Protokoll:
18130

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 130

  • date_rangeDatum: 15. Oktober 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:55 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/130 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 130. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12553 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 5 f und 15. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12554 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 12554 A Begrüßung der Präsidentin des Seimas der Republik Litauen, Frau Loreta Graužinienė . 12570 A Tagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 15./16. Oktober 2015 in Brüssel Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 12554 D Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 12559 A Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 12561 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12564 B Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12566 A Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12568 C Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . 12570 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 12572 D Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . 12573 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12573 D Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12574 C Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12575 D Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Asylver- fahrensbeschleunigungsgesetzes Drucksachen 18/6185, 18/6386 . . . . . . 12576 D – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6387 . . . . . . . . . . . . . . 12576 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sigrid Hupach, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Flüchtlinge willkommen heißen – Für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alle Flücht- linge willkommen heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Für eine faire finanzielle Ver- antwortungsteilung bei der Aufnah- me und Versorgung von Flüchtlingen Drucksachen 18/3839, 18/6190, 18/4694, 18/6386 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12577 A c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015II eines Gesetzes zur schnelleren Entlas- tung der Länder und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern (Entlastungsbeschleuni- gungsgesetz) Drucksachen 18/6172, 18/6381 . . . . . . . . . 12577 B d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Un- terbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher Drucksachen 18/5921, 18/6289, 18/6392 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12577 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unbe- gleitete minderjährige Flüchtlinge mit einer starken Jugendhilfe auf- nehmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Kindeswohl bei der Versorgung un- begleiteter minderjähriger Flüchtlin- ge absichern Drucksachen 18/4185, 18/5932, 18/6392 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12577 C Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12577 C Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12579 B Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12580 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12582 A Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12583 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12585 C Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12586 B Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12587 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12588 B Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12590 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12590 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12590 D Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 12592 B Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12594 A Namentliche Abstimmungen . . 12595 A, B, C, 12607 D Ergebnisse . . . . 12595 B, 12598 B, 12601 B, 12604 B, 12609 A Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Kerstin Andreae, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aus dem Pkw-Abgasskandal Konsequenzen zie- hen – Wettbewerbsfähigkeit der Auto- mobilindustrie sichern Drucksache 18/6334 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12609 A b) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die notwendigen Konsequenzen aus dem Betrugsskandal um Kfz-Abgase ziehen Drucksache 18/6325 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12609 C Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12612 A Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12613 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12616 B Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12617 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12618 B Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12618 D Oliver Wittke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12619 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12620 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12621 D Oliver Wittke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12622 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12622 C Birgit Kömpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12623 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12624 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12624 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 III Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD) . . . . . . . . . 12626 B Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12627 C Tagesordnungspunkt 30: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seearbeits- gesetzes Drucksache 18/6162 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12628 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten Drucksache 18/6280 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12628 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung vom 10. Dezember 2014 des Übereinkommens vom 27. Juni 1980 zur Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe Drucksache 18/6294 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12628 D d) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Harald Ebner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Biosi- cherheit bei Hochrisikoforschung in den Lebenswissenschaften stärken Drucksache 18/6204 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12628 D e) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Caren Lay, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Herdenschutz ist Wolfsschutz – Jetzt ein bundesweites Kompe- tenzzentrum aufbauen Drucksache 18/6327 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12629 A Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Einsetzung des 3. Untersuchung- sausschusses Drucksache 18/6330 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12629 A b) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen – Völkerstrafprozesse in Deutschland vo- ranbringen Drucksache 18/6341 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12629 B Tagesordnungspunkt 31: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschafts- und Kooperationsab- kommen vom 11. Mai 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Re- publik Irak andererseits Drucksachen 18/5577, 18/6374 . . . . . . . . . 12629 C b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 7. Mai 2015 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestim- mten Einkünften Drucksachen 18/6157, 18/6369 Buch- stabe b und Buchstabe c . . . . . . . . . . . . 12629 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerungen und über gegen- seitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grund- steuern Drucksachen 18/6158, 18/6369 Buchstabe b und Buchstabe c . . . . 12629 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Vierte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/5891, 18/5976 Nr. 2.1, 18/6180 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12630 B d)–f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 233, 234 und 235 zu Petitionen Drucksachen 18/6210, 18/6211, 18/6212 . 12630 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Ge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015IV setz zur Änderung des Regionalisierungsge- setzes Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4164, 18/4189, 18/4514, 18/6370 . . . . . . . . . . . . . . 12630 D Tagesordnungspunkt 25: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben Drucksache 18/6328 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12630 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vierter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsper- spektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/5764 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12631 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Amt des Maritimen Koordinators aufwerten Drucksache 18/6347 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12631 A Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12631 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12632 B Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12633 A Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12634 B Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12635 B Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . 12636 B Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 12637 B Tagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Ver- pflichtungen nach dem Nagoya-Proto- koll und zur Durchführung der Ver- ordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes Drucksachen 18/5321, 18/6384 . . . . . . . . . 12638 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von Na- goya vom 29. Oktober 2010 über den Zu- gang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt Drucksachen 18/5219, 18/6384 . . . . . . . . . 12638 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekre- tärin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12638 D Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 12639 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . . 12640 C Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12642 A Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12643 A Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12643 D René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12644 C Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on DIE LINKE sowie der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Milchmarkt stabilisieren – Milchkrise beenden Drucksache 18/6206 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12646 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Auslaufen der Milchquote – Wettbewerbsfähigkeit der Milchviehhalter sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Landwirtschaft braucht flächendeckende Milchviehhaltung – Bäuerliche Milcherzeuger stärken – Milchpreise stabilisieren Drucksachen 18/4424, 18/4330, 18/5601 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12646 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 12646 B Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . 12647 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . 12649 A Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12649 D Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . 12651 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 V Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 12651 D Kees de Vries (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12653 C Rita Hagl-Kehl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12654 D Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksachen 18/5865, 18/6234 . . . . . . . . . . . 12656 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekre- tärin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12656 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 12656 D Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12657 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12659 B Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12660 C Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12661 B Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für die Angelegenheiten der Europäi- schen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsame Grundwerte stär- ken – Europa stärken Drucksachen 18/4686, 18/6196 . . . . . . . . . . . 12663 B Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 12663 B Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12664 C Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12665 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12666 D Dr. Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12668 A Iris Eberl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12669 A Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialge- setzbuch und weiterer Vorschriften Drucksache 18/6284 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12670 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 12670 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 12671 C Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12672 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12673 D Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12675 A Albert Stegemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12676 A Ursula Schulte (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12677 C Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeord- neten Nicole Gohlke, Caren Lay, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten be- kämpfen Drucksachen 18/2870, 18/4512 . . . . . . . . . . . 12678 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tü- bingen), Kai Gehring, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bund- Länder- Aktionsplan „Studentisches Wohnen, Integ- ration und soziale Infrastruktur“ auflegen Drucksache 18/6336 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12678 D Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12679 A Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12680 B Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12681 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12682 C Yvonne Magwas (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12683 D Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie Drucksache 18/6283 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12685 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015VI Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen Drucksache 18/4329 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12685 B Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12685 C Karsten Möring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12686 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12688 B Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12689 B Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12690 A Tagesordnungspunkt 14: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner Drucksachen 18/5901, 18/6227 . . . . . . 12691 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur abschlie- ßenden Beendigung der verfassungs- widrigen Diskriminierung eingetra- gener Lebenspartnerschaften Drucksachen 18/3031, 18/6227 . . . . . . 12691 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ehe für gleichge- schlechtliche Paare – Der Entschließung des Bundesrates folgen Drucksachen 18/5205, 18/6379 . . . . . . . . 12691 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . 12691 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . 12692 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 12693 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12694 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12695 C Susann Rüthrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12696 C Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption Drucksachen 18/4350, 18/6389 . . . . . . . . . . . 12697 D Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12698 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12699 B Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12700 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12701 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12702 B Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- rechts und des Unterhaltsverfahrensrechts Drucksachen 18/5918, 18/6287, 18/6380 . . . . 12703 A Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsge- setzes Drucksachen 18/5925, 18/6292, 18/6383 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12703 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6388 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12703 C Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12703 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 12704 C Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12705 C Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12706 D Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechts- behelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. No- vember 2013 in der Rechtssache C-72/12 Drucksachen 18/5927, 18/6288, 18/6385 . . . . 12708 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 VII Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batterie- gesetzes Drucksachen 18/5759, 18/6233 . . . . . . . . . . . 12708 B Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes Drucksachen 18/6186, 18/6390 . . . . . . . . . . . 12708 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Ab- kommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkür- zung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen Drucksachen 18/5579, 18/6369 Buchstabe a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12709 A Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Lebensmittelspeziali- tätengesetzes Drucksache 18/6164 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12709 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der aufsichts- und be- rufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56 EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Ab- schlussprüfung bei Unternehmen von öf- fentlichem Interesse (Abschlussprüferauf- sichtsreformgesetz – APAReG) Drucksache 18/6282 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12709 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12709 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 12711 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Sven-Christian Kindler, Peter Meiwald, Monika Lazar, Julia Verlinden, Jürgen Trittin, Corinna Rüffer und Stephan Kühn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- gebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbe- schleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 12711 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Beate Müller-Gemmeke, Maria Klein- Schmeink und Dr. Harald Terpe (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 12713 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Lars Castellucci und Dr. Dorothea Schlegel (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asyl- verfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 12714 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Uwe Kekeritz und Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrens- beschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 12715 C Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 12717 D Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12717 D Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12718 A Dr . Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12718 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015VIII Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 12718 D Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12719 A Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12719 D Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12723 B Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12726 D Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12727 A Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12727 C Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Michael Grosse- Brömer (CDU/CSU) als Berichterstatter zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungs- ausschuss) zu dem Dritten Gesetz zur Ände- rung des Regionalisierungsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . 12728 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . 12728 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12729 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 12729 D Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12730 D Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . . 12731 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12732 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfah- rensrechts (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 12733 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12733 C Dr . Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 12734 C Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12735 C Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12736 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 12737 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umset- zung des Urteils des Europäischen Gerichts- hofs vom 7. November 2013 in der Rechtssa- che C-72/12 (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 12737 C Oliver Grundmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12737 D Dr . Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 12738 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 12739 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12739 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 12740 B Dr . Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12740 B Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12741 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 12742 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12742 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 12743 A Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12743 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12743 C Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12744 B Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12744 C Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12745 C Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Schlussabstimmung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 IX 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 12747 A Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 12747 A Dr . Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12747 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 12749 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12749 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 12750 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 12750 D Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 12750 D Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12751 C Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12752 A Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 12753 A Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12753 D Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausfüh- rung der entsprechenden Vorgaben der Ver- ordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüferauf- sichtsreformgesetz – APAReG) (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 12754 B Dr . Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12754 C Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12755 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12756 C Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12757 D (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12553 130. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Beginn: 9.01 Uhr
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    2) Anlage 14 3) Anlage 15 Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12711 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.10.2015 Becker, Dirk SPD 15.10.2015 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 15.10.2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 15.10.2015 Gambke, Dr. Thomas BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.10.2015 Gleicke, Iris SPD 15.10.2015 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 15.10.2015 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 15.10.2015 Henke, Rudolf CDU/CSU 15.10.2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 15.10.2015 Kolbe, Daniela SPD 15.10.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.10.2015 Nord, Thomas DIE LINKE 15.10.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 15.10.2015 Pilger, Detlev SPD 15.10.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 15.10.2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 15.10.2015 Wicklein, Andrea SPD 15.10.2015 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 15.10.2015 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 15.10.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Sven- Christian Kindler, Peter Meiwald, Monika Lazar, Julia Verlinden, Jürgen Trittin, Corinna Rüffer und Stephan Kühn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleuni- gungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Immer mehr Menschen verlassen weltweit aus größter Not ihre Heimat und flüchten. Sie fliehen vor Gewalt, Terror, Krieg und Verfolgung. Den Menschen, die nach Europa und Deutschland fliehen, wollen wir mit offenen Armen begegnen. Sie haben ein Recht auf Schutz und ein menschenwürdiges Leben. Wir sind einerseits erschüttert über die gewalttäti- gen Übergriffe auf Geflüchtete in Deutschland. Im- mer wieder brennen geplante oder bereits bewohnte Flüchtlingsunterkünfte. Bereits jetzt gab es dieses Jahr über 500 Angriffe auf Unterkünfte. Andererseits freuen wir uns über die große Willkommenskultur, die wir auf Bahnhöfen, in den Erstaufnahmeeinrichtun- gen und in den Städten und Gemeinden erleben. Viele zehntausend Menschen leisten tagtäglich ehrenamtlich unglaublich viel für eine gelebte Willkommenskultur in Deutschland. Sie zeigen immer und immer wie- der aufs Neue ihre Solidarität mit den Geflüchteten. Diesen Menschen gilt unser Dank und unsere Aner- kennung. Es wäre jetzt Aufgabe der Bundesregierung, sich dieser Hilfsbereitschaft mit deutlichen Verbesse- rungen im Asylrecht anzuschließen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält notwendi- ge finanzielle Zusagen des Bundes, der sich künftig dauerhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme beteiligt und darüber hinaus weitere finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Ver- nünftig ist auch, dass der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge durch Änderung der baurechtlichen Stan- dards flexibilisiert wird, auch wenn sich diese Stan- dardsenkung nicht verstetigen und auf andere Berei- che ausgeweitet werden darf. Wir erkennen auch an, dass Staatsangehörige der Westbalkanstaaten unter engen Voraussetzungen einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten können. Dies ist allerdings mit seinen Einschränkungen alles andere als ein Einstieg in ein Einwanderungsgesetz ist, sondern eine gering- fügige, allenfalls symbolische Teilliberalisierung des bestehenden Systems, die zudem nur bis 2020 befristet ist. Dem stehen die härtesten Asylrechtsverschärfun- gen seit 20 Jahren gegenüber. Diese Verschärfungen lehnen wir ab. Wir wollen sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages nicht durch Beschluss dem Bundesrat zur Annahme vorlegen. Wir hatten auf ih- ren Inhalt im parlamentarischen Verfahren keinerlei Einfluss. Die Verantwortung für diese zum Teil verfas- sungs- und europarechtswidrigen Verschärfungen des Flüchtlingsrechts trägt allein die Koalitionsmehrheit, die sie zum Preis für die dringend notwendige Finan- zierung der Flüchtlingsaufnahme erklärt hat. Der Ge- setzentwurf geht bei den Verschärfungen sogar über Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512712 (A) (C) (B) (D) die Vereinbarungen der Ministerpräsidentenkonferenz hinaus. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist eine Mogelpackung. Es enthält zahlreiche Abschreckungs- und Ausgrenzungsvorschriften, aber nicht eine ein- zige Maßnahme, die geeignet wäre, Asylverfahren tatsächlich zu beschleunigen. Die Koalition hat sich geweigert, eine Regelung zur pauschalen Anerken- nung von Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Irak und Somalia vorzuschlagen. Sie hat keine Altfallregelung für langandauernde Verfahren entworfen. Und sie hat die grüne Forderung nach einer Aufhebung der obli- gatorischen Widerrufsprüfung gemäß § 73 Absatz 2a AsylVfG zurückgewiesen. Stattdessen werden nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro in die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten aufgenommen. Die Bestimmung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Se- negal und Ghana zu sicheren Herkunftsstaaten wird bestätigt, obwohl Roma, LGBTTI und Journalistinnen in den Staaten des Westbalkans weiterhin Verfolgung droht und einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen im Senegal und Gha- na immer noch unter Strafe stehen. Auch die allge- meine Sicherheitslage in den Westbalkanstaaten gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Der Bundestag hat erst im Sommer 2015 den KFOR-Einsatz der Bundeswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil ist. Für die Geflüchteten aus diesen Staaten ist dieses Gesetz ein schwerer Angriff auf das Prinzip der Ein- zelfallprüfung, einem Grundpfeiler des Asylrechts. Die Anträge der Geflüchteten werden zwar formal noch einzeln geprüft, doch drängt sich eine ablehnende Entscheidung faktisch auf. Das Bundesverfassungsge- richt hat in diesem Zusammenhang unmissverständ- lich festgestellt, dass ein Staat nicht zum sicheren Her- kunftsstaat bestimmt werden kann, solange dort auch nur Angehörige einer einzigen Gruppe verfolgt werden (2 BvR 1507 und 1508/93). Der UNHCR, die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz haben in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der Bundesregie- rung gerügt, dieser missachte insoweit die Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie). Neben die bisherigen Beschränkungen der Rechts- schutzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten treten mit diesem Gesetz- entwurf nun weitere massive Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte: Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erst- aufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des abso- luten Arbeitsverbotes und der Sachleistungsprinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen. Wir halten auch die Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monaten integrations- und flüchtlingspolitisch für kontrapro- duktiv. Der Druck der Kommunen auf die Landesre- gierungen, die Höchstdauer auszuschöpfen, wird al- lein schon aus finanziellen Erwägungen enorm sein. Geflüchteten wird selbst dann der Auszug aus den Erstaufnahmeeinrichtungen verboten, wenn sie selbst privaten Wohnraum zu günstigeren Kosten oder gar eine kostenlose Unterkunft bei Freunden oder Ver- wandten finden. Betroffen sind davon auch Flüchtlin- ge mit sogenannter „guter Bleibeperspektive“. Mit der Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeein- richtungen gehen die Residenzpflicht, ein absolutes Arbeitsverbot und in etlichen Bundesländern auch der Ausschluss von der Schulpflicht einher. Das Sachleis- tungsprinzip wird zwingend für den notwendigen Be- darf, einschließlich Ernährung und Kleidung, und als Soll-Bestimmung für den notwendigen persönlichen Bedarf, wie zum Beispiel Zigaretten oder Fahrkarten sodass der Staat immer weiß, wer sich wo befindet. Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Kon- flikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrich- tungen, was Gewalt und Kriminalität befördern wird. Damit schafft man keine Akzeptanz in der Bevölke- rung – im Gegenteil. Wir haben uns immer für die Abschaffung des Asyl- bewerberleistungsgesetzes eingesetzt. Mit dem vor- liegenden Gesetzespaket wird das Asylbewerberleis- tungsgesetz massiv verschärft. Verfassungswidrig ist die Herabsenkung von Leistungen unterhalb des so- ziokulturellen Existenzminimums durch die pauscha- le Leistungsanspruchseinschränkung für bestimmte Gruppen. Das kann mit den Vorgaben des Bundesver- fassungsgerichts nicht in Einklang gebracht werden. Aus der Menschenwürde folgt nämlich, dass das ein- heitliche, das physische und soziokulturelle Existenz- minimum in jedem Fall und zu jeder Zeit zu gewähr- leisten ist. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar. Eine bundesweite Gesundheitskarte wird es durch diesen Gesetzentwurf auch künftig nicht geben. Wie bisher dürfen die Länder sie ausstellen, sie muss aber fortan den Vermerk enthalten, dass sie nur zu Leis- tungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz be- rechtigt. Damit wird das erfolgreiche Modell 3 von Bremen, Hamburg und NRW in Frage gestellt. Ge- flüchtete bleiben Patienten zweiter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Völlig unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen, die Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissio- nen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin fest- steht, und die Verschärfung der Schleuserstrafbarkeit, statt die illegale Einreise zu entkriminalisieren und da- durch die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten. Die- se Regelungen werden den Erfolg bestehender freiwil- liger Rückführungsprogramme torpedieren und einen enormen Kosten- und Personalaufwand verursachen. Bei den Winterabschiebungsstopps wird der Hand- lungsspielraum der Landesregierungen bei Abschie- bungsstopps ohne Not eingeschränkt. Die vorüber- gehende Ermächtigung zur Ausübung der Heilkunde durch Asylsuchende ohne ärztliche Approbation, die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12713 (A) (C) (B) (D) allerdings für ihre Tätigkeit nicht vergütet werden dür- fen, sehen wir genauso kritisch wie die Bundesärzte- kammer. Darin liegt ein doppelter Gleichheitsverstoß: Manche ausländischen Ärzte dürfen dann – anders als Deutsche – ohne Approbation ihren Beruf ausüben, al- lerdings nur bestimmte ausländische Patienten behan- deln, denen dadurch faktisch der Zugang zu dem Re- gelsystem der Gesundheitsversorgung droht verwehrt zu werden. Die Verbesserungen beim Zugang zu den Integra- tionskursen sind weitestgehend folgenlos, weil der Kreis der Berechtigten restriktiv und teilweise vage formuliert ist und lediglich ein nachrangiger Zugang statt eines Teilnahmeanspruchs geschaffen wird. Letztlich wird diese angebliche Verbesserung an den schon jetzt fehlenden Kursplätzen scheitern oder dar- an, dass die Kurszulassung nach den Regelungen der Verordnung zum Asylverfahrensbeschleunigungsge- setz auf drei Monate befristet wird, was faktisch eine Kursteilnahme vereitelt. Als mindestens problematisch bewerten wir auch die Ermöglichung der Ernennung von Beamten als Richter auf Zeit bei den Verwaltungsgerichten sowie Betrauung von Richtern auf Probe als Einzelrichter mit Asylangelegenheiten, trotz fortbestehender Be- schränkungen bei der Zulassung von Rechtsmitteln. Rechtssicherheit kann nicht durch die Beschränkung von Rechtschutzmöglichkeiten hergestellt werden. So lange die Berufung in Asylsachen so selten zuge- lassen wird, so lange wird sich auch eine einheitliche Rechtsprechung, die dringend notwendig wäre, nicht herausbilden können. Selbst wenn die geringen Spielräume, die den Län- dern noch bleiben, von Bundesländern mit grüner Re- gierungsbeteiligung genutzt werden: In Ländern wie Bayern und Sachsen wird keine Regelung zugunsten der Geflüchteten ausgelegt. Trotz der lange überfälligen finanziellen Zusagen für Länder und Kommunen können wir in der Summe angesichts dieser massiven Verschlechterungen und Asylrechtseinschränkungen für Geflüchtete nur zu dem Schluss kommen, dieses Gesetz abzulehnen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Maria Klein-Schmeink und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tages- ordnungspunkt 5 a) Die Bundesregierung hatte lange Zeit die wachsenden Flüchtlingszahlen ignoriert und keine ausreichenden Vor- kehrungen getroffen, weder beim Bundesamt für Migra- tion und Flüchtlinge noch bei der Aufnahme und Versor- gung von Flüchtlingen. Länder und Kommunen wurden allein gelassen. Von daher begrüßen wir es ausdrücklich, dass nun durch zähe und lange Verhandlungen der Bun- desländer einige lang überfällige und vielfach geforderte Maßnahmen umgesetzt werden. An erster Stelle steht da- bei die strukturelle und dauerhafte Beteiligung des Bun- des an den Kosten der Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge. Insgesamt sollen Länder und Kommunen um mehr als 4 Milliarden Euro entlastet werden. Zudem werden Mittel zur Verfügung gestellt, die für unbeglei- tete minderjährige Flüchtlinge und für den Ausbau der Kinderbetreuung eingesetzt werden. Ein erster Schritt ist auch, dass der Bund die Mittel für die soziale Wohnraum- förderung um 500 Millionen Euro auf eine Milliarde in den nächsten vier Jahren erhöht. Diese Summe ist eine erste Finanzspritze. Wichtig ist auch, dass der Bund den Zugang zu Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung und zu Integrationskursen für viele Flüchtlinge verbessert. Mit all diesen Maßnahmen übernimmt der Bund endlich Verantwortung. Das Verhandlungsergebnis zwischen Bundesregierung und Bundesländern ist aber auch ein bitterer Kompro- miss. Denn er enthält eine Reihe von Gesetzesverschär- fungen, die mit einer menschenrechtsorientierten Flücht- lingspolitik nicht in Einklang zu bringen sind und zudem widersinnige Integrationshemmnisse aufbauen. Dazu zählen insbesondere die verlängerte Verpflichtung von Asylsuchenden zum Verbleib in Erstaufnahmeeinrich- tungen, Anspruchseinschränkungen im Asylbewerber- leistungsgesetz und die Ausweitung der Liste angeblich „sicherer Herkunftsstaaten“. Diese Gesetzesverschär- fungen werden wir bei Einzelabstimmungen namentlich ablehnen. Am Ende müssen wir uns aber auch zum Gesamtpa- ket verhalten, und diese Entscheidung fällt uns extrem schwer. Zustimmen können wir dem Gesetzentwurf aufgrund der Verschärfungen auf keinen Fall. Den Ge- setzentwurf können wir aber auch nicht ablehnen, denn als langjährige Kommunalpolitikerinnen und Kommu- nalpolitiker wissen wir, wie sehr die Kommunen auf die finanzielle Unterstützung des Bundes angewiesen sind. Aus diesen Gründen werden wir uns bei der Abstimmung über das Gesamtpaket zwangsläufig enthalten. Namentlich abgelehnt haben wir die Leistungskür- zungen unter das Niveau des soziokulturellen Existenz- minimums, die folglich nur Leistungen für Ernährung, Unterkunft (inklusive Heizung) sowie Körper- und Ge- sundheitspflege enthalten. Das ist nicht akzeptabel, denn alle Menschen, die hier leben, haben ein Anrecht auf die gleichen Leistungen. Deshalb sind wir auch der Mei- nung, dass diese Leistungseinschränkungen verfassungs- rechtlich mehr als fragwürdig sind. Auch die geforderte Umwandung der Geldleistungen für den persönlichen Bedarf in Sachleistungen ist weder humanitär noch so- zialpolitisch vertretbar. Sie überfrachten zudem die Auf- nahmeeinrichtungen mit noch mehr Bürokratie. Ablehnen werden wir auch, dass Albanien, Kosovo und Montenegro in die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen werden. Für uns ist das ein Angriff auf das Prinzip der Einzelfallprüfung, einen Grundpfeiler des Asylrechts. Das trifft insbesondere die Roma, denn sie werden in den Staaten des Westbalkans weiterhin diskriminiert. Und schlussendlich hat der Bun- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512714 (A) (C) (B) (D) destag erst im Sommer den KFOR-Einsatz der Bundes- wehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil ist. Für die Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Her- kunftsstaaten gibt es zudem weitere Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte. Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erstauf- nahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus fol- genden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten Arbeitsverbotes und des Sachleistungsprinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurück- gedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen. Auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Blei- beperspektive“ können zukünftig bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelen- dung in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Damit entsteht keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil. Deshalb werden wir auch diese Verschärfungen nament- lich ablehnen. Wir kritisieren auch die Beschränkung der Befas- sung der Härtefallkommissionen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin feststeht. Vor allem aber bleibt auch die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen recht- lich weiterhin auf die dringend erforderliche und nicht aufschiebbare Behandlung bei akuter Erkrankung be- schränkt. Das widerspricht nicht nur dem humanitären Gebot auf eine angemessene gesundheitliche Versor- gung, es führt häufig auch zu nachfolgenden bedeutend aufwendigeren Behandlungen und höheren Kosten. Ge- flüchtete bleiben somit Patienten zweiter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Die Opti- on, in den Bundesländern mit den Krankenkassen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu vereinbaren, wurde rechtlich nicht entsprechend den Vereinbarungen mit den Ministerpräsidenten geregelt. Es ist weder eindeutig absehbar, ob die bestehenden Vereinbarungen zur Ge- sundheitskarte für Flüchtlinge in Bremen, Hamburg und NRW Bestand haben. Es bleibt auch unklar, ob vergleich- bare Rahmenvereinbarungen in den anderen Bundeslän- dern in Zukunft möglich sind. Darüber hinaus soll auf der Karte vermerkt werden, dass es sich um Flüchtlinge handelt. Das ist diskriminierend und verlagert eine hoch- problematische Entscheidung über eine eingeschränkte Behandlung in die Arztpraxis. Ein letzter Gedanke ist uns abschließend noch wich- tig. Statt tragfähige Lösungen vorzuschlagen, werden immer wieder von Regierungsmitgliedern oder von Mit- gliedern der sie tragenden Parteien, insbesondere von der CSU, populistische und völlig abstruse Debatten vom Zaun gebrochen. Das lenkt von den wirklichen Proble- men ab. Vor allem kann dies die gelebte Solidarität der Bevölkerung erschüttern und gleichzeitig all jene, die Unterkünfte für Geflüchtete in Brand stecken, bestärken. Das sehen wir mit großer Sorge, und das geht uns auch unter die Haut. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Lars Castellucci und Dr. Dorothea Schlegel (beide SPD) zu der nament- lichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Ta- gesordnungspunkt 5 a) Das vorliegende Gesetz ist ein tragfähiger Kompro- miss, der unser Asylsystem insgesamt verbessern wird. Es enthält jedoch auch die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten gemäß Artikel 16 Absatz 3 Grundge- setz. Dieser Regelung kann ich nur als Teil des vorlie- genden Gesamtpakets zustimmen. Als für sich stehende Änderung müssten wir sie ablehnen. Das Grundrecht auf Asyl wird nicht dadurch besser, dass wir es einschränken. Im Parlamentarischen Rat gab es 1948 heftige Diskussionen um die Aufnahme eines Grundrechts auf Asyl. Aus den Erfahrungen deutscher Flüchtlinge, unter ihnen Willy Brandt, sollte eine Leh- re gezogen werden: Nie wieder Abhängigkeit vom guten Willen eines Grenzbeamten, sondern ein Rechtsanspruch. Es ist schon sehr bemerkenswert, dass ein Land, das am Boden lag, einen Satz in das Grundgesetz geschrieben hat, dass jeder Mensch hier ein Recht auf Asyl hat, der politisch verfolgt wird. Es ist noch bemerkenswerter, dass die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union über das Asylrecht für politisch Verfolgte hinausgegangen sind und sich auf gemeinsame Normen für den Schutz von Flüchtlingen geeinigt haben. Vor diesem Hinter- grund haben wir die Debatte zu führen. Nach dem Asylverfahrensgesetz handelt es sich bei den sicheren Herkunftsstaaten um solche Staaten, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder poli- tische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigen- de Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Diese Ver- mutung besteht, solange ein Mensch aus einem solchen Staat nicht glaubhaft Tatsachen vorträgt, die die Annah- me begründen, dass er entgegen dieser Vermutung doch verfolgt wird. Als sichere Herkunftsstaaten gelten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die in An- lage II des Asylverfahrensgesetzes bezeichneten Staaten. Das Recht, Schutz in Deutschland zu suchen, besteht auch für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten. Im Falle eines Asylantrages einer Person aus einem sicheren Herkunftsstaat ist der Antrag im ordentlichen Asylver- fahren zu bearbeiten. Die Verlängerung der Liste siche- rer Herkunftsstaaten hat auf die Asylantragszahlen somit keinen Einfluss. Die Einstufung von Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten wird Men- schen aus diesen Staaten nicht davon abhalten, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen. Diese Idee ist kei- ne Lösung für die aktuellen Herausforderungen, sondern reine Symbolpolitik. Das zeigt die Erfahrung: Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina gelten seit November 2014 als sichere Herkunftsstaaten. Trotzdem wurden bis September 2015 rund 24 700 Asyl- anträge aus EjR Mazedonien und Serbien gestellt. Ein Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12715 (A) (C) (B) (D) positiver Effekt ist somit nicht erkennbar. Im Gegenteil: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind die Antrags- zahlen aus EjR Mazedonien und Serbien sogar deutlich gestiegen (um 84,8 Prozent bzw. um 28,8 Prozent). Auch wird die Verfahrensdauer für Anträge von Men- schen aus sicheren Herkunftsstaaten kaum beeinflusst. Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigen, dass die Verfahren für Anträge von Menschen aus Albanien und Montenegro durchschnittlich deutlich kürzer sind (1,8 bzw. 3,1 Monate) als die Verfahren von Menschen aus den sicheren Herkunftsstaaten Serbien (4,2 Monate) sowie Bosnien und Herzegowina (4,4 Mo- nate). Das zeigt, dass eine erstrebenswerte Verkürzung der Asylverfahren auch ohne das Mittel der sicheren Her- kunftsstaaten möglich ist. Positive Effekte sind also nicht zu erkennen. Negative Effekte sind zu befürchten: Erstens kann die Einstufung eines Staates als sicher- er Herkunftsstaat die Beurteilung des Antrages eines Schutzsuchenden aus diesem Staat negativ beeinflussen. Es ist mindestens zu erwarten, dass die Sachbearbeitung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in dem Wissen, dass ein Mensch aus einem sicheren Herkunfts- staat kommt, den Antrag anders beurteilt als den Antrag eines aus einem anderen Staat kommenden Menschen. Dadurch besteht die Gefahr, dass tatsächliche Schutz- gründe nicht erkannt werden könnten. Es ist doch er- staunlich, dass die Schutzquote für Menschen zum Bei- spiel aus dem Kosovo in Frankreich im Jahr 2014 knapp 19 Prozent betrug, während in Deutschland lediglich knapp ein halbes Prozent der Menschen aus dem Kosovo Schutz erhielt. Auch in vielen anderen Staaten der Euro- päischen Union und der Schweiz sind die Schutzquoten für Flüchtlinge aus Staaten des westlichen Balkans weit höher als in Deutschland. Zweitens ist die Einstufung der Staaten des westlichen Balkans ein falsches Signal an diese Staaten. Die Euro- päische Union gerät in den Beitrittsverhandlungen in den Themenbereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechteschutz in die Defensive, wenn sie diesen Staaten einen Persilschein als sichere Herkunftsstaaten ausstellt. Drittens erweckt die andauernde Diskussion über si- chere Herkunftsstaaten den Anschein, dieses Mittel sei eine einfache und schnelle Lösung. Die Menschen in Deutschland erwarten wirksame und nachhaltige Lö- sungen. Am nachhaltigsten wäre die Beseitigung der Fluchtursachen. Nachhaltig wäre ein solidarisches Asyl- system der Europäischen Union. Nachhaltig wäre auch ein widerstandsfähiges und effizientes Asylsystem in Deutschland. Leider bindet die Diskussion über sichere Herkunftsstaaten wichtige Ressourcen, um diese Themen voranzutreiben. Die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer ist keine Antwort auf die drängenden Fragen von Migration und Flucht. Aus diesen Gründen können wir dem Gesetzentwurf nur mit Verweis auf diese Erklärung zustimmen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Uwe Kekeritz und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleuni- gungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Der vorliegende Gesetzentwurf enthält notwendige finanzielle Zusagen des Bundes, der sich künftig dau- erhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme beteiligt und darüber hinaus wei- tere finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Vernünftig ist auch, dass der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge durch Änderung der baurechtlichen Standards flexibili- siert wird, auch wenn sich diese Standardsenkung nicht verstetigen und auf andere Bereiche ausgeweitet werden darf. Wir erkennen auch an, dass Staatsangehörige der Westbalkanstaaten, wenn auch unter engen Vorausset- zungen, einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt er- halten können, was mit seinen Einschränkungen jedoch alles andere als ein Einstieg in ein Einwanderungsgesetz ist, sondern eine geringfügige, allenfalls symbolische Teilliberalisierung des bestehenden Systems, die zudem nur bis 2020 befristet ist. Trotz dieser positiven Aspekte können wir dem Ge- setzespaket nicht zustimmen. Schon der Titel ist eine Mogelpackung. Das Gesetz enthält zahlreiche Abschre- ckungs- und Ausgrenzungsvorschriften, aber nicht eine einzige Maßnahme, die geeignet wäre, Asylverfahren tatsächlich zu beschleunigen. Die Koalition hat sich ge- weigert, eine Regelung zur pauschalen Anerkennung von Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Irak und Somalia vorzu- schlagen. Sie hat keine Altfallregelung für langandauern- de Verfahren entworfen. Und sie hat die Forderung nach einer Aufhebung der obligatorischen Widerrufsprüfung gemäß § 73 Absatz 2 a AsylVfG zurückgewiesen. Statt tragfähige Lösungen vorzuschlagen, werden immer wieder von Regierungsmitgliedern oder von Mit- gliedern der sie tragenden Parteien, vor allem von der CSU, populistische und völlig abstruse Debatten vom Zaun gebrochen, die von den wirklichen Problemen ab- lenken und dazu führen können, dass die gelebte Solida- rität der Bevölkerung untergraben wird und Verbrecher, die Unterkünfte für Geflüchtete in Brand stecken, sich bestärkt fühlen. Diesen Geist atmet zum Teil auch das Asylverfahrensvereinfachungsgesetz. Das sehen wir mit großer Sorge. Die mit dem Gesetz eingeführte Dreiklassenunter- teilung von AsylbewerberInnen, Flüchtlingen aus soge- nannten sicheren Herkunftsstaaten, solchen mit „guter Bleibeperspektive“ und dem Rest, lehnen wir ab. Schi- kanen wie zusätzliche Leistungskürzungen und eine Umwandlung der Geldleistungen für den persönlichen Bedarf in Sachleistungen sind nicht nur humanitär, men- schenrechtlich und sozialpolitisch unvertretbar, sie wir- ken in der gegenwärtigen Situation auch als geistiger Brandsatz und überfrachten, statt zu entlasten, die Auf- nahmeeinrichtungen mit Bürokratie. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512716 (A) (C) (B) (D) Schon die bestehenden Leistungseinschränkungen für Geflüchtete im Asylbewerberleistungsgesetz und bei den Gesundheitsleistungen sind für uns in keiner Weise akzeptabel. Und gehören abgeschafft. Alle Menschen, die hier leben, haben in unseren Augen ein Anrecht auf die gleichen Leistungen. Leistungseinschränkungen und -ausschlüsse, sei es bei der Grundsicherung oder bei den Gesundheitsleistungen, fördern nur die Entstehung von Elendsquartieren, ausbeuterischer Schwarzarbeit, und sie produzieren, gerade im Gesundheitsbereich, Folgekos- ten, die sehr teuer werden können. Zudem sind wir der Überzeugung, dass die Leistungs- einschränkungen verfassungsrechtlich mehr als frag- würdig sind. Darin haben uns auch die Stellungnahmen der evangelischen und katholischen Kirche und weiterer Sachverständiger in der Anhörung zu dem vorliegenden Gesetz bestärkt. So sollen mit den Leistungskürzungen und der Umwandlung von Geld- in Sachleistungen laut dem Gesetzentwurf „Fehlanreize“ beseitigt werden. Dies sind in unseren Augen migrationspolitische Erwägungen, die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz vom 15.08.2012 als mögli- cher Grund für Leistungseinschränkungen ausgeschlos- sen wurden (Randnummer 121). Wir sind auch der Auffassung, dass jegliche Leistungs- kürzungen unter das Niveau des soziokulturellen Exis- tenzminimums und damit folglich erst recht Leistungen, die nicht einmal das physische Existenzminimum absi- chern, sondern nur Leistungen für Ernährung, Unterkunft (inklusive Heizung) sowie Körper- und Gesundheitspfle- ge enthalten, verfassungsrechtlich nicht zu halten sind. Und humanitär sowieso nicht. Das Bundesverfassungs- gericht hat zwar in dem oben genannten Urteil bei einem „nur kurzen“ Aufenthalt einen „möglicherweise spezi- fisch niedrige(ren) Bedarf“ (Randnummer 119) als bei längerfristig Aufenthaltsberechtigten nicht in jedem Fall ausgeschlossen, jedoch würde das Gericht nach unserer Kenntnis empirische Belege für den niedrigeren Bedarf verlangen. Zudem eröffnet der Gesetzentwurf auch de facto Leistungskürzungen bei mehr als nur kurzen Auf- enthalten, schon allein, weil die Leistungskürzungen bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen immer wieder verlängert werden sollen. Das Gleiche gilt für die Möglichkeit der Erbringung der Leistungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe in Form von Sachleistungen oder Wertgutscheinen statt fi- nanzieller Leistungen. Sachleistungen und Wertgutschei- ne verhindern gerade, dass individuell unterschiedlich hohe existenzielle Bedarfe von den Leistungsbeziehen- den im Rahmen einer pauschalierten Leistung ausgegli- chen werden können. Deshalb gehen wir auch hier weder von verfassungsrechtlich haltbaren noch humanitär hin- nehmbaren Leistungsunterdeckungen unter das soziokul- turelle Existenzminimum aus. Völlig abstrus erscheint uns auch, dass infolge der Änderungsanträge nun zwar die Möglichkeit der Erbringung von Sachleistungen in Aufnahmeeinrichtungen daran geknüpft wird, dass nur ein vertretbarer Verwaltungsaufwand vorliegt, eine sol- che Prüfung jedoch in Gemeinschaftsunterkünften nicht notwendig ist. Die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen bleibt rechtlich weiterhin auf die dringend erforderliche und nicht aufschiebbare Behandlung bei akuter Erkran- kung beschränkt. Das widerspricht nicht nur dem huma- nitären Gebot auf eine angemessene gesundheitliche Ver- sorgung, es führt häufig auch zu einer Chronifizierung und nachfolgenden bedeutend aufwendigeren Behand- lungen und, wie Studien zeigen, zu höheren Kosten. Ge- flüchtete bleiben somit Patienten dritter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Die Opti- on, in den Bundesländern mit den Krankenkassen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu vereinbaren, wurde rechtlich nicht entsprechend den Vereinbarungen mit den Ministerpräsidenten geregelt. Es ist weder eindeutig absehbar, ob die bestehenden Vereinbarungen zur Ge- sundheitskarte für Flüchtlinge in Bremen, Hamburg und NRW Bestand haben, die in weiten Teilen eine Versor- gung vorsieht, die der gesetzlich Versicherter entspricht. Es bleibt auch unklar, ob vergleichbare Rahmenver- einbarungen in den anderen Bundesländern in Zukunft möglich sind. Darüber hinaus soll auf der Karte vermerkt werden, dass es sich um einen Flüchtling handelt. Das ist diskriminierend und verlagert eine hochproblematische Entscheidung über eine eingeschränkte Behandlung in die Arztpraxis. Hinzu kommt, dass ein Flickenteppich von Regelungen entstehen wird, der für die Flüchtlinge bei einem Ortswechsel problematisch und für die Kran- kenkassen aufwendig ist. Notwendig wäre bundesein- heitlich die Einbeziehung der Geflüchteten in die gesetz- liche Krankenversicherung, wie dies für Flüchtlinge ab 15 Monaten bereits heute gilt. Die Kosten sollten durch den Bund getragen werden. In die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten werden nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro aufgenommen. Die Bestimmung von Bosnien-Herzego- wina, Mazedonien, Serbien, Senegal und Ghana zu si- cheren Herkunftsstaaten wird bestätigt, obwohl Roma, LGBTTI und JournalistInnen in den Staaten des West- balkans weiterhin Verfolgung droht und einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen im Senegal und Ghana immer noch unter Strafe stehen. Auch die allgemeine Sicherheitslage in den Westbalkan- staaten gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Der Bundestag hat erst im Sommer 2015 den KFOR-Einsatz der Bun- deswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch im- mer instabil ist. Für die Geflüchteten aus diesen Staaten ist dieses Gesetz ein schwerer Angriff auf das Prinzip der Einzel- fallprüfung, einen Grundpfeiler des Asylrechts. Die An- träge der Geflüchteten werden zwar formal noch einzeln geprüft, doch drängt sich eine ablehnende Entscheidung faktisch auf. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang unmissverständlich festgestellt, dass ein Staat nicht zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt werden kann, solange dort auch nur Angehörige einer einzigen Gruppe verfolgt werden (2 BvR 1507 und 1508/93). Der UNHCR, die EKD und die Deutsche Bischofs konferenz haben in ihren Stellungnahmen insoweit die Missachtung der Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrens- richtlinie) gerügt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12717 (A) (C) (B) (D) Neben die bisherigen Beschränkungen der Rechts- schutzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten treten nun weitere massive Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte: Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflich- tet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten Arbeitsverbotes und des Sachleistungs- prinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen. Wir halten auch die Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monaten inte- grations- und flüchtlingspolitisch für kontraproduktiv. Der Druck der Kommunen auf die Landesregierungen, die Höchstdauer auszuschöpfen, wird allein schon aus finanziellen Erwägungen enorm sein. Geflüchteten wird selbst dann der Auszug aus der Erstaufnahmeeinrichtung verboten, wenn sie selbst privaten Wohnraum zu güns- tigeren Kosten oder gar eine kostenlose Unterkunft bei Freunden oder Verwandten finden. Betroffen sind davon auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Bleibeperspek- tive“. Mit der Verpflichtung zum Verbleib in den Erstauf- nahmeeinrichtungen gehen die Residenzpflicht, ein ab- solutes Arbeitsverbot und in etlichen Bundesländern auch der Ausschluss von der Schulpflicht einher. Das Sachleistungsprinzip wird zwingend für den notwendi- gen Bedarf, einschließlich Ernährung und Kleidung, und als Soll-Bestimmung für den notwendigen persönlichen Bedarf, wie zum Beispiel Fahrkarten – sodass der Staat immer weiß, wer sich wo befindet – oder Zigaretten. Die- se Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrichtungen, was Gewalt und Kriminalität befördern wird. Damit schafft man keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil. Völlig unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen, die Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissio- nen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin fest- steht, und die Verschärfung der Schleuserstrafbarkeit, statt die illegale Einreise zu entkriminalisieren und da- durch die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten. Diese Regelungen werden den Erfolg bestehender freiwilliger Rückführungsprogramme torpedieren und einen enor- men Kosten- und Personalaufwand verursachen. Bei den Winterabschiebungsstopps wird der Handlungsspielraum der Landesregierungen bei Abschiebungsstopps ohne Not eingeschränkt. Die vorübergehende Ermächtigung zur Ausübung der Heilkunde durch Asylsuchende ohne ärztliche Approbation, die allerdings für ihre Tätigkeit nicht vergütet werden dürfen, sehen wir genauso kritisch wie die Bundesärztekammer. Darin liegt ein doppelter Gleichheitsverstoß: Manche ausländischen Ärzte dürfen dann – anders als Deutsche – ohne Approbation ihren Beruf ausüben, allerdings nur bestimmte ausländische Patienten behandeln, denen dadurch faktisch der Zugang zu dem Regelsystem der Gesundheitsversorgung droht, verwehrt zu werden. Die Verbesserungen beim Zugang zu den Integrations- kursen sind weitestgehend folgenlos, weil der Kreis der Berechtigten restriktiv und teilweise vage formuliert ist und lediglich ein nachrangiger Zugang statt eines Teil- nahmeanspruchs geschaffen wird. Letztlich wird diese angebliche Verbesserung an den schon jetzt fehlenden Kursplätzen scheitern oder daran, dass die Kurszulas- sung nach den Regelungen der Verordnung zum Asylver- fahrensbeschleunigungsgesetz auf drei Monate befristet wird, was faktisch eine Kursteilnahme vereitelt. Als mindestens problematisch bewerten wir auch die Ermöglichung der Ernennung von Beamten als Richter auf Zeit bei den Verwaltungsgerichten sowie Betrauung von Richtern auf Probe als Einzelrichter mit Asylange- legenheiten, trotz fortbestehender Beschränkungen bei der Zulassung von Rechtsmitteln. Rechtssicherheit kann nicht durch die Beschränkung von Rechtschutzmöglich- keiten hergestellt werden. Solange die Berufung in Asyl- sachen so selten zugelassen wird, so lange wird sich auch eine einheitliche Rechtsprechung, die dringend notwen- dig wäre, nicht herausbilden können. Wir setzen uns weiterhin für eine gerechte und solida- rische Lastenteilung innerhalb der EU, für gleichberech- tigte Mindestsicherungs- und Gesundheitsleistungen für Geflüchtete in Deutschland ein. Das Asylbewerberleis- tungsgesetz gehört abgeschafft und eine echte Gesund- heitskarte für Geflüchtete eingeführt. Die Herausforderungen, die mit den zu uns Geflüch- teten verbunden sind, müssen endlich angenommen wer- den. Wenn die Bundesregierung weiterhin zögert, steuern wir im kommenden Winter auf eine humanitäre Krise in Deutschland zu. Die Bundesregierung muss dringendst Maßnahmen ergreifen, um den Ländern und Kommunen zu ermöglichen, schnellstens Erstgesundheitsversorgun- gen und Impfungen bei allen Geflüchteten durchzuführen und dafür zu sorgen, dass die Kommunen noch vor dem Winter ausreichend Unterkünfte für Obdachlose, Ge- flüchtete und andere zur Verfügung stellen können. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleuni- gungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Klaus Brähmig (CDU/CSU): Im Rahmen der na- mentlichen Abstimmung am 15. Oktober 2015 werde ich dem oben genannten Entwurf eines Asylverfahrensbe- schleunigungsgesetzes zustimmen. Mit allem Nachdruck weise ich aber darauf hin, dass meiner Überzeugung nach dieses Maßnahmenpaket nur ein erster – wenn auch sehr wichtiger – Schritt sein kann, um die teilweise verhee- renden Auswirkungen der Flüchtlingsströme in unserem Land besser zu bewältigen. Zugleich rufe ich die Bundes- regierung auf, den Weg der Restriktion von illegaler und ungesteuerter Zuwanderung beherzt weiterzugehen, um den sozialen Frieden und die politische Statik Deutsch- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512718 (A) (C) (B) (D) lands nicht zu gefährden. Eine ungesteuerte Zuwande- rung, die sich nicht an den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen unseres Landes orientiert und das Sicherheitsbedürfnis unserer Bevölkerung weitgehend ignoriert, muss unweigerlich scheitern. Marco Bülow (SPD): In einigen wesentlichen Punk- ten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus menschen- rechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesserungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, wer- den die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kom- munen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pau- schale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich betei- ligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro. Derzeit sind nach Schätzungen des UNHCR 60 Mil- lionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist die höchste Zahl, die jemals vom UNHCR verzeichnet wur- de, und sie wächst weiterhin rasant. In der Bundesrepu- blik werden in diesem Jahr schätzungsweise 1 Million Geflüchtete erwartet. In dieser globalen Flüchtlingskri- se sehe ich sowohl die Europäische Union als auch die Bundesrepublik Deutschland in der Verantwortung für eine solidarische und humane Asylpolitik. Hierzu erachte ich eine Modernisierung des Asylrechts als erforderlich. Im Sinne beispielsweise legaler Wege für Asylsuchende nach Europa und im Sinne einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis in der Europäischen Union und der Bundes- republik Deutschland. Hierzu zählen für mich ebenfalls Maßnahmen, wie einen Zweckwechsel für Asylsuchende zu ermöglichen. Als Sozialdemokrat lehne ich grundsätz- lich Verschärfungen ab, die einer menschenrechtsbasier- ten Asylpraxis entgegenstehen. Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem An- spruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün- digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein- schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungs- kürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman, und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungs- konform. Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, ent- halte ich mich der Stimme. Dr. Karamba Diaby (SPD): Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen nehme ich für mich das Recht eines jeden Abgeordne- ten nach Artikel 38 (1) des Grundgesetzes in Anspruch. In Abwägung der getroffenen Verbesserungen und Ver- schärfungen des Asylverfahrensbeschleunigungsgeset- zes stimme ich mit Enthaltung. Erstens. Derzeit sind nach Schätzungen des UNHCR 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist die höchste Zahl, die jemals von UNHCR verzeichnet wurde, und sie wächst weiterhin rasant. In der Bundesre- publik werden in diesem Jahr schätzungsweise 1 Million Geflüchtete erwartet. In dieser globalen Flüchtlingskrise sehe ich sowohl die Europäische Union als auch die Bun- desrepublik Deutschland in der Verantwortung für eine solidarische und humane Asylpolitik. Hierzu erachte ich eine Modernisierung des Asylrechts als erforderlich, im Sinne beispielsweise legaler Wege nach Europa für Asyl- suchende und im Sinne einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis in der Europäischen Union und der Bundes- republik Deutschland. Hierzu zählen für mich ebenfalls Maßnahmen wie die, einen Zweckwechsel für Asylsu- chende zu ermöglichen. Als Sozialdemokrat lehne ich grundsätzlich Verschärfungen ab, die einer menschen- rechtsbasierten Asylpraxis entgegenstehen. Zweitens. In unter anderem folgenden wesentli- chen Punkten sehe ich deutliche Verbesserungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, wer- den die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kom- munen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pau- schale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus vorgesehen. Zusätzlich be- teiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro. Drittens. Hingegen verschlechtert der vorliegende Gesetzentwurf die Situation von Geflüchteten. Unter anderem folgende Neuregelungen sind für mich aus menschenrechtlichen Erwägungen heraus und aus dem Anspruch heraus, dass Flucht nach Deutschland mög- lich sein muss, nicht zustimmungsfähig: Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün- digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein- schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind unverhältnismäßig. Ebenfalls sind die unbegründeten Leistungskürzungen inhuman und scheinen mir nicht verfassungskonform. Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): In einigen wesent- lichen Punkten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus menschenrechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesse- rungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu be- kämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kommunen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asyl- suchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzli- chen Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro. Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem An- spruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12719 (A) (C) (B) (D) widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün- digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein- schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungs- kürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman, und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungs- konform. Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, enthalte ich mich in der Gesamtabstimmung und bei den Einzelabstimmungen zu den genannten Punkten der Stimme. Hilde Mattheis (SPD): Zweifelsohne ist die politi- sche Bewältigung des großen Zustroms an Flüchtlingen aus verschiedenen Teilen der Welt eine der größten Her- ausforderungen für die Bundesrepublik. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, auch durch kurzfristige, schnelle und unbürokratische Hilfe, dafür zu sorgen, dass Gemeinden, Bundesländer und andere staatliche Institutionen die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen gewährleisten können, wenn sie dazu finanziell oder strukturell nicht (mehr) in der Lage sind. Der vorliegende Gesetzesentwurf erfüllt dieses Ziel nur zum Teil. Es ist sehr zu begrüßen, dass Maßnahmen zur medizinischen Versorgung und zur Integration von Flüchtlingen ergriffen werden. Angesichts der hygienischen Mängel – insbesondere in Erstaufnahmeeinrichtungen und der Gefahr von ei- ner schnellen Ausbreitung von Krankheiten – sind die vorgeschlagenen Verbesserungen zum Impfschutz sehr wichtig. Sie werden dazu beitragen, den Impfschutz für Flüchtlinge deutlich zu erhöhen. Ebenso sinnvoll ist es, dass Geflüchtete, die in ihren Heimatländern als Ärzte tätig waren, hier die Möglichkeit erhalten, weiter die medizinische Behandlung zu übernehmen. So kann einem drohenden Ärztemangel entgegengewirkt wer- den. Besonders wichtig ist für die SPD die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge, die eine sinnlose Bürokratie vermeidet und den Zugang zu medizinischer Versorgung entscheidend verbessert. Umso bedauerlicher ist es, dass es nicht gelungen ist, dieses Instrument bundesweit einzuführen, sondern ei- nige Bundesländer bereits angekündigt haben, dass sie die Gesundheitskarte aus ideologischen Gründen nicht einführen werden. Auch der verbessere Zugang zur Sprachförderung ist zu begrüßen. Kenntnisse in der deutschen Sprache sind der Schlüssel, um eine spätere schnelle Integration in die Schule oder auf dem Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Dem gegenüber stehen die Einschränkungen des Asylrechts, die vor allem auf Druck der CDU/CSU ins Gesetz geschrieben wurden. Dabei ist insbesondere die nochmalige Ausweitung von sogenannten sicheren Her- kunftsstaaten, die Verlängerung des Aufenthaltes in Erst- aufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monate und den Vorrang von Sach- gegenüber Geldleistungen in Erstauf- nahmeeinrichtungen zu nennen. Die Ausweitung von sicheren Herkunftsstaaten auf weitere Länder des Westbalkans lehne ich ab. Die Bun- desregierung ignoriert hier, dass diese Länder durch vielfache Diskriminierungen und Gewalt zum Beispiel gegenüber Roma nicht als sicher gelten können. Die niedrige Anerkennungsquote in Deutschland von Flücht- lingen aus diesen Ländern kann nicht als Rechtfertigung dienen, diese Länder ohne weitere Argumente als sicher einzustufen. Die Verlängerung des Aufenthaltes in Erstaufnahme- einrichtungen wurde von der Großen Koalition in die- sem Jahr auf drei Monate verkürzt. Dass diese Regelung wieder zurückgenommen werden soll, ist falsch. Auf- grund der Zustände in den Einrichtungen ist ein längerer Aufenthalt inakzeptabel. Zudem stehen die dort geltende Residenzpflicht und das Arbeitsverbot einer schnellen In- tegration entgegen. Geldleistungen für Asylbewerber dienen der Deckung des täglichen Bedarfs. Sie sind kein Taschengeld, und sie sind ganz sicher kein Anreiz für eine Flucht nach Deutschland. Diese so weit wie möglich in Sachleis- tungen umzuwandeln, wie es der Gesetzesentwurf vor- schlägt, ist unpraktisch, mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden und möglicherweise nicht verfas- sungskonform. Keine dieser Regelungen ist in irgendeiner Art und Weise geeignet, Kommunen und Bundesländer zu entlas- ten, Flüchtlinge besser zu versorgen, unterzubringen oder zu integrieren, Fluchtursachen zu bekämpfen und damit sinnvoll den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen. Diese Regelungen werden die Situation nicht verbessern, sondern noch verschlechtern. Daher kann ich dem vorliegenden Gesetzesentwurf trotz der erreichten Verbesserungen durch die SPD nicht zustimmen. Klaus Mindrup (SPD): Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verfol- gung und es kommen viele schutzsuchende Menschen nach Europa, insbesondere auch nach Deutschland. Wir wollen unserer humanitären Verantwortung gerecht wer- den und möglichst vielen Personen Schutz und Sicherheit bieten. Das stellt den Bund, die Länder und Kommunen und die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderun- gen. Selbstverständlich müssen wir als langfristige Maß- nahmen Fluchtursachen bekämpfen und Krisenregi- onen stabilisieren, deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, um die betroffenen Nachbarländer mit ihren Flüchtlingscamps zu unterstützen. Dazu brauchen wir auch eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der Europä ischen Union. Wir sind zudem gefordert, in der momentanen Situation kurzfristige Lösungen zur Schaf- fung einer nachhaltigen Infrastruktur für Flüchtlinge und ihre Integration in unser Land zu finden. Auf dem Flücht- lingsgipfel im Bundeskanzleramt am 24. September wur- de ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, das heute im Bundestag verabschiedet wird. Das Asylpaket ist ein wichtiger Schritt, um die Auf- nahme, menschenwürdige Unterbringung, Versorgung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512720 (A) (C) (B) (D) und Integration von geflüchteten Menschen zu gestalten. Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Der Bund beteiligt sich ab 2016 dauerhaft und struk- turell an den Kosten der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen mit einer Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylbewerber für die Dauer des Verfahrens. Dies war ein Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Michael Müller, der sich in den Verhandlun- gen durchsetzen konnte. Auch beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zusätzlich mit 350 Millionen jährlich und stellt u. a. 500 Millionen Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau und 900 Millionen frei werdende Mittel aus dem gestoppten Betreuungsgeld für bessere Kin- derbetreuung bereit. Für ein Sonderprogramm des Bun- desfreiwilligendienstes in der Flüchtlingsarbeit werden 10 000 neue Stellen geschaffen. Darüber hinaus eröffnet das Asylpaket auch Perspek- tiven für Perspektiven für AsylbewerberInnen, bei denen ein dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, unter anderem durch die Aufstockung der Mittel für Sprachkurse, die frühe Öffnung der Integrationskurse und Regelungen zur frühzeitigen Arbeitsmarktintegration. Außerdem sieht der Gesetzentwurf Erleichterungen im Bau planungs- recht für Flüchtlingsunterkünfte vor sowie eine deutliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Asylbe- werberInnen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich an vielen Stel- len dafür eingesetzt, dass der ursprüngliche Entwurf ent- schärft werden konnte. Viele Verschärfungen des Asyl- rechts konnten wir heraus verhandeln. Das erkenne ich an. Der Gesetzentwurf enthält allerdings eine Reihe von Regelungen, die ich sehr kritisch sehe. Für mich ist klar: Es darf keine Abstriche am Grund- recht auf Asyl geben. Maßnahmen, von denen bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes klar ist, dass sie zu ei- ner positiven Bewältigung der aktuellen Herausforderun- gen nicht nur nicht beitragen, sondern finsterste Abschre- ckungs- und Abschottungspolitik sind, lehne ich auf das Schärfste ab. Das ist nicht das Deutschland, das ist nicht das Europa, welches ich mir für unsere Kinder und für uns selbst wünsche. Ich befinde mich mit meiner Kritik auch in bester Gesellschaft: mit dem Rat für Migration, mit den katholischen Bischöfen, Wohlfahrtsverbänden, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, der Bun- desärztekammer. Insbesondere bei den Regelungen zur Gesundheitsver- sorgung von Flüchtlingen führt die Blockadehaltung der Union nicht nur zu einer Zweiklassen-Gesundheitsver- sorgung sondern auch noch zu einem Flickenteppich – je nach Bundesland mit unterschiedlichem Zugang zu Ge- sundheitsleistungen für Flüchtlinge. Die Unterscheidung in Flüchtlinge mit guter Blei- beperspektive und solche ohne ist problematisch. Und zwar nicht nur vor dem Hintergrund , dass das Asylrecht eine Individualprüfung vorsieht, sondern auch aus prak- tischen Erwägungen , dass eine Zweiklassenbehandlung von Flüchtlingen zu Konflikten führen wird. Schattenseiten des Asylverfahrensbeschleunigungsge- setzes 1. Erweiterung der Liste von sicheren Drittstaaten Laut Gesetzesentwurf werden folgende „sichere Herkunftsländer“ genannt: Albanien, Bosnien und Her- zegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Damit werden Albanien, Kosovo und Montenegro erstmals zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Diese Erweiterung geht über den geltenden Koa- litionsvertrag hinaus. Das Grundrecht auf Asyl ist jedoch ein individuelles Recht, das zwingend die Einzelfall- prüfung vorsieht. Das Konzept der sicheren Drittsaaten entkernt dieses Grundrecht. Das jeweilige Asylverfahren wird in der Praxis lediglich um 10 Minuten beschleunigt. Auch aus den erst in diesem Jahr als „sicher“ deklarier- ten Drittstaaten ist die Anzahl der Erstanträge dieses Jahr weiter gestiegen (aus Serbien bis 30.9.15: 14 390 im Ver- gleich zu 2014: 17 172; Mazedonien bis 30.9.15: 7 385 im Vergleich zu 2014: 5 614). Im europäischen Vergleich wurden nach Angaben von Pro Asyl 2014 in Frankreich 20 Prozent in Belgien 18 Prozent Schutzsuchenden aus dem „sicheren Herkunftsland“ Bosnien und Herzegowi- na anerkannt. Problematisch ist zudem, dass trotz der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung weiter an der ge- setzlichen Einstufung von Ghana und Senegal als „si- cheren Herkunftsstaaten“ festgehalten wird, obwohl dort einvernehmliche homosexuellen Beziehungen unter Er- wachsenen unter Strafe stehen. Situation im Kosovo Rund 700 deutsche Soldaten leisten derzeit Dienst im Kosovo im Rahmen des KVOR-Einsatzes mit dem Auf- trag, ein sicheres Umfeld im Kosovo aufzubauen und zu erhalten, einschließlich öffentlicher Sicherheit und Ord- nung. Es ist schwer vermittelbar, dass ein Land, in dem die Bundeswehr die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten muss, als sicherer Drittstaat eingestuft werden kann. Am Beispiel Kosovo lässt sich aber zugleich auch zeigen, wie ohne eine Einstufung als „sicherer Dritt- staat“ eine Lösung erreicht werden kann. Nachdem An- fang 2015 sehr viele Asylanträge von KosovarInnen ge- stellt wurden, hatten sich mehrere Bundesländer und der Bund verständigt, die Anträge beschleunigt zu bearbei- ten und vor Ort Aufklärungsarbeit zu leisten. Innerhalb von vier Wochen wurden über 50 Prozent der Anträge entschieden. Die Maßnahmen zeigten schnell Wirkung – denn die Zahlen der Erstanträge gingen schnell zurück. Im Januar stand der Kosovo noch auf Platz zwei der Her- kunftsländer, im September nur noch an neunter Stelle. Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat in einem Urteil vom 10. Oktober 2014 entschieden, dass Kosovo von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten in Frankreich zu streichen ist. In dem Urteil stellt das Ge- richt fest, dass ein Staat, dessen Institutionen noch in weiten Teilen von der Unterstützung internationaler Or- ganisationen und Missionen abhängig seien, nicht die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12721 (A) (C) (B) (D) Voraussetzungen erfülle. Insbesondere führe die unsiche- re politische und soziale Situation im Kosovo dazu, dass einige Bevölkerungsgruppen keinen effektiven Schutz vor gewalttätigen Übergriffen finden könnten. Die verbreitete gesellschaftliche Diskriminierung von Minderheiten unter Einschluss der Roma wird sowohl in der Gesetzesbegründung als auch in vielen Stellungnah- men zum Gesetzentwurf zu Recht problematisiert. Vor dem Kosovokrieg lebten ca. 150 000 Roma, Ashkali und sogenannte ÄgypterInnen im Kosovo. Heu- te sind es nur noch ca. 50 000. Ausgrenzung herrscht auf dem Arbeitsmarkt, beim Zugang zur Gesundheitsversor- gung, zur Schulbildung und zum Wohnraum. Von zent- raler Bedeutung ist die Ausgrenzung der Roma bei der medizinischen Versorgung. Das BAMF sowie die Ge- richte haben die meisten positiven Bescheide bezüglich Abschiebeschutz aufgrund gravierender Erkrankungen der Flüchtlinge und deren Nichtbehandlung im Kosovo gefällt. In der Schweiz erhielten nach Angaben von Pro Asyl 2014 rund 37 Prozent der serbischen und 40 Prozent kosovarischen AntragstellerInnen einen Schutzstatus. Finnland gewährte 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem Kosovo Schutz. Situation in Albanien Der Deutsche Anwaltsverein mahnt an, dass ge- schlechtsspezifische Verfolgung, insbesondere sexua- lisierte Gewalt, seitens der Bundesregierung nicht hin- reichend untersucht wurde. Bezüglich Albanien wird ausdrücklich von diskriminierenden Bräuchen für junge Mädchen berichtet, allerdings eine staatliche Billigung nicht erkannt. Darauf kommt es aber gemäß Artikel 6 der Qualifikationsrichtlinie der EU (RL/EU 2011/95) nicht an. Bezüglich Kosovo und Montenegro wurde ge- schlechtsspezifische Verfolgung gar nicht untersucht. In Großbritannien wurden nach Angaben von Pro Asyl im Jahr 2014 18 Prozent der albanischen Asylsuchenden als schutzbedürftig eingestuft. Situation in Montenegro Nach Angaben des LSVD wurde beispielsweise in Montenegro das Zentrum für Lesben, Schwule, Bi- sexuelle, Transgender und Intersexuelle in der Haupt- stadt Podgorica laut Amnesty International allein im ver- gangenen Jahr 26-mal angegriffen. 2. Flickenteppich statt Gesundheitskarte Eine flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist aufgrund der Blockadehaltung von CDU/CSU nicht gelungen. Auch die Beschränkung der Behandlungen auf „akute Erkrankungen und Schmerz- zustände“ konnte nicht gelockert werden. Das bedeu- tet nicht nur eine Zweiklassen-Gesundheitsversorgung, sondern führt auch noch zu einem je nach Bundesland unterschiedlichen Zugang zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge. In der Union haben sich diejenigen durchge- setzt, die glauben, der Zugang zu unserem Gesundheits- wesen sei das „falsche Signal“. Sie glauben völlig an der Realität vorbei, dass Menschen Tausende Kilometer und Todesängste wegen unseres Gesundheitssystems auf sich nehmen. Derzeit ist das Verfahren äußerst kompliziert: Kran- ke Flüchtlinge müssen bei jeder Erkrankung erst zum Sozial amt, wo – nach zumeist langen Wartezeiten – me- dizinische Laien über jeden Arztbesuch entscheiden. Diese entscheiden, ob eine akute Erkrankung, ob ein Schmerzzustand vorliegt, der ärztlich behandelt werden darf. Erst nach Erhalt des sogenannten „Grünen Schein“ ist ein Arztbesuch möglich. Die ÄrztInnen schicken dem Amt die Rechnung, dieses bezahlt diese – nach Prüfung – direkt. So wird in den ohnehin oftmals überforderten So- zialämtern ein großer bürokratischer Aufwand geschaf- fen. Eine bundesweite Regelung hätte alle Kommunen entlastet. Die jetzt getroffene Regelung führt zu einem Flickenteppich in Deutschland. Eine Einigung war ledig- lich hinsichtlich der Ermächtigung für die Bundesländer möglich. Diese können die gesetzlichen Krankenkassen verpflichten, gegen Kostenerstattung die Krankenbe- handlungen zu übernehmen. Der AOK-Bundesverband macht in seiner Stellungnahme deutlich, dass eine Leis- tungsgewährung ohne Gesundheitskarte zu zusätzlichem Bürokratieaufwand führt, den die Krankenkassen nur unter Einsatz erheblicher personeller und sächlicher Res- sourcen bewältigen können. Eine Leistungsgewährung über von der Krankenkasse auszugebende Behandlungs- scheine in Papierform wäre angesichts der aktuellen E-Health-Gesetzgebung ein Rückfall in die Steinzeit, mahnt der AOK-Bundesverband an. Eine elektronische Gesundheitskarte ist sowohl in Stadt- als auch Flächenstaaten möglich: Hamburg und Bremen machen es uns bereits seit Langem vor, Nord- rhein-Westfalen wird es uns ab Anfang 2016 zeigen. Vom Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wür- den hingegen alle Beteiligten profitieren: Flüchtlinge, Ärztinnen und Kommunen. Zudem kämen die Synergie- effekte besser zum Tragen, wenn der Einsatz der Gesund- heitskarte bundesweit erfolgen würde. Dem Entwurf zufolge soll die elektronische Gesund- heitskarte eine Angabe über den besonderen Status des Karteninhabers und damit über das begrenzte Leis- tungsspektrum nach den §§ 4 und 6 des Asylbewerber- leistungsgesetzes enthalten. Dies durfte die Aufrüstung der EDV-Systeme, sowohl bei den Kassen als auch bei den Vertragsärzten und -psychotherapeuten, mit den entsprechenden Kosten erforderlich machen. Des Weite- ren ist den Ärzten eine Prüfung, ob eine Leistung dem Versorgungsanspruch nach §§ 4, 6 AsylbLG unterfällt, nicht zuzumuten. Auch die Bundesärztekammer hält es für höchst fragwürdig, den Asylbegehrenden einen nur beschränkten Leistungsanspruch nach Asylbewerberleis- tungsgesetz zu gewähren. Auch gemäß der UN-Kinderrechtskonvention müssen alle Kinder (also minderjährige Flüchtlinge bis 18 Jahre), die sich bei uns in Deutschland aufhalten, mittels Kran- kenkassenkarte vollen Zugang zur Gesundheitsversor- gung gemäß allen Büchern des SGB erhalten, und zwar unabhängig von der Asylgewährung und vom Stand ihres Verfahrens. Dies betrifft insbesondere die derzeit nicht gewährleistete Versorgung chronisch kranker und behin- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512722 (A) (C) (B) (D) derter Flüchtlingskinder sowie die Versorgung von Kin- dern mit psychischen Störungen und Traumata. 3. Verbleib von Menschen aus so genannten sicheren Drittstaaten bis zur Abschiebung in Erstaufnahmeein- richtungen Für Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Her- kunftsländern“ wird eine unbegrenzte Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen angeordnet (bis zur Ent- scheidung über Ausreise oder Abschiebung). Generell soll die Verpflichtung, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, auf sechs Monate verlängert werden können. Damit geht eine Verlängerung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbots einher. Das UNHCR hält die Ausdeh- nung der Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrich- tung zu wohnen, auf 6 Monate für problematisch. In der Realität sind die Unterkünfte in den Erstauf- nahmeeinrichtungen überfüllt, häufig nicht winterfest, und die Belegung auf engstem Raum ist auf Dauer nicht zumutbar. Die Unterbringungssituation – in Tragluft- hallen, Industriegebäuden, Zeltstädten – befördert die psychische Belastung, soziale Ausgrenzung und Stigma- tisierung der Menschen. Darunter leiden insbesondere Familien mit Kindern und alleinstehende Frauen. Gerade aus Frauenperspektive habe ich große Bedenken gegen diese Regelung. Erst im letzten Jahr wurden für die Gruppe der Asyl- bewerberInnen im Rahmen des Rechtsstellungsverbesse- rungsgesetzes wesentliche Erleichterungen geschaffen, die jetzt wieder abgeschafft werden. Ein Zweiklassensystem bei der Aufnahme von Asyl- suchenden darf es nicht geben. Es ist diskriminierend und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar – denn ob ein Asylantrag berechtigt ist oder nicht, steht erst am Ende eines Asylverfahrens fest und darf nicht vor- weggenommen werden. Die Arbeiterwohlfahrt befürchtet zudem, dass durch die drei geplanten großen Verteilzentren für Flüchtlinge die Ressentiments in der Bevölkerung deutlich ansteigen könnten (geplant sind die Verteilzentren in Selchow am Flughafen BER, Lüneburger Heide und bei Heidelberg). Dieses einerseits, weil die geplante große Anzahl von Menschen in Unterkünften für die einheimische Bevöl- kerung beängstigend sein könnte und es rechtsgerichte- ten Gruppen einfacher macht, Ängste zu schüren, und an- dererseits, da Regionen für die Großunterkünfte gewählt wurden, die nur schwierig den Kontakt zur Bevölkerung ermöglichen werden. Gerade dieser bewusst hergestellte Kontakt zwischen den Menschen auf der Flucht und den Einheimischen hat sich aber bewährt als wirkungsvolle Maßnahme zum sozialen Zusammenhalt und zur Will- kommenskultur. 4. Negierung des Gender-Aspektes Für sehr problematisch halte ich die völlige Negie- rung des Gender-Aspektes und damit der geschlechts- spezifischen Notlagen bis hin zur sexuellen Gewalt ge- gen Frauen und Mädchen auf der Flucht bzw. in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen. Dieses Regierungsverhalten widerspricht der Istanbul-Konvention. Dabei kennt die Bundesregierung diese Notlagen: Schon 2004 lieferte eine Studie des Familienministeriums zu „Lebenssitua- tion, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutsch- land“ Hinweise: 79 Prozent der stichprobenartig befrag- ten weiblichen Flüchtlinge gaben an, in Deutschland psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein, 51 Prozent spra- chen von körperlicher, 25 Prozent von sexueller Gewalt. Gerade hat das Deutsche Institut für Menschenrechte die weitere Studie „Effektiver Schutz vor geschlechtsspezi- fischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften“ veröf- fentlicht. Hier wird der mangelhafte Schutz von Frauen angeprangert, die nach Deutschland geflohen sind. 5. Einschränkung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Das Gesetz sieht Leistungsreduzierungen für Men- schen vor, über deren Asylrecht oder Ausreisepflicht noch nicht entschieden wurde, außerdem für vollziehbar ausreisepflichtige AusländerInnen, denen keine Duldung gewährt wurde oder deren Duldung abgelaufen ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom Juli 2012 klargestellt, dass das Men- schenrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Exis- tenzminimums allen Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zukommt. Die Höhe existenzsichern- der Leistungen darf sich ausschließlich am Bedarf, nicht aber an migrationspolitischen Überlegungen orientieren. „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ hat das Bun- desverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2012 ausdrücklich festgestellt. 6. Einführung von Sachleistungen in den Erstaufnah- meeinrichtungen Gemäß § 3 Absatz 1 und 2 AsylbLG sollen die Be- hörden den Asylsuchenden künftig jegliches Bargeld, das heißt das „Taschengeld“ zur Deckung ihres soziokultu- rellen Teilhabebedarfs an der Gesellschaft und zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen – Telefon, Fahrgeld, Anwalt, Kommunikation, Bildung, Kultur usw. – unter Hinweis auf die Substitution dieses Bedarfs durch Sach- leistungen in den EAEs und GUs dauerhaft teilweise oder vollständig streichen können. Die neue Sollvorschrift für die Rückkehr zum Sach- leistungsprinzip ist ein großer Schritt zurück in die 90er-Jahre. Die mühsam errungenen Fortschritte im letz- ten Jahr werden damit zunichte gemacht. Die Anwendung des Sachleistungsprinzips bedeutet nicht nur einen höheren Verwaltungsaufwand, sondern erschwert auch eine selbstständige Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe. Stattdessen sollen die Asylsu- chenden künftig für den persönlichen Bedarf „Sachleis- tungen“ beantragen, also für jede Sim-Karte, Briefmar- ke oder Fahrkarte zum Arzt, für jeden Besuch bei einer Beratungsstelle oder Anwalt usw. erst einen begründeten Antrag bei der Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung stellen müssen. Im Ergebnis ist absehbar, dass bundesweit der Betrag je nach politischer Couleur festgesetzt, gekürzt oder ge- strichen werden wird. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12723 (A) (C) (B) (D) 7. Abschiebungen ohne Vorankündigung – de facto Abschaffung der Härtefallkommissionen Mit dem Verbot der Ankündigung einer Abschiebung wird die Arbeit der Härtefallkommissionen de facto ab- geschafft. Dabei hat sich das Härtefallkommissionsver- fahren trotz erheblicher anfänglicher Bedenken einiger Bundesländer in den meisten Bundesländern bewährt. Es hat sich herausgestellt, dass das Verfahren in vielen hu- manitären Fällen, in denen eine Aufenthaltsbeendigung als nicht mehr vertretbar erschien, zu einer vernünftigen Lösung führen konnte. 8. Beschäftigungsverbot für Personen aus sicheren Drittstaaten Ein generelles Arbeitsverbot für AusländerInnen soll verhängt werden, wenn sie sich in das Inland begeben haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungs- gesetz zu erlangen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die sie selbst zu vertreten haben , nicht vollzogen werden können oder sie Staatsangehörige ei- nes sicheren Herkunftsstaates nach § 29 a des Asylge- setzes sind und ein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt wurde. Das geplante gesetzliche Arbeitsverbot für Geduldete, die das Abschiebehindernis selbst zu vertreten haben, wird kontraproduktiv wirken. für Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Ausbeu- tungsverhältnisse. Aus Artikel 15 Absatz 1 Asyl-Aufnahme-Richtlinie 2013/33/EU ergibt sich, dass spätestens neun Monate nach der Stellung des Asylantrags ein Arbeitsmarktzu- gang zu gewähren ist. Dies gilt auch für Asylbewerberin- nen aus sicheren Herkunftsstaaten, solange das BAMF noch nicht über den Antrag entschieden hat. Trotz der genannten kritischen Punkte komme ich zum Ergebnis, dass ich dem Gesetzentwurf zustimme, da die positiven Punkte überwiegen. Ich werde mich für die Korrektur der negativen Punkte einsetzen. Mechthild Rawert (SPD): Weltweit sind 60 Mil- lionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verfolgung, und es kommen viele schutzsuchende Men- schen nach Europa, insbesondere auch nach Deutsch- land. Wir wollen unserer humanitären Verantwortung gerecht werden und möglichst vielen Personen Schutz und Sicherheit bieten. Das stellt den Bund, die Länder und Kommunen und die gesamte Gesellschaft vor gro- ße Herausforderungen. Selbstverständlich müssen wir als langfristige Maßnahmen Fluchtursachen bekämpfen und Krisenregionen stabilisieren, deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, um die betroffenen Nachbarländer mit ihren Flüchtlingscamps zu unterstützen. Dazu brauchen wir auch eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der Europäischen Union. Wir sind zudem gefordert, in der momentanen Situation kurzfristige Lösungen zur Schaffung einer nachhaltigen Infrastruktur für Flüchtlin- ge und ihre Integration in unser Land zu finden. Auf dem Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt am 24. Septem- ber wurde ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlos- sen, das heute im Bundestag verabschiedet wird. Das Asylpaket ist ein wichtiger Schritt, um die Auf- nahme, menschenwürdige Unterbringung, Versorgung und Integration von geflüchteten Menschen zu gestalten. Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Der Bund beteiligt sich ab 2016 dauerhaft und strukturell an den Kosten der Unterbringung und Versorgung von Flücht- lingen mit einer Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylbewerber für die Dauer des Verfahrens. Dies war ein Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, der sich in den Verhandlungen durch- setzen konnte. Auch beteiligt sich der Bund an der Ver- sorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zusätzlich mit 350 Millionen Euro jährlich und stellt un- ter anderem 500 Millionen Euro für den sozialen Woh- nungsbau und 900 Millionen Euro frei werdende Mittel aus dem gestoppten Betreuungsgeld für bessere Kin- derbetreuung bereit. Für ein Sonderprogramm des Bun- desfreiwilligendienstes in der Flüchtlingsarbeit werden 10 000 neue Stellen geschaffen. Darüber hinaus eröffnet das Asylpaket auch Perspek- tiven für AsylbewerberInnen, bei denen ein dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, unter anderem durch die Auf- stockung der Mittel für Sprachkurse, die frühe Öffnung der Integrationskurse und Regelungen zur frühzeitigen Arbeitsmarktintegration. Außerdem sieht der Gesetzent- wurf Erleichterungen im Bauplanungsrecht für Flücht- lingsunterkünfte vor sowie eine deutliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung von AsylbewerberInnen. Der Gesetzentwurf enthält allerdings eine Reihe von Regelungen, die nicht auf meine Zustimmung treffen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich an vielen Stellen dafür eingesetzt, dass der ursprüngliche Entwurf an ei- nigen Punkten entschärft werden konnte. Viele Verschär- fungen des Asylrechts konnten wir herausverhandeln. Das erkenne ich an. Für mich ist klar: Es darf keine Abstriche am Grund- recht auf Asyl geben. Maßnahmen, von denen bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes klar ist, dass sie zu ei- ner positiven Bewältigung der aktuellen Herausforderun- gen nicht nur nicht beitragen, sondern finsterste Abschre- ckungs- und Abschottungspolitik sind, lehne ich auf das Schärfste ab. Das ist nicht das Deutschland, das ist nicht das Europa, welches ich mir für unsere Kinder und für uns selbst wünsche. Ich befinde mich mit meiner Kritik auch in bester Gesellschaft: mit dem Rat für Migration, mit den katholischen Bischöfen, Wohlfahrtsverbänden, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, der Bun- desärztekammer. Insbesondere bei den Regelungen zur Gesundheits- versorgung von Flüchtlingen führt die Blockadehaltung der Union nicht nur zu einer Zweiklassen-Gesundheits- versorgung, sondern auch noch zu einem Flickentep- pich – je nach Bundesland mit unterschiedlichem Zugang zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge. Die Unterscheidung in Flüchtlinge mit guter Blei- beperspektive und solche ohne ist problematisch. Und zwar nicht nur vor dem Hintergrund, dass das Asylrecht eine Individualprüfung vorsieht, sondern auch aus prak- tischen Erwägungen, dass eine Zweiklassenbehandlung von Flüchtlingen zu Konflikten führen wird. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512724 (A) (C) (B) (D) Schattenseiten des Asylverfahrensbeschleunigungsge- setzes 1. Erweiterung der Liste von sicheren Drittstaaten Laut Gesetzesentwurf werden folgende „sichere Herkunftsländer“ genannt: Albanien, Bosnien und Her- zegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Damit werden Albanien, Kosovo und Montenegro erstmals zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Diese Erweiterung geht über den geltenden Koa- litionsvertrag hinaus. Das Grundrecht auf Asyl ist jedoch ein individuelles Recht, das zwingend die Einzelfall- prüfung vorsieht. Das Konzept der sicheren Drittsaaten entkernt dieses Grundrecht. Das jeweilige Asylverfahren wird in der Praxis lediglich um 10 Minuten beschleunigt. Auch aus den erst in diesem Jahr als „sicher“ deklarier- ten Drittstaaten ist die Anzahl der Erstanträge dieses Jahr weiter gestiegen (aus Serbien bis 30. September 2015: 14 390 im Vergleich zu 2014: 17 172; Mazedonien bis 30. September 2015: 7 385 im Vergleich zu 2014: 5 614). Im europäischen Vergleich wurden nach Angaben von Pro Asyl 2014 in Frankreich 20 Prozent und in Belgien 18 Prozent der Schutzsuchenden aus dem „sicheren Her- kunftsland“ Bosnien und Herzegowina anerkannt. Problematisch ist zudem, dass trotz der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung weiter an der ge- setzlichen Einstufung von Ghana und Senegal als „si- cheren Herkunftsstaaten“ festgehalten wird, obwohl dort einvernehmliche homosexuellen Beziehungen unter Er- wachsenen unter Strafe stehen. Situation im Kosovo Rund 700 deutsche Soldaten leisten derzeit Dienst im Kosovo im Rahmen des KVOR-Einsatzes mit dem Auf- trag, ein sicheres Umfeld im Kosovo aufzubauen und zu erhalten, einschließlich öffentlicher Sicherheit und Ord- nung. Es ist schwer vermittelbar, dass ein Land, in dem die Bundeswehr die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten muss, als sicherer Drittstaat eingestuft werden kann. Am Beispiel Kosovo lässt sich aber zugleich auch zeigen, wie ohne eine Einstufung als „sicherer Dritt- staat“ eine Lösung erreicht werden kann. Nachdem An- fang 2015 sehr viele Asylanträge von KosovarInnen ge- stellt wurden, hatten sich mehrere Bundesländer und der Bund verständigt, die Anträge beschleunigt zu bearbei- ten und vor Ort Aufklärungsarbeit zu leisten. Innerhalb von vier Wochen wurden über 50 Prozent der Anträge entschieden. Die Maßnahmen zeigten schnell Wirkung – denn die Zahlen der Erstanträge gingen schnell zurück. Im Januar stand der Kosovo noch auf Platz zwei der Her- kunftsländer, im September nur noch an neunter Stelle. Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat in einem Urteil vom 10. Oktober 2014 entschieden, dass Kosovo von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten in Frankreich zu streichen ist. In dem Urteil stellt das Ge- richt fest, dass ein Staat, dessen Institutionen noch in weiten Teilen von der Unterstützung internationaler Or- ganisationen und Missionen abhängig seien, nicht die Voraussetzungen erfülle. Insbesondere führe die unsiche- re politische und soziale Situation im Kosovo dazu, dass einige Bevölkerungsgruppen keinen effektiven Schutz vor gewalttätigen Übergriffen finden könnten. Die verbreitete gesellschaftliche Diskriminierung von Minderheiten unter Einschluss der Roma wird sowohl in der Gesetzesbegründung als auch in vielen Stellungnah- men zum Gesetzentwurf zu Recht problematisiert. Vor dem Kosovokrieg lebten ca. 150 000 Roma, As- hkali und sogenannte ÄgypterInnen im Kosovo. Heute sind es nur noch ca. 50 000. Ausgrenzung herrscht auf dem Arbeitsmarkt, beim Zugang zur Gesundheitsversor- gung, zur Schulbildung und zum Wohnraum. Von zent- raler Bedeutung ist die Ausgrenzung der Roma bei der medizinischen Versorgung. Das BAMF sowie die Ge- richte haben die meisten positiven Bescheide bezüglich Abschiebeschutz aufgrund gravierender Erkrankungen der Flüchtlinge und deren Nichtbehandlung im Kosovo gefällt. In der Schweiz erhielten nach Angaben von Pro Asyl 2014 rund 37 Prozent der serbischen und 40 Prozent der kosovarischen AntragstellerInnen einen Schutzstatus. Finnland gewährte 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem Kosovo Schutz. Situation in Albanien Der Deutsche Anwaltsverein mahnt an, dass ge- schlechtsspezifische Verfolgung, insbesondere sexua- lisierte Gewalt, seitens der Bundesregierung nicht hin- reichend untersucht wurde. Bezüglich Albanien wird ausdrücklich von diskriminierenden Bräuchen für junge Mädchen berichtet, allerdings eine staatliche Billigung nicht erkannt. Darauf kommt es aber gemäß Artikel 6 der Qualifikationsrichtlinie der EU (RL/EU 2011/95) nicht an. Bezüglich Kosovo und Montenegro wurde ge- schlechtsspezifische Verfolgung gar nicht untersucht. In Großbritannien wurden nach Angaben von Pro Asyl im Jahr 2014 18 Prozent der albanischen Asylsuchenden als schutzbedürftig eingestuft. Situation in Montenegro Nach Angaben des LSVD wurde beispielsweise in Montenegro das Zentrum für Lesben, Schwule, Bise- xuelle, Transgender und Intersexuelle in der Hauptstadt Podgorica laut Amnesty International allein im vergan- genen Jahr 26-mal angegriffen. 2. Flickenteppich statt Gesundheitskarte Eine flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist aufgrund der Blockadehaltung von CDU/CSU nicht gelungen. Auch die Beschränkung der Behandlungen auf „akute Erkrankungen und Schmerz- zustände“ konnte nicht gelockert werden. Das bedeu- tet nicht nur eine Zweiklassen-Gesundheitsversorgung, sondern führt auch noch zu einem je nach Bundesland unterschiedlichen Zugang zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge. In der Union haben sich diejenigen durchge- setzt, die glauben, der Zugang zu unserem Gesundheits- wesen sei das „falsche Signal“. Sie glauben völlig an der Realität vorbei, dass Menschen Tausende Kilometer und Todesängste wegen unseres Gesundheitssystems auf sich nehmen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12725 (A) (C) (B) (D) Derzeit ist das Verfahren äußerst kompliziert: Kran- ke Flüchtlinge müssen bei jeder Erkrankung erst zum Sozial amt, wo – nach zumeist langen Wartezeiten – me- dizinische Laien über jeden Arztbesuch entscheiden. Diese entscheiden, ob eine akute Erkrankung, ob ein Schmerzzustand vorliegt, der ärztlich behandelt werden darf. Erst nach Erhalt des sogenannten „Grünen Schein“ ist ein Arztbesuch möglich. Die ÄrztInnen schicken dem Amt die Rechnung, dieses bezahlt diese – nach Prüfung – direkt. So wird in den ohnehin oftmals überforderten So- zialämtern ein großer bürokratischer Aufwand geschaf- fen. Eine bundesweite Regelung hätte alle Kommunen entlastet. Die jetzt getroffene Regelung führt zu einem Flickenteppich in Deutschland. Eine Einigung war ledig- lich hinsichtlich der Ermächtigung für die Bundesländer möglich. Diese können die gesetzlichen Krankenkassen verpflichten, gegen Kostenerstattung die Krankenbe- handlungen zu übernehmen. Der AOK-Bundesverband macht in seiner Stellungnahme deutlich, dass eine Leis- tungsgewährung ohne Gesundheitskarte zu zusätzlichem Bürokratieaufwand führt, den die Krankenkassen nur unter Einsatz erheblicher personeller und sächlicher Res- sourcen bewältigen können. Eine Leistungsgewährung über von der Krankenkasse auszugebende Behandlungs- scheine in Papierform wäre angesichts der aktuellen E-Health-Gesetzgebung ein Rückfall in die Steinzeit, mahnt der AOK-Bundesverband an. Eine elektronische Gesundheitskarte ist sowohl in Stadt- als auch Flächenstaaten möglich: Hamburg und Bremen machen es uns bereits seit Langem vor, Nord- rhein-Westfalen wird es uns ab Anfang 2016 zeigen. Vom Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wür- den hingegen alle Beteiligten profitieren: Flüchtlinge, ÄrztInnen und Kommunen. Zudem kämen die Synergie- effekte besser zum Tragen, wenn der Einsatz der Gesund- heitskarte bundesweit erfolgen würde. Dem Entwurf zufolge soll die elektronische Gesund- heitskarte eine Angabe über den besonderen Status des Karteninhabers und damit über das begrenzte Leis- tungsspektrum nach den §§ 4 und 6 des Asylbewerber- leistungsgesetzes enthalten. Dies dürfte die Aufrüstung der EDV-Systeme, sowohl bei den Kassen als auch bei den Vertragsärzten und -psychotherapeuten, mit den entsprechenden Kosten erforderlich machen. Des Weite- ren ist den Ärzten eine Prüfung, ob eine Leistung dem Versorgungsanspruch nach §§ 4, 6 AsylbLG unterfällt, nicht zuzumuten. Auch die Bundesärztekammer hält es für höchst fragwürdig, den Asylbegehrenden einen nur beschränkten Leistungsanspruch nach Asylbewerberleis- tungsgesetz zu gewähren. Auch gemäß der UN-Kinderrechtskonvention müssen alle Kinder (also minderjährige Flüchtlinge bis 18 Jahre), die sich bei uns in Deutschland aufhalten, mittels Kran- kenkassenkarte vollen Zugang zur Gesundheitsversor- gung gemäß allen Büchern des SGB erhalten, und zwar unabhängig von der Asylgewährung und vom Stand ihres Verfahrens. Dies betrifft insbesondere die derzeit nicht gewährleistete Versorgung chronisch kranker und behin- derter Flüchtlingskinder sowie die Versorgung von Kin- dern mit psychischen Störungen und Traumata. 3. Verbleib von Menschen aus so genannten sicheren Drittstaaten bis zur Abschiebung in Erstaufnahmeein- richtungen Für Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Her- kunftsländern“ wird eine unbegrenzte Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen angeordnet (bis zur Ent- scheidung über Ausreise oder Abschiebung). Generell soll die Verpflichtung, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, auf sechs Monate verlängert werden können. Damit geht eine Verlängerung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbots einher. Das UNHCR hält die Ausdeh- nung der Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrich- tung zu wohnen, auf 6 Monate für problematisch. In der Realität sind die Unterkünfte in den Erstauf- nahmeeinrichtungen überfüllt, häufig nicht winterfest, und die Belegung auf engstem Raum ist auf Dauer nicht zumutbar. Die Unterbringungssituation in –Traglufthal- len, Industriegebäuden, Zeltstädten – befördert die psy- chische Belastung, soziale Ausgrenzung und Stigmati- sierung der Menschen. Darunter leiden insbesondere Familien mit Kindern und alleinstehende Frauen. Gerade aus Frauenperspektive habe ich große Bedenken gegen diese Regelung. Erst im letzten Jahr wurden für die Gruppe der Asyl- bewerberInnen im Rahmen des Rechtsstellungsverbesse- rungsgesetzes wesentliche Erleichterungen geschaffen, die jetzt wieder abgeschafft werden. Ein Zweiklassensystem bei der Aufnahme von Asyl- suchenden darf es nicht geben. Es ist diskriminierend und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar – denn ob ein Asylantrag berechtigt ist oder nicht, steht erst am Ende eines Asylverfahrens fest und darf nicht vor- weggenommen werden. Die Arbeiterwohlfahrt befürchtet zudem, dass durch die drei geplanten großen Verteilzentren für Flüchtlinge die Ressentiments in der Bevölkerung deutlich ansteigen könnten (geplant sind die Verteilzentren in Selchow am Flughafen BER, Lüneburger Heide und bei Heidelberg). Dieses einerseits, weil die geplante große Anzahl von Menschen in Unterkünften für die einheimische Bevöl- kerung beängstigend sein könnte und es rechtsgerichte- ten Gruppen einfacher macht, Ängste zu schüren, und an- dererseits, da Regionen für die Großunterkünfte gewählt wurden, die nur schwierig den Kontakt zur Bevölkerung ermöglichen werden. Gerade dieser bewusst hergestellte Kontakt zwischen den Menschen auf der Flucht und den Einheimischen hat sich aber bewährt als wirkungsvolle Maßnahme zum sozialen Zusammenhalt und zur Will- kommenskultur. 4. Negierung des Gender-Aspektes Für sehr problematisch halte ich die völlige Negie- rung des Gender-Aspektes und damit der geschlechts- spezifischen Notlagen bis hin zur sexuellen Gewalt ge- gen Frauen und Mädchen auf der Flucht bzw. in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen. Dieses Regierungsverhalten widerspricht der Istanbul-Konvention. Dabei kennt die Bundesregierung diese Notlagen: Schon 2004 lieferte eine Studie des Familienministeriums zu „Lebenssitua- tion, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutsch- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512726 (A) (C) (B) (D) land“ Hinweise: 79 Prozent der stichprobenartig befrag- ten weiblichen Flüchtlinge gaben an, in Deutschland psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein, 51 Prozent spra- chen von körperlicher, 25 Prozent von sexueller Gewalt. Gerade hat das Deutsche Institut für Menschenrechte die weitere Studie „Effektiver Schutz vor geschlechtsspezi- fischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften“ veröf- fentlicht. Hier wird der mangelhafte Schutz von Frauen angeprangert, die nach Deutschland geflohen sind. 5. Einschränkung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Das Gesetz sieht Leistungsreduzierungen für Men- schen vor, über deren Asylrecht oder Ausreisepflicht noch nicht entschieden wurde, außerdem für vollziehbar ausreisepflichtige AusländerInnen, denen keine Duldung gewährt wurde oder deren Duldung abgelaufen ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom Juli 2012 klargestellt, dass das Men- schenrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Exis- tenzminimums allen Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zukommt. Die Höhe existenzsichern- der Leistungen darf sich ausschließlich am Bedarf, nicht aber an migrationspolitischen Überlegungen orientieren. „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ hat das Bun- desverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2012 ausdrücklich festgestellt. 6. Einführung von Sachleistungen in den Erstaufnah- meeinrichtungen Gemäß § 3 Absatz 1 und 2 AsylbLG sollen die Be- hörden den Asylsuchenden künftig jegliches Bargeld, d.h. das „Taschengeld“ zur Deckung ihres soziokulturel- len Teilhabebedarfs an der Gesellschaft und zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen – Telefon, Fahrgeld, Anwalt, Kommunikation, Bildung, Kultur usw. – unter Hinweis auf die Substitution dieses Bedarfs durch Sach- leistungen in den EAEs und GUs dauerhaft teilweise oder vollständig streichen können. Die neue Sollvorschrift für die Rückkehr zum Sach- leistungsprinzip ist ein großer Schritt zurück in die 90er-Jahre. Die mühsam errungenen Fortschritte im letz- ten Jahr werden damit zunichte gemacht. Die Anwendung des Sachleistungsprinzips bedeutet nicht nur einen höheren Verwaltungsaufwand, sondern erschwert auch eine selbstständige Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe. Stattdessen sollen die Asylsu- chenden künftig für den persönlichen Bedarf „Sachleis- tungen“ beantragen, also für jede Sim‐Karte, Briefmar- ke oder Fahrkarte zum Arzt, für jeden Besuch bei einer Beratungsstelle oder Anwalt usw. erst einen begründeten Antrag bei der Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung stellen müssen. Im Ergebnis ist absehbar, dass bundesweit der Betrag je nach politischer Couleur festgesetzt, gekürzt oder ge- strichen werden wird. 7. Abschiebungen ohne Vorankündigung – de facto Abschaffung der Härtefallkommissionen Mit dem Verbot der Ankündigung einer Abschiebung wird die Arbeit der Härtefallkommissionen de facto ab- geschafft. Dabei hat sich das Härtefallkommissionsver- fahren trotz erheblicher anfänglicher Bedenken einiger Bundesländer in den meisten Bundesländern bewährt. Es hat sich herausgestellt, dass das Verfahren in vielen hu- manitären Fällen, in denen eine Aufenthaltsbeendigung als nicht mehr vertretbar erschien, zu einer vernünftigen Lösung führen konnte. 8. Beschäftigungsverbot für Personen aus sicheren Drittstaaten Ein generelles Arbeitsverbot für AusländerInnen soll verhängt werden, wenn sie sich in das Inland begeben haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungs- gesetz zu erlangen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die sie selbst zu vertreten haben, nicht vollzogen werden können oder sie Staatsangehörige ei- nes sicheren Herkunftsstaates nach § 29 a des Asylge- setzes sind und ein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt wurde. Das geplante gesetzliche Arbeitsverbot für Geduldete, die das Abschiebehindernis selbst zu vertreten haben, wird kontraproduktiv wirken und fördert Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Ausbeutungsverhältnisse. Aus Artikel 15 Absatz 1 Asyl-Aufnahme-Richtlinie 2013/33/EU ergibt sich, dass spätestens neun Monate nach der Stellung des Asylantrags ein Arbeitsmarktzu- gang zu gewähren ist. Dies gilt auch für AsylbewerberIn- nen aus sicheren Herkunftsstaaten, solange das BAMF noch nicht über den Antrag entschieden hat. Aus diesen Gründen werde ich mit Enthaltung abstim- men. Christoph Strässer (SPD): In einigen wesentlichen Punkten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus men- schenrechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesserungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kommunen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ableh- nung einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbeglei- teten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mit- teln in der Höhe von 350 Millionen Euro. Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem An- spruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün- digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein- schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungs- kürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman, und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungs- konform. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12727 (A) (C) (B) (D) Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, ent- halte ich mich der Stimme. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei der heutigen Abstimmung über das Asyl- verfahrensbeschleunigungsgesetz habe ich mich enthal- ten. Warum? Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, denn viele Kommunen – gerade in Bayern – stehen seit Mona- ten unter einer enormen finanziellen Belastung. Das hat nun auch die Bundesregierung erkannt und möchte mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz die Voraus- setzungen schaffen, dass sich der Bund dauerhaft, struk- turell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsauf- nahme beteiligt. Das ist das Gute am Gesetzentwurf der Bundesre- gierung – und das will ich ganz deutlich anerkennen. In der aktuellen Situation ist zügiges und wohlüberlegtes Handeln wichtiger denn je. Der Winter steht vor der Tür, Menschen in Not brauchen ein Dach über dem Kopf und möglichst schnelle Teilhabe an Gesellschaft, Bildung und Arbeitsmarkt. All das kostet Geld. An dieser gesamt- gesellschaftlichen Aufgabe wird sich der Bund nun ange- messen beteiligen. Allerdings enthält das Gesetzespaket zahlreiche asylrechtliche Verschärfungen, die mit einer menschen- rechtsorientierten Flüchtlingspolitik nicht in Einklang zu bringen sind. Dazu zählen insbesondere die verlängerte Verpflichtung von Asylsuchenden zum Verbleib in Erst- aufnahmeeinrichtungen, Anspruchseinschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz und die Ausweitung der Liste angeblich „sicherer Herkunftsstaaten“. Keine dieser vorgesehenen Regelungen entlastet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder trägt zur beschleunigten Bearbeitung von Asylanträgen bei. Die Reduzierung der weiterhin viel zu langen Be- arbeitungszeiten – von oftmals mehreren Jahren – sind jedoch der Dreh- und Angelpunkt auch für eine wirksame Entlastung der Länder und Kommunen. Das Gesetz beschleunigt also kein Verfahren, es ver- langsamt. Das muss man ganz klar so sagen. Und ich sage auch: Es widerspricht meinem Men- schenbild und meiner Überzeugung als grüne Abge- ordnete, dass Menschen über Monate in engen Erstauf- nahmeeinrichtungen zusammengepfercht sein sollen, wo Gewalt und Konflikte viel schneller entstehen und Menschen nicht zur Ruhe kommen, die genau das am allermeisten brauchen. Zudem steht jetzt der Winter vor der Tür. Ich will – und dafür stehe ich ein – dass wir Menschen, die vor Gewalt, Krieg, Hunger und Men- schenrechtsverletzungen fliehen, ein positives Ankom- men in unserem Land ermöglichen. Ich unterstütze kein Gesetzespaket, das widersinnige Integrationshemmnisse aufbaut und Menschen in gute und schlechte Flüchtlinge unterscheidet. Deshalb kann ich ausdrücklich nicht zustimmen. Ich möchte das Gesetzespaket aber auch nicht vollständig ablehnen, da die Kommunen jetzt schnelle und verläss- liche Finanzierung benötigen. Dieser wichtigen finanzi- ellen Unterstützung, die im Gesetz immerhin enthalten ist, kann und möchte ich keine Absage erteilen. Deshalb habe ich in den namentlichen Einzelabstimmungen so- wohl die Erweiterung der sogenannten „sicheren Her- kunftsstaaten“, die Leistungskürzungen beziehungsweise die Rückkehr zum Sachleistungsprinzip im Asylbewer- berleistungsgesetz als auch die Verlängerung der Ver- bleibsdauer in der Erstaufnahme abgelehnt. Meine aus- drückliche Zustimmung konnte ich schließlich nur der finanziellen Entlastung für Länder und Kommunen ge- ben, die Beachtliches leisten und Unterstützung dringend benötigen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern zeigt, dass Kriege auch außerhalb von Europa unmittelbaren Einfluss auf uns in Deutschland haben. Wir können das nicht mehr verdrängen. Darum wäre es am sinnvollsten, die Fluchtursachen, nämlich die Kriege und Bürgerkrie- ge im Nahen Osten oder in Afrika, zu befrieden. So weit ist die Weltgemeinschaft leider noch nicht. Gerade das Verhalten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zeigt, allen Sonntagsreden zum 70-jährigen Bestehen der Ver- einten Nationen zum Trotz, dass die Welt noch nicht mit einer Stimme spricht. Deutschland hat eine historische Pflicht nach dem zweiten Weltkrieg wahrgenommen und ein sinnvolles Asylrecht als Grundrecht in die Verfassung aufgenom- men. Denn gerade die Geschichte hat uns in Deutsch- land sehr deutlich gezeigt, dass Verfolgte Schutzräume brauchen. Viele Menschen kommen zu uns, weil das Leben in ihrer Heimat unmöglich geworden ist. Sie su- chen Schutz und wir haben ihnen zu helfen – nicht nur nach dem Grundgesetz, sondern vor allem auch als mit- fühlende Menschen. In den letzten Monaten ist die Zahl der Schutzsuchenden sprunghaft angestiegen – die Grün- de und Ursachen kennen wir dagegen schon seit vielen Jahren. Viel früher hätte die Bundesregierung sich darauf vorbereiten können und müssen. Jahrelang hat sie zuge- schaut, wie die Situation in Italien und Griechenland im- mer unerträglicher wurde. Unternommen hat sie dagegen nichts. Die Bundesregierung verweigert sich weiter prakti- kablen Regelungen für eine legale Zuwanderung. Damit bleibt den vielen Flüchtenden keine andere Möglich- keit, als sich eigenständig und ohne jede Kontrolle und Lenkungsmöglichkeit auf den Weg zu uns zu machen. Deswegen sind wir jetzt in dieser chaotischen Situati- on und haben damit Länder, Kreise und Kommunen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht. Weil die Bundesregierung jahrelang die Probleme ignoriert hat, ist sie jetzt gezwungen, im Eilverfahren Lösungen zu erar- beiten. Das heutige Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz wird sehr viele Probleme nicht lösen können. In dieser Eile und angesichts der akuten Schwierigkeiten wird es keine grundlegende und langfristig tragfähige Lösung sein. Wir werden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit schon in kurzer Zeit über weitere Maßnahmen sprechen. Trotz all dieser Punkte müssen wir jetzt etwas tun. Wir Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512728 (A) (C) (B) (D) haben – weil es die Bundesregierung so eklatant ver- säumt hat – jetzt keine Zeit, um gründlich und in Ruhe ein Einwanderungsgesetz für die geordnete Zuwande- rung oder eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwi- schen Bund, Ländern und Kommunen anzugehen. So, wie es jetzt in Kreisen und Kommunen aussieht, kann es nicht weitergehen. Wir können nicht dauerhaft auf Freiwilligenhilfe angewiesen sein. Wir müssen jetzt Unterkünfte schaffen, in denen Menschen auch im Win- ter vernünftig leben können. Wir müssen Kreise und Kommunen finanziell unterstützen, damit die Hilfe für Flüchtlinge nicht zulasten von anderen wichtigen kom- munalen Aufgaben geht. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist ein Kompromiss, der zwischen Bund und Ländern ausgehan- delt wurde. Es liegt in der Natur eines Kompromisses, dass er Teile enthält, die mir nicht gefallen und die ich ei- gentlich ablehne. Die Ausweitung der Liste sicherer Her- kunftsstaaten ist Symbolpolitik, welche Asylverfahren nur minimal verkürzen wird. Eine Entlastung der Ämter wird damit kaum erreicht, sie werden weiter am Limit ar- beiten müssen. Auch die Verlängerung der Verweildauer in einer Erstaufnahmeeinrichtung wird kaum etwas brin- gen, weil dahinter die Hoffnung steckt, die Flucht nach Deutschland unattraktiver zu machen. Wer viel Geld be- zahlt, Haus und Hof verlässt und sich teilweise zu Fuß Tausende Kilometer auf den Weg macht, für den ist es unbedeutend, ob er drei oder sechs Monate in solch ei- ner Einrichtung verbringen muss. Die Verlängerung der Verweildauer wird die Probleme eher verschärfen, weil Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit völ- lig verschiedenen Perspektiven auf engstem Raum für lange Zeit miteinander auskommen müssen. Auch der Schwenk von Geld auf Sachleistungen wird die Arbeit der Helfer vor Ort vor allem erschweren. Es ist einfacher und günstiger, Geld auszuzahlen, als bei einem individu- ellen Bedürfnis auf die Unterstützung von Helfern ange- wiesen zu sein. All diese Aspekte finde ich fragwürdig, weil sie Probleme nicht lösen können. Dennoch sind sie Teil des Kompromisses. Jeder der heute über das Asyl- verfahrensbeschleunigungsgesetz abstimmt, weiß, dass sich daran nichts mehr ändern wird. Die Landesregierungen stehen in der Pflicht, ihre Kreise und Kommunen mit den dringend benötigten fi- nanziellen Mitteln des Bundes zu unterstützen. Sie kön- nen sich nicht einfach nur die Teile des Kompromisses auswählen, die ihnen gefallen. Stimmen sie dem Kom- promiss nicht zu, gibt es auch kein Geld. Es gibt nur die- sen Kompromiss oder gar nichts. So einfach und bitter ist die politische Realität, der ich mich nicht verweigern kann. Die grün getragene Landesregierung in Schles- wig-Holstein hat sich auf diesen Kompromiss mit all sei- nen Zumutungen geeinigt, weil sie die Not vor Ort kennt. Deswegen stehe auch ich dazu. Würde ich den Kompromiss ablehnen, würde ich Kreise, Kommunen und die dort helfende Zivilgesell- schaft im bürokratischen Regen stehen lassen. Das ist für mich nicht zu rechtfertigen, weil wir das Staatsversagen auf den höchsten Ebenen weiter auf die Zivilgesellschaft abwälzen würden. Eine Enthaltung ist keine neutrale Position, sondern sie heißt, dass man zu einer bestimmten Frage keine Hal- tung hat. Ich habe aber eine Haltung zu diesem Thema, und die ist eindeutig: Wir dürfen die handelnden Men- schen vor Ort, von der Zivilgesellschaft und in den Ver- waltungen, nicht mehr alleinlassen. Darum werde ich dem Kompromiss, auf den sich auch die grün mitregier- ten Länder geeinigt haben, zustimmen. Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Michael Grosse-Brömer (CDU/ CSU) als Berichterstatter zu der Beschlussempfeh- lung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- gesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgeset- zes (Zusatztagesordnungspunkt 6) Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschlie- ßenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am 14. Oktober 2015 mache ich darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung eine Protokollerklärung abgegeben hat. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis: Protokollerklärung der Bundesregierung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Die Bundesregierung gibt aus Anlass der Beschluss- fassung des Vermittlungsausschusses zum Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes folgende Zusagen: 1. zu Nummer 2 (Artikel 2 Nummer 1, § 5 Absatz 4 RegG) Die Bundesregierung wird unverzüglich die Länder einladen, um die Rechtsverordnung gemein-sam zu erarbeiten. Grundlage für die Gespräche zwischen Bund und Ländern ist der Beschluss der Bespre- chung der Bundeskanzlerin mit den Regierungsche- finnen und Regierungschefs der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik am 24. September 2015. Es besteht Einigkeit, dass diese Rechtsverordnung ab dem 01. Januar 2016 gelten soll. 2. zu Nummer 2 (Artikel 2 Nummer 1, § 5 Absatz 5 RegG) Die Bundesregierung verpflichtet sich, im Rahmen des in Vorbereitung befindlichen Gesetzentwurfs zur Eisenbahnregulierung sicherzustellen, dass das Volumen der jährlichen länderspezifischen Steige- rung der Infrastrukturentgelte den Anstieg nach § 5 Absatz 3 RegG nicht übersteigt. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie (Tagesordnungs- punkt 10) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12729 (A) (C) (B) (D) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Im Koalitionsver- trag haben wir vereinbart, dass „wir die betriebliche Al- tersvorsorge stärken“ werden. Mit der Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie in deutsches Recht machen wir damit den Anfang. Im Gegensatz zu früheren Jahren ist es in der heutigen Arbeitswelt selbstverständlich, dass Beschäftigte in ihrem Erwerbsleben den Arbeitgeber wechseln. Nicht zuletzt durch die Globalisierung nimmt auch der grenzüberschreitende Arbeitgeberwechsel stetig zu. Das elementare Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU wird durch die neuen Regelungen der betrieblichen Altersvorsorge für die Beschäftigten geför- dert. Wir wollen gute Bedingungen für die Beschäftigten in Deutschland nicht nur für die Zeit ihres Erwerbslebens, sondern auch für die Zeit danach schaffen. Dazu gehört auch, dass jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer wissen sollte, dass die betriebliche und private Vorsorge wichtige Säulen der Alterssicherung sind. Die wichtigsten Bestandteile bei der deutschen Umset- zung der EU-Richtlinie sind: Die Herabsetzung des Un- verfallbarkeitsalters des Beschäftigten bei Anwartschaf- ten von 26 auf 21 Jahre. Die Unverfallbarkeitsfrist, ab der Betriebsrenten bei einem Arbeitgeberwechsel nicht mehr verfallen, wird von fünf auf drei Jahre abgesenkt. „Ruhende“ Betriebsanwartschaften von Beschäftigten, die nicht mehr bei dem Arbeitgeber tätig sind, müssen genauso wie aktive Anwartschaften behandelt werden. Der Auskunftsanspruch der Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer wird gestärkt. Diese Erneuerungen gelten sowohl für Beschäftigte, die innerhalb Deutschlands ihren Arbeitgeber wechseln, als auch für den EU-grenzüberschreitenden Arbeitge- berwechsel. Es sollte für einen Beschäftigten, der von Bayern nach Baden-Württemberg den Arbeitgeber wech- selt, nichts anderes gelten als bei einem Wechsel von Deutschland nach Österreich. Im Ergebnis geht der deutsche Gesetzentwurf über die Eins-zu-Eins-Umsetzung der Richtlinie hinaus. Damit nutzen wir bewusst die Spielräume einer Richtlinie. Lassen Sie mich auf einige Detailfragen eingehen. Der Auskunftsanspruch: Jeder Beschäftigte sollte wis- sen, was seine Anwartschaft beinhaltet. Transparenz und eine gewisse Planungssicherheit ermöglichen es dem Ar- beitnehmer, seine Altersvorsorge auf mehrere Säulen zu verteilen. Ich begrüße es, dass der Arbeitnehmer zukünftig kein „berechtigtes Interesse“ mehr vorweisen muss, um mehr Informationen über seine betriebliche Altersvorsorge zu erhalten. Damit beseitigen wir ein weiteres Hindernis der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge. Der Ar- beitgeber kann die Auskunft in Textform, im Sinne des § 126 b Bürgerliches Gesetzbuch also auch per E-Mail erfüllen. Diese Möglichkeit wird für Erleichterungen in vielen Unternehmen sorgen. Mit der Herabsetzung des Lebensalters für den Erhalt der Anwartschaften und der Unverfallbarkeitsfristen ver- hindern wir, dass zukünftig jüngere Arbeitnehmer ihre erworbenen Anwartschaften verlieren. Auch fördern wir damit, dass sich jüngere Beschäftigte mit ihrer Altersvor- sorge verstärkt auseinandersetzen. Bei den Kleinstanwartschaften erfolgt eine Eins-zu- Eins-Umsetzung der Richtlinie. Nach heutiger Gesetzes- lage bedarf der Arbeitgeber nicht der Zustimmung des Arbeitnehmers, wenn er Kleinstanwartschaften abfinden möchte. Durch die Ergänzung des Betriebsrentengeset- zes ändern sich bei grenzüberschreitenden Arbeitgeber- wechsel nun die Ansprüche der Beschäftigten, siehe § 3 Absatz 2 Betriebsrentengesetz. Ab Inkrafttreten der Än- derungen im Jahre 2018 bedarf es nun der Zustimmung des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber Anwartschaf- ten abfinden will. Um jedoch auch die Interessen des Ar- beitgebers nicht zu vernachlässigen und unnötigen jah- relangen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, muss der Arbeitnehmer eine Frist von drei Monaten wahren. Natürlich wollen wir auch verhindern, dass für die Ar- beitgeber, besonders die kleinen und mittelständischen Unternehmen, überflüssige Bürokratie und Ausgaben entstehen. Deshalb haben wir uns für eine Umsetzungs- frist bis 2018 entschieden. Bundesministerin Andrea Nahles hat es bereits im Juli dieses Jahres umschrieben: Es handelt sich um eine schonende Umsetzung. Die- se schonende Umsetzung ermöglicht den Unternehmen ausreichend Zeit, ihre Organisation an die neuen gesetz- lichen Umstellungen anzupassen. Die Kernaussage lautet: Mit der Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie schaffen wir bessere Bedin- gungen für die Alterssicherung von Beschäftigten. Ich bin zuversichtlich, dass weitere Schritte zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge folgen werden. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die be- triebliche Altersvorsorge hat sich traditionell seit ihrer Begründung im vorletzten Jahrhundert auf freiwilliges Engagement der Arbeitgeber gestützt. Im Rahmen der Rentenreform 2001 erhielt die BAV zusammen mit der privaten Altersvorsorge eine wichtige Funktion: Die auf kapitalgedeckter Finanzierung beruhenden Systeme soll- ten als zweite und dritte Säule der Alterssicherung den demografisch bedingten Rückgang des Leistungsniveaus in der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversiche- rung als erster Säule ausgleichen. Hierfür wurde der BAV mit der Entgeltumwandlung ein Finanzierungsinstrument an die Hand gegeben, das nun auch die Arbeitnehmer strukturell einbezog. Die Einführung der Entgeltumwandlung im Jahr 1974 hat die Akzente in der betrieblichen Altersversorgung verscho- ben. Mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf Entgel- tumwandlung 2001 wurde die BAV weiter gestärkt. Laut Alterssicherungsbericht 2012 wird die BAV in 28 Pro- zent der Fälle ausschließlich vom Arbeitnehmer finan- ziert, während dieses in 44 Prozent der Fälle gemeinsam durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschieht. Knapp 60 Prozent aller sozialversicherungspflich- tig Beschäftigten verfügen heute über eine aktive Be- triebsrentenanwartschaft. Nach einer Phase des rapiden Anstiegs unmittelbar nach der Rentenreform 2001 ver- langsamt sich das Wachstum allerdings seit 2009. Man muss genau hinschauen; denn die Zahlen geben nicht die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512730 (A) (C) (B) (D) erheblichen Verbreitungsunterschiede nach Betriebsgrö- ßen, Branchen und Einkommen wieder. Ein deutliches Gefälle zeigt die Statistik bereits zwischen Großbetrie- ben, die eine fast hundertprozentige Durchdringung auf- weisen, und KMU. Bei Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitern liegt der Anteil der Beschäftigten mit einer BAV bei über 70 Prozent, bei Unternehmen zwi- schen 50 und 200 Beschäftigten immerhin noch bei circa 50 Prozent. Bei kleineren Betrieben sinkt der Anteil kon- tinuierlich ab. Zugleich deutet vieles darauf hin, dass gerade bei geringeren Einkommen die dort eigentlich besonders nötige zusätzliche Absicherung durch BAV und auch die private Vorsorge nicht hinreichend ist. Die Statisti- ken zeigen: Je niedriger das Einkommen, desto geringer die Absicherungsquote. Wenn aber der Ausgleich des sinkenden Niveaus in der GRV durch die zusätzlichen Säulen nicht funktioniert, wäre eine zentrale Prämisse des Rentenkonzeptes nicht erfüllt und dessen politische Legitimation erschüttert. Erforderlich sind deshalb neue und zielgerichtete Impulse für die BAV jetzt, wie sie auch im Koalitionsvertrag vereinbart sind: Die Alterssicherung steht im demografischen Wan- del stabiler, wenn sie sich auf mehrere starke Säulen stützt. Deswegen werden wir die betriebliche Al- tersvorsorge stärken. Sie muss auch für Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter von Klein- und Mittelbe- trieben selbstverständlich werden. Daher wollen wir die Voraussetzungen schaffen, damit die Betriebs- renten auch in kleinen Unternehmen hohe Verbrei- tung finden. Hierzu werden wir prüfen, inwieweit mögliche Hemmnisse bei den kleinen und mittleren Unternehmen abgebaut werden können. Wir werden auch im europäischen Kontext darauf achten, dass die guten Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersvorsorge erhalten bleiben. Unter den beschriebenen Voraussetzungen wäre es ge- radezu fatal gewesen, wenn frühere Pläne der EU-Kom- mission aus dem Jahr 2005 für eine Portabilitätsrichtli- nie realisiert worden wären. Über die jetzt gefundenen Regelungen deutlich hinausgehende Erstattungs- und Mitnahmemöglichkeiten von Anwartschaften wie die Möglichkeit der Übertragung des Kapitals auf ein neu- es Rentensystem oder andere Altersversorgungsmodelle, die Verpflichtung von Unternehmen zur Anpassung von Betriebsrentenanwartschaften ausgeschiedener Arbeit- nehmer bis hin zur Anwendung der Richtlinie auch auf Altzusagen hatten wegen des großen Umsetzungsauf- wandes zum Erlahmen vieler betrieblicher Initiativen geführt. Im Zusammenhang mit Überlegungen zum „Weiß- buch Rente“ drohte vor drei Jahren weiteres Ungemach. Diese hatten die Akteure in der BAV aufgeschreckt. Die ursprünglich geplante Übertragung der für Banken und Versicherungen sinnvollen Kapitaldeckungsvorschriften auf die betriebliche Altersvorsorge hatte nach der Über- zeugung von Experten die betriebliche Altersvorsorge überfordert und zu einer Erosion der zweiten Säule der Alterssicherung geführt. Unter dem Gesichtspunkt, dass Unternehmen und Pensionssicherungsverein bereits für die Einlagen haften, waren solche Anforderungen an die Kapitalrücklagen überdies vollkommen überflüssig gewesen. Mit einem Antrag in diesem Hause haben wir vor rund drei Jahren auf die Problematik aufmerksam ge- macht. Es war nicht die leichteste Übung, die Pläne zu verhindern. Denn wir mussten die Mehrheit der EU-Mit- gliedstaaten, die keine BAV kennen, für deren Besonder- heiten sensibilisieren. Im Ergebnis konnte also Schaden von der BAV ab- gewehrt werden. Mit der Umsetzung der EU Mobilitäts- Richtlinie wird die BAV für Arbeitnehmer jetzt interes- santer, weil zum Beispiel das Risiko gemindert wird, im Falle des Arbeitnehmerwechsels Ansprüche zu verlieren, ohne dass die Unternehmen überfordert werden. Das al- les reicht aber noch nicht aus, um die angestrebte Absi- cherungsbreite zu erreichen. Weitere Schritte sind – wie dargestellt – erforderlich. Es gibt auf dem Markt eine Vielzahl guter Ideen, die sich im Ergebnis alle auch positiv auf die Angebo- te im Rahmen der BAV auswirken würden. Ich kenne Forderungskataloge, deren Umsetzung problemlos mit 15 Milliarden Euro oder mehr zu Buche schlagen wür- den. Die Kunst liegt aber auch in diesem Fall darin, einen realistischen Finanzierungsrahmen möglichst effizient einzusetzen. Mitnahmeeffekte, eine Fokussierung auf Zielgruppen mit einem bereits überdurchschnittlichen Absicherungsgrad oder gar Doppelförderungen gilt es zu vermeiden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Vergabe eines wissenschaftlichen Gutachtens „Opti- mierung der staatlichen Förderung der betrieblichen Al- tersversorgung“ durch das BMF und erhoffen uns durch dieses wertvolle Hinweise, wie wir die gesteckten Ziele erreichen können. Im Mittelpunkt der anstehenden Weiterentwicklung der BAV muss stehen, dass wieder mehr Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer zu der Überzeugung gelangen, dass sich die betriebliche Altersvorsorge lohnt. Dafür wird es nicht reichen, Geld in die Hand zu nehmen. Der Anspruch auf Entgeltumwandlung ist ja da. die Arbeit- nehmer greifen aber oft nicht zu. Zugleich müssen auch Gegebenheiten beseitigt wer- den, die den Unternehmen das Leben schwermachen – ausgerechnet denen, die bereit sind, sich besonders für die BAV zu engagieren. Hier wäre eine der Realität näher kommende steuerliche Erfassung von Pensionsrückstel- lungen ein wichtiger Schritt. Die Vorschriften zur Bi- lanzierung belasten die Unternehmen gerade in der ak- tuellen Niedrigzinsphase erheblich. Es ist ein wichtiges Signal, dass der Bundesminister der Finanzen in dieser Woche angekündigt hat, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Ralf Kapschack (SPD): Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts Richtlinie – das hört sich nicht unbedingt an wie der Titel eines Krimis. Aber es ist wie bei manchen guten Büchern: Vom Titel darf man sich nicht abschrecken lassen. Es geht um ein hochspan- nendes Thema: um die Altersversorgung von Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmern. Auch wenn sich die öffentliche Aufmerksamkeit zur- zeit auf andere Themen konzentriert: Die Frage der Al- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12731 (A) (C) (B) (D) tersversorgung in unserem Land ist eine der Fragen, die viele Menschen umtreibt. Da erwarten sie Antworten. Wir reden heute über die betriebliche Altersversorgung. Sie hat in Deutschland lange Tradition. Bei BASF etwa ist sie älter als die gesetzliche Rentenversicherung. Eine Stärkung und größere Verbreitung der betrieblichen Al- tersvorsorge ist für uns eine wünschenswerte Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung. Da müssen wir ei- niges tun. Dazu dient in gewissem Umfang auch dieser Gesetzentwurf. Wesentlicher Inhalt des vorliegenden Entwurfs ist die Verringerung der Fristen, die dazu führen, dass Ansprü- che an betriebliche Altersversorgung unverfallbar wer- den. Das kommt vor allem jungen und mobilen Arbeits- kräften zugute. Zweiter Punkt: die Wahrung von Anwartschaften, wenn der Arbeitgeber gewechselt wird. Dabei sollen die ruhenden Ansprüche ausgeschiedener Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer nicht schlechter behandelt wer- den als die Ansprüche derjenigen, die im Unternehmen bleiben. Das ist gut so, zeigt aber gleichzeitig, dass es oft nicht ohne Weiteres möglich ist, den erworbenen An- spruch auf eine betriebliche Altersversorgung mitzuneh- men. Auch da gibt es Handlungsbedarf. Dritter Punkt des Gesetzentwurfs ist die Regelung über Abfindungen Der vierte und letzte Punkt ist die Informationspflicht der Arbeitgeber oder Versorgungsträger darüber, wie Ansprüche erworbenen werden, wie hoch sie sind und wie sich ein Ende des Arbeitsverhältnisses auswirkt. Die meisten Arbeitgeber informieren schon heute, aber offen- bar nicht alle in ausreichender Form. Deshalb ist es gut, dies klar, eindeutig und zum Nutzen der Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer zu regeln. Die EU-Richtlinie will die Mobilität von Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmern zwischen den Mitglied- staaten erleichtern. Die Bundesregierung schlägt vor, die Vorgaben in das Betriebsrentengesetz so zu übernehmen, dass sie für alle gelten, auch beim Wechsel des Arbeits- platzes im Inland. Das ist richtig so. Die Diskussion bietet die Gelegenheit, sich einmal anzuschauen, wie es aussieht mit der betrieblichen Al- tersversorgung in Deutschland. Die betriebliche und ta- rifvertraglich abgesicherte Altersversorgung ist aus Sicht der SPD die beste Form der privaten und zugleich kollek- tiven Altersversorgung. Wir wollen sie stärken und durch die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit auch in Regionen und Branchen in Deutschland durchsetzen, in denen sie derzeit aufgrund der geringen Tarifbindung noch viel zu wenig genutzt wird. Nach letzten Untersuchungen haben etwa 60 Prozent der Beschäftigten Anspruch auf eine betriebliche Al- tersversorgung. Keine Überraschung ist, dass dies nach Branchen und Betriebsgrößen sehr stark variiert. In Be- trieben mit mehr als 1 000 Beschäftigten gibt es nahezu für alle ein Angebot. Im Handwerk aber, mit einer durch- schnittlichen Betriebsgröße von neun Beschäftigten, profitiert nur jeder Zehnte von betrieblicher Altersver- sorgung. Ich kann mir gut vorstellen, dass zum Beispiel die Frau des Firmeninhabers, des Klempnermeisters oder Tischlers, die die Lohnabrechnungen macht, sich nicht auch noch um betriebliche Altersversorgung kümmern will und kann. Aber daran darf eine zusätzliche Absiche- rung der Beschäftigten im Alter gerade auch im Hand- werk nicht scheitern. Auch für Mittel- und Kleinbetriebe muss betriebliche Altersversorgung selbstverständlich werden. Das hat sich die Koalition auf die Fahne geschrieben. Wenn kleine Betriebe damit überfordert sind, muss es nach unserer Ansicht Branchenlösungen geben, die vor allem kleinen Unternehmen Risiko und Organisationsaufwand abneh- men. Gleichzeitig können solche Einrichtungen durch die entsprechende Größe Kostenvorteile beim Vertrieb, bei Verwaltungskosten und bei möglichen Anlagen rea- lisieren. Das Arbeitsministerium hat dazu ja erste Ideen entwickelt. Um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker zu motivieren, eine betriebliche Altersversorgung aufzu- bauen, braucht es nach unserer Meinung aber auch an anderer Stelle Veränderungen. Heute muss jedem Be- schäftigten auf Nachfrage ein Angebot zur betrieblichen Entgeltumwandlung gemacht werden. Die SPD will, dass in Zukunft jedes Unternehmen eine entsprechende Möglichkeit anbietet, wenn die Arbeitnehmerin, der Ar- beitnehmer nicht selbst darauf verzichtet. Die Erfahrung in Nachbarländern zeigt, dass eine solche Opt-out-Rege- lung zu einer deutlich besseren Verbreitung führt. Herr Weiß, sie haben ja am Dienstag erzählt, dass sich die CDU auf ihrem Parteitag 2005 auch für eine Opt-out- Regelung ausgesprochen hat. Also, dann lassen sie uns doch da einmal etwas machen. Wir helfen gerne dabei, gute Beschlüsse der CDU umzusetzen. Attraktive Altersversorgung wird in Zukunft sicher- lich auch ein Argument sein, um Arbeitskräfte zu binden oder neue zu gewinnen. Deshalb ist das für Unternehmen nicht nur ein Kostenfaktor. Um betriebliche Altersver- sorgung für Beschäftigte lukrativer zu machen, sollten die Ersparnisse der Arbeitgeber bei der Entgeltumwand- lung eingebaut werden, in erster Linie, um die Leistung zu erhöhen. Aber vielleicht kann man ja auch darüber nachdenken, diese Mittel als Kompensation für die heute gültige Regelung zu nutzen, dass auf Betriebsrenten der volle Krankenkassenbeitrag zu zahlen ist. Die Anrechnung auf die Grundsicherung ist eine Hür- de für Geringverdiener, sich mit betrieblicher Altersver- sorgung zu beschäftigen. Wenn das Geld bei Rentenein- tritt weg ist, warum soll man dann sparen? Hier müssen Anreize geschaffen werden. Denn gerade Geringverdie- ner brauchen eine zusätzliche Absicherung im Alter. Ge- rade sie müssen auch Zugang zu betrieblicher Altersver- sorgung haben. Die bisherige staatliche Förderung muss deshalb auf den Prüfstand. Es gibt also jede Menge offener Fragen. Ich freue mich auf die Ausschussberatung des Gesetzentwurfs. Das ist dann das nächste Kapital dieser spannenden Geschichte. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sieben Millio- nen EU-Bürgerinnen und Bürger arbeiteten 2013 nicht in ihrem eigenen Land. 1,1 Millionen Beschäftigte pendel- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512732 (A) (C) (B) (D) ten nicht von Köln nach Bonn oder nach Berlin, sondern über Grenzen hinweg. 1,2 Millionen Menschen werden von ihrem Chef befristet ins Aus land entsandt. Europa ist in Bewegung, und das ist gut so. Deshalb begrüßen wir jeden Schritt, der es diesen Pionierinnen und Pionie- ren in Europa erleichtert, sich frei zu bewegen, in einem anderen Land oder auch grenzüberschreitend zu arbeiten und damit die Idee Europa Tag ein Tag aus mit Leben zu erfüllen. Bei der Frage von Rentenanwartschaften ist es oft be- sonders schwierig, sie über die Grenzen hinweg mitzu- nehmen und am Ende die unterschiedlichen Rentenpunk- te, die man mal hier und mal dort gesammelt hat, auch ausgezahlt zu bekommen. Bei Betriebsrenten ist es oft noch schwieriger. Ich danke hier vor allem dem Europäi- schen Gewerkschaftsbund, der sich dieses Themas schon vor zehn Jahren ange nommen hat, in einer Zeit, als man unter Freizügigkeit noch neoliberal verstand, dass sich Konzerne, ohne Steuern zu zahlen, mit Dumpinglöhnen und ohne Sozialstandards im Ausland niederlassen kön- nen sollten. Es begann dann eine lange Geschichte des Widerstands der Arbeitgeber, aber auch von Mitglied- staaten, die alles tun wollten, um ein Recht auf die Über- tragbarkeit von Betriebsrenten zu verhindern. Noch 2007 stimmte die Große Koalition aus Deutsch- land gegen den Richtlinienentwurf. Sieben dürre Jahre später, im vergangen Jahr, war es dann endlich soweit: Die Mobilitätsrichtlinie erleichtert die Übertragung von Betriebsrenten von einem Job zum nächsten. Betriebs- rentenanwartschaften bleiben bei einem Arbeitgeber- wechsel grundsätzlich erhalten. Das alles gilt auch bei einem Arbeitgeberwechsel im Inland. Betriebsrenten gelten jetzt nach drei und nicht mehr nach fünf Beschäf- tigungsjahren als unverfallbar und garantiert. Für diese Garantie wird auch das Mindestalter der Beschäftigten von 25 auf 21 Jahre gesenkt. Kleinstanwartschaften dürfen nicht mehr ohne Zustimmung der Beschäftigten abgefunden werden. Dies gilt allerdings nicht bei einem Wechsel innerhalb Deutschlands. Außerdem wurden die Informationsrechte der Beschäftigten über ihre Betriebs- rentenansprüche gestärkt. Das alles begrüßen wir. Das hat die Bundesregierung eins zu eins und schnell umgesetzt. Gut so! Aber lassen Sie mich zum Schluss dieses Gesetzes- vorhaben noch in den größeren Kontext einordnen! László Andor hatte 2014 als amtierender EU-Sozial- kommissar, die Mobilitätsrichtlinie begrüßt, da europa- weit die Arbeitskräfte immer stärker auf Zusatzrenten und Zusatzpensionen angewiesen seien. Auch Herr Kol- lege Weiß von der Union hat jüngst im Handelsblatt ge- warnt: Der Handlungsdruck sei immens ... Seit 2009 stag- niert die Verbreitung der bAV. Wenn das so bleibt, müssen wir eines Tages feststel- len, dass das Drei-Säulen-Modell der Altersversor- gung aus im Niveau sinkender gesetzlicher Rente, Betriebs-und Riester-Rente gescheitert ist. Herr Weiß, das ist eine bemerkenswerte Einsicht. Ich prophezeie Ihnen: Weder die richtige Mobilitäts-Richtlinie noch ihr jetzt schon bei Arbeitgebern und Gewerkschaften durchge- fallenes Sozialpartnermodell Betriebsrente werden die betriebliche Altersversorgung so attraktiv machen, dass die Lücke, die Sie durch die Senkung des Rentenniveaus in die gesetzliche Rente gerissen haben, ausgeglichen werden wird, ganz zu schweigen vom Totalausfall der Riesterrente. Das Drei-Säulen-Modell ist gescheitert. Stärken Sie endlich die gesetzliche Rente, und heben Sie das Rentenniveaus wieder auf 53 Prozent an! Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ohne Frage: Die Betriebsrente ist längst mehr als ein perso- nalpolitisches Instrument zur Mitarbeiterbindung. Sie übernimmt immer mehr auch eine sozialpolitische Funk- tion. Allerdings gilt das nur für einen ausgewählten Per- sonenkreis. Gerade Frauen, Geringverdienerinnen und Geringverdiener, Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen und in vielen Branchen, beispielsweise im Gastgewerbe oder im Gesundheitswesen, sind heute oft von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen. Im Bundessozialministerium hat man dieses Problem offensichtlich erkannt. Das ist durchaus erfreulich. Na- türlich wollen auch wir die betriebliche Altersversorgung weiter fördern und zur Verbreiterung beitragen. Nur: Be- triebsrenten sind – entgegen der Vorstellung der Bundes- regierung – kein rentenpolitisches Allheilmittel. Wir sehen es im Koalitionsvertrag und auch in den jüngsten Aussagen von Andrea Nahles: Die Betriebsrente soll es in Zukunft richten. Sie setzt alles auf eine Karte, letztlich aber doch auf das falsche Pferd. In Zukunft müs- se nach dem Willen der Bundesregierung in erster Linie die betriebliche Altersversorgung das Absinken des Ren- tenniveaus ausgleichen. Dies aber könnte in der Theorie nur dann gelingen, wenn tatsächlich jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer in Ost und West, in Rostock, in Leipzig oder in Dortmund, in jeder Branche und in jedem Betrieb, ob groß oder klein, Zugang zu einem Betriebs- rentenangebot erhält und dieses auch annimmt. Dahin wäre es noch ein weiter Weg. Wer also die umfassende und alle einbeziehende Si- cherungsfunktion des Alterssicherungssystems bewahren will, muss realistischer Weise alle drei Säulen der Alters- sicherung in den Blick nehmen und besonders die gesetz- liche Rente stärken. Es braucht vor diesem Hintergrund schon beson- ders wirksame rentenpolitische Scheuklappen, um, wie die Koalition, die beiden anderen Säulen ganz aus dem Blickfeld verschwinden zu lassen. Die in ihrer bisherigen Form gescheiterte Riester-Ren- te? Die Bundesregierung ignoriert sie und all die offen- kundigen Probleme. Wenn überhaupt: Mehr als kosme- tische verbraucherpolitische Maßnahmen sind bei der dritten Säule von der Koalition bis zur Bundestagswahl nicht zu erwarten. Die Entwicklung des Rentenniveaus, besonders nach 2030? Dazu hört man von Andrea Nahles nicht mehr als Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12733 (A) (C) (B) (D) betretenes Schweigen. Dabei war es gerade die gefor- derte private Altersvorsorge, die die Leistungseinschrän- kungen bei der gesetzlichen Rente ausgleichen und damit auch rechtfertigen sollte. Die Bundesregierung hat keine Antworten auf die offensichtlichen Probleme der ersten und der dritten Säule. Umso beschämender ist es, dass selbst auch bei der groß angekündigten Betriebsrentenreform keinerlei Fort- schritte zu vermelden sind. Die Nahles-Rente, das „Neue Sozialpartnermodell Betriebsrente“, droht – ironischer- weise – gerade am massiven Widerstand der Sozialpart- ner zu scheitern. Zwei Entwürfe des Sozialministeriums sind bereits durchgefallen. Selbst ein Minimalkonsens zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften steht in den Sternen. Davon abgesehen erscheint der bisherige Vor- schlag des BMAS, zum Beispiel zu gemeinsamen Ein- richtungen …, wenig geeignet, um tatsächlich eine fast vollständige Verbreitung der Betriebsrente erreichen zu können. Würden Sie sich ehrlich machen, müssten wir eigentlich über eine gesetzliche Lösung diskutieren, also etwa über eine mit jedem Arbeitsvertrag automa- tisch verbundene Betriebsrente mit einer Opt-out-Opti- on für die Beschäftigten. Vielleicht mangelt es Ihnen an Mumm, einen solchen Vorschlag gegen die Sozialpartner durchzusetzen. Dass wir angesichts der verfahrenen und peinlichen Blockadesituation bei der Nahles-Rente überhaupt über Betriebsrenten diskutieren, ist allein der Europäischen Union zu verdanken. Wir begrüßen, dass die Bundesre- gierung über die Europäische Mobilitäts-Richtlinie nach jahrelanger Verzögerung angehalten wird, endlich zu handeln. Die Richtlinie erleichtert es vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, betrieblich für das Alter vorzusorgen. Gerade Jüngere werden davon profitieren, dass sie auch schon Anfang 20 wirksame Versorgungsanwartschaften aufbauen können, auch dann, wenn sie ihren Arbeitsplatz innerhalb der Europäischen Union wechseln. Ebenso sind die im Gesetzentwurf vorgesehene Dynamisierung der Anwartschaften von ehemaligen Beschäftigten sowie die Verkürzung der Unverfallbarkeitsfristen von fünf auf drei Jahre ein Schritt in die richtige Richtung. Letztlich ist aber auch klar: Zu mehr, als die europä- ische Minimalforderung umzusetzen, scheint die Koali- tion nicht fähig. Was das für die konfliktträchtige Ausei- nandersetzung um die Nahles-Rente bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfah- rensrechts (Tagesordnungspunkt 17) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ich freue mich, dass ich zur heutigen Debatte zum Unterhaltsrecht nicht nur als Jurist, sondern insbesondere auch als Familienpoli- tiker die Gelegenheit habe, mich an der Diskussion zu beteiligen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts haben wir die rechtlichen Grundlagen im Hinblick auf den Mindestunterhalt, das vereinfachte Verfahren im Kinderunterhaltsgesetz und die Regelungen im Auslandsunterhaltsgesetz überarbei- tet und angepasst. Erstens. Schaffung einer neuen Bezugsgröße für den Mindestunterhalt von Kindern Wir haben uns innerhalb der Koalition zum einen dar- auf verständigt, eine neue Bezugsgröße für den Mindest- unterhalt von Kindern zu schaffen. Der in § 1612 a BGB geregelte Mindestunterhalt soll sich künftig nicht mehr an den steuerrechtlich geprägten Kinderfreibetrag anleh- nen, sondern das steuerfrei zu stellende sächliche Exis- tenzminimum minderjähriger Kinder soll Anknüpfungs- punkt für die künftige Berechnung sein (§ 1612 a Satz 2 BGB). Zwar orientieren sich die derzeit noch geltenden Regelungen auch am entsprechenden Existenzmini- mumssatz, allerdings ist es diesbezüglich zu Abweichun- gen zwischen der Höhe des Mindestunterhalts und des Existenzminimums minderjähriger Kinder gekommen, die wir mit der im vorliegenden Entwurf vorgeschlage- nen Regelung nunmehr ausräumen. Seit der Unterhalts- rechtsreform aus dem Jahr 2008 war der Mindestunter- halt zentraler Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des Unterhalts für minderjährige Kinder. Der Umfang und die Höhe des Existenzminimums von Kindern werden künftig alle zwei Jahre auf Basis des Existenzminimumsberichts der Bundesregierung im Rahmen einer Rechtsverordnung –erstmals am 1. Janu- ar 2016 –durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz festgelegt. Durch diesen regelmäßi- gen Anpassungszyklus stellen wir sicher, dass nachtei- lige Folgen für Familien durch eine verzögerte Anpas- sung oder eine Unterschreitung des Steuerfreibetrages/ Mindestunterhaltes unterhalb des sächlichen Existenz- minimums künftig vermieden werden und es zu einer schnelleren Anpassung des Mindestunterhalts für min- derjährige Kinder kommt. Situationen wie die in diesem Jahr, wo die Freibetragsanhebung zu Beginn des Jahres nicht rechtzeitig erfolgt ist und der Mindestunterhalt für die Kinder in der ersten Jahreshälfte das Existenzmini- mum nicht voll gedeckt hatte, werden durch die neue Re- gelung in Zukunft vermieden. Zweitens. Neuordnung des vereinfachten Verfahrens beim Kindesunterhalt: Neben dem regulären Unterhaltsverfahren besteht die Möglichkeit, zur Existenzsicherung vom Unterhaltsver- pflichteten beim Familiengericht im Rahmen des soge- nannten vereinfachten Verfahrens nach §§ 249 – 260 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) noch schneller, benutzerfreundlicher und effi- zienter Unterhalt für ein minderjähriges Kind vollstre- ckungsfähig festsetzen zu lassen. Das vereinfachte Ver- fahren nach den §§ 249 ff. FamFG hat sich nach seiner Einführung durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder aus dem Jahr Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512734 (A) (C) (B) (D) 1998 als ein zügiges und einfaches Unterhaltsfestset- zungsverfahren zur Existenzsicherung minderjähriger Kinder etabliert und auch bewährt. Um ein Beispiel zu nennen: Im Jahr 2013 sind von fast 76 000 erledigten Kindesunterhaltsverfahren knapp 28 000 – also etwa 36 Prozent – im vereinfachten Verfahren beantragt wor- den. Aus diesen Gründen wollen wir an diesem Verfah- ren auch grundsätzlich festhalten und lediglich in einigen Bereichen noch passgenau nachjustieren. Insbesondere die nach der Kindesunterhalt-Formular- verordnung (KindUFV) vorgeschriebene Benutzung ei- nes bundeseinheitlichen Formulars zur Beantragung des Unterhalts hat sich in der Praxis als zu kompliziert und anwenderunfreundlich erwiesen. Unserer Intention, dem Kind schnellstmöglich die dringend benötigte finanzielle Unterstützung so schnell und so unkompliziert wie mög- lich zur Verfügung zu stellen, konnten wir mit diesem Verfahren nicht immer nachkommen. Diesbezügliche Anträge und Einwendungen waren bislang stets formu- largebunden. Aus der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die Antragsteller zum überwiegenden Teil Behörden sind (Jugendamt, örtliche Sozialbehörden), die im Rahmen der Beistandschaft und in Fällen des Anspruchsüber- gangs nach dem Unterhaltsvorschussgesetz das Ver- fahren nutzen und für die kein Formularzwang besteht (§ 1 II KindUFV). Sie stehen Elternteilen als Antrags- gegner gegenüber, die hingegen stets zur Verwendung des sogenannten Einwendungsformulars verpflichtet sind. Gerade aber für den (nicht anwaltlich vertretenen) Antragsgegner gestaltete es sich im Rahmen dieses Ver- fahrens schwierig, seine Einwendungen zu erheben und seine Rechte geltend zu machen. Auch im Hinblick auf die Verfahren mit Auslandsbe- zug hat sich das vereinfachte Verfahren, insbesondere in Bezug auf den Übersetzungsaufwand der Formulare, ebenfalls als nicht praxistauglich erwiesen. Im Rahmen der Beantragung des Kindesunterhaltes im vereinfachten Verfahren wollen wir durch entsprechen- de Änderungen im Bereich des Kindesunterhaltsgeset- zes, der Kinderunterhalts- Formularverordnung und des Gesetzes über Gerichtskosten in Familiensachen dafür Sorge tragen, dass sich das Verfahren nunmehr effizien- ter und benutzerfreundlicher gestaltet. Aus diesem Grund soll unter anderem im FamFG der sogenannte „Formu- larzwang“ entfallen, Regelungen zu den Einwendungen des Antragsgegners und zum Übergang in das streitige Verfahren geändert werden. Der Bundesrat hat sich im Hinblick auf die Abschaf- fung des verpflichtend zu nutzenden Einwendungsfor- mulars und dem damit einhergehenden geringeren Über- setzungsaufwand dafür ausgesprochen, die Verfahren mit Auslandsbezug nicht aus dem Anwendungsbereich für das vereinfachte Verfahren herauszunehmen. Den Forderungen des Bundesrates tragen wir mit un- serem diesbezüglichen Änderungsantrag nunmehr Rech- nung – das vereinfachte Verfahren soll auch in Auslands- fällen weiter angewandt werden können. Drittens. Änderung des Auslandsunterhaltsgesetzes Ferner enthält der Gesetzentwurf der Bundesregierung in Bezug auf das Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) – wel- ches die grenzüberschreitende Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen regelt – einige Anpassungen, die infolge einer Entscheidung des EuGH zur örtlichen Zu- ständigkeit der deutschen Familiengerichte in Unter- haltssachen notwendig geworden sind. Zudem führen wir eine gesetzliche Gebührenregelung für die Einreichung einer Schutzschrift zum elektroni- schen Schutzschriftenregister ein. Ich denke, dass es uns mit dem vorliegenden Gesetze- sentwurf nicht nur gelungen ist, das Unterhaltsverfahren zu entbürokratisieren, praxistauglicher und anwender- freundlicher zu gestalten, sondern – und das sage ich ge- rade als Familienpolitiker – Regelungen Eingang in das Unterhaltsrecht gefunden haben, die dem Kindeswohl noch besser entsprechen und den betroffenen Familien zu Gute kommen. Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): In ab- schließender Beratung debattieren wir heute den Gesetz- entwurf der Bundesregierung, in dem es hauptsächlich um Änderungen im Unterhaltsrecht und im Unterhalts- verfahrensrecht sowie um einige kleine marginale Ände- rungen in der ZPO geht. Wir haben es hier im Unterhalts- recht nicht mit dem von manchen geforderten großen Wurf zu tun, dennoch beschließen wir wichtige Dinge. Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es im Wesentlichen um zwei Punkte: Erstens um den Mindestunterhalt für minderjährige Kinder, also um das Geld, welches Kinder von Ihren Eltern nach der Trennung oder Scheidung erhalten. Ein Elternteil leistet in der Regel den Unterhalt in Form von Betreuung, der andere zahlt. Das sind zurzeit für die Kleinsten bis 5 Jahre 236 Euro, für die 6- bis 11-Jähri- gen 284 Euro, für die 12- bis 17-Jährigen 348 Euro und für Jugendliche ab 18 Jahren 320 Euro, immer ohne das Kindergeld. Wie errechnet man nun diesen Mindestunterhalt? Der Mindestunterhalt richtet sich aktuell noch nach dem dop- pelten Freibetrag für das sachliche Existenzminimum ei- nes Kindes, dem sogenannten Kinderfreibetrag. Derzeit ist der Mindestunterhalt also vom Einkommenssteuerge- setz abhängig. Dies wurde von der Praxis vielfach kri- tisiert. Die Anknüpfung an das Einkommensteuergesetz hat aufgrund verschiedener steuerlicher Verhältnisse der beteiligten Eltern zu Abweichungen des Mindestunter- halts vom Existenzminimum geführt. Der Gesetzentwurf will nun den Mindestunterhalt an das sachliche Existenz- minimum minderjähriger Kinder anknüpfen, und zwar unabhängig von den steuerlichen Verhältnissen der El- tern. Alle zwei Jahre wird dann die Höhe des Mindest- unterhalts per Verordnung des BMJV auf Grundlage des Existenzminimumberichts der Bundesregierung festge- legt, beginnend mit dem 1. Januar 2016. Die Änderung soll eine Unterdeckung des sachlichen Existenzmini- mums, wie in der Vergangenheit vorgekommen, verhin- dern. Also, meine Damen und Herren, eine gute Rege- lung im Sinne der Kinder. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12735 (A) (C) (B) (D) Zweitens ändert der Gesetzentwurf das sogenannte vereinfachte Verfahren zur Festsetzung der Unterhalts- ansprüche minderjähriger Kinder. Im Prinzip hat sich dieses Verfahren bewährt. Dies belegen auch die entspre- chenden Zahlen. Es ist auch sinnvoll, dass Gläubiger von Kindesunterhaltsansprüchen diese leichter geltend ma- chen können als im streitigen Verfahren und damit das Existenzminimum minderjähriger Kinder schneller und einfacher gesichert wird. Der 20. Deutsche Familiengerichtstag hat am 20. Sep- tember 2013 Vorschläge zur Fortentwicklung des Verfah- rens vorgelegt, die weitgehend im vorliegenden Gesetz- entwurf umgesetzt wurden. Der Begriff des vereinfachten Verfahrens ist vielleicht etwas irreführend. Es gilt als kompliziert und stark formalisiert. Deshalb ist eine Fort- entwicklung nötig. In der anwaltlichen Praxis kommt das Verfahren kaum vor. Ich habe es in meiner familienan- waltlichen Tätigkeit sehr selten verwendet. Es hat sich gezeigt, dass das vereinfachte Verfahren auf Seiten des Antragstellers von lediglich einer relativen kleinen An- zahl normaler Menschen, der Gesetzentwurf spricht von Naturalbeteiligten, genutzt wird. Ganz im Gegensatz zu den Behörden und Ämtern, diese benutzen das formali- sierte Verfahren gern zur Durchsetzung von Rückforde- rungsansprüchen im Rahmen des Unterhaltsvorschusses. Rechtliche Laien als Antragsteller taten sich mit den wenig anwenderfreundlichen Formularen schwer. Mit rechtlich geschulten und erfahrenen Behördenmitarbei- tern auf der Antragsgegnerseite blieb von der viel zitier- ten Waffengleichheit im Verfahren nicht viel übrig. Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Ände- rungen machen das Verfahren praktikabler, leichter zu- gänglich und effizienter. Hervorzuheben ist hierbei die geplante Abschaffung des Formularzwangs bei Einwen- dungen des Antragsgegners Im Änderungsantrag sind nun die Einzelheiten zur Vorlagepflicht von Unterlagen, die die Erfüllung des Anspruchs nachweisen sollen, verändert worden. Dabei sind meines Erachtens die Anforderungen der Praxis gut umgesetzt worden. Weiterhin war zunächst geplant, Verfahren mit Auslandbezug wegen hoher Kosten und hohen Zeitaufwands vom Verfahren auszunehmen. Nach der Stellungnahme des Bundesrates bleibt alles beim Al- ten. Auch Auslandsverfahren können im vereinfachten Verfahren geltend gemacht werden. In der Praxis werden fast alle Kinderunterhaltsverfahren mit Auslandsbezug im vereinfachten Verfahren erledigt. Das sollten wir so beibehalten. Nicht mit Bezug zum Unterhaltsrecht wurde im Än- derungsantrag außerdem eine kleine Änderung in der ZPO auf den ursprünglichen Gesetzentwurf aufgesattelt. Diese setzt die gerichtliche Gebühr für das Schutzschrif- tenregister in Höhe von 83 Euro fest. Der Bundesrat hat sich darauf verständigt, dass das Land Hessen das Regis- ter führen soll. Es dient dazu, Schutzschriften – das sind vorsorglich eingereichte Schriftsätze in Erwartung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – auf- zunehmen. Also, in der Form des Änderungsantrags ist eine deut- liche Verbesserung der rechtlichen Lage zu erkennen, und darum sollte es uns bei unserer Arbeit ja immer ge- hen. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. Sonja Stetten (SPD): Trennt sich ein Paar, geht es bei den Streitigkeiten, die vor Gericht ausgetragen wer- den, fast immer ums Geld oder um die Kinder. Egal wie die Streitigkeiten ausgehen, die gemeinsamen Kinder ha- ben darunter am meisten zu leiden. Das Unterhaltsrecht regelt theoretisch sehr genau die finanziellen Ansprüche der Kinder im Fall einer Tren- nung der Eltern. Mit dem Mindestunterhalt soll sicherge- stellt werden, dass der Lebensbedarf des Kindes gedeckt wird. Dass die Eltern hier in der Verantwortung stehen und dazu verpflichtet sind, den Lebensbedarf ihrer Kin- der finanziell abzusichern, sollte eine Selbstverständlich- keit sein. Ist es aber leider oft nicht! Wir wissen aus der Praxis, dass es genügend Fälle gibt, in denen ein Elternteil versucht, sich vor den Un- terhaltszahlungen zu drücken. Zum Beispiel indem das eigene Einkommen klein gerechnet oder die Zahlungen einfach nicht getätigt werden. Die dem Kind zustehenden Unterhaltsansprüche müs- sen ermittelt und festgelegt werden, um dann durchge- setzt werden zu können. Das ist alles nicht immer ganz einfach. Damit es zumindest etwas einfacher wird, brin- gen wir heute einige Änderungen auf dem Gebiet des Unterhalts- und des Unterhaltsverfahrensrechts auf den Weg. Nicht nur die Familienrechtler waren zunächst ein- mal sehr froh, als das Vereinfachte Unterhaltsverfahren 1998 eingeführt wurde. Allerdings war die Enttäuschung dann wiederum ebenfalls sehr groß, als man die Flut von auszufüllenden Anträgen und Einwendungen auf dem Schreibtisch hatte. Für die Jugendämter mag dies tatsachlich eine „Vereinfachung“ gewesen sein. Für die Anwälte und vor allem aber auch die jeweiligen Unter- haltsgläubiger war es das nicht. Aus dem Vereinfachten Unterhaltsverfahren wurde ein „erschwertes“ und oft ge- nug wegen der formalen Zwänge sogar ein „verschlepp- tes“ Unterhaltsverfahren. Die Praxis, sprich, Richter, Anwalte und Jugendämter, aber vor allem auch betroffene Elternteile, werden daher die geplanten Änderungen mit Sicherheit begrüßen. In dem geplanten Gesetz geht es allerdings nicht nur um das vereinfachte Unterhaltsverfahren. Auch der Min- destunterhalt wird künftig auf andere Füße gestellt. Es ist gut, dass der Mindestunterhalt zukünftig nicht mehr am einkommensteuerrechtlichen Existenzmini- mum, sondern am sachlichen Existenzminimum min- derjähriger Kinder ausgerichtet wird. Die Höhe des Mindestunterhalts soll in einer vom Ministerium zu er- lassenden Rechtsverordnung festgelegt werden. Entspre- chend dem Rhythmus der Existenzminimumberichte der Bundesregierung ist vorgesehen, den Mindestunterhalt für minderjährige Kinder alle zwei Jahre anzupassen. Die formale Anknüpfung an die steuerrechtlichen Kinderfrei- beträge hat in der Praxis zu sozialen Ungerechtigkeiten geführt. So lag der Betrag nach dem Existenzminimum- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512736 (A) (C) (B) (D) bericht 2014 um 6 Euro über dem geltenden Mindestun- terhalt. Mit der Befugnis zur Rechtsverordnung knüpft man an die bis 2007 geltende Tradition der früheren „Regel- satzverordnung“ an. Ich möchte die heutige familienrechtliche Debatte dazu nutzen, noch etwas zum Thema moderne Familien- bilder und Umsetzung entsprechender Modelle zu sagen. Junge Eltern wollen heute immer öfter viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Die Elternzeit wird auch von jungen Vätern gerne und immer öfter in Anspruch ge- nommen. Und umgekehrt wollen junge Mütter ihre be- ruflichen Ziele nicht mehr für die Familie aus den Augen verlieren. Die Zeiten, in denen der Vater lediglich gezahlt und sich die Mutter um die gemeinsamen Kinder geküm- mert hat, sind weitestgehend vorbei. Die Zeiten haben sich geändert, haben sich zum Glück geändert. Die Kinder halten sich heute immer häufiger, auch nach Trennungen, anteilig bei beiden Elternteilen auf. Unsere heutige Rechtspraxis trägt diesen veränderten Lebenswirklichkeiten nicht Rechnung, jedenfalls nicht ausreichend. Unsere Unterhalts-, Umgangs- und Sorge- rechte stammen noch aus einer Zeit, in der klassische Rollenmuster galten. Das heißt: Das Recht hinkt den Re- alitäten hinterher. Deshalb müssen wir gemeinsam über- legen, wie wir hier Abhilfe schaffen können. Innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion wird das The- ma derzeit im Austausch mit Fachleuten intensiv disku- tiert. Was wir heute auf jeden Fall sagen können, weil wir es aus der Praxis wissen, ist, dass sich schon heute vie- le Eltern für eine hälftige Betreuung und Versorgung der Kinder entscheiden. Und dabei liegen die Vorteile ja klar auf der Hand: Beide Elternteile verbringen Zeit mit den Kindern. Die Kinder haben bei Vater und Mutter ein Zuhause. Sie erleben Alltag, Freizeit und Ferien mit beiden Eltern- teilen. Es gibt also kein Tauziehen um den Nachwuchs, der alle Seiten belastet. Es gibt kein Elternteil, bei dem die Kinder lediglich „zu Besuch“ sind. Vater und Mutter tragen gemeinsam Verantwortung. Es liegt an unseren zunehmend flexiblen Arbeitszei- ten, dass es für Familien immer mehr Möglichkeiten gibt, dieses Modell zu leben. Allerdings sind unterhaltsrechtli- che, steuer- und sozialrechtliche Fragen noch überhaupt nicht geklärt. Jedenfalls kann es nicht sein, dass der gut- verdienende Elternteil durch das Wechselmodell in Gän- ze von seiner Unterhaltspflicht befreit wird. Denn dann sind die Kinder die Leidtragenden. Und uns geht es ja vor allem um das Wohl des Kindes. Hier müssen wir für die Gerichte und Jugendämter, aber auch für die Jobcenter und Familienkassen verbindliche Regelungen schaffen. Natürlich bleibt die Frage über die Betreuung der gemeinsamen Kinder eine höchst individuelle Entschei- dung. Was der Gesetzgeber aber leisten kann, ist, Impul- se zu geben. Und er kann das rechtliche Handwerkszeug dahingehend andern, dass es an die realen Lebensverhält- nisse in unserer modernen Gesellschaft angepasst wird. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir eine ge- rechte und vor allem familienfreundliche Gesetzgebung schaffen. Das kommt unseren Kindern zugute und also unserer Zukunft. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Grundsätzlich ist eine Änderung im Unterhaltsrecht zu begrüßen. Die Bun- desregierung lässt hier aber eine gute Möglichkeit für eine größere Reform verstreichen. Es steht außer Frage, dass eine Anhebung des sächlichen Existenzminimums und damit zugleich eine Anpassung der Düsseldorfer Ta- belle überfällig ist. Allerdings bleibt der Entwurf hinter den Erwartungen an mehr Transparenz und Konsistenz der Regelung zurück. Schön ist, dass das vereinfachte Verfahren anwen- derfreundlicher gestaltet werden soll und ein Ausgleich des vorhandenen Ungleichgewichts zwischen Behörden (kein Formularzwang) und natürlichen Personen (jetzt auch ohne Formularzwang bei Geltendmachung von Ein- wendungen) angestrebt wird. Problematisch ist aber beim Artikel 2 des vorliegen- den Gesetzes (§§ 249 ff. FamFG-E) beim Unterhalts- vorschuss die fehlende Unterrichtung des betreuenden Elternteils (in der Regel noch immer die Mutter) über den Anspruchsübergang und die Geltendmachung der Ansprüche durch das Jugendamt mit der Konsequenz, dass es zu einer mehrfachen Rechtsverfolgung und im ungünstigsten Fall auch zur doppelten und unterschiedli- chen Titulierung kommen kann. Von daher hätten Infor- mations- und Anzeigepflichten normiert werden können, um derartig mögliche Kollisionen zu vermeiden. Und auch durch die Anknüpfung des Mindestun- terhalts an das sächliche Existenzminimum nach dem Existenzminimumsbericht der Bundesregierung ergibt sich das Problem, dass dieser ans SGB anknüpft und die dortigen Bedarfe zugrunde gelegt werden, die mitunter zu niedrig angesetzt sind, weil pauschalisiert, und den realen Existenzbedarf nicht abbilden. Hier hätte grund- legend über die Bedarfe neu entschieden werden müssen. Im Übrigen heißt das auch, dass der Mindestunterhalt nie höher liegen kann, als das nach dem Existenzmini- mumbericht errechnete sächliche Existenzminimum für Kinder, selbst wenn die steuerlichen Kinderfreibeträge wieder darüber lägen. Dies würde eine Verschlechterung für unterhaltsbe- rechtigte Kinder gegenüber der geltenden Rechtslage darstellen. So war das beispielsweise 2012 der Fall. Der Steuerfreibetrag betrug 4 368 Euro, das sächliche Exis- tenzminimum 4 272 Euro. Also 96 Euro unter dem Steu- erbetrag. Das heißt, dass monatlich 8 Euro weniger ge- zahlt worden wären, wenn das jetzt vorliegende Gesetz bereits gegolten hätte. Der VAMV hat in seiner Stellung- nahme vom Juli 2015 dieses Beispiel für 2012 ausführ- lich vorgerechnet. Diese mögliche Schlechterstellung hätte mit einem einfachen Satz als Ergänzung im Gesetz verhindert wer- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12737 (A) (C) (B) (D) den können. Beispiele dafür sind in den Stellungnahmen der beteiligten Verbände genannt. Außerdem stellt die Rechtsverordnung des BMJ nicht sicher, dass das durch den Existenzminimumbericht be- kanntgegebene sächliche Existenzminimum für Kinder zeitnah in das Unterhaltsrecht weitergereicht wird. Insgesamt ist festzustellen, dass das Unterhaltsrecht insgesamt neu zu überdenken ist und dabei die Schnitt- stellen zum Steuer und Sozialrecht mit in den Blick ge- nommen werden müssen. Dazu gehört auch ein Überden- ken der Düsseldorfer Tabelle. Dazu ist jedoch ein großer Gesamtentwurf vonnöten. Die Bundesregierung bleibt aber mit diesem Entwurf auf halben Weg stehen. Der halbe Weg, deshalb auch nur ein halbes Ja von der Linken. Von daher werden wir uns bei diesem Gesetz enthalten. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetz soll der Mindestunterhalt in § 1612 a BGB künftig direkt an das sächliche Existenz- minimum des Kindes angeknüpft werden – ohne Umweg über den steuerlichen Kinderfreibetrag. Das vermeidet Divergenzen zulasten der Kinder durch zeitliche Ver- zögerungen bei der Anpassung. Künftig soll also das Justizministerium beginnend mit dem 1. Januar 2016, alle zwei Jahre den Mindestunterhalt durch Rechtsver- ordnung festlegen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Sie wollen darüber hinaus mit Ihrem Gesetz das vereinfach- te Verfahren vereinfachen. Auch das ist eine gute Idee. Der Formularzwang für die Einwendungen gegen die Festsetzung und Titulierung war und ist eine Zumutung und führt zu oft zu fehlerhaften Unterhaltstiteln. Die Abschaffung des Formularzwanges ist daher berechtigt. Entgegen dem ursprünglichen Vorschlag soll das verein- fachte Verfahren jetzt doch weiter zulässig sein, wenn der Antragsgegner im Ausland wohnt. Das ist in der Tat besser, weil am Ende dem Kind das jeweils effizientere Verfahren zur Wahl stehen sollte, und die inländischen Gerichte am Wohnort des Kindes ohnehin zuständig sind. Nicht hilfreich ist allerdings die neue Möglichkeit von Teilfestsetzungen bei entsprechender Verpflich- tungserklärung des Unterhaltschuldners. Das macht das anschließende streitige Verfahren über den Restbetrag intransparenter und fehleranfälliger. Besser wäre es ge- wesen, im streitigen Verfahren immer den vollständigen Unterhaltsanspruch zum Streitgegenstand zu machen. Am Ende bleibt dieser kleine Makel allerdings nicht das einzig Unbefriedigende im Rahmen des Kindesunter- halts. So stellt sich zum Beispiel die grundlegende Frage, warum eigentlich sozialrechtliches, steuerrechtliches und unterhaltsrechtliches Existenzminimum eines Kindes ständig auseinanderfallen. Könnte man nicht einmal über eine unbürokratischere und einheitlichere Absicherung von Kindern in diesem Land nachdenken? Nachdem ich zehn Jahre lang als Fachanwältin für Familienrecht Unterhalt berechnet und eingeklagt hatte, musste ich feststellen, dass die Beantragung, die Anrech- nung, die Rückübertragung, die Vollstreckung oder Auf- rechnung mehr Aufwand verursachte, als das Kind selber jemals für sich beansprucht. Je ärmer das Kind, desto mehr Behörden beschäftigen sich mit seinem Bedarf. Nach meiner Berechnung würden wir uns und die Kin- der in diesem Land erheblich besser stellen, wenn wir all die zerstückelten Teilleistungen abschaffen und stattdes- sen eine Kindergrundsicherung in Höhe des sächlichen Existenzminimums an alle auszahlen. Was wäre das für eine Entlastung für Jugendämter, Jobcenter, Sozialämter, Finanzämter und Familienkassen! Der steuerliche Kin- derfreibetrag könnte ebenso entfallen wie der Kinderre- gelsatz bei Hartz IV. Die Mangelfallberechnungen würde niemand vermissen! Auch die Familiengerichte würden entlastet, weil Kindesunterhalt überhaupt nur noch ober- halb des Mindestbedarfes geltend gemacht würde. Nehmen Sie also diesen Vorschlag mit, und denken Sie einmal über einen wirklich großen Wurf nach. Ihrer Fehlerkorrektur im Kleinen stimmen wir heute trotzdem zu. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu Änderung des Umwelt-Rechtsbefehlsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. No- vember 2013 in der Rechtssache C-72/12 (Tages- ordnungspunkt 19) Oliver Grundmann (CDU/CSU): Wir sprechen heu- te über wichtige Änderungen im Umwelt-Rechtsbehelfs- gesetz. Was ist der Hintergrund? Mit Urteil vom 7. November hat der Europäische Gerichtshof die Klagerechte von Gemeinden und Pri- vatpersonen sowie von anerkannten Umweltverbänden erweitert. Dieses Recht wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in nationale Gesetzgebung überführen. Gemeinden und Privatpersonen, die von den Ergeb- nissen einer Umweltverträglichkeitsprüfung betroffen sind, sollen künftig unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsbehelf einlegen können. Bei fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfungen wird zwischen abso- luten und relativen Verfahrensfehlern unterschieden und die unterschiedlichen Fehlerfolgen klarstellend geregelt. Die dritte große Änderung ist die Beweislastumkehr bei gerügten und offensichtlichen Fehlern der Umweltver- träglichkeitsprüfung. Bislang musste durch einen Kläger nachgewiesen werden, dass die Entscheidung über das Vorhaben ohne fehlerhafte UVP voraussichtlich anders ausgefallen wäre. In Zukunft muss der Vorhabenträger beweisen, dass trotz des beanstandeten Fehlers die Ent- scheidung gerade nicht anders ausgefallen wäre. Das Ziel dieser Gesetzgebung ist es, die Verfahrens- rechte von Bürgerinnen, Bürgern, Gemeinden und aner- kannten Umweltvereinigungen zu stärken. Und das ist uns mit diesem Gesetzentwurf gelungen. Jedoch wird „Altrip“ nicht die letzte Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes gewesen sein. Ge- mäß Beschluss der 5. Vertragsstaatenkonferenz zur Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512738 (A) (C) (B) (D) Aarhus-Konvention sind wir dazu aufgefordert, eine Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes auch dahingehend vorzunehmen, dass Umweltverbänden die Möglichkeit eingeräumt wird, inhaltliche und verfah- rensrechtliche Fehler zu rügen, unabhängig davon, ob die verletzte Vorschrift dem Umweltschutz dient. Und weiterhin sind wir aufgefordert, einen effektiven Zugang anerkannter Umweltverbände zu den nationalen Gerich- ten zu gewährleisten. Die Bundesregierung wird auch dieser Aufgabe verantwortungsvoll nachkommen. Und dennoch müssen wir wachsam bleiben. Umweltverbände erlangen durch diese Gesetzesvorhaben umfassende Kla- gerechte, die weitreichende Folgen haben können. Ich bin ein Mann der Praxis. Ich war Geschäftsfüh- rer eines mittelständischen Unternehmens und blicke auf eine langjährige Erfahrung in der Kommunalpolitik zu- rück. Aus eigener Erfahrung sage ich Ihnen: Für eine In- vestitionsentscheidung ist nicht vorrangig die Anzahl an Klagen von Bedeutung, sondern die politische Wirkung, die das Klagerecht entfalten kann. Umso wichtiger ist es, dass wir bei den anstehenden Novellierungsvorhaben ökologische Gegebenheiten und ökonomische Erforder- nisse in Einklang bringen. Deutschland steht vor großen und wichtigen Heraus- forderungen: Wir befinden uns in einem grundlegenden Umbau unserer Energieversorgung. Wichtige Infrastruk- turprojekte wie der Leitungsausbau sollten nicht durch ausufernde Bürokratie verzögert werden. Wir dürfen den zahlreichen Investoren in unserem Land – die große In- frastrukturprojekte schultern wollen, die uns voranbrin- gen wollen, die ihren Teil dazu leisten, dass es uns wirt- schaftlich so gut geht, dass unser Konjunkturmotor läuft und dass es bei uns weiter vorwärts geht – keine weiteren Steine in Weg legen. Manch Kritiker sieht die aufgezeigten Entwicklungen im Umweltklagerecht vielleicht als weiteren Beleg für eine ausufernde Umweltbürokratie, die durch ständige Änderungen und eine kontinuierliche Fortentwicklung der Rechtsprechung den Weg durch den Dschungel der Bürokratie noch langsamer macht. Das muss man sehr differenziert bewerten: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir Rechtssicher- heit, wo vorher keine war. Und diese Rechtssicherheit schafft Planungssicherheit. Die Eröffnung wirksamer Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Einzelpersonen und Um- weltverbände ergänzt und komplettiert die bestehenden Beteiligungsrechte in Planungs- und Zulassungsverfah- ren. Insbesondere auch Kommunalpolitiker werden darin eine Stärkung für die kommunale Familie, eine Stärkung für die kommunale Selbstverwaltung sehen. Gleichwohl sage ich auch hier: Es gibt auch Planungsvorhaben, die von Seiten der Kommunen zu verantworten sind. Und so laufen letztlich auch die Kommunen Gefahr, angreifbarer zu werden. Daran sieht man, wie kompliziert die Sachla- ge ist – in diesem sensiblen Feld der Umweltpolitik. Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen hier eine Politik machen, die einen fairen Ausgleich schafft, die Ökologie und Ökonomie verbindet. Wir wollen Verfahrensverein- fachungen. Wir wollen Klarheit und Rechtsstaatlichkeit, denn das sind wir den Menschen, den Unternehmen und unserem Land schuldig. Und dies ist bei diesem Gesetz- entwurf gelungen. Deshalb bitte ich um Ihre Zustim- mung. Dr. Matthias Miersch (SPD): Wir debattieren heute wieder einmal über eine Änderung des Umweltrechts- behelfsgesetzes. Eine Änderung, die notwendig gewor- den ist, weil erneut – bereits zum zweiten Mal – gegen europäisches Recht verstoßen wurde. Bemerkenswert ist dabei, dass bei der 1. Novelle zur Heilung des einge- schränkten Zugangs zu Gerichten, im sogenannten „Tri- anel-Urteil“, gleich aufs Neue andere EU-rechtswidrige Paragrafen in die Novelle eingebaut wurden. Dies führte zur zweiten Verurteilung vor dem Europä- ischen Gerichtshof (EuGH) – dem sog. „Altrip-Urteil“ – und zu dem nun vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung debattieren. Für das Umweltrechtsbehelfsgesetz, das knapp neun Jahre alt ist, sind die zweimaligen Verurteilungen vor dem EuGH ein einsamer Rekord –- auf den man aller- dings nicht stolz sein sollte. An dieser Stelle sollte man nicht verschweigen, dass es leider immer mal wieder vorkommt, dass EU-rechts- widrige Gesetze im Deutschen Bundestag verabschiedet werden, die nach einer Verurteilung durch den EuGH wieder korrigiert werden müssen. Dies kann daran liegen, dass die europäische Richtlinie nicht eindeutig formuliert wurde oder dass es im Umsetzungsgesetz auslegungsfä- hige Formulierungen gibt, die die EU-Kommission zu genaueren Prüfungen veranlassen und letztendlich zur Klageerhebung vor dem EuGH führen. Beim Umweltrechtsbehelfsgesetz ist dies jedoch eindeutig nicht der Fall. Die Anhörungen, die im parla- mentarischen Verfahren zu den Gesetzentwürfen durch- geführt wurden, haben sehr deutlich gezeigt, dass alle vorgelegten Gesetzentwürfe an verschiedenen Stellen als EU-rechtswidrig eingestuft wurden. Dies waren zum Beispiel massive Bedenken wegen der Einschränkung der Beteiligungsrechte von anerkannten Umweltverbän- den und von Einzelpersonen sowie wegen Einschränkun- gen im Rechtsschutz. Man kann also nicht von einem Versehen ausgehen, denn die Aarhus-Konvention und die sie umsetzenden Richtlinien sind eindeutig formuliert. Vielmehr spielte die „gefühlte Angst vor dem Bürger und den Umweltverbänden“ eine Rolle, die vermeintlich mit ihren Einwendungen die Verfahren verzögern und ggf. neue Prüfungen und Umplanungen verursachen und das Vorhaben insgesamt verteuern. So versucht man, mit gesetzlichen Regelungen die Bürger und Verbände mög- lichst weit aus den Verfahren herauszuhalten. Dies ist ein deutlicher ein Rückschritt in der Beteiligungskultur Deutschlands und wird nicht von Erfolg gekrönt sein. So widerspricht dies auch den neuen Tendenzen und Formaten einer umfassenden Bürgerbeteiligung wie wir sie zum Beispiel in der Endlager-Kommission praktizie- ren! Ich bin fest davon überzeugt, dass es zielführend ist, den Sachverstand von Verbänden und Bürgerinnen und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12739 (A) (C) (B) (D) Bürgern ernst zu nehmen, sich andere Lösungen vor- stellen zu lassen und Alternativen zu prüfen. Denn es ist längst erwiesen, dass eine frühzeitige und umfängliche Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht zwingend zu einer Verzögerung eines Vorhabens führen muss. Dankenswerterweise wird das Bundesumweltministe- rium demnächst den Entwurf eines völlig überarbeiteten Umweltrechtsgesetzes vorlegen, das neu strukturiert und vor allem die durch die Aarhus-Konvention vorgegebe- ne umfassende Beteiligung an Planungs- und Genehmi- gungsverfahren ernst nehmen wird. Ich hoffe sehr, dass dann die unendliche Geschichte der Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der unzureichen- den Umsetzung völker- und europarechtlicher Vorgaben bei der Beteiligung von Umweltverbänden und natürli- chen Personen an Planungs- und Genehmigungsverfah- ren ein Ende finden wird. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Da braucht es ein Ur- teil des obersten europäischen Gerichtshofes, um klarzu- stellen, dass nicht nur gegen eine fehlende Umweltver- träglichkeitsprüfung geklagt werden darf, sondern auch gegen eine fehlerhafte. Auch wenn es hier im Fall Altrip unter anderem um Unklarheiten über eine Übergangsfrist ging, ist die Umweltverträglichkeitsprüfung auch damals nichts Neues gewesen. Dass solche Urteile notwendig sind, zeigt klar auf, mit welcher ideologischen Missachtung mit dem Mittel der Umweltverträglichkeitsprüfung zeitweise umgegangen wird. Die Umweltverträglichkeitsprüfung und vor allem auch der bessere Gerichtszugang für Betroffene wurden aus gutem Grund eingeführt: Damit Infrastrukturprojekte nicht aufs Geradewohl in die Landschaft gesetzt werden, wie es gerade am billigsten ist und Planern und Inves- toren am besten passt. Es gibt unzählige Beispiele über die nachhaltige Zerstörung von Natur- und Lebensraum im Interesse von Wirtschafts- und Infrastrukturprojekten. Wer auf der A4 von Thüringen nach Hessen fährt, über- quert die versalzene Werra und erblickt auf der linken Seite die wohl noch Jahrtausende bestehenden riesigen Mahnmale des Kalibergbaus. Oder denken wir an Stau- fen: Dort quillt eine ganze Stadt auf und stürzt langsam ein, weil man bei den Bohrungen für Geothermie ein Gipslager angebohrt hat. Nicht für ein sicheres Stromsystem wird derzeit in Deutschland der Übertragungsnetzausbau vorangetrie- ben, sondern für den freien europäischen Strommarkt. Deshalb wird technisch völlig überdimensioniert ge- plant. Man stelle sich vor, eine so umstrittene Leitung wie die Suedlink könnte mit einer fehlerhaften Umwelt- verträglichkeitsprüfung trotzdem den Planfeststellungs- beschluss erhalten, juristisch nicht anfechtbar. Das wäre so, wie wenn ein Betrüger trotz Nachweis des Betruges seine Beute weiter behalten darf. Ich will nicht erleben, wie die Bürgerinitiativen darauf reagieren würden. Es kann also nicht zu viel verlangt sein, bei großen Eingriffen in die Natur die Risiken und Nutzen für die Gesellschaft vorher sorgfältig abzuwägen. Dafür gibt es die Umweltverträglichkeitsprüfung als Minimalkonsens zwischen großen Projekten und Investitionen und den Interessen von Mensch und Umwelt, und deshalb muss jede Umweltverträglichkeitsprüfung sachlich richtig und mit größter Sorgfalt erfolgen. Sie muss sich selbstver- ständlich an die vorgegebenen Regularien und Verfahren halten und muss bei Verstoß gegen die Regeln anfechtbar sein. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist keine for- male Hürde, auch wenn diverse Projektplaner dies gern so sehen. Für Akzeptanz in der Gesellschaft muss gewährleistet sein und bleiben, dass eine Umweltverträglichkeitsprü- fung auch zwingend zum Abbruch von Projekten führen kann, wenn Schäden für Mensch und Umwelt den ge- sellschaftlichen Nutzen übersteigen. Die Linke begrüßt daher die grundsätzliche Klarstellung durch den Europäi- schen Gerichtshof, und wir stimmen der Klarstellung des Gesetzentwurfs zu. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lan- ge bevor die Regierung tätig wurde, um die Urteile des Europäischen Gerichtshof umzusetzen, hatte die Grüne Bundestagsfraktion das Problem benannt und bereits im November 2011 einen eigenen Gesetzesentwurf, Druck- sachennummer 17/7888 vorgelegt, um die fehlerhafte Umsetzung des Europäischen Rechts in Deutschland zu beseitigen. Der damals vorgelegte Gesetzentwurf der Grünen hat- te für den § 4 Absatz 1, der heute von Ihnen zur Änderung vorliegt, bereits vor vier Jahren einen Vorschlag gemacht, der fast identisch mit dem nun von vorgeschlagenem ist. Auch bei der letzten Änderung des Umwelt-Rechtsbe- helfsgesetzes im Jahr 2012 hatten wir in einem Antrag den nun hier geänderten § 4 Absatz 1 kritisiert. Mit wel- cher Begründung hat die letzte Koalition eigentlich un- sere guten Vorschläge abgelehnt, wenn Sie sie jetzt fast ebenso einbringen? Das erschließt sich mir nicht. Für mich ist klar: Der letzten Bundesregierung fehlte der Wille, die Vorgaben zu den Klagerechten von Ver- bänden korrekt umzusetzen. Es scheint mir, dass es der jetzigen Koalition wieder ähnlich geht, da lediglich an Details gearbeitet wird. Die eigentlich notwendige große Novelle wird aber weiter auf die lange Bank geschoben. Wovor haben Sie eigentlich Angst? Denn mit dem Zu- gang zum Klageweg wird für Bürgerinnen und Bürger oder Verbände lediglich die Möglichkeit eingeräumt, begangene Rechtsfehler zu heilen, wenn solche in den Planungsverfahren erfolgt sind, also eine Verletzung der Rechte erfolgte, welche wir hier im Parlament aus gu- ten Gründen beschlossen haben. Warum wollen Sie dies nicht zulassen? Ist es denn so schlimm, wenn von uns beschlossenes Recht notfalls in Gerichten durchgesetzt wird? Oder haben Sie Angst, dass die NGOs mit diesem Recht, gegen fehlerhafte Entscheidungen vor Ort gege- benenfalls klagen zu können, Schindluder treiben? Dazu möchte ich gerne auf eine Studie verweisen von Professor Dr. Martin Führ, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule Darmstadt. Seine Erkenntnisse wurden unter anderem in der Neuen Zeitschrift für Ver- waltungsrecht besprochen, in einem Aufsatz mit dem Ti- tel „Verbandsklage nach UmwRG – empirische Befunde und rechtliche Bewertung“. Von 2006 bis 2012 wurden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512740 (A) (C) (B) (D) insgesamt 58 Rechtsbehelfs-Verfahren festgestellt. Also zehn Verfahren pro Jahr in der gesamten Bundesrepu- blik – bei über 775 Verfahren mit Umweltverträglich- keitsprüfung im Jahr! Von einer Klageflut kann hier also überhaupt keine Rede sein. Verbände und Bürgerinnen scheinen mit diesen Rechten sehr behutsam umzugehen. Im Schwerpunkt richten sich die Rechtsbehelfe ge- gen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen sowie nachträgliche Anordnungen. Von den 58 identifizierten Verfahren sind 37 abgeschlossen. Eine Erfolgsbewertung dieser Verfahren ergab, dass der eingelegte Rechtsbehelf in 18 Fällen in vollem Umfang oder teilweise zulässig und begründet war. Daraus ergibt sich eine prozessuale Erfolgsquote von 48,6 Prozent der Fälle. Ergo: In nahezu der Hälfte der bisherigen Rechts- behelfsverfahren wurde erst durch die Klage geltendes Recht durchgesetzt. Der Anteil erfolgreicher Verfahren liegt deutlich über der Erfolgsquote sonstiger verwal- tungsrechtlicher Rechtsbehelfe. Sie bewegt sich sogar noch oberhalb der Quote von circa 40 Prozent, die für die naturschutzrechtliche Verbandsklage ermittelt wurde. Das zeigt: Hier wird sehr verantwortungsbewusst von Seiten der Klägerinnen und Kläger mit dem Recht um- gegangen. Höchste Zeit, dass Sie die entsprechenden Änderun- gen vornehmen. Ebenso drängt es, die angekündigte umfassende Reform des UmweltRechtsbehelfsgesetzes endlich vorzunehmen, die Sie in dem Gesetzentwurf ja auch ankündigen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes (Tagesordnungs- punkt 20) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Es muss uns in Zukunft – noch besser als heute – gelingen, Abfälle zu vermeiden, und wenn Abfälle entstehen, diese als Res- sourcen zu begreifen. Es muss uns in Zukunft noch bes- ser als heute gelingen, die Stoffkreisläufe zu schließen. Wir müssen den Weg zu einer echten Kreislaufwirtschaft weitergehen. Das ist gut für die Umwelt, das schont Ressourcen, und das ist in wirtschaftlicher Hinsicht eine Chance. Ich sage daher: Es wird mehr und mehr zu ei- ner Notwendigkeit. Das heißt auch, dass wir dort, wo es möglich ist, gefährliche Stoffe aus den Stoffkreisläufen heraushalten. Mit dem Batteriegesetz, das wir heute verabschieden, gehen wir einen ganz konkreten Schritt in diese Rich- tung. Worum geht es? Im Kern geht es um zwei Dinge. Erstens: Die Verwendung von Quecksilber wird ein- geschränkt. Bisher durften Knopfzellen einen noch rela- tiv hohen Quecksilbergehalt aufweisen. Diese Ausnahme wird es künftig nicht mehr geben. Der Grenzwert wird nun verschärft. Es dürfen keine Knopfzellen mehr in Ver- kehr gebracht werden, die mehr als 0,0005 Gewichtspro- zent Quecksilber enthalten. Zweitens: Bei Gerätebatterien, die in schnurlosen Elektrowerkzeugen eingesetzt werden, wird der maxima- le Cadmiumgehalt auf 0,002 Prozent begrenzt. Auch dies ist eine Verschärfung. Sie gilt ab dem 1. Januar 2017. Durch diese Neuregelungen entsteht ein Nutzen für Mensch und Umwelt. Es werden weniger Schadstof- fe eingesetzt. Somit werden Gefahren und Risiken für Mensch und Umwelt während der Nutzungsphase, aber auch in der späteren Verwertungsphase vermieden. Der Batteriebereich hat durchaus eine große Bedeu- tung. Denn der Einsatz und die Anzahl mobiler elekt- ronischer Geräte nehmen zu. 215 Jahre nach Erfindung der Batterie sind Batterien in vielen Bereichen heute nicht wegzudenken. Allein in Deutschland werden allein 1,28 Milliarden Knopfzellen pro Jahr hergestellt. Die Kosten, die mit der Verschärfung einhergehen, sind überschaubar: Die Knopfzellen verteuern sich da- durch um rund einen halben Cent pro Stück. Diese neuen scharfen Grenzwerte sind möglich, weil technologische Innovation stattgefunden hat. Es ist er- neut ein Beispiel dafür, wie technologische Innovation ermöglicht, Umwelt und Wirtschaft vernünftig miteinan- der in Einklang zu bringen. Mit der Änderung des Batteriegesetzes setzen wir eine europäische Richtlinie um. Das heißt, die strengen Gren- zwerte gelten in der ganzen Europäischen Union. Auch das ist eine gute und wichtige Nachricht. Im parlamentarischen Verfahren haben wir noch eine wichtige Klarstellung vorgenommen: Bereits in Verkehr gebrachte Geräte mit Batterien, die Quecksilber und Cadmium oberhalb der zulässigen Höchstkonzentration enthalten, dürfen noch abverkauft werden, und zwar trotz der neuen Verkehrsverbote. Mit dem heutigen Gesetz wird auch die Verbraucher- freundlichkeit an kommunalen Sammelstellen erhöht: Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger werden zur kos- tenlosen Rücknahme von Altbatterien aus Elektro- und Elektronikaltgeräten verpflichtet. Diese verpflichtende Rücknahme gilt für jene Batterien, die der Verbraucher laut Elektrogesetz an den kommunalen Sammelstellen von Elektroaltgeräten zu trennen hat. Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger können alle anderen Batterien freiwillig zurücknehmen und damit einen weiteren Beitrag zur Erreichung steigender Sam- melquoten leisten. Die durch Kommunen gesammelten Batterien werden an das gemeinsame Rücknahmesystem übergeben. Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, wird zudem geregelt, dass ein Vertreiber, der Fahrzeugbatte- rien per Fernkommunikation anbietet, Pfand erstatten muss, wenn die Rückgabe von Altbatterien nachgewie- sen wurde. Ich bin davon überzeugt, dass das neue Gesetz ver- nünftig ist und positive Wirkungen entfalten wird. Ich möchte es aber auch nicht versäumen, an die Bürgerinnen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12741 (A) (C) (B) (D) und Bürger zu appellieren, ihre alten Batterien zurückzu- geben. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 44 Prozent der Batterien gesammelt. Um die vorgegebene Mindest- sammelquote von 45 Prozent für das kommende Jahr zu erreichen, sind also Anstrengungen notwendig. Es lohnt sich: Denn alte Batterien enthalten wichtige Wertstoffe. Michael Thews (SPD): Wir debattieren hier heute über eine Novelle des Batteriegesetzes. Aus meiner Sicht ist das Batteriegesetz eine Erfolgsgeschichte. Es ist am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten und hat die bis da- hin geltende Batterieverordnung ersetzt. Damals wurden erstmals verbindliche Sammelziele für Geräte-Altbatte- rien festgelegt. Im Batteriegesetz gilt dabei, wie schon in der Batterieverordnung, grundsätzlich das Prinzip der Herstellerverantwortung. Das heißt in diesem Fall, die Hersteller sind organisatorisch und finanziell verantwort- lich für das Sammeln und das Recycling der Altbatterien und Altakkumulatoren. Die Hersteller gründeten damals, gemeinsam mit dem Zentralverband der Elektrotech- nik- und Elektronikindustrie die „Stiftung Gemeinsames Rücknahmesystem Batterien“ – kurz GRS Batterien. Als non-profit-Unternehmen übernimmt die Stiftung die Herstellerverantwortung für über 2 500 Batterieherstel- ler und -importeure. Innerhalb weniger Jahre wurde ein funktionierendes Rücknahmesystem aufgebaut und eine sehr hohe Verwertungsquote, heute rund 100 Prozent, erreicht. Die Stiftung GRS Batterien wurde auch auf- grund dieses Erfolges vom Bundesumweltministerium als Rücknahmesystem anerkannt. Die bereits kurz nach Inkrafttreten der Batterieverordnung eintretende Steige- rung der Sammlung von Altbatterien ist insbesondere auch den Kommunen zu verdanken. 2014 stammte jede vierte gesammelte Altbatterie aus kommunalen Sammel- stellen. Wir alle kennen dies, die Sammelboxen für Altbatte- rien in Büchereien, Rathäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen. Dies waren die Anfänge der Sammlung von Altbatterien. Zusätzlich zu den Sammelstellen in öf- fentlichen Einrichtungen und im Gewerbe kommen noch die gesetzlich vorgeschriebenen Sammelboxen in den Verkaufsstellen des Handels. Von diesen Sammelstellen holt die Stiftung GRS die Altbatterien ab und verwertet sie. Dazu wurden Vereinbarungen, meist auf freiwilliger Basis, mit Kommunen, Handel und Gewerbe getroffen. Dies dichte Sammelnetz ist ein Grund dafür, dass die Sammelquote von 45 Prozent ab 2016 nach Angaben des Rücknahmesystems bereits 2014 übertroffen wurde. Ich meine allerdings, dass bei der Sammelquote noch ein- deutig Luft nach oben ist. In diesem Abfallstrom funktionieren Vereinbarun- gen – im Gegensatz zu den häufigen Auseinanderset- zungen bei Verpackungsabfällen – zwischen Herstellern, Handel und Kommunen besser als in anderen Abfallbe- reichen. Der Grund dafür liegt meiner Ansicht nach in der Organisationsart. Ein einziges, nichtprofitorientiertes Rücknahmesystem verhindert unnötigen Verwaltungs- aufwand, Reibungsverluste und vereinfacht die Möglich- keit zu freiwilligen Vereinbarungen. Das Batteriegesetz ist auch deshalb eine Erfolgs- geschichte, weil das Recycling der Batterien sehr gut funktioniert. Betrachten wir mal die drei Sammelgrup- pen Geräte-Altbatterien, Fahrzeug-Altbatterien und In- dustrie-Altbatterien: Im Jahr 2013 haben, nach Zahlen des Umweltbundesamtes, die Rücknahmesysteme für Geräte-Altbatterien 18 714 Tonnen Geräte-Altbatteri- en – wiederaufladbare und nicht wiederaufladbare – in die stoffliche Verwertung gegeben. Damit wurde eine Verwertungsquote von 100 Prozent erreicht. Und was fast noch wichtiger ist, diese Batterien wurden auch hochwertig verwertet. Von diesen 18 714 Tonnen konn- ten nämlich 12 000 Tonnen Sekundärrohstoff und zwar insbesondere Zink, Stahl, Ferromangan und Blei zurück- gewonnen werden. Auch das Recycling der Fahrzeug-Altbatterien funk- tioniert gut. 163 401 Tonnen wurden 2013 in die stoffli- che Verwertung gegeben, das sind 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Verwertungsquote stieg hier von 98 Prozent auf 99 Prozent. Von den gesammelten Industrie-Altbatterien gelangte im Jahr 2013 eine Masse von 44 275 Tonnen Blei-Säu- re-Altbatterien in den stofflichen Verwertungsprozess. 2012 waren es noch 30 736 Tonnen. Die Verwertungs- quote erreichte in 2013 und 2012 jeweils 96 Prozent. Das heißt, dass in Deutschland fast alle gesammelten Geräte-Altbatterien zu den Verwertern gelangen und dort auch hochwertig recycelt werden. Natürlich sind Verbesserungen und Anpassungen im- mer notwendig, so wie die hier vorgenommenen sinnvoll und notwendig sind. Neu in der jetzt vorliegenden Novelle ist, dass die Wertstoffhöfe der öffentlich-rechtlichen Entsorger, die bisher auf freiwilliger Basis zurückgenommen haben, verpflichtet werden, Batterien und Akkus zurückzuneh- men. Allerdings nur die, die die Nutzer, wenn sie ihre alten Elektrogeräte auf den Wertstoffhöfen abgeben, von diesen trennen müssen. Eine sinnvolle Änderung, weil sie verbraucherfreundlich ist, denn so kann der Verbrau- cher sein Elektrogerät und seine Batterie am gleichen Ort abgeben. Gute Sammelquoten können nur entstehen, wenn die Sammlung verbraucherfreundlich ist. Die zweite wichtige Änderung ist die weitere Ein- schränkung der Verwendung der Umweltgifte Cadmi- um und Quecksilber in Batterien. Gerade Quecksilber ist ein gefährliches Nervengift. Schon kleinste Mengen können das ungeborene Baby im Mutterleib schädi- gen. Es gibt ein grundsätzliches Verbot, Batterien, die mehr als 0,0005 Gewichtprozent Quecksilber enthalten, in Verkehr zu bringen. Die bisher geltende Ausnahme für Knopfzellen wird aufgehoben und ab 2016 wird das Verwendungsverbot von Cadmium (über 0,002 Gewicht- sprozent) auch auf Gerätebatterien und -akkumulatoren von schnurlosen Elektrowerkzeugen erstreckt. Was allerdings – wie schon erwähnt – noch verbes- serungswürdig ist, sind die Sammelergebnisse. Weniger als 50 Prozent der in Verkehr gebrachten Gerätebatterien finden den Weg zurück zu den Sammelstellen. Hier müs- sen wir besser werden. So wie wir es uns nicht leisten können, dass nicht mehr funktionsfähige Handys in den Schubladen zuhause verstauben, so müssen wir es auch Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512742 (A) (C) (B) (D) erreichen, dass die Endnutzer ihre alten Batterien und Akkus aus den Schubladen und Schränken holen, und vor allen Dingen nicht mehr in die Restmülltonne werfen. Das ist auch eine Frage der Information und Motivation. Wir dürfen nicht nachlassen, die Verbraucherinnen und Verbraucher, die in Deutschland ein ausgeprägtes Be- wusstsein für dieses Thema haben, über die Sammlung, Trennung und Verwertung von Abfällen zu informieren. Gerade auch so positive Recyclingzahlen wie im Fall der Altbatterien und –akkus tragen dazu bei zu motivieren. Ohne die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger kom- men wir beim Thema Kreislaufwirtschaft nicht weiter, deshalb ist mir dieser Punkt auch besonders wichtig. Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass sich der weltweite Primärmaterialeinsatz in den letz- ten 30 Jahren mehr als verdoppelt hat. Er ist von circa 36 Milliarden Tonnen 1980 auf 78 Milliarden Tonnen 2011 angestiegen. Würden wir unsere heutigen Kon- summuster beibehalten, würden wir nach Schätzungen der UNEP im Jahr 2050 mehr als 140 Milliarden Ton- nen Mineralien, Erze, fossile Brennstoffe und Biomasse verbrauchen. Dieser Entwicklung müssen wir durch die Vervollständigung der Kreislaufwirtschaft durch Recy- cling und verstärkten Einsatz von Sekundärrohstoffen entgegen arbeiten. Ralph Lenkert (DIE LINKE): In Deutschland wer- den jährlich über 80 000 Tonnen Batterien verkauft. Ebenfalls jährlich werden aber nur 40 Prozent der Alt- batterien zum Recyceln zurückgegeben und gesammelt. Das bedeutet, dass Jahr für Jahr fast 50 000 Tonnen Alt- batterien in der Natur oder in Müllverbrennungsanlagen enden. Dieses ökologische Desaster der Ressourcenver- geudung entspricht sogar den gesetzlichen Vorgaben, die eine Sammelquote von 40 Prozent vorsehen, 45 Prozent ab 2016. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nichts weiter als ein formaler, verwalterischer Akt. Die Ausnahmen für Quecksilbergehalt bei Knopfzellen werden abgeschafft, ebenso die Ausnahmen für Cadmiumgehalt bei Batterien in schnurlosen Elektrowerkzeugen. Das ist eine Eins-zu- Eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen. Viel wichtiger als die Pflege solcher Gesetzeswerke wäre es aber, die Einhaltung der Grenzwerte, die sie vorgeben, konsequent zu überwa- chen. Das Umweltbundesamt kommt in Studien regelmä- ßig zu dem Schluss, dass die Hälfte der Zink-Kohle-Bat- terien einen zu hohen Cadmiumgehalt hat. Bei anderen Batterietypen waren nicht so viele Modelle betroffen, aber dennoch gibt es durchweg Batterien mit zu hohen Schwermetallwerten in den Läden zu kaufen. Das war im Jahr 2006 so, und das war vor zwei Jahren immer noch so. Wozu haben wir dieses Gesetz eigentlich, wenn die Regeln, die dort aufgestellt werden, nicht überwacht werden und bei Verstößen keine harten Sanktionierungen folgen? Wir hätten uns gewünscht, dass die Bundesregierung ein wenig mehr Elan zeigt, wenn sie das Batteriegesetz umschreibt. Ganz im Sinne des Deutschen Ressourcenef- fizienzprogramms muss viel mehr Batteriemüll wieder eingesammelt werden. Das Programm führt Lithium un- ter den kritischen Metallen – bei primärseitiger vollstän- diger Importabhängigkeit und immer wieder der Frage nach der politischen Stabilität der Herkunftsländer. Wir können es uns schlicht nicht leisten, Lithium wegzuwer- fen. Gleiches gilt für Nickel und Kobalt. Mit einer Sammelquote von knapp über 40 Prozent liegt Deutschland im EU-Vergleich gar nicht schlecht. Wir sollten uns aber gerade im Hinblick auf Ressour- cenknappheit und Schwermetallausbringung in die Um- welt nicht damit begnügen, dass andere schlechter sind. Ja, in anderen Ländern ist die Sammelquote viel geringer. Aber es gibt eben auch bessere. In der Schweiz werden 70 Prozent der Altbatterien wieder eingesammelt. Dort fordert das Bundesamt für Umwelt, BAFU, sogar eine Quote von 80 Prozent. Warum ist das in Deutschland nicht möglich? In der Schweiz ist es über die Einführung einer Recyclingabgabe auf Batterien und durch den Bat- tery-Man gelungen, den Rücklauf erheblich zu erhöhen. Ob es nun in Deutschland unbedingt ein Battery-Man sein muss, sei mal dahingestellt. Aber es wäre generell eine Aufgabe für das Umwelt- ministerium, mehr Aufklärung und Werbung zu leisten und dafür zu sorgen, dass die Grenzwerte bei Schwerme- tallen eingehalten werden. Im Übrigen gibt es eine ganz einfache und unkompli- zierte Methode, wie wir die Quote drastisch erhöhen kön- nen: Führen wir ein Pfandsystem auf alle Batterietypen ein, wie es bei KfZ-Batterien ja bereits praktiziert wird. Da dieser Entwurf Chancen vergibt, aber wenigstens nichts verschlechtert, enthält sich die Linke. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Gesetz setzt eine Novelle des europäischen Rechts in deutsches Recht um. Das ist aus unserer Sicht in Ord- nung, aber weder umweltpolitisch richtungsweisend noch etwas, wofür man sich groß loben sollte, sondern die Erledigung einer reinen Pflichtaufgabe. Unser Eindruck geht immer mehr dahin, dass vor- ausschauende Umweltpolitik unter dieser Regierung gar nicht mehr stattfindet. Was von der Europäischen Union kommt, wird von Ihnen murrend und viel zu spät umge- setzt, und bloß nicht mehr als das, worauf man sich in Europa bereits zwischen allen Mitgliedstaaten geeinigt hatte, obwohl die europäischen Verträge ganz klar sagen, dass die Mitgliedstaaten für einen vorsorgenden Umwelt- schutz über die Anforderungen in Europa hinausgehen können. Das ist sicherlich nicht überall sinnvoll, aber hier und da könnte die Große Koalition doch mal Impulse setzen, die belegen, dass Umweltschutz in Deutschland nach wie vor wichtig ist. Es ist doch hinlänglich bekannt, dass hohe Umweltanforderungen Innovationen in der Wirt- schaft voranbringen. Der Schutz der natürlichen Umwelt darf nicht hinter wirtschaftlichen Zielen hinterherhinken, denn eine intakte Umwelt ist das Fundament jeden wirt- schaftlichen Handelns. Die Novelle der Batterierichtlinie wurde bereits am 20. November 2013 von den Mitgliedstaaten der EU be- schlossen. Da haben Sie sich ganz schön Zeit gelassen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12743 (A) (C) (B) (D) bei den an und für sich unstrittigen Änderungen, die Sie hier vornehmen. Die Verwendung von giftigem Cadmium und Queck- silber in Batterien und Akkumulatoren wird einge- schränkt. Das ist gut so und angesichts der Gefährlichkeit dieser Stoffe sicherlich angezeigt. Aber warum haben Sie hierfür bis heute benötigt? Das Verbot von Quecksilber in Knopfzellen hätte man sicher auch rascher vornehmen können. Was wir Grüne von Ihnen fordern, ist klar: Eine bessere Umweltgesetzgebung, die die Regeln für alle so verbindlich machen, dass wir aufhören unsere Umwelt zu zerstören. Alles, was wir von Ihnen bekommen, sind verspätete EU Umsetzungen und Programme oder Akti- onspläne, die auf Freiwilligkeit setzen, aber weder ver- bindliche Regeln für alle setzen, noch wirkliche Anreize bieten. Von selber wird da sichtlich nichts besser wer- den. Gehen Sie die wirklich wichtigen Baustellen endlich konkret an. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Ge- setzes zur Änderung des Bundeszentralregisterge- setzes (Tagesordnungspunkt 21) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Mit dem vorliegen- den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundes- zentralregistergesetzes soll die Nutzung des sogenannten Ähnlichenservices gesetzlich neu geregelt werden. Bei diesem Ähnlichenservice geht es darum, dass die Regis- terbehörde bis zu 20 Datensätze zu Personen mit ähnli- chen Personalien übermittelt, wenn sie eine Mitteilung oder ein Ersuchen einem bestimmten Datensatz nicht eindeutig zuordnen kann und dadurch eine Identitätsfest- stellung durch die ersuchende Stelle nicht möglich war. Eine solche Regelung sieht die Strafprozessordnung für das staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister vor und soll nun auf das Bundeszentralregister ausgeweitet werden. Dieses war schon vor der Sommerpause mit dem Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes geschehen. Allerdings war damals ein Zugriff auf diesen Ähnlichenservice nur für das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Bundes- nachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst beabsichtigt. Die damals gewählte Formulierung hat je- doch dazu geführt, dass jede zum Zugriff auf das Bun- deszentralregister berechtigte Stelle nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Inanspruchnahme des Ähnlichenservice befugt gewesen wäre. Dieses Versehen soll jetzt korrigiert werden. Inso- fern stellt das Änderungsgesetz eine Einschränkung des im Juli verabschiedeten Gesetzes dar. Ich will aber aus- drücklich betonen, dass ich es sehr begrüße, dass die Bun- desregierung zumindest prüfen will, ob sich nicht eine Ausdehnung der zugriffsberechtigten Stellen auf weitere Sicherheitsbehörden – etwa auf die Kriminalpolizei – an- bietet. Angesichts der wachsenden Zahl ausländischer Tatverdächtiger scheint die Ausdehnung auf andere Si- cherheitsbehörden geradezu zwingend. Dem stehen auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken gegenüber, weil alle Daten, die sich nicht auf den Betreffenden beziehen, nach erfolgter Identifizierung von der ersuchenden Stel- le unverzüglich zu löschen sind, und zwar von Gesetzes wegen, und wenn eine Identifizierung gar nicht möglich war, dann sind alle Daten zu löschen. Insoweit nehmen wir heute eine Einschränkung des Zugriffs auf den Ähn- lichenservice vor, die durchaus in einiger Zeit schon wie- der aufgehoben werden könnte, um bei der Ermittlung von Tatverdächtigen in Zukunft erfolgreicher zu sein. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Oft ist davon die Rede, dass sich Politik und Sicherheitsbehörden in einem Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit befin- den – insbesondere beim Thema Datenschutz. Es wird nur scheinbar zu einer Gratwanderung, wenn wir Gesetze beschließen oder ändern, die den Datenschutz tangieren. Datenschutz ist zu Recht ein hohes Gut, zu dem wir uns klar bekennen. Wenn wir morgen im Deutschen Bundestag die Wie- dereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschließen, dann tun wir dies, um den ermittelnden Behörden die notwendigen Möglichkeiten zu geben, Verbrechen zu be- kämpfen und möglichst gleich zu verhindern. Die Ermittler und alle Experten – übrigens unabhängig von der Parteizugehörigkeit – sind sich einig: Sie brau- chen zur Strafverfolgung, als Instrument der Aufklärung und Prävention dringend die Vorratsdatenspeicherung. Dann können sie unter anderem ganze Kinderpornogra- fie-Ringe ausheben. Der Fall Edathy hat deutlich gezeigt, wie Fälle die- ser Art aufgrund des hohen Ermittlungsaufwands und der schweren Beweislage oftmals in der Praxis enden. Es kann nicht sein, dass Ermittlungserfolge gerade im Bereich der Kinderpornografie davon abhängig sind, welcher Telekommunikationsanbieter Verbindungsdaten überhaupt und, wenn ja, wie lange speichert. Mindestspeicherfristen von Verbindungsdaten sind natürlich kein Allheilmittel. Damit werden sich nicht alle schweren Straftaten verhindern und aufklären lassen – leider! Aber dieses Ziel wird leider durch gar keine Er- mittlungsmethode zu 100 Prozent erreicht. Die Speiche- rung von Verbindungsdaten ist jedoch zur Entdeckung von kriminellen Netzwerken schlichtweg notwendig und dient der Aufklärung von schwersten Straftaten. Sie ist ein Instrument von vielen – aber es wäre unverantwort- lich, komplett darauf zu verzichten. Ähnlich wie bei der Speicherung von Verbindungsda- ten verhält es sich auch mit dem sogenannten Ähnlichen- service im Bundeszentralregister. Dabei handelt es sich um ein Vorgehen bei Abfragen, bei denen zum Beispiel Unklarheit über den genauen Vornamen einer Person be- steht. Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst können demnach, falls die Registerbehörde einer Mitteilung oder einem Ersu- chen keinen eindeutigen Datensatz zuordnen kann, bis zu 20 Datensätze zu Personen mit sehr ähnlichen Personali- en zur Identitätsfeststellung übermittelt bekommen. Und auch hier befinden wir uns im Spannungsfeld zwischen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512744 (A) (C) (B) (D) der Freiheit des Einzelnen und der Sicherheit der Allge- meinheit. Es muss eine Möglichkeit geschaffen werden, die Abfrage so zu gestalten, dass naheliegende Ermitt- lungserfolge doch noch erzielt werden können. Gleich- zeitig muss ein verbindlicher Rahmen dafür geschaffen werden, dass die Datenschutzinteressen des Einzelnen nicht in unverhältnismäßiger Art und Weise tangiert wer- den. Ich freue mich sehr, dass dies mit dem vorliegenden Entwurf gelungen ist. Denn weil uns der Datenschutz so ein hohes Gut ist, beschränken wir durch das vorliegende Gesetz den Be- reich der Behörden, die die „Ähnlichendatensätze“ abfra- gen dürfen, auf bestimmte Behörden. Die Eingrenzung dieses Berechtigtenkreises auf den Bundesnachrichten- dienst, den Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst wird genau dieser sachgerechten Grund- rechtsabwägung gerecht. Denn so ist sichergestellt, dass der Ähnlichenservice nur zur Verfolgung von Straftaten von herausragender Bedeutung in Anspruch genommen werden darf. Ich denke, dass dies sachgerecht ist, wenn man be- denkt, dass auch das Kriterium der Ähnlichkeit der Datensätze und die Mengenbegrenzung auf maximal 20 Sätze eine regulierende Einschränkung darstellt. Benjamin Franklin soll einmal gesagt haben: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“ Ich denke, wir haben mit vor- liegendem Gesetzentwurf eine kluge und ausgewogene Lösung gefunden. Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung. Dr. Johannes Fechner (SPD): Vor der Sommerpau- se haben wir im Rahmen der Neuregelungen zur verbes- serten Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden den so genannten Ähnlichenservice für das Bundeszen- tralregister beschlossen. Das bedeutet, dass die Register- behörde, die ein an sie gerichtetes Ersuchen namentlich nicht eindeutig zuordnen kann, der um Auskunft bitten- den Behörde zur Identitätsfeststellung bis zu 20 Daten- sätze zu Personen mit ähnlichem Namen übermittelt. Eine solche Regelung macht Sinn. Denn ansonsten besteht die Gefahr, dass der Erhalt wichtiger Information an einem Tippfehler oder der falschen Schreibweise des Namens scheitert. Allerdings ist die Regelung weitreichend, denn es werden auch Daten von unbeteiligten Personen über- mittelt, nur weil diese einen ähnlichen Namen haben. Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Bundeszentral- registergesetzes begrenzen wir deshalb den Kreis der auskunftsberechtigten Behörden deutlich. Auskunft in Form des Ähnlichenservice dürfen danach nur Verfas- sungsschutzbehörden, Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst erhalten. Zudem soll die Einführung des Ähnlichenservice erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich am 30. April 2018, erfolgen. Hinter- grund des späteren Inkrafttretens ist, dass das zuständige Bundesamt für Justiz mehr Zeit benötigt, um die tech- nischen Voraussetzungen für den Ähnlichenservice im Bereich des Bundeszentralregisters zu schaffen. Die heute erfolgende Beschränkung auf die Nachrich- tendienste stellt eine sinnvolle Einschränkung dar. Aus Gründen des Datenschutzes muss der Ähnlichenservice restriktiv ausgestaltet werden. Jan Korte (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung hier heute vorlegt, wird für mehr Datenschutz sorgen. Das klingt erstmal positiver, als es ist: Denn mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes soll ein Datenleck ge- stopft werden, welches die Bundesregierung gerade erst mit dem vor kurzem verabschiedeten „Gesetz zur Ver- besserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfas- sungsschutzes“ aufgerissen hatte. Ein Ziel dieses Gesetzes war die Einführung des so- genannten Ähnlichenservice im Bundeszentralregister. Bislang besteht dieser Service im zentralen staatsanwalt- schaftlichen Verfahrensregister beim Bundesamt für Jus- tiz. Abfrageberechtigt sind die Strafverfolgungsbehör- den. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) dürfen ebenfalls eingeschränkt Daten wie Personendaten und aktenführende Stelle ab- fragen. Lässt sich eine Anfrage nicht eindeutig einem Datensatz zuordnen, werden zunächst zu 20, dann zu 50 ähnlichen Namen Datensätze übermittelt. Diese müs- sen von der empfangenden Stelle geprüft und gelöscht werden, wenn sich die eigentlich gesuchte Person darun- ter nicht befindet. Das Bundeszentralregister, in dem alle strafrechtlichen Verurteilungen der Menschen in Deutschland gespeichert werden, sieht einen solchen Ähnlichenservice bislang nicht vor. Mitarbeiter der Registerbehörden versuchen bei fehlerhaften, unvollständigen oder zweifelhaften Da- ten durch Rückfragen bei der abfragenden Behörde den tatsächlich gesuchten Datensatz zu finden oder gegebe- nenfalls zu korrigieren. Mit einer Änderung des Bun- deszentralregistergesetzes im Rahmen der Verfassungs- schutzreform wurde der Ähnlichenservice nun auch dort eingeführt. Dabei haben Sie von der Koalition allerdings vergessen, diesen Service auf die Geheimdienste zu be- grenzen. Das nenne ich mal schlampige Gesetzgebung. Der Rechtsausschuss des Bundesrates hat das zum Glück gemerkt und deshalb empfohlen, diese Änderung ganz zu streichen, was wir sehr begrüßt hätten. Hilfsweise sollte nach dem Willen des Bundesrates zumindest eine ent- sprechende Beschränkung auf die Dienste vorgenommen werden. Dieser Empfehlung kommt die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf nun nach. Andernfalls wären sämtliche für das Bundeszentralregister abfrageberech- tigten Stellen bis hin zur Jagdbehörde befugt, den neuen Ähnlichenservice im Bundeszentralregister in Anspruch zu nehmen. Die Schlamperei setzt sich allerdings auch in diesem Gesetzentwurf fort. Da wird behauptet, es handele sich um lediglich 20 „ähnliche“ Datensätze, die übermittelt werden könnten. Da haben Sie über die komplizierte Ver- weisungstechnik im Gesetz offenbar selber die Orientie- rung verloren. Denn findet sich in den 20 Datensätzen nicht die gesuchte Person, können 50 weitere Ähnlichen- treffer angefordert werden! Das heißt, die Geheimdiens- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12745 (A) (C) (B) (D) te erhalten 70 persönliche Angaben zu Bürgerinnen und Bürgern, die rein gar nichts mit irgendwelchen verfas- sungsfeindlichen Bestrebungen zu tun haben müssen. Und hier ist doch aus der Erfahrung der Vergangenheit wirklich Vorsicht geboten: Denn ob die eigentlich über- flüssigerweise übermittelten Datensätze dann am Ende tatsächlich gelöscht werden oder nicht doch Eingang in irgendwelche Selektorenlisten finden oder zu anderen nachrichtendienstlichen Eingriffen führen, kann nicht sicher ausgeschlossen werden. Ich erinnere hier an die Entführungen von Khaled el-Masri und Murat Kurnaz, die auch nur irgendwie verwechselt wurden. Obwohl also der Zugang zu erheblich mehr Daten ermöglicht wird, wird das Datenschutzniveau auf dem bisherigen Umfang belassen. Nur jede zehnte Abfrage muss protokolliert werden, und das wird auch nur stich- probenartig untersucht. Für die Löschung überflüssig übermittelter Daten besteht gleich gar keine Protokollie- rungspflicht. Dass hier die Kontrolle erheblich gestärkt werden müsste, sieht man schon an der bisherigen Praxis der Geheimdienste: Aus einer aktuellen Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion geht hervor, dass allein das Bundesamt für Verfassungsschutz jährlich 1 200 bis 1 700 Ersuchen um Auskunft aus dem staatsanwalt- schaftlichen Verfahrensregister stellt. Für den MAD und den BND gibt es noch nicht einmal Angaben dazu. Bei Nutzung des Ähnlichenservice kommt man da schnell auf Zehntausende Datensätze pro Jahr, die den Diensten ohne Prüfung der Erforderlichkeit Jahr für Jahr übermit- telt werden könnten. Richtig wäre deshalb gewesen, die systemfremde Einführung des Ähnlichenservice im Bundeszentralre- gistergesetz wieder komplett zu streichen. Dass er nun wenigstens auf die Geheimdienste beschränkt wird, für die dieses Instrument ja eigentlich nur geschaffen wer- den sollte, ist nicht mal ein schwacher Trost. Es zeigt die schlampige Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung und das Fehlen jeder Sensibilität im Hinblick auf den Datenschutz und seine zentralen Grundsätze wie Daten- sparsamkeit und Erforderlichkeit der Datenübermittlung. Ohne die jetzt vorgeschlagene Änderung der Bundes- regierung bliebe es allerdings dabei, dass außer den Ge- heimdiensten auch weiterhin alle möglichen Behörden auf den Ähnlichenservice zugreifen können. Bei allen grundsätzlichen Bedenken wird sich Die Linke daher enthalten. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bei den Geheimdiensten, also im Geschäftsbe- reich des Bundeskanzleramts, brennt nun schon seit einigen Jahren die Hütte lichterloh. Der erste NSU-Un- tersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages brachte unter anderem katastrophale Zustände im Ver- hältnis der Dienste zueinander zutage, die trotz hunderter Spitzel eine dreiköpfige rechtsextreme Mordbande mit zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern nicht zu stoppen vermochten. Derartig chaotische Verhältnisse konterkarieren die wirksame Erfüllung der Aufgaben der Dienste ganz offenkundig. Der vom Ausschuss heraus- gearbeitete hohe Reformbedarf im Sinne von Demokra- tie und Bürgerrechten wurde im Wesentlichen durch die Große Koalition bis heute ignoriert. Der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode gräbt praktisch jede Sitzungswo- che neue Erkenntnisse über klar rechtswidrige Vorgänge, insbesondere bezüglich der Aktivität des Bundesnach- richtendienstes, aus, vergangene Woche etwa die offen rechtswidrigen Praktiken des BND bei den gemeinsam mit dem US-Militärdienst erfolgten Befragungen von Asylbewerbern auf deutschem Boden, die unter ande- rem der Erlangung von Daten zur Ziellokalisierung von US-Drohnen dienten. Auch hier, mehr als zwei Jahre nach den ersten Snow- den-Veröffentlichungen, sind bis heute keinerlei gesetzli- che Reformen für eine Verbesserung der demokratischen Kontrolle der Dienste und für die Bürgerinnen und Bür- ger in Sicht, um deren Grundrechte es im Kern bei diesen Geheimdienstskandalen geht. Im Gegenteil: Befugnisse wurden und werden weiter ausgebaut und gar die On- line-Massenüberwachung durch Stellenaufstockungen in einem verfassungsrechtlich hochumstrittenen Feld, in dem zukünftig ohne ausreichende Rechtsgrundlage agiert wird, in fragwürdiger Weise ermöglicht. Darüber hinaus wurde der Einsatz von rechtsextremen und nicht rechts- extremen V-Leuten endgültig gesetzlich legitimiert – und zu allem sogar versucht, dass der Öffentlichkeit als das Gegenteil, nämlich als Einhegung, zu verkaufen. Mit größter Verwunderung mussten wir zur Kennt- nis nehmen, dass die Große Koalition insgesamt einen von den genannten Skandalen völlig unbeirrten Kurs des Ausbaus von Kompetenzen und Befugnissen der Geheimdienste verfolgt. Für den BND kam das in ei- ner 300 Millionen Euro Finanzspritze zum Ausdruck, mit der unter anderem ausgerechnet der Ausbau der geheimdienstlichen Telekommunikationsüberwachung finanziert werden soll. Für das Bundesamt für Verfas- sungsschutz wurde dies deutlich, als kürzlich ein um- fangreiches Artikelgesetz zur Reform des Bundesamtes durch den Bundestag bugsiert wurde, das nicht mehr und nicht weniger als eine deutliche Aufwertung des Dienstes mit sich bringt – mehr Mittel, mehr Personal und zu- sätzliche Befugnisse. Als Grüne haben wir dagegen vo- tiert. Wir wollen insbesondere den Inlandsgeheimdienst auf dem Prüfstand sehen, ihn von Grund auf reformieren und seine Befugnisse auf das bürgerrechtlich Gebotene einschränken. Schon im damaligen Entwurf für die Reform des Bun- desverfassungsschutzes wollten Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, auch das Bundes- zentralregister aufbohren. Nun haben wir sicherlich Pro- bleme im Bereich der Geheimdienste, denen wir weitaus größere Bedeutung für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zumessen sollten. Doch auch der uns heute zur Abstimmung vorgelegte Ähnlichenservice wirft ein gravierendes rechtsstaatliches Problem auf: Er betrifft die geheimdienstliche Erfassung von Informationen und Daten über Personen, denen ganz überwiegend und de- finitiv nichts vorgeworfen werden kann. Sie haben nur eine Ähnlichkeit mit Jemandem. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512746 (A) (C) (B) (D) Der bis heute allein für das zentrale staatsanwaltliche Verfahrensregister bestehende, euphemistisch sogenann- te Ähnlichenservice soll nun auf das Bundeszentralre- gister ausgeweitet werden. Beim Ähnlichenservice, kon- kret geregelt in § 8 der ZStVBetrV, wird es anfragenden Staatsanwaltschaften aus der gesamten Bundesrepublik ermöglicht, sich in Fällen nicht eindeutig zuordenbarer oder unvollständiger Datensätze für Zwecke der Iden- titätsprüfung bis zu 20 Datensätze von unter ähnlichen Identifizierungsdaten gespeicherten Daten übersenden zu lassen. Diese Datensätze müssen, soweit sie Nichttreffer darstellen, wegen der eindeutigen Zweckbindung unmit- telbar nach Durchsicht gelöscht werden. Zugriffsberechtigt sein sollten nach Ihrem damali- gen Entwurf alle in § 41 BZRG genannten Behörden, ein weiter Kranz. Ihre Idee, derart unter dem Radar der öffentlich diskutierten Reformen auch noch die Zugriffs- möglichkeiten der Geheimdienste auf amtliche Regis- ter zu erweitern, ging leider schief. Der Bundesrat hat völlig zu Recht dagegen interveniert. Die Reform wurde zunächst von den Ländern kassiert. Leider wollten die Länder den Ähnlichenservice jedoch nicht insgesamt stoppen, sondern gaben sich mit einer Beschränkung auf BND, MAD und BfV zufrieden. Der vorgelegte Entwurf dampft damit – auf Druck des Bundesrates – der Sache nach eine Vorschrift wieder ein, die bereits in dem Artikelgesetz zur unsäglichen Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes aufgekommen war. Die gesetzliche Erweiterung der Zugriffsmöglichkei- ten auf die Datenbestände des Bundeszentralregisters stellt einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der dort gespeicherten Personen dar. Nach der Rechtspre- chung des Bundesverfassungsgerichts muss gerade für die in Strafverfahren verwickelten Personen und deren Informationen, auch und gerade nach Beendigung ihrer Strafverfahren, ein besonderes Schutzniveau für Infor- mationen zu ihren strafrechtlichen Verurteilungen beste- hen, um dem grundrechtlich anerkannten sozialen Reha- bilitationsinteresse Rechnung zu tragen. Der bisherige Ähnlichenservice blieb innerhalb der staatsanwaltlichen Verfahren und beschränkte sich auf Ermittlungsverfahren. Es handelt sich dabei um einen bedeutsamen Eingriff in die Grundrechte der davon Betroffenen, weil es in der Mehrzahl völlig unbeschol- tene Personen durch Übermittlung von deren Daten an die Staatsanwaltschaften mit dem Risiko belastet, unge- rechtfertigt in ein – weiteres – Ermittlungsverfahren zu geraten. Schon bislang musste dieses Verfahren der Da- tenübermittlung Unbescholtener deshalb als höchst be- denklich bewertet werden, das allenfalls mit Blick auf die Vorläufigkeit des Ermittlungsverfahrens, der möglichen Entlastungsfunktion für einzelne Tatverdächtige und auf- grund des nicht abschließenden Charakters gerechtfertigt war. Die Erweiterung des Verfahrens auf das Bundeszent- ralregistergesetz stellt eine von der Bundesregierung in der Sache nicht näher – auch nicht empirisch – darge- legte Erstreckung auf einen umfänglichen und besonde- rem gesetzlichen Schutz unterfallenden Datenbestand dar. Für diese grundrechtsrelevante Erstreckung ist die Bundesregierung darlegungspflichtig. Die nunmehr erfolgte Beschränkung ausgerechnet auf die Geheimdienste wird ebenfalls in der Sache nicht näher erläutert. Das ist für einen so grundrechtsintensiven Be- reich wie die Geheimdienste erst recht nicht hinnehmbar. Zudem stellt sich die Frage, ob es nach dem sogenannten Doppeltürenmodell des Bundesverfassungsgerichts nicht zusätzlich einer hinreichend konkreten und bestimmba- ren Regelung zur Inanspruchnahme durch die Dienste in den einschlägigen Geheimdienstgesetzen bedarf. Denn die von Ihrem Gesetz und den arkanen Verweisungsket- ten in Anspruch genommenen Bestimmungen des BZRG und der StPO betreffen automatisierte Übermittlungen, während die Erhebungsnormen des BND und des BfV allein von Einzelersuchen handeln. Auch hier gilt: Für das Gros der Datenübermittlungen fehlt es an jeglicher datenschutzrechtlicher Erforderlich- keit, da es sich – für alle Beteiligten bekannt – nur um ähnliche, aber nicht genaue Datensätze handelt. Schon das Verfahren der Auswahl der Ähnlichendaten durch die für das Bundeszentralregister zuständige Stelle wirft des- halb bislang ungeregelt gebliebene datenschutzrechtliche Fragen auf. Wir meinen: Ähnlichendaten ausgerechnet in der Hand von Geheimdiensten bergen ein besonderes Risiko für die Betroffenen: Gerade der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss hat aufgezeigt, in welchem Umfang die Dienste insbesondere von BND und BfV mit Hilfe von formalen Suchbegriffen, also Telekommunika- tionsmerkmalen, Rasterfahndungen auf Leitungen und in Medien durchführen. Ähnlichendaten sind eine Ver- suchung, diese Daten in die bestehenden Systeme einzu- spielen und – entgegen der gesetzlich vorgeschriebenen Zweckbindung auf Identitätsfeststellung – auf mögliche Treffer in den Datenbanken hin zu überprüfen. Nach der Rechtslage wäre dies aufgrund der eindeutigen Zweck- bindung allein zur Identifizierung eines unklaren Daten- satzes zwar unzulässig, aber im Bereich der Signal In- telligence etwa des BND wurde in den zurückliegenden 15 Jahren in vielerlei Hinsicht offenkundig rechtswidrig gehandelt oder die bestehenden Rechtsvorschriften krea- tiv zu eigenen Gunsten ausgelegt. Unser Fazit zum heute vorgelegten Gesetzesvorschlag lautet deshalb: Der bisher allein für die Staatsanwalt- schaften im Rahmen von Ermittlungsverfahren bestehen- de Ähnlichenservice ist ohnehin datenrechtlich höchst fragwürdig, weil er Informationen von Unbescholtenen in laufende Ermittlungen hereingibt. Seine Ausweitung auf das BZRG – ausgerechnet auf die Geheimdienste – ist nicht nur in der Sache fahrlässig, sondern rechtlich höchst fragwürdig. Wir haben deshalb diese Erweiterung geheimdienstlicher Zugriffe auf das Bundeszentralregis- tergesetz bereits im Rahmen der Reform des Bundesver- fassungsschutzgesetzes kritisiert und abgelehnt. Wir enthalten uns heute allein deshalb, weil die einen noch gravierenderen Eingriff darstellende Regelung aus dem damaligen Verfahren, also die Erstreckung des Ähn- lichenservice auf alle in § 41 BZRG genannten Behör- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12747 (A) (C) (B) (D) den, von Ihnen wieder – wenn auch nicht freiwillig – aufgenommen wurde. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung und Schlussabstimmung des von der Bunderegierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ir- land zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver- mögen (Tagesordnungspunkt 22) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Das vorlie- gende Änderungsprotokoll soll hinsichtlich der Besteue- rung von Unternehmensgewinnen die Aktualisierung des Artikel 7 des Musterabkommens für den Bereich Steuern vom Einkommen und vom Vermögen der OECD auch im Doppelbesteuerungsabkommen mit der Republik Irland nachvollziehen. Das Musterabkommen der OECD, dessen Artikel 7 seit 2010 neu gefasst wurde, sieht jetzt den sogenannten „Authorized OECD Approach – AOA“ für die Auftei- lung der Gewinne zwischen einer Betriebsstätte und dem Unternehmen vor, zu dem sie gehört. Damit wird einer Vereinheitlichung der internationalen Betriebsstättenbe- steuerung Rechnung getragen. Grundsätzlich sind dabei zwei Arten von Betriebsstätten zu unterscheiden; zum einen feste Geschäftseinrichtungen, über die das Unter- nehmen eine gewisse Verfügungsmacht hat, und zum an- deren den abhängigen Vertreter mit der Vollmacht zum Abschluss von Verträgen für den Geschäftsherren. Für die angemessene Aufteilung der Gewinne zwi- schen dem Unternehmen und der Betriebsstätte kann man wiederum zwei Ansätze wählen. Sieht man die Betriebsstätte als Einheit, die nur mit einer eingeschränkten Selbstständigkeit ausgestattet ist, dann wird sie als Teil des Gesamtunternehmens defi- niert. Der Fremdvergleich ist bei dieser Auffassung nur eingeschränkt für Warentransaktionen vorgesehen, und logischerweise kann auch die Betriebsstätte dann keinen Gewinn machen, wenn das Gesamtunternehmen einen Verlust macht. Demgegenüber steht die Auffassung der uneinge- schränkten Anwendung des Fremdvergleichs. Das bedeu- tet, dass auf alle Transaktionen innerhalb des Einheitsun- ternehmens der Fremdvergleich Anwendung findet und damit letztlich auch die Betriebsstätte einen Gewinn aus- weisen kann, selbst wenn das Gesamtunternehmen einen Verlust macht. Die Betriebsstätte wird damit ähnlich wie ein Tochterunternehmen behandelt. Dieser zweite Ansatz der Betriebsstättenbesteuerung wird dem neuen Artikel 7 des OECD Musterabkommen zugrunde gelegt. Mit dem im alten DBA Irland enthaltenen Artikel 7 konnten weder die grenzüberschreitenden Gewinne ei- nes Unternehmens sachgerecht aufgeteilt werden, noch konnten Gewinnverlagerungen begegnet werden. Mit der Änderung des Artikel 7 im neuen Abkommen wird jetzt die Möglichkeit geschaffen, aufgrund eines international anerkannten Fremdvergleichs die zutreffende Gewinn- aufteilung zwischen Betriebsstätte und Gesamtunterneh- men zu erreichen. Damit können Besteuerungslücken ge- schlossen werden und Besteuerungskonflikte vermieden werden. Im neuen DBA werden allerdings Lebensversiche- rungsgeschäfte, die vor dem 1. Januar 2001 abgeschlos- sen wurden, aufgrund der irischen Rechtslage zur steuer- lichen Behandlung von Altverträgen in diesem Bereich unverändert nach den alten Vorschriften erfasst. Große Auswirkungen wird dies allerdings kaum entfalten, weil der Umfang eher unwesentlich ist. Neben der Änderung des Artikel 7 werden noch klei- nere Änderungen erfasst wie die Vertragsstaatendefiniti- on der Bundesrepublik und die Aktualisierung der unter das Abkommen fallenden irischen Steuern. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist aber auch, dass Irland inzwischen nationale Maßnahmen ergriffen hat, um das Modell des sogenannten „double Irish“ für die Zukunft zu schließen. Mit dieser Gestaltung konnten amerikanische Gesellschaften ihre Gewinne fast steuerfrei über irische Tochtergesellschaften verlagern. Das ist zwar nicht unmittelbar ein Ausfluss dieses Ab- kommens, aber es zeigt, dass die Bemühungen der Bun- desregierung zur Verhinderung von Gestaltungsmöglich- keiten mit Auslandsbezug Früchte tragen. Das Gesetz ist unproblematisch, aktualisiert ein DBA und passt es an die aktuelle Abkommenspolitik der Bun- desrepublik an. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu die- sem Gesetz. Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Wir haben nicht sehr oft die Gelegenheit, im Plenum über den Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen zu debattieren. Insofern freue ich mich, dass die Revision des Abkommens mit Irland uns jetzt Anlass bietet, dieses Thema einmal öf- fentlich zu diskutieren. Doppelbesteuerungsabkommen sind für die exportori- entierte deutsche Wirtschaft von immenser Bedeutung. Mit jedem zusätzlichen Abkommen schaffen wir Rechts- und Planungssicherheit in Steuerangelegenheiten, im Übrigen nicht ausschließlich für Unternehmen, sondern auch für Arbeitnehmer, Rentner und Studenten, die sich für längere Zeit im Ausland aufhalten. Jedes Abkommen fördert und vertieft die wirtschaftlichen Beziehungen zu diesen Staaten. Wir gewährleisten mit ihnen aber vor al- lem eine wirksamere und zutreffendere Steuererhebung, indem wir sowohl die doppelte Besteuerung als auch die mindestens ebenso unerwünschte doppelte Nicht-Be- steuerung verhindern. Mit insgesamt 85 Staaten hat die Bundesrepublik Deutschland derzeit Abkommen auf dem Gebiet der Einkommen und Vermögen, bei Erbschaften und Schen- kungen und zum Austausch von Steuerinformationen, abgeschlossen. Weitere 59 Abkommen befinden sich im Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512748 (A) (C) (B) (D) Verhandlungsstadium, bzw. sind bereits unterschrieben, aber noch nicht in Kraft getreten. Zunächst möchte ich an dieser Stelle einmal hervorheben, dass die Schlagzahl der Revision von bestehenden oder des Neuabschlusses von Doppelbesteuerungsabkommen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. In der Amtszeit von Wolfgang Schäuble wurden bereits mehr als doppelt so viele Ab- kommen geschlossen wie jeweils zuvor von seinen bei- den Amtsvorgängern. Für dieses im ureigenen Interesse der Bundesrepublik stehende Engagement gebührt unser aller Dank und Anerkennung vor allem dem Bundesfi- nanzminister, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mit- arbeitern im Bundesfinanzministerium und im Auswär- tigen Amt. Wir debattieren hier im Deutschen Bundestag aus gu- ten Gründen Fälle von Steuerhinterziehung, bei denen Vermögenswerte im Ausland vor den deutschen Behör- den versteckt werden. Vor diesem Hintergrund ist die zunehmende Zahl von Abkommen zum Informations- austausch – allein 14 von 31 seit 2010 – ein wichtiger Baustein, diesen Machenschaften ein Ende zu bereiten. Vor ziemlich genau einem Jahr gelang Finanzminister Schäuble das Meisterstück, bei einer Steuerkonferenz in Berlin mit über 50 Staaten den automatischen Informati- onsaustausch zu vereinbaren. Darunter befinden sich be- kannte Steueroasen wie die Bermudas und die Cayman Islands, aber auch zur Steuervermeidung gern genutzte europäische Staaten wie Liechtenstein, Luxemburg und die Schweiz. Steuerhinterziehung wird dadurch weitest- gehend unmöglich, und das ist der Erfolg dieser Bundes- regierung und von Wolfgang Schäuble ganz persönlich. Doch nicht nur das Verstecken privater Vermögens- werte im Ausland ist ein Problem. Gerade international operierende Konzerne haben kreative Wege gefunden, ihre eigene Steuerlast auf ein Minimum zu reduzieren. Die Bundesregierung hat dieses Problem seit Jahren im Blick und auch entsprechende Abwehrmaßnahmen er- griffen. Erinnern möchte ich an dieser Stelle an die Zins- schranke, Regelungen zur Funktionsverlagerung, die Hinzurechnungsbesteuerung und weitere Maßnahmen, die 2008 im Zuge der Unternehmenssteuerreform auf den Weg gebracht wurden. Dazu kommen „treaty overri- de“-Maßnahmen als Reaktion auf „treaty shopping“-Ak- tivitäten und Umschaltklauseln von der Freistellungs- auf die Anrechnungsmethode für den Fall, das in dem ande- ren Staat keine oder eine deutlich zu geringe Besteuerung stattfindet. Doch wir leben in einer globalisierten Welt. Die besten nationalen Gesetze nützen nichts, wenn inter- national nicht an einem Strang gezogen wird. Und auch hier übernimmt die Bundesrepublik Deutschland eine Führungsrolle. Der 2012 auf OECD-Ebene unter dem Kürzel BEPS initiierte Prozess zur Verhinderung von Gewinnverlagerungs- und Steuervermeidungsstrategien wurde von der Bundesregierung maßgeblich vorangetrie- ben. In der vergangenen Woche wurde der Abschlussbe- richt mit seinem 15-Punkte-Aktionsplan der Öffentlich- keit vorgestellt und von der Fachwelt auf breiter Basis gelobt. Jetzt geht es darum, dass dieser Aktionsplan in den 34 OECD-Mitgliedstaaten und den über 80 assozi- ierten Staaten möglichst ungeschmälert umgesetzt wird. Bemerkenswert dabei ist, dass einige der Maßnahmen, die wir national zur Verhinderung von Gewinnverlage- rungen bereits umgesetzt haben, jetzt auch international als probates Mittel anerkannt und in den Aktionsplan aufgenommen wurden. Auch dies ist ein Erfolg dieser Bundesregierung. Wir aktualisieren heute im Doppelbesteuerungsab- kommen mit Irland im Wesentlichen den Abschnitt über Unternehmensgewinne. Ersetzt wird das bisherige quo- tale System durch den auf OECD-Ebene vereinbarten Fremdvergleichsgrundsatz, den sogenannten Authorised OECD Approach. Deutschland hat an der Ausarbeitung dieses Standards entscheidend mitgewirkt, und es ist gut und richtig, dass in dieser entscheidenden Frage der Un- ternehmensgewinne eine internationale Einigung über deren Zuordnung zu einer Betriebsstätte erzielt werden konnte. Es ist daher nur konsequent, diesen Standard auch in der Praxis umzusetzen, und das werden wir heute tun. Ich habe daher wenig Verständnis für die vonseiten der Grünen und Linken im Finanzausschuss geäußerte Kritik an dieser Vereinbarung. Wie sollen wir denn von anderen Staaten Vertragstreue und die Einhaltung inter- nationaler Regeln fordern, wenn wir selbst nicht mit gu- tem Beispiel vorangehen? Zudem irren Sie sich, wenn Sie glauben, die alte Regelung wäre besser für das deut- sche Steueraufkommen und die Verhinderung von Ge- winnerlagerungen in das Niedrigsteuerland Irland. Wenn Sie sich einmal mit Fachleuten unterhalten, werden Sie schnell feststellen, dass dem nicht so ist. Von der Opposition kam darüber hinaus Kritik an der Tatsache, dass in diesem Abkommen mit Irland die Doppelbesteuerung durch die Freistellungsmethode ver- hindert werden soll, die im Übrigen ergänzt wird durch Klauseln zum Umschalten auf die Anrechnungsmethode. Sie haben vorgeschlagen, stattdessen generell auf die An- rechnungsmethode umzuschwenken, wenn möglich in sämtlichen Abkommen weltweit. Ich kann nur eindring- lich davor warnen, diesen Weg tatsächlich zu gehen. Für unsere auf Export ausgerichtete deutsche Wirtschaft ist es von elementarer Bedeutung, auf ausländischen Märk- ten mit den dortigen Wettbewerbern zu gleichen Bedin- gungen konkurrieren zu können. Dies ist nur durch die Freistellungsmethode gewährleistet und Grundbedin- gung für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unterneh- men im Ausland. Ein genereller Wechsel zur Anrech- nungsmethode wird nicht, wie von Ihnen behauptet, das Steueraufkommen in Deutschland erhöhen, sondern den Wirtschaftsstandort insgesamt deutlich schwächen. Wir sehen also heute am Beispiel des Doppelbesteu- erungsabkommens mit Irland sehr plastisch, dass die Bundesregierung konzentriert daran arbeitet, Steuerhin- terziehung, Gewinnverlagerung und schädliche Gestal- tungsmaßnahmen einzudämmen. Darüber hinaus ist sie äußerst erfolgreich darin, verbindliche Standards auf internationaler Ebene zu vereinbaren. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Jetzt kommt es darauf an, dass auch internationale Partner, aber aus meiner Sicht vor allem unsere europäischen Partner, diesen Weg konse- quent verfolgen, anstatt ein Unterbietungswettrennen um den geringsten Steuersatz zu veranstalten. Auch diesen Gesprächen wird sich unser Bundesfinanzminister nicht verschließen, und ich wünsche ihm und seinen Mitarbei- tern dabei allen erdenklichen Erfolg. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12749 (A) (C) (B) (D) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Doppelbe- steuerungsabkommen haben für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und für die Steuererhebung der Staaten eine immense Bedeutung. Es handelt sich um völkerrechtliche Verträge zwischen zwei Staaten, in denen geregelt wird, in welchem Umfang das Besteue- rungsrecht einem Staat, für die in einem der beiden Ver- tragsstaaten erzielten Einkünfte, zusteht. Bisher sollten Doppelbesteuerungsabkommen vor allem verhindern, dass Steuerpflichtige, die in beiden Staaten Einkünfte erzielen, in beiden Staaten – also doppelt – besteuert werden. Die aggressive Steuerplanung multinationaler Konzerne, die die mangelnde Abstimmung zwischen den nationalen Steuersysteme zu ihrem Vorteil ausnutzen, hat aber die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen gelenkt: die Verhinde- rung der doppelten Nichtbesteuerung von Einkünften. Die heute zur Debatte stehenden Änderungen des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutsch- land und Irland sind gerade aufgrund der vorgesehenen Änderungen bei der Besteuerung grenzüberschreitend tätiger Unternehmen interessant. Im Schwerpunkt geht es um die Anpassung der Regelungen zur Besteuerung von Betriebsstätten an den sogenannten „Authorized OECD-Approach“. Bei Betriebsstätten handelt es sich um rechtlich unselbständige Geschäftseinrichtungen, die ein deutsches Unternehmen im Ausland unterhält oder um solche Geschäftseinrichtungen, die ein im Ausland ansässiges Unternehmen in Deutschland betreibt. Bisher gibt es eine weitgehend uneinheitliche Praxis der inter- nationalen Betriebsstättenbesteuerung. Teilweise werden indirekte Gewinnaufteilungsmethoden angewandt, die die Zuordnung von Einkünften nach pauschalen Schlüs- seln vorsehen. Nach dem „Authorized OECD-Approach“ wird eine Betriebsstätte für die grenzüberschreitende Gewinnauf- teilung zwischen ihr und dem Unternehmen, zu dem sie gehört, wie ein eigenständiges Unternehmen behandelt. Um dies zu ermöglichen, muss für die rechtlich unselb- ständige Betriebsstätte eine steuerliche Nebenrechnung erstellt werden, die inhaltlich der Bilanz eines eigenstän- digen Unternehmens entspricht. Dazu wir in einem ersten Schritt festgestellt, welche Funktionen die Betriebsstätte im Verhältnis zum restlichen Unternehmen durch ihr Personal tatsächlich ausübt. Davon ausgehend werden Vermögenswerte, Chancen bzw. Risiken sowie das dafür erforderliche Eigenkapital zugeordnet. In einem zwei- ten Schritt werden für Geschäftsfälle zwischen einem Unternehmen und seiner rechtlich unselbständigen Be- triebsstätte grundsätzlich schuldrechtliche Beziehungen unterstellt. Auf diese anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind dann die Grundsätze der OECD-Ver- rechnungspreisrichtlinien anzuwenden, die dem Fremd- vergleichsgrundsatz entsprechen. Für die Geschäftsfälle mit andern Teilen des Unternehmens werden Fremdprei- se unterstellt, die zwischen fremden Dritten vereinbart worden wären. Der Betriebsstätte werden somit die Ge- winne zugerechnet, die sie erzielen würde, wenn sie ein selbständiges Unternehmen wäre. Dieses Verfahren halte ich für besser, als die bisherige indirekte pauschale Auf- teilung – wenn wir ehrlich sind, kennen wir nicht einmal die genauen – in der Praxis angewandten – Kriterien bzw. Parameter, nach denen die pauschale Aufteilung erfolge. Auf Basis des von der OECD entwickelten Ansatzes kann künftig nicht nur eine international einheitliche, sondern auch eine zielgenauere Gewinnermittlung erfol- gen. Deutschland erhält somit bessere Möglichkeiten, die Gewinne deutscher Betriebsstätten ausländischer Unter- nehmen zu korrigieren und seine Besteuerungsrechte zu wahren. Wie schon angedeutet: Die Annahme, dass die bisher teilweise angewandten indirekten Gewinnaufteilungsme- thoden, die auch nach dem alten DBA mit Irland zuläs- sig waren, besser als die Gewinnaufteilung nach Fremd- vergleichsgrundsätzen zur Eindämmung aggressiver Steuerplanung geeignet seien, trifft nach Auffassung der Fachleute in der Finanzverwaltung nicht zu. Dies ist auf Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Gesamtgewinns eines Unternehmens, der Festlegung eines zutreffenden pauschalen Aufteilungsmaßstabes und der Berücksichti- gung von Verlusten anderer Unternehmensteile zurückzu- führen. In der Vergangenheit boten die indirekten Gewin- naufteilungsmethoden offensichtlich keinen wirksamen Schutz vor den Steuergestaltungen der Unternehmen. Ich habe die Erwartung, dass das geänderte Doppelbesteue- rungsabkommen mit Irland aufgrund der Anwendung des Authorized OECD-Approaches zu einer besseren gren- züberschreitende Aufteilung von Besteuerungsgrundla- gen zwischen Betriebsstätten und den Mutter-Unterneh- men führen wird. Deshalb stimmen wir dem – Achtung: „Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermei- dung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen“ auch zu. Richard Pitterle (DIE LINKE): Wie schön wäre es doch, wenn hehren Worten auch einmal handfeste Taten folgen würden. Alle paar Wochen gelobt der Bundesfi- nanzminister, dass man für mehr Steuergerechtigkeit sor- gen werde, dass man Steuerumgehung bekämpfen werde, dass man es großen internationalen Konzernen wie Ap- ple, Google und Konsorten bald unmöglich mache, ihre Gewinne ins Ausland zu verlagern, und dass man sie auf diesem Wege endlich dazu bringe, hierzulande die ihrem Gewinn tatsächlich angemessenen Steuern zu zahlen. Nur leider, leider, Sie ahnen es schon: Es folgen keine handfesten Taten. Die Beteuerungen der Bundesregie- rung sind mal wieder nichts als heiße Luft. Schlimmer noch, Sie, meine Damen und Herren von der Bundesre- gierung, machen mit dem hier vorgelegten Gesetzent- wurf sogar eher das Gegenteil und erleichtern Steuerum- gehung. Das lässt die Linke ihnen so nicht durchgehen. Folgendes haben Sie vor: Mit dem Gesetzentwurf streichen Sie eine ganz bestimmte Regelung im Doppel- besteuerungsabkommen zwischen der Republik Irland und Deutschland. Bisher gab es nach Artikel 7 Absatz 4 des Abkommens die Möglichkeit, den Gewinn einer be- stimmten Betriebsstätte durch Aufteilung der Gesamtge- winne eines Unternehmens zu ermitteln. Im Klartext heißt das Folgendes: Macht ein Unternehmen hierzulande gro- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512750 (A) (C) (B) (D) ßen Reibach, zahlt dafür hier aber kaum Steuern, weil der Hauptsitz in Irland ist, so kann man den in Deutschland anfallenden Gewinn aus dem Gesamtgewinn des Unter- nehmens herausrechnen und hier besteuern. Das wäre nur gerecht, denn Steuern müssen dort gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfindet. Also, meine Damen und Herren von der Bundesre- gierung, wieso streichen Sie diese Regelung? Sie spielen Apple und Co. in die Karten und das sehenden Auges. Mit der Bekämpfung von Steuerumgehung hat das nichts zu tun. Ihr Verweis darauf, dass Sie mit dem heutigen Ge- setz das Doppelbesteuerungsabkommen an den neuesten OECD-Standard anpassen, ist keine Entschuldigung und schon gar keine Verbesserung. Zwar soll auch der neue OECD-Standard auf dem Papier der Verhinderung von Steuerumgehung dienen, Sie lassen dabei aber einfach unter den Tisch fallen, dass der neue Standard innerhalb der Staatengemeinschaft hoch umstritten ist und teil- weise sogar die Befürchtung besteht, dass er zusätzliche Möglichkeiten zur Gewinnverschiebung zwischen Staa- ten und somit zur Steuerumgehung bietet. Auch an einer anderen Stelle machen Sie, meine Da- men und Herren von der Bundesregierung einen leider alles andere als kompetenten Eindruck: Auf eine Anfrage der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen erklären Sie, dass Ihre Streichung der bisherigen Regelung nicht dazu führen würde, dass Deutschland künftig ein Instru- ment zur effektiven Besteuerung internationaler Kon- zerne fehlt. In derselben Anfrage erklären Sie aber auch, dass Sie überhaupt nicht wissen, ob und in wie vielen Fällen die bisherige Regelung jemals angewandt wurde. Das ist schon ein starkes Stück. Sie geben offen zu, keine Kenntnis von der möglicherweise sehr guten Wirksam- keit einer Regelung zur Bekämpfung der Steuerumge- hung zu haben, schaffen Sie aber einfach ab. So macht man keine seriöse Steuerpolitik. Die Lin- ke wird dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, denn im Gegensatz zur Bundesregierung nehmen wir den Kampf gegen Steuerumgehung ernst. Wenn Großkonzerne wie Apple und Co. hierzulande satte Gewinne einfahren, dann müssen diese auch besteuert werden. Alles andere geht zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aus der Mitte der Gesellschaft, und das ist mit der Linken nicht zu machen! Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie ver- passen es mit der übereilten Anpassung des Doppelbe- steuerungsabkommens mit Irland, ein Zeichen gegen die Praxis internationaler Konzerne zu setzen, die in Europa Steuersonderregime nutzen, um ihre Steuerlast so weit es geht zu senken. Gerade Irland hat in der Vergangenheit durch Steu- ergeschenke versucht, internationale Unternehmen an- zusiedeln. Zwar ist das Ende der schädlichsten Steu- erpraktik vielleicht in der gesamten EU besiegelt. Der sogenannte Double Irish wurde 2014 von der irischen Regierung abgeschafft. Aber es gibt Übergangsregelun- gen bis ins nächste Jahrzehnt, und es wurde bereits ange- kündigt, dass Irland stattdessen eine Patentbox schaffen wird. Statt über das Konstrukt des Double Irish, also über zwei irische Tochterunternehmen, Gewinne nahezu un- versteuert in wirkliche Steuersümpfe wie die Cayman-Is- lands zu schaffen, dürfen internationale Konzerne also mit Rabatten auf geistiges Eigentum rechnen. Das ist kaum besser und ebenfalls sehr gestaltungsanfällig. Auch diese Konstrukte lehnen wir als Fraktion vehement ab. Aber mit Apple und Google haben die amerikanischen Konzerne die Geschenke Irlands dankend angenommen, die bei der Praxis der legalen Steuervermeidung als ne- gatives Musterbeispiel dienen können, und sie stehen bei weitem nicht alleine da. Durch die Änderung des bestehenden Artikel 7 im Doppelbesteuerungsabkom- men der Bundesrepublik mit Irland und die damit ver- bundene Anpassung des Artikels an das 2010 reformierte OECD-Musterabkommen gibt die Bundesregierung eine Möglichkeit aus der Hand, diesen Praktiken der interna- tionalen Steuervermeidung Einhalt zu gebieten. Auch wenn die Bundesregierung sich auf die Imple- mentierung internationaler Standards beruft, so muss ich mit meiner Fraktion hier feststellen, dass dieser interna- tionale Standard an der Stelle eine Verschlechterung zum Status quo darstellt. Ich kann das sehr anschaulich ma- chen an einem Passus, der aus dem bisher gültigen Ab- kommen gestrichen werden soll – ich zitiere –: „Soweit es in einem Vertragsstaat üblich ist, die einer Betriebs- stätte zuzurechnenden Gewinne durch Aufteilung der Gesamtgewinne des Unternehmens auf seine einzelnen Teile zu ermitteln, schließt Absatz 2 nicht aus, dass dieser Vertragsstaat die zu besteuernden Gewinne nach der übli- chen Aufteilung ermittelt; die Gewinnaufteilung muss je- doch derart sein, dass das Ergebnis mit den Grundsätzen dieses Artikels übereinstimmt.“ Statt wie bisher Gewinn- aufteilung, also Unitary Taxation, als Grundlage der Be- steuerung für Betriebsstätten zu nutzen, wird das Fremd- vergleichsprinzip in dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Irland implementiert, und das ist sehr viel anfälliger für schädliche Steuervermeidungsmethoden. Die Bundesregierung und die Große Koalition neh- men also deutschen Steuerbehörden aktiv ein Mittel, mit denen sie negative Steuergestaltungen verhindern könnten. Die Reden der Minister Schäuble und Gabriel für den Kampf gegen internationale Steuervermeidung sind damit reine Sonntagsreden und als Schönfärberei entlarvt. Die Bundesregierung muss sich an ihrem Han- deln messen lassen, und hier versagt sie. Wir lehnen die geplante Änderung am Doppelbesteuerungsabkommen mit Irland ab. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Lebensmittelspezialitätengesetzes (Ta- gesordnungspunkt 23) Alois Rainer (CDU/CSU): Mit der vorliegenden Gesetzesänderung zum Ersten Gesetz zur Änderung des Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12751 (A) (C) (B) (D) Lebensmittelspezialitätengesetzes gehen wir auf die Ver- ordnungen 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 21. November 2012 ein. Im Einzelnen sind die Qualität und die Vielfalt der Erzeu- gung in der Landwirtschaft, der Fischerei und der Aqua- kulturen der Europäischen Union in ihrer jeweiligen Art und Stärke zu erhalten und der Wettbewerbsvorteil der Union weiter auszubauen. Ein weiterer Punkt ist, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher insbesondere in Deutschland zum ei- nen über die Qualität von Produkten informiert werden möchten und zum anderen zunehmend Qualitätserzeug- nisse sowie traditionelle Erzeugnisse verlangen. Dadurch entsteht eine Nachfrage nach Agrarerzeugnissen oder Le- bensmitteln mit bestimmbaren besonderen Merkmalen, insbesondere solchen, die eine Verbindung zu ihrem geo- grafischen Ursprungs aufweisen. Erzeuger können nur dann weiterhin hochwertige Pro- dukte und Qualitätserzeugnisse herstellen, wenn sie da- für entsprechend und angemessen entlohnt werden. Des- halb ist gerade mit Blick auf „Labellisierung“ im Markt wichtig, dass die Erzeugnisse auf dem Markt sachgemäß kenntlich gemacht werden. Käufer und Verbraucher soll- ten sich im Rahmen eines fairen Wettbewerbs über die Merkmale ihres Erzeugnisses informieren können. Ein wesentliches Ziel des Gesetzes ist, die Erzeuger von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln dabei zu un- terstützen, Käufer und Verbraucher über die Produktei- genschaften und Bewirtschaftungsmerkmale dieser Erzeugnisse und Lebensmittel zu unterrichten. So sind Schwäbische Spätzle, Nürnberger Lebkuchen, Allgäuer Emmentaler oder Thüringer Rostbratwurst nicht nur weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt, sie sind darüber hinaus auch besonders geschützt. Geografische Angaben und Ursprungsbezeichnun- gen sowie auch garantiert traditionelle Spezialitäten für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel können durch EU-Recht geschützt werden. Die EU-Gü- tezeichen „g.U.“ (geschützte Ursprungsbezeichnung), „g.g.A.“ (geschützte geografische Angabe) und „g.t.S.“ (garantiert traditionelle Spezialität) wurden von der EU im Jahre 1992 als System zum Schutz und zur Förderung traditioneller und regionaler Lebensmittelerzeugnisse eingeführt. Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Le- bensmittelspezialitätengesetzes setzt die EU-rechtlichen Bestimmungen über Qualitätsregelungen in nationales Recht um. Speziell wird das Verfahren für das Güte- zeichen „geschützte traditionelle Spezialität – g.t.S.“ entsprechend der EU-Vorgaben angepasst, wonach, wie gerade geschildert, für den Produktionsprozess entschei- dend ist, dass dem traditionellen Rezept oder Herstel- lungsverfahren gefolgt wird. Damit ist es möglich, eine Sanktionierung bei Verstö- ßen gegen den Schutzbereich der garantiert traditionel- len Spezialität umzusetzen. Dies ist insbesondere auch dann gegeben, wenn ein Hersteller vor der erstmaligen Vermarktung das Produkt nicht auf die Einhaltung der Produktspezifikation hat überprüfen lassen. Weiter soll der neue Begriff „Bergerzeugnis“ einge- führt werden. Mit Verwendung dieser Qualitätsangabe dürfen nur Erzeugnisse verwendet werden, bei denen sowohl Rohstoffe als auch Futter für die Nutztiere über- wiegend aus Berggebieten stammen. Und im Falle von Verarbeitungserzeugnissen muss auch die Verarbeitung in Berggebieten erfolgen. Carola Stauche (CDU/CSU): Heute beraten wir in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes. Dabei geht es darum, das bestehende nationale Recht an novelliertes EU-Recht anzupassen. Denn in der EU-Ver- ordnung Nummer 1151/2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel wurde das Recht der traditionellen Spezialitäten neu geregelt und die be- stehende Verordnung aus dem Jahre 2006 aufgehoben. Entsprechend wurden auch die Umsetzung und Durch- führung auf EU-Ebene neu geregelt. Es handelt sich bei dieser Rechtsanpassung zu den garantiert traditionellen Spezialitäten jedoch nicht etwa um Schutzvorschriften für Allgäuer Emmentaler oder Thüringer Rostbratwurst. Diese sind nämlich über die Herkunftsangaben „geschützte Ursprungsbezeichnung“ und „geschützte geografische Angabe“ abgesichert. Im vorliegenden Entwurf geht es hingegen vor allem um die „garantiert traditionellen Spezialitäten“. Dieses Quali- tätssiegel ergibt sich aus der traditionellen Zusammen- setzung bzw. dem traditionellem Herstellungsverfahren eines Produktes und ist nicht an eine bestimmte Region oder einen bestimmten Ort gebunden. Der heute dis- kutierte Gesetzentwurf befasst sich vor allem mit dem Antrags- und Einspruchsverfahren und dem Verbot der widerrechtlichen Nutzung eines geschützten Namens. In Deutschland haben wir jedoch bisher kein Produkt, das nach diesem EU-Standard geschützt ist, da bei uns aus- schließlich die geografischen Herkunftsangaben genutzt werden. Wichtiger ist daher die Einführung des neuen Quali- tätsbegriffs „Bergerzeugnis“. Hierin sind klare Regeln vorgesehen, wann ein Produkt als „Bergerzeugnis“ ver- marktet werden kann. Die wesentliche Produktion muss in Berggebieten stattfinden: Berggebiete in diesem Sin- ne sind nach EU-Definition Gebiete, in denen aufgrund von Höhen- bzw. Hanglage und kurzer Vegetationszeit Landwirtschaft nur unter erschwerten Bedingungen praktiziert werden kann. In Deutschland gehören mehr als 400 000 Hektar Fläche zu den benachteiligten Berg- gebieten. Erzeugnisse tierischen Ursprungs können künftig als „Bergerzeugnis“ vermarktet werden, wenn die betreffen- den Tiere mindestens in den letzten beiden Dritteln ihrer Lebenszeit in den genannten Berggebieten aufgezogen und die Erzeugnisse in Berggebieten verarbeitet werden. Spezielle Regelungen sind vorgesehen für Wandertiere und Futtermittel. Imkereierzeugnisse dürfen als Bergerzeugnis be- zeichnet werden, wenn die Bienen Nektar und Pollen ausschließlich in Berggebieten gesammelt haben. Ver- fütterter Zucker muss nicht aus Berggebieten stammen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512752 (A) (C) (B) (D) Gegenteiliges wäre auch nicht zu realisieren, da Zucker- produktion in Berggebieten nicht vorhanden ist. „Bergerzeugnis“ und „garantiert traditionelle Spezi- alität“, „geschützte Ursprungsbezeichnung“ und „ge- schützte geografische Spezialität“: All diese Gütesiegel haben den Sinn, gewachsene Traditionen in der Lebens- mittelherstellung zu fördern, traditionelle Qualität zu schützen und Vermarktungsmöglichkeiten zu fördern. Ich bin der Meinung, dass hier ein bewährtes Konzept sinnvoll weiterentwickelt wird und unsere erfolgreiche und verdienstvolle Land- und Ernährungswirtschaft auch weiterhin nach Kräften unterstützt wird. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Der Qualitätsan- spruch von Verbraucherinnen und Verbrauchern bei fri- schen und verarbeiteten Lebensmitteln ist in den letzten Jahren merklich gestiegen. Immer mehr Menschen wol- len wissen, woher die Produkte stammen, für die sie im Supermarkt ihr Geld ausgeben. Sie wollen wissen, wo sie erzeugt und wie sie hergestellt wurden. Das gilt für ausgewiesene Lebensmittelspezialitäten umso mehr. Das wachsende Informationsbedürfnis der Verbrau- cherinnen und Verbraucher hat dazu geführt, dass wir es heute im Verbraucheralltag mit einer Fülle von Labels und Auszeichnungen zu tun haben. Das Internetportal der Verbraucherinitiative „Label-Online“ hat in der Katego- rie „Essen und Trinken“ inzwischen 160 verschiedene Kennzeichnungen gesammelt und bewertet. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der La- bellandschaft nun eine weitere Produktkennzeichnung hinzugefügt: das Qualitätsmerkmal „Bergerzeugnis“. So hat es die EU in ihrer neuen Verordnung über Qualitäts- regelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel vor- gesehen. Mit dem Begriff „Bergerzeugnis“ dürfen damit künftig nur noch solche Lebensmittel beworben werden, die den in der Verordnung gesetzlich definierten Anfor- derungen entsprechen. Ich begrüße es außerordentlich, dass die Bergwirt- schaft durch diese neue Regelung die Möglichkeit erhält, Verbraucherinnen und Verbraucher auf die besondere re- gionale Herkunft ihrer Erzeugnisse hinzuweisen. Bergbauern und Verarbeiter in Bergregionen stellen ihre Produkte oft unter beschwerlichen Bedingungen und zu vergleichsweise hohen Produktionskosten her. Mit der Einführung des neuen Qualitätsbegriffs können sie ihre Produkte nun gezielt bewerben und Vermarktungslücken besser nutzen. Als Verbraucherpolitikerin ist es mir bei neuen Kenn- zeichnungen aber immer auch wichtig, dass den Verbrau- cherinnen und Verbrauchern bewusst ist, welche Bedeu- tung sich hinter dem Begriff tatsächlich verbirgt. Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, die zentralen Defini- tionskriterien hier wiederzugeben. Für Eier und Milch darf die Bezeichnung „Berger- zeugnis“ dann genutzt werden, wenn die Tiere, von de- nen sie stammen, in Berggebieten gehalten werden und ihr Futter überwiegend in den Bergen angebaut wurde – bei Legehennen zu mindestens 50 Prozent, bei Milchkü- hen zu mindestens 60 Prozent. Beim Fleisch müssen die Tiere die letzten zwei Drittel ihres Lebens in Berggebieten verbracht haben. Für Wan- derherden gelten Ausnahmen. Der erlaubte Anteil des zu- gekauften Futters variiert dabei zwischen 40 Prozent bei Rindern und 75 Prozent bei Schweinen. Verarbeitete Erzeugnisse dürfen „Bergerzeugnis- se“ heißen, sofern nicht mehr als 50 Prozent der Zuta- ten sowie Kräuter, Gewürze und Zucker außerhalb von Berggebieten stammen. Die Verarbeitung von Milch und Fleisch von Berggebieten kann auch in bis zu 30 Kilome- ter Umgebung der Berggebiete erfolgen. Es steht außer Frage, dass klar definierte Begrifflich- keiten und unabhängig geprüfte Label den Verbrauche- rinnen und Verbrauchern eine wichtige Orientierungshil- fe bieten. Gute Beispiele hierfür sind das EU-Biosiegel oder die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung. Wie wichtig geschützte Angaben zur Herkunft auch für die Landwirtschaft sind, zeigte sich nicht zuletzt in der aktuellen Debatte um die Freihandelsabkommen TTIP und CETA mit den USA und Kanada. Wenn wir allein auf niedrige Preise setzen, um kon- kurrenzfähig zu bleiben, werden wir mit unseren land- wirtschaftlichen Produkten im internationalen Wettbe- werb nicht bestehen können. Es ist die hohe Qualität, die Verbraucherinnen und Verbraucher weltweit mit Produk- ten europäischer Herkunft verbinden, die die Position unserer Landwirtschaft auf dem Weltmarkt stark macht. Bereits 1992 hat die EU mit der Einführung der drei EU-Gütesiegel zur geschützten Ursprungsbezeichnung, zur geschützten geografischen Angabe und zur garantiert traditionellen Spezialität diesem Gedanken Rechnung getragen. Die Idee, die hinter diesen Gütesiegeln steht, ist so löblich wie die Idee, einen neuen Qualitätsbegriffs zu entwickeln: Die Erzeuger sollen bei der regionalen Ver- marktung ihrer Produkte unterstützt werden. An dem Er- gebnis könnten wir aber noch ein wenig arbeiten. Der Erfolg von Herkunftslabeln und Qualitätssiegeln muss sich in der Praxis daran messen lassen, ob die Er- wartungen, die sie bei Verbraucherinnen und Verbrau- chern erzeugen, der Realität standhalten. Aus Erzeuger- sicht sind die Glaubwürdigkeit und der Bekanntheitsgrad ein wichtiger Erfolgsfaktor. Die EU-Gütezeichen sind indes nur einer kleinen Min- derheit bekannt. Einer Studie der Georg-August-Uni- versität Göttingen zufolge haben nur 15,7 Prozent der Befragten das Siegel zur geschützten geografischen Angabe – das meist genutzte unter den drei Siegeln – überhaupt schon einmal auf einem Lebensmittel be- merkt. Angaben zur Bedeutung des Zeichens konnten lediglich knapp 12 Prozent der Befragten machen. Das Gütezeichen zu traditionellen Spezialitäten besitzt in Deutschland scheinbar sogar so wenig Attraktivität, dass es hierzulande bislang für kein Produkt beantragt wurde. Auch hinsichtlich ihrer Aussagekraft zeigen die Güte- siegel Schwächen auf. Über die Hälfte der Verbrauche- rinnen und Verbraucher meint, dass für die Thüringer Rostbratwurst nur Fleisch verarbeitet werden darf, das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12753 (A) (C) (B) (D) aus Thüringen kommt. Ebenso unbefriedigend fällt das Ergebnis der Umfrage im Hinblick auf den Schwarz- wälder Schinken aus. Hier glauben 56 Prozent der Men- schen, dass das Fleisch für den Schinken von Tieren aus dem Schwarzwald kommen muss. Die Zukunft wird zeigen, wie sich der nun zusätzlich zu den EU-Gütezeichen eingeführte Qualitätsbegriff „Bergerzeugnis“ in der Praxis bewährt und ob er von der Wirtschaft und den Verbraucherinnen und Verbrauchern angenommen wird. Karin Binder (DIE LINKE): Informationen über die Herkunft von Lebensmitteln sind für die Verbrauche- rinnen und Verbraucher von hoher Bedeutung. Kundin- nen und Kunden sind gern bereit, 20 Prozent mehr für Produkte aus regionaler Erzeugung zu zahlen. Oder sie knüpfen bestimmte Erwartungen an Spezialitäten, die aus einer bestimmten Region kommen oder nach tradi- tionellem Rezept hergestellt wurden. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen damit das regionale Handwerk, die Kleinbauern und die Lebensmittelvielfalt stärken und eben nicht den Einheitsbrei der Lebensmittel-Industrie. Leider kann das Lebensmittelspezialitätengesetz, das jetzt auf Grund einer entsprechenden EU-Verordnung ge- ändert werden soll, diesem Anspruch nicht gerecht wer- den. Es trägt sogar zur Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher bei. Beispiel Schwarzwälder Schinken: Trotz der Anga- be „geschützte geografische Angabe“ mit blauem Logo kommt der Schinken in der Regel nicht aus dem Schwarz- wald. Nur jede zehnte der Schweinekeulen kommt über- haupt aus Baden-Württemberg. 90 Prozent des Fleisches werden möglichst billig auf dem Weltmarkt zusammen- gekauft. Das Produkt darf sich dennoch Schwarzwälder Schinken nennen, weil die globalen Schweinekeulen im Ländle geräuchert und verpackt werden. Dabei soll das Ziel des Gesetzes im Sinne der EU-Vor- gaben sein, „fairen Wettbewerb für Landwirte und Er- zeuger von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln mit wertsteigernden Merkmalen und Eigenschaften“ sowie zuverlässige Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten. Ich sage: Wer Schweinekeulen global zusammen- kauft, um sie im Schwarzwald zu räuchern, nützt weder den heimischen Landwirten noch einem fairen Wettbe- werb und damit auch nicht den Verbrauchern. Das ist rei- ne Profitmacherei. Immerhin gibt es das Logo der „geschützten Ur- sprungsbezeichnung“, das sich von dem oben genann- ten Logo lediglich in der Farbe unterscheidet. Ich frage mich, wie viele Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa diesen Unterschied kennen. Die geschützte Ursprungsbezeichnung mit dem roten Logo garantiert, dass die Erzeugung, Verarbeitung und Herstellung eines Erzeugnisses in einem bestimmten geografischen Gebiet nach festgelegten Verfahren erfolgt und sämtliche Produktionsschritte in dem betreffenden Gebiet erfolgen müssen. Das trifft zum Beispiel auf den Allgäuer Emmentaler zu. Aber nicht auf einen Holsteiner Tilsiter Käse, dessen blaues Logo ahnen lässt, dass die Milch sonstwo herkommt, aber nicht von der norddeut- schen Küste. Dann gibt es noch die „garantiert traditi- onelle Spezialität“, ein drittes Logo, auch dies in Blau, jedoch schlichter gestaltet. Hierbei wird lediglich ein traditionelles Rezept gekennzeichnet, beispielsweise für Mozzarella. Diese Beispiele zeigen die gesetzlich zulässige Ver- wirrung. Hinzu kommt die gezielte Werbung mit ähnlich klingenden, aber ungeschützten Begriffen, um die Ver- braucherinnen und Verbraucher an der Nase herumzufüh- ren. Ich frage Sie: wer hat beim Einkaufen die Zeit und die Möglichkeit, sich in die Tiefen einer EU-Verordnung einzulesen, bevor er oder sie ins Käseregal greift? Neu hinzugekommen ist jetzt der Begriff „Berger- zeugnis“. So etwas kann sinnvoll sein; denn bestimmte Lebensmittel erhalten ihren typischen oder auch beson- ders intensiven Geschmack eben aus den Bergregionen. Doch auch bei diesen Fleisch- und Milchprodukten müs- sen Verbraucherinnen und Verbraucher Abstriche ma- chen: Die meisten Tiere verbringen nur einen Teil ihres Lebens am Berg, und auch das Viehfutter stammt meist nur anteilig aus der Bergregion. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher ist diese Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes kaum ein Gewinn. Auch kleine Landwirtschaftsbetriebe oder das örtliche Lebensmittelhandwerk werden damit nicht wirklich gestärkt. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich bei der EU dafür einzusetzen, das irreführende blaue Logo der vermeintlich „geschützten geografischen Angabe“ abzu- schaffen. Angaben wie „Regional“ müssen endlich ge- setzlich geschützt werden, so wie es bei „Bio“ längst der Fall ist. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver- braucherinnen und Verbraucher vertrauen immer stärker auf frische Lebensmittel, die vor ihrer Haustür wachsen, entstehen und verarbeitet werden: Die Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln steigt stetig. Davon können Betriebe bäuerlicher Landwirtschaft, lokale Verarbeiter, das Lebensmittelhandwerk und Versorger vor Ort profi- tieren. Gleichzeitig erhalten Wertschöpfungsketten vom Hof auf unsere Teller die Vielfalt traditioneller Produkte, aber auch Arbeitsplätze auf dem Land. Es ist unsere Auf- gabe, hier die richtigen Weichen zu stellen, um diesen Trend zu stärken. Wenn wir im Supermarkt klar erkennen können, wo- her unser Essen kommt, können wir Politik mit dem Einkaufswagen machen. Denn wenn wir uns für Lebens- mittel aus der Region entscheiden, bleibt unser Geld in der Region. Die europäische Verordnung über Quali- tätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel schlägt hier einen ganz richtigen Weg ein: Sie regelt den Herkunftsschutz und die Kennzeichnung traditioneller Spezialitäten in der EU. Falls Sie jetzt kein Siegel vor Augen haben, geht es Ihnen wie den meisten Menschen in Deutschland. Denn die Kennzeichnung „geschützte Ursprungsbezeichnung“, „geschützte geografische Angabe“ oder auch „garantiert Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512754 (A) (C) (B) (D) traditionelle Spezialität“ werden hierzulande kaum ver- wendet. Nur elf Produkte, hauptsächlich Käse, Fleisch und Wein, sind in Deutschland geschützten Ursprungs. Kein einziges Lebensmittel trägt das Gütezeichen „ga- rantiert traditionelle Spezialität“ – und um genau das geht es bei der heutigen Anpassung des Lebensmittelspe- zialitätengesetzes an EU-Recht. Wieso wird denn das europäische Gütezeichen „ga- rantiert traditionelle Spezialität“ in Deutschland nicht verwendet? Zunächst einmal: Weil es niemand kennt. Den Erzeugern und Produzenten bringt es rein gar nichts, mit einem hierzulande unbekannten Siegel zu werben. Die Verbraucherinnen und Verbraucher übersehen es im Supermarkt schlicht und ergreifend. Aber auch wenn sie das runde gelb-blaue Siegel er- kennen sollten: Die „geschützte traditionelle Spezialität“ hält nicht, was sie verspricht. Sie umfasst nämlich nur die Zusammensetzung des Produkts, also die Rezeptur, die Herstellungs- oder Verarbeitungsverfahren – nicht aber den Herkunftsort. So sind zum Beispiel die Pizza Napoletana oder der Serrano-Schinken geschützt, müs- sen aber nicht notwendigerweise aus Italien oder Spanien stammen. Um regionale Wertschöpfung zu stärken, ist aber eine konsequente und für die Verbraucherinnen und Verbrau- cher leicht verständliche Kennzeichnung von Lebensmit- teln Grundvoraussetzung. Diese Kennzeichnung muss sowohl die Herstellungsweise der Produkte umfassen, also beispielsweise traditionelle handwerkliche Verfah- ren oder Rezepturen, wie auch die Erzeugung, Produkti- on und sogar die Futtermittel. Das Lebensmittelspezialitätengesetz allein kann das nicht leisten. Hier muss die Bundesregierung endlich tä- tig werden: mit einer bundesweiten Regionalkennzeich- nung, die verpflichtend kenntlich macht, was mit dem Werbeslogan „aus der Region“ gemeint ist. Nur so kön- nen wir nichtssagende Industriesiegel loswerden. Gleichzeitig brauchen wir bessere Förderung und Be- ratung, um den vielen Regionalinitiativen den Rücken zu stärken. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und im Rahmen eines Bundesprogrammes Regionalvermarktung müssen wir den Auf- und Ausbau regionaler Wirtschaftskreisläufe stärken. Nur so können wir die Vielfalt des traditionellen Essens vor Ort erhalten und kleineren landwirtschaftli- chen Betrieben und dem Lebensmittelhandwerk eine Zu- kunft aufzeigen. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschluss- prüfung bei Unternehmen von öffentlichem Inter- esse (Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz-APA- ReG) (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Erstens. Die EU-Kommission hat im Jahr 2010 unter dem Eindruck der Finanzkrise und im Zusammenhang mit der Finanz- marktregulierungsreform ein Grünbuch zur Aufarbeitung der Rolle der Abschlussprüfer in der Finanzmarktkrise erarbeitet. Auf diesem Grünbuch aufbauend hat sie eine Richtlinie und eine Verordnung vorgeschlagen, die am 16. April 2014 durch das Europäische Parlament und den Rat erlassen wurden. Zweitens. Ziel dieser Regelungsvorschläge ist eine Verbesserung der Qualität der Abschlussprüfungen so- wie eine Steigerung der Aussagekraft des Prüfungser- gebnisses. Darüber hinaus soll der wesentlich von großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bediente Markt der Abschlussprüfungen bei Unternehmen von öffentlichem Interesse auch für „kleinere“ Abschlussprüfer geöffnet werden. Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen wir die- se Ziele ausdrücklich. Sie stärken den Wettbewerb. Der Jahresabschluss ist die wichtigste Informationsquelle für ein Unternehmen. Die Dokumentation der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zum Bilanzstichtag ist Basis für Planungen und künftige Entscheidungen des Unterneh- mens und der Anteilseigner. Weiterhin wird das Ergebnis des Jahresabschlusses von Banken und anderen Gläubi- gern als Kriterium für eine Kreditvergabe herangezogen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Jah- resabschluss ordnungsgemäß geprüft wird. Heute geht es um die Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der EU-Vorschriften. Dazu hat das Bundeswirtschaftsministerium das Abschlussprü- feraufsichtsreformgesetz, kurz das APAReG, vorgelegt. Drittens. Was sind die wichtigsten Inhalte dieses Ge- setzes? Die einschneidendste Veränderung durch das APA- ReG betrifft wohl die Abschlussprüferaufsichtskommis- sion, kurz APAK. Durch die Einrichtung der APAK im Jahr 2004 wurden Abschlussprüfer, die gesetzlich vorge- schriebene Abschlussprüfungen vornehmen, unter eine letztverantwortliche, berufsstandsunabhängige Aufsicht gestellt. Die Aufsicht soll die Qualität, Unabhängigkeit und Integrität des Prüferberufes stärken. Diese Ziele hat die APAK in den letzten zehn Jahren erreicht. Die APAK genießt international im Kreise der Aufsichtsbehörden über Abschlussprüfer einen sehr gu- ten Ruf. Bei einem Gespräch in der letzten Woche haben mir Vertreter der kanadischen Wirtschaftsprüferaufsicht die gute Reputation der APAK bestätigt. Im Zuge der Reform der Aufsicht durch das APAReG soll die Leistungsfähigkeit der APAK erhalten bleiben. Aufgrund der EU-Vorschriften muss aber die Struktur der APAK geändert werden. Bisher handelt es sich bei der APAK um eine nicht rechtsfähige Personengemeinschaft eigener Art. Die EU-Vorschriften sehen im Bereich der Inspektionen eine berufsstandsunabhängige Behörde vor. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12755 (A) (C) (B) (D) Die APAK kann diese Aufgaben aufgrund ihrer Rechtsform daher zukünftig nicht mehr wahrnehmen. Sie wird durch das APAReG aufgelöst. Ihre Aufgaben werden auf die neu zu schaffende Abschlussprüferauf- sichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr- kontrolle, kurz APAS, übertragen. Als zweiter zentraler Punkt soll durch das APAReG die Selbstverwaltung der Wirtschaftsprüfer in der Wirt- schaftsprüferkammer, der WPK, soweit wie möglich er- halten bleiben. Das ist gut. Die berufsständische Selbst- verwaltung entlastet den Staat und ist Ausprägung des Selbstverständnisses der Freien Berufe. Wir sehen die Selbstverwaltung als ein wichtiges Element einer frei- heitlichen Ordnungspolitik an. Weiterhin soll die präventive Berufsaufsicht neu ge- ordnet werden. Es werden Regelungen zur Abgrenzung und Abstimmung von Inspektionen und Qualitätskontrol- le geschaffen. Darüber hinaus wird es bezogen auf die Ermittlungsergebnisse der Qualitätskontrolle zukünftig kein allgemeines Verwertungsverbot mehr für die Be- rufsaufsicht durch die WPK geben. Das APAReG enthält zudem neue bzw. strengere be- rufsrechtliche Regelungen, zum Beispiel betreffend das Qualitätssicherungssystem, die Unabhängigkeitsanfor- derungen und die Dokumentationspflichten. Außerdem werden durch das APAReG die Berufsauf- sicht und das berufsgerichtliche Verfahren neu geregelt. Die Zuständigkeit der WPK und des BAFA für berufsauf- sichtliche Maßnahmen wird auf schwere Berufspflicht- verletzungen erstreckt. Die Rechtsschutzmöglichkeiten der Berufsangehörigen werden ausgeweitet. Des Weiteren wird das System der Teilnahmebeschei- nigung abgeschafft. Das entspricht den Forderungen vieler kleiner und mittlerer Wirtschaftsprüfungsgesell- schaften. Nach dem Regierungsentwurf soll es durch ein Anzeige- und Registrierungsverfahren ersetzt werden. Darüber hinaus wird der Kontrollzyklus im Rahmen der Qualitätskontrolle allgemein und im Rahmen der Ins- pektionen für Prüferpraxen, die kleine und mittlere Un- ternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, auf sechs Jahre verlängert. Schließlich wird für die vereidigten Buchprüfer eine verkürzte Prüfung zum Wirtschaftsprüfer eingeführt. Viertens. Ich denke, dass es sich beim APAReG um eine solide Umsetzung der europäischen Vorgaben han- delt. Doch nach der Maßgabe: „Es verlässt kein Gesetz den Bundestag, wie es hereinkommt“, werden wir uns im parlamentarischen Verfahren einige Punkte noch genauer anschauen. Beispielhaft seien folgende erwähnt: Erstens die Registrierungspflicht, die im Regierungs- entwurf anstatt einer Teilnahmebescheinigung vorge- sehen ist. Durch eine solche Registrierungspflicht wird möglicherweise erneut Bürokratie aufgebaut, die mit der Abschaffung der Teilnahmebescheinigung wegfallen sollte. Zweitens die Intensität der Qualitätskontrollprüfun- gen. Es ist für uns wichtig, dass sich diese am Umfang der Geschäftstätigkeit der Praxen orientiert. Es muss sichergestellt sein, dass kleine und mittlere Wirtschafts- prüfungsgesellschaften nicht durch umfassende Quali- tätskontrollprüfungen überfordert werden. Drittens die Aufsicht über die Qualitätskontrollprüfer durch die APAS. Eine solche Regelung ist in der Richt- linie nicht vorgesehen und kann zu mehr Bürokratie bei den Qualitätskontrollprüfern führen. Fünftens. Insgesamt soll durch das APAReG das Ver- trauen in den wichtigen Berufsstand der Abschlussprüfer nach der Finanzkrise weiter gestärkt werden. Der Groß- teil der Wirtschaftsprüfer prüft sehr gewissenhaft, und das Amt genießt in Deutschland ein hohes Ansehen. Damit das so bleibt, möchte ich hier aber auch an den Berufsstand selbst appellieren: Bitte verlieren Sie sich nicht in internen Streitigkeiten. Diese können dem ge- samten Berufsstand und damit auch Ihnen selbst schaden. Lassen Sie uns das APAReG gemeinsam so abschließen, dass es die EU-Ziele ausreichend berücksichtigt und den Berufsstand insgesamt stärkt. Wichtig für uns ist eine Eins-zu-Eins Umsetzung der Richtlinie, die Gewährleistung einer funktionierenden Selbstverwaltung des Berufsstandes und eine mittel- standsfreundliche Ausgestaltung der Regelungen. Dazu müssen die Stellschrauben im APAReG an einigen Stel- len nochmals justiert werden. Matthias Ilgen (SPD): Infolge der EU-Abschlussprü- ferreform aus dem Jahr 2014 muss bis Juni 2016 die ge- änderte Abschlussprüferrichtlinie ins deutsche Recht um- gesetzt werden. Am 1. Juli 2015 hat die Bundesregierung dazu den Entwurf eines Abschlussprüferaufsichtsreform- gesetzes – im Folgenden kurz APAReG – beschlossen. Dieses müssen wir nun im Bundestag debattieren. Der Entwurf sieht im Prinzip die „Eins zu eins“-Umsetzung der europäischen Vorgaben vor und zielt darauf ab, die Selbstverwaltung der Wirtschaftsprüfer weitestgehend zu erhalten. Dennoch stehen erhebliche Umstrukturie- rungen bevor. Kernelement der Reform ist die Übertragung von Aufgaben der Abschlussprüferaufsichtskommission und der Wirtschaftsprüferkammer auf eine neue Abschluss- prüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. So werden die derzeit national und in- ternational anerkannte Aufsichtstätigkeit der APAK so- wie einzelne Aufgaben der Berufsaufsicht der WPK in eine eigenständige Abschlussprüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle über- führt. Zwar erfüllt die APAK bereits jetzt die EU-Anforde- rungen an Qualifikation und Unabhängigkeit von Leitung und Mitarbeitern. Sie kann aber die Aufgaben aufgrund ihrer Rechtsform und Struktur zukünftig nicht mehr wahrnehmen. Die APAK ist ehrenamtlich tätig, hat keine Rechtspersönlichkeit und bedient sich zur Erfüllung ihrer derzeitigen Aufgaben der Mitarbeiter der WPK. Zukünf- tig ist dies aufgrund der EU-Vorgaben nicht mehr mög- lich; die berufsstandsunabhängige Aufsicht muss selbst operativ Aufgaben durch eigene Mitarbeiter wahrneh- men und Verwaltungsakte erlassen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512756 (A) (C) (B) (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Einglie- derung der APAS als eigenständige Stelle in das BAFA können bestehende Verwaltungsstrukturen im Sinne der Wirtschaftlichkeit genutzt werden. Gleichzeitig werden durch die Eigenständigkeit der Stelle die EU-Anforde- rungen an die Qualifikation und Letztverantwortung der Leitung erfüllt sowie die Sichtbarkeit und der Erhalt der „Marke“ APAK/APAS als national und internatio- nal hoch anerkannte berufsstandsunabhängige Aufsicht gesichert. Die Kontinuität der bisherigen Aufsicht wird insbesondere durch eine weitestmögliche gesetzliche Übernahme des vorhandenen hochqualifizierten Perso- nals gewährleistet. Ein zweiter wichtiger Bestandteil des APAReG ist der weitestmögliche Erhalt der beruflichen Selbstverwal- tung. Die berufliche Selbstverwaltung hat sich bei den Wirtschafsprüfern – wie auch bei anderen Freien Beru- fen – als effektiv und bürokratiearm erwiesen und damit bewährt. Bereits in den europäischen Verhandlungen hat sich die Bundesregierung erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Selbstverwaltung des Berufsstandes der Wirt- schaftsprüfer in die staatliche Aufsichtsaufgabe einge- bunden werden kann. Soweit es europarechtlich zulässig ist, wird daher im Wege einer Mitgliedstaatenoption ein Teil der Aufgaben – unter der Letztverantwortung der APAS – auf die bestehende Selbstverwaltung der Wirt- schaftsprüfer in der WPK gesetzlich übertragen. Nicht zuletzt sieht der Gesetzentwurf – entsprechend den europäischen Vorgaben – in zahlreichen Punkten neue oder strengere berufsrechtliche Regelungen, etwa zum Qualitätssicherungs-System, zu den Unabhängig- keitsanforderungen an Abschlussprüfer und zu Doku- mentationspflichten vor. Zu den Verschärfungen im Berufsrecht gehören die zwingend vorgegebene Sankti- onierung von Berufsgesellschaften, die Veröffentlichung von Sanktionen und die Berücksichtigung von bei der Qualitätskontrolle festgestellten Berufspflichtverletzun- gen im Berufsaufsichts-verfahren. Zulässige Erleichte- rungen insbesondere im Rahmen der Qualitätskontrolle und für mittlere und kleinere Prüferpraxen werden zur Vermeidung übermäßiger bürokratischer Belastungen umgesetzt. Der Entwurf enthält darüber hinaus eine Verbesserung der Qualität der Abschlussprüfung. Die Neuordnung des berufsaufsichtlichen Verfahrens soll einer einheitlichen und zügigen Sanktionierung von Berufspflichtverstößen und Ausweitung des gerichtlichen Rechtsschutzes die- nen. Zusätzlich wird für die vereidigten Buchprüfer die Möglichkeit einer verkürzten Prüfung zum Wirtschafts- prüfer wieder eingeführt. Wie in jedem Gesetzgebungsverfahren haben auch beim APAReG die interessierten Kreise Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und diese in zahlreichen Gesprä- chen und einem regen Postverkehr gegenüber mir und meinen Berichterstatter-Kollegen genutzt. Leider kam es diesbezüglich wiederholt zu inhaltlich falschen und un- sachlichen Beiträgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten wir nicht so hinnehmen. Genauso wie das BMWi verfolgen wir die andauern- den und zum Teil äußerst unsachlichen und persönlich diffamierenden Auseinandersetzungen innerhalb des Be- rufstands der Wirtschaftsprüfer mit Sorge. Im Rahmen der Rechtsaufsicht über die WPK und die APAK habe ich – oft gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Matthias Heider – stets und umfangreich den Dialog mit allen Vertretern des Berufsstands gesucht, insbesondere auch mit Verbandsmitgliedern der mittelständischen Wirt- schaftsprüfung. Dabei haben wir bei allen Beteiligten für sachorientierte Lösungen und eine konstruktive, zu- kunftsgerichtete Zusammenarbeit geworben. Wir erreichen mit diesem Gesetzentwurf, sehr verehr- te Kolleginnen und Kollegen, das Interesse der EU-Re- form insbesondere auch für die APAS und die WPK zu stärken. Für mich steht fest: Eine Schwächung und Be- schädigung der Abschlussprüferaufsicht hätte auch eine Schwächung der Finanzmarktaufsicht zur Folge und könnte die Finanzmarktstabilität und damit das Vertrauen der Unternehmen, Investoren und internationalen Finanz- märkte in das deutsche Aufsichtssystem gefährden – und damit letztendlich dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden. Hieran ist uns wirklich nicht gelegen. Klaus Ernst (DIE LINKE): Uns liegt heute das Ab- schlussprüferaufsichtsreformgesetz, APAReG, zur ersten Lesung vor, mit dem europäische Verordnungen für Ab- schlussprüfer und Prüfer von Unternehmen von öffentli- chem Interesse, PIE, umgesetzt werden sollen. Wir halten Reformen in diesem Bereich für überfäl- lig. Wir wissen, dass es bei vielen Wirtschaftsprüfern in Deutschland brodelt und es in ihren berufsständischen Organisationen nicht zum Besten steht. Auch halten wir die Aufsichtsstrukturen in der heutigen Form für unge- eignet, die Rechtsaufsicht durch die zuständigen Behör- den für vollkommen zahnlose Tiger. Sie werden den Auf- gaben in keinster Weise gerecht. Seit Jahren kommt Kritik aus dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer selbst. Strukturell ist der Prüfermarkt hochgradig konzentriert: 90 Prozent der 160 Unterneh- men aus DAX, MDAX, TecDAX und SDAX werden von den großen vier Gesellschaften betreut. Betreut heißt bis heute gleichzeitig beraten und geprüft! Das ist keine Fra- ge der Kompetenz, auch die EU-Kommission drängt seit Jahren vergeblich auf eine strikte Trennung von Beratung und Prüfung sowie effektive Kontrolle und Aufsicht. Das APAReG jedoch stellt diese Kardinalfehler nicht ab. Stattdessen werden bestehende Überregulierungen im Berufsrecht beibehalten und selbständige Wirtschafts- prüfer und kleine, mittelständische Prüfgesellschaften behindert. Für sie werden die Qualifizierungsanforde- rungen und andere bürokratische Hürden sogar erhöht. Hier zeigt sich konkret, was die immer in Sonntagsreden betonte mittelstandsfreundliche Politik der CDU/CSU im Alltag heißt. Ähnlich trist sieht es bei der SPD aus: Sie versucht nicht einmal, die massiven Ungleichgewichte zwischen den Big 4 und dem Rest abzubauen und die vermachteten Märkte aufzubrechen. Die Große Koaliti- on will sich ganz offensichtlich nicht mit PwC, KPMG, Deloitte und Ernst &Young anlegen. Warum auch? De- ren Vertreter haben leichten Zugang in die Ministerien, schreiben indirekt an Gesetzen mit oder werden als Be- rater bestellt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12757 (A) (C) (B) (D) Aber nicht nur in diesem Punkt versagt die Bun- desregierung mit dem APAReG. Medienberichte über Lobbyarbeit und Kungelrunden, wie sie zuletzt das HANDELSBLATT im Zusammenhang von Luxleaks im Juni 2015 beschrieben hat, sind eine Sache. Eine andere Sache ist die massive Kritik aus dem Berufsstand selbst und die unzureichende Lösung des massiven Streits durch die ministerielle Rechtsaufsicht. Sie wird von vie- len Wirtschaftsprüfern längst nicht mehr als unabhängig Kontrolle und möglicher Mediator wahrgenommen. Da hilft es überhaupt nicht weiter, die Problematik als die Angelegenheit einer kleinen Krawalltruppe frustrierter Wirtschaftsprüfer abzutun, die mit haltlosen Unterstel- lungen Stimmung machen will. Denn wie spätestens seit 2007 klar geworden sein sollte, sind trotz bester Prüfberichte und formal korrekter Bilanzprüfung reihenweise Banken, Versicherungen und Unternehmen über Nacht insolvent geworden. Die Steu- erzahlerinnen und Steuerzahler mussten für dieses Versa- gen von Wirtschaftsprüfer tief in die Tasche greifen. Selbstverständlich trägt der Berufsstand der Wirt- schaftsprüfer nicht allein die Schuld an zurückliegenden Bilanzskandalen und der Krise 2007/08. Viele in Wirt- schaft und Politik haben gleichermaßen versagt. Genau deshalb muss an vielen unterschiedlichen Stellen mit verschiedenen Instrumenten angesetzt werden. Nur so kann verhindert werden, dass dies noch einmal geschieht. Dafür aber müssen die richtigen Prioritäten gesetzt und Probleme schonungslos benannt werden. Hier liegt das Grundproblem des vorliegenden APA- ReG. Es sollen zwar die Qualität der Prüfungen und die Kontrolle verbessert werden. Aber wo liegen die Quali- täts- und Kontrollprobleme, und wer wird angesprochen? An allen großen Bilanzskandalen sind stets die großen Prüfungsgesellschaften mitbeteiligt gewesen. Falsche oder zu gute Testate pflastern den Weg bis in die Insol- venz! Aktuell wird die Kompetenzfrage auch im VW Skandal zu stellen sein. Denn auch hier gab es bis vor wenige Wochen nur beste Testate der bestellten Prüfge- sellschaft, obwohl auch ihr die Risiken und der mögliche Betrug lange bekannt gewesen sein dürften. Am Ende werden viele Testate keinen Pfifferling wert sein, und die Zeche müssen die Beschäftigten, die Steuerzahler und Kommunen zahlen. Eine in der Breite schlechte Qualität der Wirtschafts- prüfung der klein- und mittelständischen privaten wie öf- fentlichen Unternehmen gibt es dagegen nicht! Ähnlich sieht es auch die EU-Kommission, deren Vorgaben im APAReG nicht wirklich umgesetzt werden. Man konzen- triert sich lieber auf die rein formelle Qualität der Prü- fung und formuliert eine Reform zugunsten der Big 4. Es ist für uns nicht schlüssig, warum sich künftig alle Abschlussprüfungen an den Anforderungen von Un- ternehmen von öffentlichem Interesse, PIE, orientieren sollten. Der Aufwand für kleine und mittlere Praxen so- wie die weitere Standardisierung der Prüfung sind un- verhältnismäßig. Befördert wird damit der weitere Ver- drängungswettbewerb zugunsten weniger Prüfungs- und Beratungsgesellschaften. Das wiederum erschwert die Qualitätssicherung und deren Kontrolle. Teure Zertifi- zierungen, hoher bürokratischer Aufwand und der starke Bezug auf abzuhakende Checklisten stehen einer ver- nünftigen unabhängigen Prüfung entgegen. Wir begrüßen die Integration der Abschlussprüferauf- sichtskommission, APAK, in das Bundesamt für Wirt- schaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA. Die Beschränkung der Kontrolle des Bundes auf eine bloße Rechtsaufsicht allerdings widerspricht dem Demokratieprinzip. Zentral bleibt für uns, die bestehenden Interessenkonflikte trans- parent und offen darzulegen und abzustellen. Wir können die Kritik vieler Wirtschaftsprüfer ver- stehen, die uns in den letzten Wochen zum APAReG erreicht hat. Manches teilen wir ausdrücklich, insbe- sondere bei den berufsständischen Organisationen, den Kontroll gremien und vor allem der ministeriellen Rechtsaufsicht. Die Bundesregierung aber schweigt zu diesen Problemen. Wir hoffen, dass in der kommenden Anhörung im Wirtschaftsausschuss zum APAReG eini- ge Regeln zurückgenommen werden, sodass kleine und mittelständische Prüfgesellschaften gefördert werden und der Gesetzgeber endlich die wirklichen Probleme wahrnimmt und angeht. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu Beginn der Legislatur hat sich diese Koalition lautstark zu dem Ziel des Bürokratieabbaus insbesondere im Hin- blick auf die Vorgaben der EU bekannt. Außerdem soll gerade die mittelständische Industrie gefördert und von Vorgaben entlastet werden. Mit dem vorgelegten Gesetz- entwurf zur Reform der Abschlussprüferaufsicht können diese beiden – sehr wichtigen – Ziele nur ansatzweise umgesetzt werden. Gerade kleine und mittlere Wirtschaftsprüferkanzlei- en müssen nach dem Entwurf der Bundesregierung mit deutlich mehr Vorgaben rechnen, als sie die EU verlangt. Von einer Eins-zu-Eins-Umsetzung ist der Koalitionsent- wurf weit entfernt, obwohl exakt dies im Koalitionsver- trag geschrieben steht: „Wir wollen EU-Vorgaben ‚eins zu eins‘ umsetzen“, heißt es dort. Insbesondere die geplanten Änderungen an der Orga- nisation der Kammer werfen die Frage auf, warum das Bundeswirtschaftsministerium derart in die Struktur der Kammer eingreift und dort die Machtverhältnisse deut- lich in Richtung Präsident und Präsidium verschiebt. Der Kammerpräsident soll nach dem Regierungsentwurf Or- ganstellung erhalten, und die Mitglieder des Präsidiums für den Beirat der Kammer sollen stimmberechtigt wer- den. Dadurch ändern sich dort die Mehrheitsverhältnis- se der berufspolitischen Lager, und allein deswegen ist dieser Eingriff keine Kleinigkeit. Hier wird im Gesetz- gebungsverfahren zu klären sein, ob diese Maßnahmen, die weit über die EU-Vorgaben hinausgehen, zu rechtfer- tigen sind. Damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen Punkt: Im Laufe des Gesetzgebungsprozesses zur Re- form der Abschlussprüferaufsicht, aber auch zur Reform der Wirtschaftsprüferordnung, die parallel läuft, hat sich herausgestellt, dass die berufspolitischen Lager sehr zer- stritten sind. Ein Streitpunkt war und ist noch immer die Vergütung der Mitglieder der Abschlussprüferaufsichts- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512758 (A) (C) (B) (D) kommission. Bedingt durch eine hohe Intransparenz und Vorwürfe der Befangenheit stehen sich hier die Partei- en mit deutlich unterschiedlichen Positionen gegenüber. Was an dieser Stelle die einzige Lösung sein kann, ist mehr Transparenz. Nach dem Regierungsentwurf ist für die neu einzu- richtende Abschlussprüferaufsichtsstelle, APAS, für bestimmte Angestellte eine Entlohnung außerhalb des TVöD vorgesehen, um genug geeignetes Fachpersonal zu finden. Dies ist im Prinzip nicht anzugreifen, aber es muss sichergestellt sein, dass sich die Vergütungen im Rahmen halten, und dazu bedarf es einer angemessenen parlamentarischen Kontrolle. Dies gilt sowohl für das Gesamtbudget der APAS wie auch für die Vergütung der neuen Leitung der APAS. Budget und Gehaltsrahmen der Vorstände müssen für das Parlament, aber auch die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein und dürfen keinerlei Geheimhaltung unterliegen. Das Versteckspiel, das das Bundeswirtschaftsministerium aktuell in Bezug auf die Vergütung der Abschlussprüferaufsichtskommission ge- zeigt hat, ist kleinkariert und hat nur Vermutungen ins Kraut schießen lassen, dass die Vergütungen und Ent- schädigungen nicht angemessen sind. Wer etwas ver- steckt, darf sich über Kritik nicht beschweren. Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, ist die Qualitätskontrolle der Wirtschaftsprüfung. Diese Quali- tätskontrolle und daraus abgeleitet die Qualitätsprüfung für die Abschlussprüfung ist ein entscheidendes Ziel der Reform, gerade im Hinblick auf Wirtschaftsprüfungsleis- tungen, die angesichts teilweise dramatischen Manage- mentversagens – zu erwähnen ist hier etwa die Insolvenz der Sächsischen Landesbank – sicher hinterfragt wer- den müssen. Für die Prüfungen von Unternehmen von öffentlichem Interesse ist weiterhin die Abschlussprü- feraufsicht zuständig. Hier stellt sich für mich die Fra- ge: Wie kann wirksamer verhindert werden, dass es zu zweifelhaften Prüfergebnissen wie zur Zeit der Finanz- krise kommen kann? Damals wurden uneingeschränkte Testate ausgestellt trotz der Risiken, die in bestimmten Bankenbilanzen lauerten. Parallel dazu kann man sich auch fragen, ob bei der Überprüfung der VW-Bilanzen nicht schon eher auf das Risiko manipulierter oder zumindest überhöhter Abgas- werte hingewiesen hätte werden müssen. Schon 2014 gab es erste Hinweise und Ermittlungen seitens der US-Behörden. Aber diese Fälle zeigen die Bedeutung einer funktionierenden Aufsicht, insbesondere über die Prüfgesellschaften von Unternehmen mit sogenanntem öffentlichem Interesse. Ob die geplanten Veränderungen bei der Qualitäts- prüfung kleinerer Prüfgesellschaften sinnvoll sind, muss sich im Laufe des Gesetzgebungsprozesses noch klären. Die möglichen Sanktionen sollen ausgeweitet und die Kontrolle verschärft werden. Ob dies unter dem Ge- sichtspunkt des Bürokratieabbaus und der Verhältnismä- ßigkeit geboten ist, erscheint zumindest zweifelhaft. Zweifelhaft ist auch die Angliederung der Aufsicht an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. In der Vergangenheit hat dieses Amt keinerlei Erfahrung in der Berufsaufsicht sammeln können, und auch im Sinne der Transparenz erscheint die Schaffung einer eigenstän- digen Behörde sinnvoller. Das Anhängen an das BAFA scheint mehr die Flucht des Bundeswirtschaftsministe- riums vor der Verantwortung zu sein und erschwert zu- dem eine wirksame parlamentarische Kontrolle. Durch erstens mehr Transparenz und zweitens der Stärkung der Kompetenzen des Parlaments und seiner Mitglieder wäre die neue Aufsicht durchaus ein Fortschritt. Dies ist bisher durch den Regierungsentwurf nicht ersichtlich. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist gefordert, im weiteren Verfahren die offenen Fragen zu klären. Auch und besonders vor der Maßgabe, dass es sich um einen gespaltenen Berufsstand mit einer ho- hen Markt- und Machtkonzentration handelt, wird meine Fraktion genau darauf achten, wie die Reform der Ab- schlussprüferaufsicht am Ende aussehen wird. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 130. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Regierungserklärung zum Europäischen Rat TOP 5 Bewältigung der Flüchtlingskrise TOP 6 Abgasskandal bei Dieselfahrzeugen TOP 30, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 31 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 6 Beschlussempfehlung Vermittlungsausschuss TOP 25 Maritime Wirtschaft in Deutschland TOP 7 Nagoya-Protokoll - Zugang zu genetischen Ressourcen TOP 9 Milchmarkt TOP 8 Änderung des Atomgesetzes TOP 11 Gemeinsame europäische Grundwerte TOP 12 Änderung des SGB XII –Sozialhilfe- TOP 13, ZP 3 Wohnungsnot in Hochschulstädten TOP 10 Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie ZP 4 Lärmschutzregeln für Sportanlagen TOP 14 Bereinigung des Rechts der Lebenspartner TOP 16 Gesetz zur Bekämpfung der Korruption TOP 17 Unterhalts- und Unterhaltsverfahrensrecht TOP 18 Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz TOP 19 Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes TOP 20 Änderung des Batteriegesetzes TOP 21 Änderung des Bundeszentralregistergesetzes TOP 22 Änderung des Steuerabkommens mit Irland TOP 23 Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes TOP 24 Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813000000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich und möchte Ihnen vor Eintritt in
die Tagesordnung eine Vereinbarung zwischen den Frak-
tionen vortragen, zu der ich Sie um Ihre Zustimmung bit-
te. Es ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in
der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag
in Ankara

