektion geschaffen, die in neun Direktio- nen unterteilt ist . Auf eine Verschlankung, wie sie in der Gesetzesbegründung angeführt ist, lässt das erst einmal nicht schließen . Insgesamt wurden uns im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nur wenige Sachargumente für die vorgeschlagene Organisationsstruktur geliefert . Es fehlt aus unserer Sicht ganz klar eine konkrete Analyse der bisherigen Struktur, mit deren Ergebnissen die vorliegende Neuorganisation hätte begründet werden können . Ohne eine umfassende Analyse der Ist-Situation wird eine Bewertung einer neuen Verwaltungsstruktur jedoch schwierig . Es bleibt bis heute unverständlich, auf welcher Grund- lage zum Beispiel die bis zu 300 Arbeitskräfte ermittelt wurden, die dank der angeblich zu erwartenden – Zitat – „Effizienzrendite“ mittelfristig für die operativ tätigen Zollämter frei werden sollen . Diese Zahlen wirken wie aus der Luft gegriffen und sind in keiner Weise nachvoll- ziehbar . Wir fordern eine regelmäßige Überprüfung der im Zu- sammenhang mit der Neuorganisation vorgenommenen Änderungen hinsichtlich ihrer Effizienz und Effektivität. Wir unterstützen die Forderung des Bundesrates, dass drei Jahre nach Errichtung der Generalzolldirektion ein Evaluierungsbericht vorzulegen ist . Mit dieser Reform wurde die Chance vertan, die bis- herige Organisation der Zollverwaltung einer Evaluation zu unterziehen und im Anschluss daran sinnvolle Än- derungen vorzunehmen . Daher wird sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei der Abstimmung über den vorliegenden Gesetzentwurf enthalten . Die zu dem Gesetzentwurf vorliegenden Änderungs- anträge zum Energie-, Strom- und Tabaksteuergesetz beruhen auf zwingenden Vorgaben aufgrund von EU- Recht . Im Falle der Anpassungen bei der Strom- und Energiesteuer halten wir die zusätzliche Transparenz für die als Beihilfe eingestuften Vergünstigungen auch in- haltlich für sehr begrüßenswert . Den Änderungen stim- men wir daher zu . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsän- derungsgesetzes (7. BesÄndG) (Tagesordnungs- punkt 24) Oswin Veith (CDU/CSU): Mit dem heute von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Siebten Besoldungsänderungsgesetzes diskutieren wir eine No- vellierung dieses Gesetzes . Ziel dieser Gesetzesänderung ist die Angleichung der Besoldungsregelungen für Bun- desbeamte und Soldaten . Dieser Gesetzentwurf knüpft an das in diesem Frühjahr verabschiedete Gesetz zur Stei- gerung der Attraktivität der Bundeswehr an und bringt weitere Verbesserungen für unsere Soldatinnen und Sol- daten, Bundespolizistinnen und Bundespolizisten und Beamtinnen und Beamten . Richten wir unseren Blick zunächst auf die Bundes- wehr: Derzeit müssen Soldatinnen und Soldaten zum Teil zusätzliche Dienstzeiten absolvieren, um in die nächst- höhere Erfahrungsstufe zu gelangen . Auch werden prak- tische Fähigkeiten, die vor Eintritt in die Bundeswehr erworben werden, nicht individuell anerkannt . Das ist meines Erachtens eine Ungleichbehandlung, die unbe- gründet ist . Das haben wir erkannt und schaffen diese Sonderregelungen für die Stufenlaufzeit ab . Jungen Soldatinnen und Soldaten wird somit ein schnellerer Aufstieg in die zweite Erfahrungsstufe er- möglicht . Auch langdienende Soldatinnen und Soldaten profitieren davon, da diese nun ebenfalls schneller in hö- here Stufen aufsteigen können . Ich halte diesen beschleu- nigten Aufstieg für eine sehr gute Idee, zumal dies auch eine verbesserte Bezahlung bedeutet . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13055 (A) (C) (B) (D) Jeder Arbeitgeber profitiert von bereits gemachten Er- fahrungen des Arbeitnehmers . So auch die Bundeswehr . Warum sollte man dies nicht zumindest bei der Einstu- fung in den Dienstgrad honorieren? Für all jene, die mit beruflichen Vorerfahrungen zur Bundeswehr kommen, wird es künftig möglich sein, diese Erfahrungen anerken- nen zu lassen und ebenfalls in eine höhere Erfahrungs- stufe eingestuft zu werden . Bereits erbrachte Leistungen werden so anerkannt, auch wenn sie nicht im direkten Zusammenhang mit der Bundeswehr stehen . Das sind Anreize, die junge, dynamische Menschen von einer Karriere bei der Bundeswehr überzeugen . Weiterhin schaffen wir eine Rechtsgrundlage für die truppenärztliche Versorgung der Soldatinnen und Solda- ten bei ansonsten gleichbleibendem Leistungsumfang . Mit dieser Änderung werden die tragenden Strukturprin- zipien der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung grundsätzlich gesetzlich festgelegt . Besonders freut mich, dass auch die Feuerwehrbeam- ten der Bundeswehr berücksichtigt werden . Gingen diese doch beim ersten Anlauf im Frühjahr dieses Jahres leer aus . Wir holen das Versäumte jetzt nach und erhöhen die Feuerwehrzulage um 40 Prozent . So beschließen wir schon ein zweites Mal in diesem Jahr Änderungen bzw . Verbesserungen für unsere Sol- datinnen und Soldaten . Das ist nicht nur ein Zeichen an unsere Soldatinnen und Soldaten, sondern auch ein Zei- chen dafür, dass wir als Koalition die Umgestaltung der Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber ernst nehmen und anpacken . Weitere Änderungen im Zuge dieser Gesetzesnovel- lierung betreffen unter anderem die Regelungen zur Besoldung von Teilzeitbeschäftigten während der In- anspruchnahme eines unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubes aus vorangegangener Vollzeitbeschäf- tigung . Zudem wird klargestellt, dass dauernd getrennt lebende Eltern einheitlich nur einen Familienzuschlag nach der Stufe 1 erhalten, auch wenn das gemeinsame Kind bei beiden Elternteilen zu gleichen Teilen wohnt, und wir erstrecken die Leistungsbesoldung auf Richte- rinnen und Richter, die kein Richteramt ausüben, sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte . Mit Letzterem er- weitern wir den Personenkreis, der eine Leistungsprämie oder Leistungszulage erhalten kann . Künftig können nun herausragende Leistungen von Richterinnen und Rich- tern, die aufgrund einer Abordnung kein Richteramt ausüben, sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ho- noriert werden . Somit enthält der Gesetzentwurf viele Neuerungen, die auch den Bundesbeamteninnen und -beamten, Bun- despolizistinnen und Bundespolizisten, Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten zugutekommen und besoldungsrechtliche Korrekturen bringen . Um noch Weiteres auf den Weg zu bringen, haben wir im parlamentarischen Verfahren noch einige Maßnahmen ergänzt, um unsere Bundesbeamten, welche aufgrund der derzeitigen Situation Mehrarbeit leisten müssen, zu ent- lasten . Uns ist mehr als bewusst, dass angesichts der ak- tuellen Entwicklung Mehrbelastungen gezielt honoriert werden müssen . Vor allem unsere Beamten beim Bun- desamt für Migration und Flüchtlinge sind über die Ma- ßen gefordert . Aufgrund der steigenden Zahl der Asylbe- werber werden die Anforderungen an die Bediensteten sowohl qualitativ als auch quantitativ steigen. Wir sind uns der Bedeutung dieser Aufgabe und der damit verbun- denen hohen Belastungen bewusst . Um dies auch zu zeigen, führen wir eine Stellenzulage ein . Dies bedeutet eine Erhöhung der monatlichen Bezü- ge für die Beamten, die aufgrund der derzeitigen Situati- on Mehrarbeit leisten . Es erfolgt zudem die Hebung des Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von B 8 auf B 9 unter Schaffung einer zweiten Vizepräsidentenstelle . Eine weitere Hebung betrifft den Präsidenten des Bun- desamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufga- ben . Dieser wird künftig nach B 7 besoldet . Zugleich haben Beamte, die aufgrund der Flücht- lingssituation ihren Dienst vorübergehend nicht an ihrem Heimatort ableisten können, nunmehr den Anspruch auf die Erstattung einer wöchentlichen Heimreise . Ich muss gestehen: Diese neue Regelung freut mich persönlich ganz besonders . Auch ich war in meiner Zeit als Bun- desbeamter abgeordnet, und eine Heimfahrt war bzw . ist nur alle zwei Wochen erstattet worden . Was das – gerade für junge Familien – bedeutet, will ich an dieser Stel- le nicht ausführen . Eines sei gesagt: Die wöchentlichen Heimfahrten für Abordnungen aufgrund der Flüchtlings- situation sind ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch nur ein kleiner . Ich hätte mir an dieser Stelle mehr gewünscht . Wir führen eine Erhöhung der Zulage für den Dienst zu ungünstigen Zeiten zugunsten von Beamtinnen und Beamten, die an Feiertagen, während der Nacht und an Wochenenden Dienst leisten müssen, ein . Daneben schaffen wir eine Zulage für Beamtinnen und Beamte, die kurz vor der Pensionierung ihr Dienstverhältnis ver- längern, um bei der Bewältigung einer besonderen Lage zu unterstützen . Es wird eine Umstellung der monats- weisen Anrechnung beim Hinzuverdienst auf eine Jah- resbetrachtung geben . Dies wird dazu führen, dass bei Verdienstspitzen – etwa bei kurzfristigen Tätigkeiten – diese regelmäßig anrechnungsfrei bleiben können . Bei den Planoberstellen haben wir einen Kompromiss ge- funden, der sich ebenfalls durchaus sehen lassen kann . Die Obergrenzen für Beförderungsämter gleichen wir so an, dass die nachteiligen Effekte der großen Gegensätze innerhalb der Bundesverwaltung gemildert werden und es eine Angleichung auf einem höheren Gesamtniveau gibt . Zukünftig wird die Obergrenze bei der Besoldungs- gruppe A 8 im mittleren Dienst 40 Prozent betragen – an- statt wie bisher 30 Prozent – und die Obergrenze bei der Besoldungsgruppe A 9 – anstatt der bisher 8 Prozent – 40 Prozent . Das sind alles sehr gute Maßnahmen und Neuerun- gen, mit welchen wir unsere Wertschätzung für die im öffentlichen Dienst erbrachte hervorragende Arbeit zum Ausdruck bringen . Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, dass unser funktionierender öffentlicher Dienst einer der wichtigsten Standortfaktoren ist, und nicht nur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513056 (A) (C) (B) (D) Unternehmen wissen das zu schätzen . Zu verdanken ha- ben wir das dem Einsatz und der Professionalität unserer Bundesbeamteninnen und -beamten . Im Hinblick auf die überdurchschnittlichen Belastun- gen der Beamten aufgrund der derzeitigen Flüchtlings- krise sind diese Regelungen mehr als nötig, um unseren Beamten zu zeigen, dass wir sie nicht im Regen stehen lassen . Zum Abschluss will ich sagen, dass dieser Gesetz- entwurf, der heute zur Abstimmung steht, ein Ergebnis langer Verhandlungen ist . Wir haben es uns auch im parlamentarischen Verfahren nicht einfach gemacht . Es gilt wie immer der Grundsatz: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es eingebracht wurde . Aber wir ha- ben – aus meiner Sicht – viele Stolpersteine beseitigt und Wesentliches und Richtiges auf den Weg gebracht . Dem Gesetzentwurf ist zuzustimmen . Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): „Neue Herausfor- derungen erfordern neue Wege“, so schrieb es der Dich- ter und Erfinder Gottfried Niebaum im 19. Jahrhundert. Die Geschichte Europas hat für die Menschen der Zeit immer Herausforderungen bereitgehalten, die mit neuen Aufgaben und veränderten Perspektiven verbunden wa- ren . Auf diesem Weg haben sich Gesellschaften fortent- wickelt und ihren Horizont erweitert . Und das ist auch gut so! Auch jetzt stehen Deutschland und Europa vor Her- ausforderungen . Die Zuwanderung der vielen Menschen, die bei uns zeitweise oder dauerhaft ein neues Zuhause suchen, wird uns verändern, wird uns weiterentwickeln und voranbringen, und auch das ist gut so! Natürlich ist der Weg nicht einfach, und selbstverständlich ist er auch mit Herausforderungen verbunden . Das will niemand verschweigen . Und das erfordert auch, dass wir schnell und unbürokratisch auf die Veränderungen reagieren und durch unsere gesetzgeberische Tätigkeit dort unterstüt- zen, wo Menschen gerade eine unglaublich wichtige Ar- beit leisten . Es sind zum einen die vielen Ehrenamtlichen, die sich seit Monaten dieser Aufgabe stellen und denen wir auch von dieser Stelle aus ein großes Dankeschön senden wol- len . Aber es sind zum anderen natürlich auch die, die in den Behörden jeden Tag eine ganz überragende Arbeit leisten und dabei viel weniger im Rampenlicht stehen – unsere Beamtinnen und Beamten . Sie sind es, die sich tagtäglich den inzwischen zu wahren Bergen angewach- senen Aufgaben stellen . Ihr unermüdlicher Einsatz und ihre Motivation verdienen unseren Respekt und unseren ausdrücklichen Dank . Es ist unsere Aufgabe, ihnen die Tätigkeit zu erleichtern und sie durch geeignete Rahmen- bedingungen zu unterstützen . Und das tun wir heute mit den Änderungen, die wir im Siebten Besoldungsände- rungsgesetz vornehmen . Der Gesetzentwurf verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele . Zum einen möchte er Anreizsysteme schaffen, um kurzfristig Personal für die mit den Flüchtlingen be- fassten Behörden zu gewinnen, um die Beamtinnen und Beamte zu entlasten . Zum anderen möchte er Anpassun- gen vornehmen, die durch Strukturveränderungen und veränderte Aufgaben entstanden sind, und dabei auch Ungleichgewichte zwischen zivilem und militärischem Personal abbauen . Lassen Sie mich Ihnen die Absichten kurz erläutern . Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge braucht insbesondere Menschen, die über Kenntnisse im Verwal- tungsapparat verfügen und mit den Verfahren vertraut sind . Da liegt es nahe, zunächst nach innen zu blicken und zu fragen: Wie können die Beamtinnen und Beamte länger gehalten oder wie können sie kurzfristig für einen befristeten Zeitraum zurückgewonnen werden? Und mit welchen Mitteln kann das am besten gelingen? Der Ge- setzentwurf der Bundesregierung sieht vor, das vor allen Dingen über Anreizsysteme zu schaffen . So ist in dem Entwurf vorgesehen, die Beschäftigten über eine 5-pro- zentige Gehaltszulage für einen späteren Renteneintritt zu gewinnen. Darüber hinaus sollen weitere finanzielle Anreize wie Erschwerniszulagen und andere Zuschläge die Attraktivität des Dienstes steigern . Bereits pensio- nierte Beamtinnen und Beamte sollen auch dadurch zu- rückgewonnen werden, dass die Hinzuverdienstgrenzen verändert und Ausnahmeregelungen für Verwendungs- einkommen geschaffen werden . Daneben sollen auch sie von den Zulagen profitieren. Es ist ein guter Weg, über- durchschnittliches Engagement finanziell zu honorieren und Anreize für einen Verbleib in der Behörde zu setzen . Die Veränderungen des Siebten Besoldungsänderungsge- setzes flankieren damit die Maßnahmen, die vom Bun- destag bereits in den letzten Wochen beschlossen wur- den, wie das Asylpaket, das auf eine Beschleunigung der Asylverfahren abzielt . Wir werden den weiteren Verän- derungsbedarf fortlaufend zu analysieren und dann ge- gebenenfalls auch weitere Maßnahmen zu treffen haben . Neben dem akuten Veränderungsbedarf, dem wir mit dem Gesetzentwurf Rechnung tragen, gibt es auch Verän- derungen, die sich langsamer und erst im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben . Auch auf die wollen wir mit dem Gesetzentwurf eingehen . Dazu gehört zum einen, dass wir auf Entwicklungsprozesse reagieren, die infolge der Bundeswehrreform entstanden . Viele der Anwärterin- nen und Anwärter verfügen über Masterabschlüsse und haben auch bereits berufliche Erfahrungen durchlaufen, bevor sie zur Bundeswehr gelangen . Diese Zeiten wollen wir bei den Erfahrungszeiten stärker berücksichtigen und dann auch bei der Einstufung honorieren . Zum anderen wollen wir das noch bestehende Ungleichgewicht zwi- schen zivilen Beamtinnen und Beamten und Soldatin- nen und Soldaten abbauen . Dazu werden wir die noch verbliebenen soldatenspezifischen Regelungen streichen und Vereinheitlichungen bei den Stufenlaufzeiten herbei- führen. Das setzt über die damit verbesserten finanziel- len Perspektiven auch Anreize für den Einstieg junger Menschen in den Militärdienst . Zudem greifen wir in dem Gesetzentwurf den Veränderungsbedarf auf, der aus der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis herrührt . Hinzu kommen Verbesserungen bei der Urlaubsregelung, bei der truppenärztlichen Versorgung sowie Klarstellun- gen bei der Elternzeit . Die Veränderungen durch das Siebte Besoldungsän- derungsgesetz sind vielschichtig und kommen den Men- schen zugute, die in diesen Zeiten mit hohem Verant- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13057 (A) (C) (B) (D) wortungsbewusstsein einen ganz herausragenden Dienst leisten: unsere Beamtinnen und Beamten und Soldatin- nen und Soldaten . Ich bitte Sie, dem durch Ihre Zustim- mung Rechnung zu tragen . Katrin Kunert (DIE LINKE): Mit dem Siebten Be- soldungsänderungsgesetz will die Bundesregierung nun einige Anpassungen nachholen, die eigentlich bereits mit dem Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz vorge- nommen werden sollten . Schon damals waren Sie nicht in der Lage, einen Gesetzentwurf aus einem Guss vorzu- legen, sodass die besoldungsrechtliche Behandlung von Beamtinnen und Beamten ausgeklammert blieb . Immerhin – so viel kann zumindest festgestellt wer- den – wurden jetzt einige der gröbsten Ungerechtigkeiten korrigiert: Die Entscheidung des Europäischen Gerichts- hofs vom 13 . Juni 2015 zur vollständigen Abgeltung von Urlaubstagen wird umgesetzt . Das war auch längst über- fällig! Selbstverständlich müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch bei einem Wechsel von einem Vollzeitarbeitsverhältnis in ein Teilzeitbeschäftigungs- verhältnis den EU-weiten Mindesturlaubsanspruch von 20 Tagen bekommen . Es ist gut, dass Urlaubstage wie auch deren Vergütung nunmehr nach dem Anspruch des Vollzeitbeschäftigungsverhältnisses geregelt werden . Die Linke begrüßt ebenfalls, dass in der Bundeswehr die Sonderregelungen für die Stufenlaufbahn aufgehoben werden, sodass langgediente Soldatinnen und Soldaten schneller in höhere Stufen aufsteigen können . Für Neu- einstellungen in höheren Diensträngen sollen künftig auch andere hauptberufliche Tätigkeitszeiten anerkannt und bei Beförderungen die bisherigen Erfahrungszeiten innerhalb des Dienstes verkürzt werden . Aus beamten- rechtlicher Perspektive ist das richtig . Dass verstärkt Bewerberinnen und Bewerber mit beruflichen Vorquali- fikationen angesprochen werden sollen, ist legitim. Sol- datinnen und Soldaten sollen nach unserer Auffassung nicht schlechter gestellt werden als Beamtinnen und Be- amte mit zivilen Aufgaben . Diese Besoldungsverbesserungen finden aber nicht im luftleeren Raum statt . Natürlich geht es auch darum, im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr die Attrak- tivität des Soldatenberufs zu erhöhen . Dieses Ziel kön- nen wir nicht mittragen . Deutschland braucht vor allem eine berufliche Attraktivitätssteigerung für das Bildungs- und Sozialwesen, das jahrelang vernachlässigt wurde . Es werden händeringend Lehrer, Krankenschwestern und Pflegekräfte benötigt. Darum sollten Sie sich kümmern! Das Siebte Besoldungsänderungsgesetz treibt den Umbau der Bundeswehr, weg von der Verteidigungsar- mee hin zur Armee im Dauereinsatz, voran . Sie wollen zum Beispiel die Planstellenobergrenzen für die höhere Dienstlaufbahn, zum Beispiel für Feldwebel, anheben . In Verbindung mit dem Zulagensystem sollen damit ver- mehrt qualifizierte Führungskräfte für mehr Auslandsein- sätze der Bundeswehr gewonnen werden . Das lehnt die Linke ab . Wir benötigen für die Bewältigung der Flücht- lingskrise nicht noch mehr Auslandseinsätze der Bun- deswehr in Konfliktregionen, sondern eine Bekämpfung der Fluchtursachen . Dazu gehört als Erstes: Es darf keine Waffen- und Rüstungsexporte in Krisengebiete oder an autoritäre Regime geben! Jede Waffe findet ihren Krieg! Dass in der saudischen Golfdiktatur ein menschenrechts- konformer Umgang mit den gelieferten Waffen stattfin- det, glauben Sie doch nicht einmal mehr selbst . Kurz vor Toresschluss haben die Koalitionsfraktionen noch einen 30-seitigen Änderungsantrag zum eigenen Gesetzentwurf eingebracht . Das ist eine echte Zumutung und zeigt, dass die Halbwertzeit Ihrer Gesetzentwürfe nicht einmal mehr bis zur Abstimmung reicht . Der Ände- rungsantrag enthält zudem ein ganzes Bündel von Maß- nahmen, die nichts mit dem eigentlichen Gegenstand des Gesetzentwurfs zu tun haben . So sind für den Bundespolizeidienst Ausnahmen bei den gesetzlichen Obergrenzen für die Beförderung vor- gesehen . Das ist zu begrüßen, weil damit endlich der Beförderungsstau, der sogenannte Obermeisterbauch, abgebaut werden kann . Dass dies in Zeiten der Flücht- lingskrise plötzlich möglich wird, zeigt aber, dass Ihre bisherige Personalpolitik einfach verfehlt war . Das hat die Linke immer schon kritisiert . Wegen des akuten Per- sonalnotstands sollen nun sogar Ruheständlerinnen und Ruheständler zurück in den Dienst geholt werden . Das kann nur eine kurzfristige Lösung sein . Die Linke for- dert, dass vor allem neue Stellen, auch im Polizeidienst, geschaffen und ausgeschrieben werden, da durchaus qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber auf dem ers- ten Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen . Eine proaktive Beschäftigungspolitik für Neueinstellungen könnte viel- mehr manche Befürchtungen entkräften, dass durch die Flüchtlingskrise die Beschäftigungssicherheit und die beruflichen Erfolgschancen auf dem Arbeitsmarkt ge- fährdet wären . Diese Chance lassen Sie ungenutzt ver- streichen . „Irgendwie durchwursteln“ lautet Ihre Devise . Dazu passt, dass Bundeswehrangehörige sogar noch eine Stellenzulage bekommen sollen, wenn sie beim Bundes- amt für Migration und Flüchtlinge eingesetzt werden . Welche fachlichen Eignungsvoraussetzungen hierfür er- füllt sein müssen, bleibt unbeantwortet . Sie wollen die Bundeswehrangehörigen als beliebige Manövriermasse einsetzen, die zwischen völlig verschiedenen beruflichen Tätigkeitsfeldern hin und her geschoben werden kann . Das ist die falsche Antwort auf die Herausforderungen der Integration von deutlich mehr Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in Deutschland . Die ganze Asyl- und Integrationsdebatte steht bei Ihnen schon seit langem un- ter dem Primat der inneren Sicherheit und Terrorismus- abwehr . Nun soll dafür auch noch Bundeswehrpersonal eingesetzt werden . Das ist doch nicht zu fassen! Soweit die Regelungen im Siebten Besoldungsände- rungsgesetz der Gleichstellung von Soldatinnen und Sol- daten an zivile Beamtinnen und Beamte dienen, tragen wir diese mit . Die materielle Besserstellung von Füh- rungskräften schafft hingegen klare Fehlanreize, die die militärische Interventionsfähigkeit der Bundeswehr stär- ken . Wir brauchen das genaue Gegenteil . Deshalb stimmt die Linke insgesamt mit Enthaltung . Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man- che Dinge gelingen im zweiten Anlauf ja besser als im Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513058 (A) (C) (B) (D) ersten . Für den Versuch, die Bundeswehr zu einem at- traktiveren Arbeitgeber zu machen, gilt dies leider nicht . Wie schon beim Attraktivitätssteigerungsgesetz zu Beginn dieses Jahres hat sich die Bundesregierung auch bei der Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes wieder einmal nur auf den allerkleinsten gemeinsamen Nenner verständigen können . Das Ziel, die Arbeitsbedingungen der Bundeswehranghörigen zu verbessern und auf diese Weise mehr Personal für die Bundeswehr zu gewinnen, liegt dieser Bundesregierung nämlich längst nicht so sehr am Herzen, wie Frau von der Leyen uns gerne glauben machen will . Wenn es um echte Verbesserungen für die Angehörigen der Bundeswehr geht, stellen sich das In- nen- und das Finanzministerium regelmäßig quer. Denn das Projekt „attraktive Bundeswehr“ soll, wenn irgend möglich, nichts kosten . Doch eins ist uns doch allen klar: Mehr Attraktivität gibt es nicht zum Nulltarif . Wer möchte, dass die Bun- deswehr ihre Aufgaben vernünftig wahrnehmen kann, der darf nicht nur in Ausrüstung, sondern muss auch in Personal investieren . Die zivilen Beschäftigten der Bun- deswehr machen einen prima Job! Und wer dies nicht honoriert, wer immer nur darauf bedacht ist, am Personal zu sparen, der darf sich nicht wundern, wenn, wie etwa in Wunstorf oder Manching geschehen, nicht einmal mehr der Grundbetrieb reibungslos funktioniert . Die zivilen Angehörigen der Bundeswehr blicken auf eine lange Durststrecke zurück: Bis Ende 2013 galt über 20 Jahre lang ein völliger Einstellungsstopp . Die Stellen- zulagen, die einen wesentlichen Teil des Gehalts ausma- chen, sind in vielen Fällen seit den 90er-Jahren nicht mehr angehoben worden . Und aufgrund fehlender Planstellen besteht mittlerweile ein enormer Beförderungsstau . Der lange Einstellungsstopp, die mäßige Vergütung und die fehlenden Aufstiegschancen führen nicht nur zu großer Frustration und Unzufriedenheit bei den Betrof- fenen . Sie führen auch dazu, dass schon heute in vielen Bereichen der Bundeswehrverwaltung ein dramatischer Personalmangel herrscht . Viele Soldatinnen und Solda- ten klagen deshalb darüber, dass ihre persönlichen Anträ- ge in einem unzumutbaren Schneckentempo bearbeitet werden . Anfang Oktober wollte das Verteidigungsmi- nisterium dem Amt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz für 286 Milli- onen Euro sogenannte Berater ins Haus schicken – um 300 Techniker und Prüfer zu kompensieren, die dem Amt offenbar fehlen . Und auf vielen Flugplätzen der Bundes- wehr lässt sich der Betrieb nur deshalb noch aufrechter- halten, weil sich viele Angehörige der Bundeswehrfeu- erwehren bereit erklären, Dienst weit über das übliche Maß hinaus zu schieben . Genau wie beim Großgerät be- treibt die Bundeswehr auch beim Zivilpersonal eine Art Mangelverwaltung auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter . Dieser Zustand muss endlich ein Ende haben! Auch der Bundesregierung sind all diese Missstände natürlich seit langem bekannt . Und die Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes hätte die Chance geboten, sie entschlossen zu beheben . Leider haben vor allem das BMI und das BMF dafür gesorgt, dass diese Chance nicht optimal genutzt wurde . Hierzu nur ein paar wenige Beispiele: Im ursprünglichen Gesetzentwurf wollte die Bundes- regierung am starren System der Obergrenzen für Beför- derungsämter festhalten – und die Obergrenze für die be- sonders betroffenen Besoldungsgruppen A 8 und A 9 für Unteroffiziere nur um völlig unzureichende 10 Prozent anheben . Bessere Aufstiegsmöglichkeiten? Fehlanzeige . Dabei wäre es – dazu komme ich gleich noch – doch ein Leichtes gewesen, dem Beförderungsstau hier durch eine flexiblere Regelung zu begegnen. Ähnlich unzugänglich hat sich die Bundesregierung in ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf in puncto Stel- lenzulagen gezeigt . Dabei haben Sie selbst jene Beschäf- tigten ignoriert, die besonders hohen Anforderungen un- terliegen und die besonders unter dem allgegenwärtigen Personalmangel zu leiden haben: Eine höhere Zulage für Bergführer? Nichts da! Eine höhere Zulage für das Personal des Feuerwehreinsatzdienstes? Unnötig! Ob wir auf diese Weise Menschen für die rund 900 Stellen gewinnen, die derzeit bei der Bundeswehrfeuerwehr un- besetzt sind, daran habe ich doch arge Zweifel . Der ursprüngliche Gesetzentwurf folgte in weiten Tei- len also dem Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ . Irgendwie soll die Bundeswehr at- traktiver werden – aber bitte nur in Trippelschritten und möglichst ohne allzu große Zusatzkosten . Mit dieser Halbherzigkeit, meine Damen und Herren auf der Regie- rungsbank, werden Sie Ihr Ziel, die Bundeswehr zu ei- nem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu ma- chen, nicht erreichen . Da können Sie noch so viel Geld in aufwendige Werbekampagnen und die Entwicklung einer Arbeitgebermarke investieren – ohne attraktive Arbeits- bedingungen werden flotte Sprüche alleine niemanden für die Bundeswehr begeistern . Abschließend möchte ich sagen: Es ist den Kollegin- nen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen zu dan- ken, dass wenigstens einige Versäumnisse des Gesetz- entwurfes ausgebügelt werden konnten . Vor allem die Flexibilisierung der Obergrenzen für Beförderungsämter in § 26 Bundesbesoldungsgesetz ist hier sehr lobend zu erwähnen . Nicht nachzuvollziehen bleibt, dass Sie zu- künftig keine Zulage mehr an all jene zahlen wollen, die vertretungsweise einen höherwertigen Dienstposten be- setzen . Wer mehr Verantwortung übernimmt, soll dafür auch entsprechend bezahlt werden . Das gehört zu den so- genannten „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeam- tentums“, die der Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes ausdrücklich hervorhebt . Ihr Gesetzentwurf ist also nicht nur halbherzig, es ist auch verfassungsrechtlich bedenk- lich . Und deshalb wird sich meine Fraktion bei der Ab- stimmung über den Gesetzentwurf enthalten . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13059 (A) (C) (B) (D) des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell- schaftsgesetzes – des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßenge- sellschaft sofort einstellen (Tagesordnungspunkt 25 a und b) Florian Oßner (CDU/CSU): Wir beraten heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrs- infrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes sowie einen Antrag der Linken mit dem Titel „Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen“ . Anders, als uns die Fraktion Die Linke mit ihrem An- trag glauben machen will, geht es in dem vorliegenden Gesetzentwurf jedoch nicht um einen ersten Schritt zur Gründung einer Bundesfernstraßenfinanzierungsgesell- schaft . Dies ist eine glatte Themaverfehlung! Vielmehr geht es darum, einen Beschluss des Haushaltsausschus- ses des Bundestages umzusetzen . Dieser hat nämlich am 13 . November 2014 – also vor knapp einem Jahr – be- schlossen, die Steuermittel und die Mautmittel bei der VIFG, der bestehenden Verkehrsinfrastrukturfinanzie- rungsgesellschaft, zusammenzufassen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird diesem Ziel nun entsprochen . Hierdurch soll es möglich sein, ganz konkret für jede Maßnahme zu jedem Zeitpunkt die Kosten nachzuvollziehen . Mithin handelt es sich hier um einen reinen finanztechnischen Aspekt – nicht mehr und nicht weniger . Dadurch wird es auch endlich möglich sein, völlig seriös und ohne ideologische Scheuklappen ÖPP-Projekte mit öffentlich finanzierten Projekten zu vergleichen . Diese Maßnahme wird somit wesentlich zur Kostentransparenz bei den Verkehrsinvestitionen beitra- gen . Das Prinzip der Auftragsverwaltung im Bereich der Bundesfernstraßen hat sich in meiner Heimat Bayern mehr als bewährt . Die bayerische Straßenbauverwaltung ist leistungsfähig und zuverlässig . Neben den regelmä- ßigen Aufgaben für Erhaltung, Betrieb, Neu-, Um- und Ausbau wurden stets auch alle Investitionsprogramme und Sonderfinanzierungen einschließlich ÖPP durch die Auftragsverwaltungen erfolgreich umgesetzt . Auch ist unser gut ausgebautes Netz von Bundesfernstraßen in der operativen Verantwortung des Freistaates entstanden . Voraussetzung hierfür war stets die zügige Schaffung von Baurecht . Fakt ist jedoch auch, dass die Auftragsverwaltung nicht in allen Ländern gleich gut funktioniert und die Qualität der Autobahnverwaltung in den 16 Ländern sehr unterschiedlich ist . Der Sanierungs- und Modernisierungsbedarf im deut- schen Fernstraßennetz ist ungemein groß . Auch wenn wir aufseiten des Bundes historisch einzigartig hohe In- vestitionen in die Infrastruktur tätigen – wie es derzeit der Fall ist, wozu wir unserem Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gratulieren und wofür wir ihm dan- ken dürfen –, werden die Verwaltungen in einigen Bun- desländern an ihre Kapazitätsgrenze stoßen . Das Prob- lem hierbei ist deshalb momentan nicht, dass wir über zu wenig finanzielle Mittel verfügen, sondern vielmehr ist es das Fehlen von baureifen Projekten in einigen Bun- desländern . Die Bündelung von Finanzierung und Aufgaben in einer Hand beim Bund im Rahmen einer Bundesfernstra- ßengesellschaft könnte hier eine mögliche Option sein, um zu mehr Effizienz bei Ausbau, Erhalt und Bewirt- schaftung unserer Autobahnen zu gelangen . Allerdings besteht hier gerade auch aus bayerischer Sicht noch er- heblicher Diskussionsbedarf . Hierfür ist der vorliegende Antrag der Linken keines- wegs eine taugliche Grundlage . Denn anstatt sich sach- lich und pragmatisch mit den Vor- und Nachteilen einer derartigen Gesellschaft auseinanderzusetzen, wird diese hier aus rein ideologischen Gründen abgelehnt, wobei Ih- nen kein Argument aus der linken Klischeekiste zu scha- de ist . So werden Sie in Ihrem Antrag nicht müde, die altbekannten Vorurteile gegen öffentlich-private Partner- schaften hervorzukramen oder auf perfide Weise Ängste vor möglichen Arbeitsplatzverlusten bei den Straßenbau- verwaltungen durch die Schaffung einer Bundesfernstra- ßengesellschaft zu schüren . Eine sachliche und zielgerichtete Diskussion sieht an- ders aus . Aus den genannten Gründen werden wir den Antrag der Linken ablehnen und werben für den Gesetz- entwurf der Bundesregierung . Reinhold Sendker (CDU/CSU): Mit den Änderun- gen des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschafts- gesetzes, kurz VIFG-Gesetz, setzen wir jetzt den Maßga- bebeschluss des Haushaltsauschusses vom 13 . November 2014 um, den Zahlungsverkehr für alle Ausgaben zur Finanzierung, das heißt für Bau, Erhalt und Betrieb der Bundesfernstraßen, über das Finanzmanagementsystem der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft – VIFG – abzuwickeln . Über die Hälfte unserer Investitionen in den Verkehrs- träger Straße wickelt die VIFG mit ihrem Finanzmanage- mentsystem schon heute ab . Alle 16 Bundesländer und die Projektmanagementgesellschaft Deutsche Einheit, die sogenannte DEGES, sind an dieses System ange- schlossen . Wir leisten uns also derzeit noch zwei Systeme: Ein Teil der Mittel wird über das Finanzmanagementsys- tem der VIFG abgewickelt, die restlichen Mittel werden über das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes im sogenannten HKR-Verfahren bewirtschaftet . Dieses Nebeneinander der Systeme schaffen wir jetzt ab und erhöhen damit die Transparenz im Haushalt . Die Fi- nanzierung und Bewirtschaftung der Bundesfernstraßen wird ab 2016 vollständig innerhalb eines Bewirtschaf- tungssystems ausgewiesen . Mit dem Haushalt 2016 weisen wir daher im Einzel- plan 12 erstmals nicht mehr die Maut- und Steuermit- tel getrennt in den Kapiteln 1209 und 1210 aus, sondern wir schaffen im Kapitel 1201 einen gemeinsamen Titel Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513060 (A) (C) (B) (D) und damit auch ein deutliches Plus an Haushaltswahrheit und -klarheit . Das Finanzmanagementsystem der VIFG ermöglicht zudem tagesaktuelle Berichte über die Ver- ausgabung der Mittel für unsere Verkehrsinfrastruktur . Und zwar nicht nur bundesweit oder auf die einzelnen Länder bezogen, sondern, wenn gewünscht, auch auf die einzelnen Straßenbauämter oder sogar bezogen auf jede sich im Bau befindliche Einzelmaßnahme. Das ist Transparenz, und genau diese wollen wir mit der Kom- plettumstellung auf das Finanzmanagementsystem der VIFG auch herstellen . Die Experten der VIFG vermelden Vollzug . Der Um- bau ihres bestehenden EDV-Systems, um die neuen Mit- telflüsse regeln zu können, ist weitestgehend abgeschlos- sen. Man befindet sich in den letzten Testläufen für das neue, erweiterte System . Rund 600 neue Nutzer aus den Länderverwaltungen wurden schon für das neue System geschult . Man rechnet bei der Durchführung des „Zah- lungsverkehrs Bundesfernstraßen“ über das Finanzma- nagementsystem der VIFG für das Jahr 2016 mit rund 500 000 Buchungen . Damit steigt die Gesamtanzahl an Geschäftsvorgängen voraussichtlich um den Faktor 10 . Die Anzahl der im System abgebildeten Maßnahmen wird von rund 2 500 auf rund 6 000 Maßnahmen anstei- gen . Ich weiß, die Länder haben sich im Bundesrat durch- aus auch kritisch zum vorliegenden Gesetzentwurf ge- äußert . Dies ist vor dem Hintergrund, dass der Bund zukünftig seine Verantwortung als Finanzierer der Stra- ßenbaulast und Fachaufsicht gegenüber den Auftragsver- waltungen umfassender wahrnehmen kann, nicht weiter verwunderlich . Es ist daher auch spannend, zu erfahren, dass die Arbeitsebene der Länder dem Gesetzentwurf durchaus positiv gegenübersteht . Im Zusammenhang mit Ländern und Auftragsverwal- tung möchte ich auch noch auf den hier ebenfalls zur De- batte stehenden Antrag der Linken zur Bundesfernstra- ßengesellschaft eingehen . Es ist kein Geheimnis, und wir wissen es auch nicht erst seit gestern, dass die Bauverwaltungen der Län- der zu einem großen Teil unseren Anforderungen heute nicht mehr gerecht werden. Häufig mangelt es schlicht an Personal; da kann die bereits angesprochene DEGES weiterhelfen, leider kapazitätsbedingt aber auch nur bis zu einem gewissen Grad . Oft gibt es aber auch schlicht unterschiedliche Auffassungen über verkehrliche Priori- täten zwischen Bund und Ländern . Das Land NRW hat beispielsweise eine Liste erstellt, in der es die aus seiner Sicht wichtigen Bundesfernstraßen priorisiert hat . Das geht so nicht! Da, wo der Bund finanziert, muss er auch die Kontrolle über die Ausführung haben . Es ist daher folgerichtig, die Finanz- und Aufgaben- verantwortung in einer Hand zu bündeln . Eine Bundes- fernstraßengesellschaft ist somit ein logischer Schritt . Das hat der Bundesfinanzminister ja auch schon in seiner Rede zum Bundeshaushalt 2016 vor einigen Wochen an dieser Stelle erklärt . Wichtig ist, dass die Bundesfernstraßen- und die neu zu schaffende privatrechtlich organisierte Gesellschaft zu 100 Prozent im Besitz des Bundes bleiben . Die Ge- sellschaft muss die Einnahmekompetenz haben, was die Straßennutzungsgebühren für die Bundesautobahnen an- geht. Neben dieser Einnahmequelle muss die Möglich- keit, privates Kapital von Investoren für Investitionen in den Straßenbau zu akquirieren, geprüft werden. Eine Reform der Auftragsverwaltung haben wir uns in den Koalitionsvertrag geschrieben . Das ist aus mei- ner Sicht auch zwingend notwendig . Die Gründung ei- ner Bundesfernstraßengesellschaft ist hier ein logischer Schritt . Sebastian Hartmann (SPD): Die erste Beratung des VIFG-Änderungsgesetzes ist eine großartige Gelegen- heit, auf den enormen Nutzen hinzuweisen, der mit die- ser Initiative einhergeht . Der Haushaltsausschuss hat im letzten Jahr beschlos- sen, dass ab dem Haushaltsjahr 2016 im Haushaltskapitel die Betrachtung der einzelnen Straßenbautitel nicht nur anders deklariert und nummeriert wird, sondern eine viel tiefere Logik greifen soll . In Zukunft werden Verwaltung und Controlling der Ausgaben für Straßenbaumaßnah- men in Durchführung der öffentlichen Hand in demsel- ben Finanzmanagementsystem zusammengeführt, das bisher schon der Verwaltung von ÖPP-Projekten dien- te – dem FMS der VIFG . Wir danken den Haushältern ausdrücklich für diesen konsequenten Schritt zu mehr Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Eingriffs- und Steue- rungsmöglichkeiten für den Straßenbau des Bundes . Das liegt nicht nur im Interesse der beiden obersten Tugenden des Haushalts – Klarheit und Wahrheit –, sondern dient auch einer stark verbesserten fachpolitischen Kontrolle . Die Zusammenführung der alten Haushaltstitel 1209 und 1210 in neuer Gestalt ist für uns ein exzellentes Werk- zeug, wenn es um die Betrachtung und Evaluierung der Investitionen in den Straßenbau geht . Wir verlangen mit der vorliegenden Gesetzesände- rung den Auftragsverwaltungen der Länder eine gewis- se Flexibilität ab, was die Umstellung vom bisherigen HKR-Einsatz zur Software der VIFG angeht . Ich weiß aber, dass die VIFG sich seit dem Beschluss des Haus- haltsausschusses intensiv und in individueller Betreu- ung um alle Bundesländer und jeden einzelnen Sonder- fall gekümmert hat . Im Ergebnis gibt es zum aktuellen Zeitpunkt keine Anzeichen, dass es an irgendeiner Stelle zu Verzögerungen oder gar Inkompatibilitäten kommen könnte . Wir gehen deshalb davon aus, dass mit dem Startdatum 1 . Januar 2016 alle Straßenbauverwaltungen der Länder geschult und vorbereitet sind, das FMS ent- weder direkt oder über die ihrem Einzelfall angepasste Schnittstelle zu bedienen, mit tagesaktuellen Zahlen zu füttern und Auswertungen bis hin zu vollständigen Bi- lanzierungen ihrer eigenen Baumaßnahmen vornehmen zu können . Wir stehen am Ende mit der Möglichkeit zur Aggregation all dieser Daten sehr viel besser da als je zuvor . Zum ersten Mal werden wir in die Lage versetzt, eine unmittelbare Vergleichbarkeit von Budgetierung, Einnahmen und Ausgaben in jeder Art von Straßen- bauprojekt vorzufinden. Die Auswertung dieser Daten wird es uns erlauben, evidenzbasierte Aussagen über die Wirtschaftlichkeit von Straßenbau zu treffen – ein nicht zu unterschätzender Vorteil in der jahrelangen Dauer- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13061 (A) (C) (B) (D) brennerdebatte über die Frage, ob denn nun ÖPP oder konventionell durchgeführte Straßenbaumaßnahmen der bessere Weg sind . Egal, ob man zu denen gehört, die Erfolgskontrolle bei öffentlich-privaten Partnerschaften bislang über den Daumen gepeilt haben, oder zu denen, die mit spitzem Bleistift gerechnet haben: Befürworter und Gegner haben in Zukunft eine gemeinsame Ge- sprächsgrundlage, die an Präzision und Solidität nichts zu wünschen übrig lässt . Es ist an dieser Stelle offensichtlich, wie mit dem An- trag der Linken verfahren werden sollte: Man kann nicht für mehr Investitionen in Verkehrsinfrastruktur sein, wie die Opposition für sich immer wieder in Anspruch nimmt, und gleichzeitig gegen diesen Gesetzentwurf An- träge stellen, die zu allem Überfluss auch noch sachfremd sind . Zitat: „Die ressortübergreifenden Planungen dienen dem Ziel, privates Kapital für den Straßenbau zu mobi- lisieren und institutionellen Kapitalanlegern sichere An- lagemöglichkeiten mit höheren Renditen zu verschaffen, als sie in der derzeitigen Niedrigzinsphase üblich sind . Die Planungen für eine Bundesfernstraßengesellschaft reihen sich damit in die geplante Privatisierungswelle ein, die mit der so genannten Fratzscher-Kommission im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, vorbereitet wurde .“ Ihnen ist vielleicht gar nicht aufgefallen, dass wir hier über die VIFG und ihr Finanzmanagementsystem reden . Die Reform des Haushaltskapitels 12, in deren Umset- zung auch die vorliegende Änderung des VIFG-Geset- zes vorgenommen wird, war längst beschlossene Sache, bevor von einer Fratzscher-Kommission überhaupt die Rede sein konnte . Unser Wunsch nach Controlling und Steuerung bei den Investitionen für den Straßenbau ist älter als jede Vorstellung von einer Bundesgesellschaft, egal welchen Zuschnitts . Wenn die Fratzscher-Kommis- sion dem Bundeswirtschaftsminister bei der Gewinnung von Ideen zur Erhöhung der Investitionsquote behilf- lich ist, kann man das nur begrüßen . Wenn wir über die Nutzung eines höchst brauchbaren vorhandenen Soft- wareinstruments für einen weiteren Ausgabensektor im Straßenbau diskutieren, korreliert das mit der von Ihnen hineingeheimnisten Bundesfernstraßengesellschaft un- gefähr so wie die Tatsache, dass die Wörter „Verkehrsin- frastruktur“ und „Fratzscher-Kommission“ beide 21 Zei- chen lang sind . Welche Schlüsse Sie aus diesem Umstand ziehen, will ich mir lieber gar nicht erst ausmalen . Sabine Leidig (DIE LINKE): Die Bundesregierung beabsichtigt, mit dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell- schaftsgesetzes der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungs- gesellschaft (VIFG) weitere Aufgaben und Zuständigkei- ten zu übertragen . Im Zentrum steht dabei, dass die VIFG neben den Einnahmen aus der Lkw-Maut zukünftig auch die im Bundeshaushalt veranschlagten Mittel für Neu- bau, Ausbau, Erhaltung, Betrieb und Unterhaltung von Bundesfernstraßen verwalten und verteilen soll . Meine Fraktion beantragt, dass die Planung und Vor- bereitung dafür sofort eingestellt werden . Warum? Erstens . Die Bundesregierung macht den zweiten Schritt vor dem ersten . Der Bundesrat befürchtet zu Recht, „dass damit ein erster Schritt zur Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft und damit einhergehend die Abschaffung der Auftragsverwaltung durch die Län- der für die Bundesfernstraßen vollzogen werden könnte“ . Er hat diesen strukturellen Veränderungen eine klare Ab- sage erteilt . Die Bundesländer dagegen haben beschlossen, eine gründliche Problemanalyse vorzunehmen und danach Schritte zur Verbesserung der Straßenbauverwaltung (Auftragsverwaltung) vorzunehmen . Dazu haben die Länder eine Kommission „Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“ (sogenannte Bodewig-II-Kommission) eingesetzt, die bis zum Frühjahr 2016 aktuelle Untersu- chungen zur Optimierung der Auftragsverwaltung be- werten soll . Zweitens . Die ressortübergreifenden Planungen der Bundesregierung dienen dem Ziel, privates Kapital für den Straßenbau zu mobilisieren und institutionellen Ka- pitalanlegern sichere Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen zu verschaffen, als sie in der derzeitigen Nied- rigzinsphase üblich sind . Die Bundesfernstraßengesell- schaft reiht sich damit in die Privatisierungspläne ein, die mit der sogenannten Fratzscher-Kommission im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel vorbereitet wurden . Drittens scheint darüber hinaus die Umgehung der Schuldenbremse eine Motivation für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft zu sein. Effizienzvorteile für die Bereitstellung von Straßenverkehrsinfrastruktur, die nicht auch durch Reformen der Auftragsverwaltung und der Bundesverkehrswegeplanung erzielt werden könnten, sind jedoch nicht erkennbar . Viertens . Die Gründung der Bundesfernstraßen- gesellschaft würde voraussichtlich zur Zerschlagung der Straßenbauverwaltungen der Länder mit ihren 30 000 Beschäftigten führen . Insbesondere im Bereich des Straßenunterhaltungsdienstes sind Arbeitsplätze ge- fährdet . Schließlich ist nicht zu erwarten, dass die Bundes- fernstraßengesellschaft wirtschaftliche Vorteile bringt, vor allem weil die vorgesehene Inanspruchnahme priva- ten Kapitals mit erheblichen Zinsnachteilen gegenüber der öffentlichen Finanzierung verbunden ist . Darauf hat der Bundesrechnungshof im Zusammenhang mit öffent- lich-privaten Partnerschaften (ÖPP) bereits mehrfach hingewiesen . Mit ÖPP verbunden sind erfahrungsgemäß oft höhere Kosten und schlechtere Leistungen . Zu be- fürchten ist zudem, dass dann nicht mehr verkehrspoli- tische Aspekte, sondern Renditeerwartungen für Inves- titionsentscheidungen maßgeblich sind . Dadurch würde auch der Einfluss des Bundestages als Haushaltsgesetz- geber erheblich eingeschränkt . Wir verlangen stattdessen, dass eine ganz andere Re- form der Straßenbauverwaltung stattfindet. Diese muss vor allem bei der Bundesregierung selber ansetzen, die ihrer Aufsicht bislang nicht gerecht wird . Eine effektive Steuerung des Bundes im Sinne einer prioritären Umset- zung von Straßenprojekten ließe sich dabei durch ein- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. November 201513062 (A) (C) (B) (D) fach- oder untergesetzlich umzusetzende Maßnahmen sicherstellen, beispielsweise durch frühzeitige Finan- zierungszusagen des Bundes (wie bei Investitionen in die Bundesschienenwege), durch mehrjährige Finanzie- rungspläne für Einzelprojekte oder durch die Erhöhung des Bundesanteils an den Planungskosten. Darüber hinaus sollen nach Vorliegen des Endberichts der von den Bundesländern ins Leben gerufenen Kom- mission „Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“ noch in dieser Legislaturperiode gemeinsam mit den Ländern Vorschläge für eine Reform der Auftragsver- waltung Straße erarbeitet und umgesetzt werden. Dabei müssen die sachkundigen Beschäftigten aus den entspre- chenden Bereichen unbedingt einbezogen werden, weil deren Veränderungsvorschläge in der Regel aus fundier- ter Erfahrung resultieren und der Sache dienen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schauen wir uns einmal an, wie die aktuelle Situation bei der Finanzierung der Bundesstraßen und Bundesau- tobahnen aussieht. Es gibt dort zwei Töpfe: zum einen den Topf der Steuergelder und zum anderen den Topf der Gelder aus der Lkw-Maut. Mit beiden Töpfen werden der Ausbau, der Neubau und die Instandhaltung der Bun- desfernstraßen bezahlt, aber abgerechnet wird das Ganze über getrennte Zahlungs- und Controllingsysteme. Die Mautmittel zahlt der Staat bei Straßenbaumaßnah- men über die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell- schaft aus, kurz genannt über die VIFG. Die Steuergel- der hingegen werden direkt aus der Staatskasse gezahlt. Die VIFG nutzt dafür ein in der Unternehmenssteuerung übliches Finanzmanagementsystem. Damit sind die Auf- gaben Controlling und Anlagenbuchhaltung besser ab- wickelbar. Die Steuermittel dagegen werden mit einer Eigenbaulösung im Ministerium überwacht. Der Staat leistet sich hier also wieder einmal einen hohen bürokra- tischen Doppelaufwand. Schon im letzten Jahr war den Verkehrspolitikern und den Haushältern klar, dass diese Doppelstrukturen abge- schafft werden müssen. Dazu gibt es einen sinnvollen Weg: die Zusammenführung aller Buchungen im System der VIFG. Deren Finanzmanagementsystem ist modern und außerdem auch für eine betriebswirtschaftliche Betrachtung des Anlagevermögens der Fernstraßen ausgelegt. Trotzdem hat es diese großkoalitionäre Bundesregie- rung nicht geschafft, den notwendigen Gesetzentwurf schon Anfang des Jahres ins parlamentarische Verfahren zu bringen. Der VIFG wurde also erschwert, sich auf die neue Aufgabe einzustellen. Es muss jetzt wieder einmal hoppla hopp gehen. Mit den Gesetzesänderungen fließen künftig auch re- guläre Haushaltsmittel über die VIFG in Straßenprojek- te, nicht nur die Mauteinnahmen. Diese Bündelung ist sinnvoll und längst überfällig. Daher stimmen wir den notwendigen Gesetzesänderungen zu. Jetzt ist es an Ihnen, werte Großkoalitionäre, sich end- lich zu bewegen und die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht länger in der Schwebe zu lassen. Setzen Sie die Änderungen schleunigst um, und trödeln Sie nicht länger herum. Nur so kann das neue System zum 1. Januar 2016 auch wirklich an den Start gehen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Straßenbauver- waltungen werden es Ihnen danken, wenn sie dann nur noch mit einer Buchungssoftware arbeiten müssen. Auch wir Abgeordnete haben etwas von der Neure- gelung. Bislang machen wir einen echten Blindflug, mit dem jedes Unternehmen eigentlich zwangsläufig an die Wand fährt. Wir schauen zwar ganz gewissenhaft auf die jährlichen Zahlungsströme und passen genau auf, dass nicht mehr Geld ausgegeben als eingenommen wird. Wir verdrängen aber unsere Verantwortung für den Werter- halt der Bundesfernstraßen. Wenn wir wie ehrbare Kauf- leute handeln würden, müssten wir zumindest den Wert unseres Anlagevermögens halten. Aber diesen Wert ken- nen wir bislang überhaupt nicht. Er steht auch nicht im Bundeshaushalt – genauso wenig wie der jährliche Wert- verlust, also die Abschreibungen. Hätten wir diese Angaben, könnten wir Politiker und die Öffentlichkeit auf einen Blick sehen, ob die flotten Sprüche von „Erhalt vor Neubau“ auch tatsächlich ein- gehalten werden. Denn mindestens den Wertverlust in Höhe der Abschreibungen müssen wir in den Erhalt ste- cken – sonst fahren wir das System auf Verschleiß. Mit dem neuen Buchungs- und Controllingsystem der VIFG bekommen wir in der Politik nun endlich das notwen- dige Instrumentarium in die Hand für so ein transparentes System. Wir müssen aber auch bereit sein, es zu nutzen und unsere liebgewonnenen Prozesse entsprechend anzupassen. Darum fordere ich die Bundesregierung auf, sich nicht auf unserem Lob für die VIFG auszuruhen und alte Denkmuster weiterzustricken. Wir schaffen jetzt die technische Möglichkeit, das genaue Sachanlagevermö- gen sowie den jährlichen Werteverzehr festzustellen. Die Berichte über marode und gesperrte Autobahnbrücken würden damit weniger werden. Einfach nur irgendwann einmal einen Infrastrukturzustandsbericht zu liefern, reicht eben nicht mehr aus. Handeln wir verantwortungsbewusst für unsere nach- folgenden Generationen. Der Anfang ist gemacht. Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 133. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Hospiz- und Palliativversorgung TOP 4 Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes TOP 5 Prekäre Arbeitsverhältnisse TOP 31 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 32 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 6 Nachtragshaushaltsgesetz, Entlastung der Kommunen TOP 7 Verlängerung von Terrorismusbekämpfungsvorschriften TOP 8 Einführung von Gruppenverfahren TOP 9 Reformder Strukturen der Krankenhausversorgung TOP 10 Betreuungsgeld TOP 11 Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen TOP 12 Nachbarschaftspolitik gegenüber Nordafrika TOP 13 Bundeswehreinsatz in Südsudan (UNMISS) TOP 14 Artgerechte Tierhaltung TOP 15 Bundeswehreinsatz in Darfur (UNAMID) TOP 16 Studienchancen für Flüchtlinge TOP 17 Europäische Einlagensicherung TOP 18 Bevölkerungsstatistik TOP 19 Gründung der Asiatischen Infrastrukturbank TOP 20 ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016 TOP 21 Anschluss von Telekommunikationsendgeräten TOP 22 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb TOP 23 Neuorganisation der Zollverwaltung TOP 24 Besoldungsänderungsgesetz TOP 25 Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813300000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zu unserer 133 . Plenarsitzung .

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
gerne dem Kollegen Helmut Brandt und der Kollegin
Inge Höger zum 65 . Geburtstag sowie der Kollegin
Marlene Mortler zu ihrem 60 . Geburtstag nachträglich
gratulieren . Auch auf diesem Wege noch einmal alle gu-
ten Wünsche für das neue Lebensjahr .


(Beifall)


Der Kollege Dirk Becker hat sein Bundestagsmandat
niedergelegt . Für ihn ist die Kollegin Petra Rode-Bosse
nachgerückt . Ich möchte Sie im Namen des ganzen Hau-
ses herzlich begrüßen .


(Beifall)


Ich wünsche uns eine gute Zusammenarbeit .

Wir müssen noch die Wahl von zwei Mitgliedern des
Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederauf-
bau durchführen . Auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion
sollen der Kollege Klaus-Peter Flosbach und auf Vor-
schlag der SPD-Fraktion der Kollege Hubertus Heil für
eine weitere Amtszeit berufen werden . Gibt es dagegen
Einwände? – Das ist nicht erkennbar . Dann sind damit
die beiden gerade genannten Kollegen als Mitglieder des
Verwaltungsrates für eine weitere Amtszeit gewählt .

Ich möchte schließlich darauf aufmerksam machen,
dass es eine Vereinbarung gibt, die Tagesordnung um
die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu er-
weitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Haltung der Bundesregierung zu neuen Er-
kenntnissen zur VW-Abgasaffäre

(siehe 132 . Sitzung)


ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Dr . Sabine Sütterlin-Waack, Brigitte Zyp-

ries, Matthias W . Birkwald und weiterer Abge-
ordneter

Keine neuen Straftatbestände bei Sterbehilfe

Drucksache 18/6546

Darunter befindet sich auch der neue Gruppenantrag
zum Thema Sterbehilfe bzw . Sterbebegleitung, der dann
in der morgigen Debatte aufgerufen wird . Sind Sie mit
diesen gerade vorgetragenen Vereinbarungen einverstan-
den? – Das ist offensichtlich der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung der Hospiz- und
Palliativversorgung in Deutschland

(Hospiz- und Palliativgesetz – HPG)


Drucksachen 18/5170, 18/5868

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/6585

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Wöl-
lert, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion DIE LINKE

– Hochwertige Palliativ- und Hospizversor-
gung als soziales Menschenrecht sichern –
zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth
Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria
Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gute Versorgung am Lebensende sichern –
Palliativ- und Hospizversorgung stärken

Drucksachen 18/5202, 18/4563, 18/6585






(A) (C)



(B) (D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Auch das ist
offensichtlich einvernehmlich .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Bundesminister Hermann Gröhe .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1813300100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Das Hospiz- und Palliativgesetz, über das wir heute be-
raten, ist auch für mich persönlich ein ganz besonderes
Gesetz .

Am 29 . April, als das Bundeskabinett über den Ge-
setzentwurf, der der heutigen Beschlussfassung zugrun-
de liegt, beraten und abgestimmt hat, saß ich nicht am
Kabinettstisch, sondern in einer Palliativstation meiner
Heimatstadt Neuss am Bett meiner sterbenden Mutter .
Die Palliativschwester riet mir, meiner Mutter den Mund
zu befeuchten . Half es ihr oder half es uns, meinen Ge-
schwistern, meinem Vater und mir, unsere Ohnmacht an-
gesichts des Unausweichlichen auszuhalten?

Wir haben in den letzten Jahren in unserem Land im
Bereich der Palliativmedizin viele Fortschritte erlebt,
viel gelernt über Schmerzlinderung, über die Hilfe bei
drohender Atemnot . Wir müssen weiter forschen und
mehr lernen . Ich danke Kollegin Johanna Wanka, dass es
ein weiteres Förderprogramm im Bereich der Palliativ-
medizin geben wird .

Aber der vielleicht wichtigste Fortschritt in der Pallia-
tivmedizin – oder sollte ich sagen: durch die Palliativme-
dizin? – war doch der, dass die Medizin gelernt hat, dass
sie in dieser Situation Menschen dann am besten dienen
kann, wenn sie ihre eigenen Grenzen anerkennt,


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


wenn an die Stelle des Wunsches, Krankheit zu heilen
und Leben zu verlängern – ja, wir verdanken diesem
Wunsch unendlich viel Gutes –, die Bereitschaft tritt, das
Unausweichliche geschehen zu lassen und gut zu beglei-
ten .

Wir können Menschen durch Palliativmedizin und
Hospizversorgung nicht die Angst vor dem Sterben neh-
men . Aber unerträglicher Schmerz muss nicht sein . Ein-
samkeit in der letzten Lebensphase muss dank des un-
ermüdlichen Einsatzes von über 100 000 Menschen in
der Hospizbewegung nicht sein, für den wir sehr dankbar
sind .


(Beifall im ganzen Hause)


Was mich umtreibt, ist, dass viele Menschen nicht
wissen, welche Möglichkeiten heute die Palliativmedi-
zin, die Hospizversorgung bieten . Was mich und uns alle
noch mehr umtreiben muss, ist, dass das, was wir kön-
nen, noch längst nicht überall angeboten wird, dass wir
Menschen noch viel zu oft schuldig bleiben, was heute
möglich ist . Das sind die Leitgedanken dieses Gesetzes:
erstens bessere Information und Beratung und zweitens

ein umfassender Ausbau des heute Möglichen an Hilfe
und Begleitung .

Deswegen wird es zukünftig einen umfassenden Be-
ratungsanspruch der Patientinnen und Patienten geben .
Deswegen führen wir in der stationären Altenpflege eine
umfassende Versorgungsplanung für die Begleitung in
der letzten Lebensphase ein .

Wir wollen Menschen überall dort gut begleiten, wo
sie sterben: zu Hause, in Pflegeeinrichtungen, in Hospi-
zen und in Krankenhäusern . Erst jüngst hat eine Studie
der Bertelsmann-Stiftung darauf hingewiesen, dass sich
die allermeisten Menschen dies wünschen, nämlich in
den eigenen vier Wänden auch die letzten Lebenstage
verbringen zu können, und dass dies häufig nicht gelingt.

Die Studie zeigt aber auch, dass dies viel häufiger
dann gelingt, wenn vor Ort ein gutes Netz an aufeinander
abgestimmter Hilfe und Unterstützung existiert . Unser
Wille ist, dass es ein solches Netz überall in diesem Land
gibt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen werden wir mit einer Reihe von Maßnah-
men die Sterbebegleitung zu Hause verstärken und un-
terstützen . Dabei geht es um den Ausbau der allgemeinen
oder spezialisierten palliativmedizinischen Versorgung .
Dabei geht es um eine Stärkung der Palliativpflege in der
häuslichen Krankenpflege. Schließlich geht es darum,
die häuslichen Hospizdienste besser auszustatten, indem
es auch für die ehrenamtlich Tätigen eine Erstattung von
Sachkosten gibt . Denn es kann doch nicht wahr sein, dass
gerade in der Fläche ehrenamtlich Tätige, die diese her-
ausforderungsvolle Arbeit leisten, gleichsam noch selbst
für ihre Kosten aufkommen müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden die stationären Hospize bezüglich der
finanziellen Unterstützung besser ausstatten, auch mit
einer Mindestunterstützung . Das ist wichtig, um gerade
auch in Regionen, in denen bisher ein unzureichendes
Angebot existiert, dies auszubauen . Wir werden spezielle
Regelungen für die Arbeit in Kinderhospizen vorsehen .

In der Altenpflege habe ich schon die umfassende
Versorgungsplanung genannt, die wir als Leistung der
Krankenkassen einführen werden: zu einer umfassenden
Beratung, der Begleitung und der Unterstützung, der es
in der Altenpflege bedarf.

Wir werden die Altenpflegeeinrichtungen verpflich-
ten, mit Palliativnetzwerken und Palliativmedizinern
zusammenzuarbeiten . Es darf nicht sein, dass Schwerst-
kranke und Sterbende in den letzten Tagen aus Altenpfle-
geeinrichtungen in Krankenhäuser verlegt werden, weil
nur dort eine angemessene palliativmedizinische Versor-
gung möglich ist . Auch das werden wir beenden .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Wir werden die Arbeit in den Krankenhäusern, in der
Palliativmedizin verstärken, indem in Zukunft die Pallia-
tivstationen finanziell besser abgesichert werden. Aber –
das ist ein Ergebnis der intensiven parlamentarischen
Beratung, für das ich dankbar bin –: Wir werden auch
in den Krankenhäusern, in denen keine Palliativstationen
existieren, zu einer Verbesserung in der palliativmedizi-
nischen Arbeit kommen .

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieses Gesetz –
so will ich es bewusst sagen – ist eine Gemeinschafts-
leistung . Wir haben denen, die diese Arbeit in der Pal-
liativmedizin und in der Hospizbewegung leisten, zum
Beispiel im Forum „Palliativ- und Hospizversorgung in
Deutschland“, das seit einigen Jahren im Bundesgesund-
heitsministerium existiert und von meiner Staatssekre-
tärin Annette Widmann-Mauz geleitet wird, sehr genau
zugehört . Herzlichen Dank für diese Arbeit!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich danke für die Art der Beratungen und der Anhö-
rung, die wir durchgeführt haben, wie wir denen zugehört
haben, die uns aus ihrer Arbeit aus der Hospizbewegung,
in den häuslichen Hospizdiensten, in den stationären
Hospizen und in der Palliativmedizin berichtet haben .
In diesem Zuhören ist ein Geist der Gemeinsamkeit und
des Aufeinanderhörens entstanden, der auch dazu geführt
hat, dass wir – Union, SPD und Grüne – in der gestri-
gen Sitzung des Gesundheitsausschusses gemeinsam
Änderungsanträge eingebracht und damit auch deutlich
gemacht haben, dass uns dies ein wichtiges, ein gemein-
sames Anliegen ist .

Wir wollen, dass schwerstkranke Menschen überall in
diesem Land in ihrer Situation als Sterbende die pflege-
rische, medizinische, psychosoziale und seelsorgerische
Hilfe erfahren, die sie brauchen . Wir sind es ihnen schul-
dig .

Dass wir dies in dieser großen Gemeinsamkeit tun, ist
ein ganz starkes Zeichen . Dafür bin ich dankbar . Ich bitte
Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813300200

Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Wöllert für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Wöllert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813300300

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Zuhörerinnen und Zuhörer! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich denke, uns eint, dass mit dem Gesetz zur
Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in
Deutschland ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der
letzten Lebensphase gegangen wird . Ich möchte aber et-
was klarstellen . Morgen werden wir über die Sterbehilfe
diskutieren, und viele bringen den heute zu beratenden

Gesetzentwurf und diese Diskussion zusammen . Für
meine Fraktion leitet sich der vorliegende Gesetzentwurf
eher aus Artikel 1 des Grundgesetzes ab:

Die Würde des Menschen ist unantastbar . Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat-
lichen Gewalt .

Mit dem Gesetzentwurf wird ein Schritt auf dem Weg zur
weiteren Ausgestaltung dieses Grundrechts gegangen .

Professor Christoph Student, der Leiter des Deut-
schen Instituts für Palliative Care, hat die Kennzeichen
der Hospizarbeit beschrieben . Sie können das im Internet
nachlesen. Ich finde das sehr interessant, um zu verste-
hen, was Hospiz- und Palliativarbeit eigentlich ist .

Er benennt fünf Merkmale: Erstens . Der sterben-
de Mensch und seine Angehörigen stehen im Zentrum .
Zweitens . Der Gruppe der Betroffenen steht ein interdis-
ziplinäres Team zur Verfügung, das heißt professionelle
Kräfte . Drittens die Einbeziehung Freiwilliger, viertens
gute Kenntnisse in der Symptomkontrolle und fünftens
Kontinuität der Fürsorge, das heißt Fürsorge rund um die
Uhr .

Er definiert Sterben so:

… Sterben ist keine Krankheit, sondern eine kriti-
sche Lebensphase, die oftmals mit Krankheit ver-
bunden ist . Hieraus entstehen vielfältige Lebens-
bedürfnisse, denen nur durch ein Team begegnet
werden kann, das hierfür ausgerüstet

– das heißt ausgebildet –

ist .

Daraus leiten sich auch die Forderungen in unserem
Antrag, der Fraktion Die Linke, ab .

Eine Hauptforderung darin ist erstens ein Rechtsan-
spruch auf allgemeine Palliativversorgung für alle un-
abhängig von der Art der Erkrankung – Voraussetzung
für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung sind
bestimmte Erkrankungen –, von der Behinderung, vom
individuellen Lebensort – gemeint ist, wo man sein Le-
ben verbringt – und der Wohnform sowie der Versiche-
rungsform . Das ist übrigens auch eine Forderung des
Bundesrates . In seiner Stellungnahme heißt es: Leis-
tungserbringung und Versorgungsplanung müssen auf
Krankenhäuser und Einrichtungen der Behindertenhilfe
ausgedehnt werden . Die Einrichtungen der Behinderten-
hilfe sind aber leider nicht dabei . Tatsächlich sind aber
alle Wohnformen gemeint .

Zweitens: flächendeckender, barrierefreier Ausbau
von Hospizangeboten . Dazu zählt auch eine vollständi-
ge Finanzierung . Rechtsanspruch bedeutet, man ist nicht
auf Spendenmittel angewiesen . Die Sachkosten sollten in
Höhe von 25 Prozent berücksichtigt werden . Wir haben
zwar zugestimmt, dass der Zuschuss je Leistungseinheit
von 11 auf 13 Prozent erhöht wird . Aber das ist längst
nicht ausreichend . Eine eigenständige Rahmenvereinba-
rung für Kinderhospize ist als Maßnahme aufgenommen
worden; dafür sind wir sehr dankbar . Auch deswegen ha-
ben wir dem Änderungskatalog zugestimmt .

Bundesminister Hermann Gröhe






(A) (C)



(B) (D)


Drittens: Palliativversorgung und Sterbebegleitung in
Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen qualitativ ver-
bessern . Dazu gehören Qualitäts- und Personalbemes-
sung . Bei der Koordination aller Leistungsträger gibt es
gute Ansätze im Gesetzentwurf . Aber sie reichen nicht
aus. Sie müssen verpflichtend kontrollierbar sein.

Viertens: Entwicklung einer nationalen Palliativstrate-
gie mit allen Akteuren . Wenn man die Bertelsmann-Stu-
die gelesen hat, weiß man, wie dringend notwendig das
ist und wie viele weiße Flecken es in unserem Land gibt,
in denen überhaupt keine Palliativbetreuung vorhanden
ist . Ein weiterer Punkt ist die Regelung in einem Berufs-
gesetz . Es gibt nur neun Lehrstühle für Palliativmedizin
an den medizinischen Fakultäten. Für Palliativpflege gibt
es überhaupt keinen Lehrstuhl . Auch hier besteht also
Handlungsbedarf . Bei der angestrebten regelmäßigen
Berichterstattung gibt es Verbesserungen . So sieht der
geänderte Gesetzentwurf vor, dass der GKV-Spitzenver-
band evaluiert und alle drei Jahre einen Bericht vorlegt .
Auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung .

Fünftens: Es wird Zeit – davon ist hier leider nicht die
Rede –, dass das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt
unterschrieben und dem Bundestag zur Ratifizierung vor-
gelegt wird, um ein Individualbeschwerdeverfahren zu
ermöglichen, damit sich also jeder selbst bei Verletzung
sozialer Menschenrechte beschweren und alle rechtli-
chen Möglichkeiten ausschöpfen kann .

Weil das alles noch nicht in ausreichendem Umfang
enthalten ist und weil wir denken, die Opposition hat die
Aufgabe, mit dem Finger darauf hinzuweisen, was noch
unbedingt zu leisten ist, nämlich der Ausbau einer flä-
chendeckenden Versorgung, werden wir uns bei diesem
Gesetzentwurf enthalten .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813300400

Herr Lauterbach ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1813300500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte mich zuerst dem Dank von Minister Gröhe an-
schließen . Ich bin schon eine gewisse Zeit Mitglied des
Bundestages, und wir haben über viele Gesetze gemein-
sam beraten . Aber ich habe noch nie erlebt, dass ein Ge-
setzentwurf von allen – hier schließe ich die Opposition
ausdrücklich ein – so konstruktiv, sachorientiert und mit
gemeinsamem Willen vorbereitet wurde und heute hof-
fentlich auch verabschiedet wird . Das ist vorbildlich und
zeigt, dass wir alle am gleichen Strang ziehen . Wir sind
dabei, eine wichtige Verbesserung vorzunehmen . Ich
möchte mich für die Zusammenarbeit, die vielen Anre-
gungen und Diskussionen, in denen wir alle viel gelernt
haben, ganz herzlich bedanken .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt in der Palliativmedizin – vereinfacht gesagt –
vier Leistungsbereiche . Der erste Bereich sind die pal-
liativmedizinischen Leistungen in der Regelversorgung,
also bei Ärzten in der Klinik . Hier handelt es sich in der
Regel um schmerzstillende Leistungen und Leistungen,
die Symptome beseitigen . Der zweite Bereich ist die
palliativmedizinische Versorgung in Krankenhäusern,
die aber nicht eine eigentliche Palliativleistung, sondern
palliativmedizinische Pflege darstellt. Der dritte Bereich
sind die gleichen Leistungen in Pflegeeinrichtungen. Der
vierte Bereich ist die palliativmedizinische Versorgung
durch und in Hospizen oder ambulant durch spezialisier-
te Palliativteams .

Das sind die vier Leistungsbereiche . Dafür geben wir
insgesamt etwa 200 Millionen Euro pro Jahr aus . Das ist
weniger als ein Promille, also weniger als ein Tausends-
tel der Mittel, die in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung für alle Leistungen ausgegeben werden . Ungefähr
2 Prozent aller sterbenden Menschen werden im Rahmen
einer dieser Leistungen begleitet . Das steht im Verhält-
nis zu 10 Prozent der Menschen, die zum Schluss mit
Schmerzen sterben und die Symptome haben, die durch
diese Leistungen verhindert werden könnten . Nur jeder
Fünfte bekommt die Palliativmedizin, die er benötigt . Es
sterben 50 Prozent der Menschen unter dem Einsatz der
Gerätemedizin im Krankenhaus . Jeder Dritte stirbt im
Pflegeheim.

Das ist eine völlige Fehlverteilung unserer medizini-
schen Aufwendungen und Bemühungen am Lebensende
des Patienten . Dem wirken wir mit diesem sehr wich-
tigen Gesetz entgegen . Das kann aus meiner Sicht nur
ein wichtiger, weiterer Schritt im Aufbau der Palliativ-
medizin sein . Damit wird der Bedarf bei weitem nicht
gedeckt . Das gebe ich an dieser Stelle offen zu . Aber wir
müssen dieses System langsam aufbauen, eine bessere
Qualität erreichen und mehr Geld in die Hand nehmen .

Wenn man schaut, wie viel wir mehr ausgeben, dann
stellt man fest, dass die Mehrausgaben durch dieses Ge-
setz in den vier Bereichen, die ich eben beschrieben habe,
insgesamt um schätzungsweise 50 Prozent steigen . Das
ist eine konservative Schätzung . Das ist aber auf jeden
Fall der größte relative Leistungsanstieg in irgendeiner
Versorgungsform, den wir in dieser Legislaturperiode be-
schlossen haben und wahrscheinlich beschließen werden .
Auch dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Gesetz ist umfänglich, und es ist noch einmal ver-
bessert worden . Ich will auf ein paar Punkte hinweisen,
die mir besonders wichtig sind . Das ist eine subjektive
Wahl, aber ich bitte um Verständnis, dass ich das betone,
weil es Punkte sind, die verdeutlichen, worum es uns hier
geht .

Wir haben bei der Palliativmedizin zum Teil das Pro-
blem, dass viele Krankenhäuser im ländlichen Raum und
in schwach strukturierten Regionen gerne Palliativmedi-
zin anbieten würden, aber keine Palliativstationen auf-
bauen können . Das heißt, diese Krankenhäuser praktizie-
ren dann Gerätemedizin, die eigentliche Palliativmedizin
fällt weg . Deshalb bauen wir eine neue Struktur auf . Wir

Birgit Wöllert






(A) (C)



(B) (D)


erleichtern es diesen Flächenkrankenhäusern, palliativ-
medizinische Leistungen direkt anzubieten, ohne dass
sie dafür Palliativstationen aufbauen müssen . Das ist ein
wichtiger Schritt nach vorne .

Ein zweiter wichtiger Schritt nach vorne ist: Wir ha-
ben bisher eine gewisse Zurückhaltung in Pflegeeinrich-
tungen, in Pflegeheimen, aber auch in der ambulanten
Pflege, palliativmedizinische Leistungen zu kooptieren,
hinzuzunehmen. Dafür haben wir jetzt eine Pflicht vor-
gesehen. Die Einrichtungen sind verpflichtet, entspre-
chende Verträge zu machen, sie sind verpflichtet, auch
mit Ärzten zusammenzuarbeiten, die spezielle palliativ-
medizinische Leistungen gerade bei der Schmerzstillung
anbieten können . Somit wird gerade die Schmerz- und
Symptomversorgung in den Pflegeeinrichtungen, in de-
nen jeder dritte Mensch heutzutage stirbt, deutlich ver-
bessert . Auch das ist für mich etwas, was eine ganz be-
sonders große Bedeutung hat .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich komme zu einem weiteren Punkt . Die meisten
Menschen kennen sich mit der Palliativmedizin nicht aus .
Das gilt für Patienten, das gilt für Angehörige, und das
gilt auch für viele Ärzte . Hier schließe ich meine eigenen
Kolleginnen und Kollegen ein . Wir wissen es oft nicht .
So ist zum Beispiel sehr wenig bekannt, dass die Palli-
ativmedizin auch lebensverlängernd wirkt . Im Vergleich
zum Beispiel zu einer Chemotherapie bei einer fortge-
schrittenen Krebserkrankung, die bereits metastasiert
hat, bewirkt die Palliativmedizin oder auch die Hospiz-
versorgung eine Lebensverlängerung bei Verbesserung
der Lebensqualität zu einem Bruchteil der Kosten.

Die meisten würden glauben, dass es plausibel ist,
dass vielleicht die Symptome durch die Palliativmedi-
zin besser in den Griff zu bekommen sind, aber dass die
Lebensverlängerung durch die Behandlung mit der Che-
motherapie erreicht werden kann . Das ist nicht der Fall .
Die Lebensverlängerung wird durch die Palliativmedizin
und die Hospizversorgung erreicht . Ich sage es einmal
einfach: Diese Menschen haben mehr Nebenwirkungen
von der teuren Therapie, als sie Nutzen von der Therapie
selbst erwarten können . Die Palliativmedizin verbessert
die Symptome und verlängert das Leben . Das ist vielen
Angehörigen, vielen Patienten, die die Entscheidung
selbst treffen, und auch vielen Ärztinnen und Ärzten
nicht bekannt . Darüber klären wir auf . Auch das ist aus
meiner Sicht ein sehr wichtiger Schritt in dieser Gesetz-
gebung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich könnte das fortführen . Heute ist ein wichtiger Tag .
Ich darf mich erneut ganz herzlich für die konstruktive
Zusammenarbeit bedanken und bitte um Zustimmung .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813300600

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die

Kollegin Elisabeth Scharfenberg das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister Gröhe!
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Deutschland, das ist eines der reichsten Län-
der der Welt mit einem der teuersten Gesundheitssyste-
me . Trotzdem haben wir einen riesigen Nachholbedarf,
was die Versorgung von Sterbenden angeht . Zu dieser
Erkenntnis muss man kommen, wenn man auf die ak-
tuellen Ergebnisse des „Faktenchecks Gesundheit“ der
Bertelsmann-Stiftung schaut . Dort wird nämlich festge-
stellt, dass noch immer viel zu viele weiße Flecken auf
der Deutschlandkarte existieren . Dort gibt es tatsächlich
nichts – keinen ambulanten palliativen Dienst, keinen
ehrenamtlichen Hospizverein, keine Palliativmediziner,
kein Hospiz, kein Krankenhaus mit einer Palliativstati-
on –, worauf man in der Not zurückgreifen könnte . Die-
ses Nichts macht den Menschen Angst, auch wenn man
im Moment selbst davon gar nicht betroffen ist – und
Angst frisst bekanntlich Seelen auf .

Auch mich persönlich beunruhigt es, nicht zu wissen,
was es da draußen so alles gibt an Begleitung und an
Schmerzlinderung, nicht zu wissen, wen man ansprechen
kann . Obendrein hört man natürlich auch Geschichten
über leidvolles Sterben und meint, das müsse immer so
sein . Das macht ebenso Angst, und diese Angst ist anste-
ckend .

Selbst dort, wo das Sterben auf berufliche Expertinnen
und Experten – auf Ärzte, Pfleger, Therapeuten – trifft,
also in Krankenhäusern und Pflegeheimen, ist man nicht
ausreichend gewappnet . Selbst dort, wo jeden Tag ge-
storben wird, herrscht Überforderung . Deshalb ist dies
heute eine gute und eine sehr wichtige Debatte .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Das Hospiz- und Palliativgesetz ist ein Schritt auf dem
Weg zu einer guten Hospiz- und Palliativversorgung . Es
ist ein Schritt, den wir gehen müssen, und es ist wichtig,
diesen Schritt weiterzugehen . Wir legen jetzt erst einige
Meter zurück; aber einige Kilometer Wegstrecke liegen
noch vor uns .

Wir müssen aufmerksamer für die schwerkranken und
sterbenden Menschen in Pflegeheimen sein, noch auf-
merksamer, als es das Gesetz jetzt nahelegt . Wir können
es uns nicht so leicht machen und festlegen: Die Sterbe-
begleitung, die palliative Pflege müssen ganz selbstver-
ständlich geleistet werden, während wir bei den Ärzten
und bei den Krankenhäusern zur palliativen Pflege im-
mer noch ein Zusatzentgelt draufpacken . So ändern wir
nichts, und so wird sich in den Pflegeheimen keine palli-
ative Kultur entwickeln . So wird es am Lebensende nicht
zu weniger Krankenhauseinweisungen kommen .

Ich bin davon überzeugt: Wenn wir mehr in die Pfle-
geeinrichtungen, mehr in Personal und dessen Weiterbil-
dung, mehr in Unterstützung investieren würden, dann

Dr. Karl Lauterbach






(A) (C)



(B) (D)


würden viel weniger Menschen in Krankenhäusern ster-
ben .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn aus Überforderung wird in Heimen sehr oft gleich
der Notarzt gerufen, und der nimmt den Patienten dann
natürlich mit ins Krankenhaus. Dort findet der Sterbende
dann sein Ende, auch wenn er es sich ganz anders ge-
wünscht und vorgestellt hat . Das ist eine traurige Reali-
tät . Deshalb fordern wir – auch uns selbst – auf, an dem
Thema dranzubleiben, auch wenn die Diskussion um das
Lebensende nächstes Jahr nicht mehr die große mediale
Aufmerksamkeit wie jetzt gerade genießen wird .

Über alle politischen Vorbehalte hinweg sollten wir
uns bei diesem Thema verständigen können . Eine kon-
struktive Zusammenarbeit habe ich ja bereits bei der
Einbringung des Gesetzes angeboten . Diese Einladung
hat die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Wid-
mann-Mauz angenommen . Dafür möchte ich mich noch-
mals ganz herzlich bedanken .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Dadurch hatten wir die Möglichkeit, gemeinsam Verbes-
serungen zu erzielen .

Keine Frage: Wir Grüne hätten uns mehr gewünscht .
Aber wir sind auch der Auffassung, es ist besser, zu sa-
gen: „Wir haben etwas verbessern können“, als zu sagen:
Wir hätten etwas verbessern können .

Auf den letzten Metern bis zur Verabschiedung des
Hospiz- und Palliativgesetzes konnten wir so die Posi-
tion von Heimbewohnern beim Wechsel in ein Hospiz
stärken. Zukünftig ist der berechtigte Wunsch eines Pfle-
geheimbewohners zu berücksichtigen . Eigentlich sollte
das eine Selbstverständlichkeit sein .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Zudem haben wir uns dafür eingesetzt, dass ambulante
Hospizdienste mehr Geld erhalten . Damit können sie die
so wichtige Trauerbegleitung von Angehörigen leisten
und den Einsatz von Ehrenamtlichen stärken . Für Kran-
kenhäuser, die noch keine Palliativstation haben, wird es
künftig finanzielle Anreize geben, mit multiprofessionel-
len ambulanten Palliativdiensten zusammenzuarbeiten
und diese mit der Sterbebegleitung zu beauftragen .

Das sind Schritte in die richtige Richtung . Sie genü-
gen aber bei weitem noch nicht, und sie dürfen uns nicht
genügen angesichts der Verletzlichkeit des Einzelnen, die
sich gerade in den letzten Stunden des Lebens zeigt .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813300700

Das Wort erhält nun die Kollegin Emmi Zeulner für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])



Emmi Zeulner (CSU):
Rede ID: ID1813300800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Le-
sung das Hospiz- und Palliativgesetz . Woher kommt das?
Es ist ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag . Darin ha-
ben wir zu Anfang der Legislatur ganz klar fest veran-
kert: Wir möchten Hospize unterstützen, und wir möch-
ten die Palliativmedizin ausbauen .

Aber es ist mehr als das; es ist nicht nur ein Auftrag
aus dem Koalitionsvertrag . Es geht auch darum, den
Menschen in unserem Land ein Stück weit die Angst zu
nehmen: die Angst davor, dass sie in die Fänge der Ap-
paratemedizin geraten, aber auch die Angst davor, dass
sie am Lebensende leiden müssen, Schmerzen ertragen
müssen und unzureichend versorgt werden . Wir geben
somit mit diesem Gesetz eine Antwort auf das Bedürf-
nis der Menschen, am Lebensende selbstbestimmt zu
entscheiden, wo sie sterben möchten und wie sie sterben
möchten .

Deswegen gibt es für mich schon eine Verbindung zur
Debatte über die Suizidbeihilfe, die wir morgen führen;
denn nur dann, wenn wir flächendeckend Angebote für
die Menschen in unserem Land zur Verfügung stellen,
können sie auch selbstbestimmt entscheiden, wie sie das
Lebensende verbringen möchten, und haben die Mög-
lichkeit, die Hospiz- und Palliativversorgung zu nutzen .

Es gibt des Weiteren das Bedürfnis der Menschen, zu
Hause zu versterben . Fakt ist aber, dass jeder Zweite im
Krankenhaus verstirbt . Wir haben erkannt, dass es, wenn
eine funktionierende Palliativversorgung vorhanden ist,
weniger Einweisungen in Krankenhäuser gibt – das ist
durch Zahlen belegt – und dadurch dem Bedürfnis der
Menschen, zu Hause behandelt und versorgt zu werden,
entsprochen werden kann .

Wie sieht das Hospiz- und Palliativgesetz aus, das wir
jetzt verabschieden? Man kann sich das so vorstellen,
dass es drei Säulen gibt . In der ersten Säule geht es um
die Stärkung der bestehenden Strukturen, in der zweiten
Säule um die Ausweitung der Strukturen und in der drit-
ten Säule – das darf man nicht vergessen – um die Kon-
trolle .

Wir haben zukünftig die Möglichkeit, wenn sich die
Beteiligten mehr vernetzen und mehr Qualität anbieten,
über die AAPV, die allgemeine ambulante Palliativver-
sorgung – das sind unsere Hausärzte, aber auch die häus-
liche Krankenpflege –, ein Mehr an Vergütung zur Verfü-
gung zu stellen .

Wir stellen klar, dass bei der häuslichen Krankenpfle-
ge die Pflege am Lebensende mit dazugehört.

Weiterhin stärken wir die SAPV, die spezialisierte am-
bulante Palliativversorgung . Hierbei handelt es sich um
multiprofessionelle Teams, die nach Hause oder ins Pfle-

Elisabeth Scharfenberg






(A) (C)



(B) (D)


geheim kommen – das ist natürlich jetzt schon möglich –
und dort die Menschen in Notsituationen versorgen und
den Angehörigen helfen .

Wir führen zukünftig Schiedsstellen ein . Wenn sich
die Krankenkassen und die Pflegeteams nicht einigen
können, können diese dafür sorgen, dass es zu einer Ei-
nigung kommt . Wir möchten so auch die Flächenabde-
ckung sicherstellen .

Wir ermöglichen auch, dass Selektivverträge abge-
schlossen werden können . Die Befürchtung ist, dass da-
durch ein Verlust an Qualität eintritt . Das Gegenteil ist
der Fall . Wir haben ganz klar gesagt, dass wir keinen
Qualitätsverlust wollen, und in dem Änderungsantrag
geregelt, dass bei Selektivverträgen die gleichen Vorrich-
tungen vorgehalten werden müssen wie bei ganz norma-
len SAPV-Teams .

Weiterhin wollen wir die ambulanten Hospizdienste
stärken . Es sind vor allem Ehrenamtliche, die da aktiv
sind . Wir drehen an verschiedenen Schrauben, um eine
bessere finanzielle Ausstattung zu ermöglichen. Das ist
natürlich vor allem für den ländlichen Raum sehr wich-
tig, weil es, wie schon angesprochen wurde, im ländli-
chen Raum für die Ehrenamtlichen längere Wege gibt .
Es war uns ein Anliegen, auch diesen Bereich zu stärken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich möchten wir auch, dass durch diese finanziel-
le Besserstellung die Trauerbegleitung weiter ausgebaut
wird .

Auch bei den Erwachsenenhospizen nehmen wir eine
finanzielle Besserstellung vor. Wir wollen aber keine
Vollfinanzierung dieser Struktur. Weil diese Struktur aus
bürgerlichem, aus ehrenamtlichem Engagement gewach-
sen ist, nehmen wir davon Abstand .

Bei den Kinderhospizen war es uns ein Anliegen, dass
eigene Rahmenvereinbarungen abgeschlossen werden
müssen; denn Kinderhospize bringen gegenüber Erwach-
senenhospizen andere Voraussetzungen und Herausfor-
derungen mit sich. Kinder gehen dort häufig nicht nur
einmal hin, sondern kommen mehrere Male, und auch
die Eltern sind mit dabei und werden dort aufgenommen
und betreut .

Uns war es ein Anliegen, dass auch Palliativstationen
weiterhin als Besondere Einrichtungen gelten können,
wenn sie das wollen . Was heißt das? Wir möchten, dass
es anders als auf den ganz normalen Akutstationen auf
den Palliativstationen nicht darum geht, ein Mehr an An-
gebot für den Patienten bieten zu müssen, um gewisse
Gelder abrechnen zu können . Der Gedanke, der hinter
der Hospiz- und Palliativversorgung steht, ist ja ein ganz
anderer, nämlich dass es auch in Ordnung ist, wenn ein
Mensch in dieser Situation Therapien wie zum Beispiel
eine Musiktherapie ablehnt . Auch das war uns ein gro-
ßes Anliegen, dass das den Palliativstationen nicht zum
Nachteil gereicht .

Das alles gehörte zum Bereich „Stärkung der beste-
henden Strukturen“ . Außerdem wollen wir das Ganze na-

türlich auch auf die Bereiche ausweiten, die vorher viel-
leicht etwas zu wenig berücksichtigt wurden . Es geht da
ganz speziell um die palliativmedizinischen Dienste . Das
ist in dem Gesetzentwurf ganz vorbildlich geregelt . Wie
kann man sich das vorstellen? Man kann sich das vor-
stellen wie Konsiliardienste: Für den Fall, dass ein Pati-
ent auf einer Station in einem Krankenhaus ist, das, weil
es relativ klein ist, keine Palliativstation vorhält, haben
wir jetzt die Möglichkeit geschaffen, dass auch kleine-
re Krankenhäuser multiprofessionelle Dienste anbieten
können, indem dort ein Team aus Ärzten, ausgebildeten
Krankenschwestern und Pflegern zu den Menschen auf
die Stationen gehen kann . Somit wird überall dort, wo
schwerstkranke oder sterbende Patienten liegen, eine
Versorgung gewährleistet .

Wir haben auch ein Advance Care Planning einge-
führt, also ein vorausschauendes Planen: Wie möchte ich,
wenn ich im Pflegeheim bin, das Ende meines Lebens
verbringen? Da sollen eben alle Akteure mit einbezogen
werden . Es soll für den Patienten oder für den Bewohner
eines Pflegeheims keine Pflicht sein, sondern es ist eben
ein weiteres Angebot, das wir schaffen . Es ist eine neue
Struktur und etwas sehr Wertvolles .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen zukünftig auch regeln – das wurde schon
angesprochen –, ab welchem Zeitpunkt ein Patient aus
dem Pflegeheim in ein Hospiz gehen darf. Das ist wich-
tig, weil es Situationen gab, in denen der Patient nach
dem Krankenhausbesuch zwangsweise wieder ins Pfle-
geheim musste, aber vielleicht ein Hospiz besser gewe-
sen wäre . Auch das ist etwas ganz Wertvolles .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schön ist auch – unser Minister hat es angesprochen –,
dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung
ein eigenes Forschungsprogramm für den ganzen Be-
reich auflegt, weil wir da in gewisser Weise noch Defizite
haben, vor allem bei der Frage: Wie wirkt sich die Be-
gleitung Sterbender auf die Gesundheit der Angehörigen
aus? Ich erhoffe mir durch diese zusätzlich zur Verfügung
gestellten Mittel auch in diesem Bereich ein besseres
Vorankommen . Es hat mich ganz besonders gefreut, dass
unser Staatssekretär Stefan Müller auf der Palliativsta-
tion der Universitätsklinik Erlangen im vergangenen
Monat die Erklärung zur Unterstützung der „Charta zur
Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in
Deutschland“ unterschrieben hat . Dadurch bekennt sich
auch das Ministerium dazu, gerade in diesem Bereich im-
mer auf dem neuesten Stand der Forschung sein zu wol-
len . Das wissen wir sehr zu schätzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Neben die Stärkung und die Ausweitung tritt natürlich
zum Schluss die Kontrolle . Auch wir werden uns wei-
ter mit diesem Thema befassen und werden überprüfen,
ob die Maßnahmen, die wir jetzt ergriffen haben, aus-
reichend sind, und zwar durch Prüfaufträge, die wir an

Emmi Zeulner






(A) (C)



(B) (D)


die Krankenkassen gegeben haben . Diese sollen die ent-
sprechenden Daten liefern und auswerten . Uns ist es ein
Anliegen, dadurch eine einheitliche Datengrundlage zu
bekommen .

Insgesamt deckt dieses Gesetz wirklich alle Bereiche
ab, die man sich nur vorstellen kann . Deswegen gilt mein
Dank natürlich dem Gesundheitsminister und unserer
Staatssekretärin Frau Annette Widmann-Mauz, die ganz
vorbildlich auch die Berichterstatter mit eingebunden ha-
ben . Es war ein sehr gutes Miteinander .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss: Ich möchte den Ehrenamt-
lichen, den Pflegekräften, den Ärzten, den Seelsorgern,
den Psychologen, den Hospizkoordinatoren, den Vertre-
tern in der Hospizakademie und den Experten ganz herz-
lich für ihre Arbeit danken und ganz klar sagen: Sie müs-
sen wissen, dass die Politik den Wert Ihrer Arbeit erkennt
und sehr schätzt . Wir wissen auch, dass alle Menschen,
die in diesem Bereich tätig sind, diesen Beruf nicht ein-
fach so ausüben, sondern es für sie Berufung ist . Deswe-
gen ein herzliches „Vergelts Gott!“ für diese Arbeit, die
Sie tun .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813300900

Pia Zimmermann ist die nächste Rednerin für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813301000

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren auf

den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
bekannt, dass wir etwa 60 Hospizplätze pro 1 Million
Einwohner haben . Wir wissen auch, dass für gut 90 Pro-
zent derer, die aus dem Leben scheiden, palliativmedi-
zinische und hospizliche Maßnahmen infrage kommen .
Ebenso ist auch bekannt, dass Krankenhäuser und Pfle-
geheime zu über 70 Prozent den institutionellen Rahmen
bilden, in welchem das Sterben stattfindet.

Herr Gröhe, ich gehe einmal davon aus, dass wir uns
darüber einig sind, dass die Bedürfnisse und Betreu-
ungsansprüche von schwerstkranken und sterbenden
Menschen unabhängig vom Ort und von der Art der Un-
terbringung zu betrachten sind . Wenn Bedürfnisse und
Betreuungsansprüche identisch sind, bedeutet das natür-
lich auch, dass auch eine gleich gute Versorgung statt-
finden muss, unabhängig vom Aufenthaltsort. Vor die-
sem Hintergrund frage ich Sie, Herr Gröhe, wie es sein
kann, dass die Sozialkassen für einen Hospizplatz circa
6 500 Euro und für einen Pflegeheimplatz mit den glei-
chen Versorgungsleistungen nur ungefähr 2 000 Euro zur
Verfügung stellen . Das ist doch eine Ungleichbehand-
lung . Ich würde gerne wissen, wie Sie das den Menschen
außerhalb des Parlamentes erklären wollen .

Für uns ist nämlich klar: Sie ändern mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hospiz- und
Palliativversorgung an dieser Situation nichts . Die Leis-
tungen müssen identisch sein, meine Damen und Herren,
für alle Menschen in diesem Lande!


(Beifall bei der LINKEN)


Das wurde im Übrigen auch bei der Anhörung im Aus-
schuss von den Sachverständigen und den Verbänden
sehr deutlich formuliert . Sie aber nehmen das nicht ernst .
Das ist für uns sehr bedauerlich; denn die Fraktion Die
Linke bleibt bei der Auffassung: Es muss Schluss sein
mit der Zweiklassenbetreuung! Sterbende Bewohnerin-
nen und Bewohner in stationären Pflegeeinrichtungen
müssen in den gesetzlichen Leistungen Hospizbewoh-
nerinnen und Hospizbewohnern gleichgestellt werden .
Alles andere ist und bleibt ungerecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, kein Mensch sollte
Schmerzen haben, die verhindert werden können . Ich
glaube, diesen Satz würden wir alle in diesem Hause
unterschreiben . Da gibt es keinen Widerspruch . Umso
mehr verwundert es mich, dass Sie einen Gesetzentwurf
vorlegen, der eine strukturelle Ungleichbehandlung bei
der palliativmedizinischen Versorgungssituation von
Schmerzpatienten in Pflegeeinrichtungen gegenüber
hospizlich Betreuten nicht aufhebt . Alle Bewohnerinnen
und Bewohner einer stationären Pflegeeinrichtung zah-
len gemeinsam die Pflegeentgelte, und sie alle werden
durch die als Bestandteil der Pflegeleistungen finanzierte
Behandlungspflege höher belastet. Daran ändert auch Ihr
Hospiz- und Palliativgesetz nichts, obgleich dies nicht
nur vom Bundesrat in seiner Stellungnahme angemahnt
worden ist, sondern auch seit langem von vielen Sozial-
verbänden gefordert wird .

