2) Anlage 11
Vizepräsident Johannes Singhammer
(A) (C)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13031
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Beck (Bremen),
Marieluise
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
05 .11 .2015
Bluhm, Heidrun DIE LINKE 05 .11 .2015
Bülow, Marco SPD 05 .11 .2015
Feiler, Uwe CDU/CSU 05 .11 .2015
Ferlemann, Enak CDU/CSU 05 .11 .2015
Glöckner, Angelika SPD 05 .11 .2015
Jung, Andreas CDU/CSU 05 .11 .2015
Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
05 .11 .2015
Kolbe, Daniela SPD 05 .11 .2015
Linnemann, Dr . Carsten CDU/CSU 05 .11 .2015
Murmann, Dr . Philipp CDU/CSU 05 .11 .2015
Petzold (Havelland),
Harald
DIE LINKE 05 .11 .2015
Rosemann, Dr . Martin SPD 05 .11 .2015
Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
05 .11 .2015
Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 05 .11 .2015
Wagner, Doris BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
05 .11 .2015
Wicklein, Andrea SPD 05 .11 .2015
Anlage 2
Erklärungen nach § 31 GO
der Abgeordneten Heike Baehrens (SPD) und
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) zu der namentlichen Abstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der
Hospiz- und Palliativversorgung in Deutsch-
land (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) (Ta-
gesordnungspunkt 3 a)
Heike Baehrens (SPD): Mit dem heute verabschie-
deten HPG wird die Hospiz- und Palliativversorgung in
Deutschland entscheidend weiterentwickelt . Ich begrüße,
dass die Palliativversorgung ein ausdrücklicher Bestand-
teil der Regelversorgung in der gesetzlichen Kranken-
versicherung wird und die Krankenkassen verpflichtet
werden, die Patienten bei der Auswahl von Angeboten
der Palliativ- und Hospizversorgung individuell zu bera-
ten . Sowohl die Verbesserungen in der ambulanten Ver-
sorgung als auch die Stärkung der stationären Hospize
sowie der Hospiz- und Palliativversorgung in den Kran-
kenhäusern ist ein wichtiger Schritt, und daher stimme
ich dem Hospiz- und Palliativgesetz zu .
Während der Gesetzentwurf die Rahmenbedingungen
für Hospiz- und Palliativversorgung in stationären Hos-
pizen und Krankenhäusern verbessert, werden stationäre
Pflegeeinrichtungen nur unzureichend berücksichtigt.
Zwar wird Sterbebegleitung, die dem hospiz-palliativen
Versorgungsbedarf Rechnung trägt – Gesetzesbegrün-
dung –, Bestandteil des Versorgungsauftrages der gesetz-
lichen Pflegeversicherung. Eine verbindliche Regelung
zur Finanzierung dieser Leistungsverpflichtung wird je-
doch nicht verankert .
Die Anforderungen an eine würdevolle pflegerische
Versorgung und Begleitung sind aufgrund der sich än-
dernden Bewohnerstruktur und der immer kürzeren
Verweildauern in den Pflegeheimen seit Einführung der
Pflegeversicherung sehr gestiegen . Die Menschen in den
Heimen wurden älter, multimorbider und ihre Pflege-
und Behandlungsbedarfe immer komplexer . Obwohl der
Bedarf an medizinischer Behandlungspflege und Ster-
bebegleitung enorm zugenommen hat, blieben die Per-
sonalschlüssel in der stationären Pflege auf dem Niveau
von Anfang der 90er-Jahre und die Fachkraftquote noch
immer bei lediglich 50 Prozent
Mit meiner persönlichen Erklärung möchte ich darauf
aufmerksam machen, dass es nach deutlichen Verbesse-
rungen in der ambulanten Versorgung und für stationäre
Hospize nun überfällig ist, auch den Bereich der statio-
nären Pflege strukturell zu stärken und die Krankenkas-
sen zu verpflichten, die hospizliche und palliative Ver-
sorgung auch in der stationären Pflege auskömmlich zu
finanzieren .
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich stimme zu, dass der Gesetzentwurf ein Fortschritt ist .
Dies reicht aber immer noch nicht aus, soll ambulante
Palliativversorgung für Patienten und ihre oftmals ja auch
betagten Angehörigen praktikabel sein . Deshalb wäre es
richtig, in § 37 b SGB V mindestens klar zu regeln, dass
alle notwendigen (fach-)ärztlichen, pflegerischen und
sonstigen (Apotheke, Pflegehilfsmittel) Leistungen aus
einer Hand erbracht werden müssen .
§ 37 b SGB V Absatz 1 Satz 3 sollte lauten: „Die spe-
zialisierte ambulante Palliativversorgung umfasst ärztli-
che und pflegerische Leistungen sowie die Versorgung
durch Apotheken und mit Pflegehilfsmitteln einschließ-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513032
(A) (C)
(B) (D)
lich ihrer Koordination insbesondere zur Schmerzthera-
pie, Symptomkontrolle und notwendigen fachärztlichen
Interventionen und zielt darauf ab, die Betreuung der
Versicherten nach Satz 1 in der vertrauten Umgebung
des häuslichen oder familiären Bereichs zu ermöglichen .
Hierzu zählen beispielweise Einrichtungen der Einglie-
derungshilfe für behinderte Menschen und der Kinder-
und Jugendhilfe .“
Die jetzige Reform geht in die richtige Richtung . Eine
weitergehende Regelung im § 37 b SGB V brächte aber
mehr Rechtssicherheit für die Versorgung von Patienten .
Hierzu muss aber das Gesundheitsministerium auch noch
Mut haben, den Leistungserbringern verbindliche Vorga-
ben zu machen, von denen sie eben nicht nach unten ab-
weichen dürfen . Dies muss im Rahmen der Evaluierung
erneut diskutiert werden .
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Sabine Dittmar (SPD) zu der
Abstimmung über den von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Reform der Strukturen der Kran-
kenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz
– KHSG) (Tagesordnungspunkt 9 a)
Das Krankenhausstrukturgesetz enthält viele wichtige
Regelungen, um die Betriebs- und Behandlungskosten zu
stabilisieren, die hohe Qualität im stationären Sektor wei-
ter zu verbessern und echte strukturelle Veränderungen
einzuleiten . Insgesamt ist das Gesetz sehr zu begrüßen .
Als zuständige Berichterstatterin für die ambulante
Versorgung habe ich mit Blick auf den Änderungsan-
trag 22 zu Artikel 6 Nummer 4 a neu (§ 87 b SGB V)
„Notdienst- und Notfallvergütung im Honorarvertei-
lungsmaßstab“ allerdings große Sorge, dass es zu einem
unkontrollierbaren Mittelabfluss aus der MGV kommen
kann mit negativen Auswirkungen für das Honorar der
grundversorgenden Haus- und Fachärzte in der Regelver-
sorgung .
Ich möchte dies näher begründen:
Es ist richtig, dass die Krankenhausambulanzen zu-
nehmend sowohl in sprechstundenfreier als auch inner-
halb der Sprechstundenzeit Fälle behandeln, die ein-
deutig dem ambulanten Sektor zuzuordnen sind . Die
Gründe hierfür sind sicher vielfältig: vergrößerte Be-
reitschaftsdienstbereiche der KVen, Selbsteinweiser, die
aus forensischen oder Marketinggründen von den Kran-
kenhausambulanzen nicht abgewiesen werden, generell
mangelnde Möglichkeiten der Patientensteuerung, aber
auch der allzu schnelle Verweis einiger KV-Ärzte auf die
Krankenhausambulanz .
Das KHSG nimmt sich dieser Problematik in Än-
derungsanträgen an . So ist es richtig, dass wir die For-
derung aus dem VSG zu mehr Kooperation zwischen
KV-Ärzten und Krankenhäusern im Notdienst in Form
von Portalpraxen im KHSG konkretisieren . Denn selbst-
verständlich muss in manchen Fällen im Notdienst auch
die diagnostische und therapeutische Kompetenz der
Krankenhausambulanz genutzt werden . Dieses Leis-
tungsspektrum muss zweifelsohne entsprechend und
rentierlich honoriert werden . Dies soll künftig durch eine
nach Schweregrad differenzierte Notfall-EBM für den
ambulanten und stationären Bereich geschehen . Das ist
durchaus eine Lösung, um die unterschiedliche Kosten-
struktur der krankenhausspezifischen, fachspezifischen
und allgemeinen Notfälle besser abzubilden .
Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Mehrzahl
der höher bewerteten Leistungen in der KH-Ambulanz
anfallen und so deutlich mehr Honorar aus der vertrags-
ärztlichen Vergütung in den stationären Bereich fließt.
Dieses Honorarplus wird komplett aus der Morbiditäts-
orientierten Gesamtvergütung der Vertragsärzte gezahlt
und nicht extrabudgetär geregelt .
Ich betone nochmals, dass Leistungen auch entspre-
chend ihrem Umfang vergütet werden müssen . Durch die
vorgesehene Neuregelung der Notfall- und Notdienstver-
gütung sind die Auswirkungen auf das Regelhonorar der
Haus- und Fachärzte und hier vor allem der Grundver-
sorger allerdings nicht kalkulierbar . Die ganzen Maßnah-
men, die wir zur Stärkung der grundversorgenden Me-
dizin im Versorgungsstärkungsgesetz getroffen haben,
werden damit ein Stück weit ad absurdum geführt .
Zudem kritisiere ich die Regelungen zur Aufhebung
der Mengenbegrenzung, die eine Vielzahl von Interpre-
tationen zulassen . In der Vergangenheit wurden ambu-
lante Notfallbehandlungen zur sprechstundenfreien Zeit
immer ohne Mengenbegrenzung und Abzug sowohl den
Vertragsärzten als auch dem KH honoriert . Die Notfall-
leistungen, die innerhalb der Sprechstundenzeiten anfie-
len, wurden bei den Vertragsärzten in der Regel über das
Regelleistungsvolumen (RLV) vergütet, im Krankenhaus
wurden sie quotiert.
Die offene Formulierung im ÄA 22 „Für Leistungen
im Notfall und Notdienst dürfen im Verteilungsmaßstab
keine Maßnahmen zur Begrenzung oder Minderung des
Honorars angewandt werden“ lässt verschiedene Inter-
pretationen zu .
Nachdem der Notfall sowohl in der sprechstundenfrei-
en Zeit als auch innerhalb der Sprechstundenzeit auftre-
ten kann, ist für mich völlig unklar, wie zukünftig die
Vergütung im Bereich der KV-Praxen und der KH-Am-
bulanzen geregelt wird .
Sollte der Notfall innerhalb der Sprechstundenzeit
sowohl in der KH-Ambulanz als auch in der KV-Praxis
unbegrenzt vergütet werden, ist zu befürchten, dass dies
nicht absehbare negative Auswirkungen auf die Mengen-
entwicklung und den verbleibenden Honorartopf haben
wird .
Sollte es so sein, dass die Behandlung des Notfalls in-
nerhalb der Sprechstundenzeit durch die KV-Praxis wei-
terhin im Rahmen des RLV bzw . EBM zu vergüten ist
und gleichzeitig die Behandlung innerhalb der Sprech-
stundenzeit in der KH-Ambulanz mit den höheren Not-
fall-EBM ohne Abzüge bezahlt wird, führt dies zu einer
eklatanten Ungleichbehandlung der Sektoren . Das würde
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13033
(A) (C)
(B) (D)
die Prämisse „ambulant vor stationär“ vollkommen kon-
terkarieren .
Auch wenn in zwei Jahren eine Evaluation stattfin-
det und ich dem Gesetz zur Reform der Strukturen der
Krankenhausversorgung zustimme, möchte ich in dieser
persönlichen Erklärung meine Bedenken bezüglich der
geplanten Änderungen bei der Notdienst- und Notfallver-
gütung zum Ausdruck bringen .
Trotz Ablehnung des ÄA 22 werde ich dem KHSG
zustimmen, da es insgesamt zu sehr deutlichen Verbes-
serungen führt .
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der Abstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen
Infrastruktur-Investitionsbank (Tagesordnungs-
punkt 19)
Die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB)
wird voraussichtlich eine prägende Rolle in der interna-
tionalen Zusammenarbeit des 21 . Jahrhunderts spielen .
Ob sie eine sinnvolle Ergänzung zur Weltbank oder eine
geostrategische Konkurrenzstruktur Chinas zu den USA
darstellen wird, hängt maßgeblich davon ab, ob sich eu-
ropäische Staaten an ihr beteiligen . Nur ein engagierter
Beitrag der Mitgliedstaaten der AIIB wird dazu führen,
dass die von ihr finanzierten Projekte ökologische und
soziale und vor allem menschenrechtliche Standards ein-
halten sowie die Zivilgesellschaft an Projekten beteiligt .
Meine Fraktion und ich bemängeln, dass zum Zeit-
punkt der angestrebten Abstimmung im Deutschen Bun-
destag über die Beteiligung der Bundesrepublik an der
AIIB die genauen Standards der AIIB den Mitgliedern
des Deutschen Bundestages noch nicht vorliegen .
Wir fordern die Bundesregierung auf,
erstens bei den weiteren Verhandlungen über die
Standards der AIIB mindestens auf die Einhaltung der
bestehenden umwelt-, sozial- und menschenrechtlichen
Schutzklauseln und Investitionsstandards der Weltbank
zu bestehen, darunter beispielsweise auch den Ausschluss
von Investitionen in Atom- und Kohlekraftwerke,
zweitens darauf zu bestehen, dass ein permanentes,
unabhängiges und effizientes Monitoring-Instrument
etabliert wird, das die Grundlage für die zukünftige Ver-
besserung der Standards verbindlich liefert,
drittens sich bei den weiteren Verhandlungen über die
Standards der AIIB für die bei anderen internationalen
Finanzinstitutionen, insbesondere der Weltbank, gelten-
den Standards in Bezug auf die Rechenschaftspflicht und
Transparenz der AIIB auszusprechen,
viertens sich bei den weiteren Verhandlungen für öf-
fentliche Konsultationen zur Ausgestaltung eines unab-
hängigen Beschwerdemechanismus auszusprechen,
fünftens nach Beitritt zur AIIB dem Deutschen Bun-
destag den jeweiligen Jahresbericht und zusätzlich die
vierteljährlichen Zwischenberichte umgehend zur Kennt-
nis zu übermitteln .
Diese Forderungen können nur dann ernsthaft in An-
griff genommen werden, wenn Deutschland Mitglied der
AIIB ist . Deshalb stimme ich dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Ratifizierung des Beitritts Deutsch-
lands der AIIB zu .
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD: Bevölkerungsstatistiken verbessern
– Zivile Registrierungssysteme stärken (Tagesord-
nungspunkt 18)
Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): In der Entwick-
lungszusammenarbeit stellt sich für uns immer die
grundlegende Frage, inwieweit es sinnvoll, nützlich oder
sogar unerlässlich ist, deutsche oder sogar europäische
Werte einfließen zu lassen. Dies ist sicher für Fragen
der Menschenwürde, der Gleichberechtigung oder der
körperlichen Unversehrtheit keine Frage, sondern eine
zwingende Voraussetzung . Allerdings sind auch diese
elementaren Grundwerte nicht in jedem Entwicklungs-
land sofort eine willkommene Botschaft . Auch begegnet
uns immer wieder die Forderung nach Good Governan-
ce – guter Regierungsführung – und damit implizit nach
funktionierenden Verwaltungsstrukturen eines Staates .
Verwaltung ist aber ebenso häufig ein Begriffspaar von
Bürokratie, die gerne als Synonym von Schwerfälligkeit
oder Bevormundung der Bürger verstanden wird .
So ist Bürokratieabbau in einem modernen Industrie-
staat eine Aufgabe der positiven Entwicklung, der Ver-
besserung und für manchen fast schon so etwas wie ein
modernes Menschrecht . Hierzulande beschweren wir uns
allzu oft über die Bürokratie: die Bürokratie eines Bür-
geramtes, deutsche Bürokratie im Allgemeinen oder den
„berühmten“ Brüsseler Beamten, der mit seinen Geset-
zen unser Leben überreguliert .
Kann es dann sein, dass Ausprägungen der Bürokra-
tie in bestimmten Stadien der staatlichen Entwicklung
geradezu einen Baustein für eine erfolgreiche Entwick-
lung und vor allem ein hohes Schutzgut des Menschen
verkörpern könnten? Genau das kann es, wenn es dazu
angelegt ist, dem Menschen seine staatliche Identität zu
geben und ihn in das Gefüge staatlicher Existenz zu im-
plementieren .
Ich möchte heute aber kein kritikloses Loblied auf die
Bürokratie singen . Dies umso mehr, als das Thema des
heutigen Antrags seinen Ursprung eigentlich im kirchli-
chen Bereich hatte und es die Kirchen waren, die began-
nen, die sogenannten Personenstandsfälle aufzuzeich-
nen . Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle fanden
Eingang in die Kirchenregister der Pfarrämter . Erst 1792
wurden diese Aufgaben von der zivilen Verwaltung über-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513034
(A) (C)
(B) (D)
nommen und letztlich Standesämter durch den Code Ci-
vil errichtet .
Es dürfte kein Zufall sein, dass gerade im Zusammen-
hang mit der französischen Revolution der Wert des Indi-
viduums durch eine staatliche Registrierung seine Aner-
kennung der Menschrechte erhielt . Menschenrechte sind
keine abstrakte Größe, sondern sie leiten sich aus der
Beziehung zum Staat ab . Mit der Registrierung des Ge-
burtsdatums und dem erwählten Namen wird der Mensch
zum Individuum und ist damit in der Lage, seine Rechte
konkret einzufordern .
Auch wenn Bürokratie in der freien Übersetzung die
Herrschaft der Beamten verkörpert, so ist es aber auch
die Erklärung dafür, dass sich der Staat gegenüber sei-
nen Bürgern respektvoll und dem Gesetz unterworfen
verhält .
Besinnen wir uns auf die Grundwerte, so ist schnell
klar, dass es für die Entwicklungsländer dringend dieser
Regularien bedarf, um den Bewohnern ihre Individualität
zu verleihen, damit sie Träger und nicht nur Objekte des
Staates sind . Und dies gilt gerade zu dem Zeitpunkt, an
dem der Mensch seine Individualität schutzlos verteidi-
gen muss – als Neugeborenes, als Kind .
Für Staatlichkeit braucht es deshalb eine Bürokratie,
die gewissenhaft die Kinder ihres Landes zählt . Denn:
keine Geburtsurkunde und kein Name – keine Bürger-
rechte . Keine Geburtsurkunde – kein Schutz vor früher
Heirat . Keine Geburtsurkunde – kein Schutz vor Kin-
derarbeit . Keine Geburtsurkunde – kein Schutz im Falle
einer Entführung . Keine Geburtsurkunde – keine kon-
trollierte Einschulung . Keine Geburtsurkunde – kein
kontrolliertes Impfen . Keine Geburtsurkunde – keine
Kontrolle der Volljährigkeit .
Laut einem Bericht vom UNHCR kommt jedoch alle
zehn Minuten ein Baby ohne Pass auf die Welt . Damit
sind 230 Millionen Kinder unter fünf Jahren weltweit
nicht erfasst . Das ist jedes dritte Kind unter fünf Jahren .
In Entwicklungsländern sind 50 Prozent aller unter Fünf-
jährigen nicht offiziell gemeldet. Alle zehn Minuten fällt
damit ein Kind durch das Sicherheitsnetz, das eine Regis-
trierung bieten würde .
Wir sprechen von „unsichtbaren“ Kindern . In Somalia
und Äthiopien werden weniger als 10 Prozent der Kinder
bei ihrer Geburt registriert . Und blicken wir auch einmal
nach Südasien: Auch hier sind nur 37 Prozent aller Kin-
der registriert .
Was können wir nun tun, um diese Kinder sichtbar zu
machen? Wir müssen sie zuallererst ins Blickfeld der lo-
kalen Behörden bringen . Diese müssen ihre Verantwor-
tung wahrnehmen . Sie dürfen nicht diskriminieren auf
Basis des Geschlechts und der Ethnie . Die Registrierung
muss für Eltern praktisch machbar sein, ohne Hürden, fi-
nanzieller oder anderer Natur .
Dies muss nicht zuletzt auch aus Eigeninteresse der
Staaten erfolgen, denn nur registrierte Bürger können
auch steuerlich erfasst werden .
Wie will ein Staat seine Fürsorgepflicht gegenüber
seinen Bürgern erfüllen, wenn er gar nicht weiß, wie vie-
le Menschen und an welchen Orten des Landes er mit
Infrastruktur wie Wasser, Sanitärleistungen, Energie, Ge-
sundheitsleistungen oder Nahrung versorgen bzw . hierzu
die Voraussetzungen schaffen muss? Die unkontrollierte
Urbanisierung in den Entwicklungsländern ist eine un-
mittelbare Folge davon, dass die Regierungen keine reale
Vorstellung davon haben, wie viele Menschen sich auf ih-
rem Staatsgebiet aufhalten und welche Bedürfnisse drin-
gend befriedigt werden müssen . Bevölkerungsentwick-
lung und Familienplanung sind ein untrennbares Duo
und führen bei Kontrollverlust zu abstrusen politischen
Entscheidungen wie der verkündeten Ein-Kind-Politik
von China .
Fehlende Geburtenregistrierung löst bei der be-
reits vorhandenen Bevölkerungsdichte auf dieser Erde
zwangsläufig eine Spirale des Chaos und der Rechtlo-
sigkeit aus, der die Menschen in ihrer Verzweiflung und
ihrem Kampf ums Überleben zu entfliehen suchen. Auch
dies ist eine rudimentäre Ursache der jetzigen Flücht-
lingsbewegung .
Doch können wir die Versäumnisse auf diesem Gebiet
heute noch korrigieren?
Als Erstes muss bei den Eltern Aufklärung über die
Notwendigkeit und Vorteile der Registrierung ihrer Kin-
der geleistet werden . Fatalerweise setzt sich die fehlen-
de Registrierung schon in mehreren Generationen fort .
Ein Bezug zu den Eltern ist deshalb mit den historischen
Mitteln der Registrierung durch Eintragung in zentrale
Verzeichnisse oft nicht möglich .
Hier bieten jedoch die digitalen Medien interessante
Möglichkeiten . Afrika zeigt uns schon heute, was alles
mit Handys und Digitalisierung machbar ist . Geburten-
registrierung via Mobiltelefon ist da nur eine denkbare
Möglichkeit . Fingerabdrücke und der Scan der Iris im
Auge erlaubt die Festlegung unverwechselbarer Merk-
male, die dem Namen zugeordnet werden können . Vor
allem erlaubt diese Methode die schnelle und überregi-
onale Zusammenführung der Daten sowie die Abrufbar-
keit an jeder Stelle des Landes .
Mit den entwicklungspolitischen Maßnahmen des Ge-
sundheitsschutzes durch vorbeugende Impfungen lassen
sich diese Erfassungen nicht nur sinnvoll verbinden, son-
dern sind gerade zur Gesundheitsvorsorge eine planvolle
Ergänzung .
Ein Staat ist kein Staat, wenn er seine Kinder nicht
kennt . Ein Bürger ist kein Bürger, wenn er seine Rech-
te gegenüber seinem Heimatland nicht einfordern kann,
weil seine Existenz nicht gegenüber Dritten dokumen-
tiert werden kann .
Wir sind daher aufgefordert, in der Entwicklungs-
zusammenarbeit intensiv daran mitzuwirken, dass die
Geburtenregistrierung als wesentlicher Bestandteil des
Aufbaus funktionierender Regierungssysteme mit den
uns zur Verfügung stehenden modernen Medien massiv
vorangetrieben wird .
Michaela Engelmeier (SPD): Der Antrag von CDU/
CSU und SPD: „Bevölkerungsstatistiken verbessern –
Zivile Registrierungssysteme stärken“ hat einen durch-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13035
(A) (C)
(B) (D)
aus sehr sperrigen Titel . Wer Böses denkt, könnte mei-
nen, dass die Deutschen auch in der Entwicklungspolitik
das tun, was sie angeblich am besten können: verwalten
und bürokratisieren . Das ist aber in diesem Antrag wirk-
lich nicht der Fall .
Es geht um Zukunftsfragen . Und damit Kinder eine
Zukunft haben, müssen wir uns mit vielen Dingen befas-
sen, damit unsere jüngst in diesem Jahr verabschiedeten
nachhaltigen Entwicklungsziele auch bei der zukünftigen
Generation Chancen eröffnen .
Wir wollen mit unserem Antrag eine Initiative ergrei-
fen, um ein für uns in den Industrienationen alltägliches
Kinderrecht umzusetzen . Und zwar: Jedes Kind hat ein
verbrieftes Recht auf die Registrierung seiner Geburt und
die Ausstellung einer Geburtsurkunde!
Für uns alle eine Selbstverständlichkeit: nach der
Geburt unseres Kindes zum Standesamt zu gehen und
eine Geburtsurkunde zu bekommen, mit welcher der
Name des Kindes, seine Herkunft und seine Eltern nie-
dergeschrieben werden . Mit dieser Urkunde ist das Kind
Träger von Grundrechten, die es einklagen kann, und es
kann einen Ausweis erhalten – es existiert . Es ist nicht
unsichtbar, und es kann auch nicht einfach spurlos ver-
schwinden .
In vielen Entwicklungsländern ist das nicht der Fall .
Oft fehlt einem Staat die Möglichkeit zur Registrierung,
oft sind es Bürgerkrieg und Armut und die Häufung von
Naturkatastrophen, die es verhindern .
UNICEF beziffert die Zahl der Kinder unter fünf Jah-
ren, deren Geburt nie registriert wurde, mit 230 Millio-
nen . Und an dieser Stelle wollen wir ansetzen, damit sich
an dieser Sachlage etwas ändert .
Wir werden am 20 . November an die Verabschiedung
der UN-Kinderrechtskonvention erinnern . Sie wurde
am 20 . November 1989 von der UN-Generalversamm-
lung angenommen . Beim Weltkindergipfel vom 29 . bis
30. September 1990 in New York verpflichteten sich Re-
gierungsvertreter aus der ganzen Welt zur Anerkennung
der Konvention . Der Kinderrechtskonvention sind mehr
Staaten beigetreten als allen anderen UN-Konventionen .
Und nicht nur mir sind sie wichtig . Mit einer großen
Übereinstimmung haben 195 Staaten die Kinderrechts-
konvention unterzeichnet und damit ein Zeichen gesetzt .
Leider bis heute nicht die USA .
Ich stelle diesen Zusammenhang dar, weil mir die
Wahrung der Kinderrechte besonders wichtig ist .
Die völkerrechtliche Grundlage für Geburtsregistrie-
rung findet gemäß Artikel 7 des Übereinkommens über
die Rechte des Kindes seine Verankerung . Demnach
erfolgt das Recht für das Kind durch die offizielle Re-
gistrierung seiner Geburt, das heißt das Recht auf eine
Geburtsurkunde, einen Namen und die Erfassung in offi-
ziellen Registern .
Diese Schutzbestimmung geht in ihrer Wirkung aber
darüber hinaus, denn erst durch eine Registrierung wird
im modernen Staat mit seinem Erfordernis einer funktio-
nierenden Verwaltung ein Mensch zum Staatsbürger und
kann in den vollen Genuss der ihm zustehenden Rechte
gelangen . Dies betrifft die passive und die aktive Teil-
nahme an Wahlen, die Möglichkeit, Personalausweise,
Reisepässe und andere Dokumente zu erhalten, Sozial-
leistungen zu beziehen oder die Schule zu besuchen . Es
bietet Kindern auch den Schutz vor Verbrechen, vor Kin-
derarbeit, vor dem Kriegsdienst und vor sexueller Aus-
beutung und Frühverheiratung .