(siehe 129. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 30)


a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Einsetzung des 3. Untersuchungsausschus-
ses

Drucksache 18/6330
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen
– Völkerstrafprozesse in Deutschland vor-
anbringen

Drucksache 18/6341
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Federführung strittig

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes

(Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Gesetz

zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes

Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4164,
18/4189, 18/4514, 18/6370

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn (Tübingen), Kai Gehring, Sven-Christian
Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bund-Länder-Aktionsplan „Studentisches
Wohnen, Integration und soziale Infrastruk-
tur“ auflegen

Drucksache 18/6336

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter

(Tübingen)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzre-
geln für Sportanlagen den heutigen Anforde-
rungen anpassen

Drucksache 18/4329
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 5 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung
einer Speicherpflicht und Höchstspeicher-
frist für Verkehrsdaten

Drucksache 18/5088

 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht
und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten

Drucksache 18/5171






(A) (C)



(B) (D)


Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/6391
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des

Berichts des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz (6. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André
Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten
Drucksachen 18/4971, 18/6391

Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun-
gen, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Der Tagesordnungspunkt 5 f – hier geht es um den
Antrag mit dem Titel „Besonders gefährdete Flüchtlinge
in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunter-
künften besser schützen“ – soll heute abgesetzt werden.

Ebenso soll der Tagesordnungspunkt 15, der Antrag
zum Thema Sport und Fankultur, abgesetzt und statt-
dessen der Antrag auf Drucksache 18/4329 zum Thema
„Sport und Alltag verbinden“ aufgerufen werden.

Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkte-
liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.

Ich mache schließlich noch auf mehrere nachträgli-
che Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-
punkteliste aufmerksam:

Der am 25. September 2015 (125. Sitzung) überwiese-
ne nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) sowie
dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-
aktorsicherheit (16. Ausschuss) zur Mitberatung über-
wiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie

Drucksache 18/5922
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

Der am 25. September 2015 (125. Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem

(10. Ausschuss)


Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung
des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes
an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts

Drucksache 18/5923
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Der am 25. September 2015 (125. Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Innenausschuss (4. Ausschuss) zur Mitberatung über-
wiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Stärkung der pflegerischen Versorgung
und zur Änderung weiterer Vorschriften

(Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II)

Drucksache 18/5926
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Der am 24. September 2015 (124. Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss
für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur Mitbera-
tung überwiesen werden:

Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden),
Oliver Krischer, Matthias Gastel, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffende An-
gaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß
von PKW beenden
Drucksache 18/6070
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen ein-
verstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann
ist das so beschlossen.

Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 4 auf:

Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am
15./16. Oktober 2015 in Brüssel

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 77 Minuten vorgesehen. – Auch dazu sehe ich kei-
nen Widerspruch. Also verfahren wir so.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Frau Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1813000100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Der Zusammenhalt Europas
ist auch 58 Jahre nach Verabschiedung der Römischen
Verträge nicht selbstverständlich, sondern er ist ein kost-

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


barer Schatz. Er wird – auch das lehrt die Erfahrung der
letzten 58 Jahre – immer wieder auf die Probe gestellt,
manchmal sogar auf eine sehr harte Probe. Und doch ist
dieser Zusammenhalt Europas so wie damals vor 58 Jah-
ren auch heute unverzichtbar, um die drängenden Fragen,
denen wir gegenüberstehen, zu beantworten.

Denken wir dabei zunächst an die unverändert gro-
ße Aufgabe, die europäische Staatsschuldenkrise nicht
einfach irgendwie, sondern dauerhaft und nachhaltig zu
überwinden, also so, dass Europa nach der Krise stärker
ist als vor der Krise. Es ist erst wenige Wochen her, dass
die Lage in Griechenland uns alle in Atem hielt und täg-
lich die Hauptschlagzeilen prägte. Mittlerweile scheint
das fast schon Ewigkeiten zurückzuliegen. Dennoch
dürfen wir natürlich in unseren Bemühungen nicht nach-
lassen, die Reformprozesse in Europa auf der Grundlage
nationaler Eigenverantwortung und europäischer Solida-
rität fortzusetzen, vorneweg in den von der Krise ganz
besonders betroffenen Staaten.

Wir dürfen auch nicht nachlassen – da sind wir längst
nicht am Ende –, die Gründungsfehler der Europäischen
Wirtschafts- und Währungsunion zu beheben. Dazu
müssen wir weiter daran arbeiten, zum Beispiel die wirt-
schaftspolitische Koordinierung in Europa zu verbessern
und zu intensivieren. Denn die gemeinsame Währung
steht wie keine zweite Entscheidung des europäischen
Einigungsprozesses auch dafür, wie und wie stark wir
weltweit unsere Werte und Interessen behaupten können,
und dies gerade in einer Zeit schwierigster außen- und
sicherheitspolitischer Herausforderungen.

Das gilt ganz besonders mit Blick auf die Lage in
der Ukraine. Wir werden weiter an der Umsetzung der
Minsker Vereinbarung arbeiten, gemeinsam mit Frank-
reich – im Normandie-Format – und in enger Abstim-
mung mit unseren europäischen und transatlantischen
Partnern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu gehört auch, dass unser Vorgehen bei den gegen
Russland verhängten Sanktionen an die Umsetzung eben
genau dieses Minsker Abkommens gekoppelt ist und
bleibt.

Der seit September weitgehend eingehaltene Waffen-
stillstand, der begonnene Abzug schwerer und leichter
Waffen und ganz besonders die Absage der Wahlen bzw.
die Verschiebung des Wahltermins in den Gebieten der
Separatisten sind der Hoffnungsschimmer, der sich rea-
lisiert und von dem ich im Februar, als wir die Minsker
Vereinbarung abgeschlossen haben, gesprochen habe.
Ich spreche immer noch von einem Hoffnungsschim-
mer – nicht mehr, aber auch nicht weniger ist es –, aber
das bietet uns jetzt die Chance, endlich auch auf dem
Weg zu einer politischen Lösung voranzukommen. Der
unabdingbare Schlussstein von Minsk ist der vollständi-
ge Abzug aller sich illegal in der Ukraine aufhaltenden
Truppen und Söldner sowie die vollständige Kontrolle
der Ukraine über ihre eigene Grenze. Unser Ziel ist und

bleibt die Wiederherstellung der freien Selbstbestim-
mung der Ukraine und ihrer territorialen Unversehrtheit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, auf dem heute beginnen-
den Europäischen Rat werden wir auch über den weiteren
Prozess zum Referendum in Großbritannien sprechen.
Es versteht sich von selbst, dass wir dabei konstruktiv
mit der britischen Regierung zusammenarbeiten werden.
Das habe ich bei meinem Besuch am letzten Freitag auch
dem britischen Premierminister David Cameron noch
einmal zugesichert. Aber es versteht sich von selbst, dass
es Unverhandelbares gibt, dass es Errungenschaften der
europäischen Integration gibt, die nicht zur Disposition
gestellt werden können, wie etwa das Prinzip der Freizü-
gigkeit und das Prinzip der Nichtdiskriminierung. Auch
das habe ich natürlich deutlich gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt wird es vor allen Dingen an der britischen Seite
liegen, in den kommenden Wochen ihre inhaltlichen Vor-
stellungen noch einmal zu präzisieren. Ich bin überzeugt
davon, dass wir am Ende einen tragfähigen Kompromiss
finden können. Ich wünsche mir Großbritannien wei-
terhin als aktiven Partner in einer starken Europäischen
Union.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn gerade in Anbetracht der großen außen- und sicher-
heitspolitischen Herausforderungen, die wir zu meistern
haben, brauchen wir ein Europa, das näher zusammen-
rückt, statt ein Europa, das auseinanderdriftet.

Kein anderes Thema macht in diesen Tagen so deut-
lich, wie groß die Herausforderung ist, die Europa an-
gesichts der vielen Menschen zu bestehen hat, und wie
stark diese uns fordert. Deshalb müssen wir eine euro-
päische Antwort auf die Frage finden, wie Europa auf
Herausforderungen wie Krieg und Verfolgung in unserer
Nachbarschaft reagiert. Es ist nicht übertrieben, diese
Aufgabe als historische Bewährungsprobe Europas zu
bezeichnen. Es ist klar, dass die Bewältigung dieser Be-
währungsprobe nur gelingen kann, wenn wir parallel an
vielen Stellen und auf allen Ebenen ansetzen: national, in
den Kommunen, den Ländern, beim Bund genauso wie
in Europa und global in der Außen- und Entwicklungspo-
litik. Denn es gibt ihn nicht, den einen Schalter, den wir
zur erfolgreichen Bewältigung dieser Herausforderung
einfach umlegen könnten, und dann wäre es geschafft.

Abschottung im 21. Jahrhundert ist angesichts des
Internets ebenfalls eine Illusion. Sie wäre weder für
Deutschland noch für die Europäische Union als Gan-
zes eine vernünftige Alternative. Also: Nur gemeinsames
Handeln aller Ebenen ist der Weg, der den Anforderun-
gen unserer globalisierten und digitalisierten Zeit gerecht
wird und mit dem wir es schaffen werden, diese histori-
sche Bewährungsprobe zu meistern. In den letzten Wo-
chen haben wir hierbei einiges erreicht, jedenfalls viel

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


mehr als in vielen Monaten und Jahren zuvor. Denken
wir nur an das Sondertreffen der Staats- und Regierungs-
chefs am 23. April dieses Jahres, das keine wirklich weit-
reichenden Beschlüsse zustande gebracht hat. Damals
gab es umfangreiche Kritik. 800 Menschen waren im
Mittelmeer umgekommen. Nur wenig war als Schluss-
folgerung zu sehen.

National sind viele ganz zentrale innenpolitische
Maßnahmen in dem jetzigen Gesetzespaket enthalten,
das dem Bundestag heute zur Entscheidung vorliegt und
das in enger Abstimmung mit den Ländern erarbeitet
wurde. Ich möchte mich bei allen bedanken, die daran
mitgewirkt haben. Es zeigt, dass unser Land nicht nur
in Finanzkrisen schnell, flexibel und im Geiste des Mit-
einanders reagieren kann – Bund, Länder, Städte und
Gemeinden –, sondern dass wir, wenn es um alles geht –
auch um Kern und Inhalte unserer Grundwerte, also um
unsere deutsche und europäische Verfasstheit –, in der
Lage sind, zu handeln. Das ist eine gute Botschaft an die
Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich will hier nur die wesentlichen Stichworte nen-
nen, die unser Gesetzespaket vorsieht. Das sind die
Verpflichtungen des Bundes zur finanziellen Unterstüt-
zung der Länder und Kommunen, so die Einführung von
Pauschalbeträgen, die sich nach der Zahl der tatsächlich
aufgenommenen Personen und nach der Dauer der Be-
arbeitung der Anträge richten. Es sind die Förderung
des sozialen Wohnungsbaus, die Förderung bei der Be-
treuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die
Erleichterung des Zugangs zu Integrationskursen, zur
Sprachförderung und zum Arbeitsmarkt für Menschen
mit guter Bleibeperspektive und die Beschleunigung der
Verfahren für Menschen mit geringer Bleibeperspektive,
auch um sie anschließend deutlich schneller in ihre Hei-
matländer zurückführen zu können. Weiter sind es die
Einstufung von Albanien, Kosovo und Montenegro als
sichere Herkunftsstaaten, die laufende Verbesserung der
Ausstattung des Bundesamtes für Migration und Flücht-
linge, damit Asylanträge künftig schneller bearbeitet und
entschieden werden können. Die Verringerung der An-
reize, die dazu führen können, dass Menschen aus rein
finanziellen Gründen nach Deutschland kommen, bedeu-
tet beispielsweise, dass wir in den Erstaufnahmeeinrich-
tungen vor allem Sachleistungen zur Verfügung stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das waren einige der Punkte, die wir heute beschließen
werden und die wichtig und ein Beispiel für schnelles
Handeln sind.

So kann man sagen: Es ist Bund und Ländern gemein-
sam gelungen, ein gutes nationales Gesamtpaket zu ver-
einbaren, und ich werbe heute um Ihre Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage ganz offen: Sich zu enthalten, ist aus meiner
Sicht in einer solchen Frage keine Option, die den Men-
schen im Lande hilft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit diesem in kürzester Zeit erarbeiteten Paket ver-
bessern wir zum 1. November dieses Jahres, also in we-
niger als einem Monat, die Voraussetzung dafür, dass
diejenigen, die aus wirtschaftlicher Not zu uns kommen
und sich daher zu Unrecht auf unser Grundrecht auf Asyl
berufen, unser Land schneller als bisher wieder verlas-
sen, damit diejenigen, die tatsächlich vor Krieg und Ver-
folgung zu uns geflohen sind, sehr viel besser und effizi-
enter als bislang Hilfe von uns allen bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Bund und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
haben, glaube ich, durch die Entscheidung, gerade die
finanziellen Leistungen des Bundes zu erhöhen, deutlich
gemacht: Wir alle halten dies für eine nationale Kraftan-
strengung, für eine nationale Gesamtaufgabe. Und das ist
auch richtig so.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Gerade um denjenigen zu helfen, die länger bei uns
bleiben – wobei ich auch noch einmal darauf hinweisen
möchte, dass nach der Genfer Flüchtlingskonvention der
Aufenthaltsstatus für Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebie-
ten erst einmal auf drei Jahre beschränkt ist und dann ge-
schaut wird, ob sich die außenpolitischen Bedingungen
verbessert haben –, ist es wichtig, dass wir ein Gesetzes-
paket geschaffen haben, mit dem auch die Integration
schneller und besser stattfinden kann, und zwar auf der
Grundlage unserer Verfassung, auf der Grundlage unse-
rer Werte und auf der Grundlage unserer Gesetze.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, so wichtig, so richtig und
so unverzichtbar alle Maßnahmen unseres Gesetzpake-
tes auch sind – ihnen werden im Übrigen weitere folgen;
wir reden im Augenblick über die Umsetzung von zwei
EU-Richtlinien inklusive der Option eines Transitverfah-
rens im Landgrenzenbereich –, so richtig bleibt es, dass
all diese Maßnahmen auf nationaler Ebene bei weitem
nicht ausreichen werden, um die historische Bewäh-
rungsprobe zu bestehen, von der ich vorhin sprach. Dafür
braucht es mehr, und dafür braucht es vor allen Dingen
ein gesamteuropäisches Vorgehen. Ich habe dafür beim
letzten Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs am
23. September geworben, der Bundesinnenminister hat
das beim letzten Innenministertreffen am 8. und 9. Ok-
tober getan. Ich habe dafür in der vergangenen Woche
zusammen mit dem französischen Präsidenten François
Hollande im Europäischen Parlament geworben. Genau
dafür werde ich mich heute beim regulären Treffen des
Europäischen Rates mit aller Entschiedenheit einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Ganz konkret wird es heute in Brüssel darum gehen,
die Umsetzung der am 23. September getroffenen Be-
schlüsse zu überprüfen und, wo notwendig, neue Maß-
nahmen anzustoßen. Ich danke ausdrücklich dem Kom-
missionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der mehrere
konkrete Maßnahmenpakete vorgelegt hat, die wichtige
Schritte beinhalten und in die richtige Richtung weisen.

Wir erleben so direkt wie nie, dass in unserer globa-
lisierten Welt Kriege, Konflikte und Perspektivlosigkeit,
die es vermeintlich nur sehr weit von uns entfernt gibt,
immer häufiger bis vor unsere Haustüren gelangen. Die
wichtigste Ursache für die aktuelle Flüchtlingsbewegung
nach Europa ist und bleibt der Krieg in Syrien. Um die
Situation in diesem von Terror und Gewalt so furchtbar
gequälten Land zu stabilisieren und langfristig zu befrie-
den, brauchen wir natürlich einen Prozess des politischen
Dialogs, der auch Russland und andere internationale
Akteure, auch regionale Akteure, einbezieht.

Um auch das gleich zu sagen: All das braucht einen
langen Atem, vielleicht sogar einen sehr langen. Seit
Beginn des Bürgerkriegs in Syrien vor über vier Jahren
mussten wir erleben, dass viele Millionen Menschen
flüchten. Das ist einfach nur deprimierend. Wir müssen
auch konstatieren: Alle bisherigen diplomatischen Bemü-
hungen haben nicht den geringsten Erfolg gebracht, und
nichts – auch das will ich nicht verschweigen – macht
uns derzeit Mut, dass sich an der desolaten Lage des Lan-
des, dessen Menschen von Assad und IS gleichsam in die
Zange genommen werden, schon in allernächster Zeit et-
was Entscheidendes zum Guten wenden könnte.