Werte Kolleginnen und Kollegen, nicht einmal für
stationäre Hospize befürworten Sie eine gesetzliche Ver-
pflichtung, Anhaltswerte für eine notwendige Personal-
ausstattung festzusetzen . Noch dringlicher ist dies für
Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen wie auch für
den ambulanten Bereich .

Wir alle wissen – das haben wir heute schon mehrfach
gehört –: Die meisten Menschen wollen zu Hause ster-
ben . Wenn wir eine regelhafte Sterbebegleitung haben
wollen, dann bedeutet das für die Pflegedienste sehr viel
mehr Arbeit und sehr viel mehr Dienstleistungen . Dafür
benötigen wir endlich einen anderen Personal- und Sach-
kostenschlüssel und endlich eine grundlegende Reform
der Pflegeversicherung,


(Beifall bei der LINKEN)


die nicht nur das Teilleistungsprinzip aufhebt, sondern
auch eine Angleichung der Finanzierung der Sterbebe-
gleitung in Pflegeheimen an das Niveau der Hospize ge-
währleistet .

Letztlich, meine Damen und Herren, versäumt Ihr
Gesetzentwurf leider auch, einen präzisen, in allen Ge-
setzbüchern gleich lautenden Rechtsanspruch auf eine
hochwertige Hospiz- und Palliativversorgung zu formu-
lieren . Dies müsste unabhängig von der Art der Erkran-

Emmi Zeulner






(A) (C)



(B) (D)


kung, von der Art der Behinderung, vom individuellen
Lebensort und von der Versicherungsform gewährleistet
werden . Ja, daran ändert auch nichts, dass Sie über die
Rahmenvereinbarung etwas mehr präzisieren wollen,
wann Wechsel aus stationären Pflegeeinrichtungen in ein
Hospiz möglich werden .

Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
es finden sich durchaus zahlreiche Verbesserungen in Ih-
rem Gesetz, aber grundlegende Ungerechtigkeiten und
Leerstellen bleiben bestehen . Ich sage Ihnen hier eines:
Auch nach der Verabschiedung dieses Gesetzes besteht
dringender Reformbedarf . Wir brauchen eine Hospiz-
und Palliativpflege, die die Würde des Menschen, unter
Beachtung seiner Selbstbestimmung am Lebensende, in
den Mittelpunkt stellt . Dafür werden wir weiter kämpfen .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813301100

Das Wort erhält nun die Kollegin Hilde Mattheis für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1813301200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist gut, dass wir heute über die Verabschiedung eines Ge-
setzes debattieren, das von einer so breiten Mehrheit im
Parlament getragen wird . Denn eines ist uns allen, wie
ich glaube, in der Debatte klar geworden: Dieses The-
ma taugt nicht zum politischen Schlagabtausch . Denn es
geht bei diesem Thema darum, dass wir diejenigen, die
am Lebensende unsere Hilfe brauchen, nicht alleinlas-
sen . Das ist ein politischer Ansatz, der, von einer breiten
Mehrheit getragen, unser politisches Handeln bestimmt
und sich jetzt in diesem Gesetzentwurf widerspiegelt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ja, wir alle haben eine Vorstellung davon, wie unser
Leben enden soll . Wir alle haben die Hoffnung, dass das
möglichst schmerzfrei und im Kreise unserer Lieben ge-
schieht . Nicht immer ist das möglich, ja; aber auch im
Krankenhaus werden ein würdevolles Lebensende und
ein gutes Sterben gewährleistet .

Ich möchte an dieser Stelle nun nicht darüber lamen-
tieren, dass es womöglich im Krankenhaus nicht die
bestmögliche Versorgung gibt, sondern unseren Ansatz
hervorheben: Mit diesem Gesetz ist es jetzt möglich,
multiprofessionelle Teams in kleinen Krankenhäusern,
aber auch Palliativstationen in größeren Krankenhäusern
zu unterstützen . Das ist wichtig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn egal wo man ist, man braucht am Lebensende
nicht nur medizinischen Beistand, sondern womöglich
auch seelsorgerischen Beistand, pflegerischen Beistand,

der über eine medizinische Versorgung hinausgeht, oder
sozialen Beistand . Und das gilt nicht nur für diejenigen,
die am Lebensende stehen, sondern womöglich auch für
die Angehörigen . Deshalb ist auch dieser Aspekt wichtig:
Multiprofessionelle Teams bedeuten, dass auch Angehö-
rige die Begleitung ohne Angst miterleben können, weil
sie Unterstützung erhalten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will an dieser Stelle einige Aspekte hervorheben:

Ja, wir haben in Deutschland eine breite Hospizbewe-
gung . Wir wollen sie unterstützen . Die vielen Frauen und
Männer, die sich in der Hospizbewegung engagieren –
die Zahl 80 000 steht da im Raum –, sind diejenigen, die
ihre Freizeit, ihren Lebensmut und ihre Lebenserfahrung
in die Begleitung einbringen . Sie zu unterstützen, die
Übernahme der Sachkosten auszuweiten und ihnen wei-
tere Mittel zum Beispiel für eine Trauerbegleitung zuzu-
sagen, ist ein wichtiges Anliegen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist auch wichtig, eine bessere Vernetzung all die-
ses ehrenamtlichen Engagements mit der professionellen
pflegerischen Unterstützung und medizinischen Versor-
gung hinzubekommen . Es geht uns also auch um die Ver-
netzung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


All die Modellvorhaben, die es da schon gibt, weisen uns
den Weg; diese wollen wir finanziell unterstützen.

Schließlich geht es auch darum, die finanzielle Unter-
stützung der stationären Hospize zu erhöhen – aber nicht
auf 100 Prozent der Kosten . Wer sich darüber wundert,
sollte mit Vertretern der Hospizbewegung sprechen .
Dann stellt man nämlich fest, wie wichtig es ist, dass sich
gesellschaftliches Engagement auch ein Stück weit über
Spenden zeigt, und dass wir, wie es mit einer hundertpro-
zentigen Finanzierung der Fall wäre, die Tür nicht öffnen
dürfen für eine geschäftsmäßige Hospizbewegung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bereich der Kinderhospize stellt eine besondere
Herausforderung dar . Wir alle wollen uns eine solche Si-
tuation im eigenen Leben gar nicht vorstellen; das ist so
schlimm, das ist nicht zu überbieten . Deswegen wollen
wir durch entsprechende Rahmenverträge dafür sorgen,
dass auch der besonderen Situation der Geschwister-
kinder und der Eltern Rechnung getragen wird . Das ist
wichtig . Klar ist nämlich: Wir als Politik müssen den
Herausforderungen in diesem Bereich der Hospizbewe-
gung und der palliativen Versorgung begegnen und zei-
gen, welches Menschenbild uns trägt . Uns sind folgende
Aspekte dabei besonders wichtig: die Wahrung der Men-
schenwürde bis zuletzt, die Begleitung bis zuletzt und

Pia Zimmermann






(A) (C)



(B) (D)


auch die Unterstützung der Angehörigen . All dem wollen
wir Rechnung tragen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich darf mich an dieser Stelle herzlich bei Ihnen dafür
bedanken, dass die Debatte sehr getragen war von dem
einheitlichen Willen und Bestreben, in diesem Bereich
durch politische Rahmenbedingungen da Hilfestellungen
zu geben, wo Menschen der Hilfe bedürfen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813301300


Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Harald Terpe
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813301400


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
leisten mit der Verabschiedung des Hospiz- und Palliativ-
gesetzes einen würdigen Beitrag zur Beantwortung der
uns alle in der Bevölkerung bewegenden Frage: Wie kön-
nen und wollen wir unser Leben am Lebensende erleben?
Unser Leben am Ende erleben, ohne erdrückende Angst,
frei von Schmerzen und ohne Einsamkeit, möglichst in-
mitten einer tragenden Familie, inmitten von helfenden
Freunden – das bestimmt die Wünsche der Menschen .
Auf die lebendige tragende Hilfe kommt es an .

Es berührt mich immer wieder, wenn ich erlebe, mit
welcher Empathie und welcher Kraft Ehrenamtliche in
den Hospizdiensten sehr erfahren helfen und zunehmend
dort einspringen, wo durch die sich wandelnde Gesell-
schaft die Familie zu klein geworden ist oder Freunde
fehlen . Ich denke, wir alle sind den Ehrenamtlichen zu
größtem Dank verpflichtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


In der Diskussion über den vorliegenden Gesetz-
entwurf konnte es deshalb nur heißen: Ehrenamt und
Hauptamt fördern . Ehrenamt – das ist für mich das Fa-
miliäre, das ist ein Grundwert der Gesellschaft an sich .

Als Abgeordneter erlebe ich die zweite tiefgreifende
gesetzliche Verbesserung der Hospiz- und Palliativver-
sorgung . Ich bin mir sicher, dass die Entwicklung wei-
tergeht und auch weitergehen muss, zum Beispiel, was
die Überwindung der uns allen bekannten regionalen Un-
terschiede in der Hospizversorgung angeht . Aber – das
muss auch gesagt werden – wir werden die Probleme, die
beispielsweise die Pflege betreffen, nicht im Rahmen der
Palliativ- und Hospizgesetzgebung lösen . Diese müssen

wir vielmehr im Rahmen der Pflegegesetzgebung lösen.
Das muss ganz deutlich gesagt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Durch die neuen gesetzlichen Regelungen zu den Kin-
derhospizen ist ein wichtiger Baustein gesetzt worden,
um die regionalen Unterschiede zu beseitigen . Das ist
mir ganz besonders wichtig . Aber auch die Fördermög-
lichkeit von professionellen Palliativteams in Regelkran-
kenhäusern – das ist schon mehrfach gesagt worden – ist
ein wichtiger Schritt zur flächendeckenden Versorgung.
Ich erhoffe mir davon einen Motivationsschub für die
in einigen Regionen notwendigen Investitionen in sta-
tionäre Hospize . Es war mir ein besonderes Anliegen,
dass auch Investitionen in stationäre Hospize irgendwie
organisiert werden . Ich glaube, das ist im Gesetzentwurf
angelegt; denn durch ihn könnte die regionale Gesund-
heitswirtschaft zu regionalen Förderprogrammen moti-
viert werden . Ich jedenfalls wünsche mir das und fordere
dazu auch ausdrücklich auf, weil wir damit eine flächen-
deckende Versorgung erreichen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die fraktionsübergreifende Arbeit am Hospiz- und
Palliativgesetz ist ein gutes Beispiel für eine ergebnisof-
fene Zusammenarbeit, für einen diskursiven Politikstil .
Ich wünsche mir, ohne einer Einheitspartei das Wort zu
reden, dass wir auch bei anderen Inhalten die Kraft dazu
finden können.


(Hilde Mattheis [SPD]: Ja, wir auch!)


Dies ist jedenfalls der Zeitpunkt, um sich für die vielen
Diskussionen zu bedanken . Insbesondere bedanke ich
mich bei Annette Widmann-Mauz, und natürlich ihren
Mitarbeitern, mit denen wir sehr konstruktiv zusammen-
arbeiten konnten .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt die Heiligsprechung!)


Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir ein gutes Gesetz
geschaffen haben und dass dies ein guter Zwischenschritt
auf dem Weg der Weiterentwicklung des Hospiz- und
Palliativsystems in unserem Land ist .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813301500

Hubert Hüppe ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1813301600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir werden morgen eine De-

Hilde Mattheis






(A) (C)



(B) (D)


batte über die Zulässigkeit oder das Verbot der Beihilfe
zur Selbsttötung führen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Was ein anderes Thema ist!)


Die Debatte darüber führen wir seit vielen Monaten . Egal
wie das morgen ausgeht, eines hat diese Debatte auf je-
den Fall bewirkt, nämlich dass wir uns vermehrt über
Palliativmedizin und Hospize Gedanken machen . Das
ist, denke ich, ganz wichtig .

Es ist zwar schon ein paarmal gesagt worden, trotz-
dem möchte auch ich es sagen: Hermann Gröhe hat, als
er das Amt übernommen hat, das tatsächlich sofort zur
Chefsache gemacht . Das fand ich richtig .


(Beifall des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich fand es auch sehr gut – Harald Terpe hat es gerade
gesagt –, dass alle Parteien mitgewirkt haben und alle
Parteien die Chance hatten, sich einzubringen, und man
nicht, wie es manchmal reflexartig geschieht, gesagt hat:
Jetzt kommt es von den anderen, jetzt lehnen wir das
ab . – Vielmehr hat man gefragt: Was ist gut? Was können
wir übernehmen? Was ist wichtig für die Menschen? Ich
finde, das ist sehr gut für dieses Parlament. So kann man
auch hier durchaus von einer Sternstunde sprechen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir verabschieden heute den Entwurf eines Hospiz-
und Palliativgesetzes . Ich glaube, dies ist auch ein wich-
tiger Beitrag zur Suizidprävention; über einen Antrag
dazu werden wir noch sprechen . Wir wollen, dass die
Menschen würdig sterben können . Wir wollen, dass Ster-
bende menschliche Zuwendung bekommen . Wir wollen,
dass jedem die beste pflegerische, medizinische und seel-
sorgerische Hilfe angeboten wird . Und wir wollen, dass
jeder Mensch die letzte Phase seines Lebens in der Um-
gebung verbringen kann, in der er wirklich sterben will .
Da viele zum Schluss mit ihren Angehörigen zusammen
sein wollen, wollen wir auch, dass den Angehörigen ge-
holfen wird, die sich um ihre Verwandten oder Partner
kümmern, sie pflegen und ihnen helfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist auch richtig, dass wir gestern im Gesundheits-
ausschuss noch einige Änderungen angenommen haben,
vor allen Dingen einige Änderungen, mit denen die am-
bulante Hilfe gestärkt wird . Da ging es nämlich um wich-
tige Punkte, die wir bis dahin noch nicht berücksichtigt
hatten . Wir haben zwar seit 20 Jahren eine Hospizbewe-
gung und eine verbesserte Palliativmedizin, aber es ist
offensichtlich noch längst nicht alles erreicht . Ich verste-
he auch, wenn man sagt, dass der Gesetzentwurf noch
nicht alles enthält .

Aber, ich denke, ganz wichtig ist auch: Wir haben ges-
tern im Zuge der Veränderungen an diesem Gesetz noch
einmal zahlreiche Berichtspflichten eingeführt. Ich bin
kein Freund von vielen Berichtspflichten; das gebe ich
zu . Aber gerade im Bereich der Palliativversorgung ha-

ben wir ja erlebt, dass wir manches beschlossen haben,
das dann von den Beteiligten nicht so umgesetzt worden
ist . Deswegen sagen wir: Ihr müsst uns noch einmal dar-
legen, ob ihr es wirklich so umgesetzt habt, ob die Qua-
lität besser geworden ist und – vor allen Dingen – ob es
für die Menschen besser geworden ist, die in ihren letzten
Stunden die Hilfe brauchen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


In der eben schon einmal zitierten Studie der Bertels-
mann-Stiftung wurde gezeigt, dass drei Viertel der Men-
schen zu Hause sterben möchten, aber nur 20 Prozent
der Menschen tatsächlich zu Hause sterben . Knapp die
Hälfte der Menschen verbringt ihre letzten Tage im Kran-
kenhaus, ein Drittel in Pflegeheimen.

Tatsache ist aber auch, dass das kein Zufall ist . Viel-
mehr hängt es von der entsprechenden Unterstützung in
der Region ab . Das kann man auch an den unterschiedli-
chen Zahlen sehen: Wo viele niedergelassene Ärzte eine
Zusatzqualifikation in der Palliativmedizin haben, da, wo
wir Netze haben, wo wir viele Ehrenamtliche haben, wo
die Versorgung ambulant unterstützt wird, verbringen
mehr Menschen ihre letzten Tage zu Hause . In Nord-
rhein-Westfalen sterben 49 Prozent in einem Kranken-
haus, in Baden-Württemberg nur 41 Prozent . Das hat da-
mit zu tun, dass dort die Versorgung besser ist . Ich habe
jetzt zwei Länder genannt, die eine ähnliche politische
Führung haben . Bei diesen Zahlen geht es aber nicht um
einen politischen Streit, sondern sie verdeutlichen die
Tatsache: Da, wo ambulant geholfen wird, können die
Menschen zu Hause sterben, also da, wo die meisten von
uns – übrigens auch ich – sterben möchten .

Dies setzen wir mit diesem Gesetz um . Wir geben den
ambulanten Hospizen mehr Geld . Wie viele von Ihnen
habe auch ich in meinem Wahlkreis in den letzten Mona-
ten mit Ehrenamtlichen gesprochen . Viele Hospizdienste
haben das Problem, dass sie die Finanzierung erst spät
bekommen und daher nicht wissen, ob sie am Ende des
Jahres noch Geld haben, um im nächsten Jahr weiterzu-
arbeiten . Jetzt haben wir gesagt: Sie bekommen das Geld
von der ersten Sterbebegleitung an . – Das ist ganz wich-
tig .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will es noch einmal sagen: Es sind die 80 000
Ehrenamtlichen in diesem Bereich in Deutschland, die
den Hospizgedanken tragen . Aber es sind nicht nur die
Ehrenamtlichen – ihnen wurden eben schon zu Recht ge-
dankt –, sondern auch ganz viele Angehörige, die sich
selber zum Teil aufgeben und helfen . Wenn es Helden im
Alltag gibt, dann sind es die Angehörigen, die bis zuletzt
dabei sind und helfen, wenn ihr Partner, wenn ihr Sohn,
wenn ihr Vater, wenn ihre Mutter stirbt . Wir müssen sie
so unterstützen, dass sie dazu in der Lage sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ Hubert Hüppe NEN sowie der Abg . Birgit Wöllert [DIE LINKE])





(A) (C)


(B) (D)


Wichtig ist auch, dass die Menschen wissen, wel-
che Hilfen es gibt . Ich habe in den vielen Diskussionen
gemerkt, dass das nicht der Fall ist . Wenn Sie in Ihrem
Wahlkreis bei einer Veranstaltung darüber sprechen,
dann weiß dort niemand – wenn nicht gerade Fachleute
dabei sind –, welche Möglichkeiten der Unterstützung es
gibt . Es ist nicht bekannt, was der Unterschied zwischen
einer Palliativstation im Krankenhaus und einem Hospiz
ist . Deswegen ist es wichtig, dass wir in diesem Gesetz
geschrieben haben, dass die Menschen wissen sollen,
welche Möglichkeiten es gibt . Wenn dann der Ernstfall
eintritt, muss sichergestellt werden, dass sie entspre-
chend beraten werden und dass sie die Hilfe auch so in
Anspruch nehmen können, dass sie ihren Bedürfnissen
gerecht wird . Das, denke ich, ist ein ganz wichtiger Punkt
bei diesem Gesetz .

Manchmal wird gefragt – es gibt ja ein paar Stellung-
nahmen dazu –: Warum zahlt ihr für die stationären Hos-
pize nicht alles? Warum zahlt ihr nur 95 Prozent? Vorher
waren es 90 Prozent; bei den Kinderhospizen waren es
schon länger 95 Prozent . Obwohl ich ein großer Freund
der Kinderhospize bin, finde ich es richtig, dass die Höhe
der Mittel für die Erwachsenenhospize angeglichen wor-
den ist . Kinderhospize sind ganz wichtig . Aber jeder
weiß, dass es für ein Erwachsenenhospiz schwieriger ist
als für ein Kinderhospiz, Spenden zu bekommen . Des-
wegen ist es wichtig, dass wir die Erwachsenenhospize
gleichgestellt haben . Es war ein Wunsch, zumindest der
meisten Ehrenamtlichen, das nicht voll zu finanzieren,
weil es eben kein Geschäft ist . Vielmehr wollen sie die-
sen Gedanken in die Bevölkerung tragen, dafür werben
und dafür auch Spenden einsammeln; auch das gehört
zum Engagement .

Ich komme zum Schluss . Ich hoffe, meine Damen und
Herren – ich hoffe das nicht nur, sondern ich weiß und
wünsche es auch –, dass dieses Gesetz dazu beiträgt, dass
die Menschen in der schwächsten Phase ihres Lebens die
Hilfe bekommen, die sie brauchen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813301700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribü-

ne hat die Präsidentin der Saeima der Republik Lett-
land, Frau Murniece, mit ihrer Delegation Platz genom-
men, die ich ganz herzlich hier im Deutschen Bundestag
begrüßen möchte .


(Beifall)


Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
begrüßen Sie sehr herzlich, und wir freuen uns über die
gute Zusammenarbeit, die es zwischen unseren Parla-
menten gibt und in deren Fortsetzung wir große Erwar-
tungen setzen . Herzlich willkommen!


(Beifall)


Nun hat die Kollegin Helga Kühn-Mengel für die
SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Helga Kühn-Mengel (SPD):
Rede ID: ID1813301800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Zuhörer und Zuhörerinnen! Ich entschuldi-
ge mich für den etwas eiligen Schritt, freue mich aber, zu
diesem Thema reden zu dürfen .

Dieses Gesetz stabilisiert die Strukturen, die wir in
Deutschland im hospizlichen und palliativen Bereich ha-
ben, entwickelt sie weiter und schafft wichtige neue Wei-
chenstellungen . Es baut auf Strukturen auf, die wir be-
reits seit Anfang 2000 geschaffen haben, beginnend mit
der verpflichtenden Finanzierung durch die Krankenkas-
sen in diesem Bereich bis hin zur Einführung der spezia-
lisierten ambulanten Palliativversorgung im Jahre 2007 .

Vieles hat sich seitdem entwickelt . Wir haben ein brei-
tes Angebot, nicht überall und nicht flächendeckend, aber
es ist ganz viel in der Entwicklung . Es gibt 1 500 ambu-
lante Dienste, 195 stationäre Hospize, 9 Kinderhospize,
250 Palliativstationen und vor allem – immer wieder ist
das heute gesagt worden – um die 100 000 Ehrenamtli-
che, die in diesem Bereich arbeiten, die nicht nur Zeit,
Erfahrung und Kompetenz einbringen, sondern auch
qualitätsgestützt weitergebildet werden; das ist ein ganz
wichtiger Punkt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Um es vorwegzusagen: Nicht jeder bedarf einer hos-
pizlichen oder einer Palliativversorgung . Aber diejeni-
gen, die dieser Versorgung bedürfen, müssen einen Zu-
gang dazu haben . Deswegen ist es gut, dass dieses Gesetz
mehr Möglichkeiten schafft . Die Betroffenen und die
Familien müssen die Angebote kennen . Wir wissen aus
verschiedenen Befragungen, dass dies bei weitem nicht
der Fall ist . Karl Lauterbach hat beschrieben, wie sehr
durch eine Palliativversorgung die Lebensqualität gestei-
gert werden kann . Es wird auch Zeit gewonnen für Be-
gegnungen und dafür, um Dinge zu regeln . Hinzu kommt
die Tatsache – ich habe das hier schon einmal gesagt –,
dass sich der Wunsch, zu sterben, unter dieser Behand-
lung hochsignifikant verringert.

Es gibt eine Befragung des Deutschen Hospiz- und
PalliativVerbandes zum Begriff „Hospiz“ . Der Begriff
war 89 Prozent der Befragten bekannt, die richtige Be-
deutung aber nur 66 Prozent . 49 Prozent der Befragten
hatten schon einmal von Palliativbehandlung gehört,
aber nur ein Drittel von ihnen kannte die Inhalte dieser
Versorgung . 78 Prozent wussten nicht, dass die hospiz-
liche Betreuung zu Hause kostenlos ist; auch das ist ein
wichtiger Punkt . Es gibt noch mehr interessante Ergeb-
nisse dieser Befragung .

Die Bertelsmann-Studie wurde bereits erwähnt . Das
Interessante an ihr ist, dass sie das große Gefälle zwi-
schen den Regionen aufzeigt . Man kann sehen: Dort, wo
es gute Palliativangebote gibt, verringert sich die Zahl

Hubert Hüppe






(A) (C)



(B) (D)


derjenigen, die für das Sterben in ein Krankenhaus ge-
hen, deutlich .

Wir haben uns mit all diesen Dingen beschäftigt . Es
wurde schon gesagt: Die Krankenkassen tragen zukünf-
tig 95 Prozent – eine Erhöhung von 90 auf 100 Prozent
wurde also nicht erreicht – der zuschussfähigen Kosten
der Hospizeinrichtungen . Wir wollen den ehrenamtli-
chen Ansatz, den es seit Cicely Saunders gibt, die diese
Bewegung in Gang gesetzt hat, unbedingt aufrechterhal-
ten . Diese Bewegung lebt davon .

Ganz wichtig ist, dass auch im ambulanten Bereich
die Zuschüsse für die unterschiedlichen Ansätze, die es
dort gibt, erhöht werden . Es gibt daneben regionale Be-
sonderheiten, zum Beispiel in den ländlichen Regionen,
wo mehr Fahrtkosten anfallen . Und auch die Trauerbe-
gleitung, die jetzt endlich besser finanziert werden kann,
ist erwähnt worden . Dies alles macht deutlich, dass wir
die Ehrenamtlichen im Blick haben, denen man gar nicht
oft genug danken kann .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt einen kleinen Punkt, an dem ich dem Kollegen
Hüppe widerspreche: Der Gesetzentwurf enthält in der
Tat viele Berichtspflichten. Ich halte sie aber für sinnvoll,
weil sie uns – sie sind an verschiedenen Stellen instal-
liert – ein Gesamtbild von der Versorgung geben können,
und das ist gerade auch mit Blick auf weiße Flecken sehr
wichtig .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD] – Sabine Weiss Das hat er auch gesagt!)


Ein weiteres Element – es ist nicht so spektakulär,
aber hochwichtig – ist die gesundheitliche Versorgungs-
planung . Die Heime und die Einrichtungen für Menschen
mit Behinderungen müssen hier mit den Ärzten zusam-
menkommen und sich Gedanken über die Versorgung
in der nächsten Zeit machen . Das ist aufgrund der not-
wendigen Kooperation, aber auch deswegen, weil diese
Leistungen aus dem SGB V bezahlt werden, ein ganz
wichtiger Punkt .

Wir sind froh – das war im ursprünglichen Gesetzent-
wurf nicht enthalten –, dass wir nun die multiprofessio-
nellen Teams in die Krankenhäuser bringen können . Ich
darf sagen: Das ist für die SPD ein ganz zentraler Punkt .
Daneben gibt es mehr Bewegung bei Verträgen mit nie-
dergelassenen Ärzten und Palliativmedizinern . Außer-
dem gibt es die Möglichkeit, Netzwerke zu schaffen . Das
alles sind Elemente, die Bewegung und Entwicklung in
diesen Bereich bringen werden .

Von daher kann man zusammenfassend sagen: Wir
sind nicht am Ende, aber wir haben mit diesem Gesetz-
entwurf ganz wichtige Bausteine zum Wohle derjenigen
definiert, die sich auf der letzten Wegstrecke des Lebens
befinden.

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813301900

Heiko Schmelzle ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Heiko Schmelzle (CDU):
Rede ID: ID1813302000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Der heute zur Abstimmung ste-
hende Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hospiz- und
Palliativversorgung in Deutschland ist das Ergebnis ei-
nes mehrjährigen Prozesses, also die gesetzgeberische
Zusammenfassung einer gesamtgesellschaftlichen Dis-
kussion über die Frage, wie wir in Deutschland mit der
letzten Phase des Lebens umgehen .

Der Gesetzentwurf basiert auf Erfahrungen vieler
Menschen . Er nimmt die Anregungen von Betroffenen,
von Angehörigen, aber eben auch von den am Versor-
gungsgeschehen Beteiligten und von Experten auf . Mein
Dank richtet sich an alle, die so konstruktiv an diesem
Prozess mitgewirkt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mein besonderer Dank gilt aber denjenigen, die tag-
täglich im Ehrenamt oder im Beruf ambulant oder statio-
när Menschen in der letzten Phase ihres Lebens begleiten .
Sie machen die verbleibenden Tage für die Betroffenen
und ihre Angehörigen wieder lebenswert . Dafür ein ganz
herzlicher Dank!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Praktiker haben über Jahre Strukturen aufgebaut . Die-
se Strukturen wollen wir mit unserem Gesetz erhalten
und stärken . Kooperation und Koordination zwischen
Ärzten, Pflegediensten, Pflegeheimen, Krankenhäusern
und Hospizen gilt es zu verbessern . Die Hospiz- und Pal-
liativversorgung ist von unten gewachsen . Hier geht es
darum, dieses aus ehrenamtlichem und beruflichem En-
gagement Gewachsene nicht zu gefährden . Heute geben
wir der Palliativ- und Hospizversorgung einen gesetzli-
chen Rahmen und machen sie zu einem Teil der Regel-
versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bertels-
mann-Stiftung hat dieser Tage Ergebnisse einer Studie
zur Betreuung sterbender Menschen vorgestellt . Das Er-
gebnis ist eindeutig: 6 Prozent können sich ein Sterben
im Krankenhaus vorstellen . Tatsächlich stirbt jedoch von
den Älteren in unserer Gesellschaft fast jeder Zweite im
Krankenhaus . Die Studie zieht daraus den Schluss, dass
die ambulante palliative Versorgung ausgebaut werden
muss, um dem Wunsch der Menschen entsprechen zu
können .

Helga Kühn-Mengel






(A) (C)



(B) (D)


Das zweite wichtige Ergebnis lautet: Dort, wo vie-
le niedergelassene Ärzte erreichbar sind, die auch über
die Zusatzqualifikation im Bereich der Palliativmedizin
verfügen, und wo ein gutes und breites Netz ambulanter
Palliativversorgung besteht, können wir den Menschen
ihren Wunsch nach einem Lebensende zu Hause ermög-
lichen . Die Bertelsmann-Stiftung folgert daraus, dass der
Grundsatz „ambulant vor stationär“ Voraussetzung dafür
ist, dass Menschen die letzte Phase ihres Lebens so weit
wie möglich im vertrauten Umfeld verbringen können .

Allerdings darf uns die Studie nicht dazu verleiten,
Hospize und Krankenhäuser geringzuschätzen . Im Ge-
genteil: Es geht vielmehr darum, alle Strukturen – egal,
ob ambulant oder stationär – zu stärken und besser mitei-
nander zu vernetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genau diesen Ansatz verfolgen wir mit dem Gesetz
zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung .
Wir wollen durch das Gesetz erreichen, dass wir in den
Krankenhäusern, den Pflegeheimen und den Hospizen,
aber auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege ein
flächendeckendes Angebot bekommen. Es darf auf Dauer
keinen Unterschied bei der Palliativ- und Hospizversor-
gung machen, in welcher Region ein Betroffener bzw . ob
er in der Stadt oder auf dem Land wohnt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist wichtig, das Sterben an den bisherigen Lebens-
mittelpunkt der Betroffenen zurückzuholen, wenn dies
ihr Wunsch ist . Denn nur, wenn Ängste genommen und
Schmerzen gelindert werden, sind ein Abschiednehmen
und ein Gehen in Würde möglich . Deshalb ist die ambu-
lante Begleitung so wichtig .

Bei ambulanten Hospizdiensten werden künftig neben
den Personalkosten auch die Sachkosten – zum Beispiel
Fahrtkosten der ehrenamtlichen Mitarbeiter – bezu-
schusst . Ziel ist es aber insbesondere, dass das Angebot
der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung flä-
chendeckend zur Verfügung steht .

Wir dürfen aber nicht übersehen, dass es vielen Be-
troffenen aufgrund ihrer Krankheitsumstände nicht mög-
lich ist, bis zum Lebensende zu Hause zu bleiben . Darum
sieht das Gesetz auch eine bessere finanzielle Ausstat-
tung von stationären Hospizen vor . Der Mittelzuschuss
der Krankenkassen für die Einrichtungen wird von 90
auf 95 Prozent der zuschussfähigen Kosten erhöht . Den
Hospizen war es wichtig, die restlichen 5 Prozent wei-
ter selbst – auch durch Spenden – zu erwirtschaften . Bei
einer Vollfinanzierung hätten sonst ehrenamtliche Struk-
turen und das bürgerschaftliche Engagement Schaden
genommen .

Daneben regeln wir auch die notwendige Besserstel-
lung von Krankenhäusern, die Palliativmedizin anbieten .
Künftig sollen diese Krankenhäuser zur Verbesserung
ihrer Palliativversorgung krankenhausindividuelle Ent-
gelte vereinbaren können, weil der normale Entgeltme-

chanismus Krankenhäuser eigentlich dafür belohnt, eine
Leistung häufig zu erbringen. Aber Mengensteuerung
passt gerade nicht zum Anliegen dieses Gesetzes .

Schließlich machen wir die Sterbebegleitung zum
ordentlichen Bestandteil des Versorgungsauftrages der
gesetzlichen Pflegeversicherung. Daneben sollen Pfle-
geheime künftig Kooperationsverträge mit Haus- und
Fachärzten schließen können, um eine qualitativ hoch-
wertige palliativmedizinische Versorgung ihrer Bewoh-
ner sicherzustellen, die durch eine zusätzliche Vergütung
auch abgesichert wird .

Insgesamt soll die Sterbebegleitung in Pflegeheimen
und Krankenhäusern durch die Einbeziehung ambulanter
Hospizdienste bzw . durch die Möglichkeit, für ihre Ein-
richtung Palliativdienste zu beauftragen, gestärkt wer-
den . Damit stärken wir den Qualitätsansatz und sorgen
für eine Professionalisierung der Sterbebegleitung durch
die Einbindung und Vernetzung besonders qualifizierter
Versorgungsangebote .

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das Hos-
pizwesen ebenso wie die Palliativdienste haben den zu-
vor vorrangig medizinischen Ansatz der Sterbebegleitung
durch menschliche und seelsorgerische Aspekte ergänzt .
Die Anerkennung unserer Endlichkeit und das Bemühen,
den Betroffenen und den Angehörigen für das Abschied-
nehmen Raum zu geben, ist ein wichtiger Schritt, um in
der letzten Phase des Lebens die Würde zu erhalten . Die
Begleitung durch speziell hierfür ausgebildete Menschen
ist ein Segen für die Betroffenen . Sie ermöglicht es den
Menschen, sich für das Leben zu entscheiden, auch wenn
diese letzte Phase für alle Beteiligten eine sehr schwere
ist .

Wenn meine Zeit gekommen ist, wünsche ich mich an
der Hand eines Menschen, der mich begleitet . Möge das
Gesetz so wirken, dass es mittelfristig flächendeckend in
ganz Deutschland eine gute Palliativ- und Hospizversor-
gung gibt .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813302100

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Bettina Müller für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bettina Müller (SPD):
Rede ID: ID1813302200

Herr Präsident! Herr Minister Gröhe! Liebe Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute ist ein guter Tag für einen Versorgungs-
bereich, der in unserer Gesellschaft und in unserem Ge-
sundheitswesen lange ein Schattendasein geführt hat . Ich
selbst habe als ehemalige Krankenschwester noch Zei-
ten erlebt, in denen Menschen zum Sterben auf die Flu-
re oder ins Badezimmer abgeschoben wurden . Gott sei
Dank hat sich hier vieles zum Besseren verändert .

Heiko Schmelzle






(A) (C)



(B) (D)


Trotzdem haben wir Nachholbedarf im ambulanten
und stationären Bereich, in strukturschwachen ländlichen
Regionen und bei der Versorgung von schwerkranken
Kindern und Jugendlichen . Es kann nicht sein, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, dass die Versorgungsqualität im
palliativen Bereich davon abhängt, wo man lebt . Deshalb
müssen die Strukturen vor allem in bisher unterversorg-
ten Gebieten ausgebaut werden . Deshalb brauchen wir
gute Beratungsangebote . Deshalb muss Hospiz- und Pal-
liativversorgung sowohl in der Medizin als auch in der
Pflege zum festen Bestandteil der Ausbildung werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Daher ist es gut, dass wir am Tage vor der Debatte
über die Sterbehilfe ein Gesetz verabschieden, das Ver-
besserungen in vielen der angesprochenen Bereiche auf
den Weg bringt .

Wir stärken zum einen die Versorgung im stationären
Bereich . Die meisten Menschen wünschen sich zwar,
zu Hause im Kreise der Familie sterben zu dürfen . Die
Realität sieht leider anders aus . Nahezu die Hälfte al-
ler Menschen stirbt in Kliniken . Davon haben aber nur
15 Prozent eine Palliativstation . Gerade für die kleineren
kommunalen Einrichtungen ist das Vorhalten einer Pal-
liativstation oftmals unrentabel und kaum zu stemmen .
Im HPG ist hier die Möglichkeit zur Kooperation die-
ser Häuser mit multiprofessionellen Teams vorgesehen .
Dadurch kann auch in kleinen Krankenhäusern auf dem
Land eine angemessene und qualitativ hochwertige palli-
ative Versorgung sichergestellt werden .

Wir stärken zum anderen die ambulante Palliativver-
sorgung sowie die Vernetzung der unterschiedlichen An-
gebote . Dabei darf die Sicherstellung einer breiten und
flächendeckenden Versorgung nicht zulasten der Qualität
gehen . Alle Bausteine des Versorgungsmixes, den wir
planen, stehen daher unter einem klaren Qualitätsvorbe-
halt . Dazu gehören auch die umstrittenen Selektivverträ-
ge . Sie stellen die palliative Versorgung auch da sicher,
wo dies über die SAPV-Verträge nicht oder noch nicht
möglich ist .

Ein gut funktionierendes Beispiel – das ist schon ange-
sprochen worden – ist hier das Modell in Westfalen-Lip-
pe . Hierzu gab es eine heftige und in manchen Aspek-
ten aus meiner Sicht auch nicht ganz nachvollziehbare
Fachdebatte, die sich um Fragen der Qualität, aber auch
um die Abgrenzung einzelner Akteure drehte . Ich meine,
der jetzt vorliegende Gesetzentwurf macht deutlich, dass
die Qualitätsanforderungen der SAPV auch dann gelten,
wenn diese mit einer AAPV gemeinsam vertraglich ver-
einbart wird . Damit verhindern wir eine Palliativversor-
gung light. Qualität, Zusatzqualifikationen und eine enge
Anbindung an ein SAPV-Team sind unabdingbare Vor-
aussetzungen für einen Einsatz in diesem Bereich .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die stärkere Einbindung der Hausärzte in die Palli-
ativversorgung bleibt für mich, liebe Kolleginnen und

Kollegen, unverzichtbar; denn sie haben oft über Jahre
hinweg einen intensiven, einen vertrauensvollen Kontakt
zu ihren Patienten . Durch die durchgängige Betreuung
kann dieser auch aufrechterhalten werden . Das ist sehr
wichtig; denn wir wollen mehr Menschen zu Hause ver-
sorgen, damit sie in ihrer vertrauten Umgebung sterben
können . Wir brauchen daher nicht nur ein Mehr an pal-
liativer Versorgung . Wir brauchen auch die Vielfalt von
Versorgungsformen und die Vernetzung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute gesetzliche
Rahmen sind eine Sache . Diese Rahmen auch vertrag-
lich mit Leben zu erfüllen, ist eine andere Sache . Die Be-
richte zur Umsetzung der SAPV haben gezeigt, dass das
Vertragsgeschehen zeitlich immer etwas hinterherhinkt .
Deshalb fordere ich alle Akteure der Selbstverwaltung
auf, die Vorgaben des HPG zügig, entschlossen und auch
mit der entsprechenden Kooperationsbereitschaft umzu-
setzen, damit wir endlich die weißen Flecken in diesem
Bereich in unserer Republik wegbekommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Als Berichterstatterin für die Gesundheitsberufe
möchte ich an dieser Stelle auch darauf verweisen – der
Kollege Terpe hat dies schon gesagt –, dass die Vorga-
ben des HPG natürlich nur mit genügend Fachpersonal
zu stemmen sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wir reden hier nicht von Berufseinsteigern, sondern von
langjährig erfahrenen Kräften, die über Weiterbildung an
diese schwere, an diese belastende Aufgabe herangeführt
werden . Hier müssen wir über das HPG hinaus in Be-
zug auf die Fort- und Weiterentwicklung noch dringend
nacharbeiten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Fachkräftesicherung in der Palliativversorgung
muss zudem Teil einer Gesamtstrategie für den zukünfti-
gen Personalbedarf in der Pflege sein; denn nur wenn wir
ausreichend qualifiziertes Pflegepersonal haben, können
wir daraus auch zukünftig Spezialisten für die Palliativ-
pflege rekrutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Insofern gilt der bekannte Grundsatz: Nach dem Ge-
setz ist auch immer vor dem Gesetz .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813302300

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbes-

Bettina Müller






(A) (C)



(B) (D)


serung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutsch-
land . Dazu liegen mir zwei Erklärungen zur Abstimmung
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir wie im-
mer dem Protokoll beifügen .1)

Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
18/6585, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksachen 18/5170 und 18/5868 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um
ihr Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? –


(Ulli Nissen [SPD]: Peinlich! Enthaltung ist peinlich! – Gegenruf der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist peinlich!)


Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit
breiter Mehrheit bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge-
setzentwurf mit den gleichen Mehrheiten angenommen .

Unter dem Tagesordnungspunkt 3 b setzen wir die
Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Aus-
schusses für Gesundheit auf Drucksache 18/6585 fort .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/5202 mit dem Titel
„Hochwertige Palliativ- und Hospizversorgung als sozi-
ales Menschenrecht sichern“ . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion der
Grünen angenommen .

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/4563 mit dem Titel „Gute Versorgung
am Lebensende sichern – Palliativ- und Hospizversor-
gung stärken“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den Ta-
gesordnungspunkt 4 aufrufe, möchte ich noch eine be-
sondere Gratulation adressieren . Der Kollege Volker
Beck ist vom Zentralrat der Juden mit dem renommierten
Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet worden, in Würdigung
seines langjährigen Einsatzes für die Anliegen der jüdi-
schen Gemeinde in Deutschland und für seinen Kampf
gegen Antisemitismus . Ich möchte ihm dazu im Namen
des Hauses ganz herzlich gratulieren .


(Beifall)


1) Anlage 2

Er wird hoffentlich damit einverstanden sein, wenn
ich darin auch eine Anerkennung seines und unseres par-
lamentarischen Wirkens in diesem Anliegen sehe, dem
er als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamen-
tariergruppe in einer besonderen Weise verpflichtet ist.
Herzlichen Glückwunsch, lieber Herr Beck!


(Beifall)


Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Wissenschaftszeitvertrags-
gesetzes

Drucksache 18/6489
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Auch diese Debatte soll nach einer interfraktionellen
Vereinbarung 77 Minuten dauern . – Das ist offenkundig
einvernehmlich . Dann können wir so verfahren, sobald
sich der Schichtwechsel einigermaßen vollzogen hat . Es
wäre schön, wenn diejenigen, die bleiben wollen, sich
auch setzten, und diejenigen, die gehen müssen, nun auch
tatsächlich gingen .


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Frau Johanna Wanka .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hat-
ten in den letzten zehn Jahren im Wissenschaftssystem
grundlegende Veränderungen, die dazu geführt haben,
dass die Karrierechancen und Entwicklungsmöglichkei-
ten für eine Vielzahl von jungen Forscherinnen und For-
schern gestärkt wurden . Die Milliarden, die neu in das
System geflossen sind, haben über die unterschiedlichs-
ten Pakte und Initiativen auch sehr viele Beschäftigungs-
verhältnisse erzeugt .

Wenn man sich fragt, wie der wissenschaftliche Nach-
wuchs in Deutschland jetzt aufgestellt ist, dann muss
man feststellen: Er ist exzellent ausgebildet, und er hat
auch beste berufliche Perspektiven. Denn nach der Pro-
motion tritt die Mehrheit in der Regel sofort in der Wirt-
schaft oder in der Wissenschaft in den Beruf ein, und sie
verdient im Vergleich mit anderen Kategorien überdurch-
schnittlich gut .

Aber man muss ehrlicherweise auch sagen, dass für
das Wissenschaftssystem selbst nicht gilt, dass sich die
Karrierechancen verbessert haben . Dort haben sich die
Chancen für junge Spitzenforscher nicht verbessert; sie
haben sich vielmehr verschlechtert, weil die Zahl der un-
befristeten Stellen nicht in dem Maße gewachsen ist wie
die Zahl der befristeten . Dort driftet die Schere also aus-

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


einander . Deswegen ist es ganz entschieden notwendig,
dass in diesem Bereich etwas geändert wird .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das heißt, wir benötigen eindeutig mehr unbefristete
Stellen im Hochschulbereich bzw . im Wissenschaftsbe-
reich .

Um diese unbefristeten Stellen zu schaffen, sind ver-
schiedene Maßnahmen notwendig . Eine Voraussetzung
haben wir vonseiten der Bundesregierung geschaffen:
Weil die BAföG-Mittel zu 100 Prozent vom Bund über-
nommen werden, fließen 1,2 Milliarden Euro jährlich
vom Bund in die Länder . Das bietet denen die Möglich-
keit – die Möglichkeit! –, dass man damit unbefristete
Stellen schafft,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


zum Beispiel für IT-Techniker oder Laboringenieure .
Denn das ist kein projektgebundenes Geld, sondern es
wird dauerhaft gezahlt . Damit kann man sofort, wenn
man es denn will, Dauerstellen einrichten . Ob das ge-
macht wird, liegt in der Hoheit und der Entscheidungs-
freiheit der Länder . Aber an dieser Stelle ist vonseiten des
Bundes gehandelt worden . Nun kann man hochrechnen,
wie viele Stellen möglich wären . Es könnten Tausende
sein . Aber es kommt darauf an, ob man es will und die
Mittel in diesem Bereich auch dafür einsetzt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein weiterer Punkt, bei dem es in die gleiche Richtung
geht, ist: Ich verhandele momentan mit den Landesmi-
nistern darüber, wie sich die Karrierechancen verbessern,
verlässlicher und planbarer machen lassen . Wenn man
sich die internationale Entwicklung anschaut, dann stellt
man fest, dass es unter wettbewerblichen Aspekten au-
ßerordentlich wichtig ist, dass junge Leute wissen, wie es
um die Karrierechancen in Deutschland bestellt ist . Viele
wollen aus den USA gerne zurückkommen . Deswegen ist
dieser Bereich von zentraler Bedeutung .

Bei meiner Zielstellung, verlässliche und planbare
Karrierechancen zu schaffen, möchte ich zwei Sachen
erreichen: zum einen durch das Mittel Tenure Track, dass
die Entscheidung früher fällt – natürlich nach Wettbe-
werbskriterien und mit hohen Anforderungen –, ob je-
mand dauerhaft eine Spitzenstellung im Wissenschafts-
system erhält, und zum anderen, dass mehr Dauerstellen
bzw . Professorenstellen vorhanden sind . Wenn uns das
gelingt, sind wir in der Lage, die besten jungen Leute in
diesem Land zu halten oder aus dem Ausland zu holen .
Wir signalisieren damit klar: Es gibt neben dem beste-
henden System eine weitere attraktive Karrieremöglich-
keit in Deutschland .

Selbst wenn das entsprechend gelingt, ist Fakt, dass
der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse im Wissen-
schaftssystem naturgemäß – wegen Qualifizierung und
Fluktuation – hoch sein muss . Das heißt, es muss viele
befristete Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftssystem
geben, egal ob sie nun in Sonderforschungsbereichen,
durch Exzellenzcluster oder durch Hochschulpakte reali-

siert werden . Weil es immer so war und weiterhin so sein
wird, dass wir befristete Stellen in einer nennenswerten
Größenordnung brauchen, ist das Arbeitsrecht im Wis-
senschaftssystem anders als das normale Arbeitsrecht .
Zwar sieht auch das normale Arbeitsrecht Befristungen
vor . Aber das Wissenschaftssystem braucht Sonderrege-
lungen, weil dort befristete Stellen originärer Bestand-
teil sind . Wie mir meine Kollegen gesagt haben, gibt es
seit 1987 Sonderregelungen für Befristungen im Wis-
senschaftsbereich. Trotzdem finde ich, dass die Wissen-
schaftszeitvertragsregelungen, die Anfang des Jahrtau-
sends verabschiedet wurden, sehr gut sind, weil sie die
sachgrundlose Befristung eingeführt haben . Das bedeu-
tete eine deutliche Veränderung und unterstrich die Son-
derstellung des Wissenschaftsbereichs . Dieser Bereich
bekommt für Befristungen ganz andere Regeln als die im
normalen Arbeitsrecht . Das ist sehr gut .

Nun stellt sich die Frage, warum wir das novellieren
wollen . Wir wollen das Gesetz novellieren, weil es Fehl-
entwicklungen gibt .


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das finde ich sehr gut!)


– Die Fehlentwicklungen?


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir finden es sehr gut, dass Sie das novellieren wollen!)


– Okay, Herr Rossmann, ich dachte zuerst, dass Sie die
Fehlentwicklungen meinen . Ich hatte es auch nicht ernst
gemeint .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein, überhaupt nicht! Wir unterstützen Sie!)


– Angekommen .

Momentan läuft es in die falsche Richtung . Es ist eine
eindeutige Fehlentwicklung, dass über 50 Prozent aller
jungen Wissenschaftler, die einen befristeten Vertrag ha-
ben, ihren ersten befristeten Vertrag mit einer Laufzeit
von unter einem Jahr abschließen . Dafür gibt es über-
haupt keine plausible Begründung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es läuft auch falsch, wenn die guten Leute, die wir zum
Beispiel in den technischen Fakultäten als Laboringeni-
eure für Forschungsprojekte und dauerhaft für die Lehre
und die Laborgestaltung brauchen, unbefristete Dauer-
aufgaben übernehmen, aber Verträge bekommen, die
über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz realisiert wer-
den . Dadurch entsteht für die Betreffenden große Unsi-
cherheit . Diese müssen sich von Vertrag zu Vertrag han-
geln, obwohl sie eine wichtige Daueraufgabe erfüllen .
Das sind zwei der Punkte, die uns dazu veranlasst haben,
das Gesetz zu novellieren .

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat also das Ziel,
die Arbeitsbedingungen für die befristet beschäftigten
Mitarbeiter gut zu gestalten . Es ist ein Arbeitsrechtsinst-
rument und eine gesetzliche Grundlage . Das heißt, dieses
Gesetz kann in juristischer Hinsicht Grundlage sein, um
zu regeln und anzuregen . Es kann aber nicht alle Proble-

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


me lösen, die ich gerade beschrieben habe . Da ich später
Redebeiträge erwarte, in denen erst einmal aufgelistet
wird, was im Hochschulsystem geändert werden müsste,
und der großen Enttäuschung Ausdruck verliehen wird,
dass das nun durch das novellierte Wissenschaftszeitver-
tragsgesetz nicht abschließend geregelt wird, sage ich:
Das kann es gar nicht leisten . Vielmehr handelt es sich
hier um einen wichtigen Baustein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann muss dieser Baustein aber gut sein!)


Wir haben zwei Interessenlagen . Da ist zum einen
die Interessenlage der jungen Leute, die natürlich ver-
nünftige Arbeitsbedingungen haben wollen, die keine
Kurzzeitverträge haben wollen und die in der Familien-
planungsphase Sicherheit über einen längeren Zeitraum
brauchen . Das ist völlig klar . Wir haben auf der anderen
Seite – das ist dem nicht entgegengesetzt, aber auch das
ist berechtigt – die Interessenlage der Hochschulleitung .
Die Hochschulen müssen sich im Wettbewerb behaupten;
das verlangen wir . Wir verlangen internationale Sichtbar-
keit. Dafür müssen sie flexibel und innovativ sein, und
sie müssen auf neue Entwicklungen reagieren können .
Das sind die zwei Interessenlagen .

Es galt bei der Gesetzesfindung, der Novelle, diese
beiden Interessenlagen auszutarieren und eine gute Lö-
sung zu finden, die beiden Seiten gerecht wird, also die
Hochschulen nicht unnötig stark einschränkt, zum ande-
ren aber die Arbeitsbedingungen für die befristet einge-
stellten Mitarbeiter wirklich verbessert . Wir haben mit
dem Gesetz, das Ihnen jetzt vorliegt und über das heute
in der ersten Lesung befunden wird, geregelt, dass die-
sen unnötigen und unerklärbaren Kurzzeitbefristungen
ein klarer Riegel vorgeschoben wird . Jetzt ist es nur noch
möglich, eine Befristungsdauer anzugeben, die sich an
der Qualifizierungsphase orientiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Manche Hochschulpräsidenten empören sich jetzt
darüber, dass diese Befristungen an Qualifizierungen
gebunden sind . Das war aber schon immer so; das war
die Intention. Das muss jetzt nur konsequent begründet
werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun gab es die Vorschläge in der Diskussion – auch
wir haben darüber gestritten bzw . diskutiert – zu Min-
destvertragslaufzeiten . Eine Mindestvertragslaufzeit
von 24 Monaten war einer der Vorschläge, die auch im
Bundesrat gemacht wurden . Das bedeutet eine Mindest-
laufzeit für den ersten Vertrag . Es besteht aber überhaupt
keine Sicherheit, ob es danach nicht genau wieder die-
se Kurzzeitverträge gibt, die wir mit unserem Vorschlag
unterbinden . Zum anderen gibt es eine Einschränkung,
sodass vielfältige Dinge überhaupt nicht mehr möglich
sind .

Wenn jemand seinen Bachelor erworben und einen or-
dentlichen Professor hat, der ein gutes Drittmittelprojekt

mit einer Firma hat, und sich dieser Student in diesem
Projekt qualifiziert und vielleicht sogar die Chance hat,
dort eingestellt zu werden, dann ist das eine Riesenchan-
ce, die man ihm nicht verbauen kann, indem man von
vornherein solche Fristen setzt . Deswegen haben wir in
unserem Gesetzentwurf die gute Bindung an die Quali-
fizierungszeit, also die Dauer der Projekte, Drittmittel-
projekte, Promotion etc ., aber nicht diese starre Vorgabe
von 24 Monaten . Das wäre für die Hochschulen eine Ka-
tastrophe .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den wissenschaftlichen Nachwuchs nicht!)


Es gab auch den Vorschlag, dass man bei der Erst-
qualifizierung die Befristung stufenmäßig realisiert und
dann erst die Befristung bei Drittmittelfinanzierung er-
laubt . Das Beispiel, das ich eben erwähnte, ist ein gängi-
ges Beispiel und zeigt, dass die Befristung bei Drittmit-
telfinanzierung zu jedem Zeitpunkt möglich sein muss.
Qualifizierung heißt nicht immer Promotion. Der Erwerb
von Kompetenzen in einer bestimmten Industrierichtung
mündet nicht immer formal in die Promotion, sondern es
gibt vielfältige Dinge, die für den Einzelnen eine Quali-
fizierung bedeuten.


(Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU])


Die zeitliche Befristung von Stellen für Daueraufga-
ben ist jetzt nicht mehr möglich . Für diese Daueraufga-
ben müssen von den Hochschulen entsprechende Dauer-
stellen finanziert werden. Trotzdem ist es möglich, dass
man, wenn man ein Forschungsprojekt hat, dort tem-
porär, befristet Spezialisten des nichtwissenschaftlichen
Personals einstellt . Diese Möglichkeit ist überhaupt nicht
eingeschränkt, dann aber mit einem ordentlichen Befris-
tungsgrund .

Wir unterhalten uns hier manchmal über die Nachteile
des Föderalismus, wobei ich eine vehemente Vertreterin
des Föderalismus bin . An der Stelle kommt die Mobi-
lität ins Spiel . Im Schulbereich macht der Wechsel von
einem Bundesland in ein anderes häufig Ärger. Im Wis-
senschaftsbereich ist Mobilität zwingend notwendig . Sie
müssen im akademischen Bereich irgendwo studieren, an
einem anderen Ort Assistent sein, promovieren oder was
auch immer . Deswegen muss die Mobilität gewährleistet
werden . Wir haben die Gewährleistung dieser Mobilität
als Kernbestandteil im Gesetz stehen, die für die gesamte
Bundesrepublik Deutschland gilt . Deswegen darf es kei-
ne Aufhebung der Tarifsperre geben . Es darf nicht sein,
dass die einzelnen Tarifpartner Sonderregelungen treffen
und wir wieder einen Flickenteppich bekommen .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aber im Schulbereich geht das? – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das führt zu Sonderregelungen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind doch lauter Kannregelungen!)


– Nein, in unserem Gesetz nicht . Sie müssen sich die No-
velle richtig anschauen . Zu Ihren Vorschlägen komme ich
noch . – Die Familienkomponente ist im Gesetz gestärkt
worden, es erfolgt eine Ausdehnung auf Stiefkinder und

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


Pflegekinder, auch für Menschen mit Behinderung wird
mehr getan .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aber mit strukturellem Defizit!)


Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen befürwortet Ver-
träge, wobei die Befristung an eine Betreuungsvereinba-
rung gebunden ist . Ich bin überhaupt nicht gegen Betreu-
ungsvereinbarungen in einer Promotionsphase .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich fürchte, Sie sagen jetzt „Aber“!)


Es gibt eine Reihe von Promoventen, die sich freuen wür-
den, wenn sie so etwas hätten . Aber es kann nicht richtig
sein, alles zu reglementieren und immer mehr zwingende
Voraussetzungen zu schaffen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Es muss in Deutschland weiter möglich sein, dass ein
kluger Student promoviert, ohne dass er krampfhaft eine
Betreuungsvereinbarung oder etwas Ähnliches vorweist .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber eine krampfhafte Argumentation!)


Daran darf eine Promotion nicht geknüpft sein .

Völlig unabhängig davon fällt es nicht in die Kom-
petenz des Bundes, eine solche Vereinbarung vorzu-
schreiben . Wenn überhaupt, dann unterliegt eine solche
Vorschrift sozusagen der wissenschaftlichen Ausprägung
durch die Hochschulen .

Vonseiten der Linken gibt es die Überlegung, Tenu-
re Track zwingend an die Befristung von Qualifizierung
zu binden . Das bedeutet de facto die Schaffung einer Art
Übernahmegarantie . Das kann natürlich nicht funktionie-
ren . Denn wir sind nicht nur für die verantwortlich, die
jetzt im System sind, für die, die jetzt einen Bachelor-
oder einen Masterabschluss machen oder promovieren,
sondern wir müssen auch der Generation danach Chancen
offenhalten . Deswegen kann dieses System nicht einfach
aufgefüllt werden . Außerdem ist es völlig widersinnig,
zu glauben, dass die Tausenden junger Leute, die sich in
den letzten Jahren qualifiziert haben, das Ziel einer Pro-
fessur haben. Diese jungen Menschen qualifizieren sich
für die unterschiedlichsten Tätigkeiten .

Insofern, glaube ich, ist es in diesem Gesetzentwurf
sehr gut gelungen, die unterschiedlichen Interessenlagen
auszutarieren . Ich würde mich freuen, wenn dieses Ge-
setz großen Anklang fände . Es verbessert die Situation,
und es erhöht die Attraktivität einer Karriere im Wissen-
schaftssystem . Das gilt gerade für die, von denen wir uns
das wünschen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813302400

Das Wort erhält nun die Kollegin Nicole Gohlke für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813302500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribü-
ne! Zu Beginn meiner Rede möchte ich mich gerne bei
den Gewerkschaften und den Beschäftigten in der Wis-
senschaft bedanken . Die Aktiven an den Hochschulen
und an den Wissenschaftseinrichtungen sowie bei GEW
und Verdi haben lange dafür Druck gemacht, dass das
Problem der schlechten Arbeitsbedingungen in der Wis-
senschaft überhaupt sichtbar gemacht wird und dass wir
heute endlich einen Gesetzentwurf zur Novellierung des
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes diskutieren . Vielen
Dank dafür!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Fast 800 000 Menschen arbeiten in Deutschland in der
Wissenschaft, und es ist schon krass, dass so schlechte
Arbeitsbedingungen in so einer großen Branche so lange
möglich sind . Noch einmal kurz die Zahlen: 90 Prozent
der Beschäftigten an Hochschulen sind befristet beschäf-
tigt . 50 Prozent der Verträge laufen bestenfalls ein Jahr,
viele deutlich kürzer . Junge Menschen, die auf einer dritt-
mittelfinanzierten Stelle arbeiten, laufen Gefahr, ihren
Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie ein Kind bekommen .
Da fragt man sich: Hat das die Große Koalition nicht mit-
bekommen, oder warum hat es so lange gedauert, bis Sie
zu diesem Thema einmal aktiv geworden sind?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


2011 – noch einmal zum Mitschreiben: 2011 – ist der
Evaluationsbericht der Bundesregierung zum Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz erschienen, mit eindeutigen Er-
gebnissen, wie viel Handlungsbedarf besteht, und dann
haben Sie vier Jahre gewartet, bis Sie auf die Ergebnisse
Ihrer eigenen Studie reagiert haben . Das ist wirklich un-
glaublich!


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zehn Jahre CDU/CSU-Regierung!)


(Peine) [SPD]: Wir nicht! – Kai Gehring


Jetzt haben Sie einen so unverbindlich formulierten
Vorschlag vorgelegt, dass der wohl kaum dazu führen
wird, wirkliche Mindeststandards für „gute Arbeit“ zu
setzen . Unverbindliche Formulierungen – das ist ja wohl
auch klar – kommen natürlich vor allem den Arbeitge-
bern zugute .

Die Arbeitgeber haben ordentlich Druck gemacht,
damit sich an den Zuständen im Wissenschaftsbereich
möglichst wenig ändert . Regelrechte Horrorszenarien
wurden an die Wand gemalt, als sich die Novellierung
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes abzeichnete . Wis-
senschaftliches Spitzenpersonal könne gar nicht mehr

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


angeworben werden, hieß es da, und der ganze Wissen-
schaftsstandort Deutschland sei in Gefahr . Dabei ist das
Gegenteil der Fall: Gute Arbeitsbedingungen, ein siche-
rer Arbeitsplatz und verlässliche Karrierewege sind Vor-
aussetzungen für gutes wissenschaftliches Arbeiten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Wenn Spitzenforschung nur mög-
lich sein soll, wenn die Mehrheit der Beschäftigten zu
schlechten Bedingungen arbeitet, dann pfeife ich auf die
Spitze, weil das ein Armutszeugnis für unsere Gesell-
schaft wäre .


(Beifall bei der LINKEN)


Unsichere Lebensverhältnisse und regelrecht ausbeuteri-
sche Arbeitsverhältnisse müssen beendet werden, und da
darf die Wissenschaft sicherlich keine Ausnahme bilden .

Ziel muss doch sein, dass die sozialversicherungs-
pflichtige Dauerstelle wieder zum Normalfall wird in der
Wissenschaft,


(Beifall bei der LINKEN)


und zwar für alle und rechtssicher . Gemessen an diesem
Ziel hat die Bundesregierung wirklich noch einiges nach-
zuarbeiten .

Gut ist, dass jetzt endlich der überfällige Schritt ge-
gangen wurde und das nichtwissenschaftliche Personal
aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herausgenommen
wurde . Der Missbrauch, der damit über Jahre hinweg be-
trieben wurde, war wirklich unfassbar .

Der Personalrat an der Technischen Uni in München
hat eine Erhebung über die Einstellungspraxis beim wis-
senschaftsunterstützenden Personal gemacht, also bei
den Menschen, die in Verwaltung, Technik und Biblio-
thek arbeiten . Sie hat ergeben, dass sage und schreibe
92 Prozent der Neueinstellungen nur einen befristeten
Vertrag bekommen haben . 92 Prozent! Das ist eine un-
fassbare Zahl und zeigt vor allem eines: dass die letzte
Große Koalition mit dem Wissenschaftszeitvertragsge-
setz von 2007 ein Instrument zur Sonderbefristung ge-
schaffen hat, um einfach alle, die Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler genauso wie die Hausmeisterei oder
die IT-Abteilung, nur noch prekär zu beschäftigen .


(Lachen des Abg . Tankred Schipanski [CDU/ CSU] – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Da kommen einem die Tränen!)


Das ist die Verantwortung von Union und SPD . Sie könn-
ten einfach einmal eingestehen, dass das wirklich ein
großer Fehler war .


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen ist es fahrlässig, wie viele Dinge die Große
Koalition jetzt weiterhin ungelöst lässt bzw . zum Nach-
teil der Beschäftigten belässt . Sie sagen zwar, dass Sie die
sachgrundlose Befristung zukünftig an die wissenschaft-
liche Qualifizierung, also zum Beispiel an eine Doktor-
arbeit, binden wollen . Aber es liegt doch auf der Hand,
dass es dafür vor allem einen Anspruch der Beschäftigten

auf Qualifizierung während der Arbeitszeit geben muss.
Warum regeln Sie das nicht eindeutig?


(Beifall bei der LINKEN)


Nach wie vor sollen Eltern, die auf einer Drittmittelstel-
le arbeiten, keinen Rechtsanspruch auf Vertragsverlänge-
rung nach der Elternzeit haben . Aber bei der Gewährung
von Familienzeiten muss doch Gleichbehandlung gelten;
das muss doch jeder und jedem gleichermaßen möglich
sein . Wie können Sie so eine Ungleichbehandlung und
eine Regelung stehen lassen, die am Ende wirklich jede
Lebensplanung von jungen Menschen zunichtemacht?

Weiterhin halten Sie an der Tarifsperre fest, daran,
dass es in der Wissenschaft den Gewerkschaften unter-
sagt ist, eigene tarifvertragliche Regelungen mit den Ar-
beitgebern auszuhandeln .

Kolleginnen und Kollegen, zwei Dinge sind doch ei-
gentlich klar:

Erstens . Der vorliegende Gesetzentwurf muss drin-
gend überarbeitet werden . Das fordert die Linke, das
fordern die Gewerkschaften, und das fordert auch der
Bundesrat .

Zweitens . Es bleibt zu fragen, warum es für den
Wissenschaftsbereich überhaupt ein Sonderarbeitsrecht
braucht .


(Beifall bei der LINKEN)


Spezifika im Wissenschaftsbetrieb wie die Qualifizierung
oder die projektbezogene Arbeit dürfen doch bitte sehr
nicht zur Umgehung von arbeitsrechtlichen Mindeststan-
dards führen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke ist gegen jede sachgrundlose Befristung
und gegen Kettenbefristung – in der Wissenschaft ganz
genauso wie in jeder anderen Branche, und ein Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz macht nur dann Sinn, wenn es
Mindeststandards für gute Arbeit definiert. Das muss die-
ses Gesetz leisten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813302600

Das Wort erhält der Kollege Hubertus Heil für die

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1813302700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die Art und Weise, wie wir mit dem wissenschaft-
lichen Nachwuchs in unserem Land heute umgehen,
entscheidet maßgeblich über die Frage, ob Deutschland
auch zukünftig ein modernes und innovatives Land ist .
An dieser Stelle gilt bezogen auf den Gesetzentwurf und
das, was wir für den wissenschaftlichen Nachwuchs jetzt
tatsächlich auf den Weg bringen, der Satz: Wer morgen
gut und sicher leben will, der muss heute für Reformen

Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


sorgen . – Es ist eine gute Investition in die Zukunft, dass
wir uns heute tatsächlich um bessere Karriere- und Le-
bensperspektiven von jungen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern kümmern .

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:
Auch für uns als Sozialdemokraten gilt: Wissenschaft,
das heißt auch immer Konkurrenz und Wettbewerb von
Ideen, von Ansätzen, auch von Personen . Auch darauf
basiert wissenschaftlicher Fortschritt . Das heißt ganz
klar: Nicht jeder und nicht jede wird im Wissenschafts-
system erfolgreich sein, und es ist auch gar nicht das Ziel,
dass jede junge Forscherin, jeder junge Forscher im Wis-
senschaftssystem selbst verbleibt . Es werden auch viele
in der Wirtschaft gebraucht, in der Gesellschaft, in der
öffentlichen Verwaltung, an anderen Stellen . Aber ganz
klar ist auch: Die Bedingungen sind heute so, dass uns
viele gute junge Leute, die wir zukünftig im Wissen-
schaftssystem, in der außeruniversitären Forschung und
an den Hochschulen brauchen, zu früh verloren gehen,
und das ist ein Grund für dieses Gesetz, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie ist die Ausgangslage? Ich glaube, über die Befun-
de gibt es große Übereinstimmung im Haus . Wenn ich an
die Rede der Ministerin und meiner Vorrednerin denke,
die politisch von unterschiedlichen Ecken der Erde kom-
men, muss ich sagen: Es gibt zumindest in der Betrach-
tung der Wirklichkeit Gemeinsamkeiten .

Die Ausgangslage ist ganz klar: Wir haben zum einen
ein Riesenwachstum im Bereich der wissenschaftlichen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Folge – Frau
Ministerin Wanka hat es gesagt –, dass der Aufwuchs
an unbefristeten Stellen in diesem Bereich damit nicht
Schritt gehalten hat . Eine Zahl ist in diesem Zusammen-
hang übereinstimmend festzustellen: 90 Prozent aller
Verträge sind befristet .

Zweitens – auch das ist eine Ursache für die jetzige
Situation – sind die Personalstrukturen an unseren Hoch-
schulen so, dass in vielerlei Hinsicht das Prinzip „Profes-
sur oder nichts“ gilt . Das gilt in vielen anderen Ländern
auf der Welt nicht . Auch das ist eine Ursache für diese
Entwicklung .

Drittens gilt immer noch, dass wir in diesem Land
nicht nur eine Befristungsquote von 90 Prozent unter den
wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
haben, sondern dass auch die Berufung auf eine Profes-
sur viel zu spät erfolgt . Übrigens sind Promovenden im
Alter von 35 bis 45 Jahren doppelt so häufig von Befris-
tung betroffen wie ihre nicht promovierten Altersgenos-
sinnen und -genossen . Das ist kein guter Befund .

Diese Entwicklung ist merkwürdigerweise auch der
Fluch der guten Taten . Wir haben in den letzten Jahren
viel Gutes zur Expansion unseres Wissenschaftssystems
getan: durch die Pakte, durch die Exzellenzinitiative,
durch den Qualitätspakt Lehre, durch den Hochschul-
pakt 2020, durch den Pakt für Forschung und Innovati-
on . Das heißt, wir haben viel getan, aber es ist – das ist
im Bericht zu lesen – ein Flaschenhals im Bereich des

wissenschaftlichen Nachwuchses entstanden . Das ist in
zweierlei Hinsicht ein Problem: Es ist ein Problem der
Gerechtigkeit gegenüber den Menschen, die im Wissen-
schaftssystem leben, lernen, arbeiten und forschen, und
ihren sozialen Lebensperspektiven, und es ist ein öko-
nomisches und qualitatives Problem, wenn wir die Po-
tenziale derer, die wir in diesem Land gut ausgebildet
haben, im Wissenschaftssystem und vor allen Dingen im
Herzstück unseres Wissenschaftssystems, an den Hoch-
schulen in Deutschland, nicht vernünftig zur Entfaltung
bringen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber die von Frau Gohlke und von Frau Wanka an-
gesprochene Tatsache, dass von den 90 Prozent der be-
fristeten Arbeitsverträge mehr als die Hälfte, also jeder
zweite Arbeitsvertrag, eine Laufzeit unterhalb eines
Jahres hat, hat nicht nur mit Fehlentwicklungen zu tun,
sondern auch mit dem Missbrauch des Befristungsrechts .
Mit dieser Novelle steuern wir gegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir also die gleichen Befunde haben, geht es
jetzt um die Frage: Mit welchen Maßnahmen steuern wir
gegen? Meine Kollegin Raatz wird noch im Detail auf
den Gesetzentwurf eingehen. Ich finde, dieser Kompro-
miss ist mit Augenmaß gefunden worden . Es war keine
einfache Diskussion, auch in der Koalition . Die SPD war
ja die Kraft, die dafür gesorgt hat, dass dieses Projekt
der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in
den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde . Wir haben
intensive Gespräche geführt . Wir haben, Frau Ministerin,
glaube ich, gemeinsam einen guten Gesetzentwurf auf
den Weg gebracht .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Da gibt es immer zwei Partner zu einem Koalitionsvertrag!)


– Vorsicht . Nicht so nervös werden, Herr Rupprecht . Es
ist noch früh am Morgen .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ich war bei den Verhandlungen dabei und weiß, wie es gelaufen ist!)


– Ich sage ja: Wir haben gemeinsam einen guten Gesetz-
entwurf auf den Weg gebracht . Aber Sie sehen an der
Freude der Sozialdemokratie, dass wir gar nicht so un-
glücklich sind über das, was wir aufgrund unserer Initia-
tiven gemeinsam erreicht haben .

Was den wissenschaftlichen Nachwuchs betrifft, ma-
chen wir damit einen notwendigen, aber keinen hinrei-
chenden Schritt . Denn Tatsache ist: Wir können dem
Missbrauch durch diese Novelle des Arbeitsrechts ent-
gegenwirken, aber wir schaffen damit noch keine neuen
Stellen . Deshalb ist es richtig gewesen, dass die Koali-
tionsspitzen auf ihrer Klausurtagung in Göttingen, Herr
Kollege Kretschmer, vereinbart haben, dass auch wir
als Bund neben dem, was wir an BAföG-Entlastungen
für die Länder, die damit eigenständig etwas tun können

Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


und sollen, auf den Weg gebracht haben, mehr für den
wissenschaftlichen Nachwuchs tun wollen . Auch wir als
Bund wollen in den nächsten Jahren Geld in die Hand
nehmen, um die Situation in diesem Bereich zu verbes-
sern . Wir haben diesen Flaschenhals aufzubohren .


(Beifall bei der SPD)


Das geht nur, wenn wir zu einem Pakt für wissen-
schaftlichen Nachwuchs zwischen Bund und Ländern
kommen . Mit dieser fraktionsübergreifenden Initiative
zwischen CDU/CSU- und SPD-Bundestagsfraktion ha-
ben wir die vorhin beschriebenen Gespräche, die jetzt
zwischen Ländern und Bund stattfinden, initiiert. Ich
möchte sagen, was unser Wunsch und unser Ziel für die
Gespräche ist: Es ist notwendig, dass wir in diesem Be-
reich ein Bund-Länder-Programm auf den Weg bringen,
das tatsächlich neue Karrierewege mit neuen Personal-
kategorien neben, aber auch unterhalb der Professur er-
möglicht, und sich so ein moderner Mittelbau entwickelt .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Was sehr wichtig ist!)


Zwölf Länder, die SPD-Bundestagsfraktion und auch die
Allianz der Wissenschaftsorganisationen sagen eindeu-
tig: Ja, wir brauchen diesen Anreiz für einen modernen
Mittelbau, auch für Daueraufgaben . Wenn wir keine Ver-
änderung bei den Personalstrukturen erreichen und keine
neuen Karrierewege eröffnen, bleiben wir auf halbem
Wege stehen .

Es ist ohne Zweifel so – das ist die Position von zwölf
Bundesländern, es ist unsere Position als SPD-Bundes-
tagsfraktion, und es ist auch die Position der Wissen-
schaftsallianz –, dass dieser Pakt drei Dimensionen an-
sprechen muss .

Erstens – hier gibt es einen großen Konsens – stehen
wir dazu, ein Tenure-Track-Programm für Hochschul-
lehrer auf den Weg zu bringen und zusätzliche Tenu-
re-Track-Optionen zu schaffen, um die Planbarkeit zu
erhöhen .

Zweitens – auch das gehört dazu – brauchen wir ein
Anreizprogramm für neue strukturelle Karrierewege ne-
ben und unterhalb der Professur, um neue Personalstruk-
turen zu entwickeln .

Last, but not least brauchen wir die Förderung von
Karrierekonzepten zur verlässlichen und modernen Per-
sonalentwicklung an den Hochschulen .

Das, meine Damen und Herren, sind drei gleichrangi-
ge Elemente, die wir brauchen, wenn, Frau Ministerin,
ein Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs diesen Na-
men verdienen soll .


(Beifall bei der SPD)


Uns ist dabei vollkommen klar, dass auch unsere fi-
nanziellen Mittel endlich sind . In der Koalition haben wir
beschlossen, dass wir in den nächsten zehn Jahren dafür
1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen wollen . Ich sage
in Richtung Länder, dass wir erstens erwarten, dass es
auch einen eigenständigen Finanzierungsbeitrag der Län-
der für ein solches Bund-Länder-Programm geben wird .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zweitens – auch das sage ich an die Adresse der Länder –
erwarten wir, dass es zusätzliche Stellen werden und dass
dafür nichts anderes wegfallen wird .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Drittens müssen wir dafür sorgen, dass die Mittel für den
Pakt möglichst breit verteilt in die Hochschulen gehen,
über Länderkontingente, beispielsweise nach erfolgrei-
chem Modell des „Qualitätspakts Lehre“ . Diese Ansprü-
che stellen wir an die Länder . Aber – da beißt die Maus
keinen Faden ab –: Wenn wir ein reines kleines Tenu-
re-Track-Programm machen, dann löst das die Probleme
nicht .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist kein kleines, das ist ein großes!)


Wir müssen zusätzlich zum Tenure-Track-Programm
für Personalentwicklungskonzepte sorgen . Wir müssen
Anreize schaffen, dass es neben der Professur – sie ist
Fixierungspunkt – andere strukturelle Karrierewege im
Wissenschaftsbetrieb gibt . Dann schaffen wir einen gu-
ten Pakt .


(Beifall bei der SPD)


Zum Schluss, meine Damen und Herren: Beide Bau-
steine – die Reform des Wissenschaftszeitvertragsge-
setzes, die wir heute in erster Lesung mit einem guten
Gesetzentwurf beraten und zu einem guten Gesetz ma-
chen wollen, und ein Pakt für wissenschaftlichen Nach-
wuchs – haben das Ziel, die Attraktivität im Wissen-
schaftsbereich als Berufsfeld zu steigern, dafür zu sorgen,
dass Menschen, die einen steinigen und fordernden Weg
vor sich haben, ihn persönlich gut gehen können . Wir
sichern damit die Innovationsfähigkeit in Wissenschaft
und Forschung . Wir sorgen für Fachkräftesicherung im
Wissenschaftssystem . Wir sorgen für ein Mindestmaß an
Beschäftigungssicherheit . Das, meine Damen und Her-
ren, wollen wir umsetzen .

Die Hauptkritik der Linken lautete: Spät . Sie hätten
aber auch sagen können: Besser spät als nie . Das wäre
fair . – Wie auch immer: Wir gehen voran . Ich glaube, das
ist ein guter Tag für den wissenschaftlichen Nachwuchs
in diesem Land .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813302800

Vielen Dank . – Kai Gehring von der Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen hat als nächster Redner das Wort .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813302900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der wissenschaftliche Nachwuchs ist Fundament und
Zukunft für ein kreatives und leistungsfähiges For-
schungssystem . Er braucht frühe Eigenständigkeit, klare

Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


Perspektiven, verlässliche Verträge und mehr feste Stel-
len .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Die Arbeitsbedingungen und Karrierewege an Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen müssen besser
werden . Befristungsunwesen ist eine Fehlentwicklung .
Dem Missbrauch von Befristungsrecht muss endlich ein
Riegel vorgeschoben werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)


Darüber sind wir uns im Bundestag nach jahrelangen De-
batten jetzt endlich einig . Was hilft aber all die Einigkeit,
wenn die Bundesregierung das nicht umsetzt?


(Beifall bei der LINKEN)


Zwei lange Jahre in dieser Koalition und vier Jahre
Regierungszeit davor hat sich nichts für den wissen-
schaftlichen Nachwuchs bewegt . Es gab nur das Verspre-
chen: Bald tun wir etwas für euch .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Halblang!)


Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen nun
fest: Das Warten hat sich nicht gelohnt . Ministerin Wan-
ka hat eine Schmalspurnovelle des Wissenschaftszeitver-
tragsgesetzes vorgelegt . Ihre Novelle ist an vielen Stellen
wachsweich und wird wenig bewirken, es sei denn, ihr
Entwurf wird noch deutlich nachgebessert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Noch schwieriger sieht es beim Nachwuchsprogramm
für zusätzliche Stellen aus . Das hängt in der Warteschlei-
fe . Wenn es so weitergeht, verhagelt die Bundesregierung
die Perspektiven für einen Traumjob in der Wissenschaft .
Der Bundestag darf das nicht zulassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil chen unterkomplex, Herr Kollege!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wissenschaft ist
die Grundlage für Innovationen in unserer Gesellschaft .
Damit aber überhaupt Neues entstehen kann, brauchen
wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die neu-
giergetrieben quer- und weiterdenken. Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler sind mit Idealismus und mit
Leidenschaft bei der Sache; aber auf Dauer können Ide-
alismus und Leidenschaft schlechte Arbeitsbedingungen
und unsichere Karriereperspektiven nicht kompensieren .
Neugier braucht Sicherheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Bund trägt Verantwortung für die Beschäftigten
in der Wissenschaft; denn Arbeitsrecht ist Bundesrecht .
Also nehmen Sie Ihre Bundeskompetenz anständig wahr,
anstatt sie an Länder, Hochschulen und Forschungsein-
richtungen zu delegieren!

Zahlreiche Studien zeigen, wie schlecht es um den
wissenschaftlichen Nachwuchs bestellt ist . Das wichtigs-
te Werk ist der Bundesbericht zur Förderung des Wis-
senschaftlichen Nachwuchses . 2008 wurde er zum ersten
Mal veröffentlicht . Die Kernaussagen waren damals: Es
fehlt an der Planbarkeit von Karrierewegen . Es fehlen si-
chere Beschäftigungsmöglichkeiten in der Wissenschaft .
Gerade im Hinblick auf Frauen ist die Durchlässigkeit
des Wissenschaftssystems mangelhaft . Und: Die Förde-
rung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist insgesamt
nicht nachhaltig . – Das galt 2008, und es gilt auch heute .
Die Probleme sind geblieben .

Allerdings bewegt sich Positives in den Ländern und
in den Hochschulen:

Beispiel Baden-Württemberg . Das Land erhöht die
Grundfinanzierung der Hochschulen bis 2020 um 3 Pro-
zent pro Jahr . Bis zu 3 800 neue Stellen können und wer-
den die Hochschulen dadurch einrichten .


(Zuruf von der CDU/CSU: Dank des Bundesgeldes!)


Beispiel Nordrhein-Westfalen . Hier haben SPD und
Grüne mit Vertretern von Hochschulen und Personalrä-
ten den Rahmenkodex „Gute Arbeit“ vereinbart .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Das ist unterwegs!)


Dieser Kodex geht über Ihre Novelle hinaus . Er soll und
wird nach und nach von den einzelnen Hochschulen in
NRW unterzeichnet .

Beispiel Niedersachsen . Über Zielvereinbarungen mit
den Hochschulen sollen Arbeitsverträge künftig an die
Mindestdauer einer Promotion oder an die Laufzeit von
Forschungsprojekten angeglichen werden .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau das, was wir mit dem Gesetz beschließen! Das machen wir ja! Dann ist unser Gesetz doch gut, oder?)


Beispiel Hochschulen . Es gibt immer mehr Selbst-
verpflichtungen, Codes of Conduct, Karriereweg- und
Personalentwicklungskonzepte . Diese gute Praxis vieler
Länder und vieler Hochschulen muss der Bundestag an-
erkennen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Tut er doch! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau das machen wir ja!)


– Ja, aber viele Länder und viele Hochschulen sind wei-
ter als diese Bundesregierung . Dass der Bund hier hin-
terherkleckert, haben wir vor allem der CDU/CSU zu
verdanken .


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Würden Sie das gegebenenfalls zurücknehmen?)


Die grüne Bundestagsfraktion hat schon vor eineinhalb
Jahren eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgeset-

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


zes vorgelegt . Unsere Vorschläge und die des Bundesra-
tes müssen in Ihren Schmalspurentwurf einfließen:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erstens . Hire and Fire muss ein Ende haben . Es
braucht daher klare Mindestvertragslaufzeiten . In der
Qualifizierungsphase soll sie mindestens zwei Jahre be-
tragen . Auch bei Drittmittelbefristungen brauchen wir
klare Regelungen . Ein Vertrag darf generell nicht kürzer
sein als der Zeitraum der Bewilligung der Drittmittel .
Ohne konkrete Mindestlaufzeiten für Zeitverträge könn-
ten Hochschulen und Forschungseinrichtungen weiter
unzumutbar kurze Verträge abschließen . Da springt Ihr
Entwurf deutlich zu kurz; denn genau diese Missstände
muss die Novelle doch im Kern beheben . Also bessern
Sie hier nach!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens . Die Vereinbarkeit von Wissenschaft und
Familie muss besser werden . Immerhin hat die Bundes-
regierung gegenüber dem Bundesrat die Schwäche ihres
Entwurfs an diesem Punkt eingeräumt . Insofern werden
wir jetzt ganz genau hinsehen, ob und wie die familien-
politische Komponente endlich verbindlicher gestaltet
wird .

Drittens . Es kann sich als problematisch entpuppen,
dass Sie das nichtwissenschaftliche Personal aus dem
Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
herausnehmen . Vom Techniker bis zum Wissenschafts-
manager gilt dann das Teilzeit- und Befristungsgesetz .
Die gutgemeinte Option der Dauerbeschäftigung ist
bei diesem hochspezialisierten Personal aber nur eine
scheinbare . Wenn die Hochschule nicht unbegrenzt ins
Risiko gehen kann, droht Kündigung statt Dauerstelle .


(Hubertus Heil Ihre Lösung?)


Sie kennen doch auch die einschlägige Regelung aus
§ 14 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zu vorüberge-
henden Bedarfen, die sogenannte Projektbefristung . Sie
könnte dazu einladen, dass dann neue Verträge mit Ultra-
kurzzeitbefristungen abgeschlossen werden . Ich glaube,
dass Zeitverträge über das Wissenschaftszeitvertragsge-
setz für das nichtwissenschaftliche Personal hier mehr
Sicherheit bringen können . Das klingt wie eine Wissen-
schaft für sich . Wenn man genau hinguckt, kann man nur
sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viertens . Die Tarifsperre muss weg; denn dann könn-
ten die Tarifpartner sach- und zeitgerechte Vereinbarun-
gen treffen, die über den gesetzlichen Mindeststandard
hinausgehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


All die von mir beschriebenen Änderungen brin-
gen mehr Verlässlichkeit . Mit wachsweichen Soll- und
Kannbestimmungen, mit denen Sie in Ihrer Novelle rei-
henweise arbeiten, kommen wir nicht weiter . Wir wollen

eine wirksame Novelle und keinen zahnlosen Tiger . Das
ist unser Ziel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen also einen verlässlichen rechtlichen Rah-
men . Und wir brauchen mehr feste und dauerhafte Stellen
in der Wissenschaft . Wir Grünen haben schon vor Mona-
ten ein Bund-Länder-Programm für mindestens 10 000
zusätzliche Nachwuchsstellen an den Hochschulen vor-
geschlagen, vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Profes-
sur . Das brächte mehr feste Stufen auf der Karriereleiter
und Impulse für eine moderne Personalstruktur . Wir se-
hen, dass in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz
ähnlich gedacht wird; allerdings sind sich Frau Wanka
und die Länder noch nicht handelseinig . Wir wollen eine
Einigung . Erlauben Sie mir, dazu noch ein paar Hinweise
zu geben:

Mir erschließt sich nicht, warum das Bundesminis-
terium ausschließlich Tenure-Track-Professuren för-
dern will . Wenn einige Länder monieren: „Das hilft uns
nicht, wir sind überdurchschnittlich gut mit Professuren
versorgt“, dann können Sie das doch nicht einfach so
beiseitewischen . Wenn Sie eine Einigung wollen, dann
müssen Sie dafür sorgen, dass jedes Land einen Gewinn
für seine Hochschulen aus dem Bund-Länder-Programm
ziehen kann . Gleichzeitig ist es richtig, wenn wir auf
Bundesebene einfordern, dass das Programm dauerhaft
zusätzliche Stellen – zusätzliche! – bringen muss . Damit
das gelingt, müssen wir stärker in die Grundfinanzierung
der Hochschulen investieren . Dazu sind nicht alle Länder
gleichermaßen in der Lage, zumal die Wissenschaftshäu-
ser eine Vielzahl von Bundesprogrammen kofinanzieren
und die Finanzlage der Länder höchst unterschiedlich ist .

Aber das Dilemma lässt sich auflösen. Der Bund kann
zum Beispiel zusagen, die gemeinschaftliche Studien-
platzfinanzierung auf Dauer zu stellen, indem der Bund
die Mittel für den Hochschulpakt über 2020 hinaus ver-
stetigt . Die Grundgesetzänderung zur Abschaffung des
Kooperationsverbots im Wissenschaftsbereich muss
doch einen Sinn haben . Hier hätte sie einen klaren Sinn,
nämlich die Grundfinanzierung der Hochschulen durch
die Verstetigung der Mittel für den Hochschulpakt über
2020 hinaus zu stärken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: 2,1 Milliarden Euro!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Programm für
zusätzliche Nachwuchsstellen muss zügig kommen . Hier
sind Kompromissbereitschaft und Kreativität gefragt .
Frau Wankas Schmalspurnovelle zum Wissenschafts-
zeitvertragsgesetz muss überarbeitet werden . Die Ände-
rungsanträge aus dem Bundesrat dürfen Sie nicht einfach
so in die Schublade legen . Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von CDU/CSU und SPD, tragen da eine beson-
dere Verantwortung .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir haben sie gelesen!)


Wir als Grüne werden Änderungsanträge stellen, damit
die Reform auch Früchte tragen kann: für faire statt pre-

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


käre Wissenschaft! Damit mit Sicherheit geforscht wer-
den kann!

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813303000

Vielen Dank . – Alexandra Dinges-Dierig von der

CDU/CSU-Fraktion hat als nächste Rednerin das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Alexandra Dinges-Dierig (CDU):
Rede ID: ID1813303100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben ein Feuerwerk gehört


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke schön!)


an Vorschlägen in den letzten 60 Minuten . Ich glaube,
wir werden aufregende und sehr lange Ausschussbera-
tungen haben, wenn wir all diese Vorschläge aufgreifen
und diskutieren wollen . Aber vielleicht wird es an der
einen oder anderen Stelle doch schneller gehen, als das
viele glauben .

Der Bund hat im letzten Jahrzehnt – man kann es gar
nicht oft genug sagen – einen beispiellosen Kraftakt hin-
gelegt: die schwarze Null und gleichzeitig unglaubliche
Zuwachsraten beim Etat im Bereich Bildung und For-
schung; das hätte vor 15 Jahren niemand geahnt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das gab uns die Möglichkeit, die Wissenschaftsland-
schaft und vor allem unsere internationale Sichtbarkeit
mehr als nur zu verbessern . Vielmehr ging es darum,
dass wir ganz nach vorne gerückt sind . Lassen Sie mich
die drei Schwerpunkte nennen: Wir haben die exzellente
Forschung an Hochschulen gestärkt, die Hochschulen für
steigende Studierendenzahlen fit gemacht und die außer-
universitäre Forschung zukunftsfest ausgestattet . Heute
ist ein guter Zeitpunkt, an die gesamte Bundesregierung,
insbesondere an Sie, Frau Professor Wanka, ein herzli-
ches Dankeschön zu richten für das, was Sie für unseren
Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland ge-
tan haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man darf sich jetzt aber nicht einfach zurücklehnen;
denn jetzt kommen die nächsten Aufgaben . Die Zukunft
unseres Wissenschaftsstandorts ist in hohem Maße davon
abhängig, dass es gelingt, die besten Köpfe zu behalten
und international die Besten zu gewinnen; denn es geht
darum, nicht nur das Niveau zu halten, sondern noch
weiter nach vorne zu gehen . Deshalb hat die Koalition
in dieser Legislaturperiode einen Schwerpunkt auf die
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gelegt .

Es ist unser gemeinsames Anliegen – ich glaube, das
gilt für alle Fraktionen –, dass wir uns kluge Konzepte
überlegen, mit denen wir zusätzliche Stellen im Wissen-
schaftssystem schaffen können und für den wissenschaft-
lichen Nachwuchs attraktivere und zuverlässigere Karri-
erewege aufzeigen können . Mit „gemeinsam“ meine ich

nicht nur den Bund, sondern ich meine auch die Länder
und die außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen .
Hier möchte ich auch die Kultusministerkonferenz nicht
aus der Pflicht entlassen; denn wenn wir über andere
Wege im Wissenschaftssystem sprechen, dann sind zu-
nächst einmal die Kultusministerkonferenz und die Län-
der gefordert . Zunächst einmal müssen sie sich fragen:
Was wollen wir eigentlich? Ich hätte gerne, dass wir
uns von Begriffen wie „Mittelbau“ endlich einmal ver-
abschieden und sagen: Wir brauchen mehrere Wege im
Wissenschaftssystem, die gleichwertig nebeneinander-
stehen; die Professorenlaufbahn ist eine ganz wichtige,
aber eben nicht die alleinige .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Änderung
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes liefern wir heute
einen kleinen Baustein,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, klein!)


um etwas zu ändern . Das wird uns aber nicht gar so viel
bringen – das wurde schon gesagt –, wenn wir nicht grö-
ßer denken, wenn wir nicht weiterdenken . Wir wollen mit
dieser Novelle Fehlentwicklungen abstellen und Fehlin-
terpretationen begegnen . Dazu wurde schon viel gesagt .
Ich habe darüber mit vielen Beteiligten in Universitäten
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen gespro-
chen . Alle haben gesagt, egal mit wem ich gesprochen
habe: Extrem kurze Vertragslaufzeiten bedeuten eine
ständige Unsicherheit, und Unsicherheit ist keine gute
Voraussetzung für einen Qualifizierungsweg in der Wis-
senschaft . – Das stört alle, egal ob es sich um gestandene
Professoren handelt oder um die jungen Nachwuchswis-
senschaftler .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Befristete Arbeitsverträge gehören aber zur Wissen-
schaft – das hat die Bundesministerin deutlich gesagt –,
sie sind ein Systembestandteil . Nur so können wir Still-
stand in der Wissenschaft vermeiden und eine gute For-
schung haben . Mit dieser Gesetzesnovelle wollen wir
dafür sorgen, dass diese unredlich kurzen Verträge nicht
mehr möglich sind . Die Vertragslaufzeit sollte auf je-
den Fall der Zeit der Qualifizierung entsprechen. Aber
wir brauchen auch kurzfristige Verträge, zum Beispiel,
wenn jemand mit der Promotion nicht rechtzeitig fertig
wird oder wenn er eine Überbrückung braucht . Deshalb
brauchen wir die Flexibilität . Die wollen wir erhalten;
aber wir wollen verhindern, dass es zu einer Ausnutzung
kommt . Analog gilt das auch für die Drittmittelbefristung
beim wissenschaftlichen Personal; das wurde schon aus-
reichend ausgeführt .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Quadratur des Kreises!)


Das nichtwissenschaftliche Personal wollen wir mit
diesem Gesetz ausnehmen; denn das nichtwissenschaftli-
che Personal stand ursprünglich gar nicht im Fokus . Hier
geht es insbesondere darum, der Situation von Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftlern Rechnung zu tragen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr richtig!)


Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


Für das nichtwissenschaftliche Personal gibt es das Teil-
zeit- und Befristungsgesetz, das genügend Möglichkei-
ten lässt, um befristet einzustellen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was bringt es denn dann, das rauszunehmen?)


Darüber hinaus wollen wir dort, wo das Gesetz für
Unsicherheiten hinsichtlich der Umsetzung gesorgt hat,
für Klarheit sorgen . Das gilt sowohl für studentische
Beschäftigte, die heute eigenartigerweise noch gar nicht
angesprochen wurden, genauso wie für die Vereinbarkeit
von Familie und dem Beruf des Wissenschaftlers bzw .
der Wissenschaftlerin . Zusätzlich ist es jetzt endlich ge-
lungen – darüber freue ich mich ganz besonders –, eine
Öffnungsklausel für Wissenschaftler und Wissenschaft-
lerinnen mit Behinderungen oder schwerwiegenden
chronischen Erkrankungen hinzubekommen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich bin der Meinung, die Novelle kann sich wirklich
sehen lassen . Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich
bei dir, liebe Simone Raatz, als meine Mitberichterstat-
terin bedanken . Ich glaube, wir haben super und vertrau-
ensvoll zusammengearbeitet . Vielen Dank dafür .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Diese Änderungen sind – viele haben es schon ge-
sagt – richtig und auch wichtig . Aber wir werden damit
nicht wirklich den großen Wurf zur Verbesserung der Ar-
beitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses
hinbekommen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das enttäuscht!)


Dabei geht es um weit mehr als nur um Vertragslaufzei-
ten . Es geht um Perspektiven, es geht um Zuverlässigkeit,
und es geht um Karrierewege . Das sind die drei Punkte .
Hier stehen wir wirklich vor großen Herausforderungen,
die wir meistern müssen .

Wir haben in Deutschland nach wie vor viel zu weni-
ge exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler .
Das liegt natürlich auch an der unzureichenden Anzahl
von Stellen . Wir wissen, dass das Betreuungsverhältnis
zwischen Studierenden und Professoren schlecht ist .
Der wissenschaftliche Nachwuchs, Postdocs und auch
Promovierende, wird in einem Umfang herangezogen,
um das Betreuungsverhältnis zu verbessern, wie man es
eigentlich nicht verantworten kann . Learning by Doing
kann vorübergehend in Notsituationen helfen, aber es
darf nicht zum Systembestandteil werden .

Deshalb lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Dauer-
haft mehr Stellen bereitzustellen, ist und bleibt Länder-
sache .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Daran werden wir vonseiten der CDU/CSU nicht rütteln .
Einige Länder haben nach Übernahme der BAföG-Kos-
ten durch den Bund die Chance ergriffen, das freigewor-
dene Geld in ihre Hochschulen zu stecken, so auch Frau
Bauer, lieber Herr Gehring, in Baden-Württemberg . Das

Geld hat der Bund freigemacht, Frau Bauer hat es ge-
nutzt .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hat ordentlich etwas draufgelegt!)


Das ist Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern .
Viele Länder haben die große Chance vertan. Das finde
ich schade .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nach wie vor problematisch sind die heutigen Karrie-
rewege zu den Professuren . Sie sind intransparent . Es gilt
das Prinzip Hoffnung, ob es vielleicht nach dem fünften,
sechsten, siebten befristeten Vertrag klappt, Professor zu
werden . So sieht wirklich kein Karriereweg aus . Deshalb
müssen wir dafür sorgen, dass die Entscheidung, ob der
Nachwuchswissenschaftler wirklich geeignet ist, um in
der Wissenschaft zu bleiben, früher fällt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die jungen Menschen brauchen Klarheit für ihre Le-
bensplanung . Deshalb wollen wir die Karrierewege neu
aufstellen . Das ist ein riesiger Kraftakt . Deshalb begrü-
ße ich es sehr, dass die Koalition aus CDU, CSU und
SPD in Göttingen 1 Milliarde Euro lockergemacht hat .
Aufgrund dieser Entscheidung hat die Bundesregierung
den Ländern sofort ein Angebot gemacht . Wir wollen mit
einem Anschubfinanzierungsprogramm helfen, Tenu-
re-Track-Stellen zu etablieren,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und damit transparente und zuverlässige Karrierewege
für die Professur schaffen . Im Gegenzug erwarten wir
von den Ländern, dass auch sie ihren Beitrag leisten .
Dazu gehören neben einer ausreichenden Anzahl an Stel-
len eine flächendeckende Personalentwicklungsplanung,
eine Beratung für die jungen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler und vieles mehr .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Nur – ich glaube, das ist deutlich geworden – wenn
alle gemeinsam an diesem Baustein „wissenschaftlicher
Nachwuchs“ arbeiten, wird der kleine Baustein „Novelle
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“ am Ende nicht
verpuffen; denn Karrierewege sind mehr als Vertrags-
laufzeiten . Lassen Sie uns das im Blick behalten, wenn
wir jetzt gemeinsam in die Ausschussberatungen einstei-
gen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813303200

Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Ralph

Lenkert von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Alexandra Dinges-Dierig






(A) (C)



(B) (D)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813303300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen und

Herren! Ich kannte als Betriebsrat die Tücken des Teil-
zeit- und Befristungsgesetzes, wusste, wie dieses Gesetz
missbraucht wird und wie schwer es Gewerkschaften
und Betriebsräte haben, gute Beschäftigungsverhältnis-
se durchzusetzen . Dann befasste ich mich mit dem Wis-
senschaftszeitvertragsgesetz . Ehrlich, im Vergleich zum
Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist das Teilzeit- und Be-
fristungsgesetz Gold wert .