Nichtregistrierte Geburten sind ein Symptom für Un-
gerechtigkeit und Ungleichheit. Häufig betroffen sind
Kinder aus religiösen oder ethnischen Minderheiten,
Kinder aus abgelegenen Regionen, Kinder aus armen
Familien, Kinder mit Müttern ohne oder mit geringer
Schuldbildung, Straßenkinder sowie Waisenkinder und
Kinder mit Behinderung .
Ohne Eintrag in ein Geburtenregister wird ein Kind
häufiger Opfer von Menschenhandel und illegaler inter-
nationaler Adoption, es kann kein Grundeigentum erwer-
ben, ein Konto eröffnen oder erben . Mit der Ausbreitung
von HIV und Krankheiten wie Ebola wächst die Zahl der
Waisen, und die Eigentumsfrage ist für die betroffenen
Kinder eine wichtige Überlebensfrage . Für nichtregis-
trierte Kinder ist zudem der Zugang zu staatlicher Bil-
dung schwierig bis unmöglich, was den Ausweg aus der
Armut besonders erschwert . Ebenso sieht es im Gesund-
heitsbereich aus: Eine Registrierung ist oft Bedingung,
um kostenlose Impfungen und andere Gratisgesundheits-
dienstleistungen zu erhalten . Weiterhin können nicht-
registrierte Kinder in legalen Arbeitsverhältnissen bei-
spielsweise keinen Mindestlohn beanspruchen und keine
Sozialversicherungs- und Steuernummer beantragen . Bei
Kindern, die von Flucht in einen anderen Staat betroffen
sind, kann eine fehlende Registrierung zur Staatenlosig-
keit führen .
Mit der Verbesserung dieser Problemlagen befasst
sich unser Antrag mit dem Thema „Geburtenregistrie-
rung in Entwicklungsländern“ . Er befasst sich mit den
dabei auftretenden Problemen und zeigt Lösungsmög-
lichkeiten auf . Er enthält einen Maßnahmenkatalog, wie
die Verfahren zur Registrierung seitens der Bundesregie-
rung und des Parlamentes unterstützt und weiterentwi-
ckelt werden können .
Unser Engagement muss darauf abzielen, sich mit den
Problemen zu befassen, warum eine Registrierung nicht
erfolgt . Das liegt nicht allein an einem reinen Mangel an
administrativer Infrastruktur, sondern an unterschiedli-
chen Gründen:
Die Registrierung kann Geld kosten, das viele nicht
haben . Sie kann nicht erreichbar sein, weil es nur in
Städten oder im Land nur eine Meldestelle gibt . Es gibt
ein mangelndes Problembewusstsein, was auch am Bil-
dungsgrad liegt . In manchen Fällen ist es legal nicht
möglich, zum Beispiel wenn die Mutter und das Kind ei-
ner ethnischen Minderheit angehören . Das Kind ist une-
helich, und dadurch können soziale Stigmatisierung oder
Unterhaltsverpflichtungen entstehen.
Für diese Vielzahl von Gründen für die Nichtregistrie-
rung von Geburten muss sich eine entsprechende Viel-
zahl von Lösungsansätzen finden. Daher müssen wir, wie
es in unserem Antrag formuliert ist, unsere Initiativen er-
weitern: mit Aufklärung und Bildung, denn ohne das Be-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513036
(A) (C)
(B) (D)
wusstsein für die Wichtigkeit der Geburtenregistrierung
kann keine technische Verbesserung das Problem lösen;
mit flächendeckenden Registrierungsstellen und kos-
tenloser Registrierungsmöglichkeit; mit Unterstützung
von Reformen von nationalen Gesetzen; mit nationalen
Partnerschaften und Zusammenarbeit mit dem Gesund-
heitssektor beispielsweise in Kliniken oder in Schulen
und sozialen Projekten; mit mehr Engagement auf höhe-
rer politischer Ebene und der Diplomatie; und auch mit
niedrigschwelligen Angeboten wie der Registrierung per
SMS . In den Entwicklungsländern gibt es eine rasante
Entwicklung des Mobilfunknetzes . Es gibt auch schon
gute Erfahrungen mit diesem von einigen Verbänden ge-
förderten und praktizierten Verfahren .
Ich bitte Sie, unser Anliegen zu unterstützen .
Niema Movassat (DIE LINKE): „Jedes Kind hat ein
verbrieftes Recht auf die Registrierung seiner Geburt .“
Diesem ersten Satz des vorliegenden Koalitionsantrags
kann ich nur zustimmen . Und ich möchte hinzufügen:
Und jedes Kind hat das Menschenrecht auf Nahrung, auf
Gesundheit, auf ein Leben in Würde .
Noch immer ist nahezu jedes dritte Kind unter fünf
Jahren nicht registriert . Jährlich werden rund 230 Milli-
onen neugeborene Kinder weltweit nicht registriert . Da-
raus ergeben sich dramatische Nachteile und Gefahren .
Wer keine Geburtsurkunde bekommt, startet bereits be-
nachteiligt ins Leben . Meist sind es Kinder aus armen
Verhältnissen, die so keinen Identitätsnachweis besitzen
und ihre Rechte nicht einmal theoretisch einklagen kön-
nen – unter Umständen ein Leben lang . Die Gefahr, Op-
fer von Menschenhandel zu werden, steigt extrem .
Häufig ist es Familien in abgelegenen Regionen nicht
möglich, die weite und beschwerliche Reise zur nächsten
amtlichen Meldestelle anzutreten. Häufig wissen sie gar
nicht um die Bedeutung einer Geburtsurkunde . In ande-
ren Fällen entscheiden sie sich ganz bewusst dafür, ein
„Phantomkind“ zu behalten, weil sie aufgrund ethnischer
oder religiöser Zugehörigkeit staatlichen Repressalien
ausgesetzt sind oder der Staat sowieso keinerlei Angebo-
te der Daseinsvorsorge zur Verfügung stellt .
Meist scheitert die Registrierung jedoch schlicht und
einfach an den Kosten . Deshalb brauchen wir unbedingt
kostenlose und niedrigschwellige Registrierungsangebo-
te . Moderne Lösungen, beispielsweise ein SMS-basiertes
System, klingen vielversprechend angesichts der weiten
Handyverbreitung auch in abgelegenen Regionen . Am
wichtigsten sind aber vor allem Aufklärungskampagnen,
um für das Thema zu sensibilisieren .
Umgekehrt erschwert die Nichtregistrierung von Neu-
geborenen auch maßgeblich politische Maßnahmen aller
Art . Wie sollen Bildungs- und Gesundheitsangebote den
Bedarf decken, wenn nicht einmal klar ist, für wie viele
Menschen sie reichen müssen?
Es ist aus diesen Gründen zu begrüßen, dass die Ver-
einten Nationen die universelle Geburtenregistrierung
bis 2030 als Unterziel der SDG-Entwicklungsziele auf-
genommen hat . Die Koalitionsfraktionen beschreiben die
Geburtenregistrierung als ein zentrales Thema der Ent-
wicklungspolitik, und das sieht auch die Linksfraktion
so . Die Forderung nach einem Forschungsauftrag über
die Wirksamkeit von Registrierungssystemen und die
Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit, hier
voranzukommen, unterstützen wir .
Dennoch muss ich abschließend darauf hinweisen,
dass die Bundesregierung selbst jederzeit ganz unmittel-
bare und wirksame Schritte unternehmen könnte, um be-
nachteiligten Kindern im globalen Süden zu helfen . Än-
dern Sie endlich Ihre Wirtschaftspolitik, liefern Sie keine
Waffen mehr ins Ausland – das alleine würde auch das
Leben von unregistrierten Kindern überall auf der Welt
verbessern helfen .
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
weltweit krisenhafte Situation gezeichnet durch Krieg,
Verfolgung, Klimawandel und Hungersnöte zwingt
über 60 Millionen Menschen zur Flucht . Diese huma-
nitäre Katastrophe hat auch zur Folge, dass mittlerweile
alle zehn Minuten ein staatenloses Kind geboren wird;
so die jüngsten Zahlen des Flüchtlingshilfswerkes der
Vereinten Nationen . Sie sind staatenlos aufgrund feh-
lender oder diskriminierender Gesetzgebung oder etwa,
weil sie in einem Land geboren werden, das nicht ihr
Heimatland ist . Die Registrierung der Geburt ist dabei
der zentrale und erste Schritt für die rechtliche Anerken-
nung . Weltweit leben aber 230 Millionen Kinder ohne
Geburtsnachweis . Dies hat gravierenden Folgen für ihre
Entwicklungschancen und die Wahrung ihrer Rechte . In
230 Millionen Fällen wird damit auch ganz besonders die
UN-Kinderrechtskonvention missachtet .
Diesen Kindern bleibt oftmals der Zugang zu elemen-
taren Bereichen der Grundversorgung, etwa zu Bildung
und Gesundheit, verwehrt . Sie sind auch in besonderem
Maße Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt, zum Bei-
spiel im Bereich der Kinderarbeit .
Ich stimme daher in weiten Teilen der Analyse des
uns vorliegenden Antrages zu . Sie sprechen in Ihrem
Antrag auch ganz konkret davon, dass ein registriertes
Kind etwa davor bewahrt werden kann, „durch gefähr-
liche Arbeit … ausgebeutet zu werden“ . Das kann stim-
men . Es hilft aber dem Kind nichts, wenn das derzeit zu
verabschiedende deutsche Vergaberecht nicht gleichzei-
tig etwas dazu leistet, Kinderarbeit zu bekämpfen . Es
ist skandalös, dass diese Bundesregierung Kinderarbeit
nicht als zwingenden Ausschlussgrund bei der öffentli-
chen Auftragsvergabe formuliert hat . Während wir uns
also hier in dieser Debatte für die Rechte von Kindern
einsetzen, wird in der kommenden Woche – nach jetzi-
gem Stand – ein Vergaberechtsmodernisierungsgesetz
verabschiedet, welches die politischen Spielräume etwa
im Kampf gegen die Kinderarbeit bewusst ignoriert . Wir
können hier noch so viele gutgemeinte Anträge debattie-
ren und verabschieden; das nützt nichts, wenn an ande-
rer Stelle die Bundesregierung eine weltweit nachhaltige
Entwicklung mit ihrem Handeln konterkariert . Es zeigt
sich leider einmal mehr, dass Politikkohärenz für diese
Bundesregierung ein Fremdwort ist . Und daran ändert
leider Ihr Antrag nichts .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13037
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Fremd ist Ihnen scheinbar auch die Finanzierungsfra-
ge . Ohne zusätzliche Mittel bleiben Ihre Forderungen ein
reines Lippenbekenntnis . Es kostet schlichtweg Geld,
behördliche Registrierungssysteme zusammen mit den
Partnerländern aufzubauen . Deutschland muss an dieser
Stelle diese Länder auch mit finanziellen Mitteln unter-
stützen; alles andere ist zwar schöne Prosa, aber mehr
auch nicht .
Wir alle wissen: Kinder haben ein Recht auf eine po-
sitive Entwicklung, auf eine Perspektive . Sie bilden den
Grundstein für eine bessere Zukunft . Kindern einen ge-
sunden und geschützten Start ins Leben zu ermöglichen,
stellt eine der bedeutendsten Investitionen in die Zukunft
dar – in allen Ländern dieser Welt .
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Son-
dervermögens für das Jahr 2016 (ERP-Wirt-
schaftsplangesetz 2016) (Tagesordnungspunkt 20)
Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Das ERP-Son-
dervermögen bezeichnet ein vom Bund verwaltetes
Sondervermögen aus dem European Recovery Program
(ERP) . Auf der Grundlage des Marshallplans diente es
ursprünglich der Förderung der deutschen Wirtschaft .
Seit nahezu 70 Jahren ist dieses Förderinstrumentarium
weiterentwickelt worden und wird im Wesentlichen von
der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und den Haus-
banken durchgeführt . In jedem Jahr und so auch heute
wird das Wirtschaftsplangesetz auf den Weg gebracht
und somit die rechtliche Grundlage zur Verwendung der
Mittel geschaffen .
Für 2016 sollen 760,5 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt werden . Hier sprechen wir insbesondere über
Förderungen von Existenzgründungen, Wachstumsfi-
nanzierungen, Innovationsförderung sowie Exportfi-
nanzierungen . Unternehmen der gewerblichen mittel-
ständischen Wirtschaft und die Freien Berufe können so
zinsgünstige Finanzierungen mit einem Gesamtvolumen
von rund 6,03 Milliarden Euro erhalten .
Die ERP-Programme liefern damit einen wichtigen
Beitrag zur Finanzierung mittelständischer Unterneh-
men . Denn gerade in Bereichen, wo Banken bei der Kre-
ditvergabe zurückhaltender sind oder ein geeignetes An-
gebot fehlt, setzen die Instrumente ein und ermöglichen
den Start in die Selbstständigkeit oder die Beteiligung
an einem Unternehmen . Genau das macht die ERP-Pro-
gramme wertvoll, weil sie auf die Bedürfnisse der kleine-
ren und mittleren Unternehmen fokussiert sind .
Hervorzuheben ist, dass zwei Drittel der zur Verfü-
gung stehenden 6,03 Milliarden Euro in den Bereichen
Existenzgründung und Innovation bereitgestellt werden .
Diese Zahlen verdeutlichen, wo die Schwerpunkte der
Förderung liegen sollen . Dabei ist davon auszugehen,
dass die für 2016 geplanten ERP-Mittel die voraussicht-
liche Nachfrage nach Darlehen und Beteiligungskapital
decken .
Wenn man die einzelnen Haushaltspositionen ver-
gleicht, fällt ins Auge, dass der Mittelansatz im Grün-
derbereich um 300 Millionen Euro niedriger liegt als im
Vorjahr . Und man fragt sich: Warum? Die technokrati-
sche Antwort lautet: Nach dem Haushaltsrecht haben
sich die angesetzten Planvolumina, sprich: Summen, an
der zu erwartenden Nachfrage zu orientieren, und diese
wird sehr wahrscheinlich 2016 geringer ausfallen .
Die Gründe sind nachvollziehbar: Zum einen haben
wir seit längerem ein historisch niedriges Zinsniveau,
sodass auch Bankenkredite vergleichsweise günstig an-
geboten werden . Zum anderen investieren die Unterneh-
men zurzeit eher zurückhaltend, und die Stimmung be-
züglich Gründungen ist momentan verhalten .
Deshalb müssen wir mit einem Bündel von Maßnah-
men das Klima für ein innovatives Deutschland und eine
Kultur der Selbstständigkeit weiter fördern . Dazu gehört
auch die KfW, die ihre guten Angebote bedürfnisorien-
tiert weiterentwickeln und attraktiv gestalten muss . Da-
mit reden wir zum Beispiel über längere Laufzeiten für
Kredite oder auch unbürokratische Verfahren bei der An-
tragstellung .
Ein für mich wichtiger Impuls ist die Entscheidung der
KfW, wieder im Wagniskapitalmarkt mitzumischen . Mit
dem neuen Instrument „ERP-Venture-Capital-Fondsin-
vestments“ wird eine Förderung von technologieorien-
tierten Start-ups und innovativen Unternehmen verbes-
sert . So sollen in den nächsten fünf Jahren Investitionen
von bis zu 400 Millionen Euro generiert werden . Damit
stellt die KfW ein Fondsvolumen von rund 2 Milliarden
Euro für den Venture-Capital-Markt zur Verfügung . Aus
meiner Sicht ein starkes Signal für interessierte kleine
und mittlere Unternehmen .
Ein starkes Signal deshalb, weil der deutsche Wagnis-
kapitalmarkt gemessen an der deutschen Wirtschaftskraft
eher gering ist . So nehmen wir in Deutschland lediglich
0,02 Prozent des BIP für Investitionen in die Hände .
Demgegenüber steht zum Beispiel in den USA fast das
Zehnfache (0,17 Prozent des BIP) des deutschen Wertes
zur Verfügung . Und das müssen wir ändern!
Unser Gesetzentwurf zeigt deutlich, dass wir verant-
wortlich und mit großer Wertschätzung unsere mittel-
ständischen Unternehmen unterstützen wollen, weil ge-
nau diese Unternehmen einen unschätzbaren Beitrag zu
unserer insgesamt erfolgreichen Wirtschaft leisten . Und
weil der Mittelstand so erfolgreich ist, junge Menschen
ausbildet, Arbeitsplätze schafft und sich gleichzeitig den
Herausforderungen der Globalisierung stellt, wollen und
müssen wir die richtigen politischen Rahmenbedingun-
gen setzen .
Angefangen beim Unterausschuss „Regionale Wirt-
schaftspolitik und ERP-Wirtschaftspläne“ über den
Ausschuss für Wirtschaft und Energie gab es bisher ein
einstimmiges Votum, und ich wünsche mir in Richtung
unserer mittelständischen Wirtschaft auch heute ein
ebenso starkes Signal aus diesem Plenum .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513038
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Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Über 150 Milliarden
Euro – dieser Betrag wurde der deutschen Wirtschaft für
Investitionen aus dem ERP-Sondervermögen bis 2015
bereitgestellt . Etwa 15 000 Einzelkredite gingen alleine
2014 an mittelständische Unternehmen .
Das ist die Bilanz aus über 60 Jahren Wirtschaftsför-
derung durch das Wirtschaftsplangesetz, um das es heute
geht . Und diese Bilanz ist gut .
Aber nur, weil etwas gut ist, heißt das ja nicht, dass
es nicht noch besser werden kann . Das gilt auch für
das Wirtschaftsplangesetz 2016 . Gut ist, dass für das
Jahr 2016 Mittel in Höhe von rund 760 Millionen Euro
bereitgestellt werden . Gut ist, dass diese Mittel Auslei-
hungen an die verschiedenen Kreditprogramme in Höhe
von etwa 6 Milliarden Euro ermöglichen . Damit wird
zahlreichen Existenzgründern und innovativen kleinen
und mittelständischen Unternehmen in Deutschland ge-
holfen . Denn diese sind in ihrer Finanzierungsstruktur
gegenüber Großunternehmen oftmals benachteiligt . Die
Programme sind somit ein wichtiger Baustein zur Siche-
rung und Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze .
Es ist ein Glücksfall, dass dieses Kapital in Deutsch-
land seit über 60 Jahren zur Verfügung steht . Es stammt
ursprünglich aus Mitteln des Marshallplans zum Wieder-
aufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg . Zu
dieser Zeit lag der Fokus noch auf dem Wiederaufbau
der Wirtschaft . Heute liegt der Schwerpunkt im Wesent-
lichen auf der regionalen Wirtschaftsförderung, der Fi-
nanzierung von Existenzgründungen, der Förderung von
Innovationen und dem Gebiet der Exportfinanzierungen.
Diese Schwerpunkte spiegeln sich in vielzähligen
ERP-Programmen wider . Es ist gut, dass mit dem Start-
fonds-Programm junge Technologieunternehmen in
2016 mit 80 Millionen Euro gefördert werden . Es ist
auch gut, dass mit dem Regionalfonds-Programm regi-
onale Wirtschaftsstrukturen mit bis zu 350 Millionen
Euro verbessert werden sollen . Und es ist gut, dass für
die Gründungsfinanzierung Mittel in Höhe von 3,3 Milli-
arden Euro eingeplant werden . Und damit sind nur einige
der Programme genannt .
Angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase ist es je-
doch wichtig, zu fragen, ob Zinsverbilligungen der richti-
ge Anreiz für die Kapitalnehmer sind . Hier liegt auch ein
wichtiger Grund, warum die Mittel in den letzten Jahren
nicht vollständig abgeschöpft wurden . In den ERP-Pro-
grammen müssen daher die richtigen Anreize gesetzt
werden .
Eine Möglichkeit der Anreizförderung ist das Instru-
ment der Teilerlasse . Bei diesem müssen gewährte Darle-
hen nur anteilig zurückgezahlt werden . Das wäre ein ziel-
gerichteter Anreiz für potenzielle Unternehmensgründer
in einem Niedrigzinsumfeld .
Ein weiterer Schwerpunkt für die Zukunft sollte die
Förderung von Wagniskapital sein . Mit Wagniskapital
können Kapitalnehmer bei Ideen unterstützt werden,
die Banken nicht finanzieren. Das betrifft insbesondere
den finanziell riskanten Innovationsbereich. Ich begrüße
es daher sehr, dass der Bereich des Wagniskapitals im
Wirtschaftsplangesetz 2016 einen höheren Stellenwert
genießt .
Ich begrüße den ERP-Gründerkredit Startgeld, mit
dem Startups und junge Unternehmen in Deutschland
durch zinsgünstige Darlehen gefördert werden . Bis zum
Jahr 2018 sollen Darlehen in Höhe von insgesamt 1 Mil-
liarde Euro unterstützt werden . Das Ziel ist die Förderung
von bis zu 15 000 Startups und jungen Unternehmern .
Ich begrüße die Einrichtung des Venture Capital
Fonds . Dieses neue Programm im Wirtschaftsplange-
setz 2016 ermöglicht der KfW als ausführender Instituti-
on, als Ankerinvestor in den Wagniskapitalmarkt zurück-
zukehren .
Ich begrüße außerdem die Aufstockung der Mittel für
den European Angels Fund von 130 Millionen auf über
das Doppelte . Business Angels sind private Investoren,
die Kapital und Know-how in die Unternehmen mit ein-
bringen . Sie sind wichtige Enabler, also Ermöglicher, für
junge Unternehmer .
Wir müssen aber noch bessere Rahmenbedingungen
schaffen, um die Innovationskraft zu fördern .
Wir müssen die Besteuerung von Wagniskapital im
Sinne der Unternehmer verbessern . Im Koalitionsver-
trag zwischen CDU, CSU und SPD steht hierzu, dass
wir „Deutschland als Investitionsstandort für Wagniska-
pital international attraktiv machen“ wollen . Außerdem
soll das Investieren „in junge Unternehmen und junge
Wachstumsunternehmen“ attraktiver werden . Daran
müssen wir uns messen lassen!
Wir brauchen außerdem eine positivere Innovations-
kultur . Gründen ist ein Wagnis . Solche Vorhaben können
auch scheitern – das gehört dazu! Außergewöhnliche
Produkte und Innovationen werden nur im Grenzbereich
entwickelt . Scheitern muss erlaubt sein, um eine Kultur
des Gelingens – des Zutrauens in die eigenen Stärken –
zu etablieren . Die Bundesregierung greift das in ihrem
Eckpunktepapier zu Wagniskapital vom September 2015
auf .
Ein Teil des Wirtschaftsplangesetzes umfasst die
Förderung transatlantischer Begegnungen . In den letz-
ten Jahren konnte hier der Planansatz nicht ausgenutzt
werden . Ich begreife das als Chance für innovative, zu-
kunftsweisende Programme für den transatlantischen
Austausch .
Eine möglicher Ansatz wären Kooperationszentren
für Firmengründungen und Startups – diesseits und jen-
seits des Atlantiks . Die unterschiedlichen Kulturen in-
nerhalb der Gründerszenen könnten sich so gegenseitig
bereichern .
Auch in Zukunft kann das ERP-Sondervermögen ei-
nen wichtigen Beitrag für die deutsche Wirtschaft leisten .
Dazu müssen wir neue Trends, neue Wohlstandstreiber
in die Programme des ERP einbauen . Ich habe den The-
menbereich des Wagniskapitals angesprochen; ein wei-
terer ist beispielsweise der Bereich der Digitalisierung .
Letztlich müssen wir weiter Innovationen und Unter-
nehmensgründer fördern . Denn Innovationen von heute
sind der Wohlstand von morgen . Firmengründer von heu-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13039
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te sind die Unternehmerpersönlichkeiten von morgen .
Startups von heute sind der Mittelstand von morgen .
In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung für das
Wirtschaftsplangesetz 2016 .
Bernd Westphal (SPD): Mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf wird das diesjährige ERP-Wirtschaftsplan-
gesetz umgesetzt . Kleine und mittlere Unternehmen
stehen für den Erfolg unserer Wirtschaft . Ihr Erfolg ist
letztlich der Erfolg Deutschlands . Deshalb müssen wir
sie gezielt fördern und entsprechende Rahmenbedingun-
gen schaffen .
Umso wichtiger sind Förderprogramme, die die typi-
sche Kreditfinanzierung im Rahmen des Hausbankensys-
tems sinnvoll ergänzen . Der vorliegende Gesetzentwurf
tut genau das .
Mit dem Fördervolumen von insgesamt
760 500 000 Euro wird ein maximales Neukreditvolu-
men von rund 6,3 Milliarden Euro ermöglicht . Das etwas
geringere Fördervolumen im Vergleich zum Vorjahr trägt
dabei den spezifischen Finanzierungserfordernissen am
Markt Rechnung, indem die Nachfrage, der Konjunktur-
verlauf und die Zinserwartung einbezogen worden sind .
Mit diesen Geldern wird die Wettbewerbsfähigkeit der
kleinen und mittleren Unternehmen gestärkt . Besonders
in den Bereichen Unternehmensgründungen, Innovatio-
nen, Exportförderung und Energieeffizienz werden ent-
sprechende Maßnahmen gefördert . Auch der Aufbau und
die Modernisierung bestehender Unternehmen in den
neuen Bundesländern sowie in regionalen Fördergebie-
ten in den alten Bundesländern ist ein wichtiges Ziel des
ERP-Wirtschaftsplangesetzes . Das sichert nicht nur be-
stehende Arbeitsplätze, sondern schafft auch neue .
Zudem wird im Rahmen des Fördervolumens Be-
teiligungskapital in Form von Venture Capital, Private
Equity und Mezzaninkapital bereitgestellt. Damit wird
die deutsche Startup-Szene unterstützt . Der hohe Inno-
vationsgrad und das große Wachstumspotenzial der Star-
tup-Szene wirken dabei wie ein Beschleuniger für die
deutsche Wirtschaft .
Die dritte Säule des ERP-Sondervermögens stellt die
Unterstützung von Stipendienprogrammen dar, wodurch
für mehr kulturellen Austausch mit den USA, aber auch
mit ost- und mitteleuropäischen Ländern gesorgt wird .
Das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016 steht damit
noch heute in der Tradition des einstigen Marshallplans:
Es unterstützt den wirtschaftlichen Aufbau und den kul-
turellen Austausch . Es fördert und überwindet Grenzen .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stimmen wir
für eine Förderung des Mittelstandes, für mehr Wett-
bewerbsfähigkeit und für einen Beitrag zu einer neuen
deutschen Gründerzeit .
Thomas Nord (DIE LINKE): Das ERP-Sonderver-
mögen entstand nach 1948 im Zusammenhang mit dem
Marshallplan und wird heute durch das Wirtschaftsminis-
terium verwaltet . Im Dezember 1949 wurde ein Abkom-
men über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den USA geschlossen .
1953 wurde festgelegt, dass die Mittel ausschließlich
dem Wiederaufbau und der Förderung der deutschen
Wirtschaft dienen sollten . Nach Beendigung der eigentli-
chen Phase des Wiederaufbaus wurden ERP-Kredite zur
Unterstützung der Exportwirtschaft und insbesondere zur
Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen verwen-
det .
Seit den 1990er-Jahren wird es schwerpunktmäßig zur
Förderung im ostdeutschen Mittelstand eingesetzt . Darin
erkennen wir einen sinnvollen Beitrag zur Wirtschafts-
förderung in den ostdeutschen Bundesländern .