Sollen wir es dann also gleich sein lassen? Sollen wir
erst gar nicht versuchen, weiterzumachen? Sollen wir
aufgeben? Nein, das kann keine vernünftige Option sein.
Deshalb wählen wir sie auch nicht. Wir wollen vielmehr
in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft
unseren ganz bescheidenen Teil dazu beitragen, dass der
Prozess eines politischen Dialogs in Gang gesetzt werden
kann. Dem diente die Reise des Bundesaußenministers
nach Kuwait, dem dient die Reise des Bundesaußenmi-
nisters in den nächsten Tagen nach Iran und Saudi-Arabi-
en, dem dient auch meine Reise in die Türkei.

Wir verstärken gleichzeitig unsere Bemühungen, im-
mer auch die Länder zu unterstützen, die im Moment den
weit überwiegenden Teil der Flüchtlinge aus Syrien bei
sich beherbergen und dies auch weiter tun werden. Das
sind allen voran die Türkei, der Libanon und Jordanien.
Diese Länder verdienen größte Anerkennung für die Hil-
fe, die sie für die Menschen leisten, die vor dem Bürger-
krieg in Syrien geflohen sind, und sie verdienen unsere
Unterstützung, meine Damen und Herren, und zwar ganz
konkret.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das verlangt, dass wir uns finanziell stärker als bis-
her engagieren. Deshalb haben wir auf dem Sondergip-
fel der Staats- und Regierungschefs am 23. September
dazu aufgerufen, den vor Ort tätigen Hilfsorganisationen
1 Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Die
EU-Institutionen haben rasch gehandelt. Im Eilverfahren

hat der Rat bereits zusätzlich 200 Millionen Euro aus
dem diesjährigen EU-Haushalt genehmigt; dem hat ges-
tern Abend auch das Europäische Parlament zugestimmt.
Im kommenden Jahr soll dann die humanitäre Hilfe aus
dem EU-Haushalt um zusätzliche 300 Millionen Euro
aufgestockt werden. Deutschland hat darüber hinaus sei-
nen eigenen Beitrag bereits um 100 Millionen Euro er-
höht. Und ich sage zu: Sollte sich herausstellen, dass die-
se Zusagen gerade mit Blick auf den anstehenden Winter
nicht ausreichen, um die Lebensmittelleistungen wieder
zu erhöhen, dann werden wir weitere Mittel einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Denn je besser es uns gelingt, menschenwürdige Bedin-
gungen und Lebensperspektiven in der Nähe der Hei-
matstaaten der Flüchtlinge wiederherzustellen, desto
weniger werden sich Menschen gezwungen sehen, den
gefährlichen Weg nach Europa auf sich zu nehmen.

Meine Damen und Herren, ohne Zweifel: Eine Schlüs-
selrolle in dieser Situation spielt die Türkei; denn mit
über 2 Millionen Schutzsuchenden trägt sie derzeit die
Hauptlast der Fluchtbewegung aus Syrien. Die meisten
Kriegsflüchtlinge, die in die Europäische Union kom-
men, reisen über die Türkei ein. Wir werden die Flücht-
lingsbewegung daher nicht ordnen und eindämmen
können, ohne mit der Türkei zusammenzuarbeiten. Das
beinhaltet, dass wir der Türkei für die Versorgung der
Flüchtlinge und für die humanitäre Hilfe größere Unter-
stützung zuteilwerden lassen. Das beinhaltet auch, dass
wir bei der Grenzsicherung und bei der Bekämpfung kri-
mineller Schlepperbanden zusammenarbeiten; denn es
ist nicht hinnehmbar, dass die schmale Meeresrinne, die
zwischen der türkischen Küste und den griechischen In-
seln und damit zwischen zwei NATO-Partnern liegt, im
Augenblick von Schleppern beherrscht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der Eu-
ropäischen Union und der Türkei hat die Europäische
Kommission einen Aktionsplan vorgelegt, den wir nun
rasch mit der Türkei vereinbaren müssen; gestern war der
stellvertretende Kommissionspräsident Timmermans in
der Türkei. Die Bundesregierung unterstützt diese Bemü-
hungen zusätzlich durch den deutsch-türkischen Migrati-
onsdialog, zu dem morgen die ersten Gespräche stattfin-
den werden. Ich werde am Sonntag nach Istanbul reisen,
um mit den Vertretern der Türkei über die Ergebnisse des
heute beginnenden Europäischen Rates zu sprechen.

Meine Damen und Herren, ich verstehe, dass manche
von uns besorgt sind, ob es Europa in den Beratungen
mit der Türkei gelingt, nicht nur aktuelle Interessen in
der Flüchtlingsfrage zum Ausdruck zu bringen, sondern
immer auch unsere Werte zu behaupten. Führen wir uns
dazu vor Augen: Mit der Türkei finden Verhandlungen
über den Beitritt zur Europäischen Union statt. Es gilt –
das ist selbstverständlich – das Prinzip: Pacta sunt ser-
vanda, Verträge werden eingehalten. Die Verhandlungen
der EU mit der Türkei werden ergebnisoffen geführt. Da-

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


ran hält sich die Bundesregierung, daran halte auch ich
mich.

In diesem Geiste habe ich in der Vergangenheit alle
meine Gespräche mit der Türkei geführt, und so wird es
auch am Sonntag wieder sein. Am Sonntag werden alle
Fragen – wie die Lage in Syrien, Visafreiheit, sichere
Herkunfts- und Drittstaaten, der gemeinsame Kampf ge-
gen Terrorismus und die Situation der Menschenrechte in
der Türkei – auf den Tisch kommen. Wir dürfen jedoch
nicht den Fehler machen, jetzt nur noch auf die Fluchtbe-
wegungen über die Türkei in Richtung Europa zu schau-
en, so wie wir, wenn wir ehrlich sind, im Frühling – also
noch vor wenigen Monaten, jedenfalls viel zu lange – nur
auf die Fluchtbewegungen über Italien in Richtung Nord-
europa geschaut haben.

In einer globalisierten Zeit müssen wir alles mit al-
lem im Zusammenhang betrachten. Deshalb werden wir
auch die Zusammenarbeit mit den vielen anderen Tran-
sit- und Herkunftsstaaten verstärken, insbesondere in
Afrika. Mitte November werden wir mit den dortigen
Partnerstaaten auf Malta zu einem EU-Afrika-Gipfel
zusammenkommen, von dem wir konkrete und spürba-
re Fortschritte erwarten; der Europäische Rat wird auch
dieses Treffen heute vorbereiten. Wir arbeiten darauf
hin, dass die Europäische Union 1,8 Milliarden Euro für
eine bessere Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika
zur Verfügung stellt. Dabei geht es um die Verbesserung
der wirtschaftlichen Perspektiven für die dort lebenden
Menschen, aber auch um die Stärkung der Kapazitäten
der afrikanischen Staaten im Kampf gegen kriminelle
Schlepperbanden.

Aber nun noch einmal zurück zur Europäischen Uni-
on: Dies umfasst auch, dass wir entschieden weiter dar-
an arbeiten müssen, die Lage an den Außengrenzen der
Europäischen Union besser in den Griff zu bekommen.
Mit der Entscheidung für Dublin haben wir die Kontrolle
im Wesentlichen an die europäischen Außengrenzen ver-
legt. Das war ein Vertrauensvorschuss, den wir gegeben
haben. Wir müssen heute konstatieren, dass diese Kon-
trolle an den Außengrenzen nicht funktioniert. Deshalb
muss sie stärker auf die europäische Gemeinsamkeit ge-
stellt werden, deshalb muss sie effektiver gemacht wer-
den, deshalb müssen wir Personal zur Verfügung stellen.
Die Kommission hat bis zu 1 100 Personen angefordert.
Gemeldet haben wenige Mitgliedstaaten, unter anderem
Deutschland, unter anderem Österreich; aber ich erwar-
te – das muss Ergebnis dieses Europäischen Rats sein –,
dass alle ihren Beitrag dazu leisten. Das ist selbstver-
ständlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dazu gehört, dass wir die europäische Grenzschutzagen-
tur Frontex stärken. Die Mitgliedstaaten müssen, wie
gesagt, ihr Personal entsenden. Frontex lebt davon, dass
Mitgliedstaaten Personal zur Verfügung stellen. Die Mel-
dungen sind enttäuschend; ich sagte es schon.

Dazu gehört, dass wir Hotspots einrichten. Die ersten
Arbeiten haben begonnen. An diesen Hotspots an der
Außengrenze sollen Flüchtlinge – das wissen Sie –, die
in Europa ankommen, unmittelbar untergebracht, regist-
riert und auf ihre Schutzbedürftigkeit überprüft werden.

Wir haben im Kreise der Staats- und Regierungschefs
vereinbart, dass die Hotspots bis Ende November voll
funktionsfähig sein sollen. Die ersten Einrichtungen – es
gibt wenige, aber es gibt immerhin Fortschritte – haben
inzwischen in Italien und Griechenland ihre Arbeit auf-
genommen. Deutschland trägt zum Aufbau der Hotspots
bei, indem wir Italien und Griechenland personell und
materiell unterstützen. Auch hier sage ich: Das wird nur
gelingen, wenn wir das als eine gesamteuropäische Auf-
gabe verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die sogenannten Hotspots sind sozusagen der Aus-
gangspunkt einer fairen Verteilung in Europa. Wir haben
nach kontroversen Diskussionen und auch einer kontro-
versen Abstimmung die Verteilung von 160 000 Flücht-
lingen beschlossen. Die Umsetzung dieses wichtigen
Beschlusses der Justiz- und Innenminister hat begonnen.
Ende letzter Woche wurden die ersten Flüchtlinge aus
Eritrea von Italien nach Schweden gebracht. Es werden
weitere folgen, die von Griechenland nach Luxemburg
gebracht werden.

Ich weiß, das ist nur ein erster, kleiner Anfang; aber
damit ist der Rahmen gesetzt. Seit dem Sondergipfel der
Staats- und Regierungschefs im September 2015 sind
hierzu wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht wor-
den. Ich bleibe unverändert – und das ist die Meinung
der ganzen Bundesregierung – davon überzeugt, dass wir
einen dauerhaften und verbindlichen Verteilungsmecha-
nismus in Europa benötigen, genauso wie ihn die Euro-
päische Kommission vorgeschlagen hat. Deshalb werden
wir weiter daran arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Da wird noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein;
aber wir werden nicht nachlassen.

Neben der fairen und solidarischen Verteilung ist ein
weiteres ganz wichtiges gesamteuropäisches Thema die
Rückführung von Menschen, die keinen Anspruch auf
Schutz in der Europäischen Union haben. Die Rückfüh-
rungsquote in der Europäischen Union lag im letzten Jahr
bei unter 40 Prozent. Das ist alles andere als zufrieden-
stellend; da müssen wir besser werden. Aber – ich habe
mir die Zahlen sehr genau angeguckt – Deutschland liegt
hier nirgends an der Spitze. Deshalb müssen vor allen
Dingen wir besser werden; unser nationales Maßnah-
menpaket trägt ja genau dazu bei.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe bereits im Europäischen Parlament gesagt,
dass das Dublin-Verfahren in der Praxis nicht funktio-
niert. Deshalb ist es gut und richtig, dass die Europäische
Kommission angekündigt hat, im Frühjahr kommenden
Jahres einen Vorschlag zur Änderung von Dublin vor-
zulegen. Wir werden uns auch mit eigenen Vorschlägen
daran beteiligen.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, die
Themen, die wir heute beim Europäischen Rat in Brüssel

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


besprechen werden, machen einmal mehr deutlich, wie
sehr wir ein Europa brauchen, das sich solidarisch ver-
hält, statt gesamteuropäische Herausforderungen zu Pro-
blemen einzelner Mitgliedstaaten zu erklären. Ein Euro-
pa, das in einer globalisierten Welt seiner Verantwortung
gerecht wird, weil es seine Werte und Interessen weltweit
behaupten will, das muss ein solidarisches Europa sein.
Alles andere wird scheitern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ein Europa, das diese Solidarität annimmt und auch
lebt das wird noch ein mühevoller Prozess; aber ich glau-
be, dass wir erfolgreich sein können , ein solches Europa,
das auf dieser Grundlage arbeitet, wird auch stärker aus
dieser Krise hervorgehen, als es in diese Krise hineinge-
gangen ist. Ich werde mich heute beim Europäischen Rat
dafür einsetzen und bitte um Ihrer aller Unterstützung.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rüdiger Veit SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813000200

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der

Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813000300

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau

Bundeskanzlerin! Es gibt Werte, die man mit Blick auf
die großen Traditionen von der Antike bis zur Aufklä-
rung mit gutem Grund und im besten Sinne als europäi-
sche Werte bezeichnen kann. Demokratie, Solidarität und
auch Gerechtigkeit gehören dazu. Wie wenig die Europä-
ische Union mit solchen Werten zu tun hat, zeigt sich in
der Flüchtlingskrise besonders krass. Europäische Einig-
keit besteht gegenwärtig eigentlich nur darin, mehr in die
Abschottung der EU-Außengrenzen zu investieren – ein
Konjunkturprogramm für die Stacheldrahthersteller und
für die Schleusermafia statt einer verantwortungsvollen
europäischen Flüchtlingspolitik.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für Europa.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Wo leben Sie eigentlich?)


Natürlich weiß jeder, dass die Lösung nicht darin
liegt, die vielen Millionen verzweifelten Menschen, die
weltweit auf der Flucht vor Krieg, vor Bürgerkrieg und
vor Terror sind,


(Zuruf von der CDU/CSU: Populismus!)


in die EU oder gar nach Deutschland zu holen. Aber ge-
rade deshalb wäre es endlich an der Zeit, über die Besei-
tigung von Fluchtursachen nicht nur zu reden, sondern
auch real etwas dafür zu tun, dass es auf dieser Welt

weniger Krieg, weniger Bürgerkrieg und weniger Terror
gibt.


(Beifall bei der LINKEN)


Sagen Sie jetzt nicht, das liege nicht in Ihrer Macht.
Die Vereinigten Staaten haben ihre Öl- und Gaskriege
immer mit Beteiligung europäischer Länder geführt.
US-Drohnen morden mit logistischer Unterstützung aus
Deutschland. Die Saudis führen ihren Krieg im Jemen
unter anderem mit deutschen Waffen. Es ist doch zutiefst
verlogen, über die Beseitigung von Fluchtursachen zu
reden und gleichzeitig die Waffenexporte ausgerechnet
nach Saudi-Arabien zu verdreifachen. So bekämpft man
Fluchtursachen nicht, sondern so macht man glänzende
Geschäfte mit ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb muss ich Ihnen sagen: Solange Sie Waffenex-
porte in Spannungsgebiete nicht endlich verbieten, ist
das ganze Gerede über die Bekämpfung von Fluchtursa-
chen vollkommen unglaubwürdig.


(Beifall bei der LINKEN)


Darüber hinaus brauchen wir endlich eine eigenstän-
dige europäische Politik gegenüber den Vereinigten Staa-
ten, gerade wenn sie sich als oberster Feldwebel dieser
Welt aufspielen und bomben und töten, wo immer es
ihnen passt. Ohne den Irakkrieg gäbe es den „Islami-
schen Staat“ nicht, der heute in Syrien wütet. Das jüngs-
te Kriegsverbrechen in Kunduz mit 22 zivilen Toten,
Ärzten und Patienten zeigt erneut den ganzen Zynismus
dieser angeblichen Antiterrorkriege. Genau diese Kriege
mit ihren Tausenden zivilen Opfern sind es doch, die den
Hass säen, auf dem der islamistische Terror gedeiht.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb unterstützen wir es durchaus, dass Sie, Frau
Merkel, eben noch einmal für eine politische Lösung für
Syrien plädiert haben. Ich denke, es gibt keinen anderen
Weg. Auch der IS, der sich in Städten mit Tausenden zi-
vilen Einwohnern versteckt, lässt sich nicht mit Bomben
stoppen, und zwar weder mit amerikanischen noch mit
russischen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn man den IS stoppen will, dann muss man ihn
von Waffenlieferungen und Finanzen abschneiden. Eines
der Länder, die in der Vergangenheit genau das Gegenteil
getan haben und immer noch tun, die den IS also direkt
und indirekt unterstützt haben, ist allerdings die Türkei,
und ausgerechnet die soll jetzt unser großer Partner in der
Flüchtlingskrise werden, ausgerechnet Erdoğan, der sein
eigenes Land durch die Aufkündigung des Friedenspro-
zesses mit den Kurden an den Rand eines Bürgerkrieges
führt.


(Unruhe)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813000400

Einen Augenblick, Frau Wagenknecht. – Ich darf so-

wohl auf der Regierungsbank als auch im Plenum um ein
gewisses Maß an Aufmerksamkeit bitten.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Thomas Oppermann [SPD])



Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813000500

Vielen Dank. – Wie gut die Türkei zum sicheren Dritt-

staat taugt, hat der furchtbare Anschlag mit über 100 To-
ten am letzten Wochenende gezeigt. Ich finde, es ist eine
humanitäre Bankrotterklärung, mit einem Regime zu
paktieren, das Journalisten, Kurden und Gewerkschafter
verfolgt.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Merkel, sagen Sie deshalb Ihre Türkei-Reise ab.
So kurz vor den Wahlen ist sie nichts anderes als direkte
Wahlkampfhilfe für Erdoğan.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Kein Pakt mit Erdoğan!)


Natürlich ist es wichtig, dass die Lager vor Ort, in de-
nen sich ungleich mehr Flüchtlinge aufhalten als in der
gesamten EU, besser ausgestattet werden. Das erreichen
wir aber doch nicht dadurch, dass wir uns für Erdoğans
Machtpolitik einspannen lassen,


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Richtig!)


sondern indem wir Hilfsorganisationen wie die Welter-
nährungsorganisation der UN besser ausstatten, damit sie
ihre Aufgaben dort erfüllen können.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich muss sagen: Sie können doch nicht im Ernst glau-
ben, dass Sie mit einer zusätzlichen Milliarde, die die EU
jetzt in Aussicht gestellt hat, die Lebensbedingungen von
etwa 10 Millionen Flüchtlingen, die es derzeit in und um
Syrien gibt, wirklich verbessern können. Wer so etwas
erzählt, der ist doch einfach unseriös.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Inzwischen ist davon auszugehen, dass in diesem Jahr
über 1 Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Die Willkommenskultur, die große Teile der Bevölke-
rung in den letzten Wochen und Monaten an den Tag ge-
legt haben, ist wirklich bewundernswert. Es ist jetzt aber
auch langsam an der Zeit für eine Verantwortungskultur
der Politik, und zwar vor allem der Bundespolitik,


(Beifall bei der LINKEN)


die damit beginnen muss, dass man sich den vorhande-
nen Problemen stellt, statt sie kleinzureden.

Die hundertste Wiederholung Ihres „Wir schaffen
das“, Frau Bundeskanzlerin, hilft dem Bürgermeister
einer Gemeinde unter Haushaltsnotstand, der eine win-
terfeste Unterbringungsmöglichkeit für die Flüchtlinge

braucht und schon überlegt, in welchen anderen Berei-
chen er dafür kürzen muss, nicht. Wir erleben zurzeit
doch ein eklatantes Staatsversagen, und jetzt rächt es
sich, dass die politischen Weichen in diesem Land seit
vielen Jahren in die falsche Richtung gestellt wurden.

Es ist doch nicht erst seit dem Zuzug der Flüchtlin-
ge so, dass bezahlbarer Wohnraum gerade für diejenigen
fehlt, die kein dickes Portemonnaie haben. Das ist seit
vielen Jahren so. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass
die Kommunen durch Steuersenkungen für Reiche und
Unternehmen finanziell ausgehungert wurden, sodass
viele unter diesem Druck eben ihren Wohnungsbestand
verkauft haben. Das ist doch eine Realität.

Genauso ist es nicht erst seit dem Zuzug der vielen
Flüchtlingskinder so, dass in diesem Land Lehrer fehlen.
Schon seit vielen Jahren werden Lehrerstellen abgebaut,
weil die Verkleinerung des öffentlichen Dienstes natür-
lich immer das leichteste Mittel ist, um im Korsett der
Schuldenbremse klarzukommen.

Einige von Ihnen reden hier von Leitkultur, aber Sie
schaffen es noch nicht einmal, zu verhindern, dass wegen
des Lehrermangels immer mehr Deutschstunden ausfal-
len und viele Kinder die Schule verlassen, ohne jemals
einen Zugang zu Thomas Manns Der Zauberberg oder
Goethes Faust gefunden zu haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieses Bildungselend, die Wohnungsnot und auch
den riesigen Niedriglohnsektor gab es schon, bevor die
Flüchtlinge kamen, aber natürlich werden diese Proble-
me jetzt ins Extremste verschärft. Die Stimmen, die den
ohnehin schon lückenhaften Mindestlohn weiter aufwei-
chen wollen, werden immer lauter. Das heißt, die Zu-
wanderung soll jetzt auch noch für Lohndumping miss-
braucht werden. Ich finde das unerträglich. Das muss
verhindert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen stattdessen dringend bessere Sicherun-
gen gegen Lohndrückerei. Wir brauchen ein groß ange-
legtes öffentliches Wohnungsbauprogramm. Wir brau-
chen eine massive Aufstockung der Bildungsausgaben.
Wer jetzt immer noch meint, dieses Problem ließe sich
dadurch lösen, dass man die Budgets ein bisschen um-
schichtet, der hat, finde ich, den Ernst der Lage nicht be-
griffen.

Natürlich können wir es schaffen. Deutschland ist ein
reiches Land. Aber dann muss man eben auch den Mut
haben, sich das Geld bei den Reichen zu holen und nicht
bei den Armen.


(Beifall bei der LINKEN)

Allein die 500 reichsten Familien in Deutschland haben
ein Privatvermögen in Höhe von über 600 Milliarden
Euro. Die zehn reichsten Familien kassieren zusammen
Dividenden in Höhe von 2,4 Milliarden Euro im Jahr.

Aber statt solch unverschämten Reichtum höher
zu besteuern, lassen Sie es zu, dass die Kosten für die
Flüchtlinge als Argument dafür herhalten müssen, war-
um wir unsere Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas






(A) (C)



(B) (D)


nicht ordentlich bezahlen können. Sie lassen es zu, dass
Mietern in kommunalen Wohnungen gekündigt wird, um
Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Wissen Sie nicht,
was Sie damit anrichten?

Frau Merkel, Sie haben mehrfach Ihre Aussage wie-
derholt, dass Sie Menschen in Notsituationen ein freund-
liches Gesicht zeigen wollen. Aber ganz abgesehen
davon, dass das freundliche Gesicht mit den geplanten
Internierungslagern an der Grenze zu einer ziemlich
hässlichen Grimasse zu werden droht,


(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss fragen sich auch viele: Wo war und wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber Menschen in Notsituationen hier im Land? Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber denen, die von Jobcentern gedemütigt und in miese Billiglohnjobs gedrängt werden? (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


(Wesel I) [CDU/CSU]: Ach!)


Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber der alleiner-
ziehenden Mutter, die ihre Kinder nur noch dank des An-
gebots der Tafeln satt bekommt?


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD)


Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber der wachsen-
den Zahl von Menschen, denen nach einem langen Ar-
beitsleben Armut im Alter droht?


(Sabine Weiss leben Sie eigentlich?)


All diese Notsituationen lassen Sie seit vielen Jahren
zu – mit einem ziemlich ungerührten Gesicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich erinnere Sie daran, wie viel Geld Sie über Nacht
bereitgestellt haben, als deutsche Banken ins Taumeln
gerieten. Heute taumeln in Deutschland Städte und Ge-
meinden, aber Sie hantieren mit Kleinbeträgen.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage Ihnen: Wer selbst von Zukunftsangst gequält
wird, der ist selten bereit, anderen mit offenen Armen
eine Perspektive zu bieten.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui!)


Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr, statt zuzu-
lassen, dass AfD, Pegida und Co. dort ernten gehen, wo
Sie Spannungen und Überforderung gesät haben,


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui!)


sonst – das muss ich Ihnen sagen – wird mir angst und
bange, wenn ich daran denke, wie dieses Land in ein oder
zwei Jahren aussehen wird.


(Beifall bei der LINKEN – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Beleidigung der Menschen ohne Geld!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813000600

Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1813000700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte

Frau Wagenknecht, auch in Ihrer ersten Rede als neu ge-
wählte Fraktionsvorsitzende ist es Ihnen nicht gelungen,
mich mit Ihren Ausführungen zu überzeugen.


(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Oberlehrer!)


Ich möchte Ihnen trotzdem zu Ihrer Wahl gratulieren.
Viele Menschen verändern sich, wenn sie ein solches
Amt ausüben. Das wünsche ich auch Ihnen von ganzem
Herzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, auf dem heutigen Europä-
ischen Rat müssen die Staats- und Regierungschefs den
nächsten großen Schritt zur Bewältigung der Flüchtlings-
krise gehen. Diese Krise kann Deutschland auch zusam-
men mit Österreich und Schweden nicht allein bestehen.
Dazu brauchen wir die Hilfe von ganz Europa.

Finanzminister Wolfgang Schäuble hat aus italieni-
schen und französischen Zeitungen zitiert, Deutschland
habe mit seiner Entscheidung, die Flüchtlinge aus Un-
garn aufzunehmen, die Ehre Europas gerettet. Es ist gut,
dass uns die Aufnahme von Flüchtlingen überall viel
Respekt einbringt, aber nach meinem Verständnis ist es
nicht die Aufgabe Deutschlands, Europas Ehre zu retten.
Europa kann seine Ehre nur selber retten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein erster Schritt dazu war der Beschluss über die Ver-
teilung von 120 000 Flüchtlingen und die Errichtung von
Hotspots in Griechenland und Italien. Dem müssen jetzt
weitere Schritte folgen. Das heißt für mich zuallererst:
Europa muss an vorderster Stelle stehen, wenn es darum
geht, die Fluchtursachen zu beseitigen. Viele Menschen
fliehen zu uns, weil es in den Flüchtlingslagern im Nahen
Osten nicht mehr genug zu essen gibt. Das können wir
schnell ändern. Wir müssen den Ländern, die den größten
Teil der Flüchtlinge aufnehmen, mit aller Kraft helfen.

Ich möchte Frank-Walter Steinmeier danken: Auf-
grund seiner Initiative wurde in New York vereinbart,
dass die Etats des Welternährungsprogramms und des
UN-Flüchtlingshilfswerks um 1,8 Milliarden Dollar auf-
gestockt werden. Das ist ein guter Anfang.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Sahra Wagenknecht






(A) (C)



(B) (D)


Aber ich finde, auch die EU muss mehr Mittel mobilisie-
ren, als es auf dem letzten Gipfel vereinbart wurde.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Das geht allerdings nur, wenn die EU ihren Haushalt auf
den Prüfstand stellt. Er scheint mir völlig aus der Zeit
gefallen zu sein. Man kann ihm in keiner Weise ansehen,
dass sich diese Welt total verändert hat. Im Jahr 2016 gibt
die Europäische Union 150 Milliarden Euro aus, 40 Pro-
zent davon für Agrarsubventionen. 34 Prozent fließen in
die Strukturfonds. Für Migration und Entwicklungshilfe
gibt es dagegen nur Kleckerbeträge.

Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Haus-
halt, der der weltpolitischen Rolle und Bedeutung Euro-
pas gerecht wird, und das heißt für mich: mehr Geld für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und mehr Geld für die
Bewältigung der Flüchtlingskrise.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Eine andere Handelspolitik der EU!)


Die zweite große Aufgabe Europas ist die Sicherung
der europäischen Außengrenzen. Die Freizügigkeit bzw.
die Reisefreiheit, um die uns viele Menschen in der gan-
zen Welt beneiden, wird nur dann erhalten bleiben, wenn
es gelingt, die EU-Außengrenzen zu sichern. Wenn die
EU-Außengrenzen offen bleiben, wird Schengen fallen,
und das müssen wir unbedingt verhindern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sichere Außengrenzen bedeuten keineswegs die Ab-
schottung von Europa. Ganz im Gegenteil: Deutschland
wird auch in Zukunft viele Flüchtlinge aufnehmen. Aber
das muss in einem geordneten Verfahren geschehen, an
dem sich alle Länder Europas beteiligen.

Mittelfristig brauchen wir ohnehin ein europäisches
Asylverfahren, ein Verfahren, in dem nicht nationale,
sondern europäische Gerichte entscheiden. Wir brauchen
gemeinschaftliche europäische Standards für Asylbewer-
ber. Denn das, was wir derzeit erleben, ist die Nationa-
lisierung des Asylrechts. Das überfordert einige wenige
Länder, und das spaltet am Ende ganz Europa.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für eine bessere Flüchtlingspolitik brauchen wir die
Kooperation mit der Türkei. Wir alle wissen, dass die
Ausgangslage nach dem furchtbaren Terroranschlag in
Ankara und nach dem Kriegseinsatz Russlands in Syrien
nicht einfacher geworden ist. Trotzdem müssen wir mit
allen Beteiligten reden. Daran führt kein Weg vorbei.

Ich finde es richtig, dass die Bundeskanzlerin am
Sonntag in die Türkei fährt, und ich bin sicher – das hat
sie eben auch klargemacht –, dass sie dort auch die rich-
tigen Worte findet. Nur eine rechtsstaatliche und demo-
kratische Türkei kann ein starker Partner für Europa sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die ersten Reaktionen
der Deutschen auf die vielen Flüchtlinge waren offene
Herzen und Optimismus. Fast jeder zweite Deutsche hat
mittlerweile entweder für die Flüchtlinge gespendet oder
ist in irgendeiner Weise selbst aktiv geworden. Das ist
das größte zivilgesellschaftliche Engagement, das wir in
unserem Land je erlebt haben. Dafür möchte ich allen,
die dabei mitgemacht haben, ganz herzlich danken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber neben diesem anhaltenden Engagement haben
sich auch viele Ängste und Sorgen in der Mitte unserer
Gesellschaft entwickelt. Und die müssen wir ernst neh-
men.

Ich war in der vergangenen Woche mit den Kollegen
Jürgen Trittin und Fritz Güntzler bei einer Bürgerver-
sammlung in Friedland. In Friedland leben im Augen-
blick auf 700 Plätzen 3 000 Flüchtlinge. Zu dieser Bür-
gerversammlung kamen 450 Menschen. Die haben ihre
Sorgen auf den Tisch gepackt. Da war von Überforde-
rung die Rede, von Müll auf den Straßen, von Bedro-
hungssituationen und Regelverletzungen.


(Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


Ich bin aber am Ende trotzdem optimistisch aus dieser
Veranstaltung herausgegangen; denn es gab überhaupt
keine Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit. Und das Er-
gebnis spricht am Ende auch für sich. Der Bürgermeis-
ter hat zugesagt, dass er die Straßenlaternen nachts nicht
mehr abdimmt. Das stärkt das subjektive Sicherheitsge-
fühl. Die Polizei hat zugesagt, dass sie die Präsenz im
Lager erhöht, sodass sie bei Konflikten schnell eingreifen
kann. Und wir waren uns alle einig, dass wir Flüchtlin-
ge mit Sprachkenntnissen und sozialer Kompetenz viel
stärker in die Flüchtlingshilfe einbinden müssen. Was ich
sagen will, ist: Man kann etwas gegen Ängste unterneh-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir dürfen die Menschen nicht wegen ihrer Ängste ab-
stempeln. Wir dürfen die Probleme nicht verschweigen,
sonst wenden sich die Bürger von der Politik ab und ge-
hen zu Pegida. Und das müssen wir unbedingt verhin-
dern, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das Motto „Wir schaffen das“ ist ein guter Appell an
die ehrenamtlichen Helfer; aber der Satz darf jetzt keine
bloße Durchhalteparole werden. Jetzt muss der Staat sei-
ne Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Vom „Wir
schaffen das“ müssen wir jetzt übergehen zum „Wir ma-
chen das“. Das erwarten die Menschen von uns.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin deshalb froh, dass wir heute gemeinsam ein
Asylpaket verabschieden werden. Dazu gibt es – und
das ist gut – in beiden Koalitionsfraktionen Entschei-
dungen ohne Gegenstimmen. Wir sind uns einig, dass

Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


die Flüchtlinge mit Bleiberecht schnell integriert und die
ohne Bleiberecht schnell zurückgeführt werden sollen.
Wir sind uns einig, dass die Geschwindigkeit, mit der die
Flüchtlinge zu uns kommen, deutlich verringert werden
muss. Auch wollen wir bessere Kontrollen an der Gren-
ze. Aber Grenzhaftlager für Tausende von Flüchtlingen
werden mit uns nicht zu machen sein.


(Beifall bei der SPD)


Davon bin ich genauso wenig überzeugt wie von der
Idee, ausgerechnet den integrationswilligen Asylbewer-
bern die Sozialhilfe zu kürzen.

Im Übrigen glaube ich, dass es uns im Augenblick
nicht hilft, wenn wir jeden Tag eine neue Idee zur Dis-
kussion stellen. Wir sollten uns vielmehr darauf konzen-
trieren, das, was wir beschlossen haben, auch tatsächlich
umzusetzen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas Strobl Um das zu schaffen, war es richtig, dass die Bundeskanzlerin die Flüchtlingsfrage zur Chefsache gemacht und Peter Altmaier als Gesamtkoordinator bestellt hat. Seine wichtigste Aufgabe ist es, vor dem Wintereinbruch dafür zu sorgen, dass alle Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf bekommen, dass wir in diesem Winter keine Obdachlosigkeit von Flüchtlingen in Deutschland haben. Das ist eine große Herausforderung. Dafür wünsche ich ihm ganz persönlich eine glückliche Hand. Die noch viel größere Herausforderung ist aber natürlich die Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen mit Bleiberecht. Das ist keine Frage des Krisenmanagements, sondern eine Daueraufgabe für die nächsten 10 oder 15 Jahre. Sie wird die Politik in Deutschland grundlegend verändern. Ich will das an drei Beispielen aufzeigen: Das erste Beispiel bezieht sich auf den Bereich Bildung. Schätzungen zufolge kommen allein in diesem Jahr 325 000 schulpflichtige Kinder nach Deutschland. Aufgrund der seit Jahren sinkenden Schülerzahlen haben die Länder in erheblichem Umfang Schulkapazitäten abgebaut. Ich würde es als einen ganz schweren Fehler ansehen, wenn wir jetzt die zusätzlichen Schüler aufnehmen, indem wir die Klassen vergrößern und am Ende die Unterrichtsqualität für alle Schülerinnen und Schüler im Lande verschlechtern. Das darf nicht passieren, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


(Beifall bei der SPD)


Deshalb brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche
Kraftanstrengung.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, machen!)


Das werden die Länder allein nicht bewältigen können.
Ich sage ganz klar: Mit dem Kooperationsverbot betref-
fend Bund und Länder wird das auch nicht gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihr habt doch zugestimmt!)


Wenn wir sagen: „Wir brauchen eine Verantwortungsge-
meinschaft von Bund, Ländern und Kommunen bei der
Integration“, dann passt ein Kooperationsverbot dazu in
keiner Weise. Die beiden Dinge gehören nicht zusam-
men.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich glaube, dass die Flüchtlingskrise auch eine große
Chance bietet, den Reformstau in diesem Land anzuge-
hen, nicht nur bei der Bildung, sondern auch in anderen
Bereichen. Wir dürfen keine Angst vor den Kosten der
Integration haben. Deutschland hat nach Japan die äl-
teste Bevölkerung aller Industrieländer. 50 Prozent der
Flüchtlinge sind jünger als 25 Jahre. Das ist eine riesige
Chance. Deshalb muss diese Krise auch genutzt werden,
Probleme zu lösen, die wir sonst nur hätten schwer lösen
können.


(Beifall bei der SPD)


Zweites Beispiel: Wohnen. Wohnungsnot hatten wir
schon, bevor die vielen Flüchtlinge gekommen sind. Nun
kommt zu der alten Wohnungsnot in den Ballungszent-
ren die neue Wohnungsnot der Flüchtlinge hinzu. Jetzt
stellen wir fest: Wir müssen beides angehen. Wir werden
praktisch durch die Flüchtlinge gezwungen, auch die alte
Wohnungsnot zu beseitigen, und zwar in einer viel hö-
heren Geschwindigkeit, als wir uns das bisher gedacht
haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Als das Frau Wagenknecht gesagt hat, hat sich bei Ihnen keine Hand gerührt!)


Jedem ist klar, dass wir schnell handeln müssen. Die
Flüchtlinge können nicht jahrelang in Notunterkünften
belassen werden; das wäre ein sozialer Sprengsatz. In
Notunterkünften kann Integration nicht gelingen. Klar ist
aber auch: Beim Wohnungsbau müssen wir darauf ach-
ten, dass es keine Konkurrenz zwischen Flüchtlingen und
Mietern gibt, die schon lange eine bezahlbare Wohnung
suchen.


(Beifall bei der SPD)


Mein letzter Punkt. Integration kann nur gelingen,
wenn die Neuankömmlinge unsere Grundwerte und Re-
geln kennen und akzeptieren. Deshalb haben wir die ers-
ten 19 Artikel des Grundgesetzes in arabische Sprache
übersetzen lassen und verteilen sie in Flüchtlingswohn-
heimen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie schön! Die sollen doch Deutsch lernen!)


Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


verbunden mit der Aufforderung, mit uns ins Gespräch
zu kommen. Die Menschenrechte, die Gleichberech-
tigung von Männern und Frauen sowie Religions- und
Meinungsfreiheit, all diese Rechte gelten ohne Wenn und
Aber. Nur wer das akzeptiert, kann einen Platz in unserer
Gesellschaft finden.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin übrigens optimistisch, dass das den meisten
gelingen wird; denn die meisten Flüchtlinge sehnen sich
nach einem Leben in Freiheit, nach einem Leben ohne
korrupte Verwaltung und nach einem Leben ohne reli-
giöse Fanatiker; davon haben sie bislang genug kennen-
gelernt. Aber die Werte sind nicht nur für die Flücht-
linge verbindlich, und Ordnung brauchen wir nicht nur
an unseren Grenzen, sondern auch in der Mitte unserer
Gesellschaft. Zur Wirklichkeit in unserem Land gehört
leider, dass Flüchtlingsheime brennen, Andersdenkende
verfolgt werden sowie rassistische und rechtsextreme
Hassbotschaften im Internet verbreitet werden. Ich fin-
de es unerträglich, dass hierzulande Bürgermeister und
Land räte mit Gewalt bedroht werden, nur weil sie sich
um Flüchtlinge kümmern.


(Beifall im ganzen Hause)


Ganz schlimm finde ich die Radikalisierung der Pegi-
da-Bewegung in Erfurt und Dresden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Heribert Prantl hat in der Süddeutschen Zeitung zu Recht
geschrieben: „Die Hetze auf der Dresdener Pegida-De-
mo ist der Begleitchor zu den Gewalttaten gegen Flücht-
lingsunterkünfte.“


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich meine, dass die Polizei nicht dulden darf, wenn bei
solchen Demonstrationen zu Straftaten aufgerufen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Die Bürgerinnen und Bürger dürfen bei all den Tur-
bulenzen und Verwerfungen, die jetzt auf uns zukommen
mögen, nicht das Gefühl haben, dass wir die staatliche
Ordnung preisgeben und darauf verzichten, die Schwä-
cheren in dieser Gesellschaft zu schützen; darauf müssen
wir achten. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813000800

Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin Göring-

Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
In der vergangenen Woche haben Sie, Frau Bundeskanz-
lerin, etwas Richtiges getan. Sie haben die Flüchtlings-
politik zur Chefinsache gemacht; das ist konsequent,

nachdem Sie nicht als Beschwörung, sondern aus Über-
zeugung gesagt haben: „Wir schaffen das“, während Ihr
Innenminister weiterhin den Eindruck erweckt hat: Ich
will es gar nicht schaffen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit! Lächerlich!)


In Zeiten, in denen jeder Landrat schnelle Unterstüt-
zung braucht, macht sich ein Innenminister Gedanken
darüber, warum Flüchtlinge eigentlich noch Geld für ein
Taxi haben. Ich will Ihnen das sehr klar sagen: Wenn je-
mand, nachdem er zwischen 1 000 und 5 000 Euro für
fünf, sechs, sieben, acht oder neun Schlepper bezahlt hat,
hier ankommt und weiß, dass hier seine Familie oder Ver-
wandte oder Freunde wohnen, zu denen er gehen könnte,
dann hat er wahrscheinlich in der Not und in der Hoff-
nung auf Sicherheit auch noch die Euros, um mit dem
Taxi durch Deutschland zu fahren. So eine Diffamierung
halte ich für Stimmungsmache, die uns in dieser Situati-
on überhaupt nicht hilft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das gilt auch für Sie, Herr Schäuble, der Sie der Mei-
nung waren, man sollte doch jetzt bitte einmal die Unter-
stützungsleistung für die Flüchtlinge, die eine Integration
wollen und die bei uns Deutsch lernen wollen, kürzen.
Sie wissen genau, dass das verfassungsrechtlich gar nicht
geht. Deswegen auch hier: Warum solche Stimmungsma-
che? Wofür ist sie eigentlich notwendig, meine Damen
und Herren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Wagenknecht, eines kann ich Ihnen nicht erspa-
ren: Auch nachdem Sie heute, für mich zum ersten Mal
hörbar, Herrn Putin kritisiert haben, muss ich Ihnen leider
sagen, dass es mich aufregt, dass Sie hier eine Feststel-
lung nach dem Motto treffen: Wer in Deutschland arm
ist, wird auch schnell rechtsextrem. – So geht es nicht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das hat sie überhaupt nicht gesagt!)


Ich kenne ganz viele Menschen in Deutschland, die
verdammt wenig Geld haben, die aber helfen, helfen,
helfen. Nein, es geht darum, Zusammenhalt in der Ge-
sellschaft zu schaffen, und nicht darum, Stimmung gegen
andere zu machen und die einen gegen die anderen auf-
zubringen. Das gilt für alle Seiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde: Ja, wir müssen uns Gedanken um die Sorgen
der Bürgerinnen und Bürger machen, wir alle gemein-
sam. Aber wir sollten nicht Ängste und Neid verstärken.
Wir sollten doch Zutrauen ausstrahlen. Gerade die Union
sollte Zutrauen ausstrahlen. Mich wundert es sehr, dass
die CDU/CSU ausgerechnet in dem Moment in eine Iden-
titätskrise gerät, in dem auf der einen Seite christliche
Werte und auf der anderen Seite ökonomische Interes-

Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


sen zusammenkommen. Empathie und Ökonomie – das
könnte doch Ihre Stunde sein. Kommen Sie doch heraus
aus der Angstecke. Nehmen Sie es in die Hand, und sa-
gen Sie mit Überzeugung und mit Engagement, von mir
aus sogar mit Enthusiasmus: Ja, wir machen jetzt Politik,
und wir kriegen das hin, liebe Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin fest überzeugt: Unser Land ist nicht überlas-
tet, sondern es ist auch nach Monaten, nachdem die Zahl
der Anträge sprunghaft angestiegen ist, nicht ausreichend
leistungsfähig. Das ist der Punkt. Wir können es und
müssen es leistungsfähig machen. Die Frage ist nicht, ob
wir es schaffen, sondern wie wir es schaffen, wer sich
darüber Gedanken macht und wo der große Plan ist. Ich
glaube, dass wir wirklich in einer Situation sind, in der
es sehr darauf ankommt, dass die Menschen Vertrauen in
die Handlungsfähigkeit der Politik haben können.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es nicht gelingt, dieses Vertrauen herzustellen,
dann werden wir weiter große Pegida-Demonstrationen
haben. Wenn wir uns zum Anwalt der Angst machen statt
zum Anwalt der Bürgerinnen und Bürger, die wollen,
dass es funktioniert, dann haben wir als politische Klasse
in der Tat ein großes Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, das ist eine große Herausforderung für Europa.
Wir sind das stärkste Land in Europa, und wir werden
die Hunderttausende, die auf der Flucht sind, nicht auf
arme und fragile Staaten abwälzen können. Da hilft übri-
gens auch kein schmutziger Deal mit Herrn Erdoğan. Die
Vereinbarungen mit der Türkei helfen den Flüchtlingen
aus Syrien, dem Irak und der Türkei nicht. Sie sind ein
Wahlkampfgeschenk für Herrn Erdoğan,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


für einen Präsidenten, der die Pressefreiheit abschafft, der
unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung Kurden
bombardiert. Herrn Erdoğan muss man klar sagen, was
europäische Werte sind. Ja, man kann der Türkei bei der
Aufnahme von Flüchtlingen helfen, aber nicht um den
Preis eines Rabatts bei der Frage der Menschenrechte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Der Umgang mit den Flüchtlingen ist und bleibt eine
gesamteuropäische Aufgabe, eine Aufgabe, die erst in
Ansätzen entwickelt ist. Vor zwei Jahren haben die Mit-
gliedstaaten verbindliche Vorgaben zur Aufnahme fest-
gelegt. Die Umsetzung ist bis heute nicht passiert. Wir
brauchen eine gerechte Verteilung. Der Vorschlag der
EU-Kommission ist kein Allheilmittel, aber er ist zumin-
dest einmal ein erster Schritt. Doch Achtung: Die Vertei-
lung rein nach Statistik statt nach Sinnhaftigkeit schafft
nur neue Probleme. Manche Flüchtlinge haben besonde-
re Sprachkenntnisse, andere haben Familie in Europa. Es
geht hier weiterhin um Menschen und nicht um Num-

mern. Auch das müssen wir berücksichtigen, wenn wir es
gut schaffen wollen, und darum muss es ja wohl gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Auffangstationen, die
sogenannten Hotspots, in Italien, in Griechenland laufen
auf gut Deutsch – Herr Kauder, das ist Ihnen ja immer
besonders wichtig – Gefahr, vom Hotspot ganz schnell
zum Brennpunkt zu werden. Frau Merkel drängt ja dazu,
diese Zentren einzurichten. Aber dann muss man bitte
einmal wissen, wozu sie eigentlich da sein sollen. Sind
diese Hotspots eigentlich dazu da, um zu registrieren,
eine erste Notaufnahme vorzunehmen, oder sind sie ei-
gentlich dazu da, um Ingewahrsamnahme und Abschre-
ckung zu organisieren? Diesen Unterschied müssen wir
machen, und wir müssen wissen, wofür sie da sind. Es
wird nicht funktionieren – auch nicht mit Hotspots –, die
europäischen Grenzen auf eine neue Art dichtzumachen.
Frau Merkel, Sie haben ja gesagt: Das Dublin-System
ist obsolet. Ja, dann erkennen Sie das bitte auch an, und
dann sagen Sie: Das System wird nicht mehr funktionie-
ren, wir brauchen da wirklich ein neues.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Wenn man sich die Situation in den Nachbarländern
anschaut, stellt man fest – ich habe das hier schon ge-
sagt –: Immer noch hat das World Food Programme nicht
genügend Geld zur Verfügung. Immer noch leben die
Menschen in den Unterkünften im Libanon und in Jor-
danien in einer katastrophalen Situation. Da hilft es nicht,
nur ein Bekenntnis abzugeben. Da hilft es nur, eine Geld-
überweisung vorzunehmen. Hier muss wirklich Druck
ausgeübt werden, damit das am Ende auch passiert.

Das ist übrigens noch nicht die Bekämpfung von
Fluchtursachen. Fluchtursachen bekämpft man ganz be-
stimmt nicht wie Herr Putin mit seiner Intervention zu-
gunsten von Assad, die die Lage in Syrien noch weiter
verschlimmert. Eine militärische Antwort auf ein huma-
nitäres Problem ist immer falsch. Das gilt auch für die
Mission im Mittelmeer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Mission heißt jetzt „Sophia“, und sie soll die
Schlepper bekämpfen. Aber solange wir keinen anstän-
digen Weg nach Europa haben, machen wir das Geschäft
der Schlepper mit, und das sollten wir nicht wollen.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt: Wir schaffen
das. – Das war der erste Schritt. Jetzt geht es um Kraft;
jetzt geht es um Mühe; jetzt geht es um Haltung. Ich
hoffe sehr, dass das auch in der Unionsfraktion endlich
und in Gänze so gesehen wird. Ich hoffe, dass sich diese
Haltung, die ich nun wirklich für eine absolut christliche
halte, auch ausweist in dem, was wir sagen, und in dem,
was wir tun.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was christlich ist, entscheidet der liebe Gott!)


Dazu gehört die Ehrlichkeit, über Probleme zu reden;
viele sind hier angesprochen worden. Dazu gehört es, zu
sagen, was es kosten wird, wie viele Lehrer, wie viele
Sozialarbeiter, wie viele Wohnungsbauer wir brauchen

Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


werden. Dazu gehört es, ehrlich zu sagen: Ja, es wird an
vielen Stellen in Deutschland erst einmal eng werden;
aber wir haben eine gemeinsame Perspektive.

Sorgen wir dafür, dass der rechte Mob, der auf der
Straße ist, mit seiner Angstmache in der Ecke steht. Wir
als demokratische Kräfte müssen sagen: Die Menschen,
die hierherkommen, werden Neubürgerinnen und Neu-
bürger sein, und wir werden mit ihnen zusammenleben,
und wir werden alles dafür tun, dass diese Gesellschaft
Zusammenhalt organisiert und erlebt und dass wir mit
Überzeugung und Kraft gute Politik machen.

Vielen Dank


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813000900

Für die CDU/CSU-Fraktion hat Volker Kauder nun

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1813001000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Der Anlass für die heutige Debatte und die Regierungser-
klärung der Bundeskanzlerin ist eine Sitzung des Europä-
ischen Rates heute und morgen. Da steht natürlich in ers-
ter Linie die Frage „Was tut Europa in einer der größten
Herausforderungen in der Nachkriegsgeschichte?“ auf
der Tagesordnung. Wir alle wissen: Bei allem, was wir
national tun – darauf werde ich noch kommen –, werden
wir diese Herausforderung nicht allein von Deutschland
aus, sondern nur in und mit Europa bewältigen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Umgang mit dieser Situation – das muss jeder in
Europa wissen – entscheidet auch darüber, ob die Men-
schen noch Vertrauen in Europa setzen und hier eine
Zukunftsperspektive sehen. Europa muss wissen: Wenn
jetzt keine richtige Antwort kommt, dann werden sich
viele fragen, welchen Sinn Europa überhaupt noch hat.
Deshalb ist es richtig, was die Bundeskanzlerin vorhin
gesagt hat. Man muss alles daransetzen, dass sich Europa
dessen auch bewusst ist.

Es kommt jetzt darauf an, dass Europa erkennt, dass
man nicht im Kleinteiligen groß sein kann, aber im Gro-
ßen kleinteilig bleibt. Das ist die entscheidende Heraus-
forderung, um die es nun geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da wünschen wir Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, natürlich
viel Erfolg und Überzeugungskraft.

Dazu gehört auch, dass sich Europa in der Flüchtlings-
politik noch einmal neu sortiert. Die Sicherung der Au-
ßengrenzen und Dublin III funktionieren im Augenblick
nicht richtig. Vielleicht muss man auch sagen: Schengen
kann nur funktionieren, wenn jeder seine eigene Außen-
grenze sichert. Solange es um ein paar Tausend Flüchtlin-

ge geht, mag dies jeder kleinere Staat mit Außengrenze
schaffen, aber wenn es um Hunderttausende geht, zeigt
sich, dass dies nicht zu machen ist.

Deswegen dürfen wir – dazu brauchen wir eine klare
Aussage – die Sicherung der Außengrenzen nicht allein
in nationalstaatliche Verantwortung geben, sondern da
trägt Europa eine gemeinsame Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu muss sich Europa bekennen. Das wird natürlich
Geld kosten. Aber ich kann gut nachvollziehen und ver-
stehen, dass Länder wie Italien, Griechenland und ande-
re, die eine Außengrenze haben, sagen: Den Deutschen
fällt es leichter, über die Sicherung von Schengen zu
sprechen, weil sie keine Schengen-Außengrenze haben.
Darauf antworte ich: Wir sind bereit, mitzuhelfen, dass
Europa seine Außengrenzen sichern kann, dass dies auch
in Zukunft so geschieht, wie es notwendig ist, liebe Kol-
leginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch darüber muss gesprochen werden, Frau Bun-
deskanzlerin. Da ist, salopp gesagt, höchste Eisenbahn
geboten, damit in der Welt klar wird: Europa ist bereit,
Flüchtlinge aufzunehmen. Europa ist aber auch bereit,
die beschlossene Sicherung der Außengrenzen durchzu-
führen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist rich-
tig, darüber zu reden, dass wir den Ländern, die erste
Anlaufstellen sind – Italien, Griechenland –, bei der Re-
gistrierung und Unterbringung von Flüchtlingen helfen.

In Richtung der Grünen sage ich: Ich habe wenig Ver-
ständnis, wenn man – der Begriff „Hotspot“ ist wirklich
nicht besonders toll, vielleicht fällt einem da auch ein
verständlicherer Name ein – die Erstaufnahmeeinrich-
tungen als Anstalten diffamiert. Nein, das sind notwen-
dige Maßnahmen, um den Flüchtlingsstrom koordinieren
zu können. Deswegen unterstützen wir – ich denke, die
Regierung und die Koalition insgesamt – den Aufbau sol-
cher Erstaufnahmeeinrichtungen in Griechenland und in
Italien mithilfe der EU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der
Satz richtig ist, dass Politik mit dem Betrachten der
Wirklichkeit beginnt, dann ist es doch völlig klar – wenn
man sich diese Wirklichkeit anschaut –, dass die Tür-
kei, wie die Bundeskanzlerin zu Recht formuliert hat,
eine wesentliche Rolle spielt. Jetzt kann man sagen: Die
Türkei spielt zwar eine wichtige Rolle – wenn sie ihre
Aufgabe nicht so wahrnimmt, wie wir glauben, dass sie
wahrgenommen werden muss, dann wird das Chaos rie-
sengroß –, aber egal; wir reden nicht mit denen. – Dies
ist aber eine Form von Politikverweigerung, der wir uns
nicht anschließen, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


Frau Göring-Eckardt, nach der Rede der Bundeskanz-
lerin wäre der Hinweis auf die besondere Situation in der
Türkei gar nicht mehr notwendig gewesen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, gerade! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Frau Kollegin Roth, das machen wir untereinander aus.


(Heiterkeit – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt verliert er 100 Prozent!)


Es ist doch wirklich bemerkenswert mutig, wenn die
Bundeskanzlerin sich in aller Öffentlichkeit an dieses
Rednerpult stellt und sagt: „Ich werde, weil es notwen-
dig ist, mit der Türkei reden. Aber es wird kein Thema
ausgeblendet. Das geht bis hin“ – wie formuliert worden
ist – „zur Situation der Menschenrechte.“ Da kann ich
nur sagen: Respekt, wenn man so etwas öffentlich for-
muliert – und weiß, dass dies im Zweifel auch Erdoğan
hört –, weil man weiß, dass man diese Aufgabe anpacken
muss. Auch dafür wünschen wir viel Erfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist aber nicht nur eine große Herausforderung in
Europa, sondern es ist auch eine große Herausforderung
in unserem Land. Darüber ist schon mehrfach gespro-
chen worden, und darüber werden wir auch beim nächs-
ten Tagesordnungspunkt sprechen, bei dem es um das
Asylpaket geht. Ich bin froh, dass wir diese Vereinbarun-
gen haben treffen können, auch mit den Bundesländern.

Bei manchem, das wir jetzt erreicht haben, haben wir
uns vor einigen Wochen noch gar nicht vorstellen kön-
nen, dass es erreicht werden könnte. Deshalb kann ich
nur sagen: Wir sind handlungsfähig – ein entsprechendes
Signal geben wir auch –, aber wir verschließen uns auch
nicht den Fragen der Kommunen und der Menschen. Wir
reden mit den Menschen und den Vertretern der Kommu-
nen über das, was getan werden muss.

Beispielsweise haben wir von der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion für heute Nachmittag die Landräte sowie die
Oberbürgermeister der kreisfreien Städte eingeladen –
unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Weit über 200
werden da sein. Wir werden mit ihnen reden und ihnen
sagen, was wir jetzt auf den Weg bringen. Manche For-
derung, manche kritische Anmerkung ist zu einem Zeit-
punkt gemacht worden, als dieses Paket noch gar nicht
verabschiedet war und es natürlich auch noch nicht
wirken konnte. Darüber werden wir mit den Menschen
reden. Ich finde, es ist notwendig, dass man mit den Leu-
ten redet und ihnen auch sagt: Das und das haben wir
vor. – Wir dürfen die Katastrophenstimmung nicht im-
mer weiter verstärken, sondern müssen sagen: Wir haben
Möglichkeiten, zu handeln, um die Dinge zu verbessern.

Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen – da gebe ich Ihnen recht –,
ist wichtig, damit so Sachen wie die Radikalisierung bei
Pegida nicht noch weiteren Zulauf bekommen. Ich teile
die Kritik. Was dort geschehen ist, geht überhaupt nicht.

Galgen zu zeigen, Schilder dranzuhängen, das ist in einer
Demokratie unwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber man darf auf keinem Auge blind sein. Ich fand
auch nicht in Ordnung, was die TTIP-Gegner gemacht
haben. Eine Guillotine aufzubauen, das ist um kein Haar
besser, als einen Galgen zu zeigen, meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Beides geht nicht. Beides muss auch klar angesprochen
werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin ei-
nigermaßen überrascht und auch ohne Verständnis, wenn
ich von den ganzen Dingen höre, die mit dem World
Food Programme und dem UNHCR zu tun haben. Wie
viele andere habe ich Flüchtlingslager im Nahen und
Mittleren Osten besucht und mir dort ein Bild verschafft.
Dabei hatte ich eindrückliche Begegnungen mit Men-
schen, die aus dem Süden Syriens kamen, also nicht aus
der Gegend um Aleppo herum, mit einfachen Menschen,
die mir mittels Dolmetscher gesagt haben: Wir sind Fel-
lachen, kleine Bauern. Wir können nicht lesen, wir kön-
nen nicht schreiben. Deswegen glauben wir nicht daran,
dass eine Zukunft in Europa für uns einfach sein würde.
Wir möchten gerne wieder in unser Land, nach Syrien
zurück, wenn dort der Bürgerkrieg zu Ende ist. Deswe-
gen sind wir hier an der Grenze zu Syrien – in Jordanien
beispielsweise.

Wenn diese Menschen aber nun erfahren, dass ihnen
die Rationen für Essen und die Mittel, die notwendig sind,
um das tägliche Leben zu fristen, von 36 Dollar auf 16,
15 und dann auf unter 10 Dollar gekürzt werden, machen
sie sich natürlich auch Gedanken, ob sie es unter diesen
Umständen drei Jahre aushalten können oder nicht. Wenn
man also etwas als Skandal bezeichnen kann, dann ist
das ein Skandal, was da in den Flüchtlingslagern passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen erwarte ich, Frau Bundeskanzlerin, dass auch
das heute Abend im Europäischen Rat angesprochen
wird und die Regierungen einmal nachfassen, wann das
Geld nun zur Verfügung gestellt worden ist.

Frau Wagenknecht, Sie haben kritisiert, dass man nur
1 Milliarde Euro gebe. Ich will Ihnen dazu einmal sagen:
„Sie müssen genau hinhören“, und sollten nicht nach
dem Motto verfahren: Ideologisch höre ich das, was ich
will. – Es ist ausdrücklich gesagt worden: Das Geld, was
nötig ist, um ordentliche Existenzen für die Flüchtlinge
zu sichern, wird auch gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


Es bleibt nicht bei der 1 Milliarde, wenn sich heraus-
stellen sollte, dass mehr nötig ist. Das machen wir dann
schon.

Aber ich will wissen, warum es so lange braucht, bis
das Geld ankommt. Wenn die EU Geld gegeben hat –
darunter 100 Millionen Euro von Deutschland –, jetzt
350 Millionen Euro und dann 1 Milliarde Euro, wa-
rum braucht es dann so lange, bis das Geld ankommt?
Dazu kann ich nur sagen: Neben der konkreten Aufga-
be, die wir hier haben, ist natürlich die Bekämpfung von
Fluchtursachen eine wichtige Aufgabe. Es wird aber
nicht möglich sein, in kurzer Zeit alle Fluchtursachen zu
beseitigen. Aber eine Fluchtursache für die Menschen in
den Flüchtlingslagern ist auf jeden Fall dann gegeben,
wenn sie den Eindruck haben, mit ihnen werde nicht
anständig umgegangen. Hier kann man schnell Abhilfe
schaffen; das kann schon morgen geschehen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen. Und das erwarten wir auch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben mit dem Paket, das nachher beraten und
verabschiedet wird, gezeigt, dass wir in diesem Land,
wenn die Aufgaben groß sind, auch verantwortlich han-
deln können. Wahrscheinlich ist es schon so, Kollege
Oppermann, dass man, wenn man vor einer bestimmten
Aufgabe steht, auch spürt, welche Verantwortung man
hat. Und deswegen, weil sie die Verantwortung spüren,
sind grüne Oberbürgermeister in Baden-Württemberg
und ein grüner Ministerpräsident bei diesem Paket dabei.
Die Grünen hier im Bundestag sind in der Opposition.
Okay. Ich erinnere mich aber noch sehr gut daran, dass
wir als Union, als wir in der Opposition waren und es
um große Aufgaben in der Außenpolitik ging, gesagt ha-
ben: Da machen wir mit. Auch wenn die SPD und die
Grünen regieren, machen wir da mit, um zu zeigen, dass
wir zusammenstehen. – Das hätte ich eigentlich in dieser
Situation von Ihnen erwartet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Vielleicht sind ja meine Informationen nicht ganz richtig.
Deswegen will ich mich korrigieren und sagen: Das er-
warte ich von Ihnen.


(Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Ganz ruhig. Ich war doch ganz friedlich. Ich habe doch
nur eine Erwartung geäußert. Das werde ich doch noch
tun dürfen. Aber wenn Sie mich schon provozieren, dann
muss ich Ihnen sagen: Enthaltung hat mit Verantwortung
in schwerer Zeit nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine Weiss es!)


Frau Bundeskanzlerin, viel Erfolg heute Abend.
Es steht viel auf dem Spiel: dass sich Europa in einer
schwierigen Zeit als handlungsfähig erweist.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813001100

Nächster Redner ist der Kollege Norbert Spinrath für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1813001200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Europäische Uni-
on kommt aus dem Krisenmodus nicht heraus. Sie muss
sich ständig neu behaupten und ihre befriedende, sta-
bilisierende Wirkung und die Werte, auf denen sie sich
gründet, immer häufiger gegen vordergründige nationale
Interessen behaupten. Es bleibt zu hoffen, dass zu den
augenblicklichen Krisensituationen nicht noch eine neue
hinzukommt, dass das Vereinigte Königreich nicht für
neue Krisen sorgt.

In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass ich es
außerordentlich bedauerlich finde, dass es mangels kon-
kreter Vorschläge durch Premier Cameron heute in Brüs-
sel keine substanzielle Debatte über das britische Refe-
rendum geben wird, wie das ursprünglich vorgesehen
war. Das zeigt mir vor allen Dingen eins: Cameron ist
eben nicht der gewiefte Taktiker, als der er oft beschrie-
ben wurde. Er ist eher ein Getriebener. Er handelt ohne
Konzept. Er hat sich im Wahlkampf in eine Sackgasse hi-
neinmanövriert. Mit seiner populistischen Kampagne ge-
gen Europa wird er seinem Land langfristig schaden. Um
es ganz klar zu sagen: Wir wollen, dass das Vereinigte
Königreich Mitglied der EU bleibt. Sollte Cameron aber
aus seiner Not heraus Vorschläge zur Renationalisierung
oder zur Schaffung neuer Blockademöglichkeiten vorle-
gen, dann müssen wir sie ganz klar ablehnen.


(Beifall bei der SPD)


Ich hatte eigentlich erwartet, dass Cameron seine Vor-
schläge auf dem Gipfel im Dezember 2015 präsentiert.
Der heutigen britischen Presse muss ich aber entnehmen,
dass er das auf den März 2016 verschieben will. Viel-
leicht sollte er das Referendum ganz absagen; denn wenn
man den Umfragen Glauben schenkt, sind die Werte sehr
besorgniserregend. Ich glaube, Cameron täte für sein
Land und für die gesamte Union Besseres, wenn er auf
dieses Referendum verzichtete.

In der EU müssen die Spielregeln für alle gleicher-
maßen gelten. Auch die Werte der Europäischen Union
müssen weiterhin gelten. Die Europäische Union muss
mehr sein als eine Freihandelszone und ein gemeinsa-
mer Binnenmarkt, nämlich eine Wertegemeinschaft, die
durch gemeinschaftliche Ziele, solidarisches Handeln
und sozialen Zusammenhalt geprägt ist. Gerade die ak-
tuelle Flüchtlingskrise zeigt doch auf, dass die EU auf
dieser Grundlage handlungsfähig sein muss. Ich habe
durchaus Verständnis dafür, dass angesichts der immen-
sen Herausforderungen Sorgen wachsen, Sorgen vor ei-
ner Überforderung, die sich auch bei uns in Deutschland,
insbesondere aber in den jüngeren EU-Mitgliedstaaten

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


zeigen. Aber ich sage ganz nachdrücklich: Bei allem
Verständnis für derartige Sorgen müssen wir auch wei-
terhin dem Vertrauen der Bevölkerung gerecht werden.
Wir müssen deutlich machen, dass wir Lösungen haben.
Wir müssen die Herausforderungen annehmen, ohne sie
zugleich in Überforderungen umzudeuten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen unsere europäischen Partner eben nicht
nur auffordern, Solidarität zu üben. Vielmehr müssen wir
sie mit unserem so hohen Engagement davon überzeu-
gen, dass die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingssitua-
tion nur gemeinsam in der EU zu lösen ist. Dabei müssen
wir viele nationale Ressentiments überwinden, die mir
in den letzten Tagen und Wochen immer wieder in Ge-
sprächen mit europäischen Nachbarn begegnen. Aber wir
müssen uns auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst
mahnen, unseren eigenen Sprachgebrauch in Richtung
auf etwas mehr Demut zu verändern. Wie klingt es, wenn
wir der EU und Brüssel im Sommer Versagen vorgewor-
fen haben, obwohl wir wussten, dass Kommission und
EP mutige Maßnahmen vorgeschlagen haben, die aber an
einer Reihe von Mitgliedstaaten und nicht an der EU ge-
scheitert sind? Das muss man so klar benennen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Axel Schäfer Wahrheit!)


– Danke, lieber Kollege Schäfer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie klingt es aus
unserem Mund, Europas Solidarität hart einzufordern,
wenn wir selbst unseren Partnern in der EU Dublin I, II
und III aufgedrängt haben und in Deutschland davon am
meisten profitierten


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und genau dann, wenn in den letzten Jahren unsere italie-
nischen und griechischen Freunde nach Hilfe gerufen ha-
ben und Solidarität nicht forderten, sondern erwarteten,
mit der kalten Schulter auf Dublin I, II und III verwiesen
haben?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wundert es uns noch, wenn wir gerade jetzt bei unserer
aktuellen – ich sage einmal – Überflutung mit Flücht-
lingszahlen plötzlich Solidarität in seiner wahren Bedeu-
tung definieren, dass unsere Nachbarn irritiert sind und
diese Dinge als deutsches Problem bezeichnen?

Wir haben in diesen Wochen in Deutschland gemein-
sam mit großen Teilen der Verwaltung, mit vielen Orga-
nisationen, die dort unterwegs sind, mit vielen Menschen
aus der Bevölkerung die Situation zwar mit sehr großen
Anstrengungen, aber auch mit großer Empathie vorbild-
lich bewältigt. Nebenbei bemerkt, Frau Wagenknecht:
Wer diese großartige Leistung so kleinredet, wie Sie es
tun, muss sich nicht wundern, wenn Pegida und AfD
Aufwind erfahren.


(Beifall bei der SPD – Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Was?)


An die Verantwortlichen in Dresden gerichtet: Wer Gal-
gen zeigt und damit zur Lynchjustiz auffordert, gehört
nicht in die Abendausgabe der Tagesschau oder in das
heute journal und nicht auf die Titelseiten der Presse,
sondern der gehört in den Knast.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Axel Schäfer [SPD]: Sehr wahr!)


Aber gerade weil wir diese Situation so vorbildlich
bewältigt haben, versetzt uns das nun in die Lage, ge-
meinsam und partnerschaftlich, nicht mit dem großen
Knüppel fordernd, mit den anderen Mitgliedern der eu-
ropäischen Familie neue Wege zu suchen, neue Wege hin
zu einer echten gemeinsamen europäischen Flüchtlings-
und Asylpolitik. Wir müssen das Dublin-System ablösen.
Wie schon die Bundeskanzlerin ausführte, ist es nicht
mehr zielführend. Es hat nie wirklich funktioniert. Wir
müssen das vom JI-Rat beschlossene Quotensystem um
einen permanenten Verteilungsmechanismus erweitern.
Dies sind richtige Ansätze, die aber allein das Problem
nicht lösen können.

Wir müssen dafür sorgen, dass wir Anreize für die
Mitgliedstaaten schaffen, das Quotensystem dann auch
zu erfüllen. Dafür müssen sie nach meinem Verständnis
Mittel aus dem EU-Haushalt erhalten, aber auch zurück-
zahlen, wenn sie ihre Quote nicht erfüllen oder die ih-
nen zugewiesenen Flüchtlinge das Land wieder verlas-
sen. Der Haushalt muss dafür aufgestockt werden. Wir
brauchen gleiche Standards beim Asylverfahren. Wir
brauchen gleiche Standards bei der Verfahrensdauer, bei
Anerkennungsquoten. Wir brauchen vergleichbare Stan-
dards bei Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen.
Nur dann wird es möglich sein, auch den Flüchtlingen
klarzumachen, dass sie in jedem Land in der Europäi-
schen Union bleiben können, das ihnen zugewiesen wird.
Dazu können wir uns auch weitere Anreize vorstellen,
auch für Flüchtlinge. Aber wir müssen insgesamt dafür
Sorge tragen, dass wir wirklich zu einer echten gemein-
samen europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik kom-
men.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813001300

Herr Kollege.


Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1813001400

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wenn dies

nicht gelingen sollte, wenn sich die Mitgliedstaaten auch
weiterhin auf ihre Kirchtürme und ihre egoistischen nati-
onalen Interessen zurückziehen, wenn sie wieder Zäune
bauen und Kontrollen an den Binnengrenzen aufnehmen,
dann liebe Kolleginnen und Kollegen, verliert die EU ihr
Fundament, ihre Werte.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, die überwiegen-
de Mehrzahl des Deutschen Bundestages unterstützt die
humanitäre Politik, die wir hier betreiben. Der Europäi-
sche Rat muss dem heute Abend folgen und muss eine
menschliche, insbesondere aber eine solidarische euro-
päische Antwort auf diese europäische Flüchtlingsfrage
finden, –

Norbert Spinrath






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813001500

Herr Kollege, es hilft alles nichts.


Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1813001600

– sowie für die Aufnahme von schutzsuchenden Men-
schen und bei der Bekämpfung der Fluchtursachen. Set-
zen Sie sich heute und morgen in Brüssel dafür ein.

Danke.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813001700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri-

büne haben die Präsidentin des Seimas der Republik
Litauen, Frau Graužinienė, und ihre Delegation Platz
genommen.


(Beifall)


Ich begrüße Sie herzlich im Namen aller Kolleginnen
und Kollegen. Ich bedanke mich für die intensiven und
guten Gespräche, die wir gestern miteinander geführt
haben. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit
unserer beiden Parlamente.

Nun hat der Kollege Hans-Peter Friedrich für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1813001800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Europa lebt seit 70 Jahren in Frieden, abgesehen von
einigen Auseinandersetzungen beispielsweise auf dem
Balkan. Aber die Welt ist nicht friedlicher geworden. Es
gibt zig Millionen Menschen, die ihre Heimat, die Regi-
on, in der sie geboren und aufgewachsen sind, verlassen
mussten und in der Welt umherirren. Mit jeder Krise, mit
jedem Konflikt, meine sehr verehrten Damen und Herren,
steigen die Flüchtlingszahlen – heute Af ghanistan und
Syrien, morgen Pakistan und Bangladesch, übermorgen
die Sahelzone, Subsahara-Afrika und Afrika insgesamt.

Deswegen ist die Frage, welche Rolle Europa in die-
sem Szenario, das sich nicht von selbst auflösen wird, in
Zukunft spielen wird. Haben wir, so stellt sich die Frage,
die Pflicht, diesen vielen Millionen Menschen auf der
Welt zu helfen? Ich kenne niemanden in diesem Haus,
der nicht sagen würde: Ja, wir haben die Verpflichtung,
nach unserer Kraft und unserer Leistungsfähigkeit das zu
tun. – Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das
bedeutet doch nicht, dass wir diese zig Millionen Men-
schen alle zu uns holen können – auch das weiß doch
jeder.


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Das sagt doch auch niemand! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen ihnen in ihrer Heimat, in der Nähe ihrer
Heimat helfen, wir müssen Fluchtalternativen schaffen.
Jeder weiß, dass wir sie nicht alle hierherholen können.
Deswegen, meine Damen und Herren: Hören Sie bitte

auf, die deutsche Bevölkerung einzuteilen in diejenigen,
die den Flüchtlingen helfen wollen, und diejenigen, die
nicht helfen wollen. Alle wollen helfen, nur haben die
einen andere Vorstellungen als die anderen, wie man hel-
fen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unser Asylrecht und auch die Flüchtlingskonvention
sehen vor, dass wir Menschen in Deutschland und Euro-
pa aufnehmen. Aber wie viele kann Europa aufnehmen?
5 Millionen, 10 Millionen, 50 Millionen, 200 Millionen?


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Das Asylrecht kennt keine Begrenzung! – Weiterer Zuruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wer beantwortet diese Fragen?


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Sie nicht! Offensichtlich!)


Und wie beantwortet man diese Frage, nach welchen Kri-
terien? Die Zahl derjenigen, die wir aufnehmen, kann nur
so hoch sein, dass wir unsere eigenen Lebensgrundlagen,
unsere eigene Stabilität nicht gefährden.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können nur so viele aufnehmen, wie wir integrieren
können, ohne unsere Kultur, unsere Identität zu gefähr-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles leere Sätze! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schämen Sie sich!)


Wie viele das sind, entscheidet jedes Land in seiner
eigenen Souveränität. Wir Deutschen entscheiden das in
unserer Souveränität. Meine sehr verehrten Damen und
Herren, unsere europäischen Nachbarn entscheiden das
in ihrer Souveränität. Ich höre immer, dass die Deutschen
sagen: Wissen Sie, unsere Geschichte zwingt uns zu die-
sem und hält uns von jenem ab. – Aber auch die ande-
ren haben eine Geschichte – die Ungarn, die Tschechen,
die Slowaken, die Kroaten, die Slowenen, die baltischen
Länder –,


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Vielleicht haben die doch eine andere Geschichte! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh mein Gott! Das tut weh, was Sie sagen!)


und sie entscheiden mit ihrer Mentalität und aus ihrer
Geschichte heraus, wie viele aufgenommen werden kön-
nen. Das ist europäisch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie brauchen nicht unseren moralischen Zeigefinger,
sondern sie haben ihre eigene Souveränität.

Die Bewältigung der Flüchtlingskrise und die Redu-
zierung des Zustroms auf das verkraftbare Maß, meine
Damen und Herren, ist eine Herausforderung für die ge-
samte Europäische Union; aber sie ist auch eine Chance.


(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])







(A) (C)



(B) (D)


Es ist eine Chance, weil Europa beweisen kann, dass es
nicht nur in der Lage ist, technokratische Vorschriften,
Richtlinien und Verordnungen zu schaffen, sondern auch
in der Lage ist, existenzielle Probleme der Bürgerinnen
und Bürger unserer Länder zu lösen. Darin besteht eine
Chance, und diese Chance muss Europa jetzt ergreifen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will ganz konkret werden und sagen, was jetzt ge-
schehen muss:

Erstens. Wir müssen die territoriale Integrität Deutsch-
lands und Europas wirksam wiederherstellen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jeder Staat muss in der Lage sein, sein Staatsgebiet und
seine Grenzen zu schützen, sonst verliert er seine Sicher-
heit, seine Staatlichkeit und das Vertrauen seiner Bürger.
Deswegen ist das das oberste Prinzip.

Wir haben heute die Situation, dass wir die Sicherung
unserer Grenzen auf die europäische Ebene übertragen
haben, jedenfalls teilweise. Wir haben gesagt: Ja, wir ver-
zichten auf Grenzkontrollen, wenn wir Europäer gemein-
sam unsere Außengrenzen schützen. – Deswegen, meine
sehr verehrten Damen und Herren, geht es darum – und
das ist das allerwichtigste Ziel, das jetzt erreicht werden
muss –, die Außengrenzen Europas wirksam und lücken-
los zu schützen und dafür zu sorgen, dass nur so viele
nach Europa kommen, wie wir verkraften können und
wie mit unserer Integrationskraft auch aufgenommen
werden können.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813001900

Herr Kollege Friedrich, lassen Sie eine Zwischenbe-

merkung zu?


Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1813002000

Nein, keine Zwischenbemerkung. – Es ist entschei-

dend, dass wir das jetzt schaffen, und zwar nicht irgend-
wann, nicht nächstes Jahr, auch nicht irgendwann in ein
paar Monaten, sondern jetzt.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen ist der Europäische Rat heute von ganz gro-
ßer Bedeutung; denn er stellt genau diese Aufgabe in den
Mittelpunkt. Wir müssen alle Kräfte dafür verwenden,
diese Aufgabe zu erfüllen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wie denn? Wie denn? Schießen, oder was? – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und ich sage auch: Wenn es uns nicht gelingt, die Sicher-
heit und die Integrität Europas herzustellen,


(Zuruf des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


dann ist nicht nur Dublin, sondern dann ist auch Schen-
gen beendet. Dann wird uns nichts anderes übrig bleiben,


(Claudia Roth GRÜNEN]: Ja, dann bauen wir eine Mauer!)


als wieder unsere deutschen nationalen Grenzen zu
schützen. Auch das ist eine Wahrheit, die auf dem Tisch
liegt und über die wir reden müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie nach Bayern, Mensch!)


Zweitens. Was muss noch geschehen? Wir müssen ge-
genüber den Menschen in den Krisenländern und in den
Flüchtlingslagern das klare Signal aussenden: Wir kön-
nen nicht mehr aufnehmen, als es unsere Integrations-
fähigkeit zulässt. Unsere Kapazitäten sind weitgehend
erschöpft. Es ist kein besonderer Ausweis von Nächs-
tenliebe, den Menschen dort Illusionen zu machen, die
dann wie die Seifenblasen platzen, wenn sie hierherkom-
men. Deswegen war es richtig, dass wir vor drei Wochen
Grenzkontrollen eingeführt haben; da ist viel rumkriti-
siert worden. Es war wichtig, das Signal zu setzen: Hier
gibt es eine Grenze,


(Christian Petry [SPD]: Das hat doch nichts genutzt! – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


hier beginnt ein Gebiet, in dem wir in der Lage sind, un-
ser Recht durchzusetzen.

Drittens. Es ist ganz wichtig, dass wir – Volker Kauder
hat recht, wenn er sagt: „Hotspots“ ist kein schöner Be-
griff – die Aufnahme- und Registrierungszentren an den
europäischen Außengrenzen errichten und dort trennen
zwischen denen, die eine Bleibeperspektive haben, und
den anderen, die zurückgeschickt werden müssen, und
das auch tun. Das ist jetzt wichtig. Das ist ein zentrales
Anliegen. Das ist ein wichtiges Zeichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bayern hat Erstaufnahmezentren für die Balkanzu-
wanderer errichtet; das ist oft kritisiert worden, wird aber
jetzt von allen Bundesländern kopiert. Man hat klipp und
klar gleich gesagt: Wir brauchen schnelle Verfahren, und
wir müssen, wenn die Voraussetzungen nicht gegeben
sind, die Menschen zurückschicken. – Ich glaube, dass
diese Erstaufnahmeeinrichtungen, zum Beispiel in Bam-
berg – jetzt entstehen sie im ganzen Land –, dazu bei-
getragen haben, dass die Quote der Balkanzuwanderer
nachhaltig reduziert worden ist. Das ist ein erster Erfolg
und zeigt, dass man nur die richtigen Signale aussenden
muss.

Wir brauchen Transitzonen an den deutschen Grenzen,


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Nein!)


die nicht, wie die SPD behauptet hat, Hafteinrichtungen
sind,


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie werden es aber!)


Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)







(A) (C)



(B) (D)


weil das ein notwendiges Stoppsignal an unseren Gren-
zen ist, ein Stoppsignal, das gesendet werden muss, da-
mit es verstanden wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! Hilflos ist das, was Sie hier erzählen!)


Viertens. Wir müssen sichtbar und erkennbar zurück-
führen. Das passiert an den Hotspots. Die Europäische
Kommission hat eine Migrationsagenda vorgelegt, in der
Rückführung vorgesehen ist. Diese Migrationsagenda
wird im Europäischen Parlament beraten, leider nur un-
terstützt von der EVP und bekämpft von den Sozialisten,
an der Spitze die deutschen Sozialdemokraten.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist echt im Lagerkoller!)


Ich möchte Sie wirklich bitten, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD: Sie können hier doch nicht so
reden, aber in Brüssel Ihre Leute laufen lassen, die per-
manent die Rückführungsbemühungen der Europäischen
Kommission torpedieren. Sorgen Sie auch da für Ord-
nung!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Was für ein Quatsch! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Große Koalition zerstritten in der wichtigsten Frage! Das ist ja großartig!)


Fünftens. Wir brauchen eine stärkere Kooperation mit
unseren Nachbarländern außerhalb der Europäischen
Union. Deswegen sind die Gespräche mit der Türkei von
zentraler Bedeutung. Wir brauchen diese Kooperation,
und zwar nicht nur, weil die Türkei bei der Beseitigung
von Fluchtursachen eine Schlüsselrolle hat,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Orbán Ihr neuer Freund? Das ist ja unglaublich! Erst Orbán und dann Erdoğan!)


sondern auch, weil die Türkei bei der Steuerung der
Flüchtlingsströme eine entscheidende Rolle spielt.

Ich glaube, dass es ganz selbstverständlich ist, dass wir
dem Anliegen der Türkei auf finanzielle Entlastung nach-
kommen. Wir können den Türken nicht zumuten, dass sie
die Menschen dort aufnehmen, sie nicht weiterleiten und
gleichzeitig die Kosten in vollem Umfang tragen.


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Das machen sie schon seit vier Jahren!)


Hier müssen sich die Europäer, hier müssen auch wir
uns beteiligen. Ich halte das für ein wichtiges Anliegen.
Und wenn man den Türken in anderer Weise entgegen-
kommen kann – natürlich immer unter Beibehaltung der
Kriterien, die wir beispielsweise hinsichtlich Visalibera-
lisierung aufgestellt haben –,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


dann ist das ein Thema.

Nur eines sollte nicht auf die Agenda kommen, weil es
damit überhaupt nichts zu tun hat, und das ist die Frage
des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein Thema von so grundsätzlicher Bedeutung,
dass es nicht im tagespolitischen Handel gelöst werden
kann.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie hier eigentlich für rhetorische Purzelbäume? Das ist doch alles ein schlechter Witz, Herr Friedrich! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Worüber reden Sie?)


Meine Damen und Herren, es geht darum, Grenzen
zu sichern, Signale zu setzen, Kooperationen einzugehen
und darum, lieber Gerd Müller, sich gemeinsam in Eu-
ropa Afrika zu widmen, und zwar noch bevor sich die
Afrikaner auf den Weg machen,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die machen sich schon auf den Weg! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wirr und chaotisch, Herr Friedrich!)


bevor alle nach Europa kommen wollen. Es geht darum,
sich darum zu kümmern, dass dieser Kontinent, Afrika,
den Menschen eine Zukunft bieten kann.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brandstifter!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813002100

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Klaus

Ernst das Wort.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813002200

Herr Dr. Friedrich, das war ja eine sehr schneidige

Rede.


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Tja!)


Stellen wir uns mal vor, Sie wären bei Anne Will gewe-
sen und nicht die Kanzlerin, und Sie hätten das bei Anne
Will gesagt. Stellen wir uns das mal einen Moment lang
vor. – Ich möchte bei dieser Gelegenheit der Kanzlerin
ausdrücklich für dieses Interview danken, das sie Anne
Will gegeben hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das war eine ganz klare Botschaft.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nehmen Sie einmal die Hand aus der Tasche!)


Herr Friedrich, nachdem Sie sehr deutlich gesagt ha-
ben, wo Sie in dieser Auseinandersetzung stehen, hätte
ich von Ihnen gerne eine Frage beantwortet: Die Gren-

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)







(A) (C)



(B) (D)


zen zu sichern, die Außengrenzen, möglicherweise auch
die der Bundesrepublik, das ist, wenn 10 kommen, noch
möglich, bei 100 vielleicht auch noch, bei 1 000 – schau-
en Sie sich das in Ungarn an – wird es schon kompliziert.
Aber was wollen Sie bei 10 000, bei 100 000 oder bei
200 000 machen? Wie wollen Sie die Grenze sichern?
Glauben Sie, dass da ein kleines Zäunchen reicht? Mei-
nen Sie, dass Sie die Menschen, die kommen, weil sie be-
droht sind, in dieser Größenordnung aufhalten können?
Das ist eine berechtigte Frage, die auch die Kanzlerin ge-
stellt hat. Glauben Sie wirklich, dass Sie mit einem Zaun
oder drei, vier Grenzpolizisten, die ein bisschen mit dem
Knüppel wedeln, die Menschen daran hindern können,
ihre Existenz zu sichern, wenn sie das wollen? Wollen
Sie – das wäre ja die Konsequenz, Herr Friedrich –, dass
irgendwann an den Grenzen geschossen wird, um die
Grenzen zu sichern? Wo hören Sie auf?


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Die Frage ist doch berechtigt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie wollen wir denn die Menschen aufhalten, wenn sie
kommen? Darauf haben Sie in Ihrer schneidigen Rede
keine Antwort gegeben, Herr Friedrich. Ich hätte darauf
aber gerne eine. Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen:
„Wir machen zu“? Mit welchen Mitteln wollen Sie die
Menschen aufhalten, wenn sie mit ihren Kindern im Arm
am Zaun stehen und rüber wollen?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie mal zu!)


Herr Friedrich, ich habe den Eindruck, diese Rede, die
Sie hier gehalten haben, war vielleicht wichtig für die
AfD in Bayern,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt reicht es! – Michael Brand [CDU/CSU]: Setzen Sie sich hin! Disqualifiziert!)


aber nicht so sehr für die Auseinandersetzung, die wir in
dieser Frage hier eigentlich zu führen haben.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1813002300

Lieber Herr Ernst, an dem, was Sie hier sagen, wird

deutlich, dass Sie ein Radikaler sind.


(Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie sind ein Radikaler. Es ist unglaublich, dass Sie mir
unterstellen, dass ich wollte, dass an Grenzen geschossen
wird. Das ist unsäglich. Nehmen Sie das bitte zurück!
Das, was jeder Staat, was jedes Staatsgebilde ganz selbst-
verständlich für sich in Anspruch nehmen kann, verlange
ich auch für Europa; und wenn Europa dazu nicht in der
Lage ist, verlange ich das für unser Land,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wie zwischen den USA und Mexiko? Soll es so aussehen?)


nämlich dass wir unsere Grenzen sichern und dafür sor-
gen, dass wir über unsere Grenzen die zu uns reinkom-
men lassen, die wir nach unseren Vorschriften und nach
unseren Möglichkeiten hereinlassen können. Das ist das,
was ich fordere, und das ist das, was auch die Bürgerin-
nen und Bürger in ganz Europa von ihrem Staat erwarten:
dass die Staaten wirksam in der Lage sind, ihr Staatsge-
biet zu schützen. Wir können das doch nicht aufgeben!
Das ist ein staatsrechtliches Thema.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist doch unglaublich, was Sie hier sagen: Wir sind
nicht in der Lage, unsere Grenzen zu schützen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon reden Sie?)


Wir müssen in der Lage sein, unsere Grenzen zu schüt-
zen. Das ist etwas, was wir auch erreichen können. Das
ist der Sinn und Zweck des Europäischen Rates von heu-
te, und das ist auch der Sinn und Zweck all der Verab-
redungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Friedrich, wir sind nicht im Krieg!)


Ich hoffe, dass sie funktionieren; denn wenn sie europä-
isch nicht funktionieren, müssen sie national eingeführt
werden. Das ist meine Forderung. Das habe ich gesagt
und sonst nichts, Herr Ernst.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie haben es anders gemeint! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja unglaublich!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813002400

Das Wort erhält nun der Kollege Manuel Sarrazin für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813002500

Herr Präsident! Kollege Friedrich, entschuldigen Sie

bitte – ich respektiere Sie durchaus –, aber das gerade
war eher eine persönliche Transitzone, die Sie hier auf
dem Weg nach irgendwohin abgeliefert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte Ihnen gerne einen Satz entgegenhalten, den
der ehemalige CDU-Sozialminister aus Nordrhein-West-
falen, Konrad Grundmann, gesagt hat. Er hat in Bezug
auf den Karneval – Ihre Rede hat mich gerade daran er-
innert –,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie nicht den Karneval so schlecht!)


Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


einmal gesagt, man solle das Unglück der Vertriebenen
und Flüchtlinge nicht zum Gegenstand von Büttenreden
machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt frage ich mich: Warum klatschen Sie nicht mit –
denn Ihre Partei hat doch die Leistung vollbracht, Ver-
triebene und Flüchtlinge in dieses Land zu integrieren –,
statt zu sagen: „Das Boot ist voll; wir haben keinen Platz
mehr“? Es ist doch auch Ihre Geschichte, die Sie hier er-
wähnen könnten, auch und gerade in Bayern, und auch
als CSU!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich glaube, Sie müssen der Größe der Herausforde-
rung gerecht werden. Dieses Niveau der Debatte wird es
nicht. Denn wir müssen erkennen: Selbst wenn wir ver-
suchen würden, uns vollständig abzuschotten, sogar be-
wusst um den Preis, dass Menschen an unseren Grenzen
zu Schaden kommen könnten, wäre damit niemandem
gedient: den betroffenen Menschen sowieso nicht – sie
würden trotzdem Mittel und Wege suchen und finden, zu
uns zu gelangen – und auch uns selbst in Europa nicht.
Denn Abschottung und Abriegelung im Zeitalter des
Internets sind eine Illusion, Herr Friedrich. Und jetzt
klatschen Sie! Das ist nämlich etwas, was Ihre Kanzle-
rin letzte Woche im Europäischen Parlament gesagt hat.
Aber bei Ihnen rührt sich keine Hand. Keine Hand rührt
sich bei Ihnen dazu!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kanzlerin Merkel hat letzte Woche dargelegt, dass
Europa seine Rolle in der Welt nur behalten kann, wenn
es bei dieser historischen Herausforderung zu seinen
Werten steht. Die Werte der Europäischen Union sind
christlich, humanistisch, jüdisch, und ganz oben steht der
Wert der Nächstenliebe. Dass ich das den Parteien mit
dem „C“ hier erklären muss – Ihre Kanzlerin schafft das
anscheinend schon nicht –, ist eine Schande; das muss
ich wirklich sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte noch eines sagen, Frau Merkel. Wir haben
in Europa die Angewohnheit, immer die aktuelle Krise
nach ganz oben zu stellen; das haben auch Sie angespro-
chen. Europa wird der Herausforderung, die die Geflüch-
teten mit sich bringen, und den Anstrengungen, die von
uns gefordert werden, auch im Hinblick auf die Stabilität
in unserer Nachbarschaft, nur dann gerecht werden kön-
nen, wenn wir auch die Reformen, die wir zu Hause ma-
chen müssen, entschlossen angehen, die Wirtschafts- und
Währungsunion geschlossen vertiefen, für starke europä-
ische Institutionen sorgen, dabei auch die Demokratiefra-
ge stellen und nicht zulassen, dass sich neue Spaltpilze in
Europa entwickeln.

Nichts wird einfacher zu lösen sein, wenn man ein-
zelne Staaten hinausdrängt oder einen Kahlschlag bei
den Werten zulässt, wie man ihn bei Herrn Cameron zum
Teil vermuten kann. Auch dafür wird Ihr Einsatz auf dem
Europäischen Rat gebraucht. Lassen Sie nicht länger die
ökonomische Herausforderung der Euro-Krise hinten he-
runterfallen. Wir müssen auch hier entschlossen voran-
gehen. Nur ein starkes Europa, das zusammenhält, wird
in der Lage sein, die Herausforderungen zu bewältigen.

Danke sehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813002600

Ich erteile nun dem Kollegen Gunther Krichbaum für

die CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gunther Krichbaum (CDU):
Rede ID: ID1813002700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

gibt Herausforderungen, für die jeder Mitgliedstaat der
Europäischen Union zu klein ist – und sei er auch noch
so groß, wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutsch-
land. Genau dann muss die Antwort natürlich eine euro-
päische sein.

Das gilt vor allem für die Bewältigung der gegenwär-
tigen Flüchtlingsströme. Es ist richtig, dass wir sagen:
„Wir schaffen das“, aber richtig ist auch, dass wir vor
allem die europäischen Partner noch stärker in die Pflicht
nehmen und ihnen sagen müssen: Wir schaffen es nicht
alleine.

Anfänge sind gemacht. Auch wenn sich beispielswei-
se der britische Premierminister anfangs noch weigerte,
syrische Flüchtlinge aufzunehmen, so lenkte er später
ein – zugegebenermaßen auf noch viel zu niedrigem Ni-
veau. Auf dem JI-Rat gelang es dann erstmals, eine Ver-
teilungsquote festzulegen. Mein persönlicher Dank gilt
hier ganz besonders auch Ihnen, Herr Innenminister de
Maizière.

Was wir aber keinesfalls akzeptieren können, ist die
Totalverweigerung einiger Staaten, wie beispielsweise,
um sie namentlich zu nennen, der Slowakei. Deren so-
zialistischer Ministerpräsident Fico sagt auch noch gera-
dezu pharisäisch, er würde Flüchtlinge aufnehmen, aber
nur, wenn es Christen seien. Man sollte ihm womöglich
einmal ein Exemplar der Europäischen Menschenrechts-
konvention, aber ganz bestimmt eines des Neuen Testa-
ments zuschicken;


(Beifall der Abg. Claudia Roth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


denn darin heißt es:

Was du einem meiner geringsten Brüder getan hast,
das hast du mir getan.

Manuel Sarrazin






(A) (C)



(B) (D)


Das ist Solidarität, Nächstenliebe und Humanität, wie
sie niemand anderes als Jesus Christus selbst vorgelebt
hat.


(Beifall des Abg. Heinz Wiese [CDU/CSU])


Er hat die Menschen bestimmt nicht nach ihrer Religi-
onszugehörigkeit gefragt, bevor er geholfen hat. Deswe-
gen darf dieses Denken – namentlich das Denken von
Herrn Fico – wirklich als bizarr bezeichnet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Claudia Roth NIS 90/DIE GRÜNEN] – Axel Schäfer (Bochum)

sen!)

Die Europäische Union ist eine Solidargemeinschaft.
Wir erleben hier jedoch eine Entsolidarisierung innerhalb
der Europäischen Union, aber eben auch gegenüber den
in Not geratenen Menschen. Das ist nicht akzeptabel, und
das dürfen wir diesen Staaten auch nicht durchgehen las-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier wünsche ich mir in der Tat einen noch stärkeren
Druck der Europäischen Kommission; denn der Um-
gang mit der gegenwärtigen Krise ist gewissermaßen der
humanitäre Lackmustest für die gesamte Europäische
Union. Wir sind kein Wirtschaftsklub, wir sind eine Wer-
teunion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Gerade vor diesem Hintergrund war das Handeln un-
serer Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Nacht vom
4. auf den 5. September 2015 die einzig richtige Vorge-
hensweise.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es war ein Freitagabend, an dem der österreichische
Bundeskanzler Werner Faymann anrief und die dramati-
sche Lage schilderte. Es gibt sicherlich Momente, in de-
nen Entscheidungen gefragt sind und keine Arbeitskreise
oder Zirkel, die man vorher einrichten könnte. Deswegen
war es wichtig, die Flüchtlinge, die ja bereits in der Eu-
ropäischen Union waren, an der Grenze hereinzulassen.
Diese Entscheidung war mutig und verdient Respekt. Sie
ist gerade der Beweis für die Humanität und die Werte,
für die wir in dieser Europäischen Union insgesamt ste-
hen, und hat eine Eskalation vermieden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte auch darauf eingehen, was Herr Oppermann
vorhin über die Europäisierung des Asylrechts gesagt
hat. Ja, das ist richtig, aber leider auch leichter gesagt
als getan; denn das hat auch Auswirkungen auf uns. Be-
dingt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts haben wir mit das höchste Leistungsniveau in
Europa. Deswegen brauchen wir in der Tat Vereinheitli-
chungen, um Fehlanreize auszuschließen. Das heißt, wir
müssen eine Anpassung vornehmen, durch die wir logi-

scherweise auf ein niedrigeres Niveau als gegenwärtig
kommen. An dieser Stelle, Herr Dr. Strengmann-Kuhn,
ist mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts aus dem Jahr 2012 das letzte Wort mit
Sicherheit noch nicht gesprochen; denn der Kontext ist
jetzt ein anderer.


(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Stellen Sie bitte eine Zwischenfrage! Ansonsten geht
das von meiner Redezeit ab. – Die Flüchtlinge werden
auch in Rumänien, in Bulgarien und anderen Ländern der
Europäischen Union in Sicherheit leben können. Es geht
darum, hier eine Lösung zu finden. Wir brauchen eine
echte Vergemeinschaftung. Von diesem Ziel sind wir ge-
genwärtig noch weit entfernt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Bundeskanzlerin, ich glaube, es gibt niemanden
in diesem Hause, der Sie im Hinblick auf den bevorste-
henden Europäischen Rat heute Abend beneidet. Gerade
deshalb wünschen wir Ihnen allen eine glückliche Hand.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813002800

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1813002900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei

aller Notwendigkeit für die innenpolitischen Weichen-
stellungen hin zu besseren Systemen, schnelleren Ver-
fahren und geringeren Anreizen ist uns allen klar, dass
die Migrationswelle nach Europa angesichts ihrer Größe,
Komplexität und auch Dynamik letztlich nur in einem
gesamteuropäischen und internationalen Ansatz zu be-
wältigen ist. Deshalb ist es umso enttäuschender, dass
diese Aufgabe nicht von allen europäischen Ländern als
das angenommen wird, was sie ist, nämlich als eine echte
Herausforderung und Bewährungsprobe für die Glaub-
würdigkeit und Zukunftsfähigkeit der Europäischen Uni-
on.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das hat zwei wesentliche Gründe. Zum einen ist es so,
dass sich durch die sozialen und ökonomischen Anreize,
die wir in Deutschland setzen, eine Sogwirkung auf die
Menschen in ihren Ländern entwickelt. Darauf antwor-
ten wir unter anderem mit dem Asylverfahrensbeschleu-
nigungsgesetz. Zum anderen ist es eben so, dass sich 21
von 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union derzeit
darin gefallen, diese epochale Entwicklung als Zaungäste
zu verfolgen, statt ihre Verantwortung wahrzunehmen.

Gunther Krichbaum






(A) (C)



(B) (D)


Es ist nicht akzeptabel, wenn täglich 9 000 oder
10 000 Menschen nach Deutschland kommen, wenn
Deutschland in einer Woche so viele Asylbewerber auf-
nimmt wie Frankreich im ganzen Jahr und wenn deutlich
mehr als die Hälfte der Menschen, die in die 28 Staaten
der Europäischen Union kommen, ihren Asylantrag in
Deutschland stellen. Deshalb erwarten wir, dass von die-
sem Gipfel in Brüssel das Signal ausgeht, dass alle Län-
der der Europäischen Union bereit sind, ihren Teil der
Verantwortung entsprechend ihrer Größe und Leistungs-
fähigkeit zu tragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungser-
klärung darauf hingewiesen, dass wir dieser Herausfor-
derung letztlich nur gerecht werden können, wenn es uns
gelingt, an den Fluchtursachen in den Herkunftsländern
anzusetzen. Es ist klar, dass die Herausforderungen sehr
differenziert sind, und zwar bei jedem betroffenen Land.
Darauf braucht es individuelle Antworten. Aber richtig ist
eben auch, dass man dieser Herausforderung nur gerecht
werden kann, wenn man alle Aspekte der Außen- und Si-
cherheitspolitik, der Entwicklungspolitik, aber auch der
Klima- und Umweltschutzpolitik zusammenfasst und ein
Gesamtbild zur Lösung zeichnet.

Das alles wird Zeit kosten – Zeit, die wir nicht haben,
Zeit, die insbesondere die Städte und Gemeinden nicht
haben, die die Flüchtlingskrise operativ zu meistern ha-
ben. Wir brauchen schnellere Antworten, um die Flücht-
lingsströme einzudämmen. Dazu gehört die Sicherung
der Außengrenzen; darauf ist in dieser Debatte bereits
eingegangen worden. Es geht hier um mehr als nur um
die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Wer nicht in der
Lage ist, die Grenzen zu sichern, der legt Hand an die
Freizügigkeit in Europa. Das wollen wir nicht.


(Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/ CSU])


Deshalb müssen die Außengrenzen der Europäischen
Union wirkungsvoll geschützt werden. Darum geht es,
meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es geht darum, dass wir es schaffen, in der Region stärker
mit einer Stimme zu sprechen. Das gilt für die Gespräche
mit der Türkei, die notwendig sind, um die Sicherung der
Außengrenzen zu erreichen. Es geht aber auch darum,
dass die europäischen Länder bereit und in der Lage sind,
die Sicherung der Außengrenzen zu erreichen.

Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Aus mei-
ner Sicht mangelt es manchen Ländern – ich nenne in
diesem Zusammenhang Griechenland – nicht nur an den
Möglichkeiten, sondern auch am Willen, die Außengren-
zen zu schützen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn es ist auffällig, dass nicht mehr, wie es bis Ende
des Jahres 2014 vor der Übernahme der Regierung durch
Tsipras gelungen ist, nur wenige Zehntausend über die
östliche Mittelmeerroute nach Europa gekommen sind,

sondern allein in diesem Jahr schon mehr als eine halbe
Million Menschen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es sind auch ideologische Gründe, die diese Regierung
davon abhalten, Außengrenzen wirkungsvoll zu sichern.
Ich glaube, es ist keine unzulässige Verknüpfung von
Sachverhalten, wenn ich sage: Solidarität bei der Bewäl-
tigung der Staatsschuldenkrise in Griechenland ist keine
Einbahnstraße. Man darf schon erwarten, dass die einge-
gangenen Verpflichtungen auch eingehalten werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813003000

Herr Kollege.


Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1813003100

Herr Präsident, ich komme zum Ende.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813003200

Sie hätten schon längst zum Ende kommen müssen.

Das ist das Problem.


Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1813003300

Herr Präsident, ich verspreche es Ihnen. – Wir müs-

sen mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen.
Das wird Geld kosten; das müssen wir in der öffentli-
chen Debatte deutlich machen. Ich glaube, dann werden
die Menschen auch mehr Verständnis dafür haben, dass
wir diesen internationalen Einsatz als Teil der Lösung der
Probleme in Europa brauchen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre
Geduld, Herr Präsident.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813003400

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-

ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/6335. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt mit den Stim-
men der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Zu-
stimmung der Fraktion Die Linke.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Asylverfahrensbeschleuni-
gungsgesetzes
Drucksache 18/6185
Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4. Ausschuss)


Drucksache 18/6386


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/6387

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Sigrid Hupach, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Flüchtlinge willkommen heißen – Für einen
grundlegenden Wandel in der Asylpolitik

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Alle Flüchtlinge willkommen heißen – Ge-
gen eine Politik der Ausgrenzung und Dis-
kriminierung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine faire finanzielle Verantwor-
tungsteilung bei der Aufnahme und Versor-
gung von Flüchtlingen

Drucksachen 18/3839, 18/6190, 18/4694,
18/6386

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur schnelleren Entlastung der Länder
und Kommunen bei der Aufnahme und Un-

(Entlastungsbeschleunigungsgesetz)


Drucksache 18/6172

Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-
haltsausschusses (8. Ausschuss)


Drucksache 18/6381

d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Verbesserung der Unterbringung, Ver-
sorgung und Betreuung ausländischer Kinder
und Jugendlicher

Drucksachen 18/5921, 18/6289

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


Drucksache 18/6392

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert
Müller (Potsdam), Ulla Jelpke, Sigrid Hupach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit
einer starken Jugendhilfe aufnehmen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-
Rosenheimer, Luise Amtsberg, Dr. Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Kindeswohl bei der Versorgung unbe-
gleiteter minderjähriger Flüchtlinge absi-
chern

Drucksachen 18/4185, 18/5932, 18/6392

Zu dem Entwurf eines Asylverfahrensbeschleuni-
gungsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vor. Zu diesem Gesetzent-
wurf werden wir später fünf namentliche Abstimmungen
durchführen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich Bundesminister Dr. Thomas de Maizière für die Bun-
desregierung das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf
treffen wir wichtige Entscheidungen für unser Land. Das
ist die größte und umfassendste Änderung des Asylrechts
seit Anfang der 90er-Jahre.

Wir beschleunigen die Asylverfahren. Wir erklären
Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Her-
kunftsländern. Wir wollen, dass in Deutschland aus-
sichtslose Asylanträge gar nicht erst gestellt werden. Wir
verpflichten die Flüchtlinge – nicht die Länder – zur Un-
terbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung; das entlas-
tet auch die Kommunen. Wir setzen auf eine konsequen-
te Rückführung der Menschen ohne Bleibeperspektive.
Wer unser Land nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel
verlassen muss, wer seinen Pass wegwirft, um einer Ab-
schiebung zu entgehen, dem streichen wir die bisherigen
Leistungen. Es gibt mehr Sachleistungen statt Bargeld.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die eine Seite.

Das Gesetzespaket hat aber auch eine andere Seite,
und die ist genauso wichtig. Wir bekennen uns zur Auf-
nahme und Integration der schutzbedürftigen Flüchtlin-
ge. Wir öffnen früher die Integrationskurse für Menschen
mit Bleibeperspektive. Wir wollen, dass die, die blei-
ben – jedenfalls in den nächsten Jahren –, früher in Arbeit
kommen. Sprache und Arbeit sind die besten Mittel zur
Integration. Wir erleichtern und vereinfachen eine rasche
und vernünftige Unterbringung.

Zu all dem kommen umfangreiche finanzielle Hilfen
in Milliardenhöhe für Länder und Kommunen, auch für
den sozialen Wohnungsbau. Wir gehen also neue Wege,
um dieser großen Herausforderung gerecht zu werden.