Ein Beispiel: Eine junge Frau will Mathematikerin
werden und beginnt mit 20 ihr Studium . Nach fünf Jah-
ren hat sie den Master und promoviert . Sie fällt unter das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz . In den sechs Jahren der
Promotion muss sie halbjährlich um eine Vertragsverlän-
gerung zittern .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen ändern wir das Gesetz!)


25 Stunden die Woche bekommt sie bezahlt. Qualifika-
tion während er Arbeitszeit? Fehlanzeige . Für Lehrauf-
träge und an Drittmittelprojekten schuftet sie mehr als
40 Stunden pro Woche, damit sie die nächste Vertrags-
verlängerung auch erhält . Ihre Doktorarbeit entsteht
nachts und am Wochenende . Mit 32 ist sie Doktorin und
darf in Projekten forschen . Sie laufen zwei Jahre und län-
ger . Trotzdem hangelt sie sich weiter mit Sechsmonats-
verträgen durchs Leben .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen ändern wir das Gesetz!)


Sie hält durch – in der Hoffnung auf eine Professur –,
wird 38 und steht vor einer ungewissen Zukunft . Wie
sähe Ihre Familienplanung aus, wenn Sie mit 40 den ers-
ten unbefristeten Arbeitsvertrag bekämen?


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen ändern wir das Gesetz!)


Wie sollen unsere Hochschulinstitute bei diesen Rah-
menbedingungen im Wettbewerb mit der Industrie und
dem Ausland um die besten Nachwuchskräfte bestehen?


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie können ja mehr Stellen schaffen, Herr Lenkert!)


Wie kreativ könnten Sie sein, wenn Sie ständig neue Be-
werbungen schreiben und um Bestätigung Ihrer Projekt-
anträge bangen müssten?


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deshalb ändern wir das Gesetz! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt reden Sie doch mal über die Zukunft und nicht nur über die Vergangenheit!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
ich hatte und habe kein Verständnis für Ihre Bummelei
bei der Verbesserung des Wissenschaftszeitvertragsge-
setzes .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Unser wissenschaftlicher Nachwuchs braucht in der Pro-
motionsphase Mindestvertragslaufzeiten von drei Jah-

ren – mit einer Option auf sechs Jahre –, zwei Drittel der
vertraglichen Arbeitszeit müssen der Qualifikation die-
nen, und Mindestanforderungen müssen in das Gesetz .

Windelweich formulierte Wünsche – wie Ihre – nach
angemessenen Vertragslängen und danach, dass die Tä-
tigkeit die Qualifikation fördern soll, helfen nicht. Damit
sind die Betroffenen weiterhin der Willkür ihrer Chefs
ausgeliefert oder auf deren Einsicht angewiesen . Es gilt:
schlucken oder aufgeben . Solche Regelungen lehnen wir
ab .


(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen ändern wir das Gesetz!)


Im Interesse der Betroffenen müssten die Verträge den
Projektlaufzeiten entsprechen oder mindestens zwei Jah-
re laufen .

Was bietet die Koalition? Sie wollen eine Befristungs-
dauer nach Länge der Mittelbewilligung; damit knüpfen
Sie Vertragslaufzeiten an Haushaltsplanungen .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein!)


Das ist maximale Sicherheit für die Einrichtungen und
größtes Risiko für unseren Nachwuchs .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie müssen das Gesetz auch lesen, Herr Kollege!)


Diese Scheinlösung lehnen wir ab .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, es
gibt auch Lichtblicke: Für Verwaltungs- und technisches
Personal bei Forschungsprojekten gilt dieses Gesetz nicht
mehr . Wir fragen uns nur, warum Sie diese Regelung
nicht gleich auch auf das Personal mit überwiegenden
Lehraufträgen ausgedehnt haben . Dass zukünftig für Fa-
milien-, Betreuungs- und Pflegezeiten und für Menschen
mit Benachteiligung bessere Standards gelten, ist begrü-
ßenswert . Wieso nicht auch bei Drittmittelprojekten?


(Dr . Simone Raatz [SPD]: Das wissen Sie doch besser!)


Insgesamt bleibt Ihr Gesetzentwurf mangelhaft . Die
Linke hat ihren Vorschlag schon vor langer Zeit einge-
bracht . Anders als in der Wissenschaft ist Abschreiben
bei den Beratungen ausdrücklich erwünscht .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813303400

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Simone

Raatz von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Simone Raatz (SPD):
Rede ID: ID1813303500

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Ich will noch einmal auf das Thema hin-
weisen: Es geht um die erste Lesung der Novellierung
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes . Wenn ich man-
che Redebeiträge, insbesondere vonseiten der Opposi-
tion, hier vernehme, gewinne ich den Eindruck, es soll






(A) (C)



(B) (D)


mit diesem Gesetz alles verbessert werden, was in der
Wissenschaft derzeit – ich sage es einmal so – im Argen
liegt . Ich glaube, da mutet man diesem Gesetz ein biss-
chen viel zu .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie muten uns auch manchmal viel zu!)


Es ist ein Baustein – das wurde von den Vorrednern ge-
sagt –, aber man kann damit nicht jedes Problem in der
Wissenschaft lösen .

Sie beschreiben selber, wie schwer eine Änderung in
der Vergangenheit war . Jeder von Ihnen hat angeführt,
was er schon für Vorschläge gemacht hat . Jetzt liegt
etwas auf dem Tisch, und ich muss sagen: Ich bin sehr
enttäuscht . Man kann ja Kritik äußern . Aber man kann
an dieser Stelle auch einmal sagen: Toll, dass wir einen
Schritt gegangen sind, und zwar in die richtige Richtung!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Seit klar ist, dass wir das Wissenschaftszeitvertrags-
gesetz novellieren werden, erreichen sicherlich nicht nur
mich viele E-Mails mit Hinweisen zur aktuellen Beschäf-
tigungssituation, natürlich auch verbunden mit der Bitte,
hier dringend etwas zu ändern; das eine oder andere Bei-
spiel haben wir gehört . Was ich besonders bemerkens-
wert finde, ist dabei, dass sich nicht nur direkt Betroffene
an uns wenden, sondern genauso auch Ehepartner, Eltern
und sogar Großeltern .

Ein Beispiel soll an dieser Stelle genügen – ich zitiere
aus einer E-Mail –:

Ich bin zwar „nur“ die Ehefrau eines Wissenschaft-
lers, aber unsere ganze Familie einschließlich Kind
leidet enorm unter dem Befristungsdruck, dem mein
Mann seit Beginn seines wissenschaftlichen Berufs-
lebens ausgesetzt ist – das sind seit der Beendigung
der Promotion mittlerweile 12 Jahre . Er hangelt sich
von einem befristeten Drittmittelvertrag zum nächs-
ten – mit Glück erwischt er mal einen Vertrag, der
länger geht als ein Jahr . Drei Monate vor Ablauf des
jeweiligen Vertrages ist der Gang zum Arbeitsamt
fällig – ein entwürdigender Vorgang: jedes einzelne
Mal .

Ich denke, auch das macht schon deutlich, dass wir hier
etwas tun müssen .

Es wurden häufig Zahlen genannt. Fast 90 Prozent
des wissenschaftlichen Personals sind befristet beschäf-
tigt . Das ist nicht gut, aber man muss ehrlich sagen: Mit
der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgeset-
zes werden wir das so schnell nicht ändern . Das ist ein
Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft gemäß dem
Teilzeit- und Befristungsgesetz . Feste Stellen schaffen
wir mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht; das
ist klar .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!)


Deswegen muss man das hier jetzt auch nicht ständig
immer wieder herbeirufen . Hier muss uns etwas anderes
einfallen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Dramatische ist – das wurde hier auch schon häu-
figer gesagt; man kann das aber noch einmal wiederho-
len, weil es richtig ist und den Nagel auf den Kopf trifft –,
dass nahezu jeder zweite Vertrag eine Laufzeit von unter
einem Jahr hat . Ich denke, das kann so nicht bleiben . Hier
müssen wir einiges vom Kopf auf die Füße stellen .

Mit unzähligen Kettenbefristungen und einem Erstbe-
rufungsalter von durchschnittlich 42 Jahren nehmen wir
jedem jungen Wissenschaftler und jeder jungen Wissen-
schaftlerin die Chance auf eine halbwegs planbare Kar-
riere . Darüber hinaus erschweren wir ihre Bemühungen,
Familie und Beruf in Einklang zu bringen .

Frau Ministerin Wanka sagte es schon: Diese Lage
schreckt bereits heute viele ab . – Sie suchen ihr Glück
mittlerweile in Frankreich, in der Schweiz oder in den
USA, wo die Arbeitsbedingungen für sie eben viel pas-
sender sind . Mittlerweile sind die jungen Leute weltweit
unterwegs, und ich denke, hier müssen wir etwas tun . Es
liegt auch in unserer Verantwortung in der Politik, dass
die Leute, die wir gut ausbilden, auch bei uns bleiben
und ihre wissenschaftlichen Ergebnisse in Deutschland
erzielen .

Wir stellen auch fest, dass von denjenigen Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im Moment bei
uns bleiben, zahlreiche – insbesondere motivierte und
talentierte Frauen – wegen der prekären Beschäftigungs-
verhältnisse für einen Wechsel in die Wirtschaft sind oder
sich ganz aus dem Wissenschaftssystem verabschieden .
Das finde ich sehr schade, und das können wir uns zu-
künftig einfach nicht mehr leisten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gleichzeitig wissen wir natürlich, dass Konkurrenz
und Wettbewerb der Ideen und Ansätze konstitutive Be-
standteile des Wissenschaftssystems sind . Dass wir da-
für das erforderliche Maß an Flexibilität und Dynamik
sicherstellen müssen, weshalb weiterhin ein Sonderbe-
fristungsrecht für die Wissenschaft nötig ist, ist die eine
Seite der Medaille . Dazu kann man stehen, wie man will .
Die andere Seite ist eine gesunde Balance zwischen Si-
cherheit und Flexibilität . Genau diese Balance ist derzeit
nicht gegeben . Hier müssen wir dringend etwas tun .


(Beifall bei der SPD)


Damit wir weiterhin junge Menschen für unser Wis-
senschaftssystem begeistern können, müssen wir we-
sentliche Rahmenbedingungen ändern . Eine dieser
Rahmenbedingungen ist nun einmal das Wissenschafts-
zeitvertragsgesetz, dessen Novellierung wir jetzt gerade
angehen .

Zur Historie gerne noch einmal ein paar Worte an Frau
Gohlke und Herrn Gehring – Sie sind bereits in der zwei-
ten oder dritten Legislaturperiode hier im Bundestag; ich

Dr. Simone Raatz






(A) (C)



(B) (D)


denke also, Sie müssten das eine oder andere, was in der
Vergangenheit gelaufen ist, mitbekommen haben –:


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe ja eben kritisiert, dass nichts gelaufen ist!)


Im Februar 2013 ist zum Beispiel etwas passiert, was
ich an dieser Stelle nur noch einmal nennen möchte: Die
SPD hat damals bereits – sie war in der Opposition – ei-
nen Gesetzentwurf zur Änderung des Wissenschaftszeit-
vertragsgesetzes vorgelegt .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie schon dabei?)


Die damalige Koalition, die bei weitem nicht so fort-
schrittlich war wie die jetzige,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ui! Ui! Ui!)


hat ihn damals aber abgelehnt .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Zu Recht! Es gab entscheidende Schwächen im Gesetzentwurf! Die habt ihr jetzt korrigiert! Das ist doch gut!)


– Nicht zu Recht . Ich denke, das war ein Fehler, aber
diesen Fehler kann man ja korrigieren, und das tun wir
im Moment .


(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD])


Ende 2013 haben Union und SPD im Koalitionsver-
trag vereinbart, das Gesetz zu novellieren . Im Juni 2014
hat die SPD ein Eckpunktepapier vorgestellt, und im
April 2015 haben wir dann endlich auch gemeinsame
Eckpunkte zwischen der SPD und der CDU/CSU verab-
schiedet . Auf dieser Basis hat das BMBF nun einen Ge-
setzentwurf vorgelegt, den wir gerade diskutieren .

Die Änderungen, die dieser Gesetzentwurf vorsieht,
will ich an drei wesentlichen Punkten festmachen:

Erstens . In Zukunft werden die Verträge, die in der
Promotions- und Post-Doc-Phase abgeschlossen werden,
an den Zeitbedarf gekoppelt, den eine Qualifizierung
benötigt . Das heißt, beim Erstvertrag in der Promotions-
phase soll ein Dreijahresvertrag die Regel sein . Ich weiß
nicht, was daran so negativ sein soll .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sehe das als sehr positiv an .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht immer „kann“ und „soll“ davor!)


Zweitens . Drittmittelbefristungen müssen künftig
an die Dauer der Projektlaufzeit gebunden werden . Bei
einer Projektlaufzeit von drei Jahren bedeutet das dann
eben auch eine Vertragslaufzeit von drei Jahren . Ja, das
ist doch toll; das ist doch gut .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn wir Gleichbehandlung erreichen wollen – ich
denke, das ist auch noch ein Problem –, dann müssen wir
an die Fördermittelgeber herantreten und dafür sorgen,
dass bei der Fördermittelvergabe solche Dinge Berück-
sichtigung finden.

Drittens . Die sozialen Ausfallzeiten, also etwa Eltern-
zeiten oder Zeiten für die Pflege naher Angehöriger, sol-
len künftig nicht auf die gesetzliche Höchstbefristungs-
dauer von zwölf Jahren angerechnet werden . Auch das
ist ein Erfolg .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Kollegin Alexandra Dinges-Dierig hat schon er-
wähnt, dass wir jetzt eine behindertenpolitische Kom-
ponente eingefügt haben . Ich denke, da hat sich auch
unsere Behindertenbeauftragte Verena Bentele verdient
gemacht, die uns dabei unterstützt hat . Vielen Dank an
dieser Stelle auch an sie .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wichtig ist uns, der SPD-Fraktion, dass uns gemein-
sam mit unserem Koalitionspartner auch die Heraus-
nahme des nichtwissenschaftlichen Personals aus dem
Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
gelungen ist, weil – das wurde schon gesagt – hier über-
wiegend Daueraufgaben – und die sind dann auch mit
Dauerstellen zu besetzen – erfüllt werden müssen .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Ich habe gedacht: Einmal sehen, wie Herr Gehring
jetzt auch auf die Bemerkungen von Theresia Bauer re-
agiert . Sie haben da eben hier vorn ganz tolle Pirouetten
gedreht,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das nicht verstanden?)


sodass ich dachte: Wie er das doch immer macht und hin-
und herwendet! Ich denke, hier wäre es sinnvoll, wenn
Sie diesbezüglich noch einmal das Gespräch mit Ihrer
Ministerin suchen .


(Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe genau dasselbe gesagt! Wenn Sie da überfordert sind, kann ich Ihnen nicht helfen!)


Dieser Gesetzentwurf wird die Situation der in der
Wissenschaft Beschäftigten deutlich verbessern . Er führt
zu mehr Kalkulierbarkeit und Verlässlichkeit in der Ar-
beitsplanung und Lebensführung insbesondere unseres
wissenschaftlichen Nachwuchses . Ich denke, das Ergeb-
nis kann sich absolut sehen lassen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Problem noch nicht mal erkannt!)


Was mich freut – das möchte ich zum Schluss noch
anführen –, ist, dass die Debatte um das Wissenschafts-
zeitvertragsgesetz tatsächlich schon zu einer Änderung
der Einstellung hinsichtlich der Befristungspraxis geführt
hat . Sehr positive Beispiele sind für diesen Trend die Kar-
riereleitlinien der Leibniz-Gemeinschaft, die Neuaufstel-

Dr. Simone Raatz






(A) (C)



(B) (D)


lung der Nachwuchsförderung bei der Max-Planck-Ge-
sellschaft, aber eben auch der Rahmenkodex – Herr
Gehring ist darauf eingegangen – von Nordrhein-West-
falen . Das sind schöne Beispiele, und dafür möchte ich
den Wissenschaftsorganisationen und allen – sowohl den
Akteuren als auch den Betroffenen –, die sich so aktiv in
die Debatte eingebracht haben, danken; denn ohne diese
Beteiligung wäre es uns nicht gelungen .


(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD])


Natürlich gebe ich den Dank auch gern an Alexandra
zurück, mit der ich hier sehr vertrauensvoll zusammen-
arbeiten konnte . Ich denke, wir sind hier wirklich ein
wesentliches Stück vorangekommen; denn das Ergebnis
wird dazu führen, dass unsere jungen Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler ermutigt werden, unserem Wis-
senschaftssystem erhalten zu bleiben und ihren Beitrag
auch hier, in Deutschland, zu leisten .

Danke .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813303600

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Patricia Lips

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Patricia Lips (CDU):
Rede ID: ID1813303700

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine

sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte zu
Beginn noch einmal kurz das Spannungsfeld aufzeigen,
in dem wir uns zurzeit bewegen: Bildungswege, Quali-
fikationen und in der Folge auch Karrieren in der Wis-
senschaft sind vielfältig – inhaltlich, in der Dauer, in den
Möglichkeiten und Angeboten vor Ort und natürlich vor
allem in den jeweiligen persönlichen Lebensumständen .

Wir stellen fest – das wurde mehrfach betont –: Trotz
dieser Vielfalt gibt es beim wissenschaftlichen Personal
zunehmend ein verbindendes Element: den verständ-
lichen Wunsch nach einer größeren persönlichen Pla-
nungssicherheit . Dies gilt für den weiteren Karriereweg
wie natürlich auch – gerade in diesem Alter – in der Pha-
se der Familiengründung, um nur ein Beispiel zu nennen .

Auf der anderen Seite ist die Tätigkeit in Wissenschaft
und Forschung mehr als in vielen anderen beruflichen
Bereichen – und zwar gewollt, von uns auch gewollt –
von Dynamik geprägt, von immer wieder neuen Ideen,
von jungen Menschen, die in jeder Generation nachdrän-
gen und ebenfalls an den Projekten teilhaben wollen .
Kolleginnen und Kollegen, diese Dynamik ist gut, und
diese Dynamik brauchen wir weiterhin .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Kunst ist es, dies in der Balance zu halten: für
die Mitarbeiter, die Hochschulen und natürlich auch – im
Sinne von Fairness – für nachkommende Generationen .
Die Verantwortlichkeit, planbare und verlässliche Kar-
rierewege aufzuzeigen, liegt dabei zuvörderst bei den
Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen . Das

ist gut, das ist richtig . Sie sind dabei unterschiedlich auf-
gestellt . Deshalb möchte ich mich dem Dank der Kol-
legin Raatz an dieser Stelle anschließen . Wir begrüßen
zunächst einmal die Positionierung und die daraus ab-
geleiteten Initiativen der Allianz der Wissenschaftsorga-
nisationen, in welchen sie sich zu dieser Verantwortung
bekennt . Es geht um Planbarkeit und um Transparenz
wissenschaftlicher Karrierewege,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will das nichtwissenschaftliche Personal auch!)


und es geht um den verantwortungsvollen Umgang mit
Befristungsregelungen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da ist schon einiges passiert . Wir sollten nicht so tun,
als fingen wir bei null an. Der Gesetzgeber setzt den
Rahmen und flankiert. Er deckt einen Aspekt mit ab und
unterstützt damit die eigenen Anstrengungen und Ziele
der Betroffenen . Handlungsbedarf besteht . Die Anzahl
der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter ist in den letzten Jahren aus guten Gründen deutlich
gestiegen . Das ist ja nicht schlecht . Aber parallel dazu
ist auch die Anzahl der befristeten Verträge, eine große
Zahl davon mit sehr kurzen Zeiträumen – das haben wir
an verschiedenen Stellen gehört –, gestiegen . Diese hohe
Zahl macht eine Novellierung des Gesetzes erforderlich .

Wo die beschriebene Balance gestört ist, wo zu vie-
le junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit
kurz befristeten Verträgen im System sind, schadet es am
Ende zunehmend dem System selbst wie auch den per-
sönlichen Lebensumständen einer Vielzahl von Betroffe-
nen . Hier wollen wir eine Klarstellung und eine Novel-
lierung . An dieser Stelle wollen wir einen Baustein legen .

Im Mittelpunkt steht: Die Dauer von sachgrundlosen
Befristungen soll im Gleichklang mit dem Qualifizie-
rungsziel stehen . Unsachgemäße Kurzbefristungen sollen
künftig unterbunden werden . Das nichtwissenschaftliche
Personal wird aus dem Geltungsbereich herausgenom-
men . Mithin wird aus dem Gesetzestext klarer als bis-
her hervorgehen, dass eine sachgrundlose Befristung nur
dann zulässig ist, wenn die betreffende Beschäftigung
zur Förderung der eigenen Qualifizierungsziele erfolgt.

Kolleginnen und Kollegen, damit justieren wir die er-
forderliche Verlässlichkeit für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter . Wir sorgen im Gesetz für Klarheit, aber auch
für die notwendige Flexibilität für unsere Hochschulen
und Forschungseinrichtungen . Hinzu kommen – wir hör-
ten es – wichtige Änderungen – man darf sie nicht ein-
fach unter den Tisch fallen lassen – und Anpassungen in
den Bereichen Mobilität, Kinderbetreuung, Behinderten-
komponente und studentische Hilfskrafttätigkeit .

Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal auf den
zweiten Aspekt eingehen; denn nur aus beiden wird ein
Gesamtpaket . Im internationalen Wettbewerb um die bes-
ten Köpfe wollen wir auf dem weiteren Weg zur Professur
in der sogenannten Post-Doc-Phase, in der Nachdoktor-
phase, ansetzen . Auch hier wollen wir im Sinne verläss-
licher Karrierewege in der Wissenschaft einen Baustein
legen und Impulse gezielt setzen . Deshalb streben wir –

Dr. Simone Raatz






(A) (C)



(B) (D)


die Ministerin hat es ausgeführt – ein Bund-Länder-Pro-
gramm – es wird zurzeit erarbeitet – zur verstärkten För-
derung der sogenannten Tenure-Track-Professuren an
Universitäten an; das ist eine Art Professur in spe . Die-
ses Element ist nicht grundsätzlich neu . Es braucht aber
einen Schub, um flächendeckend wirksam, sichtbar und
erfolgreich zu werden .

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber auch
sagen: Die Verantwortung für die Schaffung von dauer-
haften Stellen an Hochschulen ist und bleibt in der Län-
derhoheit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Bund kooperiert – auch ich darf dieses Wort einmal
benutzen – einmal mehr und fördert dieses Programm in
der Anschubphase mit 1 Milliarde Euro, um die Länder
zu unterstützen . Es muss aber einen Mehrwert geben . Auf
die genannten Stellen kommt es am Ende des Tages an .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit den auf-
gezeigten Änderungen und Neuausrichtungen – dieser
Überzeugung sind wir – können wir zu einer substan-
ziellen und nachhaltigen Verbesserung für den wissen-
schaftlichen Nachwuchs gelangen . Diese trägt dazu bei,
die Erfolge im Bereich Forschung und Lehre fortzuset-
zen, die Qualität der wissenschaftlichen Ausbildung hier
in Deutschland auf einem Topniveau zu halten und die
beruflichen Perspektiven zu verbessern.

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813303800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Ernst

Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1813303900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Gohlke hat am Anfang eingefordert, dass hier doch
einmal jemand sagen sollte, man habe sich geirrt . Ja,
Frau Gohlke, viele in diesem Parlament sagen: Wir sind
lernfähig .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist gut!)


Ausgangspunkt der ganzen Entwicklung ist ja die No-
vellierung des Hochschulrahmengesetzes 2002, das die
SPD zusammen mit den Grünen gemacht hat, bis hin
zur Großen Koalition von CDU/CSU und SPD im Jahr
2007 . Und wir haben dabei dazugelernt . Eine Frage an
die Linken: Wann sagen die Linken eigentlich mal, dass
sie lernfähig sind?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: In dieser Frage haben wir uns gar nichts vorzuwerfen!)


Das wäre ein Moment, den wir in diesem Parlament ger-
ne erleben würden .

Das könnte man auch auf ihre grundsätzliche Haltung
beziehen: Als Frau Gohlke sprach, wusste ich gar nicht,
ob sie noch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz im Auge
hat; gleichzeitig will Herr Lenkert dieses Gesetz novel-
lieren und verbessern .

Man muss bei Ihnen fragen, ob Sie den besonderen
Sachverhalt von Wissenschaft als Berufsperspektive,
aber auch das Arbeiten in der Wissenschaft als Kompe-
tenzperspektive auch für Tätigkeiten außerhalb von Wis-
senschaft so verinnerlicht haben, um zu wissen, dass dies
eine besondere Situation im Arbeitsrecht bedeutet .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ich ziehe vielleicht andere Schlüsse daraus als Sie!)


Diese Lernfähigkeit möchten wir Ihnen gerne wünschen,
so wie wir sie insgesamt im Parlament haben .

Das Zweite . Ja, wir sind auch kompromissfähig . Man
muss gar keinen Hehl daraus machen, dass der Weg, den
der Koalitionspartner seit 2013 gegangen ist, ein länge-
rer Weg ist als der, den die SPD gehen musste; denn wir
haben bereits in der letzten Legislaturperiode hierzu ei-
nen Gesetzentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitver-
tragsgesetzes eingebracht . Aber will man denn jemanden
schelten, wenn er in kürzerer Zeit einen weiteren Weg
zurücklegt? Nein, das tun wir nicht . Wir erkennen dies
ausdrücklich an .


(Beifall bei der SPD)


Wir möchten auch den Grünen eines gerne sagen,
wenn Sie von dieser Koalition jetzt unbillige Kompro-
misse erwarten . Hierzu gab es neulich im Spiegel zwei
schöne Sätze zu lesen: „Natürlich stehen wir alle für un-
sere Position ein . Aber jeder klar denkende Mensch weiß,
dass eine Koalition auch Kompromisse erfordert .“ Das
sagte Frau Göring-Eckardt in der Auseinandersetzung
mit Frau Wagenknecht . Wahre Worte!


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb ist es ja super, dass sich die Union bewegt hat!)


Das, was wir hier vorlegen, ist ein guter Kompromiss,
ein richtig guter politischer Kompromiss .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Keine Seite macht Abstriche von ihren Haltungen, aber
man findet in verschiedenen Haltungen zu einem guten
Ergebnis .

Das Dritte . Dies ist nicht nur ein Ergebnis des Gesetz-
gebers; dies ist ein Ergebnis eines Prozesses . Ich möchte
ausdrücklich sagen: Wir haben zusammen erkannt, dass
Gesetze nicht alles sind . Aber ein Gesetz gehört im Zwei-
felsfall mit dazu . Wenn es schon heißt: „Gesetze sind
nicht alles“, dann lassen Sie uns doch zumindest aner-
kennen, was sich in den Hochschulen und bei den For-
schungsorganisationen alles bereits aufgebaut hat .

Patricia Lips






(A) (C)



(B) (D)


An dieser Stelle noch einmal den ausdrücklichen
Dank, wie es auch Frau Gohlke am Anfang schon ge-
macht hat, an die GEW, an Verdi, an die Betriebsräte und
andere, die nicht nachgelassen haben in ihrer Aufklärung
und Kritik


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und die jetzt immer wieder die besten Lösungen zusam-
men mit den Arbeitgebern und den Institutionen einfor-
dern und auch umzusetzen haben . Uns ist das mit dem
Umsetzen sehr wichtig; denn das Gesetz, das wir jetzt
machen, braucht auch eine konstruktive Begleitung und
Umsetzung in den Hochschulen, in den einzelnen For-
schungsorganisationen . Dazu macht dieses Gesetz auch
Mut, weil es nämlich einen anderen Rahmen setzt, in
dem man besser umsetzen kann .

Vierter Punkt . Manchmal, wenn man an der Basis
erklären soll: „Was macht ihr da eigentlich?“, nun auch
noch bezogen auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz,
wünschte ich mir die einfachen, klaren Sätze, mit denen
auch andere Menschen nachvollziehen können, dass wir
hier zu Verbesserungen kommen wollen .

Ein solcher einfacher Satz ist, dass Qualifikation Zeit
braucht . Die muss man dann auch zugesichert bekom-
men, und das geschieht durch dieses Gesetz .

Ein weiterer einfacher Satz ist, dass Drittmittel eine
gewisse Zeitdauer haben . Aber die muss dann nicht noch
zerstückelt werden, wenn es bei Drittmitteln diese Zeit
gibt . Herr Lenkert, man darf Gesetzentwürfe auch lesen .
Sie haben hier unterstellt, dass sich die Bindung an die
Drittmittel, an die Projekte nach Haushaltsjahren immer
wieder begrenzen würde . Das ist aber im Gesetzesver-
fahren ausdrücklich abgelehnt worden . Es ist ausdrück-
lich erklärt worden, dass das nicht so laufen soll .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813304000

Herr Rossmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Lenkert zu?


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1813304100

Ich habe ohnehin so wenig Redezeit . – Das Nächste,

was ich als sinnfällig ansprechen möchte, ist: Da, wo et-
was verschieden ist, muss es auch unterschiedlich behan-
delt werden . Eine wissenschaftliche Tätigkeit ist etwas
anderes als eine nichtwissenschaftliche Tätigkeit, die auf
Dauer angelegt sein kann . Deshalb ist es gut, wenn nicht-
wissenschaftliche Tätigkeiten herausgenommen wurden .

Die Grünen müssten die Frage beantworten, ob sie die
Rechtssicherheit für das nichtwissenschaftliche Personal
verstärken wollen, auch in Richtung von mehr Dauerstel-
len, oder ob sie diese Beschäftigten in dieser Unsicher-
heit und prekären Situation lassen wollen . Wir glauben,
da ist die grüne Kollegin aus Baden-Württemberg nach
den Erfahrungen, die wir damit haben, leider auf dem
Holzweg .


(Beifall bei der SPD)


Und schließlich: Es ist auch sehr gut – Frau Dinges-
Dierig, Sie haben darauf hingewiesen –, wenn man die
Verschiedenheiten, unter denen Menschen wissenschaft-

liche Arbeit machen, mitberücksichtigen kann, etwa Er-
ziehung, Pflege, aber auch persönliche Betroffenheit von
Behinderung .

Insofern: Das sind vier einfache Sachverhalte in ei-
nem komplizierten Gesetz . Aber wenn wir Mut machen
wollen, dann müssen wir versuchen, das Ganze von den
einfachen Sachverhalten her zu begründen und zu ent-
wickeln .

Meine Schlussbemerkung . Frau Dinges-Dierig, ich
habe nicht ganz verstanden, weshalb Sie gesagt haben,
dies sei nur ein ganz kleiner Beitrag . Ich glaube, das ist
schon mehr als ein kleiner Beitrag .


(Beifall bei der SPD)


Das ist ein wichtiges, ein großes Signal an die 800 000
beschäftigten Menschen in Wissenschaft oder im Umfeld
der Wissenschaft, weil dies zeigt, dass ihre Erfahrung,
ihre Sorgen im Parlament ernst genommen werden . Das
Parlament setzt einen Rahmen, in dem sie selbst das Gan-
ze dann handlungsmächtig ausgestalten können .


(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD])


Machen wir uns nicht selber klein bei dem, was in die-
ser Großen Koalition jetzt verbessert wird als Signal in
gute Wissenschaft, in gute Arbeit hinein . Das sollten wir
uns auch selber zugestehen . Wir bewegen hier wirklich
etwas Gutes . Es ist etwas Gutes und damit auch etwas
Großes .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813304200

Als nächste Rednerin hat Katrin Albsteiger von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


Katrin Albsteiger (CSU):
Rede ID: ID1813304300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Zum Ende der heutigen De-
batte lautet mein Fazit: Einerseits hat das Thema wissen-
schaftlicher Nachwuchs bei uns im Parlament und insbe-
sondere in der Großen Koalition einen enorm wichtigen
Stellenwert . Das ist gut . Wir stehen zu unserem wissen-
schaftlichen Nachwuchs, und das sieht man nicht nur an
der prominenten Debattenzeit, sondern das zeigen auch
die geleisteten Redebeiträge .

Andererseits stelle ich aber auch fest, dass gerade das
Thema Vergangenheitsbewältigung – ich darf hinzufü-
gen: einseitige Vergangenheitsbewältigung – einen sehr
großen Stellenwert in dieser Debatte hatte . Ich persön-
lich wäre eher dafür, dass wir über die Zukunft sprechen,
nämlich darüber, was durch diese Gesetzesnovellierung
alles möglich wird . Es gibt nämlich viel Positives, und
mein Teil der Vergangenheitsbewältigung wird sich in
dieser Rede ausschließlich auf die vergangenen andert-
halb Stunden beziehen . Denn da wurde ja schon vieles
gesagt .

Tatsächlich ist es beim Wissenschaftszeitvertragsge-
setz so – wen wundert es –: Durch die Befristungstatbe-

Dr. Ernst Dieter Rossmann






(A) (C)



(B) (D)


stände ist Fluktuation im Wissenschaftsbereich selbstver-
ständlich möglich . Das mag vielleicht für den einen oder
anderen, der sich mit Wissenschaftspolitik beschäftigt
hat, erst einmal komisch wirken oder vielleicht auch auf
Ablehnung stoßen . Aber gerade in diesem Bereich ist die
Fluktuation enorm wichtig . Warum ist das so? Nehmen
wir nur einmal den Bereich der Promotion: Es ist logisch,
dass die Promotionsstellen irgendwann – ich formuliere
es einmal so – frei werden müssen: für die nächste Gene-
ration . Es kann ja nicht sein, dass ewig promoviert wird .
Es ist doch völlig logisch, dass ein Rahmen vorgegeben
wird, in dem auch wissenschaftlich gearbeitet werden
und eine Promotion sinnvollerweise abgeschlossen wer-
den kann .

Im Übrigen gilt – Patricia Lips hat es schon erwähnt –:
Neue Ideen, neue Ansätze, neue Methoden kommen nur
durch eine solche Fluktuation zustande . Dynamik, Inno-
vation, Wettbewerbsfähigkeit, Leistungsfähigkeit: Das
alles brauchen wir in der globalisierten Welt . Wir stehen
in Konkurrenz mit Wissenschaftlern in anderen Ländern
und deren wissenschaftlichem Nachwuchs .

Natürlich ist Mobilität wichtig . Das ist gar keine Fra-
ge . So soll es auch weitergehen . Auch da haben wir in
den letzten Jahren einiges getan . Aber selbstverständlich
müssen wir auch in unserem Wissenschaftsbereich Mög-
lichkeiten schaffen, damit sich die neuen Ideen und die
Dynamik entfalten können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Leider – auch das ist heute klar geworden – fällt die
Bilanz, was sich durch das Wissenschaftszeitvertragsge-
setz in den letzten Jahren alles getan hat, nicht nur positiv
aus . Die extrem kurzen Befristungen – ich glaube, darin
sind wir uns einig – sind uns allen ein Dorn im Auge .
Aber auch sie – das wurde ebenfalls schon angespro-
chen – machen an der einen oder anderen Stelle Sinn .
Es macht keinen Sinn, eine Befristung auf 24 Monate zu
fixieren, wenn zum Beispiel eine Situation entsteht, dass
jemand nur eine Verlängerung von drei Wochen braucht,
um seine Promotion abzuschließen, oder wenn jemand
nur eine Überbrückung haben möchte, bis er ins Ausland
geht . Dann ist die Befristung von beiden Seiten gewollt .
Alles zu verteufeln, was mit kurzen Befristungen zu tun
hat, wäre an der Stelle falsch .

Aber wir haben auf jeden Fall die Problematik er-
kannt . Deswegen konzentrieren wir uns jetzt bei der No-
vellierung auf den Grundgedanken des Wissenschafts-
zeitvertragsgesetzes, nämlich die Ermöglichung der
wissenschaftlichen Qualifikation.

Trotzdem müssen wir uns darüber klar sein: Alles
wird das Gesetz nicht regeln können . Wir können einfach
nicht alles in dieses Gesetz packen . Es muss auch noch
andere Instrumente geben, Instrumente, an denen wir ar-
beiten und schon gearbeitet haben . Es ist schon einiges
passiert .

Es ist nicht nur Aufgabe des Bundes . Auch das ist
bereits gesagt worden . Wir alle haben eine Verantwor-
tung gegenüber unserem wissenschaftlichen Nachwuchs,
und wir sind es ihm auch schuldig . Was die Hochschu-

len oder auch die außeruniversitären Einrichtungen an-
geht, ist schon einiges passiert . Wenn man sieht, welches
Bewusstsein inzwischen geschaffen worden ist – nicht
durch starre Gesetze, sondern allein durch Debattieren,
durch Bewusstseinsschaffung und -erweiterung und
auch durch die Erfahrungen in diesem Bereich –, dann
kann man durchaus sagen, dass bereits einiges passiert
ist, und es kann auch noch einiges passieren . Personal-
management, Laufbahnberatung, Talentpflege und das
Aufzeigen von Karriereperspektiven – um nur einige
Stichworte zu nennen –: All das ist in den Hochschulen
und den Wissenschaftseinrichtungen möglich . Die wis-
senschaftliche Qualität und die Qualifikation in hoher
Qualität können nur gelingen – auch das ist wichtig –,
wenn Betreuung stattfindet und auf die Bedürfnisse der
Nachwuchswissenschaftler eingegangen wird, und zwar
nicht nur in der Promotionsphase, der Phase der Wei-
terqualifizierung und bei den Post-Docs, sondern auch
deutlich früher . Auch in den Bereichen des Bachelor-
und des Masterabschlusses sind Qualität und Beratung
auf jeden Fall notwendig .

Ich komme nun auf die Länder zu sprechen . Auch die-
se haben ihren Beitrag zu leisten; das ist richtig . Keiner
kann etwas dagegen haben – auch nicht in Baden-Würt-
temberg –, wenn die Grundfinanzierung erhöht wird. Die
zusätzlichen Mittel können beispielsweise dem Mittel-
bau im wissenschaftlichen Nachwuchsbereich zur Verfü-
gung gestellt werden; das ist wunderbar . Wir wären die
Letzten, die das kritisieren würden . Aber mir geht echt
der Hut hoch, wenn ich daran denke, dass die Opposition
oft gar nicht anerkennt, was wir alles in den vergange-
nen zehn Jahren für den wissenschaftlichen Nachwuchs
getan haben; es ist so viel passiert . Ich erinnere an den
Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative, den Pakt für
Forschung und Innovation sowie die bereitgestellten
BAföG-Mittel . Angesichts dessen ist es, ehrlich gesagt,
schon eine Frechheit, zu behaupten, der Bund würde sich
hier komplett heraushalten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat dummerweise niemand getan! Bauen Sie doch keinen Popanz auf!)


Wie ich sehe, bin ich leider, leider am Ende meiner
Redezeit und muss daher Schluss machen . Wir sind auf
einem enorm wichtigen und richtigen Weg . In den nächs-
ten Jahren wird sich zeigen, dass dies der richtige Weg
gewesen ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813304400

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich

schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/6489 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Katrin Albsteiger






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion DIE LINKE

Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schüt-
zen

Drucksache 18/6362
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-

neten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna
Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und
umfassend regulieren

Drucksachen 18/4839, 18/5449

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Debatte hat Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das
Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813304500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Warum dulden wir eigentlich in den Betrieben
Zustände, die dadurch gekennzeichnet sind, dass Men-
schen sehr unterschiedlichen Regelungen bezüglich ihrer
Arbeit unterliegen, obwohl sie dieselbe Arbeit machen?
Warum schauen wir nur zu? Nun bin ich seit zehn Jahren
Mitglied des Bundestags, und genauso lange diskutieren
wir über dieses Thema . Aber ich kann hier keinen Fort-
schritt erkennen .


(Peter Weiß Das stimmt aber nicht! Dann warst du nicht immer dabei!)


Gott sei Dank unterliegt die Mehrheit noch vernünf-
tigen Arbeitsbedingungen . Was sind vernünftige Ar-
beitsbedingungen? Die betreffenden Menschen sind in
unbefristeten Arbeitsverhältnissen angestellt und haben
einen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber, bei dem sie
auch arbeiten, und nicht mit einem anderen Arbeitgeber .
Es handelt sich um Arbeitsverhältnisse, die in der Regel
noch einigermaßen anständig bezahlt werden, obwohl
nicht mehr alle der Tarifbindung unterliegen . Wir wissen
aber auch: Immer mehr insbesondere junge Beschäftig-
te haben nur noch einen befristeten Arbeitsvertrag – und
das oft mehrfach hintereinander –, ohne dass es dafür
auch nur den geringsten sachlichen Grund gibt . Wie wir
alle wissen, haben insbesondere junge Menschen Werk-

verträge und müssen unter schlechteren Bedingungen
arbeiten als andere Beschäftigte, die im Betrieb diesel-
be Tätigkeit verrichten . Des Weiteren ist eine Vielzahl
junger Menschen bei Leiharbeitsfirmen beschäftigt. Von
Leiharbeit sind gerade junge Menschen betroffen .

Es gibt für diesen Umstand keine logische Begrün-
dung . Den Unternehmen in der Bundesrepublik geht es
ausgezeichnet . Geradezu verzückt teilt uns die Bundes-
regierung immer wieder mit, wie gut es unserem Land
diesbezüglich geht . Um satte 60,2 Prozent haben die Ein-
kommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen nach
Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2000 bis
2014 zugenommen .

Warum akzeptieren wir dann eigentlich eine Gesetz-
gebung, die die Arbeitgeber geradezu auffordert, ihre Be-
legschaften zu spalten, und zwar in die normal Arbeiten-
den und die prekär Arbeitenden? Warum akzeptieren wir
das? Warum akzeptieren wir, dass Randbelegschaften
existieren, die unsichere Arbeitsverhältnisse haben, die
schlechter bezahlt werden und die in der Krise als erste
ihren Job verlieren? Wir werden bei VW erleben, dass die
ersten Leidtragenden in diesem Unternehmen die befris-
tet Beschäftigten oder auch die Leiharbeitnehmerinnen
und Leiharbeitnehmer sein werden . Warum akzeptieren
wir solche Verhältnisse? Wir sind der Gesetzgeber . Wir
könnten das ändern . Warum tun wir das eigentlich nicht,
meine Damen und Herren?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das werde ich Ihnen sagen!)


Insbesondere junge Menschen sind betroffen; ich habe
es gesagt . Ein Viertel der Beschäftigten unter 25 Jahren
hat nur noch einen befristeten Job . Bei jungen Frauen ist
es so, dass bei neuen Arbeitsverhältnissen von drei zwei
nur noch befristet eingestellt werden . Das sind zwei Drit-
tel . Wir brauchen gravierende Änderungen in unserer
Gesetzgebung, um diesen Zustand zu beenden . Sie sind
die Regierung . Deshalb bitte ich Sie: Machen Sie in die-
ser Frage endlich einmal Ihren Job, und warten Sie nicht
einfach ab, dass die Zeit vergeht!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ähnliche Verhältnisse haben wir in der Leiharbeit .
Seien Sie doch einmal ehrlich . Sie wissen ganz genau,
dass das eigentliche Ziel von Leiharbeit Lohndumping
ist . Nein, ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie so dumm
sind, dies nicht zu erkennen . Das wissen Sie . Sie machen
trotzdem nichts dagegen . Sie wissen, dass das eigentliche
Ziel von Leiharbeit ist, Arbeitnehmer leichter aus dem
Betrieb zu entfernen, wenn das Unternehmen es mögli-
cherweise will, leichter als andere . Das ist das Ziel von
Leiharbeit . Sie, meine Damen und Herren, machen nichts
dagegen .

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Was Sie jetzt bei der Leiharbeit planen – ich möchte
Ihnen das mit aller Deutlichkeit sagen –, ist nichts ande-
res als Etikettenschwindel .


(Katja Mast [SPD]: Deshalb regen sich die Arbeitgeber ja jetzt schon auf! Weil das Etikettenschwindel ist!)


Dass erst nach neun Monaten gleicher Lohn für gleiche
Arbeit gelten soll, ist Etikettenschwindel, wenn man
weiß, dass 54 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse weni-
ger als drei Monate dauern . Ich brauche nicht nach neun
Monaten gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu fordern;
denn dann sind die Arbeitnehmer ja nicht mehr da . Für
wie dumm halten Sie eigentlich die Bevölkerung dieser
Republik?


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie die Überlassungsdauer bei der Leiharbeit auf
18 Monate beschränken wollen, dann ändert das über-
haupt nichts an dem Problem, wenn man weiß, dass
nur 13,8 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse länger als
18 Monate dauern . Mein Gott, was machen Sie da ei-
gentlich für einen Unfug? Deswegen: Hören Sie auf mit
diesem Quatsch!

Was wir brauchen, ist eine klare und deutliche Ein-
schränkung der Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse zu be-
fristen . Was wir brauchen, ist gleicher Lohn für gleiche
Arbeit und ein 10-prozentiger Flexibilitätszuschlag bei
Leiharbeit wie in Frankreich .


(Beifall bei der LINKEN)


Darüber hinaus brauchen wir die Regelung, dass bei
Scheinwerkverträgen die Beweislast umgekehrt wird .
Das Unternehmen muss beweisen, dass es sich nicht um
einen Scheinwerkvertrag handelt, nicht der einzelne Be-
schäftigte, der immer in einer schlechteren Situation ist .

Meine Damen und Herren, wenn Sie die Verhältnisse
wirklich ändern wollen, dann stimmen Sie unserem An-
trag zu . Was Sie in der Pipeline haben, ist nichts anderes
als heiße Luft . Hören Sie mit diesem Quatsch auf!


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813304600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Albert

Stegemann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1813304700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Bereits vor der Sommerpause haben wir ausführlich,
sowohl im Plenum als auch im Ausschuss, über Teile der
vorliegenden Anträge gesprochen . Nun debattieren wir
Ihre Forderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, zum x-ten Mal, diesmal vorweihnachtlich
geschmückt mit vermeintlich neuen Zahlen und altbe-
kannten Feststellungen . Sehen Sie es uns bitte nach, dass

dies in unserer Fraktion mittlerweile schon zu Ermü-
dungserscheinungen führt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sonst auch!)


Trotz der ständigen Wiederholung Ihrer Forderungen
kommen wir, aber auch Sie, an einer simplen Wahrheit
nicht vorbei: Als Gesetzgeber können wir nicht per De-
kret einen funktionierenden, einen florierenden Arbeits-
markt verordnen . Was meine ich damit? Wie der Name
schon nahelegt, ist der Arbeitsmarkt ein Ort, an dem
Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften zusammen-
treffen . Arbeitsplätze als solche können nicht staatlich
verordnet werden . In der deutschen Geschichte hat dies
bereits einmal nicht funktioniert, und es würde erneut
scheitern . Vielmehr geht es um ein ständiges Austarieren
von oft gegenläufigen Interessen, dem Wunsch nach einer
notwendigen Flexibilität der Arbeitgeber auf der einen
Seite und der gewünschten Sicherheit für Arbeitnehmer
auf der anderen Seite . Das ist aber Aufgabe der Tarifpar-
teien und nicht Aufgabe des Gesetzgebers . Der Gesetzge-
ber greift immer nur dann ein, wenn es den Tarifparteien
nicht gelingt, geordnete Verhältnisse zu schaffen . Alles
darüber Hinausgehende ist blanker Populismus .

Hier unterscheiden wir uns maßgeblich in unserer
Einschätzung . Ein tragfähiger Arbeitsmarkt in einer glo-
balen Welt muss mehr bieten als ein unbefristeter und
möglichst einheitlich tarifierter Arbeitsvertrag mit mög-
lichst vielen Sozialleistungen nach dem Motto „Alles im
Gleichschritt“, und das alles völlig unabhängig von Qua-
lifikation, Branche und Arbeitserfahrung des Beschäftig-
ten .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Gerne empfehle ich Ihnen, sich noch einmal eingehend
mit den Mechanismen einer funktionierenden Wirtschaft
auseinanderzusetzen . Nur durch das bloße Umverteilen
werden wir den Wohlstand nicht mehren können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Und mehr noch: Nicht nur, dass Ihre Forderungen in
der Sache destruktiv sind; nein, Sie täuschen bewusst die
Menschen in unserem Land, indem Sie atypische, flexi-
ble Beschäftigung automatisch auf eine Stufe mit prekä-
rer Beschäftigung stellen . Sie haben das gerade wieder
gemacht. In Ihrer Wahrnehmung qualifizieren sich alle
Arbeitnehmer, die unter 20 Stunden in Teilzeit arbeiten,
einen befristeten Vertrag besitzen, geringfügig beschäf-
tigt sind oder im Rahmen der Zeitarbeit tätig sind, als
Menschen, die aufgrund ihrer Lebensumstände sozial ab-
gestiegen sind . Erklären Sie doch bitte einmal der jungen
Mutter, die aktuell mit 19,5 Stunden halbtags wieder ih-
ren Beruf ausübt, dass sie dem Prekariat angehört . Sagen
Sie doch bitte einmal den Zeitarbeitnehmern, die über ein
solches Beschäftigungsverhältnis den Sprung in regulä-
re Beschäftigung schaffen wollen, dass sie sich erst gar
nicht bemühen sollen, und sagen Sie auch einmal Ihren
eigenen Mitarbeitern im Bundestag, deren Arbeitsverträ-
ge immer befristet sind, dass sie nun zu den Abgehängten

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


zählen . Ich halte diese bewusste Vermischung für verant-
wortungslos und außerordentlich schädlich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie streuen damit gerade jungen Menschen Sand in die
Augen, was die eigenen Perspektiven anbelangt .

Entscheidend ist doch vielmehr, dass jeder eine faire
Chance bekommt . Entscheidend ist, dass sich Arbeitneh-
mer entwickeln können, und entscheidend ist, dass es
vernünftige Rahmenbedingungen gibt, die eben dieses
beides zulassen . Nur normierte Arbeitsverhältnisse, so
wie Sie sie mit Ihrem vorliegenden Antrag erzwingen
wollen, werden weder unsere Gesellschaft noch die ein-
zelnen Arbeitnehmer zum Erfolg führen . Im Gegenteil:
Sie werden mittelfristig genau diejenigen treffen, die wir
alle zusammen schützen wollen . Ich möchte nicht ver-
antworten, dass wir gerade jungen Menschen eine gute
Perspektive rauben .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ein
Blick über die Grenze zeigt uns täglich, dass dies keine
theoretische Diskussion ist . Wenn Wissenschaftler von
einer verlorenen Generation sprechen, dann meinen sie
damit unter anderem nahezu jeden zweiten jungen Men-
schen in Spanien oder in Griechenland, der ohne Arbeit
ist . Wie schwer muss es für diejenigen sein, die wissen,
dass sie trotz ihrer Talente und Fähigkeiten kaum Chan-
cen haben, diese auch einzubringen? Dazu sagen Sie in
Ihren Anträgen nichts . Ist Ihnen bekannt, dass die Ju-
gendarbeitslosigkeit in diesen Ländern stärker angestie-
gen ist als die allgemeine Arbeitslosigkeit? Hierfür sind
zum großen Teil die starren Regelungen auf den Arbeits-
märkten und hohe Barrieren mit verantwortlich, für die
Sie sich gerade hier in Deutschland einsetzen wollen .


(Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] und Jutta Krellmann [DIE LINKE] melden sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813304800

Herr Kollege Stegemann?


Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1813304900

Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang vortra-

gen. – Diese sind häufig Grund dafür, dass sich Unter-
nehmen scheuen, junge Beschäftigte einzustellen . Das ist
doch die Realität .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813305000

Lassen Sie jetzt eine Zwischenfrage zu, Herr Kollege

Stegemann?


Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1813305100

Ich möchte gerne weiter vortragen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813305200

Okay .


Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1813305300

Die Folgen eines verkrusteten Arbeitsmarktes konnten

auch wir in Deutschland Anfang des Jahrtausends sehen .
Was bedeutet eine schrumpfende Wirtschaft für die Men-
schen? Stagnierende Löhne und 5 Millionen Arbeitslose,
das war die Realität .

Wir sind davon überzeugt, dass ein Arbeitsmarkt dy-
namische Elemente benötigt, um Erfolg zu haben . Die
Öffnung des Arbeitsmarktes war daher ein konsequenter
und richtiger Schritt . Und: Ja, es gab auch Fehlentwick-
lungen . Aber hier haben die letzten Bundesregierungen
zu Recht gehandelt, beispielhaft im Bereich der Zeitar-
beit: Per Gesetz ist Equal Pay ab dem ersten Tag vor-
geschrieben, wenn keine anderen tariflichen Lösungen
vereinbart werden . Im Ergebnis sehen wir die höchste
Tarifbindung, die es in unserem Land gibt . Bei den Über-
lassungsdauern sehen wir seit mehreren Jahren einen po-
sitiven Trend .

Mit welcher Begründung möchten Sie jemanden nun
Ihrem Antrag entsprechend nach drei Monaten auf die
Straße setzen? Ihr Ziel ist die Abschaffung der Arbeit-
nehmerüberlassung . Mit uns ist das nicht zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das geht nämlich an den Bedürfnissen des Arbeitsmark-
tes, aber auch an den Bedürfnissen der berufstätigen
Menschen vorbei .

Zusammenfassend: Ein erfolgreicher Arbeitsmarkt
ist die Grundlage dafür, dass möglichst viele Menschen
profitieren können; an dieser Wahrheit kommen – trotz
aller ideologischen Verrenkungen – wir, aber auch Sie
nicht vorbei . Das ist gute Sozialpolitik und Grundlage
des Handelns der CDU . Deshalb haben sich die Regie-
rungsparteien im Koalitionsvertrag die Schaffung von
guter Arbeit zum Ziel gesetzt . Hier haben wir zusammen
mit den Sozialdemokraten bereits große Schritte getan
mit der Stärkung der Tarifpartner, die am besten für die
Interessen ihrer Mitglieder Partei ergreifen können, mit
einem einheitlichen Mindestlohn, der garantiert, dass
niemand unter einer gewissen Lohngrenze arbeiten muss,
und mit verbindlichen Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt,
um Missbräuchen jeder Art einen Riegel vorzuschieben .

Bei den kommenden Reformen im Bereich der Werk-
verträge und der Zeitarbeit gehen wir diesen Weg weiter .
Wir passen die etablierten Elemente des Arbeitsmarktes
an und stärken zugleich die tariflichen Vereinbarungen,
die über Jahre verlässlich getragen haben . Aus diesem
Grund lehnen wir Ihre Anträge ab .

Vielen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das war an jeder Realität vorbei!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813305400

Vielen Dank . – Der Kollege Klaus Ernst erhält das

Wort für eine Kurzintervention .

Albert Stegemann






(A) (C)



(B) (D)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813305500

Lieber Kollege Stegemann, als Erstes zur Rolle der

Gesetzgebung . Wir sind der Gesetzgeber . Deswegen sit-
zen wir hier . Ich stimme Ihnen zu: Es gibt Dinge, die der
Tarifvertrag regelt, und es gibt Dinge, die wir als Gesetz-
geber regeln müssen . Darum haben wir ein Tarifvertrags-
gesetz . Darum haben wir ein Arbeitszeitgesetz . Darum
haben wir Regelungen zur Befristung . Die Regelungen
haben sich in der letzten Zeit verändert . Jetzt stellen
wir fest: Sie haben sich in eine Richtung verändert, die
aus unserer Sicht – ich hoffe eigentlich: auch aus Ihrer
Sicht – für die Betroffenen nicht sehr schön ist . Weil sich
der Gesetzgeber in der letzten Zeit in eine Richtung be-
wegt hat, die falsch war, müssen wir jetzt die Gelegenheit
ergreifen, das zu korrigieren . Wenn Sie Regelungen des
Gesetzgebers im Arbeitszeitbereich oder im Arbeitsbe-
reich insgesamt ablehnen, dann weiß ich nicht, warum
wir hier sitzen . Das ist unser Job . Machen wir doch ein-
fach unseren Job in der Frage! Dann kriegen wir etwas
hin .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens . Ich habe die Gnade der frühen Geburt er-
fahren . Ich habe zu einer Zeit gelernt, in der es gerade-
zu selbstverständlich war, jedenfalls wenn man nicht
Jugendvertreter war, dass man nach der Ausbildung ei-
nen Job gekriegt hat . Heute müssen Betriebsräte darum
kämpfen und mit dem Arbeitgeber spezielle Vereinba-
rungen treffen, dass die jungen Menschen, die im Betrieb
ausgelernt haben, wenigstens einen befristeten Job krie-
gen . Ja, ist das denn ein normales Verhältnis? Bringt uns
das weiter? War es früher besser, oder war es schlechter?
Wie war damals der Zustand unseres Landes? War er
schlechter, oder war er besser? Ich sage Ihnen: Das, was
wir damals an Gesetzgebung hatten,


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das ist nur eine Redeverlängerung!)


hat dazu geführt, dass eine Vielzahl von Jungen ihr Le-
ben planen konnten, Familien gründen konnten, freudig
und nicht mit Angst in den Job gegangen sind . Sie hatten
keine Angst davor, dass ihr Vertrag nicht verlängert wird
oder dass sie als Leiharbeiter sehr schnell wieder raus-
fliegen.


(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Schauen Sie sich die Zahlen richtig an! Dann wissen Sie, dass das falsch ist, was Sie da sagen!)


– Sie können sich zu Wort melden, wenn Sie da hinten
herumbrüllen . – Das hat sich verändert . Das ist der Punkt .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie das nicht erkennen, Kollege Stegemann,
dann leben Sie wirklich auf einem anderen Stern . Gehen
Sie einmal in die Betriebe! Reden Sie mit den Jungen!
Die Jungen sind nicht froh, dass sie befristet beschäftigt
sind . Sie sind nicht froh, dass sie in Leiharbeitsverhält-
nissen sind . Sie sind auch nicht froh, dass sie nur bei
einem Werkvertragsunternehmen sind und dieselbe Tä-
tigkeit machen wie der Kollege nebenan, aber schlechter
bezahlt werden, schlechtere Bedingungen haben . Was ist

denn das für ein Verhältnis, das Sie hier verteidigen wol-
len?


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813305600

Herr Stegemann, Sie haben die Möglichkeit zur Er-

widerung .


(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Ganz offensichtlich ist er meiner Rede nicht gefolgt!)


– Okay .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach, das war es jetzt?)



Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1813305700

Ganz offensichtlich haben Sie nur die erste Hälfte

meiner Rede verfolgt . Ich habe eigentlich alles gesagt,
was dazu zu sagen ist . Wir haben die niedrigste Arbeits-
losigkeit, und das hat auch etwas mit einem erfolgreichen
Arbeitsmarkt zu tun . Dort, wo wir eine hohe Jugendar-
beitslosigkeit haben, ist das Ausdruck eines verkrusteten
Arbeitsmarkts .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist ein anderes Thema! Mein Gott, Thema verfehlt!)


Ich habe das alles gerade geschildert . Ich würde Sie bit-
ten, wenn Sie bei der nächsten Rede wieder intervenie-
ren, der Rede komplett zu folgen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Und nicht alte Manuskripte rausholen! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das war eine schwache Nummer!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813305800

Als nächste Rednerin hat Beate Müller-Gemmeke von

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kann nur besser werden!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Jungen Menschen steht die ganze
Welt offen, so heißt es . Doch dieser optimistische Blick
in die Zukunft gilt in der Arbeitswelt schon lange nicht
mehr; denn der Weg in den Beruf verläuft immer häufiger
über prekäre Beschäftigung .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Herr Stegemann, hören Sie genau zu!)


Angesichts der Diskussion muss ich sagen: Die Wahrheit
liegt zwischen diesen beiden Positionen .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also bei uns!)


– Genau, bei uns . – Nach Ausbildung und Studium sind
immer mehr junge Menschen mit Leiharbeit, Befristung,






(A) (C)



(B) (D)


Werkverträgen und Phasen der Arbeitslosigkeit konfron-
tiert . So ein Start ist wenig motivierend, und ermutigend
schon gar nicht . Das sollten Sie, die Regierungsfraktio-
nen, endlich zur Kenntnis nehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn junge Menschen in erster Linie damit beschäf-
tigt sind, immer wieder neue Jobs zu finden, und Unsi-
cherheit für sie zum Normalzustand wird, dann fehlen
nicht nur die Chancen für Lebens- und Familienplanung,
dann fehlt auch die Kraft für gesellschaftliches, politi-
sches und gewerkschaftliches Engagement . Ein Drittel
aller jungen Menschen macht sich heute Sorgen um die
eigene Zukunft . Das sind eindeutig zu viele . Auch sie
brauchen Wertschätzung . Sie brauchen vor allem Sicher-
heit, das heißt Arbeitsplätze mit Perspektive .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber es geht natürlich insgesamt um die Fehlentwick-
lungen in der Arbeitswelt, die von der Bundesregierung
entweder gar nicht oder nur unzureichend angepackt
werden . Im Antrag der Linken wird vieles angesprochen,
auch wenn wir nicht mit allem einverstanden sind . Die
Themen Befristung und Mindestlohn haben wir hier
schon häufig diskutiert. Auch wir kritisieren beim Min-
destlohn die Ausnahmen für junge Menschen, und auch
wir wollen die sachgrundlose Befristung abschaffen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vor allem über die Leiharbeit werden wir in nächster
Zeit heftig diskutieren; denn Sie, die Regierungsfraktio-
nen, planen ja Equal Pay nach neun Monaten. Das macht
für uns keinen Sinn . Nur wenige Leiharbeitskräfte wer-
den davon profitieren, da die Mehrzahl bekanntlich nach
drei Monaten schon wieder arbeitslos ist . Wir wollen
auch keine Höchstüberlassungsdauer, weder 18 Monate
noch 3 Monate; denn die Auftragsspitzen sind je nach
Branche unterschiedlich . Vor allem würden so neue
Drehtüreffekte entstehen, und zwar wieder zulasten der
Leiharbeitskräfte . Das ist nicht akzeptabel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grünen setzen ganz auf den Preis . Deshalb fordern
wir Equal Pay ab dem ersten Tag und einen Flexibilitäts-
bonus von 10 Prozent . Für die Betriebe lohnt sich Leih-
arbeit dann nur vorübergehend, und die Beschäftigten
erhalten endlich einen fairen Lohn und damit Wertschät-
zung und Anerkennung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Unterschiedliche Einschätzungen gibt es auch bei
den Werkverträgen. Häufig leisten die Beschäftigten
mit Werkvertrag die gleiche Arbeit auf dem gleichen
Betriebsgelände wie die Stammbelegschaft . Bei dieser
Form von Werkverträgen geht es vor allem darum, Lohn-
kosten einzusparen. Es geht um Tarifflucht, von einem
guten in einen schlechteren Tarifvertrag. Häufig besteht
überhaupt keine Tarifbindung . Wenn so der Anstand in
Teilen der Wirtschaft verloren geht, dann müssen wir die
Rahmenbedingungen verändern – zum Schutz der Be-

schäftigten und vor allem auch zum Schutz der verant-
wortungsvollen Betriebe .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Notwendig sind deshalb eindeutige Kriterien . Vor al-
lem aber wollen wir den Rettungsschirm im Arbeitneh-
merüberlassungsgesetz schließen; denn viele Betriebe
nutzen das aus . Sie vergeben ihre dubiosen Werkverträge
nur an Fremdfirmen mit einer Erlaubnis für Leiharbeit.
So können sie sich ganz einfach vor Rechtsfolgen schüt-
zen . Wer auf Scheinwerkverträge setzt, der muss zukünf-
tig auch die rechtlichen Konsequenzen tragen. Das hat
abschreckende Wirkung, und das ist auch gerecht .

Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Beschäftig-
ten brauchen faire Löhne und Sicherheit und die jungen
Menschen vor allem Chancen und Perspektiven . Wir
warten jetzt auf Ihren Gesetzentwurf . Ich hoffe sehr, Sie
haben Mut und schaffen damit endlich soziale Leitplan-
ken auf dem Arbeitsmarkt .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813305900

Vielen Dank . – Markus Paschke von der SPD-Frakti-

on spricht als nächster Redner .


(Beifall bei der SPD)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1813306000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was
macht Deutschland stark? Es ist ein Zusammenspiel zwi-
schen sozialer Marktwirtschaft und gleichberechtigter
Teilhabe aller am wirtschaftlichen Erfolg .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das wäre schön!)


Damit meine ich eine Beteiligung von Arbeitgeberinnen
und Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern gleichermaßen . Keine Frage, im Durchschnitt
geht es uns gut . Gerade die jüngsten Entwicklungen auf
dem Arbeitsmarkt sowie bei den Einkommen und Renten
zeigen dies deutlich . Das heißt aber nicht, dass es allen
gut geht . Zur Ehrlichkeit gehört auch die Feststellung,
dass die neoliberale Wirtschaftspolitik der letzten Jahr-
zehnte und der Glaube, dass der Markt alles regelt, zu
erheblichen Diskrepanzen geführt hat;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


denn der Markt funktioniert auf diese Weise nur, wenn
die Teilnehmer die gleichen Voraussetzungen und Kräfte
haben . Das ist im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer in der Regel nicht der Fall .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)


Beate Müller-Gemmeke






(A) (C)



(B) (D)


Eine Annäherung dieses Kräfteverhältnisses gibt es nur
durch starke Gewerkschaften und eine funktionierende
Mitbestimmung .

Beim Gesetzgebungsverfahren stellen sich die Fra-
gen: Was ist gut für unsere Gesellschaft? Was ist nach-
haltig? Welche Grundlagen müssen wir schaffen, um zu-
kunftsfähig zu sein? – Sie haben recht, dass gerade junge
Menschen häufig nur befristete Arbeitsverträge erhalten.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Erzählen Sie das mal Herrn Stegemann! Der sitzt dort!)


Ich sage ganz klar: Das ist weder gut für die Gesellschaft
noch ist es nachhaltig, und es ist schon gar nicht zu-
kunftsfähig .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir reden immer wieder über Fachkräftemangel, de-
mografischen Wandel und darüber, was wir für junge Fa-
milien tun müssen . Klar ist doch: Wenn die Grundlage
nicht stimmt, dann hilft die Bekämpfung der Symptome
wenig .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)


Junge Menschen brauchen und wollen Sicherheit und
Anerkennung . Das ist in prekären Beschäftigungsver-
hältnissen in der Regel aber nicht der Fall .

Lassen Sie uns einen Blick auf die Realität werfen .
Eine junge Frau – nennen wir sie Hanna – ist als Leih-
arbeiterin bei VW beschäftigt . Gerade hat sie sich mit
ihrem Mann ein älteres Haus gekauft und mit der Fami-
lienplanung begonnen . Die ist jetzt erst einmal auf Eis
gelegt, weil sie nicht mehr einschätzen kann, wie es wei-
tergeht . Sie hat keine Sicherheit, kann Auftragseinbrüche
nicht mit Kurzarbeit überbrücken und muss befürchten,
entlassen zu werden, falls das Fehlverhalten anderer Aus-
wirkungen auf die Nachfrage hat . Völlig unverschuldet
sind ihre Träume von einer kleinen Familie geplatzt .
Hanna und ihr Mann haben sich darauf verständigt, erst
einmal wieder zu verhüten .

Wenn ich nicht weiß, ob ich mich selbst, geschweige
denn einen Partner und Kinder morgen noch ausreichend
versorgen kann, dann überlege ich mir sehr genau, ob ich
eine Familie gründe . Das heißt also: Die Familienpla-
nung muss warten, und unsere Gesellschaft bekommt ein
Problem mit fehlendem Nachwuchs . Das ist volkswirt-
schaftlich und gesellschaftlich kontraproduktiv . Das ist
nicht nachhaltig . Wir brauchen also Rahmenbedingun-
gen, die einen Ausgleich zwischen der notwendigen Fle-
xibilität für Unternehmen und der ebenso notwendigen
Sicherheit für die Menschen schaffen .

In Bezug auf Ihren Antrag muss man die gleichen
Kriterien anlegen – Nutzen für die Gesellschaft, Nach-
haltigkeit und Zukunftsfähigkeit – und die Wirkung be-
rücksichtigen . So fordern Sie in Ihrem Antrag eine Höch-
stüberlassungsdauer bei Leiharbeit von drei Monaten .
Ich befürchte bei einer so geringen Höchstüberlassungs-
dauer eher eine Verschlechterung für die betroffenen Ar-
beitnehmer und einen Drehtüreffekt bei Stellen mit einer
eher niedrigen Qualifikationsanforderung. Hanna hätte in

diesem Fall weder ein Haus gekauft noch mit der Famili-
enplanung begonnen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das macht sie jetzt auch nicht!)


Zudem berücksichtigt Ihr Vorschlag nicht die Unter-
schiede in der Wirtschaft . Bei einer Firma, die Weih-
nachtsmänner aus Schokolade produziert, dauern die
Auftragsspitzen vielleicht zwei bis drei Monate .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kommt Ostern! – Heiterkeit)


Im Spezial- und Anlagenbau oder in der Produktentwick-
lung kann dies erheblich länger sein, weil die Projekte
viel anspruchsvoller sind .

Auch beim Thema Werkverträge sehe ich einige
Unschärfen und eine falsche Ausgangslage . Dort, wo
Werkverträge als Instrument zum Lohndumping benutzt
werden, liegt ein Missbrauchsverdacht nahe . Diesen
Missbrauch werden wir bekämpfen . Aber dies betrifft
längst nicht alle Werkverträge .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich aber mal gespannt!)


Wir müssen also aufpassen, das Kind nicht mit dem Bade
auszuschütten . Es geht uns klar darum, Missbrauch so-
wohl bei Leiharbeit als auch bei Werkverträgen zu be-
kämpfen . Es geht uns darum, einen gesellschaftlichen
Konsens zu finden, der nachhaltig und zukunftsfähig ist,
kurz gesagt: der unserer Gesellschaft guttut .

Gut gemeint ist also nicht gleich gut gemacht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb werden wir Ihre Anträge ablehnen und dem-
nächst einen gut gemachten Gesetzentwurf der Koalition
vorlegen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das wäre ja mal was Neues!)


Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813306100

Vielen Dank . – Wilfried Oellers von der CDU/

CSU-Fraktion spricht als nächster Redner .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1813306200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! In dieser Legislaturperiode, die gerade einmal
zwei Jahre alt ist, debattieren wir in diesem Haus zum
fünften Mal über die Thematik „Zeitarbeit, Werkverträge
und Befristungen“ . Wurden in den vorherigen Debatten
die Themen immer noch einzeln diskutiert, so sind nun
alle Themen in einem Antrag verankert . Bereits an die-
ser Stelle darf ich auf all meine vorher gehaltenen Reden
verweisen . Meine Meinung hat sich dahin gehend nicht
verändert .

Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


Schaut man sich den Antrag genau an, so kann man
ihn, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken,
nur als Frontalangriff auf die Flexibilisierungsinstrumen-
te des deutschen Arbeitsmarktes bezeichnen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie möchten alle Flexibilisierungsinstrumente beseitigen
oder, so weit es geht, einschränken, die in der heutigen
Arbeits- und Wirtschaftswelt jedoch dringend erforder-
lich sind und eine starke Wirtschaft ausmachen . Dabei
scheinen Sie immer noch nicht verstanden zu haben, dass
sich die Arbeitswelt verändert hat und auch stetig ver-
ändern wird . Es sind Veränderungen festzustellen, die in
Richtung Spezialisierung, Selbstständigkeit und Flexibi-
lität gehen .

Sie wollen mit Ihrem Antrag und der gesamten Dis-
kussion nur Panik verursachen .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Dabei lassen Sie sehenden Auges außer Betracht, dass
die Arbeitsmarktsituation in Deutschland positive Re-
korde erreicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit derzeit über 31 Millionen sozialversicherungspflich-
tigen Beschäftigungsverhältnissen und einer Erwerbstä-
tigenzahl von fast 43 Millionen


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Keine Vollzeitarbeitsverhältnisse!)


erreichen wir nie dagewesene Zahlen . Mit 2,65 Millio-
nen Arbeitslosen erreichen wir die niedrigste Arbeitslo-
senzahl seit der Wiedervereinigung . Der Arbeitsmarkt
gewinnt an Robustheit stetig dazu, und die Einkommen
steigen. Hiervon profitieren alle Menschen in Deutsch-
land . Offensichtlich kommen Sie mit den guten Zahlen
nicht zurecht und suchen daher Themen, bei denen Sie
Panik verbreiten können .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ach, das ist doch Quatsch! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei den Niedriglöhnen gibt es keine Lohnsteigerung seit zehn Jahren!)


In Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dass in der heu-
tigen Arbeitswelt nur schwer Gegenwehr gegen das Pro-
fitstreben der Unternehmen organisiert werden könne.
Mit diesen Worten verkennen Sie das Grundprinzip des
Wirtschaftslebens, nach dem ein Unternehmen nun ein-
mal so geführt werden muss, dass es profitabel ist, damit
es überhaupt auf dem Markt bestehen kann . Offensicht-
lich ist Ihnen gleichgültig, wie Unternehmen auf dem
Markt zurechtkommen . Sie schüren eine Neiddebatte,
und für diese Wirtschaftsdenke fehlt mir absolut jedes
Verständnis .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine Neiddebatte! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Die Unternehmer in Deutschland sind es, die die Men-
schen in Arbeit bringen und gemeinsam mit ihnen, ih-
ren Mitarbeitern, Produkte entwickeln, die uns hier in

Deutschland zu Wohlstand verhelfen . Hierfür gebührt
allen ein großer Dank .

Die genannten positiven Zahlen werden aufgrund der
derzeitigen Rechtslage erreicht . Daher gilt es, sehr be-
hutsam vorzugehen, wenn man diese Rechtslage ändern
möchte . Einen Missbrauch von Flexibilisierungsinstru-
menten möchte keiner . Er kann jedoch schon auf der jet-
zigen Rechtsgrundlage unterbunden werden .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das passiert aber nicht!)


Die Reaktion auf Missbrauch kann nicht sein, dass man
stets die Rechtslage verschärft . Damit trifft man nämlich
nicht diejenigen, die Missbrauch betreiben, sondern in
erster Linie die redlich handelnden Unternehmer, da sie
sich an Recht und Ordnung halten und durch schärfere
Gesetze unnötigerweise in ihrem Handeln beeinträchtigt
werden .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rahmenbedingungen werden für alle verändert!)


Zeitarbeit, Werkverträge und Befristungen sind wich-
tige Flexibilisierungsinstrumente, die in der heutigen
Wirtschaftswelt unverzichtbar sind . Es gilt, mit ihnen auf
wirtschaftliche Schwankungen zu reagieren, aber auch
auf die persönliche Situation der Mitarbeiter, die zum
Beispiel Elternzeit, Pflegezeit oder Familienpflegezeit –
all das ist besonders zu begrüßen – in Anspruch nehmen .
Wenn den Mitarbeitern flexible Instrumente gewährt
werden, muss der Arbeitgeber entsprechend flexible Ge-
staltungsmöglichkeiten haben . Sonst ist eine Ausgewo-
genheit der Interessen nicht hergestellt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zeitarbeit hat eine wichtige Brückenfunktion für
die Menschen und hilft, schneller in Arbeit zu kommen .
Sie hilft insbesondere den Menschen, die längere Zeit
nicht mehr in Arbeit waren, aber auch denen, die noch nie
in Arbeit waren, und vor allem denjenigen ohne Berufs-
ausbildung . Letztere machen immerhin einen Anteil von
22 Prozent bei der Zeitarbeit aus . Die 850 000 Menschen
in Zeitarbeit


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Leiharbeit! Nicht Zeitarbeit!)


machen einen Anteil von lediglich 2 Prozent aus . Seit
2010 ist die Zahl stetig rückläufig. – Wir reden hier von
Zeitarbeit, ich zumindest .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die nennt man Leiharbeiter!)


Interessant ist auch, zu sehen, dass in wirtschaftlich
schwierigen Situationen stets ein Rückgang der Zeitar-
beit zu verzeichnen ist . Dies sichert vor allen Dingen die
Stammbelegschaft der Unternehmen, und das sollte doch
auch in Ihrem Interesse sein . Zu erwähnen ist auch, dass

Wilfried Oellers






(A) (C)



(B) (D)


die Zeitarbeit zu fast 100 Prozent tarifvertraglich geregelt
ist .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch logisch! Sonst müssen sie Equal Pay machen! Das ist doch gar kein Argument!)


Bereits jetzt besteht nach dem AÜG Equal Pay. Beide
Tarifvertragsparteien haben hier im Einvernehmen von
ihren Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht . Das
sollte an dieser Stelle erwähnt werden .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Billiggewerkschaften haben es getan!)


Ich verstehe daher nicht, dass Sie den Menschen diese
von beiden Tarifvertragsparteien gestaltete Brücke in den
Arbeitsmarkt nehmen wollen .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt doch nicht!)


– Das ist wohl richtig .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wie hoch ist denn der Klebeeffekt? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sagen Sie einmal, wie viele es sind! Sagen Sie doch mal eine Zahl!)


Hinsichtlich der von Ihnen geforderten Regulierung
der Werkverträge sei erwähnt, dass es eine umfangreiche
Rechtsprechung gibt und die Gerichte selbst sagen, dass
sie alle Missbrauchsfälle lösen können . Die ebenfalls
geforderte Mitbestimmung in diesem Bereich würde die
unternehmerische Freiheit in unzulässiger Art und Weise
beeinträchtigen . An dieser Stelle würde mich interessie-
ren, was Sie unter unternehmerischer Freiheit verstehen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesellschaftliche Verantwortung!)


Zur Befristung habe ich bereits vor sechs Wochen ge-
sprochen. In Kürze: Die derzeitige Befristungsquote liegt
bei 6,9 Prozent und ist damit die niedrigste seit der Wie-
dervereinigung . Die Tendenz seit 2010 ist stetig fallend .
Die Übernahmequote liegt bei fast 60 Prozent.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt doch nicht!)


Betrachtet man darüber hinaus die jeweiligen Alters-
gruppen, so stellt man fest, dass mit steigendem Alter
der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse deutlich
sinkt . Ich darf mit der jüngsten Altersgruppe der 15- bis
24-Jährigen beginnen . Hier haben wir einen Anteil von
23 Prozent, und er fällt stetig . Schon bei der nächsten
Altersgruppe haben wir einen Anteil von 13,7,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir reden heute über junge Menschen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir müssen uns um die jungen Menschen kümmern! Zwei Drittel der jungen Frauen werden befristet eingestellt! Das nehmen Sie nicht zur Kenntnis!)


bei der ältesten Altersgruppe beträgt der Anteil 3,7 Pro-
zent . Bei einer solchen Entwicklung sehe ich keine Fehl-
stellung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Da dürfen Sie als Frauen nicht klatschen, auch wenn Sie von der CDU sind!)


Im Rahmen des Berufseinstiegs kann es nicht als unüb-
lich angesehen werden, dass zunächst befristete Arbeits-
verhältnisse eingegangen werden . Die aufgezeigte Ent-
wicklung verdeutlicht, dass der Fortgang in die richtige
Richtung geht .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
zum Schluss . Die derzeitige Situation auf dem Arbeits-
markt ist gut . Man sollte daher mit Änderungen sehr vor-
sichtig umgehen . Panikmache, wie Sie sie betreiben, ist
hier nicht angebracht .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813306300

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Jutta

Krellmann von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813306400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Stegemann, lieber Herr
Oellers, wir haben das Thema schon oft diskutiert, und
wir werden das Thema noch zehnmal diskutieren – so
lange, bis die Regelungen geändert sind . Denn Tatsache
ist: Der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen
ist in vielen Bereichen betriebliche Realität, und das ins-
besondere für die junge Generation . Ob Sie das wahrneh-
men wollen oder nicht: Das ist ganz einfach so, und das
können wir auch beweisen .


(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Durch die Wiederholung nimmt der Wahrheitsgehalt nicht zu!)


Deswegen finde ich es in Ordnung, dass wir darüber re-
den . Aber Sie jammern schon wieder darüber, dass Sie
mit uns über dieses Thema reden müssen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Weil Sie Ihren Job nicht machen!)


Das ist Ihre Aufgabe . Deswegen sind Sie hier, und dafür
bekommen Sie und andere auch Ihr Geld .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Schwer verdientes Geld, wenn man Ihnen zuhören muss!)


Frau Nahles hat schon 2014 darüber gesprochen, dass
sie den Missbrauch eindämmen möchte, aber seitdem
ist nichts passiert, tote Hose . Nur das Streikrecht wurde
eingeschränkt . Wir bleiben dabei: Der Missbrauch von
Leiharbeit und Werkverträgen muss endlich eingedämmt
werden, und zwar sofort,


(Beifall bei der LINKEN)


Wilfried Oellers






(A) (C)



(B) (D)


zumal letzte Woche auf Anfrage der Linken herauskam,
dass die Bundesagentur für Arbeit Leiharbeitsfirmen
rechtswidrig mit Versicherungsgeldern bezuschusst. Was
für ein Skandal! Das sagt auch der Bundesrechnungshof,
der die Vergabepraxis der Bundesagentur für Arbeit in
Bezug auf Leiharbeitsunternehmen überprüft und eine
ungerechtfertigte Subventionierung festgestellt hat. Was
sagen Sie dazu? Ist das in Ordnung, dass Leiharbeitsfir-
men auch noch zusätzlich unterstützt werden? Das ist
doch ein Skandal!

Übrigens steht in der Koalitionsvereinbarung, dass
man den Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbre-
cher verhindern will. Das war das ursprüngliche Ziel von
Frau Nahles. Erinnern wir uns, was in der letzten Tarif-
runde bei der Post passiert ist – ich sage ausdrücklich: die
Post gehört zu 21 Prozent der Bundesregierung –:


(Peter Weiß Nicht der Bundesregierung!)


Damals wurden Leiharbeitnehmer ungeniert zum Streik-
bruch eingesetzt. Gerade diesen Missbrauch von Leihar-
beit wollte Frau Nahles doch eindämmen. Und jetzt hört
man, dass genau dieses Verbot des Einsatzes von Leihar-
beitnehmern als Streikbrecher nicht kommen soll. Das ist
eine ganz schreckliche Geschichte.


(Beifall bei der LINKEN)


Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wir reden hier über
Missbrauch!


(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das steht doch in den Tarifverträgen!)


Völlig unnütz erscheint eine Regelung, mit der die
Ministerin die Höchstüberlassungsdauer – das ist eben
schon angesprochen worden – von 24 Monaten auf
18 Monate beschränken will; denn die Hälfte der Leih-
arbeitsverhältnisse dauert weniger als drei Monate – we-
niger als drei Monate! Man höre und staune: Dort, wo
Tarifverträge gelten, da will die Ministerin es mit den
18 Monaten nicht so genau nehmen. Mit anderen Wor-
ten: Es soll wieder Spielräume für andere Möglichkeiten
geben. Scheinbar haben die Ministerin und die Koali-
tionsfraktionen keine Sorge, dass uns die sogenannten
christlichen Gewerkschaften erneut mit Gefälligkeitsta-
rifverträgen überschwemmen, die dann nicht mehr ein-
zudämmen sind.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Manche sind besser als DGB-Tarifverträge!)


Nun zu den Werkverträgen: Werkverträge sind zur
Umgehung von Arbeitnehmerstandards für Arbeitgeber
zunehmend attraktiv geworden. Unternehmen können
völlig legal


(Dr. Martin Pätzold [CDU/CSU]: Dann fra1)


– Sie dürfen gleich, wenn Sie möchten, oder stellen Sie
mir einfach eine Frage; ich beantworte sie gerne – unter-
nehmerische Risiken ausgliedern und die Verantwortung
an nichttarifgebundene Lohndumpingfirmen übertragen.

1) Siehe Berichtigung, 134. Sitzung, Seite 13133

Das ist Missbrauch von Werkverträgen auf breiter Ebene.
Jeder weiß, dass der einzige Schutz gegen Missbrauch
die Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte
ist. Aber ausgerechnet das will Frau Nahles scheinbar
nicht. Der Ministerin geht es nur um die Verbesserung
von Informationsrechten. Die gibt es aber schon heute.
Das ist wieder nur heiße Luft.

Die Linke hat als erste Fraktion im Bundestag das
Problem des Missbrauchs von Werkverträgen angespro-
chen. Wir fordern, dass es an dieser Stelle endlich klare
gesetzliche Regelungen gibt: Gleicher Lohn für gleiche
Arbeit ab dem ersten Tag, Betriebsräte benötigen ein
zwingendes Mitbestimmungsrecht, und es bedarf wirk-
samer Kontrollen und empfindlicher Strafen bei Schein-
werkverträgen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813306500

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813306600

Danke. – Wer den Missbrauch von Leiharbeit und

Werkverträgen ernsthaft im Interesse von Arbeitnehmern
regeln will, muss unserem Antrag zustimmen.

Vielen Dank.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813306700

Vielen Dank. – Michael Gerdes von der SPD-Fraktion

hat als nächster Redner das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1813306800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Zuschauerinnen und Zuschauer! In der Rede meines Kol-
legen Markus Paschke ist schon sehr deutlich geworden,
dass die SPD dem Missbrauch der Leiharbeit eine Absa-
ge erteilt. Wir finden es nicht richtig, wenn für Stamm-
belegschaft und Leiharbeitsbeschäftigte unterschiedliche
Arbeitsbedingungen gelten. Aber wir stehen dazu, Leih-
arbeit auf ihren Kern zu begrenzen.

Leiharbeit ist durchaus ein Instrument zur Abdeckung
von Auftragsspitzen oder Urlaubszeiten.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Befristung! Sachgrund!)


Es geht um schnelles Reagieren und mehr Flexibilität bei
der Erfüllung von Aufträgen. Das ist so weit nachvoll-
ziehbar.

Auch als früherer Betriebsrat und überzeugter Ge-
werkschafter scheue ich mich nicht, zu sagen, dass es
Firmen gibt, die sehr verantwortungsvoll mit dem Thema
Leiharbeit umgehen. Leiharbeit kann durchaus in ein fes-
tes Beschäftigungsverhältnis münden. Das durfte ich vor
einigen Tagen im Rahmen eines Praktikums in meinem
Wahlkreis persönlich erfahren. Wogegen wir uns wehren,
ist: dauerhafte Überlassung, Scheinwerkverträge mit ho-
hen sozialen Risiken und Ungleichbehandlungen.


(Beifall bei der SPD)


Jutta Krellmann






(A) (C)



(B) (D)


Nun aber zum Antrag mit dem Titel „Junge Beschäf-
tigte vor prekärer Arbeit schützen“ . Meine Damen und
Herren der Linken, die Überschrift Ihres Antrags kann
ich voll und ganz mittragen und unterstützen .


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE] – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Überschriften sind noch keine Politik!)


Auch ich wünsche mir, dass junge Menschen einen si-
cheren Start ins Arbeitsleben haben und dass ihnen von
Beginn an gute Rahmenbedingungen geboten werden .
Schaut man allerdings in die Details Ihres Antrages, wird
klar, dass es Ihnen vornehmlich um ein komplettes Ver-
bot von Leiharbeit und weniger um die tatsächliche Situ-
ation junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt geht .


(Peter Weiß ist es!)


Dem können wir logischerweise nicht zustimmen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn es anders wäre, hätte die Linke besser analy-
siert, warum und für wen der Einstieg ins Arbeitsleben
schwieriger bzw . unbeständiger geworden ist . Betroffen
sind vor allem Ungelernte und Geringqualifizierte, also
Jugendliche ohne Schulabschluss und/oder ohne abge-
schlossene Berufsausbildung . Weil wir von der SPD die-
ses Problem schon seit längerem kennen, haben wir mit
der Koalition verschiedene Maßnahmen in die Wege ge-
leitet, damit junge Menschen Chancen auf dem Arbeits-
markt haben .

Sie haben bisher immer nur gesagt, was Frau Nahles
nicht getan hat . Ich will einmal sagen, was Frau Nahles
getan hat . Ich nenne einige Maßnahmen: Mit der Einfüh-
rung des gesetzlichen Mindestlohnes haben wir genau
definiert, dass ein Praktikum ein Lernverhältnis ist, bei
dem bestimmte Standards einzuhalten sind . Wir haben
somit verhindert, dass junge Menschen mit abgeschlos-
sener Ausbildung oder abgeschlossenem Studium mit
halb- oder ganzjährigen Praktikumsverträgen abgespeist
werden, obwohl sie reguläre Arbeit leisten . Damit ist die
Generation Praktikum vorbei .


(Beifall bei der SPD)


Die Allianz für Aus- und Weiterbildung ist eine be-
schlossene Sache . Im Mittelpunkt steht für uns das Ver-
sprechen auf eine Ausbildungsgarantie . Das heißt, wir
wollen erreichen, dass am Ende kein junger Mensch, der
das Potenzial hat und diesen Weg gehen will, ohne eine
qualifizierte Ausbildung bleibt. In der Allianz enthalten
sind unter anderem die assistierte Ausbildung sowie die
ausbildungsbegleitenden Hilfen . Beide Instrumente ha-
ben das Ziel, jungen Menschen beim Lernen unter die
Arme zu greifen, etwa beim Erfassen von fachlichen In-
halten, beim Abbau sprachlicher Defizite oder in Form
von sozialpädagogischer Hilfe . Sie können den Einstieg
in eine Ausbildung und auch deren Abschluss schaffen .

Teil der Allianz für Aus- und Fortbildung ist auch die
Verbesserung der Berufseinstiegsqualifizierung und Be-
rufsorientierung . Wir wissen, dass der Übergang von der
Schule in den Beruf nicht immer so reibungslos läuft,

wie wir es uns gerne wünschen . Hier müssen wir besser
aufklären . Wir müssen Pfade aufzeigen, wie man in die
Berufswelt kommt . In diesem Zusammenhang halte ich
Jugendberufsagenturen für sehr sinnvoll .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Langfristiges Ziel ist ein vergleichbares, gleich gutes
Angebot für alle am Übergang von der Schule zur Aus-
bildung, egal woher die jungen Menschen stammen, wo
sie wohnen oder welche Schulform sie besucht haben .
Was wir gemeinsam mit den Sozialpartnern vermeiden
bzw . verringern müssen, sind abgebrochene Ausbildun-
gen . Es gilt, die Vorteile der dualen Ausbildung noch
besser zu nutzen . Das Zusammenspiel von Schule und
Betrieb macht uns stark . Die Praxisorientierung in der
Ausbildung hilft den Unternehmern, aber sie hilft auch
den jungen Arbeitnehmern . Genauso wenig dürfen wir
diejenigen außer Acht lassen, die die Schule ohne Ab-
schluss verlassen . Wir müssen junge Menschen befähi-
gen . Jeder soll zeigen können, was in ihr oder was in ihm
steckt .

Im Bereich der Weiterbildung setzt die bereits genann-
te Allianz zwei Ausrufungszeichen . Der Bund verbessert
erstens das sogenannte Meister-BAföG . Im Übrigen ist
das Meister-BAföG ein Erfolg . Es hat neben der Förde-
rung von Meistern, Technikern und Fachwirten zu einer
verstärkten beruflichen Bildung in Richtung der zuneh-
mend relevanter werdenden Gesundheitsberufe geführt .
Zweitens verpflichten sich die Allianzpartner, ihre An-
strengungen zur Nachqualifizierung insbesondere er-
werbstätiger junger Menschen ohne Berufsabschluss zu
verstärken .

All diese Maßnahmen sollen vor prekären Jobs schüt-
zen. Qualifizierung ist ein Schlüssel zum Erfolg, egal in
welchem Alter . Gerade im Hinblick auf Arbeiten 4 .0 wird
Weiterbildung einen viel höheren Stellenwert benötigen
als bisher . Heute nehmen gerade einmal 50 Prozent aller
Arbeitnehmer im Laufe ihres gesamten Berufslebens an
einer Weiterbildung teil, auch hier leider mit der typi-
schen Schieflage: Frauen, Migranten und Ältere haben
deutlich weniger Zugang zu qualifizierter Weiterbildung.
Oftmals hat das auch finanzielle Gründe. Besonders jun-
ge Menschen können sich weiterbildende Maßnahmen
schlichtweg nicht leisten, weil sie sich, wie wir gerade
schon gehört haben, neben dem Einstieg ins Berufsleben
eine Zukunft für ihre Familie aufbauen wollen . Dabei ist
vor allem eine gute Ausbildung der wesentliche Faktor,
der vor prekärer Arbeit schützt . Hier werden wir künftig
noch mehr Möglichkeiten schaffen .

Herzlichen Dank und Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813306900

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Markus Kurth

von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813307000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nachdem wir jetzt eine – Herr Gerdes, ich muss es so

Michael Gerdes






(A) (C)



(B) (D)


sagen – doch etwas ermüdende Spiegelstrichliste mit
Details, die mit dem Thema wenig bis gar nichts zu tun
haben, gehört haben,


(Widerspruch bei der SPD)


will ich ein bisschen auf die gesamte Debatte blicken,
die, wie ich finde, gerade wenn man die ersten Wortbei-
träge von der Linken und auch von der Union gehört hat,
bisher ein bisschen grobschlächtig verlaufen ist .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813307100

Herr Kurth, lassen Sie eine Zwischenfrage vom Kol-

legen Gerdes zu?


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813307200

Ja, bitte schön .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das war jetzt aber Rekord! Er hat ja noch gar nichts gesagt!)


– Er hat ja Druck .


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)



Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1813307300

Ich höre gerade, Sie hätten noch nichts gesagt; dem

kann ich so nicht zustimmen . – Sind Sie wie ich der
Meinung, dass im Antrag sehr wohl steht, wie wir für
junge Menschen berufliche Qualifizierung durchführen
wollen? Oder haben die Maßnahmen, die ich gerade vor-
geschlagen habe, damit nichts zu tun? Schützen sie also
nicht vor prekärer Beschäftigung?


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813307400

Hier geht es im Wesentlichen um Regelungen tarif-

vertraglicher Natur und um solche, die das Arbeitsver-
tragsverhältnis betreffen . Ich würde doch niemals in Ab-
rede stellen, dass – das ist selbstverständlich – Dinge wie
spezialisierte Jugendberufsagenturen, Qualifizierung und
dergleichen mehr eine gute Voraussetzung und überhaupt
erst die Bedingung der Möglichkeit sind, prekärer Be-
schäftigung zu entfliehen und in ein sicheres Arbeitsver-
hältnis zu kommen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Aber der entscheidende Punkt, Herr Gerdes, über den
wir hier diskutieren, ist, dass sehr viele junge Leute trotz
guter Schulbildung, trotz einer Ausbildung und sogar
trotz eines Studiums nichts anderes bekommen als ein
befristetes Beschäftigungsverhältnis .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Abg . Michael Gerdes [SPD] nimmt wieder Platz)


– Bleiben Sie bitte stehen! Ich bin noch nicht fertig . Jetzt
kommen Sie in Nöte; dann setzen Sie sich hin . – Sie ha-
ben keine Chance . Das ist der Punkt, über den wir hier
diskutieren und den wir hier besprechen müssen . Das ist

der Kern der Debatte, weswegen ich eben die Eingangs-
bemerkung zu Ihnen gemacht habe .


(Beifall der Abg . Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich will jetzt zum Thema zurückkommen . Die Debatte
wurde bisher, wie gesagt, etwas grobschlächtig geführt .
Beide Eingangsredner tauchten in die 70er-Jahre ein . Der
eine beschwor die DDR, der andere die Metallwelt in
Schweinfurt von 1971 . So kann man diese Debatte nicht
führen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Gerdes [SPD]: Das stimmt!)


Ich finde, dass das Argument, es handele sich nur um ver-
ordnete Arbeitsverhältnisse, und eine Neiddebatte dem
tatsächlichen Problem nicht gerecht werden .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Kommen Sie doch mal zum Punkt!)


Aber was dem Problem auch nicht gerecht wird – das
will ich wiederum zur Linken sagen –: Wenn Sie in Ihrem
Antrag „Junge Beschäftigte vor prekärer Beschäftigung
schützen“ schreiben, 25 Prozent aller unter 25-Jährigen
hätten nur einen Minijob, dann finde ich das nicht seriös;


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein, nein, nein!)


denn da sind sehr viele Studenten und Schüler dabei .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das steht so nicht in unserem Antrag!)


– Das steht in Ihrem Antrag drin .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Da steht „Minijob“!)


Ich finde – da war Frau Müller-Gemmeke von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen wirklich eine Erholung –,


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was für eine Überraschung!)


wir könnten da differenzierter herangehen, und wir müs-
sen da differenzierter herangehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will das, weil ich mich eigentlich auf einen anderen
Aspekt konzentrieren möchte, nur am Beispiel der Leih-
arbeit deutlich machen . Wir sind nicht für ein Verbot der
Leiharbeit, weil Leih- und Zeitarbeit bei Auftragsspitzen,
in speziellen Situationen in einem Unternehmen natür-
lich sehr wohl eine gute und vernünftige Ergänzung sein
können; davor kann doch keiner die Augen verschließen .
Aber auf der anderen Seite, liebe Vertreterinnen und Ver-
treter der Union: Equal Pay erst nach neun Monaten, das
greift doch nicht! An dieser Stelle wird dann eben doch
eine Tür für Lohndumping geöffnet . Zwischen diesen
beiden Polen müsste man nach einer differenzierten und
sachgerechten Lösung suchen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und zwar auch deswegen, weil diejenigen, die jetzt jung
und prekär beschäftigt sind, irgendwann nicht mehr jung

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


sind, sondern alt . Dann kommt das doppelt und dreifach
zurück .