Die Linke wird dem eingebrachten Entwurf des Ge-
setzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens 2016 wie in den vorhergehenden
Jahren zustimmen . Denn es ist aus unserer Sicht eine
sinnvolle Einrichtung und eine vernünftige Wirtschafts-
förderung damit möglich .
Allerdings möchte ich kritisch dazu anmerken, dass
der letzte Evaluierungsbericht über die praktische Umset-
zung bzw . Nutzung des Sondervermögens aus dem Jahr
2011 stammt . Lediglich für das ERP- und McCloy-Sti-
pendienprogramm, das seit 1994 durch das BMWi aus
dem ERP-Topf finanziert wird, ist ein Bericht für das
Jahr 2014 auffindbar.
Es ist aus unserer Sicht notwendig und sinnvoll, die
Evaluierung zu erneuern und in einem regelmäßigen
Zeitraum zu überprüfen . Beginnen sollten wir im kom-
menden Jahr mit einem Bericht für die Jahre 2011 bis
2015, da der letzte für die Jahre 2005 bis 2010 erfolgte .
Wir schlagen vor, danach eine solche Überprüfung je-
weils in der Mitte der Legislaturperiode vorzulegen . Das
würde auch die Transparenz weiter erhöhen, die mit der
Änderung des Gesetzes von 2012 formuliert wurde .
Der Bericht von 2011 weist auf eine hohe Anzahl von
Mitnahmeeffekten bei den regionalen Förderprogram-
men hin; sie lag damals bei 38 Prozent . In dem neuen
Bericht sollte überprüft werden, ob und, wenn ja, in wel-
chem Umfang die angegebene Prozentzahl sich verrin-
gert hat . Wenn sie sich nicht verändert hat, ist das Mi-
nisterium aufgefordert, Vorschläge zu präsentieren, wie
diese Quote verringert werden kann .
Auch wird 2011 eine Verschiebung der Einsetzung
der Mittel hin zu größeren Unternehmen erwähnt . Die
Verwendung des ERP-Sondervermögens ist aber mit
besonderem Blick für kleine und mittelständische Un-
ternehmen gedacht . Das entspricht durchaus dem kon-
zeptionellen Denken linker Politik, denn gerade kleine
Unternehmen sind auch in den Zeiten der Globalisierung
die Basis für erfolgreiches lokales Handeln . Dies wird
gerade in den Flächenländern vor dem Hintergrund der
gleichwertigen Lebensverhältnisse von zunehmender
Bedeutung sein .
In einer aktuellen Evaluierung sollte deshalb auch ein
detaillierter Blick auf die Förderungen der größeren Un-
ternehmen durch das Sondervermögen gelegt werden .
Dabei halten wir es für sinnvoll, die unterschiedlichen
Größen der geförderten Unternehmen genauer voneinan-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513040
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der abzugrenzen und die Erfolge bzw . Misserfolge der
wirtschaftlichen Förderungen detailliert zu betrachten .
Da die Verwendung des ERP-Sondervermögens bis-
her immer einvernehmlich war und dies so bleiben soll,
habe ich die Hoffnung, dass Sie die kritischen Bemer-
kungen wohlwollend prüfen und aufnehmen werden .
Legen Sie dem Parlament vor dem neuen Gesetzentwurf
für die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Son-
dervermögens 2017 einen aktuellen Evaluierungsbericht
der Jahre 2011 bis 2015 vor .
Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das ERP-Förderprogramm hat eine richtige
Zielsetzung: die Unterstützung kleiner und mittlerer Un-
ternehmen sowie die Förderung strukturschwacher Re-
gionen . In Hinblick auf diese Zielsetzung stimmen wir
dem Gesetzentwurf zu . Ich stelle fest: Die genannten
Ziele sind Konsens im Deutschen Bundestag . Im Großen
und Ganzen werden die ERP-Mittel auch für die genann-
ten Ziele eingesetzt, und die Programme funktionieren .
Aber immer dann, wenn man sich für ein neues Jahr fest-
legt, ist es geraten, den Status kritisch zu analysieren und
sich zu fragen, ob und gegebenenfalls an welcher Stelle
Änderungen notwendig sind, um die Ziele wirklich zu
erreichen bzw. die Effizienz zu erhöhen. Aber genau die-
se kritische Analyse kann ich nicht feststellen; zumindest
wurden dazu im Ausschuss keine belastbaren und in die
Tiefe gehenden Analysen vorgelegt . Vielmehr wurde nur
gesagt: Wir machen weiter, business as usual .
Dabei stellen wir insgesamt eine weiterhin geringe In-
vestitionsneigung fest . Und dies eben nicht nur im öffent-
lichen Bereich – da fehlt schlicht die Fokussierung auf
die richtigen Schwerpunkte –, sondern vor allem auch im
privaten Bereich .
Und: Das Umfeld hat sich verändert. Wir befinden
uns unzweifelhaft in einer länger anhaltenden Niedrig-
zinsphase . Dies schmälert die Wirksamkeit der ERP-Pro-
gramme, weil sie weitgehend auf Zinsvergünstigungen
basieren . Es werden zum Beispiel weniger Gelder für
Unternehmensgründungen abgerufen, obwohl die Bun-
desrepublik hier durchaus Nachholbedarf hat .
Schon seit seiner Umstrukturierung im Jahr 2007
wird die mögliche und vor allem auch die angepeilte
Höchstförderung durch das ERP-Sondervermögen nicht
erreicht . Dies und die mangelnde Transparenz dieser
Tatsache haben den Bundesrechnungshof zu einem sehr
kritischen Bericht veranlasst . Das Bundeswirtschaftsmi-
nisterium versäumt es, dem Parlament die Gründe für das
Unterschreiten der Fördergrenzen zu nennen, und auch
die genauen Zahlen zur tatsächlichen Abrufung der be-
willigten Fördergelder werden verschwiegen . Dies ist
kein angemessenes Verhalten gegenüber dem Parlament,
insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Bundes-
rechnungshof diese Versäumnisse bereits vor einigen
Jahren bemängelte . Außerdem schmälert die Intranspa-
renz womöglich die Akzeptanz der ERP-Programme .
Ich will das an einem Punkt verdeutlichen: Systema-
tisch ist eine geringere Nachfrage nach Fördermitteln in
den ostdeutschen Ländern festzustellen . Das wird dann
immer wieder auf die geringere Risikobereitschaft der
Menschen dort geschoben . Aber es könnte einen weite-
ren Grund geben: Die Kreditzusagen gerade an Gründer
werden ja nur gegeben, wenn die Darlehen auch ausrei-
chend besichert sind . Vor dem Hintergrund der bekannten
auch regionalen Vermögensungleichgewichte – in Osten
gibt es ein signifikant geringeres Vermögen – könnte die
fehlende Nachfrage vor allem nach Gründungskapital
schlicht damit zusammenhängen, dass im Osten eben ge-
ringere Vermögenswerte zur Besicherung der Darlehen
vorhanden sind . Diese These muss nicht richtig sein . Ich
kritisiere, dass zu wenig Analyse betrieben wird, denn
diese ist eine Voraussetzung dafür, dass Förderprogram-
me effektiv sind .
Ein weiteres Problem besteht beim Thema Wagnis-
kapital in Bezug auf Transparenz . Es werden und sollen
weiter in verstärktem Umfang Beteiligungen an Wagnis-
kapitalfonds durch Mittel des ERP-Sondervermögens
eingegangen werden . Dabei unterstreichen wir die Rich-
tigkeit des Zieles, Wagniskapital zu fördern . Allerdings
bekommen wir als Parlamentarierinnen und Parlamen-
tarier Informationen zu diesen Fondsbeteiligungen nur
unter Einhaltung von Geheimhaltungsvorschriften . Der
Öffentlichkeit bleiben die Informationen gänzlich ver-
borgen . Da es sich aber um den Einsatz von öffentlichen
Mitteln handelt, muss das Bundeswirtschaftsministerium
hier eine Lösung finden, die Transparenz ohne jegliche
Einschränkungen sicherstellt . Hier könnte zum Beispiel
der Mittelstandsbeirat beim Bundeswirtschaftsminister
eine Verantwortung übernehmen .
Meine Ausführungen zeigen, dass es durchaus Hand-
lungsbedarf bei den ERP-Wirtschaftsplänen gibt . Die
Bundesregierung muss sich aktiv mit weiteren Optionen
der Förderpolitik auseinandersetzen, die nicht allein auf
Zinsverbilligungen abzielen . Diese verpuffen aktuell,
und ein Ende der Niedrigzinsphase ist nicht in Sicht . Ein
dauerhaftes Unterschreiten der Förderhöchstmittel unter-
mauert den Handlungsbedarf . Auch müssen die Transpa-
renzstandards erhöht werden . Schon 2007 bei der Um-
strukturierung der ERP-Mittel haben wir auf die Gefahr
hingewiesen, dass die Neustrukturierung des ERP-Son-
dervermögens zulasten von Transparenz geht . Das ist zu
korrigieren, damit das Programm weiter erfolgreich sein
kann .
Iris Gleicke, Parl . Staatssekretärin beim Bundesmi-
nister für Wirtschaft und Energie: Deutschland befindet
sich in einer wirtschaftlich guten Verfassung . Dies ist
nicht zuletzt den vielen kleinen und mittleren Unterneh-
men in Deutschland zu verdanken . Wir müssen dafür sor-
gen, dass der deutsche Mittelstand seine Leistung auch
weiterhin erbringen kann . Wir müssen dazu beitragen,
dass er die Investitionen tätigen kann, die wir mittel- und
langfristig brauchen . Hierfür ist ein gut funktionierendes
Finanzierungsangebot unabdingbar . Auch hier gibt es
eine gute Nachricht: Die Finanzierungsbedingungen sind
derzeit auch für kleine und mittlere Unternehmen so gut
wie selten zuvor .
Aber es gibt Bereiche, in denen das bestehende Markt-
angebot nicht ausreicht . Zu nennen sind da insbesondere
Stichworte wie Gründungen, Innovationsfinanzierung
und Wagniskapital . Hier setzen wir als Bundeswirt-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13041
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schaftsministerium mit dem breiten Förderangebot aus
dem ERP-Sondervermögen an . Der heute vorliegende
Wirtschaftsplan für das Jahr 2016 schafft hierfür die
Grundlage . Für das Jahr 2016 bieten wir zinsgünstige
und lang laufende Finanzierungen und Beteiligungskapi-
tal für kleine und mittlere Unternehmen mit einem Volu-
men von bis zu rund 6,3 Milliarden Euro . Unternehmen
in den neuen Bundesländern erhalten besondere Förder-
vorteile . Mit dem ERP-Regionalförderprogramm gibt
es ein eigenes Finanzierungsangebot für die regionalen
Fördergebiete . Allein in den ersten drei Quartalen des
Jahres 2015 konnten in den neuen Bundesländern rund
500 Vorhaben mit einem Volumen von rund 150 Milli-
onen Euro allein aus diesem speziellen Programm ge-
fördert werden . In den alten Bundesländern wurden mit
diesem Programm Zusagen mit einem Volumen von rund
100 Millionen Euro getätigt . Damit ermöglichen wir in
volkswirtschaftlich wichtigen Bereichen Investitionen,
die ohne die ERP-Förderung nicht oder nur schwer reali-
siert werden könnten .
Auch im Bereich der Förderung von jungen Wachs-
tumsunternehmen bilden die vorhandenen ERP-Pro-
gramme das Rückgrat der Wachstumsförderung in
Deutschland . Der vorgelegte Wirtschaftsplan für das Jahr
2016 setzt auf Kontinuität und Verlässlichkeit . Das ist für
die Unternehmen ein wichtiges Signal . Denn die Konti-
nuität der bewährten Programme bietet kleinen und mitt-
leren Unternehmen die erforderliche Verlässlichkeit, die
sie für ihre Planung benötigen .
Der ERP-Wirtschaftsplan 2016 wird nach meiner
Überzeugung seinem Ziel gerecht, Investitionen zu un-
terstützen und die Wettbewerbsfähigkeit von KMU zu
stärken . Er dient damit vor allem der Schaffung und Si-
cherung von Arbeitsplätzen . Ich bitte daher um Ihre Zu-
stimmung .
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl
und zum Anschluss von Telekommunikationsend-
geräten (Tagesordnungspunkt 21)
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Im Juni 2008,
also vor über sieben Jahren, haben wir in der Europä-
ischen Union vereinbart, den Endgerätemarkt im Sinne
der Richtlinie 2008/63/EG über den Wettbewerb auf dem
Markt für Telekommunikationsendeinrichtungen voll-
ständig zu liberalisieren . Der nun vorliegende Gesetzent-
wurf zum Anschluss und zur Auswahl von Endgeräten
setzt diesen Auftrag eins zu eins um . Dies wird auch
langsam Zeit .
Im Koalitionsvertrag haben wir seinerzeit festgelegt,
dass wir eine gesetzliche Klarstellung für den Netzzu-
gang von Telekommunikationsanbietern wollen . „Nutze-
rinnen und Nutzer müssen die freie Auswahl an Routern
behalten . Daher lehnen wir den Routerzwang ab . Die zur
Anmeldung der Router . . . am Netz erforderlichen Zu-
gangsdaten sind den Kundinnen und Kunden unaufge-
fordert mitzuteilen“, heißt es wörtlich .
Warum reden wir heute immer noch darüber? Immer-
hin ist es uns doch auch erfolgreich gelungen, seinerzeit
den Markt für Telefonanschlüsse zu liberalisieren, ohne
dass es zu solchen Diskussionen gekommen ist . Wir be-
nötigen dieses Gesetz also, da viele Kunden bei einigen –
ich betone ausdrücklich: nicht allen – Telekommunikati-
onsanbietern bis zum heutigen Tage keine Möglichkeit
haben, den von ihnen verwendeten Router frei zu wäh-
len . Dies ist darauf zurückzuführen, dass einige Netzbe-
treiber am Breitbandanschluss ausschließlich den Betrieb
des von ihnen vorgegebenen Gerätes zulassen .
Dieser Praxis liegt die Auffassung zugrunde, dass das
öffentliche Telekommunikationsnetz erst an einem Punkt
endet, der hinter einer Schnittstelle zum Anschluss von
Geräten liegt . Das anbietereigene Gerät sei also aus funk-
tionalen Gründen zum Netz dazuzuzählen . Diesen soge-
nannten Netzabschlusspunkt legen wir im vorliegenden
Gesetz nun endgültig fest – im Sinne der Verbraucher vor
dem Router .
Dazu passen wir das Gesetz über Funkanlagen und
Telekommunikationsendeinrichtungen (FTEG) an . Es
erfolgt eine Konkretisierung der Netzzugangsschnitt-
stelle . Netzbetreiber müssen ihren Kunden alle Einrich-
tungsdaten für den Router zur Verfügung stellen, damit
der Zugang zum Telekommunikationsnetz eigenständig
möglich ist . Um die Wahlfreiheit der Endkunden auch
in der Praxis abzusichern, werden außerdem bußgeldbe-
wehrte Informationspflichten für die Netzbetreiber auf-
genommen .
Im abgelaufenen parlamentarischen Verfahren wur-
den viele Argumente zur Umsetzung des Gesetzentwurfs
ausgetauscht . Es wurde des Öfteren behauptet, dass eine
Abschaffung des Routerzwangs aus technischer und ju-
ristischer Sicht nicht möglich sei .
Ich möchte nur darauf hinweisen, dass ich im ge-
samten Verfahren zu keiner Zeit schlüssige Argumen-
te gehört habe, warum dem so sei . Die Bedenken, dass
es zu keiner hinreichenden Kompatibilität von „freien“
Endgeräten in bestimmten Netzen, zum Beispiel Glasfa-
ser- oder Kabelnetzen, kommen kann, sind aus meiner
Sicht gegenstandslos . Grundsätzlich dürfen bereits nach
geltendem Recht nur Geräte angeschlossen werden, die
dem „bestimmungsgemäßen Zweck“ entsprechen und
die heutigen Sicherheits-, Integritäts- und Funktionali-
tätsstandards erfüllen, unabhängig von der technischen
Ausgestaltung .
Der Anschluss inkompatibler, ungeeigneter Endgerä-
te kann unabhängig von der technischen Ausgestaltung
des Netzabschlusspunktes gleichermaßen – auch aktuell
schon – problematisch sein . So kann der Anschluss eines
nicht DSL-kompatiblen Endgerätes an einem DSL-An-
schluss auch zu Störungen und Leistungsmängeln füh-
ren . Der Betreiber der TK-Endeinrichtung hat deshalb
für eine fachgerechte Anschaltung Sorge zu tragen . Die
zivilrechtlichen Haftungsregelungen gelten im Übrigen
unverändert, wonach grundsätzlich der Verursacher eines
Schadens haftet . Bei Geräten, die Störungen verursachen,
kann der Anschluss darüber hinaus unter bestimmten Vo-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513042
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(B) (D)
raussetzungen verweigert bzw . das Gerät abgeschaltet
werden .
Aus Sicherheits- und Transparenzaspekten bin ich
ebenfalls der festen Überzeugung, dass die Einrichtungs-
daten und damit die sicherheitsrelevanten Dokumente in
die Hände der Nutzer gehören, denn heterogene Netze
sind von ihrer Architektur immer schwerer angreifbar .
Was passieren kann, wenn man sich ausschließlich
auf Zwangsrouter verlässt, lässt sich momentan an einem
Vorfall festmachen: Mehrere Hunderttausend Zwangs-
router im deutschen Kabelnetz erfüllen offensichtlich
nicht hinreichende Sicherheitsstandards, sodass weitge-
hende Firmware-Updates nötig sind, um Schaden abzu-
wenden . Ein vielfältiges Angebot von Routern wird auf
dem Markt zu einem Wettbewerb führen, bei dem sich
die besten Produkte durchsetzen werden . Die Gefahr
flächendeckender Sicherheitslücken kann damit durch
dieses Gesetz deutlich reduziert werden . Außerdem wird
der Verbraucherschutz gestärkt, da die Verpflichtung, Zu-
gangsdaten an die Nutzer herauszugeben, dem Kunden
eine eigene Auswahl und Konfiguration ermöglicht.
Aber nicht nur die Sicherheitsinfrastruktur wird ge-
stärkt . Zwangsrouter stammen größtenteils aus Südost-
asien und werden dort sehr billig produziert, was nicht
immer für eine gute Qualität spricht . Die Abschaffung des
Routerzwangs kann den Wirtschaftsstandort Deutschland
beleben, da Privatkunden bei der Auswahl ihres Routers
verstärkt auf die Qualität achten, wovon auch deutsche
Unternehmen profitieren können. Mit der Verpflichtung
der Netzbetreiber, die technischen Spezifikationen der
Schnittstellen zu veröffentlichen, sollen die Geräteher-
steller in die Lage versetzt werden, entsprechende End-
geräte zu entwickeln und zu produzieren, insbesondere
auch für künftige neue Netztypen . Gleichzeitig wird
mit dem Kriterium des „passiven“ Netzabschlusspunk-
tes verhindert, dass die Netzbetreiber die Schnittstellen
als zum öffentlichen Netz gehörend in Endgeräte inte-
grieren, damit den Zugangspunkt zum öffentlichen Netz
beliebig bestimmen können und dem Endnutzer folglich
keine Geräteauswahl ermöglichen .
Ich denke, dass ich Ihnen hier eine Menge guter Grün-
de darlegen konnte, warum wir mit dem Gesetz auf dem
richtigen Weg sind . Mit dem Kriterium des „passiven
Netzabschlusspunktes“ sowie einem technologieneutra-
len Ansatz wird die europäisch vorgegebene Endgeräte-
freiheit zugunsten der Endnutzer unter Berücksichtigung
der harmonisierten Vorgaben über den gemeinschafts-
weiten Handel und die Inbetriebnahme von Endgeräten
gewährleistet .
Aus meiner Sicht ist dies heute ein guter Tag zur Stär-
kung der Rechte der Endgerätenutzer .
Klaus Barthel (SPD): Mit dem heute zur abschlie-
ßenden Beratung vorliegenden Gesetzentwurf wollen
wir die sogenannte freie Routerwahl sicherstellen . Damit
wird die Praxis einiger Netzbetreiber beendet, ihren Kun-
den vorzuschreiben, welchen Router oder welches Mo-
dem sie für ihren Breitbandanschluss verwenden müssen .
Der Gesetzentwurf orientiert sich eng an den euro-
päischen Vorgaben, die zum Ziel haben, einen offenen,
wettbewerbsorientierten Warenverkehr von Telekom-
munikationsendeinrichtungen zu gewährleisten und den
Endnutzern eine freie Routerwahl zu ermöglichen .
Das Artikelgesetz umfasst zwei Gesetzesanpassungen:
Mit den Änderungen im Gesetz über Funkanlagen
und Telekommunikationsendeinrichtungen (FTEG) wird
klargestellt, dass alle Arten von Endgeräten (Router, Ka-
belmodem) von dieser Liberalisierung erfasst sind .
Ergänzend wird im Telekommunikationsgesetz (TKG)
der Zugang zum öffentlichen Telekommunikationsnetz
als „passiver Netzabschlusspunkt“ definiert. Damit wird
die aktuelle Praxis einiger Anbieter beendet, den Zu-
gangspunkt zum öffentlichen Netz in ihren eigenen Rou-
ter oder ihr eigenes Modem zu verlegen .
Wir haben uns sorgfältig mit dem von einigen Ka-
bel- und Glasfasernetzbetreibern erhobenen Einwänden
befasst . Im Ergebnis halten wir sie weder in technischer
noch in rechtlicher Hinsicht für überzeugend . So wurde
vorgetragen, die Übertragungsdienstleistung sei nur mit
von ihnen vorgegebenen Modems störungsfrei und si-
cher zu erbringen . Das sehen wir nicht so: Erstens gab
es gerade in diesen Tagen Meldungen, wonach auch vom
Netzbetreiber gestellte Endgeräte erhebliche Sicherheits-
probleme aufwiesen . Zweitens müssen alle Geräte, die
auf dem EU-Binnenmarkt in Betrieb genommen wer-
den dürfen, den gleichen gesetzlichen Anforderungen
entsprechen . Dies ist nun allein Aufgabe der Endgeräte-
hersteller, die zum Teil schon heute solche Geräte im
Auftrag der Netzbetreiber produzieren . Deshalb besteht
kein Anlass, bei einzelnen Netztechnologien Ausnahmen
vorzusehen . Es gilt der Grundsatz der „Technologieneu-
tralität“ . Es genügt also in Zukunft, dass der TK-Anbieter
dem Kunden die Schnittstelleninformationen zur Verfü-
gung stellt .
Der Gesetzentwurf kommt den Anliegen der Beteilig-
ten im Übrigen entgegen, da sie für gegebenenfalls not-
wendige Umstellungen im Geschäftsbetrieb noch sechs
Monate Zeit erhalten . Zudem gilt die Regelung nicht für
Altverträge . Auch kann jeder Endkunde sein bisheriges,
vom Netzbetreiber gestelltes Gerät behalten .
Mit einer freien Endgerätewahl werden also die Rech-
te der Verbraucher gestärkt, die Abhängigkeit von End-
geräteherstellern von wenigen Abnehmern reduziert so-
wie innovative Entwicklungen gefördert .
Der in der Anlage beigefügte Änderungsantrag wurde
den Fraktionen und Ausschüssen im Zuge der Beratun-
gen zugeleitet . Es handelt sich lediglich um eine rechts-
förmliche Anpassung: Bei der Erstellung des Zulei-
tungsexemplars an Bundestag und Bundesrat gab es ein
technisches Problem . Die rechtsförmlich erforderliche
Fußnote, auf die im Titel des Gesetzentwurfs hingewiesen
wird (EU-Umsetzung, noch Teil des Kabinettentwurfs),
ist in den Bundestags- und Bundesratsdrucksachen nicht
mehr enthalten . Der Parlamentsdienst hatte uns darauf
aufmerksam gemacht und den Hinweis gegeben, dass
man das nicht im Wege eines Berichtigungsverfahrens,
sondern nur über einen Änderungsantrag heilen kann . Es
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13043
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handelt sich also nicht um eine Veränderung im Gesetz-
entwurf selbst, sondern dieses Gesetz ist eines der weni-
gen, die den Bundestag aus guten Gründen so verlassen,
wie sie hereingekommen sind .
Zum Schluss noch eine Bemerkung, weil ich manche
Aufregung in den letzten Tagen nicht verstehe: Was wir
heute beschließen, ist eigentlich nichts anderes als längst
geltendes deutsches und europäisches Recht (seit 1989
bzw . 2008) . Wir machen nichts anderes als eine Klarstel-
lung, die spätestens bei Verabschiedung des Koalitions-
vertrages als absehbar hätte gelten müssen . Die Geset-
zesänderung kommt also alles andere als überraschend .
Offensichtlich – und das sollte uns allen zu denken ge-
ben – wird unsere Gesetzgebungsarbeit inzwischen so
wenig ernst genommen oder für so beeinflussbar gehal-
ten, dass „schwerste Bedenken“ erst in der Schlussphase
unserer Beratungen geltend gemacht werden und dann
als letztes Mittel längere Übergangsfristen vorgeschla-
gen werden .
Umso erfreulicher ist heute der breite Konsens hier
im Hause, der Innovation und Wettbewerb im Interesse
der Verbraucherinnen und Verbraucher fördert . Wir ver-
hindern damit auch Geschäftsmodelle, die beim Kunden
Routersalat oder Zusatzzahlungen für einzelne Dienste
aufgrund von Endgerätekonstellationen verursachen . Auf
diesem Weg ließe sich das sicher teilweise vorhandene
Problem der Refinanzierung von Netzinvestitionen aber
auch nicht lösen .
Lars Klingbeil (SPD): Wir beraten heute in zweiter
und dritter Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommuni-
kationsendgeräten . Bereits gestern haben die Ausschüsse
dem Entwurf mit großer Mehrheit oder sogar einstimmig
zugestimmt – und dies ist ein wichtiges Zeichen .
Mit der Abschaffung des Routerzwangs soll die Pra-
xis einiger Netzbetreiber beendet werden, ausschließlich
von ihnen vertriebene Geräte zuzulassen . Damit wird das
Recht der Nutzerinnen und Nutzer gestärkt, Endgeräte
ihrer Wahl an den sogenannten Netzabschlusspunkt an-
zuschließen .
Viele von Ihnen kennen sicher das Problem, dass man
eben bei einigen Anbietern nicht selbst den Router aus-
suchen und damit die Funktionalitäten wählen kann, die
man möchte, sondern einen bestimmten Router des An-
bieters nutzen muss .
Begründet wird dies oft mit technischen Gründen und
der Behauptung, dass ein unsicherer Router eines einzel-
nen Nutzers Störungen im Netz verursachen und viele
andere Kunden beeinträchtigen könnte . Auch der Bun-
desrat hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf
zur Abschaffung des Routerzwangs um eine Prüfung
gebeten, ob es für den Anschluss von Telekommunika-
tionsendeinrichtungen an das Netz nicht doch weiter-
gehender Anforderungen bedarf und ob die Definition
des Endpunkts des öffentlichen Telefonnetzes bei Fi-
bre-to-the-Home-Netzen sowie bei Kabelnetzzugang
nicht neu gefasst werden müsse . Begründet wurde dieser
Prüfauftrag insbesondere mit den technischen Aspekten
der Sicherheit, der Netzintegrität, der Übertragungsqua-
lität und der Funktionalität . In der Praxis sah es aber oft
sogar so aus – und erst vor wenigen Tagen gingen wieder
entsprechende Meldungen durch die Medien –, dass die
vorgegebenen Zwangsrouter sogar anfälliger waren für
Störungen als die Router manch namhafter Routerher-
steller, insbesondere aus Deutschland .