Vizepräsident Peter Hintze






(A) (C)



(B) (D)


Das ist ein großes Paket und ein großer Schritt, und ich
bedanke mich für die breite Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Regelungen betreffen viele einzelne Schicksale,
unterschiedliche Schicksale. Sie betreffen zum Beispiel
einen jungen Mann aus Eritrea, der vor einer Diktatur
und dem Wehrdienst geflüchtet ist. Sie betreffen einen
syrischen Akademiker mit Familie, und sie betreffen ei-
nen älteren Mann aus Afghanistan, der weder lesen noch
schreiben kann. Sie betreffen eine junge jesidische Frau,
die so gerade eben vor dem Terror des „Islamischen Staa-
tes“ geflüchtet ist. Sie betreffen auch einen Antragsteller
aus Albanien, der schon zum zweiten oder dritten Mal
einen Asylantrag stellt, weil er hier arbeiten möchte. Die
Maßnahmen betreffen also Menschen mit unterschied-
lichen Biografien, unterschiedlichen Lebenswegen. Wir
werden mit diesem Gesetz vielen Menschen helfen kön-
nen, aber eben nicht jedem. Asyl- und Flüchtlingspolitik
heißt auch, unterschiedliche Schicksale unterschiedlich
zu behandeln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


Meine Damen und Herren, die Maßnahmen dieses Ge-
setzes betreffen uns alle, nicht nur die Flüchtlinge. Die
ganze Flüchtlingskrise betrifft uns alle. Die Sorgen wer-
den größer – Herr Oppermann hat das gesagt ; das dürfen
wir auch aussprechen. Es sind auch unsere Sorgen. Es
gibt keine Differenz zwischen Sorgen von Politikern und
Sorgen der Bevölkerung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber Aufgabe einer Regierung ist es, Sorgen nicht nur zu
verstehen, sondern zu handeln und sie abzubauen. Das
tun wir unter anderem mit diesem Gesetzespaket.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Zahl derer, die in diesem Jahr zu uns kommen, ist
einfach zu hoch. Ich kenne niemanden, der das ernsthaft
bestreitet.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Merkel!)


Wir arbeiten mit Hochdruck daran, diese Zahl zu ver-
ringern – international, europäisch und national. Keine
Maßnahme alleine ist geeignet, die Zahl der Flüchtlin-
ge zu begrenzen. Nur zusammen wirken sie. Auch un-
ser heute vorliegendes Gesetzespaket leistet dazu einen
wichtigen Beitrag. Herr Abgeordneter Sarrazin, die Al-
ternative ist nicht totale Abschottung oder totale Öff-
nung. Es ist eine Frage des Maßes. Darauf kommt es an,
und daran arbeiten wir.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, ich habe den Präsidenten
des Bundeskriminalamts damit beauftragt, gemeinsam
mit den Bundesländern erstmals ein Lagebild zur Kri-
minalität in und um Aufnahmeeinrichtungen sowie über

Straftaten, begangen von Flüchtlingen, zu erstellen. Die-
ses Lagebild werden wir dann vorstellen. Es soll einer
Legendenbildung in die eine oder andere Richtung ent-
gegenwirken und mit Fakten Klarheit und Ehrlichkeit in
dieser Debatte herbeiführen.

Ja, Frau Göring-Eckardt, ich habe das Verhalten man-
cher Flüchtlinge – einer Minderheit – kritisiert und bin
dafür kritisiert worden. Bitte schön.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten mal sagen sollen, dass es eine Minderheit war und ein Einzelfall!)


Sie haben es jetzt wieder getan. Ich will gar nicht auf
die Taxikosten eingehen, sondern auf einen ganz ande-
ren Punkt, wo wir einen grundlegenden Meinungsunter-
schied haben. Wenn man das, was Sie sagen, nämlich
dass es verständlich ist, dass ein Flüchtling mit seiner
Familie kommen möchte, zu Ende denkt, kommt man
zu dem Schluss: Dahinter steckt der Anspruch, dass es
jedem Flüchtling in Deutschland das Recht gibt, sich sei-
nen Wohnsitz auszuwählen. Da bin ich anderer Meinung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth Artikel 6! Familie! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Grundgesetz!)


(Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:


Wenn der Asylantrag abgelehnt ist, muss der Betreffende
unser Land verlassen. Wenn der Asylantrag angenom-
men wird, dann kann er bleiben. Aber in dieser Phase
der Aufnahme müssen wir darauf bestehen, dass die Las-
ten in Deutschland gleich verteilt werden und dass der
Flüchtling dahin geht, wohin er im Rahmen der Vertei-
lung geschickt wird – und nicht in den Ort seiner Wahl.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Realitäten zu verschweigen, hilft niemandem. Das
würde manchen Bürger eher in die Arme der Extremen
treiben, als wenn solche Sorgen auch ausgesprochen
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich kritisiere genauso und massiv die steigende An-
zahl von Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte und
Straftaten im Zusammenhang mit diesen. Diese Entwick-
lung ist erschreckend und beschämend. Menschen, die
Flüchtlinge hassen, hassen in Wahrheit auch unser Land,
und Menschen, die Galgen zeigen, verlassen – neben der
Tatsache, dass sie sich strafbar machen – jeden Boden für
Dialog in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sehe jedenfalls meine Aufgabe als Innenminister dar-
in, jeder Art von Hass, Gewalt und Straftaten – wer auch
immer sie begeht, und aus welchem Motiv sie auch im-
mer erfolgen – entschieden entgegenzutreten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das vorliegende Gesetzespaket ist eine Gemein-
schaftsleistung, und zwar länderübergreifend. Ich glaube,

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


wenn wir vor sechs Monaten oder sogar noch vor zwei
Monaten so etwas vorgeschlagen hätten, hätten wir si-
cherlich nicht eine solche Zustimmung bekommen. Ich
sage das besonders mit Blick auf die Länder mit grüner
Regierungsbeteiligung. Realität schafft Mehrheiten. Das
ist nun einmal so in der Politik, und das ist auch richtig
so.

In den letzten Wochen werde ich fast jeden Tag ge-
fragt, wie hoch die Zahl der Flüchtlinge sein wird und
ob es eine Obergrenze gibt. Ich glaube, eine Antwort
auf diese Frage gibt es nicht. Das wird dieser Aufgabe
nicht gerecht. Die Herausforderung zeigt ihren Umfang
erst auf dem gemeinsamen Weg. Jede neue Zahl würde
umgedeutet, um nach innen die Sorgen zu vergrößern
und um nach außen mehr Menschen in Kriegsgebieten
vorzutäuschen, sie würden geradezu eingeladen nach
Deutschland, was natürlich nicht stimmt. Wir haben viel
zu tun mit den Menschen, die zu uns kommen. Wir stel-
len uns dieser Aufgabe mit großer humanitärer und admi-
nistrativer Verantwortung. Aber dass wir Menschen aus
Krisengebieten geradezu einladen, nach Deutschland zu
kommen, trifft einfach nicht zu.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ja, es geht auch um Veränderung. Das Zusammenle-
ben mit so vielen Flüchtlingen einerseits und das Aus-
halten harter Maßnahmen andererseits, das ist neu für
die einen wie für die anderen. Die Flüchtlinge müssen
unsere Gesetze und Gewohnheiten akzeptieren und ein-
halten. Das mag für manche auch eine Veränderung be-
deuten. Aber das ist nötig. Es gibt nur einen zentralen
Bereich, wo wir uns nicht verändern wollen und verän-
dern werden: bei der Achtung unseres Grundgesetzes, bei
der Wahrung unserer Grundwerte sowie bei Respekt und
Anstand im Zusammenleben.

In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu diesem
Gesetzespaket.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813003500

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Jan Korte, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813003600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gleich zu Beginn – sicherlich zur Freude der CSU – ein

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1813003700


Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte
kennt keine Obergrenze.


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Da hat sie recht!)


Das gilt auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle
eines Bürgerkriegs zu uns kommen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich tue das selten, aber ich kann der Bundeskanzlerin
hier nur recht geben. Asyl und Grundrechte kennen keine
Kontingente. Dafür haben Sie meine volle Zustimmung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will aber auch sagen: Das ist kein revolutionärer Satz
der Bundeskanzlerin. Das ist eigentlich eine humanis-
tische Selbstverständlichkeit und nichts anderes als die
Wiedergabe des Grundgesetzes. Das muss man so ein-
ordnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist schon bezeichnend, dass diese Selbstverständ-
lichkeit in den Reihen der CSU zum völligen Austi-
cken führt. Ja, sie ticken völlig aus: Söder, Herrmann,
Seehofer. Es gibt kein Halten mehr. Ich will es deutlich
sagen – auch an die Adresse der Bundeskanzlerin –: In
diesem Fall haben Sie die Unterstützung der Linken
gegen die Extremisten in Ihren eigenen Reihen. Darauf
können Sie sich voll und ganz verlassen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings steht das vorangestellte Zitat in einem ek-
latanten Widerspruch zu dem, was Sie – auch Sie, Frau
Bundeskanzlerin – heute vorlegen. Die Dauer der Unter-
bringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung für geflüch-
tete Frauen, Kinder und Familien von drei auf sechs Mo-
nate verpflichtend zu erhöhen, ist inakzeptabel. Es sind
Menschen, und Menschen haben das Recht, menschen-
würdig untergebracht zu werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es soll des Weiteren ein Zurück zu Sachleistungen ge-
ben. Das ist nicht nur viel teurer und bürokratischer. Das
entmündigt vielmehr Menschen. Wir dürfen nicht ver-
gessen: Es geht um Menschen. Was Sie heute vorgelegt
haben, ist daher inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will noch etwas erwähnen: Das Kosovo soll ein
sicheres Herkunftsland sein. Darf ich kurz daran erin-
nern, dass wir hier jedes Jahr einen Bundeswehreinsatz
im Kosovo beschließen sollen, weil es dort so unsicher
ist? Fällt Ihnen irgendetwas auf? Das ist doch unlogisch.
Das ist Ideologie und nichts anderes. Das lehnen wir ab.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann begehen Sie einen offenen Verstoß gegen ein
klares Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Blick
auf die Leistungskürzung. Das kann doch nicht sein. Es
gibt ein aktuelles Urteil dazu, und Sie gehen einfach dar-
über hinweg. Auch das ist nicht zu akzeptieren und wird
von uns klar abgelehnt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Der Kollege Klaus Ernst hat hinsichtlich der Transit-
zonen eben wunderbar sachlich im Disput mit dem Kol-
legen Friedrich argumentiert. Was ist das für ein Gerede?
Wenn man das wirklich macht, dann schafft man Mas-
senhaftanstalten und dann macht es nach Ihrer Logik nur
Sinn, wenn die Grenzen komplett geschlossen und neue
Mauern gebaut werden. Das ist das Ende der europäi-
schen Idee, das Ende von Schengen. Helmut Kohl hält
es nicht aus, was Sie mit Europa machen, um auch das
einmal klar zu sagen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will meine Kritik gerecht verteilen. Ich würde mir
auch von der SPD und Sigmar Gabriel bei all diesen Fra-
gen wenigstens einmal, in einem Punkt eine klare Hal-
tung wünschen.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Wir haben eine sehr klare Haltung!)


Sagen Sie, wo Sie in dieser Debatte stehen. Wo stehen
Sie eigentlich?


(Beifall bei der LINKEN)


Eine Anmerkung auch zu den Grünen. In Hessen und
in Baden-Württemberg – das waren die Schlüsselländer –
gab es die Chance, das Vorhaben der Koalition zu verhin-
dern. Die wurde leider nicht ergriffen. Ich freue mich im
Übrigen, dass Thüringen und Brandenburg dem in dieser
Form am Freitag im Bundesrat nicht zustimmen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will noch einmal die Bundeskanzlerin zitieren –
das ist heute schon mehrfach geschehen –, und zwar ih-
ren Satz: Wir schaffen das. – Die entscheidende Frage ist:
Was wollen wir schaffen? Diese Frage müssen wir disku-
tieren und beantworten. Eigentlich bietet die Situation,
in der wir jetzt sind, die große Chance für eine soziale,
weltoffene und demokratische Modernisierung der Bun-
desrepublik, für eine Öffnung der Bundesrepublik und
für eine wirkliche Integrationspolitik.

Erstens. Die Kommunen waren vor der Ankunft der
Flüchtlinge völlig unterfinanziert, sie sind es jetzt genau-
so. Neu und gut für alle wäre es, in dieser Zeit endlich
die Finanzierung der Länder, des Bundes und der Kom-
munen neu zu regeln, damit die Misere ein Ende hat. Das
wäre gut für alle.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Der soziale Wohnungsbau wurde vor der
Ankunft der Flüchtlinge kurz und klein frikassiert. In elf
Jahren wurden 1 Million Sozialwohnungen abgebaut.
Neu und gut für alle wäre es, jetzt massiv in den sozialen
Wohnungsbau zu investieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Es gäbe jetzt die große Chance, endlich das
Bildungssystem in diesem Land zu reformieren und mit
dieser Kleinstaaterei Schluss zu machen. Neu und gut
für alle wäre ein Topbildungssystem in der ganzen Bun-

desrepublik. Das ist die richtige Antwort, die wir geben
müssen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. Egal ob Flüchtling oder Nichtflüchtling,
natürlich brauchen wir eine Reregulierung des Arbeits-
markts. Neu und gut für alle, ob für Inländer, Ausländer
oder Flüchtling, wäre ein Verbot der Leiharbeit – das
steht an –, wären ein vernünftiger Lohn und ein Min-
destlohn von 10 Euro für alle, ohne jegliche Ausnahme.
Das wären die richtigen Antworten, die man jetzt geben
müsste.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will noch kurz etwas zum Flüchtlingssoli anmer-
ken, den es angeblich geben müsse, wie es durch die Ga-
zetten geisterte, was im Zweifel von der CSU – ich weiß
es aber nicht – kam. Dazu will ich sagen: Wenn jemand
einen Flüchtlingssoli zahlen sollte, dann ist das die deut-
sche Rüstungsindustrie. Die sollte zahlen, und das Geld
sollte direkt an den UNHCR überwiesen werden. Das
wäre richtig.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe einige Punkte aufgezählt, die aufzeigen, was
man kurzfristig machen könnte. Dazu gehört auch – das
ist kurzfristig machbar – ein Verbot von Rüstungsexpor-
ten; das ist die richtige Antwort.


(Beifall bei der LINKEN)


All das könnte man tun. Diese kleinen Punkte, die eine
soziale, weltoffene Modernisierung in diesem Land dar-
stellen könnten, würden übrigens dazu führen, dass am
Ende aus dem ganzen Krisengerede ein großer Aufbruch,
sozial, demokratisch, weltoffen, entstehen könnte. An
dessen Ende könnte eine massive Steigerung der Lebens-
qualität durch eine angekurbelte Binnenkonjunktur und
Solidarität stehen. Was wir jetzt brauchen, ist nicht das,
was Sie vorgelegt haben. Was wir jetzt brauchen, ist eine
neue Ära der Solidarität, der Mitmenschlichkeit, eine
klare Haltung gegen Rassismus. Es gibt auch eine Gefahr
aus der Mitte.

Namens der Linken sage ich: Die Linke wird niemals
zulassen, dass die Schwachen gegen die Allerschwächs-
ten ausgespielt werden. Dagegen werden wir aufstehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813003800

Als nächste Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Dr. Eva Högl, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1813003900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! 25 Jahre nach der deutschen Einheit und
70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist

Jan Korte






(A) (C)



(B) (D)


Deutschland für Menschen aus allen Teilen der Welt ein
Land der Hoffnung, des Friedens, des Schutzes und der
Sicherheit, und darauf können wir sehr stolz sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diesen Gedanken hat dieser Tage Wolfgang Thierse for-
muliert. Ich finde, er hat recht. Ungefähr bis zu 10 000
Menschen kommen jeden Tag nach Deutschland. Sie flie-
hen vor Krieg, vor Terror, vor Verfolgung, vor Not und
Elend. Ich sage es in dieser Debatte ganz deutlich: Wir
helfen Menschen in Not. Wir geben ihnen Schutz, und
wir geben ihnen Sicherheit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutschland ist ein starkes Land. Wir sind weltoffen.
Wir sind reich. Wir heißen die Menschen hier willkom-
men, und wir sind hilfsbereit. Außerdem ist unser Arbeits-
markt in einer guten Verfassung. Hinzu kommt – auch
das gehört in diese Debatte –, dass wir Einwanderung
brauchen. Deswegen sage ich ganz klar: Ja, wir schaffen
das. Trotzdem müssen wir sehr klar und deutlich die Fra-
ge beantworten: Was schaffen wir, wie schaffen wir das,
und wer schafft das? Damit wir das schaffen, brauchen
wir einen handlungsfähigen Staat. Deshalb ist das Asyl-
paket, das wir heute hier beraten und hoffentlich auch
verabschieden, ein richtiger und wichtiger Beitrag.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In diesem Asylpaket steckt eine ganze Reihe von
Maßnahmen, die dazu beitragen, dass wir die Menschen,
die zu uns kommen, schnell registrieren, gut unterbrin-
gen und menschenwürdig versorgen, dass wir die Verfah-
ren kurz und stramm führen und dass wir die Menschen,
die hier keine Perspektive haben, die hier keinen Schutz
bekommen können, wirksam zurückführen. Auch das
gehört dazu, auch das gehört in dieses Paket. Alle ande-
ren, die die Perspektive haben, in unserer Gesellschaft
bleiben zu können, sollen eine Zukunft in Deutschland
bekommen.

Ich möchte zwei Punkte aus diesem Paket herauspi-
cken, die besonders wichtig sind. Der eine Punkt betrifft
das Thema „Verfahren verkürzen“. Es ist absolut men-
schenunwürdig, dass die Personen, die jetzt hierherkom-
men – sie kommen in großer Zahl –, monatelang darauf
warten müssen, dass sie registriert werden, dass sie ihr
Anliegen vortragen können, dass sie überhaupt einen
Antrag stellen können, und dann monatelang oder sogar
jahrelang darauf warten, dass eine Entscheidung getrof-
fen wird. Deswegen müssen wir die Verfahren verkürzen.


(Beifall bei der SPD)


Es ist richtig, dass die Menschen so lange in den Erst-
aufnahmeeinrichtungen bleiben, bis die Verfahren abge-
schlossen sind. Das ist ein wichtiger und richtiger Bei-
trag zur Verkürzung der Verfahren.

Zweiter Punkt. In dem Asylpaket steckt ganz viel zum
Thema Integration. Auch das ist ein ganz wichtiger Bau-
stein. Viele der Menschen, die zu uns gekommen sind
und noch kommen, werden länger oder auch für immer
bei uns bleiben. Deswegen ist es so wichtig, dass sie

schnell unsere Sprache lernen, dass sie ihre Qualifikati-
onen verbessern, dass sie einen Arbeitsplatz finden, dass
sie eine Ausbildung machen und eine Wohnung bekom-
men, dass sie sich mit unseren Werten und unserer Kultur
vertraut machen und dass wir gemeinsam mit ihnen das
Zusammenleben in unserer Gesellschaft gestalten. Damit
investieren wir in die betroffenen Menschen, aber auch in
unsere gesamte Gesellschaft. Das ist wichtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein weiterer Aspekt ist ebenfalls ganz wichtig: Wir
machen Politik für alle Menschen hier in Deutschland
und in Europa. Wir denken bei unserer Politik für Woh-
nungsbau und Integration, für Arbeitsmarkt und Aus-
bildung auch an alle anderen: an die Rentnerinnen und
Rentner, an die Obdachlosen, an die Familien, an die Al-
leinerziehenden und an Arbeitslose.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was schlagt ihr denn vor?)


Wir machen Politik für alle, und das ist ganz entschei-
dend. Diese Botschaft geht auch von diesem Asylpaket
aus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich wissen wir: Wir müssen, wenn wir helfen
wollen, auch helfen können. Das heißt, dass dauerhaft
nicht 10 000 Menschen jeden Tag nach Deutschland
kommen können. Deshalb sind wir uns im Deutschen
Bundestag einig, dass wir die Zuflucht begrenzen müs-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber wir antworten darauf nicht damit, dass wir die
Grenzen schließen, wir senken nicht unsere Standards für
die Menschen, die zu uns kommen, und wir antworten
auch nicht mit Abschreckung,


(Beifall bei der SPD)


sondern wir antworten mit menschenwürdiger Politik.
Wir wollen die Fluchtursachen bekämpfen. Dazu ist heu-
te Morgen schon viel gesagt worden, was ich nicht wie-
derholen möchte.

Aber ich möchte noch etwas sagen, was ich für ganz
entscheidend halte: Es geht um Europa. Meiner Meinung
nach ist das Thema „Flüchtlinge und Zuwanderung“ eine
Bewährungsprobe für Europa. Ich will es ganz deutlich
sagen: Schengen ist wichtiger als der Euro. Wenn wir
die zentrale Errungenschaft Europas nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges, nämlich die offenen Grenzen und
die Freizügigkeit, das, was Europa für die Bürgerinnen
und Bürger ausmacht, preisgeben, nur weil wir nicht in
der Lage sind, eine gute und vernünftige Flüchtlingspoli-
tik zu machen, dann wäre das wirklich ein Skandal.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen muss unser Engagement in Richtung Europa
gehen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe in Europa. Wir
brauchen gleiche Standards, einheitliche Verfahren, eine

Dr. Eva Högl






(A) (C)



(B) (D)


gerechte Verteilung, eine solidarische Finanzierung, und,
ja, wir brauchen auch besser gesicherte Außengrenzen.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das
Asylpaket richtig und wichtig. Ich bitte darum, dem heu-
te zuzustimmen und es so zu verabschieden. Es ist ein
wichtiger Schritt, wenn auch nicht der letzte; es bleibt
noch viel zu tun.

Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Das ist
ein tolles Wort, ich weiß, aber ich meine es ganz ernst.
Wir kapitulieren nicht davor, sondern gehen diese Her-
ausforderung engagiert und beherzt im Sinne der Men-
schen an, die zu uns kommen und hier Schutz suchen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813004000

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Derzeit er-
reichen Deutschland mehr Flüchtlinge als jemals zuvor
seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie kommen
zweifellos aus sehr unterschiedlichen Gründen, aber die
überwältigende Mehrheit von ihnen kommt nach drama-
tischer Flucht und in größter Not. In dieser Zeit gibt es
in Deutschland Zehntausende von Menschen, die nicht
lange fragen, was dieses Land, sondern was sie selbst
für Flüchtlinge tun können. Hauptamtliche und Ehren-
amtliche, Junge und Alte, sie alle leisten vorbildliche und
großartige Arbeit, oftmals bis an den Rand der Erschöp-
fung. Diesen Menschen gebührt zunächst einmal unser
aller Dank.


(Beifall im ganzen Hause)


Jetzt erwartet man zu Recht Antworten von uns, aus
dem Deutschen Bundestag. Wir sehen in dem heute vor-
liegenden Paket zwar durchaus gute Instrumente, aber
leider auch zahlreiche schlechte, verfassungsrechtlich
problematische und vielfach einfach untaugliche.

Wir sagen Ja zu einer strukturellen und dauerhaften
finanziellen Entlastung der Länder und Kommunen. Wir
sagen Ja zu überfälligen Verbesserungen im Asylrecht,
dazu, 16- und 17-Jährige endlich nicht einfach wie Er-
wachsene zu behandeln. Wir sagen Ja zu einem einfa-
cheren Planungsrecht, das hoffentlich möglichst viele
Flüchtlinge vor dem kommenden Winter aus den Zelten
holt.

Aber wir sagen Nein zu dem nutzlosen und verfas-
sungsrechtlich problematischen Konstrukt der sicheren
Herkunftsstaaten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir sagen Nein dazu, Asylsuchende länger in Erstauf-
nahmeeinrichtungen festzusetzen; das ist unpraktikabel,

und es verhindert die Integration, die wir doch gerade
wollen. Wir sagen Nein zu immer weiteren Anspruchs-
einschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz; da
verweise ich auf die klare Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts. Herr de Maizière, gerade haben Sie
von der Achtung gegenüber dem Grundgesetz gespro-
chen. Das gilt auch für Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir lehnen eine immense Bürokratisierung durch Sach-
leistungen ab, die Flüchtlingen und den Helferinnen und
Helfern das Leben zusätzlich erschwert und immense
Kosten erzeugt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das alles sind bürokratische Placebos, die uns in der der-
zeitigen Situation einfach nicht weiterhelfen.

In Abwägung der positiven und der negativen Argu-
mente werden wir uns heute bei dem von Ihnen vorgeleg-
ten Gesamtpaket enthalten.

Tatsächlich effektive Maßnahmen liegen aber längst
auf dem Tisch: Anerkennung und Rechtssicherheit für
die Asylsuchenden, die seit Jahren bei uns leben;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


die überfällige Abschaffung der Vorrangprüfung, die aus-
gerechnet von der SPD verhindert wurde, Frau Högl –
herzlichen Glückwunsch! –;

unbürokratische Anerkennung derjenigen aus Staaten mit
hohen Anerkennungsraten; entschlossene Maßnahmen
für Integration, vor allen Dingen eine Bildungsoffensive.
All das schlagen wir seit langem und heute erneut vor,
und all das ignorieren Sie noch immer. Das ist einfach zu
wenig, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Statt Entschlossenheit und Geschlossenheit in der
CDU/CSU-Fraktion Meuterei auf der Bounty . Aus Krei-
sen ausgerechnet der Fachpolitiker der Union wurde
offen mit – ich zitiere – „Regierungsabwahl“ gedroht.
Regierungsabwahl! Man muss es sich einmal vorstel-
len! Diese Drohung soll offensichtlich von Ihren eigenen
massiven Versäumnissen ablenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


CSU und CDU tragen seit zehn Jahren die Verantwor-
tung für die Innen- und auch für die Flüchtlingspolitik
in diesem Land. Um dies zu kaschieren und um ein drin-
gend erforderliches Einwanderungsgesetz zu verhindern,
riskieren Sie lieber das politische Ende Ihrer eigenen
Bundeskanzlerin. Das ist ein Skandal, meine Damen und
Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein Kalauer! Kein Skandal!)


Früher hieß konservativ sein: auch Verantwortung
übernehmen in schwierigen Zeiten. – Heute haben wir ei-
nen Innenminister, der ohne irgendeine Faktenbasis über

Dr. Eva Högl






(A) (C)



(B) (D)


taxifahrende Flüchtlinge schwadroniert, um allen Ernstes
den Eindruck zu erwecken, Herr de Maizière, er habe mit
der katastrophal schlechten Ausstattung des BAMF, mit
der unakzeptabel langen Verfahrensdauer und mit dem
ganzen Chaos der letzten Monate nichts zu tun. Das ist
absurd. Das ist peinlich, Herr de Maizière. Man kann nur
hoffen, dass der Chef des Bundeskanzleramts es besser
und sachbezogener angeht als Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und Horst Seehofer? Der macht seit Wochen die un-
sozialen, unchristlichen, antieuropäischen Positionen der
„neuen Rechten“ hoffähig. Ich sage Ihnen: Das wird Ih-
nen noch leidtun, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das glaube ich nicht!)


Nun will er – Herr Seehofer – die eigene Bundesregie-
rung verklagen – vor dem Bundesverfassungsgericht.
Das ist nur noch grotesk, meine Damen und Herren. Un-
fassbar!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich möchte der Bundeskanzlerin an dieser Stelle sa-
gen: Ich habe, auch im Sinne meiner Partei und Fraktion,
vieler Leute dort, durchaus Respekt für Ihre bisherige
Haltung in der Flüchtlingsfrage. Aber wer solche Koaliti-
onspartner hat, der muss sich fragen, ob er für die größte
Herausforderung unserer Geschichte seit der Wiederver-
einigung tatsächlich gewappnet ist.


(Rüdiger Veit [SPD]: Wir sind auch noch da! – Gegenruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal rechts und mal links!)


Wenn 24 Stunden nach der Regierungsabwahldrohung
von Herrn Uhl die irrsinnige Forderung, die Türkei ernst-
haft zu einem sicheren Herkunftsstaat zu machen, über-
nommen wird, dann erweckt das schlicht den Eindruck
der Erpressbarkeit, Herr Kauder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn man etwas freiwillig macht, ist man nicht erpresst!)


Wenn die Autorität erodiert wie am Dienstag in der
Sitzung Ihrer Bundestagsfraktion, wenn in der Partei
Putsch in der Luft liegt wie gestern Abend offenbar in
Schkeuditz,


(Sabine Weiss waren doch gar nicht dabei!)


dann fehlt das Vertrauen, das Sie dringend brauchen. Ich
sage Ihnen: Sie müssen das in Ihren Reihen klären; denn
wir brauchen eine Haltung – eine Haltung! –: die Bun-
desregierung, dieses Parlament und das ganze Land.


(Sabine Weiss halten sich doch heute! Das ist Ihre Haltung!)


Wir brauchen Geschlossenheit und Mut. Wir brauchen
ein klares Ja zur Einwanderungsgesellschaft und zur
Integration. Wir können das schaffen. Wir können das
schaffen, aber nur, wenn alle, die es schaffen wollen, an
einem Strang ziehen.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813004100

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1813004200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

ber Kollege von Notz, ganz klar ist mir nicht geworden,
wie wir es eurer Ansicht nach schaffen wollen, wenn die
grüne Fraktion sich enthält.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Seit vielen Wochen und Monaten diskutieren wir
über das Thema Flüchtlinge. Gemeinsam haben wir be-
reits zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht, um die
stark gestiegenen Flüchtlingszahlen und die damit ver-
bundenen Herausforderungen zu bewältigen. Vieles hat
sich verändert. Wir sprechen heute von einer der größten
Flüchtlingskrisen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Doch eines hat sich nicht geändert: unsere feste Über-
zeugung, dass unser Asylsystem nur funktionieren kann,
wenn die geltenden Regeln von allen Beteiligten einge-
halten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mehr denn je stellt sich heute im Angesicht der nicht
nachlassenden Flüchtlingsströme nach Deutschland die
Frage: Was ist ein gerechtes Asylsystem? Je nachdem,
wohin man in diesem Hohen Haus schaut, wird es ver-
schiedene Antworten darauf geben. Ich möchte mich da-
her auf vier Kernpunkte konzentrieren, die wir wohl fast
alle teilen.

Ein Asylsystem ist dann gerecht, wenn es denjenigen
Schutz bietet, die vor politischer Verfolgung, Krieg, Plün-
derung und Vergewaltigung aus ihrer Heimat fliehen.

Ein Asylsystem ist dann gerecht, wenn es seine Kapa-
zitäten für diejenigen zur Verfügung stellt, die den Schutz
wirklich benötigen.

Es ist gerecht, wenn es verlässlich und anerkannt ist:
verlässlich für unsere internationalen Partner, für die
Schutzsuchenden und – das wird häufig vergessen – an-
erkannt durch die eigene Bevölkerung.

Ein Asylsystem ist aber auch nur dann gerecht, wenn
es den Verfolgten eine angemessene menschenwürdige
Aufnahme und die Chance zur Integration bieten kann.

Seit Anfang September – das wird sicherlich niemand
hier bestreiten – befinden wir uns bei der Flüchtlingsfra-
ge im Ausnahmezustand. Wir erleben einen massiven
Zustrom von bis zu 10 000 Asylbewerbern am Tag, die

Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


alle registriert, versorgt und untergebracht werden müs-
sen. Die hauptamtlichen und die ehrenamtlichen Helfer
leisten in diesen Tagen großartige Arbeit und manchmal
fast schon Übermenschliches: die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Ausländerbehörden, Polizisten, Soldaten
und die vielen Helfer vom THW, vom Roten Kreuz, von
den freiwilligen Feuerwehren und vielen weiteren Orga-
nisationen, wie sie zum Beispiel auch heute auf den Zu-
schauertribünen Platz gefunden haben. Dafür möchte ich
ihnen herzlich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der
aktuellen Lage verstehe ich, wenn es in Landkreisen,
Städten und Gemeinden, aber auch bei freiwilligen und
hauptamtlichen Helfern heißt: Wir können diese Massen
nicht mehr bewältigen. – Genauso verstehe ich die Sor-
gen und Bedenken der Menschen bei uns im Land, wenn
es gilt, auf einmal 1 000 Flüchtlinge innerhalb weniger
Stunden in einer kleinen Gemeinde unterzubringen, wie
zum Beispiel im Fall von Hardheim in meiner Heimat-
region.

Für mich steht fest: Wir dürfen unsere Kommunen und
die Helfer nicht grenzenlos belasten. Wir brauchen drin-
gend geordnete Strukturen und Verfahren. Deshalb ist es
von fundamentaler Bedeutung, dass wir mit der heutigen
Debatte und ihren rechtlichen Folgen ein Signal an die
Bürgerinnen und Bürger senden, dass wir die Sorgen
ernst nehmen und unserer Verantwortung nachkommen,
Herr der Lage zu sein. Es ist deshalb richtig, dass wir mit
dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz eine konse-
quente Trennung einhalten zwischen den Schutzbedürf-
tigen und denen, die keinen Anspruch auf Asyl haben,
eine Trennung, die sich wie ein roter Faden durch unser
komplettes Asylsystem ziehen muss.

Wir haben nun in diesem Sinne ein Gesamtpaket auf
den Weg gebracht, durch das die Verfahren beschleunigt
werden, Anreize reduziert werden sowie die Schaffung
von Unterbringungsmöglichkeiten und die Integration
von Asylbewerbern mit Bleibeperspektive erleichtert
werden. Ein wichtiger Baustein dabei ist, dass nun alle
Balkanländer als sichere Herkunftsstaaten eingestuft
werden, weil dort keine systematische Verfolgung droht.
Damit können nun auch Anträge von Asylbewerbern aus
Albanien, dem Kosovo und Montenegro schneller bear-
beitet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Antragsteller aus sicheren Herkunftsländern müssen
zudem künftig bis zum Ende des Asylverfahrens in der
Erstaufnahmeeinrichtung bleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine weitere Voraus-
setzung für ein geordnetes Verfahren und ein faires Asyl-
system ist die Beseitigung von Fehlanreizen. Ein wichti-
ger Anreiz für die Menschen, die in unser Land kommen,
ohne schutzbedürftig zu sein oder obwohl sie bereits in
einem anderen Land Schutz gefunden haben, sind die
Geldleistungen, die bei uns gewährt werden. Diese mö-
gen manchem gering erscheinen, übersteigen jedoch oft

die Monatslöhne in den Heimatländern der Menschen um
ein Vielfaches. Es ist deshalb das richtige Signal, dass die
Auszahlung von Geldleistungen längstens einen Monat
im Voraus erfolgen darf. In den Erstaufnahmeeinrich-
tungen soll der Bargeldbedarf künftig, soweit möglich,
durch Sachleistungen ersetzt werden. Ich möchte an die-
ser Stelle eindringlich appellieren, diese Regelung auch
konsequent umzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Sinne der Akzep-
tanz des Asylsystems sind auch die vorgesehenen Ein-
schränkungen im Leistungsbezug. Nimmt ein vollzieh-
bar Ausreisepflichtiger, bei dem das Ausreisedatum und
die Reisemöglichkeit feststehen, die Ausreise nicht wahr,
steht ihm nach dieser Frist bis zur Ausreise nur noch ein
Anspruch auf Deckung des Bedarfs an Ernährung und
Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und
Gesundheitspflege zu. Gleiches gilt für Geduldete, bei
denen eine Abschiebung aus selbst zu vertretenden Grün-
den nicht möglich ist. Diese Einschränkungen stehen –
das hat auch die Anhörung ergeben – im Einklang mit
dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei diesen Asylbewerbern ist nämlich nicht von einem
dauerhaften Aufenthalt und daher von einem geringeren
Bedarf zur Deckung der Kosten für die Lebensführung
auszugehen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schön!)


Nachholbedarf besteht bei der Abschiebung der Aus-
reisepflichtigen. Nach wie vor klaffen die Zahl der abge-
lehnten Asylbewerber und die Zahl der Abschiebungen
weit auseinander. Aber auch hier sage ich: Wir müssen
die Akzeptanz und die Berechenbarkeit unseres Asylsys-
tems beibehalten. Dazu gehört, dass wir unsere Regeln
endlich konsequent durchsetzen und damit auch abge-
lehnte Asylbewerber zügig wieder nach Hause schicken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür sind die Länder zuständig!)


Alles andere ist angesichts der Lage in den Kommunen
nicht mehr zu vermitteln. Auch hier machen wir mit dem
Gesetz unsere Hausaufgaben und geben den Ländern ent-
sprechende Instrumente an die Hand. So dürfen Abschie-
bungen künftig nicht mehr angekündigt werden. Mit der
bislang gängigen Praxis wurden viel zu häufig diejenigen
geschützt, die sich ihrer Abschiebung durch Untertau-
chen entziehen wollten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jetzt liegt der Ball im Feld der Länder. Für die gilt: Kom-
men Sie Ihrer Pflicht nach, und verweisen Sie diejeni-
gen schneller des Landes, die kein Recht haben, hier zu
sein, und die lediglich die Kapazitäten für die tatsächlich
Schutzbedürftigen blockieren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn uns dies al-
les gelingt und unser Asylsystem akzeptiert, berechenbar

Nina Warken






(A) (C)



(B) (D)


und fair bleibt und wir ein geordnetes Verfahren haben,
dann bin ich mir sicher, dass wir auch die wichtigste Auf-
gabe erfolgreich bewältigen: die Integration der zu uns
kommenden Menschen. So sorgen wir mit dem Geset-
zespaket, etwa mit der Öffnung der Integrationskurse für
Asylbewerber und Geduldete mit guter Bleibeperspek-
tive, dafür, dass sich diese Menschen bei uns im Land
schneller eine eigene Zukunft aufbauen können. Gleich-
zeitig gebe ich dem Bundesinnenminister recht, wenn er
betont, dass Integration keine Einbahnstraße sein dürfe.
Nicht nur wir müssen Integrationsangebote und eine ge-
lebte Willkommenskultur schaffen, sondern auch umge-
kehrt erwarten wir von den Flüchtlingen, dass sie unsere
Werte und unsere Gesetze achten und annehmen. Eines
muss auch gesagt werden: Wer sich zum Beispiel von
Frauen das Essen nicht reichen lässt oder sich weigert,
mit ihnen zusammen einen Deutschkurs zu besuchen,
den werden wir, egal wie sehr wir uns bemühen, nicht
integrieren können, und der sollte sich fragen, ob wir das
richtige Land für ihn sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, das vorlie-
gende Gesetzespaket ist ein großer Schritt in die richti-
ge Richtung. Wenn der Flüchtlingsstrom weiter anhält,
werden jedoch weitere Maßnahmen folgen müssen.
Bundespräsident Gauck hat es vor kurzem auf den Punkt
gebracht: Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkei-
ten sind endlich. – Letzteres ist uns sehr wohl bewusst.
Deshalb sollten wir bereits heute über weitere Schritte
nachdenken, wie etwa die Möglichkeit, Asylverfahren
auch direkt an der Grenze durchzuführen. Wie auch Bun-
deskanzlerin Merkel heute betont hat, können wir die
Flüchtlingskrise nicht allein in Deutschland lösen. Wir
brauchen eine faire Verteilung der Flüchtlinge innerhalb
Europas.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813004300

Frau Kollegin, die Sache mit der Endlichkeit gilt auch

für die Redezeit. Die ist schon überschritten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1813004400

Ich komme zum Ende. – Liebe Kolleginnen und Kol-

legen, in der gegenwärtigen Situation gibt es nicht die
eine Lösung. Wir brauchen eine ganze Reihe von Maß-
nahmen. Einige davon können wir sofort in Angriff neh-
men, für andere brauchen wir einen langen Atem. Auf
nationaler Ebene gehen wir mit dem Gesetzespaket den
richtigen Schritt und geben den Ländern gute Instrumen-
te in die Hand. Ich fordere diese nochmals auf, sie zu nut-
zen. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, rufe ich zu:
Stimmen wir dem Gesetz mit breiter Mehrheit zu, und
senden wir ein Signal nicht nur an die Flüchtlinge, son-
dern vor allem auch an unsere Bürgerinnen und Bürger!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813004500

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813004600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Frau Kollegin, weil Sie von „Fehlanreizen“ gesprochen
haben, möchte ich hier eines doch einmal betonen: Die
Menschenwürde ist kein Fehlanreiz. Auch Menschen, die
nach Deutschland kommen und deren Asylantrag abge-
lehnt wird, haben ein Recht darauf, hier in Menschen-
würde zu leben.


(Beifall bei der LINKEN)


Das garantiert unser Grundgesetz. Der Schutz der Men-
schenwürde und des Grundgesetzes sollte eigentlich
auch Ihnen wie uns allen hier oberste Verpflichtung sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute steht eine historische Abstimmung an. Nach
dem Asylkompromiss im Jahr 1992 ist dies der gravie-
rendste Angriff auf das Grundgesetz und auf das Recht
auf Asyl. Es ist ein schwarzer Tag für das Asylrecht.
Diesmal sind es leider nicht nur Union und SPD, die
die Axt an die Restbestände dieses Grundrechtes legen,
sondern es sind leider – ich bedauere das aus tiefstem
Herzen – die grün mitregierten Länder Baden-Württem-
berg und Hessen. Ich finde, auch eine Enthaltung, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist angesichts dieser massi-
ven Eingriffe in die rechtsstaatlichen Garantien, in dieses
Recht auf Asyl, ein Armutszeugnis.


(Beifall bei der LINKEN)


Das sollten Sie sich noch einmal überlegen.

Dieser Gesetzentwurf atmet lediglich den Geist der
Abwehr und der Abschreckung. Deshalb wird er nur dazu
führen, dass Flüchtlinge schlechter gestellt werden. Er at-
met auch den Geist der Abschottung. Wir Linke weisen
ihn deshalb scharf zurück, weil wir der Auffassung sind,
das Grundrecht auf Asyl und das Grundgesetz dürfen
nicht zum Steinbruch der Abschottungspolitik werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie reden immer von Integration. Dabei bringen Sie
hier ein Regelwerk auf den Weg, das Integration ver-
hindert. Welchen integrationspolitischen Nutzen soll es
denn haben, dass Menschen hier sechs Monate lang nicht
arbeiten dürfen? Welchen integrationspolitischen Nutzen
soll es denn haben, dass Menschen sechs Monate lang
zwangskaserniert werden sollen? Und welchen integrati-
onspolitischen Nutzen soll es haben, dass Menschen nur
noch Sachleistungen bekommen? Sie wissen, dass das
nicht zur Integration der Menschen führen wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist auch Ihr Kalkül, meine Damen und Herren. Sie
wollen diese Abschreckung, und Sie wollen diese Aus-

Nina Warken






(A) (C)



(B) (D)


grenzung und Schlechterstellung der Flüchtlinge. Das ist
einfach schändlich, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen Integration statt Abschreckung und
Ausgrenzung der Schutzsuchenden. Deshalb hat mein
Kollege Korte richtig gesagt: Wir brauchen ein soziales
Integrationsprogramm, mehr Lehrer, mehr öffentlichen
Wohnungsbau, mehr Ärzte, mehr Krankenhäuser statt
Entrechtung und Ausgrenzung von Flüchtlingen.


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Sehr lange drei Minuten!)


– Eines will ich noch erwähnen, weil meine Kollegin
auch überzogen hat.


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Oder ist es nur so langer Atem?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813004700

Die Zeit.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813004800

Angesichts der Bombardierung kurdischer Gebie-

te durch Erdoğan und die AKP und angesichts dieses
furchtbaren Bombenanschlags und der Verfolgungswelle
in der Türkei, angesichts des Krieges gegen den eigenen
Teil der Bevölkerung von Erdoğan: Möchten Sie diesen
Terrorunterstützer, der den IS und andere islamistische
Terrormilizen bewaffnet – das wissen Sie auch –, zum
sicheren Herkunftsstaat erklären? Das ist doch wirklich
schäbig, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813004900

Die Zeit, Frau Kollegin.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813005000

Es ist schäbig und schändlich. Hören Sie damit auf!

Bekämpfen Sie die Fluchtursachen und paktieren Sie
nicht mit der personifizierten Fluchtursache Erdoğan!


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813005100

Nächste Rednerin ist die Bundesministerin Dr. Barbara

Hendricks für die Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
erleben gerade eine Situation, die unsere Gesellschaft im
Ganzen fordert. In der Hoffnung auf Frieden und eine
Zukunft vertrauen sich vor Krieg und Hoffnungslosigkeit
geflüchtete Menschen uns an. Es ist unsere menschliche
Pflicht, sie aufzunehmen und willkommen zu heißen.

Es ist unsere politische Verantwortung, Sorge zu tragen,
dass aus Fremden Nachbarn werden können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht jetzt vor allem um pragmatische Schritte, um
konkrete Maßnahmen, die den Menschen wirklich hel-
fen, ganz egal, ob sie hier geboren sind oder erst seit kur-
zem bei uns leben. Unsere Politik muss in diesem Sinne
jetzt auch sicherstellen, dass für alle Menschen Wohn-
raum oder – sofern noch kein endgültiger Wohnraum
vorhanden ist – vorübergehende Unterkünfte zur Verfü-
gung stehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die
Realität betrachten. Der Winter steht nun wirklich unmit-
telbar vor der Tür, die Temperaturen bewegen sich schon
jetzt um den Gefrierpunkt. Das heißt, wir haben keine
Zeit zu verlieren. Alle Menschen brauchen ein Dach über
dem Kopf. Wir sind – das wissen wir alle – ein starkes
Land.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der LINKEN: Das kommt zu spät!)


Wir sind bei allen Schwierigkeiten, die ich nicht kleinre-
den will, durchaus in der Lage, diesem überlebenswich-
tigen Bedürfnis der Menschen gerecht zu werden. Das
muss, wird und kann unser Land auch wirklich leisten.

Wir brauchen – erstens – kurzfristige Lösungen für
neue Unterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen. Mein
Haus hat seinen Beitrag zu dem vorliegenden Gesetzes-
text mit weitgehenden Änderungen im Bauplanungsrecht
geleistet, insbesondere um die Situation in den Kommu-
nen zu verbessern. Mit unseren Regelungsvorschlägen
machen wir in sämtlichen Gebietsarten – in Bebauungs-
plangebieten, im nicht beplanten Innenbereich und im
Außenbereich – sowohl Erstaufnahmeeinrichtungen als
auch Gemeinschaftsunterkünfte zulässig.

Im Übrigen haben wir eine Art Generalklausel vorge-
legt: Wenn auch mit allen bereits genannten Erleichte-
rungen dringend benötigte Aufnahmeeinrichtungen und
Gemeinschaftsunterkünfte nicht rechtzeitig bereitgestellt
werden können, ermöglichen wir auch generelle Abwei-
chungen von den Vorschriften des Baugesetzbuches.

Wir müssen – zweitens – den Wohnungsneubau in
Deutschland kräftig ankurbeln. Viele Menschen, die zu
uns kommen – das wissen wir –, werden auf Dauer oder
zumindest für eine Reihe von Jahren bleiben. Sie werden
sich, wie viele Deutsche auch, auf die Suche nach gutem
und bezahlbarem Wohnraum machen. Ich sage hier ganz
klar: Wir werden dabei nicht zulassen, dass der Eindruck
entsteht, dass für Flüchtlinge gebaut wird und für Einhei-
mische nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


Das kann nicht sein. Unser Ziel ist und bleibt dauerhafter
bezahlbarer Wohnraum für alle Menschen mit niedrigem
und mittlerem Einkommen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU])


Wir investieren deshalb 2 Milliarden Euro zusätzlich und
damit insgesamt 4 Milliarden Euro bis zum Jahr 2019
in den sozialen Wohnungsbau. Ich freue mich, dass die
Länder die zweckentsprechende Verwendung der Mittel
zugesagt haben.

Der Bund wird den Kommunen zudem weitere Immo-
bilien und Liegenschaften schnell und verbilligt für den
sozialen Wohnungsbau überlassen.


(Beifall bei der SPD)


Ich setze mich darüber hinaus für steuerliche Anreizinst-
rumente ein. Hierzu stehe ich bereits mit dem Bundesfi-
nanzminister im Dialog. Ich bin sehr zuversichtlich, dass
wir hier gemeinsam mit den Ländern schon sehr bald zu
einem guten Ergebnis kommen werden.

Grundsätzlich gilt: Wir brauchen die Länder und
Kommunen genauso wie private Investoren und Flä-
chenvermarkter. Alle geeigneten Flächen müssen für den
Wohnungsneubau aktiviert werden. Und wir brauchen
mehr private Investitionen in den Wohnungsneubau.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wem sagen Sie das?)


Niemand kann allerdings mit Sicherheit vorhersagen, ob
die Maßnahmen ausreichen oder ob wir nicht in einigen
Monaten weitere Schritte beraten müssen. Denn wir alle
wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wohnen ist ein
kein Luxus; Wohnen ist nichts, worauf ein Mensch, und
sei es auch nur vorübergehend, einfach einmal so ver-
zichten könnte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Dem Rechnung zu tra-
gen, ist eine gesamtgesellschaftliche Pflicht, ist eine ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe, die wir nur gemeinsam
lösen können.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813005200

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Weil wir es schaffen wollen, ist es längst überfällig
und wichtig und richtig, dass sich der Bund nun endlich
bereit erklärt hat, die Länder und Kommunen strukturell

und dynamisch bei der Versorgung von Flüchtlingen fi-
nanziell zu unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


Der Bedarf und die Not sind doch augenscheinlich, wenn
wir sehen, wie die Menschen tagelang im Freien auf ihre
Registrierung warten oder gar bei Temperaturen unter
null auf der Straße schlafen müssen. Deshalb: Die finan-
zielle Unterstützung durch den Bund ist ein guter Teil
dieses Pakets.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was wir eben auch brauchen, sind schnellere Verfahren.
Nur kommt es weder zu einer Aufhebung der Wider-
rufsprüfung noch zu einer Altfalllösung. Genauso fehlen
erleichterte Verfahren bei besonders Schutzbedürftigen
oder unbürokratische Möglichkeiten zur privaten Unter-
bringung und zur familiären Zusammenführung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das betrifft übrigens Artikel 6 unseres Grundgesetzes.
Das als Asylverfahrensbeschleunigung zu bezeichnen,
das ist wirklich Etikettenschwindel, und dem stimmen
wir nicht zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ich im vorliegenden Gesetzentwurf wirklich
schmerzlich vermisse, das ist die Rückbesinnung auf Ar-
tikel 1 und auf Artikel 18 unseres Grundgesetzes. Denn
das müsste heißen: keine Verschärfung, sondern eine Po-
litik aus der Perspektive des Flüchtlings und gemessen
an der Realität von großen Fluchtbewegungen, eine Po-
litik, die die Würde des Flüchtlings und das individuelle
Grundrecht auf Asyl achtet und es nicht traktiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer Integration und ein friedliches Zusammenleben
wirklich will, der verlängert doch nicht die Verweildauer
in Erstaufnahmeeinrichtungen und der entwürdigt auch
Schutzsuchende nicht mit Sachleistungen, sondern er
sorgt dafür, dass die Menschen unsere Sprache lernen
können und dass sie schnell in Bildung, Ausbildung und
Arbeit, übrigens ohne Vorrangprüfung, kommen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Anders als die Rhetorik von Angela Merkel atmen die
fast enthemmten Debattenbeiträge mancher – dazu ge-
hört auch Hans-Peter Friedrich – in diesen Tagen immer
weniger den Geist der humanitären Schutzverantwor-
tung, der so viele Helfer in unserem Land beseelt, übri-
gens auch und gerade in Bayern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber die können nicht mehr, Frau Roth!)


Vielmehr atmen sie den Geist von Abwehr, von Abschre-
ckung und von Anreizminderung. Ein Baustein dafür ist
die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsländer,
wie im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen. Die Ab-

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


surdität dieses Konstrukts wird am Beispiel Kosovo deut-
lich – da hat Kollege Korte doch recht –, das nicht einmal
in der EU von allen Ländern als unabhängiger Staat aner-
kannt wird und in das wir – alle, die zugestimmt haben –
noch vor der Sommerpause deutsche Soldaten geschickt
haben, weil die Lage dort so instabil ist. Wenn jetzt sogar
die Türkei, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten
werden, wo es entgrenzte Gewalt gibt, zum sicheren Her-
kunftsland umdefiniert werden soll – und nichts anderes
ist das –, dann zeigt das doch auch die Willkürlichkeit
des Konzepts insgesamt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Wir erleben mehr und mehr eine von innenpolitischen
Interessen getriebene Außenpolitik. Aber wie soll eine
solche Politik menschenrechtsbasiert und wertegeleitet
sein? Darauf haben Sie keine Antwort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist in
diesen Tagen leicht entflammbar. Wenn wir sehen, dass
im Durchschnitt täglich zwei Flüchtlingsunterkünfte an-
gegriffen werden, wenn wir angesichts der fürchterlichen
Entgleisungen der Pegida nach Dresden blicken, wenn
wir angesichts der widerlichen Hetze der AfD nach Er-
furt blicken, dann erwarte ich, dass wir uns alle unserer
Verantwortung für unser Land und für alle Menschen in
diesem Land bewusst sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


Deswegen meine Bitte: Zündeln Sie nicht mit! Hören
Sie auf mit der Kriegsrhetorik! Die Flüchtlinge bedrohen
uns nicht; sie sind doch in Not und nicht wir in Notwehr.
Setzen Sie klare Zeichen, dass Hass und Ausgrenzung in
unserem Land nichts verloren haben!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813005300

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1813005400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren!


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813005500

Da muss ich widersprechen: Es sitzt ein Präsident hin-

ter Ihnen. Aber das macht nichts.


(Heiterkeit – Rüdiger Veit [SPD]: Immer gendern!)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1813005600

Seit Monaten sorgen die Verantwortungsträger in den

Kommunen, unsere Polizisten und Soldaten, die Mitar-

beiter in den Ausländerbehörden und Hilfsorganisationen
und die vielen ehrenamtlichen Helfer in einem beispiel-
losen Kraftakt dafür, dass Deutschland seinen hohen
humanitären Ansprüchen in dieser Ausnahmesituation
gerecht wird. Sie sind die stillen Helden in dieser histo-
rischen Flüchtlingskrise, und wir können ihnen gar nicht
oft genug Danke sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer diese beeindruckende Leistung ernsthaft anerkennt,
der muss aber auch erkennen, dass diese Leistung auf
Dauer nicht tragbar ist und dass die Menschen in unse-
rem Land in diesen Tagen von uns Lösungen erwarten.

Vorrangiges Ziel des Asylpaketes ist die Entlastung
der Kommunen. Die kommunalen Spitzenverbände hal-
ten die finanziellen Hilfen für ausreichend,


(Rüdiger Veit [SPD]: Wie bitte?)


und ich hoffe sehr, dass die Leistungen, die der Bund
zusätzlich zur Verfügung stellt, auch umfassend an die
Kommunen weitergegeben werden. Bayern ist da ein
Vorbild.

Bevor ich auf den Gesetzentwurf eingehe, möchte ich
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministeri-
en danken, die in den letzten Wochen und Tagen Tag und
Nacht an der Umsetzung gearbeitet haben. Hierfür heute
einmal ein herzliches Dankeschön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813005700

Frau Kollegin, der Kollege Veit von der SPD-Fraktion

möchte Sie etwas fragen. Wollen Sie das zulassen oder
weitersprechen?


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1813005800

Nein, ich rede weiter.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813005900

Bitte.


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1813006000

Der Gesetzentwurf soll im Grunde fünf Vorhaben um-

setzen: erstens die Asylverfahren weiter beschleunigen,
zweitens Fehlanreize minimieren, drittens die Ausreise-
pflicht konsequent durchsetzen, viertens die Unterbrin-
gung der Asylbewerber erleichtern und fünftens die Inte-
grationshilfen für Menschen mit guter Bleibeperspektive
verbessern. Der letzte Punkt ist entscheidend, um die
gesellschaftlichen Folgen dieser Krise zu meistern. Wir
wollen den Menschen, die tatsächlich schutzbedürftig
sind, die Chance geben, sich schnell zu integrieren und
sich schnell selbst zu versorgen. Deshalb heben wir auch
das Leiharbeitsverbot auf und öffnen früher die Integra-
tionskurse.

Wichtig ist – das wird heute zum wiederholten Male
nicht gesagt –, dass künftig nur Menschen mit guter Blei-
beperspektive auf die Kommunen verteilt werden und
nur aussichtslose Asylbewerber bis zum Verfahrensab-

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


schluss in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben sol-
len, und das ist auch richtig so. Darum bitten uns im Üb-
rigen auch Kommunen und Ehrenamtliche, weil sie ihren
Fokus im Wesentlichen auf diejenigen richtigen wollen,
die ein Bleiberecht bei uns erhalten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit diesem Gesetzespaket stufen wir auch Albanien,
Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten
ein. Schon im letzten Jahr hatte die Union dies gefordert.
Das ist richtig so; denn allein in diesem Jahr wurden rund
80 000 Asylanträge aus dem Kosovo und aus Albanien
registriert, aber zu 99 Prozent abgelehnt. Selbst Ober-
bürgermeister, die den Grünen oder der SPD angehören,
schließen sich mittlerweile unserer Meinung an, weil sie
nah an der Realität, nah an den Menschen vor Ort sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem Asylpaket setzen wir heute auch die bayeri-
sche Forderung nach einer bundesweiten Verteilung von
unbegleiteten Minderjährigen um. Auch das ist richtig
so. Bayern wird bis zum Jahresende rund 15 000 Flücht-
linge in der Jugendhilfe versorgen. Bundesweit sind das
aktuell rund 35 000 Flüchtlinge. Es ist wichtig, dass auch
diesbezüglich die Solidarität der Bundesländer unterein-
ander endlich greift. Der Bund unterstützt mit 350 Mil-
lionen Euro pro Jahr die Versorgung. Ich will an dieser
Stelle nochmals sagen, dass auch diesbezüglich unter an-
derem Bayern die Hauptlast trägt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich müssen abgelehnte Asylbewerber ihrer Aus-
reisepflicht nachkommen. Wir können nicht hinnehmen,
dass nur rund 10 Prozent aller Ausreisepflichtigen zu-
rückgeführt werden.


(Beifall des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/ CSU])


Es ist gerechtfertigt, die Leistungen für Menschen, die
nicht ausreisen, die sich der Ausreise entziehen oder wi-
dersetzen, in Zukunft konsequent zu kürzen. Das wird
auch verfassungsrechtlich standhalten. Insgesamt ist der
Gesetzentwurf ein wichtiger Zwischenschritt, mit dem
wir auf nationaler Ebene nach der Reform des Bleibe-
rechts und der Aufenthaltsbeendigung vom Juli 2015 für
wichtige Verbesserungen sorgen.

Aber auch die Länder müssen noch nachbessern. Wir
brauchen an den Verwaltungsgerichten noch mehr Rich-
ter, noch mehr Personal, damit dort nicht der nächste
Flaschenhals entsteht. Das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge hat allein im September 23 000 Asylanträge
entschieden. Wir wollen – das ist auch richtig –, dass
mehr Entscheidungen erfolgen. Da aber jeder zweite Be-
scheid beklagt wird, brauchen wir an den Gerichten mehr
Richter, damit dort nicht der nächste Stau entsteht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


All diese Maßnahmen, die wir heute beschließen, wer-
den nicht ausreichen. Sie sind ein wichtiger Zwischen-
schritt. Wir müssen auch alles daransetzen, die unkont-
rollierte Zuwanderung von bis zu zehntausend Menschen
pro Tag nach Deutschland einzudämmen, und zwar zügig

und spürbar. Nach Niederbayern und Oberbayern strö-
men seit Wochen tagtäglich Tausende von Menschen.
Die Kommunen und alle Verantwortlichen sind an ih-
ren Belastungsgrenzen angekommen. Es ist daher nach-
vollziehbar, dass der bayerische Ministerpräsident vom
Bund, der die Entscheidungen hierzu zu treffen hat, er-
wartet, dass richtige Entscheidungen getroffen werden,
Entscheidungen, die Bayern entlasten. Ich appelliere an
dieser Stelle auch an die Solidarität der anderen Bundes-
länder. Sie müssen zügig und gemäß dem Königsteiner
Schlüssel im erforderlichen Maß Flüchtlinge aufnehmen
und Bayern entlasten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutschland ist stark wie kein anderes Land, und es
hilft wie kaum ein anderes Land, auch in der Flücht-
lingskrise. Aber auch unsere Aufnahmefähigkeit ist nicht
unbegrenzt. Ein Bevölkerungswachstum von jährlich 1
bis 2 Prozent kann kein Land, auch Deutschland nicht,
schultern. Das wäre weder gegenüber der deutschen Be-
völkerung noch gegenüber den Helfern noch gegenüber
den Flüchtlingen verantwortungsvoll.

Unsere Bundeskanzlerin hat heute Morgen in ihrer
Regierungserklärung eindrucksvoll dargestellt, dass es
keine einfache Lösung gibt. Die Menschen vor Ort fra-
gen uns – zumindest mich und viele meiner Kollegen aus
der CDU/CSU-Fraktion – tagtäglich: „Was könnt ihr ma-
chen, was könnt ihr tun?“, und uns erreichen Hunderte
von E-Mails. Wir müssen den Menschen erklären, dass
es sich nicht um eine einfache Lösung handelt. Es wird,
wie Angela Merkel gesagt hat, keinen Schalter geben,
den man einfach umlegen kann. Diese Herausforderung
ist vielschichtig, und sie kann nur auf europäischer Ebene
bewältigt werden, nur mit Maßnahmen der Außen- und
Entwicklungspolitik, nur vor Ort und in den Anrainer-
staaten.

Trotzdem kann es nicht sein, dass Deutschland in Eu-
ropa die Hauptlast trägt. Trotzdem kann es nicht sein,
dass wir den effektiven Grenzschutz quasi aufgegeben
haben; das gilt für Europa wie für Deutschland. Der
Schutz der eigenen Grenzen ist kein Ausdruck von Men-
schenfeindlichkeit, sondern er ist die verfassungsgemäße
Pflicht eines jeden Staates.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch unser Bundespräsident hat in Mainz klarge-
stellt, dass unsere Hilfsbereitschaft groß ist, aber unsere
Kapazitäten begrenzt sind. Ja, die Kanzlerin hat recht:
Das faktische Limit wird sich wohl nur schwer beziffern
lassen. Aber die Lage in den Kommunen ist dramatisch.
In Bayern gibt es Kommunen, die an der Belastungsgren-
ze sind. Es kann daher kein Weiter-so geben. Das haben
auch die kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung
am Montag eindrucksvoll bestätigt. Wir müssen dieser
Entwicklung Rechnung tragen.

Natürlich lassen sich Grenzen nicht per Kabinetts-
beschluss schließen. Natürlich will niemand Grenzen
schließen oder eine Abschottung Deutschlands oder Eu-
ropas. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir in der
aktuellen Ausnahmesituation nicht auch effektivere Kon-
trollen und Zurückweisungen an den eigenen Grenzen

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


erwägen sollten. Das Landgrenzenverfahren, das in der
EU-Asylverfahrensrichtlinie vorgesehen ist, kann neben
der Sicherung der Außengrenzen und der Einführung von
Hotspots ein Baustein sein.

Gemeinsam müssen wir es schaffen, in Deutschland
und Europa ein tragfähiges Asylsystem unter den aktu-
ellen Bedingungen für die Zukunft zu gestalten. Daran
müssen wir alle gemeinsam verantwortlich mitarbeiten.
Aber auch innerhalb Deutschlands können wir diese He-
rausforderung nur gemeinsam bewältigen. Das geht nur,
wenn wir ohne Hysterie und ohne Dramatik weiterhin
mit überlegtem Handeln auf allen Ebenen zusammen-
arbeiten und nicht vergessen, dass es um Menschen mit
individuellen Schicksalen geht, die aus unterschiedlichen
Gründen bei uns Schutz suchen.

Wir können stolz sein auf die vergangenen Mona-
te und Wochen, in denen die Menschen in Deutschland
Herausragendes geleistet haben. Ich wünsche mir, dass
wir in diesem Sinne und in dieser Rhetorik weitermachen
und gut zusammenarbeiten. Ich werbe heute um die Zu-
stimmung zu diesem Gesetzespaket, dem sicherlich noch
weitere Schritte folgen müssen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813006100

Zu einer Kurzintervention – mit der Bitte, es wirklich

kurz zu machen, weil wir schon lange bei diesem Thema
sind –: Rüdiger Veit, SPD-Fraktion.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1813006200

Frau Kollegin Lindholz, ich wollte mit meiner Zwi-

schenfrage nichts Böses wie die Unterbrechung Ihres
Redeflusses bewirken. Ich wollte Ihnen nur Gelegenheit
geben, einen eventuellen Versprecher zu korrigieren oder
aber Ihre Aussage zu präzisieren. Sie haben nämlich aus-
geführt, dass die Kommunen das, was wir ihnen jetzt als
finanziellen Ausgleich geben wollen, als ausreichend
empfinden.


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Das kann man, glaube ich, so nicht sagen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: In Bayern schon!)


Denn wir müssen erst einmal erreichen, dass die Länder-
finanzminister diese Mittel so an die Kommunen weiter-
geben, dass sie in ihren kommunalen Haushalten keine
nennenswerte Unterdeckung mehr haben; das ist das Ent-
scheidende.


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ja, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen! – Sabine Weiss rhein-Westfalen! Genau!)


(Wesel I) [CDU/CSU]: Besonders Nord-


Im Übrigen weise ich darauf hin, dass den Kommunen
im Hinblick auf die Finanzierung der Infrastruktur – Kin-
dergärten, Schulen usw. – noch weitere Kosten entstehen.

Ich habe die Anhörung der Vertreter der kommunalen
Spitzenverbände also nicht so verstanden, wie Sie es ge-
sagt haben. Vielleicht möchten Sie das korrigieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813006300

Wollen Sie darauf antworten?


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1813006400

Ja. – Ich habe die kommunalen Spitzenverbände sehr

wohl so verstanden, dass sie die jetzt weiter zugesagten
finanziellen Hilfen für ausreichend halten. An dieser
Stelle lobe ich Bayern, das die Leistungen eins zu eins an
die Kommunen weitergibt – im Gegensatz zum Beispiel
zu Nordrhein-Westfalen –, noch einmal ausdrücklich,
und ich wünsche mir, dass das in anderen Bundesländern
ebenso erfolgt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Jetzt geht das wieder los! Denken Sie an die Krankenversicherung! Da könnt ihr euch mal eine Scheibe abschneiden!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813006500

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Bundes-

ministerin Manuela Schwesig für die Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD)


Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! In jeder Notsituation und bei
jeder Rettungsaktion gilt das Prinzip „Kinder und Frau-
en zuerst“. Wenn viele Menschen aus guten Gründen in
unser Land flüchten – das ist hier vielfach angesprochen
worden – und wir nicht alles für alle sofort leisten kön-
nen, dann, so finde ich, muss ein Schwerpunkt auf denje-
nigen liegen, die einen besonderen Schutz brauchen, und
das sind für mich die Kinder.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb legt Ihnen die Bundesregierung heute ein
Asylpaket mit Schwerpunkt auf der Unterstützung von
Kindern und Familien und gleichzeitig den Entwurf ei-
nes Gesetzes zur besseren Versorgung und Betreuung der
Kinder und Jugendlichen, die unbegleitet zu uns kom-
men, vor.

60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht;
die Hälfte davon sind Kinder. Über 200 000 Kinder und
Jugendliche kommen zu uns nach Deutschland, und es ist
wichtig, dass diese Kinder und Jugendlichen so schnell
wie möglich nicht nur gut untergebracht werden, sondern
auch Anschluss finden. Dazu gehört für die Kleinen der
Zugang zu den Kitas, um schnell die Sprache zu erler-
nen, und für die Schulkinder, schnell in die Schule zu
kommen, wo sie die Sprache lernen und Freundschaften

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


schließen. Das ist der beste Weg, um hier eine neue Hei-
mat zu finden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb ist es gut und richtig, dass wir im Asylpaket
festgehalten haben, dass wir die freiwerdenden Mittel aus
dem Betreuungsgeld zur Verbesserung der Kinderbetreu-
ung nutzen und sie bis auf fast 1 Milliarde Euro jährlich
aufstocken und dass wir mit dem Gesetzentwurf, den ich
Ihnen als Ministerin vorgelegt habe, dafür sorgen, dass
die geflüchteten Kinder und Jugendlichen genauso wie
die hier geborenen und aufwachsenden Kinder und Ju-
gendlichen auch Zugang zu den Kinder- und Jugendleis-
tungen haben. Ich möchte nicht, dass wir Flüchtlingskin-
der gegen einheimische Kinder stellen – oder umgedreht.
Jedes Kind muss eine Chance haben, in unserem Land
gut aufzuwachsen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kinder und Jugendlichen können eine gute Integrati-
on der Familien voranbringen.

Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei
allen Abgeordneten der Regierungskoalition – ich weiß,
dass das zu großen Teilen auch aus der Opposition unter-
stützt wird – und bei meinem Kollegen Herrn de Maizière
bedanken.

Natürlich müssen wir gemeinsam eine gute Balance
finden. Es stellt doch gar keiner infrage, dass die Men-
schen bei uns ein Asylrecht haben, und ich glaube, unser
Land zeigt, wie offen wir sind. Zwischen dem Satz „Wir
schaffen das“ und den gleichzeitig berechtigten Sorgen
und Forderungen derjenigen, die das praktisch vor Ort
umsetzen müssen – unsere Bürgermeisterinnen und Bür-
germeister, die Landrätinnen und Landräte, die vielen
hauptamtlichen und freiwilligen Helfer, die uns sagen,
dass das aber auch praktisch funktionieren und es prak-
tische Kapazitäten geben muss –, gibt es keinen Wider-
spruch, sondern das gehört zusammen.

Wir haben gemeinsam versucht, diese Balance zu fin-
den, und uns gefragt, wer den Schutz am nötigsten hat,
wer die meiste Unterstützung braucht und wer vielleicht
zu denjenigen gehört, die gute Gründe haben, zu uns zu
kommen, denen wir das alles aber nicht bieten können.
Das gehört zur Ehrlichkeit und zur Sicherung unseres
Asylrechts dazu.

Deshalb bin ich dem Innenminister dankbar, dass wir
bei dem Schutz für Kinder und auch bei den Kinder- und
Jugendleistungen keine Abstriche machen, sondern dass
wir diese Standards in der heutigen Zeit weiter sichern.
Es ist ein wichtiges Signal, dass wir nicht sagen: „Jetzt
funktioniert das alles nicht mehr“, wodurch die Kinder
unter die Räder kämen, sondern dass wir weiterhin beto-
nen: Die Kinder und Jugendlichen sind uns wichtig, egal
wie schwer es ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Zu dieser wichtigen Schutzgruppe gehören vor al-
lem die Kinder und Jugendlichen, die unbegleitet zu uns

kommen. Denken Sie noch einmal daran, wie es war, als
Ihr eigenes Kind das erste Mal alleine zur Schule ge-
gangen und von der Schule zurückgekommen ist. Man
schaut dann schon auf die Uhr und fragt sich, ob das alles
klappt. Ich gehöre zu diesen besorgten Eltern. Denken
Sie daran, wie es ist, wenn man seinem 12-jährigen Mäd-
chen oder Jungen gesagt hat, er oder sie solle am Abend
zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein. Spätestens zehn
Minuten nach der vorgegebenen Zeit guckt man auf die
Uhr. Wer von uns kann sich vorstellen, dass der 14-jäh-
rige Sohn auf seiner Flucht vier Monate lang durch viele
Länder allein unterwegs ist? Ich kann das nicht.

Ich weiß, dass es das gibt, weil diese Jugendlichen zu
uns gekommen sind und ich mit ihnen gesprochen habe.
Aber ich glaube, wirklich zu ermessen, wie groß das Leid
für Familien sein muss, um diesen Weg zu gehen, also
ihre Kinder zu uns zu schicken, ist fast unvorstellbar.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir diesen unbegleiteten
Kindern und Jugendlichen, die hier erst einmal nieman-
den haben, eine Heimat und Schutz bieten, als ob sie un-
sere eigenen Kinder wären.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb gibt es besondere Schutzmaßnahmen für
diese Unbegleiteten, die aber vor Ort nicht mehr funk-
tionieren. Wenn über hundert dieser Unbegleiteten in
Passau ankommen – ich weiß, dass es im Bereich des
Jugendamtes in Passau so viele sind –, über tausend in
ganz Bayern, über tausend in Dortmund oder in Ham-
burg, also in diesen sogenannten Drehkreuzen, dann ist
es ganz praktisch nicht mehr möglich, für alle jungen
Menschen an diesen Orten Jugendwohngruppen, Sozial-
arbeiter und das, was wir an dieser Stelle alles brauchen,
bereitzustellen. Deshalb ist es eine Frage der Solidarität,
aber vor allem eine Frage des Kindeswohls, dass zukünf-
tig die Kapazitäten der Kinder- und Jugendhilfe überall
in Deutschland genutzt werden, um diesen Kindern und
Jugendlichen, die hier ohne Familie ankommen, ein gu-
tes Zuhause zu geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das machen wir mit dem neuen Gesetz und stellen da-
mit das Kindeswohl in den Mittelpunkt. An dieser Stelle
möchte ich mich bei meinem Kollegen, Bundesfinanzmi-
nister Schäuble, bedanken, weil es gelungen ist, auch für
diese besonders schutzwürdige Gruppe zusätzlich Geld
zur Verfügung zu stellen. Es ist immer ein Spagat, auf
der einen Seite das Geld zusammenzuhalten und auf der
anderen Seite zu schauen, wofür wir es ausgeben. Aber
ich glaube, dafür zu sorgen, dass die Kinder und Jugend-
lichen hier gut ankommen und gut integriert werden, ist
eine Investition in die Zukunft. Wenn wir das nicht mach-
ten, würde das ein großes Risiko bedeuten.

Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass wir
vieles von dem, was heute besprochen worden ist, nur
leisten können, weil es die vielen ehrenamtlichen Hel-
ferinnen und Helfer gibt. Ja, sie kommen an ihre Be-
lastungsgrenze. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir
mit diesem Paket dafür sorgen, dass es ein Sonderpro-

Bundesministerin Manuela Schwesig






(A) (C)



(B) (D)


gramm geben wird, auf dessen Grundlage dem Bundes-
freiwilligendienst 10 000 Stellen bewilligt werden, damit
Bundesfreiwillige Flüchtlingen helfen können, damit
aber auch Flüchtlinge anderen Flüchtlingen helfen. Wir
sollten das Potenzial, das Flüchtlinge mitbringen, nicht
vernachlässigen. Dass Flüchtlinge selbst mit anpacken,
ist für die Akzeptanz in der Gesellschaft und für ihre In-
tegration wichtig. Das werden wir mit dem neuen Pro-
gramm machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage vielen herzlichen Dank für die Unterstützung.
Wer hier fordert, es müsse Kitaplätze geben, es müsse
Schulplätze geben, und wir sollten etwas für Kinder und
für die Freiwilligen tun, der kann dem Gesetzentwurf
heute nur zustimmen.


(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Schwerpunkt dieses Paketes liegt auf der Integration.
Ich finde nicht, dass man auf der einen Seite sagen kann,
man müsse etwas tun, aber auf der anderen Seite nichts
akzeptiert, was gemacht wird.

Herzlichen Dank an die Regierungsfraktionen, dass
sie diese wichtigen Sachen mit uns auf den Weg bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Schauen Sie einmal in das Gesetz! Was sehen Sie denn da?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813006600

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Nadine Schön, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

sind Bilder und Begegnungen, die in diesen Tagen die
Debatte um die Flüchtlinge prägen, medial und auch bei
jedem von uns vor Ort. Es sind Bilder aus Hamburg von
Kindern, die bei einstelligen Temperaturen in unbeheiz-
ten Zelten übernachten, die krank sind, die husten, die
frieren.

Es gibt aber auf der anderen Seite auch die Familie,
die nicht in die ihnen angebotene Wohnung einziehen
will, weil einer anderen Familie ein ganzes Haus ange-
boten wurde. Es gibt den Imam, der einer deutschen Po-
litikerin nicht die Hand geben will. Aber es gibt auch die
Flüchtlinge, die sich selbst einbringen: als Arzt in den
Aufnahmestellen, als Berater in der Kommune, als Helfer
vor Ort. Es gibt die deutschen Schülerinnen und Schüler,
die voller Neugierde und Offenheit auf ihre neuen Mit-
schüler zugehen, sie als neue Freunde akzeptieren und zu
Hause davon berichten. Es gibt aber auch die Menschen,
die abends Angst haben, allein durch den Park zu gehen.

Es gibt nicht den einen Flüchtling. Es gibt nicht den
einen Bürger, und es gibt auch nicht den einen Politiker.
Vor allem gibt es nicht die eine Lösung für all die Pro-

bleme und Fragen, die so plötzlich auf unser Land zu-
kommen.

In ganz Deutschland diskutieren wir darüber, ob wir
das schaffen. Man muss sich doch erst einmal die Frage
stellen: Was heißt es denn, es zu schaffen? Es so hinzu-
bekommen, dass keiner etwas merkt, dass alles picobello
rundläuft und dass keiner irgendwelche Einbußen hat?
Das wird es nicht heißen. Das sagen wir den Menschen
in unserem Land offen und ehrlich.

„Wir schaffen es“ kann auch nicht heißen, dass einer
oder eine ein Patentrezept hat. Deshalb, lieber Kollege
Konstantin von Notz, ist es völlig verrückt, dass Sie uns
vorwerfen, dass wir in einer Volkspartei und in einer
Fraktion um den richtigen Weg ringen


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ringen?)


und über das, was jetzt zu tun ist, diskutieren. Sie be-
zeichnen das als „Meuterei auf der Bounty“. Ich be-
zeichne es als das, was Demokratie ausmacht. Es ist das
Selbstverständlichste in einem demokratischen System,
dass über den richtigen Weg gerungen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD] – Jan Korte [DIE LINKE]: Die Basisdemokraten der CDU, ja, genau! Basisdemokratischer Aufbruch!)


Dabei ist jeder in diesem Haus, aber auch draußen ein-
geladen, mitzudiskutieren. Ich sage aber auch: Mitdisku-
tieren heißt, konkrete Vorschläge zu machen, wie man es
besser machen kann und was man machen kann,


(Sabine Weiss tig!)


statt nur zu sagen, dass wir es nicht schaffen, wieso wir
das nicht schaffen und was alles nicht geht. Das ist ein zu
einfacher Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD])


Jeder ist aufgefordert, in dieser schwierigen Situation
konstruktive Vorschläge zu machen.

„Wir schaffen es“ heißt meiner Ansicht nach, dass
wir alle gefordert sind, mitzumachen, anzupacken und
die Probleme zu lösen. Das fängt bei jedem Einzelnen
an und geht von den Ländern, den Kommunen und dem
Bund weiter bis zu den Verhandlern auf europäischer und
internationaler Ebene.

Meiner Meinung nach gibt es drei Ziele, für die wir
Lösungen erarbeiten. Das Paket, das wir heute vorlegen,
hält schon viele dieser Lösungen bereit. Andere müssen
erst erarbeitet werden.

Unser erstes Ziel muss es sein, dass in den kommen-
den Jahren nicht noch einmal so viele Menschen zu uns
kommen – kommen müssen – wie in diesem Jahr. Dazu
trägt der Gesetzentwurf bei, indem ganz klar zwischen
denen, die aus Krisengebieten zu uns fliehen, und denje-
nigen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen, diffe-
renziert wird. Für Letztere sind alle Anreize, hierherzu-

Bundesministerin Manuela Schwesig






(A) (C)



(B) (D)


kommen, zu reduzieren, und genau das tun wir mit dem
Gesetzentwurf.

Es ist aber auch völlig klar, dass wir nicht alle Flücht-
linge aus den Krisengebieten in unserem Land aufneh-
men können. Eine Zahl als Obergrenze zu definieren,
wäre völlig unseriös. Ich sage aber auch: Hier haben
auch die anderen europäischen Länder eine Verantwor-
tung. Hier hat die Türkei eine Verantwortung. Der Li-
banon und Jordanien brauchen mehr Unterstützung bei
der Versorgung der Flüchtlinge vor Ort. Deshalb ist es
wichtig, dass heute wie auch in den nächsten Tagen und
Wochen auf europäischer und internationaler Ebene da-
rüber gesprochen und verhandelt wird. Dabei ist unsere
Bundeskanzlerin Angela Merkel die Frau, die mit ihrer
Macht und ihrem Einfluss auf internationaler Ebene viel
erreichen kann. Auch Bundesaußenminister Steinmeier
muss entsprechende Gespräche führen. Auf internatio-
naler Ebene liegt der Hebel, wenn es darum geht, den
Flüchtlingsstrom zu begrenzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unser zweites Ziel ist: Wir müssen Lasten verteilen
und entlasten. Wir tragen als Familienpolitiker in diesem
Hause zwei entscheidende Punkte zu dem Gesetzespaket
bei, die in den nächsten Wochen zu genau dieser Entlas-
tung führen werden. Das betrifft zum einen die unbeglei-
teten minderjährigen Flüchtlinge. Dazu hat die Ministe-
rin gerade viel gesagt. Künftig werden alle Bundesländer
in die Versorgung der minderjährigen Flüchtlinge ein-
gebunden. Wir entlasten damit die Länder, in denen sie
derzeit zu Zehntausenden ankommen und von wo aus sie
bisher nicht weiterverteilt werden konnten, weil das na-
tionale Recht dem entgegensteht. Nun wird eine Weiter-
verteilung möglich. Das dient dem Kindeswohl. Es dient
aber vor allem auch der Entlastung der Länder und der
Kommunen vor Ort.

Ich komme aus dem Saarland, einem Land, das viele
unbegleitete Minderjährige bestens aufgenommen und
versorgt hat. Aber hier ist eine Entlastung dringend not-
wendig, und das machen wir mit diesem Gesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir schaffen im Bundesfreiwilligendienst 10 000 neue
Stellen an der Schnittstelle zwischen Ehrenamtlichen
und Hauptamtlichen und entlasten somit in den Kommu-
nen und Hilfsorganisationen sowohl die Ehrenamtlichen
als auch die Hauptamtlichen. Ich hoffe, dass viele Kom-
munen und viele Organisationen von diesem Angebot
Gebrauch machen werden.

Mit dem Paket sorgen wir auch für eine finanzielle
Entlastung – das ist schon gesagt worden –, indem der
Bund viele Kosten übernimmt: für die unbegleiteten
Minderjährigen, für Bauen und Wohnen, für die Kinder-
betreuung und die Versorgung der Flüchtlinge vor Ort.
Wir entlasten aber auch organisatorisch, vor allem die
Hauptamtlichen, die ebenfalls an ihre Grenzen kommen.

Das klare Ziel von Kanzleramtsminister Peter
Altmaier und auch BAMF-Chef Weise ist, die Verfah-
ren stringenter, weniger bürokratisch und einfacher zu

machen. Ich plädiere entschieden dafür, dabei auch die
digitalen Möglichkeiten besser zu nutzen. Mit digitalen
Lösungen kann Doppel- und Dreifacharbeit vermieden
werden. Damit können Kosten gespart werden. Digitale
Mittel zur Koordinierung der Ehrenamtlichen entlasten
diese. Sie leisten Großartiges, aber sie verzweifeln an der
schieren Menge. Sie verzweifeln oft an der Organisation,
die sich ständig ändert. Deshalb an dieser Stelle ein ganz
herzliches Dankeschön an die Hauptamtlichen, aber auch
an die Ehrenamtlichen in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bund entlastet auch durch konkrete Hilfe vor Ort,
bei uns im Saarland etwa, indem er bei der Registrierung
hilft. Wenn man hört, dass so viele Menschen in unse-
rem Land und in anderen Ländern nicht registriert sind,
dann ist das ein Offenbarungseid. Das können wir nicht
hinnehmen. Die Menschen haben ein Anrecht darauf,
zu wissen, wer in unserem Land ist. Denn nur wenn die
Flüchtlinge registriert sind, wenn wir wissen, wer bei uns
ist, können wir die Versorgung garantieren sowie für Si-
cherheit und auch Integration sorgen.

Damit bin ich bei dem dritten Punkt, den wir gemein-
sam bewältigen müssen, nämlich bei dem wichtigen The-
ma Integration. Zu Recht stellen sich die Menschen in
unserem Land die Frage, ob das funktionieren kann, ob
die Menschen, die zu uns kommen, denn bereit sind, die
Werte zu akzeptieren, die wir hier leben. Rechtsstaatlich-
keit, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau,
Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit – wird all das ak-
zeptiert werden?

Für uns als Union ist klar, dass das die Prinzipien sind,
die unser Land so stark gemacht haben. Deshalb sagen
wir deutlich: Wer bei uns und mit uns leben will, wer von
dieser Stärke unseres Landes profitieren will, der muss
diese Regeln des Zusammenlebens auch akzeptieren. Er
muss sie verstehen, er muss sie leben. Das ist die klare
Aufforderung an alle, die zu uns kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist wichtig, dass wir das so schnell wie möglich ver-
mitteln.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813006700

Apropos Regeln!

Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Herr Präsident, ich habe gesehen, dass ich zum Schluss

kommen muss.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813006800

Nein, Sie hätten schon zum Schluss kommen müssen.

Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Dann gestatten Sie mir noch einen Abschlusssatz. –

Ich plädiere dafür, dass sich all diejenigen, die heute die
Frage stellen, ob wir es denn schaffen können, bei dem
wichtigen Thema Integration einbringen. Jeder, der heute

Nadine Schön (St. Wendel)







(A) (C)



(B) (D)


diese Frage stellt, muss spätestens morgen damit anfan-
gen, etwas mit dazu beizutragen, dass wir es schaffen.
Denn nur alle gemeinsam können wir die Probleme lö-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813006900

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Burkhard Lischka, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1813007000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben

Sie mir zum Ende dieser Debatte eine simple Feststel-
lung, die Herr Kauder heute Morgen schon einmal ge-
troffen hat, nämlich: Gute Politik beginnt mit dem Be-
trachten der Wirklichkeit.

Was wir in diesen Tagen erleben, ist eine Gesellschaft,
die schwankt. Sie schwankt zwischen einer wirklich ein-
zigartigen Hilfsbereitschaft, über die sich viele in der
Welt verwundert die Augen reiben, auf die sie aber auch
mit großer Hochachtung schauen, auf der einen Seite und
Zweifeln und Sorgen, ob unser Land eine so große Zahl
von Flüchtlingen bewältigen kann, auf der anderen Seite.
Es steht die bange Frage im Raum, ob es Grenzen der
Aufnahmefähigkeit gibt. Fast jeder von uns, auch hier
im Haus, spürt, dass beides in diesen Tagen irgendwie
zusammengehört: das Helfenwollen, aber auch die Ah-
nung, dass uns die Realität Grenzen setzt, Grenzen, die
wir mit keiner noch so gut gemeinten Wunschvorstellung
verschieben können.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Probleme
lassen sich nicht lösen, indem man sie einfach ignoriert.
Es ist wichtig und richtig, die Probleme zu benennen, die
die Aufnahme so vieler Menschen bis in den Lebensalltag
hinein mit sich bringt. Das muss ohne Schwarzmalerei
und Übertreibung und mit klarer Kante gegen Fremden-
hass und Rassismus geschehen. Aber die Augen vor den
Problemen und Herausforderungen zu verschließen, das
wird nicht funktionieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Was wir brauchen, sind passende Lösungen und Ant-
worten, um mit der großen Zahl von Flüchtlingen um-
zugehen. Deshalb brauchen wir schnelle Asylverfahren,
den Abbau falscher Anreize und eine klare Priorität für
Kriegsflüchtlinge.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer eine Bleibeperspektive hat, den wollen wir schnell
integrieren und auf diese Weise rasch aus Flüchtlingen
Mitschüler und Arbeitskollegen machen.


(Beifall bei der SPD)


Wer allerdings nicht vor Krieg und Vertreibung flüchtet,
den wollen wir zurückführen. Das sind die klaren Bot-

schaften des heutigen Gesetzentwurfs, und es sind ange-
messene und vernünftige Botschaften.

Aber wir wissen auch: Das heutige Gesetzespaket ist
nur ein kleiner Teil der Lösung. Der eigentliche Treibsatz
für die Flüchtlingsströme sind der Krieg in Syrien und
die katastrophale Situation in den Flüchtlingslagern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer den Flüchtlingsstrom auch nur ansatzweise verrin-
gern will, der muss bereit sein, die Flüchtlinge in der Kri-
senregion viel stärker als bisher zu unterstützen.


(Beifall des Abg. Stephan Mayer [CDU/CSU])


Die Flüchtlingswanderung können wir nicht mit einem
Machtwort beenden. Aber wir können etwas tun, wenn
Nahrung und Hoffnung in den Flüchtlingslagern schwin-
den, und zwar sofort. Alles andere wird sich bitter rächen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Deutschland hat in den
letzten Wochen und Monaten bei der Flüchtlingsaufnah-
me Großartiges geleistet, und wir bleiben auch in Zu-
kunft aufnahmebereit. Aber wir können auch nicht Un-
mögliches leisten. Gerade deshalb werden wir in diesen
Tagen Europa nicht aus der Verantwortung entlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diese Flüchtlingskrise wird die Europäer auch dazu
zwingen, ganz grundlegend über sich, ihr Verhältnis un-
tereinander und zum Rest der Welt nachzudenken. Wir
brauchen europäische Lösungen. Aber diese können
nicht darin bestehen, dass wir – 25 Jahre nach Fall des
Eisernen Vorhangs – zwischen den europäischen Staaten
wieder Mauern und Stacheldraht errichten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn jeder Staat die Krise für sich regelt und wir in nati-
onalstaatliche Abschottung zurückfallen, dann ist die eu-
ropäische Idee am Ende – und übrigens die Flüchtlings-
krise noch immer nicht gelöst.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir können nur gemeinsam unsere Außengrenzen
kontrollieren, Anmelde- und Registrierzentren an den
EU-Außengrenzen schaffen und dann diejenigen, die un-
seren Schutz benötigen, in einem fairen und gerechten
Verfahren auf 28 europäische Staaten verteilen. Ja, wir
können das schaffen in einem Europa mit 508 Millionen
Einwohnern. Aber was jetzt hinzukommen muss, ist der
feste politische Wille, die Probleme gemeinsam anzuge-
hen. Sonst werden wir sehr schnell zu der Einsicht kom-
men: Ja, wir wollen helfen. Aber nein, wir können nicht
Unmögliches schaffen.

Recht herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nadine Schön (St. Wendel)







(A) (C)



(B) (D)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813007100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes.
Hierzu liegen eine Reihe von Erklärungen nach § 31
der Geschäftsordnung des Bundestages vor.1) Der In-
nenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/6386, den Ge-
setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/6185 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bean-
tragt, über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
getrennt abzustimmen, und zwar erstens über Artikel 1
Nummern 15, 16 und 19 – Änderung der §§ 47, 48 und
59 a des Asylverfahrensgesetzes –, zweitens über Arti-
kel 1 Nummer 34 – Neufassung der Anlage II zu § 29 a
des Asylverfahrensgesetzes –, drittens über Artikel 2 –
Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes –, viertens
über Artikel 8 – Änderung des Finanzausgleichsgeset-
zes – und Artikel 12 – Änderung des Entflechtungsgeset-
zes – sowie fünftens über den Gesetzentwurf im Übrigen.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat hierzu vier
namentliche Abstimmungen verlangt, die wir nacheinan-
der durchführen werden. Nach einer Unterbrechung der
Sitzung zur Auszählung folgt eine weitere namentliche
Abstimmung auf Verlangen der Fraktion Die Linke zur
dritten Lesung des Gesetzentwurfes.

Wir kommen zur ersten namentlichen Abstimmung:
über Artikel 1 Nummern 15, 16 und 19 des Gesetzent-
wurfes in der Ausschussfassung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Ich eröffne die Abstimmung.

Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht
abgegeben? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Ab-
stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen.2)

Wir kommen jetzt zur zweiten namentlichen Abstim-
mung: über Artikel 1 Nummer 34 des Gesetzentwurfes in
der Ausschussfassung, hier: Neufassung der Anlage II zu
§ 29 a des Asylverfahrensgesetzes.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen
besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung
über Artikel 1 Nummer 34 des Gesetzentwurfes in der
Ausschussfassung.

1) Anlagen
2) Ergebnis Seite 12595

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.3)

Wir kommen nun zur dritten namentlichen Abstim-
mung: über Artikel 2 des Gesetzentwurfes in der Aus-
schussfassung, Änderung des Asylbewerberleistungsge-
setzes. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung über Artikel 2 des Gesetz-
entwurfes in der Ausschussfassung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.4)

Wir kommen jetzt zur vierten namentlichen Abstim-
mung: über Artikel 8 und Artikel 12 des Gesetzentwur-
fes in der Ausschussfassung, Änderung des Finanzaus-
gleichsgesetzes und Änderung des Entflechtungsgesetzes.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze einzunehmen. – Ist das der Fall? – Jawohl. Ich er-
öffne die Abstimmung über Artikel 8 und Artikel 12 des
Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung.

Ist jemand im Haus, der bei dieser vierten Abstimmung
noch nicht abgestimmt hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.5)
Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der vier namentlichen
Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 12.53 Uhr bis 13.07 Uhr)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813007200

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. – Da

wir jetzt auch noch mündliche Abstimmungen durchfüh-
ren werden, bitte ich alle, zu ihren Plätze zu gehen.

Ich verlese die vier Protokolle.

Erstes Protokoll des von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentli-
chen Abstimmung über Artikel 1 Nummern 15, 16 und
19 des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
eingebrachten Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung,
Drucksachen 18/6185 und 18/6386: abgegebene Stim-
men 601. Mit Ja haben gestimmt 478, mit Nein haben
gestimmt 117, Enthaltungen 6. Damit ist Artikel 1 Num-
mern 15, 16 und 19 des Gesetzentwurfs in der Ausschuss-
fassung angenommen.

3) Ergebnis Seite 12598
4) Ergebnis Seite 12601
5) Ergebnis Seite 12604

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 598;
davon

ja: 477
nein: 116
enthalten: 5

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier

Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram






(A) (C)



(B) (D)


Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann

Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob

Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)


Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle






(A) (C)



(B) (D)


Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel

Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Klaus Mindrup

Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Cansel Kiziltepe

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm

Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel

Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)


Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer

Enthalten

SPD

Klaus Barthel
Marco Bülow
Hilde Mattheis
Susann Rüthrich
Swen Schulz (Spandau)


Zweites Protokoll des von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentli-
chen Abstimmung über Artikel 1 Nummer 34 des Ge-
setzentwurfs in der Ausschussfassung, Neufassung der
Anlage II zu § 29 a des Asylverfahrensgesetzes, Druck-

sachen 18/6185 und 18/6386: abgegebene Stimmen 598.
Mit Ja haben gestimmt 477, mit Nein haben gestimmt
118, Enthaltungen 3. Artikel 1 Nummer 35 des Gesetz-
entwurfs in der Ausschussfassung ist damit angenom-
men.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 594;

davon

ja: 473

nein: 118

enthalten: 3

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer

Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann

Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler

Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac

Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Dr. Philipp Murmann

Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch

Elisabeth Winkelmeier-
Becker

Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Bettina Müller
Michelle Müntefering

Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Klaus Barthel
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Mechthild Rawert
Susann Rüthrich
Frank Schwabe
Kerstin Tack

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder

Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank

Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)


Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer

Enthalten

SPD

Marco Bülow
Dr. Ute Finckh-Krämer
Swen Schulz (Spandau)


Drittes Protokoll des von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentli-
chen Abstimmung über Artikel 2 des Gesetzentwurfs
in der Ausschussfassung, Änderung des Asylbewerber-
leistungsgesetzes, Drucksachen 18/6185 und 18/6386:

abgegebene Stimmen 603. Mit Ja haben gestimmt 476,
mit Nein haben gestimmt 120, Enthaltungen 7. Artikel 2
des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung ist damit
angenommen.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 597;

davon

ja: 474

nein: 117

enthalten: 6

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär

Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger

Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach






(A) (C)



(B) (D)


Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn

Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings

Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak

Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge






(A) (C)



(B) (D)


Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl

Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch

Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen

Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Cansel Kiziltepe
Susann Rüthrich

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst

Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak

Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar

Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer

Enthalten

SPD

Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr. Ute Finckh-Krämer
Hilde Mattheis
Swen Schulz (Spandau)

Frank Schwabe

Viertes Protokoll des von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisses der nament-
lichen Abstimmung über Artikel 8 und Artikel 12 des
Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, Änderung des
Finanzausgleichsgesetzes und Änderung des Entflech-

tungsgesetzes, Drucksachen 18/6185 und 18/6386: abge-
gebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 544, mit
Nein hat keiner gestimmt, Enthaltungen 57. Artikel 8 und
Artikel 12 des Gesetzentwurfs sind in der Ausschussfas-
sung angenommen.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 599;

davon

ja: 542

nein: 0

enthalten: 57

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß

Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram

Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer

Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne

Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers

Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech

Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß

Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich

Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler






(A) (C)



(B) (D)


Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring

Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt

Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Enthalten

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke

Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Pia Zimmermann

Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in
der Ausschussfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Die übrigen Teile des Gesetz-
entwurfs sind mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den
Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion Die Linke na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, ihre Plätze an den Urnen einzunehmen. – Sind
alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich
eröffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich

schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/6393. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist
mit Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Frak-
tion bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813007300

Tagesordnungspunkt 5 b. Wir setzen die Abstimmun-

gen über die Beschlussempfehlungen des Innenausschus-
ses auf Drucksache 18/6386 fort.

1) Ergebnis Seite 12609






(A) (C)



(B) (D)


Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/3839 mit dem Titel
„Flüchtlinge willkommen heißen – Für einen grundle-
genden Wandel in der Asylpolitik“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache
18/6190 mit dem Titel „Alle Flüchtlinge willkommen
heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Dis-
kriminierung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
nommen.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es muss ein Fehler gewesen sein! Sie haben über c abstimmen lassen, Frau Präsidentin, richtig?)


– Ja, c.


(Zuruf der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Gut. Dann wiederholen wir die Abstimmung. Jetzt pas-
sen alle bitte mal auf.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/6190 mit dem Titel „Alle Flüchtlinge willkom-
men heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und
Diskriminierung“.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Nein, das ist er nicht, Frau Präsidentin!)


Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist ja b, Frau Präsidentin! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Das ist b! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Mein Gott, passt doch mal ein bisschen auf dort hinten!)


– Darf ich vielleicht noch einmal wiederholen – ich weiß,
es ist jetzt sehr anstrengend –: Unter Buchstabe b lautete
der Antrag der Linken: „Flüchtlinge willkommen hei-
ßen“ – das ist gleich –, aber dann folgt: „Für einen grund-
legenden Wandel in der Asylpolitik“. Die entsprechende
Beschlussempfehlung ist angenommen worden. Jetzt
kommt Buchstabe c. Da lautet der Antrag der Linken:
„Alle Flüchtlinge willkommen heißen – Gegen eine Poli-
tik der Ausgrenzung und Diskriminierung“. Auch hierzu
gibt es eine Beschlussempfehlung des Ausschusses, die
besagt: Dieser Antrag soll abgelehnt werden.

Jetzt bitte ich noch mal alle, über die Beschlussemp-
fehlung zu Buchstabe c abzustimmen. Wer ist für die

Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer ist dage-
gen? – Wer enthält sich? – Wunderbar.


(Beifall des Abg. Christian Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Beschlussempfehlung ist also mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Ablehnung der Fraktion Die
Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/4694 mit dem Titel „Für eine faire finanzielle
Verantwortungsteilung bei der Aufnahme und Versor-
gung von Flüchtlingen“. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.

Jetzt kommt Tagesordnungspunkt 5 c. Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses
zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur schnelleren Entlastung der Länder
und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung
von Asylbewerbern. Der Haushaltsausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6381,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/6172 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung ein-
stimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 d. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge-
setzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung
und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6392, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksachen 18/5921 und 18/6289 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 e. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend auf der Drucksache 18/6392. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlus-
sempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/4185 mit dem Titel „Un-
begleitete minderjährige Flüchtlinge mit einer starken

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Jugendhilfe aufnehmen“. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo-
sition angenommen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/5932 mit dem Titel „Das Kindeswohl
bei der Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flücht-
linge absichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver

(Dresden)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aus dem Pkw-Abgasskandal Konsequenzen
ziehen – Wettbewerbsfähigkeit der Automo-
bilindustrie sichern

Drucksache 18/6334

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Die notwendigen Konsequenzen aus dem Be-
trugsskandal um Kfz-Abgase ziehen

Drucksache 18/6325
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Ihnen
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit-
telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt
geben: abgegebene Stimmen 600. Mit Ja haben gestimmt
475, mit Nein haben gestimmt 68, Enthaltungen 57. Da-
mit ist der Gesetzentwurf angenommen.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 599;
davon

ja: 475
nein: 68
enthalten: 56

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein

Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer

Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla

Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski

Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering

Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann






(A) (C)



(B) (D)


Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler

Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)


Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Cansel Kiziltepe

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald

Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Pia Zimmermann






(A) (C)



(B) (D)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Sven-Christian Kindler
Stephan Kühn (Dresden)

Monika Lazar
Peter Meiwald
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden

Enthalten

SPD

Klaus Barthel
Marco Bülow

Dr. Ute Finckh-Krämer
Hilde Mattheis
Mechthild Rawert
Susann Rüthrich
Swen Schulz (Spandau)

Christoph Strässer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt

Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu

Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Anton
Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813007400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Man kann sich leider des Eindrucks nicht
erwehren, dass VW und die Bundesregierung in einem
Punkt sehr deutlich etwas gemeinsam haben: Beiden wa-
ren saubere Autos nicht wirklich wichtig; die einen haben
geschummelt, und die anderen haben wunderbar wegge-
schaut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir haben die besten Autos, Herr Hofreiter!)


Wir sehen allerdings, wohin das führt: VW ist schwer
angeschlagen, „made in Germany“ ist in manchen Re-
gionen in Verruf geraten. Es gilt der alte Spruch – dies-
mal gilt er wirklich, meine Damen und Herren von der
CSU –: Wer betrügt, der fliegt – und zwar aus dem Markt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das müssen Sie die Käufer entscheiden lassen, Herr Hofreiter!)


Leider ist der schöne Spruch „Vorsprung durch Tech-
nik“ ersetzt worden durch „Vorsprung durch Betrug“.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!)


So was funktioniert auf Dauer allerdings nie; denn die
Schummelei kommt am Ende immer heraus. Durch das
Wegschauen des Verkehrsministeriums wurde das zur
größten Gefahr für die Arbeitsplätze bei uns in Deutsch-
land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Weil Sie es kaputtmachen wollen!)


Das Problem ist – das merkt man auch an den Zwi-
schenrufen –, dass weder Regierung noch Koalitions-
fraktionen oder Autoindustrie bis jetzt gemerkt haben,
dass diese Grenzwerte keine lästige Erfindung sind. Man
hat sie nicht eingeführt, weil man sich gesagt hat: Wir är-
gern jetzt mal die Autoindustrie und erlassen Grenzwer-
te. – Nein, diese Grenzwerte gibt es aus einem sehr ein-
fachen Grund. Es gibt sie, weil die Autoabgase toxisch
für Menschen sind, weil die Autoabgase die Gesundheit
der Menschen gefährden, insbesondere in den Städten,
wo die Autodichte höher ist. Deshalb gibt es diese Grenz-
werte, und nicht, um die Autoindustrie zu ärgern. Und
deshalb sind diese Grenzwerte einzuhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Grenzwerte gibt es noch aus einem weiteren
Grund: Weil wir verhindern wollen, dass der CO2-Aus-
stoß am Ende zu einem so starken Klimawandel führt,
dass unsere Lebensgrundlagen gefährdet werden. Des-
wegen gibt es diese Grenzwerte.

Es ist schon bedenklich, wenn Vertreter der Autoin-
dustrie sagen: Uns war natürlich klar, dass das alles gar
nicht so ernst gemeint war. Die Autokäufer wissen doch
eigentlich, dass ein Auto, für das ein Verbrauch von 5 Li-
tern angegeben wird, in Wirklichkeit 7 Liter verbraucht.
Diese Grenzwerte sind doch eigentlich dazu da, um
Autos untereinander vergleichen zu können. Auch das
Umweltbundesamt sagt uns: Wir wissen auch, dass die-
se NOx-Grenzwerte eigentlich gar nicht ernst gemeint
waren. Die wirkliche Belastung ist ein Vielfaches die-
ses Wertes. – So ist das Ganze allerdings nicht gedacht.
Diese Grenzwerte waren politisch dafür gedacht, unser
Klima und die Gesundheit der Menschen in den Städten
zu schützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konn-
te der größte Autokonzern Deutschlands und Europas in
so große Schwierigkeiten geraten, dass man jetzt insge-
samt überlegen muss, wie es weitergeht? Es konnte so
weit kommen, weil es eine unheilige Allianz zwischen
der Bundesregierung und den Automanagern gibt, weil
es zu oft Autokanzler gab, weil es sowohl bei den Sozial-
demokraten als auch in der Union zu viele Leute gab, die
sagten, dass sie Benzin im Blut haben.


(Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Das ist eines der Hauptprobleme dahinter.

Es kam auch deshalb so weit, weil die Autoindustrie
nach und nach größenwahnsinnig geworden ist. Vertreter
der Autoindustrie konnten einfach bei Frau Merkel anru-
fen, und Frau Merkel hat dann auf Wunsch der Autoin-
dustrie einen bereits ausgehandelten Kompromiss zu den
CO2-Grenzwerten zerschossen. Dass eine Autoindustrie,
die so viel Macht und Einfluss hat, am Ende glaubt, über
den Gesetzen zu stehen, und zwar nicht nur in Deutsch-
land und Europa, sondern auch in den USA, das ist nahe-
liegend. Und das ist ein Riesenproblem für unser Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was ist jetzt zu tun, damit VW nicht so endet wie
Eon und RWE? Können Sie sich noch daran erinnern,
wie arrogant Eon und RWE waren? Sie haben gesagt:
Ach, die erneuerbaren Energien werden nie mehr als 3,
4 Prozent zur Stromerzeugung beitragen; wir setzen wei-
ter auf klassische, alte Kohlekraftwerke. Und wie stehen
sie jetzt da? Jetzt stehen sie am Rand der Pleite, und die
Kommunen in NRW sind in höchster Not.

Genau diese Gefahr kann uns bei den Autokonzernen
drohen. Die Autokonzerne sind von großer Bedeutung
für die Bundesrepublik Deutschland;


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


denn die Autoindustrie ist eine der zentralen Industrien
bei uns. Die Autokonzerne sind von großer Bedeutung
für Tausende von Menschen, die dort arbeiten. Sie sind
von großer Bedeutung für die Kommunen, die auf die
Steuerzahlungen dieser Konzerne angewiesen sind. Sie
sind insgesamt für die ökonomische Entwicklung in der
Bundesrepublik Deutschland von großer Bedeutung,
weil die Autoindustrie eine zentrale Industrie ist.

Deshalb können die Konzerne nur eine einzige logi-
sche Konsequenz daraus ziehen: In Zukunft bauen wir
nicht nur bequeme und gute und schöne Autos – das be-
streitet niemand –, sondern in Zukunft bauen wir auch
die saubersten Autos;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


in Zukunft überlassen wir die Technologieführerschaft
nicht Toyota, das zum Beispiel ein Wasserstoffauto ent-
wickelt hat, oder Hyundai. Das ist die ganz entscheiden-
de Frage. Dafür bedarf es guter Rahmenbedingungen,
die von der Politik gesetzt werden müssen. Da muss das

Verkehrsministerium endlich handeln, und da muss auch
Frau Hendricks endlich handeln, statt nur zu reden!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Kaufprämien, wir brauchen vernünftige
Grenzwerte, und wir brauchen ein Ministerium, das nicht
nur von Kontrollen redet, sondern diese Kontrollen auch
real, auf der Straße, umsetzt. Denn es ist doch absurd,
dass das Kraftfahrt-Bundesamt de facto ein paar Häk-
chen auf ein paar Zetteln macht, aber nicht in der Lage
ist, irgendetwas selber zu kontrollieren. Deshalb meine
Aufforderung an das Verkehrsministerium: Handeln Sie
endlich! Sorgen Sie für vernünftige Kontrollen! Sorgen
Sie für vernünftige Rahmenbedingungen! Eine Auto-
industrie, die in Zukunft saubere Autos baut und nicht
schummelt, hat die besten Chancen, eine führende Indus-
trie für die Zukunft Deutschlands zu werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813007500

Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss, Herr Hofreiter;

das wäre gut. Sonst muss ich Ihren Leuten Zeit abziehen.