Die Rente ist der Spiegel des Arbeitslebens . Wer schon
als junger Mensch möglicherweise mehrere Jahre prekär,
niedrig entlohnt beschäftigt war, wird kaum die Chance
haben, ein existenzsicherndes Renteneinkommen zu er-
zielen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)


Dann fällt die ganze Sache wieder auf die öffentliche
Hand und auf den Staat zurück . Er muss dann als Ausfall-
bürge im Alter, etwa über Grundsicherungszahlungen,
Leistungen erbringen. Das geht definitiv nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will das einmal am Beispiel der Zeitarbeit illus-
trieren . Ein Zeitarbeiter mit abgeschlossener Berufs-
ausbildung verdient laut Statistischem Bundesamt im
Durchschnitt 1 528 Euro brutto . Das ist ein guter halber
Rentenpunkt . Wissen Sie, wie lange er braucht, bis er da-
mit auf 30 Entgeltpunkte kommt? 57 Jahre! Wir hoffen
natürlich, dass das keine durchgehende Vollerwerbsbio-
grafie ist. Aber das mag doch zumindest ein Indikator
dafür sein, dass prekäre Beschäftigung zurückgedrängt
gehört . Da, wo wir Rahmenbedingungen setzen können,
sollten wir sie an dieser Stelle auch setzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerade in den betrieblichen Bereichen, in denen pre-
käre Beschäftigung verbreitet ist, sehen wir, dass auch
das Drei-Säulen-Modell nicht richtig funktioniert . Ge-
rade unter niedrig entlohnten Beschäftigten ist die Ver-
breitung etwa der Betriebsrente minimal . Sie greift zwar
in großen Industriebetrieben, aber gerade im Bereich der
Leiharbeit ist die zweite Säule praktisch nicht existent .
Und natürlich haben Personen, die sich über ihre weitere
ökonomische Perspektive im Unklaren sind, auch nicht
viele Anreize, die geförderte private Altersvorsorge, die
Riester-Rente, in Anspruch zu nehmen .

Die Kombination dieser Punkte birgt das Risiko, dass
es zu einer verschärften Altersarmut kommt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich plädiere dafür,
die Debatte jetzt nicht nur mit dem Holzhammer weiter-
zuführen, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813307500

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Stephan

Stracke von der CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1813307600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Warum führen wir heute eigentlich diese Debat-
te? Ich habe den Eindruck, der eigentliche Grund liegt
vor allem darin, dass die Plenarplaner der Linken darauf
gesetzt haben, dass die Ministerin nach dem Gewerk-

schaftstag der IG Metall hier ihre Vorschläge zur Zeitar-
beit und zu den Werkverträgen auf den Tisch legen wür-
de . Das hat sie nicht getan . Schade .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann reden wir noch einmal drüber!)


Aber selbst wenn sie es getan hätte, lieber Herr Ernst:
Ihre Vorschläge taugen einfach nicht als Gegenkonzept .
Die komplette Regulierung des Arbeitsmarktes ist mit
uns als Union nicht zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir wollen nicht komplett, wir haben ganz konkrete Vorstellungen!)


Sie wollen die Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnis-
se und die Minijobs so weit wie möglich abschaffen und
die Werkverträge umfassend regulieren und damit die
Arbeitswelt in Deutschland vollkommen auf den Kopf
stellen . Am Ende vernichten Sie nichts anderes als Ar-
beitsplätze in unserem Land .

Schauen Sie zu unseren Nachbarstaaten in Europa
und darauf, zu welchen Folgen dort beispielsweise die
Überregulierung im Arbeitsrecht und die höchsten Min-
destlöhne geführt haben . All diese Länder schauen voller
Anerkennung nach Deutschland . Sie reden vom deut-
schen Jobwunder . Europa orientiert sich an Deutschland,
die Linken orientieren sich an diesen Ländern, die in der
Vergangenheit sehr viel falsch gemacht haben . Das ist
doch absurd . Europa will Best Practice, die Linken Worst
Practice . Das ist mit uns nicht zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der deutsche Arbeitsmarkt ist bestens aufgestellt . Es
gibt keine großen Baustellen . Die Zahl der Arbeitslosen
in Deutschland beträgt 2,65 Millionen . Sie ist so niedrig
wie seit 24 Jahren nicht mehr . Der BA-Chef Frank-Jürgen
Weise blickt zuversichtlich auf das, was kommen mag .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir reden über ganz was anderes!)


Das zeigt: Die deutsche Erfolgsstory auf dem Arbeits-
markt geht unvermindert weiter .

Das Statistische Bundesamt hat vorgestern eine Studie
zur Qualität der Arbeit in Deutschland vorgelegt . Fazit:

Die Dauer der Beschäftigung beim aktuellen Arbeit-
geber kann als wichtiger Indikator für die Stabilität
der Beschäftigung angesehen werden, die sich auch
auf die Zufriedenheit der Beschäftigten auswirken
kann .

Die Zahlen: Gut 45 Prozent der befragten Erwerbstäti-
gen waren 2014 seit mindestens zehn Jahren bei ihrem
Arbeitgeber beschäftigt, fast 20 Prozent arbeiten seit fünf
bis zehn Jahren am gleichen Arbeitsplatz, und ein Drittel
gab an, eine Beschäftigungsdauer von weniger als fünf
Jahren zu haben . Das zeigt: Die Zufriedenheit der Be-
schäftigten in Deutschland ist sehr hoch .

Seit 2012 sinkt die Befristungsquote. Sie erreichte im
Jahr 2014 mit einem Wert von 8,1 Prozent wieder das
Niveau von 2005 . Damit liegen wir in Deutschland nicht
weit weg von der Spitze und unter dem EU-Durchschnitt,

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


der bei 11 Prozent liegt. Damit ist die Befristungsquote
hier in diesem Land eine gute .

Deutschland zählt im Übrigen auch zu den Ländern,
in denen Frauen nicht deutlich mehr befristet beschäftigt
sind als Männer . Auch dieses Verhältnis ist ein gutes und
vorbildlich für Europa .

Das ließe sich – bei allem Missbrauch, der sich im Ein-
zelfall natürlich zeigen mag – weiter fortsetzen . Auf dem
deutschen Arbeitsmarkt gibt es keine großen Baustellen,
und wenn einer weiß, wie man gute Arbeit sicherstellt,
dann sind es Arbeitgeber und Gewerkschaften .

Wie hat es die Kanzlerin auf dem Tag der Deutschen
Industrie gesagt? Die besseren Bauarbeiter sind die So-
zialpartner, nicht die Politiker . Ich ergänze: Die Linken
sind dies erst recht nicht .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was sind unsere arbeitsmarktpolitischen Themen? Wir
wollen den Schwachen eine Brücke in den Arbeitsmarkt
bauen . Jeder soll seine Chance erhalten . Dazu brauchen
wir die Zeitarbeit und auch die Befristung von Arbeits-
verhältnissen .

Die Kollegin Müller-Gemmeke hat die Überlassungs-
dauer bei Zeitarbeit bereits zu Recht angesprochen . Der
Vorschlag der Linken, der darauf zielt, die Überlas-
sungsdauer auf drei Monate zu begrenzen, reißt gerade
die Brücken – Sie haben es dankenswerterweise sehr
pointiert herausgestellt – in den Arbeitsmarkt ein . Das
bedeutet vor allem für die andere Hälfte derer mehr Un-
sicherheit, weniger Einkommen, mehr Arbeitslosigkeit .
Der Vorschlag der Linken schadet den in der Zeitarbeit
Beschäftigten, und deswegen machen wir so etwas auch
nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Fragen Sie mal die Beschäftigten! Die sehen das anders!)


– Ich glaube nicht, dass die das anders sehen . Die Voll-
zeitarbeitsquote in der Zeitarbeit ist ja deutlich höher als
beim Durchschnitt der sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsplätze . Das zeigt, dass hier durchaus Zufrieden-
heit da ist . Ich weiß nicht, ob die Wahl, keinen Job zu
haben oder einen Job zu haben, der auch gut bezahlt und
häufiger in Vollzeit ausgeübt wird als im Durchschnitt der
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, tatsächlich
so schlecht ist . Sie sollten eher daran denken, dass den
Menschen hier ein sicherer Arbeitsplatz durchaus etwas
wert ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir schaffen hier gerade auch für Geringqualifizierte
Chancen, auch dafür steht die Zeitarbeit .

Wir wollen die unternehmerische Grundentscheidung
darüber, ob die Wertschöpfung in den Unternehmen
selbst durchgeführt oder auf Werk- und Dienstleistungs-
verträge zurückgegriffen wird – dies ist Teil der freien
Unternehmensentscheidung –, im Grunde nicht verän-
dern . Deswegen gibt es auch keinen Grund, die klassi-
schen Werkverträge einzuschränken .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813307700

Herr Stracke, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1813307800

Aber selbstverständlich, ja .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813307900

Frau Krellmann .


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813308000

Vielen Dank, Herr Stracke, das ist absolut souverän .

Meine Frage ist: Ist Ihnen bekannt, dass nur 7 Prozent
der Leiharbeitsbeschäftigten aus der Leiharbeit heraus
ein Dauerarbeitsverhältnis erhalten?


Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1813308100

Ja, liebe Frau Kollegin Krellmann, das ist mir sehr

wohl bekannt .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Nur 7 Prozent!)


Wir wissen allerdings auch, dass zwei Drittel derer, die
in der Zeitarbeit beschäftigt sind, vorher arbeitslos wa-
ren, und jeder Zweite übt eine Helfertätigkeit aus . Das
heißt, es ist sehr wohl eine Chance gerade für Gering-
qualifizierte oder Nichtqualifizierte, in den Arbeitsmarkt
zu kommen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: 7 Prozent!)


Dass die Klebeeffekte im sogenannten Arbeitsmarkt, den
Sie mit dem Normalarbeitsverhältnis beschreiben – was
ich in Abrede stelle –, nicht so groß sind, Frau Krellmann,
ist richtig. Aber es ist ein sozialversicherungspflichtiges
Arbeitsverhältnis, in dem ich als Zeitarbeiter stehe . Ich
werde in keiner Weise diskriminiert, sondern habe hier
die gleichen Rechte wie jeder andere in einem Arbeits-
verhältnis auch .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das sind maximal 7 Prozent!)


– Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln . Sie kön-
nen gern eine Nachfrage stellen, dann können wir gern
noch darüber diskutieren .

Aber das zeigt: Die Zeitarbeit ist etwas, was eine Brü-
cke in den Arbeitsmarkt darstellt und insbesondere Ge-
ringqualifizierten nutzt und nicht schadet.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, und da hat er recht!)


– Ja, und das freut mich .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: 93 Prozent nicht!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen
sicherlich vor Herausforderungen, zum einen, was den
digitalen Wandel in der Arbeitswelt angeht, zum anderen
aber auch, was die Integration von Hunderttausenden von
Flüchtlingen, die in unser Land kommen, angeht . Wir
wissen, dass diese Herausforderungen gewaltig sein wer-
den . 90 Prozent derer, die zu uns kommen und erwerbsfä-

Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)


hig sind, sind nicht unmittelbar in den Arbeitsmarkt inte-
grierbar. Eine Berufsqualifikation ist bei über 80 Prozent
nicht vorhanden. Die Analphabetenquote liegt bei über
20 Prozent, und Sprache und Schrift müssen auch neu
erlernt werden . Das zeigt beispielhaft, vor welchen He-
rausforderungen wir hier stehen, was den Arbeitsmarkt
angeht . Diesen Herausforderungen begegnen wir mit
entsprechenden Maßnahmen . Das zeigt aber auch: Wenn
Integration gelingen will, und zwar langfristig, brauchen
wir auch eine Reduzierung bzw . Begrenzung der Flücht-
lingszahlen, sonst wird dies in diesem Land nicht nach-
haltig funktionieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Land
steht derzeit gut da . Die Regierung und die Koalition
sind ins Gelingen verliebt . Sie denken in Lösungen . Die
Linken denken in Defiziten. Ich habe den Eindruck: Was
wirklich prekär ist, ist nicht unsere Arbeitswelt, sondern
sind die Vorschläge und Anträge der Linken .

Herzliches Dankeschön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813308200

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Bernd Rützel

von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1813308300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Lie-
be Kollegen! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren!
Es kann doch niemand bestreiten, dass die Kernfunkti-
on von Leiharbeit ist, Auftragsspitzen abzufedern, und
Werkverträge nur dort sinnvoll sind, wo es um Speziali-
sierung über das Fachgebiet eines Betriebes hinaus geht .
Für Befristungen von Arbeitsverhältnissen gibt es eine
Reihe guter Sachgründe . Aber wenn das so wäre, dann
würden wir uns heute über dieses Thema, und zwar zu
Recht, nicht zum x-ten Mal unterhalten .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Manche Arbeitgeber – ich sage: nur manche; es gibt
sehr vorbildliche Arbeitgeber – haben den Bogen über-
spannt . Man hat ihnen den Finger gegeben, und sie haben
den Arm herausgerissen .

Zu weit getrieben, verfehlt die Strenge ihres weisen
Zwecks, und allzu straff gespannt, zerspringt der
Bogen .

Das ist nicht von mir, sondern von Friedrich Schiller . Er
hat aber recht .


(Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es könnte aber auch von dir sein!)


– Nein, das glaube ich nicht . – Wir haben heute schon viel
über diesen enormen Anstieg der atypischen Beschäfti-
gung gesprochen . Die Leiharbeit ist in den letzten zehn
Jahren um das Zweieinhalbfache gestiegen . Leiharbeit,
Werkverträge und Befristungen dürfen nicht zu Lohn-
dumping und Tarifflucht führen. Leider ist das so. Des-

halb reichen die geltenden Regelungen zum Schutz der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr aus .

Diese Wirtschaft tötet … Der Mensch an sich wird
wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen
und dann wegwerfen kann .

Auch diese Sätze stammen nicht von mir . Sie stammen
von Papst Franziskus, der diese Sätze in seiner Enzyklika
Evangelii Gaudium 2013 – das ist noch gar nicht lange
her – ausgeführt hat . Weil der Papst recht hat und auch
wir das wollen, werden wir die Leiharbeit und die Werk-
verträge wieder auf ihre Kernfunktion begrenzen .


(Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Schön wär’s!)


Zu dieser Kernfunktion gehört es nicht, dass man das Un-
ternehmerrisiko auf die Beschäftigten abwälzt, so wie es
heute gemacht wird: Wenn sich die wirtschaftliche Lage
verschlechtert, dann müssen sie als Erste gehen .

Ich will an dieser Stelle aber auch nicht verschwei-
gen, dass sich manche Betriebsräte und manche Gewerk-
schafter mit Leiharbeit und mit Werkverträgen arrangiert
haben . Manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
lassen sich auf einen Leiharbeitsvertrag ein . Wir haben
gehört, dass manche das sehr gerne machen . Ich sage:
Die wenigsten tun das freiwillig .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)


Die meisten tun es aus der Not heraus .

Betriebe erkaufen sich damit Flexibilität – das ist
nichts Schlimmes, das ist in Ordnung –, trotz deutlich
höherer Monatskosten . Die Belegschaft weiß zwar, dass
Leiharbeiter Konkurrenz für sie sind, aber sie sieht auch
den großen Vorteil dieses Polsters von Leiharbeitern, die
zuerst in den sauren Apfel beißen müssen, wenn sich im
Betrieb etwas verändert .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das sehen sie nicht als Vorteil!)


Die hohe Anzahl an Werkverträgen ist nichts anderes als
verschleierte Leiharbeit . Es darf keine Leiharbeit unter
dem Deckmantel der Werkarbeit geben . Deswegen wer-
den wir ganz genau der Frage nachgehen, was ein Werk-
vertrag und was ein Scheinwerkvertrag ist .


(Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gehen Sie mal! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin gespannt, was das jetzt hergibt!)


Lassen Sie mich noch einen Punkt anführen, weshalb
diese Regulierung auch für die Unternehmen sehr wich-
tig ist, dass wir also Leiharbeit und Werkverträge wieder
auf die Beine stellen . Betrachten wir die Deutsche Post
und DHL . Durch den enormen Druck durch Dumping-
konkurrenz werden Betriebe wie die Deutsche Post und
die DHL, die eigentlich gute Tarifbindung und ordentli-
che Arbeitsbedingungen haben oder hatten, zu „Struktu-
ren“ gezwungen, die von Leiharbeit und Werkverträgen
bestimmt sind . Dieser Entwicklung müssen wir entge-
gentreten .

Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)


Eines möchte ich deutlich sagen: Nicht die Leiharbeit
und die Werkverträge sind die Garanten für gute Be-
triebsergebnisse bei großen Playern – heute könnten wir
auch sagen: bei großen Autobauern –,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, engagierte Beschäftigte brauchen wir!)


sondern Ehrlichkeit und Geradlinigkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass die von uns geplanten Regelungen eingehalten
werden, dafür brauchen wir starke Betriebsräte .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die Betriebsräte brauchen eine bessere Rechtsstellung!)


Ich freue mich, dass wir sehr bald einen Entwurf vorle-
gen werden, wodurch die Leiharbeit und die Werkver-
träge auf ihre ursprünglich gedachte Funktion zurückge-
führt werden sollen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813308400

Das Wort hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1813308500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Internationale Ar-
beitsorganisation hat unlängst einen Bericht vorgelegt,
der in der Tat besorgniserregend ist . Danach haben welt-
weit immer weniger Menschen einen festen Job . Von
den Menschen, die nach unserem Verständnis einer ab-
hängigen Beschäftigung nachgehen, die also Arbeitneh-
merin oder Arbeitnehmer sind, haben weltweit nur noch
42 Prozent einen unbefristeten Vertrag .

Ich nenne das deswegen, weil man einfach einmal ei-
nen Vergleich zum deutschen Arbeitsmarkt wagen muss .
Das Statistische Bundesamt hat bekannt gegeben, dass im
Jahr 2014 die Zahl der sogenannten Normalarbeitsver-
hältnisse, also das, was wir uns als Ideal wünschen, auf
24,5 Millionen zugenommen hat und dass sich damit der
Anteil der Beschäftigten im sogenannten Normalarbeits-
verhältnis im Vergleich zu allen anderen Erwerbstätigen
auf 68,3 Prozent entwickelt hat, gegenüber 67,5 Prozent
im Vorjahr .

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, weltweit geht
es mit prekärer Beschäftigung nach oben . Bei uns in
Deutschland geht es mit prekärer Beschäftigung nach
unten . Das ist die gute Nachricht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Vergleich dazu die anderen Zahlen: Das, was un-
ter prekärer Beschäftigung zusammengefasst wird, was
nicht immer unbedingt prekär sein muss, also Personen

in Minijobs, in befristeter Beschäftigung, Teilzeitarbeit
bis 20 Stunden und Zeitarbeit oder Leiharbeit, wie immer
Sie wollen, hat von 21,4 Prozent auf 20,9 Prozent abge-
nommen . Das Statistische Bundesamt stellt fest: Damit
setzte sich der bereits 2012 beobachtete Rückgang der
atypischen Beschäftigung fort .

Die Bundesagentur für Arbeit hat erst kürzlich den
bereits zitierten Rekordstand von 31,3 Millionen sozi-
alversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen
bekannt gegeben – Höchststand der Beschäftigung in
Deutschland .

Dabei ist auch wichtig: Die BA teilt uns mit, dass die
Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen
proportional stärker gestiegen ist als die Zahl der Be-
schäftigungsverhältnisse insgesamt . Die Behauptung der
Opposition, prekäre Beschäftigung in Deutschland neh-
me zu, stimmt also nicht . Das Gegenteil ist der Fall . Das
sollten wir heute einmal erfreut feststellen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben nicht gesagt, dass sie zunimmt!)


Damit jetzt hier nicht ein falscher Gegensatz aufge-
baut wird: Selbstverständlich wollen auch die Koaliti-
onsfraktionen, CDU/CSU und SPD, dass die Zahl der
Normalarbeitsverhältnisse weiter ansteigt, dass mög-
lichst viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die
Gelegenheit haben, in ein festes Arbeitsverhältnis mit
ordentlicher Entlohnung zu kommen . Das ist unser Ziel,
nicht das Gegenteil .

Ich behaupte: Mit einer wachstumsorientierten und
vernünftigen Politik wird die Große Koalition es schaf-
fen, auf diesem erfolgreichen Weg zu mehr Normalar-
beitsverhältnissen in Deutschland weiter voranzuschrei-
ten – im Gegensatz zu dem, was leider in der Welt sonst
los ist .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Dann müssen aber die Löhne steigen! Mehr Wachstum alleine bringt nichts!)


Bei der Zeit- oder Leiharbeit ist der Prozentsatz nach
dem Höchststand 2011, als 2,9 Prozent der Beschäfti-
gungsverhältnisse in Deutschland Leih- oder Zeitarbeits-
verhältnisse waren, wieder nach unten gegangen . Auch
da sollte man keinen falschen Gegensatz aufbauen . Leih-
bzw . Zeitarbeit ist ein Flexibilisierungsinstrument .

Genauso sind Werkverträge in Deutschland traditio-
nell üblich und auch notwendig . Auch die Gewerkschaf-
ten sehen das so . Aber der Punkt ist: Selbstverständlich
wollen wir nicht, dass die Instrumente Leiharbeit, Zeitar-
beit und Werkverträge für Dinge missbraucht werden, für
die sie nicht vorgesehen sind . Das ist unser Ziel .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Da haben wir in den vergangenen Jahren nicht ein-
fach nichts getan . Ich will einmal daran erinnern: Wir
haben den Drehtüreffekt bei der Zeitarbeit gesetzlich un-
terbunden . Wir haben – mühsam genug – die Arbeitge-
berverbände dazu gebracht, dass sie mitgemacht haben,

Bernd Rützel






(A) (C)



(B) (D)


für die Zeitarbeit eine gesetzlich verankerte eigene Min-
destlohnregelung zu schaffen – im Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetz –, damit nicht möglicherweise irgendwelche
Dumpinglöhne, wie sie im Ausland üblich sind, bei uns
angewandt werden können .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann die Politik alleine! Da brauchen wir keine Branche!)


Das ist ein großer Erfolg .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Mit 8,60 Euro! Klasse!)


– Verehrte Frau Kollegin Krellmann, in der Tat: Dieser
Mindestlohn in der Zeitarbeit liegt über dem gesetzlichen
Mindestlohn . Auch das muss man hervorheben .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 10 Cent! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber zynisch!)


Er steigt nächstes Jahr noch einmal entsprechend an .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Auf 20 Cent!)


Genauso haben wir uns – das war auch ein mühsamer
Prozess – dafür eingesetzt, dass bei Zeitarbeit branchen-
bezogene Zuschläge möglich werden . Das, was in der
Chemie- oder Metallindustrie vereinbart worden ist – das
Gehalt des Zeitarbeiters wird nicht erst nach neun Mona-
ten, sondern bereits vorher schrittweise angehoben –, ist
ein wirklich gutes Modell, für das wir den Arbeitgebern
und den Gewerkschaften Anerkennung zollen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Und was ist mit den anderen Branchen?)


Wenn wir uns jetzt an eine Neuregelung machen, wie
wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben, dann wol-
len wir dafür sorgen, dass solche tarifvertraglichen Mög-
lichkeiten, durch branchenbezogene Zuschläge den Lohn
eines Zeitarbeiters schon vor Ablauf von neun Monaten
zu erhöhen, nicht kaputtgemacht werden, sondern wir
wollen für solche Tarifverträge einen starken gesetzli-
chen Rahmen schaffen, damit auch in Zukunft Arbeitge-
ber und Gewerkschaften gemeinsam ihre Verantwortung
für die Lohnfindung wahrnehmen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Bei gleichem Geld für gleiche Arbeit wäre das gar nicht nötig! Mensch!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man kann auch
über das Thema Befristung trefflich streiten und disku-
tieren . Ich erinnere nur an unsere Debatte vorhin über
das Wissenschaftszeitvertragsgesetz . Nirgendwo sind
Befristungen schlimmer ausgestaltet als bei unserem
wissenschaftlichen Nachwuchs . Wir, die Große Koaliti-
on, machen ein Gesetz, mit dem wir mit dieser ständi-
gen Befristerei Schluss machen und endlich auch für den

wissenschaftlichen Nachwuchs verlässliche Rahmenbe-
dingungen schaffen . Wir handeln, und zwar konkret .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! Nicht so große Töne spucken!)


Deswegen will ich zusammenfassen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813308600

Kollege Weiß, dafür ist jetzt nicht mehr die Zeit . Sie

müssen einen Punkt setzen .


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1813308700

Frau Präsidentin, ein letzter Satz . – Verehrte Kollegin-

nen und Kollegen, die gute Entwicklung des deutschen
Arbeitsmarkts schafft uns die Möglichkeit, das Normal-
arbeitsverhältnis zu stärken . Das ist und bleibt im Ge-
gensatz zu dem, was die Opposition heute an grauen und
schrecklichen Bildern gemalt hat, Ziel dieser Koalition .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813308800

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6362 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Leiharbeit und Werkverträge
eingrenzen und umfassend regulieren“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/5449, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/4839 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 c auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 28. März 2014 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Volks-
republik China zur Vermeidung der Doppel-
besteuerung und zur Verhinderung der Steu-
erverkürzung auf dem Gebiet der Steuern
vom Einkommen und vom Vermögen

Drucksache 18/6449
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Verordnung (EU) Nr. 1007/2011

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


und zur Ablösung des Textilkennzeichnungs-
gesetzes

Drucksache 18/6488
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebs-
ordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Ei-
senbahnverkehr

Drucksache 18/5406
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 i auf . Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 32 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung vom 10. Dezember 2014
des Übereinkommens vom 27. Juni 1980 zur
Gründung des Gemeinsamen Fonds für Roh-
stoffe

Drucksache 18/6294

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/6576

Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6576,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/6294 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 32 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6 . Ausschuss)


Übersicht 6
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten
Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
Drucksache 18/6572

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen .

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 32 c
bis 32 i und damit zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses .

Tagesordnungspunkt 32 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 236 zu Petitionen
Drucksache 18/6354

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 236 ist einstimmig an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 32 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 237 zu Petitionen
Drucksache 18/6355

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 237 ist ebenfalls ein-
stimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 32 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 238 zu Petitionen
Drucksache 18/6356

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Sammelübersicht 238 ist mit den
Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 32 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 239 zu Petitionen
Drucksache 18/6357

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 239 ist einstimmig an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 32 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 240 zu Petitionen
Drucksache 18/6358

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 240 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke
gegen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 32 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 241 zu Petitionen

Drucksache 18/6359

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 241 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen .

Tagesordnungspunkt 32 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 242 zu Petitionen

Drucksache 18/6360

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 242 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten
Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das

(Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015)


Drucksachen 18/6090, 18/6447

Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-
haltsausschusses (8 . Ausschuss)


Drucksachen 18/6580, 18/6581

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert
Liebing, Artur Auernhammer, Norbert Barthle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bernhard
Daldrup, Johannes Kahrs, Doris Barnett, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Für gleichwertige Lebensverhältnisse –
Kommunalfreundliche Politik des Bundes
konsequent fortsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen),
Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Dauerhafte und strukturelle Entlastungen
für Kommunen in Not

Drucksachen 18/6062, 18/6069, 18/6582

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digita-
le Infrastruktur (15 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna
Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Kommunen von den Kosten für bauliche Maß-
nahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und
Straßen befreien

Drucksachen 18/3051, 18/6570

Zu dem Entwurf eines Zweiten Nachtragshaushaltsge-
setzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Sobald in der Unionsfraktion die notwendige Auf-
merksamkeit hergestellt ist, kann ich auch die Debatte
eröffnen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Norbert Brackmann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Norbert Brackmann (CDU):
Rede ID: ID1813308900

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Der zweite Nachtragshaushalt 2015 ermöglicht den
Ländern und Kommunen größere finanzielle Spielräume
bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise . Damit kom-
men wir unserer Pflicht und auch unserer Verantwortung
nach, die der Bund hier trägt, und zwar nicht aus juristi-
schen, sondern aus moralischen Gründen .

Wir entlasten zum einen die Länder in diesem Jahr mit
einer Summe in Höhe von 2 Milliarden Euro . Diese Mit-
tel gehen unmittelbar in die Landeshaushalte und stärken
dort die Finanzkraft . Das Zweite ist, dass wir in diesem
Jahr so gut gewirtschaftet haben, dass wir 5 Milliarden
Euro bereits in eine Rücklage überführen können, damit
wir auch im Jahr 2016 handlungsfähig sind und unseren
Verpflichtungen gegenüber Ländern und Kommunen
nachkommen können . Wir stellen sicher, dass damit die
Haushaltsüberschüsse aus diesem Jahr auch im nächsten
Jahr noch zur Verfügung stehen .

Wir unterstützen darüber hinaus die Länder und Kom-
munen bei der Schaffung von Wohnraum und Unterkünf-
ten für Flüchtlinge . Mit dem Bundeshaushalt 2016 wer-
den wir die Mittel für die Wohnraumförderung auf über
1 Milliarde Euro verdoppeln und die nächsten vier Jahre
verstetigen . Das ist, glaube ich, ein deutliches Signal für
mehr günstigen Wohnraum für unsere Bevölkerung .

Diese Zusagen halten wir ein, ohne das Ziel der
schwarzen Null aufgeben zu müssen . Jedenfalls für 2015
werden wir die schwarze Null noch einmal schaffen . Wir
streben sie auch für 2016 an; denn wir wissen: Ohne den
Willen und ohne die Pflicht zum Haushaltsausgleich wer-
den wir auf die Dauer keine anderen Pflichten mehr er-
füllen können . Das ist aber nur der eine Teil .

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Die Bewältigung der Flüchtlingskrise ist eine gesamt-
staatliche Aufgabe, und deshalb müssen wir die Länder
gleichermaßen in die Verantwortung nehmen . Dass die
Länder ihrer Verantwortung nachkommen, stelle ich aber
bisher nur sehr bedingt fest . So zeigen Länder und Kom-
munen zum Beispiel bei der Frage, wer die Kosten trägt,
immer zuallererst auf den Bund . Gerade heute hören wir
wieder eine solche Forderung von dem schleswig-hol-
steinischen Ministerpräsidenten, der mit dem Finger ge-
zielt auf den Bund zeigt .

Bei solchen Einlassungen weise ich gerne darauf hin,
dass wir Länder und Kommunen bei der Unterbringung
der Flüchtlinge in vielfältiger Form bereits heute unter-
stützen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Johannes Kahrs [SPD])


Bis zum heutigen Tag hat alleine der Bund in seinen Lie-
genschaften über die BImA 115 000 Unterbringungsplät-
ze zur Verfügung gestellt . Er wird sie in großen Teilen in
der nächsten Zeit auch betreiben . Da ist der Bund selbst
aktiv, und dafür muss er einmal deutlich gelobt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Gleichzeitig unterstützt der Bund die Länder mit einer
Pauschale von 670 Euro pro Flüchtling im Monat . Diese
Pauschale ist auf der Grundlage der Vollkostenrechnung
im Jahr 2014 errechnet worden . Dadurch, dass wir von
diesen Vollkosten einen großen Teil jetzt selbst überneh-
men, indem wir eigene Liegenschaften zur Verfügung
stellen und mit Bundesmitteln herrichten, ist das ein gu-
tes Geschäft für die Länder; auch darauf will ich einmal
hinweisen . Ich erwarte allerdings gleichzeitig, dass die
Länder ihrerseits den Kommunen von diesem Geld et-
was abgeben; denn es kann nicht sein, dass die Länder
sich, zum Teil jedenfalls, bereichern und die Kommunen,
die die Arbeit und den Ärger vor Ort haben und die das
ehrenamtliche Engagement zur Verfügung stellen, von
diesen Mitteln des Bundes unter dem Strich nichts be-
kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will aber noch auf einen anderen Aspekt hinweisen;
denn insgesamt haben wir schon eine größere Krise zu
bewältigen . Diese werden wir nur dann erfolgreich hinter
uns bringen können, wenn Bund, Länder und Kommu-
nen ihre Kräfte bündeln und gemeinsam vertrauensvoll
zusammenarbeiten . Da hat man doch manchmal Zweifel .
Wir befinden uns hier in Berlin. Die Situation hier ist so,
dass uns der Berliner Senat gerade in diesen Tagen den
Verkauf eines Grundstückes besonders erschwert: Ich
meine das Dragoner-Areal, um das sehr gekämpft wurde .
Wir haben wüste Beschimpfungen des Berliner Finanz-
senators hinnehmen müssen . Der Berliner Senat war nur
bereit, 15 Millionen Euro zu bezahlen . Der Bund hätte
beim Verkauf an einen privaten Investor einen Preis von
37 Millionen Euro erzielen können . Im Finanzausschuss
des Bundesrates ist das Ganze hintertrieben worden . Der
Bundesrat ist gefolgt, weil es doch nicht sein könne, dass
der Bund zulasten eines Landes meistbietend verkaufe .

Der Bundesregierung ist vorgeworfen worden, Hedge-
fonds begünstigen zu wollen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss
sich auch mit dem eigenen Tun in Verhältnis zu dem set-
zen lassen, was man nach außen vertritt . Gerade vor we-
nigen Tagen sind verschiedene Exposés der BIM, einem
100-prozentigen Tochterunternehmen des Landes Berlin,
bekannt geworden, in denen der Berliner Senat zum Teil
nur 200 Meter vom Dragoner-Areal entfernt Grundstü-
cke zum Verkauf anbietet . Zum Beispiel in Bezug auf
„Dorfstraße 35, 36, Hausvaterweg 19“ heißt es – ich darf
vorlesen –:

Die BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH
weist vorsorglich darauf hin, dass bis zum Vertrags-
abschluss eingehende höhere Angebote berücksich-
tigt werden müssen . Wir sind gehalten, stets an den
Höchstbietenden zu veräußern .

So kann man nicht miteinander umgehen . Das ist schon
doppelzüngig .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn in Berlin? Sagen Sie es mal Ihren Parteifreunden in Berlin! – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Parteien regieren denn in Berlin? – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sagen Sie das mal Ihren Parteifreunden!)


– Na, der Finanzsenator gehört nun nicht zu unserer Par-
tei .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Mit ihm habe ich auch bei Podiumsdiskussionen zusam-
mengesessen . Er hat uns vorgeworfen, Mieter zu ver-
grau len .

Aber was macht der Berliner Senat? Er bietet in die-
sem Exposé auch noch an:

Ein Teil der Verträge kann jährlich, ein anderer Teil
kann mit einer Zwei- bzw . Drei-Monats-Frist ge-
kündigt werden .

Damit macht sich der Senat auch noch selbst zum
Handlanger von Hedgefonds, indem er noch ein deutli-
ches Stück weiter geht, als wir es machen . So kann man
nicht miteinander umgehen, und das werden wir auch
berücksichtigen, wenn wir aus sozialen Gründen darü-
ber entscheiden, wie wir das große Grundstückspaket,
das der Berliner Senat mit der Bundesregierung gerade
verhandelt, im Ausschuss zu bewerten haben .

In diesem Sinne, glaube ich, ist der Nachtragshaushalt
eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit von Bund,
Ländern und Kommunen . Alle, die sich nicht daran hal-
ten, werden wir an ihr eigenes Tun erinnern .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die SPD gewandt: Jetzt klatscht ihr auch noch!)


Norbert Brackmann






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813309000

Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813309100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! So viel Selbstkritik wie eben habe ich von der
Christlich Demokratischen Union lange nicht gehört .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Swen Schulz Bekanntlich gehört die CDU ja dem hier vielkritisierten Senat Berlins an . Der Nachtragshaushalt ist in der Regel eher eine Angelegenheit für wenige im Parlament damit befasste Abgeordnete . In der Regel geht es um ein paar Ausgabenerhöhungen auf der einen Seite, um ein paar Deckungsvorschläge bei den Einnahmen auf der anderen Seite . Aber hier, stellen wir fest, sind wir natürlich nicht in normalen Zeiten . Dieser Nachtragshaushalt steht vor einer enormen Herausforderung von gesellschaftspolitischer Dimension . Leider – das müssen wir Ihnen sagen – ist dieser Nachtragshaushalt an diesen Herausforderungen komplett gescheitert . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Nachtragshaushalt wird vor allem mit enorm ge-
stiegenen Flüchtlingszahlen begründet, und das Wort von
der Flüchtlingskrise geht um . Ich meine, dieses Wort ist
falsch .


(Beifall bei der LINKEN)


Vor der Kritik an der Bundesregierung will ich je-
doch etwas anderes tun, weil in diesem Nachtragshaus-
halt etliche Mittel als Zuweisungen an Kommunen zur
Flüchtlingsunterstützung stehen. Da finde ich es mehr
als angebracht, Dank an ungezählte ehrenamtliche und
hauptamtliche Helferinnen und Helfer auszusprechen,
die in diesen Situationen Tag für Tag wirklich Hervorra-
gendes leisten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Wort „Flüchtlingskrise“ ist meines Erachtens des-
halb falsch, weil die Schutzsuchenden, die zu uns kom-
men, uns nur die Krise unseres hiesigen gesellschaft-
lichen Systems, ja, auch die Krise der herrschenden
europäischen Politik vor Augen führen, meine Damen
und Herren . Den Unterschied machen wir .


(Beifall bei der LINKEN)


Hatten wir denn vor der Ankunft der Geflüchteten ein
gutes Bildungssystem mit genügend Lehrerinnen und
Lehrern? Nein . Hatten wir genügend bezahlbare Woh-
nungen in den großen Städten? Nein . Waren wir auf dem
Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit? Nein . Erst in diesen
Tagen veröffentlichte das Statistische Bundesamt die Bi-
lanz für 2014 und stellt darin fest: Mehr als jeder fünfte

Mensch in Deutschland ist von Armut bedroht; Tendenz
leider steigend . – Eine offenbar gut unterrichtete Zeitung
titelte vor einigen Tagen mit Blick auf die Haushaltssitu-
ation des Bundes „Das letzte goldene Jahr“, weil ab 2016
mit einem Einnahmerückgang zu rechnen ist . Heute wird
der Bundesfinanzminister noch die Ergebnisse der Steu-
erschätzung kundtun, wozu das Bundesfinanzministeri-
um gestern im Haushaltsausschuss noch nicht bereit oder
in der Lage war .

Ich gestatte mir, an dieser Stelle festzustellen: Nur die
Linke thematisiert die Einnahmeseite des Bundes . Nur
die Linke macht hier Vorschläge, wie wir wirklich zu
mehr Einnahmen für den Bund für eine sozial gerechte
Politik kommen können . Das werden wir fortsetzen .


(Beifall bei der LINKEN)


Gemeint sind damit natürlich nicht Mehrwert- oder
Lohnsteuererhöhungen, sondern eine gerechte Besteue-
rung von Superreichen und eine Besteuerung von inter-
nationalen Spekulationsgeschäften .


(Beifall der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Meine Fraktion hält vor diesem Hintergrund diesen
Nachtragshaushalt für kleingeistig, halbherzig und – ja,
das muss man Ihnen auch sagen – zum Teil auch starr-
sinnig . Vor aller humanitären Hilfe soll die sogenannte
schwarze Null bestehen bleiben . Aus meiner Fraktion
wurden Ihnen Alternativen vorgeschlagen . Wir haben
vorgeschlagen, ein staatliches Konjunkturprogramm zur
gesellschaftlichen Integration der Hiesigen und der An-
kommenden aufzulegen . Wir werden das für 2016 wieder
vorschlagen; aber wir hätten ja jetzt schon einmal anfan-
gen können: mit mehr sozialem Wohnungsbau – man
muss natürlich jetzt auch mit dem staatlich geförderten
Abriss aufhören –, mit der Ausbildung von Lehrerinnen
und Lehrern, von Erzieherinnen und Erziehern, mit ei-
nem Breitbandausbau auf einer völlig neuen Stufe . Kol-
lege Brackmann hat ja angesprochen, dass der Bund eine
Rücklage bilde, weil er gut gewirtschaftet habe . Dabei
hat der Bund Mobilfunkfrequenzen für 4,5 Milliarden
Euro versteigert, verkauft und entgegen dem Verspre-
chen, den Großteil dieser Erlöse in den Breitbandausbau
zu stecken, genau daraus diese Rücklage gebildet . Das ist
nicht hinzunehmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen natürlich auch, dass Menschen, die zu uns
kommen, möglichst zügig in Arbeit und Ausbildung in-
tegriert werden können und dass deren Qualifizierungen
auch anerkannt werden . Wir haben deshalb gestern im
Haushaltsausschuss auch höhere Zuweisungen an Land-
kreise und Kommunen beantragt . Das wurde bekanntlich
abgelehnt .

Ganz neu im Nachtragshaushalt ist: mehr Geld für die
UNHCR-Organisation, also die internationale Flücht-
lingsorganisation der Vereinten Nationen – bei Zustim-
mung aller Fraktionen im Haushaltsausschuss . Obwohl
wir alle dem zugestimmt haben, kam es uns doch ein
bisschen so vor wie ein Ablasshandel: ein zugegeben be-
trächtlicher Batzen Geld gegen sehr viel schlechtes Ge-
wissen . Wir haben ja bei der ersten Lesung dieses Etats






(A) (C)



(B) (D)


darauf hingewiesen, dass es uns darum gehen muss, auch
Fluchtursachen zu bekämpfen . Es ist doch nun Fakt, dass
genau in diesen Tagen, wo wir hier über diesen Etat spre-
chen, mit deutschen Waffen im Jemen Krieg geführt wird
und damit die nächsten Flüchtlingsbewegungen in Gang
gesetzt werden . Damit muss Schluss sein, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813309200

Kollege Claus, achten Sie bitte auf die Zeit .


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813309300

Meine Damen und Herren, im Nachtragshaushalt ste-

hen einige Vorhaben, die wir durchaus unterstützen . Aber
insgesamt ist dieser Nachtragshaushalt eine Fortsetzung
von Staatsversagen; und dafür stehen wir nicht zur Ver-
fügung .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813309400

Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1813309500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich habe dem Kollegen Claus aufmerksam zu-
gehört: Vom Staatsversagen hatte er relativ viel Ahnung,
von der Sache in diesem Fall allerdings nicht .

Wenn man sich den Nachtragshaushalt, den wir hier
vorlegen, anschaut, dann kann man feststellen, dass es
diese Große Koalition auf eine anständige Art und Weise
schafft, den Haushalt vernünftig zu gestalten .

Das liegt zum einen daran, dass wir in den letzten
Jahren gut gewirtschaftet haben . Ich betone es an dieser
Stelle immer wieder – das ist der SPD-Werbeblock –: Es
war die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder, die
damals mit der Agenda 2010 die Grundlagen dafür gelegt
hat, dass es bei uns in diesem Staat vernünftig und wirt-
schaftlich gut läuft .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Grundlage für Armut! Nix gut! – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Regierung!)


Gleichzeitig haben wir – das haben wir in den letzten
Jahren gezeigt – unsere Hausaufgaben gemacht, weswe-
gen wir besser dastehen als viele unserer Nachbarländer .

Auf der anderen Seite tun wir aber auch viel, um die
jetzige Krise zu bewältigen . Wir helfen also konkret, im
Großen wie im Kleinen . Wir stocken die Soforthilfe für
Länder und Kommunen in 2015 auf 2 Milliarden Euro
auf . Es werden Rücklagen gebildet, und zwar mindestens
5 Milliarden Euro, mit denen wir im nächsten Jahr hel-
fen können, die anstehenden Belastungen zu bewältigen .
Wir werden aber auch dem THW – das muss man erwäh-

nen – 20 Millionen Euro für seinen Einsatz im Bereich
der Flüchtlingshilfe zukommen lassen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Außerdem werden wir beim Bundeskriminalamt und
beim BAMF helfen . Das heißt, sowohl im Großen wie
im Kleinen werden wir zielgerichtet helfen .

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal
ganz herzlich beim Kollegen Rehberg und der CDU/
CSU-Fraktion bedanken . Die Zusammenarbeit auf der
Arbeitsebene im Haushaltsausschuss ist wunderbar . Da
der Kollege Spahn auch da ist und aufmerksam zuhört:
Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit mit dem Fi-
nanzministerium!

Dieser Nachtragshaushalt zeigt, dass wir kurzfristig
reagieren können, dass wir keine neuen Schulden ma-
chen müssen, dass wir denjenigen helfen, die helfen,
dass wir da unterstützen, wo es notwendig ist . Wenn man
den Kollegen Claus hört, könnte man glauben, die Repu-
blik gehe unter . Im Kern haben wir große Probleme; das
ist richtig . Und wir hätten diese Flüchtlingsproblematik
nicht bewältigt, wenn wir nicht so viele Ehrenamtliche
gehabt hätten, die eingesprungen sind, als die staatlichen
Stellen, um es freundlich zu sagen, noch nicht ganz so
weit waren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es das nicht gegeben hätte, wenn in den Kommu-
nen nicht ganz viele über sich selbst hinausgewachsen
wären und wenn nicht die Mitarbeiter der Kommunal-
und Landesverwaltungen, die mit diesem Thema be-
schäftigt sind, rund um die Uhr gearbeitet hätten –


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


sie haben vieles rausgerissen, was aufgrund mangelnder
Planung in Grundsatzfragen schiefgegangen ist –, dann
hätten wir das auch nicht hinbekommen .


(Martin Gerster [SPD]: Sehr richtig!)


Deswegen sagen wir: Wir wollen helfen, aber eben
nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen . Deswe-
gen muss man immer wieder darauf hinweisen: Es ist
ganz wichtig, dass wir dem THW – große Leistung – und
der Bundespolizei – das sind diejenigen, die ganz vorne
stehen, immer wieder gerufen werden und helfen – hel-
fen und für die etwas tun .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das, was wir tun, finanzieren wir aber auch anständig.
Deswegen ist das gegenfinanziert und ohne neue Schul-
den zu machen. Ich finde, auch das kann man einmal
betonen . Es gibt ja viele in diesem Land, die durch die
Gegend rennen und Unsinn erzählen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, einer steht gerade am Redepult!)


Roland Claus






(A) (C)



(B) (D)


Da wird zum Beispiel erzählt, wir müssten in Deutsch-
land einen Flüchtlingssoli einführen . Das halte ich ernst-
hafterweise für groben Unfug . Es gibt andere, die for-
dern, wir bräuchten einen niedrigeren Mindestlohn für
Flüchtlinge .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Quatsch!)


Das heißt, die kriegen für die gleiche Arbeit nur die Hälf-
te . Das heißt aber im Umkehrschluss: Kaum ein Deut-
scher wird noch einen Mindestlohnjob kriegen, weil man
ja Flüchtlinge dafür hat . Gleichzeitig wollen einige die
Steuern erhöhen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Gute Idee! Für die oberen Einkommen!)


All das kann man diskutieren, aber das bringt natür-
lich auch eine Art Brandfackel in die Diskussion . Das
führt am Ende dazu, dass die AfD und andere Profiteu-
re dieser Krise richtig nach oben befördert werden . Nur
wer ein Konjunkturprogramm für die AfD möchte – bei
der Linken soll man erst einmal nachdenken, bevor man
rumplappert –,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Unverschämtheit!)


kann das fordern . Wir wollen das nicht . Wir sind bekannt
dafür, dass wir das Notwendige tun, aber eben auch keine
neuen Schulden machen, solange es irgend geht . Im Mo-
ment geht es, weil wir vorher selber gut gearbeitet haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ihr fallt doch auf die Füße vor der schwarzen Null!)


Jetzt ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Hilfen
ankommen . Wir sind der Meinung, dass wir den Ländern
stark helfen . Wichtig ist aber auch, dass das Geld, das wir
ausgeben, von den Ländern für die Zwecke ausgegeben
wird, für die wir es vorgesehen haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das gucken wir uns genau an; da muss man auch genau
schauen, dass es läuft .

Ich möchte mich am Schluss bei all denjenigen bedan-
ken, die so viel gute Arbeit gemacht haben, die vor Ort
helfen: die Freiwilligen, die Bundespolizei, das THW,
die Feuerwehren, alle, die dabei sind, auch die Bundes-
wehr, die jetzt entsprechend stark dabei ist . Ganz herzli-
chen Dank! Unsere Unterstützung haben Sie .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813309600

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Frakti-

on Bündnis 90/Die Grünen .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813309700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Lieber Kollege Claus, wir sollten bei Geld, das
für die UN bestimmt ist, nicht von Ablasshandel reden .

Ich halte das für unangemessen . Es ist kein guter Hinweis
für die Zukunft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich muss auch noch einen weiteren Aspekt erwähnen:
Diesen Nachtragshaushalt vor dem Hintergrund dessen,
was im Moment von den staatlichen Institutionen und
den vielen Ehrenamtlichen, die zu Recht genannt wur-
den, geleistet wird, mit Staatsversagen zu etikettieren,
nützt niemandem . Das ist falsch, und auch keine treffen-
de Kritik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Und „Flüchtlingskrise“, das ist genauso falsch!)


Aber jetzt zum Nachtragshaushalt, den wir beschlie-
ßen sollen . Wir Grüne gestehen zu: Es ist wichtig, dass
die Einigungen aus dem Asylkompromiss umgesetzt
werden . Beispielhaft greife ich die Entlastung der kom-
munalen Ebene heraus . Das ist richtig und wichtig . Sieht
man sich aber einmal die Agenturmeldungen von heute
an, dann findet man, dass dort bestätigt wird, dass die
im September geschätzte Zahl von 800 000 Flüchtlingen
faktisch heute erreicht ist . Wir wissen also heute, dass
durch die Beschlüsse von Ende September die kommu-
nale Ebene, die am meisten mit der Umsetzung zu tun
hat, finanziell nicht ausreichend ausgestattet ist. Deswe-
gen muss man diesen Nachtragshaushalt kritisieren . Des-
wegen haben wir Verbesserungsvorschläge vorgelegt .
Wenn man jetzt von mindestens 1 Million Flüchtlingen
spricht, dann wäre es folgerichtig, den Kommunen eine
halbe Milliarde Euro mehr zur Verfügung zu stellen . Ich
verstehe nicht, warum Sie so stur an den Zahlen festhal-
ten, statt jetzt nachzubessern . Das macht doch keinen
Sinn .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden das Haushaltsjahr 2015 mit einem Plus
abschließen . Heute Nachmittag bekommen wir die Steu-
erschätzungen für 2015 und 2016 . Im Ergebnis wird das
für 2015 zu erwartende Polster wahrscheinlich eher noch
etwas größer . Es wird eher über als unter 5 Milliarden
Euro liegen . Setzen wir doch dieses Geld ein und geben
den Kommunen Sicherheit und Klarheit, dass sie die
Mittel für Unterkünfte und die Bereitstellung der not-
wendigen Arbeit bekommen . Dies hätten Sie jetzt wirk-
lich korrigieren müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch etwas zu dem Thema „Zusammen-
arbeit und Vertrauen der staatlichen Ebenen“ sagen . Ich
finde es richtig, dass Sie mit Ihrem Antrag die Länder
verpflichten wollen, genau zu berichten, wo die Gelder
ankommen, die der Bund in der Tat, Herr Brackmann,
zusätzlich zur Verfügung stellt . In diesem Zusammen-
hang haben wir allerdings auch die Verpflichtung, das
Vertrauen der staatlichen Ebenen ineinander und mitein-
ander zu stärken . Hier muss ich Ihnen sagen: Es ist mehr
als überfällig, dass es perspektivisch eine Lösung für
Bund-Länder-Finanzbeziehungen gibt . Es holt uns schon
jetzt spürbar ein, dass die Länder nervös werden – auch

Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


vor dem Hintergrund der großen Integrationsaufgabe –,
ob sie auf mittlere Frist die Schuldenbremse überhaupt
einhalten können .

Es wird uns bei der Lösung einer langfristigen Aufga-
be nicht helfen – das ist die Bewältigung der Integrati-
on –, darüber nachzudenken, ob unsere Finanzverfassung
gelockert werden müsse . Wenn man sich eine solche
Diskussion nicht ins Haus holen möchte, dann muss
man Vertrauen geben, indem der Bund und die Länder
gemeinsam zu einer verlässlichen Vereinbarung hinsicht-
lich der Bund-Länder-Finanzbeziehungen kommen . Die-
se Lösung hat die Große Koalition bisher nicht zustande
gebracht. Sie scheitern daran, der Bundesfinanzminister
vorneweg mit den Bundesländern . Das können wir uns
heute eigentlich gar nicht leisten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme ganz konkret zum Nachtragshaushalt zurück .
Integration müssen wir jetzt zügig und entschlossen an-
gehen . Wir sind uns, glaube ich, darüber einig, dass der
Erwerb der deutschen Sprache einer der zentralen Fak-
toren für gute Integration ist . Deswegen können wir ei-
nes nicht verstehen: Warum packen Sie eigentlich nicht
auch die Integrationsmittel in den Nachtragshaushalt und
steigern sie in dem Maße, wie wir es jetzt brauchen? Es
macht doch keinen Sinn, Integrationsmittel für die Berei-
che Spracherwerb und Migrationsberatung erst wirksam
zum 1 . Januar 2016 zu erhöhen . Es ist doch jetzt nicht
die Zeit, zwei Monate einfach so verstreichen zu lassen,
ohne entsprechende Änderungen vorzunehmen .

Ich sage Ihnen das aus einer ganz bestimmten Sorge .
Ich habe nämlich die Sorge, dass wir jetzt im Bereich
der Integration schon wieder notwendige Maßnahmen
zeitlich verschleppen . Wir haben doch in diesem Jahr
zur Kenntnis nehmen müssen, dass die mangelnde Vor-
bereitung auf die Flüchtlingsbewegung dazu geführt hat,
dass zum Beispiel auch das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge heute nicht die Personalstärke hat, die es
gebraucht hätte . Ich befürchte, dass wir im Bereich der
Integration, bei der Besetzung der Stellen für Sprachleh-
rer, dasselbe Problem kriegen . Herr Minister de Maizière
sollte Ende des Jahres 2015 nicht noch einmal denselben
Fehler machen . Wir müssen die Integrationsmittel und
auch die Mittel für die Migrationsberatung ab jetzt stei-
gern . Bessern Sie nach!

Einen qualitativ guten, angemessenen Nachtragshaus-
halt haben insbesondere die Ehrenamtlichen verdient, die
hier auch von den Vertretern der Opposition zu Recht ge-
lobt werden . Wir sind noch nicht da, wo wir hinmüssen .
Deswegen: Gehen Sie bitte in sich, und lassen Sie uns
spätestens nächste Woche im Haushaltsausschuss dafür
sorgen, dass mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden .

Schönen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813309800

Der Kollege Alois Rainer hat für die CDU/CSU-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1813309900

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz schaffen wir
die haushaltsmäßigen Voraussetzungen für die Umset-
zung der Beschlüsse der Bundesregierung und der Länder
zur Asyl- und Flüchtlingspolitik . Die damit verbundenen
finanziellen Auswirkungen auf die Haushalte von Bund,
Ländern und Kommunen – das wissen wir – sind in den
letzten Monaten zu einer enormen Belastung geworden .

Der vorliegende Entwurf eines Nachtragshaushaltes
sieht vor, dass die Länder im Jahr 2015 um weitere 1 Mil-
liarde Euro, also nunmehr um 2 Milliarden Euro entlastet
werden; im Jahr 2016 ist eine Entlastung um rund 5 Mil-
liarden Euro vorgesehen. Damit nutzen wir die finanzi-
ellen Möglichkeiten in diesem Jahr, um die Länder und
Kommunen, wie vereinbart, bei der Aufnahme und Un-
terbringung von Flüchtlingen umfassend zu unterstützen .
Auch bleibt es mit dem zweiten Nachtragshaushalt – das
ist sehr wichtig – bei einem ausgeglichenen Bundeshaus-
halt ohne neue Schulden .

Für die Herausforderungen in den kommenden Jah-
ren wird eine Rücklage in Höhe von 5 Milliarden Euro
gebildet . Ferner wird sichergestellt, dass mögliche Über-
schüsse zum Abschluss des jeweiligen Haushaltsjahres
ebenfalls in diese Rücklage fließen.

Darüber hinaus schaffen wir mit diesem Nachtrags-
haushalt auch die Voraussetzungen dafür, dass die Bun-
desanstalt für Immobilienaufgaben den Ländern und
Kommunen die nötigen Kosten zur Renovierung von
Flüchtlingsunterkünften auf mietzinsfrei überlassenen
Liegenschaften erstatten kann .

Zudem verdoppelt der Bund mit dem Bundeshaushalt
2016 die Mittel für die Wohnraumförderung . Das heißt,
dass in den kommenden vier Jahren jährlich rund 1 Mil-
liarde Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung
stehen . Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch
wenn das Programm vor dem Hintergrund der aktuellen
Flüchtlingssituation auf den Weg gebracht wird, ist es
unser Ziel, dass mehr bezahlbarer Wohnraum für alle so-
zial schwachen Menschen und Familien in unserem Land
entsteht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit den vorgenannten Maßnahmen setzt der Bund
seinen eingeschlagenen Weg der Entlastung der Länder
und Kommunen stetig fort . Ab 2016 wird sich der Bund
strukturell, dauerhaft und dynamisch an der Finanzierung
der gesamtstaatlichen Aufgaben der Asyl- und Flücht-
lingspolitik beteiligen .

Meine Damen und Herren, der Präsident des Bundes-
rechnungshofes hat im Januar dieses Jahres in seinem
Bericht zu den Finanzbeziehungen zwischen Bund und

Anja Hajduk






(A) (C)



(B) (D)


Ländern kritisch angemerkt, dass Prüfungs- und Kon-
trollrechte des Bundes gegenüber den Ländern fehlen .
Deshalb kann der Bund bei der Gewährung von Finanz-
hilfen im Ergebnis nicht prüfen, ob die Mittel zweck-
gerichtet oder zweckentfremdet verwendet wurden . Ich
appelliere daher eindringlich an die Länder, die Mittel
vereinbarungsgemäß einzusetzen . Es wäre ein falsches
Signal und zugleich ein Affront gegenüber den vie-
len helfenden Bürgerinnen und Bürgern, die in dieser
schwierigen Situation mit anpacken . Die Mittel müssen
schlichtweg dort ankommen, wo sie am dringendsten
benötigt werden . Eine Zweckentfremdung in Form von
Schuldentilgung oder Haushaltskonsolidierung darf es
mit diesen zusätzlichen Mitteln nicht geben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich halte es daher auch für erforderlich, dass die Länder
verpflichtet werden, nach dem Ende eines Haushaltsjah-
res über die vom Bund erhaltenen Mittel einen Bericht
abzugeben .

Ich bin mir sicher, meine sehr verehrten Damen und
Herren, dass wir die vor uns liegende Aufgabe, die
eine der größten in der Geschichte der Bundesrepu-
blik Deutschland ist, bewältigen werden . Wir haben in
Deutschland und gerade in Bayern in den vergangenen
Monaten eine enorme Hilfsbereitschaft erlebt . Ich möch-
te mich heute stellvertretend bei den Verantwortlichen
und den Menschen – ich bitte um Verständnis – in meiner
Heimat in Bayern, besonders in Niederbayern, ganz herz-
lich bedanken, die in diesen Tagen und Wochen herausra-
gende Leistungen erbringen .

Aber, meine Damen und Herren, auch unsere Kapazi-
täten sind begrenzt . Wir müssen daher dringend für eine
Begrenzung des Zustroms sorgen . Die von uns zur Ver-
fügung gestellten finanziellen Mittel sind ein wichtiger
Schritt . Viel wichtiger wird jedoch die Integration der
Flüchtlinge in unsere Gesellschaft sein . Deshalb ist es
nach meiner Auffassung besonders wichtig, dass wir die
bestehenden Gesetze adäquat und mit aller Entschlossen-
heit anwenden und umsetzen . Wir müssen vorrangig den
Menschen helfen, die bei uns einen Asylanspruch haben .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813310000

Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bettina Hagedorn (SPD):
Rede ID: ID1813310100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Wir beraten heute den zweiten Nachtragshaushalt; ich
betone: den zweiten . Ich betone das deshalb, weil schon
vielfach die Rede von all den Ehrenamtlichen und Hilfs-
kräften war, denen wir dankbar sind und sehr viel Respekt
entgegenbringen dafür, wie sie auf die große Herausfor-

derung durch die Flüchtlinge in unserem Land reagieren,
und weil wir als Abgeordnete natürlich auch wissen, dass
diese Menschen zu Recht von uns fordern, dass wir sie
in dieser Situation nicht im Regen stehen lassen und als
Staat ihnen das Maß an Sicherheit und Unterstützung ge-
währen, das sie in dieser Situation dringend brauchen .
Das tun wir mit diesem zweiten Nachtragshaushalt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich betone das auch deshalb, weil es eben schon einen
ersten Nachtragshaushalt gegeben hat; dieser wurde im
Mai dieses Jahres beschlossen . All den Menschen, für die
Haushaltspolitik nicht so wie für uns Haushälter, die hier
überwiegend sitzen, das tägliche Brot ist, sage ich: Durch
einen Nachtragshaushalt erhöht man die Einnahmen und
die Ausgaben . Das sind, wenn ich beide Nachtragshaus-
halte zusammenzähle, in diesem Jahr bisher schon – man
höre und staune – über 20 Milliarden Euro . Das ist wirk-
lich eine gewaltige Summe . Ich betone das deshalb, weil
viele Menschen, auch bei mir im Wahlkreis, fragen: Wo
kommt denn bloß das ganze Geld her für das, was ihr auf
den Gipfeln ständig beschließt? Wie soll das eigentlich
gehen? Müssen wir uns jetzt verschulden, oder müssen
wir möglicherweise die Steuern anheben? Mit den bei-
den Nachtragshaushalten können wir öffentlich belegen:
Nein, Letzteres wird, jedenfalls in absehbarer Zeit, nicht
nötig sein,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: In absehbarer Zeit!)


nicht, solange die konjunkturelle Lage so ist, wie sie ist .
Die Konjunktur brummt nämlich, und unsere Einnahme-
seite ist sehr gut . Wir haben hier Mehreinnahmen in ge-
nau dem Umfang, den ich gerade beschrieben habe .

Ich schlüssele das einmal auf: In beiden Nachtrags-
haushalten zusammen sind Steuermehreinnahmen für
den Bund in Höhe von 4,64 Milliarden Euro und gerin-
gere Ausgaben für Zinsen von 2,6 Milliarden Euro ent-
halten . Wenn ich dann noch berücksichtige, dass wir in
diesem Jahr aus Frequenzversteigerungen Erlöse in Höhe
von fast 5 Milliarden Euro erzielt haben, von denen knapp
4 Milliarden Euro in diesem Haushalt enthalten sind,
komme ich auf deutlich über 10 Milliarden Euro Mehr-
einnahmen . Das ist schon eine gewaltige Summe . Damit
will ich zum Ausdruck bringen, dass wir, ohne überheb-
lich zu sein, sagen können: Ja, wir können uns das leis-
ten . Wir haben aktuell eine große Herausforderung zu be-
wältigen, aber – und darauf sollten wir gemeinsam stolz
sein – wir können uns das leisten . Wir sind ein großes,
starkes Land, das für diese Situation gewappnet ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weil viele sagen: „Ach, guck mal, jetzt kommt das
ganze Geld, und das gebt ihr alles für die Flüchtlinge
aus“, ist es mir ganz wichtig, zu unterstreichen, dass in
den beiden Nachtragshaushalten neben all dem, was hier
schon genannt worden ist, dass neben all den Mitteln,
die wir für das, was auf den Flüchtlingsgipfeln verein-
bart worden ist, bereitstellen – auch für die Länder und
Kommunen –, auch enorme Beträge enthalten sind, die
allen Menschen in diesem Land zugutekommen . Erst

Alois Rainer






(A) (C)



(B) (D)


im Mai haben wir beschlossen, fast 5 Milliarden Euro
für Investitionen in Infrastruktur zusätzlich auszugeben,
für Straßen, für Schienen, für Brücken, für Wasserwege,
für den Breitbandausbau, also für Bereiche, in denen die
Menschen von uns Politikern etwas erwarten . Ja, auch
dafür stellen wir zusätzliche Mittel bereit . In diesem
Nachtragshaushalt geht es auch um eine Erhöhung des
Kindergeldes und um Mittel, die über die Jobcenter den
Menschen zugutekommen .

Es geht auch darum – das ist ja zumeist in Sonntags-
reden zu hören –, die Fluchtursachen zu bekämpfen . In
der Summe werden wir dafür allein im Haushalt des Aus-
wärtigen Amtes 475 Millionen Euro bereitstellen . Damit
werden wir UNHCR, UNICEF und andere Welthilfsor-
ganisationen bei ihrem Einsatz in den Flüchtlingslagern
in Libyen, Syrien und Jordanien unterstützen .

Es ist gut und richtig, dass wir das gemeinsam hin-
kriegen . Allen, die daran mitwirken, vielen Dank für die
Unterstützung .

Danke .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813310200

Der Kollege Christian Haase hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christian Haase (CDU):
Rede ID: ID1813310300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir sprechen heute ja auch über Anträge, in
denen es um die Kommunen geht . Städte, Gemeinden
und Kreise sind für Bürgerinnen und Bürger unseres Lan-
des die Orte, die ihre Lebensqualität bestimmen. Kom-
munen sorgen für gute Schulen, intakte Straßen, Kinder-
tagesstätten, Mobilität und Nahversorgung . Sie tragen
zur sozialen Sicherheit und zu sozialem Frieden bei . Sie
sorgen durch Initiativen beim Umbau der Energiewelt,
der Abfall- und Abwasserversorgung oder dem Ausbau
der digitalen Infrastruktur für die Zukunftsfähigkeit un-
serer Regionen .

Meine Damen und Herren, Kommunen werden zu
Recht als Keimzelle der Demokratie bezeichnet . Ehren-
amtliches Engagement findet auf der lokalen Ebene statt.
Und Tausende Haupt- und Ehrenamtliche engagieren sich
in den Gremien für ihre Stadt . Doch wir spüren, dass die
Motivation, sich für ein kommunales Amt zur Verfügung
zu stellen, schwindet. Mangelnde finanzielle Spielräume
und immer stärker einengende rechtliche Rahmenbedin-
gungen fördern nicht das Bewusstsein, Verantwortung zu
übernehmen . Hier sind besonders die Länder gefordert,
die Attraktivität der kommunalen Ebene nicht zu gefähr-
den .

Spiegelbildlich zeigt sich das bei der Wahlbeteiligung .
Beispiel Köln: ein von allen Seiten engagiert geführter
Wahlkampf um das Oberbürgermeisteramt . Eine Rich-
tungsentscheidung stand an . Politische Paukenschläge
im Vorfeld fanden ihren traurigen Höhepunkt in dem
Anschlag auf Henriette Reker, der ich von hier aus gratu-

liere . Ihr wünsche ich, sicherlich auch in Ihrem Namen,
gute Besserung .


(Beifall im ganzen Hause)


Aber trotz des Anschlags auf die Demokratie und des
Aufrufs zum Aufstand der Anständigen gingen nur
40 Prozent der Berechtigten zur Wahl . Bei vielen Bürger-
meister- und Landratswahlen sah es noch viel schlechter
aus . Ich fordere daher alle Landesparlamente auf, sich
hierüber Gedanken zu machen . Den überfraktionellen
Antrag, der in NRW zur Verbesserung der Rahmenbe-
dingungen für das kommunale Ehrenamt gestellt wurde,
begrüße ich daher ausdrücklich .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz der originären
Zuständigkeit der Länder für die finanzielle Leistungsfä-
higkeit der Kommunen ist sich der Bund seiner Verant-
wortung für die Kommunen bewusst, um gleichwertige
Lebensverhältnisse in unserem Land zu fördern . Wir hel-
fen daher, die Investitionskraft der Kommunen zu stär-
ken, um den enormen Investitionsstau zu mildern, und
setzen bei der finanziellen Unterstützung bewusst bei den
Sozialkosten an . Dabei setzen wir nicht auf Gleichma-
cherei, sondern auf Chancengleichheit .

Bei allen finanziellen Unterschieden in der kommu-
nalen Familie gibt es aber ein Thema, das alle gleich
stark belastet: die Betreuung, Versorgung und Integra-
tion von Flüchtlingen. Die Zahl der Armutsflüchtlinge,
Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber hat sich in diesem
Jahr explosionsartig entwickelt – in einem Umfang, den
niemand vorhersehen konnte . Selbst wenn alle beschlos-
senen und eingeleiteten nationalen, europäischen und
internationalen Initiativen erfolgreich wirken, müssen
wir, wenn sich nicht noch mehr ändert, in der nächsten
Zukunft mit anhaltend hohen Flüchtlingszahlen rechnen .
Das ist ein Fakt .

Klar ist auch: Je mehr Flüchtlinge kommen, umso
schwieriger und langsamer wird sich der Integrations-
prozess gestalten . Denn eine schnelle Integration der
bereits in Deutschland lebenden und der neu ankommen-
den Flüchtlinge setzt voraus, dass der Zustrom rasch und
spürbar begrenzt wird . Man kann die Ressourcen, wenn
sie denn überhaupt im Augenblick noch vorhanden sind,
nur einmal einsetzen .

Mein Dank gilt daher zunächst einmal den Bürger-
meistern, den Mitarbeitern in den Stadtverwaltungen,
den Hilfskräften und den unzähligen ehrenamtlichen
Helfern für ihre Arbeit . Wir packen gemeinsam an . Wir
leisten humanitäre Hilfe in Not . Das ist Deutschland . Wir
sind ein weltoffenes und attraktives Land, auf das wir
stolz sein können .

Wir sind uns sicherlich einig: Der Hauptdruck liegt
augenblicklich bei den Kommunen und ehrenamtlichen
Helfern . Weil zurzeit zu viele Menschen auf einmal kom-
men, Asylverfahren deshalb noch zu lange dauern und
Abschiebungen schwierig sind und dazu oft auch der po-
litische Wille fehlt, steigt dieser Druck auf die Kommu-
nen trotz großer Bereitschaft unaufhörlich .

Ich will trotz aller organisatorischen Probleme allen
Bürgermeistern Mut machen, sich an die Spitze der Inte-
grationsbewegung für die Schutzbedürftigen zu stellen .

Bettina Hagedorn






(A) (C)



(B) (D)


Wir müssen – da will ich den Bürgermeister von Schwä-
bisch Gmünd, Richard Arnold, zitieren – die Menschen
mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten sehen . Wir müssen
zur Lösung dieser Herausforderung aber die Schlagzahl
innen- und außenpolitisch erhöhen . Wir müssen Umset-
zungsdefizite beseitigen. Das Familien-, das Arbeits- und
das Bauministerium bitte ich, mit den Ländern die Inte-
grationsaufgabe intensiver in den Blick zu nehmen .

Wir brauchen nicht nur Ideen, Beschlüsse und Ab-
sichtserklärungen, sondern vor allen Dingen spürbare Er-
folge . Die Flüchtlingszahlen müssen kurzfristig sinken,
und Abschiebungen müssen umgesetzt werden . Ich sage
auch: Wir brauchen etwas mehr Ordnung im System . Ge-
meinsam müssen Bund und Länder daran arbeiten, dass
Kommunen und ehrenamtliche Helfer Zuversicht und
Mut behalten .

Unser Land war immer dann am stärksten, wenn die
Herausforderung am größten war . Ich erwarte vom Gip-
fel ein starkes Signal für die Kommunen .

Schönen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813310400

Das Wort hat der Kollege Bernhard Daldrup für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1813310500

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und

Kollegen! Ähnlich wie Herr Haase will auch ich da-
rauf hinweisen, dass wir heute nicht nur den zweiten
Nachtragshaushalt 2015, sondern auch den Antrag „Für
gleichwertige Lebensverhältnisse“, der der Entlastung
der Kommunen dient, verabschieden . Ich glaube, dass
wir in der Großen Koalition damit zeigen, dass die Kom-
munen eine Stimme haben, die gehört und ernst genom-
men wird .

Die schnelle Verdoppelung der Soforthilfe auf 2 Mil-
liarden Euro – auch wenn man möglicherweise noch
schneller reagieren könnte –, das kommunale Investiti-
onsprogramm und überhaupt die strukturelle Beteiligung
des Bundes an den Kosten für die Unterbringung und
Integration sowie an den Mitteln für den Wohnungsbau
und die Kinderbetreuung – das alles zeigt: Wir wollen
die Kommunen dauerhaft und strukturell unterstützen .
Wir nehmen ihre Forderungen sehr ernst . Diese Große
Koalition ist kommunalfreundlich .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Kern stehen die Kommunen mit uns vor zwei zen-
tralen Herausforderungen: Auf der einen Seite – darauf
ist mehrfach eingegangen worden – geht es um die Un-
terbringung und Integration von Flüchtlingen, auf der
anderen Seite um die Sicherung gleichwertiger Lebens-
bedingungen in den Kommunen, oder wie es gerade der

Städtetag formuliert: „Die Zukunftschancen eines Kin-
des dürfen nicht davon abhängen, wo es aufwächst .“

Unser heutiger Antrag greift, glaube ich, diese beiden
Herausforderungen auf und gibt drei zentrale Antworten:
eine Begrenzung des Anstieges der Sozialausgaben, eine
Stärkung von Investitionskraft und eine Begrenzung von
Verschuldung, insbesondere auch von Kassenkrediten .
Denn neben der bisherigen Unterstützung werden wir die
Kommunen 2017 um 2,5 Milliarden Euro und ab 2018
jährlich um 5 Milliarden Euro entlasten . Wir wollen
weiterhin, dass das Bundesteilhabegesetz zum 1 . Janu-
ar 2017 in Kraft tritt . Aber wir wollen die Kommunen
auch für Zukunftsaufgaben stärken, angefangen beim
Breitbandausbau bis hin zur Energiewende; Kollegin
Hagedorn hat darauf hingewiesen .

Überlagert werden diese Probleme durch den größten
Flüchtlingsstrom seit dem Zweiten Weltkrieg . Denkt man
an das gesellschaftliche Engagement, von dem mehrere
Kolleginnen und Kollegen gesprochen haben, macht die-
se Aufgabe auch deutlich, welche Systemrelevanz unsere
Kommunen eigentlich haben . Sind die Kommunen nicht
handlungsfähig, ist es der Staat bei diesen Aufgaben auch
nicht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei steht den Kommunen die eigentliche Heraus-
forderung noch bevor . Das heißt mit anderen Worten: Ich
würde mir wünschen, dass die gleiche Verwaltungskraft,
die gleiche Flexibilität, die gleiche Umsetzungsorientie-
rung und -geschwindigkeit auch bei der Bereitstellung
von Liegenschaften, bei der Besetzung offener Stellen,
bei der Beschleunigung von Verfahren durch den Bund
vorhanden wären . Das alles wäre besser, als täglich neue
Vorschläge zur Verschärfung der Regelungen zur Flücht-
lingsaufnahme zu machen . Es geht den Kommunen näm-
lich nicht um eine Verschärfung der Asylpolitik . Der Ge-
meindefinanzbericht sagte Folgendes – ich zitiere –:

Es stellt sich nicht die Frage, ob die Ausgaben für
die Flüchtlinge richtig sind oder nicht, sie sind der-
zeit schlicht notwendig . Humanität ist nicht zum
Nulltarif zu haben .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Roland Claus [DIE LINKE])


Der Bund bleibt in der Pflicht, die Länder ebenso. Wir
erwarten, dass das Bundesgeld auch bei den Kommu-
nen landet, und verpflichten die Bundesregierung, dem
Parlament darüber zu berichten . Das ist eine dauerhafte,
eine strukturelle und eine notwendige Aufgabe . Unsere
Gesellschaft braucht in dieser Frage Ermutigung, nicht
Entmutigung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813310600

Ich schließe die Aussprache .

Christian Haase






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Fest-
stellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushalts-
plan für das Haushaltsjahr 2015 . Der Haushaltsauschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Druck-
sachen 18/6580 und 18/6581, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6090 und
18/6447 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/6588 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf
Drucksache 18/6582. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/6062 mit dem Titel „Für gleichwertige
Lebensverhältnisse – Kommunalfreundliche Politik des
Bundes konsequent fortsetzen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/6069 mit dem Titel „Dauerhafte und
strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr
und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Kommunen von den Kosten für
bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen
und Straßen befreien“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6570, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3051
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die

Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verlängerung der Befristung von
Vorschriften nach den Terrorismusbekämp-
fungsgesetzen

Drucksachen 18/5924, 18/6177

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/6579

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen zügig
vorzunehmen, sodass die notwendige Aufmerksamkeit
hergestellt werden kann .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Ein guter Mann! Ein sehr guter Mann!)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1813310700

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Auch wenn die aktuelle epochale
Herausforderung der Flüchtlingskrise viele andere wich-
tige innenpolitische Themen verdrängt, dürfen wir eines
nicht außer Acht lassen: Die Gefahr des islamistischen
Terrorismus ist nach wie vor nicht gebannt . Ganz im Ge-
genteil: Der islamistische Terrorismus hat Europa und
auch Deutschland erreicht .

Die Zeit ist sehr schnelllebig, sodass man viele Ereig-
nisse wieder verdrängt . Es ist aber noch gar nicht viele
Monate her, als Anfang Januar ein schrecklicher Anschlag
einer Terrorzelle zu mehreren Toten geführt hat . Bei den
Angriffen auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Super-
markt haben 17 Menschen ihr Leben verloren . Danach
gab es Anschläge in Kopenhagen und einen geplanten
Anschlag auf ein Radrennen in Eschborn bei Frankfurt
am Main am 1 . Mai dieses Jahres . Daneben dürfen wir
auch nicht außer Acht lassen, dass es nur einer glückli-
chen Fügung zu verdanken ist, dass in den Sommermo-
naten ein geplanter Anschlag in einem Thalys-Zug noch
rechtzeitig verhindert werden konnte .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, erst
vor wenigen Tagen stürzte eine Passagiermaschine kurz
nach dem Abheben vom Flughafen in Scharm al-Scheich
ab . Die ersten Erkenntnisse deuten darauf, dass ein terro-
ristischer Anschlag zumindest nicht ausgeschlossen wer-
den kann . Das zeigt: Wir sind nach wie vor im Fokus des
islamistischen und dschihadistischen Terrorismus .

Bislang sind aus Deutschland bekanntermaßen
750 Dschihadisten nach Syrien und in den Irak ausge-

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


reist . Etwa 200 davon sind mittlerweile wieder zurück-
gekehrt . Ich glaube, bei aller derzeitigen Konzentration
auf die wichtigen Themen, um die Flüchtlingskrise in
den Griff zu bekommen, müssen wir uns auch verstärkt
darauf fokussieren, was wir noch tun müssen, um die an-
haltende Gefahr durch den islamistischen Terrorismus ef-
fektiv bekämpfen zu können . Dafür – davon bin ich fest
überzeugt – brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen,
sowohl im präventiven als auch im repressiven Bereich .
Im präventiven Bereich geht es vor allem darum, auf dem
Gebiet der Deradikalisierung dafür zu sorgen, dass es erst
gar nicht dazu kommt, dass Menschen, die leicht verführ-
bar sind und die vielleicht gewisse Brüche in ihrer Vita
haben, willfährige Opfer von Islamisten werden . Da sind
die Länder, da ist der Bund gefordert . Da ist die Gesell-
schaft insgesamt gefordert .

Wir müssen daneben aber auch mit Vereinsverbo-
ten agieren . Ich bin unserem Bundesinnenminister sehr
dankbar, dass er am 12 . September letzten Jahres den
sogenannten „Islamischen Staat“ und die Sympathiewer-
bung für den „Islamischen Staat“ in Deutschland verbo-
ten hat . Wir werden mit Sicherheit auch in Zukunft noch
weiter gehende Vereinsverbote in diesem Bereich prüfen
und erlassen müssen .

Wir haben – das ist durchaus erfreulich – mit wichti-
gen gesetzgeberischen Maßnahmen sehr schnell auf die
gestiegene Gefahr durch den islamistischen Terrorismus
reagiert . Wir haben in der Großen Koalition ein Gesetz
verabschiedet, das es ermöglicht, nach den gleichen Re-
gularien, nach denen in der Vergangenheit der Reisepass
entzogen werden konnte, nun auch den Personalausweis
zu entziehen, wenn klar ist, dass jemand die Ausreise
nach Syrien oder in den Irak plant, um sich dort dem so-
genannten „Islamischen Staat“ anzuschließen . Wir haben
in § 89 a und § 89 c des Strafgesetzbuches gesetzliche
Verschärfungen in Bezug auf die Terrorfinanzierung und
auf die Ausreise aus Deutschland vorgenommen . All das
waren wichtige Maßnahmen . Ich möchte aber, meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht verheh-
len: Es wird weiterer Maßnahmen bedürfen .

Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, sich in der Re-
gierungskoalition einvernehmlich darauf zu verständi-
gen, dass das Terrorismusbekämpfungsgesetz, das kurz
nach den Anschlägen vom 11 . September 2001 geschaf-
fen wurde, um weitere fünf Jahre verlängert wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Befristung läuft noch bis zum 10 . Januar des nächs-
ten Jahres . Es beinhaltet vor allem nachrichtendienstli-
che Auskunftsbefugnisse gegenüber Reiseunternehmen,
Fluggesellschaften, Kreditinstituten und Telekommuni-
kationsdienstleistern .

Es wird dann sehr schnell vonseiten der Opposition
wieder behauptet werden: Wir leben in einem Überwa-
chungsstaat; dies ist eine übermäßige Totalüberwachung
der Gesellschaft; es gibt hier einen massenhaften Miss-
brauch dieser Maßnahmen .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie mal meine Rede ab, Herr Mayer! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie für ein Bild von uns haben!)


Wir haben dieses Gesetz richtigerweise von dem Institut
für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation in Speyer
evaluieren lassen . Es kam – nachdem der Zeitraum von
November 2013 bis November 2014 untersucht worden
war – zu dem Ergebnis, dass in sehr maßvoller und ver-
antwortungsvoller Weise von diesen Auskunftsmöglich-
keiten durch die Nachrichtendienste Gebrauch gemacht
wurde . In dem genannten Zeitraum von genau einem Jahr
gab es insgesamt 72 Auskunftsersuchen . Ich glaube, das
ist eine Größenordnung, die klar macht, dass hier keine
massenhafte Überwachung des deutschen Volkes stattfin-
det, sondern die in wenigen Ausnahmefällen veranlassten
selektiven Auskunftsersuchen durchaus zielführend sind .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Größenordnung macht deutlich, dass man das nicht braucht!)


Zum Beispiel wurde aufgrund einer solchen Auskunft ein
Täter der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organi-
sation überführt .

Man sieht anhand des Evaluationsberichts des Insti-
tuts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation in
Speyer also ganz klar: Dieses Gesetz hat sich bewährt, es
ist richtig und ist von unseren Sicherheitsbehörden, von
den Nachrichtendiensten in sehr verantwortungsvoller
Weise angewandt worden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sehr wichtig ist für mich auch, zu erwähnen, dass die-
ses Gesetz die Möglichkeit umfasst, Ausschreibungen
zur Beobachtung im Schengener Informationssystem
vorzunehmen . Im genannten Evaluierungszeitraum sind
insgesamt 329 Ausschreibungen für die verdeckte Beob-
achtung vor allem vom Bundesamt für Verfassungsschutz
vorgenommen worden . Es ist eine wichtige Maßnahme,
dass die Nachrichtendienste jemanden zur verdeckten
Beobachtung ausschreiben können . Das war auch im Fall
des Herrn Nemmouche so, der dann leider den schreckli-
chen Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel ver-
übte . Er war von den französischen Sicherheitsbehörden
zur verdeckten Beobachtung ausgeschrieben worden .

Wir werden in dem laufenden Gesetzgebungsverfah-
ren noch zwei kleine materielle Änderungen vornehmen .
Die erste Änderung schafft auf Betreiben und auf Begehr
des Bundesverteidigungsministeriums eine Ausnahme-
möglichkeit . Drittpersonen, die dem Bundesverteidi-
gungsministerium nicht angehören und dort nur temporär
tätig sind, müssen zum Zwecke des Sabotageschutzes
nicht sicherheitsüberprüft werden, wenn die Anstellung
nicht länger als einen Monat umfasst .

Die zweite Änderung, die wir an diesem Gesetz ma-
teriell vornehmen, betrifft die Auskunftsersuchen ge-
genüber Grundbuchämtern . Es wird dann so sein, dass
in Zukunft der Betroffene nicht mehr informiert werden
muss, wenn ein Auskunftsersuchen beim Grundbuchamt
erfolgt . Bisher war es so, dass nur bei einem Auskunfts-
ersuchen von Strafverfolgungsbehörden der Betroffene

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


aus nachvollziehbaren Gründen darüber zunächst nicht
informiert wurde .

Ich glaube, auch dies zeigt, dass wir als Gesetzge-
ber sehr moderat und sehr reduziert an dieses – wohl-
gemerkt – bewährte Gesetz materiell-rechtlich Hand
anlegen . Ich bin der festen Überzeugung, dass die Frist-
verlängerung der Gültigkeit dieses Gesetzes um weitere
fünf Jahre mit dazu beitragen wird, dass unsere Nach-
richtendienste weiterhin effektiv und, wie ich hoffe, auch
im Sinne von uns allen erfolgreich arbeiten können .

Ich möchte zum Schluss noch eine Anmerkung ma-
chen, die ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofes
bezüglich der Verschärfungen in § 89 a StGB betrifft, die
wir vorgenommen haben . Dieses Urteil vom 27 . Oktober
zeigt mir ganz klar, dass wir weiterhin gut daran täten,
intensiv zu überlegen, ob man die Sympathiewerbung für
ausländische terroristische Organisationen nicht wieder
unter Strafe stellen sollte .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieser Straftatbestand galt bis 2002 . Er ist dann bedau-
erlicherweise von Rot-Grün abgeschafft worden . Das
war damals ein Kompromiss . Aber aus meiner Sicht ist
es jetzt Zeit, dass wir diese Sympathiewerbung wieder
unter Strafe stellen . Ich kann nur an uns alle appellieren,
dass wir im Lichte dieses aktuellen Urteils des Bundes-
gerichtshofes diese Maßnahme schnellstmöglich umset-
zen und ein entsprechendes Gesetzeswerk auf den Weg
bringen .

Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksam-
keit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813310800

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813310900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat

wird heute von der Regierung die Verlängerung der Be-
fristung einer Reihe von Antiterrorgesetzen verlangt, mit
denen es vor allen Dingen Geheimdiensten erlaubt wird,
Konten zu überwachen, Kommunikationsdaten einzuse-
hen, Reisebewegungen zu beobachten und zu erfassen
und vieles mehr . Diese Maßnahmen, meine Damen und
Herren, sind tiefe Einschnitte in die Grundrechte . Die
Linke ist der Meinung, dass man diese Grundrechte nicht
so einfach beschränken darf, wie das eben der Kollege
Mayer gefordert hat, sondern man muss wirklich sehr ge-
nau prüfen, ob die Gefahr noch besteht und ob wir diese
Gesetze wirklich noch brauchen . So, wie diese Gesetze
heute verabschiedet werden sollen, wird die Linke nicht
mitmachen .


(Beifall bei der LINKEN)


Bei der damaligen Einführung dieser Gesetze im Jahr
2002 aufgrund der Anschläge von 9/11 hat man uns noch

erzählt, dass alles nur vorübergehend sei und dass die
Gesetze befristet seien . Wir sehen heute, dass die Befris-
tung regelmäßig verlängert wird, ohne dass der prakti-
sche Nutzen dieser Gesetze für die Terrorbekämpfung
tatsächlich nachgewiesen wurde .

Hier ist eben schon gesagt worden, dass die Ge-
heimdienste diese Sonderbefugnisse, die sie bekommen
haben, nur in einigen Dutzend Fällen pro Jahr nutzen .
Aber das allein sagt nicht viel darüber aus, ob die Grund-
rechtseingriffe verhältnismäßig und notwendig sind . Im
Evaluationsbericht, der als Grundlage für die Verlänge-
rung der Befristung der Gesetze dienen soll, heißt es –
ich möchte das gerne zitieren –:

Die Kumulation von Grundrechtseingriffen erhöht
die Intensität des Grundrechtseingriffs . Mehrere für
sich betrachtet möglicherweise angemessene oder
zumutbare Eingriffe in grundrechtlich geschützte
Bereiche können in ihrer Gesamtwirkung zu einer
schwerwiegenden Beeinträchtigung führen, die das
Maß der rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsin-
tensität überschreitet .

Im Klartext heißt das: Notwendig ist eine Gesamt-
schau, eine Art Überwachungsgesamtrechnung . Dies hat
übrigens auch das Bundesverfassungsgericht im Zusam-
menhang mit dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung
angemahnt . Denn nur wenn man auch die anderen Über-
wachungsgesetze und die technischen Möglichkeiten der
Datenvernetzung berücksichtigt, wird klar, in welchem
Maß die Grundrechte insgesamt betroffen sind . Das Pro-
blem im Zusammenhang mit dem Evaluierungsbericht
wird hier ganz klar genannt – ich zitiere –:

Eine solch umfassende Analyse ist jedoch vom
Evaluationsauftrag nicht abgedeckt gewesen . . .

Mit anderen Worten: Das BMI hat hier einen sehr eng
gefassten Auftrag zur Evaluierung erteilt .

Wir haben am Montag dieser Woche ein Berichter-
stattergespräch über zwei Stunden mit den Wissenschaft-
lern gehabt, die die Evaluation durchgeführt haben, und
mit ihnen diskutiert . Sie haben bestätigt, dass die eben
angesprochenen Fragen bei einer grundrechtlichen Aus-
wertung eigentlich hätten geprüft werden müssen . Doch
dafür hatten sie weder die Zeit noch den Auftrag . Den in-
haltlichen und zeitlichen Rahmen für die Evaluierung hat
das Bundesinnenministerium so eng angesetzt, dass eine
wirklich sorgfältige Prüfung des Themas verhindert wur-
de . Auf diese Weise lässt sich natürlich leicht sicherstel-
len, dass das Ergebnis dem eigenen Interesse, also dem
des BMI, entspricht . Entschuldigen Sie, meine Damen
und Herren, aber das ist alles andere als ein sorgfältiger
Umgang mit den Grundrechten, so wie wir ihn uns vor-
stellen . Das ist eine Irreführung der Öffentlichkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Bezug auf den angeblichen Nutzen der Antiterror-
gesetze haben wir ebenfalls erhebliche Zweifel . Zwar sa-
gen die Geheimdienste, die gewonnenen Informationen
seien wertvoll für ihre Arbeit . Aber das sind Behauptun-
gen beispielsweise des BND, aber auch des Verfassungs-
schutzes, an denen wir in der letzten Zeit wirklich große

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Zweifel haben . Ich nenne nur die Stichworte „NSA“ und
„NSU“ . Es verbietet sich von selbst, dass man diesen Ge-
heimdiensten so einfach glaubt, wenn man keine Fakten
vorgelegt bekommt . Die Aussagen der Schnüffelbehör-
den können wir einfach nicht hinnehmen . Wir brauchen
bei einer Evaluierung Fakten und Daten, um zu gucken:
Was brauchen wir an Gesetzen, und was brauchen wir
nicht?


(Beifall bei der LINKEN)


Da muss man sich wirklich fragen: Für wie naiv halten
uns eigentlich die Ministerien wie beispielsweise das
Bundesinnenministerium?

Was wir tatsächlich brauchen, sind unabhängige Ein-
schätzungen, die auf aussagekräftigen und vollständigen
Daten basieren . Bis heute hat noch niemand nachge-
wiesen bzw . nachweisen können, dass wegen der neu-
en Gesetze auch nur ein einziger Anschlag verhindert
werden konnte . Es fehlt an jeder Rechtfertigung für die
erheblichen Grundrechtseingriffe durch diese Gesetze .
Von daher fordert die Linke nicht eine Verlängerung der
Gültigkeit dieser Gesetze, sondern ihre Abschaffung . Die
Abrüstung der Geheimdienste ist der beste Grundrech-
teschutz .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813311000

Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD und des Abg . Clemens Binninger [CDU/CSU])



Uli Grötsch (SPD):
Rede ID: ID1813311100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, dass es bei dem heute zur Abstimmung ste-
henden Gesetzentwurf eigentlich gar nicht um die Frage
gehen kann, ob wir die Verlängerung der Gültigkeit die-
ses Gesetzes brauchen, also ob wir unseren Sicherheits-
behörden weiterhin Befugnisse zur Terrorismusbekämp-
fung geben oder nicht . Ich war bis jetzt der Meinung,
dass es im ganzen Haus oder zumindest in weiten Teilen
eigentlich unstrittig sein müsste,


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sollte man meinen!)


dass die Sicherheitsbehörden in Deutschland auch in
Zukunft die Befugnisse brauchen, die sie in den letzten
Jahren hatten . Denn niemand wird doch behaupten wol-
len, dass sich die Gefährdungslage hinsichtlich terroris-
tischer Bedrohungen in Deutschland etwa entspannt hat
oder dass sie sich gar erledigt hat und wir somit auf diese
Gesetze verzichten könnten .

Osama bin Laden ist zwar längst tot . Aber al-Qaida
steht bei weitem nicht mehr allein im Fokus der Öffent-
lichkeit . Auch das Thema Terrorismus entwickelt sich
weiter .

Uns zeigt in diesen Tagen – man kann schon fast sa-
gen: in diesen Jahren – das selbsternannte Kalifat des „Is-
lamischen Staates“ eine Form des Terrors, die uns bislang
unbekannt war . Diese Form des Terrors des „Islamischen
Staates“ bedroht uns ganz konkret hier in Deutschland:
durch radikalisierte Islamisten, ausreisende Dschihadis-
ten und vor allem durch Syrien-Rückkehrer, von denen
die allermeisten über Kampferfahrung verfügen .

Es geht heute nicht um die Frage, was die Ursachen
des Terrorismus in all seinen Erscheinungsformen sind,
und es geht auch nicht um die Frage der Bekämpfung der
Ursachen . Mit dem zur Abstimmung stehenden Gesetz-
entwurf geht es nur um die Befugnisse, also sozusagen
um den Rahmen, den wir den Nachrichtendiensten und
den Sicherheitsbehörden in Deutschland geben, um in
angemessener Weise auf diese Bedrohungen reagieren zu
können .

Ich glaube, ohne Auskunftseinholung etwa bei Luft-
fahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommunika-
tionsdienstleistern geht es heutzutage nicht . Deshalb gibt
es zu diesem Gesetzentwurf keine Alternative .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die SPD-Bundestagsfraktion weiß sehr wohl, dass
mit diesen Befugnissen auch immer ein teilweise nicht
unerheblicher Grundrechtseingriff einhergeht und wir
die Freiheitsrechte mancher Bürger damit einschränken
müssen . Wir sind aber auch dafür verantwortlich, dass
sich die Menschen in unserem Land auch in Zukunft vor
Terrorismus sicher fühlen können . Deshalb haben wir
den Spagat zwischen Bürgerrechten und erforderlichen
Grundrechtseingriffen jederzeit bei jedem Gesetzentwurf
im Blick und somit auch bei diesem . Deshalb haben wir
den Gesetzentwurf fast so belassen, wie er war .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fast!)


Es gibt keine wesentliche Ausweitung der nachrichten-
dienstlichen Befugnisse .

Eine kleine Änderung betrifft das Grundbuchrecht .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Definitionssache!)


Künftig können nicht nur Strafverfolgungsbehörden,
sondern auch Nachrichtendienste verdeckt in Grundbü-
cher und Grundakten Einblick nehmen,


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, das ist unwesentlich?)


um beispielsweise herauszufinden, wem ein Grundstück
gehört, auf dem sich regelmäßig rechte Vereinigungen
oder islamistische Vereinigungen treffen . Dem Eigen-
tümer darf die Grundbucheinsicht für eine bestimmte
Dauer nicht mitgeteilt werden, um Ermittlungen nicht zu
gefährden . Das halte ich für richtig, und das ist in diesem
Zusammenhang auch wichtig .


(Beifall des Abg . Rüdiger Veit [SPD])


Für die SPD war es von entscheidender Bedeutung,
dass wir das Terrorismusbekämpfungsgesetz erneut be-

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


fristen, und zwar bis 2021, und dass wir es dann erneut
auf seine Notwendigkeit und Wirksamkeit überprüfen,
weil sich dieses Phänomen bis zum Jahr 2021 wieder
verändert haben wird . Wir hoffen und glauben, dass wir
mit unserer Gesetzgebung dazu beitragen, dass es sich
zurückentwickelt, statt sich weiter auszubreiten .

Die Evaluierung der Durchführungspraxis des Geset-
zes hat einerseits gezeigt, dass die nachrichtendienstli-
chen Befugnisse maßvoll angewandt wurden, und ande-
rerseits, dass sie sich sehr bewährt haben . Nicht immer
sind die Erfolge der Sicherheitsbehörden öffentlich
wahrnehmbar, wie etwa bei der Verhaftung von Terror-
verdächtigen in Oberursel im April dieses Jahres . Als
wir damals das Gesetz gemacht haben, haben wir es sehr
bewusst von vornherein befristet, weil wir um die eben
schon angesprochene Sensibilität der Befugnisse wuss-
ten .

Nun geht es um die dritte Verlängerung, weil die Be-
drohung durch den internationalen Terrorismus nach wie
vor besteht, der heutzutage – wir alle kennen die Videos
des „Islamischen Staates“ – viel brutaler und hemmungs-
loser ist als jemals zuvor . Wir wissen, dass schreckliche
Terroranschläge wie im Mai 2014 im Jüdischen Museum
in Brüssel oder wie im Januar dieses Jahres auf das Sati-
reblatt Charlie Hebdo in Paris auch bei uns in Deutsch-
land passieren können .

Der „Islamische Staat“ ruft ganz konkret zu indivi-
duellen Terrortaten in Deutschland auf . Wir können und
wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass zivile Helden
wie im Thalys-Schnellzug weiterhin für ihre Mitbürger
ihr Leben riskieren, liebe Kolleginnen und Kollegen . Das
muss Aufgabe des Staates sein . Wir müssen den Rahmen
schaffen und den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit
geben, diese Taten zu verhindern .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb stellt die Große Koalition unsere Sicherheits-
behörden weiterhin gut auf . Das Bundeskriminalamt und
das Bundesamt für Verfassungsschutz bekommen neue
Planstellen in erheblichem Umfang


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Och!)


und eine angemessene Sachmittelausstattung auch und
gerade im Cyberabwehrbereich, der auch in diesem Zu-
sammenhang ein wichtiges Thema darstellt . Auch die
Bundespolizei wird über die bereits in diesem Jahr er-
folgte und für 2016 vorgesehene Aufstockung hinaus
weitere 3 000 Stellen erhalten .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überfällig!)


Wir wissen dabei sehr wohl, dass Paragrafen und re-
pressive Maßnahmen allein noch keine effektive Terro-
rismusbekämpfung gewährleisten . Die SPD-Bundestags-
fraktion und die CDU/CSU-Fraktion, also die gesamte
Große Koalition, setzen deshalb genauso sehr – der Kol-
lege Mayer hat das eben in seiner Rede angedeutet – auf
Prävention wie auf Repression .

Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten
mit sehr vielen im Bereich der Extremismusprävention

engagierten Vereinen und Trägern getroffen und mir ein
Bild von ihrer Arbeit gemacht . Ihre Arbeit ist gefragter
denn je . Etwa Informationsveranstaltungen der Bundes-
zentrale für politische Bildung sind völlig überlaufen .
Ich denke etwa an Ufuq e. V., an die Beratungsstelle
Hayat, die Aussteigern und Angehörigen radikalisierter
Personen konkrete und wirksame Hilfe anbietet, oder an
das Projekt „Wegweiser“ in Nordrhein-Westfalen sowie
an das Violence Prevention Network; Sie alle kennen
diese Organisationen . Es gibt in den für die Prävention
originär zuständigen Bundesländern viele solcher nied-
rigschwelligen Projekte, die sich gegen den gewaltori-
entierten Islamismus wenden und dabei sehr erfolgreich
sind . Deshalb war es richtig, dass wir im letzten Jahr den
Mittelansatz für das Bundesprogramm „Demokratie le-
ben!“ um 10 Millionen Euro auf nun 40,5 Millionen Euro
aufgestockt haben . Ich meine, dass wir diesen Weg wei-
tergehen müssen . Das ist der richtige Weg .