All diese Fragen wurden bereits im Rahmen der Erar-
beitung des Gesetzentwurfes und in der Ressortabstim-
mung und nun auch nochmals hier im parlamentarischen
Verfahren überprüft . Ergebnis dieser Prüfungen ist, dass
es keine juristischen oder technischen Gründe gibt, die
gegen die Wiederherstellung der ursprünglich ja auch
vom Gesetzgeber beabsichtigten Wahlfreiheit und des
Anschlussrechts für Telekommunikationsendgeräte spre-
chen .
Das Gesetz soll mit einer Klarstellung den Nutzern
die Freiheit bei der Wahl ihrer Router zurückbringen .
Zugleich wird das auch den Wettbewerb unter den Her-
stellern wieder ankurbeln und so auch ermöglichen, dass
sich bessere und auch sicherere Produkte am Markt eta-
blieren .
Mit dem Gesetz setzen wir eine wichtige Vereinbarung
des Koalitionsvertrags um . Die Abschaffung des Rou-
terzwangs ist von Verbraucherinnen und Verbrauchern,
aber auch großen Teilen der Wirtschaft immer wieder
gefordert worden . Der nun bevorstehende Beschluss ist
zugleich ein weiterer wichtiger Schritt in der Umsetzung
der Digitalen Agenda .
Es ist ein wichtiger Baustein der Digitalen Agenda,
dass der Routerzwang damit nun endlich der Vergangen-
heit angehört, und es ist ein wichtiges Signal, dass der
Bundestag dieses Gesetzgebungsverfahren mit dieser
großen Mehrheit beschließt .
Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Es ist selten, da-
her umso erfreulicher: Die Bundesregierung hat einen
vernünftigen Gesetzentwurf vorgelegt . Es geht um die
Abschaffung des sogenannten Routerzwangs bzw . um
die Wahlfreiheit bei Telekommunikationsendgeräten .
Bisher war es so, dass Netzbetreiber ihren Kundinnen
und Kunden vorschreiben konnten, welche Router sie
zu verwenden haben, um das Internet nutzen zu können .
Das ging zum Teil sogar so weit, dass den Kundinnen
und Kunden nicht einmal ihr Nutzername und ihr persön-
liches Kennwort für den Zugang des Internetanschlusses
übermittelt wurden, um zu verhindern, dass ein anderer
Router verwendet werden kann . Doch viel zu oft entspre-
chen die Geräte, die vom Netzbetreiber zur Verfügung
gestellt wurden, nicht den Qualitätsansprüchen von Ver-
braucherinnen und Verbrauchern, oder es fehlten wichti-
ge Funktionen . Diese äußerst verbraucherunfreundliche
Praxis wurde von der Bundesnetzagentur auf Basis der
geltenden gesetzlichen Regelungen erlaubt .
Die Krux ist die Festlegung, wo der sogenannte Netz-
abschlusspunkt liegt . Also: Wo liegt der Punkt, an dem
das öffentliche Netz und damit das Netz des Netzbetrei-
bers enden und ab dem die Verbraucherin und der Ver-
braucher frei verfügen können? Bisher definierten viele
Netzbetreiber den Netzabschlusspunkt an dem Endge-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513044
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rät, meist ein Modem mit eingebautem WLAN-Router .
So wurde legitimiert, dass die Endgeräte genutzt wer-
den mussten, die der Netzbetreiber zur Verfügung stellt .
Mit dem Gesetzentwurf soll der Netzabschlusspunkt
nun schon an der Telefonbuchse liegen, nicht erst beim
Endgerät . Das heißt, dass der Router nun nicht mehr im
Besitz des Internetanbieters wäre, sondern im Besitz der
Kundinnen und Kunden . Diese könnten somit frei wäh-
len, ob sie den Router des Anbieters nutzen oder einen
anderen . Daher begrüßen wir diese Festlegung ausdrück-
lich . Um eine solche Wahlfreiheit zu ermöglichen, ist es
wichtig, dass die Internetanbieter die Zugangsdaten an
die Nutzerinnen und Nutzer herausgeben . Dass die Netz-
betreiber das müssen, legt der Gesetzentwurf explizit
fest . Auch das ist begrüßenswert .
Nicht nur aus Verbrauchersicht, auch aus Sicherheits-
aspekten sind Zwangsrouter suboptimal . Weitverbeitete
einheitliche Geräte bedeuten immer ein größeres Risi-
ko . Wenn erst einmal in einem dieser Zwangsrouter eine
Sicherheitslücke entdeckt wurde, sind viel mehr Geräte
angreifbar, als wenn Geräte verschiedener Hersteller ver-
wendet würden . Erst vor ein paar Tagen wurde bekannt,
dass in den Routern von Kabel Deutschland zwei kriti-
sche Sicherheitslücken klaffen . Damit sind nun auf einen
Schlag 1,3 Millionen Geräte über das WLAN angreifbar .
Natürlich sind einige Netzbetreiber alles andere als
begeistert von diesem Gesetzentwurf . Man muss schon
fast dankbar sein, dass Sie – anders als der Bundes-
rat – diesen Argumenten nicht gefolgt sind . Technische
Schwierigkeiten, insbesondere mit Kabel- und Glasfa-
sertechnologie, werden unter anderem angeführt . Bei
genauerem Hinschauen fällt allerdings auf, dass diese
Argumente wenig stichhaltig sind . So wird gerne ange-
führt, dass durch die Verwendung nichtkompatibler End-
geräte Störungen verursacht werden könnten . Da fragt
man sich, wie das die ganzen ISDN- und DSL-Betreiber
hinbekommen, die es ihren Kundinnen und Kunden seit
Jahrzehnten ermöglichen, ihre Endgeräte frei zu wählen .
Von Störungen, die durch Router verursacht wurden, ist
zumindest nichts bekannt . Auch im Ausland, zum Bei-
spiel in den USA, wo auch in Kabel- und Glasfasernet-
zen kein Routerzwang besteht, ist nichts davon zu hören,
dass die freie Endgerätewahl zu Störungen im großen Stil
geführt habe .
Letztlich geht es für die Provider, die sich gegen die-
sen Gesetzentwurf gewehrt haben, hauptsächlich darum,
Kosten zu sparen und zusätzliche Einnahmen zu gene-
rieren . Durch den zwanghaften Verkauf von Endgeräten
lässt sich eben gutes Geld machen, und noch mehr Geld
lässt sich machen, wenn man für die Freischaltung ei-
ner WLAN-Funktion, die in den meisten Routern eine
Standardfunktion ist, in Zwangsroutern aber vom Netz-
betreiber beliebig an- und abgeschaltet werden kann, ei-
nen Aufschlag verlangen kann . Es ist also gut, dass Sie
sich in diesem Fall einmal nicht haben reinreden lassen
und die Wahlfreiheit der Router konsequent durchziehen.
Es hat allerdings sehr lange gedauert . Viel zu lange .
Schon vor über zwei Jahren machte die Linke in einer
Kleinen Anfrage die damalige schwarz-gelbe Bundes-
regierung auf dieses Problem aufmerksam . Damals
bekamen wir die lapidare Antwort, dass man keinen
Handlungsbedarf sehe . Dabei war schon damals der
Handlungsbedarf mehr als offensichtlich . Es ist schade,
dass der Handlungsbedarf erst so spät erkannt wurde .
Aber besser spät als nie . Noch besser wäre aber, Sie hö-
ren das nächste Mal gleich auf uns und nicht erst Jahre
später .
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die Diskussion um die sogenannten Zwangsrouter,
also von den Anbietern vertraglich vorgeschriebene Ge-
räte für den Zugang zum Internet, führen wir seit mehre-
ren Jahren . Seit langem ist klar: Zwangsrouter schränken
die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher
stark ein. Zudem ist die Verpflichtung der Nutzerinnen
und Nutzer, bestimmte, vertraglich vorgegebene Router
zu verwenden, sowohl aus datenschutzrechtlichen wie
auch IT-sicherheitspolitischen Überlegungen heraus kon-
traproduktiv . So wurden wiederholt Sicherheitslücken in
Routern bekannt, die aufgrund einer Verpflichtung zur
Nutzung eines bestimmten Endgerätes häufig eine sehr
hohe Anzahl von Kunden betroffen haben .
Die bisherige Praxis hat verhindert, dass Kunden Ge-
räte nutzen konnten, die entweder noch vorhanden waren,
günstig gebraucht erstanden oder kostenlos überlassen
wurden oder deren Einsatz bewusst dem anderer Geräte
vorgezogen wurde, da sie eventuell höheren sicherheits-
und datenschutzpolitischen Anforderungen genügten als
die bereitgestellten Komponenten, die zudem oftmals
von den Kunden käuflich erworben werden müssen.
Als grüne Bundestagsfraktion haben wir die Bundere-
gierung, gemeinsam mit vielen Verbündeten, immer wie-
der aufgefordert, der bisherigen Praxis, den Kundinnen
und Kunden bestimmte Router vorzuschreiben, einen
Riegel vorzuschieben . Denn diese Praxis stand unserem
Verständnis nach im offenen Widerspruch sowohl zu
EU-rechtlichen Vorgaben als auch zum deutschen Tele-
kommunikationsgesetz (TKG) .
Die bisherige Möglichkeit, Zwangsrouter vorschrei-
ben zu können, hat man auf europäischer Ebene bereits
vor langer Zeit als kritisch erkannt und den Verbrauchern
das explizite Recht eingeräumt, die benötigte Hardware
ungeachtet ihrer Herkunft, frei nach Preis und Qualitäts-
kriterien wählen zu können . Auch das maßgebliche deut-
sche Telekommunikationsgesetz (TKG) fordert von der
Bundesnetzagentur, den Teilnehmern einen „größtmögli-
chen Nutzen in Bezug auf Auswahl, Preise und Qualität“
zu sichern . Dennoch kam es jahrelang, auch aufgrund ei-
nes starken Lobbying, nicht zu einer Klarstellung .
Auch der Versuch, den Routerzwang per Netzneutra-
litätsverordnung nach § 41 a Absatz 1 TKG zu regeln,
scheiterte an einem mehr als halbherzigen Agieren, durch
das es verpasst wurde, eine Klarstellung im Sinne der
Verbraucherinnen und Verbraucher vorzunehmen . So
konnte der Anbieter Router nach eigenem Ermessen zum
Bestandteil seines Netzes erklären, da die Definition von
„Netzabschlussgerät“ bisher zu seinen Gunsten ausgelegt
wurde . Sowohl Bundesregierung als auch Bundesnetz-
agentur spielten hier lange Zeit keine rühmliche Rolle .
Anfang Januar 2013 kam die BNetzA zu dem Schluss,
dass sie keine rechtliche Handhabe gegen die Kopplung
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13045
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eines Vertrags mit einem bestimmten Router habe . Sie
verwies darauf, dass Netzbetreiber nach den Vorgaben
des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikati-
onsendeinrichtungen (FTEG) zwar den Anschluss und
Betrieb jedes zulässigen Endgerätes an der entsprechen-
den Schnittstelle gestatten müssen, gleichzeitig jedoch
der Gesetzgeber nicht festgelegt habe, welche konkre-
ten Schnittstellen das Netz des Netzbetreibers mit dem
Heimnetz des Endkunden verbinden . Vielmehr sei es
dem jeweiligen Netzbetreiber überlassen, dies zu defi-
nieren . Man selbst könne das nicht .
Wir teilten diese Rechtsauffassung nicht und haben
wiederholt auf entsprechende EU-Vorgaben verwiesen,
in denen festgelegt wird, dass die nationale Regulie-
rungsbehörde durchaus für die Festlegung des Standortes
des Netzabschlusspunkts zuständig ist und im Vorfeld
lediglich Vorschläge einholen muss . Mit ihrer frühzei-
tigen Festlegung hat die Agentur die Verbraucherinnen
und Verbraucher lange im Regen stehen lassen und es
verpasst, die eigentliche Intention des Gesetzgebers um-
zusetzen und Vorschläge zu unterbreiten, wie die beste-
hende Rechtslage im Sinne der Entscheidungsfreiheit zu
konkretisieren wäre .
Daher war eine Vorgabe durch den Gesetzgeber un-
ausweichlich . Auf die Notwendigkeit haben die Ver-
braucherverbände, genauso aber digitale Bürgerrechts-
organisationen immer wieder hingewiesen . Für diese
Beharrlichkeit im Sinne der Nutzerrechte gebührt ihnen
unser Dank .
Viel zu lang hatten die Nutzerinnen und Nutzer diese
Wahlfreiheit eben nicht . Die vorgebrachten Argumente
für die Verpflichtung, zum Beispiel ein geringerer Servi-
ceaufwand für die Anbieter, haben uns als Gesetzgeber,
gerade in Abwägung mit den bereits erwähnten Vorteilen
für die Endnutzer, nicht überzeugen können . So verwun-
derte es nicht, dass sich bei entsprechenden Anhörungen,
die wir hierzu im Bundestag durchgeführt haben, auch
kein Anbieter fand, der die bisherige Praxis der Zwangs-
router verteidigen wollte . In zahlreichen Stellungnahmen
und Hintergrundgesprächen, die hierzu in den letzten
Jahren geführt wurden, sah dies freilich anders aus . Umso
erfreulicher ist die erreichte interfraktionelle Einigkeit .
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung nach jahre-
langer Diskussion nun endlich eine Regelung vorgelegt
hat, die die Rechte der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher erfreulich deutlich stärkt und daher unsere Unter-
stützung findet. Gerade in Anbetracht anderer, sehr viel
weitreichenderer Entscheidungen, die ebenfalls in die
Verantwortlichkeit des Wirtschaftsministeriums fallen,
ist dies ein Lichtblick, wenn auch angesichts der Dimen-
sion der Entscheidung, die Netzneutralität nun final über
den Umweg Europa zu opfern, ein kleiner .
Der vorliegende Gesetzentwurf ist das Resultat einer
jahrelangen Diskussion. Die nun gefundene Definition
des passiven Netzabschlusspunktes und die Möglich-
keit der Nutzerinnen und Nutzer, das Gerät hinter die-
sem Netzabschlusspunkt grundsätzlich frei wählen zu
können, begrüßen wir ausdrücklich . Als grüne Fraktion
freuen wir uns, dass es hier, auch aufbauend auf der guten
Zusammenarbeit in der Enquete-Kommission „Internet
und digitale Gesellschaft“, gelungen ist, sich interfrak-
tionell im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher
zu einigen und die Diskussion heute zu einem guten
Schluss zu bringen . Diese Einigung würden wir uns
auch in anderen netzpolitischen Debatten wünschen . Die
Netzneutralität, über die wir hier in exakt einer Woche
diskutieren, hatte ich bereits erwähnt . Auch hier könn-
te die Bundesregierung durchaus noch im Rat dem von
der Kommission vorgelegten „Kompromiss“, der einem
„Zwei-Klassen-Netz“ Tür und Tor öffnet und aus gutem
Grund von beinahe allen deutschen SPD-Abgeordneten
abgelehnt wurde, die Zustimmung verweigern .
Auch bezüglich der genauso seit Jahren in der Diskus-
sion befindlichen Störerhaftung, die ebenfalls im BMWi
angesiedelt ist, wäre es ein Leichtes, die Rechte der Nut-
zerinnen und Nutzer zu stärken und es zugleich Privat-
personen und Freifunkinitiativen zu ermöglichen, ihre
Netze Dritten gegenüber rechtssicher zu öffnen, wie dies
in beinahe allen unseren Nachbarländern möglich ist .
Entsprechende Gesetzentwürfe liegen seit langem vor,
genauso wie deutliche Aufforderungen des Bundesrats,
die morgen noch einmal erneuert werden .
Gerade aus verbraucherschutzpolitischer Sicht ist das
bisherige Agieren der Bundesregierung eine echte Ent-
täuschung . Statt digitale Verbraucherrechte auszubauen,
wie Sie es am Anfang der Legislaturperiode vollmundig
versprachen, als Sie ankündigten, die digitalen Verbrau-
cherrechte zu einem – ich zitiere – „Schwerpunkt in
dieser Legislatur“ machen zu wollen, haben Sie diese in
den vergangenen zwei Jahren geschwächt . Dringend not-
wendige Reformen, zum Beispiel im Bereich des Daten-
schutzes, verweigern Sie bis heute . Angesichts der Her-
ausforderungen, vor die uns Internet und Digitalisierung
heute stellen, beispielsweise hinsichtlich einer effektiven
Durchsetzung des Rechts auf informationelle Selbstbe-
stimmung, versagt diese Regierung völlig . Dabei ist Ihr
bisheriger Laisser-faire-Ansatz längst gescheitert . Kon-
sequenzen aus den Enthüllungen Edward Snowdens zie-
hen Sie noch immer nicht . Das von Ihnen vor kurzem
erst, pünktlich zur Cebit, vorgelegte IT-Sicherheitsgesetz
greift viel zu kurz und geht an den tatsächlichen Proble-
men meilenweit vorbei .
Die Bundesregierung muss endlich die Dimension
der Kompromittierung unserer digitalen Infrastrukturen
verstehen und entsprechend tatsächliche Konsequenzen
ziehen . Sie muss ihre Anstrengungen, die Integrität di-
gitaler Kommunikationsinfrastrukturen schnellstmöglich
wiederherzustellen, dringend intensivieren . Eine grund-
legende Überprüfung von Leitungen, Hard- und Soft-
ware und eine IT-Sicherheitsstrategie, die ihren Namen
verdient, sind überfällig . Konkrete Vorschläge haben wir
Ihnen vor langer Zeit unterbreitet .
Statt sie aufzugreifen, führen Sie die Vorratsdaten-
speicherung wieder ein und setzen den Inlandsgeheim-
dienst auf die private Kommunikation der Bürgerinnen
und Bürger in den sozialen Netzwerken an . Ihre IT-Si-
cherheitspolitik ist auch weiterhin höchst widersprüch-
lich . Heute wollen Sie Deutschland zum „Verschlüsse-
lungsland Nummer eins“ machen, morgen stellen Sie
Verschlüsselungen und die rechtlich klar verankerte
Anonymität grundsätzlich infrage . Statt Vertrauen wie-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513046
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derherzustellen, schüren Sie so weitere Verunsicherung .
Statt sich des digitalen Wandels anpackend anzunehmen
und gesellschaftliche Debatten über die Zukunft unserer
digitalen Gesellschaft anzustoßen und das Know-how
der Zivilgesellschaft aufzugreifen, verschanzen sich Uni-
on und SPD hinter verschlossenen IT-Gipfel-Türen .
All das geht in die völlig falsche Richtung . Insge-
samt müssen wir die Selbstbestimmung in der digitalen
Welt als Gesetzgeber stärken und den Nutzerinnen und
Nutzern mehr statt weniger Autonomie über die eigenen
Daten, aber eben auch die verwendeten IT-Komponenten
einräumen . Dies gilt umso mehr nach den Enthüllungen
Edward Snowdens . Ein zentraler Baustein, hierauf zu re-
agieren, ist, auch die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen
und Verbraucher zu stärken und ihnen so die Möglichkeit
zu eröffnen, IT-Komponenten einzusetzen, die sich bei-
spielsweise durch hohe Datenschutzstandards auszeich-
nen .
Wir brauchen insgesamt mehr vertrauenswürdige
Hard- und Software, die von den Nutzerinnen und Nut-
zern und einer vitalen zivilgesellschaftlichen Bewegung
überprüft und weiterentwickelt werden kann . Hier ist
auch der Staat in der Verantwortung, entsprechende pro-
aktive Anreize zu setzen, beispielsweise durch Auditie-
rungen oder die Vergabe von Gütesiegeln . Zudem kann
er selbst mit gutem Beispiel vorangehen, zum Beispiel
indem er Ausschreibungsregularien überprüft und freie
Software, die zahlreiche Vorteile bietet, gegenüber ge-
schlossenen, proprietären Formaten bevorzugt .
Vielleicht erinnert sich ja jemand in Bundesregierung
oder Regierungsfraktionen noch daran, dass die Enque-
te-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ meh-
rere Hundert Handlungsempfehlungen für den jetzigen,
den 18 . Bundestag, erarbeitet hat – welche übrigens mit
den Stimmen aller Fraktionen einstimmig verabschiedet
wurden . Sie endlich aufzugreifen, wäre auch angesichts
Ihrer dünnen Digitalen Agenda überfällig .
In dem heute diskutierten Kontext empfehle ich die
nochmalige Lektüre der Zwischenberichte der Projekt-
gruppen „Interoperabilität, Standards, Freie Software“
und „Verbraucherschutz“ . Insgesamt gebe ich die Hoff-
nung nicht auf, dass wir, auf die gute interfraktionelle
Zusammenarbeit in der Enquete aufbauend, endlich die
überfälligen netzpolitischen Weichenstellungen angehen
und uns den Herausforderungen des digitalen Wandels
als Gesetzgeber in der verbleibenden Zeit der Wahlperi-
ode gemeinsam stellen . Die heutige Verabschiedung der
Initiative, die den Zwangsroutern endlich einen gesetz-
lichen Riegel vorschiebt, ist nur ein kleiner Schritt auf
einem weiten Weg, aber es könnte ein erster sein .
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än-
derung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbe-
werb (Tagesordnungspunkt 22)
Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Wir beraten
heute abschließend den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes
gegen den unlauteren Wettbewerb . Dazu haben die Koa-
litionsfraktionen einen umfangreichen Änderungsantrag
vorgelegt .
Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens ist, dass
die Europäische Kommission die deutsche Umsetzung
der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftsprak-
tiken zwischen Unternehmen und Verbrauchern im Ge-
setz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) von 2008
beanstandet hat . Anfang 2014 hatte sie ein Vertragsver-
letzungsverfahren eingeleitet .
Die im Vertragsverletzungsverfahren benannten Kri-
tikpunkte wollen wir nun aufgreifen . Dazu nehmen wir
Klarstellungen bei der Gesetzessystematik des UWG vor
und passen das Gesetz stärker an den Wortlaut der Richt-
linie an .
Über Änderungen der Systematik und des Wortlauts
des Gesetzes wollen wir – lassen Sie mich das klar for-
mulieren – ausdrücklich keine inhaltlichen Änderungen
im materiellen Lauterkeitsrecht mit der Novellierung
bewirken . Auch bislang war es schon so, dass die Ge-
richte das UWG richtlinienkonform ausgelegt haben . Wir
knüpfen daran an und wollen die bestehende Judikatur
im Einklang mit der Richtlinie kodifizieren. Nicht mehr
und nicht weniger .
Die Vorschriften, die das Verhältnis von Unterneh-
mern und Verbrauchern (B2C) regeln, sollten laut der
Kommission stärker von den Vorschriften, die das Ver-
hältnis von Unternehmen untereinander (B2B) regeln,
abgegrenzt werden . Dazu sah der Gesetzentwurf der
Bundesregierung als Gegenstück zu der neu gefassten
Verbrauchergeneralklausel die Einführung einer auf Mit-
bewerber und sonstige Marktteilnehmer bezogene Un-
ternehmergeneralklausel vor . Im gleichen Zug wurde der
Begriff der fachlichen Sorgfalt spiegelbildlich als Lau-
terkeitsmaßstab auch im Verhältnis von Unternehmern
zu Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern in § 3
Absatz 3 UWG-E neu eingeführt .
Im Laufe des parlamentarischen Verfahrens hat sich
herausgestellt, dass der Entwurf der Bundesregierung
mit Blick auf das selbstgesetzte Ziel, keine materiell-
rechtlichen Änderungen vorzunehmen, die Kritikpunkte
der Kommission zum Teil nicht ausreichend, zum Teil
überschießend aufgegriffen hat . Der Entwurf beschränk-
te sich nicht allein auf die Umsetzung der Richtlinie,
sondern ging teilweise über die Vorgaben der Richtlinie
hinaus . Gerade die Neuerungen im B2B-Bereich stellen
einen unnötigen und nicht erforderlichen Eingriff in die
bestehende Rechtslage dar und hätten erhebliche Folgen
für die Rechtsanwendungspraxis gehabt .
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hätte inso-
weit das selbstgesetzte Ziel verfehlt, das deutsche UWG
an die Richtlinie anzupassen und keine inhaltlichen Än-
derungen an der Rechtslage vorzunehmen .
Diesbezüglich gilt mein Dank besonders Herrn Pro-
fessor Helmut Köhler und Herrn Professor Ansgar Ohly
von der Ludwig-Maximilians-Universität München
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13047
(A) (C)
(B) (D)
und Herrn Richter am Bundesgerichtshof Dr . Wolfgang
Kirchhoff, die uns hier wertvolle Hinweise gegeben
haben . Danach war klar: Für eine richtlinienkonforme
Umsetzung sind deutliche Änderungen am Regierungs-
entwurf notwendig . Diese haben wir mit dem Ände-
rungsantrag der Koalitionsfraktionen vorgenommen . Wir
stellen sicher, dass die materielle Rechtsanwendung im
Lauterkeitsrecht grundsätzlich nicht verändert und von
nicht gebotenen Änderungen der Rechtslage durch die
Richtlinie abgesehen wird .
In der Folge haben wir eine Reihe von Anpassungen
der Gesetzessystematik sowie sprachlicher und redaktio-
neller Art in Anlehnung an den Richtlinienwortlaut vor-
genommen .
Hervorzuheben ist etwa, dass wir von einer eigenstän-
digen Generalklausel in § 3 Absatz 3 UWG-E für den
unternehmerischen Bereich absehen . Das hatte der Re-
gierungsentwurf so vorgesehen . Eine solche Unterneh-
mergeneralklausel für den B2B-Bereich war aber durch
die Richtlinienumsetzung gar nicht geboten, weil diese
nur Vorgaben für den B2C-Bereich enthält . Bei der im
Kabinettsentwurf vorgeschlagenen Generalklausel wäre
zudem der Mitbewerberschutz im Vergleich zur gelten-
den Rechtslage deutlich geschwächt worden . Denn alle
geschäftlichen Handlungen, die sich zugleich an Ver-
braucher richten oder diese erreichen – was die Mehrheit
aller Handlungen betroffen hätte –, wären letztlich der
Verbrauchergeneralklausel unterworfen worden . Die An-
wendung der mitbewerberschützenden Vorschriften wäre
dabei regelmäßig ausgeschlossen gewesen . Eine Doppel-
kontrolle hätte nicht mehr stattgefunden . Eine Streichung
von § 3 Absatz 3 UWG-E war somit auch zur Verhin-
derung von Schutzlücken durch einen zu engen Anwen-
dungsbereich notwendig .
Nicht zuletzt hatte sich auch gegen den Begriff der
fachlichen Sorgfalt in § 3 Absatz 3 UWG-E zum Teil
erhebliche Kritik geregt, der Maßstab sowohl für den
B2C- wie auch für den B2B-Bereich sein sollte . Mit
dem Änderungsantrag sehen wir davon ab, den Begriff
der fachlichen Sorgfalt zur Definition der Unlauterkeit
auch im B2B-Verhältnis zu verwenden . Das verhindert
Rechtsunsicherheiten, wie der neue Begriff auszulegen
ist . Damit wird nicht zuletzt auch ein Anliegen des Bun-
desrates aufgegriffen .