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813007600

Das war schon der Schluss, und die CSU ist glücklich.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813007700

Für die Bundesregierung hat jetzt der Staatssekretär

Ferlemann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1813007800


Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zuallererst möchte ich meinen Minister
entschuldigen, der heute sicherlich sehr gerne eine Rede
zu diesem Tagesordnungspunkt gehalten hätte.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Das glaube ich! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber er ist, wie Sie wissen, auch auf Ihren Wunsch im
Haushaltsausschuss gebunden, und das Haushaltsrecht
ist das höchste Recht des Parlaments. Das bitte ich zu
respektieren.

Zum Zweiten möchte ich sagen: Ich komme aus dem
VW-Land, aus Niedersachsen. Die Auswirkungen, die
dieser Skandal hat, werden bei uns bis in jedes Dorf zu
spüren sein. Die Auswirkungen auf die Struktur unseres
Landes und auf die dortigen Bedingungen werden enorm
sein. Deswegen ist man als Niedersachse äußerst betrof-
fen. Denn man sagt bei uns nicht zu Unrecht: Wenn VW
erkältet ist, liegt Niedersachsen schon mit einer Grippe

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


im Bett. – Jetzt ist VW wahrscheinlich nicht nur erkäl-
tet, sondern schwer erkrankt. Deswegen müssen wir uns
auch um unser Land, um Niedersachsen, durchaus Sor-
gen machen.

Die von Volkswagen eingestandenen Manipulationen
bei den Emissionen von Dieselfahrzeugen sind ein sehr
ernstzunehmender Vorgang. Sie sind unzulässig und il-
legal, und sie erfordern sowohl eine vollumfängliche
Aufklärung als auch eine zügige Beseitigung der entspre-
chenden Einrichtungen. VW steht in der Verantwortung,
den Schaden zu beheben, eine damit verbundene Belas-
tung seiner Kunden auszuschließen und verlorengegan-
genes Vertrauen wiederherzustellen. Das ist ein großer
Schaden für die Marke VW; so viel steht jetzt schon
einmal fest. Ein Weg, den ich allerdings nicht mitgehe,
ist, jetzt eine ganze Branche, so wie Herr Hofreiter es
gemacht hat, unter Generalverdacht zu stellen


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


und wegen der Manipulationen Einzelner Hunderttau-
sende von fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
zu verunglimpfen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Wenn die Grünen in ihrem Antrag der gesamten Auto-
mobilbranche Schönfärberei oder Greenwashing vorwer-
fen und ihr grüner Vorzeige-Verkehrspessimist Winnie
Hermann sagt: „Mit 750 000 Arbeitsplätzen ist die Auto-
mobilindustrie nicht ... so bedeutend, wie sie tut“ – Zitat
Ende –, dann ist das eine unglaubliche Respektlosigkeit
gegenüber den Menschen, die in den vergangenen Jahr-
zehnten an vorderster Stelle für unser aller Wachstum
und unseren Wohlstand gearbeitet haben und es auch
heute noch tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Deutschland ist und bleibt das Autoland Nummer eins.
Wir sind seit 130 Jahren Innovationsführer beim Auto-
mobil. Alle wichtigen Erfindungen – vom Viertaktmotor
bis zum Antiblockiersystem – kommen aus Deutschland.
Darauf beruht ein wesentlicher Teil unseres Wohlstands,
und darauf können wir alle miteinander zu Recht stolz
sein.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Die Schummelsoftware kommt auch aus Deutschland!)


Was Sie machen, ist teilweise unanständig und auch eine
unzulässige Vermischung verschiedener Sachverhalte.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Was Sie machen, ist unanständig! Das ist ja unglaublich!)


Insgesamt geht es um drei unterschiedliche Komplexe,
die unabhängig voneinander zu betrachten sind: erstens
um die Manipulation bei Dieselfahrzeugen durch VW,
zweitens um die Optimierung von Prüfmechanismen in
der Typengenehmigung und drittens um die Überprüfung
des ordnungsgemäßen Wartungszustandes. In allen drei

Bereichen sind wir aktiv und Ihrem Anti-Auto-Antrag
sehr weit voraus.

Zum ersten Komplex. Wir haben sofort nach Be-
kanntwerden der Vorwürfe der US-Behörden das Kraft-
fahrt-Bundesamt angewiesen, strenge spezifische Nach-
prüfungen bei Volkswagen durch unabhängige Gutachter
vornehmen zu lassen. Diese Nachprüfungen erstrecken
sich auch auf Fahrzeuge anderer Hersteller im In- und
Ausland. Dabei wird sowohl auf dem Prüfstand, der so-
genannten Rolle, als auch unter realen Verkehrsbedin-
gungen auf der Straße kontrolliert.

Darüber hinaus haben wir eine Untersuchungskom-
mission unter der Leitung von Staatssekretär Odenwald,
besetzt mit Fachleuten aus dem Bundesverkehrsministe-
rium und dem Kraftfahrt-Bundesamt, eingesetzt, die be-
reits wenige Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe in
Wolfsburg zu ersten Gesprächen war und Einsicht in die
Unterlagen genommen hat. Das Kraftfahrt-Bundesamt
hat VW im Zuge dessen aufgefordert, einen verbindli-
chen Maßnahmen- und Zeitplan vorzulegen und tech-
nische Details zu der installierten Software mitzuteilen.
Dieser Plan ist bei uns Mitte letzter Woche fristgerecht
eingegangen.

Das Kraftfahrt-Bundesamt hat heute eine rechtsver-
bindliche Anordnung zum verpflichtenden Rückruf der
Fahrzeuge gegenüber VW erlassen. Die zugrundeliegen-
de EG-Verordnung sieht vor, dass das Kraftfahrt-Bun-
desamt zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur
Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits
im Verkehr befindlicher Fahrzeuge nachträglich Neben-
bestimmungen anordnen kann. Von dieser Möglichkeit
macht das Kraftfahrt-Bundesamt nunmehr Gebrauch.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte es mal früher machen sollen!)


Dieser Bescheid kommt im Hinblick auf den Sach-
verhalt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem von VW
in bestimmte Diesel-Kfz eingebauten Softwareprogram-
men um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.
Er auferlegt VW, die unzulässigen Abschalteinrichtun-
gen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wieder-
herstellung der Vorschriftsmäßigkeit insbesondere der
Emissionen des genehmigten Systems nach der Entfer-
nung dieser zu ergreifen und dies durch entsprechende
Nachweise zu belegen.

Er auferlegt VW außerdem, den von VW am 7. Okto-
ber 2015 vorgelegten Zeit- und Maßnahmenplan einzu-
halten und über den Erfolg der Rückrufaktion dem Kraft-
fahrt-Bundesamt regelmäßig zu berichten.

Hinsichtlich der Fristen sieht der Bescheid ferner Fol-
gendes vor: Für Fahrzeuge mit einem 2-Liter-Aggregat
ist bis zum Ende dieses Monats eine generelle Lösung
für die Mängelbehebung anhand eines Fahrzeugs mit
Testsoftware verbindlich aufzuzeigen. Für Fahrzeuge mit
einem 1,6-Liter-Aggregat ist bis Mitte November eine
generelle Lösung für die Mängelbehebung verbindlich
aufzuzeigen. Für Fahrzeuge mit einem 1,2-Liter-Aggre-
gat ist bis Ende November eine generelle Lösung für die
Mängelbehebung verbindlich aufzuzeigen.

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813007900

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Leidig?

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1813008000


Nein, ich möchte im Zusammenhang berichten.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813008100

Danke schön.

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1813008200


Die entsprechenden Rückrufaktionen beginnen An-
fang 2016. Deren Einleitung und auch deren Fortgang
werden ebenso vom Kraftfahrt-Bundesamt überwacht
werden.

Fest steht, dass VW bei allen Maßnahmen die Ver-
braucherinteressen vollumfänglich berücksichtigen
muss. Das heißt konkret: Alle Maßnahmen, die der Scha-
densbehebung dienen, und auch mögliche Folgeauswir-
kungen dürfen nicht zulasten der Kunden gehen. Wir
haben gegenüber VW keinen Zweifel daran gelassen,
dass wir die Aufklärung und Problemlösung aufmerksam
begleiten und nicht nachlassen werden, bis der ganze Fall
aufgeklärt ist.

Zum zweiten Komplex. Mit den Manipulationen bei
VW nichts zu tun hat unser Engagement auf europäischer
Ebene, die Prüfmechanismen bei der Typengenehmigung
so zu optimieren, dass wir näher an die Realemissionen
herankommen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stehen seit Jahren auf der Bremse!)


Wie Sie alle wissen, stehen wir in Brüssel seit 2011 in
Verhandlungen mit der Kommission und den National-
staaten, um neben dem Test auf der Rolle auch einen Test
mit portabler Messtechnik im Realverkehr auf der Stra-
ße, den sogenannten RDE-Test, einzuführen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie versuchen doch, dies zu verhindern!)


Das entspricht im Wesentlichen dem Verfahren, das wir
jetzt bereits bei den strengen spezifischen Nachprüfun-
gen anwenden.

Die Verkehrsminister der Länder sind sich seit langem
darüber einig, dass diese RDE-Tests eingeführt werden.
Vor diesem Hintergrund wurden bereits mehrere Verord-
nungspakete verabschiedet. Jetzt geht es darum, letzte
Details zu klären und einen verbindlichen Zeitplan zur
Einführung der neuen Prüfmechanismen einzuführen.

Gleichzeitig setzen wir uns mit großem Nachdruck
auf internationaler Ebene dafür ein, ein weltweit einheit-
liches Testverfahren zur Ermittlung von Abgasemissi-
onen, das sogenannte WLTP, zu entwickeln und in die
europäischen Vorschriften zur Typengenehmigung zu
überführen.

Bereits heute sind bei der Typengenehmigung nach
EU-Recht sogenannte nationale Überwachungspro-
gramme möglich. Dies wird umgangssprachlich auch
Feldüberwachung genannt. Dabei wird nach der Typen-
genehmigung stichpunktartig die Konformität der Seri-
enfahrzeuge überprüft.

Zum dritten Komplex. Ein weiteres, wieder ande-
res Thema, das man eben nicht vermischen darf, ist die
Überprüfung des ordnungsgemäßen Wartungszustandes
der Fahrzeuge, die sich bereits im Betrieb befinden. Hier
greift die sogenannte AU, die periodische Abgasuntersu-
chung, die sich in den vergangenen Jahren sehr bewährt
hat.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das meinen Sie nicht wirklich ernst! Ich fasse es nicht! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat sich bewährt?)


Um auch hier noch näher an die Realemissionen he-
ranzukommen, arbeiten wir an einer Kombination der
Messungen am Überwachungssystem und am Endrohr.
Eine sachgerechte Umsetzung dieser Erweiterung wird
derzeit geprüft und anschließend auf den Weg gebracht.

Ungeachtet unserer Maßnahmen in diesen drei Fel-
dern müssen wir auch einmal ganz klar sagen: Wir haben
in den vergangenen Jahren bei den Emissionen durchaus
deutliche Fortschritte gemacht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Stickoxid nicht!)


Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Verhand-
lungen zur europäischen CO2-Richtlinie stark dafür ein-
gesetzt, dass wir in Europa heute die weltweit anspruchs-
vollsten Zielwerte haben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich reicht es nicht!)


Dadurch sind allein in den letzten fünf Jahren die
CO2-Emissionswerte von Pkw um mehr als 25 Pro-
zent gesunken. Gleichzeitig hat die Einführung der Eu-
ro-Grenzwertstufen seit 1992 zu einer über 90-prozenti-
gen Reduzierung der NOx-Grenzwerte geführt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Schönrederei, was Sie da machen!)


Das ist die Lösung: näher ran an die Realemission und
nicht noch weiter runter mit den Grenzwerten, wie es die
Grünen in ihrem Antrag wieder einmal fordern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Kühn Sie sollen die Grenzwerte einhalten! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Hendricks ist aber für eine Senkung der Grenzwerte!)


(Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:


Ihnen geht es bei der ganzen Diskussion, so hat man den
Eindruck, nicht um Aufklärung, nicht um Lösungen und
nicht um Fortschritte. Sie schrecken nicht davor zurück,
völlig unterschiedliche Sachverhalte wild zusammenzu-
würfeln und Wahrheit und Klarheit Ihrer Ideologie zu op-






(A) (C)



(B) (D)


fern. Ihnen geht es ausschließlich um einen Fundamen-
talangriff auf das Auto an sich als Symbol für Mobilität,
Flexibilität und Individualität.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Quatsch!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813008300

Herr Staatssekretär, ich muss Sie noch einmal fragen,

ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer zulas-
sen.

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1813008400


Nein, danke. – Wir klären die Vorgänge bei VW auf
und sorgen dafür, dass die Maßnahmen zur Behebung
der Manipulationen vollumfänglich umgesetzt werden.
Wir wahren die Verbraucherinteressen und stellen sicher,
dass die Umrüstung nicht zulasten der Kunden geht. Wir
treiben die Einführung der RDE-Tests auf europäischer
Ebene weiter voran. Deutschland bleibt Autoland Num-
mer eins: für unser Wachstum, unseren Wohlstand und
unsere Arbeit von morgen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813008500

Vielen Dank. – Als Nächste spricht die Kollegin Caren

Lay, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813008600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der sogenannte Dieselgate ist wirklich so ein
Hammer, dass die Story inzwischen filmreif ist. Der Hol-
lywoodschauspieler Leonardo DiCaprio sicherte sich
vor ein paar Tagen die Rechte. Das ist leider kein Witz.
Leonardo DiCaprio mimt bekanntermaßen am liebsten
den Schurken. Das sollte vor allen Dingen dem Minister
etwas mehr Ansporn sein, sonst spielt DiCaprio am Ende
nämlich nicht Martin Winterkorn, sondern Alexander
Dobrindt.


(Beifall bei der LINKEN – Oliver Wittke [CDU/CSU]: Sie sind ja lustig! – Stephan Kühn NEN]: Der Film würde ein Flop werden!)


Meine Damen und Herren, ob die Spiegel-Meldung
stimmt, dass bis zu 30 Manager in diesen Betrug invol-
viert sind oder nicht, wissen wir nicht. Aber kein Mensch
glaubt doch wirklich, dass es hier einzelne Manager und
einzelne Ingenieure gewesen sind, die diese Schummel-
software heimlich und völlig unbemerkt von allen ande-
ren eingebaut haben. Das ist organisierter Betrug. Dieser

organisierte Betrug muss ohne Wenn und Aber aufgeklärt
werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Ferlemann, Sie können uns als Linke glauben:
Wir nehmen die Interessen der Beschäftigten ernst. Aber
ich bin wirklich entsetzt, wenn Sie im Grunde argumen-
tieren, dass ausgerechnet diejenigen, die Aufklärung ver-
langen, den Standort schlechtreden. Ich sage: Gerade im
Interesse der Beschäftigten gehören die Fakten endlich
auf den Tisch und nicht länger unter den Tisch.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe aber leider das Gefühl, dass die Wahrheit
nur scheibchenweise ans Licht kommt. Auch das Kri-
senmanagement der Bundesregierung ist wirklich nicht
gerade vorbildlich. Jahrelang haben Sie die Hinweise der
Umweltverbände und der EU ignoriert und buchstäblich
in den Wind geschlagen. Offenbar konnte sich die Au-
tolobby in diesem Land sehr sicher fühlen, dass dieser
Schwindel nicht auffliegt. Sie durfte sich auch sicher füh-
len: Martin Winterkorn als einer der Cheflobbyisten war
in der letzten Legislaturperiode neun Mal bei der Bun-
deskanzlerin. Auch andere Vertreterinnen und Vertreter
der Branche gingen wie selbstverständlich bei ihr ein und
aus. Aus meiner Sicht ist Regel Nummer eins – schreiben
Sie sich diese ins Stammbuch –: Diese Kumpanei, diese
Klüngelei zwischen Automobilindustrie und Politik muss
endlich ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht aber immer noch weiter. Heute haben wir in
der Zeitung gelesen: Die EU ist entsetzt darüber, dass die
Bundesregierung nicht genügend aufklärt. Die Abgas-
werte überschreiten die zulässigen Höchstgrenzen in der
Realität um sage und schreibe 400 Prozent. Dazu sagt die
EU: Oh, das ist zu viel. Jetzt dürfen diese Werte nur noch
um 60 Prozent überschritten werden. – Ich meine, das ist
an sich schon ein bemerkenswerter Vorgang. In welchem
anderen Bereich beschließt man, dass bestehende Grenz-
werte nur zu 60 Prozent überschritten werden dürfen?
Das ist doch wirklich unmöglich.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Selbst das ist der Bundesregierung offenbar noch zu
streng. Sie blockieren, wenn man den Presseberichten
glauben kann. Ich kann nur sagen: Geben Sie diese Hal-
tung auf! Hören Sie mit der Blockade auf! Machen Sie
den Weg für schärfere Kontrollen und bessere Gesetze
frei!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Offenbar glauben einige, Umweltverschmutzung sei
ein Kavaliersdelikt. Aber Luftverpestung durch Diesel-
abgase in diesem Maßstab gefährdet die Gesundheit von

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann






(A) (C)



(B) (D)


Millionen von Menschen. Deshalb dürfen wir das nicht
dulden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist außerdem auch Verbrauchertäuschung in gro-
ßem Maßstab. Ab heute haben wir mit dem Rückruf
von 2,4 Millionen Autos eine Kennziffer. Es sind also
2,4 Millionen Autokäufer betroffen. Im Verbraucher-
ausschuss des Bundestages wollten Sie das Thema nicht
kommentieren, und zwar mit dem absurden Argument,
das sei kein Verbraucherthema. Wer das nicht mitbekom-
men hat, dem ist nicht mehr zu helfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, zum Schluss stellt sich die
entscheidende Frage: Wer wird für diesen Schlamassel
bezahlen? Sind es am Ende die Verbraucher und die Be-
schäftigten? Bei den Familien Piëch und Porsche ist in
jedem Fall einiges zu holen. Mit einem Vermögen von
12 Milliarden Euro müssen die keine Existenzängs-
te haben, ganz anders als die Beschäftigten, die jetzt
um ihre Jobs fürchten müssen. Oder nehmen wir Herrn
Winterkorn: Er fällt mit einem stattlichen Jahreseinkom-
men von 16 Millionen Euro ganz schön weich. Er soll es
angeblich auch im nächsten Jahr bekommen.

Meine Damen und Herren, dort sitzt das Geld. Da ist
etwas zu holen, und ich finde, da sollten wir es uns auch
holen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813008700

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kol-

lege Arno Klare das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1813008800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Von Max Frisch stammt der
Satz: „Krise ist ein produktiver Zustand.“ Der Satz ist
gut und richtig, und ich stelle dazu fest: Lamento und
Bashing sind kein produktiver Vorgang.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Was muss jetzt getan werden? Wir brauchen so etwas
wie eine Zukunftslandkarte bzw. eine produktive und in-
novative To-do-Liste, was wir jetzt machen müssen. So
bewältigt man Krisen. Das ist der erste Punkt.

Wir brauchen natürlich Aufklärung: rückhaltlos und
transparent, ohne dass irgendwelche Reste von Zweifeln
bleiben. Wir brauchen natürlich Real-Driving-Emissi-
ons-Tests. Aber ob dann die NTE-Limits, die es dabei
gibt, mit einem CF-Wert von 1,5 oder 1,2 angegeben
werden, ist zwar wichtig, aber nicht zukunftsentschei-
dend.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813008900

Herr Kollege Klare, ich muss Sie unterbrechen. Ge-

statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leidig aus
der Fraktion Die Linke?


Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1813009000

Nein, danke. Ich möchte das jetzt in Ruhe vortragen.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813009100

Also generell keine Zwischenfragen.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist doch albern! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist krass! Sie haben alle die Hosen voll!)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1813009200

Zweiter Punkt. Unter dem Gesichtspunkt, Krise als

produktiven Wendepunkt zu begreifen, bin ich sehr dank-
bar – es ist fast untergegangen –, dass sich am Diens-
tag dieser Woche sechs Unternehmen in Deutschland,
und zwar keine kleinen Unternehmen, zum H2-Mobili-
ty-Joint-Venture zusammengeschlossen haben. Das ist
ein ganz wichtiger Schritt, weil dabei nämlich sicherge-
stellt wird, dass es bis 2023 in dieser Republik 400 Was-
serstofftankstellen geben wird.

Warum sage ich das? Diese Tankstellen sind die Be-
dingung, um Möglichkeiten neuer schadstoffarmer
Antriebe zu nutzen. Es geht nicht darum, Schadstoffe
herauszurechnen, was ohnehin illegal ist, oder herauszu-
filtern, was technisch möglich ist und sein muss, sondern
schlicht darum, sie gar nicht erst entstehen zu lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dritter Punkt. Ich war erfreut, aber auch gleichzeitig
verärgert – ich sage gleich etwas zu beiden Punkten –,
dass VW deutlich gemacht hat, jetzt einen anderen Weg
zu gehen, was die Antriebsformen angeht, und sich stär-
ker auf Brennstoffzellen und Elektromobilität zu stützen.
Das ist gut so, und das können sie auch gut.

Ich war auf der IAA enttäuscht – das ist schon gesagt
worden, und das kann ich teilen –, dass das erste serien-
reife Brennstoffzellenfahrzeug nicht aus Wolfsburg oder
von einem der anderen deutschen Premiumhersteller
kam, sondern von Toyota vorgestellt worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für mich ist klar: Die Mobilität der Zukunft ist elek-
trisch, und sie gehört der batteriebetriebenen Mobilität
und der Brennstoffzellenmobilität. Wir alle wissen vom
Hofmannschen Apparat, was Wasserstoff bewirken kann.
Das muss ich niemandem erklären, der im Chemieun-
terricht aufgepasst hat. Der Hofmannsche Apparat hat
ein kleines Effizienzproblem: Man muss mehr Energie
hineinstecken, als man nachher an Wasserstoffenergie
gewinnen kann. Das gilt aber nicht, wenn die hineinge-
steckte Energie aus erneuerbaren Quellen stammt. An
dieser Stelle wird daraus ein industriepolitisches The-
ma. Denn dann hat man Wasserstoff als Speicher für den

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


überschüssigen Strom, der im Moment abgeregelt wer-
den muss.


(Beifall bei der SPD)


Das ist der entscheidende Punkt. Hier kommen zwei Pole
zusammen.

Man könnte über die Methanisierung sogar Kohle-
kraftwerke cleanen, also sauber bekommen, indem man
das CO2 in CH4 umwandelt, das wiederum in Motoren
verbrannt oder sogar wieder zu Strom gemacht werden
kann. So geht das vonstatten. Diese Vernetzung aber ver-
misse ich in all Ihren Reden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Solche Pläne, meine Damen und Herren, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, brauchen auch Gesetze bzw.
gesetzliche Flankierungen. Diese gesetzlichen Flankie-
rungen gehen aber nicht über das Strafrecht, sondern
eher über das Steuerrecht; denn da geht es um eine Son-
der-AfA für E-Fahrzeuge, die wir unbedingt brauchen,
um einen Hochlauf hinzubekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir brauchen wahrscheinlich auch keine Kaufprämi-
en, die haushalts- und kassenwirksam sind, sondern wir
sollten eher darüber reden, ob wir nicht Tilgungszuschüs-
se für private Käufer über die KfW organisieren. Das ist
nämlich haushaltsneutral, bewirkt aber genau dasselbe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch! Nicht nur darüber reden!)


Ich sage Ihnen zum Abschluss, was wir auf keinen
Fall brauchen. Wir brauchen auf keinen Fall irgendeinen
schwachsinnigen Hollywoodfilm à la Watergate oder so
ähnlich – egal wer ihn dreht. Wenn schon ein Film ge-
dreht werden soll, dann bitte doch einmal einen mit einer
positiven Utopie über die H2-angetriebene Mobilität der
Zukunft.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kommt die deutsche Automobilindustrie aber nicht vor! Das ist das Problem!)


Ich bin relativ sicher: Wenn den Kollegen Rimkus oder
mich einer fragen würde, ob wir an einem entsprechen-
den Drehbuch mitschreiben wollten, dann würden wir
das sogar ohne Honorar tun.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813009300

Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention

hat jetzt die Kollegin Leidig.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813009400

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Nachdem beide Kol-

legen nicht gestattet haben, dass ich eine Zwischenfrage

stelle, nutze ich die Möglichkeit, jetzt darauf aufmerk-
sam zu machen, dass die von Ihnen ins Feld geführte
Untersuchungskommission – das haben wir gerade ge-
hört – von Staatssekretär Odenwald geleitet wird. Wir
wissen – das ist akribisch belegt –, dass die Betrügerei-
en mit den Abgaswerten nicht neu sind. Das ist bereits
im Februar 2009 von der Deutschen Umwelthilfe dem
Verkehrsministerium dargelegt worden. Es haben dort
Gespräche stattgefunden. Danach haben noch weitere
Gespräche stattgefunden. Es sind Briefe geschrieben
worden, und es sind Probemessungen gezogen worden.
Die Deutsche Umwelthilfe hat wieder und wieder auf die
Problematik aufmerksam gemacht. Im Verkehrsministe-
rium wurde das zur Kenntnis genommen und abgebügelt.
Staatssekretär Odenwald ist seit 2009 in leitender Funk-
tion im Verkehrsministerium tätig. Von 2010 bis 2012
war er dort Leiter der Zentralabteilung. Danach wurde
er Staatssekretär.

Ich bin der Meinung, dass weder das Verkehrsminis-
terium noch das Kraftfahrt-Bundesamt, das in dieser Zeit
keine einzige Kontrollmessung durchgeführt hat, dazu
geeignet sind, jetzt die Verwicklungen bzw. die Sachver-
halte umfassend aufzuklären und für Alternativen zu sor-
gen. Wir bestehen darauf, dass eine wirklich unabhängige
Untersuchung stattfindet und dass das Umweltbundesamt
in Zukunft für die Messungen verantwortlich ist – und
nicht diejenigen, die für den Schlamassel verantwortlich
sind.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813009500

Danke schön. – Herr Kollege Klare, möchten Sie da-

rauf antworten?


Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1813009600

Selbstverständlich. – Erst einmal bitte ich darum, zwei

Sachverhalte – das ist gerade schon von Herrn Ferlemann
gesagt worden, ich sage es jetzt noch einmal – auseinan-
derzuhalten. Frau Leidig, Sie wissen, dass ich im Februar
dieses Jahres auf einer Veranstaltung der Deutschen Um-
welthilfe – da haben wir, glaube ich, auf demselben Po-
dium gesessen – darauf hingewiesen habe, dass wir dafür
Sorge tragen müssen, dass die werksseitig angegebenen
Werte möglichst mit denen übereinzustimmen haben, die
dann auch auf der Straße erreicht werden.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das wird aber nicht gemacht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


– Also, ich habe selber darauf hingewiesen, dass es
dort Differenzen gibt. – Das alles aber ist auf dem Weg.
All das wird passieren. Und die Real-Driving-Emissi-
ons-Tests, von denen wir gerade geredet haben, werden
diese Labortests ergänzen.

Man muss aber, wenn man sich das einmal technisch
anschaut, auch sehen, wie das bei diesen Tests, die dann
auf der Straße passieren, funktionieren muss. Tests müs-
sen, damit sie vergleichbar sind, wiederholbar und ob-

Arno Klare






(A) (C)



(B) (D)


jektivierbar sein. Wenn eine Strecke im Schwarzwald ab-
gefahren wird, gibt es einen großen Unterschied zu einer
Strecke in Mühlheim, wo eben die Topografie eine ganz
andere ist.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie dieses Gerede auf! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das weiß ich alles! Darum geht es gar nicht!)


Man muss Folgendes sehen: Diese RDE-Tests sind
zur Ergänzung dessen vorgesehen, was in den Labors ge-
messen wird. Wir wollen da auch diesen anderen Zyklus
haben, der wesentlich realistischere Werte liefert.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einfach klar, Sie wollen Tests verhindern und weiter schummeln!)


Wir sind alle dafür, dass sich diese Werte stärker an-
nähern. Das hat etwas mit Verbraucherschutz und Ehr-
lichkeit zu tun. Aber wir dürfen zwei Sachverhalte nicht
durcheinanderbringen, nämlich die in Rede stehende
Manipulation durch willentlich falsch eingestellte Soft-
ware und die Lücke, die es zwischen den Verbrauchswer-
ten im Labor und den tatsächlich auf der Straße erziel-
ten Verbrauchswerten gibt. Das sind zwei verschiedene
Sachverhalte, um die wir uns natürlich beide vehement
kümmern müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813009700

Vielen Dank. – Der nächste Redner in der Debatte ist

der Kollege Oliver Wittke, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1813009800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eines vor-
weg: Jawohl, auch wir sind entsetzt über das Ausmaß des
Skandals. Es ist völlig klar, dass der zur Diskussion ste-
hende Betrug nicht nur ein Betrug im Hinblick auf staatli-
che Vorgaben und europäische Normen ist, sondern auch
ein Betrug an Kunden des VW-Konzerns sowie an den
eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die exzel-
lente Arbeit leisten. Es wird in diesen Tagen im Übrigen
immer klarer, dass es sich nicht um das Fehlverhalten ei-
niger weniger handelt. Vielmehr hat eine bestimmte Un-
ternehmenskultur diesen Skandal ermöglicht. Daher geht
es nun nicht nur um eine umfassende und transparente
Aufklärung, sondern auch um einen Wechsel der Unter-
nehmenskultur im VW-Konzern. Das ist dieser Konzern,
insbesondere die Führung dieses Konzerns, den Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Kundinnen
und Kunden sicherlich schuldig.

Aber genauso klar ist auch – das will ich hier in aller
Deutlichkeit sagen –: Wir, die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion, stehen zu einem erstklassigen Unternehmen, in

dem erstklassige Arbeit geleistet wird und erstklassige
Automobile gebaut werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kirsten Lühmann [SPD]: Wir von der SPD auch!)


Meine Damen und Herren von den Grünen und der
Linksfraktion, wir werden es nicht zulassen, dass Sie
hier eine effiziente Technologie, nämlich die Diesel-
technologie, ein exzellentes Unternehmen, nämlich den
VW-Konzern, sowie eine innovative und leistungsstarke
Branche, nämlich die deutsche Automobilindustrie, Pars
pro Toto in Misskredit bringen.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das hat niemand gesagt! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das hat VW selbst gemacht!)


Das haben diese drei Institutionen nicht verdient. Ganz
im Gegenteil: Sie sind Leistungsträger unserer Wirt-
schaft in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren von den Grünen, ich lese
Ihnen gerne vor, was in Ihrem zur Debatte stehenden An-
trag steht: „Die Schönfärberei ... der Automobilindustrie
ist gescheitert.“


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sie wollen die Betrügereien decken?)


Weiter ist die Rede von systematischer „Verbrauchertäu-
schung, Gesundheitsgefährdung und Klimazerstörung“.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles passiert!)


Wenn das kein Automobil-Bashing ist, wenn das nicht
die Fortsetzung Ihres Antiautokurses ist, dann frage ich
mich, wo hier die inhaltliche Auseinandersetzung mit
den tatsächlichen Themen stattfindet, die auf der Tages-
ordnung stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das sind Fakten! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt total irre!)


Liebe Frau Lay, wenn Sie vorgeben, Arbeitnehmerin-
teressen zu vertreten, und so tun, als würden Ihnen die
Jobs am Herzen liegen, dann hören Sie bitte auf, von
Kumpanei zu reden, wenn die Bundeskanzlerin mit den
Chefs der deutschen Automobilkonzerne spricht. Das ist
richtig, und das fordern wir auch von ihr. Es ist gut, dass
sich die Kanzlerin um die Arbeitsplätze kümmert und sie
sichert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es kommt darauf an, was hinten herauskommt!)


Im Zusammenhang mit der Dieseltechnologie möchte
ich noch etwas sagen. Es gibt kaum eine Technologie, die
in den vergangenen Jahren in puncto Sauberkeit solche
Fortschritte gemacht hat wie die Dieseltechnologie.


(Stephan Kühn DIE GRÜNEN]: In der Theorie! – Dr. Anton Arno Klare Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf dem Papier!)





(A) (C)


(B) (D)


Die durchschnittlichen CO2-Emissionen von Pkw sind
seit 1995 um 30 Prozent gesunken. Seit Euro 3 wurden
die NOx-Emissionen von Diesel-Pkw um 84 Prozent re-
duziert.


(Stephan Kühn DIE GRÜNEN]: Auf dem Papier!)


Mit modernen Dieselsystemen lässt sich der Kraftstoff-
verbrauch um 20 Prozent im Vergleich zum Ottomotor
reduzieren. Wenn wir im Übrigen über neue Technolo-
gien sprechen und beispielsweise die Hybridtechnologie
voranbringen wollen, dann brauchen wir die Dieseltech-
nologie; denn Hybridtechnologie ohne Dieseltechnolo-
gie ist unsinnig und wird es nicht geben. So lange, bis
der elektroenergetische Antrieb oder der Wasserstoff-
antrieb zu 100 Prozent im Automobilverkehr eingesetzt
werden können, brauchen wir Zwischenlösungen. Des-
halb brauchen wir eine Fort- und Weiterentwicklung der
Dieseltechnologie. Diese lassen wir uns von Ihnen nicht
kaputtreden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deutschland hat geschlafen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813009900

Herr Kollege Wittke, lassen Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Krischer zu?


Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1813010000

Ja, bitte, gerne.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813010100

Danke, Herr Kollege Wittke, dass Sie die Zwischen-

frage zulassen. – Ich habe eben schon versucht, Herrn
Staatssekretär Ferlemann eine Zwischenfrage zu stel-
len – die hat er nicht zugelassen –, als er die Pressemit-
teilungen des Bundesverkehrsministeriums aneinander-
gereiht und hier vorgelesen hat.

Mich würde interessieren, ob Sie die Auffassung von
Herrn Staatssekretär Ferlemann, die er hier vorgetragen
hat, teilen, wonach bei Stickoxiden – Sie haben gerade
selber über die Dieseltechnologie gesprochen – keine
weitere Grenzwertreduzierungen im Realbetrieb erfor-
derlich sind, oder ob das gilt, was die Bundesumwelt-
ministerin gestern, nachzulesen in einem Gastbeitrag
für die Süddeutsche Zeitung – ich kann Ihnen das gerne
vorlesen –, fordert, nämlich dass es bei Stickoxiden im
Realbetrieb deutliche Emissionsreduktionen geben muss.
Könnten Sie mir bitte diese Frage beantworten? Gilt das,
was Herr Ferlemann sagt – es gibt keine weitere Verände-
rung bei den Grenzwerten –, oder gilt das, was die Bun-
desumweltministerin gestern in dem Gastbeitrag für die
Süddeutsche Zeitung gesagt hat?


Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1813010200

Herr Kollege Krischer, Sie wissen vielleicht, dass der

Verkehrsministerrat am 8. Oktober dieses Jahres, also

vor wenigen Tagen, sich mit genau dieser Problematik
beschäftigt hat und beschlossen hat, dass es eine Verän-
derung der Grenzwerte bei den Stickoxiden geben wird.
Das heißt, wir werden dort einen großen Schritt weiter-
kommen. Ich wäre im Verlauf meiner Rede noch darauf
gekommen. Das ist keine Forderung, sondern das ist ein
Fakt. Das geschah auf Betreiben auch der Bundesrepu-
blik Deutschland; das ist ein Fakt, mit dem wir vorange-
kommen sind, und damit machen wir die Dieseltechnolo-
gie im Übrigen noch sauberer.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also gilt das, was die Umweltministerin gesagt hat, und nicht das, was Herr Ferlemann gesagt hat!)


Eines will ich noch anschließen, Herr Kollege
Krischer. Wir müssen ein ganz klein wenig auch darauf
achten, dass wir hier nicht das Geschäft ausländischer
Automobilkonzerne betreiben.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass wir führend sind in der Dieseltechnologie, dass wir
eine Technologie entwickelt haben, die über die Jahre
hinweg Stück für Stück sauberer geworden ist, und dass
beispielsweise amerikanische Automobilunternehmen
und auch andere ausländische Automobilkonzerne kein
Interesse daran haben, diese europäische Technologie
weiter zu fördern, liegt doch offen auf der Hand.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Wittke deckt eine Verschwörung auf! Kommt Ihnen das nicht selber lächerlich vor?)


Da geht es um schlichte wirtschaftliche Interessen,
da geht es um Arbeitsplätze. Wir sind dafür da, deutsche
Arbeitsplätze zu sichern und nicht Arbeitsplätze in den
Vereinigten Staaten.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813010300

Herr Kollege Wittke, weil Sie so temperamentvoll

sind, hat jetzt der Kollege Ostendorff das Bedürfnis, Ih-
nen eine Frage zu stellen, damit Sie ungebrochen weiter-
machen können.


Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1813010400

Frau Präsidentin, das machen wir vielleicht im An-

schluss an diese Debatte. Ich würde jetzt gerne mit mei-
ner Rede fortfahren.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813010500

Gut.


Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1813010600

Ich habe eine Frage zugelassen. Wir wollen jetzt nicht

ein Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Wittke und der
grünen Bundestagsfraktion machen. Das wäre, glaube
ich, auf Dauer etwas langweilig für die anderen Zuhöre-

Oliver Wittke






(A) (C)



(B) (D)


rinnen und Zuhörer hier im Saal. – Vielen Dank für Ihr
Verständnis.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist deutlich geworden – Staatssekretär Ferlemann
hat das ausdrücklich gesagt –, dass es auch Handlungs-
bedarf gibt. Darum ist es gut, dass wir über Real Driving
Emissions nicht nur debattieren und nicht nur Forderun-
gen aufstellen, sondern dass das System im Januar 2016
kommen wird und die Labortests endlich durch Untersu-
chungen und Tests auf der Straße ergänzt werden. Damit
verbessern wir die Kontrollen. Ich halte das für einen
ganz wichtigen Schritt. Da kommen wir tatsächlich wei-
ter voran.

Ich habe gerade etwas zu den NOX-Grenzwerten ge-
sagt. Der Verkehrsministerrat hat, wie ich gerade schon
in der Antwort auf die Frage des Kollegen Krischer aus-
geführt habe, am 8. Oktober beschlossen, dass es eine
Veränderung der Grenzwerte geben wird. Es wird eine
Verschärfung geben. Das ist gut so und vernünftig. Auch
da gab es sicherlich Handlungsbedarf.

Ich will auch offen eingestehen: Es reicht eben nicht
aus, dass wir als Koalitionsfraktionen ein Elektromobili-
tätsgesetz als ersten Schritt auf den Weg gebracht haben,
sondern es müssen weitere Schritte folgen. Wir wollen
die Elektromobilität weiter fördern, und wir werden sie
weiter voranbringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Stephan Kühn NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann geht es los?)


– Entschuldigung, Kollege Kühn, was haben Sie in Ihrer
Regierungszeit


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zehn Jahre her! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon sehr lange her! – Stephan Kühn (Dresden)

war ein sehr starkes Argument! – Dr. Anton
Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie
haben das letzte Mal mit der FDP regiert!)

– die ist gar nicht einmal so lange her; Sie waren damals
noch nicht dabei – vorangebracht? Nichts haben Sie hin-
bekommen. Wir haben die Elektrotechnologie bei Kraft-
fahrzeugen vorangebracht.

Ich will eine persönliche Bemerkung anschließen,
weil ich auch da für Offenheit und Transparenz bin.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das letzte Mal mit der FDP regiert!)


– Herr Hofreiter, hören Sie gut zu. Vielleicht gefällt Ihnen
das, was ich jetzt sage. – Ich bin dafür, dass beispielswei-
se Untersuchungsergebnisse des Kraftfahrt-Bundesamtes
veröffentlicht werden, weil die Zeiten vorbei sind, in de-
nen man solche Untersuchungsergebnisse irgendwo un-
ter der Decke halten konnte. Da gibt es nichts zu verste-
cken. Die müssen auf den Tisch gelegt werden, und dann
muss darüber debattiert werden. Nur so bekommt man
Änderungen hin. Darum werde ich mich ganz persön-

lich dafür starkmachen, dass wir zu einer Offenlegung
solcher Untersuchungsergebnisse kommen. Das tue ich
alleine, um Ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen
und der Behauptung entgegenzutreten, dass da Kumpa-
nei, Vertuschung oder sonst etwas im Spiel seien. Das ist
es nämlich beileibe nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon mal gut!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass wir
aus dieser Krise lernen. Ich hoffe, dass auch andere Un-
ternehmen, im Übrigen nicht nur in der Automobilindus-
trie, aus dieser Krise lernen. Ich bin mir ganz sicher: Die
deutsche Automobilindustrie und auch der VW-Konzern
werden gestärkt aus dieser schwierigen Situation hervor-
gehen, weil wir sie dabei begleiten, weil wir die Rahmen-
bedingungen setzen


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann setzen Sie Rahmenbedingungen?)


und weil wir nicht wie Sie Bashing betreiben, weil wir
keinen Feldzug gegen das Automobil betreiben, sondern
weil wir an der Seite dieses wichtigen deutschen Indust-
riezweiges stehen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813010700

Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kol-

lege Ostendorff.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schönen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir als Be-
troffenem gestatten, Ihnen, Herr Wittke – Sie waren ja
einmal Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen –, die
Frage zu stellen, wie Sie Betroffenen diejenigen Fragen
beantworten, die sie vom VW-Konzern nicht beantwortet
bekommen.

Meine Frau und ich haben in unserem Betrieb einen
Caddy-Lieferwagen. Wir haben uns umgestellt, weil wir
dachten, der Opel, den wir vorher hatten, ist nicht das
Richtige, und wir haben uns auf den Kauf eines VW Cad-
dy geeinigt. Damit verbunden war das Versprechen des
Händlers, dass damit ein wesentlich höherer Wiederver-
kaufswert verbunden ist. Das hat sich mittlerweile mar-
ginalisiert.

In unser Auto ist der Motortyp EA 189 eingebaut wor-
den. Das Vorhandensein dieses Motortyps ist durch das
Internet mühsam erkannt worden, nachdem die Marke-
ting-Chefin des VW-Konzerns, die ich als Abgeordneter
erreichen konnte, nicht in der Lage gewesen war, mir
Antwort auf die Frage zu geben, ob mein Auto von dem
Skandal betroffen ist oder nicht. Ich glaube, das Verfah-
ren, das hier gewählt worden ist, ist alles andere als kun-
denfreundlich; denn man braucht Wochen, bevor man
erst im Internet erfährt, ob der Motor des eigenen Autos
betroffen ist oder nicht, und man bekommt keine direk-

Oliver Wittke






(A) (C)



(B) (D)


te Antwort. Mir wurde das Versprechen gegeben, dass
dieser 1,6-Liter-Motor eventuell Anfang nächsten Jahres
umgebaut wird. Das kann uns doch nicht befriedigen. Ist
das Ihre Antwort, Herr Wittke? Unterstützen Sie dieses
Vorgehen? Halten Sie es für verbraucherfreundlich, dem
Kunden, der betroffen ist, der getäuscht worden ist, so
Antwort zu geben?

Wir, die wir den Caddy auch deshalb gekauft haben,
weil wir Kunden in den Umweltzonen im Ruhrgebiet –
Ihre Heimat wie meine Heimat – beliefern, fragen uns
zu Hause natürlich, ob dieser Caddy möglicherweise zu
Unrecht eine Betriebserlaubnis und eine Umweltplaket-
te hat. Damit hätten wir uns als Halter strafbar gemacht.
Wie beantworten Sie als ehemaliger Verkehrsminister
mir die Frage, in welchem Rechtszustand ich mich be-
finde? Darf ich dieses Auto in einer Umweltzone, etwa in
der Stadt Dortmund, noch betreiben oder nicht? Was ist
Ihre Antwort?


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813010800

Herr Kollege Wittke, möchten Sie erwidern?


Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1813010900

Ja, gerne.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813011000

Bitte schön.


Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1813011100

Herr Kollege Ostendorff, ich will Ihre Fragen gerne

beantworten, vor allem, weil Sie mich als ehemaligen
Verkehrsminister und nicht als Verkaufsberater von VW
angesprochen haben. Die Fragen, die Sie gestellt haben,
gingen ja wohl eher in Richtung VW als an einen Men-
schen, der politische Verantwortung trägt.

Staatssekretär Ferlemann hat Ihnen gerade dargelegt –
ich hoffe, Sie haben richtig zugehört –, wie die Bundes-
regierung gehandelt hat. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat
dem VW-Konzern aufgegeben, binnen kürzester Zeit –
man sollte nicht von Wochen, sondern kann fast schon
von Tagen reden – Konzepte aufzuzeigen, wie diese
Missstände abgestellt werden. Natürlich hat jeder Kun-
de ein Anrecht darauf, dass diese Missstände abgestellt
werden. Natürlich müssen diese Fahrzeuge nachgerüstet
werden. Natürlich müssen diese Fahrzeuge umgerüstet
werden. Das ist Verbraucherschutz, der praktiziert wird.
Wir sind dazu da, diesen Verbraucherschutz sicherzustel-
len, und wir werden ihn sicherstellen. Am Ende – Gott
sei Dank verfügt VW über diese Technologien – wird Ihr
Auto so sauber sein wie das, das Sie eigentlich kaufen
wollten. Dafür steht das Kraftfahrt-Bundesamt; dafür
gibt es die politischen Rahmenbedingungen.

Was Ihr Vertrauensverhältnis zu diesem Konzern an-
belangt: Das ist eine Geschichte, die Sie mit sich aus-
machen müssen. Auf Ihre Frage dazu kann ich Ihnen si-
cherlich keine Antwort geben. Aber Sie werden am Ende
dieses Prozesses einen Wagen haben, der so sauber ist
wie der, den Sie bestellt haben. Damit haben sich alle an-
deren Fragen, die Sie gestellt haben, erübrigt. Das heißt,

Sie werden in die Umweltzonen fahren können, Sie wer-
den keinen Wertverlust erleiden, sondern Sie haben ein
technologisch hochwertiges Fahrzeug erworben, für das
Sie einen angemessenen Preis bezahlt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Darf er nun in die Gelsenkirchener Innenstadt? Was macht er die nächsten Monate? Das ist die Frage!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813011200

Jetzt hat Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke, das

Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813011300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Im August war die Welt für die Beschäftigten
bei VW noch in Ordnung. Seit September wissen sie vom
systematischen Betrug einzelner Manager. Verbrauche-
rinnen und Verbraucher werden verprellt, Umwelt und
Kommunen belastet. Gleichzeitig erleben wir, wie dafür
verantwortliche Topmanager mit fast 30 Millionen Euro
abgefunden werden und weich fallen. Das alles ist nicht
zu entschuldigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt aber stellt sich die Frage: Wer muss dafür eigent-
lich den Kopf hinhalten? Mit Sicherheit trifft es diejeni-
gen, die keine Schuld an dem Skandal und an dem gan-
zen Schlamassel haben, nämlich die Beschäftigten.

Die Bundesregierung und die niedersächsische Lan-
desregierung können sich sicher sein, dass wir sehr genau
darauf schauen, was sie in den nächsten Tagen machen
werden. Als Abgeordnete aus Niedersachsen und erst
recht als Gewerkschafterin der IG Metall weiß ich nur zu
gut, wie wichtig VW als Arbeitgeber für die Menschen in
diesem Bundesland ist.

Es geht hier aber nicht nur um die niedersächsischen
Beschäftigten.


(Ulli Nissen [SPD]: Auch um die Hessen!)


In Deutschland arbeiten 160 000 Menschen bei VW,
weltweit sind es 600 000. Hinzu kommen die Beschäftig-
ten aus den Zulieferbetrieben, die befristet beschäftigten
Leiharbeiter und die Werkvertragsbeschäftigten. Sie alle
sorgen sich derzeit um ihren Arbeitsplatz, ihre Zukunft
und die Sicherheit ihrer Familien, und das alles wegen
organisierten Betrugs von Managern.

Ich fordere Sie auf, die Befürchtungen und Ängste
der Menschen ernst zu nehmen. Sie sind schockiert, dass
so etwas bei VW passieren konnte. Können Sie sich ei-
gentlich vorstellen, wie Angst und Unsicherheit die Men-
schen im Moment umtreiben? In diesem Zusammenhang
ist jetzt Arbeitsplatzsicherung das A und O bei VW.


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei sind alle gefragt, allen voran der Arbeitgeber VW.
Das erwarten die Arbeiter zu Recht, insbesondere die-

Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


jenigen, die bald ihre Miete nicht mehr zahlen können,
weil der befristete Leiharbeitsvertrag ausläuft.

Die Gewerkschaft und die betrieblichen Interessen-
vertreter haben viel Erfahrung mit Beschäftigungssiche-
rung in Krisenzeiten. Sie wissen, wie man mit Arbeits-
zeitkonten, mit Arbeitszeitverkürzung und Kurzarbeit
umgeht. Nun muss endlich auch die Bundesregierung die
notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür
schaffen. Sie muss zusehen, dass jetzt alles unternom-
men wird, damit die Folgen des VW-Skandals nicht auf
die Beschäftigten und die Kommunen abgewälzt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch Leiharbeitsbeschäftigte verdienen den Schutz
durch Kurzarbeit. Es kommt darauf an, die Arbeitsplätze
der Beschäftigten zu erhalten. Klar ist: Wenn VW hustet,
dann wackelt ganz Niedersachsen, und es wackeln un-
zählige Firmen über VW hinaus.

Die Bosse können sich entspannt zurücklehnen und
werden sich möglicherweise auf einer sonnigen Insel
ausruhen – nicht jedoch die Beschäftigten –, werden sie
doch alle vielleicht in Millionenhöhe abgefunden.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
die Verantwortung für die Beschäftigten bei VW.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie hat auch die Verantwortung für die zig betroffenen
Beschäftigten in den umliegenden Bereichen: den Bä-
ckereien, den Kiosken, den Supermärkten und allen an-
deren, die dazugehören. Nehmen Sie Ihre Verantwortung
wahr, damit dort Beschäftigung weiter erhalten bleibt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813011400

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Birgit Kömpel,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Birgit Kömpel (SPD):
Rede ID: ID1813011500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! VW stand stets für deutsche Wertarbeit –


(Oliver Wittke [CDU/CSU]: Immer noch!)


hier bei uns und in der ganzen Welt. Der VW-Käfer zum
Beispiel war das Sinnbild für das deutsche Wirtschafts-
wunder nach dem Krieg. VW wurde in einem Atemzug
mit Wörtern wie Zuverlässigkeit, Wertbeständigkeit und
Sicherheit genannt. Diese Eigenschaften haben VW groß
gemacht und den Erfolg des Unternehmens begründet.

Auch zu Beginn des Jahres hat VW wieder Erfolge
verkündet. Die Marke von 600 000 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern sollte erstmals in der Geschichte des Auto-
bauers überschritten werden. VW war damit auf dem bes-
ten Weg, zum größten Autobauer der Welt aufzusteigen.

Diese einmalige Erfolgsgeschichte ist nun vorerst zu
Ende erzählt. Das ist sehr bedauerlich, und das ist auch –
leider – selber verschuldet. VW hat in großem Maß Ab-

gasmessungen bei seinen Dieselfahrzeugen manipuliert.
Insgesamt – Stand heute – sind davon circa 11 Millionen
Fahrzeuge betroffen.

Noch kann keiner diesen langfristigen Imageschaden
auch nur annähernd beziffern. Ich persönlich allerdings
bedauere vor allem, dass es nun wohl zum großen Teil
die VW-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sein werden,
die die Suppe auslöffeln müssen, die ihnen ihre Füh-
rungsetage eingebrockt hat. Sie haben gut gearbeitet. Sie
trifft keinerlei Schuld. Auch wenn noch nicht klar ist,
welches Ausmaß der Abgasskandal von VW erreicht –
eines muss sicher sein: Die Affäre muss offensiv aufge-
deckt und vollumfänglich aufgearbeitet werden, und bei
der Aufarbeitung darf es keine Tricks geben.


(Beifall bei der SPD)


Leider gehen die Folgen noch ein bisschen weiter;
Herr Ferlemann hat es bereits erwähnt. Die Kommunen
mit VW-Standorten sind unmittelbar betroffen. Wenn
Wolfsburg beispielsweise eine Haushaltssperre verhängt,
ist für Standorte wie Baunatal in meinem Heimatland
Hessen nicht sicher, ob die für die nächsten Jahre ge-
planten Modernisierungen nun auch realisiert werden
können. Wir alle wissen: Fehlende Investitionen in einen
Standort können diesen mittel- und langfristig als Gan-
zen gefährden. Daher darf VW jetzt keine Fehler mehr
machen: nicht bei der Aufarbeitung des Skandals, nicht
im Hinblick auf die notwendigen Konsequenzen daraus
und schon gar nicht beim Entwurf einer Strategie für die
nächsten Jahre.

Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir
ins Spiel. Hier ist auch die Politik gefragt. Ich fordere
Folgendes:

Erstens. Abgaswerte müssen zukünftig einheitlich und
unabhängig vom Unternehmen festgestellt und überprüft
werden. Dazu müssen die neuen realitätsnahen Messver-
fahren zügig eingeführt werden.

Zweitens. Messungen im realen Fahrbetrieb dürfen
nicht mehr wesentlich von den Laborergebnissen abwei-
chen. Es müssen klare Konsequenzen bei Verstößen auf
nationaler und internationaler Ebene vereinbart werden.

Last, but not least: Die Aufarbeitung des Skandals
muss eng begleitet und genauestens beobachtet werden,
damit weitere negative Folgen von den Arbeitnehmerin-
nen und den Arbeitnehmern abgewendet werden können.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es wird ein har-
ter Weg werden, um das verlorengegangene Vertrauen
im In- und Ausland wiederzugewinnen. Aber ihn zu ge-
hen, sind wir vor allem den Menschen schuldig, die im
Vertrauen auf den guten Ruf von VW täglich an vielen
Standorten in Deutschland und auf der ganzen Welt ihr
Bestes für das Unternehmen geben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813011600

Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt

der Kollege Stephan Kühn das Wort.

Jutta Krellmann






(A) (C)



(B) (D)


Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Kein einziges Mal hat das Kraftfahrt-Bundesamt
in der Vergangenheit die Angaben der Automobilherstel-
ler kontrollieren lassen. Erst durch die VW-Affäre soll
nunmehr untersucht werden, ob das, was typgenehmigt
wurde, auch tatsächlich verbaut wurde.

Das Kraftfahrt-Bundesamt kann diese Aufgabe nicht
selber wahrnehmen; denn das Kraftfahrt-Bundesamt be-
sitzt keinen einzigen Rollenprüfstand, um zum Beispiel
Abgasuntersuchungen vorzunehmen. Das ist in etwa
so, als wenn die Polizei Verkehrskontrollen durchfüh-
ren soll, aber keine Fahrzeuge dafür zur Verfügung hat.
Das Kraftfahrt-Bundesamt ist vollständig auf technische
Dienstleister angewiesen. Diese wiederum werden für
die Zulassung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen direkt
von der Automobilindustrie bezahlt. Da sind wirtschaft-
liche Interessenkonflikte vorprogrammiert. Wir brauchen
daher eine unabhängige europäische Typgenehmigungs-
behörde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Feldüberwachung der im Verkehr befindlichen Fahr-
zeuge sollte künftig durch das Umweltbundesamt über-
nommen werden.

Herr Ferlemann, Sie haben die Abgasuntersuchung
angesprochen. Das war interessant. Sie haben von der
Endrohrmessung gesprochen. Ihnen müsste eigentlich
bekannt sein, dass seit 2006 – so meine Erinnerung – gar
keine Endrohrmessungen mehr durchgeführt werden.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)


War das jetzt ein Hinweis darauf, dass sie künftig wie-
der stattfinden werden? Dann wäre das ja sehr positiv zu
bewerten.


(Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Autos, die Schadstoffgrenzwerte nur im Labor einhal-
ten, aber nicht auf der Straße, sie dort vielmehr um ein
Vielfaches überschreiten, sind nicht zukunftsfähig. Das
ist Greenwashing, und das ist gescheitert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Messverfahren für Straßentests werden aktuell in
Brüssel verhandelt. Bei den sogenannten Real Driving
Emissions, kurz RDE, geht es um Abgastests unter rea-
len Fahrbedingungen. Die Kommission hat am 6. Okto-
ber einen Vorschlag dazu vorgelegt. So sollen die realen
Emissionen ab 2017 nur noch maximal um das 1,6-Fache
oberhalb der festgesetzten Abgasgrenzwerte liegen dür-
fen, ab 2019 nur noch um das 1,2-Fache und damit im
Bereich der Messunsicherheit des RDE-Verfahrens. Mor-
gen, also am Freitag, dem 16. Oktober, muss die Bundes-
regierung der Kommission antworten, wie sie zu diesem
Vorschlag steht. Erfreulich, dass sich die Bundesum-
weltministerin gestern öffentlich zu diesem Vorschlag

bekannt hat. Nur scheint 24 Stunden vor Rückmeldefrist
keine abgestimmte Position der Bundesregierung vorzu-
liegen; denn gestern hat der Parlamentarische Staatsse-
kretär Norbert Barthle im Verkehrsausschuss bekräftigt,
dass es dazu noch keine abgeschlossene Meinung der
Bundesregierung gibt. Deshalb stellt sich die Frage, ob
Verkehrsminister Dobrindt mal wieder auf der Bremse
steht.

Ich erwarte von dieser Bundesregierung, dass sie sich
jetzt konsequent für den Schutz der Menschen vor ge-
sundheitsgefährdenden Stickoxiden und für eine besse-
re Luftqualität in Städten einsetzt. Das ist das Gebot der
Stunde.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Krise der deutschen Automobilindustrie kann
auch eine Chance sein, wenn sie für die Umstellung auf
emissionsfreie Antriebe genutzt wird. Wer es mit Klima-
und Umweltschutz ernst meint, muss jetzt auf Elektro-
mobilität setzen – und nicht länger auf den Diesel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn damit wäre man international schlecht aufgestellt:
In den USA ist der Markt für Diesel praktisch tot, in Chi-
na gibt es keine Diesel-Pkw, dort setzt man gleich auf die
Elektromobilität.

Industriepolitisch gesehen, darf die deutsche Automo-
bilindustrie nicht den Anschluss verlieren. Dafür hängen
von ihr in Deutschland zu viele Arbeitsplätze ab. Die
Politik muss jetzt unterstützend eingreifen: Wir brau-
chen ein Marktanreizprogramm mit einer Kaufprämie
für Elektroautos, wenn die Elektromobilität – ob nun mit
Batterie- oder Brennstoffzellentechnologie – endlich aus
der Nische kommen soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen ein Investitionsprogramm für Elektromo-
bilität, um zum Beispiel den Aufbau öffentlich zugäng-
licher Ladeinfrastruktur voranzutreiben. Eine klare Li-
nie der Bundesregierung kann ich an dieser Stelle nicht
erkennen: Frau Hendricks ist für eine Kaufprämie, Herr
Dobrindt dagegen.

Meine Damen und Herren, jetzt muss gehandelt wer-
den, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Auto-
mobilindustrie langfristig zu sichern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813011700

Vielen Dank. – Der Kollege Matthias Heider spricht

jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1813011800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird heute wohl
nicht das letzte Mal sein, dass wir uns mit diesem The-
ma beschäftigen müssen. Wir alle haben aber, wie ich






(A) (C)



(B) (D)


glaube, inzwischen den Eindruck gewinnen können, dass
es mehr darum geht, politisches Kapital aus dem Fehl-
verhalten von einzelnen Personen zu schlagen. Das, was
Sie uns heute hier verquickt vortragen, macht jedenfalls
deutlich, dass Sie allen Anspruch auf diese Lösung er-
heben.

Meine Damen und Herren von den Grünen, es gibt
durchaus ein paar Punkte, die vernünftig sind. Da gibt
es auch gar keinen Widerspruch zu den Forderungen in
Ihrem Antrag, nämlich dass Aufklärungsarbeit zu leis-
ten ist. Dass es allen Beteiligten angelegen sein muss,
Schaden vom Unternehmen Volkswagen und damit auch
Schaden von der deutschen Wirtschaft abzuwenden, das
ist ein Gebot, dem Sie alle schon im Interesse der Ar-
beitsplätze in Deutschland zustimmen müssten.

Es wird eine Menge Aufklärungsarbeit betrieben.
VW hat eine externe Revision in Form von Anwälten in
den USA und Deutschland beauftragt. In Deutschland
ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Betruges. Der
Verkehrsminister hat eine Kommission aus Experten von
Kraftfahrt-Bundesamt und Ministerium einberufen, die
ebenfalls an der Aufklärung des Fehlverhaltens arbeitet.
Es gibt einen Austausch mit den amerikanischen Behör-
den. Und die Bundesregierung berichtet dem Bundestag
und seinen Ausschüssen.

Ich stelle zunächst einmal fest, dass all das, was not-
wendig ist, im Moment getan wird, um die Situation auf-
zuklären.

Ich lese in Ihrem Antrag aber beispielsweise auch,
dass Sie glauben, es sei jetzt ein Wendepunkt im Hinblick
auf die Dieseltechnologie erreicht. Das klingt, als hätten
Sie schon die Abschaffung des Diesel-Pkw beschlossen.
Das ist aber genau der falsche Weg, und das hat der Kol-
lege Wittke in seiner Rede gerade eindrucksvoll belegt.
Natürlich brauchen wir saubere Dieselmotoren, aber wir
brauchen auch Dieselmotoren, die effizient sind. Dabei
ist es ein hoffnungsvolles Potenzial, dass die meisten
Hersteller von Dieseltechnologie sagen, dass der Ver-
brauch um weitere 15 bis 20 Prozent verbessert werden
kann. Wenn wir eine saubere und gleichzeitig sparsamere
Technologie behalten können, warum sollen wir sie dann
schon abschaffen, nur weil Sie das heute hier fordern?

Zum Antrag der Linken wollte ich eigentlich nichts
sagen. Nur so viel: Sie geben vor, dass Sie Arbeitsplät-
ze schützen wollen. Sie schlagen dafür kompliziertere
Strukturen beim Umweltbundesamt und beim Kraft-
fahrt-Bundesamt vor. Sie wollen gleich auch noch die
Gruppenklage als neue Klageart einführen und damit
wahrscheinlich Sammelklagen nach amerikanischem
Vorbild Vorschub leisten. Sie sprechen von einem Unter-
nehmensstrafrecht.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Nein! Das haben Sie falsch verstanden! Das ist doch Quatsch!)


Dabei bestrafen Sie eigentlich die Mitarbeiter des
VW-Konzerns; denn Unternehmensstrafrecht ist so et-
was wie eine kollektive Schuldzuweisung. Bei uns in
Deutschland ist es Gott sei Dank so, dass Schuld an ein
persönlich vorwerfbares Verhalten geknüpft ist. Gerade
diesem persönlichen Fehlverhalten der entsprechenden

Mitarbeiter des Konzerns sind wir auf der Spur. Wir wol-
len nicht diejenigen bestrafen, die mit guter Arbeit dazu
beitragen, dass ein vernünftiges Produkt entsteht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie uns einen Blick auf das Ausmaß des Scha-
dens werfen. Weltweit sind 11 Millionen Fahrzeuge be-
troffen, allein in Deutschland 2,4 Millionen. Das Ver-
trauen der Verbraucher ist tief enttäuscht, weil sie Autos
von VW als ein solides und zuverlässiges Produkt aus
Deutschland kennen. Das Bild der seriösen deutschen
Ingenieurskunst insgesamt ist angekratzt. Wenn Sie mit
Besuchern aus dem Ausland sprechen, dann erfahren Sie,
dass man dort auch die große Sorge hat, dass die Marke
„made in Germany“ damit beschädigt wird. Wie konnte
es eigentlich zu diesem dolosen und massiven Fehlver-
halten einzelner Mitarbeiter bei VW kommen? Das ist
die Frage, die uns hier heute interessieren muss.

Die Ursachen sind wohl insbesondere innerhalb des
Konzerns zu suchen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bei der Bundesregierung!)


weil dieser Skandal zeigt: Wenn eine solche Manipu-
lation an einem so zentralen Bauteil wie dem Motor
in einem Konzern möglich ist, dann müssen nicht nur
dringend die manipulierten Fahrzeuge in die Werkstatt,
sondern dann brauchen auch die Compliance-Regeln in
diesem Konzern dringend eine Inspektion. Ich habe die
Hoffnung, dass der VW-Konzern das jetzt sehr vorbild-
lich lösen wird.

Die Ursachen sind aber auch außerhalb des Konzerns
zu suchen, weil wir prüfen müssen, ob unsere bisherigen
Regelungen – das hat der Kollege Kühn gerade richtig
angesprochen – zur Erteilung der Typgenehmigungen
durch das Kraftfahrt-Bundesamt im Rahmen der Stra-
ßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ausreichend sind.
Es hat wohl nicht funktioniert, dass man das, was das
Kraftfahrt-Bundesamt möglicherweise auch mit eigenen
Kräften nachprüfen könnte, konsequent auf Labore und
Zertifizierungsstellen outgesourct hat.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Wenn die Industrie in einem solchen Umfang von einer
Bürokratieentlastungsregelung Gebrauch macht, dass
man schon von einem Missbrauch sprechen muss, dann
gehört auch diese auf den Prüfstand, gar keine Frage.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können wir doch mal klatschen! – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


– Klatschen Sie ruhig. Ich habe ja schon eingangs gesagt:
Es gibt Punkte, da sind wir uns durchaus einig.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das dem Minister auch einmal gesagt?)


Wie reagiert jetzt der VW-Konzern auf diese drohen-
den hohen Kosten – es wird wohl einen hohen Milliar-

Dr. Matthias Heider






(A) (C)



(B) (D)


denbetrag erfordern – in seinem Hause? Ein Sparpro-
gramm wird auf den Weg gebracht.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nichts Neues!)


1 Milliarde Euro soll dieses Sparprogramm erbringen.
Das wird einen Kostendruck bei vielen Zulieferern, die
auch bei Ihnen zu Hause in den Wahlkreisen angesiedelt
sind, auslösen. Das hat das Potenzial, Arbeitsbedingun-
gen und Arbeitsplätze zu gefährden. Es wird auch da-
für sorgen – das haben die Kollegen aus Niedersachsen
schon damals in der Aktuellen Stunde vorgetragen –, dass
es Gewerbesteuereinbrüche in Städten und Gemeinden
gibt. Braunschweig und Wolfsburg haben schon Haus-
haltssperren verhängt. Wir haben deshalb überhaupt kei-
ne Freude an den Folgen dieses Skandals. Im Gegenteil:
Wir müssen durch konsequente Aufklärung dafür sorgen,
dass ein solcher Vorfall nicht wieder geschehen kann.

Die Industrie – das ist eines der klaren Ziele – muss
zeigen, dass der Diesel weiter neben den verschiedenen
Möglichkeiten der Elektromobilität eine Zukunftstechno-
logie ist. Wir müssen zeigen, dass Produkte aus Deutsch-
land für Verlässlichkeit stehen, dass „made in Germany“
weiterhin das Signet für Qualität ist und dass Deutsch-
land auf diesen Feldern Technologieführer ist. Letztens
müssen die Verbraucher vor Täuschungen dieser Art
geschützt werden. So kann Vertrauen wiederhergestellt
werden – das ist die vordringliche Aufgabe –, so schüt-
zen wir den deutschen Automarkt, eine Schlüsselbranche
unserer Industrie, ohne daraus – diese Bitte habe ich –
politisches Kapital schlagen zu wollen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813011900

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Birgit

Malecha-Nissen, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD):
Rede ID: ID1813012000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hört
sich an wie ein Wirtschaftskrimi und ist doch Realität.
Im Frühjahr 2014 gab es erste Hinweise, dass europäi-
sche Dieselmodelle der Marke VW die strengen ameri-
kanischen Abgasnormen nicht einhalten. Während man
in der Folge noch von technischen Problemen sprach,
kam dann im September dieses Jahres der Paukenschlag:
Der VW-Konzern gab erstmals öffentlich zu, bei Ab-
gastests manipuliert zu haben. Nun haben sich die Er-
eignisse überschlagen und den vorläufigen Höhepunkt
erreicht: Texas verklagt VW wegen des Verstoßes gegen
Verbraucherschutz- und Umweltgesetze, und das Kraft-
fahrt-Bundesamt ordnet, ganz aktuell, den Rückruf von
2,4 Millionen Autos an.

Inzwischen ist auch klar: Insgesamt sind etwa 11 Mil-
lionen VW-Fahrzeuge von der Manipulation betroffen.
Meine Kollegin Birgit Kömpel hat gesagt: Gerade unsere
Generation ist der Marke VW sehr verbunden. Sie hat
auch ein Stück weit unser Leben begleitet.

Wir müssen dabei fest im Blick haben: Die Automobil-
industrie hat für den Standort Deutschland eine enorme
wirtschaftliche Bedeutung – damals wie heute. Deutsche
Fahrzeughersteller und ihre Zulieferer sind in vielen Be-
reichen Innovationsführer, und das muss auch in Zukunft
so bleiben. Die Folgen dieses Skandals werden jedoch
noch lange nachwirken. Unsere besondere Sorge gilt da-
bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,


(Beifall bei der SPD)


großartig ausgebildeten Facharbeiterinnen und Fachar-
beitern, Ingenieurinnen und Ingenieuren. Sie sind verun-
sichert, wissen nicht, wie es für sie weitergeht, und haben
Angst um ihren Arbeitsplatz.

Warum geht ein erfolgreicher Konzern einen solchen
Weg? Das werden sich viele fragen. Warum so viel Ener-
gie in die Manipulation stecken, statt ein Produkt weiter-
zuentwickeln? Fakt ist – hier widerspreche ich meinem
Vorredner –: Die Dieseltechnologie stößt bei hohen Leis-
tungen, bei hohen Geschwindigkeiten an ihre Grenzen,
was die Einhaltung der Abgasnorm angeht. Lassen Sie
uns deshalb den Skandal als echte Chance nutzen, unsere
Energie und unseren Erfindergeist in die Weiterentwick-
lung alternativer Antriebe zu investieren! Mein Kollege
Arno Klare hat uns heute schon eine innovative To-do-
Liste vorgestellt. Die Zukunft gehört der Elektromobi-
lität.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn wir haben reichlich Strom aus erneuerbaren Ener-
gien. Damit ist der Weg zu wirklich sauberer Mobilität
frei.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wenn wir heute ein Auto kaufen, dann
können wir viele technische Errungenschaften als Ext-
ras dazukaufen: vernetzte Navigation, klimatisierte Sit-
ze, Einparkhilfen, automatische Distanzregelung, Fern-
lichtassistenten, um nur einige zu nennen. Mittlerweile
machen diese Extras einen beträchtlichen Teil des Kauf-
preises aus. Automatische Distanzregelung und Fern-
lichtassistenten sind jedoch nicht nur Luxus, sondern
tragen auch wesentlich zur Verkehrssicherheit bei.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielleicht müssen wir an dieser Stelle einmal umdenken
und diese Fahrerassistenzsysteme auch zur Standardaus-
rüstung eines Fahrzeugs erklären, ähnlich wie früher den
Airbag.


(Beifall bei der SPD)


Katalysatoren zur Steuerung der Abgaswerte, über
die wir heute sprechen, gehören zur Standardausrüstung.
Wird deswegen alles unternommen, die Kosten zu sen-
ken, zu manipulieren und gesetzliche Vorgaben zu umge-

Dr. Matthias Heider






(A) (C)



(B) (D)


hen, weil es eine Standardausrüstung ist? Wird etwa auch
bei anderen Standardausrüstungen gespart und der Fokus
zu stark auf gewinnbringende Extras gelegt? Diese Fra-
ge werden wir heute nicht beantworten können, aber mir
war es wichtig, sie heute einmal in den Raum zu stellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Umweltmi-
nisterin Barbara Hendricks hat bereits schärfere Abgas-
vorschriften und -kontrollen für alle Dieselfahrzeuge ge-
fordert. Die Kosten für das Kontrollsystem sollen dabei
die Hersteller tragen. Was heißt das jetzt konkret? Mein
Kollege hat es zum Teil schon genannt – ich möchte es
noch einmal erwähnen –: Das neue Testverfahren WLTP
mit weltweiten strengen Prüfstandards muss schnellst-
möglich eingeführt werden, möglichst noch vor 2014.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist vorbei! Das geht nicht mehr!)


Dieses Verfahren löst ein altes Messverfahren ab, das
schon in den 90er-Jahren entwickelt wurde. An der Stelle
ist es mir wichtig, zu sagen: Man kann sich gut vorstel-
len, dass ganz viel Raum für Manipulationen besteht,
wenn man ein Messsystem nutzt, das fast 20 Jahre alt
ist, aber die Software auf dem Stand des Jahres 2015 ist.

Als Zweites werden wir natürlich –


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813012100

Ich darf Sie an die Zeit erinnern.


Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD):
Rede ID: ID1813012200

Ja. Es gibt zu diesem Thema so viel zu sagen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813012300

Ja, aber das geht leider nicht. Es sitzen noch ganz viele

hier im Saal, die viel zu sagen haben.


Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD):
Rede ID: ID1813012400

Okay, noch zwei Sätze. – Zweitens werden wir uns

umgehend auf EU-Ebene für die Einführung der Mes-
sung der Realemissionen von Pkws als weiteres Kon-
trollverfahren einsetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass
neben den theoretischen Messungen natürlich auch auf
der Straße gemessen und geprüft wird, um das Ver-
brauchsverhalten realistisch abzubilden.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813012500

Jetzt!


Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD):
Rede ID: ID1813012600

Ich bedanke mich ganz herzlich.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813012700

Danke schön. – Letzter Redner in dieser Debatte ist

der Kollege Johann Saathoff, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1813012800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In Ostfriesland gibt es gerade eine ganze Liste von Sor-
gen; aber meine kleinste Sorge ist derzeit, wen Leonardo
DiCaprio denn als Nächstes spielen wird,


(Beifall bei der SPD)


es sei denn, er kandidiert für den Deutschen Bundestag.

Nach Bekanntwerden des Abgasskandals werden
schnell Konsequenzen gefordert. Aber eines muss zu-
nächst klargestellt werden: Die Arbeiterinnen und Arbei-
ter in den Werken von VW haben gute Arbeit geleistet,
nicht nur in den letzten Jahren. Sie sind es, die VW in
den letzten Jahrzehnten durch ihren Einsatz zur weltweit
größten Automarke gemacht haben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU])


Es sind nicht nur die Arbeiterinnen und Arbeiter in den
Werken, sondern auch an den Werken, also die Zuliefe-
rer, die gute Arbeit geleistet haben. Es ist gute Arbeit in
den Standortkommunen geleistet worden, die sich auf die
Automobilindustrie eingestellt haben. Als Kind von der
Küste kann ich sagen, dass stets auch in den Häfen gute
Arbeit geleistet wurde, die die wichtige Aufgabe des Ex-
ports übernommen haben.

Insofern liegt eigentlich eine unfaire Situation vor,
wenn die eigentlichen Leistungsträger plötzlich zur Ver-
antwortung gezogen werden sollen. Verantwortung ha-
ben die Menschen in den Managementetagen, nicht die
Menschen, die am Band arbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Wir müssen dafür Sorge tragen, dass am Ende nicht die
Menschen an den Werkbänken und an den Bändern die
Suppe für inakzeptable Managemententscheidungen aus-
zulöffeln haben.

Es ist richtig, Konsequenzen zu fordern. Allerdings ist
es genauso richtig, erst alle Sachverhalte gründlich auf-
zuklären.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD])


Nur auf Grundlage der Erkenntnis der Aufklärung kön-
nen wirksame Konsequenzen gefordert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Frage: Durch
den Abgasskandal ist Vertrauen zerstört worden. Das ist
besonders schlimm, weil Deutschland weltweit als kli-
mapolitischer Vordenker gilt. Das ist besonders schlimm,
weil Deutsche den Ruf haben, auch nachts um drei an

Dr. Birgit Malecha-Nissen






(A) (C)



(B) (D)


einer vollkommen leeren Straße vor einer Fußgängeram-
pel auf Grün zu warten, also Rechtsstaatlichkeit zu leben.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es kommt darauf an, wie man nun beispielgebend
mit der Situation umgeht, und man kann darin auch eine
Chance sehen. Zum Beispiel kann ich mir gut – wir haben
das heute schon mehrfach gehört – einen konsequenten
Einstieg in die Elektromobilität vorstellen. Seite 44 des
Koalitionsvertrags kann in dieser Frage deutlich helfen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interessiert diese Seite 44 Ihren Minister auch nur ein bisschen?)


Ich möchte an dieser Stelle ein Lob für den Neun-Punk-
te-Plan der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks
aussprechen.


(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Art, wie man die
Krise aufklärt, wie man Transparenz schafft, wie man da-
für sorgt, dass die Verantwortlichen zur Verantwortung
gezogen und die Nichtverantwortlichen geschützt wer-
den, und wie man sich aus der Krise heraus für die Zu-
kunft aufstellt, schafft neues Vertrauen – neues Vertrau-
en in neue VW-Modelle, aber auch neues Vertrauen in
„made in Germany“. Die Dieseltechnologie würde ich an
dieser Stelle nicht gleich kaputtreden; denn Dieselantrie-
be sind energieeffizient und außerdem im Sinne unserer
Klimaziele. Dass die Stickoxidproblematik beherrschbar
ist, sei an dieser Stelle auch mal erwähnt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Allein in diesem Bereich gibt es 70 000 Arbeitsplätze.

Wer hat eigentlich vor einem Jahr seinen angegebenen
Abgas- und Verbrauchswerten getraut? Das gilt übrigens
auch für Energieausweise an Gebäuden. Ich will das aus-
drücklich nicht kleinreden. Eine wirksame unabhängige
Kontrolle ist jetzt wichtiger denn je; wir haben viel über
Real Drive Emission gehört. Neue Testverfahren sind
wichtig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es in ab-
geänderter Form schon gehört: Wenn VW hustet, dann hat
Ostfriesland eine Lungenentzündung. Die Auswirkungen
auf die Region sind enorm. Aber es gibt auch bundesweit
Auswirkungen, wegen der Zulieferer von VW. Wir sind
gefordert, dafür zu sorgen, dass es nicht zu unumkehrba-
ren Strukturbrüchen kommt, und zwar wir alle.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für die Menschen in den Werken, denen man keinen
Vorwurf machen kann, müssen wir uns einsetzen. Diese
Menschen haben ihre ganze Kraft eingesetzt – oder wie
wir Ostfriesen sagen: Knooit hett lüttje Mann sük genug.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813012900

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, in-

terfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 18/6334 und 18/6325 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich bitte Sie um Ihre Aufmerksamkeit; denn wir haben
eine Reihe von Abstimmungen vorzunehmen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 e so-
wie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf. Es handelt sich
um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne
Debatte.

Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-
sungen. Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 e sowie Zu-
satzpunkt 2 a:

30   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Seearbeitsgesetzes

Drucksache 18/6162
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aus-
wahl und zum Anschluss von Telekommuni-
kationsendgeräten

Drucksache 18/6280
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung vom 10. Dezember 2014 des Überein-
kommens vom 27. Juni 1980 zur Gründung
des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe

Drucksache 18/6294
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Harald Ebner, Kordula Schulz-Asche,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den
Lebenswissenschaften stärken

Drucksache 18/6204
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


Herdenschutz ist Wolfsschutz – Jetzt ein bun-
desweites Kompetenzzentrum aufbauen
Drucksache 18/6327
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

ZP 2a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses
Drucksache 18/6330
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/6327 soll fe-
derführend beim Ausschuss für Ernährung und Landwirt-
schaft beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? –
Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.

Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist.

Zusatzpunkt 2 b:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen –
Völkerstrafprozesse in Deutschland voran-
bringen
Drucksache 18/6341
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Federführung strittig

Interfraktionell wird Überweisung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/6341 mit dem Titel „Keine Straflosigkeit bei
Kriegsverbrechen – Völkerstrafprozesse in Deutschland
voranbringen“ an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD wünschen Federführung beim Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz, die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Federführung beim
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe –
abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stim-
men der Grünen abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Federführung beim
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz – abstim-

men. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überwei-
sungsvorschlag ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 f auf.
Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vor-
lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 31 a:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschafts-
und Kooperationsabkommen vom 11. Mai
2012 zwischen der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Re-
publik Irak andererseits

Drucksache 18/5577

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)


Drucksache 18/6374

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/6374, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5577
anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 b:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015 zwischen
der Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung von Jersey über die Zusam-
menarbeit in Steuersachen und die Vermeidung
der Doppelbesteuerung bei bestimmten Ein-
künften

Drucksache 18/6157

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015
zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Französi-
schen Republik zur Vermeidung der Doppelbe-
steuerungen und über gegenseitige Amts- und
Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen sowie der Ge-
werbesteuern und der Grundsteuern

Drucksache 18/6158

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Drucksache 18/6369 Buchstabe b und Buchsta-
be c

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6369,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/6157 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis in dritter
Lesung angenommen.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6369,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/6158 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bun-
desregierung

Vierte Verordnung zur Änderung der Außen-
wirtschaftsverordnung

Drucksachen 18/5891, 18/5976 Nr. 2.1, 18/6180

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/6180, die Aufhebung der Ver-
ordnung auf Drucksache 18/5891 nicht zu verlangen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.

Tagesordnungspunkte 31 d bis 31 f. Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 31 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 233 zu Petitionen

Drucksache 18/6210

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 233 ist mit den Stim-
men aller Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 234 zu Petitionen

Drucksache 18/6211

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 234 ist gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 235 zu Petitionen

Drucksache 18/6212

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 235 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Opposition angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes

(Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Gesetz

zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes

Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4164,
18/4189, 18/4514, 18/6370

Berichterstatter ist der Kollege Abgeordnete Michael
Grosse-Brömer. Der Kollege Michael Grosse-Brömer
gibt als Berichterstatter des Bundestages im Rahmen ei-
ner schriftlichen Erklärung eine Protokollerklärung der
Bundesregierung zur Kenntnis. Diese Erklärung nehmen
wir zu Protokoll.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Absatz 3 Satz 1 seiner Geschäfts-
ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag
über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
ausschusses auf Drucksache 18/6370? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung
ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Be-
deutung für Deutschland hervorheben

Drucksache 18/6328

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

1) Anlage 7

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Vierter Bericht der Bundesregierung über die
Entwicklung und Zukunftsperspektiven der
maritimen Wirtschaft in Deutschland

Drucksache 18/5764
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung Ausschuss für Tourismus

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Matthias
Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Amt des Maritimen Koordinators aufwerten

Drucksache 18/6347
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss

Ich bitte, die Plätze zu tauschen,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Okay! Komm, wir gehen rüber! – Stephan Kühn Oh ja, Platztausch! – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:


soweit das geht. Alles im Rahmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer für die
Bundesregierung. – Bitte schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


U
Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1813013000


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir debattieren dieses wichtige Thema heute im
Vorfeld der Nationalen Maritimen Konferenz, die Anfang
der kommenden Woche, am 19./20. Oktober, in Bremer-
haven stattfindet. Diese Konferenz hatte im Gegensatz zu
den Vorgängerkonferenzen schon im Vorfeld verschiede-
ne neue Merkmale aufzuweisen. Wir haben diese Konfe-
renz mit sechs Branchenforen vorbereitet. Wir haben dort
einen sehr intensiven fachlichen Austausch zwischen den
Branchen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den
Verbänden und der Politik durchführen können. Wir le-
gen großen Wert darauf, dass bei dieser Konferenz am
kommenden Montag und Dienstag, obwohl sie eine nati-
onale Konferenz ist, der internationale Aspekt eine große
Rolle spielt; denn es geht um Branchen, die sich im inter-
nationalen Rahmen tummeln müssen.

Wenn wir über die maritime Branche in Deutschland
sprechen, dann reden wir nicht nur über Unternehmen
und Verbände, die ihre Heimat in Norddeutschland ha-
ben, sondern auch über Industrien und Dienstleistungen
von Flensburg bis zum Bodensee. Wir haben große Mo-
torenhersteller, die in Friedrichshafen für die Welt produ-
zieren und auf dem nationalen, aber auch dem internati-
onalen Markt im Antriebsgeschäft aktiv sind. Wir haben
große Werften. Wir haben große Schifffahrtsunterneh-
men in Deutschland, die auf dem Weltmarkt eine wichti-
ge Rolle spielen. Diese Unternehmen haben am Ende des
Tages immerhin 400 000 Direktbeschäftigte in Deutsch-
land. Es sind, um einige Kennzahlen zu benennen, 2 800
Unternehmen mit einem Umsatz von 30 Milliarden Euro.

Bei dieser Nationalen Maritimen Konferenz geht es –
ich bin den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, dass sie
die Eckpunkte, die für die Branche wichtig sind, in ihrem
Antrag unterstrichen haben – um die Zukunftsfähigkeit
der Unternehmen. Eine Konferenz wie die am kommen-
den Wochenanfang stattfindende muss, denke ich, eine
Antwort auf die Fragen geben: Wie sieht diese Branche
in der Zukunft, in den nächsten zehn Jahren, aus? Was
haben wir zu gewärtigen? Was müssen wir seitens der
Politik tun, um Rahmenbedingungen zu setzen, die diese
Branche auch in den nächsten zehn Jahren gut dastehen
lassen? Ich glaube, das ist das entscheidende Thema, vor
dem wir uns nicht drücken werden und nicht drücken
dürfen.

Die Koalitionsfraktionen haben in ihrem Antrag und
in ihren Beschlussfassungen Wesentliches und Rich-
tungsweisendes dazu ausgeführt. Die Ziele, die wir uns
vornehmen müssen, sind auch im Hinblick auf die Ge-
staltung der maritimen Politik in der Bundesrepublik
Deutschland in den nächsten zehn Jahren entscheidend.
Wir müssen die maritimen Zukunftsmärkte im Auge
behalten, dabei bestehende und zukünftige maritime
Wachstumsmärkte genau identifizieren und unsere hohen
technologischen Standards auch zum Schutz der Umwelt
einsetzen.

Wir müssen die Technologieführerschaft in Deutsch-
land sichern und ausbauen und unsere internationale
Wettbewerbsfähigkeit stärken. Das heißt auch, dass wir
chancengleiche Wettbewerbsbedingungen für unsere
Unternehmen schaffen müssen, damit deutsche Unter-
nehmen auch auf den Exportmärkten bestehen können.

Wir wollen das Green Shipping fortsetzen, und ich
glaube, das haben wir gemeinsam mit der Industrie gut
entwickelt. Der Klima- und Umweltschutz im Seever-
kehr sorgt dafür, dass umweltfreundliche Technologien
eingeführt werden – zwangsweise auch von Dritten. Es
war und ist ein gutes Werk, einheitliche Umweltstan-
dards auf internationaler Ebene zu schaffen.

Wir müssen die Infrastruktur für unsere Häfen verstär-
ken – sowohl see- als auch landseitig. Die Modernisie-
rung der Verkehrsinfrastruktur ist von immenser Bedeu-
tung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Häfen.

Ausbildung und Beschäftigung haben etwas mit dem
maritimen Know-how zu tun, das wir am Schifffahrts-
standort Deutschland für unsere Unternehmen, die auf
das Kapitäns-Know-how zurückgreifen möchten, auch in

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


der nächsten Dekade dringend benötigen. Daneben brau-
chen wir im Bereich der maritimen Industrie auch eine
Antwort darauf, wie es mit „Industrie 4.0“ weitergeht.
Dort geht es spezifisch auch um die Frage, wie es mit
„Hafen 4.0“ weitergeht. Ich denke, hier ist eine innovati-
ve Seehafentechnologie in großem Maße gefordert.

Das Thema „Maritime Sicherheit“ und die Sicher-
heitspolitik haben wir in unseren Branchenforen auch
besprochen. In Deutschland wurden Anti-Piraterie-Maß-
nahmen entwickelt. Wir haben Standards gesetzt, die
international beachtet werden. Die IMO empfiehlt sie,
und ich denke, wir haben auch bei der Überwachung von
sensiblen Seegebieten industrielle Standards zu setzen.
Diese werden uns auf dem Weltmarkt Dritten gegenüber
helfen, dass unsere Instrumente und Technologien, mit
denen wir sensible Seegebiete überwachen lassen, Be-
achtung finden.

Ich will zu diesen Zielen sagen, dass wir bei der stra-
tegischen Ausrichtung unserer einzelnen Maßnahmen
aktuell Gutes vorzuweisen haben. Im Bereich der Inno-
vationsförderung, bei der Technologieentwicklung und
in Bezug auf die umfassende Strategie eines Nationalen
Masterplans Maritime Technologien haben wir Gutes im
Köcher. Auf der Maritimen Konferenz werden wir dazu
noch einiges Wegweisendes ausführen.

Ich bedanke mich bei den Koalitionsfraktionen für ih-
ren wegweisenden Antrag


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben aber gar nicht geklatscht!)


und bitte das Haus um den entsprechenden Beschluss
dazu.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813013100

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Für die Fraktion

Die Linke erhält jetzt Herbert Behrens das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813013200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Thema hätte eigentlich ein bisschen mehr Zeit ver-
dient. Nach der normalen Parlamentsplanung war dieses
Thema für morgen früh vorgesehen. Aber die Bundesre-
gierung muss morgen früh noch die Vorratsdatenspeiche-
rung durchsetzen, sodass wir heute weniger Zeit haben,
uns mit dieser entscheidenden Frage der maritimen Wirt-
schaft auseinanderzusetzen.

Ich will mich deshalb auch auf nur einen oder zwei
wesentliche Punkte konzentrieren, die uns als Linke
wichtig sind, wenn wir hier über das Thema „Maritime
Wirtschaft“ verhandeln.

In der Handelsschifffahrt haben wir es mit Begriffen
wie „Klabautermann“ und „Pfeffersäcke“ zu tun gehabt.
Die Klabautermänner sind inzwischen verschwunden,
seitdem die Schiffe nicht mehr aus Holz sind. Aber die
Pfeffersäcke sind noch da. Das spiegelt sich sowohl in

dem Antrag, den die Regierungsfraktionen vorgelegt ha-
ben, als auch in den Branchenforen, die in Vorbereitung
der Maritimen Konferenz stattgefunden haben, und in
dem Bericht der Bundesregierung wider, der vor einiger
Zeit vorgelegt worden ist.

Darin wird festgeschrieben, was es alles fortzuführen
gilt. An dieser Stelle will ich einsetzen und nachfragen:
Was soll eigentlich fortgeführt werden? Ist es etwa der
Arbeitsplatzabbau? Inzwischen fahren weniger als 7 000
Seeleute unter deutscher Flagge. Soll die Verschlechte-
rung der Arbeitsmarktsituation fortgesetzt werden? Laut
Zentraler Heuerstelle in Hamburg gibt es ein immer
krasser werdendes Missverhältnis zwischen der Zahl der
nachgefragten Arbeitsplätze und der Zahl der offenen
Stellen. Insbesondere Nautiker suchen unmittelbar nach
ihrer Ausbildung händeringend nach Arbeitsplätzen, um
ihre Patente ausfahren zu können. Das ist für sie ent-
scheidend, um nicht ihre teure Qualifikation zu verlie-
ren und im Nichts zu landen. Andernfalls wäre ihre teure
Ausbildung umsonst gewesen.

Auf der Maritimen Konferenz kann kein wirklicher
Fortschritt festgestellt werden. Im Bericht der Bundes-
regierung, den ich eben erwähnt hatte, wird darauf an
mehreren Stellen hingewiesen. Die Schifffahrtskrise ist
nicht überwunden:

Die deutsche Handelsflotte hat sich reduziert, und
die Anzahl der Schifffahrtsunternehmen ist zurück-
gegangen. Der Anteil der Schiffe, die unter deut-
scher Flagge fahren, ist gesunken – mit Auswirkun-
gen auf Beschäftigung und Ausbildung deutscher
Seeleute.

Diese Bilanz vor der 9. Nationalen Maritimen Konferenz
ist vernichtend. Die Konsequenz daraus muss heißen: Es
darf kein Weiter-so geben.

Die Linke will erreichen, dass die maritime Wirtschaft
sichere, saubere und dauerhafte Arbeitsplätze schafft.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sehen nicht zu, wenn immer weniger Schiffe unter
deutscher Flagge fahren. Die Reeder flüchten nämlich
unter Flaggen von Niedriglohnländern und umgehen
Tarifverträge mit guten Heuern und guten Arbeitsbedin-
gungen. Sie wollen ihre Schiffe künftig zunehmend unter
Flaggen fahren lassen, die ihnen genehme Arbeitsbedin-
gungen, das heißt billige Arbeitskräfte, liefern. Trotzdem
haben sich die Reeder immer alles gut bezahlen lassen.
Da sind sie wieder, die Pfeffersäcke. Während der Kla-
bautermann deutlich hörbar gewirkt hat, geht es bei den
Pfeffersäcken sehr ruhig zu. Das Ergebnis: Sie werden
subventioniert, indem sie für ihre Mannschaften nur
40 Prozent Lohnsteuer zahlen müssen, während andere
Arbeitgeber für ihre Beschäftigten 100 Prozent Lohn-
steuer zahlen müssen. Die Reeder wollen aber noch mehr
gefördert werden. Jetzt sollen 40 Prozent Lohnsteuer-
einbehalt nicht mehr ausreichen; man will 100 Prozent
Lohnsteuereinbehalt. Damit sollen Wettbewerbsnachtei-
le ausgeglichen werden, so wird argumentiert, die sie an-
geblich gegenüber anderen Flaggenstaaten haben.

Wenn wir uns das einmal genauer ansehen, merken
wir, dass da mit falschen Zahlen operiert wird. So wird

Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer






(A) (C)



(B) (D)


behauptet, in den Niederlanden gebe es schon heute ei-
nen 100-prozentigen Lohnsteuereinbehalt. Das ist falsch.
Er liegt dort bei 40 Prozent für Beschäftigte auf Schif-
fen unter niederländischer Flagge und bei 10 Prozent
für Beschäftigte auf Schiffen, die unter der Flagge eines
europäischen Staates fahren. Richtig ist, dass in Italien,
Belgien, Malta und Portugal der 100-prozentige Lohn-
steuereinbehalt gilt. Aber selbst die marktbeherrschen-
den griechischen Reeder haben keinen 100-prozentigen
Lohnsteuereinbehalt. Sie zahlen 85 Prozent Lohnsteu-
er für die Kapitäne und 90 Prozent Lohnsteuer für die
Mannschaften. Es wird also deutlich: Hier wird auf die
Politik der Bundesregierung massiv Einfluss genommen
und versucht, sich weitere Vorteile zu verschaffen und
eine neue Runde im Subventionswettlauf auf dem Markt
zu beginnen. Hier muss dringend eine Änderung erfol-
gen. Ansonsten haben wir eine subventionierte Schiff-
fahrtsbranche, die auch noch versucht, andere vom euro-
päischen Markt zu verdrängen. Das darf nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813013300

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Rüdiger

Kruse.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD])



Rüdiger Kruse (CDU):
Rede ID: ID1813013400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Will Deutschland führende Schifffahrtsnation blei-
ben? Diese Frage steht seit längerem im Raum. Wenn
Fragen längere Zeit unbeantwortet im Raum stehen, dann
werden sie durch Zeitablauf beantwortet, und zwar in der
Regel mit Nein. Man muss also schon etwas tun. Die ein-
gangs gestellte Frage darf aber nicht erst auf der Mariti-
men Konferenz diskutiert werden. Vielmehr müssen wir
mit einer Antwort in die Maritime Konferenz gehen – mit
dem klaren Willen, Schifffahrtsnation zu bleiben.

Das ist keine Frage von Seefahrtsromantik. Man kann
Geschichten über Klabautermänner erzählen, etwa in
einem Museumshafen in Hamburg, Rostock oder sonst
wo. Man kann nette Bücher vorlesen, zum Beispiel wenn
Vorlesetag ist. Das hat aber nichts mit einer Schifffahrts-
nation zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn man Exportnation sein will – wir haben vorhin
über unsere Automobilindustrie gesprochen; das ist eine
Exportindustrie –, dann muss man auch Logistiknation
sein. Es gibt keinen Export ohne Logistik, und es gibt
keine Logistik ohne Schifffahrt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man könnte sich zwar damit trösten, dass andere Länder
auch schöne Schiffe haben; aber es ist ein deutlicher Un-
terschied, ob man die Organisation der Logistik selber in
der Hand hat und mitentscheidet, wo und unter welchen
Bedingungen die Handelsströme verlaufen, oder nicht.

Die Bedingungen in der deutschen Schifffahrt, auch
was die Arbeitnehmer angeht, sind vorbildlich. Wir sind
aber längst nicht mehr die einzigen, die vorbildliche
Bedingungen schaffen. Es gibt – das müsste Ihnen be-
kannt sein – international entsprechende Listen der Ge-
werkschaften. Schiffe, die nicht positiv auf diesen Listen
vermerkt sind, werden in den Häfen auch gerne einmal
abgewiesen. Unsere europäischen Mitbewerberstaaten –
es geht nicht um irgendwelche Südseeinseln – halten die
Bedingungen ebenfalls alle ein. Sie machen aber noch
etwas anderes, nämlich ein gutes Angebot. Wir wollen
nichts anderes, als die Möglichkeiten, die das EU-Bei-
hilferecht bietet, ausnutzen. Man muss sie voll und ganz
ausnutzen; denn sonst hat man keinen Vorteil.

Wir wollen natürlich unsere Bundeskanzlerin nicht
mit leeren Händen zur Maritimen Konferenz schicken.
Daher haben die Koalitionsfraktionen diesen Antrag er-
arbeitet. Ich bin dem Kollegen Saathoff und seiner Küs-
tengang sehr dankbar für die gute Zusammenarbeit. Man
muss auch feststellen: Ohne uns gäbe es keine Verlän-
gerung von ISETEC. Ohne uns gäbe es auch keine Wei-
terentwicklung von maritimer Technologie der nächsten
Generation. Mit uns gibt es eine Aufstockung des Inno-
vationsprogramms, und zwar ohne dass die Länder mit-
ziehen müssen, sondern dadurch, dass der Bund seinen
Anteil verdoppelt. Das heißt, wir haben 50 Prozent mehr
im Spiel und können wesentlich mehr fördern. Die Län-
der bekommen für jeden Förder-Euro, den sie einsetzen,
2 Euro vom Bund dazu. Besser geht es nicht, liebe Län-
der. Jetzt nutzt auch die Chance!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben uns auch mit Umweltfragen beschäftigt,
und irgendwie haben wir schon vor Wochen gewusst,
dass man den Schiffsdiesel nur schwer – wahrscheinlich
nur mit Software – sauber bekommt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen ein anderes
Antriebssystem fördern. Mit diesem Beschluss machen
wir den Weg frei für ein LNG-Förderprogramm. Das
heißt, dass wir neue Schiffsantriebe mit gasbetriebener
Technologie bekommen werden. Das ist eine Technolo-
gie, die weltweit nachgefragt werden wird. Schon jetzt
verlangen die Häfen an der amerikanischen Küste von
ihren Liniendiensten, dass sie in ihrer Flotte jedes Jahr
die Umweltwerte verbessern. Mit dieser Technologie, die
dann führend aus Deutschland käme, sichern wir unseren
Export und tun gleichzeitig etwas Gutes für Klima- und
Umweltschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Erstmalig werden wir uns auf der Maritimen Konfe-
renz auch einem Thema widmen, dem wir vielleicht in
der Kantine begegnen, ohne es zu wissen. Es wird auch
in Deutschland sehr viel Fisch aus illegaler Fischerei an-
gelandet, die eine Hälfte wahrscheinlich auf dem Frank-
furter Flughafen und der Rest verteilt auf Bremerhaven
und Hamburg. Das muss man zurückweisen, und zwar

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


nicht nur, weil das illegal ist, sondern auch weil dadurch
unsere mühsam ausgehandelten Ziele, was die Fisch-
fangquoten angeht, zerstört werden und weil die illegale
Fischerei für die Besatzungsmitglieder unter unmensch-
lichsten Bedingungen erfolgt. Damit sind Menschenhan-
del und Kriminalität mit nach allgemeiner Schätzung bis
zu 15 Milliarden Euro Umsatz verbunden. Wir wollen
der Bundesregierung Möglichkeiten an die Hand geben,
das zu überwachen und Transporte, die nicht entspre-
chend zertifiziert sind, zurückzuweisen. So kann man
Globalisierung im positiven Sinne für den Umweltschutz
betreiben, und das machen wir auf dieser Konferenz.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Kollegen von den Grünen haben den Vorschlag
gemacht, das Amt des Maritimen Koordinators beim
Verkehrsministerium anzusiedeln und es aufzuwerten.
Die Ansiedlung beim Verkehrsministerium werte ich als
Kompliment, weil das ein von uns geführtes Haus ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was die Aufwertung des Amtes angeht, ist festzustellen:
Mit dem Antrag, den wir heute beschließen, werten wir
den Maritimen Koordinator extrem auf; denn es gibt jetzt
verdammt viel zu koordinieren. Dabei werden wir ihn
massiv unterstützen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813013500

Die Kollegin Dr. Valerie Wilms spricht jetzt für Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813013600

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Die Politik für die maritime Wirtschaft tritt
seit Beginn der Schifffahrtskrise auf der Stelle, obwohl
Sie hier eben wieder blumige Reden gehört haben, dass
es angeblich anders wird. Neue Ideen liefert diese Große
Koalition nun wirklich nicht. Es wird immer nur an ein
paar kleinen Schräubchen gedreht. Mit diesem Herum-
doktern kommen wir nicht weiter. Sie müssten jetzt wirk-
lich einmal einen großen Wurf wagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Ansonsten geht die maritime Wirtschaft in Deutschland –
um im Bild zu bleiben – wirklich unter.

Wir geben jedes Jahr mindestens 60 Millionen Euro
in die Schifffahrtsförderung, ohne dass die Branche ihre
Zusagen einhält. Die Zahl der Schiffe unter deutscher
Flagge geht kontinuierlich zurück. Jetzt sind es schon
deutlich unter 200 anstelle der von den Reedern ur-
sprünglich zugesagten 600 Schiffe. Scheinbar will sich
die Bundesregierung immer weiter das Geld aus der Ta-
sche ziehen lassen. Das ist GroKo-Politik. Wann wird es
endlich neue Ideen im sogenannten Maritimen Bündnis
geben? Hier regiert seit Jahren großer Stillstand. Ich
sage: Die Bundesregierung wagt sich aus Bequemlich-

keit nicht an Veränderungen; denn damit sind gewisse
Risiken verbunden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bequem, werte Kolleginnen und Kollegen, ist vor al-
lem der Maritime Koordinator, Herr Beckmeyer. Er soll
die maritime Politik dieser Bundesregierung koordinie-
ren. Doch wo ist er? Heute ist er mal da.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Er ist immer da!)


Gestern aber, im Verkehrsausschuss, wo es um das
Thema „Lotswesen“ ging, war er trotz ausdrücklicher
Einladung nicht anwesend. Man kann nur festhalten:
Ihn interessieren die wirklichen Probleme der maritimen
Wirtschaft nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Er war im Wirtschaftsausschuss!)


Er will nicht mit dem Parlament zusammen Lösungen
erarbeiten. Wir müssen feststellen: Der Maritime Koor-
dinator versagt. In Wirklichkeit hat er ja auch nichts zu
koordinieren. Im Wirtschaftsministerium, wo sein Amt
angesiedelt ist, gibt es in Sachen Maritimes nichts zu
entscheiden. Die Schifffahrtsthemen nehmen ihm täglich
das Verkehrsministerium oder andere Ressorts ab. Das
Maritime Bündnis zwischen Reedern, Gewerkschaft,
Küstenländern und dem Bund sowie die Verkehrswege-
planung und die Anbindung der Seehäfen darf er nicht
koordinieren. Auch hier hat der Maritime Koordinator
keinen Einfluss. Er beschäftigt sich noch nicht einmal am
Rande damit.

Aber eines, Herr Beckmeyer, haben Sie in den zwei
Jahren Ihrer Amtszeit wirklich geschafft. Sie haben die
Maritime Konferenz zu sich nach Hause geholt, nach
Bremerhaven. Wird das die Veranstaltung zur Verab-
schiedung in Ihren wohlverdienten Ruhestand?


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Werte Kolleginnen und Kollegen, maritime Politik
wird vor allem im Verkehrsministerium gemacht. Des-
halb gehört der Maritime Koordinator dahin, und zwar
jetzt und sofort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Großkoalitionäre, für Ihren Antrag haben Sie
ja sehr lange gebraucht. Darum hatte ich doch eine ge-
wisse Hoffnung, dass Sie wirklich zu neuen, zündenden
Ideen kommen. Aber jetzt kam die Ernüchterung: 13 eng
beschriebene Seiten ohne irgendetwas Neues. Das reicht
nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Küsten-
gangs der Großkoalition. Fassen Sie doch zumindest ein
einziges Thema ernsthaft an und führen es dann auch zu
Ende!

Dass Sie wirklich nichts zu Ende führen, sieht man
an der Schifffahrtsförderung ganz deutlich. Auch wenn
Sie den Lohnsteuereinbehalt nach dem Vorschlag Ham-
burgs auf 100 Prozent erhöhen, lösen Sie die Probleme
nicht. Damit erhöhen Sie nur den Bürokratieaufwand.
Mit den etwa 60 Millionen Euro jährlich fördern wir je-
den Mitarbeiter an Bord eines deutschen Seeschiffes mit
etwa 1 300 Euro pro Monat. Die Zahl deutscher Seeleute

Rüdiger Kruse






(A) (C)



(B) (D)


nimmt trotzdem stetig ab. Derzeit sind weniger als 5 000
deutsche Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge
beschäftigt, und jeden Tag werden es weniger.

Werfen wir einen Blick auf das komplizierte System
des Lohnsteuereinbehalts: Dabei zahlen die Reeder den
Seeleuten erst einmal den Bruttolohn und ziehen die
Lohnsteuer ein. Teile davon – irgendwann sollen nach Ih-
ren Plänen 100 Prozent einbehalten werden – dürfen sie
aber selbst behalten, anstatt sie an das Finanzamt zu ge-
ben. Da wiehert der deutsche Amtsschimmel bei diesem
bürokratischen Aufwand. Aber das sind wir von dieser
Großen Koalition schon gewohnt.

Warum sind Sie nicht offen für wirklich neue Ideen?
Mein Vorschlag ist, erstens den internationalen Heuerta-
rif für die Seeleute anstelle des höheren deutschen ein-
zuführen. Nur damit werden deutsche Seeleute wieder
international wettbewerbsfähig.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das ist ein Sechstel!)


Zweitens. Gleichzeitig gibt es – das gehört automatisch
dazu – volle Lohnsteuerfreiheit, und der Staat bezahlt die
Sozialversicherung. Die Seeleute hätten dann netto das
Gleiche in der Tasche wie bisher. Die deutsche Seeschiff-
fahrt würde wieder wettbewerbsfähig werden. So sichern
wir die Arbeitsplätze der deutschen Seeleute dauerhaft
und schaffen endlich wieder neue. Dann kommt wieder
Schwung in das Maritime Bündnis. Gehen Sie diesen
Weg!