(Beifall bei der SPD)


Ich danke in diesem Zusammenhang unserer Bundes-
ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ma-
nuela Schwesig, die früher als andere erkannt hat, dass
es auf Prävention genauso ankommt wie auf die Arbeit
der Sicherheitsbehörden . Wer sich mit den verschiedenen
Beratungsstellen unterhält und sieht, dass das Telefon
nicht eine Minute stillsteht, der merkt schnell, dass in das
Bundesprogramm „Demokratie leben!“ in den aktuellen
Haushaltsberatungen mehr Geld fließen muss, weil Prä-
vention genauso wichtig ist wie Repression .

Ich meine, dass es in diesem Bereich eine zentrale
Koordinierungsstelle braucht, unter deren Dach sich die
Träger und Vereine organisieren, austauschen und ver-
netzen können . Als Vorbild könnte etwa die Bundesar-
beitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“ dienen, die
sich seit Jahren erfolgreich um ausstiegswillige Rechte
kümmert . Extremismus in jeder Form ist eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe und auch eine gesamtgesell-
schaftliche Verantwortung .

Vor fast genau vier Jahren hat die Selbstenttarnung der
NSU-Terroristen Deutschland erschüttert, und sie tut das
immer noch . Seitdem versuchen wir, die Umstände auf-
zuklären . In der nächsten Woche wird der Deutsche Bun-
destag zum NSU-Terror einen zweiten Untersuchungs-
ausschuss einsetzen . Dabei ist das Ziel klar: lückenlose
Aufklärung, damit so etwas nie wieder passieren kann .
Auch vor diesem Hintergrund bin ich sehr besorgt über
das erneute Aufkeimen einer rechtsterroristischen Szene
in Teilen unseres Landes .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nichts anderes ist es nämlich, wenn sich organisierte,
rechte Schlägertrupps aufmachen und vor Krieg und Ter-
ror zu uns geflüchtete Menschen und ihre Unterkünfte
angreifen . Die Beobachtung dieser Rechtsterroristen ist

Uli Grötsch






(A) (C)



(B) (D)


ein Fall für unsere Sicherheitsbehörden, insbesondere für
den Verfassungsschutz .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal kann man Zweifel bekommen!)


Wenn sich das zuständige Landesamt für Verfassungs-
schutz in Sachsen und sein Präsident dieser Aufgabe
nicht annehmen wollen, dann muss das Bundesamt für
Verfassungsschutz die Zügel in die Hand nehmen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die gesetzlichen Grundlagen für diese Zuständigkeit ha-
ben wir noch vor der Sommerpause geschaffen . Ich gehe
davon aus, dass der Bundespräsident das Gesetz bald un-
terschreiben wird .

Sowohl Rechtsterror als auch islamistischer Terror
sind verabscheuungswürdig und müssen von unseren Si-
cherheitsbehörden bekämpft werden . Dafür geben wir ih-
nen unter bestimmten und gesetzlich geregelten Voraus-
setzungen das Werkzeug mit diesem Gesetz an die Hand .
Ohne dieses Gesetz katapultieren wir uns in die Steinzeit
der Terrorabwehr; das wäre fatal und verantwortungslos .
Deshalb fordere ich insbesondere die Grünen auf, der
Verlängerung der Geltungsdauer eines Gesetzes aus ge-
meinsamen Zeiten zuzustimmen .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Lang ist’s her!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813311200

Das Wort hat die Kollegin Irene Mihalic für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813311300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Herr Mayer, ich finde es schon bemer-
kenswert, dass Sie beim Thema Terrorismus immer so-
fort auf den islamistischen Terrorismus kommen . Der
fällt Ihnen sehr schnell ein, aber Sie beziehen nie die all-
gegenwärtige Gefahr des Rechtsterrorismus in Ihre Rede
ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen bin ich dem Kollegen Grötsch für den
Schluss seiner Rede sehr dankbar, in dem er diese Bezü-
ge hergestellt hat. Das finde ich wichtig, wenn es in einer
Debatte um Terrorismus geht .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dann müssen Sie auch zustimmen!)


Der 11 . September 2001 hat uns mit einer neuen Di-
mension des Terrors konfrontiert . Unter diesem Eindruck
hat gerade die westliche Staatenwelt viele nach innen
wie auch nach außen wirkende Maßnahmen entwickelt,
um auf die terroristische Bedrohung zu reagieren . Aber
diese Maßnahmen hatten, gelinde gesagt, doch einen

ziemlich unterschiedlichen Erfolg . Wenn ich mir die
letzten 14 Jahre und die aktuellen Krisenherde dieser
Welt anschaue, dann frage ich mich heute schon, wie ei-
gentlich die sicherheitspolitische Gesamtbilanz bei der
Bekämpfung des Terrorismus ist und ob die Antworten
der zivilisierten Welt am Ende nicht vielleicht doch mehr
Schaden in Afghanistan, im Irak und in Syrien angerich-
tet haben, als sie Nutzen gebracht haben. Ich finde, diese
Frage sollte man einmal eingehend untersuchen, gerade
im Hinblick auf zukünftige Debatten zum Thema Terror-
bekämpfung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ebenfalls untersucht oder – besser gesagt – evaluiert
wurden die Terrorismusbekämpfungsgesetze, deren Gel-
tung Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koa-
lition, heute hier verlängern wollen . Zwar wurde dieses
Mal – endlich, muss man sagen – auf wissenschaftlicher
Basis evaluiert, aber trotzdem hart am Thema vorbei;
denn wenn der Nutzen eines Gesetzes unter dem Aspekt
der Verhältnismäßigkeit ermittelt werden soll, dann muss
man auch den Erfolg der Maßnahmen nach klaren Krite-
rien überprüfen . Genau das ist aber nicht geschehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es wurde überhaupt nicht ermittelt, ob die zusätzli-
chen Befugnisse der Geheimdienste in auch nur einem
einzigen Fall dazu beigetragen haben, Terroranschläge
zu verhindern . In Ihrem Gesetzentwurf kommen Sie zu
einer ziemlich spannenden Schlussfolgerung, wenn Sie
sagen, die neuen Befugnisse seien alle nur ganz sparsam
angewendet worden und deshalb sollte die Geltungsdau-
er der Gesetze verlängert werden . Das kann doch kein
Grund für eine Verlängerung sein, sondern das kann
nur, wenn überhaupt, der Nachweis der Wirksamkeit der
Maßnahmen zur Terrorbekämpfung sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Genau diesen Nachweis bleiben Sie aber schuldig .

Kollege Grötsch, gestatten Sie mir eine Anmerkung
zu den Vorgängen in Oberursel . Da war es die Kassiere-
rin im Baumarkt, die Schlimmeres verhindert hat, und es
waren eben nicht die Nachrichtendienste .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Umso gravierender sind dann die mit den Maßnahmen
verbundenen Grundrechtseingriffe . Ohne einen klaren
Beweis für den Erfolg der Terrorismusbekämpfungsge-
setze sind wir hier im Parlament doch überhaupt nicht
in der Lage, die Verhältnismäßigkeit dieser Befugnisse
festzustellen . Aber genau das wäre die Grundlage für die
Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, nämlich ob
wir die Geltungsdauer der Gesetze wirklich guten Gewis-
sens für weitere fünf Jahre verlängern können .

Es geht auch nicht nur um eine Verlängerung, nein,
so ganz nebenbei sollen die Befugnisse der Dienste auch
noch ausgeweitet werden; denn bis jetzt ist es nur den
Strafverfolgungsbehörden gestattet, und zwar nur in be-
gründeten Einzelfällen, wenn der Erfolg strafrechtlicher

Uli Grötsch






(A) (C)



(B) (D)


Ermittlungen gefährdet ist, die Grundbücher einzusehen,
ohne der betreffenden Person darüber Auskunft zu ertei-
len . Jetzt sollen das nach Ihrem Willen auch die Nach-
richtendienste dürfen .

Ich finde, die aktuellen Geheimdienstskandale haben
uns eine Sache deutlich gezeigt, nämlich wie schwer das
Vorgehen der Dienste und ihre Methoden kontrollierbar
sind. Deswegen finde ich nicht, dass man die Befugnisse
dieser Behörden jetzt quasi im Vorbeigehen auch noch
erweitern sollte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will daran erinnern, dass vier von sechs Untersu-
chungsausschüssen dieser und der letzten beiden Wahl-
perioden das zweifelhafte Vorgehen von Sicherheits-
behörden, allen voran der Geheimdienste, zum Thema
hatten . Uli Grötsch hat vorhin darauf hingewiesen: Wir
setzen jetzt einen weiteren Untersuchungsausschuss zum
NSU-Skandal ein, der auch die Arbeit des Verfassungs-
schutzes auf den Prüfstand stellt . Der NSA-Untersu-
chungsausschuss befasst sich mit der Arbeit des BND .
Vielleicht wäre es klug, abzuwarten, was alles dabei he-
rauskommt, bevor man die Dienste mit neuen Kompeten-
zen ausstattet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben weder
den tatsächlichen Nutzen der bestehenden Gesetze nach-
gewiesen, noch haben Sie eine schlüssige Begründung
dafür geliefert, dass die Befugnisse jetzt auch noch aus-
geweitet werden sollen . Daher bleibt für uns in der Bilanz
ein ganz klares Minus und uns als Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen nichts anderes übrig, als Ihren Gesetzent-
wurf abzulehnen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uli Grötsch [SPD]: Schönes Gesetz!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813311400

Das Wort hat der Kollege Clemens Binninger für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1813311500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich will damit beginnen, auf die Redebeiträge der Oppo-
sition einzugehen . Frau Jelpke, ich würde mich gern mit
Ihnen einmal in der Sache streiten . Nur, dann müssten
Sie wenigstens ein Mal sagen, was Sie gegen die Gefahr
des internationalen Terrorismus tun würden . Sie sagen
kein Wort dazu, wie Sie es machen würden,


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Nichts!)


und deshalb ist eine Debatte mit Ihnen gar nicht möglich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer keine eigenen Lösungsvorschläge präsentiert, der,
finde ich, vergibt sich ein bisschen das Recht, immer

über das zu nörgeln, was die anderen angeblich falsch
machen .

Ich komme zum Beitrag der Grünen . Man muss noch
einmal daran erinnern: Wir stimmen hier über die Verlän-
gerung der Gültigkeitsdauer eines von Rot-Grün auf den
Weg gebrachten Gesetzes ab .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was aus gutem Grund befristet war!)


Ich habe immer gesagt: Als Otto Schily Koalitionspart-
ner der Grünen war, sind Sie in erster Linie strammge-
standen und haben gemacht, was er wollte . Aber in der
Sache hatte er recht .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht Herr Schily aber anders! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie heute auch gerne, Herr Binninger!)


Wie Sie sich heute vom Acker machen, ist nicht sehr
heldenhaft . Sie haben hier zu vielem geredet; aber Sie ha-
ben nichts dazu gesagt, warum die Befugnisse nötig sind .
Ich erinnere mich an die Debatten, als wir dieses Gesetz
beschlossen bzw . seine Geltungsdauer verlängert haben .
Einer der Hauptvorwürfe dagegen hieß immer: Jetzt wird
massenhaft in Kommunikation eingegriffen . Jetzt wird
massenhaft überwacht . Jetzt werden massenhaft Daten
gewonnen . – Das waren die Hauptkritikpunkte, mit de-
nen man diese Maßnahmen irgendwie ins Unrecht zu
drängen versucht hat .

Schauen wir uns die Zahlen an – ich habe mir noch
einmal den Berichtsstand 2013 angesehen –: Von An-
fang 2002 bis Ende 2013, also in zwölf Jahren, wurden
diese Befugnisse von drei Nachrichtendiensten – MAD,
BND und BfV – gerade einmal rund 770-mal angewandt .
Ich wiederhole: Sie wurden in zwölf Jahren 770-mal
durch drei Nachrichtendienste angewandt . Das ist mehr
als maßvoll . Von der üblichen Kritik, es werde mas-
senhaft und ziellos überwacht, ist nichts, aber auch gar
nichts übrig geblieben . Das ist das heutige Fazit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nach meiner nächsten Anmerkung verlasse ich Ihren
Beitrag; denn er hat nicht so sehr zur Sache beigetragen .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Binninger!)


– Ja, es stimmt leider .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich warte ganz gespannt auf Ihren Sachbeitrag!)


Frau Mihalic, Sie haben ja einen guten Einstieg voll-
zogen . Sie haben darauf hingewiesen, dass wir –


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte Sie schätzen die Kollegin Mihalic!)


– Frau Lazar, wenn Sie mir nicht zuhören, können Sie es
nicht verstehen .

Irene Mihalic






(A) (C)



(B) (D)


Frau Mihalic, Sie haben zu Recht darauf hingewie-
sen, dass es nicht nur um den internationalen Terroris-
mus geht, dass Rechtsterrorismus eine ernste Bedrohung
für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft ist und
dass wir alle aufgefordert sind, alles dafür zu tun, diese
Gefahr gar nicht erst aufkommen zu lassen . Ich glaube,
darüber besteht im ganzen Haus Konsens .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu spät!)


Vor diesem Hintergrund können Sie doch nicht ernst-
haft sagen: Durch die Neuregelung der Grundbuchaus-
kunft würden nebenbei und maßlos Befugnisse ausge-
weitet . Worum geht es da? Da geht es um den Kampf
gegen Rechtsterrorismus . Im Hinblick auf Vereinsverbo-
te – da muss man beispielsweise wissen, wem die Hütte
gehört, wo sich die Neonazis immer treffen, damit man
angemessen gegen sie vorgehen kann; die Betroffenen
sollen ja nicht erfahren, dass man entsprechende Vorbe-
reitungen trifft – zu kritisieren, dass die Grundbuchämter
einem amtsbekannten Neonazi nicht mitteilen müssen,
dass sich der Verfassungsschutz nach seinen Eigentums-
verhältnissen erkundigt – das ist doch sinnvoll –, macht
doch keinen Sinn . Wenn Sie das kritisieren, widerspre-
chen Sie Ihrer eigenen Position, die Sie zu Beginn Ihrer
Rede dargelegt haben . Das ist mein Fazit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg . Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Noch ein paar Sätze dazu, warum wir diese Befugnisse
brauchen . Es ist doch entscheidend, dass wir beim Kampf
gegen Terror wissen, wohin Terrorverdächtige reisen, mit
wem sie kommunizieren und wohin Geld fließt. Das sind
die entscheidenden Informationen schlechthin .

Es geht doch darum, den Diensten zu erlauben, ge-
nau diese Daten der Terrorverdächtigen abzufragen – in
zwölf Jahren gerade einmal 770-mal –: bei der Bank,
beim Telefonunternehmen oder bei der Airline . Wir wis-
sen, dass wir zurzeit eine Bedrohungslage durch den IS
haben, die zahlenmäßig alles übersteigt, was wir bisher
an Terrorbedrohung hatten: mehrere Hundert IS-Kämp-
fer allein aus Deutschland, mehrere Tausend aus Europa,
die entweder dort sind oder zurückkommen und hier eine
latente Gefahr darstellen . Will ich da ernsthaft sagen: „Es
interessiert mich nicht, mit wem die Kontakt haben; es
interessiert mich nicht, wohin die reisen; ich will nicht
wissen, wohin die Geldbewegungen gehen“? – Das muss
ich wissen . Wenn Nachrichtendienste im Terrorkampf er-
folgreich sein sollen, brauchen sie dieses Wissen, und ge-
nau das ermöglichen wir ihnen mit diesen Befugnissen .
Sie sind mehr als notwendig, sie sind maßvoll angewandt
worden, und sie sind evaluiert worden . Deshalb, glaube
ich, kann man diesem Gesetz wirklich nur zustimmen .

In einem Punkt will ich noch einmal deutlich machen,
dass wir die Dinge nicht so nebenbei machen . Diese Ge-
setze sind nicht nur von dem Institut in Speyer evaluiert
worden; auch das Parlamentarische Kontrollgremium
befasst sich in kurzen Abständen und jährlich in einem
öffentlichen Bericht mit diesen Maßnahmen . Auch dort
wird ein positives Fazit gezogen, nämlich dass man die-
se Maßnahmen braucht, dass sie maßvoll sind . Deshalb,

glaube ich, kann es an der Stelle gar keine Frage sein, die
Frist erneut um fünf Jahre zu verlängern .

Ich will ganz offen sagen: Die Idee kommt nicht von
uns . Wir hätten es auch gern ohne Befristung gehabt . Es
ist ein Wunsch und eine Idee des Koalitionspartners .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben! Sollen wir jetzt froh sein, dass es nur befristet ist?)


Ich habe aber nichts dagegen . Wir stimmen ja zu . Aber:
Dienste sagen uns immer wieder: Die Terrorgefahr hat
sich nicht verändert . Wir wissen, dass sie sich auch in
fünf Jahren nicht verändert haben wird . Warum befristet
ihr überhaupt? Ist das praktikabel? – Das wird uns immer
entgegengehalten .

Ich sage: Eine Befristung macht durchaus Sinn . Da-
durch sind wir in der Pflicht, wenigstens alle fünf Jahre
transparent und öffentlich diese Debatte zu führen, und
wir können darlegen, dass wir diese Maßnahmen brau-
chen,


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie es doch, und legen Sie es dar!)


dass sie maßvoll angewandt werden, dass sie sinnvoll
sind . Insofern muss ich sagen: Ich war zwar nie ein
Freund der Befristung, aber ich habe mich nicht nur da-
ran gewöhnt, sondern sage mittlerweile: Sie hat schon
auch ihren politischen Effekt, selbst wenn die Praktiker
sagen: Uns wäre es ohne Befristung lieber . – Dass wir es
verlängern, glaube ich, ist sinnvoll, und die Debatte ist
allemal sinnvoll .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie heben immer darauf ab – das muss man zum
Schluss noch einmal sagen –: War das überhaupt erfolg-
reich?


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im Gesetz!)


– Ja . – Man muss aber doch einmal zur Kenntnis neh-
men: Gott sei Dank – das hat sicher immer auch etwas
mit Glück zu tun, aber nicht nur – sind wir in Deutsch-
land mit Ausnahme dieses fanatischen Einzeltäters am
Frankfurter Flughafen bislang all die Jahre – denken Sie
einmal daran, wo überall Anschläge waren! – von erfolg-
reichen Terroranschlägen verschont geblieben . Das hat
mit Glück und Fügung zu tun, aber es hat auch damit zu
tun, dass wir unseren Sicherheitsbehörden die richtigen
Instrumente an die Hand gegeben haben: die Maßnahmen
nach diesem Gesetz, die Antiterrordatei, das Gemeinsa-
me Terrorabwehrzentrum, die Möglichkeit des Passent-
zuges, andere Dinge im Bereich des Strafgesetzbuches .
Das ist doch ein Erfolg . Wenn Anschläge nicht passieren,
ist das ein Erfolg . Wie kann man das in Zweifel ziehen
und fragen: „War das alles überhaupt erfolgreich?“?


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wurde gar nicht untersucht!)


Die Gesetze sind richtig . Sie waren erfolgreich . Ei-
gentlich kann man einer Verlängerung nur zustimmen .
Sie haben beim ersten Mal mitgemacht . Ich bitte Sie:

Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


Überprüfen Sie Ihre Position noch einmal! Es wäre in
der Sache mehr als richtig und notwendig . Wir werden
zustimmen – im Interesse der Sicherheit unseres Landes
und der Bürger .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813311600

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ver-
längerung der Befristung von Vorschriften nach den
Terrorismusbekämpfungsgesetzen . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/6579, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/5924 und 18/6177 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Luise
Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über die Einführung
von Gruppenverfahren

Drucksache 18/1464

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/6422

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dirk Wiese für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1813311700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Bereits anlässlich der ersten Lesung vor
der Sommerpause hatte ich darauf hingewiesen, dass

ich dem Gesetzentwurf der Grünen interessiert, offen,
aber skeptisch gegenüberstehe . Insbesondere die enorme
Belastung der Justiz, die Ihr Vorhaben mit sich brächte,
und das zusätzliche Streitpotenzial, das durch die äußerst
komplexe Verfahrensstruktur aus meiner Sicht entstehen
würde, hielt ich für nicht zielführend . Die Beratungen im
Fachausschuss und die Anhörung konnten meine Skep-
sis nicht ausräumen, ja haben sie sogar noch einmal ver-
stärkt .

Was aber das Grundziel Ihres Anliegens betrifft, be-
steht jedoch, glaube ich, Einigkeit zwischen uns, nur der
Weg dorthin ist ein anderer . Denn dass Verbraucher, die
in großer Zahl zum Beispiel unlauteren Geschäftsprak-
tiken, unzulässigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen
oder kartellbedingt überhöhten Preisen zum Opfer gefal-
len sind, in der Lage sein müssen, ihre Rechte vor Ge-
richt möglichst wirksam durchzusetzen, steht auch für
uns Sozialdemokraten völlig außer Frage . Klar ist aber
auch, dass die Möglichkeit, eine angemessene Kompen-
sation für erlittene Schäden zu erstreiten, verfahrensmä-
ßig so ausgestaltet sein muss, dass keine abschreckenden
wirtschaftlichen oder bürokratischen Hürden bestehen,
die jeweils mit dem Ziel der Verzögerung oder Zermür-
bung – möglicherweise als prozessualer Nebenkriegs-
schauplatz – genutzt werden können .

Andererseits müssen wir aber auch verhindern, dass
die Möglichkeit von Sammelklagen missbraucht wird
und spezialisierte Großkanzleien die Gruppenklage zu-
künftig zu ihrem Hauptgeschäftsfeld machen, weil dort
der Profit höchstmöglich ist. Ich gebe Ihnen ein Beispiel:
Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn der Klagegeg-
ner in teure Vergleiche gezwungen wird, die von vielen
betroffenen Unternehmen unabhängig von der Rechtsla-
ge und der Aussicht auf Erfolg im Prozess nur deshalb
angenommen werden, um einem öffentlichen, negativen
und geschäftsschädigenden Fokus in einem etwaigen
langwierigen Prozess zu entgehen .

Betrachtet man also diese beiden Seiten, so stellt sich
die Frage, wie eine solche Klageform aussehen könnte .
Ich persönlich finde, dass die Musterfeststellungsklage
aus dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hier das
Grundgerüst für eine entsprechende Klageform liefern
könnte, die dann natürlich einen sachlich unbeschränk-
ten Anwendungsbereich hätte . Der Vorteil an solch ei-
nem Musterfeststellungsverfahren liegt aus meiner Sicht
auf der Hand: Qualifizierte Verbände könnten auch bei
einem sehr hohen Aufkommen an verbraucherrechtli-
chen Streitigkeiten zu einer Sache mit nur einer Klage,
die auf das Ziel der Klärung zentraler Voraussetzungen
und Rechtsfragen in diesem speziellen Fall gerichtet ist,
den gesamten Sachverhalt zum Abschluss bringen . Ge-
richte und auch die streitenden Parteien könnten sich in
diesem Prozess auf die Klärung immer wiederkehrender
Kernfragen konzentrieren . Damit würden die Ressourcen
der Justiz, anders als im heute hier vorliegenden Entwurf,
eine massive Entlastung erfahren, und die Verbraucher
würden von der Vereinheitlichung der Rechtsprechung
profitieren.

Zusätzlich wäre es dann natürlich sinnvoll, ein Klage-
register zu schaffen, in dem Verbraucherinnen und Ver-
braucher nach Bekanntmachung ihrer Klage bei bereits

Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


bestehendem Musterfeststellungsurteil ihre Ansprüche
niedrigschwellig, kostenfrei und mit verjährungshem-
mender Wirkung anmelden können . Klar ist, dass das
Musterfeststellungsurteil für diese Ansprüche natürlich
dann aber auch Bindungswirkung entfalten müsste . Da-
durch würde aus meiner Sicht die Wahrscheinlichkeit
auf eine außergerichtliche Abwicklung der einzelnen
Ansprüche signifikant erhöht. Denkbar ist hier etwa
eine einvernehmliche oder im Rahmen der kostenfreien
Streitschlichtung erzielte Einigung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie ahnen bzw . viele
von Ihnen wissen es: Was ich hier vortrage, entspricht
den Ankündigungen aus dem Bundesministerium der
Justiz und für Verbraucherschutz . Dort wird bereits an
entsprechenden Eckpunkten gearbeitet .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Donnerschlag! Bereits?)


Auch mit der Praxis wird dieser Entwurf rückgekoppelt
werden, was natürlich seine Zeit braucht . Das ist aber
aus meiner Sicht genau der richtige Weg; denn bei solch
komplizierten und schwierigen rechtlichen Themenbe-
reichen wie der Gruppenklage gilt nun einmal der alte
Grundsatz: Schneller ist manchmal eben nicht besser .

Deswegen lehnt die SPD-Bundestagsfraktion heute
Ihren Gesetzentwurf ab, obwohl wir uns im Ziel durch-
aus einig sind . Wir halten den Weg über ein Musterfest-
stellungsverfahren für wesentlich zielführender und res-
sourcenschonender . Sie ist für den Verbraucher auch ein
wesentlich einfacheres Verfahren, das mit weniger Risi-
ken verbunden ist .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU])


Ich freue mich, mit Ihnen über entsprechende Vorha-
ben zeitnah an dieser Stelle zu diskutieren .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813311800

Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813311900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! „Allein machen sie dich ein .“ Das sang die Band
„Ton Steine Scherben“ schon in den 70er-Jahren . Sie hat-
te wahrscheinlich nicht die Einführung von Gruppenver-
fahren vor Augen, aber das bringt es ganz gut auf den
Punkt. Ich finde, allein kann der einzelne Verbraucher
wenig gegen ein Unternehmen ausrichten, das ihn abge-
zockt hat . Gemeinsam können sich die Verbraucher viel
besser wehren .


(Beifall bei der LINKEN)


Gemeinsam können wir uns viel besser wehren . Das
heißt übersetzt ins Beamtendeutsch: Einführung von

Gruppenverfahren oder Einführung von kollektiver statt
individueller Rechtsdurchsetzung .

In zehn EU-Staaten gibt es bereits diese Möglichkeit .
Zuletzt wurde sie in Frankreich eingeführt . Auch die
Europäische Kommission hat schon vor einigen Jahren
die Einführung von Gruppenverfahren empfohlen . Nur
Deutschland ist leider hinter dieser Entwicklung zurück-
geblieben und hat es versäumt, seine Rechtsschutzin-
strumente zu modernisieren . Wir sagen: Es wird höchste
Zeit, dass auch in Deutschland Verbraucherinnen und
Verbraucher in ihren Rechten gestärkt werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein gutes Beispiel ist der aktuelle VW-Skandal . Es ist
nicht nur ein riesengroßer Umweltskandal, sondern es
ist auch Verbrauchertäuschung in großem, in riesigem
Ausmaß . Es ist also höchste Zeit, gerade in diesem Zu-
sammenhang über Gruppenverfahren nachzudenken . Sie
könnten nämlich dafür sorgen, dass nicht der einzelne ge-
schädigte und getäuschte Autokäufer auf den Goodwill,
den guten Willen, des VWKonzerns angewiesen ist . Es
wäre eine Möglichkeit, die geschädigten Verbraucher in
ihrem Recht zu stärken, das sie auch gemeinsam gegen-
über einem Gericht und gegenüber dem Konzern einkla-
gen können .

Die Koalition, vor allem die SPD, hat das Muster-
feststellungsverfahren ins Spiel gebracht . Wir sagen:
Das wäre besser als gar nichts . Es wäre ein Schritt in die
richtige Richtung . Aber aus unserer Sicht hat es einen
entscheidenden Nachteil: Das Gericht würde zwar ent-
scheiden, dass ein bestimmtes Unternehmen rechtswid-
rig gehandelt hat, aber es folgte automatisch noch nichts
daraus . Jeder einzelne Geschädigte müsste vor Gericht
ziehen und die Entschädigung individuell einklagen . –
Diesen Gang scheuen erfahrungsgemäß viele Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, vielleicht weil nicht alle ein
abgeschlossenes Jurastudium haben . Insofern sind wir
der Auffassung, dass ein Gruppenverfahren dem Muster-
feststellungsverfahren eindeutig überlegen ist .

In der Praxis heißt es, dass das Unternehmen den
unrechtmäßig erworbenen Gewinn weiter einstreichen
kann, weil viele Verbraucherinnen und Verbraucher nicht
wissen, dass sie deshalb extra vor Gericht ziehen müssen .
Dass die Unternehmen diesen unrechtmäßig erworbenen
Gewinn einbehalten können, ist völlig absurd . Das müs-
sen wir endlich ändern .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir wissen das nicht erst seit gestern . Bereits 2010,
also vor fünf Jahren, hat die Fraktion Die Linke im Rah-
men des Gesetzes zur Bekämpfung unlauterer Telefon-
werbung erstmalig auch für die Einführung von Grup-
penverfahren plädiert . Auch die Verbraucherzentralen
haben sich in der Zwischenzeit dafür ausgesprochen .
Ich finde, dass ein Gruppenverfahren besser wäre als ein
Musterfeststellungsverfahren . Aber das geht der Union
offensichtlich noch zu weit . Anders kann ich es mir nicht

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


erklären, dass wir im Verbraucherausschuss dreimal die
Situation hatten, dass sie mit ihrer Mehrheit dagegen ge-
stimmt hat, dass wir uns dort über die Frage der Auswir-
kungen des VW-Skandals auf die Verbraucherinnen und
Verbraucher unterhalten können .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Was hat der VW-Skandal mit dem Gruppenverfahren zu tun?)


Ich finde, das ist ein Skandal. Das können wir Ihnen so
nicht durchgehen lassen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir unterstützen den Vorschlag der Grünen, der hier
auf dem Tisch liegt . Vage Ankündigungen, dass irgend-
wann einmal von der Regierung etwas kommt, stehen
heute nicht zur Abstimmung . Wir werden den Gesetzent-
wurf der Grünen unterstützen, auch wenn wir im Detail
andere Vorschläge sowie Ergänzungen und Änderungs-
wünsche hätten, die vielleicht in eine andere Richtung
gehen. Wir finden beispielsweise, dass die Erfahrungen
in Großbritannien gezeigt haben, dass bei Bagatell- und
Streuschäden kaum jemand mitklagt . Deswegen hätten
wir bei den kleinen Bagatell- und Streuschäden für ein
Opt-out-Verfahren plädiert . Aber das sind jetzt die De-
tails . Die Annahme dieses Gesetzentwurfes würde die
Situation für viele Verbraucherinnen und Verbraucher in
der Realität verbessern . Deswegen plädiere ich für die
Annahme dieses Gesetzentwurfes .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht zum Schluss noch einige Sätze . Bei diesem
Thema wird gerne gesagt: Wir wollen ja keine amerika-
nischen Verhältnisse haben . – Amerikanische Verhält-
nisse will hier niemand haben . Sie zu schaffen, wird im
Gesetzentwurf auch überhaupt nicht vorgeschlagen . In-
sofern kann man jetzt aufhören, hier Panik zu machen
und einen Pappkameraden aufzubauen .

„Allein machen sie dich ein .“ Das heißt umgekehrt:
Gemeinsam sind wir stärker . – Ich kann es nicht hun-
dertprozentig sagen; aber ich bin mir, ehrlich gesagt,
ziemlich sicher: Auch die „Scherben“ wären für die Ein-
führung von Gruppenverfahren . Stimmen auch Sie für
diesen Gesetzentwurf! Die Verbraucherinnen und Ver-
braucher würden es Ihnen danken .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Was sind die „Scherben“? Das habe ich gar nicht verstanden!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813312000

Nächster Redner ist der Abgeordnete Sebastian

Steineke, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sebastian Steineke (CDU):
Rede ID: ID1813312100


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben bereits vor einem Jahr – Kollege Wiese hat da-
rauf hingewiesen – in diesem Haus über den Gesetzent-
wurf debattiert . Auch wenn dies lange her ist, hat sich
in der Zwischenzeit an unserer Auffassung zu dem Ge-
setzentwurf nichts geändert . So hat auch die öffentliche
Anhörung keinerlei neue Erkenntnisse gebracht, die uns
zu einer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bringen
könnten . Die Unionsfraktion wird diesen Gesetzentwurf
wiederum ablehnen .

Wir sperren uns nicht gegen Verbesserungen bei den
Rechten der Verbraucherinnen und Verbraucher .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil!)


Im Gegenteil: Wir haben gerade vor zwei Wochen im Ka-
pitalanleger-Musterverfahrensgesetz Veränderungen her-
beigeführt, denen die Grünen übrigens nicht zugestimmt
haben .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Gegenruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen bessere Gesetze machen, Herr Ullrich!)


Dass der nun vorliegende Entwurf aber gerade nicht ver-
braucherfreundlich ist, werde ich später bei den Einzel-
heiten darlegen . Da geht es um handwerkliche Fehler,
über die wir auch noch diskutieren werden .

Es geht aber auch und vor allen Dingen um die Er-
forderlichkeit und Verhältnismäßigkeit . Es hakt schon
bei der Erforderlichkeit . Wir haben in unserem Rechts-
system – bereits in erster Lesung haben wir viel darüber
nachgedacht und gesprochen – schon jetzt viele effizi-
ente, kostengünstige Instrumente und Möglichkeiten des
kollektiven und individuellen Rechtsschutzes . Darauf
sind auch viele Sachverständige in der Anhörung einge-
gangen . Neben den üblichen Individualklagewegen gibt
es mehrere ähnlich gelagerte Möglichkeiten des kollekti-
ven Rechtsschutzes . In den vergangenen Jahren wurden
die schon jetzt bestehenden Möglichkeiten des kollekti-
ven Rechtsschutzes erfolgreich bei diversen Sammelkla-
gen gegen Energieversorger, Banken und Versicherungen
genutzt .

Verbände können nach dem Unterlassungsklagenge-
setz oder nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbe-
werb bereits heute Sammelklagen erheben . Schon heute
sieht die ZPO eine Streitgenossenschaft vor und regelt in
§ 147 die Prozessverbindung . Hinzu kommt das bereits
erwähnte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz . Damit
haben wir beim kollektiven Rechtsschutz bereits einen
relativ weiten Spielraum .

Die zweite Frage ist die nach der Verhältnismäßigkeit
des Entwurfs . Die Verbraucherinnen und Verbraucher in
Deutschland sollen den bestmöglichen Rechtsschutz er-
halten . Unabhängig davon muss man sich trotzdem fra-

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


gen, ob dieses Auf-den-Kopf-Stellen der 130 Jahre alten
ZPO notwendig und verhältnismäßig ist .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das machen Sie beim StGB doch auch!)


Ich will hier zwei Dinge nennen . Auch wenn immer
wieder betont wird – wir haben gerade darüber gespro-
chen –, dass hier keiner amerikanische Verhältnisse will,
sollte man den Vergleich immer mal wieder anstellen .
Weit mehr als 90 Prozent der Sammelklagen in den USA
enden mit einem Vergleich . Wieso ist das so? Weil es
meistens um für die Bürgerinnen und Bürger existenziel-
le Rechtsfragen geht und durch die Medien ein enormer
Druck aufgebaut wird, der die Firmen dazu zwingt, einen
Vergleich einzugehen, selbst wenn die Beklagtenseite
den Prozess im Falle eines Urteils nicht verlieren würde .
Öffentlicher Druck darf doch in Deutschland nicht dazu
führen, dass auf die rechtsstaatlichen Grundsätze eines
Gerichtsverfahrens Einfluss genommen wird. Gerade für
mittlere und große Unternehmen, die in vielen Fällen Be-
klagte sein dürften, würde ein Auswuchs an Sammelkla-
gen eine erhebliche und unangemessene Belastung dar-
stellen . Dieser Überzeugung sind wir weiterhin . Für die
Wahrung des öffentlichen Interesses im Einzelfall haben
sowohl Aufsichtsbehörden als auch Verbraucherverbän-
de schon jetzt die Möglichkeit, vorbeugenden Rechts-
schutz für die Betroffenen in Anspruch zu nehmen .

Der zweite Punkt ist die hohe Missbrauchsanfälligkeit
von Sammelklagen . Es ist durchaus zuzugestehen – das
haben wir schon in der ersten Lesung gesagt –, dass Sie
sich bemüht haben, diesen Risiken Rechnung zu tragen,
gelungen ist Ihnen dies aber nicht . Wir sind nach wie vor
der festen Überzeugung, dass gerade dem Instrument der
Sammelklage die Gefahr des Missbrauchs immanent ist .

Gehen wir ruhig weg aus den USA, und schauen wir
nach Europa, zum Beispiel nach Schweden . In Schweden
ist bei der Gruppenklage zum Beispiel explizit eine er-
folgsabhängige Erhöhung des Honorars vorgesehen . Wir
haben bereits im letzten Jahr vor dem Entstehen einer
„Sammelklageindustrie“ gewarnt; Kollege Wiese hat da-
rauf hingewiesen . Der Grundsatz des „loser pays“-Prin-
zip darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass durch die
Vereinbarung von Erfolgshonoraren ein Kläger vollkom-
men risikolos klagen kann . Gerade bei Kollektivklagen
bieten diese Erfolgshonorare Anreize für Rechtsanwälte .
Vergessen wir dabei nicht, dass wir in Deutschland seit
2008 in § 4 a RVG Erfolgshonorare impliziert haben .

Viele Rechtsanwälte verfolgen mit ihrer Arbeit ein ei-
genes wirtschaftliches Interesse; das ist vollkommen in
Ordnung, davon leben sie .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie sind die Wirtschaftspartei!)


Ein redlich arbeitender Anwalt hat natürlich die feste
Absicht, das Beste für seinen Mandanten herauszuholen;
auch das ist vollkommen in Ordnung . Bei einer Sammel-
klage mit möglichst vielen Teilnehmern kann, nach dem
Entwurf der Grünen, ein Anwalt deutlich mehr verdie-

nen, als wenn er einen Einzelnen vertritt . In der Begrün-
dung des Gesetzentwurfs heißt es wörtlich:

Damit erweist sich das Gruppenverfahren aus Sicht
der Klägeranwältin oder des Klägeranwalts vor al-
lem für solche Fälle als attraktiv, in denen eine gro-
ße Anzahl von Betroffenen als Mandanten entweder
bereits vorhanden sind oder zumindest in Betracht
kommen .

Das ist geradezu eine Aufforderung zum Rechtsstreit . Es
geht darum, möglichst viele hinter die eigene Position
zu bringen . Das kann nicht im Interesse eines effektiven
Rechtsschutzes liegen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was für uns vor allem sehr wichtig ist und auch in
der Anhörung von fast allen Sachverständigen deutlich
gemacht wurde, das sind die massiven verfassungsrecht-
lichen Bedenken, die dem vorliegenden Gesetzentwurf
innewohnen .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Die kommen noch obendrauf! Genau!)


In Artikel 103 unserer Verfassung ist das Grundrecht
auf rechtliches Gehör verankert . Dies wäre durch den
Kern der allumfassenden Sammelklage explizit betrof-
fen . Jedes einzelne Individuum, das seine Rechte gericht-
lich geltend machen will, hat Anspruch auf rechtliches
Gehör . Diesem Grundsatz würde die Einführung einer
Sammelklage in keiner Weise gerecht; darauf haben
mehrere Sachverständige hingewiesen . Der Teilnehmer
würde sich einer Gruppe anschließen, die durch einen
Gruppenführer vor Gericht vertreten wird . Zwar kann
dieser Ihrem Entwurf zufolge bei Schlechtleistung aus-
gewechselt werden – das ist allerdings enorm schwie-
rig –, das verhindert jedoch nicht, dass der Betroffene
vor Gericht nicht mehr gehört wird . Es ist weiterhin nicht
auszuschließen, dass der Einzelne trotz gleich gelagerter
Ansprüche etwas zur Beurteilung der Sachlage beizu-
tragen hat . Je größer die Gruppe, umso geringer ist die
Möglichkeit der Einflussnahme für den Einzelnen. Dies
ist ein klarer Verstoß gegen Artikel 103 des Grundgeset-
zes und mit uns nicht zu machen .

Abgesehen von den generellen Zweifeln am Gesetz-
entwurf: Lassen Sie mich einige Beispiele nennen, wes-
halb die Regelungen auch handwerklich ungeeignet sind .
Los geht es schon mit der im Entwurf festgelegten Zuläs-
sigkeit in § 606 ZPO . Dort ist weder geregelt, wie groß
eine Gruppe sein muss noch welches Verfahren infrage
kommt und um welche tatsächlichen Ansprüche es sich
handelt . In Anbetracht der Tatsache, dass wir die ZPO
vom Kopf auf die Füße stellen wollen, ist das ein völlig
unbrauchbarer Ansatz .

Ich zitiere aus § 619 Absatz 2 Ihres vorgelegten Ge-
setzentwurfes:

Die Stellung als Gruppenkläger begründet kein
Schuldverhältnis gegenüber den Teilnehmern des
Gruppenverfahrens .

Die Konsequenz daraus ist, dass derjenige, der die
Klage führt, machen kann, was er will; um es salopp zu
sagen . Er kann bei Schlechtleistung ausgewechselt wer-

Sebastian Steineke






(A) (C)



(B) (D)


den, aber dann ist das Kind im Regelfall schon in den
Brunnen gefallen . Verhandelt er schlecht, sind alle weite-
ren Teilnehmer daran gebunden . Das persönliche Schick-
sal des eigenen Anspruchs liegt einzig und allein in den
Händen des einen Klägers . Das kann am Ende des Tages
nicht der Wahrheit letzter Schluss sein .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch vollkommener Unsinn! – Gegenruf des Abg . Dr . Volker Ullrich [CDU/ CSU]: Das ist vollkommen richtig, was der Kollege sagt!)


– Das ist vollkommen richtig . Lesen Sie Ihren eigenen
Entwurf!


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das System nicht verstanden!)


Nicht zuletzt führt § 615 zu einer deutlichen Kosten-
belastung für die Verbraucherinnen und Verbraucher,
weil Sie den Anwaltszwang bei der Anmeldung für
Streu- und Bagatellschäden einführen wollen; es ist un-
glaublich, dass das in Ihrem Entwurf enthalten ist . Das
Ziel des Gesetzes, Hemmungen vor Klagen abzubauen
und kostengünstiger zu werden, ist somit klar verfehlt .

Wir haben die angekündigte Prüfung der Bundesre-
gierung zur Kenntnis genommen . Wir warten ab, was an
Eckpunktepapieren und Entwürfen vorgelegt wird . Wir
von der Union werden sehr genau prüfen, ob über das
Instrumentarium hinaus, das uns zurzeit zur Verfügung
steht, Verbesserungsmöglichkeiten überhaupt notwendig
sind, und werden dann mit dem Koalitionspartner in ge-
messener Form darüber sprechen . Das, was die Grünen
heute vorschlagen, geht auf jeden Fall deutlich zu weit
und am Ziel vorbei . Deswegen werden wir den Gesetz-
entwurf ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813312200

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813312300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

ber Herr Steineke, im Ergebnis habe ich nichts anderes
erwartet, weil die CDU schon immer dagegen war . Die
wirklich spannende Frage war ja nur: Mit welcher Pi-
rouette argumentieren Sie heute?


(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Verfassungsrecht!)


– Na ja, wie das mit dem Verfassungsrecht ist, sehen wir,
wenn es so weit ist, wenn es so ein Gesetz als Vorlage
gibt .


(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Wir haben doch eine Vorlage!)


Das können Sie gerne behaupten . Ich behaupte das Ge-
genteil .

Wissen Sie was? Ich meine, dass wir aktuell sagen
können, dass es Gruppenverfahren braucht . Warum ak-
tuell? Weil wir sehen, dass sich die Verfahren in dieser
Gesellschaft immer mehr verändern . Wie viele Verträge
gibt es, bei denen es um ganz kleine Summen geht? Die
Zahl dieser Verträge nimmt durch das Internet stark zu,
und wir stellen fest – dazu gibt es Zahlen; das haben wir
vor ein paar Tagen mit hochrangigen Richtern in der nie-
dersächsischen Landesvertretung erörtert –, dass die Zahl
der Klagen vor den Zivilgerichten abnimmt, insbesonde-
re die der Klagen, bei denen es um kleine Summen geht .
Das hat meines Erachtens nicht nur damit zu tun, dass die
Gerichte für die Bearbeitung viel zu lange brauchen, son-
dern auch damit – das sagt man mittlerweile so –, dass
die Leute klein beigeben . Zwar sind 50 oder 20 Euro für
sie persönlich extrem viel Geld, aber sie haben nicht den
Mut, das Risiko einzugehen, zum Anwalt und womög-
lich durch mehrere Instanzen zu gehen .


(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Sie zwingen doch die Leute zum Anwalt!)


Das ist doch keine Frage der Beutelschneiderei von An-
wälten, sondern die Frage ist, ob sich das kleine Indivi-
duum angesichts eines größeren, mächtigeren Gegners,
der mehrere Juristinnen und Juristen beschäftigt, über-
haupt traut, sein Recht wahrzunehmen . – Dazu haben Sie
kein Wort gesagt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Anlässlich des Themas Muster- und Gruppenklagen
hätten Sie ja auch einmal ein Wort zum pikanten Thema
VW sagen können . Hunderttausende Kunden von VW,
dieses großen Unternehmens, fragen sich heute: Was gilt
eigentlich? Es gibt skandalöse Mängel bei der Aufsicht
und der Aufklärung, und Sie sagen hier kein Wort zur
Situation der Verbraucherinnen und Verbraucher .


(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Weil das gar nicht passt!)


Die Frage, ob es sich um einen Motormangel oder einen
Softwaremangel handelt, legt doch nahe, zu überlegen,
ob sich Kunden zusammentun können, um gemeinsam
auf Schadensersatz zu klagen .


(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Gegen wen denn?)


Meine These lautet: Das wäre am Ende für VW sogar
besser als 100 000 einzelne Klagen . Von Ihnen kam kein
Wort dazu .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Gegen wen sollen die denn klagen? Die können VW gar nicht verklagen! – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Und wegen was sollen die klagen?)


– Wenn Sie das Thema im Rechtsausschuss nicht immer
vertagen würden, wenn Sie den Punkt VW nicht immer
wieder von der Tagesordnung nehmen würden – mittler-
weile zum dritten Mal –, dann wäre Ihnen vielleicht klar,
gegen wen und auf was sie klagen sollen . Der Proble-
me gibt es genug: Wie setze ich Rücktritts- oder Min-

Sebastian Steineke






(A) (C)



(B) (D)


derungsrechte durch? Was ist mit Schadensersatzansprü-
chen? – Ich glaube, dass die Politik die Verantwortung
hat, eine Handreichung zu erstellen, wie man klagen
kann, und zu sagen, wie die Regelungen für die Zukunft
verändert werden .

Für die von uns vorgeschlagene Änderung wäre VW
ein klassischer Anwendungsfall . Wir haben gesagt: Es
müssen mindestens zehn Gruppenmitglieder sein, die
Ansprüche müssen den gleichen zugrundeliegenden
Lebenssachverhalt betreffen und das Gruppenverfahren
muss vorzugswürdig sein gegenüber Individualklagen .
Das wäre der Fall .

Das wäre sinnvoll, und zwar nicht, weil die Anwälte
besonders viel Geld verdienen, nein, solche Gruppenver-
fahren wären auch effizienter für die Amtsgerichte als
Hunderte oder Tausende Einzelverfahren . Herr Steineke,
Sie haben gesagt, dass es viel besser sei, wenn die An-
wälte die Fälle individuell bearbeiten . Vielleicht können
Sie nachher einmal sagen, wie viele einzelne Klagen mit
einem Streitwert von 10 oder 50 Euro Sie in Ihrem Büro
bearbeiten, obwohl das für Sie als Anwalt ein Zuschuss-
geschäft ist . Ich bin der festen Überzeugung, dass das,
was Sie hier erzählt haben, wirklich gaga war . Das war
Kokolores .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Frage muss im Interesse der Verbraucher lau-
ten – das hat die Anhörung für meine Begriffe ergeben –,
wie die Barrieren, die angesichts des Risikos und der lan-
gen Wege bestehen, aufgelöst werden können . Ich muss
Ihnen sagen: Ein Musterfeststellungsverfahren könnte
eine gute Ergänzung eines Gruppenfeststellungsverfah-
rens sein, aber auch nicht mehr als das .

Wen und was wollen Sie eigentlich schützen? Die
Reinheit der Lehre? Die Unantastbarkeit der ZPO? An
anderen Stellen ändern Sie die Gesetze doch auch . Das,
was 1879 beim Verfassen der ZPO galt, muss heute nicht
mehr unbedingt gelten . Damals wussten Sie direkt, wer
Ihr vertragliches Gegenüber ist . In der heutigen Zeit ist
dies anonymer . Heute gehen Sie nicht mehr in Tante-Em-
ma-Läden, sondern bestellen online . Sie haben mit gro-
ßen Unternehmen zu tun. Unsere Verpflichtung ist, die
Checks und Balances, die aus den Anfangszeiten der
ZPO und des BGB stammen, heute und in Zukunft si-
cherzustellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich meine, man sollte den Kunden eine Möglichkeit
geben, zu ihrem Recht zu kommen . Ich muss ehrlich sa-
gen, Herr Steineke: Das, was Sie mit Blick auf die USA
gesagt haben – Sie haben erzählt, was in den USA gilt –,
interessiert mich gar nicht .


(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Ich habe da gar nicht drüber gesprochen!)


Denn es gibt keinen Automatismus, dass US-Recht bei
uns gilt . Hier in unserer Vorlage heißt es „opt-in“ . Nur
wenn man Ja sagt, nimmt man am Verfahren teil und
muss ausdrücklich eine Teilnahmeerklärung abgeben .
Die Kostengrundentscheidung des § 91 ZPO bleibt .

Wenn Sie mitleidig darauf hinweisen, welche Schwierig-
keiten man hat, wenn man vielleicht Kritik am Anwalt
hat, sage ich Ihnen: Niemand muss mitmachen .

Sie haben keine Antwort auf die Frage gegeben, wie
kleine Schäden von kleinen Bürgern gegenüber größeren
Vertragspartnern eingeklagt werden können . Da kann ich
nur sagen: Wer ein C im Namen hat, sollte sich eigentlich
damit beschäftigen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813312400

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Dr . Silke Launert, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1813312500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem
vorliegenden Gesetzesentwurf soll der kollektive Rechts-
schutz gestärkt und insbesondere der Verbraucherschutz
ausgebaut werden . Ohne Frage ist das ein ehrenwertes
Ziel . Das Verbraucherschutzrecht ist eine ebenso not-
wendige wie legitime Staatsaufgabe . Schließlich geht es
hier um Rechte für Menschen, die als Konsumenten ge-
genüber Herstellern und Vertreibern von Waren und ge-
genüber Anbietern von Dienstleistungen oft – das haben
Sie zu Recht gesagt – tendenziell unterlegen sind .

Die Rede ist von den schwarzen Schafen unter den
Banken, den Energieversorgern oder den Versicherun-
gen, die mit ihrem Verhalten den Ruf nach einer Regulie-
rung durch den Vater Staat immer lauter werden lassen .
Ja, der Staat hat gegenüber seinen Bürgern eine Pflicht.
Er hat die Pflicht, einen verlässlichen Rahmen zu schaf-
fen, der ein etwaiges Kompetenzgefälle auszugleichen
vermag . Dabei hat er gleichermaßen zielgenaue Schutz-
vorkehrungen zu treffen und für eine effektive Rechts-
durchsetzung zu sorgen .

Doch der Zweck heiligt nicht alle Mittel, und vor al-
lem befreit er nicht davon, bei der Rechtsetzung Präzisi-
on und Genauigkeit walten zu lassen .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Eben!)


Verliert man das aus den Augen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch bessere Anträge!)


droht ein gefährlicher Gesetzesaktionismus


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesetzesaktionismus macht die CDU!)


– ja, doch, das ist so –, dessen Ergebnis in der Praxis
nicht besteht und der in der Folge einen Rattenschwanz
aus Desorientierung und Nachbesserungen nach sich
zieht . Deutlich wird dies jetzt an Ihrem Entwurf, bei dem
man den Eindruck hat, dass der Grundsatz „Gründlich-
keit vor Schnelligkeit“ ins Gegenteil verkehrt wird . Im

Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


Gesetzentwurf wird angeführt, dass die Bürgerinnen und
Bürger ihre privatrechtlichen Ansprüche nicht durchset-
zen können oder wollen und dadurch das Recht seine
gesellschaftliche Steuerungsfunktion nicht mehr ausrei-
chend erfüllen könne. Die Bürger würden aus Bequem-
lichkeit oder rationaler Abwägung mehr oder weniger
bewusst auf die Durchsetzung der eigenen Rechte ver-
zichten . Begründet wird dies mit zu hohen Hürden beim
Rechtszugang .

Wenn Sie, liebe Fraktion der Grünen, dies wirklich
annehmen, warum schaffen Sie dann in Ihrem Entwurf
eine ausschließliche Zuständigkeit am allgemeinen Ge-
richtsstand des Beklagten, also Wohnsitz oder Sitz des
Beklagten? So nehmen Sie dem Kläger die im Moment
noch bestehende Möglichkeit, eventuell über einen be-
sonderen Gerichtsstand an seinem Wohnsitz zu klagen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie das möchten, ändere ich das sofort, wenn Sie dann zustimmen! Aber Sie wollen ja gar nicht zustimmen!)


– Das ist schön . Das wäre der erste Punkt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist vollkommen gaga! Sie wollen gar nicht zustimmen!)


Warum müssen sich die Teilnehmer anwaltlich vertre-
ten lassen, wenn doch der Gang zum Anwalt – das wurde
von meinem Kollegen Steineke schon verdeutlicht – eine
weitere psychologische Hürde darstellt? Warum es einen
Anwaltszwang für die Teilnehmer gibt, frage ich mich
überhaupt, wenn doch die Prozesshandlungen erheb-
lich beschränkt sind, und zwar auf Fälle, die auch ohne
Rechtsbeistand wahrgenommen werden können .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Und teurer wird es auch!)


Meinen Sie nicht, dass diese Umstände die Hürden für je-
den potenziellen Teilnehmer noch höher werden lassen?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! 110 Leute sitzen also zusammen in einem Raum und machen eine Klage ohne Anwalt, ja?)


Frau Künast, Sie haben die kleinen Beträge angespro-
chen . Aber meinen Sie, gerade dann, wenn es darum
geht, kleine Beträge einzuklagen, sind die Leute auch
noch bereit, Anwaltsgebühren dafür zu bezahlen?


(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!)


In kleinen Verfahren ist das beim Amtsgericht auch ohne
Anwalt möglich . Das ist doch eine ganz einfache Kos-
ten-Nutzen-Rechnung . Für die Teilnehmer führt der An-
waltszwang gerade zum Gegenteil . Gerade bei kleinen
Fällen lohnt es sich nicht, durch Ihr Gruppenverfahren
einen Haufen Anwaltskosten auf sich zu nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ganz ehrlich: Wenn höhere Summen im Spiel sind,
dann wird der Teilnehmer auch ein gesteigertes Interesse
daran haben, mitzuwirken und Einfluss auf das gericht-

liche Verfahren zu nehmen . Dann geht es wirklich um
etwas . Bei größeren Verfahren mit Tausenden von Klä-
gern, wie in Kapitalanlagefällen zum Teil der Fall, mag
es gerechtfertigt sein, zu sagen: Es kann nicht jeder von
den Tausenden mitreden . – Aber bei kleinen Gruppenver-
fahren sieht das anders aus. Ich finde, da sollte das anders
geregelt sein .

Nicht nur das . In Ihrem Gesetzentwurf haben Sie vor-
gesehen – das wurde von meinem Kollegen Steineke
schon angesprochen –, dass keine vertragliche Bezie-
hung zwischen dem Teilnehmer und dem Gruppenkläger
begründet werden soll . Das heißt, der Teilnehmer hat
keinerlei Kontrollmöglichkeit, und der Gruppenkläger
und dessen Anwälte sind nicht verpflichtet, die Teil-
nehmerinteressen zu schützen und auf sie Rücksicht zu
nehmen . Es bedarf doch wahrlich keiner Glaskugel, um
vorherzusehen, dass unter diesen Umständen einer In-
dividualklage der Vorrang vor einem Gruppenverfahren
einzuräumen ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unklar bleibt schließlich auch die Frage, wer sich als
Gruppenkläger zur Verfügung stellen soll bzw . welchen
Anreiz es gibt, dies zu tun . Die Kostenbeteiligung der
Teilnehmer ist auf einen Höchstbetrag beschränkt . Für
die darüber hinausgehenden Kosten haftet dann allein
der Gruppenkläger .


(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!)


Für ihn kann ein solches Verfahren somit zu einem unkal-
kulierbaren Risiko werden .

Auf die zahlreichen weiteren Kritikpunkte im Hin-
blick auf diesen Gesetzentwurf möchte ich nicht weiter
eingehen, weil wir in der ersten Lesung und in der öffent-
lichen Anhörung schon ausführlich davon gehört haben .

Insgesamt hat sich gezeigt, dass der vorgelegte Ge-
setzentwurf wenig geeignet ist, die von Ihnen beschrie-
benen Zugangshürden zu reduzieren . Ihr Gesetzentwurf
kann diesem durchaus wichtigen rechtspolitischen Anlie-
gen daher leider nicht genügen .


(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!)


Fest steht, dass die Welt und damit die Herausforde-
rungen für die Politik und die Verbraucher komplexer
geworden sind . Auch der Trend zur globalisierten Welt,
in der sich der Zugang zu Waren nicht mehr nur auf das
eigene Land beschränkt, erfordert ein Umdenken . Nicht
ganz ohne Grund widmet sich die EU zunehmend dem
Verbraucherschutz . Es ist für mich nicht überraschend,
dass die Europäische Kommission in ihrer Empfehlung
aus dem Jahr 2013 verlangt, den kollektiven Rechts-
schutz weiter voranzutreiben . Es ist daher unsere Aufga-
be, uns immer wieder die Frage zu stellen: Genügen un-
sere bewährten nationalen Instrumente diesen aktuellen
Gegebenheiten, oder besteht Handlungsbedarf? Ich den-
ke, wir sind uns hier im Plenum einig: Handlungsbedarf
bejahen wird grundsätzlich .

Mit Blick auf den kollektiven Rechtsschutz und die
Empfehlung der Kommission arbeitet das Bundesjustiz-
ministerium gerade an einem Konzept für ein Musterfest-
stellungsverfahren . Darüber hinaus wird geprüft, ob der

Dr. Silke Launert






(A) (C)



(B) (D)


Gewinnabschöpfungsanspruch im Bereich des Rechts
gegen den unlauteren Wettbewerb verändert ausgestaltet
werden sollte . Es wird auch darum gehen, ob die An-
sprüche im Unterlassungsklagengesetz um Ansprüche
ergänzt werden sollten, mit denen Verbraucherverbän-
de und andere klagebefugte Einrichtungen bei den Un-
ternehmen das durch rechtswidriges Verhalten Erlangte
abschöpfen können . Auch dieser Frage wird sich das Mi-
nisterium stellen .

Ich meine, manchmal ist es besser, das bereits Beste-
hende zu pflegen und es gegebenenfalls weiterzuentwi-
ckeln, anstatt sich einem stimmungsgeleiteten politischen
Aktionismus hinzugeben; denn mehr Gesetze bedeuten
nicht automatisch mehr Recht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813312600

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich

dem Abgeordneten Metin Hakverdi, SPD-Fraktion, das
Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Metin Hakverdi (SPD):
Rede ID: ID1813312700

Vielen Dank . – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Zum effektiven Schutz von
Verbraucherinnen und Verbrauchern gehört erstens, dass
der erforderliche materiell-rechtliche Rahmen geschaf-
fen wird . Zweitens gehört aber eben auch dazu, dass eine
effektive Rechtsdurchsetzung möglich ist . Recht, das
nicht oder nur unzureichend durchsetzungsfähig ist, ist
ein bloßer Papiertiger .

Der von den Kolleginnen und Kollegen von Bünd-
nis 90/Die Grünen vorgelegte Gesetzentwurf zur Ein-
führung von Gruppenverfahren gibt uns Anlass, darüber
nachzudenken, ob der Verbraucherschutz im Bereich der
Rechtsdurchsetzung weiter ausgebaut werden muss .

Unsere Prozessordnung beruht auf dem Grundge-
danken, dass der Einzelne sein Recht selber durchsetzt .
Daran ist erst einmal nichts auszusetzen . Seit der Eta-
blierung dieses Grundgedankens im 19 . Jahrhundert hat
sich allerdings vieles geändert . Der Anwendungsbereich
des Zivilrechts ist deutlich größer geworden . Heute sind
viel mehr Rechtsverhältnisse zivilrechtlich organisiert:
Die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser erfolgt heute
auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge . Der öffentli-
che Transport erfolgt heute auf der Grundlage zivilrecht-
licher Verträge . Das Versicherungswesen beruht auf der
Grundlage zivilrechtlicher Verträge . Die Altersversor-
gung durch Kapitalanlagen erfolgt heute auf der Grund-
lage zivilrechtlicher Verträge .

Die Rechtsverhältnisse sind gleichzeitig komplexer
geworden . Wenn man heute einen Vertrag zur Altersvor-
sorge abschließt, bekommt man neben dem Vertrag eine
CD, auf der die geleistete Beratung dokumentiert ist . Es
ist so viel, dass niemand mehr das Ganze auf Papier aus-
drucken mag .

Der Kauf einer App über das Internet setzt die Ertei-
lung einer Zustimmung zu einem seitenlangen Konvolut
mit vielen Vertragsklauseln voraus . Selbst der Kauf ei-
ner Zahnbürste im Supermarkt oder eines Pullovers in
einem Kaufhaus ist heutzutage wegen der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, die irgendwo in den jeweiligen
Läden aushängen, eine höchstkomplizierte rechtliche
Angelegenheit geworden .

Diese Komplexität der Rechtsverhältnisse führt dazu,
dass der Einzelne schnell an den Punkt gelangt, auf die
Durchsetzung seines Rechts zu verzichten . Das soge-
nannte rationale Desinteresse an der Rechtsdurchset-
zung, insbesondere bei kleineren Schäden, ist deshalb
besonders groß . Nicht durchgesetztes Recht führt dazu,
dass das objektive Recht insgesamt verzerrt wird . Eine
rechtswidrige Praxis etabliert sich .

Mit einer effektiven Rechtsdurchsetzung helfen wir
also nicht nur dem einzelnen Verbraucher und der einzel-
nen Verbraucherin, sondern verschaffen wir dem Recht
insgesamt Geltung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Kollegin, ich danke Ihnen .

Für die effektive Rechtsdurchsetzung haben wir in
dieser Legislaturperiode bereits einiges auf den Weg ge-
bracht . Dazu gehören zum Beispiel die Marktwächter .
Wir haben die Marktwächter installiert, die den Bereich
„Digitales und Finanzen“ beobachten . Die Verbrau-
cherschutzverbände können jetzt auf der Grundlage der
Marktbeobachtung die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher informieren . Sie können aber auch Verbandsklagen
anstrengen .

Wir werden weiterhin eine Reform des Unterlassungs-
klagengesetzes auf den Weg bringen . Im Kern geht es bei
dieser Reform darum, den Anwendungsbereich von Ver-
bandsklagen auszuweiten . Die wesentlichen Punkte die-
ser Reform sind mit dem Koalitionspartner ausgehandelt .
Mein Appell heute an die Kolleginnen und Kollegen der
Union lautet: Geben Sie sich einen Ruck, damit wir den
Gesetzentwurf bald zügig zu Ende bringen und auch in
diesem Bereich den Verbraucherschutz weiter voranbrin-
gen können .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die
Grünen, wir stimmen mit Ihnen überein: Die Verbrau-
cher müssen ihre Rechte wirksam vor Gericht durchset-
zen können . Wir sind der Auffassung, dass ein solches
Verfahren keine großen Hürden in wirtschaftlicher und
bürokratischer Hinsicht haben darf .

Das von Ihnen vorgeschlagene Gruppenverfahren ist
ein Denkanstoß in die richtige Richtung . Wir haben je-
doch wegen der konkreten Ausgestaltung Bedenken . In
der Zivilprozessordnung sind bereits heute Instrumente
vorhanden, mit denen gleichgerichtete Ansprüche gebün-
delt werden können . Ich verweise auf die objektive und
subjektive Klagehäufung . Auch andere Instrumente sind
hier schon genannt worden . Auf dieser Grundlage sind
bereits erfolgreich Sammelklagen angestrengt worden .

Dr. Silke Launert






(A) (C)



(B) (D)


In der öffentlichen Anhörung sind auch weitere Be-
denken vorgetragen worden . Dazu gehört die Kritik,
die hier schon genannt wurde, dass das Grundrecht auf
rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 Grundge-
setz nicht hinreichend bedacht wurde . Ferner wurde
kritisiert, dass der von Ihnen vorgeschlagene Anwen-
dungsbereich im Hinblick auf die Problemlage zu ein-
geschränkt sei .

Insgesamt stelle ich fest, dass wir Ihre Problembe-
schreibung und den aufgezeigten Handlungsbedarf tei-
len . Wir wollen im Ergebnis jedoch eine andere Lösung,
nämlich die Musterfeststellungsklage . Wir glauben, dass
die Musterfeststellungklage gegenüber der Gruppen-
klage vorzugswürdig ist . Die Musterfeststellungsklage
bietet nämlich ebenfalls die Möglichkeit, eine Vielzahl
von gleichgelagerten Sachverhalten in einem Verfahren
zu bündeln . Ein Kläger, zum Beispiel ein Verbraucher-
schutzverband, kann in einem Musterverfahren feststel-
len lassen, ob die Voraussetzungen für eine Vielzahl von
Ansprüchen gegeben sind .

Im Justizministerium wird an einem Eckpunktepapier
zu einem solchen Gesetzentwurf gearbeitet; wir haben
es heute schon gehört . Wir freuen uns darauf, mit Ih-
nen auf der Grundlage des Eckpunktepapiers die De-
batte über den kollektiven Rechtsschutz fortzuführen .
Heute werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustim-
men .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813312800

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über die Einführung
von Gruppenverfahren . Der Ausschuss für Recht und Ver-
braucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6422, den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1464 abzu-
lehnen . Abstimmen werden wir über den Gesetzentwurf .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab-
gelehnt . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Reform der Struk-
turen der Krankenhausversorgung

(Krankenhausstrukturgesetz – KHSG)


Drucksache 18/5372

– Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Reform der Struktu-

ren der Krankenhausversorgung

(Krankenhausstrukturgesetz – KHSG)


Drucksache 18/5867

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/6586


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/6587

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Versorgungsqualität und Arbeitsbedin-
gungen in den Krankenhäusern verbes-
sern – Bedarfsgerechte Personalbemes-
sung gesetzlich regeln

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Harald
Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-
Schmeink, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gute Versorgung, gute Arbeit – Kranken-
häuser zukunftsfest machen

Drucksachen 18/5369, 18/5381, 18/6586

Interfraktionell wurden 38 Minuten für die Ausspra-
che vereinbart . – Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist
das so beschlossen .

Ich bitte diejenigen, die der Debatte nicht folgen wol-
len, den Plenarsaal zu verlassen .

Als erstem Redner erteile ich Bundesminister
Hermann Gröhe für die Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten CDU/CSU)



Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1813312900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Mit dem Krankenhausstrukturgesetz legen wir die
Grundlagen für eine gute Weiterentwicklung der quali-
tativ hochwertigen Krankenhausversorgung in unserem
Land . Die Gewinner sind die Patientinnen und Patienten .

Es geht um eine Stärkung der Pflege auf der Station.
Es geht um eine gut erreichbare Grund- und Regelversor-
gung. Es geht um eine qualitätsorientierte Arbeitsteilung,
eine Arbeitsteilung also, die die Qualität der Behandlung
in den Mittelpunkt rückt . Es geht schließlich um die Un-
terstützung der Länder bei der Weiterentwicklung der
Krankenhauslandschaft in unserem Land .

Zum ersten Punkt . Ohne Zweifel verlangt eine gute
Krankenhausversorgung nicht allein medizinisches Kön-
nen von Ärztinnen und Ärzten, sondern auch den Einsatz

Metin Hakverdi






(A) (C)



(B) (D)


der Pflegerinnen und Pfleger. Wir brauchen – und beken-
nen uns dazu – eine Stärkung der Pflege auf der Station.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dazu ergreifen wir drei konkrete Maßnahmen: Erstens ist
ein Pflegestellen-Förderprogramm zu nennen, mit dem
wir in den nächsten drei Jahren 660 Millionen Euro für
zusätzliche Pflegestellen in die Hand nehmen.

Zweitens wird der Versorgungszuschlag in einen Pfle-
gezuschlag umgewandelt – dabei wird eine Idee des par-
lamentarischen Verfahrens aufgegriffen; sicherlich wird
Georg Nüßlein Weiteres dazu ausführen –, und werden
diese Mittel an die Mittel, die ein Krankenhaus für die
Pflege zur Verfügung stellt, gebunden. Wir schaffen ei-
nen Anreiz zur dauerhaften Beschäftigung von Pflege-
personal .

Wir führen zum dritten eine Regelung ein, die die Ta-
rifkostensteigerung im Bereich der Pflege refinanziert;
denn gutes Pflegepersonal hat Anspruch auf eine ange-
messene Vergütung .

Der zweite Bereich ist die wichtige gut erreichbare
Grund- und Regelversorgung . Wir werden mit speziel-
len Zuschlägen dafür sorgen, dass Krankenhäuser, die in
einer Region einen unverzichtbaren Beitrag zur dortigen
Versorgung leisten, auch erhalten bleiben .

Des Weiteren sind, wenn es schnell gehen muss, gut
erreichbare Angebote der Notfallversorgung ganz wich-
tig . Wir werden daher die Notfallversorgung durch die
niedergelassene Ärzteschaft und das, was die Kranken-
häuser in diesem Bereich leisten, besser miteinander
verzahnen und zugleich den Anteil der Krankenhäuser
an dieser Versorgung fairer vergüten . Es ist wichtig, dass
die Menschen wissen: Wenn es schnell gehen muss –
nach einem Unfall oder einem Herzinfarkt, wann auch
immer –, dann gehört gute Erreichbarkeit zur Qualität der
Versorgung .

Drittens ist eine Weiterentwicklung der Krankenhaus-
landschaft durch Spezialisierung und damit Qualitätssi-
cherung etwa in Form von Zentren für seltene Erkrankun-
gen wichtig, die in Krankenhausnetzwerken vorgehalten
werden . Diese Tätigkeiten, nicht zuletzt vieler unserer
Universitätskliniken, aber auch anderer Maximalversor-
ger oder auch Häuser, die sich besonders spezialisiert
haben, werden wir durch bestimmte Zentrenzuschläge
besonders fördern . Mit einer Reihe von wichtigen Schrit-
ten fördern wir die Qualität . Mit Qualitätszuschlägen –
es gibt aber auch Abschläge, wenn eine entsprechende
Qualität nicht erreicht wird – belohnen wir besondere
Anstrengungen . Wir werden mit Qualitätsverträgen er-
proben, wie auch hier ein zusätzlicher Anreiz zu beson-
ders hoher Qualitätsleistung gesetzt werden kann .

Etwas anderes ist mir ganz wichtig, wenn wir über
Qualität reden: die Sicherstellung, die Förderung von
Krankenhaushygiene . Es ist besorgniserregend, wenn
Menschen zuallererst die Frage stellen: „Hole ich mir
eine neue Krankheit?“, und nicht die Frage haben: Wer-
de ich dort optimal versorgt? Wir haben bereits vor ei-
nigen Jahren ein HygieneFörderprogramm auf den Weg
gebracht . Aber wir werden dieses Programm ausbauen,
über die nächsten Jahre noch einmal 280 Millionen Euro

in die Hand nehmen und das Programm inhaltlich aus-
weiten, um die Hygiene in unseren Krankenhäusern vor-
anzutreiben, ein wichtiger Schritt zu mehr Qualität in der
Krankenhausversorgung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nicht alles kann in gleicher Weise überall in gleicher
Qualität geleistet werden . Deswegen ist es richtig, zu
einer vernünftigen Arbeitsteilung zwischen ortsnah und
gut erreichbarer Grund- und Regelversorgung und Spe-
zialisierung zu kommen . Das wird auch zu einem Um-
bau in der Krankenhauslandschaft führen . Hier braucht
es auch Mut, den Maßstab der Qualität, den wir in der
Krankenhausplanung neu verankern, tatsächlich umzu-
setzen . Deswegen stärken wir die Fähigkeit der Länder,
mit krankenhausplanerischen Entscheidungen die Kran-
kenhauslandschaft weiterzuentwickeln, indem wir über
einen Strukturfonds Mittel zur Verfügung stellen, die
einerseits den Abbau von Überkapazitäten ermöglichen,
aber andererseits deren Umbau in erforderliche Versor-
gungsangebote .

Meine Damen, meine Herren, die Länder, denen ich
für eine gute Zusammenarbeit auf dem Weg zu dieser
Krankenhausreform danke, haben sich ausdrücklich dazu
bekannt, nicht nur eine gute Krankenhausplanung zu ver-
antworten, sondern auch angemessene Investitionsmittel
zur Verfügung zu stellen . Da werden wir sie beim Wort
nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In der Tat brauchen wir eine angemessene Ausstattung
unserer Krankenhäuser mit Investitionen . Wir beglei-
ten dies durch den schon genannten Strukturfonds, aber
auch über die Mittel, die im Rahmen des kommunalen
Finanzierungsprogramms auch für die Krankenhäuser
zur Verfügung gestellt werden . Gemeinsam tragen wir
Verantwortung: der Bund für die Behandlungs- und Be-
triebskostenfinanzierung, die Länder für die Investitions-
kostenfinanzierung.

Wir nehmen mit dieser Reform zusätzliches Geld in
die Hand . Das ist auch kritisiert worden, nachdem es dem
einen oder anderen zunächst nicht ausreichend erschien .
Ich sage: Wir tun dies einerseits zum Wohle der Patien-
tinnen und Patienten; aber durch die Weiterentwicklung
der Krankenhauslandschaft leisten wir andererseits ei-
nen Beitrag, diese Krankenhauslandschaft nachhaltig
zu finanzieren. Insofern investieren wir auch in die wirt-
schaftliche und qualitätsorientierte Weiterentwicklung
der Krankenhauslandschaft zum Wohle der Patientinnen
und Patienten . Ich bitte Sie: Stimmen Sie diesem Gesetz
zu!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813313000

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Harald Weinberg, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Bundesminister Hermann Gröhe






(A) (C)



(B) (D)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813313100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Ich bitte zunächst einmal um
Verständnis, dass ich mich bei meiner geringen Redezeit
nur auf einen Aspekt beschränken werde und beschrän-
ken muss .

Irgendwo in einem beliebigen Krankenhaus in
Deutschland, Nachtschicht auf einer Station der Inneren
Medizin: 49 Patientinnen und Patienten, davon 22 abso-
lut pflegebedürftig, 7 bedingt pflegebedürftig, davon 2
verwirrt und mit Weglauftendenz, 3 ungeplante Notauf-
nahmen in der Nacht und 1 – in Worten: eine – exami-
nierte Krankenschwester plus 1 Pflegekraft als Springer,
zuständig für insgesamt vier solcher Stationen .

Wichtige Tätigkeiten wie Mobilisation, Verbandwech-
sel, Vitalzeichenkontrolle, Lagerung, Hygiene, Medika-
mentengabe und Dokumentation können nicht, verspätet
oder nur durch Ableistung von noch mehr Überstunden
erbracht werden . Diese traurige Zustandsbeschreibung
stammt aus einer Gefährdungs- bzw . Überlastungsanzei-
ge, die mir vorliegt . Das ist kein Einzelfall, sondern das
kommt zigtausendfach in unseren Krankenhäusern vor .
Der Pflegenotstand ist schon länger da. Er ist eine Ge-
fährdung für die Pflegenden und für die Gepflegten. Das
ist unerträglich und muss dringend behoben werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Die zentrale Frage lautet daher: Bietet das vorliegen-
de Gesetz hierfür eine zureichende Lösung? Die Antwort
lautet leider: Nein . Sie wissen das ganz genau . Sie wis-
sen auch genau, dass es an der Basis brodelt . Deswegen
können Sie das Problem auch nicht länger ignorieren und
machen ein Pflegestellen-Förderprogramm, einen Pfle-
gezuschlag und eine Expertenkommission zur Kranken-
hauspflege.


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Was ist schlecht daran?)


Das alles hört sich gut an . Wenn man sich die Maßnah-
men aber genau anschaut, muss man zu dem Schluss
kommen, dass sie nicht zureichend sind, dass sie womög-
lich nur einen Placeboeffekt haben .

Das Pflegestellen-Förderprogramm ist vom Volumen
viel zu gering – das wissen Sie auch – und führt bei einer
optimistischen Schätzung zu 6 500 zusätzlichen Stellen .
Es fehlen aber 70 000 bis 100 000 Stellen, nur wenn wir
in das Mittelfeld der europäischen Länder aufschließen
wollen . Bisher sind wir Schlusslicht in Europa . Mit zwei-
einhalb Stellen pro Krankenhaus wird das durch die zu
erwartende Steigerung der Krankenhausfälle überkom-
pensiert und ist nicht mehr als der berühmte Tropfen auf
den heißen Stein .

Die Expertenkommission, die eingerichtet wurde und
bereits einmal getagt hat, hat von Ihnen, Herr Minister,
einen Auftrag erhalten, bei dem eine gesetzliche Perso-
nalbemessung ausgeschlossen ist . Auch von hier ist keine
zureichende Lösung zu erwarten .

Dann haben Sie den bisherigen Versorgungszuschlag
in Höhe von 500 Millionen Euro doch nicht gestrichen

wie zunächst beabsichtigt, sondern in einen Pflegezu-
schlag umgewandelt .


(Zuruf von der SPD: Gut so!)


Durch ihn wird wohl keine einzige zusätzliche Pflege-
stelle geschaffen, weil ein Krankenhaus nach dieser Re-
gelung lediglich rund 3 Prozent Personalkosten spart,
wenn es eine neue Stelle schafft . Warum sollte es das un-
ter den gegebenen ökonomischen Bedingungen, die wir
in den Krankenhäusern haben, tun? Das frage ich Sie .

Der Protest, den es gegeben hat, hat sich dennoch in-
sofern gelohnt, als dass die Krankenhäuser erst einmal
keine Kürzungen erwarten müssen . Die Deutsche Kran-
kenhausgesellschaft und andere Verbände feiern dies .

Und nun, liebe SPD, schaue ich mir einmal Ihre eige-
nen Ansprüche an, die man auf der Website von Herrn
Lauterbach nachlesen kann . Sie fordern dort – Zitat –
„die Entwicklung verbindlicher bundeseinheitlicher
Mindestpersonalstandards“ . Wo steht davon etwas in
dem Gesetz? Nirgendwo . Das gibt das Mandat der Ex-
pertenkommission nicht her .

Sie fordern weiter, „Krankenhäuser mit Vergütungs-
abschlägen zu sanktionieren, wenn sie ohne eine regio-
nale Besonderheit die vereinbarten bundeseinheitlichen
Mindestpersonalstandards unterschreiten“ . Wo steht das
in dem Gesetz? Darin gibt es gar keine vereinbarten bun-
deseinheitlichen Mindestpersonalstandards, die unter-
schritten werden könnten, geschweige denn Sanktionen .

Sie fordern, „Krankenhäuser mit Vergütungsabschlä-
gen zu sanktionieren, wenn sie Pflegepersonal unter Tarif
vergüten“ . Auch davon steht kein Wort in dem Gesetz .

Ferner wollen Sie eine verbindliche Fachkraftquote
in der stationären Kinderkrankenpflege prüfen und einen
Frauenförderplan samt einer 40-prozentigen Frauenquo-
te bei Führungspositionen .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das wäre schon mal was!)


Sie wissen genau: Auch das finden wir in dem Gesetz
nicht . Gemessen an Ihren eigenen Ansprüchen sind Sie,
was dieses Gesetz betrifft, relativ stark und gnadenlos an
Ihren Vorgaben gescheitert,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber ganz knapp nur!)


die die personelle Situation im Pflegedienst der Kranken-
häuser spürbar hätten verbessern können .

Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang
noch auf eine Petition von Verdi, die eine Mindestper-
sonalbesetzung fordert . Über 160 000 Menschen haben
diese Petition unterschrieben . Nach diesem Gesetz ist sie
leider genauso nötig und aktuell wie vor diesem Gesetz .
Erledigt ist sie durch dieses Gesetz schon gar nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss bleibt mir daher nur, denjenigen, de-
nen diese 160 000 Unterschriften etwas wert sind, eine
Empfehlung zu geben: Stimmen Sie mit uns gegen den






(A) (C)



(B) (D)


Gesetzentwurf und für unseren Antrag, der eine bundes-
weite gesetzliche Personalbemessung vorsieht!

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813313200

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Hilde Mattheis, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1813313300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Diese 38 Minuten Debatte spiegeln in der Tat nicht das
wider, was wir mit diesem Gesetz auf den Weg bringen .
Nach monatelangen Verhandlungen und sehr intensiven
Beratungen können wir heute feststellen, dass wir das,
was über die Sommerpause überall in den Wahlkreisen
bei uns angekommen ist, nämlich dass Kommunalpoli-
tiker, Landrätinnen und Landräte bei uns vorstellig ge-
worden sind und gesagt haben: „Wir brauchen eine gute
Finanzierung der Krankenhäuser, gekoppelt mit einer
Verbesserung der Versorgungsqualität“, in den Fraktio-
nen umgesetzt und gut auf den Weg gebracht haben .

Ich glaube, man kann durchaus sagen: 10 Milliarden
Euro mehr für die Finanzierung für die Krankenhäuser
sind nicht banal, und sie verpflichten uns gegenüber den-
jenigen, die die Beiträge zahlen, dafür zu sorgen, dass sie
gut angelegt sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und die 10 Milliarden Euro sind gut angelegt .

Ich beginne beim Pflegepersonal. Wenn Sie sagen,
dass das Pflegestellen-Förderprogramm nicht unbedingt
der große Wurf ist, dann sollten Sie den Gesetzentwurf
wenigstens bis zum Ende lesen . Darin steht nämlich,
dass sich das Programm über drei Jahre erstreckt . Das
eigentliche Ziel ist dann zu verwirklichen, wenn die Ex-
pertenkommission, die Sie ein bisschen herabwürdigen –
ich finde das nicht in Ordnung –, uns ihre Vorschläge zur
Verbesserung der Abbildung des Pflegepersonals entwe-
der innerhalb oder außerhalb der DRGs vorlegt .

Stellen Sie sich vor, wir hätten gesagt: „Das geht auch
so“ und hätten Verdi nicht einbezogen . Verdi ist nämlich
in der Expertenkommission dabei . Wir werden sehr in-
tensiv beraten müssen . Darin gebe ich Ihnen sehr gerne
recht, Herr Weinberg . Die Ausgestaltung muss richtig
gut sein, damit dem, was auch unsere Debatten geprägt
hat, Rechnung getragen wird, nämlich der Frage, wie
die Situation der Fachpflege zu verbessern ist, damit in
Zukunft die Pflegeberufe und somit diejenigen entlastet
werden, die in den Krankenhäusern unglaublich gute Ar-
beit leisten . Denn das wollen wir .

Das Pflegestellen-Förderprogramm, das Sie klein-
reden, wenn Sie von zweieinhalb Stellen sprechen – je
nachdem, wie man es rechnet, ist es eine Stelle mehr

oder weniger –, ist ein Übergangsförderprogramm, und
so steht es auch im Gesetzentwurf .

Zum Pflegezuschuss: Wir haben alle darüber debat-
tiert . Verschiedene Player des Gesundheitswesens waren
ständig in unseren Büros . Es ging darum, die Finanzie-
rung der Krankenhäuser zu verbessern . Wenn wir uns in
den Wahlkreisen in den kommunalen Krankenhäusern
darüber informiert haben, wie es mit der Finanzierungs-
sicherheit bei denjenigen aussieht, die Versorgungssi-
cherheit bieten sollen, dann haben wir alle feststellen
müssen, dass die Finanzierungssituation in der Tat bei
fast 50 Prozent der Krankenhäuser sehr schwierig ist .

Was machen wir jetzt mit dem Pflegezuschuss? Dabei
geht es um 500 Millionen Euro . Wir geben Anreize, dass
die Krankenhäuser etwas aus diesem Topf bekommen,
wenn sie dafür wirklich sicher in Pflegestellen investiert
haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist doch ein Anreiz . Da können Sie nicht sagen: Das
hat mit Versorgungssicherheit nichts zu tun .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: 3 Prozent!)


Natürlich werden wir im Blick behalten, wie die Wir-
kungsweise tatsächlich ist . Das ist ein lernendes Sys-
tem . Es wird auch zu Verschiebungen kommen . Das ist
eine einfache Rechnung . Von daher werden wir, glaube
ich, unsere Vorstellung in der SPD davon, wie ein Ge-
sundheitssystem aufgebaut werden muss und wie wir
sektorenübergreifend Ansätze unterstützen müssen, mit
diesem Gesetzentwurf und übrigens auch mit dem Ver-
sorgungsstärkungsgesetz weiter umsetzen .

Ich finde, man darf durchaus darauf hinweisen, dass
wir uns in dieser Legislaturperiode in der Tat mit vielen
gesundheitspolitischen Aspekten beschäftigen, die zu-
sammengenommen einen unglaublichen Schritt zu mehr
Qualität und Versorgungssicherheit bedeuten . Dabei be-
ziehe ich auch gleich die Pflege mit ein. Was wir da auf
den Weg bringen, ist ein solcher Meilenstein, dass man
das auch einmal zusammenhängend darstellen muss . Wir
sollten das in dieser Weise einmal im Parlament behan-
deln; das ist für uns Gesundheitspolitiker ein bisschen
schwierig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813313400


Frau Kollegin, das war doch ein wunderschöner
Schlusssatz . Er war zwar schon außerhalb der Redezeit .
Aber mit dem Hinweis auf den Meilenstein hätte man
schön abschließen können .


(Zurufe von der CDU/CSU: Punkt! Punkt!)


Harald Weinberg






(A) (C)



(B) (D)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1813313500

Ich mache einen Punkt und bedanke mich für die Auf-

merksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt können wir klatschen! Sehr gut!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813313600

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dr . Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813313700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Gleich vorab: Wir werden
den Entwurf eines Krankenhausstrukturgesetzes ableh-
nen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Welche Überraschung! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Wieso das denn? – Hilde Mattheis [SPD]: Surprise, Surprise!)


nicht weil das Gesetz gar keine vernünftigen Detailrege-
lungen enthält – zum Beispiel haben wir bei der Palliativ-
medizin ausdrücklich zugestimmt –,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha!)


auch nicht, weil wir etwa meinen, dass die bis 2020 be-
reitgestellten Milliardenbeträge den Krankenhäusern
nicht helfen würden .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum dann nicht? – Tino Sorge [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch zu!)


Nicht einmal das Argument, das alles sei nicht ausrei-
chend, werden wir bemühen . Vielmehr stimmen wir auf-
grund des Versäumnisses nicht zu, dass mit dem Gesetz
kein Schritt hin zur Lösung der völlig unzureichenden
Investitionsfinanzierung gegangen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Länder! Länder!)


Dies sowie die verschleppte Reform der bedarfsorien-
tierten, regionalen und sektorenübergreifenden Versor-
gungsplanung stellen die grundsätzlichen Bedenken dar,
die wir gegen dieses Gesetz haben und weshalb wir es
ablehnen; denn sie führen zur Ausdünnung der Mittel für
den Krankenhausbetrieb mit gravierenden Folgen . Das
möchte ich Ihnen an zwei Beispielen klarmachen .

Das erste Beispiel ist der Pflegenotstand. Die Mittel
für den Krankenhausbetrieb werden für dringend not-
wendige Investitionen geplündert, und zwar zulasten des
Personals .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Na, na!)


– Das ist so; das trifft auf viele Krankenhäuser zu .

Schon seit vielen Jahren fordern wir, dass für die
Pflege ausreichend zu kalkulierende Mittel auch dort
ankommen, sich also beim Personal widerspiegeln müs-
sen. Auch wenn nunmehr die Fördermittel für die Pfle-
ge bereitgestellt werden, decken diese nicht annähernd

den Bedarf und sind in dieser Größenordnung auch keine
ausreichende Kompensation für die fehlenden Investiti-
onsmittel . Ihr Stopfpilz wird immer zu klein bleiben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ähnliches gilt auch bei der Hygiene . Wer sollte schel-
ten, dass Mittel für Hygiene – modifiziert – weiterhin
bereitgestellt werden? Aber mangelnde sachliche Inves-
titionen und Investitionen zulasten des Personals stellen
eine latente Gefahr für die Hygiene dar . Auch hier wurde
das Pferd politisch von hinten aufgezäumt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Pferd?)


– Man könnte auch sagen: Man legt zuerst Feuer und holt
dann die Feuerwehr .

Nun höre ich das schon bekannte Argument: Die Län-
der sind doch für die Investitionen zuständig .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: So ist es! Fakt! – Heike Baehrens [SPD]: Ist ja auch so!)


Aber was hindert den Bund daran, den Ländern gesetz-
lich ein Angebot zu machen – ruhig mit der Option, dass
die Länder entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht -


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Den Strukturfonds haben Sie schon mitbekommen, oder? – Gegenruf des Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist ein Abwrackfonds!)


und Investitionsbeteiligungen an Planungsbeteiligungen
zu koppeln?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dabei kommt es dann zu stringenten Planungsentschei-
dungen . So lässt sich der Knoten lösen, den es eigent-
lich seit über einem Jahrzehnt gibt . Beim Strukturfonds
scheinen Sie auch ein Zusammenspiel von Kassen und
Ländern geplant zu haben .

Noch ein Gedanke zur Notfallmedizin . Im Rahmen
des Gesetzentwurfs bringen Sie dazu etwas auf den Weg .
Ein Teil läuft längst – Stichworte: Praxen und Kranken-
häuser –, wenn auch bundesweit in unterschiedlichem
Tempo. Aber es gibt ein erhebliches Defizit, das man
schon jetzt, am Anfang, beseitigen kann . Damit meine
ich die vorstationären Notfallleistungen, die weder per-
sonell noch sächlich vom Notfalldienst der KBV erbracht
werden können, wie wir alle wissen . Hier gibt es ein Gap,
das man schon jetzt schließen könnte . Das hat nichts mit
Investitionsfinanzierung oder anderen Finanzierungsar-
ten zu tun . Das ist ein echter Finanzierungsbedarf, dem
entsprochen werden muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage: Mit einer couragierten Entscheidung zur
gemeinsamen Investitionsfinanzierung und Versorgungs-
planung lassen sich der Pflegenotstand beenden, die
Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern unter dem
Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf






(A) (C)



(B) (D)


verbessern und die Fehlallokation beenden, und das zum
Wohle der Patienten .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813313800

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Dr . Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1813313900

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Sehr

geehrter Herr Terpe, wenn Sie auf die Rolle der Länder
in diesem Zusammenhang eingehen, dann wäre es doch
richtiger gewesen, wenn Sie gesagt hätten, dass wir alle
miteinander erwartet hätten, dass sich die Länder endlich
einmal zu ihrer Aufgabe bekennen, nämlich die Investi-
tionen zu bezahlen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen es ja auch können!)


Kern des Problems, das die Krankenhäuser momentan
haben, ist doch, dass sie verdienen müssen, um das aus-
zugleichen, was die Länder nicht zahlen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie vermissen angeblich ein Angebot an die Länder .
Der Strukturfonds ist dieses Angebot an die Länder . Es
ist ganz spannend, was da von den Ländern kommt . Die
einen sagen: Wir sind nicht in der Lage, die Hälfte zu
finanzieren. – Es gibt aber noch schlimmere. Hamburg
zum Beispiel sagt: Wenn man nur Geld bekommt, wenn
man seine eigenen Budgets nicht senkt, dann ist das ganz
schwierig . – Man hat nämlich im Wahlkampf die Budgets
künstlich erhöht und müsste jetzt wieder auf das normale
Maß zurück . Das beschreibt die Situation der Länder an
dieser Stelle . Der Bund kann nicht bei jeder Gelegenheit
in die Bresche springen . Ich bin es langsam leid, dass
wir immer die Aufgaben der Länder machen und sie auch
noch finanzieren sollen. Das wird nicht gehen.


(Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nicht behauptet, dass wir sie finanzieren sollen!)


Wir waren nach der ersten Einigung mit den Ländern
in der Tat in einer schwierigen Ausgangslage, weil hef-
tige Kritik geübt wurde . Es gab Demonstrationen und
teilweise eine Diffamierung dessen, was beschlossen
worden ist . Ich denke da an den Strukturfonds, der als
Abwrackprämie herabgewürdigt wurde, was gar nicht
zutrifft . In dieser schwierigen Ausgangslage war es wich-
tig, jetzt wieder zusammenzufinden.

Ich nehme in Anspruch, dass wir dieses Zusammen-
finden durch den Pflegepersonalzuschlag geschafft ha-
ben . Es geht um 500 Millionen Euro extra . Das sage ich
explizit; denn es gab einige, die eine falsche Rechnung
aufgemacht haben . Lassen Sie mich zur Genese Folgen-
des sagen: Wir hatten die doppelte Degression . Die ha-
ben wir gestrichen . Wir hatten als Ausgleich schon in der

letzten Legislaturperiode den Versorgungszuschlag, die
500 Millionen Euro, beschlossen . Das war das Gegenge-
schäft damals . Auch den haben wir gestrichen . So ist das
Thema Personalzuschlag ein neues Thema . Es handelt
sich um neues Geld, 500 Millionen Euro .

Um zu diesem Ergebnis zu kommen, ist mir eingefal-
len, dass man doch die 500 Millionen Euro – eine Kern-
forderung der Deutschen Krankenhausgesellschaft –
auf das Personal beziehen könnte, und ich habe an das
nichtärztliche Personal gedacht . Aus der SPD kam in
Person des Kollegen Lauterbach der Hinweis, es sei po-
litisch sinnvoller, sich nur auf das Pflegepersonal zu be-
ziehen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Idee, das so zu machen, ist richtig, um klarzustellen,
dass es um die Pflegequalität geht, darum, Pflegestellen
zu schaffen, und insbesondere darum, Pflegestellen dau-
erhaft zu erhalten . Das Spannende im Zusammenhang
mit den 500 Millionen Euro ist, dass es den Zuschlag pro
Krankenhaus nur gibt, wenn man den Pflegebereich nicht
als Steinbruch nutzt und in Zukunft nicht an der Stelle
spart . Das ist ein klares Signal .

Das muss man sich leisten; denn wenn Sie heute mit
Pflegekräften, aber auch mit Ärzten reden, dann hören
Sie, dass sie in einer kritischen Situation sind . Deshalb
reagieren wir richtig, zum Beispiel mit dem Hygie-
ne-Förderprogramm in Höhe von 100 Millionen Euro
und mit dem Pflegestellen-Förderprogramm in Höhe von
660 Millionen Euro für neue Stellen . Dank der Initiative
unseres Berichterstatters Lothar Riebsamen sehen wir ei-
nen hälftigen Ausgleich für Tarifanpassungen vor . Auch
das ist ein ganz wichtiges Signal dafür, dass wir Tarifstei-
gerungen in Zukunft finanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist allemal besser als ein fester Pflegeschlüssel. Ein
solcher Schlüssel wäre wie Planwirtschaft und wäre auch
deshalb nicht zielführend, weil das von der individuel-
len Situation abhängt . Es hängt doch von den Kranken-
hausstrukturen, von den Patienten, von der Erfahrung der
Pflege vor Ort ab, wie viel Pflege man an welcher Stelle
braucht . Deshalb glaube ich, dass es schwierig ist, zent-
rale Regelungen von hier aus vorzunehmen .

Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Notfall-
versorgung sagen . Ja, das ist ein Problem . Zum einen
begeben sich Patienten im Notfall gern direkt in ein
Krankenhaus . Zum anderen gibt es aber auch hie und da
Ärzte, die sagen: Am Wochenende und nachts sehen wir
eine Notfallversorgung nicht so gern . Wenden Sie sich
bitte direkt an ein Krankenhaus! – Deshalb baut unser
Lösungsversuch zum einen darauf, dass wir den Inves-
titionskostenabschlag streichen – das sind 75 Millionen
Euro –; zum anderen setzen wir auf die Selbstverwaltung .
Bei drei Parteien ist eine Einigung nicht ganz einfach . Ich
gebe zu, ich persönlich hätte mir auch nur zwei Parteien
vorstellen können . Aber eines lasse ich mir nicht gefal-
len, nämlich dass die Kassenärztliche Bundesvereini-
gung durch die Lande zieht und unseren Lösungsversuch
in einer bemerkenswerten Art und Weise abqualifiziert.
Vielleicht haben die Herrschaften Grund, von sich sel-

Dr. Harald Terpe






(A) (C)



(B) (D)


ber abzulenken . Sie sollen über die Patientenversorgung
nachdenken und nicht über die Eigenversorgung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Sinne: Schönen Tag, gute Beratungen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813314000

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Marina Kermer, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Marina Kermer (SPD):
Rede ID: ID1813314100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Nach einer intensiven und gestaltungsreichen
Verhandlungszeit liegt heute der Entwurf eines Kranken-
hausstrukturgesetzes auf dem Tisch . Das ist ein Grund,
Danke zu sagen . Ich sage Danke für die sachliche, zie-
lorientierte und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Ihnen,
Herr Bundesminister Gröhe, mit Ihnen, Frau Staatssekre-
tärin Widmann-Mauz, und mit Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Koalition .

Unser Gesundheitssystem steht auf einem bewährten
und guten Fundament . Um bildlich zu sprechen: Das
Fundament hält . Das Haus, das darauf steht, wackelt; es
entspricht nicht mehr den Standards . Die Betriebskosten
sind hoch . – Wir sind an einem Punkt angekommen, wo
die Entscheidung zu treffen ist, Jahr für Jahr immer hö-
here Kosten zu tragen oder einmal so zu investieren, dass
unser Haus modernisiert und damit zukunftssicher wird .

Mit dem Krankenhausstrukturgesetz werden wir in
eine zukunftsfeste Krankenhausversorgung investieren,
ebenso in zukunftssichere Strukturen, auch in den ländli-
chen Regionen. Wir werden den Pflegenotstand beheben,
und zwar – ich wiederhole es gern – mit dem Pflegestel-
len-Förderprogramm in Höhe von insgesamt 660 Millio-
nen Euro, einem Pflegezuschlag in Höhe von 500 Millio-
nen Euro jährlich ab 2017 und einem Infrastrukturfonds .
Mit dem Mehr an Pflegepersonal in den Krankenhäusern
wird die Versorgungsqualität am Bett steigen und den
Patientinnen und Patienten zugutekommen . Das sind die
großen Stellschrauben . Hinzu kommen zur Feinjustie-
rung noch viele kleinere Stellschrauben wie die Verbes-
serungen beim Sicherstellungszuschlag oder bei der Not-
fallversorgung . Wir stimulieren Qualitätsverbesserung
durch Qualitätszu- und -abschläge . Außerdem dämmen
wir Wildwuchs bei Mengenentwicklungen ein .