Mit der Streichung von § 3 Absatz 3 als Generalklau-
sel für den unternehmerischen Bereich bleibt § 3 Ab-
satz 1 UWG-E als Auffangtatbestand für sonstige un-
lautere Handlungen erhalten, die künftig nicht nach den
spezielleren Tatbeständen der §§ 4 ff . UWG-E zu beur-
teilen sind .
Der Entwurf der Bundesregierung sah noch vor, dass
§ 3 Absatz 1 UWG-E von einer Generalklausel auf eine
bloße Rechtsfolgenregelung reduziert werden sollte . Dies
hätte zur Folge gehabt, dass bestimmte Fallgruppen, wie
zum Beispiel hoheitliches Handeln der öffentlichen Hand
oder Verstöße gegen die Menschenwürde, sich nicht mit
der Verbrauchergeneralklausel und der Unternehmerge-
neralklausel hätten sachgerecht erfassen lassen . Insoweit
wäre der Anwendungsbereich des UWG in nicht gebote-
ner Weise beschränkt worden .
Im Hinblick auf das in diesem Zusammenhang dis-
kutierte Fehlen des Spürbarkeitserfordernisses in § 3
Absatz 1 UWG-E möchte ich in aller Deutlichkeit da-
rauf hinweisen, dass dieses ausdrücklich in den Spezi-
altatbeständen der §§ 4 ff . UWG-E geregelt ist . In der
Ausschussbegründung haben wir dazu klargestellt, dass
es beim Auffangtatbestand des § 3 Absatz 1 UWG-E der
Rechtsprechung überlassen bleibt, nach wie vor ange-
messene Spürbarkeitserfordernisse aufzustellen . Die Be-
fürchtungen insbesondere des Handels, dass es zukünftig
schon bei bloßen Bagatellverstößen zu Abmahnungen
wegen unlauteren Handels kommen würde, sind damit
unbegründet . Am Spürbarkeitserfordernis ändern wir
nichts .
Des Weiteren wird der Wortlaut von § 2 Absatz 1
Nummer 7 UWG-E der Richtlinie angenähert und der
Begriff der fachlichen Sorgfalt durch den Begriff der
unternehmerischen Sorgfalt ersetzt . Dies entspricht dem
Sinn nach dem Begriff der beruflichen Sorgfalt in der
deutschen Sprachfassung .
Der Regierungsentwurf sah weiterhin vor, dass die in
§ 4 UWG genannten Beispiele unlauterer geschäftlicher
Handlungen künftig als Beispiele von Verstößen gegen
die fachliche Sorgfalt eingestuft werden sollten . Dies ist
von der Richtlinie ebenfalls nicht gefordert, weswegen
der Normcharakter vom bisherigen § 4 UWG beibehalten
wird .
In der Folge wird § 4 UWG-E auf Grundlage des bis-
herigen § 4 UWG umgestaltet und gesetzessystematisch
auf zwei Paragrafen aufgeteilt:
Dabei entfallen § 4 Nummer 1 bis 5 . Der Regelungs-
gehalt zu aggressiven und irreführenden geschäftlichen
Handlungen wird nunmehr durch § 4 a, § 5 sowie § 5 a
UWG-E abgebildet . An dieser Stelle ist besonders zu
betonen, dass materielle Änderungen an der Rechtslage
damit nicht vorgesehen sind, auch wenn aufgrund dessen
§ 4 a UWG-E auf „sonstige Marktteilnehmer“ erweitert
wird . Dies beruht auf der Aufhebung von § 4 Nummer 1
UWG und entspricht inhaltlich der bisherigen Rechtsla-
ge . Insbesondere soll sich nichts an der Handhabung von
harten Verhandlungen durch Ausübung von Druck durch
die Rechtspraxis ändern .
Bezüglich der Frage, wann künftig eine Handlung ge-
genüber besonders verletzlichen Verbrauchern unlauter
ist, wird mit Blick auf den Regelungsgehalt des zu strei-
chenden § 4 Nummer 2 UWG ein klarstellender Hinweis
bezüglich aggressiven geschäftlichen Handlungen in
§ 4 a Absatz 2 Satz 2 UWG-E aufgenommen .
Schließlich wird der Tatbestand des Rechtsbruchs
aus § 4 Nummer 11 UWG in einen neuen § 3 a UWG-E
überführt . Damit soll klarer als bisher zum Ausdruck
kommen, dass es sich hier um einen Spezialtatbestand
einer unlauteren Handlung außerhalb des beschränkten
Anwendungsbereichs der Richtlinie handelt .
Im Ergebnis enthält § 4 UWG-E nach den genannten
Streichungen ausschließlich eine Regelung zum Mitbe-
werberschutz und entspricht damit den bisherigen Rege-
lungen in § 4 Nummer 7 bis 10 UWG .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513048
(A) (C)
(B) (D)
Wir haben den Anspruch, dass der Gesetzgeber die
Richtlinie in diesem Anlauf sauber und ohne materielle
Rechtsänderungen umsetzt . Dies ist uns mit dem Gesetz-
entwurf in seiner geänderten Fassung gelungen . Zudem
führt das Gesetz mit einer klaren Systematik im Sinne
der Verbraucher und Unternehmen zu einer verbesserten
Verständlichkeit der die Unlauterkeit begründenden Nor-
men .
Viele an mich herangetragene und noch offene Fragen
des Wettbewerbsrechts konnten wir in diesem Verfahren
bedauerlicherweise nicht erörtern . Wegen des laufenden
Vertragsverletzungsverfahrens wollten wir ein schnelles
Gesetzgebungsverfahren . Bald ergibt sich aber eine neue
Gelegenheit: Im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes
gegen unseriöse Geschäftspraktiken im nächsten Jahr
werden wir die noch offenen Punkte im Lauterkeitsrecht
aufgreifen können . Darauf freue mich .
Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Mit dem Änderungs-
gesetz zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ge-
hen wir einen weiteren Schritt zu mehr Transparenz und
Rechtssicherheit . Das ist wichtig, sowohl für Verbrau-
cher als auch für Unternehmen, denn nur so können wir
gewährleisten, dass hiesigen Unternehmen und Verbrau-
chern die gleichen Rechte zukommen und mit gleichen
Standards konkurriert wird . „Unlauter“ als sprachliches
Synonym von „unehrlich“ und „betrügerisch“ ist nega-
tiv konnotiert und bedarf allein deshalb einer gesetzge-
berischen, klaren Richtlinie . Denn die Aufgabe, die dem
Staate zukommt, ist es, für Gerechtigkeit auf dem Markt
und in der Gesellschaft zu sorgen .
Gerechtigkeit ist ein grundlegender und zentraler
Begriff der Ethik . Sie ist ein Wert mit hohem Anspruch
und die Berufung auf selbige von großer Bedeutung . Ge-
rechtigkeit kann als eine Charaktertugend umschrieben
werden, eine auf das Gerechte ausgerichtete innere Ein-
stellung . Die ausgleichende Gerechtigkeit – also die des
Gesetzgebers – besteht in der tatkräftigen Bereitschaft,
dem Einzelnen bzw . einer anderen Gemeinschaft das
Zustehende zu gewähren . Dieser Gedanke ist nicht neu,
sondern findet sich bereits bei Aristoteles.
Ich bin davon überzeugt, dass Vorschriften – damals
wie heute – eindeutig formuliert sein müssen . Dies dient
nicht nur der Rechtlichkeit, sondern schützt Verbraucher
und Unternehmen gleichermaßen und ahndet Verstöße
zielführend . In diesem Sinne wurde bereits vor über zehn
Jahren das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das
am 8 . Juli 2004 in Kraft trat, eingeführt .
Dieser Grundsatz muss in Deutschland und Europa
gleichermaßen gelten . Diese geschaffene rechtswirksa-
me Harmonisierung auf den europäischen Märkten ist
ein wichtiges Gut, um den Standards und Ansprüchen in
allen Ländern der Europäischen Union in gleichem Maße
zu genügen .
In der EU sollte die Rechtssetzung im Bereich des
Wirtschaftsrechts einheitlich gesetzt werden . So muss
gelten, dass ein Rechtsrahmen nicht nur in der Bundes-
republik Bestand hat, sondern auch in der EU insgesamt
verfolgt werden kann . Denn damit wird einmal mehr eine
vollständige Harmonisierung des Rechts in der Europä-
ischen Union gewährleistet . Es ist nicht zumutbar, sich
durch eine Vielzahl von Urteilen verschiedenster Gerich-
te zu schlagen, wenn es einen einfacheren Weg gibt . Al-
lein schon deshalb sind wir verpflichtet, für Einheitlich-
keit zu sorgen, wo Unsicherheiten bestehen .
Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das
vormals im Juli 2004 in Kraft trat und das wir heute in
zweiter Lesung konkretisieren und beraten, ist ein weite-
rer Schritt für mehr Rechtssicherheit – für Deutschland
und Europa .
Für Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für
Mitbewerber und andere Marktteilnehmer wollen wir
ein einheitliches Recht schaffen . Hierzu werden Begriffe
konkreter formuliert und klarer definiert. So schaffen wir
Transparenz und Rechtssicherheit gleichermaßen, sodass
den streitenden Parteien vor Gericht ein umfassender und
einheitlicher Rechtsschutz gewährt wird .
Von zentraler Bedeutung ist die Neufassung des § 3
Absatz 1 UWG, der nunmehr lauten soll: „Unlautere ge-
schäftliche Handlungen sind unzulässig .“ Dieser Satz ist
schlicht, und dennoch lässt er für jeden Rechtsanwender
erkennen, dass unlauterer Wettbewerb verboten ist .
Diese Generalklausel findet in den nachfolgenden
Vorschriften im UWG ihre konkrete Ausgestaltung . Als
Beispiele seien nur verschleierte Werbung oder die Ver-
unglimpfung von Mitbewerbern genannt . Gleichermaßen
muss die Generalklausel ihre Schranken bei Bagatellfäl-
len finden. In einer Vielzahl von Tatbeständen befinden
sich sogenannte Relevanzklauseln . Die unlautere ge-
schäftliche Handlung muss auch geeignet sein, das wirt-
schaftliche Handeln wesentlich zu beeinflussen. Dieses
Korrektiv ist nötig, um Bagatellfälle ausschließen zu
können . Die Generalklausel soll gerade nicht das Ein-
fallstor für ungerechtfertigte Abmahnungen durch Mit-
bewerber sein .
Gleichermaßen ist eine beeinflussende geschäftliche
Handlung erst unzulässig, wenn diese die Fähigkeit des
Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung
wesentlich einschränkt . Eine mit harten Bandagen ge-
führte geschäftliche Verhandlung stellt daher, selbst bei
einer stärkeren Verhandlungsposition einer Seite, noch
keinen unlauteren Wettbewerb dar .
Mit den neuen Regelungen im Gesetzentwurf schaffen
wir noch mehr Transparenz . Der Rechtsanwender erkennt
genauer, wann eine unlautere geschäftliche Handlung
vorliegt . Mit dem Ziel von mehr Verbraucherschutz und
Rechtssicherheit bitte ich daher um Ihre Unterstützung .
Das Gesetz dient ebenfalls der Umsetzung europäi-
scher Vorgaben . Daran halten wir uns .
Ich werbe um Zustimmung zum Gesetzentwurf!
Christian Flisek (SPD): Heute verabschieden wir
das zweite Änderungsgesetz des Gesetzes gegen unlau-
teren Wettbewerb (UWG) . Dass wir das UWG innerhalb
weniger Jahre zum zweiten Mal ändern (müssen), macht
deutlich, dass wir es mit einem gleichermaßen wichtigen
wie sensiblen Gesetzeswerk zu tun haben .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13049
(A) (C)
(B) (D)
Auch wenn die allermeisten Bürgerinnen und Bürger
in unserem Lande niemals vom UWG gehört haben, ge-
schweige denn sich damit beschäftigt haben oder dies
jemals tun werden, ist das Gesetz gegen unlauteren Wett-
bewerb ein wichtiges Fundament unserer Wirtschaftsord-
nung . Unsere Wirtschaftsordnung beruht auf dem Wert
der Freiheit und der Überzeugung, dass jeder auch in
wirtschaftlichen Angelegenheiten nach seinen eigenen
Bedürfnissen und seinen persönlichen Zielen handeln
kann und dass dieses individuelle Streben zum Wohle
aller führt . Das ist die Grundidee der freien Marktwirt-
schaft .
Voraussetzung dafür ist jedoch ein freier und fairer
Wettbewerb . Der schöne aus dem Mittelhochdeutschen
kommende Begriff der „Lauterkeit“ bedeutet nun nichts
anderes als „Anständigkeit“ oder schlicht „ein faires und
ehrliches Verhalten“ . Das Gesetz gegen den unlauteren
Wettbewerb ist also ein Gesetz gegen unfairen und unan-
ständigen Wettbewerb . Es dient dem Schutz der Mitbe-
werber, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der
sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen
Handlungen und schützt damit zugleich das Interesse der
Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb .
Wegen seiner zentralen Bedeutung für die Wirtschafts-
ordnung ist es nicht verwunderlich, dass es seit seinem
Inkrafttreten im Jahr 1896 häufig novelliert wurde. Mit
der Neufassung im Jahre 2004 wurde das UWG vor dem
Hintergrund europarechtlicher Vorgaben grundlegend
reformiert . Mit der Richtlinie über unlautere Geschäfts-
praktiken von Unternehmen gegen Verbraucher im Bin-
nenmarkt (und weiteren europäischen Richtlinien) wurde
das Lauterkeitsrecht im Verhältnis von Unternehmen zu
den Verbrauchern auf europäischer Ebene weitgehend
vollharmonisiert und mit dem Ersten Gesetz zur Ände-
rung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
2008 in deutsches Recht umgesetzt .
Aus Sicht der EU-Kommission war das jedoch nur
unzureichend gelungen . Mit dem jetzt vorliegenden
Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den
unlauteren Wettbewerb nehmen wir die Kritikpunkte
der EU-Kommission auf . Unser Bestreben war dabei
von Anfang an, das Vertragsverletzungsverfahren gegen
Deutschland abzuschließen und ausschließlich für eine
beanstandungsfreie Umsetzung der Richtlinie zu sorgen .
Ich kann mit guten Gewissen an dieser Stelle sagen,
dass wir uns zusammen mit unserem Koalitionspartner
diese Aufgabe nicht leicht gemacht haben und uns im in-
tensiven Austausch mit Sachverständigen und Rechtsgut-
achtern um eine möglichst wortgetreue Umsetzung der
Richtlinie bemüht haben, ohne dass wir die Systematik
und die Struktur des UWG grundlegend verändert haben .
Diese Feinarbeit führte dazu, dass wir mit einem Ände-
rungsantrag weitere Modifizierungen am ursprünglichen
Gesetzentwurf vorgenommen haben .
So haben wir zum Beispiel die Definition der „ge-
schäftlichen Entscheidung“ aus der Richtlinie übernom-
men und auf eine eigenständige Generalklausel für den
unternehmerischen Bereich, wie er noch im ersten Ent-
wurf enthalten war, verzichtet . Der Mitbewerberschutz
wird zudem in einem eigenen Paragrafen geregelt, eben-
so wie die Regelungen zu aggressiven geschäftlichen
Handlungen, die nun auf Unternehmen als Abnehmer
ausgedehnt werden .
Wir sind davon überzeugt, dass wir mit diesen und
weiteren Änderungen eine vollständige Rechtsanglei-
chung im Sinne der EU-Richtlinie im Wortlaut des UWG
erreicht haben .
Ich kann die Kritik der Opposition verstehen, die wei-
tergehende materielle Änderungen angemahnt hat . Ich
kann mit dieser Kritik aber gut leben, weil das auch nicht
das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes war .
Caren Lay (DIE LINKE): Verbraucherinnen und Ver-
braucher sind am Markt noch lange nicht auf Augenhö-
he mit den Unternehmen . Das sagen nicht nur die Linke
und die Verbraucherverbände, sondern auch die EU, die
bereits 2005 eine klarstellende Anpassung des Gesetzes
gegen unlauteren Wettbewerb eingehandelt hat . Diese
wurde dann 2008 aber nur mangelhaft umgesetzt, sodass
die EU-Kommission sich sogar gezwungen sah, ein Ver-
tragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzulei-
ten . Insbesondere bemängelte sie, dass Verbraucherinnen
und Verbraucher immer noch zu wenig Rechtssicherheit
genießen . Und deswegen müssen wir leider noch einmal
ran an den unlauteren Wettbewerb . Das hätte man sich
mit etwas Sorgfalt auch sparen können .
Schauen wir einmal in den Gesetzentwurf:
Der § 3 wird als Generalklausel neu formuliert, und es
wird deutlicher zwischen unlauteren Geschäftspraktiken
gegenüber Verbrauchern und gegenüber Mitbewerbern
unterschieden . Das ist ein Schritt in die richtige Richtung .
Zu begrüßen ist, dass im § 4 definiert ist, dass Beein-
flussung durch Belästigung und Gewalt zukünftig als un-
lauterer Wettbewerb geahndet werden soll . Das sollte ei-
gentlich ganz selbstverständlich sein: Eine erpresste oder
erschlichene Geschäftsentscheidung, ob durch Gewalt
oder Lockvogelangebote, muss ungültig sein . Der Refe-
rentenentwurf definiert dies auch noch näher; die Große
Koalition macht nun mit ihrem Änderungsantrag eine
Rolle rückwärts und will dies wieder streichen . Damit
sorgt sie unnötig für Unklarheit . Ich frage mich wirklich,
warum hier zurückgerudert wird .
§ 5 hingegen beschreibt, was unter dem Vorenthalten
einer Information zu verstehen ist . Versicherungs- und
Finanzvermittler bzw . Anlageberater müssen die neuen
Vorschriften nicht nur in der Beratung ihrer Kundinnen
und Kunden, sondern auch bei der Erstellung der gesetz-
lich vorgeschriebenen Beratungsdokumentation beach-
ten . Dennoch hätten wir uns hier eine Konkretisierung
gewünscht .
Der § 10 hingegen, der die Abschöpfung von unrecht-
mäßigen Unternehmensgewinnen beinhaltet, wäre drin-
gend zu reformieren . Wir brauchen für Firmen, die mit
zwielichtigen Geschäften Geld ergaunern, Sanktions-
möglichkeiten – die dann unmittelbar der Verbraucher-
arbeit, und damit den Geschädigten, zufließen können.
Selbst das Verbraucherministerium hat das 2010 schon
angemahnt . Passiert ist seither nichts . Hier haben Sie
eine Chance vertan .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513050
(A) (C)
(B) (D)
Ich gestehe der Koalition zu, dass sie durch die Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofes wenig Spiel-
raum hatte . Dennoch wäre hier deutlich mehr möglich
gewesen . Anstatt für Verbesserungen zu sorgen, schaffen
die Unklarheiten eher Verschlechterungen oder werden
die Probleme nicht aufgegriffen bzw . der Handlungs-
spielraum der Richtlinie nicht ausgereizt . Darüber hinaus
ist es unklar strukturiert und wenig anwenderfreundlich .
Schade . Eine weitere Chance zur Stärkung der Verbrau-
cherrechte wurde vertan . Die Linke lehnt den Gesetzent-
wurf daher ab .
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
dem Entwurf zur Änderung des Gesetzes gegen den un-
lauteren Wettbewerb, UWG, haben Sie auf Urteile und
Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs reagiert und
Klarheit geschaffen, wann Schneeball- und Pyramiden-
systeme unlauter sind .
Doch aus Sicht der grünen Bundestagsfraktion hätte
der Gesetzentwurf weiter gehen und in einem Aufwasch
andere, lange bekannte Probleme im Bereich des Wettbe-
werbsrechts aufgreifen müssen:
Erstens hätten Sie das Problem lösen müssen, dass
der im UWG verankerte Gewinnabschöpfungsanspruch
in der Praxis ins Leere läuft . Die Abschöpfung von Un-
rechtsgewinnen, die sich Unternehmen durch unseriöse
Geschäftsmodelle aneignen, ist auf Grundlage der jetzi-
gen Regelung praktisch kaum möglich . Rechtswidriges
Verhalten lohnt sich immer noch viel zu oft, weil die
Unternehmen das zu Unrecht erworbene Geld behalten
können, wenn ihnen beispielsweise kein Vorsatz nach-
zuweisen ist . Dieses Problem ist der Bundesregierung
seit Jahren bekannt . Eine Studie aus 2011, vom Bundes-
verbraucherministerium in Auftrag gegeben, kommt zu
dem klaren Ergebnis, dass die Regelung in der derzeiti-
gen Form wirkungslos ist . Leider hat Heiko Maas keine
Schlüsse daraus gezogen und lässt die zahnlose Rege-
lung, wie sie ist . Von einem Verbraucherschutzminister
hätte ich mehr erwartet .
Zweitens hätte bei Rechtsverletzungen im Onlinehan-
del endlich die Möglichkeit des fliegenden Gerichtsstan-
des abgeschafft werden müssen . Denn diese Regelung
ermöglicht es, dass Abmahner sich aussuchen können, an
welchem Gericht sie klagen . Dies hat mit Verbraucher-
schutz nichts zu tun und geht zudem zulasten von kleinen
und mittleren Unternehmen, für die ein Gerichtsverfahren
weit weg vom Geschäftssitz mit hohen Kosten verbun-
den ist. Die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes
und die damit verbundene Eindämmung der Geschäfte-
macherei mit Massenabmahnungen wurden zu Oppositi-
onszeiten von der SPD geteilt . Jetzt in Regierungszeiten
ist diese sinnvolle Forderung im Sinne von Verbrauchern
und Kleinunternehmen leider dem Koalitionsfrieden mit
der Union zum Opfer gefallen – ziemlich schwache Vor-
stellung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD .
Drittens vertut der Gesetzentwurf eine Chance für bes-
seren Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Abzocke
im Netz . Bei digitalen Diensten wie Smartphone-Apps
und Onlinespielen lauern Kostenfallen, zum Beispiel
wenn Kinder aufgefordert werden, bestimmte virtuelle
Hilfen zu kaufen, damit sie ein Onlinespiel weiterspie-
len können, oder kostenpflichtig Futter für ein digitales
Haustier zu kaufen, damit dieses nicht den virtuellen Tod
stirbt . Wir fordern die Einführung eines eigenen Buß-
geldtatbestandes in § 20 UWG für Verstöße gegen das
Verbot direkter Kaufaufforderungen gegenüber Kindern .
Vor der Sommerpause hat uns die Bundesregierung,
vertreten durch Staatssekretär Kelber, in einem Bericht-
erstattergespräch nachdrücklich darauf hingewiesen,
dass wir mit der Novellierung des UWG zeitlich in Ver-
zug sind . Um Sanktionsmaßnahmen vonseiten der EU
zu vermeiden, müssten die vom EuGH angemerkten
Veränderungen nun zügig durchgeführt werden, und es
bleibe kein Raum und keine Zeit für weitere Regelungen .
Staatssekretär Kelber hat mir bei dem Berichterstatter-
gespräch allerdings auch beigepflichtet, dass die Bun-
desregierung bei den Themen „Gewinnabschöpfungsan-
spruch“ und „fliegender Gerichtsstand“, die man auch im
UWG regeln müsste, Handlungsbedarf sehe . Wann die
Bundesregierung diese Themen aber anpacken wird, hat
sie bis heute offengelassen .
Zugleich war es mit der Novellierung des UWG wohl
dann doch nicht so eilig, denn die Bundesregierung hat
weitere vier Monate verstreichen lassen . Jetzt haben wir
zum Gesetzentwurf der Bundesregierung noch einen Än-
derungsantrag der Koalition auf dem Tisch . Mit den klei-
neren Veränderungen und vorgenommenen Korrekturen,
insbesondere bei der Veränderung der Regelbeispiele in
§ 4, können wir leben . Aber wir fragen uns schon, ob
man diese Zeit nicht auch hätte nutzen können, um die
Verbesserung des Gewinnabschöpfungsanspruchs und
die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands herbeizu-
führen . Studien und Gutachten zu diesem Thema liegen
vor; das Rad muss hier also bei den bereits seit Jahren
bekannten Problemen nicht neu erfunden werden .
Der Gesetzentwurf bleibt unter seinen Möglichkeiten
und ist so mutlos und halbherzig wie diese Große Koa-
lition .
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuor-
ganisation der Zollverwaltung (Tagesordnungs-
punkt 23)
Margaret Horb (CDU/CSU): Vor über 2 000 Jahren
hatten die Zöllner keinen besonders guten Ruf . Viele
kennen die Geschichte vom Zöllner Matthäus, den Jesus
zu einem seiner Jünger machte und der dann zu einer tra-
genden Säule im „Kabinett Jesu“ wurde .
Heute, 2 000 Jahre später, ist der Zoll eine tragende
Säule unserer Finanzverwaltung . In den letzten beiden
Jahrtausenden hat sich das Bild vom Zoll Gott sei Dank
deutlich gewandelt . Ohne die Zollverwaltung würde die
Finanz- und Sicherheitsarchitektur unseres Landes zu-
sammenkrachen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13051
(A) (C)
(B) (D)
Der Zoll erhebt Bundessteuern, Verbrauchsteuern
und Zölle . Der Zoll bekämpft organisierte Kriminalität,
Schwarzarbeit und Schmuggel . Der Zoll sichert unsere
Grenzen . Er kontrolliert die Produkte, die in unser Land
fließen und die es verlassen. Der Zoll sorgt für einen rei-
bungslosen Warenfluss und ist ein wichtiger Ansprech-
partner sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch
für die Unternehmen in unserem Land .
Die Wirtschafts- und Exportnation Deutschland
braucht eine effiziente, wirtschaftsfreundliche, ansprech-
bare Zollverwaltung . Fast 40 000 kompetente Zöllnerin-
nen und Zöllner leisten Tag für Tag in Deutschland ihren
Beitrag für den Erfolg unseres Wirtschaftsstandortes . Für
unseren Staat nehmen diese Frauen und Männer jährlich
fast 130 Milliarden Euro ein .
Ob bundesweit oder in meiner Heimat Baden-Würt-
temberg, ob im Mannheimer Hafen, am Stuttgarter Flug-
hafen oder bei der Zollfahndung in Karlsruhe – die Zöll-
nerinnen und Zöllner leisten hervorragende, wichtige
Arbeit .
Anfang Oktober hat der Zoll 370 Beamte an die Bun-
despolizei und das Bundesamt für Migration und Flücht-
linge entsandt . Freiwillig unterstützen die Zöllner uns bei
der Bewältigung der Mammutaufgabe, die Flüchtlings-
ströme in geordnete Bahnen zu lenken . Ich habe davor
großen Respekt und sage als Bürgerin und Bundestags-
abgeordnete an dieser Stelle von ganzem Herzen Danke!
Unsere Aufgabe als Politiker ist es, dafür zu sorgen,
dass der Zoll auch in Zukunft seine Aufgaben effizient
und effektiv erfüllen kann . Der Zoll hat in den letzten
Jahren deutlich an Kompetenzen und vielfältigen Auf-
gabenbereichen hinzugewonnen . Man denke nur an die
Kontrolle des Mindestlohns oder die Verwaltung der
Kfz-Steuer . Diesem gewachsenen Aufgabenspektrum
tragen wir nun durch eine umfassende Strukturreform
Rechnung .