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813013700

Der Kollege Johann Saathoff spricht jetzt für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1813013800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Een groot Schkipp will vööl Water hebben. Da ich ge-
rade gebeten wurde, meinen plattdeutschen Ausspruch
zu übersetzen: Ein großes Schiff braucht viel Wasser. –
Im vorliegenden Antrag geht es um ein großes Schiff.
Es geht nämlich schlicht um die Zukunft der nationalen
maritimen Wirtschaft. Der Antrag erfolgt in Vorbereitung
der Maritimen Konferenz, die in der nächsten Woche in
Bremerhaven stattfindet. Der Konferenz sind erstmalig
Fachforen vorausgegangen. Ich habe bei einigen die-
ser Foren dabei sein können und muss sagen: In diesen
Fachforen wurde hervorragende Arbeit geleistet. Diese
Konferenzen haben sich weiterentwickelt. Das ist das
Verdienst unseres Staatssekretärs Uwe Beckmeyer. Da-
für herzlichen Dank!


(Beifall bei der SPD)


Wenn der eine oder andere an dieser Stelle meint, dass
der Maritime Koordinator in das Verkehrsministerium
gehört, dann greife ich diesen Ball gerne auf. Wenn Uwe

Beckmeyer in das Verkehrsministerium wechselt, dann
passiert dort auch einmal etwas.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das war völlig überflüssig!)


Es geht um die Zukunft der nationalen maritimen
Wirtschaft und darum, sich ehrlich zu machen. Wollen
wir noch deutsches Know-how in unseren Häfen und auf
unseren Schiffen? Brauchen wir noch die deutsche Flag-
ge? Aus meiner Sicht ist es nicht egal, ob ein Toaster über
Rotterdam oder Hamburg nach Deutschland kommt. Wir
reden über 400 000 Arbeitsplätze und über 30 Milliar-
den Euro Wertschöpfung pro Jahr, übrigens nicht nur in
Norddeutschland, sondern in der gesamten Republik.
Mir ist an dieser Stelle wichtig, darauf hinzuweisen –
Uwe Beckmeyer hat das bereits getan –, dass Schiffsmo-
toren vornehmlich in Süddeutschland produziert werden.
3 000 Handelsschiffe sind noch in deutschem Eigentum,
350 – etwas mehr als 10 Prozent – unter deutscher Flag-
ge. Daran müssen wir etwas ändern.

In Vorbereitung dieses Antrags hat es eine sehr gute
Zusammenarbeit gegeben, Herr Kruse. Ich möchte mich
ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit bei
Ihnen bedanken, genauso wie bei Birgit Malecha-Nissen,
meiner Mitlotsin in der SPD-Küstengang, die von der
Verkehrsseite her zugearbeitet hat. Wir haben gut zusam-
mengearbeitet. Ich glaube, das können wir öfter so ma-
chen. Herzlichen Dank euch beiden!


(Beifall bei der SPD)


Das Sprichwort lautet „Schifffahrt tut not“ und nicht
„Schifffahrt macht Not“. Im Moment trifft aber eher
Letzteres zu. Was beschreibt der Antrag im Einzelnen?
Er beschreibt die Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts
von 40 auf 100 Prozent. Mehr geht dann auch nicht mehr.
Dies ist bis 2025 befristet. Dann wird evaluiert. Die
183-Tage-Regelung, die dafür sorgte, dass die Menschen
kontinuierlich 183 Tage auf einem Schiff angestellt
sein mussten – das war in der Praxis kaum möglich –,
fällt weg. Mit diesen Regelungen schaffen wir Anreize,
wieder deutsche Seeleute auf Schiffen zu beschäftigen.
Deutsche Flagge und deutsche Besatzung sind Vorausset-
zung für den Ausbildungspakt „Bündnis für Ausbildung
und Beschäftigung in der Seeschifffahrt“. Für diesen
Pakt zahlt der Bund 60 Millionen Euro, die Reederschaft
30 Millionen Euro. Das ist gut angelegtes Geld auf bei-
den Seiten; denn es geht um die dauerhafte Sicherung des
maritimen Know-hows in Deutschland.

In unserem Antrag geht es des Weiteren um Innovati-
onsförderung im Schiffbau. Wir heben den Bundesanteil
von 50 auf 66 Prozent an. Wir hatten im Vorfeld Proble-
me beim Kofinanzierungsanteil auf Landesebene.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Besonders in Niedersachsen!)


Es ist jedenfalls richtig, diesen Anteil anzuheben. Der
Ansatz des Bundes soll von 15 Millionen auf 20 Milli-
onen Euro angehoben werden. Ich hoffe, dass wir das in
den Haushaltsberatungen gemeinsam hinbekommen.

Dr. Valerie Wilms






(A) (C)



(B) (D)


Wichtig ist, dass die Innovationen im Schiffbau von
Deutschland ausgehen. Aber wir müssen auch aufpas-
sen, dass es uns im Schiffbau nicht so geht wie beim
MP3-Player, bei dem die Innovation erst einmal in
Deutschland ermöglicht wurde, die Produktion und das
Geldverdienen jedoch woanders stattfanden.

Lassen Sie mich noch einige Worte zum Thema
Offshore sagen. Ich denke, man kann konstatieren, dass
das eine Erfolgsgeschichte der Koalition ist. Ein Wind-
park nach dem anderen wird derzeit eingeweiht und
macht Deutschland Stück für Stück umweltfreundlicher.
Kaum einer hier im Haus hat das für möglich gehalten.
Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass Rechtssicher-
heit und Planungssicherheit für die Investoren geschaffen
werden. In diesem Zusammenhang müssen wir beson-
ders auf die Gestaltung der Ausschreibungen achten.

Wir brauchen auch eine bedarfsgerechte Netzanbin-
dung. Ich gebe zu: Persönlich hätte ich mir da mehr Fort-
schrittlichkeit in unseren Forderungen gewünscht. Das
Problem „800 Megawatt von Nord- und Ostsee zusam-
men“ besteht weiterhin. Ein Netzanschlusspunkt sind
450 Megawatt; 900 Megawatt wäre also die logische
Lösung des Problems auf dem Meer. Aber die Projekte,
die ab 2020 realisiert werden, sind jetzt in der Phase der
Projektierung. Deswegen müssen wir uns Gedanken da-
rüber machen, dass die Lücke zwischen 2020 und 2025
gar nicht erst entsteht und dass wir die Planungs- und
Investitionssicherheit gewährleisten.

Wir haben zum Thema LNG eine ganze Menge Rege-
lungen gefunden. Aber wir sollten in dieser Frage auch
bei eigenen Schiffen mit gutem Beispiel vorangehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben die Weiterentwicklung des nationalen Ha-
fenkonzeptes in unserem Antrag behandelt. Sorgen wir
also gemeinsam dafür, dass unser großes Schiff „Deut-
sche maritime Wirtschaft“ immer mindestens eine Hand-
breit Wasser unter dem Kiel hat.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813013900

Als Nächstes spricht der Kollege Hans-Werner

Kammer, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans-Werner Kammer (CDU):
Rede ID: ID1813014000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch wir
hätten uns für diese maritime Debatte etwas mehr Zeit
gewünscht. Aber unser Antrag zeigt, dass wir Kurs halten
und auch Fahrt aufnehmen. Im Zusammenhang mit der
Debatte über die Autoindustrie und jetzt über die mari-

time Wirtschaft wird eines sehr deutlich: Die Linke und
die Grünen wollen alles schlechtreden.


(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Sie wollen nicht, dass wir uns in Deutschland weiterent-
wickeln, sondern reden alles schlecht, während wir Kurs
halten und sagen: Wir setzen auf die Innovationen von
Industrie und Wirtschaft und unterstützen sie als Große
Koalition. Wir wollen, dass Deutschland auf den Welt-
meeren nicht den Anschluss verliert. Wir wollen, dass
Deutschland als maritimer Standort Spitzenklasse bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die erfolgreichen Bemühungen der vergangenen Jahre
führen wir daher konsequent fort. Zugleich setzen wir
neue Impulse, etwa beim Maritimen Bündnis, bei der
Frage des Lohnsteuereinbehalts, beim Umweltschutz
und bei der Meerestechnologie.

Ich nehme einen Punkt heraus, nämlich LNG. Ver-
flüssigtes Erdgas ist ein Treibstoff mit großer Zukunft.
Diesen Trend wollen und werden wir nicht verschlafen.
Deshalb fordern wir ein Förderprogramm für LNG-be-
triebene Schiffe, den Ausbau der entsprechenden Infra-
struktur inklusive eines LNG-Terminals und die Opti-
mierung des Rechtsrahmens für LNG.

Ein Thema, das sämtliche Vertreter der maritimen
Wirtschaft eint, ist die Infrastrukturpolitik. Gerade bei
den Hinterlandanbindungen der Seehäfen mit Bahn,
Straße und Binnenwasserstraße steht unserem Land noch
viel Arbeit bevor. Daher räumen wir der Engpassbesei-
tigung rund um die deutschen Seehäfen Priorität ein.
Die deutliche Steigerung der Infrastrukturausgaben wird
hier besondere Wirkung entfalten. Ich erinnere an den
Nord-Ostsee-Kanal, für den wir fast 1 Milliarde Euro
ausgeben. Herr Saathoff, an der Stelle braucht das Ver-
kehrsministerium keine Unterstützung. Wir leisten dort
hervorragende Arbeit und sind auf einem tollen Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Leider – das muss man in dieser Debatte sagen – zie-
hen wir in dieser Frage nicht an einem Strang. Gestern
haben Grüne und Linke im Verkehrsausschuss gemein-
sam gegen die Vertiefung von Elbe und Weser gestimmt.


(Zuruf von der LINKEN: Sehr gut!)


Das sei nicht erforderlich, sagen sie, weil der Verkehr zu-
künftig über Wilhelmshaven abgewickelt werden könnte.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Für die großen Pötte, ja!)


Ich kenne Wilhelmshaven etwas besser als die meisten in
diesem Saal, und ich kann Ihnen sagen: Der JadeWeser-
Port kann sehr viel; aber er kann nicht Bremerhaven und
Hamburg ersetzen. Auch das müsste klar sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Von einer unzureichenden Anbindung Hamburgs und
Bremerhavens würden vor allem niederländische Häfen
profitieren. Das hätte fatale Konsequenzen für die mari-

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


time Wirtschaft in Deutschland. Sie müssen sich fragen,
ob Sie das wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gleiches gilt übrigens für die Blockadehaltung der
niedersächsischen Grünen, die dem Infrastrukturausbau
im Hafenhinterland regelmäßig im Weg stehen. Nieder-
sachsen ist ein Schlüsselland für die Durchleitung der
Verkehre. Solch ein ideologisch begründeter Stillstand
schadet der Branche; denn in der Schifffahrt gilt: Wer
den Motor stoppt, wird abgetrieben. Gut, dass die Verant-
wortung in diesem Bereich beim Bund, also in unseren
Händen, liegt.

Frau Wilms, zu Ihrem Antrag, das Amt des Maritimen
Koordinators vom Wirtschaftsministerium ins Verkehrs-
ministerium zu verlagern, hat der Kollege Kruse schon
etwas gesagt. Ich freue mich, dass Sie ein solch großes
Vertrauen in das Bundesverkehrsministerium, den Mi-
nister und seine Staatssekretäre setzen. Das ist absolut
gerechtfertigt. Dieses Vertrauen habe ich in manchen
Debatten bei Ihnen bisher nicht feststellen können; aber
man lernt ja dazu. Ich finde das klasse.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist aber zu bezweifeln, dass diese Maßnahme der
maritimen Wirtschaft wirklich hilft. Sie zählen in Ihrem
Antrag zahlreiche maritime Themen auf, die im Ver-
kehrsministerium federführend bearbeitet werden. Fast
alle Ministerien arbeiten dem Maritimen Koordinator
zu, sei es im Bereich der Offshorewindkraft, sei es beim
Lohnsteuereinbehalt. Nahezu jedes Bundesministerium
befasst sich regelmäßig mit maritimen Fragen. Folglich
braucht es einen Koordinator, der die Arbeit der Minis-
terien zusammenführt. Die Frage, wo sein Schreibtisch
steht, ist nicht entscheidend. Die maritime Branche hat
drängendere Probleme. Daher lehnen wir Ihren kleinka-
rierten – so bezeichne ich ihn – Antrag ab.

Es ist der Antrag der Koalition, der die maritime Wirt-
schaft voranbringen wird. In der nächsten Woche wird
von der Maritimen Konferenz ein deutliches Zeichen für
den maritimen Standort Deutschland ausgehen. Da bin
ich absolut sicher.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813014100

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der

Kollege Dr. Philipp Murmann für die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1813014200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Als geborener Kieler möchte ich darauf hinweisen,
was für ein Netzwerk die maritime Wirtschaft eigentlich
bedeutet. In Kiel werden U-Boote mit Brennstoffzellen-
technik gebaut; das ist einmalig in der Welt. Vor zwei
Wochen ging die „Sailing Yacht A“ in die erste Testpha-
se; das ist das größte Segelschiff, das neu gebaut wird.

Es ist 143 Meter lang, 25 Meter breit und hat 100 Meter
hohe Karbonmasten. Es soll einmal besondere Segelgäste
aufnehmen. Auch dieses Schiff wurde auf einer Werft in
Kiel gebaut. Wir haben einen Hafen, in dem viele Kreuz-
fahrer anlegen. Wir haben zahlreiche mittelständische
Unternehmen im technischen Bereich, von Sonartechnik
bis Signaltechnik für Schiffe. Wir haben ein Gleisnetz,
das an den Hafen angeschlossen ist, und wir haben mit
GEOMAR ein Forschungsinstitut, das Meeres- und Kli-
maforschung betreibt und auch im Tiefseebergbau eini-
ges macht. Das soll nur einmal zeigen, wie umfangreich
der maritime Bereich ist.

Das gilt nicht nur für den Standort Kiel; das Gleiche
könnte man über Lübeck, Rostock, Bremen und Bremer-
haven sagen. Es gibt bei uns zahlreiche maritime Zent-
ren, nicht nur im Norden, sondern auch im Süden, etwa
in Friedrichshafen oder in Nürnberg. Dort gibt es genau-
so viele Kapazitäten, genauso viel Know-how und Wert-
schöpfung. Man kann also sagen, dass es sich nicht um
eine norddeutsche, sondern um eine nationale Aufgabe
handelt, so gerne ich Norddeutschland auch hier vertrete.
Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn sich vielleicht
auch der eine oder andere Süddeutsche in diese Debatte
einbringen würde.

Wir haben noch eine ganze Menge zu tun; denn es gibt
hier ein Wahrnehmungsdefizit. Deshalb, Herr Beckmeyer,
würde ich Sie bitten, ein bisschen mehr Dynamik in die
maritime Wirtschaft zu bringen. Jedem Euro für die ma-
ritime Wirtschaft entsprechen 16 Euro für die Luft- und
Raumfahrt; das Verhältnis ist noch nicht ausgegoren. In-
sofern müssen wir, denke ich, da noch angreifen, noch
mehr für die maritime Wirtschaft arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Warum müssen wir das tun? Die maritime Wirtschaft
befindet sich in einem der globalsten Wettbewerbe, den
die deutsche Wirtschaft zu bestehen hat. Die Wettbewer-
ber kommen aus Korea, aus China, aus Japan und natür-
lich auch aus Europa. Wir sind in einem Wettbewerb um
Subventionen; auch das muss man sagen.

Lieber Herr Behrens, den Lohnsteuereinbehalt ma-
chen wir ja nicht, weil wir es lieben, uns solchen Themen
anzunähern – das kann ich gerade für die CDU sagen –,
aber wenn Sie mit Ihren Verdi-Kollegen sprechen, dann
werden Sie feststellen, dass gerade die das fordern.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: In der Tat!)


Wir machen das auch deswegen, um unseren Seeleuten,
für die Sie ja gesprochen haben, im Kostenwettbewerb
die Chance zu geben, ihr Patent ausfahren zu können; das
können sie sonst nämlich nicht. Nur deswegen haben wir
uns auf diese Sache eingelassen.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Gucken wir uns die Zahlen nächstes Jahr noch mal an, was ihr gemacht habt!)


Ich denke, das ist eine gute Lösung. Es ist wichtig, dass
wir das so hinbekommen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Hans-Werner Kammer






(A) (C)



(B) (D)


Aus meiner Sicht müssen wir vier Dinge tun: Wir
müssen erstens dafür sorgen, dass es in vielen Bereichen
ein Level-Playing-Field gibt. Dafür ist noch mehr Ein-
satz in der IMO notwendig. Gerade wir Europäer müs-
sen uns zusammentun, um die Standards hochzuhalten,
müssen aber sicherlich auch noch gemeinsam mit Bund
und Ländern arbeiten. Insofern bin ich den Mitgliedern
des Haushaltsausschusses sehr dankbar, die es jetzt in
der zweiten Runde des Haushalts geschafft haben, eini-
ge Themen voranzubringen. Auch der Dank an das Ver-
kehrsministerium, das ISETEC-Projekt wieder auf die
Schiene gehoben zu haben, sodass es uns nicht verloren
geht. Da haben wir doch einiges geschafft. Vielen Dank
allen, die dazu beigetragen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

CSU]: Sonst wäre das tot!)

Wir müssen zweitens das Fördern angehen. Der Lohn-
steuereinbehalt ist ein Thema, ISETEC sicherlich ein an-
deres. Auch LNG wurde angesprochen. Hier müssen wir
zunächst staatlich fördern, weil wir erst einmal genügend
Masse hineinbringen müssen. Ich hoffe, dass wir dann zu
einer wirtschaftlichen Lösung kommen, damit die Unter-
nehmen, die da jetzt Geld hineinstecken, am Ende Erfolg
damit haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Drittens ist es ganz besonders wichtig, die Systemfä-
higkeit in Deutschland zu erhalten. Das gilt nicht nur für
den Marinebereich, aber auch da, im Überwasserschiff-
bau. Ein Schiff ist eben ein komplexes System. Es be-
steht aus Stahl, aber auch aus sehr viel Elektronik. Alles
muss exakt aufeinander abgestimmt sein. Da müssen
große Projekte gemanagt werden, um die Systemfähig-
keit zu erhalten. Das müssen wir weiterhin vorantreiben
und uns dafür einsetzen.

Vierter und letzter Punkt – darüber wurde schon viel
gesprochen –: Infrastruktur. Auch daran müssen wir
weiterarbeiten. Beim Nord-Ostsee-Kanal sind wir ganz
gut vorangekommen, die Elbevertiefung steht noch aus.
Offshore ist ein wichtiges Thema; Sie haben es angespro-
chen. Die Netzanbindung und all diese Dinge müssen vo-
rangetrieben werden. Wir haben es sehr begrüßt, dass das
Verkehrsministerium mit großer Priorität an dem Hafen-
konzept arbeitet.

Deutschland ist eine Schifffahrtsnation, meine Damen
und Herren. Wir wollen dafür sorgen, dass das auch so
bleibt. Meine Vorfahren waren Wikinger, nehme ich je-
denfalls an. Die hatten auch schon eine ganze Menge Ah-
nung vom Maritimen; denn sie wussten schon: Den Wind
können wir nicht bestimmen, aber die Segel können wir
richtig setzen. – Mit unserem Antrag haben wir die Segel
gut gesetzt, denke ich. Insofern bitte ich Sie, dem Antrag
zuzustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813014300

Damit schließe ich die Aussprache, und wir kommen

zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6328 mit dem
Titel „Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Bedeu-
tung für Deutschland hervorheben“. Wer für diesen An-
trag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist
damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 25 b und 25 c. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
18/5764 sowie 18/6347 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind, weil es keinen Widerspruch
gibt. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem
Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der
Verordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie zur Ände-
rung des Patentgesetzes

Drucksache 18/5321

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll von Nagoya vom 29. Oktober
2010 über den Zugang zu genetischen Ressour-
cen und die ausgewogene und gerechte Auftei-
lung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden
Vorteile zum Übereinkommen über die biologi-
sche Vielfalt

Drucksache 18/5219

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

(16. Ausschuss)


Drucksache 18/6384

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Um-
setzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll
liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Das ist somit beschlossen.

Deshalb eröffne ich die Aussprache und erteile als ers-
ter Rednerin der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita
Schwarzelühr-Sutter das Wort für die Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1813014400


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Biologische Vielfalt ist wertvoll. Das ist ein
Schatz. Die Natur ist nicht nur Grundlage für unsere

Dr. Philipp Murmann






(A) (C)



(B) (D)


Existenz und alles menschliche Leben – sie ist auch eine
geradezu unerschöpfliche Quelle für neue Ideen und In-
novationen. Häufig sind Pflanzen, Tiere und andere Le-
bewesen – als genetische Ressourcen – Grundlage für
neue Produkte. So wird aus einer Heilpflanze ein neues
Medikament, ein neu entdecktes Enzym wird zum Aus-
gangspunkt für ein biotechnologisches Verfahren, und
wilde Pflanzen werden zu neuen Pflanzensorten oder
Kosmetikprodukten entwickelt.

Diese Zusammenhänge hatte die internationale Staa-
tengemeinschaft vor Augen, als sie 1992 auf der Kon-
ferenz in Rio das Übereinkommen über die biologische
Vielfalt, die sogenannte CBD, beschloss. Die CBD hat
drei Ziele: die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die
nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die ausge-
wogene und gerechte Aufteilung der Vorteile aus der
Nutzung von genetischen Ressourcen. Dieses dritte Ziel
der CBD erlaubt es biodiversitätsreichen Ländern, auch
wirtschaftlich davon zu profitieren, dass sie biologische
Vielfalt schützen und bewahren. Hier wird das Phänomen
der Biopiraterie bekämpft: Wer auch immer Forschung
und Entwicklung an solchen genetischen Ressourcen be-
treibt, hat dies mit dem Land zu vereinbaren, aus dem
die Ressource stammt. Vorteile aus der Nutzung werden
geteilt.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach falsch!)


Um das dritte Ziel der CBD umzusetzen, hat die inter-
nationale Staatengemeinschaft 2010 in Japan, in Nagoya,
das Nagoya-Protokoll beschlossen. Es konkretisiert
dieses Ziel des Übereinkommens und setzt klare inter-
nationale Regeln für den Zugang zu genetischen Res-
sourcen, für ihre Nutzung und für den Vorteilsausgleich.
Das Nagoya-Protokoll ist auch ein Erfolg der deutschen
CBD-Präsidentschaft von 2008 bis 2010. Denn auf der
9. Vertragsstaatenkonferenz der CBD 2008 in Bonn hat
Deutschland – unter dem damaligen Bundesumweltmi-
nister Sigmar Gabriel – den Grundstein für dieses völker-
rechtliche Verbot der Biopiraterie gelegt.

2014 hat die Europäische Union eine Verordnung
beschlossen, die das Nagoya-Protokoll umfassend und
wirksam in europäisches Recht umsetzt. Die heute vorge-
legten Gesetze sorgen – gemeinsam mit der europäischen
Verordnung – dafür, dass Deutschland das Nagoya-Pro-
tokoll umsetzt und ratifizieren kann. Der Biopiraterie
wird somit wirksam ein Riegel vorgeschoben. Das Bun-
desamt für Naturschutz wird zukünftig kontrollieren, ob
sich Nutzer von genetischen Ressourcen an die Gesetze
von Herkunftsländern halten.

Mit dieser Umsetzung des Nagoya-Protokolls erweist
sich Deutschland erneut als zuverlässiger Partner und
treibende Kraft in der internationalen Naturschutzpolitik.
Diese Umsetzung ist gerade für die Entwicklungsländer
von großer Bedeutung. Das Abholzen von wertvollen
Tropenwäldern und die Ausbeutung von anderen Ökosys-
temen erscheinen dort häufig kurzfristig verlockend und
profitabel, zerstören aber langfristig unsere gemeinsame
Lebensgrundlage. Hier hilft das Nagoya-Protokoll; denn
es trägt dazu bei, biologische Vielfalt in Wert zu setzen,
und bietet so einen starken wirtschaftlichen Anreiz für

den Naturschutz weltweit. Naturschutz wird zur wirt-
schaftlichen Alternative.

Die Umsetzung des Nagoya-Protokolls nimmt auch
den Privatsektor in die Verantwortung. Wenn zum Bei-
spiel ein Wirtschaftsunternehmen Naturgüter nutzt, Pro-
dukte daraus entwickelt und davon auch wirtschaftlich
profitiert, dann muss dieses Unternehmen auch zur Er-
haltung dieser Naturgüter beitragen.

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir
kommenden Generationen denselben Reichtum an biolo-
gischer Vielfalt hinterlassen, den wir geerbt haben. Wer
die Natur erforscht und von ihr profitiert, der muss sie
auch schützen. So leistet das Nagoya-Protokoll einen
wertvollen Beitrag für die nachhaltige Entwicklung. Ich
denke, es ist ein gutes Zeichen, dass wir das Nagoya-Pro-
tokoll in diesem Jahr nach der Nachhaltigkeitskonferenz
in New York ratifizieren können.

Ich möchte mich ganz herzlich auch für die gute Zu-
sammenarbeit mit den Parlamentariern bedanken.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813014500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Menz für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Menz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813014600

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordne-

te! Liebe Gäste! Es war ein hartes Ringen, bis sich die
193 Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention auf die
Verabschiedung des Nagoya-Protokolls einigen konnten.
Auf Drängen der Entwicklungsländer wurde 2010 mit
dem völkerrechtlich verbindlichen Protokoll das dritte
große Ziel der Konvention – der faire Ausgleich von Vor-
teilen, die durch die Nutzung und Kommerzialisierung
genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens er-
langt werden – endlich umgesetzt.

Lassen Sie mich eines klarstellen: Wir begrüßen ganz
ausdrücklich die Ratifizierung des Nagoya-Protokolls.


(Beifall bei der LINKEN)


Begründung: weil es einen entscheidenden Beitrag zum
Schutz der Artenvielfalt und zu mehr Gerechtigkeit leis-
tet.

Gerade weil uns die Wirksamkeit des Protokolls am
Herzen liegt, ist uns der vorliegende Gesetzentwurf
zu dessen nationaler Umsetzung nicht gut genug. Wir
lehnen ihn deshalb in der bestehenden Form ab. Der
deutsche Gesetzentwurf schafft weder für die Grund-
lagenforschung noch für die Wirtschaft ausreichende
Rechtssicherheit. Das ist ein großes Problem.

Wenn der Gesetzentwurf Forschung und Innovation
nicht hemmen soll, muss vor allem die nichtkommerzi-
elle Grundlagenforschung mit Informations- und Bera-
tungsangeboten unterstützt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter






(A) (C)



(B) (D)


Das Bundesamt für Naturschutz als zuständige Behörde
sagt schon jetzt, dass mit den vorhandenen Stellen we-
der eine solche Beratung noch – viel schlimmer; ich zi-
tiere – „ein völker- und europarechtskonformer Vollzug
von Nagoya-Protokoll und europäischer Verordnung“
gewährleistet werden kann. Das darf nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke fordert deshalb, die notwendigen Planstellen
zu schaffen, und hat einen entsprechenden Antrag für die
Haushaltsdebatte verfasst.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die geforderten Offenlegungspflichten gehen
nicht weit genug, um dem Patentamt eine wirkungsvol-
le Kontrolle zu ermöglichen. Hier muss dringend nach-
gebessert werden: Statt „Angaben zum geographischen
Herkunftsort“ muss ein Nachweis über den legalen Zu-
gang zu den genetischen Ressourcen verlangt werden.
Fehlende Angaben würden zur Konsequenz haben, dass
ein Patentgesuch nicht weiter verfolgt wird. Außerdem
muss auch hier neben den genetischen Ressourcen tradi-
tionelles Wissen explizit einbezogen werden.

Das gravierendste Problem aber ist, dass der Gesetz-
entwurf Unklarheiten gerade da schafft, wo Klarheiten
unbedingt erforderlich sind, nämlich bei der kommerzi-
ellen Nutzung. Es stimmt: Die Definition von „Nutzung“
und „Nutzer“, die die EU-Verordnung zugrunde legt, ist
hier wenig hilfreich. Die Bundesregierung hätte aber
durchaus genug Spielraum gehabt, hier eine Verbesse-
rung vorzunehmen. Spanien macht uns das vor. Der spa-
nische Gesetzentwurf sieht vor, dass bei Missachtung der
Sorgfaltspflichten die sofortige Aussetzung nicht nur der
Nutzung genetischer Ressourcen, sondern explizit auch
der Kommerzialisierung verfügt werden kann. Mit die-
sen Vorschriften kann also direkt in die illegale Vermark-
tung eingegriffen werden.

Um es klar zu sagen: Der deutsche Gesetzentwurf
verhindert nicht, dass deutsche Patente vergeben werden
können, die auf illegalem Zugang oder der unrechtmäßi-
gen Nutzung von genetischen Ressourcen und damit ver-
bundenem traditionellem Wissen beruhen. Er verhindert
ebenso wenig die Vermarktung von Produkten, die aus
illegaler Forschung und Entwicklung entstehen. Einer
der Sachverständigen hat dies als „im entwicklungspoli-
tischen Kontext nur schwer vermittelbar“ bezeichnet. Ich
bezeichne das als ungerecht und unverantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor nicht einmal drei Wochen hat die Welt sich in
New York auf eine umfassende Armuts-, Entwicklungs-
und Umweltagenda geeinigt. Ein zentraler Erfolg dieser
Agenda war, dass sie für alle gilt und dass alle dazu auf-
gefordert werden, zu handeln. Dieses neue gemeinsame
Handeln soll von einem neuen Miteinander begleitet
werden, der globalen Partnerschaft. Dabei geht es nicht
darum, mehr Verantwortung auf die Entwicklungsländer
abzuschieben, sondern es geht um Gerechtigkeit und ge-
genseitiges Vertrauen. Was hat das nun mit der heutigen
Abstimmung zu tun? Nicht einmal drei Wochen nach der
Unterzeichnung dieser Agenda soll der Deutsche Bun-
destag ein Gesetz verabschieden, das geeignet ist, das

Vertrauen von Entwicklungs- und Schwellenländern in
die Verlässlichkeit der Industriestaaten zu beschädigen;
denn die Verlässlichkeit, so legt es der Entwurf nahe,
könnte sehr schnell dort enden, wo der Profit beginnt.
Das wäre ein falsches Zeichen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das können wir nicht unterstützen. Wir brauchen ein
Gesetz, dass das Nagoya-Protokoll im Sinne des Schut-
zes unserer Umwelt und im Sinne der Gerechtigkeit best-
möglich umsetzt. Was Sie uns hier anbieten, ist schlicht-
weg nicht gut genug.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813014700

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Klaus-

Peter Schulze.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU):
Rede ID: ID1813014800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ratifizierung
und Umsetzung des Protokolls von Nagoya ist auf den
ersten Blick nur etwas für den am Artenschutz interes-
sierten Feinschmecker, aber bei näherem Hinsehen wird
die weitreichende naturschutz- und entwicklungspoliti-
sche Bedeutung dieses Themas deutlich. Die vorliegen-
den Gesetzentwürfe zur Ratifizierung und zur Umset-
zung des Protokolls in Deutschland sind der erfolgreiche
Abschluss eines Jahrzehnte währenden Diskussions- und
Verhandlungsprozesses. Daher ist die heutige Verab-
schiedung beider Gesetzentwürfe ein historischer Mo-
ment und unterstreicht Deutschlands führende Rolle in
der internationalen Naturschutzpolitik.

Das Protokoll – darauf hat die Staatssekretärin schon
hingewiesen – ist im Wesentlichen während der deut-
schen Präsidentschaft zwischen 2008 und 2010 feder-
führend bearbeitet, unter der Mitwirkung vieler einzelner
Mitgliedstaaten vorbereitet und entsprechend unterzeich-
net worden.

Worum geht es beim Protokoll von Nagoya? Es re-
gelt den Zugang zu den genetischen Ressourcen und die
ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile, die
sich aus ihrer Nutzung ergeben. Es setzt das dritte Ziel
der CBD um, schafft einen verlässlichen internationalen
Rahmen für den Umgang mit genetischen Ressourcen
und einen ökonomischen Anreiz für die Erhaltung der
biologischen Vielfalt. Es ist ein Instrument zur Verhinde-
rung der Biopiraterie, gibt den Entwicklungs- wie auch
den Nutzerländern einen verlässlichen Rahmen bei der
Nutzung genetischer Ressourcen. Es trägt dazu bei, den
Wert biologischer Vielfalt bei der Herstellung neuartiger
Produkte besser zu berücksichtigen und setzt wirtschaft-
liche Anreize für die Bewahrung und nachhaltige Nut-
zung der Natur. Länder mit hoher biologischer Vielfalt
sollen auch wirtschaftlich davon profitieren, dass sie
Lebensräume und Arten schützen und erhalten. Es soll

Birgit Menz






(A) (C)



(B) (D)


gewährleistet sein, dass Forscher die Gesetze der Her-
kunftsländer respektieren und für ihre Forschung nur
biologisches Material nutzen, das im Herkunftsland legal
erlangt wurde. Durch die In-Wert-Setzung genetischer
Ressourcen wird ein starker Anreiz für den Natur- und
Artenschutz weltweit gesetzt. Es kann ein Beitrag zum
Schutz der Lebensgrundlagen der indigenen Völker sein,
wenn es gelingt, dass die Nationalstaaten die Vorteile,
die sie erhalten, auch an die jeweiligen indigenen Völker
weitergeben.

Den Wert der biologischen Vielfalt und den wirtschaft-
lichen Nutzen von Ökosystemen und der darin beheima-
teten Pflanzen und Tiere haben wir Menschen frühzeitig
erkannt. Bis zum Inkrafttreten des Protokolls am 12. Ok-
tober 2014 hatten jedoch die Herkunftsstaaten, zumeist
Entwicklungsländer, keinerlei Vorteile aus der Nutzung
ihrer genetischen Ressourcen, und es verstärkten sich
mehr und mehr die Forderungen nach einem Einschrei-
ten gegen die schon erwähnte Biopiraterie und den Raub-
bau an biologischer Vielfalt in solchen Ländern. Nicht
erst seit dem Wirken des wohl berühmtesten deutschen
Biopiraten, Alexander von Humboldt, profitiert auch
Deutschland vom Nutzen der Ressourcen anderer Län-
der, sei es für die Entwicklung von neuen Medikamenten
aus Heilpflanzen, für die Kosmetikproduktion oder für
innovative Erzeugnisse der Biotechnologie.

Das Nagoya-Protokoll wurde infolge der am 5. Juni
1992 in Rio de Janeiro unterzeichneten Biodiversitäts-
konvention nach einem langen und schwierigen Ver-
handlungsprozess am 29. Oktober 2010 in Nagoya be-
schlossen und setzt erstmals international verbindliche
Standards für den Umgang mit genetischen Ressourcen
und fördert so Transparenz und Rechtssicherheit.

Deutschland hat das Protokoll am 23. Juni 2011 unter-
zeichnet und der Wille, es zu ratifizieren, ist im Koaliti-
onsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD festgehalten.
Parallel zur 10. CBD-Vertragsstaatenkonferenz in Py-
eongchang, an der ich zusammen mit meinem Kollegen
Carsten Träger teilnehmen konnte – das hat genau vor
einem Jahr stattgefunden –, fand auch das erste Treffen
der Vertragsparteien zum Nagoya-Protokoll statt, bei
dem weitreichende Entscheidungen für die internatio-
nale Fortentwicklung des Protokolls getroffen wurden.
Auf europäischer Ebene wurde das im April 2014 mit der
Verordnung (EU) Nr. 511/2014 geregelt. Die Bundesre-
gierung hat in der Kabinettssitzung am 29. April dieses
Jahres die vorliegenden Gesetzentwürfe gebilligt.

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit hat in seiner Sitzung am 14. Oktober
2015 den Gesetzentwürfen zugestimmt, nachdem am
30. September 2015 hierzu eine öffentliche Anhörung
stattgefunden hat. Die Anhörung im Umweltausschuss
hat noch einmal die gesamte Bandbreite der Wirkung des
Protokolls von Nagoya verdeutlicht und aufgezeigt, wie
anspruchsvoll die Umsetzung in Deutschland in Verant-
wortung durch das Bundesamt für Naturschutz als zu-
ständige Vollzugsbehörde sein wird und welche Auswir-
kungen dies für Wissenschaft und Forschung und für die
Wirtschaft haben kann. Das Bundesamt wird aber nicht
nur für den Vollzug der Bestimmungen des Protokolls
von Nagoya verantwortlich sein, sondern soll etwa 600

zu erwartende Nutzer beraten und informieren, insbe-
sondere aus der Pharmazie, der Kosmetikindustrie, der
Biotechnologie, Pflanzenzucht und Gartenbau und na-
türlich aus dem Bereich der nichtkommerziellen Grund-
lagenforschung. Auch die Überprüfung der erwarteten
etwa 750 Anträge von Sammlungen zur Aufnahme in das
EU-Register gehört zu dieser Aufgabe.

Aufgrund der Vielzahl von Aufgaben wird für das
Bundesamt für Naturschutz mit zusätzlichem Personal-
bedarf gerechnet. Im Gesetzentwurf spricht das zustän-
dige Ministerium von insgesamt 16 Stellen. Zunächst
einmal sind für das Haushaltsjahr 2016 3 Stellen vorge-
sehen. Wir haben gemeinsam mit den Sozialdemokraten
mit einem Entschließungsantrag darauf hingewirkt, dass
zu gegebener Zeit eine Analyse der Anträge erfolgt, ge-
prüft wird, wie hoch der Antragsberg ist, wie die Abar-
beitung erfolgt. Auf Grundlage dieser Analyse hat ein
Aufwuchs in den Folgejahren beim Personal zu erfolgen.
Für uns als Fraktion gilt: Wir wollen keinen Papiertiger
als Gesetz haben, aber wir wollen auch keine überbor-
dende Bürokratie. Deshalb ist eine ständige Analyse der
Anträge, die dem Bundesamt für Naturschutz vorliegen,
dringend erforderlich. Wir werden als Gesetzgeber auch
in den nächsten Jahren darauf achten, dass das entspre-
chend umgesetzt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Derzeit ist die EU-Kommission dabei, sogenannte
Guidance-Dokumente zu erarbeiten, die eine genauere
Erläuterung von Schlüsselbegriffen regeln sollen. Das
ist, glaube ich, das, was die Kollegin der Linken ange-
sprochen hat. Wir gehen davon aus, dass, wenn diese Do-
kumente vorliegen, durch das Bundesamt entsprechende
praxistaugliche Formen der Veröffentlichung vorgenom-
men werden, damit Rechtssicherheit für alle Beteiligten
geschaffen werden kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mittlerwei-
le haben 62 Staaten das Protokoll ratifiziert, darunter die
Europäische Union und die EU-Mitgliedstaaten Kroati-
en, Dänemark, Ungarn und Spanien. Deutschland wird
nunmehr als fünftes EU-Land die Ratifizierung vorneh-
men. Es zeigt sich wieder, dass wir international ein zu-
verlässiger Partner sind.

Ich glaube aber, dass wir mit der Verabschiedung der
Gesetze am heutigen Tag noch nicht am Ziel angekom-
men sind. Ich hatte heute Vormittag die Möglichkeit,
mit Kollegen aus dem Umweltausschuss ein Gespräch
mit der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen
für die Rechte indigener Völker zu führen. Frau Victoria
Tauli-Corpuz hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass
die Vereinbarung zum Vorteilsausgleich zwischen den
Nationalstaaten nur die eine Seite ist, auf der anderen
Seite muss dafür gesorgt werden, dass die Mittel vor Ort
ankommen. Man muss zukünftig daran arbeiten, dass die
Vorteile aus der Vereinbarung tatsächlich bei den Indi-
genen ankommen und für den Erhalt ihrer Lebensgrund-
lagen genutzt werden können. Deutschland muss in den
verschiedenen Gremien, in denen es vertreten ist, ent-
sprechenden Druck aufbauen.

Ein zweiter Punkt. Leider treten nicht alle Staaten dem
Nagoya-Protokoll bei. Wenn ein so großes Industrieland

Dr. Klaus-Peter Schulze






(A) (C)



(B) (D)


wie die USA sich dem bisher verschließt, dann ist das für
unsere mittelständische Wirtschaft nicht gut; denn sie ist
auf faire Wettbewerbsbedingungen angewiesen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813014900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Steffi Lemke,

Bündnis 90/Die Grünen.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813015000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Worum geht
es bei diesem Nagoya-Protokoll, einem Begriff, der sich
nicht von alleine erschließt? Es geht um globale Ge-
rechtigkeit. Es geht darum, die wirtschaftlichen Vortei-
le auszugleichen, die hauptsächlich Industriestaaten aus
der Nutzung genetischer Ressourcen oder traditionellen
Wissens oft aus Staaten der Erdteile Afrika und Süd-
amerika ziehen, indem dort auf dieser Grundlage Pro-
dukte entwickelt und vermarktet werden. Das Anliegen
des Nagoya-Protokolls, einen Gerechtigkeitsausgleich
zwischen den reichen Industriestaaten und den ärmeren
Staaten bzw. den Menschen, die in diesen Regionen le-
ben, zu schaffen, unterstützen hoffentlich wir alle hier im
Haus unisono. Insofern werden wir dem Gesetzentwurf
zur Ratifizierung des Nagoya-Protokolls heute auch zu-
stimmen. Aber dann ist auch Schluss mit lustig.

Denn: Das, was Sie mit der nationalen Übersetzung
des Nagoya-Protokolls, mit Ihrem Gesetzentwurf heute
hier im Deutschen Bundestag, anrichten, ist das Gegen-
teil von dem, was im Nagoya-Protokoll gefordert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie alle von der Großen Koalition, die Sie hier sitzen,
wissen das auch; denn das haben Ihnen Ihre eigenen
Sachverständigen in der Anhörung des Umweltaus-
schusses so um die Ohren gehauen, dass die Schwarte
kracht. Sie haben Ihnen in der Anhörung des Umwel-
tausschusses nicht gesagt: Da ist irgendwie etwas falsch;
das könnte man besser machen. – Stattdessen haben sie
Ihnen gesagt: Das widerspricht dem Geist, der Intention
des Nagoya-Protokolls ganz grundsätzlich. – Damit wird
Biopiraterie, das heißt die Ausbeutung von Ressourcen in
armen Ländern, eben nicht beendet und nicht reduziert.
Sie als Bundesregierung führen nahtlos die Strategie fort,
die in den letzten Jahren diesbezüglich von einzelnen Fir-
men und Staaten gefahren worden ist.

Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf – genauso wie in
der EU-Verordnung, die mit tatkräftiger deutscher Unter-
stützung zustande gekommen ist – eine doppelte Unter-
teilung vorgenommen. Das heißt, Sie trennen Forschung
und Entwicklung von der Vermarktung von Produkten.
Und dann regeln Sie die Sache so, dass deutsche Phar-
maunternehmen – Herr Göppel, stellen Sie sich vor,
Sie verträten ein deutsches Pharmaunternehmen – nicht
anmelden müssen, wenn sie bei der Forschung und Ent-
wicklung solche genetischen Ressourcen nutzen. Das
kriegt vermutlich keiner mit, weil man es eben nicht
melden muss. Man muss die Nutzung solcher Ressour-

cen erst dann anmelden, wenn das Produkt kurz vor der
Vermarktung steht. Dann wird die Nutzung der Ressour-
cen zwar angemeldet, aber die Vermarktung nicht mehr
sanktioniert. Das heißt, das, was nicht angemeldet wird,
könnte rein theoretisch sanktioniert werden. Man muss
erst einmal darauf kommen, ein völkerrechtliches Ab-
kommen, das jahrelang verhandelt worden ist, auf eine
solche Art und Weise zu unterminieren und ad absurdum
zu führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Damit werden Sie die Vermarktung von illegal erworbe-
nen Ressourcen eben nicht stoppen können.

Es kommt hinzu – Frau Staatssekretärin, deshalb habe
ich bei Ihrer Rede einen Einwurf gemacht –, dass Sie
Forschung aus Privatmitteln und die Forschung aus öf-
fentlichen Mitteln unterschiedlich behandeln. Das heißt,
wenn privat geforscht wird, dann ist das gemäß Ihrem
Gesetzentwurf nicht meldepflichtig; es ist also schlicht-
weg falsch, wie Sie es dargestellt haben. Meldepflichtig
ist nur Forschung aus öffentlichen Mitteln oder wenn
mit Drittmitteln geforscht wird. Aber ein privates Un-
ternehmen, das mit rein privaten Mitteln forscht, muss
die Forschungsaktivität nicht einmal melden. Das ist
das Gegenteil dessen, was im Nagoya-Protokoll in Ar-
tikel 8 Buchstabe a gefordert wird. Dort wird ausdrück-
lich gefordert, dass es „vereinfachte Maßnahmen“ für
die „nicht kommerzielle“ Forschung geben soll, weil es
für unsere Gesellschaft wichtig ist, dass Pflanzen und
genetische Ressourcen zum Nutzen des Gemeinwesens
erforscht werden und dieses Wissen der Allgemeinheit
zur Verfügung gestellt wird. An dieser Stelle führen Sie
zusätzliche Bürokratie ein. Ich bin eigentlich immer für
Stellen im Bundesamt für Naturschutz, aber sie müssen
Sinn machen. Die Stellen, die entstehen sollen, werden
die öffentliche Forschung bürokratischer gestalten; es ist
absurd, was Sie da veranstalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Es gibt einen dritten gravierenden Fehler in Ihrem Ge-
setzentwurf und in der EU-Verordnung; denn eine große
Zahl der genetischen Ressourcen wird dadurch überhaupt
nicht erfasst. Es wird das erfasst, was ab dem Zeitpunkt
des Inkrafttretens des Nagoya-Protokolls bzw. der Um-
setzung auf EU-Ebene und in Deutschland genutzt wird.
Das heißt, all die Ressourcen, die in den letzten Jahren
gesammelt worden sind, die sich in öffentlichen oder
privaten Sammlungen befinden, werden hier überhaupt
nicht erfasst.

Meine Bitte ist – ich will hier ja nicht nur Kritik üben;
wobei das bei diesem Thema wirklich schwierig ist –:
Nehmen Sie die Kritik Ihrer eigenen Sachverständigen
aus der Anhörung im Umweltausschuss ernst. Verhandeln
Sie auf europäischer Ebene nach, damit möglichst bald
eine neue EU-Verordnung auf den Weg gebracht werden
kann. Dann können wir hier über einen Gesetzentwurf
verhandeln, der tatsächlich versucht, das Nagoya-Proto-
koll umzusetzen; was ohnehin schwierig genug ist. Sie
schaden mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf dem
Vorteilsausgleich zwischen armen und reichen Staaten.

Dr. Klaus-Peter Schulze






(A) (C)



(B) (D)


Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813015100

Der Kollege Carsten Träger spricht jetzt für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Carsten Träger (SPD):
Rede ID: ID1813015200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte einen anderen Akzent setzen. Be-
trachte ich die Entwicklung der letzten beiden Jahre,
so scheint mir, dass die Weltgemeinschaft gerade noch
rechtzeitig zur Besinnung kommt. Trotz der aktuellen
internationalen Krisen bleibe ich dabei: Gerade in den
letzten Monaten gelingen im Bereich Klima- und Na-
turschutz beachtliche internationale Erfolge: Der Nach-
haltigkeitsgipfel in New York ist gerade hoffnungsvoll
zu Ende gegangen, für den Klimagipfel in Paris gibt es
positive Aussichten, auch weil der G-7-Gipfel von El-
mau in diesem Sommer schon gute Signale gesetzt hat,
und bereits im letzten Jahr trat das Nagoya-Protokoll in
Kraft, eine zentrale Säule des Übereinkommens über den
Erhalt der biologischen Vielfalt, vom Umfang und vom
Anspruch her das umfassendste internationale Natur-
schutzabkommen.

Die drei großen Ziele des Nagoya-Protokolls wurden
schon genannt: die Erhaltung biologischer Vielfalt, die
nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die gerechte
Aufteilung der Vorteile, die aus der Nutzung genetischer
Ressourcen erzielt werden. Ein Beispiel: Eine seltene
wertvolle Pflanze in einem Land, meist einem Entwick-
lungsland, wird von einem Unternehmen, meist in einem
Industrieland, genutzt, um ein Medikament oder ein
Kosmetikprodukt auf den Markt zu bringen. Weder wur-
de das Herkunftsland um die Zustimmung zur Nutzung
gebeten, noch werden die Gewinne irgendwie mit dem
Herkunftsland geteilt. Das nennen wir Biopiraterie, und
im Nagoya-Protokoll geht es darum, diese zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. KlausPeter Schulze [CDU/CSU] – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bleibt nach Ihrem Gesetzentwurf so!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den Erhalt der
biologischen Vielfalt ist es unerlässlich, dass Entwick-
lungsländer auch wirtschaftlich davon profitieren, Le-
bensräume und Arten zu schützen. Dieser ökonomische
Anreiz wird mit dem Protokoll gesetzt.

Der zweite Aspekt ist auch ganz wichtig: Das schafft
Vertrauen in der Zusammenarbeit zwischen den Indus-
trie- und den Entwicklungsländern. Wir wissen längst,
dass wir zum Beispiel beim Klimaschutz auf eine ver-
trauensvolle Zusammenarbeit mit den Entwicklungslän-
dern angewiesen sind. Aber wie soll das gelingen, wenn
der reiche Norden die ärmsten Staaten ihrer Ressourcen
beraubt?

Deshalb begrüße ich es sehr, dass Deutschland eine
glaubwürdige Vorreiterrolle in der internationalen Natur-
schutzpolitik eingenommen hat, gerade auch mit Blick
auf die mitunter sehr, sehr schwierigen Verhandlungen
zum Nagoya-Protokoll. Wir müssen einfach zur Kenntnis
nehmen, Frau Lemke, dass wir hier über das Ergebnis
eines mehrjährigen, um nicht zu sagen: langjährigen Ver-
handlungsprozesses sprechen, weil die unterschiedlichs-
ten Interessen zum Teil diametral zueinander standen. Ich
selbst durfte bei der letzten Konferenz in Südkorea dabei
sein und kann bestätigen, wie schwierig diese Verhand-
lungen waren und welch hohes Ansehen Deutschland in
diesen Fragen deshalb genießt.

Mit den heutigen Beschlüssen ermöglicht der Bun-
destag den deutschen Beitrag zum Nagoya-Protokoll und
wird damit auch in dieser Hinsicht als einer der ersten
EU-Staaten der internationalen Vorreiterrolle gerecht.
Es wurde schon gesagt: Das Bundesamt für Naturschutz
wird zukünftig kontrollieren, ob in Deutschland die Re-
geln zu Zugang und Vorteilsausgleich in den Herkunfts-
ländern eingehalten werden.

Mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen
haben wir den Sorgen, die in der letzten Woche in der An-
hörung zum Ausdruck gebracht wurden, Rechnung ge-
tragen: Die Stellenausstattung des Bundesamtes für Na-
turschutz wird einer jährlichen Evaluierung unterzogen
und damit sichergestellt. Einige Rechtsbegriffe werden
konkretisiert – das war auch ein großer Vorwurf – und
schnell und praxistauglich veröffentlicht. Auch das Pa-
tentgesetz wird so geändert, dass nachvollzogen werden
kann, ob das biologische Material aus den anderen Län-
dern legal erlangt wurde.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe um Zu-
stimmung zu dem Beitritt zum Nagoya-Protokoll, weil
wir damit ein wichtiges Signal für die internationale Zu-
sammenarbeit setzen und weil wir damit einen nachhalti-
gen Beitrag zum Naturschutz in den Schatzkammern der
Artenvielfalt, in den wirtschaftlich schwachen Regionen
der Erde leisten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813015300

Für die CDU/CSU spricht jetzt unser Kollege Josef

Göppel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1813015400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An

einem Tag, an dem wir die neuen Gesetze für Asylbe-
werber verabschiedet haben, darf man schon sagen: Hier
geht es um Beseitigung und Eindämmung von Fluchtur-
sachen, und zwar weit in die Zukunft hinein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Steffi Lemke






(A) (C)



(B) (D)


Das ist das Erfreuliche und Hoffnungsvolle an der Um-
setzung des Nagoya-Protokolls.

Ich sehe es noch vor mir, wie vor ziemlich genau fünf
Jahren, im Oktober 2010, die Delegierten geradezu er-
leichtert aufgeatmet und stürmisch Beifall gespendet
haben, weil es endlich gelungen war, zu einem Überein-
kommen zu finden, damals, ein Jahr nach dem Desaster
in Kopenhagen in Bezug auf den Klimaschutz.

Dieses Nagoya-Protokoll kommt etwas spröde daher;
das wurde von den Rednerinnen und Rednern vor mir
ganz gut beleuchtet. Ich sehe auch Anlass, drei Punkte zu
markieren, an denen nachgearbeitet werden muss:

Erstens. In der Anhörung hat sogar der Vertreter der
chemischen Industrie gesagt: Wir wissen nicht, wann
die Nutzung beginnt und wann sie endet. Man befürchte
eine Flut von Rechtsstreitigkeiten zulasten der Betriebe,
die umsetzen wollen. In der europäischen Verordnung
fehlt der Bereich der Vermarktung. Im spanischen Um-
setzungsgesetz sind Verwendung und Vermarktung ent-
halten. Auch im französischen Umsetzungsgesetz ist von
Utilisation commerciale die Rede, also der nutzbringen-
den Verwendung. Deswegen denke ich, das muss in den
weiteren Beratungen darüber, wie man das Ganze hand-
habbar macht, noch einmal aufgegriffen werden.

Zweiter Punkt. Es geht um gewaltige kulturelle Unter-
schiede für indigene Völker. Übrigens, heute Abend sind
welche vom Amazonas hier in Berlin; auch dort geht es
um diese Fragen. Für diese Menschen kann etwas, was
der Mutter Erde entnommen wird, niemals Privatbesitz
sein. Deswegen haben sie keinerlei Verhältnis zu dem,
was wir „Patente“ nennen. Es geht also darum, in einem
offenen und durchsichtigen Prozess in den jeweiligen
Ländern ausgiebig und einfühlsam mit den bisherigen
Hütern dieser Schätze zu reden. Sie sehen oftmals ihre
nationale Regierung als Handlanger der Industrie.


(René Röspel [SPD]: Sehr richtig, Josef!)


Damit bin ich beim dritten Punkt. Der Vorteilsaus-
gleich, um den es geht – das hat ja mein Kollege Schulze
sehr klar dargestellt –, geht fast immer an die nationale
Regierung, aber noch lange nicht an die lokalen Gruppen,
die in den jeweiligen Gebieten wohnen und in einer Art
Allmendewirtschaft, in einer allgemeinen Wirtschafts-
weise, über Jahrhunderte mit diesen Stoffen umgegangen
sind und sie auch zum Wohl ihrer Gemeinschaften ver-
wendet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen ist auch an diesem Punkt noch einmal nach-
zuarbeiten.

Trotzdem: Wenn ich ein Resümee ziehe, kann ich sa-
gen, dass wir heute an einem wichtigen Punkt sind, auch
wenn die Anzahl der Abgeordneten, die an diesem Be-
schluss teilnimmt, überschaubar ist. Dennoch ist es ein
Beschluss, der die Welt gerechter macht, der weit in die
Zukunft reicht und der uns auch hilft, in einer positiven
Art und Weise auf die Gemeinschaften und Völker, die
diese Schätze besitzen, zuzugehen – so wie das Bild
Deutschlands seit kurzem ja auch durch sein Verhalten
gegenüber Flüchtlingen geprägt wird.

Ich sage nochmals – ich kehre zum Anfang zurück –:
Hier geht es darum, durch einen gerechten Vorteilsaus-
gleich für Lebens- und Entwicklungschancen in diesen
Ländern zu sorgen, damit dort die eigene, gewachsene
Kultur auch im 21. Jahrhundert eine Zukunft hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813015500

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der

Kollege René Röspel für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1813015600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Wenn man nach den guten Worten von Josef Göppel
als Umwelt- oder, wie ich, als Forschungspolitiker hier
steht, hat man manchmal den Eindruck, in anderen Be-
reichen unserer Gesellschaft herrsche die Meinung vor,
die Art Homo sapiens sei die einzige, die auf der Welt
bedeutend ist, und es sei gar nicht so schlimm, wenn je-
den Tag viele Arten diesen Planeten unwiederbringlich
verlassen, meistens aufgrund menschlichen Handelns.
Deswegen ist es richtig, an die Bedeutung von Artenviel-
falt und Biodiversität anzuknüpfen.

Albert Einstein wird ein Zitat zugeschrieben; es klingt
ein bisschen dramatisch, macht aber vielleicht etwas
deutlicher, wie wichtig andere Arten sind und wie ab-
hängig der Mensch von anderen Arten ist. Er soll irgend-
wann einmal gesagt haben: Wenn die Biene unsere Erde
verlässt, hat der Mensch noch vier Jahre zu leben. – Das
ist vielleicht ein bisschen sehr dramatisch, zeigt aber die
Zusammenhänge zwischen den Arten und die Bedeutung
der Artenvielfalt auf unserem Planeten.

Es ist nicht nur so, dass der Mensch von genetischer
Vielfalt abhängig ist. Vielmehr sind Biodiversität und
Artenvielfalt, wie hier heute schon häufig erwähnt wur-
de, auch ein großer Schatz, den die Menschheit hat. Als
Forschungspolitiker muss ich natürlich das Beispiel nen-
nen, das vor einigen Wochen in allen Medien war: Der
diesjährige Nobelpreis für Medizin ist an die Forscher
Tu Youyou, Campbell und Omura gegangen. Sie haben
sich Pflanzen und eine Vielzahl von Bakterien, also na-
türlich vorkommende Arten, angeschaut und sie auf
Wirkstoffe untersucht. Es ist ihnen gelungen, Wirkstof-
fe zu isolieren, die seit vielen Jahren gegen Malaria und
Wurmkrankheiten eingesetzt werden können und vielen
Millionen Menschen das Leben retten oder erleichtern.

Dieser Zugang zur Forschung und zu genetischen
Ressourcen muss offen sein, und es ist wichtig – das re-
gelt das Nagoya-Protokoll glücklicherweise –, dass der
Nutzen solcher Forschung und solcher Erkenntnisse fair
verteilt wird. Du hast in gute Worte gefasst, Josef, dass
man auch Respekt gerade vor den indigenen Völkern ha-
ben muss, die dieses Wissen und diese Ressourcen ha-

Josef Göppel






(A) (C)



(B) (D)


ben, dass man gut mit ihnen umzugehen hat und nicht zu
deren Nachteil handeln darf.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Dass dieser Schatz bewahrt werden muss, ist richtig, und
das Nagoya-Protokoll ist hier ein wegweisender Schritt.

Als Forschungspolitiker darf ich trotzdem eine Kritik
bzw. eine Besorgnis ausdrücken, die der Umweltaus-
schuss durch die Mitglieder der Koalitionsfraktionen in
einer Entschließung glücklicherweise aufgegriffen hat:

Seit langen Jahren bearbeiten naturkundliche Samm-
lungen und die Wissenschaft in Deutschland Hundert-
tausende genetische und biologische Objekte jedes Jahr
neu, und die Umsetzung des Nagoya-Protokolls führt
dazu, dass der Erfüllungsaufwand bei diesem Verfahren
groß sein wird. Damit wir das Nagoya-Protokoll gut um-
setzen können, brauchen die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler also eine gute Unterstützung. Ich sage
das ausdrücklich: Das Bundesamt für Naturschutz wird
für die Genehmigung zuständig sein, aber wir dürfen die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht alleine
lassen, sondern müssen sie durch Beratung und Koordi-
nierung unterstützen.

Das setzt voraus – und das ist nicht nur meine Bit-
te, sondern meine Aufforderung an die Bundesregierung
und gerade auch an das zuständige Bundesministerium
für Bildung und Forschung –, dass in den nächsten Mo-
naten und Jahren wirklich darauf geachtet wird, dass die
Forschung nicht durch Bürokratie belastet wird, wenn
es nicht sein muss, sondern dass notfalls für eine Über-
gangszeit auch zusätzliche Personalstellen geschaffen
werden, damit das Nagoya-Protokoll zum Frieden der
Forscher umgesetzt werden kann. Das sollte uns dieser
Schatz der Menschheit wert sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813015700

Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Geset-
zes zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Na-
goya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung

(EU) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgeset-

zes.

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6384,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/5321 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen

der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/6394. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Dieser Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die
Grünen ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zu dem Protokoll von Nagoya über den Zugang zu gene-
tischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte
Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenen Vorteile
zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt. Der
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlus-
sempfehlung auf der Drucksache 18/6384, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5219
anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
ist dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
des gesamten Hohen Hauses angenommen.

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand.
Der Gesetzentwurf ist mit allen Stimmen des Hohen
Hauses angenommen.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss auf Drucksache 18/6384, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer für diese Beschlussemp-
fehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Diese Beschlus-
sempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen. Damit haben wir auch
diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen.

Ich rufe hiermit die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun
Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE sowie der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, wei-

René Röspel






(A) (C)



(B) (D)


terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Milchmarkt stabilisieren – Milchkrise been-
den

Drucksache 18/6206
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Auslaufen der Milchquote – Wettbewerbs-
fähigkeit der Milchviehhalter sichern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Landwirtschaft braucht flächendeckende
Milchviehhaltung – Bäuerliche Milcher-
zeuger stärken – Milchpreise stabilisieren

Drucksachen 18/4424, 18/4330, 18/5601

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die diesem
Tagesordnungspunkt durch Beratung besonders verbun-
den sind, Platz zu nehmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Einen Wider-
spruch höre ich nicht. Dann ist das somit beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin erteile
ich das Wort der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813015800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Gäste! Heute legen die Linken und die Grünen einen
gemeinsamen Antrag vor. Das ist sehr ungewöhnlich,
aber die Lage in vielen Milchvieherzeugerbetrieben ist
dramatisch, weil sie seit Monaten für ihre Produkte nur
noch ein Handgeld bekommen. Ich finde, da ist es mehr
als angemessen, Trennendes beiseitezuschieben und ge-
meinsam zu handeln.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich danke Kollegen Friedrich Ostendorff ausdrücklich
für die sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit, die diesen
Antrag ermöglicht hat.

Wir müssen in der Milchpolitik endlich die Weichen
richtig stellen. Immer mehr Betriebe steigen aus der
Milchproduktion aus, meistens schweren Herzens. Das
sind längst nicht nur Betriebe, die schlecht gemanagt
werden. Als ich 2005 neu in den Bundestag einzog, lagen

wir noch über der Schallmauer von 100 000 Milchvieh-
betrieben.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Wir erleben jetzt den dritten Preisabsturz seit 2009. Je-
der vierte Betrieb hat unterdessen die Milchproduktion
aufgegeben. Die 75 000 Überlebenden stehen bereits am
Abgrund. Ich verstehe sehr gut, dass sie ihre Not und
Verzweiflung auf die Straße getragen haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unionskollege de Vries meinte einmal, wer nicht für
32 Cent melken könne, der solle es lassen. – Mag sein.
Aber seit Monaten ist der Milchpreis im Tiefflug Rich-
tung 20 Cent. Statt guten Lohns für gute Arbeit haben
die Betriebe durchschnittlich 23 000 Euro Schulden pro
Hektar angehäuft. Das kann uns doch nicht gleichgültig
sein.

Aber nicht nur kleine Familienbetriebe können Milch
nicht unter 30 Cent pro Liter produzieren. Die Krise trifft
auch Betriebe, die investiert haben. Ja, sie haben häu-
fig, weil sie der Ankündigung des Paradieses nach dem
Wegfall der Quote geglaubt haben, in noch mehr Milch
investiert, aber auch in bessere Lebensbedingungen für
die Tiere im Stall und in bessere Arbeits- und Lebens-
bedingungen für die Menschen, die sie betreuen. Diesen
Betrieben sitzen jetzt die Banken im Nacken.

Und was kommt als Alternative aus Brüssel? Wieder
ein Milchpaket mit weiteren 69 Millionen Euro für Li-
quiditätshilfen in Deutschland. Aber das ist wieder nur
ein Sterbegeld, das letzten Endes in fremden Taschen und
vor allem bei den Banken landet.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Statt Ursachen zu bekämpfen, bleibt es wieder nur bei
einem Tropfen Milch auf den heißen Stein. So geht das
doch nicht.

Viele Betriebe wollen gar nicht mehr Geld aus Brüs-
sel. Sie fordern faire Bezahlung für ihre schwere Arbeit,
und zwar, wie ich finde, völlig zu Recht.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seien wir doch ehrlich: Wer heutzutage Milch produziert,
muss schon positiv bekloppt sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sollten einmal die Plenarsitzungen für den Rest des
Jahres morgens um 3 Uhr beginnen und auf sonnabends
und sonntags ausweiten. Dann ahnen wir vielleicht, wie
viel Lebensqualität dann noch übrig bleibt.

Am meisten ärgert mich aber, dass mit Milch durchaus
Geld verdient wird. Supermärkte und Großmolkereien
machen satte Gewinne auf Kosten der Milchproduzen-

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


ten. Ich finde, hier kann sich die Politik nicht mehr he-
raushalten.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wir brauchen ein radikales Umdenken, damit
sich wirklich etwas ändert. Das ist eine Herausforderung,
vor allem für die Union. Ich war selbst einmal in einer
Partei, die geglaubt hat, immer recht zu haben. Ich weiß,
wie schmerzhaft es ist, sich davon zu lösen. Ich weiß aber
auch, wie heilsam und vor allem wie nötig das ist. Denn
für viele Betriebe ist die Milchstraße längst zur Sackgas-
se geworden.

Es macht doch keinen Sinn, immer mehr Milch zu pro-
duzieren, die nicht gebraucht wird. Auch in einer globa-
lisierten Welt wartet längst niemand mehr darauf, unsere
Milchseen und Butterberge zu kaufen. Ich finde es auch,
ehrlich gesagt, zynisch, unsere überflüssigen Lebensmit-
tel auf Drittmärkten quasi zu entsorgen. Wir können doch
die Landwirtschaft vor Ort nicht auch noch die Zeche für
unseren Wachstumswahn zahlen lassen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was schlagen Linke und Grüne gemeinsam vor? Zum
Beispiel ein neues System zur Anpassung der Milchmen-
ge an die Nachfrage. Nein, das ist keine Milchquote 2.0,
sondern es ist die Korrektur der Fehler des alten Systems.
Denn es war eben nicht an der Nachfrage orientiert. Die
Betriebe mussten die Quote teuer bezahlen, und der Bör-
senhandel hat sie oft weiter verteuert.

Zu diesen Instrumenten der Vergangenheit wollen
wir nicht zurück. Aber es macht doch Sinn, in Zeiten
der Überproduktion den Betrieben einen Ausgleich zu
zahlen, die freiwillig ihre Milchmenge reduzieren. Was
spricht denn dagegen, wenn Milcherzeugerinnen und
-erzeuger gemeinsam mit Molkereien, Wissenschaft und
Verbraucherverbänden die Milchmenge aushandeln?
Beim Wein akzeptiert doch selbst die Union eine Men-
genregulierung. Aber bei der Milch sieht sie tatenlos zu,
wie der Markt die Betriebe enteignet. Ich finde das wirk-
lich zynisch.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann auch von den Biobetrieben lernen, die näm-
lich erstmals nicht von der Krise betroffen sind. Viel-
leicht liegt das daran, dass bei Biomilch das Angebot
kleiner ist als die Nachfrage und ihre Verarbeitung und
Vermarktung stärker regional orientiert sind.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Richtig! – Zuruf von der SPD: Und der Preis anständig ist!)


Gunnar Hemme hat uns in der Ausschussanhörung
erklärt, dass man bei regionaler Verarbeitung und Ver-
marktung auch konventionell erzeugte Milch in Bran-
denburg fair bezahlen kann. Also müssen wir Handel und
Verarbeitung für faire Milchpreise in die Pflicht nehmen.
Zum Beispiel sollen durchschnittliche Erzeugungskosten
als Mindestbasispreis für Vertragsverhandlungen mit den
Molkereien vorgeschrieben werden. Um die Marktüber-

macht von Supermärkten und Molkereien zu beseitigen,
muss endlich das Kartell- und Wettbewerbsrecht gestärkt
werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hoffe auf eine offene, aber auch sehr ernsthafte
Diskussion. Ich finde, die Milcherzeugerinnen und -er-
zeuger haben das verdient.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813015900

Für die Bundesregierung hat jetzt Bundesminister

Christian Schmidt das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Milch ist im Augenblick billig. Sie ist zu bil-
lig. Unsere hochwertigen Lebensmittel sind einen besse-
ren Preis wert. Von der guten Milch werden Verbraucher
satt. Es müssen aber auch die Milcherzeuger satt wer-
den können. Wir alle wissen, dass bei diesen Preisen –
das gilt übrigens nicht nur für Milch, sondern auch für
Schweinefleisch – und durch Trockenheit Bauern in wirt-
schaftliche Schieflage geraten können und geraten sind.
Das ist nicht gut.

Landwirte, auch mit mittleren und kleinen Betrieben,
brauchen gute Perspektiven. Deswegen ergreifen wir so-
wohl kurz- als auch mittelfristig Maßnahmen, um den
Markt und die Einkommen zu stabilisieren.

Jetzt geht es allerdings vor allem um die Linderung
der akuten Probleme. Deswegen stellen wir den Land-
wirten kurzfristige Liquiditätshilfen zur Verfügung. Ich
würde gar nicht darüber reden und fragen, ob man das
mag oder nicht – man braucht es. Deswegen soll das sehr
schnell umgesetzt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich darf bei der Gelegenheit sagen: Wenn wir Bilanz
ziehen, dann müssen wir feststellen, dass die Flexibilität
bei den Direktzahlungen, die im Rahmen der Agrarpo-
litik an die Milcherzeuger gehen und die einen Teil des
Einkommens darstellen, zu wünschen übrig lässt. Ja, wir
sind dieses Jahr spät dran. Das ist deswegen so, weil sich
die neue Agrarpolitik mit Greening, Junglandwirteprä-
mie und anderen neuen Elementen erst einpendeln muss.

Ich wäre bereit gewesen, die Direktzahlungen aus
Mitteln des Bundeshaushaltes vorzeitig zu finanzieren.
Wenn ich aber erlebe, dass alle 16 Bundesländer, die da-
für die Verantwortung tragen, die weiße Fahne hissen und
mir sagen, dass sie administrativ nicht in der Lage sind,
den Tanker Direktzahlungen auf einen schnelleren Kurs
zu bringen bzw. den Kurs zu korrigieren, dann haben wir,

Dr. Kirsten Tackmann






(A) (C)



(B) (D)


meine Damen und Herren, auch hier eine Baustelle bzw.
ein Problem, das weit über die Milch hinausgeht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen uns die Strukturen der bürokratisierten
europäischen Agrarpolitik ernsthaft und schnell vorneh-
men. So kann das nicht weitergehen.


(Beifall des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD])


Mittel- und langfristig müssen die Strukturen anpas-
sungsfähiger werden. Manches muss ausgebaut werden –
auch die Exportförderung, zu der ich noch kommen wer-
de.

In Brüssel wurde, was die Soforthilfe angeht, über
500 Millionen Euro verhandelt. Die Kommission hat
sie aufgeteilt. Der Anteil von 70 Millionen Euro für un-
ser Land ist der größte. Das ist von Bedeutung für die
Direkthilfe. Ich habe ein Modell vorgestellt, wie diese
70 Millionen Euro so schnell wie möglich bei den Land-
wirten ankommen können. Dabei ging es mir darum,
die größtmögliche und schnellstmögliche Wirkung zu
erzielen. Landwirte, die von ihrer Hausbank bereits ein
Liquiditätshilfedarlehen erhalten haben, bekommen dazu
einen direkten Zuschuss von der Bundesanstalt für Land-
wirtschaft und Ernährung. Das ist die Liquiditätshilfe,
Geld, das direkt bei den Bauern ankommt. Das Darlehen
muss unter dem normalen Satz verzinst werden – es müs-
sen 1 bis 1,5 Prozent weniger sein –, es muss im ersten
Jahr tilgungsfrei sein, und es wird eine Laufzeit von vier
bis sechs Jahren haben.

Dieses Angebot – ein ähnliches Modell hat die Land-
wirtschaftliche Rentenbank bereits seit Juli für die „Su-
perabgabe“ laufen – wird dann durch konkretes Cash in
Form der Liquiditätshilfe noch befördert und beschleu-
nigt, sodass de facto eine Regelung vorhanden ist, die
dazu führt, dass die Konteninhaber, auf deren Konten
gegenwärtig rote Zahlen sind, jedenfalls für die nächste
Zeit wieder flüssig werden können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich ist mir klar, dass das die Probleme nicht löst.
Aber wer schnell hilft, hilft doppelt. Und dann lasst uns
weitersehen, was wir noch tun müssen.

Ich will darauf hinweisen, dass wir den delegierten
Rechtsakt der Europäischen Union noch in dieser Woche
erwarten. Dann werde ich sofort die Eilverordnung auf
den Weg bringen, sodass alles, was die Antragstellung
betrifft, noch im Laufe dieses Jahres über die Bühne ge-
hen kann.

Durch die Kopplung unserer Zuschüsse an die Dar-
lehen stellen wir auch sicher, dass das Geld tatsächlich
ankommt. Die Sorge, dass die Banken besonders viel
verdienen, ist damit unberechtigt.

Wir schaffen Marktentlastung durch ein neues, at-
traktives Programm der privaten Lagerhaltung für Milch
und Käse – diese wurde, was Magermilchpulver betrifft,
bereits stark in Anspruch genommen – sowie ein verbes-
sertes und praktikables Programm der privaten Lagerhal-
tung für Schweinefleisch, wenngleich ich nicht verheh-

len will, dass das Beispiel der privaten Lagerhaltung für
Schweinefleisch zeigt, dass man mit privater Lagerhal-
tung, wenn sie nicht klug angelegt ist, Probleme allen-
falls in die Zukunft verschiebt, sie aber nicht löst.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Genau das ist es! Nicht mehr und nicht weniger!)


Wir müssen aber auch die Fragen stellen: Was macht
die Landwirtschaft zukunftsfähig? Wie schaffen wir an-
passungsfähige Strukturen? Was sichert unseren Milch-
bauern in Zukunft ein gutes Auskommen? Natürlich ist
es gut, zu wissen, dass die EU-Marktbeobachter davon
ausgehen, dass sich der Milchpreis in den nächsten Jah-
ren bei 35 Cent einpendeln wird; das ist die Grundlage.
Aber auch dann wird es Ausschläge nach oben und unten
geben. Natürlich sind wir gespannt-optimistisch, dass die
Entwicklung der – jedenfalls bei den Produkten – wieder
anziehenden Preise mit einem gewissen Verzug auf die
Rohmilchpreise – so sind unsere Hoffnungen und Erwar-
tungen – übergeht. Aber das löst natürlich das Problem
nicht. Wir wollen daher die Ausschläge mit marktgeeig-
neten Mitteln abfedern. Wir brauchen einige Grundlagen
dafür: erstens eine hohe Qualität und Regionalität unse-
rer Produkte, zweitens vorausschauende Marktbeobach-
tung und ein Sicherheitsnetz und drittens weltweite Wett-
bewerbsfähigkeit. Die Milchquote ist Vergangenheit,
und das ist gut so. Das soll auch so bleiben. Ich kenne
niemanden, der in Wahrheit der Milchquote eine Träne
nachweint.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])


Mein Dank gilt bei der Anpassung vor allem den
Landwirtinnen und Landwirten sowie denjenigen, die
den Weg und den Übergang – weg von der Milchquote,
hin zu einem neuen Regime, das nun schon seit einigen
Jahren besteht – vorbereitet und aktiv mitgestaltet haben.
Auch von Verbandsseite wurde dieser Weg – Dank an
den Deutschen Bauernverband – sehr gut begleitet und
unterstützt.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Weg an den Rand des Abgrunds!)


Ich bin überzeugt: Die Marktorientierung wird den
Milchmarkt langfristig stabilisieren;


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht passiert aber das Gegenteil!)


denn mit unserer jetzigen Situation eines geringen Au-
ßenschutzes lassen sich die Milchmenge und der Milch-
preis nicht vom Weltmarkt entkoppeln. All die Roman-
tiker, die sagen: „Lasst uns doch ohne Außenschutz so
etwas versuchen“ – als ob wir unseren eigenen Markt
alleine regieren könnten –, weise ich auf das hin, was die
Kollegin Tackmann im Hinblick auf die Subventionie-
rung von Exporten gesagt hat. Die sogenannten Export-
erstattungen sind Gift für die Länder der Dritten Welt. Ich
will und werde sie nicht akzeptieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜND Bundesminister Christian Schmidt NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir exportieren das doch dahin!)





(A) (C)


(B) (D)


Ich will, dass dorthin exportiert wird, wo zahlungskräf-
tige Kunden sind. Dass es zahlungskräftige Kunden zum
Beispiel in den USA und China gibt, ist doch nicht von
der Hand zu weisen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will keine Verwischung der Fragen.

Die Wertschöpfungskette muss sich organisieren.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813016000

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Bulling-Schröter?

Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Mit Interesse, Frau Kollegin Bulling-Schröter.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813016100

Danke schön, Herr Minister. – Ich möchte Sie Folgen-

des fragen: Ich habe in einem Zeitungsartikel gelesen,
dass die USA Zölle auf Butterprodukte aus der EU ver-
hängen. Der Hintergrund ist, dass nach Auffassung der
USA alles zu billig ist und dass die USA beispielswei-
se Milch- und Joghurtprodukte selber herstellen wollen.
Wie stehen Sie denn dazu?

Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Vielen Dank, Frau Kollegin.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sind Sie für TTIP, oder?)


Ich habe den Artikel nicht gelesen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten aber so was lesen als Landwirtschaftsminister!)


Wenn es sich aber so, wie Sie sagen, verhält, dann ist das
die beste Vorlage dafür, dass wir TTIP brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die EU wird eine High-Level Group einrichten, die
sich mit Marktmodellen, aber auch mit Ideen zu Risiko-
management und Sicherungsfonds befasst. Dort bestehen
keine Denkverbote. Jede Idee muss aber wirklich weiter-
helfen.

Danke, dass Sie sagen: Die Partei hat immer recht.
Der alte SED-Slogan würde nicht mehr funktionieren.
Ich will aber auch allen Verbänden und allen, die auf die-
sem Gebiet unterwegs sind, sagen: Es gibt keinen, der
immer recht hat. Deswegen bin ich bereit, darüber zu
reden. Aber jeder muss schon den Nachweis erbringen,
dass seine Idee auch wirklich greift.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das habe ich bei der Mengensteuerung bisher noch nir-
gendwo gesehen. Wer ehrlich zu sich selbst ist und wis-
senschaftliche Bewertungen liest, der kann zu keinem
anderen Ergebnis kommen.

Wir müssen über viele Fragen reden, beispielsweise
über Steuerungsmechanismen bei Preisanpassungen,
über Versicherungsmodelle und die Frage, ob wir mit
Fondslösungen abfedern können, und wir müssen über
das Kartellrecht reden. Ich habe in Kürze mit dem Prä-
sidenten des Bundeskartellamtes ein Gespräch auch über
das Thema „Verkauf unter Einstandspreis“. Das ist ein
Thema, das wir uns natürlich anschauen müssen. Wir
werden darüber auch auf europäischer Ebene offen re-
den.

Ein letzter Punkt: Export. Der Export in die rich-
tige Richtung ist wichtig. Wer ihn nicht will, der muss
sagen, dass dann die Hälfte unserer Landwirte die Be-
triebe schließen müsste. Das will ich nicht, sondern ich
will einen fairen und vernünftigen freien Handel haben.
Deswegen werde ich die Mittel für das Auslandsmesse-
programm erhöhen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein allerletztes Wort noch: Wir haben heute früh das
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz verabschiedet und
darüber debattiert – in der Regierungserklärung hat die
Kanzlerin das dargelegt –, wie wir daran arbeiten müs-
sen, dass nicht so viele Menschen sich auf den Weg zu
uns machen. Die Menschen kommen zu uns aus Flücht-
lingslagern, in denen sie – Gott sei’s geklagt – deswe-
gen leben müssen, weil sie aus ihren Häusern gebombt
wurden. Wenn wir, die internationale Gemeinschaft, die
wir über Überfluss reden, nicht in der Lage sind, sicher-
zustellen, dass die Milch zu den Menschen kommt und
nicht die Menschen zur Milch, dann haben wir versagt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Milch nach Syrien, oder was heißt das jetzt? Mann, Mann, Mann!)


Deshalb werden mein Kollege Gerd Müller und ich
ein nationales Programm auflegen und uns darum küm-
mern, dass die Mütter und ihre Kinder, die im Libanon
oder woanders in den Flüchtlingslagern sind, etwas be-
kommen. Das ist ein richtiges Verständnis von sozialem
Marktgeschehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813016200

Der Kollege Friedrich Ostendorff spricht jetzt für

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schönen
Dank zurück an Kirsten Tackmann für die geleistete ge-
meinsame Arbeit. Ja, es war gut, dass wir das auf die Rei-
se gebracht haben. Wir haben gerade eindrücklich erlebt,

Bundesminister Christian Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


warum es gut war, dass wir unsererseits ein deutliches
Signal an unsere Milchviehbetriebe gesendet haben.

Herr Minister Schmidt, Sie und viele aus Ihren Reihen
haben uns Milchbauern noch vor einem halben Jahr das
Blaue vom Himmel versprochen: Die Zukunft liegt im
Export, die Zukunft liegt auf dem Weltmarkt, die lang-
fristigen Aussichten sind bestens, die Welt wartet auf un-
sere Milch, sie braucht unsere Milch. – Mit der Realität
hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das mag bei Kees de Vries nicht angekommen sein.
Er hat vieles versprochen, zum Beispiel 32 Cent für die
Milch. Wer bei dem Preis nicht wirtschaften könne, sol-
le Beamter werden. Solche Dinge hörten wir von ihm.
Gut, das hat sich alles als Märchenstunde erwiesen. Die
Realität ist leider hart. Sie von der Union, oftmals auch
vom Bauernverband, haben durch Ihr ständiges Wachs-
tumsmantra die Milchviehbetriebe bis an den Rand des
Abgrunds geführt. Gewachsen sind in den letzten Jahren
doch nur die Milchpulvertürme der Exportmolkereien,
geförderte Milchpulvertürme, die uns heute gehörig um
die Ohren fliegen.

Milchpulver als deutsches Premiumprodukt für die
Versorgung der Welt, demnächst dann auch noch über
Syrien abgeworfen – Sie können nicht verhehlen, dass
Sie sehr lange im Verteidigungsbereich waren; ich hoffe,
dass wir dann ein Transportflugzeug haben, das das alles
leisten kann –, Milchpulver als bestmögliche Wertschöp-
fung für unsere Betriebe, das ist doch völlig absurd, Herr
Minister.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Botschaft glaubt Ihnen, Herr Minister, doch drau-
ßen kein Mensch mehr. Für 25 Cent kann kein Betrieb
melken, keiner in Deutschland,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


vor allem nicht die Betriebe, die Sie so hoch gelobt ha-
ben, die Wachstumsbetriebe, die resilient und für die Zu-
kunft gut aufgestellt seien. So waren Ihre Worte. Gerade
diese Betriebe hat es ganz heftig erwischt.

Die Anzahl der Milchbetriebe ist in den letzten zehn
Jahren um ein Drittel gesunken und hat in den letzten
sechs Monaten vor dem Wegfall der Milchquote um
2,2 Prozent auf unter 75 000 abgenommen. Das, meine
Damen und Herren von der Union, das, Herr Agrarmi-
nister Schmidt, ist der Erfolg Ihrer Politik. Wo ist denn,
Herr Minister Schmidt, die versprochene rosige Zukunft
für die Milchviehbetriebe? Wo sind denn die Zukunfts-
märkte, die Sie versprochen haben? Chinas Importe an
Milchpulver sind von Januar bis Mai dieses Jahres um
54 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen. Ich
sehe da keine großen Märkte. Sie müssen mir erklären,
wie das als Zukunftsabsatzmarkt deklariert werden kann.

Allein Indien hat in den letzten fünf Jahren – auch das
muss man zur Kenntnis nehmen – seine Erzeugung um
25 Prozent gesteigert. Auch da gibt es inzwischen eigene

Bemühungen, die sehr erfolgversprechend sind. Sicher,
es bleiben ja noch so demokratische Freunde – für die
CSU ist das wahrscheinlich nicht so schwierig – wie Sau-
di-Arabien, Iran und Ägypten. Der Absatz unserer Butter
dort hat sich tatsächlich etwas gesteigert; das ist richtig.
Aber meinen Sie wirklich, unseren Milchviehbetrieben
verkaufen zu können, dass dies der sichere Hafen der
Zukunft ist, auf dem man Existenzen gründen kann, auf
dem man die Zukunft aufbauen kann? Diese Heilsver-
sprechen glaubt Ihnen keiner mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wie sonst, Herr Minister Schmidt, sind die anhalten-
den Proteste zu erklären, zu denen es kommt, wann im-
mer Sie irgendwo im Land auftauchen? Diese Proteste
entstehen, egal wo Sie hinfahren, ob nach Brüssel, nach
Fulda, nach München oder am vergangenen Samstag zur
Anuga in Köln. Die Milchbauern und -bäuerinnen be-
zeugen ihre Wut. Sie sind vor Ort. Sie kämpfen gegen
Ihre Politik. Das hat zumindest immerhin dazu geführt,
wie wir heute hörten, dass Ihr Personenschutz deutlich
verstärkt worden ist. Man hat Angst vor den wild gewor-
denen Milchbauern.

Ihre heilige Dreifaltigkeit aus Union, Bauernverband
und Agrarindustrie hat ausgedient, Herr Minister.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bis heute haben Sie nämlich keinerlei Vorschläge zur
Lösung der Probleme vorgelegt. Warum haben Sie denn
auf den Bericht des Bundeskartellamtes zur Situation auf
dem Milchmarkt nicht reagiert? Jetzt wollen Sie darüber
sprechen. 2012 war es an der Zeit, über die Machtlosig-
keit der Milcherzeuger zu reden. Ja, Sie vertreten natür-
lich einseitig nur die Interessen der Molkereien.

Überproduktion muss eingedämmt werden; das ist die
Aufgabe der Stunde, nichts anderes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir haben zu viel Milch. Der Milchüberschuss in der
Welt beträgt 10 Millionen Tonnen; das kann jeder nach-
lesen. Genau seit 2010 werden in Europa 10 Millionen
Tonnen mehr erzeugt. Jeder kann doch erklären, dass das
eindeutig zu viel ist.

Ihre Politik führt dazu, dass insbesondere die Wachs-
tumsbetriebe schließen müssen. Wir stehen vor einem
Strukturbruch mit volkswirtschaftlichen Verlusten in
Milliardenhöhe. Da helfen keine freiwilligen Verbind-
lichkeiten, Herr Minister, die Sie ja so gerne jeden Tag,
fast jede Stunde verkünden. Besonders schlimm: Die
Milch wandert aus den benachteiligten Grünlandgebieten
ab, wo sie hingehört; dort hat sie oft eine hohe Bedeutung
für die Erhaltung der Arten. Wir brauchen endlich ein
Krisenmanagement, das die Menge an den europäischen
Bedarf anpasst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, der Milchmarkt kann nur
mit einer nachfrageorientierten Produktion funktionie-

Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


ren. Herr Minister Schmidt, wir fordern Sie zum x-ten
Mal auf – diesmal beide Fraktionen der Opposition ge-
meinsam –: Folgen Sie doch endlich den Empfehlungen
der Länderagrarministerkonferenz. Setzen Sie sich end-
lich für ein Krisenmanagement, für eine flexible Ange-
botsregulierung, national und europäisch, ein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nutzen Sie die Möglichkeiten für eine Marktregulierung,
indem Sie die Auszahlung konditioniert an eine Men-
genreduzierung binden. Stärken Sie die Marktmacht der
Milcherzeuger durch die Abschaffung der Andienungs-
pflicht –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813016300

Herr Kollege Ostendorff, gestatten Sie noch eine Zwi-

schenfrage?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– lassen Sie mich diesen Gedanken gerade noch zu Ende
bringen, dann gerne –, durch Verbesserungen im Wett-
bewerbsrecht und eine Stärkung der Erzeugerbündelung.
Helfen Sie den Milchviehbetrieben, die auf Grünland, oft
in benachteiligten Regionen, produzieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


Milchbäuerinnen und Milchbauern haben nicht mehr
die Zeit, darauf zu warten, dass dieser Minister endlich
einen Weg findet, ohne Gesichtsverlust zur Vernunft zu
kommen. Vielleicht will der Minister es aber auch gar
nicht.

Jetzt bitte Ihre Zwischenfrage.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813016400

Jetzt erteilt der Präsident dem Kollegen Franz-Josef

Holzenkamp das Wort zu einer Zwischenfrage.


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1813016500

Herr Präsident, ich habe auch bewusst so lange ge-

wartet, bis Sie mir das Wort erteilen. – Herr Kollege
Ostendorff, ich möchte zunächst bemerken, dass wir –
ich glaube, da sind wir uns alle einig; das wissen wir
auch von unserer gemeinsamen Ausschussarbeit – uns
alle um die Milchviehbetriebe wirklich sorgen und dass
wir alle um richtige, um bessere Wege für die landwirt-
schaftlichen Betriebe streiten. Im Übrigen geht es den
Schweinehaltern, insbesondere den Sauenhaltern, schon
seit längerer Zeit nicht viel besser.

Aber ich möchte die Frage stellen: Wie wollen Sie die
Außengrenzen absichern? Denn das muss ja Vorausset-
zung sein, um innerhalb von Europa ein eigenes, unab-
hängiges, hohes Preisniveau zu halten. Wie wollen Sie
die Außengrenzen sichern, und wer soll das dann eventu-
ell bezahlen? Wer soll die Kosten für die Kompensation
tragen?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie Sie wissen, Kollege Holzenkamp, bewegen wir
uns europäisch. Die Befürchtung, dass dann sofort von
außerhalb Europas Milchmengen in die Europäische
Union fließen, die unsere Freigaben besetzen würden,
habe ich nicht. Das mag uns unterscheiden. Sie mögen
dann bitte erklären, was Sie erwarten, wann Indien den
Markt hier überschwemmt. Ich glaube, in Indien ist im
Moment noch Luft für die eigene Versorgung. Auch der
chinesische Milchbauer wird noch nicht in der Lage sein,
den Gang nach Bayern anzutreten. Ich sehe diese Gefahr
nicht.

Europa ist in der Lage, die Milchmenge mit seiner
Stärke nachfrageorientiert zu regulieren, wie ich es ge-
sagt habe. Das ist die Lösung; anders wird es nicht gehen.

Sie sehen es doch an den Zahlen: 730 Millionen Ton-
nen Erzeugung in der Welt, 720 Millionen Tonnen Ver-
brauch. Seit 2010 – ich habe es gesagt – gab es eine Stei-
gerung um 10 Millionen Tonnen, und zwar in Europa.
Sonst hat niemand gesteigert, auch die USA kaum. Die-
se 10 Millionen Tonnen, die Europa seit 2010 zugelegt
hat – auch Deutschland hat leider erheblich zugelegt –,
machen jetzt den Preis kaputt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darauf mögen Sie dann bitte noch eine Antwort geben.
Das können wir hier leider nicht machen, das müssen wir
gleich bilateral klären.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813016600

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wilhelm

Priesmeier für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1813016700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man so zu-
hört, dann glaubt man, Friedrich Ostendorff und die Kol-
legin Tackmann haben den Stein der Weisen gefunden,
wie man zu einer neuen Marktwirtschaft kommt.

Eins ist doch klar: Wenn wir mit den Beschlüssen von
2003 – unter Rot-Grün von Renate Künast in Luxemburg
in hervorragender Weise durchgesetzt – ernst machen,
dann bedeutet das, dass wir am Ende die Interventions-
politik abgeschafft, den Interventionspreis gesenkt, die
Exporterstattungen gestrichen und uns damit dem Welt-
markt geöffnet haben. Das bietet Chancen, das bietet na-
türlich auch Risiken.

Mit dem alten System haben wir die Betriebe nicht
stabilisiert; die Zahl der Betriebe ist kontinuierlich zu-
rückgegangen. Zu Recht weist der grüne Antrag darauf
hin, dass seit 1999 die Hälfte der Betriebe aufgegeben
hat. Das ist zu Zeiten passiert, als wir noch einen regu-
lierten Markt hatten. Die Quote hat das nicht verhindern
können.

In den letzten Jahren haben wir zumindest durch Ver-
änderungen des Agrarsystems im Hinblick auf die Ge-

Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


meinsame Agrarpolitik und das Zahlungssystem dafür
gesorgt, dass die Landwirtschaft in Europa erheblich
wettbewerbsfähiger geworden ist. Man sollte sich nicht
einfach von dem verabschieden, was man einmal mitbe-
schlossen hat. Dazu sollte man stehen, und dazu stehe ich
zumindest in der vollen Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als Kassandra braucht man hier nicht aufzutreten. Der
eigentliche Akteur im Milchpulvermarkt ist Neuseeland.
Nicht nur die Europäer haben ihre Produktion drastisch
erhöht, sondern die Neuseeländer haben das Gleiche
getan. Wir finden uns jetzt in einer Situation wieder,
in der wir in der Tat eine Überproduktion haben. Aber
welches Instrument ist denn besser geeignet als Ange-
bot und Nachfrage mit dem daraus resultierenden Preis,
um solche Krisen zu bewältigen? Bisher kann ich nicht
erkennen, dass da jemand wirklich den Stein der Wei-
sen gefunden hat. Wenn ich an alte Zeiten zurückdenke:
Schon der zentral gelenkten Planwirtschaft war kein Er-
folg beschieden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Bravo!)


Das, was wir hier in Ansätzen sehen, ist so etwas Ähn-
liches.

Meine Damen und Herren, diese Denkweise kann ich
nicht mehr nachvollziehen. Das hat den europäischen
Steuerzahler sehr viel Geld gekostet, nicht zur Stabili-
sierung beigetragen und auch nicht für wettbewerbs- und
zukunftsfähige Betriebe gesorgt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo kommen die Liquiditätshilfen her, Wilhelm? Aus Steuergeldern!)


– Die Liquiditätshilfen kommen aus den Steuergeldern,
zum Teil natürlich auch aus den Zahlungen, die durch die
„Superabgabe“ nach Brüssel abgeflossen sind.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wird es die nächsten Jahre nicht geben!)


Das heißt, die kommen aus dem Sektor unmittelbar.

Das Vertrauen der deutschen Landwirte, glaube ich,
verliert man durch eine offene und geradlinige Politik
nicht; ich setze darauf. Wenn wir zurückschauen, dann
können wir erkennen, dass wir in den vergangenen Jahr-
zehnten viele Milliarden für nichts ausgegeben haben.
Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist ein Konzept, original
übernommen vom BDM. Insofern, glaube ich, sitzt hier
die parlamentarische Speerspitze dieses Verbandes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ob man sich wirklich dazu machen sollte, ist für mich
die Frage; ich glaube, eher nicht. Eigene Ideen dazu, wie
man das Ganze angeht, habe ich heute nicht gehört.

Sie fordern Bonuszahlungen für Betriebe, die ihre
Produktion kurzfristig drosseln. Da muss man natürlich
sehen, dass man das nicht unbedingt nur aus dem bezah-

len kann, was Sie als Finanzierung anbieten. Das wird
wesentlich darüber hinausgehen. Das wird dann natürlich
auch die sonstigen Zahlungen, die wir in dem Bereich
noch haben, in ganz erheblichem Umfang belasten. So
einfach ist die Rechnung nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das, was Sie auf der einen Seite nehmen, können Sie
dann auf der anderen Seite – linke Tasche/rechte Ta-
sche – wieder ausgeben. So kann man das machen. Sie
wollen eine Abgabe für Erzeuger einführen, die ihre Pro-
duktion um mehr als 5 Prozent erhöhen. Warum gerade
5 Prozent? Warum nicht 3,8 oder 4,9? Dafür liefern Sie
keinen überzeugenden Beleg.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wollen Sie 69 und nicht 70 Millionen Liquiditätsbeihilfe?)


Die durchschnittlichen Erzeugungskosten sollen der
Maßstab für den unteren Preis sein. – Wo sind denn die
durchschnittlichen Erzeugungskosten in Irland, in Est-
land, in Italien, in Griechenland? Überall sind unter-
schiedliche Bedingungen im Markt. Überall sind unter-
schiedliche Kostensituationen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 15 Cent Milchpreis in Estland! Estland hat den niedrigsten Milchpreis in Europa!)


In dieser Situation kann man das in einem gemeinsamen
europäischen Markt überhaupt nicht definieren. Der An-
satz, den Sie fahren, ist ökonomisch nicht tragfähig. Das
müssen Sie, finde ich, einmal offen eingestehen.

Private Lagerhaltung halte ich nicht für das Mittel der
Wahl. Das dient den Lagerhaltern, aber nicht den Land-
wirten. Die Anhebung des Interventionspreises – vielen
Dank, dass Sie das abgewehrt haben – ist auch kein taug-
liches Mittel, genauso wenig wie der Versuch einer flexi-
blen Mengensteuerung. Das ist purer Dirigismus, blanke
Bürokratie.

Bürokratie – das haben wir eben schon gehört – funk-
tioniert im Agrarbereich nicht besonders gut. Man ist
noch nicht einmal in der Lage, die Direktzahlungen vor-
zeitig auszuzahlen.

Liquiditätshilfen für an sich gut aufgestellte Betriebe
in so einer Krisensituation, das kann ich durchaus nach-
vollziehen. Das ist ein überschaubarer Bereich. Das kann
man politisch vertreten – das haben wir in anderen Berei-
chen auch –, aber nur für die Betriebe, die in einer ent-
sprechenden Situation sind. So etwas kann man natürlich
nicht dauerhaft darstellen.

Kontrollen und Überwachungsinstrumente – das wäre
ja Ihre Strategie – müssten erst aufgebaut werden. Sank-
tionen müssten durchgesetzt werden. Überall wäre staat-
liches Handeln gefragt. Ich sage eines voraus: Bis das
Instrumentarium umgesetzt wäre, würde niemand mehr
über diese Krise reden.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann kommt die nächste Krise!)


Dr. Wilhelm Priesmeier






(A) (C)



(B) (D)


Ich erinnere mich noch an 2009. Was war unmittel-
bar danach? Da haben wir eine Kuhschwanzprämie be-
schlossen. Die haben wir ein Jahr später ausbezahlt; da
war der Preis schon wieder oben. Das sind Instrumente,
die untauglich sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe das feste Vertrauen in die deutsche Agrar-
wirtschaft, in die Landwirtschaft, in die Milchviehhalter
und in die Milchbauern, dass sie auch diese Krise über-
winden werden; denn die Krise ist endlich.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Krise ist nicht endlich!)


Am Horizont scheint sich eine gewisse Entspannung ab-
zuzeichnen. Das kann man nicht einfach negieren. Der
Milchpulverpreis in Neuseeland – Neuseeland ist der
Pulverexporteur – ist auf den Terminmärkten schon um
60 Prozent gestiegen. Das lässt den Rückschluss zu, dass
wir die Talsohle zumindest durchschritten haben und es
vielleicht schon in allernächster Zeit wieder nach oben
geht.

Wenn wir etwas Gutes tun wollen, dann sollten wir
uns Gedanken darüber machen, wie wir im Binnenmarkt
Wettbewerbsfähigkeit und Marktfähigkeit besser dar-
stellen können, wie wir Situationen, in denen es Nach-
frageoligopole gibt, angehen können. Vielleicht sollten
wir Andienungsverpflichtungen und solche Dinge in be-
stimmten Regionen begrenzen, um da dem Erzeuger eine
bessere Marktposition zu geben.

Es gibt auch andere Hinweise. Indem man regionali-
sierte Produkte auf den Markt bringt, erzeugt man einen
höheren Mehrwert und kann auch mehr vom Verbraucher
erwarten. Man schaue sich nur den Biobereich an! Da
funktioniert der Markt. Also kann das mit dem Markt ja
nicht so ganz falsch sein. Oder soll es da, wo die Preise
steigen, in irgendeiner Form eine Begrenzung geben?

Jeder Eingriff in solche Mechanismen bringt letztend-
lich einen Wohlfahrtsverlust mit sich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dafür muss ich hinterher die Konsequenzen tragen. Man
kann das auch nicht in Gänze tun; denn im Rahmen der
europäischen Agrarpolitik ist eine Neuorientierung ange-
sagt. Es ist, wie ich glaube, nicht zweckdienlich, dass wir
dazu übergehen, das bisherige System weiterzuführen.

Im Hinblick auf 2017/2020 gibt es eine ganze Reihe
an Handlungsoptionen; diese sollten wir auch wahrneh-
men, indem wir beispielsweise Geld aus der ersten Säule
in die zweite packen, es zielgerichtet für die Förderung
von Grünlandstandorten ausgeben und so dafür sorgen,
dass diese Grünlandstandorte nachhaltig bearbeitet und
im Sinne des Klimaschutzes erhalten werden können.
Klimaschutz, Grünlandregionen und Milchproduktion
bilden ja letztlich eine Einheit. Die ersten beiden Fakto-
ren sind dabei die Grundlage für unsere Milchprodukti-
on; das wird auch in Zukunft so sein.

Ich hoffe einmal, dass wir in einem halben oder Drei-
vierteljahr über die derzeitige Krise in der jetzigen Form
nicht mehr reden werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813016800

Vielen Dank, Herr Kollege. – Einen schönen Nach-

mittag von meiner Seite Ihnen und den Gästen oben!

Der nächste Redner ist Kees de Vries für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kees de Vries (CDU):
Rede ID: ID1813016900

Frau Präsidentin! Liebe Zuschauer auf den Tribünen!

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Milch
mal wieder. Zwei Anträge werden abschließend beraten,
nämlich von den Grünen und von unserer Koalition. Die-
se Anträge basieren auf dem Milchquotenende am 1. Ap-
ril dieses Jahres. Ein weiterer Antrag stammt nun von den
Grünen, die extra dazu die Linken mit ins Boot geholt
haben,


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Eigentlich andersherum! Aber egal!)


der aber wirklich nichts Neues bringt.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir begegnen uns auf Augenhöhe!)


– Nein, so lang bist du nicht.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von Grü-
nen und Linken, Sie gießen hier erneut die Vorstellungen
des BDM in einen Antrag. Der BDM hat übrigens als Ers-
ter – das war im Jahr 1998 – die Abschaffung der Quote
gefordert. Ich habe hier Flugblätter, die zeigen, dass der
BDM schon damals festgestellt hat, dass nur eine – ich
zitiere – Abschaffung der Quote zu einer „Verbesserung
der Wirtschaftlichkeit“ und zur „Nutzung der Chancen
auf den internationalen Märkten“ führt.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es gibt Leute, die dazulernen! – Gegenruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht man in der Union nicht so!)


– Ja, die suche ich noch.

Wenn dann jetzt, 15 Jahre später, dieser Wunsch in Er-
füllung gegangen ist und alle zusammen feststellen, dass
das auch nicht alle Betriebe retten kann, wird ein frei-
williger Verzicht auf Produktion gefordert. Das war auch
beim ersten Antrag der Grünen zum Milchquotenende
schon der Fall; aber, lieber Friedrich Ostendorff, durch
Wiederholung wird diese Forderung nicht überzeugen-
der. Das hat im Übrigen auch schon das Johann-Hein-
rich-von-Thünen-Institut festgestellt. Jeder, der sich mit
dieser Materie auseinandergesetzt hat, weiß schon lange,

Dr. Wilhelm Priesmeier






(A) (C)



(B) (D)


dass es für diese Krise keine Lösung im Sinne der Markt-
regulierung gibt. Das war auch so gewollt, als wir uns
2003 zur Beendigung der Quotierung bekannt haben. Ich
mache es kurz: Ein freiwilliger Verzicht auf Milchpro-
duktion, wie Sie es hier wiederum fordern, ist schlicht
unrealistisch, ja sogar populistisch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bestenfalls können wir versuchen, die Auswirkungen
dieser Preiskrise zu mildern. Ich bin der Meinung, dass
unser Minister Christian Schmidt sich in diesem Fall bis
an die Grenzen seiner Möglichkeiten für unsere Milch-
bauern eingesetzt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb braucht er jetzt Personenschutz, oder wie? – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man den Milchbauern noch einmal erklären! Das haben sie nicht ganz verstanden!)


Maßgeblich durch seinen Einsatz hat EU-Kommissar
Hogan zugestimmt, dass die Gelder aus der „Superabga-
be“ – eigentlich zweckentfremdet – für unsere Milchbau-
ern eingesetzt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Krise ist nicht
eine Folge des Auslaufens der Quotierung.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das ist ja erstaunlich!)


Nein, meine Damen und Herren – Frau Tackmann, viel-
leicht können Sie auch noch lernen; wir haben diese
Hoffnung –, zwei verführerisch gute Jahre für die Milch-
bauern haben zu einer Produktionssteigerung auch bei
uns um mehr als 4 Prozent geführt.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Problem!)


Das ist zusammen mit dem Nachfragerückgang in China
und den Sanktionen wegen der Ukraine-Krise die Ursa-
che dafür, dass wir eine Überproduktion haben.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, China sei die Zukunft! Was denn jetzt?)


– Friedrich, du wirst lernen: Es ist die Zukunft. – Diese
Überschussproduktion wird in dem von uns allen gewoll-
ten freien Markt nun einmal zu sinkenden Preisen führen.

Jetzt sollten wir nicht in Aktionismus verfallen. Der
Sektor wird nicht nur diese Krise überstehen. Der Sektor
hat eine gute Zukunft.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Sektor vielleicht! Aber Zehntausende Milchbauern nicht!)


Tatsache ist, dass wir im Durchschnitt der letzten Jahre
zufriedenstellende oder sogar gute Preise hatten. Trotz-
dem gab es vor und während der Quotierung einen Struk-
turwandel, und diesen werden wir auch weiter haben. Ob

dieser freie Markt und die dazu gehörende Volatilität der
Preise für kleinere Betriebe so große Probleme bringen,
dass dies zu einem verstärkten Strukturwandel führen
wird – ich gebe zu, auch ich habe davor Angst –, wird
uns die Zeit lehren. Ganz werden wir den Strukturwandel
nicht aufhalten können, genauso wenig wie den techni-
schen Fortschritt. Aber wenn unsere Gesellschaft das als
ein Problem sehen wird, dann werden wir uns damit aus-
einandersetzen müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe
schon gesagt, dass die aktuelle Krise nur der Markt lösen
kann, indem Angebot und Nachfrage wieder in Balance
gebracht werden. Aber genauso fest steht, dass die nächs-
te Krise kommt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon die nächste Krise! Die eine ist noch nicht zu Ende!)


Die für mich spannende Frage ist, ob wir dann wieder
diesen Weg gehen oder ob wir in der Lage sind, intel-
ligentere Modelle zu finden. Ich bin unserem Minister
Schmidt sehr dankbar, dass er auf der vorletzten Agrar-
ministerkonferenz gesagt hat, dass es bei der Lösung die-
ser Frage keine „Denkverbote“ geben darf.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Hauptsache Mengenregulierung!)