Im Zentrum unserer Planungen stehen dabei immer die
Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten . Ihre Interes-
sen zu stärken und zu verbessern, ist zentrales Anliegen
unseres Gesetzes; denn die Menschen vertrauen darauf,
dass sie heute und in Zukunft erreichbare und bestmög-
liche medizinische Versorgung in unseren Krankenhäu-
sern bekommen . Deshalb erfährt die Qualität als gleich-

berechtigtes Kriterium für die Krankenhausplanung eine
Aufwertung und spielt zukünftig eine bedeutende Rolle .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Werden die Leistungen durch ein Krankenhaus quali-
tativ nicht oder nicht ausreichend erbracht, hat das Kon-
sequenzen: Das betroffene Krankenhaus bleibt nicht im
Krankenhausplan .

Wir haben uns auf die zu erwartenden Rahmenbedin-
gungen vorausschauend eingestellt .

Insgesamt steigt der Anspruch an die behandelnden
Ärztinnen und Ärzte . Die medizinischen Behandlungs-
möglichkeiten werden vielfältiger und komplizierter . Die
Patientinnen und Patienten werden älter und damit anfäl-
liger für eine Häufung von zeitgleichen Erkrankungen .

Deshalb sagen wir Ja zu einer flächendeckenden
Grundversorgung und Nein zum Beispiel zu Hirnchirur-
gie in jedem Kreiskrankenhaus . Dafür ist weder Fachper-
sonal ausreichend verfügbar, noch gibt es in der Fläche
genügend Fälle, um ausreichend Erfahrungen zu sam-
meln und damit Qualität zu sichern .

Genau darum zögern wir nicht, das Instrument der
Mindestmengen im Interesse der Qualitätssicherung für
unsere Patientinnen und Patienten strenger als bisher
anzuwenden . Wenn ein Krankenhaus zukünftig dagegen
verstößt, werden die Behandlungskosten nicht mehr er-
stattet .

Allerdings bedeuten viele Operationen nicht automa-
tisch bessere Qualität . Es darf nicht sein, dass den Pa-
tientinnen und Patienten neue Gelenke nur der Gelenke
wegen eingesetzt werden . Eine Operation darf nur dann
erfolgen, wenn sie medizinisch notwendig ist, und nicht,
weil eine Krankenhausbilanz ausgeglichen werden muss .

Wir alle wollen nicht, dass Ärztinnen und Ärzte der-
artigen Fehlsteuerungen und einem Fallzahlenleistungs-
druck ausgesetzt sind .

Wir alle wollen nicht, dass Patientinnen und Patienten
zu Geldautomaten werden .

Apropos Geld . Ja, Herr Dr . Terpe, ein Problem kön-
nen wir mit dem Krankenhausstrukturgesetz nicht lösen;
denn das liegt nicht in der Hand des Bundes .


(Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


Die Länder kommen ihren Zahlungsverpflichtungen an
die Krankenhäuser nicht ausreichend nach; das haben wir
gehört .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können sie nicht!)


Wir wissen, dass in fast allen Bundesländern die Finanz-
decke dünn ist . Trotzdem darf man die Zukunft der sta-
tionären Versorgung nicht aus dem Blick verlieren . Der
Bund stellt dafür mit dem Infrastrukturfonds – er wurde
heute schon mehrfach erwähnt – 500 Millionen Euro zur
Verfügung . Wenn also strukturelle Veränderungen nötig
sind und die Länder Akutpflegeabteilungen umwandeln
wollen, müssen sie nicht die gesamten Kosten tragen,

Dr. Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)


sondern die Mittel nur zur Hälfte gegenfinanzieren. Die
Länder werden unter Beweis stellen müssen, dass sie ih-
rem Gestaltungsauftrag auch nachkommen .

Wir beraten in dieser Woche nicht nur das Kranken-
hausstrukturgesetz . Heute haben wir bereits das Gesetz
zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung
beschlossen, und morgen stehen die Regelungen zur
Sterbebegleitung auf der Tagesordnung . Wie auch immer
die Patientinnen und Patienten ihre persönliche Entschei-
dung für die letzten Lebenstage fällen: Wir wollen dafür
sorgen, dass das Leben dort zu Ende gehen kann, wo die
Menschen es wollen – auf der Palliativstation im Kran-
kenhaus, im Hospiz oder zu Hause .

Nicht alle Regionen in Deutschland werden umstruk-
turieren müssen, aber die, die Bedarf haben, bekommen
die Infrastrukturförderung . Und niemand braucht Sorge
zu haben, dass nötige Krankenhausbetten abgebaut wer-
den .

Zusätzlich zu den drei bereits genannten wichtigen
Unterstützungsmaßnahmen wird eine Expertenkommis-
sion eingesetzt; darauf wurde schon Bezug genommen .

Gute Pflege meint nicht nur gut ausgebildete Fachkräf-
te, sondern Pflegerinnen und Pfleger, die ihren Beruf aus
Überzeugung für die Arbeit am Menschen ausüben . An
der fachlichen Qualifikation besteht auch jetzt kein Zwei-
fel, aber es fehlt an der notwendigen Zeit für Zuwendung
in der Krankenpflege. Genau deshalb kommt der Pflege-
zuschlag vor allem den Krankenhäusern anteilig zugute,
die bereits heute nicht am Pflegepersonal sparen, sowie
den pflegeintensiven Bereichen wie Kinderstationen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen zukünftig Engpässe bei der pflegerischen
Versorgung verhindern . Das ist zentrale Aufgabe der Ex-
pertenkommission .

Ich komme zum Schluss. Mehr Geld für Pflegeperso-
nal, Hilfe für die notwendigen Strukturanpassungen in
den Ländern, Stärkung der Qualität und mehr Transpa-
renz für die Patientinnen und Patienten und die Weiter-
führung des Hygiene-Förderprogramms sind die zentra-
len Punkte unseres Gesetzes .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!)


Unser Gesetzentwurf beruht auf einem breiten Konsens
der Ländervertreterinnen und -vertreter, der Gewerk-
schaften und der Krankenhausvertretungen . All jenen,
die an unserem Kompromiss mitgearbeitet haben, danke
ich für die Unterstützung . Ebenso danke ich für die Kritik
der Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Oppo-
sition . Beides zusammen macht dieses gute Gesetz erst
möglich . Ich lade Sie daher ein: Stimmen Sie dem Gesetz
allumfassend zu!

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813314200

Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich

das Wort dem Abgeordneten Lothar Riebsamen, CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Lothar Riebsamen (CDU):
Rede ID: ID1813314300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An-

gesichts einer demografischen Entwicklung, bei der wir
in Gesundheit älter werden – darüber freuen wir uns in
der Regel –, und angesichts der Tatsache, dass wir einen
innovativen medizinisch-technischen Fortschritt haben,
stehen wir, was unser Gesundheitswesen im Allgemeinen
und die Krankenhäuser im Besonderen anbelangt, vor
ziemlich großen Herausforderungen; denn das alles kos-
tet Geld . Es ist nicht zum Nulltarif zu haben . Gerade des-
wegen ist es notwendig, dass wir die Strukturen anpassen
und die gute Qualität, die wir in unseren Krankenhäusern
haben, auch in der Zukunft weiterentwickeln . Diesen An-
spruch haben wir an das Krankenhausstrukturgesetz, und
genau das werden wir damit auch erreichen .

Es gibt zunächst einmal Bereiche, für die wir als Bun-
desgesetzgeber originär Verantwortung tragen, und es
gibt Bereiche, bei denen die Länder und natürlich auch
die Träger angesprochen sind .

Wo sind wir selber als Bundesgesetzgeber angespro-
chen?

Erstens hatten wir, was die Refinanzierung der Be-
triebsmittel angeht, in der Vergangenheit die Situation,
dass sich immer dann, wenn die Tarifsteigerungen hö-
her waren als die Erlöse durch die Veränderungsrate,
eine Tarifschere geöffnet hat . Das war ein strukturelles
Problem . Genau dieses Problem gehen wir mit diesem
Gesetz strukturell an . Das werden wir abstellen . Wir
werden nicht mehr, wie dies in der Vergangenheit nötig
war, durch Versorgungszuschläge oder Ähnliches Löcher
stopfen, sondern mit diesem Gesetz dafür sorgen, dass
diese Löcher zukünftig gar nicht mehr entstehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens geht es natürlich auch darum, dass wir die
Entwicklung der Mengen immer mit einem kritischen
Blick zu verfolgen haben . Aber eines war in der Ver-
gangenheit schlicht und ergreifend nicht nachvollzieh-
bar und ungerecht, nämlich die Kollektivhaftung aller,
auch derer, die gar keine Mehrmengen verursacht haben .
Das werden wir mit diesem Gesetz ebenfalls abstellen .
Mehrmengen, die manchmal notwendig sind, manchmal
vielleicht nicht, werden dort zu Abschlägen führen, wo
diese Mehrmengen entstehen . Ich freue mich darüber
und bedanke mich herzlich bei allen, die mitgewirkt ha-
ben, dass wir an dieser Stelle mit den Änderungsanträgen
eine Entschärfung erreicht haben, indem wir zielgenau
für die Krankenhäuser, die diese Mehrmengen – oft auch
notwendigerweise – verursachen, einen umfangreichen
Ausnahmekatalog vereinbaren konnten .

Drittens ist es so, dass aufgrund der Lücken, die in
der Vergangenheit entstanden sind – das haben die Kol-

Marina Kermer






(A) (C)



(B) (D)


leginnen und Kollegen Vorredner durchaus zu Recht
angesprochen –, immer wieder im Bereich des Pflege-
personals gespart wurde. Wir haben mit dem Pflege-
stellen-Förderprogramm und der Tatsache, dass wir den
Versorgungszuschlag von 500 Millionen Euro in einen
Pflegezuschlag umwandeln, dafür gesorgt, dass wir auch
an dieser ganz wichtigen Stelle nachjustieren . Wir set-
zen also mit diesem Gesetz klare Schwerpunkte bei der
Verbesserung der Situation des Pflegepersonals und beim
Abbau der durch die Tarifschere verursachten strukturel-
len Probleme .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme nun zu den Bereichen, für die nicht wir
originär verantwortlich sind, sondern die Länder mit
der Krankenhausbedarfsplanung und natürlich auch die
Träger vor Ort. Wenn Defizite entstehen, ist zukünftig
deutlich zu identifizieren, wo diese entstehen. Sie wer-
den nicht mehr bei den Betriebsmitteln entstehen, son-
dern dadurch, dass die Länder ihrer Verpflichtung, die
Krankenhausinvestitionsförderung zu 100 Prozent zu
erbringen, nicht nachkommen . Das wird zukünftig der
entscheidende Punkt sein, und es ist dann auch klar zu
identifizieren, wo die Defizite entstehen.

Aber natürlich darf man auch die Träger nicht ganz aus
der Verantwortung entlassen . Es gibt nach wie vor eine
unternehmerische Verantwortung . Die Krankenhausträ-
ger vor Ort stehen im Qualitätswettbewerb . Sie müssen
sich diesem stellen, müssen sich absprechen und können
nicht gleiche Angebote auf engstem Raum anbieten . Es
ist im System der DRGs schlicht und ergreifend nicht
möglich, in einem 100- oder 150-Betten-Krankenhaus
die Grund- und Regelversorgung rund um die Uhr zu ge-
währleisten . Das geht einfach nicht . Genau diese Punkte
werden dann ganz deutlich werden, wenn die strukturell
bedingten Probleme aus der Welt geschafft sind .

Mit dem Strukturfonds in Höhe von 500 Millionen
Euro und den 500 Millionen Euro der Länder versetzen
wir die Länder und die Kommunen in die Lage, die-
se wichtigen Strukturanpassungen vor Ort tatsächlich
durchzuführen . Aber es bleibt dabei, dass es bei den
Investitionskostenförderungen eine offene Flanke gibt .
Deswegen zum Abschluss der Appell an die Länder, ihrer
Verpflichtung nachzukommen. Wir werden in den kom-
menden Jahren im Auge haben müssen, Kollege Terpe,
wie es vorangeht . Wenn wir unsere Hausaufgaben ge-
macht haben,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie das mal gemacht hätten!)


dann wird ganz deutlich, wo diese strukturellen Proble-
me entstehen .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813314400

Herr Kollege!


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)



Lothar Riebsamen (CDU):
Rede ID: ID1813314500

Das werden wir im Auge behalten .

Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem
wir unsere Hausaufgaben erledigt haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Länder haben das noch nicht im notwendigen Um-
fang getan . Deswegen ist es ein gutes Gesetz und ein gu-
ter Tag für die Krankenhäuser in Deutschland .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813314600

Herr Kollege, Sie haben hartnäckig ignoriert, dass die

rote Lampe leuchtet . Der Schlussappell war interessant,
lag aber weit außerhalb der Redezeit . Wir nehmen ihn
trotzdem in das Protokoll auf . Aber ich bitte alle Kolle-
gen im Sinne der Fairness, ab und zu einen Blick auf die
Uhr zu werfen


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Nachfolgenden, ja!)


und sich danach zu verhalten, zumal die Regierungsko-
alition insgesamt über viel Redezeit verfügt . Das muss
man schon sagen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Kranken-
hausversorgung . Dazu liegt eine Erklärung zur Abstim-
mung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/6586, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5372 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Wir stimmen jetzt über
den Gesetzentwurf ab . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen . – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben . – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlus-
sempfehlungen des Ausschusses für Gesundheit auf
Drucksache 18/6586 fort . Der Ausschuss für Gesund-

1) Anlage 3

Lothar Riebsamen






(A) (C)



(B) (D)


heit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-
fehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung auf
Drucksache 18/5867 für erledigt zu erklären . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Be-
schlussempfehlung einstimmig angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 9 b . Der Ausschuss für Gesund-
heit empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfeh-
lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/5369 mit dem Titel „Versorgungsqua-
lität und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern ver-
bessern – Bedarfsgerechte Personalbemessung gesetzlich
regeln“ . Wir stimmen über die Beschlussempfehlung ab .
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/5381 mit dem Titel „Gute Versorgung,
gute Arbeit – Krankenhäuser zukunftsfest machen“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen worden mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes

Drucksache 18/5

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13 . Ausschuss)


Drucksache 18/6200

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert
Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole
Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Betreuungsgeld für den Kitaausbau nutzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Franziska
Brantner, Katja Dörner, Beate Walter-
Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Betreuungsgeld in Kitas investieren

Drucksachen 18/6041, 18/6063, 18/6200

Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke werden wir später namentlich ab-
stimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner ertei-
le ich das Wort dem Abgeordneten Dr . Fritz Felgentreu,
SPD-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1813314700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe

gehört, dass auch eine Gruppe aus Neukölln da ist . Ich
begrüße Sie als Abgeordneter Ihres Wahlkreises natürlich
besonders herzlich .

Wir stimmen heute über einen, wie ich finde, inhalt-
lich ganz hervorragenden Gesetzentwurf der Linken ab .


(Beifall des Abg . Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Allerdings wird die SPD-Fraktion ihn trotzdem ableh-
nen . Ganz hervorragend ist der Inhalt des Gesetzentwurfs
schon deswegen, weil die SPD ihn geschrieben hat – in
der vergangenen Wahlperiode .


(Norbert Müller Deswegen lehnen Sie ihn ab? Sie können ja auch zustimmen!)


Ablehnen werden wir ihn, weil inzwischen etwas passiert
ist, wovor auch der beste Inhalt nicht schützt: Die Erde
hat sich weitergedreht und die Gesetzgebung dadurch
überflüssig gemacht.


(Beifall bei der SPD)


Das, worum es in dem Entwurf und im begleitenden An-
trag geht, nämlich die Abschaffung des Betreuungsgel-
des und die Umwidmung der dafür vorgesehenen Mittel,
ist bereits erfolgt .


(Norbert Müller aber falsch erfolgt!)


Über das Betreuungsgeld brauchen wir hier zum
Glück gar nicht mehr zu diskutieren . Das Bundesver-
fassungsgericht hat entschieden, dass wir dafür keine
Gesetzgebungskompetenz haben und sie auch niemals
hatten . Damit ist das Betreuungsgeld nur noch eine Fuß-
note der Geschichte bundesdeutscher Familienpolitik,
und – um einen legendären Bürgermeister dieser Stadt zu
zitieren – das ist auch gut so .


(Beifall bei der SPD)


Das zweite Ziel bleibt jedoch unverändert aktuell . Der
Ausbau und die Verbesserung der Kinderbetreuung sind
Grundpfeiler der Familienpolitik dieser Koalition; denn
eines ist doch vollkommen klar: Kinder und Familien
fördern wir am besten mit erstklassigen Kitas und Schu-
len .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zu Vizepräsident Peter Hintze ruf von der LINKEN: Das ist ja wahre Liebe bei euch!)





(A) (C)


(B) (D)


Deshalb stockt die Koalition das Sondervermögen „Kin-
derbetreuungsfinanzierung“, das Kindern unter drei Jah-
ren zugutekommt, um 550 Millionen Euro auf 1 Milliar-
de Euro auf . Deshalb stellen wir für Kinderkrippen und
Tagespflegestellen ab sofort jährlich 845 Millionen Euro
zur Verfügung . Deshalb erhöht der Bund seine Beteili-
gung an den Betriebskosten von Kitas 2017 und 2018
nochmals um 100 Millionen Euro . Und deshalb stärken
wir gerade mit weiteren 400 Millionen Euro die Sprach-
förderung in den Kindertagesstätten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wem das alles noch nicht reicht – mir reicht es übri-
gens auch nicht –, der wird mit Freude feststellen, dass
die Koalition gerade die Flüchtlingskrise zum Anlass
genommen hat, bei der Kinderbetreuung noch einmal
nachzulegen . Mit dem sogenannten Asylpaket, das wir
hier vor drei Wochen beschlossen haben, werden die für
das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel nach und nach
auf die Länder übertragen, damit sie dieses Geld ihrer-
seits so, wie sie es vor Ort brauchen, in den Ausbau der
Betreuung und in Kitaqualität investieren. Diese Politik,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nützt al-
len: den Kindern, die hier geboren sind, und den Kindern,
die jetzt neu dazukommen . Gerade die Flüchtlingskinder
gehören doch in die Kitas . Dort lernen sie Deutsch . Dort
erleben viele von ihnen zum ersten Mal das gleichberech-
tigte Miteinander der Geschlechter . Dort erfahren sie,
wie man sich streitet und wieder verträgt oder – um es
einmal etwas hochtrabender auszudrücken – wie Kom-
promissfähigkeit und gewaltfreier Interessenausgleich
unser Sozialverhalten und unsere Gesellschaft prägen .
Deshalb war es richtig, dass wir die Verwendung der Be-
treuungsgeldmittel im Rahmen des Asylpakets geregelt
haben, obwohl mit dem Geld nicht nur Flüchtlingsfami-
lien, sondern alle Kinder gefördert werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass die Koaliti-
on bei der Kinderbetreuung die richtigen Schwerpunkte
setzt . Trotzdem bleibt es auch in Zukunft unsere Auf-
gabe, die Kinderbetreuung weiter auszubauen und ihre
Qualität zu verbessern .

An dieser Stelle sei mir der Hinweis erlaubt, dass die
SPD-Fraktion ein kontinuierliches Engagement des Bun-
des für Bildung und Betreuung für notwendig hält . So-
lange wir die Länder damit alleinlassen, wird es immer
wieder dazu kommen, dass zu wenig Geld für strukturel-
le Verbesserungen zur Verfügung steht .


(Beifall bei der SPD)


Die Gefahr der Unterfinanzierung von Bildung und Be-
treuung ist eine der wenigen problematischen Folgen
unserer föderalen Ordnung . Deshalb ist es auch richtig,
über Lösungen nachzudenken, wie das Engagement des
Bundes verstetigt werden kann, aber selbstverständlich
ohne in die Kompetenzen der Länder einzugreifen .

Eine Möglichkeit ist zweifellos die Lockerung des
Kooperationsverbotes im Grundgesetz . Das Koopera-
tionsverbot erlegt dem Bund jedes Mal ziemliche Ver-
renkungen auf, wenn er Geld für Bildung und Betreu-
ung bereitstellen will . Eleganter als eine Änderung des
Grundgesetzes finde ich allerdings eine Idee, die von der
Kollegin Carola Reimann entwickelt worden ist, nämlich
einen familienpolitischen Werkzeugkasten des Bundes
und der Länder, wie Sie es genannt haben, Frau Kollegin
Reimann . Ein solcher Werkzeugkasten kann durch einen
Vertrag des Bundes mit den Ländern entstehen . Der Bund
würde sich dabei verpflichten, den Kasten mit dem für
familienpolitische Instrumente notwendigen Geld zu be-
füllen . Die Länder würden als Vertragspartner die Mittel,
die der Werkzeugkasten enthält, ausschließlich für Fa-
milien- und Bildungspolitik ausgeben, und zwar für die
Maßnahmen, die vor Ort gerade am dringendsten nötig
sind . Ich würde mich freuen, wenn wir die zweite Hälf-
te der Legislaturperiode nutzen könnten, um diese Idee
weiterzuentwickeln .

Ich komme zum Schluss . Den vorliegenden Gesetz-
entwurf sowie den Begleitantrag lehnen wir ab, weil sie
sich durch tätiges Handeln erledigt haben . Die Anregung,
gemeinsam weiter darüber nachzudenken, wie Bund und
Länder in der Familienpolitik besser zusammenarbeiten
können, greifen wir gerne auf . Wir freuen uns auf die
weitere Debatte .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813314800

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Norbert Müller, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813314900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen!

Die Qualität der Kindertagesbetreuung soll aktiv
weiterentwickelt, finanziell sichergestellt sowie
durch eigene Maßnahmen befördert werden . Zudem
soll der bedarfsgerechte Ausbau von Betreuungs-
plätzen, auch für Kinder aus Flüchtlingsfamilien,
weiter vorangetrieben werden . Eine gute Kinder-
tagesbetreuung stärkt als erste Bildungsinstitution
außerhalb der Familie die Bildungschancen aller
Kinder .

Deswegen ist Bildung eine gesamtgesellschaftliche Auf-
gabe .


(Beifall bei der LINKEN)


Eigentlich habe ich langanhaltenden Applaus vor allem
bei der SPD-Fraktion erwartet .


(Beifall des Abg . Sönke Rix [SPD])


Herr Präsident, vielleicht können wir die Redezeit an-
halten, damit die SPD noch darüber nachdenken kann .

Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813315000

Diesem Vorschlag können wir leider nicht folgen,

Herr Kollege .


Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813315100

Schade . – Denn dieser Text, Herr Präsident, ist gar

nicht von mir, sondern er stammt aus einer Erklärung
vom heutigen Tage aus dem Bundesfamilienministerium,
und das Bundesfamilienministerium hat in diesem Punkt
auch recht .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sönke Rix [SPD]: Das hat immer recht! Seit zwei Jahren!)


Frühkindliche Bildung verringert soziale Ungleich-
heit, weil sie hilft, soziale Benachteiligung zu kompen-
sieren; das Betreuungsgeld war übrigens auch deswegen
falsch . Wir wollen frühkindliche Bildung für alle nicht
nur, weil sie inklusiv ist, sondern weil das Recht von
Kindern auf Bildung eine völkerrechtliche Maßgabe ist,
und das muss auch für Kleinkinder gelten .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen wollen wir, dass frühkindliche Bildung auch
Kleinkindern zugutekommt .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir sind mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung
und der Kindertagespflege in Deutschland weit gekom-
men . Aber wir sind noch lange nicht am Ziel . Es gibt
hohe Investitionsbedarfe; Herr Kollege Felgentreu hat
das beschrieben . Es gibt einen Mehrbedarf zur Deckung
der Kosten in Ländern und Kommunen, die diese nicht
alleine schultern können .

Es geht auch darum, Qualität auszubauen . Wir wollen
bundesweit die Fachkraft-Kind-Relation auf einen guten
Standard absenken; in vielen Ländern müssen wir sie ab-
senken . Wir wollen nach Möglichkeit die Elternbeitrags-
freiheit, damit nicht am Ende die Beiträge entscheiden,
ob ein Kind in die Kita geht oder zu Hause bleibt . Wir
wollen gutes, hochwertiges Mittagessen . Wir wollen die
Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, die dieses Jahr zu
Recht für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt haben,
durch weniger Stress und bessere Bezahlung deutlich
verbessern .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir wollen ein sogenanntes Kitaqualitätsgesetz. Die
im Haushalt ursprünglich für das Betreuungsgeld einge-
stellte Milliarde hätten wir gerne für ein solches Kitaqua-
litätsgesetz gesichert .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt werden Sie sagen – das wird vor allen Dingen
von den Kollegen der Union kommen –, dass frühkindli-
che Bildung eine Aufgabe der Länder und Kommunen ist
und der Bund im Übrigen schon sehr viel tut; das hat der
Kollege Felgentreu ausgeführt . Aber frühkindliche Bil-
dung ist eben nicht nur eine Aufgabe von Ländern und
Kommunen, sondern sie ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe . Deswegen muss der Bund seiner Verantwor-
tung mehr nachkommen . Er kann nicht nur den Rechts-

anspruch schaffen, sondern er muss deutlich stärker in
die Grundfinanzierung der Kindertagesbetreuung einstei-
gen .


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Schwesig hat völlig recht gehabt, als sie nach
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Juli dieses
Jahres gesagt hat, dass wir die Milliarde, die im Haushalt
für das Betreuungsgeld vorgesehen war, für frühkindli-
che Bildung sichern wollen . Genau an dieser Stelle hat
sie sich und hat sich die Sozialdemokratie aber nicht
durchgesetzt . Das will ich anhand von drei Punkten be-
legen .

Erstens . Die Milliarde in dem Haushalt ist keine Mil-
liarde . Etwa zwei Drittel dieser Milliarde gehen effektiv
an die Länder .

Zweitens . Das Geld geht völlig kontrolllos an die
Länder. Ob Bayern damit das Landesbetreuungsgeld fi-
nanziert, was ich grundlegend falsch finde, ob anderswo
der Betreuungsschlüssel verbessert wird oder ob irgend-
wo ein Haushaltsloch gestopft wird, unterliegt überhaupt
keiner Kontrolle . Deswegen haben Frau Schwesig, die
Grünen und wir gefordert: Lasst das Geld im Bundes-
haushalt; nur so können wir garantieren, dass es tatsäch-
lich für frühkindliche Bildung ausgegeben wird, nicht für
ein Landesbetreuungsgeld und auch nicht zur Stopfung
von Haushaltslöchern .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. 2018 ist Schluss damit. 2018 fließt das letzte
Geld an die Länder . Ab 2019, wenn die Schuldenbremse
greift, wenn es in den Landeshaushalten interessant wird,
gibt es nichts mehr von diesem ehemaligen Betreuungs-
geld .

Das ist der falsche Weg . Deswegen lautet unser An-
trag – darüber lassen wir namentlich abstimmen –: Lasst
das Geld im Bundeshaushalt, und setzt es als Basisfinan-
zierung im Rahmen eines Kitaqualitätsgesetzes ein!


(Beifall bei der LINKEN)


Alles andere ist nicht nachhaltig . Alles andere ist kurz-
sichtig .

Wenn 2019 die Schuldenbremse greift und die Zuwen-
dungen an die Länder wegfallen – die letzte Zuwendung
in Höhe von 870 Millionen Euro fließt 2018 an die Län-
der –, werden wir wissen, welche Folgen das in einem
föderalen System für die frühkindliche Bildung hat –
wir können die Folgen jetzt schon erahnen; der Kollege
Felgentreu hat sie gut beschrieben –: Am Ende werden
die Länder am Betreuungsschlüssel und an den Gehäl-
tern der Erzieherinnen und Erzieher sparen, Zuwendun-
gen werden gekürzt werden usw . All das wird eintreten,
und das trifft am Ende die sozial Benachteiligten in die-
ser Gesellschaft . Das Schlimme ist, dass diese Politik am
Ende die sozial Benachteiligten in dieser Gesellschaft
trifft .

Ich komme zum Schluss . Die Bertelsmann-Stiftung
hat Anfang des Jahres eine Studie zur Kinderarmut vor-
gelegt, über die wir bereits diskutiert haben . Zu den gra-






(A) (C)



(B) (D)


vierenden Folgen von Kinderarmut will ich jetzt nichts
weiter sagen, auch nicht dazu, dass diese Bundesregie-
rung die Aufgabe, Kinderarmut zurückzudrängen, nicht
ernsthaft anpackt .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie das alles nicht wollen, dann seien Sie wenigs-
tens konsequent. Nehmen Sie die Vorschläge der Bertels-
mann-Stiftung, die keine besonders linkslastige Stiftung
ist, an, die sagt: Wenn Sie Kinderarmut nicht bekämpfen,
dann investieren Sie wenigstens kräftig in die frühkindli-
che Bildung, um die grassierenden Folgen von Kinderar-
mut abzumildern . Dazu ist eine gute Kindertagesbetreu-
ung sinnvoll .

Deswegen: Machen Sie den Weg frei für ein Kitaqua-
litätsgesetz . Stimmen Sie unserem Antrag und unserem
Gesetzentwurf zur Aufhebung des Betreuungsgeldgeset-
zes heute zu .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813315200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Josef Rief, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1813315300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besu-
cher auf der Plenartribüne und liebe Zuschauer vor dem
Parlamentsfernsehen! Bereits im September haben wir
uns im Plenum mit den Vorschlägen von Bündnis 90/Die
Grünen und Linken beschäftigt . Damals wie heute unter-
stützt der Bund den Ausbau der Kindertagesbetreuung .

Es ist unstrittig: Im ganzen Land werden Kitaplät-
ze benötigt und zur Verfügung gestellt . Wir waren es
schließlich, die vor vielen Jahren den Rechtsanspruch auf
einen Kitaplatz eingeführt haben . Die Mütter und Väter,
die ihren Beruf wieder aufnehmen möchten, sollen aus-
reichend Kitaplätze zur Verfügung haben . Darin sind wir
uns, glaube ich, alle einig .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der Kitaausbau wurde und wird stark gefördert . Dies
wird auch so bleiben .

Den Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü-
nen geht es hier aber um etwas ganz anderes . Bei Ihnen,
meine Damen und Herren von der Opposition, liegt der
Fokus ganz klar auf der Kinderbetreuung durch den Staat .
Das ist sehr einseitig . Häusliche Betreuung dagegen wird
von der Opposition weder anerkannt noch geschätzt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie sollen
sich die Familien fühlen, die erstmals, nach harten politi-
schen Kämpfen, für die häusliche Betreuung ihrer Kinder
monatlich einen Betrag als kleine Anerkennung erhalten

haben, wenn sie diese Gelder jetzt nicht nur nicht mehr
bekommen, sondern diese hart erkämpften Mittel nach
Meinung der Opposition besser in Kitas investiert wer-
den, wenn mit dem Geld also genau das Gegenteil des-
sen passiert, wofür es eigentlich gedacht war? An dieser
Stelle betone ich es noch einmal: Kinder brauchen in den
ersten Lebensjahren eine verlässliche Bindung . Bindung
ist in den ersten Lebensjahren wichtiger, als es Bildung
je sein kann . Deshalb ist die häusliche Betreuung gut und
sinnvoll .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das jetzt konkret?)


Wie uns das Bundesverfassungsgericht mitteilte, war
der Bund nicht der zuständige Gesetzgeber für das Be-
treuungsgeld . Ich fürchte, auch für andere Leistungen ist
der Bund nicht zuständig . Wir können nur hoffen, dass
da nie jemand klagt . Das Betreuungsgeld bleibt trotzdem
richtig und wichtig . Inhaltlich wurde das Betreuungsgeld
nicht geprüft . Die Länder können es sehr wohl einführen .
Ich lobe hier ausdrücklich die Bayern, die es weiterfüh-
ren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben dies bei den Änderungen des Finanzaus-
gleichsgesetzes berücksichtigt . Durch den Wegfall des
Betreuungsgeldes sind finanzielle Spielräume entstan-
den; das haben meine Vorredner schon gesagt . Der Bund
wird die Länder und Kommunen in den kommenden drei
Jahren bei Maßnahmen zur Verbesserung der Kinderbe-
treuung unterstützen . Ich wiederhole ausdrücklich: Ver-
besserung der Kinderbetreuung . Damit ist gerade nicht
vorgegeben, dass die Gelder in staatlich geförderte Kin-
derbetreuungseinrichtungen fließen müssen. Die Län-
der können mit diesem Geld sehr wohl – dafür plädiere
ich – die häusliche Betreuung der Familien finanziell an-
erkennen . Wir stellen den Ländern 339 Millionen Euro
im Jahr 2016, 774 Millionen Euro im Jahr 2017 und für
2018 noch einmal 870 Millionen Euro zur Verfügung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In meinem Heimatland Baden-Württemberg hat ein
weitaus größerer Teil der Eltern für ihre Kinder Betreu-
ungsgeld bezogen, als dass sie ihre Kinder in staatlich
geförderte Kindertagesbetreuungseinrichtungen gegeben
hätten . Das muss hier einmal gesagt werden, und das
sollte Ihnen allen, auch Ihnen von der Opposition, zu
denken geben . Auch ist interessant – das gibt die Statis-
tik her –, dass in den Gebieten in Baden-Württemberg,
in denen die Anzahl der Bezieher von Betreuungsgeld
besonders hoch ist, auch die höchsten Geburtenraten zu
verzeichnen sind . Genauere Untersuchungen sollten die-
sen Zusammenhang klären und vertiefen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Die meisten Geburten gibt es aber in Dresden! Da gibt es kein Betreuungsgeld!)


Die große Mehrheit der Eltern in Baden-Württemberg
hat sich im ersten Halbjahr für das Betreuungsgeld ent-
schieden . Ich bin gespannt, wie die grün-rote Landesre-
gierung, die diese Zahlen kennt, darauf reagiert . Natür-

Norbert Müller (Potsdam)







(A) (C)



(B) (D)


lich weiß ich, dass sich der Beifall der SPD bei diesem
Thema in Grenzen hält . Aber als große Volkspartei muss
sie schon zur Kenntnis nehmen, dass der Mehrheit der
Eltern mit kleinen Kindern etwas weggenommen wird,
für das sie sich entschieden haben . Zumindest in Ba-
den-Württemberg, ja, ich denke, in ganz Deutschland ist
die Möglichkeit, sich für einen Kitaplatz zu entscheiden,
gegeben . Trotzdem hat sich die große Mehrheit bis zum
Sommer für die 150 Euro Betreuungsgeld monatlich ent-
schieden, also für einen Betrag, der vergleichsweise sehr
niedrig ist .

Warum hat das die übergroße Mehrheit getan? Ganz
einfach: weil sich die Mütter und Väter eben nicht im
Hamsterrad von Beruf, Familie und Freizeit Duelle lie-
fern möchten, sondern mehr Zeit für die Kinder haben
wollen . Entschleunigung in der Gesellschaft bei der Kin-
dererziehung müsste doch in erster Linie ein Ziel gerade
von Grünen und Linken sein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
verraten mit Ihren Anträgen Ihre eigenen angeblichen
Ideale .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist ja Quatsch, was Sie sagen!)


Deshalb streben wir bei einem Wahlerfolg genau diese
Ideale der Wahlfreiheit, mehr Zeit für Kinder, vor allem
für kleine Kinder, eine finanzielle Anerkennung aller Le-
bensentwürfe, ja ein klares Bekenntnis zu Familien mit
einem Kind, zwei, drei oder mehr Kindern an . Gerade
Mehrkindfamilien verdienen mehr Wertschätzung und
Unterstützung . Hier muss noch viel getan werden, zum
Beispiel im Hinblick auf ausreichenden und bezahlbaren
Wohnraum .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was empfehlen Sie zum Beispiel Eltern mit mehreren
kleinen Kindern, die beide voll berufstätig sind, ihre Kin-
der in die Kita bringen und merken, dass sie Berufstätig-
keit und Kindererziehung nicht unter einen Hut bringen
oder einfach nur überlastet sind? Nichts . Sie haben nichts
anzubieten, weil es nicht in Ihre Ideologie passt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN: Oh! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was bieten Sie denn an?)


Ich bin allen Familien dankbar, die Berufstätigkeit und
Kinder schaffen . Ich schätze aber auch in gleichem Maße
alle Familien, die merken, dass es zu viel ist, und dann
teilweise auf Arbeitsstunden zugunsten von Kindern ver-
zichten . Auch dafür bräuchten wir das Betreuungsgeld .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Nein, die Familienarbeitszeit! – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil die Frau verzichtet!)


Die Mehrheit der jungen Menschen im Süden und
Westen – wahrscheinlich nicht nur dort – will mehr Kin-
der und auch mehr Zeit für ihre Familien . Ich bin über-

zeugt, dass die Attraktivität von Politik und Parteien
größer wird, wenn eine Politik gemacht wird, in der das
Betreuungsgeld gewährt und auch Mehrkindfamilien ge-
fördert werden .


(Sönke Rix [SPD]: Die Schlacht ist doch geschlagen!)


Es gibt nicht das eine Modell Familie . Eltern kennen ihre
Kinder am besten . Nur sie können entscheiden, welche
Betreuung zu ihren Kindern und zu ihrer aktuellen und
individuellen Lebenssituation passt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller sie vor allen Dingen dann entscheiden, wenn es keinen Kitaplatz gibt!)


(Potsdam) [DIE LINKE]: Ja, ja! Das können


Alle Familien sollten bei ihren Entscheidungen – sei es
für eine staatliche oder eine häusliche Betreuung und
Förderung ihrer Kinder – durch die Politik auch finanzi-
ell unterstützt werden, und zwar möglichst in allen Bun-
desländern .


(Sönke Rix [SPD]: Ja, genau! Mit dem Kindergeld zum Beispiel! Und mit dem Elterngeld!)


Statt den vorliegenden Anträgen der Opposition zuzu-
stimmen, fordere ich die Landesregierungen – vor allem
in Stuttgart, aber auch in allen anderen Bundesländern –
auf, das von der Bevölkerung gewollte und akzeptierte
Betreuungsgeld auf Landesebene den Familien zur Ver-
fügung zu stellen .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Schade, wir klatschen für den Koalitionspartner sonst gerne!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813315400

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten

Dr . Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir sind froh,
dass das Thema Betreuungsgeld durch ist, und es ist gut,
dass es durch ist .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sönke Rix [SPD]: Das hörte sich gerade eben noch anders an!)


– Ich glaube, es ist gut, dass es durch ist, und es ist durch .

Wir werden das Thema bestimmt in Wahlkämpfen ha-
ben . In Baden-Württemberg tut uns die CDU den Gefal-
len, das Betreuungsgeld zu fordern . Das ist ein gutes Re-
zept für die Großstädte in Baden-Württemberg . Es wird
im baden-württembergischen Wahlkampf natürlich eine
Auseinandersetzung darüber geben, was man mit den
Geldern aus dem Betreuungsgeld macht . Ich kann Ihnen
jetzt schon sagen, lieber Kollege aus Biberach: Das Geld

Josef Rief






(A) (C)



(B) (D)


wird, zumindest wenn die jetzige Koalition fortgesetzt
wird, in die Kitas fließen. Denn ich habe, ehrlich gesagt,
das Gefühl, dass die Debatte, die wir über das Betreu-
ungsgeld geführt haben – wir führen sie auch jetzt wie-
der –, von den Bedürfnissen der Familien total ablenkt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Schauen wir uns die aktuelle Lage an . Von Frau
Schwesig wurde heute schon gefordert, dass jedes
Flüchtlingskind einen Platz in einer Kita braucht . Das ist
die Herausforderung, die es aktuell zu stemmen gilt, um
sicherzustellen, dass dort von Anfang an Chancengleich-
heit garantiert wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann stellt man
fest: Von den derzeit zu erwartenden 800 000 Asylsu-
chenden – vielleicht sind es auch mehr – sind ungefähr
110 000 Kinder im Alter von unter sechs . Wenn man das
umrechnet und annimmt, dass nur 90 Prozent der Drei-
jährigen und über Dreijährigen und nur 30 Prozent der
unter Dreijährigen in eine Kita gehen, weiß man, dass
man auf jeden Fall bzw . mindestens 68 000 Plätze ex-
tra braucht . Wenn man also von 800 000 Asylsuchenden
ausgeht, dann braucht man schon allein für diese Kinder
zusätzliche 68 000 Plätze . Das sind ziemlich viele Plätze .
Sie kommen bei den 185 000 Plätzen, die wir sowieso
brauchen, weil sie schon vorher fehlten, on top . So viel
zum Ausbau .

Das heißt, hier brauchen wir zusätzliche Gelder . Ich
bin mir nicht sicher, ob das Geld, das jetzt an die Länder
fließt, dafür reichen wird, und da sprechen wir noch gar
nicht von der Qualität, die wir vor Ort brauchen, zum
Beispiel im Hinblick auf die Sprachförderung . Herr
Felgentreu, Sie haben jetzt von 400 Millionen Euro extra
gesprochen, die es on top geben soll . Vor zwei Wochen
haben wir vom Ministerium die Antwort bekommen,
dass es keine Aufstockung gibt . Wenn Sie jetzt sagen, es
kommen 400 Millionen Euro extra, dann sehen wir das
natürlich mit Freude .


(Sönke Rix [SPD]: Genau, dann freuen wir uns doch mal!)


Ich glaube, dass das genau die Gelder sind, die jetzt in die
Sprachförderung und in die Qualität der Kitas vor Ort zu
investieren sind . Das hilft nämlich allen . Dann braucht
man auch nicht zwischen Flüchtlingskindern und Kin-
dern, die schon länger hier leben, zu differenzieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Ganztagsangebote – auch das ist ein
Punkt, der unserer Meinung nach noch zu kurz kommt –
und eine Debatte über das Kitaqualitätsgesetz. Wenn wir
bei der Diskussion den Blick nach vorne richten, sehe
ich immer noch eine große Herausforderung vor uns,
auf die wir noch keine Antworten haben . Die Arbeits-
gruppen sollen erst Ende 2016 einen Zwischenbericht
liefern . Das heißt, in dieser Legislaturperiode passiert
bei diesem Thema nichts. Ich finde es eigentlich sehr
schade, dass man mit dem Signal „Das Betreuungsgeld

ist weg“ jetzt nicht stärker das nächste Thema angeht .
Das ist nämlich die Erhöhung der Kitaqualität durch
ein Kitaqualitätsgesetz. Ich hoffe, dass wir von Frau
Schwesig noch etwas mehr dazu bekommen werden als
nur die Einrichtung von Arbeitsgruppen und irgendwel-
che Zwischenberichte kurz vor der nächsten Wahl . Wir
brauchen hier echte Ergebnisse, durch die vor Ort etwas
verändert wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erlauben Sie mir, noch einmal auf Bayern zurückzu-
kommen . Ich kann wirklich nur hoffen, dass das Betreu-
ungsgeld in Bayern nicht dazu führen wird, dass es in den
Kitas weniger Geld für die Flüchtlinge geben wird, die zu
uns kommen werden .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nein, nein, Bayern macht seine Hausaufgaben!)


Wie der Kollege gerade gesagt hat, ist Prinzip der CSU
eigentlich immer „Sachleistungen vor Geldleistungen“ .
Es ist interessant, dass das gerade hier jetzt nicht gilt .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die CSU vertraut den Familien!)


Auch hier muss gesagt werden: Die Kitas, die die Inte-
gration ermöglichen, brauchen diese Hilfe . Ich hätte es
gerne, wenn sich die CDU und die CSU an ihre eigenen
Vorschläge halten würden .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Da haben Sie hier etwas verwechselt!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813315500

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten

Gudrun Zollner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1813315600

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Im heute vor-
liegenden Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke lese ich
von wandelnden „Bedingungen für die Gründung von
Familien“, wandelnden Bedingungen für das „Leben
mit Kindern“ und wandelnden Bedingungen für eine
„moderne Familienpolitik“ . Natürlich wandeln sich die
Lebensbedingungen, aber die Bindung zwischen Mutter
und Kind wandelt sich nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller Kind, soll es auch geben!)


(Potsdam) [DIE LINKE]: Oder Vater und


Ich freue mich immer wieder, wenn ich Kolleginnen
begegne, die ihren Babybauch ganz stolz zeigen, und ich
bin mir sicher, dass jede junge Mutter ihr Kind gleich
nach der Geburt und in der frühen Lebensphase nur un-
gern in fremde Obhut gibt . Die Mutter-Kind-Bindung in
dieser Zeit ist mit nichts zu vergleichen und durch nichts
zu ersetzen . Bitte hören Sie auf, den jungen Müttern mit
Schlagwörtern wie „Heimchen am Herd“ und „Herdprä-

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


mie“ ein schlechtes Gewissen oder Schuldgefühle einzu-
reden, wenn sie sich dazu entschließen, mit den Kindern
zu Hause zu bleiben und die Erziehung selbst zu über-
nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen
ein klares Bekenntnis pro Familie, wir brauchen Wert-
schätzung, und wir brauchen Anerkennung für die groß-
artige Leistung, die Familien durch Erziehungsarbeit er-
bringen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Norbert Müller Dann können Sie auch Orden verteilen!)


Der wichtigen frühkindlichen Bildung steht doch
nichts im Wege, wenn ich mein Kind im Alter von drei
Jahren in einen Kindergarten gebe .


(Norbert Müller haben es nicht verstanden!)


Es ist dann immer noch genug Zeit zum Erlernen von
sozialen Kompetenzen und für die Sprachförderung, be-
vor das Kind in die Schule kommt . Unsere Erzieherinnen
in den Kitas leisten hervorragende, qualifizierte Arbeit,
die man mit der Betreuung in früheren Zeiten überhaupt
nicht mehr vergleichen kann .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Natürlich gibt es gute Gründe, die Angebote an Kin-
dertageseinrichtungen in Anspruch zu nehmen . Beson-
ders Alleinerziehende sind darauf angewiesen . Wenn sich
eine Frau für Kind und Karriere entscheidet, dann freut
mich das umso mehr . Es macht doch keinen Sinn – ich
persönlich finde es unfair –, Mütter, die zu Hause blei-
ben, und Mütter, die frühzeitig wieder zur Arbeit gehen,
gegeneinander auszuspielen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller gentlich nur um Mütter?)


(Potsdam) [DIE LINKE]: Warum geht es ei-


Genauso wenig macht es Sinn, das Betreuungsgeld
und den Kitaausbau gegeneinander auszuspielen . Wir
brauchen beides . Das ist moderne Familienpolitik .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hören wir endlich auf, in Schwarz und Weiß zu denken
und nur über Richtig oder Falsch zu debattieren .

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir in der
Union waren immer für eine echte Wahlfreiheit der Fa-
milien . Wir setzen für beide Modelle Anreize und haben
beide Seiten im Blick . Wir sind uns der Erziehungsleis-
tungen der Eltern bewusst .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unsere Intention war es daher immer, mit dem Be-
treuungsgeld denjenigen Eltern eine Anerkennung für
die heimische Erziehungsleistung zukommen zu lassen,
die nicht auf staatliche Einrichtungen zurückgreifen . An

dieser Zielsetzung hat sich bei uns auch durch das Urteil
des Bundesverfassungsgerichts nichts geändert .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Betreuungsgeld ist mit der Begründung für nichtig
erklärt worden, dass dem Bund die Gesetzgebungskom-
petenz hierfür nicht zusteht . Zur materiellen Vereinbar-
keit mit dem Grundgesetz hat das Gericht dagegen nichts
geäußert . Nur die Zuständigkeit wurde geändert, nicht
mehr und nicht weniger .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist daher nur richtig, dass die freiwerdenden Mit-
tel aus dem Betreuungsgeld nun den Ländern zur Verfü-
gung gestellt werden, um bedarfsgerechte Maßnahmen
zur Verbesserung der Kinderbetreuung umzusetzen . Wir
werden genau darauf achten, wie die Länder diese Gelder
verwenden . Deshalb fordern wir die Bundesregierung in
unserem Entschließungsantrag auf, darzustellen, wofür
die Länder diese Mittel einsetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Norbert Müller LINKE]: Wir auch! – Sönke Rix [SPD]: Sollen sie mal sagen, was sie mit unserem Geld machen!)


Der Freistaat Bayern geht mit gutem Beispiel voran .


(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung ist in
Bayern erfüllt; denn Bayern investiert in eine gute und
ausgewogene Familienpolitik . Hier nur einige Zahlen aus
den letzten Jahren: Rund 1,5 Milliarden Euro sind für den
Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige aus-
gegeben worden . Seit 2013 wurden jährlich 30 Millionen
zusätzlich für Bildung und Erziehung für Kinder unter
drei Jahren, einen personellen Zuwachs von 53 Prozent
für den quantitativen und qualitativen Ausbau und rund
7 Millionen Euro staatliche Förderung zur Qualifizierung
„Fachkraft in Kindertageseinrichtungen“ zur Verfügung
gestellt . Auch die Sprachförderung ist Bayern wich-
tig . Der Einsatz von Sprachberatern in Kitas wurde mit
11,8 Millionen Euro gefördert . Insgesamt übernimmt der
Freistaat Bayern 53 Prozent der für die Kinderbetreuung
notwendigen Mittel . In anderen Bundesländern sind es
durchschnittlich 39 Prozent . Das zeigt, es geht beides:
Betreuungsgeld und Kitaausbau .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weder die Parteien noch der Staat sollen Familien
bevormunden . Familien entscheiden selbst über ihre Le-
bensplanung . Deswegen soll die reale Wahlmöglichkeit
zwischen Betreuungsplatz und Betreuungsgeld


(Norbert Müller Geht real nicht!)


gegeben sein . Deswegen macht es Sinn, die freiwerden-
den Mittel den Ländern zur Verfügung zu stellen . Wir

Gudrun Zollner






(A) (C)



(B) (D)


sind davon überzeugt: Das Geld gehört den Familien,
und zwar allen,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


egal für welches Familienmodell sie sich entscheiden .

Bei uns in Bayern wird es ein Landesbetreuungsgeld
geben . Die Vorbereitungen laufen . Es wird sich zeigen,
wie andere Bundesländer ihre dort lebenden Familien
unterstützen . Es wird sich zeigen, ob diejenigen, die jetzt
am lautesten davon sprechen, die Kinderbetreuung unter-
stützen, die Mittel auch tatsächlich für Verbesserungen
für alle Familien einsetzen .

Wir lehnen eine Bevormundung der Väter und Mütter
ab .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb lehnen wir auch den vorliegenden Gesetzent-
wurf sowie die Anträge ab .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813315700

Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Dr . Dorothee Schlegel für
die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)


Vielleicht darf ich alle bitten, den Geräuschpegel et-
was zu senken .


Dr. Dorothee Schlegel (SPD):
Rede ID: ID1813315800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-
nächst einmal freue ich mich – gemeinsam mit Kolle-
gen Felgentreu – darüber, dass wir heute nicht mehr über
das Betreuungsgeld debattieren müssen, sondern endlich
über die Frage diskutieren können: Wohin mit dem frei-
werdenden Geld? Wir können nun noch präziser darüber
diskutieren, an welchen Stellen wir Kinder am besten un-
terstützen können .

Danke übrigens an unsere Familienministerin Manuela
Schwesig, die beharrlich und letztendlich erfolgreich da-
für gekämpft hat, dass die Mittel bei den Familien blei-
ben und nicht in den allgemeinen Bundeshaushalt gehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Gelder stehen nun den Ländern für Ausbau und
Verbesserung der Kinderbetreuung zur Verfügung . Die-
ses absolut nicht kinderleichte Milliardenpaket – ich
mache jetzt keine mathematischen Spielchen – motiviert
dazu, in der Kinderbetreuung weitere qualitative Schritte
zu gehen . Wohin genau, wissen bei genauer Bestandsauf-
nahme und Betrachtung das Bundesland, die Kommune,
die jeweiligen Träger und vor allem Erzieherinnen, El-
tern und Kinder . Braucht also eine Kommune einen Aus-
bau oder eine Renovierung der Kita? Geht es um neues
Spielzeug, bessere Stühle, einen Herd oder gar eine ganz
neue Küche? Brauchen die Kinder Sprachförderung oder

Bewegungsangebote? Oder brauchen Eltern mehr Bera-
tung oder die Fachkräfte mehr Zeit für die Kinder? Nicht
alles muss zentral geregelt werden . Aber der vom Bund
angestoßene Kitaqualitätsprozess hat bereits Kreise ge-
zogen . Er begann übrigens vor der Einführung und auch
unabhängig vom Betreuungsgeld .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gleiche Lebensverhältnisse für alle zu schaffen, lie-
be Kolleginnen und Kollegen zu meiner Linken, ist ein
hehres Ziel . Unsere Regionen, die Kinder, deren Förder-
und Lernbedürfnisse und deren Eltern sind zu verschie-
den, ob Stadt oder Land, ob Nord, Süd, Ost oder West .
Auch in vielen anderen Bereichen wird eine Angleichung
schwer . Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir bundes-
weite Mindestqualitätsstandards formulieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Unabhängig vom Betreuungsgeld haben wir zwischen-
zeitlich einiges erreicht, zum Beispiel die Einführung des
Elterngeldes Plus oder die des Kita-Plus-Programms,
das jetzt angelaufen ist . Die teilnehmenden Kitas kön-
nen ihre Öffnungs- und damit Betreuungszeiten flexibler
gestalten . Zielgruppen sind unter anderem Schichtarbei-
terinnen und Schichtarbeiter, Berufsrückkehrerinnen,
Selbstständige sowie Berufsgruppen, deren Arbeitszeiten
außerhalb der üblichen Kitaöffnungszeiten liegen . Ziel-
gruppe sind auch Alleinerziehende . Gerade für Allein-
erziehende – sie machen selbst in meinem ländlichen
Wahlkreis in Baden-Württemberg annähernd 20 Prozent
aus, darunter sind übrigens ein Fünftel Väter – sind diese
Öffnungszeiten eine große Entlastung .


(Beifall bei der SPD)


Sehr geehrte Damen und Herren, festzuhalten bleibt:
Der flächendeckende Ausbau der Kinderbetreuungsan-
gebote ist ein Erfolg der SPD . Mein Bundesland, sehr
geehrter Herr Kollege Rief, hat nach dem Regierungs-
wechsel hin zu Grün-Rot im Jahre 2011 enorm aufgeholt .


(Beifall der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das war nicht schon 2008, sondern erst 2011 . Von einem
der letzten Plätze gestartet, haben wir mittlerweile bun-
desweit den besten Betreuungsschlüssel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf diesen Erfolgen wollen wir uns aber nicht ausru-
hen, weder auf Landes- noch auf Bundesebene . Die Wei-
chen sind nun gestellt . Die Verhandlungen waren nicht
leicht . Und es gibt in Sachen Qualität noch viel zu tun,
aber bitte ein Schritt nach dem anderen .

Zum Schluss möchte ich ein aktuelles Papier der
Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem Titel erwähnen:
„Wie viel Mutter braucht das Kind?“ Es unterstützt un-
seren Weg . Darin heißt es: Gute Kitas ermöglichen neue
Lernerfahrungen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gudrun Zollner






(A) (C)



(B) (D)


fördern kognitive, sprachliche und soziale Fähigkeiten .
Auch für jüngere Kinder wird eine hochwertige Betreu-
ung bis zu 30 Stunden pro Woche für förderlich erachtet .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Sönke Rix [SPD]: Hört, hört: Adenauer-Stiftung!)


Nebeneffekt ist übrigens – auch das steht in dieser Stu-
die –, dass die Betreuung positive Folgen für die Berufs-
tätigkeit von Frauen und die Entwicklung der Kinder
habe .

Schön, dass all diese Entwicklungen durch die zusätz-
lichen Mittel einen weiteren Schub bekommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit können wir möglichst allen Kindern die Schritte in
ihre Zukunft wesentlich leichter machen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813315900

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir

kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der
Fraktion Die Linke zur Aufhebung des Betreuungsgel-
des . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/6200, den Gesetzentwurf der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5 abzulehnen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
abgelehnt . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gute Geschäftsordnung!)


Wir setzen die Abstimmung fort .


(Unruhe)


– Ich bitte um etwas Ruhe .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Ab-
stimmung zu der Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/6200 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6041
mit dem Titel „Betreuungsgeld für den Kitaausbau nut-
zen“ . Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstim-
mung verlangt . Bevor wir zur Abstimmung kommen,
möchte ich darauf hinweisen, dass wir auch zu dem an-
schließend folgenden Tagesordnungspunkt 11 eine na-
mentliche Abstimmung durchführen werden .

Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer,
ihre Plätze einzunehmen . – Sind alle Plätze an den Urnen
besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall . Ich eröffne die Ab-

stimmung über Buchstabe b der Beschlussempfehlung zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke .

Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimmkarte
noch nicht abgeben konnte? – Haben alle ihre Stimmkar-
ten abgegeben? – Ich sehe jetzt niemanden mehr . Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung der Stim-
men zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben .1)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen jetzt
noch eine weitere Abstimmung durchführen . Ich darf Sie
bitten, Platz zu nehmen . Wer unbedingt noch etwas bere-
den muss, macht das bitte außerhalb des Saales . Das gilt
auch für die Regierungsmitglieder .

Ich darf noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit bit-
ten; denn wir setzen jetzt die Abstimmungen zur Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/6200 fort . Unter
Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/6063 mit dem Titel „Betreuungsgeld in Kitas
investieren“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtli-
cher Bestimmungen

Drucksache 18/6160

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(10 . Ausschuss)


Drucksache 18/6438

Über den Gesetzentwurf wird später namentlich abge-
stimmt . Ich weise Sie darauf hin, dass zur Annahme des
Gesetzentwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundge-
setzes die absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen –
erforderlich ist .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Hermann Färber, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hermann Färber (CDU):
Rede ID: ID1813316000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren!


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813316100

Warten Sie noch ganz kurz, Herr Kollege . – Ich bitte

Sie, jetzt ein bisschen Rücksicht zu nehmen . Diejenigen,

1) Ergebnis Seite 12981

Dr. Dorothee Schlegel






(A) (C)



(B) (D)


die sich noch unterhalten möchten, tun das bitte außer-
halb des Saales . Denn der Kollege Färber hat es verdient,
dass wir ihm zuhören . – Danke schön .


Hermann Färber (CDU):
Rede ID: ID1813316200


Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine sehr geehr-
ten Damen und Herren! Wir beraten heute einen Gesetz-
entwurf zur Umsetzung des neuen Agrarmarktrechts der
Europäischen Union . Die von der EU beschlossene Ver-
ordnung zur gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte
umfasst insgesamt 183 Seiten des EU-Amtsblattes . Sie
besteht aus 207 Erwägungsgründen, 232 Artikeln und
14 Anhängen . Dazu kommen noch zahlreiche Durchfüh-
rungsverordnungen und delegierte Rechtsakte . Meine
Damen und Herren, Sie sehen: Entbürokratisierung bei
der europäischen Agrarpolitik ist und bleibt dringend
notwendig .

Aber nun zum Inhalt: Die Reform der gemeinsamen
Marktordnung geht grundsätzlich in die richtige Rich-
tung . Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass in einem
globalisierten Markt, wie wir ihn haben, direkte Inter-
ventionsmechanismen wie staatliche Mengenregulierung
nicht zufriedenstellend funktionieren . Sie mussten auch
in der Vergangenheit immer wieder geändert und nach-
justiert werden, und letztlich waren diese staatlichen Re-
gelungen immer zu langsam oder nicht spezifisch genug,
oder es wurde das eigentliche Ziel durch politische Kom-
promisse am Ende verfehlt .

Die Milchmengenregelung ist nur ein Beispiel dafür:
Trotz mehr als 40 Änderungsverordnungen in 30 Jahren
wurde nie das erreicht, was man sich zuvor davon erhofft
hatte . Deshalb gilt grundsätzlich auch für Lebensmittel:
In normalen Zeiten ist der Markt der beste Mechanismus
zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage . Diese Ori-
entierung am Markt ist richtig und wichtig . Trotzdem
muss die Politik im Fall von Marktstörungen noch Mög-
lichkeiten zum Eingreifen haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das setzen wir heute um . Es gibt Marktstörungen, die
nicht auf Überproduktion oder normalem Nachfrage-
rückgang beruhen . Im Gesetzentwurf sind solche Fälle
ausdrücklich genannt . Es handelt sich zum Beispiel um
Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung von Tier-
seuchen oder Marktstörungen, die auf einem akuten Ver-
trauensverlust bei den Verbrauchern infolge von Risiken
für die menschliche, tierische oder pflanzliche Gesund-
heit zurückzuführen sind . Wir alle kennen solche Fälle
der Berichterstattung über Risiken, zum Beispiel über
EHEC-Bakterien bei Biosprossen oder vermeintliche Ri-
siken wie Dioxinfunde in Eiern . In den Medien wird von
einem Einzelfall berichtet . Der Verbraucher verallgemei-
nert dies, und die gesamte Branche kann ihre Produkte
über einen gewissen Zeitraum hinweg nahezu gar nicht
mehr verkaufen, und das, obwohl die weit überwiegen-
de Zahl der Erzeuger überhaupt nicht von dem konkre-
ten Problem betroffen ist . Ein anderer Fall, bei dem die
EU-Kommission schon tätig geworden ist, sind die rus-

sischen Sanktionen im Agrarsektor . Auch hier liegt eine
Marktstörung vor .

Dass Politik in solchen Fällen reagieren kann, ist aus
zwei Gründen wichtig . Zum einen ist jedem klar: Die
Versorgung mit Lebensmitteln muss auf jeden Fall ge-
sichert werden . Zwar ist es für unsere Wirtschaft auch
schädlich, wenn etwa Zulieferteile für Autos nicht recht-
zeitig geliefert werden können . Aber die Ernährung un-
serer Bevölkerung hat noch immer einen wesentlich hö-
heren Stellenwert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aus diesem Grund sind hier Sicherheitsnetze für den
Ausnahmefall unverzichtbar .

Die Landwirtschaft in Deutschland genügt den welt-
weit höchsten Standards, was Umweltschutz und Qua-
lität der Lebensmittel angeht . Darum halten wir an un-
serem Leitbild der bäuerlichen Landwirtschaft fest, das
getragen ist von den Landwirten und ihren Familien vor
Ort . Das wollen wir dauerhaft sichern . Dazu benötigen
wir politische Handlungsmöglichkeiten in Krisenfällen,
auch zur Sicherung dieser von der Mehrheit der deut-
schen Bevölkerung gewünschten bäuerlichen Struktur .
Wir können diese Strukturen und das damit zusammen-
hängende Landschaftsbild nur dann erhalten, wenn die
Produktion in unserem Land bleibt und nicht ins Ausland
verlagert wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein wichtiger Ansatz im Gesetz ist die Möglichkeit,
dass in Krisenfällen nicht nur der Staat handeln darf, son-
dern auch Agrarerzeugerorganisationen Absprachen tref-
fen dürfen . So können sie sich zum Beispiel auf Markt-
rücknahmen oder die kostenlose Verteilung der Produkte
einigen und gemeinsame Absatzfördermaßnahmen oder
Qualitätsanforderungen beschließen . Das Wichtigste ist:
Dazu können sie zeitlich befristet vom Kartellverbot frei-
gestellt werden . Diese Einbindung der direkt Betroffenen
in die Problembewältigung ist nur zu begrüßen .

Die Unionsfraktion stimmt deshalb dem vorliegenden
Gesetzentwurf zu, und wir bitten auch Sie um Ihre Zu-
stimmung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813316300


Vielen Dank . – Bevor ich der nächsten Rednerin das
Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene
Stimmen 577 . Mit Ja haben gestimmt 461, mit Nein 60,
Enthaltungen 56 . Damit ist die Beschlussempfehlung an-
genommen .

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 577;
davon

ja: 461
nein: 60
enthalten: 56

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach

Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr . Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber

Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas

Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Gerd Müller
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski






(A) (C)



(B) (D)


Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser

Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar

Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel

Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel






(A) (C)



(B) (D)


Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

DIE LINKE

Jan van Aken

Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Pia Zimmermann

Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek

Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder, Frak-
tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813316400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit,
die Existenzgrundlagen derjenigen besser zu schützen,
die uns mit Lebensmitteln versorgen . Wenn dies mithil-
fe der seit dem 1 . Januar 2014 geltenden Gemeinsamen
Marktorganisation der EU ermöglicht wird, muss dies
endlich auch in deutsches Recht umgesetzt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Färber, der Markt wird es schon richten . – Genau
das ist der falsche Ansatz . Dann brauchten wir diese ge-
meinsame Ordnung nicht .

Die Bäuerinnen und Bauern sind heute mehr denn je
den Fliehkräften eines globalen Marktes ausgeliefert .
Die Profitgier großer lebensmittelverarbeitender Konzer-
ne und Handelsunternehmen macht auch vor den Ställen
und Äckern nicht halt . Der Druck auf die Erzeugerpreise
ist enorm . Da kann die kleinste Schwankung die Existenz
eines landwirtschaftlichen Betriebes gefährden .


(Beifall bei der LINKEN)


Künftig können die EU und die deutsche Regierung
die Betriebe unterstützen, wenn außergewöhnliche Um-






(A) (C)



(B) (D)


stände eintreffen . Dazu gehören Auswirkungen von
Tierseuchen oder die Beeinträchtigung durch Lebens-
mittelskandale, Ernteausfälle oder auch die großen Preis-
schwankungen, wie sie durch die Russland-Sanktionen
verursacht wurden . Abgesehen vom Wetter sind jedoch
die allermeisten außergewöhnlichen Ereignisse hausge-
macht . Preisschwankungen fallen meist nicht vom Him-
mel, sondern sind das Ergebnis einer neoliberalen Poli-
tik, die in erster Linie die kurzfristige Profitmaximierung
großer Konzerne bedient und auch nicht vor Spekulatio-
nen mit Lebensmitteln haltmacht .

Die Milchpreise sind im Keller, weil dieser Bundes-
regierung die Globalisierung heiliger ist als die Kuh . Die
Erzeugerpreise sind im Keller, weil ein marktmächtiges
Oligopol den Lebensmitteleinzelhandel beherrscht und
den Betrieben Dumpingpreise für ihre Erzeugnisse abnö-
tigt . Das Aldi-Prinzip ist zynisch und unmoralisch .


(Beifall bei der LINKEN)


So geht man nicht mit hart arbeitenden Bäuerinnen und
Bauern und auch nicht mit unser aller Lebensgrundlage,
den Lebensmitteln, um . Das Kartellrecht muss endlich so
gestaltet werden, dass die Marktmacht der großen Super-
marktketten gebrochen wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke sagt: Die Regierung und das Parlament
müssen für Fairness zwischen Erzeugern und Handel
sorgen . Selbst der Boden, die Grundlage jedes landwirt-
schaftlichen Betriebs, ist Preisspekulationen und Immo-
bilienspekulanten ausgeliefert . Wenn der Boden, seine
Bewirtschaftung und die Lebensmittelerzeugung globa-
len Profitinteressen zu folgen haben, hat das nichts mehr
mit den Menschen vor Ort zu tun . Dann stirbt der ländli-
che Raum, und dann ist das nicht mehr unser Land .

Die Linke will deshalb mehr regionale Wertschöp-
fung,


(Beifall bei der LINKEN)


von der Erzeugung über die Verarbeitung bis hin zu den
Verbraucherinnen und Verbrauchern . Die Bundesregie-
rung preist stattdessen den Agrarexport als das Allheil-
mittel . Fleisch und Milch sollen auf der Suche nach
höchstem Profit rund um den Globus geschickt werden.
Wir haben es hier aber nicht mit Fernsehern oder Han-
dys zu tun . Die allermeisten Lebensmittel könnten dort
erzeugt und verarbeitet werden, wo sie benötigt werden
und wo wir sie essen wollen . Lebensmittel müssten nicht
Zigtausende Transportkilometer hinter sich bringen, um
den Bedarf einer Bevölkerung zu decken .


(Beifall bei der LINKEN)


Doch die Marktgläubigkeit der Bundesregierung
kennt keine Grenzen . Mit den sogenannten Freihandels-
abkommen zwischen Europa und Nordamerika – CETA,
TTIP und Co . – sollen weitgehende Sonderrechte für in-
ternationale Konzerne geschaffen werden . Ich sage Ih-
nen voraus: Weder kleine oder mittelständische Betrie-
be noch die Verbraucherinnen und Verbraucher werden
davon profitieren, dass der Schwarzwälder Schinken
künftig aus Texas kommt . Ich sage Ihnen auch voraus:
Die außergewöhnlichen Maßnahmen, die wir heute be-

schließen, werden durch diese Abkommen für die land-
wirtschaftlichen Betriebe in Deutschland zur Regel und
zur Notwendigkeit .

Die Notwendigkeit zur Änderung der Agrarmarkt-
bestimmungen in der EU weist uns auf drei Dinge hin:
Erstens . Wenn es um unser Essen geht, müssen wir die
Kirche und den Markt im Dorf lassen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens . Globalisierungsgläubige Agrarpolitik rechnet
sich nicht . Drittens . Finger weg von CETA, TTIP und Co .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813316500

Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD-Fraktion

ist der Kollege Dr . Wilhelm Priesmeier .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1813316600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ach, Frau
Binder, hätten Sie doch die Kirche im Dorf gelassen .
Dann hätten Sie heute etwas Gutes getan .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Lauter!)


Ich frage mich allen Ernstes, was die Umsetzung der ge-
meinsamen Marktordnung in deutsches Recht – mit dem
ermöglichen wir erst die Anwendung in Krisensituatio-
nen –


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ich verstehe kein Wort!)


mit TTIP und globalisierten Märkten zu tun hat . Ich glau-
be, nicht so besonders viel .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir sind gehalten, für das geltende EU-Recht, das seit
dem 1 . Januar 2014 in Kraft getreten ist und das an sich
sowieso schon gilt, die Voraussetzungen zu treffen, da-
mit im Krisen- und im Notfall dieses Recht in Deutsch-
land anwendbar gemacht werden kann . Dazu bedarf es
letztendlich auch der Umsetzung des Artikels 220 der
EU-Verordnung Nr . 1308/2013 . Darauf bezieht sich im
Wesentlichen der Gesetzentwurf, den wir heute hier be-
raten .

Die Anwendung ist auf nationaler Ebene zu regeln .
Im Wesentlichen geht es darum, dass wir Verordnungs-
ermächtigungen des Marktorganisationsgesetzes, des
Agrarmarktstrukturgesetzes und des Weingesetzes ent-
sprechend anpassen – um nicht mehr, aber auch um nicht
weniger .

Ich glaube, dass wir gut daran tun, diesen Gesetzent-
wurf in diesem Hause mit breiter Mehrheit zu verab-
schieden . Ich glaube, es hat selten einen Gesetzentwurf
gegeben, der in namentlicher Abstimmung mit so großer
Mehrheit angenommen wird . Die Bundesländer haben
sich im Bundesrat dazu nach meinem Kenntnisstand po-

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


sitiv geäußert . Es hat keinen Widerspruch gegeben, auch
nicht aus dem Land Thüringen, wo die Linke die Land-
wirtschaftsministerin stellt . Insofern kann ich die Aufge-
regtheiten hier heute überhaupt nicht verstehen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Diese gesetzliche Regelung hat an sich nichts mit
mächtigen Monopolen und auch nichts mit Dumping
zu tun . Es geht darum, dass wir im Weiteren natürlich
auch bestimmte Vorgaben, sei es die Bezeichnung der
Bundesministerien, seien es entsprechende Vorschrif-
ten zum Datenschutz, anpassen . Es geht also um ganz
banale Dinge, die nicht zu Aufgeregtheiten taugen . Das
Marktorganisationsgesetz bedarf der Zustimmung der
Mehrheit des Deutschen Bundestages, weil wir mit die-
sem Gesetz die Möglichkeit schaffen, im Krisenfall, der
in absehbarer Zeit hoffentlich nicht eintritt, zum Beispiel
die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung,
BLE, oder auch die Bundesfinanzverwaltung mit der
Durchführung entsprechender Maßnahmen zu betrau-
en, und das in einem vereinfachten Verfahren, ohne die
Bundesländer dabei anzuhören . Auf der Grundlage von
Artikel 87 Absatz 3 unseres Grundgesetzes ist dafür die
Kanzlermehrheit erforderlich . Dieses Thema bietet we-
nig Raum, um sich hier partei- oder sonst wie politisch
zu positionieren . Es hat im Regelfall einen überwiegend
technischen Charakter .

Die Marktordnungsmaßnahmen sind zu gegebener
Zeit notwendig . Wir haben das gesehen . Der Kollege
Färber hat das eben schon einmal erwähnt . Im Hinblick
auf das russische Embargo hat es in bestimmten Berei-
chen, vor allen Dingen in den baltischen Ländern, Stö-
rungen des Milchmarktes vor Ort gegeben . Da ist das zur
Anwendung gekommen, aber auch nur bezogen auf diese
einzelnen Mitgliedstaaten . Voraussetzung ist immer, dass
ein Mitgliedstaat die Möglichkeiten des EU-Rechts in ei-
ner solchen Situation nutzt .

Ich erinnere noch einmal daran, wie es bei uns war, als
wir es mit der Vogelgrippe zu tun hatten . Damals haben
14 EU-Mitgliedstaaten diese Möglichkeit in Anspruch
genommen . Damals war der Markt kurz vor dem Zusam-
menbruch . Das schützt die Produzenten davor, dass sie
kurzfristig in Schwierigkeiten und in existenzielle Pro-
bleme geraten . Damals ging es darum, dass wir vorzei-
tig Zuchttiere oder auch legereife Hennen geschlachtet
haben, um das Angebot zu verringern . Das alles sind
Maßnahmen, die zulässig sind . Zu gegebener Zeit sollte
man sie auch ergreifen . Der EU-Haushalt trägt dazu bei,
dass diese Möglichkeiten genutzt werden können; denn
die Maßnahmen, die auf nationaler Ebene in Kraft ge-
setzt werden können, werden im Regelfall zu 60 Prozent
aus dem EU-Haushalt über den normalen Rahmen hinaus
mitgetragen .

Ein weiteres Beispiel ist die BSE-Krise; der ein oder
andere mag sich noch daran erinnern . Damals war es
unerlässlich, diese Regelungen anzuwenden, weil sonst
Ähnliches wie bei der Vogelgrippe in den Märkten pas-
siert wäre und viele Betriebe in akute wirtschaftliche Ge-
fahr geraten wären .

Im Grundsatz kann man sich über Marktordnungen
natürlich streiten . Wir haben die Marktordnungen einmal
eingeführt, um die Europäer mit qualitativ hochwertigen
Lebensmitteln dauerhaft versorgen zu können . Das war
in den 50er-Jahren . Zwischenzeitlich ist die agrarische
Produktion gewachsen, und zwar auf ein Maß, das wir
uns damals nicht vorstellen konnten . Wir haben diese
Politik begonnen, weil die marktregulierenden Eingrif-
fe letztendlich bis 1992 zu teuer geworden sind: Fast
70 Prozent des europäischen Haushaltes wurden für ent-
sprechende Subventionen und Marktordnungsmittel aus-
gegeben . Dem mussten wir entgegensteuern .

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es relativ wenige An-
sätze für Marktordnungseingriffe . Diese Eingriffe ent-
sprechen im Regelfall nicht mehr dem, was wir kennen:
Beispielsweise ist das Dumping 2007 mit der Abschaf-
fung der Exporterstattung weggefallen . Auch das stellt
also keine Gefahr mehr dar, Frau Binder – sie ist nicht
mehr da . Jetzt müssen Sie einmal schauen, wie das denn
in der Vergangenheit war .

Ich glaube, Markt, auch der Agrarmarkt, braucht klare
Vorgaben . Wir bewegen uns in einem Umfeld, in dem
die europäische Landwirtschaft, gerade auch unsere
Landwirtschaft, zunehmend durch Wettbewerb geprägt
ist . Da brauchen wir keine Angst zu haben . Wir brauchen
entsprechende Eingriffe nicht mehr unmittelbar . Mir ist
auch nicht bange um die Entwicklung der deutschen
Landwirtschaft und der deutschen Agrarwirtschaft .

Hier ist als Möglichkeit erwähnt worden, lokale Pro-
duktion, lokale Vermarktung zu fördern . Dazu sage ich
letztendlich: D’accord! Dagegen gibt es nichts zu sa-
gen . – Aber ich hoffe einmal, dass Marktordnungen in
Zukunft – zu der Einschätzung kommt man, wenn man
sich die Situation insgesamt anschaut – eine noch gerin-
gere Rolle spielen als heute .

Im Prinzip wollen wir uns nicht vom Weltmarkt ab-
schotten . Wir tun das aber in Teilen noch; das ist auch
Bestandteil dieser Marktordnung . Man könnte vielleicht
einmal darüber nachdenken, ob wir uns bestimmten Län-
dern verstärkt öffnen . Aber es gibt natürlich auch andere
Bedingungen, die man zu berücksichtigen hat: Es gibt
das Tierseuchenrecht, es gibt SPS-Abkommen . Beide
schützen uns davor, dass Krankheiten eingeschleppt wer-
den . All das muss man im Hinterkopf haben . Aber eine
pauschale Verurteilung von Marktordnungen kann ich
nicht nachvollziehen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813316700


Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege
Friedrich Ostendorff, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Hahn auf die Henne! Jetzt ist was los!)


Dr. Wilhelm Priesmeier






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit Januar 2014 gilt die neue EU-Verordnung zur Ge-
meinsamen Marktorganisation für landwirtschaftliche
Erzeugnisse . Diese Verordnung regelt unter anderem die
Umsetzung möglicher Maßnahmen, um auf Marktkri-
sen, zum Beispiel durch erhebliche Preisrückgänge, zu
reagieren . Wir Grüne stimmen dem vorliegenden Gesetz-
entwurf zu,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/ CSU]: Da kann man mal sehen, wer was kann!)


auch deshalb, damit das Gesetz endlich in Kraft tritt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz stehen
Sie, Herr Minister Schmidt – er muss allerdings gerade
Haushaltsgespräche mit Eckhardt Rehberg führen –,


(Heiterkeit)


aber auch in der Verantwortung, die Ihnen gegebenen
Möglichkeiten jetzt endlich einmal zu nutzen . Viele
von uns wissen doch, wovon ich spreche . Die augen-
blickliche Situation auf den Agrarmärkten ist katastro-
phal, besonders auf dem Milchmarkt mit den ständigen
Preisrückgängen . Wir Grüne haben immer wieder da-
rauf hingewiesen, dass die Preise auf dem Milchmarkt
die Kosten der Erzeugung bei weitem nicht decken, dass
wir dringend durchgreifende Maßnahmen brauchen, um
unseren Milchbäuerinnen und -bauern eine Zukunftsper-
spektive zu bieten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für diese unsere Sorge werden wir angefeindet . Uns wird
vorgeworfen, wir würden die schlechten Preise herbei-
reden .

An dieser Stelle möchte ich einmal das Ministerium
zitieren, das vor wenigen Tagen erklärte: Zusätzlich zum
andauernden weltweiten Rückgang der Nachfrage nach
Milch und Milcherzeugnissen insbesondere infolge des
Rückgangs der Ausfuhren nach Russland und China und
nach Ende der Milchquote ist es zu einer weiteren Belas-
tung des Milchmarktes gekommen . – Welche Einsicht!
Sehr spät! Warum haben wir nicht darüber geredet? War-
um haben Sie immer erklärt, dass die Grünen im Unrecht
sind und keine Ahnung vom Markt haben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen endlich weiter gehende Schritte als
den, 70 Millionen Euro an Liquiditätshilfen auszuschüt-
ten . Wir stehen vor einem Strukturbruch, Herr Minister
Schmidt – er hört immer noch nicht zu; das ist auch egal;
Sie können es ihm erzählen –,


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das weiß der schon alles!)


wenn Sie nicht endlich handeln . Denn was kommt nach
den 70 Millionen Euro? Mit planlosem Geldverteilen mit
der Gießkanne, wie Sie es machen, bekämpfen wir nicht

die Ursachen der Preismisere; denn die Krise ist eine
strukturelle,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


wenn inzwischen selbst hoch geförderte Wachstumsbe-
triebe aufgeben müssen .

Neuseeland und Irland produzieren zu niedrigeren
Kosten als Deutschland, weil sie auf konsequente Grün-
landnutzung setzen, darauf ihre Produktion gründen . Das
deutsche Patentrezept dagegen ist: Investitionen in im-
mer größere Ställe, Konzentration der Tierhaltung in we-
nigen Regionen mit immer stärker auf Mais und Soja ge-
stützter, oft flächenunabhängiger Produktion, aber eben
auch massive Exportbeihilfen mit deutschem Steuerzah-
ler geld . Dem Problem der Exportbeihilfen wird man sich
noch an anderer Stelle zu widmen haben .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Rechnung
geht nicht auf . Wir brauchen ein Umdenken . Wir müssen
uns von dem Wahn lösen, die Welt mit deutscher Billig-
milch und deutschem Billigfleisch zu überfluten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen müssen wir die Milcherzeugung für unseren
heimischen Markt auf Grünland und die Verarbeitung
in den Regionen zu guten, leckeren und regionalen Pro-
dukten fördern . Wir als Grüne wollen nicht die weitere
Konzentration entlang der Überseehäfen, damit sich So-
jaschrot aus Brasilien zu Milchpulver für China verwan-
delt, wo die Wiese zum Maisacker wird, und die Gülle in
endlosen Lkw-Karawanen in die entlegensten Regionen
verklappt wird. Nein, wir wollen die konsequente Grün-
landnutzung, die Kuh auf der Weide und den Erhalt der
Milcherzeugung in der Fläche . Wir Grünen wollen den
Erhalt der Kulturlandschaft, den Erhalt der bäuerlichen
Landwirtschaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg . Gitta Connemann [CDU/ CSU])


Dafür, Frau Connemann, müssen wir eine Landwirt-
schaft fördern, die Vielfalt und gute Lebensmittel schafft .

Herr Minister, nutzen Sie die Möglichkeiten, die die-
ses Parlament Ihnen heute gibt . Handeln Sie endlich
einmal . Wir befürchten: Leider wird auch dieser Appell
nutzlos bleiben und verhallen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nee! Nein!)


Wertvolle Zeit für viele vom Untergang bedrohte bäuer-
liche Betriebe wird weiter verstreichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813316800

Vielen Dank . – Als Nächste spricht jetzt die Kollegin

Marlene Mortler, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1813316900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Grünen, lieber Kollege Ostendorff, wer-






(A) (C)



(B) (D)


den nicht angefeindet, weil sie anders über den Markt
denken als wir, sondern weil ihr es euch zur Aufgabe
gemacht habt, Landwirtschaft, Bäuerinnen und Bauern
pauschal schlechtzureden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir leben in einer Zeit, in der wir alle brauchen – auch
unsere Bäuerinnen und Bauern . Wir haben Herausforde-
rungen zu bewältigen – Stichworte „Flüchtlingskrise“,
„weltweite Hungerkrisen“ – bei der jeder Bauer, jede
Bäuerin gefragt ist . Das war der emotionale Aspekt .

Heute reden wir eigentlich über ein Artikelgesetz,
das wirklich wenig spannend ist, etwa wenn man daran
denkt, dass es um die Angleichung der Benennungen der
Bundesministerien an den Status quo oder andere un-
spektakuläre Dinge geht .

Andererseits hat das Gesetz auch eine weiter gehen-
de Bedeutung . Es schafft nämlich die Voraussetzung für
die Durchführung der in der Gemeinsamen Marktorga-
nisation vorgesehenen außergewöhnlichen Maßnahmen
zur Marktstützung . Die Kommission kann zum Beispiel
dann zu Stützungsmaßnahmen auf den Märkten für tieri-
sche Produkte greifen, wenn Tierseuchen zu einem Ab-
sturz der Erzeugerpreise führen oder die Verbraucher aus
solchen Gründen restlos verunsichert sind – Ehec war
zum Beispiel so ein Fall –, und sie kann die Regeln der
Marktordnung an die Bedürfnisse in Krisenzeiten anpas-
sen .

Diese Bestimmungen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, sind richtig . Dass wir in Deutschland die Voraus-
setzungen für ihre Anwendung schaffen müssen, steht
deshalb außer Frage . Ich möchte deshalb Sie alle an die-
ser Stelle um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Ge-
setzentwurf bitten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Richtig spannend ist der Entwurf, weil er deutlich
macht, wie sehr im Agrarsektor Markt und Marktverant-
wortung zusammengehören . Das ist in diesem Jahr ein
hochaktuelles Thema . Kaum ein Jahr hat weite Teile der
deutschen Landwirtschaft so gefordert wie dieses . Erst
gab es einen Einbruch der Erzeugerpreise für Milch,
Schweinefleisch und Zucker, dann eine Hitze- und Dür-
reperiode, wie sie viele von uns noch nicht erlebt haben .
In Unterfranken mussten zum Beispiel viele Betrie-
be nicht nur schmerzhafte Ernteeinbußen verkraften,
nein, die Ernteausfälle lagen teilweise sogar bei 70 bis
100 Prozent .

Was macht ein Familienbetrieb, von dem zwei, drei
Generationen leben, in einem solchen Jahr? Er lebt von
der Substanz, wenn er welche hat . Er macht Schulden,
wenn das noch geht . Er schnürt den Gürtel so eng wie
möglich und versucht, mit geringen Einnahmen und Di-
rektzahlungen zu überleben, oder er schließt, wenn die
Politik nicht handelt, seine Tore .

Ich will eine Landwirtschaft, meine Damen und Her-
ren, in der nicht nur Große den Ton angeben, sondern

in der auch bäuerliche Familienbetriebe in Zukunft eine
Chance haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Richtig! Guter Anspruch!)


Das hat nichts mit Romantik zu tun . Vielmehr macht es,
wie ich meine, die Vielfalt, die gute Mischung . Es ist des-
halb wichtiger denn je, unseren Dörfern ihre landwirt-
schaftlichen Betriebe zu belassen . Bauernhöfe sind die
Lebenslichter . Für manche sind sie die Seele ländlicher
Regionen . Deshalb können wir aus diesem langsam dem
Ende zugehenden Jahr einige klare Botschaften mitneh-
men .

Erstens . Direktzahlungen für die Landwirtschaft sind
wichtiger denn je . Nur so sind kleine und mittlere Betrie-
be in der Lage, immer neue Anforderungen zu erfüllen .
Nur so können sie den besonderen Schwankungen der
Agrarmärkte gerecht werden .

Zweitens . Wie gut, dass wir in Deutschland eine Ge-
meinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur
haben . Wir können diese um eine Förderung der ländli-
chen Räume erweitern, doch ihren landwirtschaftlichen
Kern dürfen wir nicht infrage stellen .

Drittens . Es ist richtig, die Zuschüsse zur landwirt-
schaftlichen Unfallversicherung sukzessive zurückzu-
führen, aber noch nicht in diesem Jahr . Lassen Sie uns
den Bundeszuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallver-
sicherung noch einmal anheben .

Viertens . Wir brauchen eine aktive EU-Kommission,
die im Fall von Marktkrisen handelt, die unsere Inter-
essen gegenüber Russland vertritt, die – unser Agrar-
minister Christian Schmidt hat das nach erfolgreichen
Verhandlungen erreicht – Mittel aus der Superabgabe
für Krisenmaßnahmen bereitstellt und die – hier schließt
sich der Kreis – im Ernstfall das Instrumentarium der
Gemeinsamen Marktordnung nutzt . Das ist gut, aber das
kann sie nur, wenn der zur Abstimmung stehende Ge-
setzentwurf angenommen wird . Deshalb bitte ich noch
einmal um Ihre Zustimmung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813317000

Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen dann zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen . Der Aus-
schuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6438,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/6160 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Niemand . Wer enthält
sich? – Niemand . Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenom-
men .

Marlene Mortler






(A) (C)



(B) (D)


Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Nach Artikel 87 Absatz 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die
absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen – erforder-
lich . Wir stimmen nun über diesen Gesetzentwurf na-
mentlich ab .

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? – Alle besetzt . Dann eröffne ich die
Abstimmung .

Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stimm-
karte noch nicht abgeben konnten? – Ich sehe, alle ha-
ben jetzt ihre Stimmkarte abgegeben . Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, auszuzählen . Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen später bekannt gegeben .1)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Ihre
Plätze einzunehmen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Fran-
ziska Brantner, Omid Nouripour, Tom Koenigs,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kein Frieden und keine Stabilität ohne Men-
schenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für
eine weitsichtige europäische Nachbarschafts-
politik gegenüber den Staaten Nordafrikas

Drucksache 18/6551
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Dr . Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und
Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher! Heute ist
eigentlich ein guter Tag, um uns mit Nordafrika zu be-
fassen . Der tunesische Ministerpräsident Habib Essid hat
vor wenigen Stunden Bundeskanzlerin Merkel getroffen .
Und Tunesien ist das Land, das uns beim Blick auf den
Raum Nordafrika noch Hoffnung gibt .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813317100

Frau Kollegin, einen Moment . – Ich bitte jetzt alle, die

sich dort hinten unterhalten, den Saal zu verlassen .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, der Verkehrsminister Dobrindt! – 1)


Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ruhe oder raus!)

So, Frau Kollegin Brantner, jetzt können Sie weiter-
reden .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke schön . Das war sehr nett . Dann fange ich jetzt
noch mal an . – Tunesien ist also der Hoffnungsstrahl, den
wir noch sehen . Diese Hoffnung kulminierte gleichsam
in der Verleihung des Friedensnobelpreises an das tunesi-
sche Dialog-Quartett . Ich glaube, da müssen und können
wir noch wesentlich mehr tun .


(Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bis jetzt haben wir viel beim Polizeiaufbau und bei der
Kooperation im Bereich der Terrorismusbekämpfung ge-
leistet .

Bei dem, was Tunesien jetzt braucht, nachdem der
Tourismus aufgrund der Anschläge eingebrochen ist,
nämlich Hilfe für seine Wirtschaft und Vereinfachun-
gen beim Export in unseren gemeinsamen europäischen
Markt, können wir aber noch wesentlich mehr tun . Wir
wissen, dass es schwierig ist, innerhalb der Europäischen
Union Mehrheiten dafür zu bekommen, weil die Spani-
er, die Italiener und die Portugiesen natürlich darunter
leiden würden, wenn die Orangen billiger aus Tunesien
importiert würden, als sie bei ihnen zu haben sind . Das
ist aber klassisch für die Europäische Union: Wenn es
uns wichtig ist, dass Tunesien stabilisiert wird und stabil
bleibt, und wenn es dafür wirtschaftliche Hilfe braucht,
dann müssen wir bei Ländern in der EU, die von den
Maßnahmen betroffen sind, für einen Ausgleich sorgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Egon Jüttner [CDU/CSU])


Das ist nichts Neues . Wir haben Milliarden für die Agrar-
politik . Vielleicht könnten wir sie gezielt einsetzen, um
Tunesien auf seinem schwierigen Weg zu begleiten .

Wir müssen auch über die Zustimmung zu den Her-
mesbürgschaften für den Siemens-Deal mit Ägypten
gestern im Haushaltsausschuss sprechen . Es geht um
Milliarden für Kraftwerke . Leider entsprechen diese
nicht wirklich den ökologischen und sozialen Kriterien;
diese wurden sehr gedehnt . Man muss auch erwähnen, in
welchem Kontext sie geschlossen wurden . Es ging ja um
mehr als nur um Kraftwerke .

Damit komme ich zum Kern unseres vorliegenden
Antrages, nämlich zu der Frage, wie man momentan
mit den Ländern in Nordafrika, deren Regierungen nicht
auf dem Weg der Demokratisierung sind oder sich auch
nicht mehr dahin bewegen wollen, umgeht . Was wir mo-
mentan beobachten und was uns Sorge bereitet, ist, dass
man bereit ist, auf dem Altar der Flüchtlingsbekämpfung
alles preiszugeben . Um den Preis, dass die Flüchtlinge
dort zurückgehalten, aufgefangen oder zurückgewiesen
werden, ist man bei uns bereit, jegliche Menschenrechts-
ansätze aufzugeben . An den Beispielen Türkei, el-Sisi in
Ägypten und Libyen sieht man, dass man schnell vor-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


ankommen möchte und die Augen vor dem verschließt,
was vor Ort passiert . Wir glauben, dass dies schon unter
Mubarak, Ben Ali und Gaddafi die falsche Politik war.

Wir halten es auch jetzt für falsche Politik, nur noch zu
sagen: Wir setzen auf die Stabilität dieser Länder . Denn
das ist eine Scheinstabilität, das ist eine Friedhofsruhe,
aber keine echte Stabilität .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Kurs ist gescheitert; aber für ihn haben wir jetzt
aufgrund der Flüchtlingskrise anscheinend wieder Be-
geisterte . Wir sehen das auf europäischer Ebene . Erst
besucht Frau Mogherini Ägypten, dann wird el-Sisi in
London willkommen geheißen, ohne dass man darüber
spricht, dass die Zivilgesellschaft in seinem Land keiner-
lei Chancen mehr hat . Trotzdem hat Ägypten mittlerwei-
le wieder unsere komplette Unterstützung. Ich finde, das
Minimum für europäische Unterstützung muss sein, dass
eine Zivilgesellschaft, auch eine kritische Zivilgesell-
schaft, vor Ort existieren darf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das muss gewährleistet sein, bevor die Länder Gelder
von uns bekommen . Das ist das Minimum, das wir er-
warten .

Ich wünsche mir wirklich, dass wir nicht die Fehler
der Vergangenheit wiederholen, sondern bei unserer Hal-
tung zu Menschenrechten bleiben, intern wie extern .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813317200

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege

Dr . Egon Jüttner, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Egon Jüttner (CDU):
Rede ID: ID1813317300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Es ist von jeher Praxis der Europäischen Uni-
on gewesen, mit ihren unmittelbaren Nachbarn im Osten
und im Süden einen intensiven Dialog zu führen . Ziel
des Dialogs und der Zusammenarbeit auf politischer,
wirtschaftlicher, sozialer und humanitärer Ebene ist die
Förderung des demokratischen Gedankens in diesen
Ländern . Unbestritten ist, dass Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit grundlegende Bestandteile demokra-
tischer Strukturen sind . Für den Dialog mit den Staaten
Nordafrikas waren Menschenrechte und Rechtsstaat-
lichkeit schon bisher grundlegende Faktoren der in den
Jahren 2003/2004 entwickelten Europäischen Nachbar-
schaftspolitik, ENP . Als CDU/CSU-Fraktion treten wir
dafür ein, im Rahmen unserer werteorientierten Außen-
politik diese Gewichtung bei der strategischen Nachbar-
schaftspolitik weiterhin beizubehalten .

Sehr geehrte Damen und Herren, die Europäische
Nachbarschaftspolitik zielt darauf ab, eine möglichst
enge bilaterale politische und wirtschaftliche Bindung
zwischen der EU und den einzelnen Partnerstaaten auf-

zubauen . Diese Bindung soll auf gemeinsamen Wer-
ten und Interessen basieren, nämlich auf Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit sowie Respektierung und Einhaltung
der Menschenrechte . Im Rahmen von Aktionsplänen
zwischen unseren Partnerländern und der Europäischen
Union kann Europa die spezifische Situation in den ein-
zelnen Ländern beurteilen, auf Veränderungen schnell
reagieren und individuelle Strategien zur Erreichung des
angestrebten Ziels entwickeln .


(Beifall des Abg . Michael Kretschmer [CDU/ CSU])


Die finanzielle Ausstattung der Europäischen Nach-
barschaftspolitik durch das Europäische Nachbarschafts-
instrument, ENI, ist umfangreich . Sie wurde von 13 Mil-
liarden Euro für die Jahre 2007 bis 2013 auf nunmehr
15 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020 an-
gehoben . Diese Hilfeleistungen und der Zugang zu den
Märkten der Europäischen Union, der den 16 Partnerstaa-
ten ein jährliches Handelsvolumen von über 200 Milliar-
den Euro ermöglicht, erlauben es uns Europäern, unsere
Vorstellungen von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit
und Demokratie gegenüber unseren Partnern einzufor-
dern .

2011 wurde die Europäische Nachbarschaftspolitik
als erste Reaktion auf den Arabischen Frühling einer
Revision unterzogen . Ergebnis dieser Revision war eine
stärkere Fokussierung auf die sogenannte nachhaltige de-
mokratische Entwicklung, was sich in freien und fairen
Wahlen, in dem Recht auf freie Meinungsäußerung, in
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, in der Unab-
hängigkeit der Gerichte und im Kampf gegen Korrupti-
on widerspiegeln sollte . Man verständigte sich auf das
„More for more“-Prinzip, durch das die Unterstützung
für die Partnerstaaten stärker an Bedingungen geknüpft
wurde . In der Praxis bedeutet das, dass diejenigen Länder
in eine engere Bindung zur Europäischen Union treten
können, in denen der Reformprozess weiter fortgeschrit-
ten ist .

Das „More for more“-Prinzip, meine sehr geehrten
Damen und Herren, ist Konsequenz der flexiblen Grund-
lagen der Europäischen Nachbarschaftspolitik . Diese ist
bilateral organisiert; denn nicht alle Partnerstaaten be-
finden sich auf einer einheitlichen politischen oder wirt-
schaftlichen Entwicklungsstufe .

Wir halten das „More for more“-Prinzip vom Ansatz
her nach wie vor für richtig . Leider hat sich die mittel-
fristige Entwicklung in einigen Staaten Nordafrikas seit
2011 so gestaltet, dass an diesem Grundsatz nicht unein-
geschränkt festgehalten werden kann . Dies ist jedenfalls
dann nicht möglich, wenn Europäische Nachbarschafts-
politik ihre Flexibilität bewahren möchte . Wir müssen
den Tatsachen ins Auge schauen . Die Länder, in denen
der Reformprozess gut vorankommt, verdienen unsere
Anerkennung und unsere weitere Unterstützung . Wir
dürfen aber gleichzeitig diejenigen Länder und Gesell-
schaften, die sich von den Werten Europas derzeit eher
wegbewegen, nicht abstrafen, sondern wir müssen un-
sere Anstrengungen intensivieren, damit auch dort De-
mokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Men-
schenrechte gewährleistet werden .

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


Die Ereignisse in Syrien, die Flüchtlingskrise, der
sich Europa derzeit ausgesetzt sieht, sowie die innenpo-
litischen Entwicklungen etwa in Ägypten und in Liby-
en erfordern eine erneute Anpassung der Europäischen
Nachbarschaftspolitik . Dabei steht außer Zweifel, dass
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ihren Stellen-
wert auch nach der Anpassung behalten müssen . Als
CDU/CSU sind wir der Auffassung, dass nur die Ein-
haltung der Menschenrechte und die Anwendung rechts-
staatlicher Prinzipien einen dauerhaften Frieden und dau-
erhafte Stabilität garantieren können .

In Libyen beispielsweise sollte unser Fokus in erster
Linie auf der Befriedung des Landes, auf dem Aufbau
staatlicher Strukturen und auf der Sicherung der Grenzen
liegen . Nur wenn dies gewährleistet ist, können wir dem
Land dabei helfen, den Nährboden für Menschenrechte
und Rechtsstaatlichkeit bereitzustellen . Für vertragliche
Beziehungen in Form eines eigenen Aktionsplans ist die
Lage im Land noch zu instabil . Die Finanzierung einzel-
ner zivilgesellschaftlicher Projekte kann jedoch durchaus
in Angriff genommen werden . In den Königreichen Jor-
danien und Marokko ist nicht die fehlende Staatlichkeit
das Problem . Europa kann diese Länder aber bei der
Ausweitung des menschenrechtlichen Dialogs und der
Diversifizierung ihrer Wirtschaft unterstützen.