Vielleicht beraten wir heute das am meisten unter-
schätzte Finanzgesetz dieser Legislaturperiode . Das
Gesetz zur Neuorganisation der Zollverwaltung ging
wenig kontrovers durch die parlamentarischen Beratun-
gen . Auch die Medien berichteten kaum . Und dennoch
schreibt der Bundesrat in seiner Stellungnahme: „Die mit
dem Gesetzentwurf vorgeschlagene Neuorganisation der
Zollverwaltung zählt zu den bedeutsamsten und nach-
haltigsten Strukturveränderungen in der Verwaltung des
Bundes .“ Recht hat er!
Wir richten mit diesem Gesetz eine Generalzolldi-
rektion ein . Zurzeit gibt es fünf verschiedene Bundes-
finanzdirektionen, dazu das Zollkriminalamt sowie das
Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanz-
verwaltung . Diese Behörden sind über ganz Deutschland
verteilt und unterstehen als Mittelbehörden direkt dem
Bundesfinanzministerium. Dieses Nebeneinander macht
eine Koordinierung deutlich schwerer, als es notwendig
wäre . Deshalb bauen wir die Hierarchieebene der Mit-
telbehörden ab und schaffen stattdessen an inhaltlichen
Gesichtspunkten ausgerichtete Fachdirektionen in einer
einzigen Bundesoberbehörde – der Generalzolldirektion .
Das Ergebnis sind effizientere Schnittstellen und
schnellere Entscheidungswege . Wir bekommen mehr
Fachlichkeit und eine bessere, bundesweit einheitliche
Koordinierung in die Zollverwaltung . Auch die internati-
onale Koordinierung wird einfacher werden . Der Zoll ist
auf grenzüberschreitende und europäische Zusammenar-
beit elementar angewiesen . Schließlich kontrolliert er die
Ein- und Ausfuhren unseres Landes .
Die Zöllnerinnen und Zöllner schützen uns damit
übrigens auch ganz konkret als Verbraucher, indem sie
beispielsweise die eingeführten Lebensmittel, Kosmetika
und andere Waren kontrollieren . Das gilt für die Peking-
ente aus Fernost genauso wie für Nahrungsergänzungs-
mittel aus Amerika .
Betroffen von der Umstrukturierung des Zolls sind –
und das ist wichtig – nur die bisherigen Mittelbehörden .
Die 43 Hauptzollämter, die acht Zollfahndungsämter und
die 271 Zollämter vor Ort bleiben vollständig erhalten .
Der Zoll bleibt ein lokaler Ansprechpartner für Bürgerin-
nen, Bürger und Wirtschaft .
Künftig wird er das sogar noch besser sein können als
bisher . Die Generalzolldirektion entlastet die Ortsbehör-
den von Verwaltungsaufgaben . Wir bauen Doppelstruk-
turen ab und verschlanken Entscheidungswege . Das hat
Auswirkungen auch auf den Personaleinsatz . Wir werden
künftig weniger Personal in der Verwaltung brauchen und
mehr Personal für die operative Arbeit zur Verfügung ha-
ben . Künftig wird es vor Ort also mehr Dienstposten ge-
ben . Es ist ganz entscheidend, dass wir diese regionale
Expertise der Zollverwaltung erhalten und stärken .
Sehr wichtig ist auch, dass die notwendigen Perso-
nalmaßnahmen sozialverträglich und im Einklang mit
den Beschäftigten umgesetzt werden . Standortwechsel,
beispielsweise Umzüge von Bonn nach Berlin, erfolgen
freiwillig . In der Anhörung des Finanzausschusses waren
gleich drei Gewerkschaften vertreten . Es gab in dieser
Hinsicht überhaupt keine Kritik – sehr ungewöhnlich
bei einer Strukturreform dieser Größenordnung . Es zahlt
sich aus, dass das Bundesfinanzministerium die Beschäf-
tigten über die Neuorganisation der Zollverwaltung um-
fassend informiert und beteiligt hat . Gerade als Mitglied
im Bundesvorstand der Deutschen Steuer-Gewerkschaft
freut mich das sehr .
Eine besonders wichtige Aufgabe des Zolls ist die
Zollfahndung . Hier reden wir über den Kampf gegen
organisierte Kriminalität, gegen Drogenschmuggel oder
gegen Steuerhinterziehung, um nur einige Beispiele zu
nennen . Das dafür zuständige Zollkriminalamt wird nun
ebenfalls Teil der Generalzolldirektion . Es hat jedoch
eine besondere Bedeutung und eine besondere Stellung .
Wir wissen das und berücksichtigen das auch . Die einzi-
ge Direktion innerhalb der Generalzolldirektion, die im
§ 5 a Finanzverwaltungsgesetz zwingend vorgeschrie-
ben ist, wird diejenige für den Zollfahndungsdienst sein .
Auch bei der parlamentarischen Kontrolle des Zollkri-
minalamtes gibt es überhaupt keine Abstriche . Weiterhin
muss die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag
Rede und Antwort zu den Überwachungsmaßnahmen
des Zolls stehen . Dafür gibt es das Gremium nach § 23 c
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513052
(A) (C)
(B) (D)
Absatz 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes, und daran än-
dern wir auch nichts .
Die Zollverwaltung ist mit all ihren vielfältigen Auf-
gaben eine organisatorische Einheit – auch mit dem
Zollfahndungsdienst . Diese Einheit wollen und werden
wir mit dem vorliegenden Gesetz stärken . Kurze Kom-
munikationswege zwischen den verschiedenen Teilbe-
reichen – das ist unser Ziel . Bundesweit und fachüber-
greifend wird der Zoll künftig schneller und stringenter
arbeiten und reagieren können .
Wir alle wollen ein berechenbares, partnerschaftli-
ches, handhabbares und faires Steuersystem . Dafür brau-
chen wir klare, administrierbare Gesetze, aber auch einen
effektiven Vollzug dieser Gesetze . Mit ein paar geänder-
ten Paragrafen im Einkommen- oder Umsatzsteuergesetz
ist es nicht getan . Wir müssen auch für effektive, büro-
kratiearme Verfahren in der Finanzverwaltung sorgen .
Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, gehen wir
bei der Bundeszollverwaltung genau diesen Weg .
Und diesen Weg werden wir konsequent weiter gehen.
In den kommenden Monaten werden wir im Bundestag
das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfah-
rens beraten . Wir werden unser Steuerverfahrensrecht
flexibilisieren und an die technischen Möglichkeiten des
21 . Jahrhunderts anpassen . Auch die Steuerverwaltungen
der Länder werden damit in Zukunft schneller und kun-
denfreundlicher arbeiten können .
Wir wollen eine Finanzverwaltung, die nah beim
Bürger ist, die für die Unternehmen ansprechbar ist, die
schnell und wirkungsvoll arbeitet . Dieses Ziel verfolgen
wir mit dem Gesetz zur Neuorganisation der Zollverwal-
tung, und dieses Ziel werden wir auch in Zukunft weiter
verfolgen .
Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Die Zollverwaltung
ist eine Großbehörde mit fast 40 000 Mitarbeitern . Die-
se sichern nationale und europäische Einnahmen in
dreistelliger Milliardenhöhe, vor allem im Bereich der
Verbrauchsteuern . Für das Jahr 2014 waren das ungefähr
130 Milliarden Euro . Zu den Kernaufgaben des Zolls ge-
hören die Unterbindung illegalen Handels und der Schutz
der Bevölkerung durch die Bekämpfung der grenzüber-
schreitenden Kriminalität . Ich nenne an dieser Stelle nur
einmal exemplarisch den Schmuggel von verbrauchsteu-
erpflichtigen Waren wie Zigaretten und Alkohol, Dro-
gen-, Waffenschmuggel, Markenpiraterie, Geldwäsche,
Artenschutz (Handel mit geschützten Tier- und Pflanzen-
arten), Einfuhr verbotener Arznei- und Lebensmittel und
vieles andere mehr .
Mit dem Wegfall der Grenzkontrollen – Stichwort
„Schengen“ – wurde der Zoll für viele Bürger weniger
erfahrbar und unsichtbarer . Aufgabenspektrum und Be-
deutung des Zolls aber sind seitdem nicht weniger ge-
worden – ganz im Gegenteil, sie haben sogar zugenom-
men . Ich nenne hier die Finanzkontrolle Schwarzarbeit,
die seit 2004 vom Zoll übernommen wurde, die jüngst
hinzugekommene Übernahme der Verwaltung der Kraft-
fahrzeugsteuer von den Ländern und die Kontrolle des
gerade von der Bundesregierung beschlossenen gesetzli-
chen Mindestlohnes .
Um dem wachsenden Aufgaben gerecht werden zu
können, hat die Regierung jetzt eine umfassendere Neu-
organisation der Zollverwaltung beschlossen, die wir
heute im Bundestag verabschieden .
Der umfangreiche gesetzliche Auftrag erfordert eine
zielgerichtete und effiziente Steuerung. Wesentliches
Element der Reform ist daher die Schaffung einer Ge-
neralzolldirektion als zentrale Oberbehörde in Bonn .
In diese werden die fünf Bundesfinanzdirektionen und
die Bereiche aus dem Finanzministerium, die nicht der
Gesetzgebung dienen, überführt . Das Zollkriminalamt
bleibt innerhalb der Generaldirektion als eigenständige
Abteilung bestehen . Die neue Einheit „Generalzolldirek-
tion“ wird unmittelbar dem Bundesfinanzministerium
unterstellt .
In den vergangenen Wochen und Monaten wurden
diese Reformüberlegungen der Bundesregierung in den
Gremien intensiv beraten . In einer Anhörung hatten die
betroffenen Interessenvertretungen Gelegenheit, Kritik
und Verbesserungsvorschläge darzulegen . Die meisten
Verbände unterstützen diesen Ansatz im Grundsatz . Die
Reform wird bestehende Strukturen effizienter gestalten
und verschlanken – Hierarchieebenen abbauen .
Leitbild der Regierung war der Erhalt des Zolls als
Einheit von Finanzverwaltung und Vollzug . Durch die
Zusammenführung von Teilen der Abteilung III mit den
Bundesfinanzdirektionen in der Generalzolldirektion
als einheitliche Organisationseinheit wird die bisherige
Strukturentwicklung in der Zollverwaltung zur Stärkung
der Fachlichkeit konsequent fortgeführt. Die Strukturen
werden weiter gestrafft und die Aufgabenwahrnehmung
durch den unmittelbaren Geschäftsweg zwischen steu-
ernder Ebene (GZD) und operativer Ebene (Ortsbehör-
den) weiter optimiert .
Nur die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat eine da-
von abweichende Meinung vertreten . Die GdP lehnt eine
Integration des Zollkriminalamtes als Teil der General-
direktion ab . Vielmehr sollte das Zollkriminalamt als
eigenständige Oberbehörde neben der Generaldirektion
eingerichtet werden und die Durchführung aller Kon-
troll- und Ermittlungstätigkeiten leiten .
Dieser Position sind die Koalitionsfraktionen und auch
ich selbst nicht gefolgt . Mit Blick auf das sehr komple-
xe Aufgabenspektrum der Zollverwaltung teilen wir die
Haltung der Bundesregierung, dass es unerlässlich ist,
die gesamte Führungsebene, welche die operativen Auf-
gaben steuert, in der Generalzolldirektion zu zentralisie-
ren . Nur hierdurch kann ein enges Zusammenwirken der
verschiedenen fachlichen Aufgabenbereiche mit den zur
Durchsetzung des Rechts ermittelnd oder präventiv täti-
gen Vollzugsbereichen ermöglicht werden . Die Einrich-
tung einer weiteren Oberbehörde nach den Vorstellungen
der GdP würde eine strikte Trennung strategischer und
operativer steuernder Aufgaben beinhalten . Ein zentrales
Anliegen der Strukturreform, nämlich kurze Entschei-
dungswege zwischen den Ebenen der Zollverwaltung zu
schaffen, würde so konterkariert .
Die Strukturreform der Bundesregierung beinhaltet
aber notwendige Umstrukturierungen im Bereich des
Zollkriminalamtes, der neuen Direktion 8 in der General-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13053
(A) (C)
(B) (D)
direktion, um auch die Arbeit des Zollkriminalamtes zu
erleichtern und zu optimieren . Die Aufgaben der Direk-
tion 8 werden zukünftig von drei neu aufgestellten Ab-
teilungen wahrgenommen . Eine davon ist die Abteilung
„Unterstützung Zollfahndungsdienst“ . Dort werden die
ermittlungs- und einsatzbezogenen Unterstützungsauf-
gaben gebündelt . Zur Ermittlungsunterstützung gehören
insbesondere alle Fragen der Spezialeinheiten des Zolls,
die ermittlungstaktische Einsatzunterstützung, die Tele-
kommunikationsüberwachung und der Lagebereich . Das
Zollkriminalamt wird sich dadurch künftig in vollem
Umfang auf die Wahrnehmung seiner fachlichen Auf-
gaben konzentrieren können, da die bislang im Zollkri-
minalamt wahrgenommenen allgemeinen Verwaltungs-
aufgaben, die nicht zollfahndungsspezifisch sind, in die
Zentraldirektionen verlagert werden .
Ausdrücklich begrüße ich, dass die Regierung mit der
Reform kein Personal abbauen möchte . Stellen, die durch
Neu- und Umorganisation der Verwaltungsstrukturen an
der einen Stelle frei werden, entfallen nicht, sondern
werden dorthin verlagert, wo sie im Zuge der Neuorga-
nisation benötigt werden . Es steht außer Frage, dass der
Zoll heute und zukünftig jede Fachkraft benötigt . Der
demografische Wandel wird auch am Zoll nicht spurlos
vorbeigehen . Personalgewinnung bleibt ein zentrales
Thema – nicht der Abbau! Die Herausforderungen sind
und bleiben groß: Ich erinnere an die 1 600 zusätzlichen
Stellen für die Mindestlohnkontrolle, die gewonnen und
ausgebildet müssen .
Der Zoll bleibt auch in der Fläche in vollem Umfang
präsent . Kein Standort wird geschlossen . Das gilt für die
ehemaligen Bundesfinanzdirektionen ebenso wie für die
43 Hauptzollämter und die acht Zollfahndungsämter . Die
Fachkompetenz „vor Ort“ und „in der Fläche“ kann so
erhalten werden .
Ich halte die heute zur Abstimmung vorliegenden Re-
formüberlegungen für geeignet, den Zoll fit für die Zu-
kunft zu machen, und empfehle daher, dem Gesetzent-
wurf zuzustimmen .
Richard Pitterle (DIE LINKE): Die Bundesregierung
will die Zollverwaltung neu organisieren und schafft da-
bei mit der Generalzolldirektion eine ineffiziente und un-
übersichtliche Mammutbehörde . Mehr noch: Wenn man
diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung in menschli-
che Gestalt gießen wollen würde, dann erhielte man wohl
eine Figur mit Wasserkopf, die unter dem einen Arm eine
Schreibmaschine und unter dem anderen ein geladenes
Maschinengewehr trägt . Klingt erst einmal albern, ist
aber leider nicht ganz fern der Realität . Ich will Ihnen
das einmal an ein paar Beispielen verdeutlichen .
Erster Punkt . Unter dem Präsidenten der General-
zolldirektion wird eine letztlich überflüssige neue Hie-
rarchieebene mit neun hochbesoldeten Direktionspräsi-
denten geschaffen, bei denen man teils wohl Bedenken
haben muss, dass sie sich zu Tode langeweilen werden .
Denn allein fünf dieser Direktionspräsidenten haben je-
weils nur eine Abteilung unter sich, die alle bereits einen
Abteilungsleiter haben . Warum diesen dann jeweils ein
Direktionspräsident vorgesetzt wird, weiß der Himmel,
zumal diese zusätzliche Leitungsebene nicht ganz billig
ist . Wir sprechen hier immerhin von einem jeweiligen
monatlichen Grundgehalt von deutlich über 9 000 Euro .
Hier wird der Zollverwaltung zulasten der Steuerzahle-
rinnen und Steuerzahler ein stattlicher Wasserkopf auf-
gesetzt .
Zweiter Punkt: die Einbindung des Zollkriminalamtes
in die Generalzolldirektion . Was stellt man sich gemein-
hin unter dem Stichwort Zoll vor? Wahrscheinlich den-
ken jetzt viele zum Beispiel an die Zollbeamtinnen und
Zollbeamten bei der Einreise an den Flughäfen . Kaum
jemand dürfte jedoch die Kfz-Steuer im Kopf haben .
Generell kann man beim Zoll zwei große Aufgabenbe-
reiche voneinander unterscheiden: zum einen die Finanz-
verwaltungsaufgaben, wo es zum Beispiel um die Erhe-
bung von Zöllen und Steuern wie eben der Kfz-Steuer
geht, und zum anderen die Aufgaben der Kriminalitäts-
bekämpfung, Stichwort Geldwäsche oder Waffen- und
Drogenschmuggel . Auf der einen Seite also der klassi-
sche Finanzbeamte, der am Schreibtisch sitzt und Akten
bearbeitet, und auf der anderen Seite eine Beamtin mit
schusssicherer Weste und Pistole im Anschlag .
Das eine hat mit dem anderen nur wenig zu tun . Des-
wegen wäre es sinnvoll, diese Aufgabenbereiche zu tren-
nen und das Zollkriminalamt zu einer eigenständigen
Behörde im Bereich des Bundesfinanzministeriums zu
machen . Die Linke hat das mit ihrem Antrag zur Errich-
tung einer Bundesfinanzpolizei schon vor Jahren gefor-
dert .
Dritter und letzter Punkt: parlamentarische Kontrolle .
Das Zollkriminalamt ist befugt, Maßnahmen vorzuneh-
men, die weit in Grundrechte eingreifen, so zum Beispiel
bei der präventiven Post- und Telekommunikationsüber-
wachung . Wenn aber schon Briefe geöffnet und Tele-
fonate abgehört werden können, ist es enorm wichtig,
dass hier eine ausreichende parlamentarische Kontrol-
le besteht . Für die Überwachung von Bürgerinnen und
Bürgern muss jemand dem Bundestag auch Rede und
Antwort stehen . Wer das jedoch genau sein soll, ist nach
dem Gesetzentwurf nicht wirklich ersichtlich . Dem Prä-
sidenten der Generalzolldirektion und dementsprechend
eigentlichen Behördenleiter stehen die Abhörbefugnisse
nach dem Zollfahndungsdienstgesetz gar nicht zu . Der
für den Zollfahndungsdienst zuständige Direktionsprä-
sident ist wiederum kein Behördenleiter, sondern unter-
steht dem Präsidenten der Generalzolldirektion . Meine
Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie schaf-
fen hier einen verfassungsrechtlich bedenklichen Kud-
delmuddel, durch den keiner mehr durchblickt .
Schlussendlich muss ich also festhalten: Diese Neu-
organisation ist eine Falschorganisation, der die Linke
nicht zustimmen wird .
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Insbeson-
dere vor dem Hintergrund der Problematik Steuerhinter-
ziehung unterstützen wir grundsätzlich das Ziel des vor-
liegenden Gesetzentwurfs, die Zollverwaltung, und dabei
vor allem die operative Ortsebene, zu stärken . Die Me-
thoden der organisierten Kriminalität werden von Jahr zu
Jahr raffinierter, und damit erweitert sich auch das Auf-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513054
(A) (C)
(B) (D)
gabenspektrum des Zolls kontinuierlich . Zu nennen sind
die Überwachung des mit unserer Unterstützung einge-
führten gesetzlichen Mindestlohns, die Bekämpfung des
Schwarzmarktes und der illegalen Beschäftigung sowie
die Erhebung und Verwaltung der Kfz-Steuer und der
Verbrauchsteuern .
Es ist daher richtig und wichtig, den zunehmend kom-
plexer werdenden Aufgaben mit einer effektiven und effi-
zienten Struktur der Zollverwaltung Rechnung zu tragen .
Genauso wichtig ist es aber auch, für eine ausreichend di-
cke Personaldecke zu sorgen . Die ganze Strukturreform
wird auf jeden Fall verpuffen, wenn die Personalausstat-
tung des Zolls nicht aufgabenadäquat ist. Und wir wissen
schon seit längerem, dass der Zoll unterbesetzt ist – ein
Problem, das als Nächstes angegangen werden muss .
Wir begrüßen vor diesem Hintergrund, dass die Neuor-
ganisation der Zollverwaltung mit den Gewerkschaften
abgestimmt wurde und nicht mit einem Personalabbau
einhergeht .
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Übersiedlung der
Abteilung III des Bundesministeriums der Finanzen nach
Berlin ist längst überfällig, auch wenn das nach Auskunft
des Bundesfinanzministeriums bedeutet, dass lediglich
circa 70 Mitarbeiter nach Berlin wechseln . Fragwürdig
ist, warum im Jahr 2015 eine derart große Behörde mit
bis zu 7 000 Mitarbeitern mit Sitz in Bonn geschaffen
wird . Ich bin mir nicht sicher, ob das dem Geist des Ber-
lin-Bonn-Gesetzes entspricht .
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, insbeson-
dere in der Anhörung und während des Berichterstatter-
gesprächs, wurde deutlich, dass eine konkrete Evaluation
der bisherigen Zollverwaltungsstruktur nicht stattgefun-
den hat .
Inwieweit genau die neue Organisationsstruktur effek-
tiver und effizienter sein wird, muss sich erst noch zei-
gen . Das Gesetz allein überzeugt da noch nicht . Auch die
derzeitige Struktur mit den fünf Bundesfinanzdirektionen
wurde seinerzeit mit der gleichen oder einer ähnlichen
Begründung eingeführt . Wir nehmen die Kritik der Ge-
werkschaft der Polizei ernst, wonach mit der General-
zolldirektion eine – Zitat – „Mammutbehörde“ entsteht,
an deren Effektivität und Effizienz Zweifel bestehen. Im-
merhin wird als Ersatz für die sechs Mittelbehörden eine
Generalzolldirektion geschaffen, die in neun Direktio-
nen unterteilt ist . Auf eine Verschlankung, wie sie in der
Gesetzesbegründung angeführt ist, lässt das erst einmal
nicht schließen . Insgesamt wurden uns im Rahmen des
Gesetzgebungsverfahrens nur wenige Sachargumente für
die vorgeschlagene Organisationsstruktur geliefert .
Es fehlt aus unserer Sicht ganz klar eine konkrete
Analyse der bisherigen Struktur, mit deren Ergebnissen
die vorliegende Neuorganisation hätte begründet werden
können . Ohne eine umfassende Analyse der Ist-Situation
wird eine Bewertung einer neuen Verwaltungsstruktur
jedoch schwierig .
Es bleibt bis heute unverständlich, auf welcher Grund-
lage zum Beispiel die bis zu 300 Arbeitskräfte ermittelt
wurden, die dank der angeblich zu erwartenden – Zitat –
„Effizienzrendite“ mittelfristig für die operativ tätigen
Zollämter frei werden sollen . Diese Zahlen wirken wie
aus der Luft gegriffen und sind in keiner Weise nachvoll-
ziehbar .
Wir fordern eine regelmäßige Überprüfung der im Zu-
sammenhang mit der Neuorganisation vorgenommenen
Änderungen hinsichtlich ihrer Effizienz und Effektivität.
Wir unterstützen die Forderung des Bundesrates, dass
drei Jahre nach Errichtung der Generalzolldirektion ein
Evaluierungsbericht vorzulegen ist .
Mit dieser Reform wurde die Chance vertan, die bis-
herige Organisation der Zollverwaltung einer Evaluation
zu unterziehen und im Anschluss daran sinnvolle Än-
derungen vorzunehmen . Daher wird sich die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei der Abstimmung über den
vorliegenden Gesetzentwurf enthalten .
Die zu dem Gesetzentwurf vorliegenden Änderungs-
anträge zum Energie-, Strom- und Tabaksteuergesetz
beruhen auf zwingenden Vorgaben aufgrund von EU-
Recht . Im Falle der Anpassungen bei der Strom- und
Energiesteuer halten wir die zusätzliche Transparenz für
die als Beihilfe eingestuften Vergünstigungen auch in-
haltlich für sehr begrüßenswert . Den Änderungen stim-
men wir daher zu .
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsän-
derungsgesetzes (7. BesÄndG) (Tagesordnungs-
punkt 24)
Oswin Veith (CDU/CSU): Mit dem heute von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Siebten
Besoldungsänderungsgesetzes diskutieren wir eine No-
vellierung dieses Gesetzes . Ziel dieser Gesetzesänderung
ist die Angleichung der Besoldungsregelungen für Bun-
desbeamte und Soldaten . Dieser Gesetzentwurf knüpft an
das in diesem Frühjahr verabschiedete Gesetz zur Stei-
gerung der Attraktivität der Bundeswehr an und bringt
weitere Verbesserungen für unsere Soldatinnen und Sol-
daten, Bundespolizistinnen und Bundespolizisten und
Beamtinnen und Beamten .
Richten wir unseren Blick zunächst auf die Bundes-
wehr: Derzeit müssen Soldatinnen und Soldaten zum Teil
zusätzliche Dienstzeiten absolvieren, um in die nächst-
höhere Erfahrungsstufe zu gelangen . Auch werden prak-
tische Fähigkeiten, die vor Eintritt in die Bundeswehr
erworben werden, nicht individuell anerkannt . Das ist
meines Erachtens eine Ungleichbehandlung, die unbe-
gründet ist . Das haben wir erkannt und schaffen diese
Sonderregelungen für die Stufenlaufzeit ab .
Jungen Soldatinnen und Soldaten wird somit ein
schnellerer Aufstieg in die zweite Erfahrungsstufe er-
möglicht . Auch langdienende Soldatinnen und Soldaten
profitieren davon, da diese nun ebenfalls schneller in hö-
here Stufen aufsteigen können . Ich halte diesen beschleu-
nigten Aufstieg für eine sehr gute Idee, zumal dies auch
eine verbesserte Bezahlung bedeutet .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13055
(A) (C)
(B) (D)
Jeder Arbeitgeber profitiert von bereits gemachten Er-
fahrungen des Arbeitnehmers . So auch die Bundeswehr .
Warum sollte man dies nicht zumindest bei der Einstu-
fung in den Dienstgrad honorieren? Für all jene, die mit
beruflichen Vorerfahrungen zur Bundeswehr kommen,
wird es künftig möglich sein, diese Erfahrungen anerken-
nen zu lassen und ebenfalls in eine höhere Erfahrungs-
stufe eingestuft zu werden . Bereits erbrachte Leistungen
werden so anerkannt, auch wenn sie nicht im direkten
Zusammenhang mit der Bundeswehr stehen . Das sind
Anreize, die junge, dynamische Menschen von einer
Karriere bei der Bundeswehr überzeugen .
Weiterhin schaffen wir eine Rechtsgrundlage für die
truppenärztliche Versorgung der Soldatinnen und Solda-
ten bei ansonsten gleichbleibendem Leistungsumfang .
Mit dieser Änderung werden die tragenden Strukturprin-
zipien der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung
grundsätzlich gesetzlich festgelegt .
Besonders freut mich, dass auch die Feuerwehrbeam-
ten der Bundeswehr berücksichtigt werden . Gingen diese
doch beim ersten Anlauf im Frühjahr dieses Jahres leer
aus . Wir holen das Versäumte jetzt nach und erhöhen die
Feuerwehrzulage um 40 Prozent .
So beschließen wir schon ein zweites Mal in diesem
Jahr Änderungen bzw . Verbesserungen für unsere Sol-
datinnen und Soldaten . Das ist nicht nur ein Zeichen an
unsere Soldatinnen und Soldaten, sondern auch ein Zei-
chen dafür, dass wir als Koalition die Umgestaltung der
Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber ernst
nehmen und anpacken .