Wir können nicht erkennen, dass Europa nicht weiter
nachdrücklich Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit
von seinen Partnern im nördlichen Afrika einfordert .
Im Falle von Ägypten haben wir durchaus deutlich auf
Mängel im Vorfeld der Präsidentenwahlen hingewiesen .
Dies schloss berechtigte Kritik an der Pressefreiheit mit
ein . Wir haben Bedenken hinsichtlich verschiedener neu-
er Gesetze geäußert, etwa hinsichtlich des Gesetzes zu
Nichtregierungsorganisationen oder der Vereinfachung
der strafrechtlichen Verfolgung von Organisationen der
Zivilgesellschaft . Ich sage an dieser Stelle auch, dass es
der falsche Weg für Ägypten ist, die Handlungsfähigkeit
wichtiger Akteure der Zivilgesellschaft einzuschränken .
Wenn von ägyptischer Seite Interesse an der Intensivie-
rung der Zusammenarbeit besteht, müssen die Unabhän-

gigkeit der Justiz ausgebaut und die Zuständigkeit der
Militärgerichtsbarkeit eingeschränkt werden .

In allen Ländern sollten gerade wegen der Instabili-
tät staatlicher Institutionen auch zivilgesellschaftliche
Akteure verstärkt unsere Partner werden . Dies ist eine
wichtige neue Fokussierung der Europäischen Nachbar-
schaftspolitik . Die Schwäche staatlicher Institutionen
sollte Europa nicht zwingend zum Anlass nehmen, sein
Engagement in den betroffenen Ländern zurückzufahren .
Ganz im Gegenteil: Wir sollten diejenigen Kräfte stär-
ken, die für die Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen
Länder oft die einzigen Bezugspunkte darstellen . So
kann Europa klarmachen, dass es – unabhängig von ne-
gativen politischen Entwicklungen – konstant an der Sei-
te der Menschen steht und die Zivilgesellschaften stärkt .
Den politischen Eliten unserer Partnerländer geben wir
damit zu verstehen, dass sie für uns nicht die einzigen
Ansprechpartner sind .

Wir sind der Auffassung, dass die Bundesregierung
gemeinsam mit ihren europäischen Partnern auch in Zu-
kunft mit Nachdruck auf die Bedeutung von Menschen-
rechten und Rechtsstaatlichkeit hinweisen muss, damit
Frieden und Sicherheit gewährleistet werden können . In
der Neuausrichtung der Europäischen Nachbarschafts-
politik auf zivile Akteure in unseren Partnerländern in
Nordafrika sehen wir einen wichtigen Ansatz, der nicht
im Widerspruch zum Bekenntnis für Menschenrechte
und Rechtsstaatlichkeit steht .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813317400

Vielen Dank . – Ich darf Ihnen das von den Schriftfüh-

rerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen
bekannt geben: abgegebene Stimmen 577 . Mit Ja haben
gestimmt 577 . Damit hat der Gesetzentwurf die erforder-
liche Mehrheit .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 579;
davon

ja: 579
nein: 0
enthalten: 0

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann

Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl

Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber

Dr . Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens

Dr. Egon Jüttner






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr . Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb

Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister

Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Gerd Müller
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)


Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner

Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann

Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer

Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte






(A) (C)



(B) (D)


Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel

Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke

Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu

Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Knapp!)


Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger, Frak-
tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813317500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seien

wir ehrlich: Die Europäische Nachbarschaftspolitik mit
Nordafrika beschränkt sich aktuell weitgehend auf die
Abwehr von Flüchtlingen, oft unter dem Vorwand von
Terrorbekämpfung . Dabei haben die Europäische Union
und die Bundesregierung schon immer mit autoritären
Regimen in der Region kooperiert . Weder Menschen-
rechte noch Demokratie oder soziale Verbesserungen für
die Armen haben dabei eine Rolle gespielt .

Nach den arabischen Aufständen im Jahr 2011 auch
gegen Bündnispartner der EU und der Bundesregierung,
Mubarak und Ben Ali, sollte die Nachbarschaftspolitik
Süd neu ausgerichtet werden . Unterstützung sollte es nur
noch geben, wenn auch Reformschritte umgesetzt wür-
den . Nun sollte man denken, es gehe der EU um eine De-
mokratisierung der Staaten des Südens, um Würde und
soziale Gerechtigkeit, wie von den Menschen gefordert .
Aber bei genauem Hinsehen stellt sich das leider als Far-
ce heraus .

Die EU verlangt neoliberale Reformen zur Öffnung
der Märkte der Region . Diese werden dann mit billigen
europäischen Produkten überschwemmt . Auch Kürzun-
gen von Subventionen und Sozialleistungen werden ver-
langt . Das alles verstärkt Fluchtursachen . Millionen von
Menschen versuchen, der bitteren Armut und den Dikta-

toren zu entfliehen. Der Umgang der EU und der BRD
damit ist zynisch .


(Beifall bei der LINKEN)


Statt den Fliehenden zu helfen, wird die europäische
Migrationskontrolle, die für Tausende Tote pro Jahr ver-
antwortlich ist, immer weiter nach Süden ausgeweitet .
Es werden Sicherheitsexperten nach Ägypten, Algerien
und Tunesien geschickt . Es werden Einzelabkommen mit
Staaten der Region geschlossen, die unter dem Vorwand
der Terrorabwehr in der Bekämpfung von Flüchtlingen
münden . Bis vor kurzem sollten noch sogenannte Will-
kommenslager in der afrikanischen Wüste eingerichtet
werden . Die Bundeswehr wird ins Mittelmeer geschickt,
um Schiffe zu beschlagnahmen und zu zerstören, wie
Herr de Maizière sagte, und höchstens nebenbei Men-
schen aus Seenot zu retten .

In der Türkei, einem weiteren Land der Europäischen
Nachbarschaftspolitik, führt die Regierung Erdogan ei-
nen Bürgerkrieg gegen die Kurdinnen und Kurden . Aber
die Bundesregierung und die Kanzlerin verlieren kein
Wort darüber, sondern erklären die Türkei zum zuver-
lässigen Partner bei der Abschreckung von Flüchtlingen .
Die Türkei ist kein sicheres Herkunftsland!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das grundlegende Ziel der Europäischen Nachbar-
schaftspolitik ist es, den Zugang zu lokalen Märkten für
europäische Produkte zu erleichtern und bei der Kontrol-
le der Rohstoffe im Spiel zu bleiben . Von der in diesem
Spiel sehr erfolgreichen deutschen Firma Wintershall
gibt es einen Werbeslogan, den die Bundesregierung






(A) (C)



(B) (D)


übernehmen könnte: Wenn unsere Angestellten reisen,
bringen sie immer etwas nach Hause mit . Meistens ist
das Öl oder Gas . – „Und Waffengeschäfte“ möchte die
Koalition sicher ergänzen .

Für die Waffenhersteller Heckler & Koch, Rheinme-
tall, ThyssenKrupp und Krauss-Maffei Wegmann hat die
Region eine besondere Bedeutung, und die Bundesregie-
rung hilft ihnen bei ihren Geschäften . Das autokratische
Regime in Algerien bekommt eine komplette Panzerfa-
brik . Die Militärdiktatur in Ägypten erhält modernste
U-Boote, ebenso Israel . Saudi-Arabien und Katar wer-
den weiterhin, wenn auch mit Bedenken, mit schweren
Waffen beliefert, obwohl sie im Krieg im Jemen deutsche
Panzer einsetzen und zum Beispiel ein Krankenhaus der
„Ärzte ohne Grenzen“ bombardiert wurde .

Jeden Tag sterben Menschen. Jeden Tag flüchten Tau-
sende weitere vor den Kriegen und dem Hunger, für die
auch Europa Verantwortung trägt, sei es durch die Ko-
lonialpolitik der vergangenen 100 Jahre oder durch die
Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte . Wie viel
Zukunft hat eine solche Politik?

Notwendig wäre eine Politik auf Augenhöhe, eine
Kooperation im Interesse der wirtschaftlichen und sozi-
alen Teilhabe und der Gerechtigkeit vieler – und nicht
Ausbeutung und Waffengeschäfte im Interesse einzel-
ner Unternehmer . Wir brauchen Partnerschaften mit den
Menschen der Region, nicht mit den Regimen . Ob die
EU dabei eine Hilfe sein kann, bleibt offen . Als Nachbar
würde ich mir aber angesichts der Zerstörung ziviler In-
frastruktur und der Verelendung großer Teile der Bevöl-
kerung Griechenlands durch die EU keine großen Hoff-
nungen auf die EU machen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813317600

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabriela Heinrich (SPD):
Rede ID: ID1813317700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Menschen-
rechte und Rechtsstaatlichkeit in Nordafrika sind nicht
nur für die 200 Millionen Menschen, die in dieser Re-
gion leben, äußerst wünschenswert . Auch für uns in Eu-
ropa haben demokratische, friedliche und wirtschaftlich
gesunde Länder nur Vorteile . Kultureller Austausch,
wissenschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche
Chancen sind drei Beispiele, die mir einfallen – jenseits
von Flüchtlingen, die zu uns kommen könnten .

Aber wie können Rechtsstaatlichkeit, Demokratisie-
rung, Menschenrechte und alles, was noch dazugehört,
in Nordafrika gestärkt werden? Ihr Antrag enthält viel
Richtiges . Auch ich sehe die Gefahr, dass das neue Anti-
terrorgesetz in Tunesien zivilgesellschaftliches Engage-
ment hemmen könnte . Auch ich teile die Einschätzung,

dass sich Algerien mehr öffnen könnte . Auch ich bin da-
für, dass die erfolgreichen Transformationspartnerschaf-
ten des Auswärtigen Amtes fortgeführt werden . Aber
kann man wirklich sagen – Sie haben das in Ihrer Rede
ja wiederholt –, dass die Europäische Nachbarschafts-
politik – kurz: ENP – auf dem Weg ist, eine trügerische
Friedhofsruhe diktatorischer Systeme gutzuheißen?

Ich sehe eine Vielzahl an EU-Programmen und -Pro-
jekten, die auf den Rechtsstaat, auf Demokratisierung und
auf die Stärkung der Zivilgesellschaft abzielen . Wenn ich
mir die EU-Programme anschaue, die zur ENP gehören,
dann sehe ich, dass vieles den Forderungen Ihres Antra-
ges entspricht . Zu den Schwerpunkten bis 2017 gehören
zum Beispiel auch eine demokratische Regierungsfüh-
rung in Marokko und eine Justizreform und Stärkung der
Partizipation in Algerien .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Neuausrichtung soll ja jetzt geändert werden!)


Das Gemeinsame Konsultationspapier vom März 2015
„Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbar-
schaftspolitik“ benennt, dass sich die EU künftig unter
anderem auf die Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit,
Demokratie und Achtung der Menschenrechte fokussie-
ren soll . Das ist doch der richtige Ansatz!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das „More for more“ geht weg!)


Nun ist Papier aber geduldig . Entscheidend ist nur,
was wirklich durchgesetzt werden kann . Auch die frisch-
gebackenen Nobelpreisträgerinnen und -träger der Tune-
sischen Liga für Menschenrechte haben kürzlich darauf
aufmerksam gemacht, dass es weniger auf Vertragstexte
als vielmehr auf die Implementierung ankommt . Daran
sollten wir uns messen lassen .

Ich sehe vor allem drei Säulen, um Menschenrechte
und Rechtsstaatlichkeit aufzubauen:

Erste Säule ist die Stärkung der Zivilgesellschaft . Wa-
rum ist denn Tunesien der Leuchtturm der Region? Tune-
sien ist deshalb erfolgreich, weil kein starker Mann und
keine Armee das Heft in die Hand genommen haben . Es
war die Zivilgesellschaft, die die Errungenschaften des
Arabischen Frühlings gesichert und weiter ausgebaut hat .
Deshalb ging der Friedensnobelpreis an das tunesische
„Nationale Dialogquartett“, zu dem die erwähnte Men-
schenrechtsliga gehört .

Ganz besonders wichtig ist die Rolle der Frauen beim
Aufbau der Zivilgesellschaft, und das nicht nur in Tu-
nesien, wo sie eine besondere Rolle gespielt haben und
noch immer spielen . Sie müssen weiter gestärkt werden .
Aus der Vielzahl der entsprechenden Initiativen möchte
ich eine herausgreifen, weil ich einige der Frauen jüngst
getroffen habe . Die GIZ fördert das Projekt „Demokratie
braucht Frauen“ . Ziel ist, die politische Partizipation von
Frauen zu stärken – über Vernetzung, politische Partizi-
pation und Dialog .

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


Nur am Rande: Die UN-Resolution 1325 wurde in der
letzten Woche 15 Jahre alt . Die Ziele dieser Resolution
sind noch immer wichtig . Nur dann, wenn Frauen in die
Friedensprozesse und in die Versöhnung eingebunden
werden und wenn ihre Rechte gesichert sind, hat dauer-
hafter Frieden wirklich eine Chance .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die zweite Säule ist die Rechtsstaatlichkeit . Das Aus-
wärtige Amt und das BMZ sind hier, wie ich meine, gut
aufgestellt . Es reicht von Menschenrechtsbildung in Mau-
retanien über Regionalisierung und Dezentralisierung in
Marokko und Unterstützung der tunesischen „Instanz für
Wahrheit und Würde“ bis hin zur Verwaltungsberatung
in Ägypten . All das kann aber nur funktionieren, wenn
es ein funktionierendes Gemeinwesen gibt . In Libyen,
diesem zerfallenden Staat, hat sich die Hoffnung bisher
nicht erfüllt, dass sich die gegnerischen Parteien zu einer
Einheitsregierung zusammenraufen . Sie werden, sicher
mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, ei-
nen neuen Anlauf nehmen müssen, um das Leiden und
die Perspektivlosigkeit der Libyer zu beenden .

Nachbarschaftspolitik braucht Sicherheit und Vertrau-
en – Vertrauen auch beim interkulturellen Austausch .
Wenn der DAAD, das Goethe-Institut oder auch politi-
sche Stiftungen in einigen Ländern nicht arbeiten kön-
nen, ist das ein Hemmnis beim Aufbau einer guten Nach-
barschaftspolitik . Die Nachbarschaftspolitik funktioniert
auch von der anderen Seite her .

Die dritte der eingangs erwähnten Säulen ist die Ko-
operation der Länder Nordafrikas untereinander . Wir
sprechen immer von Nordafrika und meinen höchst he-
terogene Länder . Sehen sich denn wenigstens die enge-
ren Maghreb-Staaten als eine Region? Menschenrech-
te und Rechtsstaatlichkeit können nur dann die ganze
Region erfassen, wenn sie sich auch selbst als solche
begreift . Das hört sich banal an, ist es aber nicht . Das
setzt eine engere Zusammenarbeit der Politik mit der
Zivilgesellschaft, aber auch mit der Wirtschaft voraus .
Zumindest mit einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit
und dem Aufbau der nötigen Infrastruktur könnte man
beginnen, wenn es gelänge, alte politische Grabenkämp-
fe zu überwinden . Auch beim Aufbau dieser Säule kön-
nen Deutschland und die EU unterstützen, wenn dies ge-
wünscht ist . Wenn Sie mit einzelnen Vertretern über die
Vision einer Region sprechen, werden Sie immer Bestä-
tigung und Bereitschaft dazu finden – übrigens besonders
bei den Frauen, die sich an der Zukunftsgestaltung ihrer
Länder beteiligen wollen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind
uns im Prinzip völlig einig: Wir müssen Demokratisie-
rung, Rechtsstaatlichkeit und die Zivilgesellschaft in
Nordafrika weiter und noch stärker unterstützen – auch
vonseiten der EU . Dazu können wir beitragen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813317800

Vielen Dank . – Damit beenden wir die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6551 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der von den Vereinten
Nationen geführten Friedensmission in Südsu-
dan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution
1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutio-
nen, zuletzt 2241 (2015) vom 9. Oktober 2015

Drucksache 18/6504
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre hierzu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Staatsminis-
ter Michael Roth .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1813317900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Unsere ganze Aufmerksamkeit richtet sich derzeit auf
Krisen – Krisen allerorten . Wir diskutieren über die Kri-
se, einen furchtbaren Bürgerkrieg, in Syrien . Wir disku-
tieren, streiten auch über die Flüchtlingsbewegungen auf
der Balkanroute . Wir sollten aber nicht vergessen, dass
es über den engeren Bereich von Europa, über unsere un-
mittelbare Nachbarschaft hinaus Krisen gibt, die unsere
volle Aufmerksamkeit verdienen .

Der Konflikt im Südsudan führt uns eindrücklich vor
Augen: Die Ursachen von Flucht und Vertreibung liegen
nicht zuletzt auch in Afrika: Bürgerkriege, Vertreibung,
Diktatur, zerfallene Staatlichkeit, Hunger, furchtba-
rer Terror. Menschen fliehen. Sie fliehen nach Europa,
sie kommen auch zu uns nach Deutschland, vor allem
Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea .

Afrikanische Staaten sind aber nicht nur Herkunfts-
länder von Flüchtlingen, sondern sind vor allem auch
Transit- und Aufnahmeländer . Von den derzeit 60 Milli-
onen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, beher-
bergt Afrika mit weitem Abstand die meisten Menschen,
und dies unter denkbar schlechten Bedingungen . Davor
dürfen wir nicht länger die Augen verschließen .

Durch einen verheerenden Bürgerkrieg ist auch der
Südsudan in den vergangenen Jahren zu einem Aus-
gangspunkt von Flucht und Vertreibung geworden . Es
sind erschreckende Zahlen, mit denen wir uns ausein-

Gabriela Heinrich






(A) (C)



(B) (D)


anderzusetzen haben . Mehr als 2 Millionen Menschen
wurden innerhalb ihres Landes vertrieben oder sind in
die umliegenden Nachbarstaaten – Uganda, Kenia, Äthi-
opien – geflüchtet, sodass angesichts einer Gesamtbevöl-
kerung von 11 Millionen Menschen jeder fünfte Südsu-
danese unmittelbar von Flucht und Vertreibung betroffen
ist . Die Zahl derer, die aus dem Südsudan nach Europa
flüchten, ist zwar vergleichsweise gering. Umso schlim-
mer und beschämender ist für uns jedoch, dass die Hilfs-
programme des Flüchtlingshilfswerks UNHCR auch in
dieser Region dramatisch unterfinanziert sind.

Angesichts der angespannten humanitären Lage droht
in den Flüchtlingslagern ein ähnlicher Dominoeffekt,
wie wir ihn derzeit in den syrischen Nachbarländern Jor-
danien, Libanon und Türkei erleben . Der Bürgerkrieg im
Südsudan spielt sich daher nur auf den ersten Blick in
weiter Ferne ab . Tatsächlich geht uns alle an, was in dem
kleinen afrikanischen Land geschieht, weil es uns eben
früher oder später auch hier in Europa betreffen könnte –
nicht nur virtuell, sondern ganz konkret .

Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir uns durch
Mauern und durch Zäune von den Problemen in ande-
ren Teilen der Welt abschotten könnten . Flüchtlingsbe-
wegungen machen nicht an nationalen Grenzen halt . Sie
bahnen sich ihren Weg bis vor unsere Haustür, bis wir sie
nicht länger ignorieren können . Deshalb, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, dürfen wir nicht wegschauen, wenn
der jüngste Staat der Welt in Chaos und Bürgerkrieg ver-
sinkt .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vier Jahre nach seiner Unabhängigkeit und nach 20 lan-
gen Monaten des Bürgerkriegs braucht der Südsudan
weiterhin die Unterstützung der internationalen Staaten-
gemeinschaft .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
kurz zurückblicken und aufzeigen, wie sich die Lage im
Südsudan seit 2011 entwickelt hat . Ich weiß, dass viele
Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses vor und nach
der Unabhängigkeit den Südsudan besucht haben . Wir
haben den Südsudan sozusagen in die Unabhängigkeit
begleitet . Dass dies kein einfaches Unterfangen werden
würde, war vielen von uns von vornherein klar . Schwa-
che staatliche Strukturen, ungeklärte Machtverhältnisse,
Korruption, streitige Grenzfragen mit dem Sudan, das
waren von Anfang an schwierige Ausgangsbedingungen .
Trotz aller Bemühungen der internationalen Gemein-
schaft brach im Dezember 2013, nur zwei Jahre nach der
Unabhängigkeit, ein furchtbarer Bürgerkrieg aus . Die
Folgen sind seitdem schwerste Menschenrechtsverlet-
zungen auf beiden Seiten . Zehntausende Südsudanesen
sind umgekommen, darunter auch sehr viele Zivilisten .

Im August dieses Jahres – endlich! –, zwei Jahre nach
dem Bürgerkrieg, haben die Konfliktparteien ein Frie-
densabkommen unterzeichnet . Doch es mangelt an der
konkreten Umsetzung . Es mangelt an gegenseitigem
Vertrauen. Deshalb brauchen die Konfliktparteien unsere
Unterstützung und eben manchmal auch den Druck der
internationalen Gemeinschaft .

Lassen wir die Menschen im Südsudan an diesem
Wendepunkt in der Geschichte ihres noch jungen Staates
bitte nicht alleine . Lassen Sie uns die Zivilbevölkerung
vor weiteren Gewaltausbrüchen schützen . Lassen Sie uns
den ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe sicher-
stellen . Lassen Sie uns die Menschenrechtslage im Land
aufmerksam beobachten . Lassen Sie uns die Umsetzung
des Friedensabkommens überwachen . Genau darum geht
es bei der Friedensmission UNMISS im Südsudan, über
deren Verlängerung wir heute debattieren .

Ja, ich weiß, der eine oder andere Kollege wird ein-
wenden, dass UNMISS doch bereits seit 2011 im Einsatz
ist und der Bürgerkrieg trotzdem nicht verhindert werden
konnte . Ich will aber doch darauf hinweisen: Die Mission
hat für Hunderttausende von Vertriebenen die Tore ihrer
Lager geöffnet und ihnen humanitären und militärischen
Schutz geboten . Heute leben rund 200 000 Binnenver-
triebene in den UNMISS-Einrichtungen . Damit hat diese
Mission vielen, vielen Menschen das Leben gerettet . Da-
für bin ich dankbar . Ich danke auch unseren Polizisten,
unseren Soldatinnen und Soldaten, die sich an diesem
Einsatz beteiligt haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])


Wir wollen ebendiesen Weg bis 2016 fortsetzen . Da-
her bitte ich Sie um Ihre Zustimmung . Sie wissen: Wenn
ich heute über den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten
spreche, dann ist das nur ein Teil unserer außen- und si-
cherheitspolitischen Maßnahmen und Angebote . Es geht
selbstverständlich auch um Entwicklungspolitik . Es geht
um Außenpolitik . Es geht um Versöhnung .

Ich will nur darauf hinweisen, dass die Bundesregie-
rung in vielfältiger Weise aktiv ist . Mein Haus hat in
den letzten zwei Jahren humanitäre Hilfe in Höhe von
34 Millionen Euro geleistet . Das Entwicklungsministe-
rium hat 84 Millionen Euro zur Verfügung gestellt . Das
zeigt doch, dass unser vielfältiges Engagement im Süd-
sudan zwar nur ein kleiner, aber doch ein wichtiger Bau-
stein ist, um die Ursachen von Flucht und Vertreibung in
den afrikanischen Krisengebieten zu bekämpfen und da-
mit auch den Migrationsdruck auf Europa zu verringern .

Ich würde mich darüber freuen, wenn nach einer of-
fensichtlich auch kontroversen und kritischen Debatte
möglichst viele von Ihnen dem Antrag der Bundesregie-
rung folgen würden und diese Mission abermals verlän-
gerten .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813318000

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

die Kollegin Christine Buchholz .


(Beifall bei der LINKEN)


Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813318100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer über

den Südsudan spricht, der muss über Flüchtlinge spre-
chen . Ich meine nicht die wenigen, die es aus diesem ver-
armten Land über die Sahara und das Mittelmeer nach
Europa geschafft haben . Ich meine die Flüchtlinge, die
in den letzten zwei Jahren vor dem Krieg innerhalb des
Südsudans in dessen Nachbarstaaten geflohen sind. Es
handelt sich um 2,2 Millionen Menschen, rund 20 Pro-
zent der Gesamtbevölkerung . 2,2 Millionen Flüchtlinge
im bettelarmen Südsudan – daran sollte man all diejeni-
gen erinnern, die jetzt in diesem reichen Deutschland den
Eindruck erwecken, wir wären überfordert mit denen, die
auf der Flucht vor Krieg und Armut zu uns kommen .


(Beifall bei der LINKEN)


Genauso wie diejenigen, die zu uns flüchten und un-
sere Unterstützung brauchen, brauchen die Flüchtlinge
im Südsudan unsere volle Unterstützung . Was sie nicht
brauchen, sind Soldaten .


(Beifall bei der LINKEN)


Wer trägt die Verantwortung für dieses Desaster?
Zunächst einmal die Führer der verfeindeten Bürger-
kriegsparteien . Es handelt sich ja nicht um irgendwelche
Aufständische; es handelt sich um die Truppen des Präsi-
denten Kiir gegen die seines vormaligen Vizepräsidenten
Riek Machar .

Es war das Ziel der Bundesregierung, mit der militä-
rischen Beteiligung an UNMISS die gemeinsame Regie-
rung von Kiir und Machar zu stützen . Die Begründung
war damals – ich zitiere Kerstin Müller von den Grünen
im Jahr 2012 –, dass allein die Präsenz der Soldatinnen
und Soldaten in der Fläche zur Beruhigung der Gewalt-
konflikte beiträgt. Der seit Dezember 2013 tobende Bür-
gerkrieg zeigt: Das war eine Illusion .


(Beifall bei der LINKEN)


Ausländische Soldaten sind nicht in der Lage – ob mit
oder ohne UN-Mandat –, einen Frieden von außen zu
schaffen .

Der Bundesregierung ging es damals auch um andere
Motive . Der Einsatz im Südsudan – einem Land, in dem
viel Erdöl zu finden ist – reiht sich ein in das Bemühen,
an möglichst vielen Krisenherden der Welt mit eigenen
Soldaten präsent zu sein . Es ging auch darum, über die
Stabilisierung der Herrschaft Kiirs Einfluss zu gewinnen.
Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir von der
Linken die Entsendung der Bundeswehrsoldaten auch
schon damals abgelehnt .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber auch andere vertreten in diesem Bürgerkrieg
ihre Interessen . Neben UNMISS hat Uganda als Ver-
bündeter der USA und auch Deutschlands in der Region
mit Hubschraubern und Bodentruppen aufseiten Kiirs in
den Konflikt eingegriffen. Im Südsudan ist inzwischen
ein Staat entstanden, in dem es keine Rechenschaft da-
rüber gibt, wohin die Öleinnahmen fließen. Der Kampf
zwischen Machar und Kiir ist auch ein Kampf um die
Ölmilliarden . In diesem Kampf wird die Herrschaft Kiirs

zunehmend unberechenbar . Ein UN-Bericht warf Regie-
rungssoldaten im Sommer vor, Frauen und Mädchen ver-
gewaltigt und bei lebendigem Leib verbrannt zu haben .
Auch Machars Truppen haben sich schwerer Verbrechen
schuldig gemacht . Vier Jahre Blauhelmeinsatz nach Ka-
pitel 7 der UN-Charta haben die Eskalation der Grau-
samkeiten nicht unterbinden können . Die Kämpfe gehen
weiter und ziehen UNMISS mit hinein .

Im Oktober nahmen die Truppen Machars
13 UNMISS-Mitarbeiter und 18 bengalische Blauhelm-
soldaten als Geisel, eroberten Waffen, Gerät und 55 000
Liter Treibstoff . Die Aufständischen mutmaßten, es han-
dele sich um eine verkappte Waffenlieferung für Regie-
rungstruppen . Mit demselben Argument haben im letz-
ten Jahr Regierungstruppen UN-Laster angehalten und
beschlagnahmt . Das Problem ist, dass unter dem Dach
von UNMISS zivile und militärische Komponenten ne-
beneinander bestehen, und das gefährdet letztendlich die
zivile Hilfe .


(Beifall bei der LINKEN)


Die zivile Hilfe – darüber sind wir uns absolut ei-
nig – wird angesichts der katastrophalen Situation in
den Flüchtlingslagern und angesichts der Hungerkata-
strophen dringend benötigt . Deswegen sagt die Linke:
UNMISS muss vollkommen entmilitarisiert werden . Wir
werden diesem Militärmandat nicht zustimmen .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813318200

Nächster Redner ist Jürgen Hardt, CDU/CSU-Frakti-

on .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1813318300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Staatsminister Roth hat in seiner Einbringungsrede die
konkreten Fakten und Eckdaten des Mandatsantrags der
Bundesregierung genannt, und wir werden kommende
Woche in den Ausschüssen darüber abschließend bera-
ten . Ich bin sicher, dass wir eine Mehrheit haben werden .

Wenn wir auf die Situation im Südsudan blicken und
uns die Erwartungen in Erinnerung rufen, die wir vor
vier Jahren hatten, als wir im Bundestag diesen jüngs-
ten Staat auf der Erde in der Völkergemeinschaft begrüßt
haben, müssen wir leider feststellen, dass sich von un-
seren Erwartungen nahezu nichts erfüllt hat . Wir haben
einen aktuellen Bericht der Afrikanischen Union über
die Menschenrechtslage im Süden Sudans . Man kann
gar nicht vorlesen, was dort an Gräueltaten beschrieben
wird: Mord, Vergewaltigung und Folter . Das sind ganz
extrem schlimme Dinge, und es ist kaum vorstellbar, dass
Menschen zu solchen Gräueltaten fähig sind . Deswegen
kann, glaube ich, kein Zweifel daran bestehen, dass die
15 000 Soldaten, die im Rahmen dieses UN-Mandats
dort Dienst tun, einen wichtigen Beitrag leisten, um we-
nigstens das Allerschlimmste zu verhindern .

Das Mandat der Vereinten Nationen ist aktuell um den
Auftrag zur Unterstützung des Friedensprozesses erwei-






(A) (C)



(B) (D)


tert worden . Es gibt einen Friedensvertrag, der zwar nicht
eingehalten wird, aber wir haben immerhin eine Ge-
sprächsbasis zwischen den beiden verfeindeten Führern,
und wir haben die Situation, dass die Zivilbevölkerung
von diesen 15 000 Soldaten geschützt wird .

An die Adresse der Linken sage ich: Wenn es diese
Soldaten und die Polizisten dort nicht gäbe, dann wür-
den nicht nur Treibstofftransporte der Vereinten Natio-
nen, sondern im Zweifel auch Lebensmittellieferungen,
Medikamente und Sanitätsmaterial nicht die Betroffenen
erreichen, sondern in irgendwelchen schwarzen Kanälen
der Warlords verschwinden . Von daher kann ich diese
Logik nicht nachvollziehen .

Wir haben seitens der Bundeswehr 16 Soldaten im
Einsatz . Die beantragte Obergrenze sind 50 Soldaten . Ich
hoffe, dass das ausreicht . Angesichts der Gräueltaten sind
die derzeit 16 Soldaten und 10 Polizisten sicherlich ein
kleiner, aber wichtiger deutscher Beitrag . Denn sie haben
in den Stäben Funktionen inne, die auch dafür sorgen,
dass die Soldaten der UNMISS entsprechend gut einge-
setzt werden können .

Ich möchte auch kurz auf das Flüchtlingsthema einge-
hen . 2,2 Millionen Menschen sind im Süden des Sudan
auf der Flucht . Das zeigt schlaglichtartig, in welcher Si-
tuation wir in der Welt sind . Wir müssen unbedingt dafür
sorgen, dass die Flüchtlingslager vernünftig ausgestattet
sind . Ich bin dem Außenminister dafür dankbar, dass er
am Rande der Vollversammlung der Vereinten Natio-
nen unter den Außenministern der G-7-Staaten eine Art
Sammelaktion veranstaltet hat, bei der mit 1,8 Milliar-
den Euro eine erhebliche Summe zur finanziellen Unter-
stützung der Flüchtlingswerke und des World Food Pro-
grammes zugesagt worden ist, sodass wir sagen können:
Die Gefahr, dass die Programme von der Hand in den
Mund leben müssen, wie es dieses Jahr der Fall war, ist
Gott sei Dank für die nächsten Monate gebannt . Aber es
muss weiter konsequent daran gearbeitet werden, dass
diese Hilfswerke nicht von der Hand in den Mund leben,
sondern dass sie überall dort, wo sie gefordert sind, ihre
Hilfsleistungen auf einer vernünftigen finanziellen Basis
erbringen können .

Ich möchte abseits vom Thema Südsudan einen wei-
teren Aspekt ansprechen . Es gibt alarmierende Meldun-
gen aus einem anderen afrikanischen Land, aus Burundi .
In Burundi droht nach Aussagen einiger Experten ein
Völkermord, wie wir ihn vor 21 Jahren in Ruanda er-
lebt haben . Ich möchte die Bundesregierung und auch
uns im Deutschen Bundestag auffordern, dass wir uns in
den nächsten Stunden und Tagen diesem Thema intensiv
widmen,


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


dass wir die Bundesregierung ermutigen, gegebenenfalls
mit anderen europäischen Staaten bei den Vereinten Na-
tionen aktiv zu werden und dass wir unser Versprechen,
das wir nach dem Völkermord in Ruanda abgegeben ha-
ben, dass wir so etwas nie wieder geschehen lassen wol-
len, auch halten .

Die Meldungen aus Burundi, wo es wieder gegen die
Tutsi geht, sind sehr alarmierend . Es gibt ein Ultimatum,
das am Samstag ausläuft . Ich glaube, dass wir uns ge-
gebenenfalls nächste Woche im Deutschen Bundestag
dieser Frage widmen müssen . Wir werden das im Aus-
wärtigen Ausschuss besprechen .

Ich glaube, dass wir eine gute Vorlage der Bundesre-
gierung für dieses Mandat haben . Ich glaube, dass die
Koalition diesem Mandat guten Gewissens zustimmen
kann, und ich würde mir wünschen, dass dies auch ande-
re Fraktionen tun . Denn UNMISS ist in der Tat auch eine
große Aktion der Menschlichkeit .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813318400

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Frithjof

Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, alle Versuche der internationalen Gemeinschaft, im
Südsudan einen Waffenstillstand zu vermitteln und Frie-
den zu stiften, sind bisher leider gescheitert; da haben
Sie völlig recht, Frau Buchholz . Aber die entscheidende
Frage lautet, warum das so ist und welche Konsequen-
zen man daraus zieht . Den Anschein zu erwecken, die
Ursache dafür, dass das gescheitert ist, seien die Bemü-
hungen der Vereinten Nationen, dort Peacekeeping zu
betreiben – das haben Sie im Grunde hier in den Raum
gestellt –, ist absurd und abwegig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Zuhören!)


Man muss sich in der Tat die konkreten Konfliktur-
sachen anschauen; Sie haben auch einige angesprochen .
Aber die letzte Vereinbarung aus dem Sommer wurde von
beiden Parteien wieder gebrochen . Die Untersuchungs-
kommission der Afrikanischen Union unter Leitung von
Herrn Obasanjo, dem ehemaligen nigerianischen Präsi-
denten, hat in ihrem Bericht klargemacht: Präsident Kiir
und sein Gegner, Exvizepräsident Machar, haben sich
schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht . Beide ge-
hören vor ein internationales Strafgericht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dafür sollten wir uns alle einsetzen, insbesondere die
Bundesregierung . Hier wünsche ich mir ein klares Wort
von der Bundesregierung .

Es wurde schon beschrieben: Die humanitäre Lage
im ganzen Land ist katastrophal . Zweieinhalb Millionen
Menschen sind auf der Flucht . Viereinhalb Millionen
Menschen könnten ohne die Nahrungsmittelhilfe der UN

Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)


nicht überleben . Diese Hilfe wäre ohne die Präsenz der
UN-Truppen so auch nicht durchsetzbar . Ganze Landstri-
che sind verlassen . Die Menschen müssen immer wie-
der vor Massakern fliehen. Auch die Hilfsorganisationen
werden zunehmend mehr zur Zielscheibe der Gewalt .
Was die Vereinten Nationen unter diesen schwierigen
Umständen leisten, ist enorm und verdient Anerkennung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Die 11 000 Soldaten von UNMISS versuchen alles,
um die Zivilbevölkerung zu schützen . Das gelingt nicht
überall und nicht immer . Aber über 200 000 Flüchtlinge
haben Schutz in den UNMISS-Camps gefunden . Das al-
lein ist jedenfalls für mich Grund genug, für die Fortset-
zung dieses Einsatzes zu stimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Auch für die Verteilung der humanitären Hilfe spielt
UNMISS eine Schlüsselrolle . Ohne die Präsenz der
Blauhelme wäre die Versorgung großer Landesteile nicht
möglich . Den Eindruck zu erwecken, dass die Versor-
gung besser liefe, wenn die Blauhelme nicht mehr da wä-
ren, ist völlig abwegig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Absurd!)


Es gibt aber einen internationalen Skandal; Staatsmi-
nister Roth hat ihn bereits angesprochen . Obwohl schon
November ist, ist erst rund die Hälfte der für 2015 zu-
gesagten Gelder zur Versorgung der Flüchtlinge bei
der UNO eingegangen . Hier wiederholt sich das Ver-
sorgungsdrama, das wir in diesem Jahr schon in Syrien
erleben mussten; Sie haben darauf hingewiesen . Bald
werden Rationen gekürzt werden müssen . Das darf doch
nicht wahr sein! Herr Staatsminister, ich wünsche mir
eine diplomatische Initiative der Bundesregierung, um
die Finanzierung der humanitären Nothilfe zu sichern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir dürfen das alles nicht nur beschreiben . Vielmehr
muss gehandelt werden . Sie hätten die entsprechenden
Möglichkeiten . In diesem Punkt erhoffe ich mir mehr
von der Bundesregierung .

Auch in einem weiteren Bereich ist politische Initiati-
ve notwendig . Die Bundesregierung muss sich energisch
dafür einsetzen, dass der UN-Sicherheitsrat endlich ein
Waffenembargo für den Südsudan beschließt . Die Euro-
päische Union ist vor einem Jahr vorangegangen, und die
UNO sollte endlich folgen . Wir dürfen nicht nachlassen,
das einzufordern .

UNMISS hat große Probleme . UNMISS schafft es
nicht, alle Menschen im Südsudan zu schützen und zu
versorgen . Aber für Hundertausende ist UNMISS Zu-
flucht und Rettung. Ich will den Kolleginnen und Kolle-
gen von der Linksfraktion deutlich sagen: Eine Schwä-
chung von UNMISS oder gar ein Abzug wären für all
diese Menschen eine Katastrophe . Deswegen sollten wir
alles tun, um UNMISS zu stärken . Deutschland beteiligt
sich derzeit mit 16 Soldaten und 10 Polizisten an der

Mission . Dieses Mandat zu verlängern, ist das Mindeste,
was wir tun sollten .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813318500

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege

Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1813318600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Dr . Schmidt, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie in
Ihrem Beitrag noch einmal explizit darauf eingegangen
sind, dass das, was wir im Südsudan machen, eine Frie-
densmission ist und dass Gott sei Dank in diesem Haus
eine sehr breite Übereinstimmung darüber besteht, dass
dieser Einsatz fortgesetzt werden muss .

Die Rahmenbedingungen sind eindrücklich und viel-
fach beschrieben worden . Obwohl der Südsudan an sich
ein Land mit besten Voraussetzungen und umfangreichen
Ölvorkommen ist, ist er auch ein Land, in dem 50 Pro-
zent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben,
es 4,7 Millionen Menschen an Lebensmitteln mangelt
und 30 000 Menschen unmittelbar vor dem Hungertod
stehen . Auch die Situation der Flüchtlinge, die ein Fünf-
tel der Bevölkerung im Südsudan ausmachen, ist ein-
drücklich beschrieben worden .

Es ist eigentlich nicht hinzunehmen, dass der Süd-
sudan nicht nur das jüngste Land der Erde ist, sondern
darüber hinaus auch eines der ärmsten . An dieser Stelle
muss man ansetzen, zumal völlig klar ist, dass die huma-
nitäre Nothilfe aus Sicherheitsgründen kaum möglich ist .
Zum Beispiel beschreiben das World Food Programme
der UN oder auch UNICEF, dass viele Hilfsmaßnahmen
letztlich aufgrund der mangelnden Sicherheit im Land
nicht möglich sind . Hier muss Abhilfe geschaffen wer-
den .

Die beiden Kontrahenten, die sich hier gegeneinander
positionieren, Präsident Kiir und der Oppositions- und
Rebellenführer Machar, kämpfen einen ganz persön-
lichen Kampf . Es ist ein Kampf entlang ethnischer Li-
nien – auch darüber haben wir in diesem Haus bereits
gesprochen –, zwischen Dinka und Nuer . Es ist im Süd-
sudan ganz offensichtlich, dass Fluchtursachen auch
durch Klimaveränderungen entstehen, die unmittelbar
Auswirkungen auf Gewaltkonflikte haben. Man kann im
Südsudan sehen, dass die Dürreperiode im Sommer dazu
geführt hat, dass die ohnehin schon spärlichen Ernten
noch weiter gemindert worden sind . All das ist ein Kom-
pott, das letztendlich dazu führt, dass Fluchtursachen
entstehen .

Wenn man sich den Südsudan anschaut, kann man eine
Bevölkerung sehen, die zu 65 Prozent jünger als 25 Jahre
ist, man sieht ein Land, in dem eine Geburtenrate von
4 Prozent zu der am schnellsten wachsenden Bevölke-
rung in der Welt führt, ein Land, wo die Situation der

Dr. Frithjof Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


mangelnden Sicherheit und der mangelnden ökonomi-
schen Entwicklung dazu führt, dass die Menschen keine
Chance und keine Perspektive für sich und ihre Familien
sehen . Das sind genau die Gründe, die zu Flucht und Ver-
treibung führen . Ich glaube, dass es richtig ist, an dieser
Stelle anzusetzen und dafür zu sorgen, dass wir den Men-
schen Perspektiven in ihren Herkunftsländern eröffnen .

H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1813318700
Das, was die Bundesregierung, die Bundesrepublik
Deutschland auch im europäischen Konzert tut, ist sehr
vielfältig . Denken Sie beispielsweise an die Sonderiniti-
ative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reinteg-
rieren“ . Dabei geht es darum, mit 47 Millionen Euro in
der Region etwas zu tun . Mit diesen 47 Millionen Euro
hat man etwa 2 Millionen Flüchtlinge des Südsudans in
der Region erreicht . Denken Sie an die 5,3 Millionen
Euro aus dem Topf des Energie- und Klimafonds oder an
die unmittelbare humanitäre Hilfe, die allein in diesem
und im vergangenen Jahr 46 Millionen Euro betragen
hat . Oder denken Sie an die Entwicklungszusammenar-
beit, die auf eine langfristige Verbesserung der Situation
vor Ort hinausläuft .

Wenn man damit die 1,5 Millionen Euro vergleicht,
die uns UNMISS im kommenden Jahr kosten wird, dann
wird doch ganz klar und deutlich, dass wir versuchen, in
einem vernetzten Ansatz auf die unterschiedlichen Be-
dürfnisse einzugehen . Ich will auch darauf hinweisen,
dass die Verlängerung des UNMISS-Mandats nicht nur
den Einsatz von Soldaten umfasst, sondern ausdrück-
lich auch von Polizisten der Bundes- und der Länderpo-
lizeien . Diese werden insbesondere dazu eingesetzt, zu
verhindern, dass weiterhin massiv Gewalt gegen die Zi-
vilbevölkerung, insbesondere gegen Frauen und Kinder,
verübt wird . Ich glaube, das ist der richtige Ansatz, bei
dem wir nicht über ein Weniger, sondern über ein Mehr
an deutscher Verantwortung unmittelbar vor Ort spre-
chen sollten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will zuletzt auf einen Punkt hinweisen, der mir
wichtig ist und den der Kollege Jüttner in der voraus-
gegangenen Aussprache angesprochen hat: „More for
more“ . Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir Hilfe
letztlich auch an nachprüfbare Forderungen knüpfen .
Es kann nicht sein, dass Kredite in China aufgenommen
werden, um Waffen zu beziehen, und dass die Versorgung
der gesamten Bevölkerung der internationalen Staaten-
gemeinschaft überlassen bleibt . Ich glaube, wir müssen
sehr viel stärker die politische Elite vor Ort in Haftung
nehmen . Da geht es um ein Waffenembargo; Sie haben es
angesprochen . Da geht es um das Einfrieren von Konten .
Da geht es um Reisebeschränkungen . Da geht es darum,
zu sagen: So geht es nicht .

Es geht nicht, dass man zwei Drittel des Staats-
haushaltes für Sicherheit und Verteidigung einsetzt,
nur 11 Prozent für Gesundheit, Bildung und Erziehung
und nur 4 Prozent für Infrastruktur . Das darf man auch
den Machthabern dort nicht durchgehen lassen . Herr

Dr. Schmidt, Sie haben etwas zu den Konsequenzen ge-
sagt . Dem kann man eigentlich nicht widersprechen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813318800

Vielen Dank . – Da der Kollege Frithjof Schmidt den

Staatsminister Roth direkt angesprochen hat, erteile ich
dem Staatsminister jetzt nach § 30 der Geschäftsordnung
kurz das Wort zu einer Erwiderung . Der Kollege Schmidt
darf dann darauf ebenfalls erwidern .

Bitte, Herr Kollege Roth .


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1813318900

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Kollege

Schmidt, Sie haben mich direkt angesprochen, verbunden
mit dem Appell, dass die Bundesregierung eigeninitativ
handeln solle, um der dramatischen Unterfinanzierung
des UNHCR und auch des Welternährungsprogramms zu
begegnen . Ich weiß Sie als einen engen Verbündeten an
unserer Seite wie im Übrigen ganz viele Bundestagsab-
geordnete; schließlich hat nicht zuletzt der Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestages im Rahmen des Nach-
tragshaushaltes 2015 die Mittel für diese Programme um
75 Millionen Euro erhöht . Das versetzt mein Haus in die
Lage, den Worten auch Taten folgen zu lassen, genau wie
Sie es wollten .

Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass gerade
gestern bei uns im Auswärtigen Amt eine Konferenz
stattfand, zu der der UN-Flüchtlingskommissar einge-
laden war, der UN-Sonderbeauftragte für Migration, der
Generalsekretär der Internationalen Flüchtlingsorgani-
sation und der Generalsekretär der Föderation der Rot-
kreuz- und Rothalbmondgesellschaften, um gemeinsam
zu besprechen, was jetzt zu tun ist, um der dramatischen
Situation vor Ausbruch des Winters zu begegnen . Inso-
fern tun wir viel . Danke für Ihre Unterstützung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813319000

Herr Schmidt, möchten Sie darauf erwidern? – Bitte

schön .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Staatsminister, ich freue mich natürlich, dass die
Bundesregierung da initiativ geworden ist . Ich will nur
die Gelegenheit nutzen, daran zu erinnern, dass wir uns
alle angesichts dieser internationalen Situation an den
Kopf fassen müssen . Wir werden nachher noch über Dar-
fur sprechen . Dort besteht die gleiche Situation .

Wir erleben, was in Syrien geschieht . Wir alle haben
gesagt: Es darf nicht wieder vorkommen, dass die Kassen
der Hilfsorganisationen so leer sind . Wir erleben jetzt,
was im Sudan, im Südsudan und insbesondere in Darfur

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


geschieht . Es ist einfach dringend notwendig, dass da di-
plomatische Initiative ergriffen wird . Ich weiß, dass die
Bundesregierung ihre Beiträge dazu leistet. Ich finde gut,
wenn sie diese Beiträge auch verstärkt . Aber mehr ist nö-
tig . Wir dürfen einfach nicht durchgehen lassen, dass die
internationale Gemeinschaft wieder so versagt . Sie haben
recht: Ich unterstütze Sie in Ihren Bemühungen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Dr . Egon Jüttner [CDU/CSU])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813319100

Vielen Dank . – Sie alle haben noch genügend Gele-

genheit, das weiter zu diskutieren; denn die Vorlage auf
Drucksache 18/6504 soll an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse überwiesen werden . Das ist inter-
fraktionell so vereinbart . – Ich sehe, Sie sind alle damit
einverstanden . Dann ist das so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Kirsten
Tackmann, Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen
einführen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Nicole Maisch, Christian Kühn

(Tübingen), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Zukunft der Tierhaltung – Artgerecht
und der Fläche angepasst

Drucksachen 18/1872, 18/3732, 18/6437

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Auch hier höre
ich keinen Widerspruch . Dann sind Sie alle damit einver-
standen, und dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dieter Stier, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1813319200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute
wiederholt zwei Oppositionsanträge, nämlich erstens den
Antrag der Linksfraktion vom 24 . Juni 2014 und zwei-
tens den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vom 14 . Januar dieses Jahres, beide zur Zukunft der Tier-
haltung in Deutschland .

Meine Damen und Herren, bevor ich näher auf diese
beiden Anträge eingehe, will ich zu Beginn meines Rede-
beitrags abermals die Leistungen der Beschäftigten in der
deutschen Landwirtschaft würdigen, insbesondere derer,
die in der Tierhaltung 365 Tage im Jahr und ungeachtet

der Frage, ob Werktag, Sonntag oder Feiertag ist, tätig
sind und ihre Tiere versorgen, damit unsere Ernährungs-
grundlage gesichert ist . Dafür will ich mich an dieser
Stelle herzlich bedanken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will das insbesondere auch mit Blick auf die ak-
tuelle Situation in Deutschland, in Europa und in der
Welt tun, in der wir gegenwärtig vermehrt wahrnehmen,
dass ein Leben in Frieden mit einem sicheren Dach über
dem Kopf und ohne Hunger beileibe nicht überall selbst-
verständlich ist . Ich wünsche mir, dass wir uns das ge-
legentlich in Erinnerung rufen, wenn wir über Maß und
Schnelligkeit der weiteren Verbesserung von Standards
in unserem Land diskutieren, wie das heute wieder der
Fall ist .

Ich möchte ebenfalls betonen, dass wir in unserem
demokratischen Gemeinwesen selbstverständlich vieles
fordern können, dabei aber immer auch die Erhaltung der
Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Branche, über die
wir reden, im Auge haben sollten .

In meinem Heimatland Sachsen-Anhalt lag die Brut-
towertschöpfung im Jahr 2014 im Wirtschaftsbereich
Land- und Forstwirtschaft inklusive Fischerei je Er-
werbstätigen bei 47 100 Euro – in Deutschland lag sie
bei rund 30 600 Euro –; das entspricht 154 Prozent des
Bundeswerts . Bei den Lohnkosten des primären Sektors
ist dies ähnlich: Die Arbeitnehmerentgelte je Arbeitneh-
mer lagen mit 26 114 Euro in meinem Heimatland über
dem Bundeswert von 21 560 Euro, damit bei 121 Prozent
des Bundeswerts . Ich nenne Ihnen diese Zahlen, damit
Sie sehen, warum es mir nicht leichtfällt, Anträgen zur
Veränderung von Betriebsstrukturen schnell und ohne
kritische Reflexion zu folgen.

Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken,
fordern die Einführung von regionalen Bestandsober-
grenzen . Festzustellen ist hier zunächst, dass die Kon-
zentration der Tierhaltung und damit auch die Erhöhung
der Tierdichte pro Hektar, insbesondere in der Veredlung,
in Deutschland kein flächendeckendes, sondern ein eher
regionales Phänomen ist . Deshalb kann eine bundesein-
heitliche Regelung nach meinem Dafürhalten nicht Ziel
sein, sondern die Dinge sind nach meiner Meinung durch
verantwortungsvolle Wahrnehmung des Planungsrechts
vor Ort zu entscheiden .

Nicht die Größe der Bestände ist entscheidend, son-
dern die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter, das Ma-
nagement der Anlage und die Situation vor Ort . Auch
große Tierbestände sind für professionelle Betriebsin-
haber tierschutzgerecht handhabbar und von ihnen zu
meistern . Kontrollergebnisse belegen immer wieder, dass
aufgefundene Mängel in keinem Zusammenhang mit der
Bestandsgröße stehen .

Der Antrag ist auch deshalb entbehrlich, weil die Bun-
desregierung mit der Novelle zum Baugesetzbuch bereits
einen wirkungsvollen Beitrag zur Stärkung der flächen-
gebundenen Tierhaltung geleistet hat .

Sie, meine Damen und Herren von den Grünen,
fordern eine Abschaffung der Privilegierung im Au-

Dr. Frithjof Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


ßenbereich für Tierhaltungsanlagen sowie eine strikte
Flächenbindung: zwei Großvieheinheiten pro Hektar
landwirtschaftlicher Nutzfläche. Ich stelle Ihnen die Fra-
ge: Wenn Sie Tierhaltung im Außenbereich einer kom-
munalen Bebauung nicht mehr zulassen wollen, wo soll
sie denn in unserem Land überhaupt noch hinpassen?
Dann müssen Sie hier auch deutlich sagen, dass Sie die
landwirtschaftliche Tierhaltung immer weiter einschrän-
ken wollen . Das unterscheidet uns; denn das wollen wir
von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht .

Ich spreche mich ebenfalls zum wiederholten Mal
und deutlich gegen eine Ausweitung des im Antrag der
Linken geforderten Verbandsklagerechts aus . Es ist nicht
zielführend . Vielmehr glaube ich, dass die Behörden in
unserem Land aufgrund der geltenden Gesetze durchaus
in der Lage sind, verantwortungsvoll zu entscheiden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gleichwohl sind wir uns alle einig, dass wir für die
gesellschaftliche Akzeptanz der Tierhaltung weitere Ver-
besserungen erreichen wollen und das auch können . Die
Große Koalition arbeitet engagiert an der Erreichung die-
ses Ziels . Ich erinnere daran, dass wir in den Agrarhaus-
halt beträchtliche Summen für die Tierschutzforschung
eingestellt haben . Ich erinnere an die Tierwohl-Initiati-
ve von Bundesminister Christian Schmidt . Ich bedanke
mich, Herr Staatssekretär, auch bei der Bundesregierung
für die engagierte Zusammenarbeit . Davon, dass verbind-
liche Freiwilligkeit, die ja manchmal auch kritisiert wird,
durchaus funktioniert, konnten wir uns erst heute Mor-
gen beim Parlamentarischen Frühstück – viele von Ihnen
waren dabei – beim Zentralverband der Deutschen Geflü-
gelwirtschaft überzeugen. Die Geflügel-Charta 2015 ist
in Kraft – freiwillig und durch Selbstverpflichtung.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813319300

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss .


Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1813319400

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, leider er-

laubt mir die vorgegebene Redezeit hier keine längeren
Ausführungen . Ihre Anträge sind im Ausschuss für Er-
nährung und Landwirtschaft ausführlich beraten worden .
Dieser Ausschuss hat dem Hohen Haus die Ablehnung
dieser beiden Anträge empfohlen . Ich darf Sie herzlich
bitten, der Ausschussempfehlung Folge zu leisten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813319500

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

Dr . Kirsten Tackmann .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813319600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste auf der Tribüne! Vor über einem Jahr hat

die Linke ihren Antrag dem Bundestag vorgelegt . Ja, wir
wollen die Größe von Nutztierbeständen am Standort
und die Anzahl der Nutztiere in den Regionen deckeln .


(Beifall bei der LINKEN)


Das richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Tierhal-
tung in landwirtschaftlichen Betrieben . Im Gegenteil:
Hier kämpfen viele tagtäglich um bestmögliche Bedin-
gungen für Tiere, Menschen und Umwelt . Sie brauchen
uns, und wir brauchen sie – für die Lebensmittelproduk-
tion, aber auch zum Erhalt des Grünlandes, der Boden-
fruchtbarkeit und zur Pflege der Kulturlandschaft. Der
Widerstand in den Regionen richtet sich gegen die Me-
gaställe, und das völlig zu Recht .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Seien wir doch einmal ehrlich: Die Skepsis gegenüber
Anlagen mit 400 000 Hähnchen oder 40 000 Schweinen
gibt es doch in allen Fraktionen . Wenn in einem einzigen
Landkreis 100 000 Hektar zur Gülleausbringung fehlen,
dann ist das doch ein real existierendes Problem . Ich sage
ganz klar – auch wenn das in Niedersachsen vielleicht
mancher denkt –: Ostdeutschland ist kein Gülleerwar-
tungsland .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu viele Nutztiere an einem Standort oder in einer Re-
gion gehen aber auch auf Kosten der Lebensqualität in
den Dörfern . Ich sage ganz klar: Wer lebendige Dörfer
will, muss auch das im Auge behalten .

Für mich als Tierärztin gibt es aber noch einen weite-
ren schwerwiegenden Grund für unseren Antrag . Stellen
wir uns doch einmal Folgendes vor: In einem solchen
Megabestand oder in einer so extrem viehdichten Region
gibt es den Verdacht einer gefährlichen Tierseuche, sagen
wir mal: Vogelgrippe oder Schweinepest . Dann müssen
alle Tiere getötet werden . Im August 2007 mussten zum
Beispiel auf einem einzigen Hof in Bayern 160 000 En-
ten wegen Vogelgrippe gekeult werden . Das war die bis-
her größte Keulungsaktion, die es in Deutschland gab .
Zwischen 2004 und 2014 mussten wegen Vogelgrippe
deutschlandweit 1,2 Millionen Stück Geflügel getötet
werden . Fast die Hälfte stammte aus dem sogenannten
Geflügelgürtel Niedersachsens. Ich finde, das ist ein Dra-
ma .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer solche Folgen minimieren will, muss die Be-
standsgrößen deckeln und die Bestandsdichte in den Re-
gionen reduzieren, erst recht, weil das Risiko der Ein-
schleppung von Tierseuchen in der globalisierten Welt
noch steigt . Natürlich brauchen wir für solche Obergren-
zen wissenschaftliche Grundlagen . Aber genau das for-
dert ja die Linke . Hören Sie also heute auf die Stimme
der Vernunft, und stimmen Sie unserem Antrag zu .


(Beifall bei der LINKEN)


Damit können wir zum Beispiel auch den Frieden
wieder in die Dörfer tragen . Ich sage ganz klar: Damit

Dieter Stier






(A) (C)



(B) (D)


stärken wir der regional angepassten landwirtschaftli-
chen Tierhaltung den Rücken . Diese Betriebe müssen
gerade einiges aushalten: viel körperlich schwere Arbeit,
oft zu wenig familienfreundlichen Zeiten . Statt faire Er-
zeugerpreise bekommen sie nur Almosen, während sich
Supermarktketten, Schlachthöfe oder Molkereien ihre
Gewinne sichern .

Deshalb kämpfen viele Betriebe tagtäglich ums Über-
leben . Trotzdem sollen sie für mehr Tierwohl sorgen, die
Umwelt schützen und Mindestlohn zahlen . Ich kann gut
verstehen, wenn sie sich zu Unrecht an den Pranger ge-
stellt fühlen und die Welt nicht mehr verstehen; denn sie
sind die Verlierer einer falschen EU-Agrarpolitik . Sie hat
die Landwirtschaft zum billigen Rohstofflieferanten für
den Weltagrarmarkt degradiert . Aus Sicht der Linken ist
das ein fataler Fehler,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


der übrigens auch die Akzeptanz der Bevölkerung kos-
tet . In der Tierhaltungsdebatte geht es doch nicht nur um
ethische Bedenken, sondern auch darum, dass die Kuh
in der Nachbarschaft eher akzeptiert wird, wenn ihre
Milch die Region versorgt, statt zu Milchpulver verar-
beitet nach China geschickt zu werden . Es gibt also gute
Gründe, dem Antrag der Linken heute zuzustimmen . Ich
bitte Sie darum .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813319700

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin

Christina Jantz .


(Beifall bei der SPD)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1813319800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Bleser, aufgrund der Bewertung der
WHO zum Verzehr von verarbeitetem Fleisch lag der Fo-
kus in den letzten Tagen insbesondere auf der Frage: Was
kann Wurst mit den Menschen machen?

Ich bin dankbar dafür, dass uns die Diskussion der
beiden Anträge der Opposition die Chance gibt, auch die
Frage wieder in unser Blickfeld zu nehmen: Was macht
der Mensch mit Tieren, die zu unserer Wurst, zu unserem
Essen werden?


(Beifall bei der SPD)


Klar ist: Wie der Mensch seine Nutztiere hält, ist allzu
oft nicht artgerecht . Klar ist auch: Hier müssen wir etwas
tun . Nur: Die Hauptpunkte der Anträge der Opposition
gehen am Problem vorbei .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Anträge der Linken und von Bündnis 90/Die Grü-
nen sehen die Einführung von Bestandsobergrenzen bzw .
die rechtliche Verankerung der flächengebundenen Tier-
haltung als Schlüssel zur artgerechten Nutztierhaltung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit machen Sie es

sich leider ein bisschen zu einfach . Gute Tierhaltung lässt
sich nicht nur auf die Größe des Betriebes reduzieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das behauptet auch niemand!)


Es ist Symbolpolitik, die wir nicht mittragen können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nach derzeitigem Kenntnisstand hat die Betriebsgröße
gegenüber anderen Einflussfaktoren, wie beispielsweise
die Managementqualität, einen vergleichsweise geringe-
ren Einfluss auf das Tierwohl. Das zeigt auch das Gut-
achten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik,
Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz des
Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft .
Entscheidend ist also immer das Wie der Tierhaltung .

Noch einen weiteren Punkt möchte ich nennen, der
mich in Ihren Anträgen irritiert hat: Ihre Anträge lassen
die Landwirtinnen und Landwirte fast komplett außen
vor . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Veränderungen in
der Nutztierhaltung lassen sich nur im Dialog mit denje-
nigen erreichen, die tagtäglich im Stall arbeiten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Die verstehen uns schon!)


Wir wollen spürbare Verbesserungen für die Tiere .
Die SPD steht daher zum Leitbild einer dem Standort
angepassten, regional verankerten und flächendeckenden
Landwirtschaft unterschiedlicher Strukturen und Pro-
duktionsausrichtungen . Sehr wohl streben wir dement-
sprechend einen an die Fläche angepassten Tierbestand
an . So haben wir es auch gemeinsam im Koalitionsver-
trag festgehalten .

Einen Beitrag hierzu hat die Bundesregierung zum
Beispiel durch die Novelle zum Baugesetzbuch geleistet .
Gewerbliche Tierhaltungen werden danach beim Bauen
im Außenbereich nicht mehr privilegiert, wenn sie be-
stimmte Größen überschreiten . Meine Damen und Her-
ren, Sie wissen, das sind zum Beispiel 15 000 Hennen,
1 500 Mastschweine .

Die negativen Auswirkungen der zunehmenden regi-
onalen Konzentration von Tierhaltung im großen Maß-
stab liegen jedoch weniger im Bereich des Tierwohls als
vielmehr im Bereich der Umwelt – das Stichwort „Gül-
leentsorgung“ ist schon angeklungen – und im Bereich
der Tiergesundheit – Stichworte „Seuchenrisiko“ und
„Antibiotikaeinsatz“ . Hier sind schon eine Reihe von
Vorhaben abgeschlossen worden, wie zum Beispiel in
Bezug auf die Gülleproblematik die Verbringungsverord-
nung . Andere Vorhaben sind gerade in der Mache . Hier
spreche ich vom Düngegesetz oder auch von der Dünge-
verordnung . Eine wirksame Reduzierung des Antibioti-
kaeinsatzes – ich glaube, da sind wir uns alle einig – ist
unerlässlich .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weitere Maßnahmen müssen hier selbstverständlich fol-
gen .

Dr. Kirsten Tackmann






(A) (C)



(B) (D)


Als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfrak-
tion möchte ich mich an dieser Stelle nun wieder dem
Kernthema der artgerechten Nutztierhaltung widmen .
Wichtige Impulse für die Diskussion um artgerechte
Tierhaltung in Deutschland kann uns das bereits erwähn-
te Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptier-
ten Nutztierhaltung“ geben, und zwar nicht nur in Bezug
auf das von Ihnen angesprochene Thema Bestandsober-
grenzen . Der WBA hat konkrete Empfehlungen vorge-
legt, wie man den Tierschutz in der Landwirtschaft auch
schon kurzfristig verbessern kann .

Das Gutachten unterstützt in zentralen Punkten die
Position der SPD-Bundestagsfraktion zur Nutztierhal-
tung . Es zeigt deutlich: Eine von der Mehrheit der Be-
völkerung akzeptierte Tierhaltung kann nur funktionie-
ren, wenn beispielsweise folgende Maßnahmen zeitnah
umgesetzt werden: die Einführung eines verbindlichen
staatlichen Tierschutzlabels neben freiwilligen Initiati-
ven, die Koordination aller Tierschutzaktivitäten durch
den Bund in einem Bundesprogramm Tierwohl sowie
die Bereitstellung von mehr Finanzmitteln für die zweite
Säule der Agrarpolitik, um Tierschutzmaßnahmen tat-
sächlich entsprechend fördern zu können .


(Beifall bei der SPD)


Nun geht es darum, die konkreten Maßnahmen auch
umzusetzen . Hier appelliere ich insbesondere an das
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
und an Bundesminister Christian Schmidt . Was das Mi-
nisterium bisher in Sachen Umsetzung, gerade auch der
Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats, hat ver-
lauten lassen, reicht absolut nicht aus .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!)


Beispielsweise ist in der Antwort auf die Kleine Anfrage,
die die Grünen kürzlich zur Umsetzung der Empfehlun-
gen gestellt haben, fast nur von „beobachten“ und „prü-
fen“ die Rede .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Meine Damen und Herren, so lassen sich keine Verände-
rungen herbeiführen .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Mit dem Koalitionsvertrag haben wir eine gute Grund-
lage für Veränderungen hin zu mehr artgerechter Tierhal-
tung, und das WBA-Gutachten gibt da, wie gesagt, einen
wichtigen neuen Input . Herr Bleser, meine Damen und
Herren, nun kommt es darauf an, dass die Umsetzung
tatsächlich erfolgt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813319900

Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff

für Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Frühjahr dieses Jahres wurde das Gutachten „Wege zu
einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ des
Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesagrarminister
veröffentlicht, das der heute überwiegend praktizierten
Nutztierhaltung nach über 400 Seiten attestiert, nicht zu-
kunftsfähig zu sein – so, wie wir es vor zwei Tagen bei
Herrn Pelzig bewundern durften . Es gibt zahlreiche Ver-
anstaltungen dazu, überall volle Säle, viele Diskussionen
über das Ziel, einen Fahrplan zur artgerechten Tierhal-
tung aufzustellen . Diese Diskussionen werden im Übri-
gen immer mit der Landwirtschaft geführt .

Die einzigen, die offenbar kein Interesse an der De-
batte haben, sind das Bundeslandwirtschaftsministerium,
der Deutsche Bauernverband und Sie von der CDU/CSU .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Man scheut sich scheinbar, sich dazu zu äußern, ge-
schweige denn mit der Umsetzung der zahlreichen
Empfehlungen des Gutachtens zu beginnen . Sie sagen:
zu aufwendig, zu teuer, nicht machbar . – Stattdessen be-
schimpft man sämtliche Unterstützer als „Empörungsin-
dustrievertreter“ . Herr Röring wird es sich gleich nicht
nehmen lassen, das noch mal auszubreiten . Ich glaube,
dass wir gleich von ihm etwas zum Thema Massentier-
haltung hören . Ich sage schon mal vorweg, dass weder
im Antrag der Linken noch in unserem Antrag das Wort
„Massentierhaltung“ vorkommt . Trotzdem werden wir
gleich etwas dazu hören . Bei Herrn Stier war es genauso .
Er sprach von der Abschaffung der Privilegierung und
vom Verbandsklagerecht, aber davon steht nichts in un-
serem Antrag . Ich weiß nicht, wo er es gelesen hat . Aber
es mag ja sein, dass Sie einen anderen Antrag vorliegen
haben als den, den wir heute behandeln .

Minister Schmidt ist sich aber nicht zu schade, sich
mit hübschen Worten wie „Deutschland … Trendsetter
in Sachen Tierwohl“ oder gar „Tierwohlminister“ zu
schmücken . Das im Koalitionsvertrag von Ihnen ver-
einbarte Ziel, den wissenschaftlichen Diskurs zur tierge-
rechten Haltung auf den Weg zu bringen, wird mit dem
in der Schublade versenkten Beiratsgutachten als erledigt
angesehen .

Ja, Frau Jantz, Sie haben im Koalitionsvertrag das Ziel
der flächengebundenen Tierhaltung vereinbart. Ja, und?
Sie werden sie heute wieder ablehnen . – Da gibt es einen
gewissen Widerspruch .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grüne sind für eine Begrenzung der maximalen
Tierzahlen, sowohl betrieblich als auch regional .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Christina Jantz






(A) (C)



(B) (D)


Ähnlich haben sich auch schon Kolleginnen und Kolle-
gen der Union geäußert, sogar Frau Mortler .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Herr Holzenkamp!)


Wer hätte das gedacht? Der Vorschlag vom Kolle-
gen Holzenkamp einer Bestandsbegrenzung von
50 000 Schweinen pro Betrieb, ist unserer Meinung nach
allerdings mindestens eine Nullstelle zu hoch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eines ist klar: Mit steigender Herdengröße nimmt die
Betreuungsintensität für das Einzeltier deutlich ab . Den
Ansprüchen einer artgerechten, tierbezogenen Haltung
kann der Tierhalter nur gerecht werden, wenn er die
Masse der Tiere noch überblicken kann . Wir haben das
damals, als Bärbel Höhn in Nordrhein-Westfalen Minis-
terin war, mit dem damaligen Betreuungserlass durchde-
kliniert und uns gefragt, was notwendig ist . Leider haben
Sie ihn sofort abgeschafft, als Sie an die Regierung ka-
men .

Es geht vor allen Dingen um die Tierhaltung zwischen
Nordsee und Ruhrgebiet, wo der Gülletourismus mittler-
weile stärker wird als der Urlaubstourismus, wo das Seu-
chenrisiko durch die hohe Konzentration unbeherrschbar
wird, wo die Nitratwerte im Grundwasser als äußerst be-
denklich eingestuft werden müssen, wo der Import von
Sojafutter aus Südamerika weitaus höher ist als der Im-
port von Bananen und wo Tiere unter Bedingungen ge-
halten werden, die alles andere sind, als an die Tiere an-
gepasst . Hoffnung macht wieder, mir insbesondere, dass
sich so viele Bauern und Bäuerinnen auch ohne Sie auf
den Weg zu einer besseren Haltung gemacht haben und
das auch weiterhin tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die Zeit ist reif für einen
nachhaltigen Umbau der Tierhaltung, der das Wohl und
die Gesunderhaltung der Tiere, der Umwelt und nicht
zuletzt des Verbrauchers in den Mittelpunkt stellt . Das
Ganze wird Geld kosten: 3,5 Milliarden Euro pro Jahr;
das hat der Wissenschaftliche Beirat in seinem Gutachten
festgestellt. Es muss fließen aus Staatsgeldern, durch eine
Umschichtung der EU-Agrarhilfen, aus dem Handel, den
Schlachtunternehmen und nicht zuletzt aus dem Verbrau-
cherbereich .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grüne finden, wir brauchen eine bäuerliche Land-
wirtschaft und Tierhaltung, die auf regionale Kreisläufe
setzt . Klasse statt Masse – das muss der Leitsatz unserer
Landwirtschaft werden . Zeigen Sie endlich den Mut zu
einer wirklichen Umgestaltung der Landwirtschaft! Das
geht nicht einfach mit freiwilliger Verbindlichkeit oder
verbindlicher Freiwilligkeit – das ging auch bei Pelzig
völlig durcheinander; man weiß gar nicht mehr, was der
richtige Begriff ist – oder mit irgendeinem anderen in-
haltsleeren Geschwafel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813320000

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-

punkt ist der Kollege Johannes Röring für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1813320100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden

Anträge der Opposition setzen im Grunde die Dauerkri-
tik an deutschen Bauernfamilien fort .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Alte Leier! – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: So ein Unsinn! Das glauben Sie doch selber nicht! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geh doch mal in die Diskussion, dann kriegst du auch mal mit, was die Stimmung ist! Das sollte der Bauernpräsident auch einmal tun!)


Sie haben wieder die gleiche Platte mit Verbotsankündi-
gungen aufgelegt .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du weißt gar nicht, was läuft! – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist deine Platte!)


Wenn man heute mit Bauernfamilien spricht, dann
wird man damit konfrontiert, dass die Dauerkritik die
Bauernfamilien wesentlich stärker schmerzt als die deso-
late Marktsituation, die wir ohne Zweifel im Moment
haben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie mauern sich ja ein! Was ist das denn?)


Menschen, die sich tagtäglich um ihre Tiere kümmern,
darf man nicht unter Dauerkritik stellen . Das muss auf-
hören .


(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch das Letzte!)


Frau Tackmann, ich war ein bisschen amüsiert, als
Sie das Thema „Deckelung der Großmastanlagen“ an-
gesprochen haben . Es ist, glaube ich, 26 Jahre her, da
habe ich mir in den neuen Bundesländern die Tierhaltung
angeschaut. Ich habe dort gelernt, dass Pflanze und Tier
getrennt wurden, dass es sogenannte Kombinate Indust-
rielle Mast gab .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist ein Fehler gewesen! Das ist doch klar! Das ist jetzt albern!)


Frau Tackmann, in einem Versammlungsraum stand an
der Wand der Slogan „Ohne Gott und Sonnenschein fah-
ren wir die Ernte ein“ .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sind Märchen, die Sie erzählen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte mal an die Zukunft denken und nicht an die Friedrich Ostendorff Vergangenheit! – Zuruf von der CDU/CSU: So war das!)





(A) (C)


(B) (D)


Das ist nicht unsere Vorstellung von Landwirtschaft der
Zukunft . Das ist auch nicht die Realität in den neuen
Bundesländern; denn dort hat sich viel getan, es gab vie-
le Verbesserungen .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ich weiß! Da kenne ich mich besser aus als Sie!)


Deswegen bekennt sich die Union ganz klar zur Nutztier-
haltung in Deutschland; denn wir wollen weiterhin Tiere
in Deutschland halten und auch deren Verarbeitung zu
wertvollen Lebensmitteln, zu Wurst, zu Fleisch und zu
Convenience-Produkten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sind doch alles Pappkameraden, die Sie hier aufstellen!)


Tierhalter produzieren gemeinsam mit der verarbei-
tenden Industrie Lebensmittel von höchsten Standards
und bester Qualität . Aber wir wollen Gutes noch besser
machen . Selbstverständlich ist die Landwirtschaft zu
Verbesserungen bereit . Mehr Tierwohl gibt es aber nicht
zum Nulltarif . Ich muss ganz deutlich sagen: Die deut-
sche Landwirtschaft hat wirklich verstanden . Sie liefert .
Sie will mitmachen und die Tierhaltung in ihren Stäl-
len verbessern . Zum Beispiel zeugt die große Zahl der
Schweinehalter, aber auch der Geflügelhalter, die sagen:
„Wir machen mit und wollen das verbessern“ – sie stehen
quasi in der Warteposition; aber der deutsche Handel ist
nicht in der Lage,


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Weil der seinen eigenen Gewinn nicht antastet!)


das Geld dafür beim Verbraucher wiederzuholen –,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der Verbraucher das erst gar nicht erkennen kann, wieso soll er dann mehr zahlen?)


davon, dass die Tierhalter in Deutschland in diese Rich-
tung weitergehen wollen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich kann alle nur wirklich bitten, unterstützend zu wir-
ken, damit wir den ersten Schritt hinkriegen: Tierhalter,
Verbraucher und diejenigen, die in Vermarktung und Le-
bensmittelhandel tätig sind, müssen daran denken, dass
Tierwohl Geld kostet . Das müssen wir bedenken, wenn
wir die Tierhaltung in Deutschland halten wollen .

Die Bundesregierung und wir als Gesetzgeber waren
nicht untätig . Ich will ganz deutlich darauf hinweisen, dass
die Veränderung des Baugesetzbuches in der letzten Le-
gislaturperiode eine deutliche Wirkung zeigt: Die Kom-
munen haben mehr Mitspracherecht, und die Tierhaltung
ist stärker an die Fläche gebunden als vorher . Ich will
auch deutlich machen, dass die Verbringungsverordnung
dafür gesorgt hat, dass die Nährstoffsituation mittlerwei-
le lückenlos erfasst wird . Dabei geht es um die Frage: Wo
fällt was an, und wo geht es hin? Nordrhein-Westfalen
und Niedersachsen haben diese Verbringungsverordnung

nämlich umgesetzt . Ich glaube, wir müssen auf diesem
Weg sehr schnell weiter vorankommen .

Ich sage auch ganz deutlich: „Immer schneller, immer
größer“ ist nicht unsere Devise . Wir wollen die Akzep-
tanz der Bevölkerung. Deswegen finde ich es gut, dass
Bundesminister Schmidt einen Kompetenzkreis einbe-
rufen hat, um die Frage der Haltung ganz deutlich an-
zusprechen . Dabei geht es nicht nur um die Haltung der
Tiere, sondern auch um die Haltung der Tierhalter, um
die Haltung im Kopf . Das ist ein guter Hinweis .

Auch der Lebensmittelgipfel und die Dialogplattform
sind wichtig – sie kommen –, um diese Themen anzu-
sprechen: Sind die Kräfte des Marktes noch richtig ver-
teilt, damit sichergestellt ist, dass die Bauernfamilien am
Ende nicht zu kurz kommen, damit sie ihren Anteil von
dem erhalten, was die Verbraucher bezahlen?

Wir haben Erfolge . Die Evaluierung des Arzneimit-
telgesetzes zeigt, dass die Menge der eingesetzten Arz-
neimittel deutlich zurückgeht . Wir bekommen Bera-
tungshinweise für ein Benchmarking guter Betriebe, in
Richtung Tierwohl . Wir werden von der Wirtschaft einen
Tierwohlindex einfordern . Ich habe Signale erhalten,
dass er eingeführt wird . Deswegen bin ich sehr guten
Mutes, dass wir hierbei vorankommen .

Tierhaltungsregionen – das will ich noch einmal be-
tonen – sind lebendige Regionen in Deutschland . Dort
brummt es, dort boomt es . Dort geht die Anzahl der
Landwirte nicht zurück, sondern dort gibt es nach wie
vor eine große Anzahl von Landwirten .

Zum Schluss ein Appell: Wir haben gerade gehört,
dass die Menschen in Darfur und im Südsudan sich nach
einer Landwirtschaft, wie wir in Deutschland sie haben,
sehnen . Bitte überdenken Sie, ob es wirklich Sinn macht,
die Landwirtschaft, die Tierhalter, die Bauernfamilien in
Wahlkämpfe hineinzuziehen, sie zum Thema von Wahl-
kämpfen zu machen .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Machen wir doch eine Enquete-Kommission! Haben wir vorgeschlagen!)


Ich glaube, das haben unsere Bauern in Deutschland
nicht verdient . Zeigen Sie, dass die ersten Ansätze gut
sind . Ich weiß, dass Minister Meyer in Niedersachsen
und Minister Remmel in Nordrhein-Westfalen sehr offen
sind für die Anliegen der Bauern und nach vorne gehen .
Ich glaube, das ist auch hier möglich . Dieses Thema eig-
net sich wirklich nicht als Wahlkampfthema . Ich glaube,
gemeinsam schaffen wir es, die Tierhaltung nach vorne
zu bringen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813320200

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlus-
sempfehlungen des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft auf Drucksache 18/6437 . Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung

Johannes Röring






(A) (C)



(B) (D)


die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/1872 mit dem Titel „Bestandsobergren-
zen für Tierhaltungen einführen“ Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Be-
schlussempfehlung angenommen mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/3732 mit dem Titel „Die Zukunft der
Tierhaltung – Artgerecht und der Fläche angepasst“ . Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die-
se Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Lin-
ke . – Damit verlassen wir diesen Tagesordnungspunkt .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Ope-
ration in Darfur (UNAMID) auf Grundlage
der Resolution 1769 (2007) des Sicherheits-
rates der Vereinten Nationen vom 31. Juli
2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2228

(2015) vom 29. Juni 2015


Drucksache 18/6503
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Weil ich kei-
nen Widerspruch höre oder sehe, ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Erster Redner in dieser
Aussprache ist der Kollege Dirk Vöpel von der SPD,
dem ich hiermit das Wort erteile .


(Beifall bei der SPD)



Dirk Vöpel (SPD):
Rede ID: ID1813320300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Eines ist sicher: Afrika rückt näher an Euro-
pa heran . Langsam, aber unaufhaltsam wandert die af-
rikanische Kontinentalplatte jedes Jahr Zentimeter für
Zentimeter Richtung Norden . Aufgrund dieser geologi-
schen Entwicklung wird das Mittelmeer irgendwann ver-
schwunden und Afrika mit Europa und Asien zu einem
neuen Superkontinent verschmolzen sein .


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit hat sich die Seenotrettung dann erledigt! – Zuruf von der SPD: Darauf warten wir aber nicht!)


Natürlich wird Afrika die Zukunft Europas schon in
weit kürzerer Frist beeinflussen. Auch dies hat mit einer
drückenden wie bedrückenden Wanderungsbewegung zu
tun . Millionen und Abermillionen Menschen in Afrika
haben jede Hoffnung auf eine Besserung ihrer verzwei-
felten Lage verloren . Ihr gelobtes Land heißt Europa,
dem sie mit aller Macht zustreben, koste es auch das ei-
gene Leben oder gar das der Familie .

Viele haben sich auf den Weg gemacht . Mehr werden
kommen . Der Druck im afrikanischen Kessel wird nicht
nachlassen . Dafür sorgt schon die weltweit einzigarti-
ge demografische Entwicklung, die Afrika im 21. Jahr-
hundert nehmen wird . Von aktuell knapp 1,2 Milliarden
Einwohnern soll sich die Bevölkerung laut jüngster
UNO-Prognose bis 2050 auf 2,4 Milliarden verdoppeln,
bis zum Ende des Jahrhunderts auf 4,5 Milliarden fast
vervierfachen . Bereits jetzt sind in den Ländern südlich
der Sahara 540 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner
unter 18 Jahre alt; zur Mitte des Jahrhunderts wird es
1 Milliarde sein .

Was wir derzeit als Flüchtlings- und Migrationsbe-
wegung aus Afrika wahrnehmen, ist ein Rinnsal vergli-
chen mit dem Tsunami an Not und Elend, auf den wir
in Europa gefasst sein müssen, wenn es nicht gelingt, in
Afrika endlich eine fundamentale und tiefgreifende Wen-
de zum Besseren einzuleiten . Dabei geht es gar nicht da-
rum, größte Fortschritte in kürzester Zeit zu erreichen .
Entscheidend ist aber: Der erwartete Trend, die gefühlte
Richtung muss stimmen . Wenn Menschen darauf ver-
trauen können, dass sich ihre Lebensverhältnisse lang-
sam, aber stetig verbessern, dass der absolute Nullpunkt
des Elends endlich durchschritten ist, wenn es mit ihnen
und ihren Ländern allmählich, aber erkennbar bergauf
geht und sie sich selbst als handelnde Akteure einer Auf-
stiegsgeschichte begreifen können, dann wird die absolu-
te Wohlstandsdifferenz zwischen Europa und Afrika als
Wanderungsmotiv rasch an Bedeutung verlieren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Damit es besser werden kann, darf es aber zunächst
nicht schlechter werden . Damit komme ich zu Darfur und
UNAMID. Der kriegerische Konflikt, der seit 2003 in
der westsudanesischen Region Darfur tobt und der bisher
weit über 300 000 Menschenleben gekostet und zu milli-
onenfachem Flüchtlingselend geführt hat, gehört zu den
bekannteren Schauplätzen der afrikanischen Tragödien .
Trotz regelmäßiger schwerer Dürreperioden hat sich die
Bevölkerung in Darfur seit 1950 fast verachtfacht . Dass
ein solch rapides Bevölkerungswachstum im Rahmen ei-
ner tradierten Subsistenzwirtschaft bei knapper werden-
den landwirtschaftlichen Nutzflächen das friedliche Zu-
sammenleben von Menschen nicht begünstigt, liegt auf
der Hand . Hinzu kommen in Darfur etliche zusätzliche
Konfliktherde und Konfliktlinien, Konfliktanlässe und
Konfliktparteien, die sich nahezu unauflösbar miteinan-
der verknotet haben .

Wir haben es unter anderem zu tun mit dem Kampf
der sudanesischen Zentralregierung gegen die Autono-
mie- oder Separationsbestrebungen verschiedener Re-
bellengruppen, Konflikten entlang ethnischer Spaltung
zwischen arabischen und afrikanischen Bevölkerungs-

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


gruppen, lokalen Auseinandersetzungen über konkur-
rierende Formen der Landnutzung zwischen sesshaften
Ackerbauern und viehweidenden Nomadenstämmen,
Konflikten über die Kontrolle von Bodenschätzen, Klein-
kriegen zwischen kriminellen Banden und vor allem im-
mer wieder neu aufbrechenden Konflikten zwischen den
Rebellengruppen, aber auch zwischen verschiedenen
Fraktionen und Abspaltungen von Abspaltungen inner-
halb der Rebellengruppen .

Wir haben es hier mit einem extrem zersplitterten
Konflikt zu tun, mehr Schwelbrand als flammendes In-
ferno . Kaum noch jemand hat auch nur annähernd einen
Überblick über die widerstreitenden Interessen und die
beteiligten Akteure . Unter solchen Umständen an einer
politischen Lösung zu arbeiten, der alle Parteien und
Gruppierungen zustimmen könnten, dürfte im Moment
zu den frustrierendsten Aufgaben der internationalen
Diplomatie gehören . Vor diesem Hintergrund relativiert
sich aus meiner Sicht das überwiegend schlechte Zeug-
nis, das der UNAMID-Mission oft ausgestellt wird .

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat jeden-
falls als Reaktion auf die geringen Fortschritte bei der
Umsetzung des Doha-Friedensabkommens und ange-
sichts der nach wie vor katastrophalen humanitären
Lage in Darfur im letzten Jahr eine Neuausrichtung der
UNAMID-Friedenstruppe beschlossen . Absolute Priori-
tät haben der Schutz von Zivilpersonen und humanitärem
Personal sowie die Sicherung der Nahrungsmittelliefe-
rungen, von denen das Leben von Millionen Menschen
abhängt . Die Patrouillenfahrten wurden verstärkt,
Schutzzonen für die Zivilbevölkerung geschaffen, und es
wird mehr Präsenz in den Flüchtlingslagern gezeigt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Einsätze wie
diesen, ohne das Engagement der internationalen Ge-
meinschaft würden sich die Verhältnisse drastisch ver-
schlechtern . Die harte Wahrheit ist: Zwischen einem
erneuten Abdriften Darfurs in das totale Chaos, dem je-
derzeit denkbaren Rückfall in die Schreckensjahre des
systematischen Massenmordes, stehen nur diese knapp
21 000 Frauen und Männer der UNAMID-Mission . Sie
haben unseren größten Respekt und unseren Dank ver-
dient .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber vor allem haben sie und die Menschen in Darfur
verdient, dass wir alles in unserer Macht Stehende unter-
nehmen, um einer politischen Lösung des Darfur-Kon-
flikts endlich näherzukommen.

Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813320400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813320500


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Vöpel, ich finde eine Sache wichtig: Wenn
wir über die Fluchtbewegungen nach Europa sprechen,
sollten wir auf Drohszenarien verzichten und nicht von
„Tsunamis“ sprechen . Denn die Fluchtbewegungen sind
keine Naturkatastrophen, die über uns hinwegbrechen,
sondern sie sind menschengemacht . Das gilt auch für die
Flüchtlinge – aus Darfur kommt ja kaum jemand nach
Europa – vom afrikanischen Kontinent .


(Beifall bei der LINKEN)


Zu Darfur selbst. Über den Konflikt in Darfur wird
heutzutage sehr wenig berichtet . Das war nicht immer
so . Vor zehn Jahren verfolgte die Bevölkerung hier fas-
sungslos über die Medien den Bürgerkrieg in der west-
sudanesischen Provinz . Manche sprachen von Völker-
mord . Zehn Jahre später muss man nun feststellen: Es
wird kaum mehr über Darfur berichtet, aber die Gewalt
geht weiter . 2,8 Millionen Menschen sind auf der Flucht,
200 000 Menschen wurden umgebracht . Es darf nicht
sein, dass das Mitgefühl und die Aufmerksamkeit für die
Menschen in Darfur und anderswo von der jeweiligen
geopolitischen Großwetterlage abhängen .


(Beifall bei der LINKEN)


Vor zehn Jahren wurde die Entsendung deutscher Sol-
daten mit den Verbrechen des Regimes von Umar al-Ba-
schir gerechtfertigt . Deutschland hat sich schließlich an
UNAMID, der größten und teuersten aller UN-Militär-
missionen, beteiligt . 1,3 Milliarden US-Dollar kostet sie
im Jahr .

Heute sind sieben Bundeswehrsoldaten und ein Polizist
vor Ort . Die Bundesregierung nennt das „unverzichtbar“ .
Das ist offenkundig falsch . Weder Zehntausende afrika-
nische Soldaten noch eine Handvoll Bundeswehrsolda-
ten haben Darfur dem Frieden nähergebracht . Eine Fort-
setzung dieses Mandats wird an dieser Situation nichts
ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Im vorliegenden Antrag der Bundesregierung lesen
wir nun, dass es gemeinsame Überlegungen mit der su-
danesischen Regierung über einen – ich zitiere – „Ab-
zug der Mission“ gibt . Verhandlungen mit dem Regime
al-Baschir zum Abzug der Mission? Wie geht das zusam-
men?

Die Verhandlungen mit al-Baschir über die Mission
bringen zum Ausdruck, dass die Entsendung deutscher
Soldaten von Beginn an nur einer Logik folgte: einen
Beitrag zum, wie es im Antrag der Bundesregierung
selbst heißt, „beabsichtigten Ausbau des deutschen En-
gagements in Afrika“ zu leisten .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)


Dirk Vöpel






(A) (C)



(B) (D)


Es ging darum, militärische Präsenz um der militärischen
Präsenz willen zu zeigen . An diesem Motiv hat sich
nichts geändert .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie sich einmal, wem ein Abzug helfen würde!)


Auch darum lehnt die Linke das Mandat ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Hat sich das Regime geändert? Nein . Im Juni be-
richtete Human Rights Watch von der Gründung einer
militärischen Sondereinheit unter dem Kommando des
sudanesischen Geheimdienstes . Im Rahmen zweier
Militäroperationen unter dem Namen „Entscheidender
Sommer“ hat diese Einheit ganze Dörfer niedergebrannt
und entvölkert, Brunnen und Nahrungsspeicher zerstört,
Menschen gefoltert und umgebracht .

Das Mandat von UNAMID beruht auf der Fiktion,
dass mit dem Regime al-Baschir zusammen ein Frieden
gesichert werden soll . Dieser Frieden existiert aber nicht .
Blauhelmsoldaten sind weder in der Lage, einen Frieden
zu sichern, noch sind sie in der Lage, einen Frieden zu
erzwingen . Ein nachhaltiger Frieden kann erst entstehen,
wenn die zugrundeliegenden sozialen und politischen
Probleme gelöst werden .

Ganz vorne steht hier natürlich auch die aktuelle Situ-
ation der Flüchtlinge in Darfur und in der Region . Dazu
gehört beispielsweise aber auch der Wassermangel, der
Verteilungskämpfe um Weideplätze zwischen den Ethni-
en anheizt . Der Klimawandel führt zu mehr Dürren in
der Sahelzone und verschärft so den Konflikt in Darfur.
Ernsthafte Maßnahmen gegen diesen Klimawandel wä-
ren deshalb beispielsweise ein wirklicher Beitrag zur
Entschärfung der Konfliktursachen. Soldaten sind es
nicht .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813320600

Ich darf mich an dieser Stelle für die Präzision der

Kolleginnen und Kollegen, die bisher geredet haben, bei
der Zeiteinhaltung bedanken .

Als Nächstes erteile ich dem Parlamentarischen
Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe für die Bundesregie-
rung das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1813320700


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
den Sudan gilt das, was auch für den Südsudan gilt: Er ist
derzeit nicht im Zentrum der weltpolitischen Aufmerk-
samkeit . Die humanitäre Lage ist aber leider unverändert
prekär; denn inzwischen sind allein in der Region Darfur
mehr als 4 Millionen Menschen, besonders Kinder, auf
humanitäre Hilfe angewiesen .

Es kommt nach wie vor zu Kampfhandlungen zwi-
schen der regulären Armee und der Sudan Revolutionary
Front, einem Zusammenschluss von Rebellen . Aber auch

in den Regionen Darfur, Südkordofan und Blauer Nil
kam es in der Vergangenheit immer wieder zu gewaltsa-
men Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen
Milizgruppierungen, die auch in Zukunft jederzeit wie-
der aufflammen können.

Vor diesem Hintergrund und da wir uns die Lage
nicht so malen können, wie wir sie gerne hätten, bleibt
UNAMID und damit der gemeinsame Einsatz der Ver-
einten Nationen und der Afrikanischen Union in Darfur
bis auf Weiteres unverzichtbar .

Ich bin Ihnen, lieber Kollege Vöpel, sehr dankbar für
die große Sachlichkeit, mit der Sie genau diese Situati-
on dargestellt haben . Es ist eine schwierige, eine prekäre
Situation . Aber die Soldaten von UNAMID, die dort im
Auftrag der Völkergemeinschaft sind, verhindern ein to-
tales Chaos, und deswegen sind wir ihnen, denke ich, zu
Dank verpflichtet.

Meine Damen und Herren, die Mission steht bei ihrer
Auftragserfüllung weiter vor großen Herausforderungen;
denn sie ist auch selbst Ziel von Angriffen . Seit ihrer Ein-
richtung sind über 70 Peacekeeper bei Kampfhandlun-
gen ums Leben gekommen . Das zeigt, wie gefährlich der
Einsatz ist .

UNAMID fehlen weiterhin vornehmlich Hubschrau-
ber- und Aufklärungseinheiten . Die afrikanischen Trup-
pen- und Polizeisteller verfügen in Teilen leider nur über
eine unzureichende materielle Ausstattung . Beispiels-
weise fehlen gepanzerte Truppentransportfahrzeuge fast
vollständig .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz all dieser
Schwierigkeiten bleibt UNAMID angesichts der bedrü-
ckenden Gesamtsituation ein wichtiger stabilisierender
Faktor . Diese Mission wird gebraucht .

Das vom Kollegen Vöpel schon angesprochene 2011
geschlossene Friedensabkommen von Doha wird – wenn
auch langsam, aber immerhin – mit Begleitung der in-
ternationalen Gemeinschaft weiter umgesetzt . Und es ist
die Mission UNAMID, die es den zivilgesellschaftlichen
Gruppen ermöglicht hat, im Rahmen des Darfur-internen
Dialogs überhaupt Gehör zu erhalten . Für die Zivilbevöl-
kerung hat UNAMID erst Schutzzonen geschaffen .

Nicht zu vergessen ist auch die logistisch koordinie-
rende Funktion bei Hilfslieferungen für die Bevölkerung,
unter anderem vom Welternährungsprogramm . Das ist
eine Aufgabe, für deren Erledigung sonst niemand bereit-
stünde . Es ist zynisch, über das Handeln unserer Soldaten
dort zu reden und Kritik zu üben und dabei zu verdrän-
gen, dass diese Aufgaben, die das Welternährungspro-
gramm erfüllen muss, sonst niemand flankieren würde,
niemand dafür bereitstünde . Dafür stehen die Soldatin-
nen und Soldaten bereit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine effektive und
gute Zusammenarbeit mit der jeweiligen Gastregierung –
das ist wahr – stellt für jede Peacekeeping-Mission eine
wichtige Bedingung für die erfolgreiche Auftragserfül-
lung dar . Gerade hier gilt es, von der sudanesischen Seite
immer wieder die notwendige Kooperationsbereitschaft

Christine Buchholz






(A) (C)



(B) (D)


einzufordern . Aber auch wenn diese Kooperationsbe-
reitschaft nicht in dem Maße vorhanden ist, wie es die
Völkergemeinschaft erwarten kann, dürfen wir doch die
bedrängten und bedrohten Menschen nicht im Stich las-
sen . Im Gegenteil: Wir müssen unsere Anstrengungen
erhöhen, wenn schon die sudanesische Regierung ihrer
Verpflichtung nicht in der Weise gerecht wird, wie wir
das erwarten . Umso mehr sind wir im Interesse der be-
drohten und bedrückten Menschen gefordert .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen bleibt es dabei, dass wir uns von der sudane-
sischen Seite mehr Entgegenkommen wünschen würden .
Es kommt hinzu, dass friedensunwillige Rebellengrup-
pen nach wie vor mit ihren Kampfhandlungen Wieder-
aufbaubemühungen sabotieren und damit für die nach
wie vor schlechte Sicherheitslage Mitverantwortung tra-
gen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einer Verbesse-
rung der Lage in Darfur ist nur dann zu rechnen, wenn
eine umfassende politische Lösung für den Darfur-Kon-
flikt gefunden wird. Etwas anderes haben wir im Übrigen
nie gesagt . An keiner Stelle sind wir mit Soldatinnen und
Soldaten in der Illusion engagiert, damit allein die Pro-
bleme lösen zu können . Wir brauchen in Darfur genauso
wie anderswo, wo wir engagiert sind, eine politische Lö-
sung .

Die Initiative der sudanesischen Regierung, mit ei-
nem umfassenden nationalen Dialog das Land zu befrie-
den, hat eben leider auch nach den Wahlen vom April
dieses Jahres noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse
gezeigt . Dieser Prozess braucht offenkundig noch Zeit .
Umso wichtiger ist es deshalb, dass die internationale
Gemeinschaft die VN-Mission UNAMID weiter unter-
stützt .

Die Bundesregierung ist dazu bereit, sich auf gleich-
bleibendem Niveau mit Soldatinnen und Soldaten dort
zu engagieren . Deutschland ist das einzige europäische
Land, das sich an einer zu Recht afrikanisch dominierten
Mission personell beteiligt . Aber wir stehen mit vielen
anderen zusammen, um diesen Auftrag zu erfüllen .

Die deutschen Soldatinnen und Soldaten besetzen
Stabsfunktionen in den Bereichen Einsatzsteuerung, Lo-
gistik, Aus- und Weiterbildung, Personalplanung, Flugsi-
cherheit sowie Geoinformationswesen . Ich möchte ihnen
an dieser Stelle ausdrücklich für ihren Einsatz danken,
ihnen meine Hochachtung für ihr bemerkenswertes und
forderndes Engagement unter sehr schwierigen Bedin-
gungen aussprechen . Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sie haben es verdient, dafür auch weiterhin die Unter-
stützung dieses Hohen Hauses zu haben, um die ich Sie
hiermit bitte .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813320800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger

für Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für viele
Menschen im Sudan ist die Situation schrecklich: Leid,
Gewalt, Willkür, aber vor allem auch Hunger gehören seit
Jahren zu ihrem Alltag . So verwehrt die Rebellengruppe
SPLA-N Helfern, die dringend benötigte Nahrung und
Medikamente zu den Menschen bringen wollen, mit Ge-
walt den Zugang zu bestimmten Gebieten im Norden .

Seit Jahren geht aber auch die sudanesische Regie-
rung barbarisch gegen die eigene Bevölkerung vor; darü-
ber geben die regelmäßigen Berichte von Human Rights
Watch ein schreckliches Zeugnis . So setzt die sudane-
sische Luftwaffe international geächtete Streumunition
ein . In einem Land, in dem extremer Hunger herrscht,
werden Felder und Ernten zerstört . Regelmäßig werden
bei diesen barbarischen Attacken Schulen, Märkte und
Krankenstationen getroffen, und insbesondere Kinder
sind oft die Opfer dieser Attacken . Aber auch die Frau-
en im Sudan leiden extrem . Immer wieder kommt es zu
Massenvergewaltigungen, wie neulich in Tabit .

Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht wegschau-
en, auch wenn es im politischen Prozess im Sudan leider
immer wieder große Rückschläge gibt . 2014 ist es bei-
spielsweise gelungen, einen nationalen Dialog zwischen
einigen Gruppen der Opposition und der Regierung auf
den Weg zu bringen . Dieser wichtige Prozess hat im Ap-
ril 2015 aber einen großen Rückschlag erlitten, als sich
der Präsident al-Baschir in einer Wahlinszenierung mit
94 Prozent hat wiederwählen lassen und sich dafür gefei-
ert hat . Diese Wahlen waren aber weder fair noch frei . Sie
wurden zu Recht von der Zivilgesellschaft kritisiert und
von der Opposition boykottiert .

Trotzdem führt kein Weg am nationalen Dialog vor-
bei . Die internationale Gemeinschaft muss ihn immer
wieder einfordern . Sie muss auch auf Glaubwürdigkeit
und Inklusion bestehen . Das kann aber nur gelingen,
wenn die internationale Gemeinschaft auch zusammen-
steht . Da war es wenig hilfreich, dass die Arabische Liga
diese Wahlen als einen Schritt hin zu mehr Demokratie
im Sudan begrüßt hat .

Noch schlimmer aber war im letzten Jahr das Verhal-
ten der südafrikanischen Regierung . Der Internationale
Strafgerichtshof hat 2009 einen Haftbefehl gegen den
Präsidenten al-Baschir erlassen, weil er für Völkermord,
für Menschenrechtsverletzungen und für Folter verant-
wortlich ist, die in Darfur passiert sind . Als der Präsident
al-Baschir dieses Jahr in Südafrika war, hätte der Haftbe-
fehl vollstreckt werden können und müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das hat die dortige Zivilgesellschaft gefordert . Die Jus-
tiz hatte schon alles vorbereitet . Aber was ist geschehen?
Die Regierung verhalf diesem Verbrecher – ich finde das
ungeheuerlich – auch noch zur Flucht .

Damit wurde nach so vielen Jahren nicht nur die
Hoffnung vieler Menschen auf Gerechtigkeit enttäuscht,
sondern es wurde natürlich auch der Internationale Straf-
gerichtshof geschwächt. Ich finde es unerträglich, dass

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe






(A) (C)



(B) (D)


einem solchen Verbrecher in einigen Staaten dieser Welt
der rote Teppich ausgerollt wird, statt ihn endlich festzu-
nehmen .

Meine Damen und Herren, trotz aller Rückschläge
und Enttäuschungen versucht die Friedensmission der
Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union, we-
nigstens in der Region Darfur einen Beitrag dazu zu leis-
ten, dass die Zivilbevölkerung geschützt wird, dass die
Menschen mit dem Lebensnotwendigsten versorgt wer-
den, dass die Helfer besser geschützt werden und dass
der Dialogprozess nicht ganz zum Erliegen kommt .

Eine der Ursachen, warum diese Mission jenseits der
schwierigen Verhältnisse im Land ihre Ziele immer wie-
der nicht erreichen kann, ist aber auch die mangelnde Un-
terstützung der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen .
Es ist richtig, dass sich Deutschland an dieser Mission
beteiligt . Aber meine Damen und Herren, acht Soldaten
und ein Polizist – das ist angesichts der drastischen Lage
wirklich wenig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Brauksiepe, da reicht es eben nicht aus, hier zu
beschreiben, dass der UN-Mission zu ihrem Schutz ge-
panzerte Fahrzeuge fehlen, sondern da muss man auch
handeln. Ich finde es fast schon zynisch, wenn man das
Mandat liest und in der Begründung etwas vom deut-
schen Engagement in Afrika mit dem Schwerpunkt Su-
dan steht . Dieses Engagement besteht darin, diesen be-
scheidenen Beitrag beizubehalten .

Meine Damen und Herren, insbesondere auch liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, viel-
leicht sollten Sie sich einmal Gedanken darüber ma-
chen, warum die sudanesische Regierung fordert, dass
die UN-Friedensmission aus dem Land abziehen soll,
und wem es im Sudan eigentlich helfen würde, wenn
UNAMID nicht mehr da wäre . Das wären die bewaffne-
ten Rebellengruppen, und das wären eben die verbreche-
rischen Teile der Regierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die sehen wohl nämlich gerne, dass niemand mehr hin-
schaut, niemand mehr versucht, etwas gegen die Gewalt
und gegen die Willkür zu tun. Ich finde, diesen Gefallen
sollten wir diesen Menschen nicht tun . Deshalb und weil
wir die Hoffnung haben, dass es doch vielleicht einmal
nach vorne geht und besser wird, werden wir Grüne die-
sem Mandat zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813320900

Zum Abschluss dieser Aussprache spricht der Kollege

Florian Hahn für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1813321000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Themen, die uns aktuell beschäftigen, sind

vielfach miteinander verbunden . So ist es auch mit dem
Bundeswehreinsatz in Darfur .

Aktuell sind allein mit 4 000 helfenden Händen mehr
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bei der Be-
wältigung der Flüchtlingskrise im Inland gebunden, als
derzeit bei Auslandsmissionen eingesetzt sind . Beiden
Gruppen – denen, die einen gefährlichen Dienst im Aus-
land tun, und denen, die, wie vor allem bei uns in Bayern,
alles in ihrer Macht Stehende tun, um den nicht enden
wollenden Flüchtlingsansturm meistern zu helfen – gilt
an dieser Stelle mein ganz herzlicher Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mit den
Auslandseinsätzen der Bundeswehr sorgen wir an vie-
len Orten weltweit für Stabilität und die Schaffung
von Perspektiven, und sei es, indem wir Entwicklungs-
zusammenarbeit überhaupt erst möglich machen . Die
Bundeswehr hilft so an vielen Stellen konkret dabei,
neue Fluchtbewegungen zu vermeiden . Man muss hier
nur an Afghanistan denken . Die letzten Wochen haben
gezeigt: Ein zu früher Abzug unserer Soldaten und der
unserer Verbündeten würde zum Chaos führen und zuerst
die ausländischen Helfer und dann Hunderttausende Af-
ghanen aus dem Land nach Europa treiben . Wir müssen
deshalb auch dort engagiert bleiben . Ähnliches würde bei
der Einstellung unserer Bemühungen in Mali, im Nord-
irak oder im Kosovo passieren .

Es ist aber auch richtig, dass wir heute eine nicht im
Fokus der Medienöffentlichkeit stehende Region wie
den Sudan und insbesondere Darfur in den Blick neh-
men; denn Darfur steht beispielhaft für die vielen un-
gelösten Konflikte in Afrika und weltweit, die nur noch
sporadisch auf unseren Bildschirmen auftauchen und die
drohen, komplett in Vergessenheit zu geraten . Trotzdem
haben sie für die Menschen vor Ort dramatische Konse-
quenzen. Wir haben das in den vielen Beiträgen heute in
dieser Debatte schon gehört. Solche Konflikte sind oft
der Grund, sich auf den Weg zu machen, um Leben und
Gesundheit der Familie zu retten, um sein Glück schlicht
anderswo zu suchen .

Darfur ist auch ein Beispiel für das Unglück des af-
rikanischen Kontinents, der vielerorts ein Kontinent der
Herausforderungen bleibt . Darfur steht für einen Kampf
um magere Ressourcen, um Wasser, um Weideland und
Lebensgrundlagen, der tendenziell in Zukunft eher noch
zunehmen wird . Diese Region liegt inmitten eines großen
Kriegsgebiets, in dem die Probleme von Rebellionen und
Bürgerkriegen, organisierter Kriminalität mit Waffen,
Drogen und Menschenschmuggel sowie islamistischem
Terror ineinander übergehen . Das können wir nicht ig-
norieren . Deshalb müssen wir uns in vielfältiger Weise
engagieren .

Militärisch sind aktuell sieben deutsche Soldatinnen
und Soldaten als Stabspersonal im Hauptquartier ein-
gesetzt . Frau Buchholz, Sie haben in Ihrem Beitrag die
Vermutung geäußert, dass die Bundesregierung nur der
militärischen Präsenz wegen in Darfur engagiert ist . Dar-
auf kann ich nur sagen: Angesichts von sieben deutschen
Soldatinnen und Soldaten ist das eher ein lächerliches

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


Argument . Lassen Sie sich das nächste Mal etwas ande-
res einfallen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie begründen das doch selber so in Ihrem Antrag! Lesen Sie mal die Begründung Ihres Antrags!)


Deutschland engagiert sich über diese sieben Soldaten
hinaus an UNAMID in vielfältiger Art und Weise – sei
es Mediation und friedliche Konfliktlösung, sei es Hilfe
zur Verfassungsberatung, zum Wiederaufbau sowie zur
Stärkung der Zivilgesellschaft oder zur Verbesserung der
humanitären Lage .

Deutschland hat insgesamt Mittel in Höhe von
16 Millionen Euro zugesagt . Daraus soll zum Beispiel
ab Ende 2015 ein Vorhaben im Bereich der beruflichen
Bildung finanziert werden. Über einen Regionalfonds
werden zusätzliche Maßnahmen von Nichtregierungsor-
ganisationen in den Bereichen Wasser- und Gesundheits-
versorgung im Sudan mit Mitteln der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit gefördert .

In 2015 hat Deutschland humanitäre Hilfsmaßnahmen
mit 7,1 Millionen Euro unterstützt . Hier setzen wir
Schwerpunkte bei der Verbesserung der Lage von Flücht-
lingen und Binnenvertriebenen .

Kolleginnen und Kollegen, es ist wichtig, noch in Dar-
fur zu bleiben, auch wenn die sudanesische Regierung
die Mission am liebsten so schnell wie möglich beenden
will und durch kleinliche Aktionen versucht, die Mission
zu behindern . Die dauernden Verzögerungen von Einrei-
sebewilligungen für UNAMID-Soldaten sind ärgerlich .
Gleiches gilt für diverse Einschränkungen der Bewe-
gungsfreiheit bis hin zur Blockade der Versorgung der
UNAMID-Mission .

Wir sollten diesem Druck nicht nachgeben . Erst wenn
die Friedensbemühungen echte Fortschritte bringen,
könnte man an einen schrittweisen Abzug der Mission
denken . UNAMID ist ein kleiner Beitrag, der zeigt, dass
die Welt den Konflikt nicht vergessen hat, dass wir weiter-
hin hinsehen und die Menschen dort nicht alleine lassen .
Deswegen stimmen wir diesem Mandat weiterhin zu .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813321100

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6503 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, dass sich kein Widerspruch er-
hebt . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 16:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchancen
für Flüchtlinge schaffen

Drucksache 18/6345

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache ebenfalls 25 Minuten vorgesehen . –
Weil keinerlei Widerspruch erkennbar ist, ist das dann
auch so beschlossen .

Jetzt bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, die in
herausgehobener Funktion an dieser Debatte teilnehmen
wollen, ihre Plätze einzunehmen .

Ich eröffne die Aussprache . Als Erstes erteile ich dem
Kollegen Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813321200

Guten Abend, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Rund 1 Million Flüchtlinge wird Deutschland
im Laufe dieses Jahres aufgenommen haben, die Hälf-
te davon unter 25 Jahren jung . Gerade für diese jungen
Menschen müssen wir alle miteinander Chancengeber
werden . Denn: Wir wollen das schaffen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Bildung und Qualifizierung sind zentralste Schlüssel,
Integration wirklich zu schaffen . Das Bundesbildungsmi-
nisterium müsste sich endlich als Integrationsministeri-
um begreifen und weitsichtig handeln . Es braucht eine
breite Bildungsoffensive: frühkindlich, schulisch, beruf-
lich und hochschulisch .

Frau Wanka fordert ein bisschen Anerkennungsgesetz
hier, ein bisschen Fernsehen für Flüchtlinge da und über-
lässt lieber Arbeitsministerin Nahles das Feld, die schon
Milliarden für langzeitarbeitslose Flüchtlinge fordert .
Dazu darf es gar nicht erst kommen . Eine breite, wirksa-
me Strategie zur Integration durch Bildung ist dringend
notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben Anfang Oktober Vorschläge für den Zugang
zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge einge-
bracht . Heute nun unser nächstes Vorschlagspaket; denn
wir müssen Flüchtlingen auch Studienchancen eröffnen .

Schon lange sind die Hochschulen vorne mit dabei,
wenn es darum geht, Flüchtlinge zu unterstützen: An-
gehende Juristen geben Rechtsberatung, Germanistik-
studierende organisieren Deutschkurse, Wissenschaftler
stehen als Mentoren zur Seite – eine Fülle großartiger
Beispiele . Wir sagen Danke für dieses wunderbare und

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


wichtige zivilgesellschaftliche Engagement zum Wohle
der neuen internationalen Studierenden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sagen auch Danke an all die Organisationen,
die ohnehin schon Internationalisierungsexperten sind:
DAAD, AfH, DSW, DFG, HRK und AUFs haben zügig
auf die neuen Chancen reagiert . Auch dafür Danke!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


All dieses Engagement ist wichtig . Bund und Länder
müssen es aber noch stärker unterstützen . Gleich bei
der Ankunft muss es darum gehen, was jemand kann
und was er mitbringt. Qualifikationen müssen schnell
und unbürokratisch ermittelt werden, gerade auch dann,
wenn Zeugnisse fehlen . Für die Flüchtlinge ist es wich-
tig, Informationen über das Studium in Deutschland und
das Hochschulsystem zu erhalten . Wir wollen dafür eine
bundesweite kostenlose Hotline einrichten und Welcome
Center an den Hochschulen ausbauen .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Die gibt es bereits!)


– Genau, ein paar gibt es schon . Es können gerne noch
ein paar hinzukommen; denn wir wollen die Willkom-
menskultur an den Hochschulen weiter pushen, stärken
und fördern .

Ein weiteres Feld ist die Finanzierung . Die Bundes-
regierung muss Farbe bekennen: Wann kommen mehr
Stipendien für Flüchtlinge? Unsere Zustimmung hätte
sie . Auch der DAAD steht bereit . Darum: Machen wir es
doch gemeinsam!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Nachlegen müssen wir auch bei der Studienfinanzie-
rung . Es ist ein erster Schritt, dass ab dem 1 . Januar 2016
noch nicht anerkannte Asylbewerber oder Geduldete
nach 15 Monaten BAföG bekommen können . Aber wir
sollten weiterdenken und im Ausschuss intensiv darüber
diskutieren . Unser Vorschlag ist: Wer im Asylverfahren
steckt oder geduldet ist, soll nach drei Monaten Aufent-
halt BAföG bekommen können . Das ist wichtig, damit
keine Finanzierungslücken bei den jungen Leuten entste-
hen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Niemand weiß genau, wie viele Flüchtlinge ein Stu-
dium aufnehmen können und aufnehmen wollen . Fakt
ist aber: Es werden einige Zehntausend sein . Der Hoch-
schulpakt muss geöffnet werden, damit für die zusätz-
lichen Studieninteressierten eine ausreichende Zahl an
Studienplätzen bereitsteht . Hinzu kommt: Viele Hoch-
schulen arbeiten ohnehin an der Kapazitätsgrenze, und
ihre Infrastruktur muss vielerorts ausgebaut werden .
Deshalb braucht es mehr Hörsäle und Seminarräume,
mehr Wohnmöglichkeiten für Studierende und mehr Be-
ratungsstellen auf dem Campus . Das muss jetzt erst recht
angepackt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Flüchtlinge bringen Lust auf Bildung mit . Dafür müs-
sen wir ihnen die Türen der Hochschulen weit öffnen .
Die Zahl der Erfolgsgeschichten wird umso höher sein,
desto entschlossener wir jetzt in die Chancen für alle
investieren . Umgekehrt bin ich fest davon überzeugt:
Wenn wir es noch nicht einmal schaffen würden, Hoch-
qualifizierte zügig zu integrieren, dann riskieren wir, dass
Angstmacher und Hetzer Oberwasser bekommen . Dar-
um: Lassen Sie uns gemeinsam Chancen eröffnen! So
werden Flüchtlinge zu neuen Bürgern, zu studierenden
Akademikern und Fachkräften . Das ist gut für uns alle
und unser Land .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813321300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Cemile Giousouf

für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Cemile Giousouf (CDU):
Rede ID: ID1813321400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Am Anfang meiner Rede möchte auch ich aus-
drücklich den Hochschulen danken, die bereits Flücht-
lingen konkrete Hilfe zukommen lassen . Dazu gehören
der Erlass von Semesterbeiträgen, die Übernahme von
Gasthörergebühren, kostenlose Semestertickets sowie
die Nutzung von Härte- und Stipendienfonds . Ich möchte
auch den ehrenamtlichen Initiativen meinen Dank aus-
sprechen, die bereits helfen, studierende Flüchtlinge zu
integrieren . Konkret geht es dabei um Initiativen wie
Buddy-Projekte, Sprachkurse, Refugee Law Clinics oder
gemeinsame soziale Aktivitäten . Sie alle leben mit ih-
rem Engagement die Universität als Ort der Integration
vor . Beispielsweise hat ein Team Berliner Studenten eine
Onlineuniversität ins Leben gerufen . Es ist großartig, zu
sehen, wie viel Engagement und innovative Ideen ent-
stehen .

Die Überschrift des Grünenantrags lautet „Vielfalt
stärkt Wissenschaft“ . Dem ist ohne Wenn und Aber zu-
zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da können Sie doch zustimmen!)


– Auch Sie können einmal einen guten Satz formulie-
ren . – Doch der Satz stimmt auch, wenn man ihn um-
stellt . Momentan ist zu beobachten, dass die Wissen-
schaftscommunity die Willkommenskultur in unserem
Land stärkt . Nirgendwo haben es die Hetzer von Pegida
und Konsorten so schwer, einen Fuß in die Tür zu be-
kommen, wie an deutschen Universitäten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Ziel Ihres Antrages ist, Studienwege für Flücht-
linge zu eröffnen . Leider fehlen uns derzeit valide Zahlen
über die Bildungshintergründe der Flüchtlinge . Es wäre
zu wünschen, dass die Bundesagentur für Arbeit und das
BAMF eine systematische Erfassung der Qualifikatio-
nen – am besten bereits in den Erstaufnahmeeinrichtun-

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


gen – etablieren . So aber sind wir auf Schätzungen ange-
wiesen . Wir gehen davon aus, dass allein im Jahr 2015
circa 30 000 bis 50 000 Personen dieser Gruppe für die
Aufnahme eines Studiums qualifiziert sind oder erste
Studienabschlüsse erzielt haben .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns über
das Ziel ganz einig . Bildung ist der Schlüssel für gelun-
gene Integration .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie zu!)


Es ist auch das Ziel der Bundesregierung, die Potenziale
von Flüchtlingen früh zu erkennen . Auch sollten Hoch-
schulen vermehrt digitale Medien nutzen, um Flüchtlin-
gen mit Bleibeperspektive frühzeitig einen Zugang zu
akademischer Bildung zu eröffnen . Die Tore der Hoch-
schulen sollten für Flüchtlinge ganz im Sinne des Wortes
aber auch im virtuellen Raum geöffnet werden .

Wenn Bildung der Schlüssel zur Integration ist, dann
ist das BMBF das entscheidende integrationspolitische
Schlüsselministerium, und dieser Herausforderung wird
das Haus auch gerecht .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch nicht! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was zu beweisen wäre!)


Das Bundesministerium hat ein Maßnahmenpaket be-
schlossen, das Flüchtlingen den Hochschulzugang er-
leichtern soll . Um Sprachkenntnisse und die Studierfähig-
keit früh festzustellen und zu fördern, werden zukünftig
die Sprachtests mit Mitteln des Bundes in die Sprachen
übersetzt, welche die Flüchtlinge vermehrt sprechen, wie
etwa Arabisch und Dari .

Erst im August hat das Bundeskabinett einen Gesetz-
entwurf beschlossen, mit dem für Geduldete und Inhaber
bestimmter humanitärer Aufenthaltstitel der Zeitraum,
nach dem sie BAföG-berechtigt sind, von 4 Jahren auf
15 Monate verkürzt wird . Zur Beschleunigung des Studi-
ums und Sicherung des Studienerfolgs plant das BMBF,
Mittel für circa 2 400 zusätzliche Studienkollegplätze pro
Jahr für Flüchtlinge bereitzustellen .

Es ist deshalb sehr schade, lieber Herr Kollege, dass
über diese Maßnahmen in Ihrem Text kein einziges Wort
zu finden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie ja mit einem Änderungsantrag ergänzen! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das nehmen wir gern mit auf!)


Nicht zustimmungsfähig wird der Antrag aber durch
ganz grundsätzliche Erwägungen . Die Verantwortung für
Hochschulen liegt eben auch bei den Ländern . Im Antrag
wird aber einseitig der Bund in die Pflicht genommen.
Dabei wird unter anderem missachtet, dass der Bund im
Bereich Hochschulbau – Hörsäle, Bibliotheken – kei-
ne Kompetenzen hat . Die Änderung des Artikel 91 b
des Grundgesetzes bedeutet eben nicht, dass der Bund
für jede defekte Regenrinne einspringen muss . Kollege
Rossmann hat dies gestern im Ausschuss nochmals be-

tont; vielleicht kann er auch Herrn Kollegen Heil dazu ei-
nen Vermerk schreiben . Auch die Anerkennung von Stu-
dienleistungen, die Frage von Studiengebühren sowie die
Sicherung und Öffnung des Lehrangebots ist zunächst
Aufgabe der Länder . Gleiches gilt für ein auskömmliches
Studienplatzangebot . Hier unterstützt der Bund die Län-
der bereits jetzt im Hochschulpakt mit 20,2 Milliarden
Euro .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommen ein paar Zehntausend mehr! Was machen Sie denn jetzt?)


Auch beim BAföG sind die weiter gehenden Forde-
rungen nicht zustimmungsfähig . Die notorische Forde-
rung, das erfolgreiche Deutschlandstipendium abzu-
schaffen, ist und bleibt ein Ladenhüter .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Deutschlandstipendium bleibt ein Ladenhüter!)


Diese grundsätzlichen Erwägungen sollen aber nicht
darüber hinwegtäuschen, dass es eben auch grundsätz-
liche Übereinstimmungen gibt . Es steht uns gut zu Ge-
sicht, wenn wir alle die Willkommensagenda mitgestal-
ten – auch und gerade in der Bildungspolitik .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal der CSU!)


Es freut mich, zu sehen, dass auf allen Ebenen unseres
Staatswesens getan wird, was möglich ist . Heute Abend
haben sich die Spitzen der Großen Koalition auf weitere
Maßnahmen geeinigt . Zwischen Kommunen, Ländern
und Bund wird zunehmend Hand in Hand gearbeitet .
Regierung und Opposition machen dies im produktiven
politischen Wettbewerb . In nur wenigen Wochen ist ei-
niges auf den Weg gebracht worden . Das sollte uns opti-
mistisch stimmen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813321500

Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert, Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813321600

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Es ist gut, liebe Grüne, dass Sie mit Ihrem
Antrag „Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchancen
für Flüchtlinge schaffen“ auf die aktuelle zugespitzte Si-
tuation hinweisen . Aber seien wir alle ehrlich: Seit Jah-
ren gibt es Probleme in der Bildung und an Hochschu-
len und nicht erst, seit von Krieg und Hunger ausgelöste
Flüchtlingsströme Europa erreichen .

Bildungseinrichtungen sind seit Jahren unterfinanziert.
Von Sassnitz bis Passau erleben Eltern sowie Schülerin-
nen und Schüler marode Schulgebäude, den Mangel an
Lehrkräften und Schulsozialarbeitern . Gerade die Kinder
sozial benachteiligter Familien leiden nach der Schule
unter unfairen Zugangsbedingungen zu den Hochschu-

Cemile Giousouf






(A) (C)



(B) (D)


len . Viele können sich ein Studium schlicht nicht leisten,
ganz zu schweigen von überfüllten Hochschulen, den
schlechten Bedingungen im Wissenschaftssystem mit
Kettenbefristungen, viel Arbeit und oft schlechter Bezah-
lung . All diese Probleme existieren seit Jahren .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen gemein-
sam verhindern, dass Benachteiligte und Flüchtlinge ge-
geneinander ausgespielt werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir müssen zusammenstehen gegen die Hetze der
Scharfmacher bei AfD und Pegida, die nur Hass und
Misstrauen säen,


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


neue Probleme schaffen und echte Lösungen verhindern .
Gelingt es uns, die Probleme im Bildungswesen zu lösen
und dabei die Flüchtlinge mitzudenken, dann graben wir
den Hasspredigern das Wasser ab .

In Thüringen fehlen nach 24 Jahren CDU-geführter
Landesregierungen Hunderte Lehrerinnen und Lehrer .
Über 500 Lehrer wird die rot-rot-grüne Landesregie-
rung 2016 neu einstellen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir brauchten mehr Lehrkräfte; aber die eingeführte
Schuldenbremse verhindert mehr Investitionen in Bil-
dung . Die neue Landesregierung stockt den Haushalt der
Hochschulen in Thüringen für die nächsten drei Jahre um
232 Millionen Euro gegenüber den letzten drei Jahren
der CDU-geführten Regierung auf . Es könnte mehr sein;
aber es geht nicht mehr auf Landesebene – wegen der
Schuldenbremse .

Die Linke im Bundestag hat daher bereits vor Wo-
chen in einem Antrag Vorschläge zur Verbesserung im
Bildungswesen gemacht: Erstens . Ein Bund-Länder-Pro-
gramm für mehr Bildung, mehr Erzieherinnen, Lehrer
und Hochschullehrerinnen und mehr Geld für Forschung
und Hochschulen muss aufgelegt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens . Jeder, der die fachlichen Voraussetzungen hat
und eine Ausbildung oder ein Studium will, muss dies
beginnen können und das Recht haben, diese Ausbildung
zu beenden . Drittens . Egal ob man aus Jena, Düsseldorf,
Kobane oder Kabul stammt: Wer BAföG braucht, muss
es erhalten,


(Beifall der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


damit sich jeder Mensch unabhängig von Herkunft und
Einkommen entwickeln kann .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bildung ist ein Menschenrecht und nicht verhandel-
bar . Bei Bildung kann und darf man nicht warten . Das
Menschenrecht auf Bildung gilt für alle Kinder, Jugend-

lichen und Erwachsenen – ohne Ausnahmen und unge-
achtet ihres Aufenthaltsstatus . Wir alle stehen in der Ver-
antwortung, Schulabgängern faire Zugangschancen und
Finanzierungsmöglichkeiten für ein Studium zu sichern
und später für alle Absolventen und Wissenschaftler gute
Arbeitsbedingungen zu schaffen .

Mit einer Millionärssteuer und einer Vermögensabga-
be wäre das finanzierbar.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt kommen wir zu des Pudels Kern!)


Dann könnten wir mehr für Bildung tun, für Einheimi-
sche und Zugezogene . Wir könnten den drohenden Fach-
kräftemangel beheben und die Probleme der Demografie
lösen . Wenn wir die heutige Situation als Chance nutzen,
dann profitieren wir in der Zukunft alle davon. Deshalb
gilt: Wir brauchen keine Ausgrenzung . Wir brauchen
mehr Bildung für alle Kinder und für alle jungen Er-
wachsenen .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813321700

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr . Karamba

Diaby .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karamba Diaby (SPD):
Rede ID: ID1813321800

Herr Präsident! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Antrag der Grünen greift ein hochaktuel-
les Thema auf, das uns dauerhaft beschäftigen wird . Es
geht um die Bildungschancen der nach Deutschland ge-
flüchteten jungen Menschen. Wir stimmen völlig darin
überein, dass ein Ruck durch unsere Bildungslandschaft
gehen muss .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind fest davon überzeugt, dass die Integration der
Asylsuchenden eine historische Aufgabe ist . Jeder zehnte
ist im Kitaalter. Jeder dritte ist im schulpflichtigen Al-
ter . Hinzu kommen Tausende junger Menschen, die eine
Ausbildung brauchen oder studieren könnten . Für diese
Aufgabe muss unser Bildungssystem fitgemacht werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Gleichzeitig aber haben wir einen Flickenteppich in
der Bildungslandschaft . Wir stellen fest: Jedes Bundes-
land, jede Hochschule geht anders mit der Integration
von Asylsuchenden in das Bildungs- und Wissenschafts-
system um . Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich des-
halb für eine nationale Bildungsallianz ein .


(Beifall bei der SPD)


Angesichts der großen Herausforderungen wird deutlich:
Wir müssen über neue Formen der Zusammenarbeit auch
im schulischen und frühkindlichen Bereich nachdenken .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Sehr richtig!)


Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den Bildungs-
bereich gilt: Wir brauchen einen umfassenden und ganz-
heitlichen Ansatz, von der Kita über die Hochschule bis
hin zur Weiterbildung . Die einzelnen Bausteine müssen
gut miteinander verknüpft werden . Diese Herausforde-
rungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich können
nur gemeinsam bewältigt werden .


(Beifall bei der SPD)


Um es mit den Worten unserer Kanzlerin zu sagen:
Wir brauchen hier pragmatische Lösungen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD)


Dafür muss der Bund aber die Länder und Kommunen
tatkräftig unterstützen dürfen, und zwar dauerhaft; denn
die Integration Eingewanderter ist eine Daueraufgabe .
Die Frage ist nun: Wo muss der Bund tätig werden?

Erstens . Der Bund muss bei den Hochschulen tätig
werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen, hier sind wir durchaus bei Ihnen . Wir sind uns einig:
Vielfalt ist eine Chance, besonders auch für unser Bil-
dungssystem; denn Bildung und Wissenschaft brauchen
den Austausch über Landesgrenzen hinweg . Nur ein in-
ternationales Bildungssystem ist modern, innovativ und
dynamisch . Unsere Hochschulen und Forschungseinrich-
tungen sind bereits heute Zentren der Internationalität
und stehen seit langem für eine gelebte Willkommens-
kultur .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Viele Hochschulen nehmen angesichts der aktuellen
Flüchtlingskrise eine Vorbildfunktion ein .

Mein Bundesland Sachsen-Anhalt plant zum Beispiel,
in Sprach- und Vorbereitungskursen bis zu 600 studien-
interessierte Flüchtlinge zu qualifizieren. Dafür werden
knapp 5 Millionen Euro für drei Jahre zur Verfügung ge-
stellt . – Ich nenne auch das Engagement von Studieren-
den . Viele engagieren sich ehrenamtlich, zum Beispiel
in der Rechtsberatung . Ganz konkret: In einem Projekt
in meinem Wahlkreis, an der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg, engagieren sich Studierende im Pra-
xisprojekt Migrationsrecht . Die Studierenden bearbeiten
reale Fälle von Asylsuchenden in Zusammenarbeit mit
Migrantenorganisationen, Beratungsstellen und Wohl-
fahrtsverbänden . Das ist nur eines von unzähligen Bei-
spielen für das Engagement an Hochschulen für Geflüch-
tete .

Wichtig ist auch: Der Bund wird die Hochschulen bei
der Sprachförderung, der Studienberatung und der Fest-
stellung der Zugangsberechtigung unterstützen .


(Beifall bei der SPD)


Hier bauen wir auf das Know-how des DAAD, der Al-
exander-von-Humboldt-Stiftung und anderer . Ich freue
mich, dass die Verhandlungen mit diesen Organisationen
bereits laufen . So stelle ich mir als Bildungspolitiker die
Unterstützung durch den Bund vor .

Ein zweiter Punkt betrifft das pädagogische Personal
an den Einrichtungen . Wir brauchen mehr Erzieherin-

nen und Erzieher und mehr Lehrende . Allein in diesem
Schuljahr wurden laut KMK 3 000 zusätzliche Lehrkräf-
te eingestellt . Der Gesamtbedarf beläuft sich nach Schät-
zungen aber auf 10 000 bis 20 000 Lehrkräfte . Hier ist
eine Unterstützung der Länder durch den Bund nötig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens, Stichwort „Ganztagsschulen“ . Eine ganz-
heitliche Bildung ist die Voraussetzung, um später einen
Beruf erlernen oder auch studieren zu können . Ganztags-
schulen bieten dafür gute Rahmenbedingungen . Dort
können Kinder und Jugendliche besser sprachlich geför-
dert werden, und sie haben gute Möglichkeiten, Interes-
sen zu entwickeln und Talente auszubauen . Sie können
sich ausprobieren . Beim ersten Ganztagsschulprogramm
haben wir gesehen: Es geht . Zusammenarbeit kann funk-
tionieren . Deshalb sagen wir: Ein zweites Programm
zum Ausbau der Ganztagsschulen ist bitter nötig .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Viertens . In die Bildungseinrichtungen kommen viele
durch Krieg und Flucht traumatisierte Kinder, Jugendli-
che und junge Erwachsene . Der Bedarf an sozialpäda-
gogischer und psychologischer Unterstützung ist stark
gestiegen . Auch hier muss der Bund tätig werden dürfen .
Wir brauchen zusätzliche Schulsozialarbeiter und Psy-
chologen für Kitas, Schulen und Hochschulen .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Integration durch
Bildung kann gelingen . Deshalb begrüßt die SPD-Frakti-
on die Richtung des vorliegenden Antrags .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie zu, wenn es so weit ist!)


Wir brauchen aber einen ganzheitlichen Bildungsan-
satz, der den gesamten Bildungsbereich umfasst . Für die
SPD-Fraktion steht fest: Bund, Länder und Kommunen
müssen dafür stärker zusammenarbeiten dürfen – und
dauerhaft .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann lasst uns gemeinsam das Kooperationsverbot abschaffen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie zu? Wunderbar!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813321900

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die

Kollegin Dr . Claudia Lücking-Michel von der CDU/
CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1813322000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sind uns heute Abend einig: Viele Flüchtlinge, die
zu uns kommen, bringen große Potenziale mit und die

Dr. Karamba Diaby






(A) (C)



(B) (D)


Hoffnung, mit der sie vielleicht in ein Hochschulstudium
starten möchten . Unsere Aufgabe ist es, für die nötigen
Rahmenbedingungen zu sorgen sowie dafür, dass Inte-
gration durch Bildung möglich wird . Ministerin Wanka
war eines der ersten Mitglieder der Bundesregierung,
das mit konkreten Bildungsmaßnahmen und nicht nur
mit leeren Worten darauf reagiert hat; darüber habe ich
mich sehr gefreut . 130 Millionen Euro zusätzlich will das
BMBF für Flüchtlinge investieren . Von diesem Geld soll
durchaus ein Gutteil in den Hochschulbereich fließen. Ei-
nige der Vorschläge aus Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, finden sich schon lange
in dem Maßnahmenpaket von Frau Wanka: die zügige
Bestandsaufnahme der Studierfähigkeit, die unbürokra-
tische Anerkennung von Hochschulzugangsberechtigun-
gen und erst recht der Ausbau fachsprachlicher und pro-
pädeutischer Studienvorbereitung .

Auch ich hatte mir vorgenommen, heute Abend be-
sonders ausdrücklich und dankend das Engagement zu
erwähnen, das bereits an ganz vielen Hochschulen er-
folgt . Viele Beispiele haben wir gehört . Ich brauche sie
nicht zu wiederholen, obwohl sie es wert wären . Ich will
einmal ergänzend die Initiative der Universität Leipzig
nennen, die geflüchtete Wissenschaftler in Kontakt mit
deutschen Kollegen bringen will . Ein Beispiel aus mei-
nem Wahlkreis, über das wir noch nichts gehört haben,
ist die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die schon mittel-
und langfristige Kooperationen mit örtlichen Unterneh-
men und Verbänden plant, um eine Art internationale
Talentakademie aufzubauen .


(Beifall bei der SPD)


Wie gut, zu sehen, dass unsere Studierenden sich auch
dann engagieren, wenn es dafür noch lange keine Credit
Points gibt . Dennoch ist es natürlich sinnvoll, das ehren-
amtliche Potenzial, das sich hier zeigt, zu unterstützen,
zum Beispiel – auch ein Vorschlag aus dem BMBF – in-
dem studentische Hilfskräfte für die Koordination des
ehrenamtlichen Engagements bezahlt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Bisher haben wir in dieser Debatte über den Wissen-
schaftsbetrieb bei uns im Land geredet . Das liegt auch
nahe . Aber erlauben Sie mir, dass ich als Entwicklungs-
politikerin zum Schluss auch noch einmal den Blick
auf das lenke, was wir an Hilfe vor Ort leisten sollten .
Jordanien, der Libanon, die Türkei und Marokko haben
große Flüchtlingsgruppen aufgenommen . Sicher, satt
und medizinisch versorgt, das sind die Basics . Aber dann
kommt sehr schnell die Frage nach der Zukunft, und das
heißt bei jungen Leuten: nach Bildung, gerade auch nach
Hochschulbildung . Die jungen Menschen dort sollen
doch auch Chancen auf ein qualitätsvolles Studium ha-
ben .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Wie richtig!)


Es gibt dafür beispielhafte Ansätze . Ich will einmal
das Stipendienprogramm des BMZ für junge Syrer und
Jordanier nennen . Noch mit kleinen Fallzahlen, aber im-
merhin: Studierende sollen ein Masterstipendium für ein
Studium an einer der vier jordanischen Partnerhochschu-
len bekommen können . Das ist aus meiner Sicht noch ein

Tropfen auf den heißen Stein; aber es ist ein guter Ansatz
und ein Programm, das unbedingt ausbauwürdig ist .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dann müsste es weitergehen . Wir sollten Studienvorbe-
reitungskurse auch vor Ort fördern, Stipendien für das
Studium an Hochschulen in der Region vergeben . Ich
denke auch an die Förderung von Ausgründungen deut-
scher Hochschulen durch das BMBF . Was ist mit der
Türkisch-Deutschen Universität oder der Deutsch-Jor-
danischen Hochschule? Das sollten doch Partnerinstitu-
tionen sein, an denen wir Flüchtlingen die Möglichkeit
zur Aufnahme eines Studiums in ihrer Herkunftsregion
geben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Insgesamt sehe ich die große Herausforderung, dass
wir die Studierenden hier und dort nicht nur für die Auf-
gaben von heute und morgen, sondern auch für die Auf-
gaben von übermorgen befähigen müssen . Wo werden
die Verantwortungsträger der Zukunft ausgebildet, wenn
irgendwann – hoffentlich – der Krieg in Syrien zu Ende
ist? Wer kann und will dann die Verantwortung für das
Gemeinwesen dort übernehmen? Im Sinne eines Lea-
dership-Programms braucht es heute Qualifikation und
Ermutigung, damit die Menschen – wahrscheinlich erst
übermorgen – verantwortlich die Zukunft in ihren Hei-
matländern gestalten können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir beide Perspektiven, die nationale und die in-
ternationale, in unserer Bildungspolitik berücksichtigen,
dann, so glaube ich, werden wir einen ganz wesentlichen
Teil zur Bewältigung der Integrationsaufgabe und der
Flüchtlingsfrage leisten können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813322100

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6345 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so be-
schlossen .

Damit verlassen wir den Tagesordnungspunkt 16 und
kommen zum Tagesordnungspunkt 17, den ich hiermit
aufrufe:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Zu den Überlegungen der Europäischen Kom-
mission zur Schaffung einer Europäischen
Einlagensicherung

Drucksache 18/6548

Dr. Claudia Lücking-Michel






(A) (C)



(B) (D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Da ich
keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie
alle damit einverstanden sind .

Nachdem mittlerweile alle, die an dieser Aussprache
teilnehmen wollen, ihre Sitzplätze eingenommen haben,
eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Redne-
rin das Wort der Kollegin Antje Tillmann für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1813322200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr

geehrte Damen und Herren! Die europäische Zusammen-
arbeit auf dem Gebiet der Finanzmarktregulierung war
in den letzten Jahren äußerst erfolgreich . So konnten wir
uns im Juni 2012 darauf einigen, eine Bankenunion mit
gemeinsamer Aufsicht und gemeinsamen Krisenmecha-
nismen zu gründen .

Begonnen hat dieser Prozess mit dem Stresstest . Die
EZB hat die 130 größten Banken in der Euro-Zone einem
Stresstest unterzogen, der Kapitallücken bei 25 Banken
aufgedeckt hat . Dieses Kapital haben die Banken inzwi-
schen aufgebracht . Seit November 2014 stehen diese
Großbanken unter der Aufsicht der EZB . Bankenschief-
lagen sollen so in Zukunft durch frühzeitiges Eingrei-
fen verhindert werden . Sollte trotzdem eine Bank in
Bedrängnis geraten, haben wir sichergestellt, dass der
europäische Steuerzahler in Zukunft weitestgehend als
Retter außen vor bleibt . Banken und Aufsicht erstellen
außerdem Sanierungs- und Abwicklungspläne für den
Ernstfall .

Wir haben auch dem Prinzip „Wer die Chancen hat,
hat auch die Risiken zu tragen“ wieder zur Geltung ver-
holfen . Statt auf den Steuerzahler zurückzugreifen, haf-
ten in Zukunft die Eigentümer und Gläubiger selbst vor-
rangig für Sanierung und Abwicklung . Für den Fall, dass
die Mittel der Eigentümer und Gläubiger für eine Sanie-
rung oder Abwicklung nicht reichen, gibt es den Abwick-
lungsfonds, der von den Banken selbst mit 55 Milliarden
Euro gefüllt werden muss . Erst als letzter müsste der je-
weilige Staat einspringen, in dem die Bank ihren Sitz hat .

Danach haben wir im letzten Jahr beschlossen, die
nationalen Einlagensicherungssysteme in Europa zu har-
monisieren . Alle Banken müssen einem nationalen Ein-
lagensicherungssystem angehören, das mit einem Min-
destvermögen von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen
ausgestattet sein muss . Hierdurch werden auf nationaler
Ebene Sicherheiten für europäische Sparer geschaffen .
Im Fall des Zusammenbruchs einer Bank kann die Aus-
zahlung des Guthabens auch über Landesgrenzen hinweg
bis 100 000 Euro sicher und zügig erfolgen . Wir haben
die Auszahlungsfristen verringert und haben für Sonder-
situationen, zum Beispiel bei einer Abfindung oder einer
Veräußerung des privaten Hauses, die gesicherte Summe
sogar auf 500 000 Euro erhöht .

Also: Bei den rechtlichen Grundlagen sind wir auf
dem Weg zu mehr Sicherheit auf den Finanzmärkten

einen guten Schritt weitergekommen . Wir haben gute
gesetzliche Regelungen geschaffen . Aber bei der Um-
setzung konnten nicht alle in Europa Schritt halten . In
Deutschland sind wir auf einem guten Weg . Wir waren
Vorreiter bei der Umsetzung der Abwicklungsrichtlinie;
auch bei der Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie
waren wir ganz vorne dabei . Viele andere EU-Staaten ha-
ben diese Richtlinien bisher aber noch nicht umgesetzt .
Nach den letzten Informationen haben bisher 17 Staaten
die Abwicklungsrichtlinie umgesetzt, obwohl die Frist
eigentlich schon Ende 2014 auslief . Auch die Einlagen-
sicherungsrichtlinie wurde trotz Fristendes im Juli 2015
erst von rund der Hälfte der betroffenen Länder umge-
setzt .

Mit der Umsetzung und Implementierung in nationa-
les Recht an sich ist es aber noch nicht getan . Tatsäch-
lich müssen die damit einhergehenden Pflichten erfüllt
werden . Erst 2016 sind die ersten Einzahlungen in den
Abwicklungsfonds vorgesehen . Für die vollständige Um-
setzung der Einlagensicherungsrichtlinie haben die Ban-
ken sogar bis zum Jahr 2024 Zeit . Erst dann müssen die
geforderten Mittel in Höhe von 0,8 Prozent der gedeck-
ten Einlagen im System hinterlegt sein . Nötig ist daneben
auch noch, die Risiken zu verringern, die von Staaten auf
Banken ausgehen und umgekehrt . Deshalb wollen wir als
Nächstes die regulatorische Behandlung von Staatsanlei-
hen überprüfen .

Vor dem Hintergrund, dass viele der Maßnahmen noch
gar nicht mit Leben erfüllt sind, kommt der Vorschlag der
fünf Präsidenten, eine europäische Einlagensicherung in
Form einer Rückversicherung zu installieren, zur Unzeit .
Wir sollten erst einmal abarbeiten, was wir beschlossen
haben . Wir sollten erst einmal das mit Leben erfüllen und
wirken lassen, was wir bisher gemeinsam verabredet ha-
ben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In der Reihenfolge der noch abzuarbeitenden Aufga-
ben müssen Sorgfalt und Vorsicht vor Geschwindigkeit
gehen . Lassen Sie uns gemeinsam mit aller Kraft das
System der Einlagensicherung, das wir schon geschaf-
fen haben, mit Leben erfüllen und erst dann, wenn die
nationalen Systeme funktionieren, über weitere Schritte
diskutieren . Wir fordern Sie heute mit diesem Antrag auf,
nichts Neues zu implementieren, bevor die Instrumente
in den anderen Bereichen funktionieren .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813322300

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Axel Troost,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813322400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

begrüßen sehr, dass sich die Regierungskoalition mit

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


dem Thema europäische Einlagensicherung beschäftigt .
Die Stoßrichtung des Antrags sehen wir aber kritisch .

Uns verbindet in jedem Fall das gemeinsame Interes-
se, die Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht in
ein europäisches Einlagensicherungssystem zu zwingen,
das im Zweifelsfall mit Spareinlagen riskant operieren-
de Großbanken im europäischen Ausland retten würde;
denn das zentrale Kriterium eines jeden Einlagensiche-
rungssystems muss sein, dass Banken mit seriösem Ge-
schäftsmodell nicht für die Einlagen bei Zockerbanken
geradestehen müssen, egal ob im Inland oder im Ausland .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber wenn Sparkassen und Genossenschaftsbanken
tatsächlich aus einer europäischen Einlagensicherung
ausgenommen würden, dann spräche doch nichts grund-
sätzlich dagegen, dass Banken mit ähnlichen Geschäfts-
modellen und Risikoprofilen in eine einheitliche europä-
ische Einlagensicherung einbezogen würden, und zwar
sinnigerweise, wie eben auch vorgesehen, in ein System
von Rückversicherungen zwischen nationalen Einlagen-
systemen .

Mit Ihrem Antrag stellen Sie sich aber nicht nur schüt-
zend vor die Sparkassen und Genossenschaftsbanken,
sondern vor alle deutschen Kreditinstitute, nach dem
Motto „Kein deutsches Geld zur Sicherung von Einlagen
irgendwo anders“ .


(Manfred Zöllmer [SPD]: Wir diskriminieren eben nicht!)


Aber was spricht denn prinzipiell dagegen, dass auch mit
Einzahlungen einer deutschen Commerzbank oder Hy-
poVereinsbank ein Einlagensicherungssystem gespeist
wird, das notfalls auch Sparer und Sparerinnen einer
französischen BNP Paribas oder der UniCredit, also der
italienischen Mutter der HypoVereinsbank, entschädigt?

Sie sollten diesbezüglich auch folgende Überlegung
anstellen: Auch den deutschen Privatbanken geht es kei-
neswegs so blendend, dass sie sich erlauben könnten, ab-
schätzig auf Großbanken in anderen Ländern zu schauen .
Gerade die Deutsche Bank – wir alle wissen das sehr ge-
nau – kommt kaum hinterher, ihre Bußgelder zu beglei-
chen und ihre Schadensersatzverpflichtungen zu erfüllen.
Wer sagt also, dass automatisch Gelder aus Deutschland
ins europäische Ausland abfließen würden? Vielleicht
kommt es ja auch andersherum .

Sie als Koalitionäre und die Bundesregierung werden
nicht müde, immer wieder zu betonen, dass Sie die not-
wendigen Schlussfolgerungen aus der Finanzkrise ge-
zogen haben, dass Sie auf europäischer Ebene die Ban-
kenregulierung ausreichend verschärft und die Risiken
entschlossen bekämpft haben .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja!)


Wenn man Ihnen glaubt, so werden europäische Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler nie wieder für die Verluste
gieriger oder verantwortungsloser Banker haften müs-
sen . Wir als Linke sind bekanntlich sehr viel skeptischer,
wie weit die Finanzmarktreformen der vergangenen Jah-
re der Gefahr einer neuen großen Finanzkrise wirksam
vorgebeugt haben .

Die aktuelle Krise ist keineswegs vorbei, und die
nächste Krise kommt bestimmt, und die wird sicher
anders aussehen als die derzeitige . Es wäre aus unserer
Sicht deswegen durchaus sinnvoll, schon jetzt wirksame
Maßnahmen zu diskutieren und Einrichtungen zur Ein-
lagensicherung möglichst breit aufzustellen und nicht
selbstgefällig zu glauben, die nächsten Bankenzusam-
menbrüche und Entschädigungsfälle in Europa würden
immer nur weit entfernt von Frankfurt passieren .

Bei allen Bedenken, dass andere Länder noch nicht so
weit sind: Ich glaube, dass man die Gespräche schon jetzt
aufnehmen muss . Wenn andere Sicherungssysteme ste-
hen, dann muss selbstverständlich sehr schnell eine euro-
päische Lösung angestrebt und auch umgesetzt werden .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813322500

Das Wort hat als Nächster der Kollege Manfred

Zöllmer für die SPD .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1813322600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

europäische Bankenunion hat konkrete Gestalt angenom-
men . Die Politik hat die richtigen Schlussfolgerungen aus
der Krise gezogen, wir haben verstanden und geliefert .
Noch ist nicht alles rosig; so müsste die Zusammenarbeit
der nationalen Behörden mit der EZB nach wie vor ver-
bessert werden . Aber insgesamt funktioniert es . Wir sind
einen guten Schritt nach vorne gekommen .

Mit dem Abwicklungsmechanismusgesetz haben wir
in Deutschland die Umsetzung der Bankenabwicklungs-
richtlinie vorgenommen . Damit wollen wir verhindern,
dass in Zukunft Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
noch einmal für die Zockereien der Banken zahlen müs-
sen . Mit dem Einlagensicherungsgesetz haben wir in
Deutschland die europäische Einlagensicherungsrichtli-
nie in Kraft gesetzt . Damit werden in Europa einheitliche
Regeln für Anforderungen und finanzielle Ausstattung
von Einlagensicherungssystemen geschaffen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Vertrauen ist die
Grundlage für die Funktionsfähigkeit und die Stabilität
des Bankensystems . Wir haben vor kurzem in Griechen-
land erlebt, was passiert, wenn es kein Vertrauen in die
Stabilität des Bankensystems gibt . In Deutschland gibt
es neben dem gesetzlichen Einlagensicherungssystem
der privaten und öffentlichen Banken die Institutssiche-
rungssysteme der Sparkassen und Genossenschaftsban-
ken . Deutschland hat seine Hausaufgaben erfolgreich ge-
macht . Ich glaube, darauf können wir auch ein bisschen
stolz sein . Wir sind in dieser Frage gut aufgestellt .

Wir waren sehr überrascht, als im Bericht der fünf Prä-
sidenten das Stichwort „Errichtung einer europäischen
Einlagensicherung“ auftauchte . Ja, es gibt in Europa Pro-
bleme mit der Einlagensicherung; denn eine Reihe eu-
ropäischer Staaten hat die europäischen Vorgaben bisher
noch nicht in nationales Recht umgesetzt . Im Bereich der

Dr. Axel Troost






(A) (C)



(B) (D)


Abwicklungs- und Einlagensicherungsrichtlinien gibt es
teilweise noch erhebliche Umsetzungsdefizite. Diese De-
fizite sind ein Stabilitätsrisiko. Deshalb wundern wir uns
darüber, dass die Kommission nicht die Umsetzung na-
tionaler Gesetzgebung kontrolliert und einfordert – dies
wäre eigentlich ihre Aufgabe –, sondern ein neues, verge-
meinschaftetes System schaffen will .

Wir sagen deshalb: Erst müssen die nationalen Hausauf-
gaben gemacht werden . Das, was beschlossen ist, muss
wirksam umgesetzt werden, bevor man über weiter ge-
hende Schritte entscheidet . Zuerst müssen die nationalen
Einlagensicherungssysteme funktionsfähig sein; dann
kann man über weiter gehende Schritte verhandeln .

Nun gibt es in der öffentlichen Diskussion ja einige
Vorschläge – Herr Juncker hat sich da hervorgetan –:
Man wolle ja nur ein Rückversicherungssystem schaffen .
Doch was ist ein solches System anderes als eine Ver-
gemeinschaftung der Einlagensicherung? Dann gab es in
der Diskussion den Hinweis, Sparkassen und Genossen-
schaftsbanken sollen aber außen vor bleiben . Wir fragen
uns: Wie soll das eigentlich rechtlich sauber aussehen,
wo will man die Trennlinie ziehen, und was bedeutet das
für die privaten Banken? Es gibt viele Fragen und bisher
kaum Antworten .

Deshalb wollen wir mit unserem Antrag deutlich ma-
chen: Wir wehren uns nicht gegen eine sinnvolle Weiter-
entwicklung der Bankenunion . Sie kann aber nur Schritt
für Schritt erfolgen . Erst muss das, was in Europa zur
Einlagensicherung beschlossen wurde, auch überall nati-
onal umgesetzt werden . Wir wollen Europa stärken . Das
geht aber nicht mit unausgegorenen Vorschlägen, nach
denen der deutsche Sparer für Fehlentwicklungen in an-
deren Ländern in Haftung genommen werden soll . Die
Bankenunion ist nach wie vor eine Baustelle . Es ist drin-
gend notwendig, ein vernünftiges Trennbankengesetz in
Europa zu etablieren und Maßnahmen zu ergreifen, um
die staatlichen Risiken von den Bankenrisiken zu tren-
nen .

Es gibt noch viel zu tun, aber man muss die richtige
Reihenfolge beachten . Wir bitten deshalb um Zustim-
mung zu unserem Antrag .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813322700

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Gerhard Schick,

Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813322800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

geht heute um die Frage: Was passiert eigentlich, wenn
das Einlagensystem eines Mitgliedstaates nicht aus-
reicht, weil die Bankenpleite zu groß ist, als dass das
Einlagensicherungssystem das tragen könnte? Dann gibt
es die Möglichkeit, dass der Nationalstaat einspringt, der
Steuerzahler . Wir haben in Deutschland erlebt, dass eine
Einlagensicherung im Bereich der Privatbanken nicht
ausgereicht hat und der Steuerzahler einspringen musste .

Oder gibt es eine Alternative dazu, die von den Banken
selber finanziert ist?

Wenn man es ernst meint – was häufig gesagt wird –,
dass man die Risiken von Bankenpleiten trennen will,
sodass eine Bankenpleite nicht auf den Steuerzahler
durchschlägt und umgekehrt das Risiko einer drohen-
den Staatspleite nicht Unsicherheiten im Bankensektor
schafft, dann muss man dafür sorgen, dass bei Problemen
bei einer Einlagensicherung eben gerade nicht das Bud-
get des Nationalstaates herangezogen wird, sondern es
ein anderes Absicherungssystem gibt. Deswegen finden
wir es im Grunde richtig, dass man an einer europäischen
Einlagensicherung arbeitet, um das System insgesamt
stabiler zu machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Da sind wir auch überhaupt nicht allein . Das ist die
zentrale Forderung von sehr vielen Institutionen und kun-
digen Menschen . Der Internationale Währungsfonds for-
dert uns dazu auf, die Bankenunion zu vervollständigen,
die dritte Säule, die Einlagensicherung, zu schaffen . Die
fünf Präsidenten, darunter der Christdemokrat Juncker
und der Sozialdemokrat Schulz, sagen: Wir brauchen
jetzt ein europäisches Einlagensicherungssystem . – Sie
haben recht . Es ist interessant, dass Sie Ihren Parteifreun-
den da nicht folgen wollen, sondern jetzt erst einmal ein
Nein in die Debatte werfen .

Es gibt einen Punkt, den wir uns in Deutschland wirk-
lich anschauen müssen . Wir haben nämlich ein anderes
System als manche anderen Mitgliedstaaten: Mit der In-
stitutssicherung der Sparkassen und Volksbanken haben
wir jeweils eigene Systeme . Wir wollen auch nicht, dass
sie zu einem Nachteil für die Institute werden; denn ge-
rade die kleineren Banken wollen wir nicht über Gebühr
belasten .

Merkwürdig ist aber, dass Herr Zöllmer jetzt sagt: Un-
ausgegorene Vorschläge, wir sind dagegen . – Entschuldi-
gung, die Kommission hat ihren Vorschlag noch gar nicht
gemacht, und Sie sagen schon Nein dazu? Nicht der Vor-
schlag ist unausgegoren, sondern Ihre Kritik richtet sich
gegen etwas, was Sie noch gar nicht kennen . Das ist nicht
überzeugend .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das Zweite ist, dass Sie damit argumentieren, dass
die Sparer in Deutschland bei Bankenpleiten in anderen
Ländern nicht in Anspruch genommen werden sollten .
Jetzt einmal Vorsicht: Wir haben bei der Abwicklung von
Banken festgelegt, dass die Einlagen geschützt sind; im
Fachterminus Depositor Preference . Das heißt, das Ein-
lagensicherungssystem ist gerade nicht dafür da, Ban-
kengläubiger insgesamt zu schonen, sondern Eigentümer
und Anleihegläubiger müssen als Erstes herangezogen
werden . Die Einlagensicherung wird im Wesentlichen
dazu dienen, dass die Sparer nicht lange warten müssen
und nur eine Liquiditätsrolle einnehmen. Deswegen ist
der Vorwurf, den Sie gemacht haben, auch da nicht rich-
tig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Manfred Zöllmer






(A) (C)



(B) (D)


Wir meinen, dass das, über das jetzt in Europa dis-
kutiert wird, auf jeden Fall eine ernste Betrachtung ver-
dient . Denn jetzt soll ja gerade nicht als Erstes ein gro-
ßer gemeinsamer europäischer Topf geschaffen werden,
sondern das System der Rückversicherung besagt: Wir
haben nationale Systeme, und nur wenn diese nicht aus-
reichen, greift ein Rückversicherungssystem . Das ken-
nen wir aus der Privatwirtschaft . Das kann zusätzliche
Stabilität schaffen . Es lohnt deswegen, diesen Vorschlag
der Kommission konstruktiv aufzugreifen, unsere deut-
schen Besonderheiten einzubringen und jetzt nicht sofort
Nein in Richtung Brüssel und Straßburg zu sagen . Mit
der Subsidiaritätsrüge sind Sie bei dem Thema Einla-
gensicherung schon einmal gescheitert; damit waren Sie
nicht erfolgreich . Wir meinen, daraus sollte man lernen
und sich konstruktiv in die Debatte einbringen, um die
Euro-Zone insgesamt stabiler zu machen .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813322900

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alexander

Radwan .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1813323000

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt

heute ein Antrag zu einem zu erwartenden Entwurf zum
Thema Einlagensicherung vor; das wurde bereits rich-
tig dargestellt . Das Thema Bankenunion wurde schon
beschrieben . Wir sind dort mit den Abwicklungsmecha-
nismen auf dem Weg und haben mit den Einlagensiche-
rungssystemen gute Fortschritte gemacht . Aber wir ha-
ben eine ganze Reihe von Gründen, warum wir diesen
Vorschlag in der Form jetzt ablehnen .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welchen Vorschlag noch einmal genau?)


– Hören Sie zu, Herr Schick, dann werden Sie es mögli-
cherweise verstehen .

Die Europäische Kommission geht sehr oft in Vorla-
ge, um ein Thema zu setzen und etwas Bestimmtes zu
erreichen . – Herr Schick, Sie haben doch gerade dazwi-
schengerufen . Nun lassen Sie mich Ihnen doch antwor-
ten . – Die Kommission geht also in Vorlage . Sie sagen
schon jetzt: Wir wollen den entsprechenden Vorschlag
prüfen . – Wir sagen mit unserem Antrag: Es ist zu früh
dafür . Jetzt ist nicht die Zeit, über dieses Thema zu disku-
tieren . – Ich habe bis jetzt keinen Vorschlag der Europäi-
schen Kommission erlebt, der einfach in einer Schublade
verschwunden ist .

Das, was Jean-Claude Juncker jetzt gemacht hat, in-
dem er die Sparkassen und Genossenschaftsbanken her-
ausgenommen hat, Herr Dr . Troost, ist süßes Gift; denn
er möchte das System der Einlagensicherung jetzt euro-
päisieren . Er will einen Fonds . Ihre Argumentation – ich
habe dafür sehr viel Sympathie – greift aus europäischer
Sicht aber nicht . Wir waren gerade heute mit einigen Kol-

legen bei den privaten Banken . Relativ schnell wird in
der Diskussion gefragt werden: Was haben wir denn für
ein Geschäftsmodell? Der BdB hat als Mitglieder mehr
kleine Banken als große Banken . Relativ schnell wird die
Diskussion kommen: Wieso nehmen wir die einen heraus
und die anderen nicht? – Das ist europäische Politik . Die-
se Tür wollen Sie, Herr Schick, jetzt aufstoßen, ohne dass
die Risiken in Europa vergleichbar sind, ohne dass die
anderen Staaten entsprechende Systeme implementiert
haben und eine entsprechende Risikovergleichbarkeit
haben . Die Kommission geht hier den dritten Schritt vor
dem ersten Schritt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn Sie jetzt sagen: „Wir machen eine Rückversi-
cherung in diesem Bereich“, wenn sie jetzt sagen: „Der
Anreiz ist, dass die, die es umgesetzt haben, zukünftig
auch daran teilnehmen können“, dann sage ich: Die Auf-
gabe der Kommission ist es, europäisches Recht durch-
zusetzen – ohne irgendeine Bonuszahlung . Ansonsten
machen wir zukünftig irgendwelche Fonds auf und be-
lohnen die Staaten, die umsetzen . Das ist nicht das euro-
päische Rechtssystem, wie wir es uns vorstellen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir machen heute – das halte ich für ausgesprochen
gut – im Vorfeld eines europäischen Vorschlages, über
den noch auf europäischer Ebene zwischen den Institu-
tionen diskutiert wird, eine Meinungsbildung des Deut-
schen Bundestages .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist es!)


Für mich ist entscheidend: Wenn wir es ernst meinen, in
diesem Bereich nationale Politik mitzugestalten, sollten
wir nicht warten, wie es einige Redner gefordert haben,
bis die Vorschläge vorliegen, bis möglicherweise die par-
lamentarische Beratung war . Wenn wir dann in der Um-
setzung der Richtlinien sind, dann kommt das große Auf-
heulen, und dann sagen wir: Jetzt war es zu spät . – Wir
müssen unsere Interessen rechtzeitig einbringen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Manfred Zöllmer [SPD])


Darum bleiben wir dabei: Hier wird der dritte Schritt
vor dem ersten gemacht . Wir erwarten von der Kommis-
sion, jetzt dafür zu sorgen, dass diese Richtlinie in den
Mitgliedstaaten umgesetzt wird, dass wir eine Risikover-
gleichbarkeit bekommen . Hier gibt es wichtige Punkte,
zum Beispiel bei den Staatsanleihen, wo wir sagen: Wir
müssen das entsprechend handhaben .

Meine Damen und Herren, wenn ich vonseiten der
Kommission höre – das ist nur ein Beispiel für die Ver-
gleichbarkeit in Europa –, dass es bei der Umsetzung des
Bail-in – auf nationaler Ebene war uns ja sehr wichtig,
dass der Bail-in aufgenommen wird; das war in unserem
Interesse – in anderen Staaten durchaus Interpretations-
verschiedenheiten gibt und andere Länder nicht so strikte
Regelungen treffen wie wir, dann muss ich sagen: Dieser
Schritt ist eindeutig zu früh . Wir müssen eine Vergleich-
barkeit der Regelungen, der Regulierung, der Aufsicht
und des Verständnisses von europäischen Normen her-
stellen, bevor wir darangehen, all dies zu europäisieren .

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


Abschließend noch – auch da hatten wir eine triftige
Diskussion –: Wenn wir so weit kämen, uns darauf zu ei-
nigen, was die Rechtsgrundlage eines solchen Fonds ist,
kann ich nur sagen: Da bin ich bei Wolfgang Schäuble,
der beim Abwicklungsmechanismus das intergouverne-
mentale Element betont hat und ihn nicht als Sache des
europäischen Rechts angesehen hat . Wir sollten, gerade
wenn es um diese Gelder geht, alles daransetzen, dass
wir als Deutscher Bundestag auf europäischer Ebene un-
sere Rechte wahren . Das machen wir mit dem heutigen
Beschluss . Wir werden dem Antrag zustimmen .

Besten Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813323100

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege

Christian Petry für die SPD das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1813323200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Eines freut mich an der heutigen Debatte: dass
letztlich von keiner Seite infrage gestellt wird, dass wir
zur Verwirklichung der Bankenunion und im Hinblick
auf die dritte Säule am Ende auch ein europäisches Ein-
lagensicherungssystem brauchen . Ich glaube, das Signal,
das dieses Parlament an Europa senden muss, ist, dass
dies für die Einleger ein ganz wichtiger Punkt ist . Im
Zentrum unserer Überlegungen stehen auch nicht die
Banken . Im Zentrum steht der Schutz der Einleger, also
der Sparer, die ihre Vermögen gesichert haben wollen,
die, wie Manfred Zöllmer eben gesagt hat, nicht unter der
Zockerei der Banken leiden sollen .

Eines, Herr Troost, muss ich allerdings sagen: Die
Banken sind nicht per se das Reich des Bösen . Es gibt
Missstände . Aber insgesamt gesehen erfüllen sie volks-
wirtschaftlich eine wichtige Funktion in unserem Land .
Wirtschaftliche Tätigkeit wäre ohne Banken so natürlich
nicht möglich .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Vor allen Dingen die Sparkassen und Genossenschaftsbanken!)


Wir haben hier ein Einlagensicherungssystem ge-
schaffen . Dieses schützt unsere Einleger – die Beträge
sind genannt worden –; das ist ein ganz wichtiger Punkt .
Im Bericht der fünf Präsidenten wird nun das Ansinnen
formuliert, dass wir ein europäisches System brauchen .
Dem Grunde nach dürfen sich die Präsidenten darüber
auslassen und sagen: Wir brauchen dies . – Die Vorschlä-
ge werden noch kommen, und wir werden sie uns natür-
lich genau ansehen .

Die Rückversicherungen sind genannt worden . Es
stellt sich die Frage: Ist das ein geeignetes System? Wir
haben allerdings auch die Situation – das wurde ge-
nannt –, dass die Abwicklungsrichtlinie in 12 Mitglied-
staaten und die Einlagensicherungsrichtlinie in 14 Staa-

ten noch nicht umgesetzt ist . Da, Herr Radwan, gebe ich
Ihnen vollkommen recht: Natürlich müssen diese Staaten
die Richtlinien zunächst einmal umsetzen, damit in Eu-
ropa insgesamt gesehen Vergleichbarkeit und Sicherheit
gewährleistet sind .

Dann – oder auch parallel dazu – müssen wir, den-
ke ich, darüber diskutieren, wie wir die dritte Säule ver-
wirklichen; denn das wollten wir ja . Wir wollen, dass
wir einen stabilen europäischen Finanzsektor haben, der
Sicherheit für die Einleger, die Sparer und alle Bürgerin-
nen und Bürger gewährleistet . Ich glaube, das wirklich
wichtige Signal am heutigen Abend ist, dass die Men-
schen Vertrauen in Europa haben . Wie wichtig Vertrauen
in Europa ist – auch auf ganz anderen Feldern, über die
wir tagtäglich in sehr dramatischer Weise diskutieren –,
brauche ich hier, glaube ich, nicht näher zu erläutern .

Im Finanzsektor ist dies möglich, indem wir sagen:
Im Moment ist noch nicht die Zeit dafür, ernsthaft und
mit Blick auf die Umsetzung darüber zu diskutieren . –
Wenn entsprechende Vorschläge kommen – wir erwarten
sie mit Spannung –, werden wir sie natürlich diskutie-
ren . Und: Niemand wird uns daran hindern, auch eigene
Vorschläge zu machen, Alternativvorschläge, die unsere
Interessen, etwa die der Volksbanken und der Sparkas-
sen, zum Ausdruck bringen . Wir sind aufgefordert, dies
auch zu tun .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Und das frühzeitig!)


Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal .

Die finale Säule der Bankenunion wird Gestalt an-
nehmen . Zum jetzigen Zeitpunkt ist in Europa allerdings
noch einiges an Hausaufgaben zu machen . Danach wer-
den wir gründlich diskutieren und eventuell Vorschläge
aufnehmen und eigene Vorschläge machen, die unseren
spezifischen Interessen Rechnung tragen.

Die Stärkung des Vertrauens in den Bankensektor ist
ein wichtiges Signal für die Bürger . Der Anleger und
nicht die Bank steht im Mittelpunkt . Das muss unser Ziel
sein .

In diesem Sinne: Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813323300

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/6548 mit dem Titel „Zu den Überlegungen der
Europäischen Kommission zur Schaffung einer Euro-
päischen Einlagensicherung“ . Wer für diesen Antrag
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Antrag ist damit
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Alexander Radwan






(A) (C)



(B) (D)


Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile
Registrierungssysteme stärken

Drucksache 18/6549
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Die Reden dazu sollen zu Protokoll gegeben werden .
Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der
Fall . Sie sind also damit einverstanden .1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6549 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Auch dagegen er-
hebt sich kein Widerspruch . Ich sehe Ihr Einverständnis,
und die Überweisung ist damit so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
29. Juni 2015 zur Gründung der Asiati-
schen Infrastruktur-Investitionsbank

Drucksachen 18/6163, 18/6448

Beschlussempfehlung und Bericht des Finan-
zausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/6568


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/6577

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache ebenfalls 25 Minuten vorgesehen . – Da
sich kein Widerspruch erhebt, gehe ich davon aus, dass
Sie damit einverstanden sind und dass das so beschlossen
ist .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Dr . Philipp Murmann für die CDU/
CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1813323400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen heute
den Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen zur Grün-
dung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank –
kurz: AIIB – verabschieden . – Über den Namen werde
ich noch das eine oder andere Mal stolpern, wofür ich
schon jetzt um Entschuldigung bitte .

Meine Fraktion unterstützt jedenfalls ausdrücklich,
dass die Bundesregierung die Gespräche dazu schon
frühzeitig aufgenommen und am 29 . Juni dieses Jahres
das Übereinkommen unterschrieben hat, um als Grün-

1) Anlage 5

dungsmitglied von Anfang an bei dieser Bank dabei zu
sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit der Gründung der AIIB entsteht neben der traditi-
onellen Weltbank und der Asian Development Bank nun
eine weitere multinationale Entwicklungsbank, bei der
Deutschland ein Mitglied ist . Es ist aber eine ganz beson-
dere Bank; denn auch die Veränderungen in der Weltwirt-
schaft spiegeln sich in dieser Bank wider . China drängt
als besonders starke Wirtschaftsmacht in Asien natürlich
darauf, auch eine prägende Kraft im Bereich der Ent-
wicklungsbanken zu sein . Nachdem es bei der Neuord-
nung der Weltbank nicht zu einer Einigung gekommen
ist, haben sich die Chinesen entschieden, diesen Weg der
Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank zu gehen, und
ich denke, es ist wichtig, dass wir mit dabei sind . Das ist
auch eine Chance, die Chinesen auf diese Weise in die
internationale Finanzarchitektur einzubinden . Ich denke,
die AIIB ist eine gute Chance . Deswegen unterstützen
wir die Gründung dieser Bank ausdrücklich .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Auch geostrategisch ist das für uns Deutsche sicher-
lich interessant; denn neben China sind auch Russland
und Indien prägende Mitglieder dieser Bank, die gemein-
sam mit den regionalen Partnern, die ja immerhin 20 Pro-
zent an dieser Bank halten, die Projekte abstimmen und
natürlich auch Standards erheben und durchsetzen, auf
die ich nachher noch kurz zu sprechen kommen möchte .
Auch diesen Ansatz unterstützen wir ausdrücklich .

Deutschland hat immerhin knapp 4,5 Prozent an die-
ser Bank . Wir müssen dafür 900 Millionen Dollar Eigen-
kapital einlegen . Wir danken dem Haushaltsausschuss
ganz besonders, dass er diese Mittel bereitstellt, davon
die ersten 360 Millionen schon im Haushaltsjahr 2016
und weitere je 180 Millionen 2017, 2018 und 2019 . Was
ich nicht ganz verstehe: Die Linke will sich enthalten,
wenn ich es richtig gelesen habe . Im Haushaltsausschuss
haben die Linken allerdings dagegengestimmt und woll-
ten das Geld nicht bereitstellen . Das ist natürlich äußerst
enttäuschend, muss ich sagen .


(Christian Petry [SPD]: Es gibt noch Unterschiede!)


Es wird auf Dauer spannend sein, ob sich in einer späte-
ren Phase auch die Amerikaner an dieser Bank beteiligen
werden; denn ein Element dieser neuen Bank ist, dass zu-
sätzlicher Wettbewerb entsteht . Wettbewerb, glaube ich,
belebt auch hier das Geschäft, und es ist für die interna-
tionale Finanzstruktur sicherlich gut, hier einen weiteren
Spieler zu haben .

Im Gouverneursrat der Bank, der auch das operative
Direktorium bestimmt, werden wir mit einem direkten
und einem stellvertretenden Sitz vertreten sein . Natürlich
wäre es erstrebenswert – und wir können die Bundesre-
gierung nur dazu ermuntern –, auch einen Sitz im Direk-
torium selbst zu halten, das mit zwölf Plätzen sehr knapp
bemessen ist . Da wir nur zu den kleineren 20 Prozent ge-
hören, ist natürlich noch nicht ausgemacht, wer am Ende

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


diese Rolle spielt. Aber dort Einfluss zu nehmen, wäre
sicherlich auch für uns wichtig .

Ziel der AIIB ist es, die in Asien dringend benötigte
Finanzierung von Infrastruktur voranzutreiben und damit
auch eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in die
Region zu bringen . Die Art dieser Investitionstätigkeit
hat den großen Vorteil, dass dadurch auch zusätzliches
privates Kapital mobilisiert werden kann . Das wiederum
ist auch eine gute Chance für unsere KfW oder auch an-
dere Banken, sich an diesen Projekten zu beteiligen und
dann auch deutsche Anbieter in diese Projekte einzubin-
den. Auch das finden wir gut und unterstützen es außer-
ordentlich .

Die AIIB soll sich insbesondere auf große Infrastruk-
turprojekte konzentrieren . Das können Kraftwerke sein,
Flughäfen, Bildungsinfrastruktur, Krankenhäuser, und
ganz besonders – das ist in Asien wichtig – in ländlichen
Räumen, weil diese in Asien häufig unter einer beson-
deren Strukturschwäche leiden . Ich kann da aus eigener
Erfahrung berichten, da ich drei Jahre in Malaysia gelebt
habe .

Malaysia ist schon seit Mitte der 90er-Jahre ein sehr
aufstrebendes Land und hat auch davon profitiert, dass
frühzeitig in die Infrastruktur investiert wurde . Es war
nicht nur ein erfolgreicher Rohstofflieferant und ist es
noch heute, sondern ist inzwischen auch eine wichtige
Handelsnation geworden . Viele deutsche Unternehmen
haben Malaysia als Produktionsstandort entdeckt . Inso-
fern haben sich diese Investitionen auch ausgezahlt .

Nun leidet Malaysia wie viele andere Länder in der
Region unter den niedrigen Rohstoffpreisen, auch unter
der Wachstumsschwäche Chinas . Insofern ist es jetzt be-
sonders wichtig, die staatlichen Möglichkeiten zur Infra-
strukturfinanzierung auch durch eine Asian Infrastructure
Investment Bank zu unterstützen . Auch das, glaube ich,
ist eine wichtige Rolle der AIIB .

Ich möchte ein weiteres Beispiel nennen: Indonesien,
das drittgrößte Land dieser Welt, wird in den kommen-
den fünf Jahren ungefähr 450 Milliarden Dollar Kapital
zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten benötigen .
Einen solchen Bedarf kann keine Entwicklungsbank al-
leine stemmen . Dafür brauchen wir eine Symbiose der
Banken . Die Asian Infrastructure Investment Bank, die
Weltbank und auch die Asian Development Bank müs-
sen solche Projekte gemeinsam stemmen . Deswegen
finde ich es auch gut, dass der designierte Präsident der
AIIB, Herr Jin Liqun, gesagt hat, dass die ersten Projek-
te bereits zwischen der Asian Development Bank, der
Weltbank und der AIIB in der Diskussion sind, um sie
gemeinsam zu finanzieren.

Dieses Vorgehen ist doch eine gute Absicht. Ich finde,
das muss uns auch motivieren, dafür zu kämpfen, dass
die Standards nicht nur verbessert, sondern eben auch
eingehalten werden; denn wenn wir solche Projekte ge-
meinsam finanzieren, ist natürlich die Wahrscheinlich-
keit hoch, dass dabei gemeinsame Standards gesetzt und
die dann auch eingehalten werden .

Drei Punkte möchte ich noch kurz nennen .

Erstens. Die Statuten sind natürlich noch nicht final
beschlossen . Wir haben das auch im Finanzausschuss
diskutiert und uns deswegen entschieden, einen besonde-
ren Passus aufzunehmen und der Regierung mit auf den
Weg zu geben . Darin fordern wir sie auf, möglichst hohe
Standards einzufordern, mindestens Weltbankniveau .
Das gilt für die Umwelt-, Sozial-, Arbeits-, Menschen-
rechts- und auch Governance-Standards . Das gilt aber
auch für die Etablierung eines effizienten Monitoringsys-
tems . Das gilt für die Standards in Bezug auf die Rechen-
schaftspflicht und Transparenz der AIIB. Und das gilt
auch für einen unabhängigen Beschwerdemechanismus .
Natürlich erwarten wir auch, dass wir als Deutscher Bun-
destag nach Beitritt zur Asian Infrastructure Investment
Bank den jeweiligen Jahresbericht umgehend zur Kennt-
nis übermittelt bekommen, lieber Herr Staatssekretär .

Zweitens . Diese Bank – auch das ist mir wichtig – ist
natürlich für die deutsche Wirtschaft eine große Chance .
Ich möchte da ein kurzes Beispiel nennen . In Asien ha-
ben wir das überragende Phänomen der Landflucht. Viele
Menschen streben in die großen Städte . Dafür ist es eben
besonders wichtig, öffentliche Infrastruktur bereitzustel-
len, auch im ländlichen Raum . Für die deutschen Un-
ternehmen sehe ich da großes Potenzial. Sie sind häufig
schon vor Ort präsent . Sie können Projekte planen . Sie
können Projekte auch umsetzen . Überhaupt haben unsere
Unternehmen den großen Vorteil, dass sie nicht nur in der
Lage sind, Produkte zu entwickeln, sondern dass sie die-
se Produkte auch weltweit vermarkten können . Insofern
bietet auch hier die AIIB ein großes Potenzial .

Drittens: die allgemeine Rolle von Entwicklungs-
banken . Gerade wir in Deutschland wissen: Wir würden
ohne die Unterstützung der Weltbank und der Alliierten
damals nach dem Zweiten Weltkrieg heute nicht daste-
hen, wo wir stehen . Schon der Name der KfW spricht
eine deutliche Sprache: Kreditanstalt für Wiederaufbau .
Genau diese Rolle der Entwicklungsbanken ist eben auch
für Asien besonders wichtig .

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine etwas kühne
These wagen . Wir erleben im Moment eine Völkerbe-
wegung, die vielleicht noch größer ist als die nach dem
Zweiten Weltkrieg . Viele Menschen verlassen ihre Län-
der, nachdem die demokratischen Bewegungen in vielen
Ländern Afrikas gescheitert sind . Sie machen sich nun
auf den Weg zu Frieden und Wohlstand und kommen
nicht nur nach Europa . Auch in Asien gibt es solche Be-
wegungen .

Deswegen die These: Die Finanzierung von Infra-
struktur vor Ort kann auch in solchen Ländern helfen,
diese Völkerbewegungen einzudämmen und die Flucht
zu begrenzen . Deswegen hoffe ich – das vielleicht als
kleine Hypothese –, dass wir in einem Jahr oder zwei
Jahren über eine MEIIB sprechen, einer Middle East
Infrastructure Investment Bank, die dazu beiträgt, Infra-
struktur in diesen Ländern wieder aufzubauen und den
Menschen dort eine Bleibeperspektive zu geben .

Jetzt komme ich aber wieder zu unserer Bank . Ich
möchte Sie herzlich bitten, diesem Gesetzentwurf zuzu-
stimmen, und danke Ihnen für die intensiven und guten
Beratungen der letzten Tage . Mein Dank geht auch an die

Dr. Philipp Murmann






(A) (C)



(B) (D)


Bundesregierung . Wir wünschen ihr viel Erfolg bei den
weiteren Verhandlungen über diese Bank .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813323500

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Axel Troost für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813323600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Beitritt zur Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank,
auf Deutsch ganz einfach AIIB, bedeutet weit mehr, als
künftig Projekte in Asien finanziell abzusichern. Es geht
auch um einen Paradigmenwechsel . Die AIIB ist eine
klare Konkurrenzeinrichtung zur Weltbank, dem Inter-
nationalen Währungsfonds und der Asiatischen Entwick-
lungsbank . Diese Organisationen haben sich in weiten
Teilen der Welt einen verheerenden Ruf verschafft . Viel-
fach kamen ihre Finanzhilfen nicht der lokalen Bevölke-
rung zugute, sondern Konzernen und Eliten .

Die Existenz der AIIB ist dem Versagen geschuldet,
dass diese Institutionen, insbesondere die Weltbank, nicht
reformierbar waren, nicht in Bezug auf die Stimmrech-
te von Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch
nicht wegen der leitenden wirtschaftlichen Prinzipien .

Anders als die westlich geprägten Institutionen wird
die AIIB nicht den freien Markt ins Zentrum von Kre-
ditauflagen stellen. Sie wird nicht, wie bisher üblich,
vorschreiben, Märkte zu deregulieren, Schutzzölle abzu-
bauen und öffentliche Unternehmen oder Infrastruktur zu
privatisieren . Damit verabschiedet sich die internationale
Finanzarchitektur ein weiteres Stück vom Neoliberalis-
mus . Die Bundesregierung ist bereit, das notgedrungen
mitzumachen, und das ist eine gute Botschaft .

Dadurch wird aber die AIIB nicht automatisch rund-
um ein positives Projekt . Wir dürfen deswegen nicht zu-
lassen, dass Projekte der AIIB zu Ausbeutung, Vertrei-
bung oder Umweltzerstörung führen . Das muss in der
Kreditvergabepraxis festgehalten werden .

Wie wir aus leidvollen Erfahrungen mit der Weltbank
wissen, müssen die entsprechenden Standards dann na-
türlich auch laufend überwacht und durchgesetzt wer-
den . Das lässt sich nicht durch Heraushalten erreichen,
sondern nur durch Einmischen . Nur durch eine eigene,
aktive Teilnahme können die Praktiken der neuen Bank
beeinflusst werden.

Wir wissen, dass es aus den Reihen der Zivilgesell-
schaft noch massive Vorbehalte gegen die im Augenblick
verhandelten Kreditvergabeprinzipien der AIIB gibt .

Vor diesem Hintergrund finden wir es ausgesprochen
positiv, dass der Finanzausschuss gestern mit einer von
allen Fraktionen getragenen Resolution bekräftigt hat,
dass die Kriterien der AIIB mindestens denen der Welt-
bank entsprechen müssen . Über diese Prinzipien hinaus
steht in der Resolution, dass die Finanzierung von fos-

silen Kraftwerken und auch von Atomkraftwerken nicht
durchgeführt werden soll .

Vor diesem Hintergrund stehen wir dem Beitritt
Deutschlands wesentlich positiver gegenüber, als dies
noch vorher der Fall war . Wir geben aber trotzdem kei-
nen Freibrief; denn das ganze Verfahren – anders als in
anderen europäischen Ländern, wo ein solcher Beitritt
durch öffentliche Anhörungen und auch parlamentari-
sche Zielvorgaben begleitet worden wäre – hat es hier
nicht gegeben .

Uns stimmt auch misstrauisch, dass nur auf Drängen
der Opposition überhaupt eine nennenswerte Befassung
mit diesem Gesetzentwurf stattgefunden hat .

Uns stimmt weiterhin misstrauisch, dass das Entwick-
lungsministerium mit seinen Expertisen zu sozial und
ökologisch nachhaltigen Projekten vom Finanzministeri-
um in diesem Projekt weitestgehend marginalisiert wird .

Insofern: Es kann noch vieles besser werden . Wir
werden uns insgesamt enthalten, weil wir glauben, dass
nach wie vor nicht gesichert ist, dass das, was in der Re-
solution festgehalten ist, dann auch wirklich umgesetzt
wird . Aber zumindest ist die Bundesregierung jetzt auf-
gefordert, in den Verhandlungen vernünftige Prinzipien
durchzusetzen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813323700

Als Nächster spricht der Kollege Manfred Zöllmer für

die SPD .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1813323800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wa-

rum soll es eigentlich eine weitere multilaterale Finanz-
institution geben? Die Initiative zur Gründung dieser
Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank – Sie sehen,
Herr Kollege, es geht auf Deutsch relativ unfallfrei – geht
von China aus . Die Chinesen haben beim Internationalen
Währungsfonds, also beim IWF, und bei der Weltbank
keine angemessene Vertretung in den Gremien dieser
Institutionen, jedenfalls keine angemessene Vertretung
bezogen auf ihre Wirtschaftskraft . Der Westen dominiert
diese Institutionen . Den IWF leitet stets ein Europäer, die
Weltbank ein US-Amerikaner .

Es hat nun viele Vorschläge gegeben, diese Instituti-
onen zu verändern und auf die Kritik der aufstrebenden
Schwellenländer einzugehen, die mehr Vertretung haben
wollen .

Eine Stimmrechtsreform der Institutionen ist bereits
vor einiger Zeit beschlossen worden . Sie wird aber nach
wie vor vom US-Kongress blockiert . Dann gab es die Re-
aktion der Chinesen, die im Aufbau alternativer Systeme
besteht . Der wichtigste Teil dieses alternativen Systems
ist der Aufbau der AIIB mit einem Kapital von 100 Milli-
arden Dollar . Damit – und das begrüßen wir – wird China
ein wichtiger Partner in der globalen Finanzarchitektur .

Dr. Philipp Murmann






(A) (C)



(B) (D)


Nächste Frage: Warum sollte sich Deutschland an der
Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank beteiligen? Es
steht außer Zweifel, dass es in Asien den Bedarf an Inves-
titionen in die Infrastruktur gibt . Der Kollege Murmann
hat eben ein paar gute Beispiele genannt . Dieser wird
durch die vorhandenen internationalen Organisationen
wie die Weltbank aber nur teilweise gedeckt .

Der Förderschwerpunkt der neuen Bank liegt auf öf-
fentlichen und privaten Investitionen in den Bereichen
Energie, Verkehr, Telekommunikation, ländliche Infra-
struktur, Stadtentwicklung und Logistik . Der asiatische
Raum ist der am schnellsten wachsende Wirtschaftsraum
der Welt . Für die deutsche Wirtschaft ergeben sich da-
raus interessante und lukrative Beteiligungsmöglichkei-
ten . Wir unterstützen deshalb den Vorschlag der Bundes-
regierung einer deutschen Beteiligung an der AIIB von
4,5 Prozent .

Neben Deutschland wollen sich vier weitere europäi-
sche Länder beteiligen . Größter Anteilseigner wird Chi-
na mit knapp 30 Prozent . Insgesamt haben bisher über
30 Staaten ihre Bereitschaft signalisiert, sich an dieser
multinationalen Finanzinstitution zu beteiligen . Sie soll
ihre Arbeit mit Beginn des neuen Jahres aufnehmen . Die
Verhandlungen über ein entsprechendes Statut sollen bis
dahin abgeschlossen sein .

Derzeit verhandeln die Beitrittskandidaten in mehre-
ren Verhandlungsrunden unter anderem über Umwelt-,
Sozial-, Menschenrechts- und Governance-Standards .
Wir fordern deshalb, dass sich Deutschland in den Ver-
handlungen für höchstmögliche Standards einsetzt .

Bei den Beratungen im Finanzausschuss haben sich
die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/
Die Grünen – und die Linken haben sich dem ange-
schlossen – auf eine gemeinsame Protokollerklärung
verständigt . Darin fordern wir die Bundesregierung unter
anderem auf, bei den weiteren Verhandlungen über die
Standards hohe Umwelt-, Sozial-, Menschenrechts- und
Governance-Standards wie mindestens die der Weltbank
einzufordern . Dazu zählt auch der Ausschluss von Inves-
titionen in Atom- und Kohlekraftwerke . Wir fordern auch
entsprechende Rechenschafts- und Transparenzpflichten.

Der Kampf gegen Korruption ist dabei besonders
wichtig . Wir werden allerdings nur dann eine Chance
haben, diese Forderungen in den Verhandlungen durch-
zusetzen, wenn Deutschland vollumfängliches Mitglied
wird . Nur dann können wir in den Verhandlungen ent-
sprechend auftreten .

Wir lehnen deshalb die Forderungen einzelner NGOs
ab, den Gesetzgebungsprozess aufzuschieben, bis die
Verhandlungen abgeschlossen sind . Die Realisierung ei-
ner solchen Forderung würde den Einfluss Deutschlands
auf den Verhandlungsprozess minimieren . Das wäre ins-
gesamt kontraproduktiv .

Sehr schön, dass auch die Fraktion Die Linke im Fi-
nanzausschuss dem Gesetzentwurf zugestimmt hat . Im
Haushaltsausschuss habt ihr euch enthalten .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben dagegengestimmt! – Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dagegen waren wir!)


Hier wollt ihr euch auch enthalten . Wie nennt man das,
wenn man gleichzeitig nach links und nach rechts abbie-
gen und dabei auf der mittleren Spur bleiben will? Das ist
ein bisschen chaotisch . Der Eindruck, den die Opposition
hinterlässt, ist im Moment etwas schwierig .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Jetzt haben wir die mittlere Spur!)


Das gilt für die Opposition insgesamt, also auch für das
Verhalten der Bündnisgrünen . Denn schließlich ist die
Erklärung mit den Bündnisgrünen abgestimmt worden .
Wenn man zuerst eine solche Erklärung mitträgt, ist es
ein bisschen schwierig, wenn man sich dann enthält . Ich
denke, auch als Opposition muss man in der Lage sein,
Verantwortung zu übernehmen . Wer sich erst beteiligt
und dann doch dagegenstimmt, macht sich letztendlich
politisch überflüssig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erwarten nun,
dass die Verhandlungen zeitgemäße Umwelt- und So-
zialstandards sowie Transparenz und Rechenschaftsle-
gung sicherstellen . Diese Bank soll letztendlich Projekte
durchführen, die Armut bekämpfen, und damit besonders
den Ländern dienen, die weniger entwickelt sind . Herr
Kollege Murmann, dann halte ich Ihre Hypothese, dass
wir die Menschen vor Ort halten können, für gar nicht
so falsch . Deswegen bitten wir, dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zuzustimmen .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813323900

Zum Ende dieser Debatte spricht der Kollege

Dr . Thomas Gambke für Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ohne große Medienöffentlichkeit hat die Bundesregie-
rung im Sommer entschieden, der AIIB beizutreten . Es
ist eines der wichtigsten Projekte in dieser Region . Im-
merhin bis zu 8 Billion Dollars sollen in die Infrastruktur
fließen. Im Interesse der Bekämpfung der Armut, im Inte-
resse einer guten Entwicklung dieser Region und im Inte-
resse der Entschärfung regionaler Konflikte – Stichwort
„Südchinesisches Meer“ – ist ein stärkeres Engagement
Deutschlands in dieser Region unbedingt notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Manfred Zöllmer [SPD] – Dr . Philipp Murmann [CDU/CSU]: Dann könnt ihr ja zustimmen!)


Ich füge hinzu: Das liegt auch im Interesse von uns Bür-
gern . Denn unser Wohlstand beruht eben auf einer star-
ken Exportindustrie . Diese wird gerade im Bereich der
umwelt- und ressourcenschonenden Produktionen und
insbesondere auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien
eine wichtige Rolle übernehmen .

Manfred Zöllmer






(A) (C)



(B) (D)


Bei jedem Gespräch, das ich als Vorsitzender der
ASEAN-Parlamentariergruppe führe, treffe ich auf Ver-
treter nicht nur der Regierungen, sondern auch gesell-
schaftlicher Gruppen, der Opposition und der Zivilgesell-
schaft vor Ort . In jedem dieser Gespräche werde ich zu
einem stärkeren Engagement Deutschlands in dieser Re-
gion aufgefordert . Ich nenne nur ein paar Stichworte: Die
ASEAN-Staaten umfassen 600 Millionen Menschen und
ein Bruttosozialprodukt von 2,1 Billionen Dollar . Das ist
deutlich größer als das von Indien, das bei 1,8 Billionen
Dollar liegt und wo 1,2 Milliarden Menschen leben .

Nachdem China die AIIB-Gründung vorangetrieben
hat, sind gerade auf Betreiben der ASEAN-Länder, also
der Länder von Myanmar bis Indonesien, nichtasiatische
Länder aufgefordert worden, sich zu beteiligen . Die Rol-
le, die uns zukommt, ist relativ einfach . Man will erstens,
dass China nicht eine zu dominierende Rolle bekommt,
und man will zweitens die Standards berücksichtigen,
die wir unter anderem in der Weltbank haben . In den er-
wähnten Gesprächen, die ich mit Vertretern nicht nur der
Regierung, sondern auch der Opposition und der Zivilge-
sellschaft vor Ort geführt habe, wird eine stärkere Rolle
Deutschlands eingefordert . Dabei wird leider – das muss
ich feststellen – die Rolle Europas als weniger bedeutend
bewertet . Ich persönlich sehe das anders . Aus meiner
Sicht sollte Europa gerade bei den Governance-Struktu-
ren – das bedeutet schlicht Korruptionsbekämpfung, eine
wichtige Aufgabe – mit einer Stimme sprechen . Ich be-
dauere sehr, dass es keine abgestimmte Vorgehensweise
Europas gibt . Einzelne Länder, insbesondere England,
aber auch die schwache europäische Präsenz vor Ort las-
sen uns Europäer nicht als starke Verhandlungspartner
erscheinen . Umso wichtiger ist es, dass Deutschland Ver-
antwortung übernimmt und sich viel stärker einbringt, als
das bisher geschehen ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gemessen an der Geschwindigkeit, mit der die Grün-
dung der AIIB vorangetrieben wurde, ist die Setzung
ökologischer, sozialer und menschenrechtlicher Stan-
dards bisher nur unzureichend erfolgt . Umso erfreulicher
ist – mein ausdrücklicher Dank geht an alle Fraktionen,
die sich der Resolution im Finanzausschuss angeschlos-
sen haben –, dass wir einstimmig den Beschluss gefasst
haben, darauf zu achten, dass die Weltbankstandards
nicht unterlaufen, sondern zumindest erreicht und bei der
Kreditvergabe zugrunde gelegt werden .

Und ich darf als Grüner sagen: Ganz besonders hat
mich gefreut, dass wir einstimmig gesagt haben, dass
keine Finanzierung von Atomkraftwerken und Koh-
lekraftwerken stattfinden soll. Es darf kein Race to the
Bottom, kein Unterbieten der Standards, geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Meine Fraktion und ich wollen ausdrücklich die Be-
teiligung Deutschlands; die ist richtig . Wenn wir uns der
Stimme enthalten, dann wollen wir ein Zeichen setzen,
dass Deutschland zu wenig präsent ist, dass man sich zu
wenig einsetzt . Nur dann, wenn wir unser Engagement
verstärken, wird das gelingen, was wir wollen und was

wir gestern im Finanzausschuss entschieden haben, näm-
lich dass ökologische, soziale und menschenrechtliche
Standards eingehalten werden . Nur wer sich mit der Ka-
pazität und Kompetenz, die er hat, einbringt, kann das
tun . Präsident Obama war zweimal in Myanmar, die
Kanzlerin noch kein einziges Mal .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein wichtiger
und entscheidender Schritt . Ich glaube, er wird viel zu
wenig beachtet, auch in unserem Parlament .


(Manfred Zöllmer [SPD]: Nein! – Carsten Schneider Ich hoffe, dass sich das ändert . In diesem Sinne hoffe ich, dass wir eine positive Entwicklung dieser Bank feststellen können . Vielen Dank . Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29 . Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank . Dazu liegt mir eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813324000

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/6568, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6163 und
18/6448 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD bei Enthaltungen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit angenommen mit den Stimmen der
CDU/CSU und der SPD bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit einer
Ausnahme, weil der Kollege Nouripour zugestimmt hat .

Wir kommen nun zu einer Reihe von Abstimmungen
über Gesetzentwürfe . Ich darf deshalb um entsprechende
Aufmerksamkeit bitten .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die Feststellung des Wirtschaftsplans
des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016)


1) Anlage 4

Dr. Thomas Gambke






(A) (C)



(B) (D)


Drucksache 18/6159

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/6574

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Da
ich keinen Widerspruch sehe, gehe ich davon aus, dass
Sie alle einverstanden sind .1)

Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung . Der
Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6574,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/6159 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltun-
gen? – Das ist nicht der Fall . Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Gibt es jemanden, der dagegenstimmen will? – Enthält
sich jemand? – Das ist nicht der Fall . Der Gesetzentwurf
ist damit einstimmig angenommen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 21:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Auswahl und zum Anschluss von Tele-
kommunikationsendgeräten

Drucksache 18/6280

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/6575

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . – Widerspruch sehe ich keinen . Dann gehe ich
davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind .2)

Deshalb kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/6575, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 18/6280 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ein Handzeichen . – Wer ist dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen .

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer
stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthalten
möchte? – Das ist nicht der Fall . Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen .

1) Anlage 6
2) Anlage 7

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen
den unlauteren Wettbewerb
Drucksache 18/4535
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/6571
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben

werden . – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch . Dann
ist das so beschlossen .3)

Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung . Der
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6571,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/4535 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Damit kommen wir zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuorganisation der Zollver-
waltung
Drucksachen 18/5294, 18/5770
Beschlussempfehlung und Bericht des Fi nanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/6569

(8 . Aus schuss)


Drucksache 18/6578
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben

werden . – Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .4)

Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung . Der Fi-
nanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6569, den Gesetzentwurf der Bundes-

3) Anlage 8
4) Anlage 9

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


regierung auf den Drucksachen 18/5294 und 18/5770 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer ist dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen .

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ent-
haltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 24 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Siebten Besoldungsänderungsgesetzes

(7. BesÄndG)


Drucksache 18/6156

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/6583


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/6584

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe nur Einverständnis . Dann verfahren
wir so .1)

Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung . Der In-
nenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6583, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/6156 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

1) Anlage 10

Damit kommen wir zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich enthalten? –
Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und
von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b
auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzie-
rungsgesellschaftsgesetzes

Drucksache 18/6487
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Planungen für die Gründung einer Bundes-
fernstraßengesellschaft sofort einstellen

Drucksache 18/6547
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch . Dann
verfahren wir so .2)

Interfraktionell wird, weil es eine erste Lesung ist, die
Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6487
und 18/6547 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so
beschlossen .

Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung angekommen .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 6 . November 2015, 9 Uhr,
ein .

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend . Kom-
men Sie morgen gesund und ausgeruht wieder! Die Sit-
zung ist geschlossen .