Weitere Änderungen im Zuge dieser Gesetzesnovel-
lierung betreffen unter anderem die Regelungen zur
Besoldung von Teilzeitbeschäftigten während der In-
anspruchnahme eines unionsrechtlich gewährleisteten
Mindesturlaubes aus vorangegangener Vollzeitbeschäf-
tigung . Zudem wird klargestellt, dass dauernd getrennt
lebende Eltern einheitlich nur einen Familienzuschlag
nach der Stufe 1 erhalten, auch wenn das gemeinsame
Kind bei beiden Elternteilen zu gleichen Teilen wohnt,
und wir erstrecken die Leistungsbesoldung auf Richte-
rinnen und Richter, die kein Richteramt ausüben, sowie
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte . Mit Letzterem er-
weitern wir den Personenkreis, der eine Leistungsprämie
oder Leistungszulage erhalten kann . Künftig können nun
herausragende Leistungen von Richterinnen und Rich-
tern, die aufgrund einer Abordnung kein Richteramt
ausüben, sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ho-
noriert werden .
Somit enthält der Gesetzentwurf viele Neuerungen,
die auch den Bundesbeamteninnen und -beamten, Bun-
despolizistinnen und Bundespolizisten, Richterinnen und
Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten
zugutekommen und besoldungsrechtliche Korrekturen
bringen .
Um noch Weiteres auf den Weg zu bringen, haben wir
im parlamentarischen Verfahren noch einige Maßnahmen
ergänzt, um unsere Bundesbeamten, welche aufgrund der
derzeitigen Situation Mehrarbeit leisten müssen, zu ent-
lasten . Uns ist mehr als bewusst, dass angesichts der ak-
tuellen Entwicklung Mehrbelastungen gezielt honoriert
werden müssen . Vor allem unsere Beamten beim Bun-
desamt für Migration und Flüchtlinge sind über die Ma-
ßen gefordert . Aufgrund der steigenden Zahl der Asylbe-
werber werden die Anforderungen an die Bediensteten
sowohl qualitativ als auch quantitativ steigen. Wir sind
uns der Bedeutung dieser Aufgabe und der damit verbun-
denen hohen Belastungen bewusst .
Um dies auch zu zeigen, führen wir eine Stellenzulage
ein . Dies bedeutet eine Erhöhung der monatlichen Bezü-
ge für die Beamten, die aufgrund der derzeitigen Situati-
on Mehrarbeit leisten .
Es erfolgt zudem die Hebung des Präsidenten des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von B 8 auf
B 9 unter Schaffung einer zweiten Vizepräsidentenstelle .
Eine weitere Hebung betrifft den Präsidenten des Bun-
desamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufga-
ben . Dieser wird künftig nach B 7 besoldet .
Zugleich haben Beamte, die aufgrund der Flücht-
lingssituation ihren Dienst vorübergehend nicht an ihrem
Heimatort ableisten können, nunmehr den Anspruch auf
die Erstattung einer wöchentlichen Heimreise . Ich muss
gestehen: Diese neue Regelung freut mich persönlich
ganz besonders . Auch ich war in meiner Zeit als Bun-
desbeamter abgeordnet, und eine Heimfahrt war bzw . ist
nur alle zwei Wochen erstattet worden . Was das – gerade
für junge Familien – bedeutet, will ich an dieser Stel-
le nicht ausführen . Eines sei gesagt: Die wöchentlichen
Heimfahrten für Abordnungen aufgrund der Flüchtlings-
situation sind ein Schritt in die richtige Richtung, wenn
auch nur ein kleiner . Ich hätte mir an dieser Stelle mehr
gewünscht .
Wir führen eine Erhöhung der Zulage für den Dienst
zu ungünstigen Zeiten zugunsten von Beamtinnen und
Beamten, die an Feiertagen, während der Nacht und
an Wochenenden Dienst leisten müssen, ein . Daneben
schaffen wir eine Zulage für Beamtinnen und Beamte,
die kurz vor der Pensionierung ihr Dienstverhältnis ver-
längern, um bei der Bewältigung einer besonderen Lage
zu unterstützen . Es wird eine Umstellung der monats-
weisen Anrechnung beim Hinzuverdienst auf eine Jah-
resbetrachtung geben . Dies wird dazu führen, dass bei
Verdienstspitzen – etwa bei kurzfristigen Tätigkeiten –
diese regelmäßig anrechnungsfrei bleiben können . Bei
den Planoberstellen haben wir einen Kompromiss ge-
funden, der sich ebenfalls durchaus sehen lassen kann .
Die Obergrenzen für Beförderungsämter gleichen wir so
an, dass die nachteiligen Effekte der großen Gegensätze
innerhalb der Bundesverwaltung gemildert werden und
es eine Angleichung auf einem höheren Gesamtniveau
gibt . Zukünftig wird die Obergrenze bei der Besoldungs-
gruppe A 8 im mittleren Dienst 40 Prozent betragen – an-
statt wie bisher 30 Prozent – und die Obergrenze bei der
Besoldungsgruppe A 9 – anstatt der bisher 8 Prozent –
40 Prozent .
Das sind alles sehr gute Maßnahmen und Neuerun-
gen, mit welchen wir unsere Wertschätzung für die im
öffentlichen Dienst erbrachte hervorragende Arbeit zum
Ausdruck bringen . Ich möchte an dieser Stelle nochmals
betonen, dass unser funktionierender öffentlicher Dienst
einer der wichtigsten Standortfaktoren ist, und nicht nur
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513056
(A) (C)
(B) (D)
Unternehmen wissen das zu schätzen . Zu verdanken ha-
ben wir das dem Einsatz und der Professionalität unserer
Bundesbeamteninnen und -beamten .
Im Hinblick auf die überdurchschnittlichen Belastun-
gen der Beamten aufgrund der derzeitigen Flüchtlings-
krise sind diese Regelungen mehr als nötig, um unseren
Beamten zu zeigen, dass wir sie nicht im Regen stehen
lassen .
Zum Abschluss will ich sagen, dass dieser Gesetz-
entwurf, der heute zur Abstimmung steht, ein Ergebnis
langer Verhandlungen ist . Wir haben es uns auch im
parlamentarischen Verfahren nicht einfach gemacht . Es
gilt wie immer der Grundsatz: Kein Gesetz verlässt den
Bundestag so, wie es eingebracht wurde . Aber wir ha-
ben – aus meiner Sicht – viele Stolpersteine beseitigt und
Wesentliches und Richtiges auf den Weg gebracht . Dem
Gesetzentwurf ist zuzustimmen .
Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): „Neue Herausfor-
derungen erfordern neue Wege“, so schrieb es der Dich-
ter und Erfinder Gottfried Niebaum im 19. Jahrhundert.
Die Geschichte Europas hat für die Menschen der Zeit
immer Herausforderungen bereitgehalten, die mit neuen
Aufgaben und veränderten Perspektiven verbunden wa-
ren . Auf diesem Weg haben sich Gesellschaften fortent-
wickelt und ihren Horizont erweitert . Und das ist auch
gut so!
Auch jetzt stehen Deutschland und Europa vor Her-
ausforderungen . Die Zuwanderung der vielen Menschen,
die bei uns zeitweise oder dauerhaft ein neues Zuhause
suchen, wird uns verändern, wird uns weiterentwickeln
und voranbringen, und auch das ist gut so! Natürlich ist
der Weg nicht einfach, und selbstverständlich ist er auch
mit Herausforderungen verbunden . Das will niemand
verschweigen . Und das erfordert auch, dass wir schnell
und unbürokratisch auf die Veränderungen reagieren und
durch unsere gesetzgeberische Tätigkeit dort unterstüt-
zen, wo Menschen gerade eine unglaublich wichtige Ar-
beit leisten .
Es sind zum einen die vielen Ehrenamtlichen, die sich
seit Monaten dieser Aufgabe stellen und denen wir auch
von dieser Stelle aus ein großes Dankeschön senden wol-
len . Aber es sind zum anderen natürlich auch die, die in
den Behörden jeden Tag eine ganz überragende Arbeit
leisten und dabei viel weniger im Rampenlicht stehen –
unsere Beamtinnen und Beamten . Sie sind es, die sich
tagtäglich den inzwischen zu wahren Bergen angewach-
senen Aufgaben stellen . Ihr unermüdlicher Einsatz und
ihre Motivation verdienen unseren Respekt und unseren
ausdrücklichen Dank . Es ist unsere Aufgabe, ihnen die
Tätigkeit zu erleichtern und sie durch geeignete Rahmen-
bedingungen zu unterstützen . Und das tun wir heute mit
den Änderungen, die wir im Siebten Besoldungsände-
rungsgesetz vornehmen .
Der Gesetzentwurf verfolgt im Wesentlichen zwei
Ziele . Zum einen möchte er Anreizsysteme schaffen,
um kurzfristig Personal für die mit den Flüchtlingen be-
fassten Behörden zu gewinnen, um die Beamtinnen und
Beamte zu entlasten . Zum anderen möchte er Anpassun-
gen vornehmen, die durch Strukturveränderungen und
veränderte Aufgaben entstanden sind, und dabei auch
Ungleichgewichte zwischen zivilem und militärischem
Personal abbauen .
Lassen Sie mich Ihnen die Absichten kurz erläutern .
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge braucht
insbesondere Menschen, die über Kenntnisse im Verwal-
tungsapparat verfügen und mit den Verfahren vertraut
sind . Da liegt es nahe, zunächst nach innen zu blicken
und zu fragen: Wie können die Beamtinnen und Beamte
länger gehalten oder wie können sie kurzfristig für einen
befristeten Zeitraum zurückgewonnen werden? Und mit
welchen Mitteln kann das am besten gelingen? Der Ge-
setzentwurf der Bundesregierung sieht vor, das vor allen
Dingen über Anreizsysteme zu schaffen . So ist in dem
Entwurf vorgesehen, die Beschäftigten über eine 5-pro-
zentige Gehaltszulage für einen späteren Renteneintritt
zu gewinnen. Darüber hinaus sollen weitere finanzielle
Anreize wie Erschwerniszulagen und andere Zuschläge
die Attraktivität des Dienstes steigern . Bereits pensio-
nierte Beamtinnen und Beamte sollen auch dadurch zu-
rückgewonnen werden, dass die Hinzuverdienstgrenzen
verändert und Ausnahmeregelungen für Verwendungs-
einkommen geschaffen werden . Daneben sollen auch sie
von den Zulagen profitieren. Es ist ein guter Weg, über-
durchschnittliches Engagement finanziell zu honorieren
und Anreize für einen Verbleib in der Behörde zu setzen .
Die Veränderungen des Siebten Besoldungsänderungsge-
setzes flankieren damit die Maßnahmen, die vom Bun-
destag bereits in den letzten Wochen beschlossen wur-
den, wie das Asylpaket, das auf eine Beschleunigung der
Asylverfahren abzielt . Wir werden den weiteren Verän-
derungsbedarf fortlaufend zu analysieren und dann ge-
gebenenfalls auch weitere Maßnahmen zu treffen haben .
Neben dem akuten Veränderungsbedarf, dem wir mit
dem Gesetzentwurf Rechnung tragen, gibt es auch Verän-
derungen, die sich langsamer und erst im Laufe der Zeit
herauskristallisiert haben . Auch auf die wollen wir mit
dem Gesetzentwurf eingehen . Dazu gehört zum einen,
dass wir auf Entwicklungsprozesse reagieren, die infolge
der Bundeswehrreform entstanden . Viele der Anwärterin-
nen und Anwärter verfügen über Masterabschlüsse und
haben auch bereits berufliche Erfahrungen durchlaufen,
bevor sie zur Bundeswehr gelangen . Diese Zeiten wollen
wir bei den Erfahrungszeiten stärker berücksichtigen und
dann auch bei der Einstufung honorieren . Zum anderen
wollen wir das noch bestehende Ungleichgewicht zwi-
schen zivilen Beamtinnen und Beamten und Soldatin-
nen und Soldaten abbauen . Dazu werden wir die noch
verbliebenen soldatenspezifischen Regelungen streichen
und Vereinheitlichungen bei den Stufenlaufzeiten herbei-
führen. Das setzt über die damit verbesserten finanziel-
len Perspektiven auch Anreize für den Einstieg junger
Menschen in den Militärdienst . Zudem greifen wir in
dem Gesetzentwurf den Veränderungsbedarf auf, der aus
der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis herrührt .
Hinzu kommen Verbesserungen bei der Urlaubsregelung,
bei der truppenärztlichen Versorgung sowie Klarstellun-
gen bei der Elternzeit .
Die Veränderungen durch das Siebte Besoldungsän-
derungsgesetz sind vielschichtig und kommen den Men-
schen zugute, die in diesen Zeiten mit hohem Verant-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13057
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(B) (D)
wortungsbewusstsein einen ganz herausragenden Dienst
leisten: unsere Beamtinnen und Beamten und Soldatin-
nen und Soldaten . Ich bitte Sie, dem durch Ihre Zustim-
mung Rechnung zu tragen .
Katrin Kunert (DIE LINKE): Mit dem Siebten Be-
soldungsänderungsgesetz will die Bundesregierung nun
einige Anpassungen nachholen, die eigentlich bereits mit
dem Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz vorge-
nommen werden sollten . Schon damals waren Sie nicht
in der Lage, einen Gesetzentwurf aus einem Guss vorzu-
legen, sodass die besoldungsrechtliche Behandlung von
Beamtinnen und Beamten ausgeklammert blieb .
Immerhin – so viel kann zumindest festgestellt wer-
den – wurden jetzt einige der gröbsten Ungerechtigkeiten
korrigiert: Die Entscheidung des Europäischen Gerichts-
hofs vom 13 . Juni 2015 zur vollständigen Abgeltung von
Urlaubstagen wird umgesetzt . Das war auch längst über-
fällig! Selbstverständlich müssen die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer auch bei einem Wechsel von einem
Vollzeitarbeitsverhältnis in ein Teilzeitbeschäftigungs-
verhältnis den EU-weiten Mindesturlaubsanspruch von
20 Tagen bekommen . Es ist gut, dass Urlaubstage wie
auch deren Vergütung nunmehr nach dem Anspruch des
Vollzeitbeschäftigungsverhältnisses geregelt werden .
Die Linke begrüßt ebenfalls, dass in der Bundeswehr
die Sonderregelungen für die Stufenlaufbahn aufgehoben
werden, sodass langgediente Soldatinnen und Soldaten
schneller in höhere Stufen aufsteigen können . Für Neu-
einstellungen in höheren Diensträngen sollen künftig
auch andere hauptberufliche Tätigkeitszeiten anerkannt
und bei Beförderungen die bisherigen Erfahrungszeiten
innerhalb des Dienstes verkürzt werden . Aus beamten-
rechtlicher Perspektive ist das richtig . Dass verstärkt
Bewerberinnen und Bewerber mit beruflichen Vorquali-
fikationen angesprochen werden sollen, ist legitim. Sol-
datinnen und Soldaten sollen nach unserer Auffassung
nicht schlechter gestellt werden als Beamtinnen und Be-
amte mit zivilen Aufgaben .
Diese Besoldungsverbesserungen finden aber nicht im
luftleeren Raum statt . Natürlich geht es auch darum, im
Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr die Attrak-
tivität des Soldatenberufs zu erhöhen . Dieses Ziel kön-
nen wir nicht mittragen . Deutschland braucht vor allem
eine berufliche Attraktivitätssteigerung für das Bildungs-
und Sozialwesen, das jahrelang vernachlässigt wurde . Es
werden händeringend Lehrer, Krankenschwestern und
Pflegekräfte benötigt. Darum sollten Sie sich kümmern!
Das Siebte Besoldungsänderungsgesetz treibt den
Umbau der Bundeswehr, weg von der Verteidigungsar-
mee hin zur Armee im Dauereinsatz, voran . Sie wollen
zum Beispiel die Planstellenobergrenzen für die höhere
Dienstlaufbahn, zum Beispiel für Feldwebel, anheben .
In Verbindung mit dem Zulagensystem sollen damit ver-
mehrt qualifizierte Führungskräfte für mehr Auslandsein-
sätze der Bundeswehr gewonnen werden . Das lehnt die
Linke ab . Wir benötigen für die Bewältigung der Flücht-
lingskrise nicht noch mehr Auslandseinsätze der Bun-
deswehr in Konfliktregionen, sondern eine Bekämpfung
der Fluchtursachen . Dazu gehört als Erstes: Es darf keine
Waffen- und Rüstungsexporte in Krisengebiete oder an
autoritäre Regime geben! Jede Waffe findet ihren Krieg!
Dass in der saudischen Golfdiktatur ein menschenrechts-
konformer Umgang mit den gelieferten Waffen stattfin-
det, glauben Sie doch nicht einmal mehr selbst .
Kurz vor Toresschluss haben die Koalitionsfraktionen
noch einen 30-seitigen Änderungsantrag zum eigenen
Gesetzentwurf eingebracht . Das ist eine echte Zumutung
und zeigt, dass die Halbwertzeit Ihrer Gesetzentwürfe
nicht einmal mehr bis zur Abstimmung reicht . Der Ände-
rungsantrag enthält zudem ein ganzes Bündel von Maß-
nahmen, die nichts mit dem eigentlichen Gegenstand des
Gesetzentwurfs zu tun haben .
So sind für den Bundespolizeidienst Ausnahmen bei
den gesetzlichen Obergrenzen für die Beförderung vor-
gesehen . Das ist zu begrüßen, weil damit endlich der
Beförderungsstau, der sogenannte Obermeisterbauch,
abgebaut werden kann . Dass dies in Zeiten der Flücht-
lingskrise plötzlich möglich wird, zeigt aber, dass Ihre
bisherige Personalpolitik einfach verfehlt war . Das hat
die Linke immer schon kritisiert . Wegen des akuten Per-
sonalnotstands sollen nun sogar Ruheständlerinnen und
Ruheständler zurück in den Dienst geholt werden . Das
kann nur eine kurzfristige Lösung sein . Die Linke for-
dert, dass vor allem neue Stellen, auch im Polizeidienst,
geschaffen und ausgeschrieben werden, da durchaus
qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber auf dem ers-
ten Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen . Eine proaktive
Beschäftigungspolitik für Neueinstellungen könnte viel-
mehr manche Befürchtungen entkräften, dass durch die
Flüchtlingskrise die Beschäftigungssicherheit und die
beruflichen Erfolgschancen auf dem Arbeitsmarkt ge-
fährdet wären . Diese Chance lassen Sie ungenutzt ver-
streichen . „Irgendwie durchwursteln“ lautet Ihre Devise .
Dazu passt, dass Bundeswehrangehörige sogar noch eine
Stellenzulage bekommen sollen, wenn sie beim Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge eingesetzt werden .
Welche fachlichen Eignungsvoraussetzungen hierfür er-
füllt sein müssen, bleibt unbeantwortet . Sie wollen die
Bundeswehrangehörigen als beliebige Manövriermasse
einsetzen, die zwischen völlig verschiedenen beruflichen
Tätigkeitsfeldern hin und her geschoben werden kann .
Das ist die falsche Antwort auf die Herausforderungen
der Integration von deutlich mehr Asylbewerberinnen
und Asylbewerbern in Deutschland . Die ganze Asyl- und
Integrationsdebatte steht bei Ihnen schon seit langem un-
ter dem Primat der inneren Sicherheit und Terrorismus-
abwehr . Nun soll dafür auch noch Bundeswehrpersonal
eingesetzt werden . Das ist doch nicht zu fassen!
Soweit die Regelungen im Siebten Besoldungsände-
rungsgesetz der Gleichstellung von Soldatinnen und Sol-
daten an zivile Beamtinnen und Beamte dienen, tragen
wir diese mit . Die materielle Besserstellung von Füh-
rungskräften schafft hingegen klare Fehlanreize, die die
militärische Interventionsfähigkeit der Bundeswehr stär-
ken . Wir brauchen das genaue Gegenteil . Deshalb stimmt
die Linke insgesamt mit Enthaltung .
Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man-
che Dinge gelingen im zweiten Anlauf ja besser als im
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513058
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ersten . Für den Versuch, die Bundeswehr zu einem at-
traktiveren Arbeitgeber zu machen, gilt dies leider nicht .
Wie schon beim Attraktivitätssteigerungsgesetz zu
Beginn dieses Jahres hat sich die Bundesregierung auch
bei der Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes wieder
einmal nur auf den allerkleinsten gemeinsamen Nenner
verständigen können . Das Ziel, die Arbeitsbedingungen
der Bundeswehranghörigen zu verbessern und auf diese
Weise mehr Personal für die Bundeswehr zu gewinnen,
liegt dieser Bundesregierung nämlich längst nicht so sehr
am Herzen, wie Frau von der Leyen uns gerne glauben
machen will . Wenn es um echte Verbesserungen für die
Angehörigen der Bundeswehr geht, stellen sich das In-
nen- und das Finanzministerium regelmäßig quer. Denn
das Projekt „attraktive Bundeswehr“ soll, wenn irgend
möglich, nichts kosten .
Doch eins ist uns doch allen klar: Mehr Attraktivität
gibt es nicht zum Nulltarif . Wer möchte, dass die Bun-
deswehr ihre Aufgaben vernünftig wahrnehmen kann,
der darf nicht nur in Ausrüstung, sondern muss auch in
Personal investieren . Die zivilen Beschäftigten der Bun-
deswehr machen einen prima Job! Und wer dies nicht
honoriert, wer immer nur darauf bedacht ist, am Personal
zu sparen, der darf sich nicht wundern, wenn, wie etwa in
Wunstorf oder Manching geschehen, nicht einmal mehr
der Grundbetrieb reibungslos funktioniert .
Die zivilen Angehörigen der Bundeswehr blicken auf
eine lange Durststrecke zurück: Bis Ende 2013 galt über
20 Jahre lang ein völliger Einstellungsstopp . Die Stellen-
zulagen, die einen wesentlichen Teil des Gehalts ausma-
chen, sind in vielen Fällen seit den 90er-Jahren nicht mehr
angehoben worden . Und aufgrund fehlender Planstellen
besteht mittlerweile ein enormer Beförderungsstau .
Der lange Einstellungsstopp, die mäßige Vergütung
und die fehlenden Aufstiegschancen führen nicht nur zu
großer Frustration und Unzufriedenheit bei den Betrof-
fenen . Sie führen auch dazu, dass schon heute in vielen
Bereichen der Bundeswehrverwaltung ein dramatischer
Personalmangel herrscht . Viele Soldatinnen und Solda-
ten klagen deshalb darüber, dass ihre persönlichen Anträ-
ge in einem unzumutbaren Schneckentempo bearbeitet
werden . Anfang Oktober wollte das Verteidigungsmi-
nisterium dem Amt für Ausrüstung, Informationstechnik
und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz für 286 Milli-
onen Euro sogenannte Berater ins Haus schicken – um
300 Techniker und Prüfer zu kompensieren, die dem Amt
offenbar fehlen . Und auf vielen Flugplätzen der Bundes-
wehr lässt sich der Betrieb nur deshalb noch aufrechter-
halten, weil sich viele Angehörige der Bundeswehrfeu-
erwehren bereit erklären, Dienst weit über das übliche
Maß hinaus zu schieben . Genau wie beim Großgerät be-
treibt die Bundeswehr auch beim Zivilpersonal eine Art
Mangelverwaltung auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter . Dieser Zustand muss endlich ein Ende
haben!
Auch der Bundesregierung sind all diese Missstände
natürlich seit langem bekannt . Und die Änderung des
Bundesbesoldungsgesetzes hätte die Chance geboten,
sie entschlossen zu beheben . Leider haben vor allem
das BMI und das BMF dafür gesorgt, dass diese Chance
nicht optimal genutzt wurde . Hierzu nur ein paar wenige
Beispiele:
Im ursprünglichen Gesetzentwurf wollte die Bundes-
regierung am starren System der Obergrenzen für Beför-
derungsämter festhalten – und die Obergrenze für die be-
sonders betroffenen Besoldungsgruppen A 8 und A 9 für
Unteroffiziere nur um völlig unzureichende 10 Prozent
anheben . Bessere Aufstiegsmöglichkeiten? Fehlanzeige .
Dabei wäre es – dazu komme ich gleich noch – doch ein
Leichtes gewesen, dem Beförderungsstau hier durch eine
flexiblere Regelung zu begegnen.
Ähnlich unzugänglich hat sich die Bundesregierung
in ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf in puncto Stel-
lenzulagen gezeigt . Dabei haben Sie selbst jene Beschäf-
tigten ignoriert, die besonders hohen Anforderungen un-
terliegen und die besonders unter dem allgegenwärtigen
Personalmangel zu leiden haben: Eine höhere Zulage
für Bergführer? Nichts da! Eine höhere Zulage für das
Personal des Feuerwehreinsatzdienstes? Unnötig! Ob
wir auf diese Weise Menschen für die rund 900 Stellen
gewinnen, die derzeit bei der Bundeswehrfeuerwehr un-
besetzt sind, daran habe ich doch arge Zweifel .
Der ursprüngliche Gesetzentwurf folgte in weiten Tei-
len also dem Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach
mich nicht nass“ . Irgendwie soll die Bundeswehr at-
traktiver werden – aber bitte nur in Trippelschritten und
möglichst ohne allzu große Zusatzkosten . Mit dieser
Halbherzigkeit, meine Damen und Herren auf der Regie-
rungsbank, werden Sie Ihr Ziel, die Bundeswehr zu ei-
nem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu ma-
chen, nicht erreichen . Da können Sie noch so viel Geld in
aufwendige Werbekampagnen und die Entwicklung einer
Arbeitgebermarke investieren – ohne attraktive Arbeits-
bedingungen werden flotte Sprüche alleine niemanden
für die Bundeswehr begeistern .
Abschließend möchte ich sagen: Es ist den Kollegin-
nen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen zu dan-
ken, dass wenigstens einige Versäumnisse des Gesetz-
entwurfes ausgebügelt werden konnten . Vor allem die
Flexibilisierung der Obergrenzen für Beförderungsämter
in § 26 Bundesbesoldungsgesetz ist hier sehr lobend zu
erwähnen . Nicht nachzuvollziehen bleibt, dass Sie zu-
künftig keine Zulage mehr an all jene zahlen wollen, die
vertretungsweise einen höherwertigen Dienstposten be-
setzen . Wer mehr Verantwortung übernimmt, soll dafür
auch entsprechend bezahlt werden . Das gehört zu den so-
genannten „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeam-
tentums“, die der Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes
ausdrücklich hervorhebt . Ihr Gesetzentwurf ist also nicht
nur halbherzig, es ist auch verfassungsrechtlich bedenk-
lich . Und deshalb wird sich meine Fraktion bei der Ab-
stimmung über den Gesetzentwurf enthalten .
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
– des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13059
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des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell-
schaftsgesetzes
– des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig,
Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE: Planungen
für die Gründung einer Bundesfernstraßenge-
sellschaft sofort einstellen
(Tagesordnungspunkt 25 a und b)
Florian Oßner (CDU/CSU): Wir beraten heute über
den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrs-
infrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes sowie
einen Antrag der Linken mit dem Titel „Planungen für
die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort
einstellen“ .
Anders, als uns die Fraktion Die Linke mit ihrem An-
trag glauben machen will, geht es in dem vorliegenden
Gesetzentwurf jedoch nicht um einen ersten Schritt zur
Gründung einer Bundesfernstraßenfinanzierungsgesell-
schaft . Dies ist eine glatte Themaverfehlung! Vielmehr
geht es darum, einen Beschluss des Haushaltsausschus-
ses des Bundestages umzusetzen . Dieser hat nämlich am
13 . November 2014 – also vor knapp einem Jahr – be-
schlossen, die Steuermittel und die Mautmittel bei der
VIFG, der bestehenden Verkehrsinfrastrukturfinanzie-
rungsgesellschaft, zusammenzufassen .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird diesem
Ziel nun entsprochen . Hierdurch soll es möglich sein,
ganz konkret für jede Maßnahme zu jedem Zeitpunkt die
Kosten nachzuvollziehen . Mithin handelt es sich hier um
einen reinen finanztechnischen Aspekt – nicht mehr und
nicht weniger . Dadurch wird es auch endlich möglich
sein, völlig seriös und ohne ideologische Scheuklappen
ÖPP-Projekte mit öffentlich finanzierten Projekten zu
vergleichen . Diese Maßnahme wird somit wesentlich zur
Kostentransparenz bei den Verkehrsinvestitionen beitra-
gen .
Das Prinzip der Auftragsverwaltung im Bereich der
Bundesfernstraßen hat sich in meiner Heimat Bayern
mehr als bewährt . Die bayerische Straßenbauverwaltung
ist leistungsfähig und zuverlässig . Neben den regelmä-
ßigen Aufgaben für Erhaltung, Betrieb, Neu-, Um- und
Ausbau wurden stets auch alle Investitionsprogramme
und Sonderfinanzierungen einschließlich ÖPP durch die
Auftragsverwaltungen erfolgreich umgesetzt . Auch ist
unser gut ausgebautes Netz von Bundesfernstraßen in
der operativen Verantwortung des Freistaates entstanden .
Voraussetzung hierfür war stets die zügige Schaffung
von Baurecht .
Fakt ist jedoch auch, dass die Auftragsverwaltung
nicht in allen Ländern gleich gut funktioniert und die
Qualität der Autobahnverwaltung in den 16 Ländern sehr
unterschiedlich ist .
Der Sanierungs- und Modernisierungsbedarf im deut-
schen Fernstraßennetz ist ungemein groß . Auch wenn
wir aufseiten des Bundes historisch einzigartig hohe In-
vestitionen in die Infrastruktur tätigen – wie es derzeit
der Fall ist, wozu wir unserem Bundesverkehrsminister
Alexander Dobrindt gratulieren und wofür wir ihm dan-
ken dürfen –, werden die Verwaltungen in einigen Bun-
desländern an ihre Kapazitätsgrenze stoßen . Das Prob-
lem hierbei ist deshalb momentan nicht, dass wir über zu
wenig finanzielle Mittel verfügen, sondern vielmehr ist
es das Fehlen von baureifen Projekten in einigen Bun-
desländern .
Die Bündelung von Finanzierung und Aufgaben in
einer Hand beim Bund im Rahmen einer Bundesfernstra-
ßengesellschaft könnte hier eine mögliche Option sein,
um zu mehr Effizienz bei Ausbau, Erhalt und Bewirt-
schaftung unserer Autobahnen zu gelangen . Allerdings
besteht hier gerade auch aus bayerischer Sicht noch er-
heblicher Diskussionsbedarf .
Hierfür ist der vorliegende Antrag der Linken keines-
wegs eine taugliche Grundlage . Denn anstatt sich sach-
lich und pragmatisch mit den Vor- und Nachteilen einer
derartigen Gesellschaft auseinanderzusetzen, wird diese
hier aus rein ideologischen Gründen abgelehnt, wobei Ih-
nen kein Argument aus der linken Klischeekiste zu scha-
de ist . So werden Sie in Ihrem Antrag nicht müde, die
altbekannten Vorurteile gegen öffentlich-private Partner-
schaften hervorzukramen oder auf perfide Weise Ängste
vor möglichen Arbeitsplatzverlusten bei den Straßenbau-
verwaltungen durch die Schaffung einer Bundesfernstra-
ßengesellschaft zu schüren .
Eine sachliche und zielgerichtete Diskussion sieht an-
ders aus . Aus den genannten Gründen werden wir den
Antrag der Linken ablehnen und werben für den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung .
Reinhold Sendker (CDU/CSU): Mit den Änderun-
gen des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschafts-
gesetzes, kurz VIFG-Gesetz, setzen wir jetzt den Maßga-
bebeschluss des Haushaltsauschusses vom 13 . November
2014 um, den Zahlungsverkehr für alle Ausgaben zur
Finanzierung, das heißt für Bau, Erhalt und Betrieb der
Bundesfernstraßen, über das Finanzmanagementsystem
der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft –
VIFG – abzuwickeln .
Über die Hälfte unserer Investitionen in den Verkehrs-
träger Straße wickelt die VIFG mit ihrem Finanzmanage-
mentsystem schon heute ab . Alle 16 Bundesländer und
die Projektmanagementgesellschaft Deutsche Einheit,
die sogenannte DEGES, sind an dieses System ange-
schlossen .
Wir leisten uns also derzeit noch zwei Systeme: Ein
Teil der Mittel wird über das Finanzmanagementsys-
tem der VIFG abgewickelt, die restlichen Mittel werden
über das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des
Bundes im sogenannten HKR-Verfahren bewirtschaftet .
Dieses Nebeneinander der Systeme schaffen wir jetzt ab
und erhöhen damit die Transparenz im Haushalt . Die Fi-
nanzierung und Bewirtschaftung der Bundesfernstraßen
wird ab 2016 vollständig innerhalb eines Bewirtschaf-
tungssystems ausgewiesen .
Mit dem Haushalt 2016 weisen wir daher im Einzel-
plan 12 erstmals nicht mehr die Maut- und Steuermit-
tel getrennt in den Kapiteln 1209 und 1210 aus, sondern
wir schaffen im Kapitel 1201 einen gemeinsamen Titel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 201513060
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und damit auch ein deutliches Plus an Haushaltswahrheit
und -klarheit . Das Finanzmanagementsystem der VIFG
ermöglicht zudem tagesaktuelle Berichte über die Ver-
ausgabung der Mittel für unsere Verkehrsinfrastruktur .
Und zwar nicht nur bundesweit oder auf die einzelnen
Länder bezogen, sondern, wenn gewünscht, auch auf
die einzelnen Straßenbauämter oder sogar bezogen auf
jede sich im Bau befindliche Einzelmaßnahme. Das ist
Transparenz, und genau diese wollen wir mit der Kom-
plettumstellung auf das Finanzmanagementsystem der
VIFG auch herstellen .
Die Experten der VIFG vermelden Vollzug . Der Um-
bau ihres bestehenden EDV-Systems, um die neuen Mit-
telflüsse regeln zu können, ist weitestgehend abgeschlos-
sen. Man befindet sich in den letzten Testläufen für das
neue, erweiterte System . Rund 600 neue Nutzer aus den
Länderverwaltungen wurden schon für das neue System
geschult . Man rechnet bei der Durchführung des „Zah-
lungsverkehrs Bundesfernstraßen“ über das Finanzma-
nagementsystem der VIFG für das Jahr 2016 mit rund
500 000 Buchungen . Damit steigt die Gesamtanzahl an
Geschäftsvorgängen voraussichtlich um den Faktor 10 .
Die Anzahl der im System abgebildeten Maßnahmen
wird von rund 2 500 auf rund 6 000 Maßnahmen anstei-
gen .
Ich weiß, die Länder haben sich im Bundesrat durch-
aus auch kritisch zum vorliegenden Gesetzentwurf ge-
äußert . Dies ist vor dem Hintergrund, dass der Bund
zukünftig seine Verantwortung als Finanzierer der Stra-
ßenbaulast und Fachaufsicht gegenüber den Auftragsver-
waltungen umfassender wahrnehmen kann, nicht weiter
verwunderlich . Es ist daher auch spannend, zu erfahren,
dass die Arbeitsebene der Länder dem Gesetzentwurf
durchaus positiv gegenübersteht .
Im Zusammenhang mit Ländern und Auftragsverwal-
tung möchte ich auch noch auf den hier ebenfalls zur De-
batte stehenden Antrag der Linken zur Bundesfernstra-
ßengesellschaft eingehen .
Es ist kein Geheimnis, und wir wissen es auch nicht
erst seit gestern, dass die Bauverwaltungen der Län-
der zu einem großen Teil unseren Anforderungen heute
nicht mehr gerecht werden. Häufig mangelt es schlicht
an Personal; da kann die bereits angesprochene DEGES
weiterhelfen, leider kapazitätsbedingt aber auch nur bis
zu einem gewissen Grad . Oft gibt es aber auch schlicht
unterschiedliche Auffassungen über verkehrliche Priori-
täten zwischen Bund und Ländern . Das Land NRW hat
beispielsweise eine Liste erstellt, in der es die aus seiner
Sicht wichtigen Bundesfernstraßen priorisiert hat . Das
geht so nicht! Da, wo der Bund finanziert, muss er auch
die Kontrolle über die Ausführung haben .
Es ist daher folgerichtig, die Finanz- und Aufgaben-
verantwortung in einer Hand zu bündeln . Eine Bundes-
fernstraßengesellschaft ist somit ein logischer Schritt .
Das hat der Bundesfinanzminister ja auch schon in seiner
Rede zum Bundeshaushalt 2016 vor einigen Wochen an
dieser Stelle erklärt .
Wichtig ist, dass die Bundesfernstraßen- und die neu
zu schaffende privatrechtlich organisierte Gesellschaft
zu 100 Prozent im Besitz des Bundes bleiben . Die Ge-
sellschaft muss die Einnahmekompetenz haben, was die
Straßennutzungsgebühren für die Bundesautobahnen an-
geht. Neben dieser Einnahmequelle muss die Möglich-
keit, privates Kapital von Investoren für Investitionen in
den Straßenbau zu akquirieren, geprüft werden.
Eine Reform der Auftragsverwaltung haben wir uns
in den Koalitionsvertrag geschrieben . Das ist aus mei-
ner Sicht auch zwingend notwendig . Die Gründung ei-
ner Bundesfernstraßengesellschaft ist hier ein logischer
Schritt .
Sebastian Hartmann (SPD): Die erste Beratung des
VIFG-Änderungsgesetzes ist eine großartige Gelegen-
heit, auf den enormen Nutzen hinzuweisen, der mit die-
ser Initiative einhergeht .
Der Haushaltsausschuss hat im letzten Jahr beschlos-
sen, dass ab dem Haushaltsjahr 2016 im Haushaltskapitel
die Betrachtung der einzelnen Straßenbautitel nicht nur
anders deklariert und nummeriert wird, sondern eine viel
tiefere Logik greifen soll . In Zukunft werden Verwaltung
und Controlling der Ausgaben für Straßenbaumaßnah-
men in Durchführung der öffentlichen Hand in demsel-
ben Finanzmanagementsystem zusammengeführt, das
bisher schon der Verwaltung von ÖPP-Projekten dien-
te – dem FMS der VIFG . Wir danken den Haushältern
ausdrücklich für diesen konsequenten Schritt zu mehr
Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Eingriffs- und Steue-
rungsmöglichkeiten für den Straßenbau des Bundes . Das
liegt nicht nur im Interesse der beiden obersten Tugenden
des Haushalts – Klarheit und Wahrheit –, sondern dient
auch einer stark verbesserten fachpolitischen Kontrolle .
Die Zusammenführung der alten Haushaltstitel 1209 und
1210 in neuer Gestalt ist für uns ein exzellentes Werk-
zeug, wenn es um die Betrachtung und Evaluierung der
Investitionen in den Straßenbau geht .
Wir verlangen mit der vorliegenden Gesetzesände-
rung den Auftragsverwaltungen der Länder eine gewis-
se Flexibilität ab, was die Umstellung vom bisherigen
HKR-Einsatz zur Software der VIFG angeht . Ich weiß
aber, dass die VIFG sich seit dem Beschluss des Haus-
haltsausschusses intensiv und in individueller Betreu-
ung um alle Bundesländer und jeden einzelnen Sonder-
fall gekümmert hat . Im Ergebnis gibt es zum aktuellen
Zeitpunkt keine Anzeichen, dass es an irgendeiner Stelle
zu Verzögerungen oder gar Inkompatibilitäten kommen
könnte . Wir gehen deshalb davon aus, dass mit dem
Startdatum 1 . Januar 2016 alle Straßenbauverwaltungen
der Länder geschult und vorbereitet sind, das FMS ent-
weder direkt oder über die ihrem Einzelfall angepasste
Schnittstelle zu bedienen, mit tagesaktuellen Zahlen zu
füttern und Auswertungen bis hin zu vollständigen Bi-
lanzierungen ihrer eigenen Baumaßnahmen vornehmen
zu können . Wir stehen am Ende mit der Möglichkeit zur
Aggregation all dieser Daten sehr viel besser da als je
zuvor . Zum ersten Mal werden wir in die Lage versetzt,
eine unmittelbare Vergleichbarkeit von Budgetierung,
Einnahmen und Ausgaben in jeder Art von Straßen-
bauprojekt vorzufinden. Die Auswertung dieser Daten
wird es uns erlauben, evidenzbasierte Aussagen über die
Wirtschaftlichkeit von Straßenbau zu treffen – ein nicht
zu unterschätzender Vorteil in der jahrelangen Dauer-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015 13061
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brennerdebatte über die Frage, ob denn nun ÖPP oder
konventionell durchgeführte Straßenbaumaßnahmen der
bessere Weg sind . Egal, ob man zu denen gehört, die
Erfolgskontrolle bei öffentlich-privaten Partnerschaften
bislang über den Daumen gepeilt haben, oder zu denen,
die mit spitzem Bleistift gerechnet haben: Befürworter
und Gegner haben in Zukunft eine gemeinsame Ge-
sprächsgrundlage, die an Präzision und Solidität nichts
zu wünschen übrig lässt .
Es ist an dieser Stelle offensichtlich, wie mit dem An-
trag der Linken verfahren werden sollte: Man kann nicht
für mehr Investitionen in Verkehrsinfrastruktur sein,
wie die Opposition für sich immer wieder in Anspruch
nimmt, und gleichzeitig gegen diesen Gesetzentwurf An-
träge stellen, die zu allem Überfluss auch noch sachfremd
sind . Zitat: „Die ressortübergreifenden Planungen dienen
dem Ziel, privates Kapital für den Straßenbau zu mobi-
lisieren und institutionellen Kapitalanlegern sichere An-
lagemöglichkeiten mit höheren Renditen zu verschaffen,
als sie in der derzeitigen Niedrigzinsphase üblich sind .
Die Planungen für eine Bundesfernstraßengesellschaft
reihen sich damit in die geplante Privatisierungswelle
ein, die mit der so genannten Fratzscher-Kommission im
Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Energie,
Sigmar Gabriel, vorbereitet wurde .“
Ihnen ist vielleicht gar nicht aufgefallen, dass wir hier
über die VIFG und ihr Finanzmanagementsystem reden .
Die Reform des Haushaltskapitels 12, in deren Umset-
zung auch die vorliegende Änderung des VIFG-Geset-
zes vorgenommen wird, war längst beschlossene Sache,
bevor von einer Fratzscher-Kommission überhaupt die
Rede sein konnte . Unser Wunsch nach Controlling und
Steuerung bei den Investitionen für den Straßenbau ist
älter als jede Vorstellung von einer Bundesgesellschaft,
egal welchen Zuschnitts . Wenn die Fratzscher-Kommis-
sion dem Bundeswirtschaftsminister bei der Gewinnung
von Ideen zur Erhöhung der Investitionsquote behilf-
lich ist, kann man das nur begrüßen . Wenn wir über die
Nutzung eines höchst brauchbaren vorhandenen Soft-
wareinstruments für einen weiteren Ausgabensektor im
Straßenbau diskutieren, korreliert das mit der von Ihnen
hineingeheimnisten Bundesfernstraßengesellschaft un-
gefähr so wie die Tatsache, dass die Wörter „Verkehrsin-
frastruktur“ und „Fratzscher-Kommission“ beide 21 Zei-
chen lang sind . Welche Schlüsse Sie aus diesem Umstand
ziehen, will ich mir lieber gar nicht erst ausmalen .
Sabine Leidig (DIE LINKE): Die Bundesregierung
beabsichtigt, mit dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell-
schaftsgesetzes der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungs-
gesellschaft (VIFG) weitere Aufgaben und Zuständigkei-
ten zu übertragen . Im Zentrum steht dabei, dass die VIFG
neben den Einnahmen aus der Lkw-Maut zukünftig auch
die im Bundeshaushalt veranschlagten Mittel für Neu-
bau, Ausbau, Erhaltung, Betrieb und Unterhaltung von
Bundesfernstraßen verwalten und verteilen soll .
Meine Fraktion beantragt, dass die Planung und Vor-
bereitung dafür sofort eingestellt werden . Warum?
Erstens . Die Bundesregierung macht den zweiten
Schritt vor dem ersten . Der Bundesrat befürchtet zu
Recht, „dass damit ein erster Schritt zur Gründung einer
Bundesfernstraßengesellschaft und damit einhergehend
die Abschaffung der Auftragsverwaltung durch die Län-
der für die Bundesfernstraßen vollzogen werden könnte“ .
Er hat diesen strukturellen Veränderungen eine klare Ab-
sage erteilt .
Die Bundesländer dagegen haben beschlossen, eine
gründliche Problemanalyse vorzunehmen und danach
Schritte zur Verbesserung der Straßenbauverwaltung
(Auftragsverwaltung) vorzunehmen . Dazu haben die
Länder eine Kommission „Bau und Unterhaltung des
Verkehrsnetzes“ (sogenannte Bodewig-II-Kommission)
eingesetzt, die bis zum Frühjahr 2016 aktuelle Untersu-
chungen zur Optimierung der Auftragsverwaltung be-
werten soll .
Zweitens . Die ressortübergreifenden Planungen der
Bundesregierung dienen dem Ziel, privates Kapital für
den Straßenbau zu mobilisieren und institutionellen Ka-
pitalanlegern sichere Anlagemöglichkeiten mit höheren
Renditen zu verschaffen, als sie in der derzeitigen Nied-
rigzinsphase üblich sind . Die Bundesfernstraßengesell-
schaft reiht sich damit in die Privatisierungspläne ein, die
mit der sogenannten Fratzscher-Kommission im Auftrag
des Bundesministers für Wirtschaft und Energie Sigmar
Gabriel vorbereitet wurden .
Drittens scheint darüber hinaus die Umgehung der
Schuldenbremse eine Motivation für die Gründung einer
Bundesfernstraßengesellschaft zu sein. Effizienzvorteile
für die Bereitstellung von Straßenverkehrsinfrastruktur,
die nicht auch durch Reformen der Auftragsverwaltung
und der Bundesverkehrswegeplanung erzielt werden
könnten, sind jedoch nicht erkennbar .
Viertens . Die Gründung der Bundesfernstraßen-
gesellschaft würde voraussichtlich zur Zerschlagung
der Straßenbauverwaltungen der Länder mit ihren
30 000 Beschäftigten führen . Insbesondere im Bereich
des Straßenunterhaltungsdienstes sind Arbeitsplätze ge-
fährdet .
Schließlich ist nicht zu erwarten, dass die Bundes-
fernstraßengesellschaft wirtschaftliche Vorteile bringt,
vor allem weil die vorgesehene Inanspruchnahme priva-
ten Kapitals mit erheblichen Zinsnachteilen gegenüber
der öffentlichen Finanzierung verbunden ist . Darauf hat
der Bundesrechnungshof im Zusammenhang mit öffent-
lich-privaten Partnerschaften (ÖPP) bereits mehrfach
hingewiesen . Mit ÖPP verbunden sind erfahrungsgemäß
oft höhere Kosten und schlechtere Leistungen . Zu be-
fürchten ist zudem, dass dann nicht mehr verkehrspoli-
tische Aspekte, sondern Renditeerwartungen für Inves-
titionsentscheidungen maßgeblich sind . Dadurch würde
auch der Einfluss des Bundestages als Haushaltsgesetz-
geber erheblich eingeschränkt .
Wir verlangen stattdessen, dass eine ganz andere Re-
form der Straßenbauverwaltung stattfindet. Diese muss
vor allem bei der Bundesregierung selber ansetzen, die
ihrer Aufsicht bislang nicht gerecht wird . Eine effektive
Steuerung des Bundes im Sinne einer prioritären Umset-
zung von Straßenprojekten ließe sich dabei durch ein-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. November 201513062
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fach- oder untergesetzlich umzusetzende Maßnahmen
sicherstellen, beispielsweise durch frühzeitige Finan-
zierungszusagen des Bundes (wie bei Investitionen in
die Bundesschienenwege), durch mehrjährige Finanzie-
rungspläne für Einzelprojekte oder durch die Erhöhung
des Bundesanteils an den Planungskosten.
Darüber hinaus sollen nach Vorliegen des Endberichts
der von den Bundesländern ins Leben gerufenen Kom-
mission „Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“
noch in dieser Legislaturperiode gemeinsam mit den
Ländern Vorschläge für eine Reform der Auftragsver-
waltung Straße erarbeitet und umgesetzt werden. Dabei
müssen die sachkundigen Beschäftigten aus den entspre-
chenden Bereichen unbedingt einbezogen werden, weil
deren Veränderungsvorschläge in der Regel aus fundier-
ter Erfahrung resultieren und der Sache dienen.
Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Schauen wir uns einmal an, wie die aktuelle Situation
bei der Finanzierung der Bundesstraßen und Bundesau-
tobahnen aussieht. Es gibt dort zwei Töpfe: zum einen
den Topf der Steuergelder und zum anderen den Topf der
Gelder aus der Lkw-Maut. Mit beiden Töpfen werden
der Ausbau, der Neubau und die Instandhaltung der Bun-
desfernstraßen bezahlt, aber abgerechnet wird das Ganze
über getrennte Zahlungs- und Controllingsysteme.
Die Mautmittel zahlt der Staat bei Straßenbaumaßnah-
men über die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell-
schaft aus, kurz genannt über die VIFG. Die Steuergel-
der hingegen werden direkt aus der Staatskasse gezahlt.
Die VIFG nutzt dafür ein in der Unternehmenssteuerung
übliches Finanzmanagementsystem. Damit sind die Auf-
gaben Controlling und Anlagenbuchhaltung besser ab-
wickelbar. Die Steuermittel dagegen werden mit einer
Eigenbaulösung im Ministerium überwacht. Der Staat
leistet sich hier also wieder einmal einen hohen bürokra-
tischen Doppelaufwand.
Schon im letzten Jahr war den Verkehrspolitikern und
den Haushältern klar, dass diese Doppelstrukturen abge-
schafft werden müssen. Dazu gibt es einen sinnvollen Weg:
die Zusammenführung aller Buchungen im System der
VIFG. Deren Finanzmanagementsystem ist modern und
außerdem auch für eine betriebswirtschaftliche Betrachtung
des Anlagevermögens der Fernstraßen ausgelegt.
Trotzdem hat es diese großkoalitionäre Bundesregie-
rung nicht geschafft, den notwendigen Gesetzentwurf
schon Anfang des Jahres ins parlamentarische Verfahren
zu bringen. Der VIFG wurde also erschwert, sich auf die
neue Aufgabe einzustellen. Es muss jetzt wieder einmal
hoppla hopp gehen.
Mit den Gesetzesänderungen fließen künftig auch re-
guläre Haushaltsmittel über die VIFG in Straßenprojek-
te, nicht nur die Mauteinnahmen. Diese Bündelung ist
sinnvoll und längst überfällig. Daher stimmen wir den
notwendigen Gesetzesänderungen zu.
Jetzt ist es an Ihnen, werte Großkoalitionäre, sich end-
lich zu bewegen und die betroffenen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter nicht länger in der Schwebe zu lassen.
Setzen Sie die Änderungen schleunigst um, und trödeln
Sie nicht länger herum. Nur so kann das neue System
zum 1. Januar 2016 auch wirklich an den Start gehen. Die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Straßenbauver-
waltungen werden es Ihnen danken, wenn sie dann nur
noch mit einer Buchungssoftware arbeiten müssen.
Auch wir Abgeordnete haben etwas von der Neure-
gelung. Bislang machen wir einen echten Blindflug, mit
dem jedes Unternehmen eigentlich zwangsläufig an die
Wand fährt. Wir schauen zwar ganz gewissenhaft auf die
jährlichen Zahlungsströme und passen genau auf, dass
nicht mehr Geld ausgegeben als eingenommen wird. Wir
verdrängen aber unsere Verantwortung für den Werter-
halt der Bundesfernstraßen. Wenn wir wie ehrbare Kauf-
leute handeln würden, müssten wir zumindest den Wert
unseres Anlagevermögens halten. Aber diesen Wert ken-
nen wir bislang überhaupt nicht. Er steht auch nicht im
Bundeshaushalt – genauso wenig wie der jährliche Wert-
verlust, also die Abschreibungen.
Hätten wir diese Angaben, könnten wir Politiker und
die Öffentlichkeit auf einen Blick sehen, ob die flotten
Sprüche von „Erhalt vor Neubau“ auch tatsächlich ein-
gehalten werden. Denn mindestens den Wertverlust in
Höhe der Abschreibungen müssen wir in den Erhalt ste-
cken – sonst fahren wir das System auf Verschleiß.
Mit dem neuen Buchungs- und Controllingsystem der
VIFG bekommen wir in der Politik nun endlich das notwen-
dige Instrumentarium in die Hand für so ein transparentes
System. Wir müssen aber auch bereit sein, es zu nutzen und
unsere liebgewonnenen Prozesse entsprechend anzupassen.
Darum fordere ich die Bundesregierung auf, sich
nicht auf unserem Lob für die VIFG auszuruhen und
alte Denkmuster weiterzustricken. Wir schaffen jetzt die
technische Möglichkeit, das genaue Sachanlagevermö-
gen sowie den jährlichen Werteverzehr festzustellen. Die
Berichte über marode und gesperrte Autobahnbrücken
würden damit weniger werden. Einfach nur irgendwann
einmal einen Infrastrukturzustandsbericht zu liefern,
reicht eben nicht mehr aus.
Handeln wir verantwortungsbewusst für unsere nach-
folgenden Generationen. Der Anfang ist gemacht.
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 133 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . November 2015
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133. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 3 Hospiz- und Palliativversorgung
TOP 4 Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
TOP 5 Prekäre Arbeitsverhältnisse
TOP 31 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
TOP 32 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
TOP 6 Nachtragshaushaltsgesetz, Entlastung der Kommunen
TOP 7 Verlängerung von Terrorismusbekämpfungsvorschriften
TOP 8 Einführung von Gruppenverfahren
TOP 9 Reformder Strukturen der Krankenhausversorgung
TOP 10 Betreuungsgeld
TOP 11 Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen
TOP 12 Nachbarschaftspolitik gegenüber Nordafrika
TOP 13 Bundeswehreinsatz in Südsudan (UNMISS)
TOP 14 Artgerechte Tierhaltung
TOP 15 Bundeswehreinsatz in Darfur (UNAMID)
TOP 16 Studienchancen für Flüchtlinge
TOP 17 Europäische Einlagensicherung
TOP 18 Bevölkerungsstatistik
TOP 19 Gründung der Asiatischen Infrastrukturbank
TOP 20 ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016
TOP 21 Anschluss von Telekommunikationsendgeräten
TOP 22 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
TOP 23 Neuorganisation der Zollverwaltung
TOP 24 Besoldungsänderungsgesetz
TOP 25 Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft
Anlagen
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11