Ich habe die berechtigte Hoffnung, dass wir in der nächs-
ten Zeit ohne Scheuklappen miteinander über die zukünf-
tige Marktorientierung ins Gespräch kommen werden.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur über Menge dürfen wir nicht reden! Alles vorher schon mal regeln! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn jetzt mit China?)


Ich komme zum Schluss. Der Antrag der Grünen ist
einfach nicht realistisch und deshalb abzulehnen. Folge-
richtig muss man dem Antrag der Koalition zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813017000

Vielen Dank, Kollege de Vries. – Die letzte Rednerin

in der Debatte: Rita Hagl-Kehl für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rita Hagl-Kehl (SPD):
Rede ID: ID1813017100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Bei uns lernt man schon in der Schule:
Die Bundesrepublik Deutschland folgt dem Prinzip der
sozialen Marktwirtschaft. Sozial bedeutet in diesem Zu-
sammenhang, dass man Härten abfängt. Dass man dafür
auch Subventionen verwendet, wissen wir alle. Es ist ja
in den letzten Minuten schon darüber gesprochen wor-
den. Marktwirtschaft bedeutet, dass Angebot und Nach-
frage den Preis regeln.

Kees de Vries






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben im Bereich der Milchwirtschaft ein Über-
angebot an Milch.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Gleichzeitig besteht in Deutschland eine Nachfrage nach
Biomilch, die wir allein nicht stillen können.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch richtig!)


Wir importieren Biomilch aus Österreich und Dänemark.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überall her, wo wir sie kriegen!)


30 Prozent des Umsatzes im Biobereich entfallen allein
auf Milchprodukte und Käse. 3 Prozent der Milchpro-
dukte in Deutschland werden aus Biomilch hergestellt.
Der Preis für Biomilch ist in den letzten Monaten gestie-
gen. Wir sind jetzt bei durchschnittlich 47,9 Cent pro Li-
ter. Ich glaube, dafür kann man auch melken,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Ja!)


um die Begrifflichkeit von vorhin aufzugreifen. Meiner
Meinung nach sollten wir uns nicht am Export orientie-
ren, sondern an der Deckung der Nachfrage vor Ort.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Friedrich, ich habe ein Wort von dir zur Bioproduktion
vermisst.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe immer nur fünf Minuten! Das ist das Problem! Ich könnte darüber auch noch ausführen, wenn du das möchtest! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Friedrich redet auch 20 Minuten, wenn er das darf!)


– Gut. – Dieser Bereich bietet ganz viele Chancen für
kleinere und mittlere Betriebe. Kleinere und mittlere Be-
triebe sind es auch, die wir durch die regionalen Wirt-
schaftskreisläufe fördern müssen. Das heißt, Regional-
und Selbstvermarktung müssen gestärkt werden. Der
Verbraucher in Deutschland will immer häufiger wissen,
wo seine Produkte herkommen – auch im Bereich der
Milch.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun!)


– Lassen Sie mich doch bitte einmal ausreden. – Beispie-
le für solche Regionalprojekte wären Milchtankstellen,
Käseproduktion an den Höfen oder Erzeugergemein-
schaften. Mit solchen Modellen kann man auch den
Strukturwandel aufhalten.

Genau das ist auch das Ziel der SPD-Fraktion. Deswe-
gen fordert die SPD-Fraktion schon seit längerem, dass
die zweite Säule auf mindestens 15 Prozent aufgewertet
wird.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Österreich zum Beispiel, um zu dem Land zurückzukeh-
ren, das Milch zu uns exportiert, hat mehr als die Hälfte
in der zweiten Säule. Dadurch ist es Österreich auch ge-
lungen, die Höfe von Bergbauern und die kleinen Struk-
turen zu erhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müsst ihr denen auf der Regierungsbank sagen!)


– Genau. Ich wende mich natürlich auch an die Regie-
rungsbank, nicht nur an Sie.

Ich komme zu den Zielen der SPD-Bundestagsfrakti-
on. Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Milchbauern sichern. Wir wollen nachhaltige und tierge-
rechte Milchproduktion anstreben. Das schont auch die
Umwelt. Wir wollen die Wertschöpfung und die Schaf-
fung von Arbeitsplätzen in den ländlichen Regionen för-
dern. Genau deswegen müssen wir diesen Strukturwan-
del aufhalten. Genau dazu dienen solche Mittel wie die
zweite Säule.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813017200

Vielen Dank, Frau Kollegin Hagl-Kehl.

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6206 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache
18/5601. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache
18/4424 mit dem Titel „Auslaufen der Milchquote –
Wettbewerbsfähigkeit der Milchviehhalter sichern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/4330 mit dem Titel „Landwirtschaft
braucht flächendeckende Milchviehhaltung – Bäuerliche
Milcherzeuger stärken – Milchpreise stabilisieren“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU
und SPD, Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und
einem Kollegen der Linken sowie bei Enthaltung der üb-
rigen Mitglieder der Linken.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehn-
ten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes

Rita Hagl-Kehl






(A) (C)



(B) (D)


Drucksache 18/5865
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16. Ausschuss)


Drucksache 18/6234
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für

die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-
Sutter für die Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1813017300


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich verstehe gar nicht, dass bei so einem inte-
ressanten Thema nicht mehr Kolleginnen und Kollegen
im Plenarsaal bleiben.


(Ulli Nissen [SPD]: Aber wir sind da!)


– Die wichtigsten sind da.

Die sogenannte Entsorgungsrichtlinie ist teilwei-
se noch in nationales Recht umzusetzen. Sie dient der
Schaffung eines europäischen Gemeinschaftsrahmens
für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung ab-
gebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. Die
Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollen geeignete
innerstaatliche Vorkehrungen treffen, um ein hohes Si-
cherheitsniveau bei der Entsorgung abgebrannter Bren-
nelemente und radioaktiver Abfälle zu gewährleisten.

Das deutsche Recht entsprach schon weitgehend den
Vorgaben dieser Richtlinie. Ein erster Schritt zur weite-
ren Umsetzung ist durch das Standortauswahlgesetz vom
23. Juli 2013 erfolgt. Ich kann mich noch gut erinnern;
das Gesetz wurde am letzten Sitzungstag vor der Som-
merpause beschlossen. Mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf wird die Umsetzung der Richtlinie jetzt abgeschlos-
sen.

Mit dem Gesetzentwurf wird die Bundesregierung
verpflichtet, in Form eines Nationalen Entsorgungspro-
gramms darzulegen, wie die Bundesrepublik Deutsch-
land beabsichtigt, die nationale Strategie für eine ver-
antwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter
Brennelemente und radioaktiver Abfälle umzusetzen.
Das Nationale Entsorgungsprogramm ist künftig regel-
mäßig zu überprüfen und bei Bedarf zu aktualisieren.

Wir haben im Vorgriff auf diese Regelung und vor dem
Hintergrund der europäischen Verpflichtung zur Vorlage
eines Entsorgungsprogramms bis zum 23. August dieses
Jahres bereits ein Nationales Entsorgungsprogramm er-
stellt, das vom Bundeskabinett schon beschlossen und
der EU-Kommission übermittelt wurde. Wir haben da-
mit Transparenz geschaffen und eine belastbare, solide
gerechnete und ungeschönte Planung für die Entsorgung
des Atommülls vorgelegt.

Im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung des
Programms bestand für die Öffentlichkeit die Möglich-
keit zur Beteiligung. Wir haben in diesem Programm
die Kritik an der Option der Erweiterung des Endlagers
Schacht Konrad berücksichtigt. In diesem Zusammen-
hang begrüße ich es, dass sich die Endlagerkommissi-
on – ohne Verlängerung ihrer gesetzlich vorgesehenen
Arbeitszeit bis Mitte 2016 – auch mit der Planung für
die Entsorgung der zurückzuholenden Asse-Abfälle und
der möglicherweise endzulagernden Rückstände aus der
Urananreicherung befassen wird.

Der Umweltausschuss hat Ergänzungen des Entwurfs
empfohlen. Hierbei geht es um Regeln für das Verfahren
zur Übermittlung von Abfalldaten und die Erweiterung
von Bußgeldtatbeständen. Ich halte die Änderungen für
sinnvoll. Sie gehen auf die Anregungen des Bundesrates
zurück und werden auch von der Bundesregierung un-
terstützt.

Daher kann ich Ihnen insgesamt den Gesetzentwurf
einschließlich seiner Änderungen zur Annahme empfeh-
len und hoffe auf eine entsprechende Beschlussfassung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813017400

Vielen Dank, Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter. –

Nächste Rednerin: Eva Bulling-Schröter für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813017500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch nach 40 Jahren Atomenergie sind grundsätzliche
Fragen einer sicheren und dauerhaften Atommülllage-
rung nicht geklärt. Regelmäßig wird darüber gestritten,
wie und wo Atommüll überhaupt gelagert werden kann –
nicht nur in der Atommüllkommission. Auch der Bericht
zum Nationalen Entsorgungsprogramm hat eine hefti-
ge Debatte ausgelöst. 70 000 Einsprüche hat es zu dem
Berichtsentwurf gegeben. Wir sollen nun hier mit der
14. Novelle des Atomgesetzes sozusagen nachträglich
eine gesetzliche Grundlage schaffen.

Es ist zunächst gut, dass im Bericht zum Nationalen
Entsorgungsprogramm die enorme Menge leicht- und
mittelradioaktiver Abfälle aus Gronau und aus der Asse
thematisiert wird, sodass sich die Atommüllkommission
mit der weiteren Klärung befassen kann. Es wird zumin-
dest vorerst darauf verzichtet, diesen Strahlenmüll in
dem dafür ungeeigneten Schacht Konrad zu verklappen.
Damit reagiert die Bundesregierung offenbar auf den
Protest aus der Region Salzgitter. Gut so! Das Beispiel
macht aber auch klar: Die Probleme, vor denen wir ste-
hen, sind weiterhin gewaltig.

Der Bericht wurde dieses Jahr im Sommer fertigge-
stellt, aber erst jetzt kommt eine Atomgesetznovelle, die

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


im Grunde Details des Berichts regeln soll. Umgekehrt
wäre es eigentlich besser gewesen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich hätte mir gewünscht, dass die Novelle strengere An-
forderungen an den Bericht beinhalten würde und zum
Beispiel eine problemorientierte Analyse – um festzu-
stellen, wo die Probleme wirklich liegen – und klare Kri-
terien vorsähe. Dann erst hätte der Bericht geschrieben
werden sollen. Das wäre eigentlich besser gewesen.

70 000 Einwendungen – meine Damen und Herren,
das ist doch schon ein bisschen peinlich, oder? So, wie
der Bericht jetzt ist, stellt er das wahre Ausmaß des
Atommülldesasters nicht dar, sondern tut so, als ob alles
irgendwie lösbar wäre oder gelöst worden ist. Über die
tatsächlichen Probleme schweigt sich der Bericht aus.
Er verschweigt zum Beispiel die rostigen Atommüllfäs-
ser in der Asse. Auch die per Gerichtsbeschluss aufge-
hobene Genehmigung für das Castorzwischenlager am
AKW Bruns büttel und die Frage, welche Probleme das
für künftige Genehmigungsverfahren macht, werden mit
keinem Wort erwähnt.

Ein letztes Beispiel. Im Bericht ist plötzlich von ei-
nem „Eingangslager“ für Castorbehälter mit hochradi-
oaktiven Abfällen die Rede. Das ist ein neuer Begriff für
eine alte Sache. Aber warum braucht man ihn? Wir wis-
sen: Irgendwann laufen die Genehmigungen für die Zwi-
schenlager Gorleben und Ahaus aus. Wie geht es dann
weiter: ein neues Zwischenlager oder die alten mit viel
mehr Müll? Im Kleingedruckten, ganz versteckt, steht
dann: In diesem Eingangslager sollen künftig immerhin
500 Castoren für Jahrzehnte zwischengelagert werden. –
Hört! Hört! Ich finde das interessant, nicht nur für die
Atommüllkommission, sondern auch für die Betroffenen
vor Ort. Ich frage mich: Warum verstecken Sie diese In-
formation? Ich muss Ihnen sagen: Wir, die Linken, halten
das für vollkommen unakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über den Inhalt des Berichts werden wir im Um-
weltausschuss sprechen; wir haben einen entsprechen-
den Antrag eingebracht. Heute diskutieren wir über die
14. Atomgesetznovelle. Die jetzt von den Regierungs-
fraktionen eingereichten Nachbesserungen in Bezug auf
die Informationspflichten der Betreiber und auf die Buß-
gelder finden wir richtig; das ist über den Bundesrat ja
auch schon aufgerufen. Aber die Anforderungen an den
Bericht zum Nationalen Entsorgungsprogramm hätten
schärfer und konkreter sein müssen. Damit würden Sie
das Berichtswesen verbessern und wirklich umfassend
informieren. Aber weil das nicht so ist, werden wir uns
bei der Abstimmung enthalten.

Ich muss noch ein Wort zu den Gerüchten sagen, die
uns hier erreichen: Es soll eine neue Kommission geben,
die sich mit der Finanzierung der Atomlasten beschäfti-
gen soll.


(Ute Vogt [SPD]: Das ist kein Gerücht!)


– Das ist kein Gerücht. – Das ist nun wieder ein Ablen-
kungsmanöver.


(Ute Vogt [SPD]: Das ist ein Parlamentsbeschluss!)


Denn was wir wirklich brauchen, ist ein öffentlich-recht-
licher Fonds, der die Rücklagen der Konzerne sichert.
Darüber diskutieren wir nicht erst seit heute, sondern
schon länger.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nun wird wieder eine Kommission gebildet – es
werden interessante Namen genannt: ein gewisser Herr
Hennenhöfer, uns allen bekannt; da wird wieder einmal
der Bock zum Gärtner gemacht –, unter Ausschluss der
Linken, eine Kommission, die nicht demokratisch legiti-
miert wird; auch das haben wir schon öfter gesagt. Das
zeigt wieder nur die Hilflosigkeit der Bundesregierung
angesichts der drängenden Milliardenkosten und Proble-
me, die auf uns zukommen.

Nun ist das Thema wieder auf dem Tisch. Eigentlich
dachte ich, wir wären schon einen Schritt weiter. Aber da
habe ich mich wieder einmal getäuscht.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813017600

Vielen Dank, Frau Kollegin Bulling-Schröter. – Nächs-

ter Redner: Steffen Kanitz für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Steffen Kanitz (CDU):
Rede ID: ID1813017700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Das Nationale Entsorgungsprogramm, kurz: NaPro,
ist das Herzstück der nuklearen Entsorgungsstrategie in
Deutschland. Der letzte vergleichbare Beschluss stammt
aus dem Jahre 1979. Ich hoffe, dass dieser heutige Be-
schluss etwas länger hält als der letzte; mindestens je-
doch zehn Legislaturperioden, die wir brauchen werden,
um ein Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe zu
finden. Wir wollen es 2050 in Betrieb nehmen. Insofern
hat der heutige Beschluss historische Qualität. Ich möch-
te mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken beim
BMUB für die geleistete Arbeit und dafür, dass wir heute
diesen Beschluss verabschieden können. Vielen Dank für
Ihre Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogrammes
wurde öffentlich diskutiert. Die Einwendungen, die gera-
de von den Linken zitiert wurden, wurden berücksichtigt.
Es gibt – Kollege Lagosky ist ja da – keine Erweiterung
Konrads durch die Hintertür, was befürchtet wurde. Das
stand in der ersten Fassung des Entwurfs nicht drin, aber
es wurde jetzt noch einmal klargestellt.

Bei der Umsetzung des NaPros werden die Empfeh-
lungen der Endlagerkommission eine wichtige Rolle

Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


spielen. Um diese Rolle sachgerecht auszufüllen, muss
die Endlagerkommission stringent und auch pünktlich
bis Mitte 2016 ihren Arbeitsauftrag abarbeiten.

Eine für die Endlagerkommission zentrale Aussage im
Nationalen Entsorgungsprogramm ist, dass die radioakti-
ven Abfälle aus der Schachtanlage Asse sowie das ange-
fallene abgereicherte Uran der Firma Urenco bei der Ar-
beit mitgedacht werden sollen. Vor diesem Hintergrund
gab es in den letzten Wochen eine kontroverse Debatte in
der Endlagerkommission, aber auch in der Presse darü-
ber, wie diese Abfallarten berücksichtigt werden sollen.
Ergebnis der Diskussion ist, dass die Endlagerkommis-
sion die Asse-Abfälle behandeln wird und darlegt, wie
die Abfälle konditioniert werden müssten, um zusammen
mit den hochradioaktiven Abfällen entsorgt werden zu
können.

Klar muss aber auch sein, dass der Schwerpunkt der
Kommissionsarbeit auf dem Kriterienkatalog für die
Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfäl-
le liegt. Alles andere würde die Problemlösung auf zu-
künftige Generationen verschieben. Ich würde sogar so
weit gehen, dass es wahrscheinlich den gesamten Pro-
zess gefährden würde. Ich möchte gerne anhand einiger
Fakten erklären, warum ich diese Gefahr für die Zukunft
durchaus sehe:

Wir unterscheiden in Deutschland grundsätzlich zwei
Abfallkategorien, zum einen die hochradioaktiven, wär-
meentwickelnden Abfälle, die größtenteils aus dem Be-
trieb der Kernkraftwerke stammen und etwa 10 Prozent
des Abfallvolumens ausmachen, aber eben 99 Prozent
der Radioaktivität – hier liegt also das maßgebliche Ge-
fahrenpotenzial und aus meiner Sicht auch unsere große
Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generatio-
nen –, und zum anderen die schwach- und mittelradioak-
tiven Abfälle, die zum großen Teil aus dem Rückbau der
Kernkraftwerke, der Forschung und auch der Medizin
stammen. Sie vereinen rund 90 Prozent des Abfallvolu-
mens; sie sind also mit Abstand die größte Menge der
radioaktiven Abfälle in Deutschland, stehen aber für nur
1 Prozent der Radioaktivität. Das Gefährdungspotenzial
sollte man nicht kleinreden, aber das ist eben ein anderes
Niveau als das der hochradioaktiven Abfälle.

Für 303 000 Kubikmeter dieser schwach- und mittel-
radioaktiven Abfälle ist bereits ein Endlager gefunden,
das eben schon erwähnte Endlager Schacht Konrad.
Nach den aktuellen Planungen soll die Inbetriebnahme
2022 erfolgen. Um es ganz klar zu sagen: Ohne Konrad
werden wir keinen Rückbau der Kernkraftwerke hinbe-
kommen. Deswegen: Konrad muss kommen. Wir wollen
an dem Zeitplan dringend festhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nach dem Nationalen Entsorgungsprogramm der
Bundesregierung müssen auch mögliche zukünftige
schwach- und mittelradioaktive Abfälle durch die Endla-
gerkommission betrachtet werden: die Urantails der Fir-
ma Urenco und die prognostizierten Rückholungsabfälle
aus der Asse. Bei beiden Abfallarten ist aber noch nicht
klar, in welchen Mengen und in welcher Beschaffenheit
sie vorliegen werden. Das gilt insbesondere für die Ab-

fälle aus der Asse. Um es mit den Worten des BfS-Prä-
sidenten König zu sagen: Mit der Frage der Menge und
der Verbackung der Abfälle mit Salz werden wir leben
müssen, bis die Abfälle geborgen werden.

Schätzungen des BfS gehen davon aus, dass die Rück-
holung der Asse-Abfälle frühestens um das Jahr 2030 be-
ginnen könnte. Wir alle wissen, dass auch dieser Zeitplan
ambitioniert ist angesichts der zeitlichen Verzögerungen,
die wir insbesondere beim Bau eines neuen Schachtes
sehen. Da auch die Rückholung viele Jahre in Anspruch
nehmen wird, gehen wir nach einer aktuellen Studie der
DMT, die vom BfS in Auftrag gegeben wurde, davon
aus, dass wir die gesamten Abfälle der Asse nicht vor
dem Jahr 2065 kennen.

Laut Standortauswahlgesetz soll der Standort für ein
Endlager für insbesondere hochradioaktive, wärmeent-
wickelnde Abfälle 2031 gefunden sein, das heißt, min-
destens drei Jahrzehnte früher. Hier zeigt sich sehr deut-
lich: Hochradioaktive Abfälle und Asse-Abfälle können
nicht zusammen gedacht werden. Wir planen die Inbe-
triebnahme des Endlagers für 2050. Das heißt, 15 Jahre
nachdem wir das Endlager für hochradioaktive Abfall-
stoffe in Betrieb nehmen, wissen wir erst, wie viele As-
se-Abfälle wir haben.

Neben dieser zeitlichen Dimension möchte ich auf
eine zweite Herausforderung hinweisen: Hochradioak-
tive Abfälle und schwach- und mittelradioaktive Abfäl-
le haben sehr unterschiedliche Anforderungen an das
Wirtsgestein: Hochradioaktive Abfälle produzieren Wär-
me. Den bestmöglichen Einschluss gewährleisten dichte
Wirtsgesteine wie Tongestein oder Steinsalz. Schwach-
und mittelradioaktive Abfälle produzieren keine Wärme;
aber aufgrund von Anteilen von Organik und Feuchtig-
keit bilden sich Gase. Damit diese Gase ohne Druck-
aufbau gespeichert werden können, sollte ein poröses
Wirtsgestein gewählt werden, das von einer dichten geo-
logischen Barriere umschlossen wird, zum Beispiel ei-
ner Tongesteinsschicht. Konrad verfügt über eine solche
geologische Gesamtsituation.

In der Endlagerkommission haben uns Fachleute klar-
gemacht, dass diese beiden Abfallarten aufgrund ihrer
Eigenschaften nicht unmittelbar zusammen in ein Endla-
ger verbracht werden können. Insbesondere die Asse-Ab-
fälle werden größte Mengen kontaminierten Salzgruß be-
inhalten, der das Wirtsgestein Ton angreifen würde. Ein
gemeinsames Endlager für beide Abfallarten wäre damit
faktisch eine Vorfestlegung auf das Wirtsgestein Stein-
salz. Eine solche Vorfestlegung haben wir über alle Par-
teien hinweg, gerade auch in der Endlagerkommission,
bisher bewusst vermieden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Stellen Sie sich vor dem Hintergrund dieser darge-
stellten Fakten nun vor, dass wir in der nächsten Legis-
laturperiode – das ist unser gemeinsames Ziel – mit der
Suche nach einem Endlager für sämtliche Abfallarten be-
ginnen würden. Dann bekommen wir ein Endlager, das
die bestmögliche Sicherheit für alle Abfallarten darstellt,
sehr wahrscheinlich aber eben nicht die bestmögliche Si-
cherheit für jede einzelne Abfallart. Dann stellt sich im

Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


Rahmen des laufenden Verfahrens möglicherweise he-
raus, dass sich die Rückholung aus der Asse verzögert
oder womöglich unmöglich wird.

Was wird dann passieren? Völlig klar – das wissen wir
jetzt schon –: Es wird einen Aufschrei derjenigen geben,
die kein Endlager in Deutschland wollen. Hätten wir von
Anfang an ein reines Endlager für HAW-Abfälle gesucht,
dann wären möglicherweise andere Kriterien angewen-
det und damit auch andere Standorte auf ihre Eignung
hin untersucht worden. Es besteht die Wahrscheinlich-
keit, dass dadurch ein besser geeigneter Standort für die
reinen hochradioaktiven Abfälle übersehen wurde. Die
Erwartung „Bestmögliche Sicherheit für 1 Million Jah-
re“ wäre offensichtlich nicht erfüllt. Dann stehen wir
wieder – es ist ja nicht so, dass uns das nicht auch viele
wünschen würden – vor einem Scherbenhaufen, begin-
nen wieder bei null. Ich meine, dass wir genau dies ganz
dringend und um jeden Preis verhindern müssen, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Wir tragen heute Verantwortung und können die Lö-
sung nicht auf zukünftige Generationen verschieben. Wir
haben maßgeblich von der Kernenergie profitiert – ja, das
ist richtig – und haben jetzt die historische Chance, eine
Lösung zu finden.

Wie könnte diese Lösung aussehen? Ich glaube, wir
brauchen zwei parallele Prozesse:

Das neue Suchverfahren sollte in einem ersten Schritt
nur ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zum Ziel
haben. Hierfür liegen alle Ausgangsparameter, die benö-
tigt werden – Abfallmenge, Radionuklidinventar –, vor,
sodass wir die Suchkriterien verbindlich festlegen kön-
nen. Wenn wir von Transparenz und Glaubwürdigkeit
des Verfahrens sprechen, dann ist die verbindliche Fest-
legung der Kriterien vor Beginn des Verfahrens absolut
wichtig.

Wir sollten parallel dazu für die schwach- und mit-
telradioaktiven Abfälle alle notwendigen Grundlagen
erarbeiten. Nur: Wie gerade ausgeführt, werden wir Ge-
wissheit über sämtliche Parameter wahrscheinlich erst in
50 Jahren haben. Insofern meine herzliche Bitte: Lassen
Sie uns nicht wegen 1 Prozent der Radioaktivität das ge-
samte Suchverfahren für Jahrzehnte unterbrechen. Auch
das gehört zur Glaubwürdigkeit dazu. Ich bitte alle Be-
teiligten, sich diese Zusammenhänge klarzumachen und
uns hier zu unterstützen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813017800

Vielen Dank, Steffen Kanitz. – Nächste Rednerin in

der Debatte ist Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die
Grünen.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813017900

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Atomgesetznovelle, die wir heute be-

schließen wollen, behandelt den Atommüll, das Gefähr-
lichste und Langlebigste, was die Menschheit je produ-
ziert hat. Der Gesetzentwurf in seinen Buchstaben ist für
uns als grüne Fraktion völlig in Ordnung; er ist ja auch
relativ mager. Wir werden ihm zustimmen.

Die Differenzen liegen eher in dem, was dahintersteht:
im Nationalen Entsorgungsprogramm. Deswegen haben
sich auch alle bisherigen Rednerinnen und Redner dar-
auf bezogen. Auch ich will das tun und mit Konrad an-
fangen. Ich finde es erfreulich und lobenswert, dass das
BMUB sehr stark auf die Einwendungen eingegangen ist
und – das erachte ich auch als einen Ausfluss der Arbeit
der Endlagerkommission – auch die gesellschaftspoliti-
schen Implikationen, die ein solches Endlager hat, sehr
stark in den Vordergrund gerückt hat. Jetzt wird also da-
von Abstand genommen, als erste Priorität für die Asse-
und Urenco-Abfälle, wie es noch im Entwurf des NaPro
stand, die Option Konrad zu sehen. Dass dies in den Hin-
tergrund gerückt ist, ist gut.

Aber immer noch ist im Hinblick auf Konrad ein Feh-
ler zu finden – ich bitte, da nachzuarbeiten –: Im Natio-
nalen Entsorgungsprogramm steht, der Stand von Wis-
senschaft und Technik sei für Konrad erst bei Ende der
Betriebszeit nachzuweisen. Ich glaube, dass man damit
den Menschen im Umfeld von Konrad das Leben mit
dem Endlager noch ein Stück schwerer macht. Der Stand
von Wissenschaft und Technik muss zu Beginn der Ein-
lagerungsphase, also bei Inbetriebnahme von Konrad,
nachgewiesen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Kanitz hat sehr deutlich ausgeführt – Sie hatten
ja auch ein bisschen mehr Redezeit als ich –,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch gut so!)


welche Aufgaben das NaPro uns in der Endlagerkom-
mission stellt; deswegen will ich darauf nur relativ kurz
eingehen.

Frau Schwarzelühr-Sutter, für uns in der Endlagerkom-
mission ist klar: Ja, wir geben gemäß dem Zeitplan – so
haben wir es zumindest vor – einen Bericht ab. Das wird
aber nicht, wie ursprünglich gedacht, ein wirklicher, voll-
kommener Abschluss- bzw. Endbericht sein, in dem wir
alles darlegen, wie man das Verfahren zur Endlagersuche
starten kann, sondern er wird bewusst „Bericht“ heißen,
und es werden auch offene Fragen thematisiert. Die Fra-
ge, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen
die Abfälle aus der Asse und von Urenco an demselben
Standort eingelagert werden können – in zwei Endlager,
die auf irgendeine Weise miteinander verbunden sind –,
werden wir nicht beantworten können, sondern diese
Frage wird ein Nachfolgegremium beantworten müssen.

Ein großer Fehler in dem NaPro ist auch die Rege-
lung – Frau Bulling-Schröter hat es schon benannt – zum
Eingangslager. Ich halte es für völlig untragbar, festzu-
legen, dass ein Eingangslager nach der Benennung des
Standortes durch die Behörde und anschließendem Be-
schluss des Bundestages errichtet wird. Das wäre in der
Tat ein Rückfall zum Prinzip „Gorleben“.

Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


Nach der Genehmigung des Standortes kann das Ein-
gangslager gebaut und in Betrieb genommen werden,
nicht vorher. Ich bitte wirklich inständig: Lassen Sie uns
einen solch absolut gravierenden Fehler nicht machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Ute Vogt [SPD])


Weil das zurzeit sehr stark diskutiert wird, will ich
auch noch kurz etwas zum Nachhaftungsgesetz sagen –
auch deshalb, weil Sie sich, Herr Kanitz, in Ihrer Rede
zur ersten Lesung dieser Atomgesetznovelle, die Sie ja
zu Protokoll gegeben haben, wie wir alle, sehr stark mit
der Finanzierung befasst haben. Zu dem Nachhaftungs-
gesetz, das Sie für überflüssig erachtet haben, haben Sie
gesagt, Sie hielten das für einen Startschuss zur Deindus-
trialisierung unseres Landes.


(Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich zitiere Sie jetzt:

Eine zeitlich und inhaltlich unbegrenzte Haftung
kann nicht verhältnismäßig sein und entfaltet eine
gefährliche Signalwirkung für andere, risikobehaf-
tete Branchen. Heute wollen Sie ein Einzelfallge-
setz für die Energieversorgungsunternehmen, und
morgen diskutieren wir über weitere Branchen mit
langfristigen Risiken ...


(Steffen Kanitz [CDU/CSU]: Genau!)


Herr Kanitz, weil Ihre Ausführungen ansonsten dar-
auf schließen lassen, habe ich bisher gedacht, Sie hät-
ten erkannt, dass der Atommüll wirklich ganz singulär
langfristige Risiken aufweist und wirklich mit nichts,
aber auch gar nichts und keiner anderen Branche in der
Wirtschaft zu vergleichen ist und es von daher absolut
gerechtfertigt ist, sich extra für diesen Bereich Gesetze
zu überlegen. Ein solches Gesetz ist zum Beispiel das
Nachhaftungsgesetz.


(Steffen Kanitz [CDU/CSU]: Verfassungsrecht!)


Dieses Gesetz ist richtig; wir brauchen es dringend. Das
ist ein guter erster Schritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben des Weiteren gesagt:

Das Nachhaftungsgesetz geht von der verfassungs-
rechtlich unzutreffenden Prämisse aus, die EVU
hätten alles zu bezahlen, was der Staat für gesell-
schaftspolitisch wünschenswert hält.

Nein, das haben die EVU nicht, aber die Entsorgung und
die sichere Verwahrung des Atommülls, den sie selbst
produziert haben, haben sie in der Tat zu bezahlen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ute Vogt [SPD] und Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813018000

Vielen Dank, Frau Kollegin Kotting-Uhl. – Nächste

Rednerin: Hiltrud Lotze für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Steffen Kanitz [CDU/CSU])



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1813018100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besu-
chertribünen! Unser Debattenthema heute ist die 14. No-
velle des Atomgesetzes, aber eigentlich – das haben wir
hier jetzt eben schon gehört – reden wir über das Natio-
nale Entsorgungsprogramm, das NaPro.

Kernpunkte der Novelle sind der Auftrag und die Kri-
terien für ein Nationales Entsorgungsprogramm, wel-
ches die Bundesregierung – das hat die Parlamentarische
Staatssekretärin vorhin gesagt – ja bereits erstellt hat. Im
NaPro wird nicht nur erstmals – und das breit angelegt,
offen, ehrlich und umfassend – der Atommüll bilanziert,
sondern auch ein Konzept dafür entworfen, welcher
Atommüll wo gelagert werden soll.

Ab unter die Erde und dann Schwamm drüber: Das
war – so flapsig könnte man es vielleicht sagen – lan-
ge Zeit die gängige Entsorgungsphilosophie, mit fatalen
Folgen, wie wir bei der Asse erkennen mussten. Bei der
Asse, in Gorleben und beim Schacht Konrad wurde auch
klar, dass es nicht ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit
geht.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Diese Erkenntnis wurde mit dem Standortauswahl-
gesetz vom Juli 2013 und der Einsetzung der Endlager-
kommission aufgegriffen. Damit wurde auch schon der
Richtlinie entsprochen. Endlich sollte ein Verfahren ge-
funden werden, das die Öffentlichkeit, die Bevölkerung,
miteinbezieht und bei ihr möglichst breite Akzeptanz
findet, damit es nicht so wie bei Gorleben abläuft, wo
der Standort aus zweifelhaften politischen Erwägungen
willkürlich bestimmt wurde.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Kommission ist also dabei, ein Suchverfahren zu
entwickeln, insbesondere für hochradioaktiven Müll. Je
länger die Kommission tagt, desto deutlicher wird die
Dimension der Herausforderungen, die in dem Auftrag
liegen. Das macht das Nationale Entsorgungsprogramm
deutlich: Wir haben nicht nur ein ungelöstes Problem mit
dem hochradioaktiven, sondern auch mit dem mittel- und
schwachradioaktiven Müll.

Es ist hier schon angeklungen: Was passiert mit den
Asse-Abfällen und was mit den sogenannten Uran-Tails
aus Gronau? Das NaPro – auch das wurde schon ange-
sprochen – favorisiert nun die Suche nach einem Endla-
ger, das alle Arten des Atommülls, hochradioaktiv sowie
mittel- und schwachradioaktiv, aufnehmen kann. Dies
geschieht aus einem sehr guten Grund: Die Bedenken der
Bevölkerung gegen Schacht Konrad wurden gehört und
ernst genommen. Das ist ein entscheidender Schritt in die
richtige Richtung. Als Abgeordnete, in deren Wahlkreis

Sylvia Kotting-Uhl






(A) (C)



(B) (D)


Gorleben liegt, kann ich ein solches Vorgehen nur aus-
drücklich begrüßen.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Ich muss allerdings an dieser Stelle kritisch anmerken,
dass die seit Jahrzehnten vorgetragenen Bedenken der
Menschen aus Lüchow-Dannenberg über lange Zeit lei-
der keine vergleichbare Folgewirkung hatten.

Eine Suche nach einem Kombilager würde alle Vor-
aussetzungen radikal verändern. Wir reden dann vom
zehnfachen Volumen und bei den Asse-Abfällen über
mögliche chemische Reaktionen, Prozesse und Auswir-
kungen, die wir noch gar nicht kennen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kommission hat
auch in diesem Fall eine, wie ich meine, gute Entschei-
dung getroffen. Sie wird in dem Bericht, der im Juli 2016
übergeben wird, insbesondere die Auswahlkriterien für
hochradioaktive Abfälle darstellen und sich in einem
weiteren Kapitel mit Empfehlungen für eine Lagerstät-
te beschäftigen, in der auch die Asse-Abfälle eingelagert
werden können.

Eines muss aber aus meiner und aus unserer Sicht
ganz klar sein: Eine Verengung auf ein wie auch immer
geartetes Kombilager, bei der es aufgrund des benötigten
Volumens von vornherein nur auf Salz als Wirtsgestein
und damit auf Gorleben als einzig möglichen Standort
hinausläuft, ist nicht akzeptabel. Das widerspräche auch
den Zielen und dem Grundgedanken des Standortaus-
wahlgesetzes.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch Akzeptanz wäre so nicht zu erreichen. So wie ich
die Arbeit in der Kommission verfolge, ist das überhaupt
nicht zu erwarten; da bin ich ganz sicher. Ich will das als
Abgeordnete mit Gorleben im Wahlkreis hier nur noch
einmal deutlich sagen, und das ist natürlich auch die Er-
wartung der Menschen in meiner Region.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen ist es
richtig, dass das Nationale Entsorgungsprogramm ex-
plizit unter Vorbehalt der Ergebnisse der Endlagerkom-
mission steht und nicht umgekehrt, wie die Linken es
fordern. Aus all den hier genannten Gründen können wir
der 14. Novelle des Atomgesetzes in der Fassung der Be-
schlussvorlage mit gutem Gewissen zustimmen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813018200

Vielen Dank, Kollegin Lotze. – Der letzte Redner in

dieser Debatte: Florian Oßner.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Oßner (CSU):
Rede ID: ID1813018300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Diese Debatte führt uns vor Augen, dass wir

eine gewaltige Aufgabe zu bewältigen haben. Unser Ziel
ist es, eine sichere Endlagerung für den atomaren Abfall
zu finden. Ja, wir bemühen uns jetzt schon fast ein hal-
bes Jahrhundert darum. Weitere 50 Jahre können wir uns
gerade vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Kern-
energie nicht mehr leisten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daher freut es mich, dass wir die 14. Novelle des
Atomgesetzes parlamentarisch nun so zügig behandeln.
Dafür natürlich herzlichen Dank an das Bundesumwelt-
ministerium. Wir schaffen hiermit den Rechtsrahmen für
das Nationale Entsorgungsprogramm; das wurde heu-
te schon mehrfach angesprochen. Diesem Programm
kommt die Aufgabe der Erstellung einer strategischen
Gesamtkonzeption und eines umfassenden Verzeichnis-
ses aller atomaren Abfallarten in Deutschland zu.

Wir setzen damit auch Europarecht um. Jetzt sollten
wir zügig weitermachen, um den Zeitplan einzuhalten,
den das Standortauswahlgesetz vorgibt. In der Kom-
mission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“, der
Endlagerkommission, haben wir uns laut gesetzlichem
Rahmen bis zum 30. Juni 2016 Zeit gegeben, um Emp-
fehlungen für Kriterien und Verfahren zur Endlagersuche
auszuarbeiten. Diese Zeit müssen wir jetzt sinnvoll nut-
zen, ohne Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, was ich
vor allem an die Kollegen der Grünen richte.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was?)


Mit der Beschlussempfehlung für eine Neuordnung
der Behördenstruktur zur nuklearen Entsorgung haben
wir in der Endlagerkommission bereits einen zentralen
Eckpunkt für den Abschlussbericht gesetzt. Allerdings
ist es nach wie vor meine Meinung, dass Regulierung
und Betrieb der Endlagerung strikt getrennt durch un-
terschiedliche Behörden erfolgen sollten und damit die
Aufsicht durch verschiedene Bundesbehörden durchge-
führt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies ist nicht nur im Sinne der EU-Vorgaben, sondern
entspricht auch meinem Verständnis einer effektiven
Kontrolle.

Auch sollten wir uns in der Kommissionsarbeit bei der
inhaltlichen Befassung mit dem Thema Rechtsschutz gut
überlegen, in welchem Umfang und bis zu welchem Sta-
dium wir bei der Endlagererkundung Rechtsschutz emp-
fehlen. Bundestag und Bundesrat müssen aber Letztent-
scheidungsrecht in dieser Frage behalten. Es darf nicht
sein, dass sich die Endlagerung nach einer Entscheidung
durch den Gesetzgeber durch vielfältige Klagemöglich-
keiten und Gerichtsverfahren wiederum um Jahre oder
gar Jahrzehnte verzögert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia KottingUhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So was kommt vor!)


Das Nationale Entsorgungsprogramm mahnt uns mit
der exakten Auflistung und Prognose aller Abfälle ge-
rade dazu, termintreu zu sein und eine Endlagerung in
einem vernünftigen Zeithorizont zu realisieren. Der

Hiltrud Lotze






(A) (C)



(B) (D)


Schacht Konrad – er wurde heute schon mehrfach an-
gesprochen – ermöglicht es uns, voraussichtlich ab 2022
den schwach- und mittelradioaktiven Abfall Schritt für
Schritt endzulagern. Den Abschlussbericht sollten wir
auf die wesentlichen Fragen mit dem Schwerpunkt hoch-
radioaktive Abfälle beschränken. Wir müssen ihn nicht
mit historischen und ethischen Betrachtungen überladen.
Die Endlagerkommission ist meines Erachtens auch nicht
als belehrendes Gremium gedacht, sondern als Empfeh-
lungs- und Ratgeber für Legislative und Exekutive.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bürger verlangen von uns mehrheitlich tragbare
Lösungsvorschläge für dieses komplexe Problem statt
akademischer Spiegelgefechte. Mit einem fristgerechten
Bericht können wir gleichzeitig den vereinbarten Zeit-
plan zum Ausstieg aus der Kernenergie einhalten und
ein klares Zeichen der Verantwortung gegenüber den
zukünftigen Generationen setzen. Ich denke, das ist ein
ganz wichtiger Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass der
Rückbau einzelner Kernkraftwerke bereits läuft. Ab 2022
werden die Rückbaumaßnahmen nach Abschaltung der
letzten Kernkraftwerke – zum Beispiel Isar 2 in Essen-
bach bei Landshut in meiner Heimatregion – sicherlich
noch intensiver. Das bedeutet, dass weiterer Abfall an-
fällt.

Wir sollten auch die Sorgen der Menschen an den
Standorten der Kernkraftwerke ernst nehmen. In den
dortigen Zwischenlagern sind bereits die abgebrannten
Brennelemente der Kernkraftwerke verwahrt. Jetzt sehen
sich einige dieser Standorte noch mit der Aufnahme von
26 weiteren Castorbehältern mit radioaktiven Abfällen
aus den Wiederaufbereitungsanlagen La Hague und Sel-
lafield konfrontiert. Das Standortauswahlgesetz sieht das
zwar so vor, doch die Bürgerinnen und Bürger müssen
die Klarheit haben, dass es sich tatsächlich nur um eine
zeitlich begrenzte Zwischenlagerung handelt. Ein Bericht
der Endlagerkommission zum 30. Juni nächsten Jahres
mit Schwerpunkt hochradioaktive Abfälle verdeutlicht,
dass die Politik Befürchtungen der Bevölkerung klar ent-
gegentritt. Denn eines darf nicht passieren: Zwischenla-
ger dürfen sich letztlich nicht in Endlager verwandeln.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ebenso ist es für mich ein Gebot, das Standortaus-
wahlgesetz in Bezug auf die geografischen Standorte
ernst zu nehmen. Bei der Ausarbeitung unserer Emp-
fehlungen muss das Prinzip der weißen Landkarte gel-
ten. Kein Standort darf aus irgendwelchen Gründen von
vornherein ausgeschlossen werden. Das bedeutet, dass
das Erkundungsbergwerk Gorleben so weit und so gut,
wie es technisch und rechtlich erforderlich ist, offenge-
halten werden muss. Das Bundesamt für Strahlenschutz
ist gefordert, dafür Sorge zu tragen. Die Historie und die
Symbolik dieses Standorts für die Umweltbewegung und
letztlich auch ein Stück weit für Sie, liebe Grüne, dürfen
nicht als Rechtfertigung herhalten, den Salzstock Gorle-
ben vorab auszuklammern. Das wäre aus meiner Sicht

ungerecht gegenüber allen anderen möglichen Standor-
ten in Deutschland.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir ja auch nicht!)


Das Nationale Entsorgungsprogramm führt aber nicht
nur die Abfälle aus der Kernenergie, sondern auch aus
der Kerntechnik und der Medizin auf. Wir sollten bei un-
seren Bemühungen, diesen atomaren Abfall endzulagern,
nicht den Forschungsstandort Deutschland gefährden.

Deutschland hat internationale Zusagen zur Nichtver-
breitung von hochangereichertem Uran gemacht. Dem-
nach sind wir aufgefordert, dieses Material, das wir für
Forschungszwecke benötigen, immer an die Lieferländer
zurückzuführen.

Wir sollten den kerntechnischen Forschungseinrich-
tungen auch nicht die Grundlage entziehen, indem wir
den Zugang und die Rücknahme von Brennelementen für
Forschungszwecke gesetzlich unmöglich machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das denn heißen?)


Kerntechnik ist für die Grundlagenforschung in der
Industrie – zum Beispiel bei der Materialforschung; das
wird oft nicht erkannt –, aber auch in der Medizin – zum
Beispiel bei der Krebsforschung – sowie in der Pharma-
zie unerlässlich. Dort ist sie wichtig. Wir benötigen das
Wissen der Experten auf diesem Gebiet für den Erhalt
der Spitzenposition des Forschungs- und Entwicklungs-
standorts Bayern bzw. Deutschland.

Kompetenzerhalt für den Rückbau ist hier absolut er-
forderlich und überlebensnotwendig. Den Vorwurf, der
Kompetenzerhalt diene dazu, einen Wiedereinstieg in
die friedliche Nutzung der Kernenergie zu ermöglichen,
halte ich daher für eine ideologisch völlig verfehlte Ar-
gumentation.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aus der Verantwortung gegenüber den nachkommen-
den Generationen heraus dürfen wir das Thema Endla-
gerung nicht mehr auf die lange Bank schieben. Darum
sollten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser
Legislaturperiode ein unverrückbares Zeichen zur Lö-
sung der Endlagerfrage setzen. Daher müssen wir dieser
Novelle zustimmen.

Herzliches „Vergelts Gott“ fürs Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813018400

Danke schön, lieber Kollege. – Damit schließe ich die

Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung des Atomgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6234,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-

Florian Oßner






(A) (C)



(B) (D)


che 18/5865 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen.
Wer stimmt zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich die Lin-
ken.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/
CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Linken.

Ich kann Sie einladen, auch dem nächsten Tagesord-
nungspunkt zu folgen. Heute Morgen ging es um ein
starkes Europa. Wollen wir einmal sehen, wie viele sich
dafür einsetzen wollen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner,
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsame Grundwerte stärken – Europa
stärken

Drucksachen 18/4686, 18/6196

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Staatsminister Michael Roth für die Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1813018500

Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ihrem Charme sind doch einige Abgeord-
nete erlegen; das ist schön.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813018600

Die Abgeordneten verlassen den Raum.


(Heiterkeit)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1813018700

Es sind aber auch einige dageblieben. Bekannterma-

ßen zählt die Qualität und nicht die Quantität. Im Übri-
gen haben Sie, Frau Präsidentin, versucht, eine Brücke zu
der Debatte anlässlich der Regierungserklärung der Bun-
deskanzlerin heute Morgen zu schlagen. Ich finde, dass
die jetzige Debatte unmittelbar an das anknüpft, worüber
wir heute Morgen debattiert und gestritten haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was macht uns zu
Europäern? Ist das die Zugehörigkeit zu einem Konti-
nent? Ist das der Binnenmarkt? Ist das der Euro? Sicher-
lich auch. Aber wir sind vor allem eine Gemeinschaft von
Werten, eine Gemeinschaft, die sich verständigt hat auf
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte,
die Würde des Einzelnen, Solidarität und Freiheit. Wir
alle wissen, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist,
weder im globalen Wettstreit noch in der EU als Ganzes.
Deshalb ist es gut, dass wir heute diese Debatte im Deut-
schen Bundestag führen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die Logik habe ich nicht verstanden!)


Ich weiß aus meiner bisherigen Arbeit, dass das The-
ma innerhalb der EU nicht von allen mit der gleichen Lei-
denschaft angepackt wird, weil man oft skeptisch ist, ob
es zuträglich ist, sich in die inneren Angelegenheiten von
Mitgliedstaaten der Europäischen Union einzumischen.

Wir sind eine Gemeinschaft. Genauso wie uns Fragen
der Haushalts- und der Wirtschaftspolitik grenzüber-
schreitend beschäftigen, sind wir alle davon betroffen,
wenn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Zweifel ge-
zogen werden. Deshalb tut eine gesamteuropäische Ver-
ständigung not. Es ist auch gut, dass wir in den nationa-
len Parlamenten, insbesondere im Deutschen Bundestag,
darüber reden.

Unsere europäische Gesellschaft ist wertegebunden.
Das trägt uns und hält uns zusammen. Wir sind zugleich
offen für alle Kulturen, alle Religionen und alle Ethnien.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bayern!)


Es ist schon merkwürdig, dass sich Deutschland dafür
kritisieren lassen muss, dass es mit Flüchtlingen so um-
geht, wie es unsere Werte vorschreiben, nämlich human
und anständig. Auch das muss einmal zur Sprache ge-
bracht werden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sagen Sie das Herrn Seehofer!)


Wir müssen unsere Werte auch im Innern leben. Das
darf sich nicht alleine darauf fokussieren, dass wir schö-
ne, wohlfeile Reden halten. Es geht auch um konkrete
Taten.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Deine Rede ist auch wohlfeil!)


Deshalb haben die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU
und SPD im Koalitionsvertrag verabredet, einen wirksa-
men Mechanismus in der Europäischen Union zu imple-
mentieren, der Fragen von Demokratie und Rechtsstaat-
lichkeit verstärkt überprüft.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wo gibt es den denn?)


Dies ist uns nach langen Auseinandersetzungen gelungen.
Nicht alleine die Kommission und das Europäische Par-
lament beschäftigen sich mit dem Zustand der Werte und
der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Viel-
mehr haben wir seit Dezember 2014 auch im Ministerrat

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


einen entsprechenden Mechanismus entwickelt. Das war
nicht einfach, aber nun haben wir ihn. Wir werden uns
im kommenden November unter luxemburgischer Präsi-
dentschaft zum allerersten Mal darüber austauschen, wie
es um die Werte und die Rechtsstaatlichkeit bestellt ist.
Die luxemburgische Präsidentschaft hat als Thema die
Grundwerte im digitalen Zeitalter vorgeschlagen. Wir
haben uns kürzlich in einem Kolloquium der EU-Kom-
mission über Fragen der Islamophobie und des Antisemi-
tismus ausgetauscht. Genau solche Debatten werden wir
führen müssen; denn wie wir wissen, ist Artikel 7, der das
Verfahren festlegt, das auf den Entzug der Stimmrechte
eines Landes hinausläuft, kein taugliches Instrumentari-
um. Deswegen brauchen wir einen neuen Mechanismus,
der inklusiv ist und der auch kein einzelnes Land an den
Pranger stellt; denn wir alle haben unsere Hausaufgaben
zu erledigen. Wenn wir über den Antisemitismus in Euro-
pa reden, dann wissen wir, dass dieser nicht nur ein Phä-
nomen in einigen wenigen Staaten ist, er ist ein Thema,
das auch uns in Deutschland in besonderer Weise betrifft.

Ich hoffe, dass diese Debatte auch dazu beiträgt, uns
alle zu sensibilisieren, und dass sie dazu beiträgt, dass
wir, wenn konkrete Missstände erkennbar werden, diese
auch benennen. Das darf kein Thema sein, das wir hinter
verschlossenen Türen diskutieren, sondern das Thema
muss in die Parlamente hineingetragen werden. Wenn
der Antrag, der heute zur Debatte steht, dazu beitragen
kann, würde ich mich sehr darüber freuen. Ich zumindest
verstehe ihn als Rückenwind für die Bemühungen der
Bundesregierung.

Ich hoffe, dass es uns gelingt, auch in der Novem-
berdebatte im Ministerrat ein klares Zeichen zu setzen.
Worauf ich besonders hinweisen möchte, ist, dass bei
einer konkreten Missachtung der Grundwerte auch eine
entsprechende Ad-hoc-Debatte im Ministerrat vorgese-
hen ist. Wir werden im nächsten Jahr mit Ihrer Unter-
stützung den Beweis antreten müssen, dass wir uns da-
mit beschäftigen, wie es um die Grundwerte steht, ob sie
für uns nicht nur auf dem Papier stehen, sondern ob wir
sie leben, ob wir sie verteidigen und ob wir sie achten.
Wenn die Bundesregierung dabei auf die Unterstützung
des Deutschen Bundestages zählen kann, wäre ich Ihnen
ausgesprochen dankbar.

Augustinus soll einmal gesagt haben: Nimm das
Recht weg, was ist dann der Staat noch anderes als eine
große Räuberbande? – Dieser Satz verpflichtet nicht nur
Deutschland vor dem Hintergrund seiner schwierigen,
tragischen Geschichte, dieser Satz verpflichtet alle in Eu-
ropa, 28 Mitgliedstaaten und die Institutionen der Euro-
päischen Union.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813018800

Vielen Dank, Michael Roth. – Nächster Redner in der

Debatte: Andrej Hunko für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813018900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Staatsminister Roth, Sie haben vorhin einen Brücken-
schlag zu der Debatte von heute Morgen versucht. Ich
will einen Brückenschlag zur Debatte von gestern ma-
chen, in der wir über 70 Jahre UNO diskutiert haben.
Infolge der Gründung der Vereinten Nationen gab es
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Wenige
Jahre später gab es in Europa die Europäische Menschen-
rechtskonvention, das wichtigste Dokument zur Veranke-
rung von Menschenrechten in Europa. Ich finde es sehr
befremdlich, dass weder im Antrag der Grünen noch in
Ihrer Rede darauf Bezug genommen wurde.

Die Europäische Menschenrechtskonvention ist im
Unterschied zur Allgemeinen Erklärung der Menschen-
rechte völkerrechtsverbindlich. Es gibt einen Gerichtshof
in Straßburg, den Europäischen Gerichtshof für Men-
schenrechte, der 820 Millionen Bürgern in den Staaten
des Europarates, also in ganz Europa, ein Individualkla-
gerecht ermöglicht. Dieses Recht gibt es für alle Men-
schen, also auch für die Flüchtlinge, die jetzt nach Europa
gekommen sind. Sie haben die Möglichkeit, vor diesem
Gerichtshof zu klagen. Ich glaube, die Stärkung dieser
Institution, auch ihre Benennung hier in der Debatte, ist
der wichtigste Schutz zur Stärkung der Grundrechte in
Europa. Deswegen will ich damit anfangen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Europäische Union, die nicht identisch mit Eu-
ropa ist – sie ist ein Teil von Europa mit bestimmten
Verträgen und bestimmten Institutionen –, hat sich im
Lissabon-Vertrag verpflichtet, dieser Menschenrechts-
konvention beizutreten, weil es auf der EU-Ebene kei-
nen vergleichbaren Schutz gibt und auch damit Bürger
in Europa die Möglichkeit haben, bei Verstößen der EU
vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
zu klagen. Dieser Beitritt sollte mit Inkrafttreten des Lis-
sabon-Vertrags am 1. Dezember 2009 vollzogen werden.
Das ist jetzt mittlerweile fast sechs Jahre her, und die-
ser Beitritt ist nicht vollzogen worden. Wenn wir einen
Antrag zu dem Thema in die Debatte einbrächten, wäre
die Forderung nach einem Beitritt der EU zur EMRK die
wichtigste Forderung.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber nicht nur hinsichtlich der Menschenrechte, son-
dern auch hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit – darum
geht es noch mehr in dem Antrag – gibt es durchaus funk-
tionierende Strukturen auf Europaratsebene.

Ich denke an die Venedig-Kommission; sie wird im
grünen Antrag positiv erwähnt. Die Venedig-Kommissi-
on überwacht sozusagen Rechtsstaatlichkeit und vor al-
len Dingen Verfassungsfragen in den 47 Mitgliedstaaten.
Beispielsweise in Moldawien sollte vor einigen Jahren
ein Gesetz in Kraft treten, das kommunistische Symbole
verbietet. Dieses Gesetz ist von der Venedig-Kommis-
sion als Verstoß gegen europäische und demokratische
Prinzipien bezeichnet worden. Deshalb ist es nicht in
Kraft getreten. Ein ähnliches Gesetz, das jetzt in der Uk-
raine in Kraft getreten ist, wird bald ebenfalls von der

Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)


Venedig-Kommission beraten. Ich gehe von einem ähn-
lichen Ausgang aus.

Es gibt ein Memorandum zwischen dem Europarat
einerseits und der EU andererseits. Darin ist ganz klar
festgehalten, dass der Europarat die Benchmark, also
die Bezugsgröße, für Fragen der Menschenrechte, der
Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie bleibt und dass
eine Doppelung von Strukturen vermieden werden soll.
Ich lese den grünen Antrag so, dass eine ähnliche Struk-
tur auf EU-Ebene aufgebaut werden soll. Ich halte das
nicht für sinnvoll. Es schwächt eher die Strukturen.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Ich komme zum Ende. Die Linke unterstützt die
Stärkung von Grundrechten. Die Linke ist aber dage-
gen, wenn es dadurch eine Doppelung von Strukturen
gibt und wenn Kompetenzen, die schon da sind und die
funktionieren, auf EU-Ebene verlagert werden. Die Lin-
ke tritt für die Stärkung insbesondere der Europäischen
Menschenrechtskonvention, für die Stärkung des Euro-
päischen Gerichtshofes und auch für die Weiterentwick-
lung anderer Strukturen wie etwa der Europäischen So-
zialcharta ein. Darauf zielt der grüne Antrag leider nicht
ab. Das, was mit diesem Antrag beantragt wird, läuft auf
eine Doppelung dieser Strukturen hinaus. Deswegen leh-
nen wir ihn ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813019000

Vielen Dank, Kollege Hunko. – Nächster Redner in

der Debatte: Thomas Dörflinger für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1813019100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich will mir zu Beginn meiner Rede die Kritik
meines Sohnes an meinem jüngsten Plenarbeitrag zu ei-
gen machen, den ich um eine ehrliche Einschätzung ge-
beten hatte. Er hat gesagt: War prima; aber verstanden
habe ich leider nichts. – Offenkundig ist das der Beweis
dafür, dass wir, wenn wir es ohnehin schon mit schwieri-
gen Dingen zu tun haben, eine besondere Begabung da-
für haben, diese schwierigen Dinge auch noch schwierig
zu erklären.

Deswegen beginne ich mit den Anfängen: Als die
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft – so hieß die
Vorgängerorganisation der heutigen EU damals – Mitte
der 1950er-Jahre gegründet wurde, hat man sich darauf
verständigt, dass sich diejenigen, die damals schon da-
bei waren, und diejenigen, die dazukommen möchten,
an bestimmte Grundwerte halten. Das sind im Wesent-
lichen, um es zu vereinfachen, die Dinge, die wir aus
dem Grundgesetz unseres Landes kennen: Religions-
freiheit, Meinungsfreiheit, Achtung vor der Menschen-
würde, Achtung der Menschenrechte und alle weiteren
dort niedergelegten Grundrechte. Das steht so auch in der

Nachnachnachfolgeversion der Römischen Verträge, im
Lissabon-Vertrag, im Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union.

Die Frage, vor der wir nun stehen, heißt: Was tun
wir, wenn sich ein Mitgliedstaat der Europäischen Uni-
on in der politischen Praxis erkennbar nicht an diesen
Grundwerten orientiert oder sogar dagegen verstößt? Ich
verweise auf Artikel 7 des Lissabon-Vertrages, der be-
stimmte Pönale, also bestimmte Strafen, vorsieht; diese
Strafen sind sehr drakonisch. Es gibt beispielsweise die
Möglichkeit des Entzugs des Stimmrechtes. Das heißt,
das jeweilige Land kann im Rat, also in der Runde der
europäischen Staats- und Regierungschefs, seine Stimme
nicht mehr mitabgeben. Daraus folgt: Wenn die Strafe
so drakonisch ist, dann zieht sie notwendigerweise nur
dann, wenn auch der Verstoß sehr bedeutend war.

Um ein Beispiel zu nennen: Wenn ein Land die Presse-
freiheit abschaffen würde, dann würde Artikel 7 des Lis-
sabon-Vertrages vermutlich greifen. Aber wenn ein Land
an der Pressefreiheit nur kratzt oder sie einschränkt, dann
ist dieser Artikel 7 vermutlich ein Schwert, das zu scharf
ist, weil die Strafe zu hoch ist. Daher stellt sich die Fra-
ge: Haben wir ein Format, um derartige Verstöße zu ahn-
den oder um mit dem jeweiligen Land ins Gespräch zu
kommen? Das ist in Artikel 7 so nicht verankert; dieses
Format gibt es so nicht. Das hat den deutschen Außen-
minister – seinerzeit Guido Westerwelle – im Jahr 2013
zusammen mit seinen Amtskollegen aus Dänemark, den
Niederlanden und Finnland auf die Idee gebracht, die so-
genannte europäische Rechtsstaatsinitiative auf den Weg
zu bringen. Diese sieht ein Verfahren unterhalb des re-
lativ komplizierten Verfahrens in Artikel 7 vor, bildlich
gesprochen: ein Format, in dem man zunächst einmal
miteinander spricht und versucht, die Dinge in einem
Dialog, in einem Trilog zu klären. Wenn jemand in der
eigenen Familie über die Stränge schlägt, dann verweist
man ihn auch nicht gleich des Hauses, sondern man setzt
sich zunächst an einen Tisch und versucht, die Dinge in
einem ruhigen, sachlichen Ton miteinander zu klären. –
So weit, so gut.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der heute
auf dem Tisch liegt, geht aber über das, was die europä-
ische Rechtsstaatsinitiative vorsieht, bei weitem hinaus
und ist auch der Grund dafür, weswegen sich die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion mit dem Inhalt in keiner Weise
anfreunden kann. Bei der Konstruktion der europäischen
Rechtsstaatsinitiative wurde sehr bewusst darauf geach-
tet, dass eben nicht eine neue Institution geschaffen wird,
sondern dass man mit den vorhandenen Mitteln, die das
Instrumentarium innerhalb der Europäischen Union bie-
tet, das Format abbildet, um miteinander ins Gespräch zu
kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn ich in dem Antrag nun etwas von Monitoring
Panels und unabhängigen Expertenrunden lese, dann
mag das in Ihrer politischen Intention folgerichtig sein.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Andrej Hunko






(A) (C)



(B) (D)


– Das habe ich erwartet, Herr Kollege Sarrazin. Aber ich
bitte gleichzeitig um Verständnis, dass wir diesem Ansatz
so nicht folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir verfolgen den Ansatz auch deswegen nicht – das
fand ich in dem Antrag der Grünen besonders span-
nend –: Wir sind uns vermutlich einig darüber, dass alle
28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union – wenn auch
in unterschiedlicher Ausprägung – Rechtsstaaten sind. In
Rechtsstaaten gibt es ein Selbstreinigungsverfahren, das
jeder Demokratie eigen ist. Das kommt aber im Antrag
der Grünen nicht einmal im Wort vor, was mich wun-
dert. Ich weiß nicht, wer das Wort „Basisdemokratie“
schlussendlich erfunden hat, aber wenn es um die Ur-
heberrechte geht, könnte es sein, dass die Grünen in die
engere Auswahl kommen. Auch das Wort „Wahl“ kommt
in dem Antrag gar nicht vor. Die Wahl ist im demokra-
tischen Rechtsstaat ein Selbstreinigungsmittel, das die
Bürgerinnen und Bürger selbst zur Anwendung bringen,
indem sie schlicht und ergreifend die Regierung, die sie
möglicherweise in ihren Rechten beschneidet oder ein-
schränkt, abwählen, ohne dass es dazu von außen eines
Hinweises bedurft hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das liegt in der Zuständigkeit jedes einzelnen National-
staats.

Ich finde es interessant, dass zu den Handlungsemp-
fehlungen, zu den Vorstellungen, die die Europäische
Kommission entwickelt hat, im März des vergangenen
Jahres, wenn ich es richtig im Kopf habe, ein Gutachten
des Juristischen Dienstes des Europäischen Rates heraus-
gegeben wurde. Die Kommission hatte vorgeschlagen,
ein mehrstufiges Verfahren zu etablieren, um die europä-
ische Rechtsstaatsinitiative formal abzubilden. Kernsatz
der Einschätzung des Juristischen Dienstes des Rates ist,
dass die Vorschläge nicht durch die Zuständigkeit der Eu-
ropäischen Union gedeckt sind.

Dann finde ich es hochinteressant, dass Sie nicht nur
auf der Basis dieses Gutachtens einen Antrag formulie-
ren, der das abbildet, was schon durch den Juristischen
Dienst des Rates als rechtswidrig eingestuft worden ist,
sondern dass Sie noch einen obendrauf setzen und of-
fenkundig glauben, die Rechtswidrigkeit wäre geringer
als bei der Vorlage, auf die Sie sich bezogen haben. Das
erschließt sich mir logisch nicht, meine sehr verehrten
Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir bleiben dabei – insofern teile ich das, was Staats-
minister Roth zu Beginn der Debatte gesagt hat –: Der
Anlass und der Kern der europäischen Rechtsstaatsin-
itiative, so wie sie durch Guido Westerwelle und seine
Amtskollegen 2013 auf den Weg gebracht worden ist,
finden unsere Zustimmung, weil es ein Format unterhalb
von Artikel 7 ist, in dem Verstöße gegen die europäischen
Grundrechte in den Nationalstaaten besprochen werden
können.

Aber Institutionen neu ins Leben zu rufen, die das Ziel
verfolgen, durch ein auch parlamentarisch nicht legiti-
miertes Gremium,


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


das von irgendwem besetzt wird,


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vom Parlament!)


einen Mechanismus zu installieren, der dazu da ist, be-
stimmte Fehlentwicklungen – tatsächliche oder ver-
meintliche – in den einzelnen Mitgliedstaaten zu ahnden
oder zu korrigieren, das halte ich nicht nur für nicht ver-
einbar mit europäischem Recht, das halte ich auch poli-
tisch für nicht angezeigt, meine sehr verehrten Damen
und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen bleiben wir dabei: Wenn die luxemburgi-
sche Ratspräsidentschaft im Verlauf dieses Jahres einen
Vorschlag vorlegt – der Staatsminister hatte darauf hinge-
wiesen –, wie in der europäischen Rechtsstaatsinitiative
in diesem Jahre und in den Folgejahren zu verfahren ist,
dann ist das für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion
die Basis, auf der wir in den kommenden Jahren weiter-
arbeiten. Dafür brauchen wir weder neue Gremien noch
neue Institutionen. Wir arbeiten mit dem, was wir haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813019200

Vielen Dank, Kollege Dörflinger. – Nächste Rednerin

in der Debatte: Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/
Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren!
Wir haben in den letzten Tagen und Wochen viel disku-
tiert: über unsere Werte, über den menschenwürdigen
Umgang mit Flüchtlingen. Wir haben gesehen, wie Orbán
mit Flüchtlingen umgegangen ist, eben nicht menschen-
würdig. Wir haben die Weigerung mehrerer Mitglied-
staaten der EU erlebt, Flüchtlinge überhaupt aufzuneh-
men. Wir erleben ein öffentliches Zerlegen bei diesen
Themen, als ob es nicht um Menschen ginge, sondern um
irgendwelche Waren, die man hin und her schiebt. Es gab
über den Sommer ein öffentliches Zerlegen – das war es
fast schon – in der Griechenland-Debatte: Wer gewinnt?
Wer verliert? Wer zahlt wie viel? Wir haben in unserer
Nachbarschaft im Süden Länder, die eigentlich zerfallen,
und trotzdem keine gemeinsame effektive Außenpolitik.

In diesen Tagen stelle ich mir immer wieder die Fra-
ge: Was hält uns in der Europäischen Union eigentlich
noch zusammen? Was verbindet uns noch? Was haben
wir gemeinsam? Ich finde, das sind relevante Fragen, die
man stellen muss. Ich glaube nicht, dass die Antwort „der
Euro“ oder „der Binnenmarkt“ ausreicht, um die Bürge-
rinnen und Bürger auch in Zukunft mitzunehmen.

In Artikel 2 des EU-Vertrages heißt es:

Thomas Dörflinger






(A) (C)



(B) (D)


Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die
Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokra-
tie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung
der Menschenrechte einschließlich der Rechte der
Personen, die Minderheiten angehören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist es, was uns zusammenhält und was es durchzu-
setzen gilt.

Sie alle wissen – das hat Herr Dörflinger auch schön
gesagt –: Bis zum Beitritt ist das alles relevant. Da gibt
es Kriterien, Untersuchungen, Überprüfungen. Manch-
mal macht man ein Auge halb zu, aber es wird überprüft.
Wenn man dann Mitglied ist, kann man sich eigentlich
wieder alles erlauben. Man kann es schlecht finden, dass
es eine liberale Demokratie gibt. Man kann die Medien-
und Kartellgesetze so weit dehnen, dass es eigentlich
keine Pressefreiheit mehr gibt. Man kann Verfassungsge-
richtsrechte beschneiden.

Das Einzige, was wir haben, ist die sogenannte Nuk-
learbombe – Sie haben sie erwähnt –, die bis jetzt noch
nie genutzt wurde: der Artikel 7. Wir haben in dem Be-
reich nichts Vergleichbares zum Stabilitätspakt, zu der
Überprüfung der einzelnen Haushalte. Man kann kaum
jemandem erklären, warum wir mitbestimmen oder mit-
diskutieren, wie hoch die Mehrwertsteuer auf einer grie-
chischen Insel ist, aber nichts tun können, wenn Men-
schen unwürdig behandelt werden. Den Bürgerinnen und
Bürgern zu erklären „Das ist die Europäische Union. Das
eine können wir; bei dem anderen haben wir keine Inst-
rumente“, ist sehr schwierig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der bisherige Weg, nämlich „Wir hauen ein bisschen
mehr Geld raus oder üben Druck aus, damit die Länder
sich bewegen“, wird in Zukunft, glaube ich, nicht mehr
funktionieren. Man wird einen Monsieur Hollande nicht
durch mehr Geld dazu bringen, mehr Flüchtlinge aufzu-
nehmen, weil er Angst vor Marine Le Pen hat. Das Glei-
che gilt in England für Cameron. In Osteuropa ist es eine
andere Debatte, aber auch dort wird man wegen Geld
nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen.

Worum es geht – das Problem liegt doch wesent-
lich tiefer –, ist dieses gemeinsame Verständnis unserer
Grundwerte und ihrer Bedeutung auch für unsere po-
litischen Entscheidungen. Da braucht es gemeinsame
Anstrengungen, zu überzeugen und nicht nur anzupran-
gern. Ich glaube, wir brauchen Instrumente, um dort
hinzukommen, eine Neubesinnung oder Rückbesinnung
auf das, was uns eigentlich ausmacht. Ich glaube, dass
die Kommissionsinstrumente und das, was der Rat jetzt
macht, in die richtige Richtung gehen – Herr Roth, ich
weiß, dass Sie sich dafür eingesetzt haben –, aber das ist
trotzdem zu zahnlos, zu vage.

Deswegen wollen wir ein unabhängiges Gremi-
um. Übrigens: Wenn Sie den Text gelesen hätten, Herr
Dörflinger, hätten Sie gesehen, dass das Gremium mit ei-
nem Entsandten aus jedem nationalen Parlament besetzt
sein soll. Das heißt, wir würden über den Verfassungsex-
perten abstimmen, den wir in dieses Gremium senden.
Das Europäische Parlament würde zehn weitere Exper-

ten benennen. Das heißt, die Parlamente wären genau
diejenigen, die über die Zusammensetzung dieses Gre-
miums bestimmen. Der Vorteil eines solchen Gremiums
wäre, dass Herr Orbán nicht mehr sagen könnte: Ach,
den Gutachter hat sich ja die Kommission ausgesucht;
der hat mit mir nichts zu tun. – Es wäre der große Vorteil
eines solchen Gremiums, dass es eben unparteiisch wäre,
dass jeder mit in der Verantwortung stünde und man nicht
einfach sagen könnte: „Das kommt wieder aus Brüssel“,
sondern für jeden wäre klar: Da sind auch unsere Leute
mit drin, die wir entsandt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein großer Unterschied. Und genau das brauchen
wir: eine gemeinsame Anstrengung.

Von Ihrer Seite kam nun der Einwand, ein solches
Gremium stelle eine Konkurrenz zum Europarat dar. Sie
wissen doch, der Europarat braucht eine EU, die diese
Rechte auch umsetzen kann, und je stärker wir nach in-
nen werden, desto glaubwürdiger ist der Europarat. Des-
wegen handelt es sich nicht um eine Dopplung oder um
eine Konkurrenz, sondern beides ist absolut komplemen-
tär.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nötig ist auch, dass die Zivilgesellschaft basisdemo-
kratisch in diesen Prozess eingebunden wird, dass die
Debatten transparent verlaufen und nicht nur im Minis-
terrat geführt werden, der in kleiner Runde darüber dis-
kutiert. Dieser repräsentiert ja nicht die europäische Fa-
milie; die Familie ist größer als die Runde der Minister,
die irgendwo zusammensitzen. Deshalb muss man auch
eine gemeinsame Debatte führen.

Schließlich haben Sie noch auf den Juristischen Dienst
des Europäischen Rates verwiesen. Sie wissen doch, dass
dieser eh nichts einstufen darf. Ich weiß nicht, wie viele
Gesetze in dieser Legislaturperiode schon gegen den Rat
des Wissenschaftlichen Dienstes dieses Hauses verab-
schiedet wurden. Von daher würde ich auch nicht sagen,
dass das unbedingt der Maßstab aller Dinge ist. Wenn
schon, dann wäre das am Ende eines Entscheidungspro-
zesses der EuGH.

Ich glaube, dass es notwendig ist, diese Debatten öf-
fentlich, transparent und unabhängig, mit Experten und
trotzdem politisch geleitet zu führen. Wir brauchen sol-
che Debatten in Europa.

Am Ende möchte ich aus der Rede der Bundeskanzle-
rin vor einer Woche in Straßburg zitieren. Sie hat gesagt:
„Europa ist eine Wertegemeinschaft, eine Rechts- und
Verantwortungsgemeinschaft.“ Als Richtschnur nannte
sie: „Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, die
Achtung von Minderheiten, Solidarität.“

Ich finde, dass unser Antrag eine gute Handhabe bie-
tet, um ohne Vertragsveränderungen diesen europäischen
Werten mehr Geltung zu verschaffen. Herr Roth, nach
Ihren Worten bin ich ganz zuversichtlich, dass die SPD
vielleicht zustimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, geben Sie sich einen Ruck. Es wäre, wie
ich glaube, ein schönes Signal aus diesem Hause, wenn

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


wir auf diese Weise mehr Diskussionen und eine stärkere
Verankerung der Grundwerte europaweit einfordern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813019300

Vielen Dank, Kollegin Brantner. – Nächster Redner in

der Debatte: Dr. Lars Castellucci für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1813019400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es ist in
diesen Tagen viel von Europas Werten die Rede, und es
ist wichtig, an dieser Stelle einmal festzuhalten, dass sich
nicht jeder aussuchen kann, um welche Werte es geht,
sondern es vielmehr so ist, dass wir diese Werte aufge-
schrieben haben. Sie sind aus Artikel 2 des EU-Vertrages
zitiert worden. Ich darf einmal vorlesen, was da weiter
steht. Da steht nämlich auch noch:

Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Ge-
sellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus,
Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, So-
lidarität und die Gleichheit von Frauen und Män-
nern auszeichnet.

Auch der Wert der Solidarität wird erwähnt, den wir ja
gerade in der Flüchtlingsfrage einfordern. Wir fordern
ihn also nicht einfach so ein, sondern wir fordern ihn ein
auf der Basis von gemeinsam verabredeten und verab-
schiedeten Vertragstexten.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch – das
ist ja das eigentliche Thema –, dass diese Grundwerte,
wie Artikel 49 festlegt, zwingend zu erfüllen sind, wenn
jemand Mitglied der Europäischen Union werden will,
aber – das sagt ja selbst Herr Dörflinger – wir eigent-
lich kein Instrumentarium haben, das sicherstellt, dass,
wenn jemand in der Europäischen Union drin ist, diese
Grundwerte auch eingehalten werden. Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren, das kann aus meiner Sicht so
nicht bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen also ein Instrument. Und diese Rechts-
staatinitiative passt aus meiner Sicht absolut in diese
Zeit; sie ist nötig. Wir laufen in Europa auseinander in
diesen Wochen, in denen es eigentlich auf europäischen
Zusammenhalt ankommt. Wir brauchen dringend die
Rückbesinnung auf das, was uns verbindet.

Es gibt Handlungsbedarf: Es können Flüchtlinge nicht
zurück nach Italien überführt werden, es können Flücht-
linge aufgrund von Gerichtsurteilen nicht zurück nach
Ungarn überführt werden, es gibt Zurückweisungen an
den Grenzen. Es wird europäisches Recht nicht einge-
halten, und wir haben nichts in der Hand, um das zu än-
dern. Deswegen lobe ich auch die Bundesregierung für
die Schritte, die sie in die Wege geleitet hat. Ich finde sie
sehr gut. Ich bin auch dankbar dafür, dass die Grünen die-
sen Antrag gestellt haben und diese Debatte heute hier er-

möglichen. Wir müssen aber weiter gehen, und es stimmt
mich sehr hoffnungsvoll, dass das Europäische Parla-
ment sich vorgenommen hat, einen an den Kopenhage-
ner Kriterien angelehnten Mechanismus zu definieren,
der sogar über das hinausgehen wird, was heute vorliegt.

Zur Union möchte ich noch etwas sagen: Sie sind
doch immer für Sicherheit, Ordnung, Recht, Leitkultur
und all dies. Sie sind doch immer dafür, dass Menschen,
die zu uns kommen, sich an unsere Gesetze zu halten ha-
ben. Das ist ja am Ende des Tages auch richtig. An dieser
Stelle ist aber doch eindeutig klar: Regeln, die wir nicht
durchsetzen wollen, brauchen wir auch nicht aufzustel-
len. Deswegen bitte ich Sie herzlich, sich nicht dagegen
zu versperren, dass wir hier ein Instrumentarium schaf-
fen, das uns hilft, Regeln, die wir gemeinsam aufgestellt
haben, auch wirklich durchsetzen zu können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle einen Appell: Europa soll zu ge-
meinsamen Vorgehensweisen zurückfinden. Das sagen
wir doch alle hier. Aber mit welchem Recht fordern wir
eigentlich von Europa gemeinsame Vorgehensweisen,
wenn wir noch nicht einmal hier in diesem Saal zu ge-
meinsamen Vorgehensweisen in der Lage sind, und das
noch beim Thema „Europäische Grundwerte“, die uns
doch alle verbinden?

Vielleicht ist das wirklich einmal ein Punkt, bei dem
wir uns zusammenraufen und zeigen können: Für euro-
päische Grundwerte stehen wir alle in diesem Haus. Wir
werden aus Koalitionsdisziplin diesen Antrag zurückwei-
sen, aber wir werden im Laufe des Verfahrens auf euro-
päischer Ebene noch einmal einen Anlauf unternehmen
und versuchen, zu einem gemeinsamen Text zu kom-
men. – Das würde ich sehr begrüßen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein letzter Aspekt. Jetzt ist von blauen Briefen, von
Kontrolle und neudeutsch von „blame and shame“ die
Rede. Ich frage, ob das eigentlich das ist, was uns am
Ende hilft, zusammenzustehen. Oder müssen wir nicht
vielmehr mit jeder Faser und jeden Tag denen, die zu uns
kommen und die eigentlich andere Werte teilen, deutlich
machen, dass wir wirklich hinter unserem Rechtsstaat
und hinter unseren Grundwerten stehen, dass wir denen
dankbar sind, die sie in Generationen vor uns errungen
haben, und dass wir es als Auftrag verstehen, sie voran-
zutreiben und sie auch in der heutigen Zeit durchzuset-
zen?

Ich wünsche mir, dass wir nicht nur ein Instrumenta-
rium haben, mit dem wir gegenüber Menschen und Län-
dern, die die Vorgaben nicht korrekt erfüllen, den Zeige-
finger heben können, sondern dass wir im Gegenteil auch
gute Beispiele schaffen und Begeisterung für unser Le-
bensmodell ausstrahlen. Ich halte es für fantastisch, auf
einem Kontinent zu leben, auf dem wir uns Spielregeln
gegeben haben, und, wenn wir uns in diesem Rahmen
bewegen, frei und ohne Angst aufwachsen können. Das
ist ein Modell des Zusammenlebens für die ganze Welt.

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


Das müssen wir ausstrahlen. Das ist das Wichtigste, was
wir hier miteinander verabreden können.

Wir dürfen nicht nur dabei stehen bleiben, in Kontroll-
mechanismen zu denken, sondern wir müssen in Rich-
tung der jungen Generation und der Menschen, die zu
uns kommen, auch wieder unsere Werte wirklich vorle-
ben. Die Menschen müssen bei uns spüren, dass uns das,
was wir von der Türkei oder von denen, die zu uns kom-
men, fordern, wichtig ist. Diese Grundwerte sind funda-
mental für unsere Gesellschaft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813019500

Vielen Dank, Lars Castellucci. – Die letzte Rednerin

in dieser Debatte: Iris Eberl.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Iris Eberl (CSU):
Rede ID: ID1813019600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der vorliegende Antrag trägt die Überschrift
„Gemeinsame Grundwerte stärken – Europa stärken“.
Diese Aussage hat mich als Nichtjuristin fasziniert. Wir
stärken unsere gemeinsamen Grundwerte, und wir stär-
ken damit ganz Europa, von Lissabon bis Minsk, von
Reykjavik bis Istanbul. Großartig! Ich war begeistert.
Nach gründlichem Studium des Sachverhalts folgte die
Ernüchterung. Seit Jahren geht es in einem zähen Ringen
um die Frage: Werden denn die gemeinsamen Grundwer-
te in allen EU-Ländern auch brav eingehalten, und wenn
nicht, was dann?

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Grundwerte sind
uns allen ein besonderes Anliegen; denn sie sind unser
kostbarstes Gut. Als überzeugte Europäerin sage ich: Das
gilt auch für die Europäische Union. Das Zusammen-
wachsen dieser Union macht deutlich, dass sie nicht nur
ein zufälliger Verbund von souveränen Staaten ist. Hier
wurde die Basis für ein gemeinsames Werteverständnis
geschaffen. Weil das so grundsätzlich und wichtig ist, zi-
tiere ich aus Artikel 2 des EU-Vertrages:

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die
Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokra-
tie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung
der Menschenrechte einschließlich der Rechte der
Personen, die Minderheiten angehören.

Die weitere Ausgestaltung der Architektur erfolgte in der
Charta der Grundrechte von 2000 und 2007, wo diese
Werte konkretisiert wurden.

Die Grünen wollen mit ihrem Antrag zum Schutz der
Grundwerte ein Monitoringpanel einführen. Dieses Inst-
rument überzeugt uns von der CDU/CSU gar nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem Artikel 7 des EU-Vertrages steht dem Rat ein
Instrument zur Verfügung, das Bestehen einer eindeu-
tigen Gefahr, einer schwerwiegenden Verletzung der in
Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat

festzustellen und darauf zu reagieren. Es ist richtig: Die
Hürden für die Auslösung des Verfahrens nach Artikel 7
sind hoch. Doch die Väter des EU-Vertrages haben diese
Hürden wohlüberlegt so hoch angesetzt, um die Union
in ihrem Bestand zu festigen. Wenn denn vom Volk ge-
wählte Regierungen einzelner EU-Länder über kürzere
oder längere Zeit Maßnahmen ergreifen, die fragwürdig
erscheinen mögen, muss das eine demokratisch gefestig-
te Union aushalten und ausdiskutieren können. Das war
bis jetzt der Fall.

Ein Verfahren nach Artikel 7 ist seit Bestehen der EU
noch nie ausgelöst worden, obwohl es auch in der jün-
geren Vergangenheit in Unionsstaaten immer wieder zu
Verletzungen von Grundwerten gekommen ist. Ich nenne
sie beim Namen: politische Einflussnahme auf Gerichts-
verfahren, Korruption und Wahlfälschung, Diskriminie-
rung von Minderheiten, Einschränkung der Presse- und
Meinungsfreiheit.

Der jüngste Jahresbericht der Grundrechteagentur
zeichnet das Bild einer sich verschlechternden Lage von
Migrantinnen und Migranten auf. Eine Ursache dafür ist
die durch Krieg, Not und Elend ausgelöste Flüchtlings-
krise. Wir sind der Auffassung: Die Union muss sich als
Staatengemeinschaft mit der Lösung dieses Problems be-
schäftigen, auch mit dem Problem brutalster Menschen-
rechtsverletzungen in ihrer Nachbarschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Werte sind nämlich dazu da, dass man sie lebt. Dafür
brauchen wir aber eine stabile Europäische Union und
nicht eine, deren Mitglieder sich gegenseitig misstrau-
isch beäugen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber der Antrag der Grünen taugt in meinen Augen
auch nicht. Die EU-Verträge bieten keine Rechtsgrund-
lage für einen neuen Aufsichtsmechanismus, schon gar
keinen, der unterhalb der Schwelle des Artikels 7 läge.
Wenn Sie uns nicht glauben, dann lesen Sie das Gutach-
ten vom 27. Mai 2014 des Juristischen Dienstes des Ra-
tes der Europäischen Union, den ich für nicht ganz so
unwichtig halte. Jetzt ist ganz sicher nicht die Zeit, sich
mit Vertragsveränderungen zu befassen. Denn bereits
im zweiten Halbjahr 2014 wurde mit der Vereinbarung
über den neuen politischen Rechtsstaatsmechanismus ein
wichtiges europapolitisches Ziel des Koalitionsvertrages
umgesetzt. Kern des Mechanismus ist eine Diskussion
einmal pro Jahr im Allgemeinen Rat. Der neue politische
Mechanismus bleibt, im Gegensatz zum Grünenantrag,
im Rahmen der bestehenden Verträge, und das ist ent-
scheidend. Er öffnet den Weg zu einem Dialog zwischen
allen Mitgliedstaaten im Rat unter Wahrung der Grund-
sätze der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der
Gleichbehandlung, sein Ansatz ist unparteiisch und fak-
tengestützt. Und das überzeugt.

Auch zusätzliche Ad-hoc-Diskussionen zu spezifi-
schen Problemen einzelner Mitgliedstaaten sind möglich.
Damit hat der Rat ein Instrument, um auch kurzfristig auf
besorgniserregende Entwicklungen innerhalb der Union
zu reagieren. Der luxemburgische Ratsvorsitz wird die-
sen Rechtsstaatsdialog noch 2015 in Gang setzen, wie

Dr. Lars Castellucci






(A) (C)



(B) (D)


Staatsminister Roth ausführte. Sein Erfolg bleibt abzu-
warten. Geben wir doch diesem Instrument eine Chance,
bevor wir neue Instrumente schaffen!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Schließlich geht der Antrag in seiner aktuellen Form
auch zu weit. Die Partnerländer würden mit einem sol-
chen ständigen Monitoringpanel-Überwachungsapparat
unter Generalverdacht gestellt. Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, zerstört die Vertrauensbasis innerhalb der
Europäischen Union.

Ein solches Monitoringpanel ist in einer Demokratie
auch überflüssig. Es ist die Aufgabe der Presse, Miss-
stände aufzuzeigen. Und sollte das Grundrecht der Pres-
sefreiheit gar verletzt sein, so gibt es heute die sozialen
Netzwerke. Dort wird jede Verfehlung publik gemacht
und löst, je nach ihrer Art, einen Shitstorm aus, den nie-
mand überhören kann. Dass das funktioniert, erleben wir
jeden Tag, oft im Übermaß.

Letztendlich habe ich gegen den Antrag auch politi-
sche Bedenken, die in seiner eigenen Begründung liegen.
Dort werden als Länder, deren Entwicklung Anlass zur
Sorge geben, nur – ich zitiere – „Ungarn, Rumänien oder
früher … Italien“ genannt. Warum nicht Griechenland?
Warum nicht die Staaten, die sich bislang weigern, einen
angemessenen Teil der Last der Flüchtlingskrise zu über-
nehmen? Hier offenbart sich eine wesentliche Schwäche
des vorgeschlagenen Instruments: Das ständige Gremi-
um könnte auch dazu benutzt werden, nur missliebige
Länder an den Pranger zu stellen, was einen ehrlichen
Dialog über die Rechtsstaatlichkeit im Weiteren unmög-
lich machen würde.

Damit schließe ich meine Ausführungen und sage
ganz einfach: Ich bitte, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen abzulehnen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813019700

Vielen Dank, Frau Kollegin Eberl. – Das ganze Haus –

alle Fraktionen – gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag.


(Beifall)


Wir wünschen Ihnen Kraft und viel Begeisterung für ein
starkes Europa. Vielleicht haben wir es noch nie so drin-
gend gebraucht wie heute.


(Iris Eberl [CDU/CSU]: Ich danke! – Abg. Iris Eberl [CDU/CSU] nimmt Glückwünsche entgegen)


– Jetzt müssen die Männer erst mal gratulieren. Das ver-
stehe ich.


(Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Und die Frauen? Die Frauen bleiben sitzen, oder was?)


Ich mache jetzt trotzdem weiter.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zum
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Gemeinsame Grundwerte stärken – Europa stärken“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6196, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4686 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Dann bleibt niemand mehr, oder? Wer
will sich enthalten? – Die Beschlussempfehlung ist bei
Zustimmung von CDU/CSU, Teilen der SPD


(Zuruf von der CDU/CSU: Großen Teilen!)


und der Linken, bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die
Grünen und zwei Enthaltungen aus der Sozialdemokratie
angenommen.


(Michael Roth, Staatsminister: Regierungskrise!)


Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zü-
gig zu wechseln.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
und weiterer Vorschriften

Drucksache 18/6284
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich würde Sie bitten, Platz zu nehmen und der ersten
Rednerin zuzuhören.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist Dagmar
Schmidt für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU])



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813019800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ge-
setzentwurf, mit dem wir uns heute beschäftigen, bein-
haltet viele verschiedene Dinge. Unter anderem verbes-
sern wir die Arbeitsmarktintegration von Geduldeten, wir
schaffen Gerechtigkeit für ehemalige NVA-Wehrdienst-
leistende, die im Dienst verletzt wurden, und wir erleich-
tern die Situation der Landwirtinnen und Landwirte bei
den Vorschriften zur Hofabgabe.

Wir leisten mit diesem Gesetzentwurf aber auch einen
Beitrag zur Entbürokratisierung – dort, wo es geboten ist.
So verzichten wir mit dem Gesetz auf eine differenzierte

Iris Eberl






(A) (C)



(B) (D)


Nachweispflicht der Länder hinsichtlich der Übernah-
me der Kosten der Grundsicherung im Alter durch den
Bund. In Zukunft wird nur noch zwischen Leistungen
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
unterschieden. Das ist eine spürbare und gebotene Ent-
lastung der Länder.

An anderer Stelle dagegen sind wir auf mehr Infor-
mation angewiesen. Aus diesem Grund sollen die Daten
zum Bildungs- und Teilhabepaket in Zukunft häufiger
und detaillierter erhoben werden. Ich hoffe, dass dies ei-
nen Beitrag für eine breite und zuverlässige Datenquelle
leistet, die auch eine Grundlage dafür ist, das Bildungs-
und Teilhabepaket noch einmal grundsätzlich diskutieren
und beraten zu können. So, wie es heute genutzt und ab-
gerufen wird, erfüllt es jedenfalls seine Aufgabe, für bes-
sere Bildung und Teilhabe armer Kinder zu sorgen, nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein weiterer Punkt ist die Anrechnung von Einkom-
men im SGB XII. So gibt es bei der Anrechnung von
Einnahmen aus dem Schonvermögen eine Verbesserung.
Zinsen aus dem Schonvermögen in Höhe von 26 Euro
werden nicht auf die Leistungen des SGB XII angerech-
net. Und es wird in dem Gesetz die Anrechnung von
einmaligen Einnahmen geregelt. Diese werden im Fol-
gemonat angerechnet, sollten Regelleistungen für den
laufenden Monat schon ausgezahlt sein – das ist über-
wiegend Technik.

Wie erwähnt klären wir – und das ist keine Technik –
die Anrechnung der NVA-Verletztenrente. Wie zugesagt,
ist nach Prüfung durch das Ministerium eine Lösung für
das Problem der Ungleichbehandlung von im Wehrdienst
der NVA Beschädigten gegenüber den im Wehrdienst der
Bundeswehr Beschädigten in dem Gesetzentwurf umge-
setzt worden. Die Gleichstellung erfolgt durch die Be-
rücksichtigung eines Freibetrags aus der Verletztenrente,
die für die ehemaligen NVA-Wehrdienstleistenden aus
der gesetzlichen Unfallversicherung bezahlt wird. Der
Freibetrag entspricht dabei der Höhe der Grundrente
nach dem Bundesversorgungsgesetz, die den beschädig-
ten Wehrdienstleistenden der Bundeswehr zusteht; je-
weils abhängig vom Grad der Schädigungsfolgen. Damit
ist eine Gleichstellung von ost- und westdeutschen Wehr-
dienstleistenden im SGB XII gewährleistet.

Nicht alles, was das SGB XII betrifft, aber vieles
Wichtige wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf gere-
gelt: Gerechtigkeit für die im Wehrdienst der NVA ver-
letzten Soldaten, Verbesserungen für Landwirtinnen und
Landwirte und für Flüchtlinge bei der Arbeits- und Aus-
bildungsunterstützung. Ich freue mich auf die kommende
Diskussion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813019900

Vielen Dank, Kollegin Schmidt. – Nächster Redner in

der Debatte: Matthias W. Birkwald für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813020000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! An Silvester 2014 waren 1 Million Menschen
in Deutschland auf Grundsicherung im Alter und bei Er-
werbsminderung, sprich: auf Sozialhilfe, angewiesen. Sie
mussten aufs Sozialamt, weil ihre Erwerbsminderungs-
rente durchschnittlich weniger als 735 Euro betrug oder
ihr Alterseinkommen im Schnitt unter 782 Euro lag oder
weil sie sich ihre Miete nicht leisten konnten oder weil
sie sich ihre Medikamente nicht leisten konnten. Was sie
vom Sozialamt dann erhalten, liegt weit unter den gän-
gigen Armutsrisikogrenzen. Die offizielle Armutsgrenze
der Europäischen Union liegt für alleinlebende Men-
schen in Deutschland bei 979 Euro im Monat. Das ist
der eigentliche Skandal. Und daran ändert Ihr 54 Seiten
langer Gesetzentwurf gar nichts.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr Gesetzentwurf ändert auch Nullkommanichts dar-
an, dass die Zahl derjenigen Älteren, die aufs Sozialamt
müssen, in den vergangenen zehn Jahren um 76 Prozent
gestiegen ist, und sich bei den Erwerbsgeminderten die
Zahl sogar verdoppelt hat. Jahr für Jahr kommen 30 000
bis 40 000 Betroffene neu dazu. Akzeptieren Sie endlich,
dass viele Altersrenten und noch mehr Erwerbsminde-
rungsrenten nicht vor Armut schützen! Darum sage ich
Ihnen: Schaffen Sie die ungerechten Abschläge für Er-
werbsminderungsrentner und -rentnerinnen ab!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Und: Schaffen Sie die Kürzungsfaktoren in der Ren-
tenanpassungsformel ab! Das wäre bitter notwendig.


(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Aber davon findet sich selbstverständlich nichts in Ihrem
Gesetzentwurf.

Worum geht es Ihnen? Seit dem 1. Januar 2014 ist die
Grundsicherung im Alter komplett auf den Bund über-
gegangen. Daraus ergeben sich Auslegungsfragen, Ver-
fahrensänderungen usw.; das machen Sie alles mehr oder
weniger bürokratisch korrekt. Aber dann liest man auf
einmal auf Seite 40 des Gesetzentwurfes, dass sich der
Bundesrat in seiner Stellungnahme einem echten Pro-
blem zuwendet, Herr Kollege Weiß, den ich an dieser
Stelle gerne ansprechen möchte, einem Problem, wegen
dessen sich immer wieder Betroffene an uns wenden: Die
Grundsicherung, die die Rente ja oft nur aufstockt – sa-
gen wir zum Beispiel: um 200 Euro –, wird am Beginn
eines Monats ausgezahlt. Die Rente – sagen wir zum Bei-
spiel: in Höhe von 600 Euro – wird aber erst am Ende
des Monats ausgezahlt. Folge: Die Rentnerin muss einen
Monat lang von 200 Euro leben. Wie soll denn das ge-
hen?

Wir hatten der Bundesregierung im November 2014
zu dieser Lücke zwischen Grundsicherung und Renten-
auszahlung eine Frage gestellt. Sie wollten prüfen, was
Sie tun können. Der Bundesrat hat zur Lösung des Pro-
blems drei leider hochkomplizierte Verfahrensvarianten
vorgelegt. Das ist schon befremdlich; aber dass die Bun-

Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


desregierung auf Seite 51 des Gesetzentwurfs ebenfalls
das Problem anerkennt, die vom Bundesrat vorgeschla-
gene Regelung in epischer Breite auf ihre Schwächen hin
abklopft, um dann am Ende nichts vorzulegen, das ist
wirklich unverschämt.


(Beifall bei der LINKEN)


Zitat:

Die Bundesregierung lehnt es bereits im Grundsatz
ab, das im SGB XII geltende Zuflussprinzip ... zu
durchbrechen ...

Welcher Grundsatz denn? Ignoranz? Bürokratische
Weltfremdheit? Nein, das ist wirklich ein Schlag ins Ge-
sicht von älteren Menschen, die einen Monat lang von
200 Euro leben sollen.

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Für-
sorge, wahrlich keine kommunistische Vorfeldorganisa-
tion, hatte ganz einfach und elegant gefordert, die Rente
im ersten Monat nicht zu berücksichtigen – ganz einfach.
Man bekäme also im ersten Monat einmalig zum Bei-
spiel 800 Euro Grundsicherung und erst ab dem nächs-
ten Monat dann immer nur 200 Euro Grundsicherung am
Anfang des Monats und 600 Euro Rente am Ende des
Monats. Das ist doch ein guter Vorschlag. Setzen Sie ihn
um. Die Betroffenen werden es Ihnen danken.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt nach all der Kritik noch ein bisschen Lob


(Zurufe von der SPD: Oh! – Katja Mast [SPD]: Das sind wir gar nicht gewohnt!)


und ein bisschen Eigenlob.


(Zurufe von der SPD: Ah!)


Bisher wurde die Verletztenrente bei früheren Wehr-
dienstleistenden der Nationalen Volksarmee auf die
Grundsicherung angerechnet und die der Wehrdienstleis-
tenden der Bundeswehr nicht. Das war ungerecht, und
das ist ungerecht. Die Linke kritisiert das schon seit der
16. Legislaturperiode.


(Zuruf von der LINKEN: Aha!)


Jetzt wollen Sie endlich einen Freibetrag von durch-
schnittlich 238 Euro im Jahr einführen. Damit würden
Sie immerhin eine der einigungsbedingten Ungerechtig-
keiten beseitigen. Das ist gut. Machen Sie weiter so.


(Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Danke!)


Noch ein Wort zur Hofabgabeklausel bei Bauern.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813020100

Ein kurzes Wort.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813020200

Die Linke bleibt dabei: Die Hofabgabeklausel ist

anachronistisch. Sie muss gestrichen werden. Sie wirkt
häufig wie eine Zwangsenteignung: Gibt der Landwirt
den Hof ab, bekommt er eine Minirente, kann aber nichts
dazuverdienen; gibt er ihn nicht ab, hat er komplett um-

sonst eingezahlt. Dass wenigstens die jüngeren Ehe-
partnerinnen einen eigenen Rentenanspruch behalten,
wenn ihr Gatte den Hof nicht abgibt, wäre ein kleiner
Fortschritt. Das ändert an dem Grundproblem aber nur
wenig. Darüber werden wir in der Anhörung noch reden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813020300

Vielen Dank, Herr Kollege Birkwald. – Nächste Red-

nerin: Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1813020400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben heute Morgen eine sehr interessante und wichtige
Debatte hier im Deutschen Bundestag erlebt. Wir haben
das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz und damit, so
will ich es sagen, eines der wichtigsten Gesetze in dieser
Legislaturperiode verabschiedet. Ich denke, eine ähnlich
wichtige Bedeutung haben die Änderungen, die wir jetzt
im Rahmen des Zwölften Sozialgesetzbuches verab-
schieden.

Mit der heutigen Beratung zum Zwölften Sozialge-
setzbuch schaffen wir weitere Verbesserungen in unserer
Sozialgesetzgebung. Zur Erinnerung: Vor zehn Jahren,
am 1. Januar 2005, löste das Zwölfte Sozialgesetzbuch
das damalige Bundessozialhilfegesetz ab. Seitdem re-
gelt das SGB XII die Vorschriften für die Sozialhilfe in
Deutschland. Zur gleichen Zeit wurde für Arbeitsuchen-
de, die zuvor Anspruch auf Sozial- oder Arbeitslosenhilfe
hatten, das Arbeitslosengeld II eingeführt. Diese Refor-
men waren Teil der Agenda 2010 und brachten – dieser
Auffassung sind wir noch heute – unseren Arbeitsmarkt
damals wieder auf Erfolgskurs.


(Beifall des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD] – Heiterkeit)


Das SGB XII kennt mehrere Leistungsarten. Eine da-
von ist die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-
minderung. Auf diese Sozialleistung ist erfreulicherwei-
se nur ein kleiner Teil der Rentnerinnen und Rentner in
Deutschland angewiesen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er wird leider von Jahr zu Jahr immer größer, dieser Teil!)


Es sind sage und schreibe gerade einmal 3 Prozent; es
sind, genau genommen, in den neuen Bundesländern
2,1 Prozent und in den alten Bundesländern 3,2 Prozent.
Meine Damen und Herren, von der oftmals und viel be-
schworenen Altersarmut ist, zumindest wenn man nach
diesen Zahlen geht, nicht viel zu erkennen.

Der Bund übernimmt bereits seit zwei Jahren die Fi-
nanzierung dieser Sozialleistung von den Bundesländern.
2013 wurden zunächst 75 Prozent der jährlichen Netto-
ausgaben an die Länder erstattet, und seit 2014 trägt der
Bund 100 Prozent der Kosten der Länder für die Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Für 2015

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


haben wir dafür eine Summe von rund 5,9 Milliarden
Euro im Bundeshaushalt vorgesehen. Meine Damen und
Herren, das ist ein Beispiel von vielen, wie der Bund den
Ländern und den Kommunen hilft, sie finanziell entlastet
und ihnen bei der Bewältigung wichtiger Aufgaben hilft.

Doch der heute diskutierte Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch geht noch
weiter. Die Finanzierungsübernahme des Bundes erfor-
derte bisher eine aufwendige Nachweisführung der Län-
der über deren Verwendung der Gelder. Diese Nachweis-
und Abrechnungsmodalitäten werden wir jetzt im Sinne
der Länder neu regeln. Wir kehren zu einer vereinfachten
Nachweisführung zurück. 2013 und 2014 haben wir da-
mit schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Länder
müssen künftig nicht mehr, wie bisher, nach den einzel-
nen Bedarfen differenzieren. Eine Unterscheidung soll
künftig lediglich nach den unterschiedlichen Leistungs-
berechtigten vorgenommen werden.

Wir schaffen weitere Entlastungen: Wir schaffen für
Sparer, die gleichzeitig Leistungsempfänger sind, einen
jährlichen Freibetrag in Höhe von 26 Euro für Einnah-
men aus Kapitalvermögen, also insbesondere für Zins-
einnahmen. Einmalige Einnahmen werden künftig erst
im Folgemonat angerechnet, und bedarfsdeckende ein-
malige Einnahmen sind in der Regel auf sechs Monate
zu verteilen. Das bedeutet in der Praxis, dass ein Grund-
sicherungsempfänger seine Leistung aufgrund einer ein-
maligen zusätzlichen Einnahme künftig nicht mehr ge-
strichen bekommt.

Doch der Gesetzentwurf beschränkt sich eben nicht
nur auf sozialpolitische Maßnahmen, er widmet sich
auch einem der Vorzüge der Europäischen Union, näm-
lich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die nicht nur grenz-
überschreitende Mobilität ermöglicht, sondern auch den
Bedarfen unseres Arbeitsmarktes und insbesondere dem
Fachkräftemangel in Deutschland Rechnung trägt.

Vor zwei Jahren ist Kroatien der Europäischen Union
beigetreten. Der damals ausgehandelte Beitrittsvertrag
sah vor, dass kroatische Staatsangehörige für maximal
sieben Jahre im europäischen Ausland arbeiten durften.
In der zurückliegenden Zeit gab es dann umfangreiche
Erleichterungen für qualifizierte Fachkräfte, für Saison-
kräfte und Auszubildende beim Zugang zum deutschen
Arbeitsmarkt.

Viele, meist jüngere Kroaten haben diese Zugangs-
erleichterungen genutzt. In 2014 waren 93 000 Kroaten
in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Sie arbeiten vor allem in Bereichen, in denen wir einen
immer größeren Fachkräftemangel haben, in denen im-
mer weniger Beschäftigte zur Verfügung stehen, bei-
spielsweise im verarbeitenden Gewerbe, im Baugewerbe
oder auch im Gesundheits- und Sozialwessen.

Seit dem 1. Juli dieses Jahres besteht die uneinge-
schränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit. Wir gehen damit
von jährlich etwa 10 000 weiteren kroatischen Arbeits-
kräften aus. Sie tragen dazu bei, dass eine Lücke dort ge-
schlossen wird, wo wir dringend Bedarfe haben.

Meine Damen und Herren, die Arbeitnehmerfreizü-
gigkeit hilft nicht nur, unseren Fachkräftemangel ab-

zuschwächen, sondern sie gibt auch den Menschen in
Europa die Möglichkeit, vielerorts berufliche Chancen
zu nutzen. Während wir hierzulande über die höchsten
Beschäftigungszahlen und die geringste Arbeitslosig-
keit seit langem verfügen, sieht die Situation in vielen
europäischen Partnerländern ganz anders aus. Nicht nur
Spanien oder Griechenland beklagen eine hohe Arbeits-
losenquote von mehr als 25 Prozent oder eine hohe Ju-
gendarbeitslosenquote von mehr als 48 Prozent. Auch
Kroatien selbst hat enorme Probleme im Hinblick auf
den Arbeitsmarkt. Dort liegt die Arbeitslosenquote bei
17 Prozent, bei den Jugendlichen sogar bei 43 Prozent.
Auch da, meine Damen und Herren, setzt Arbeitnehmer-
freizügigkeit an. Sie sorgt aber auch dafür, dass wir einen
Teil unserer Standards bei der Ausbildung, im Bereich
der Weiterbildung oder in verschiedensten Berufsbildern,
zum Beispiel im Handwerk, weitergeben können.

Ich möchte hier an das hohe Ansehen erinnern, das wir
im europäischen Ausland für unser System der dualen
Berufsausbildung oder unser – wir alle kennen es – In-
nungs- und Kammersystem mit einer Vielzahl an zertifi-
zierten Berufen genießen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aus diesem Grund ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit
Kroatiens nicht nur ein Gewinn für Deutschland und für
Kroatien, es ist ein Gewinn für alle Länder der Europäi-
schen Union.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813020500

Vielen Dank, Frau Kollegin Schimke. – Nächster Red-

ner in der Debatte: Friedrich Ostendorff für Bündnis 90/
Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wer-
den es ahnen: Ich werde mich heute für die Grünen zur
Hofabgabeklausel der Landwirtschaftlichen Alterskasse
erklären. Das ist für uns ein ganz entscheidender Punkt.

Den ersten kleinen Schritt hat die Koalition vollzogen.
Weit war der Weg, eine Lösung ist aber trotzdem nicht in
Sicht. Wir halten es mit Laotse: „Nur wer sein Ziel kennt,
findet den Weg.“ Wir Grünen halten an unserem Ziel fest.
Der Weg ist kurz und einfach beschrieben: Die Hofabga-
be als Bedingung für die verdiente Rente von Bäuerinnen
und Bauern, die ihr Leben lang hart gearbeitet und in die
Landwirtschaftliche Alterskasse eingezahlt haben – oft
jahrzehntelang –, gehört abgeschafft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die agrarstrukturelle Funktion der Hofabgabever-
pflichtung wurde von der Realität restlos überholt. Wer
daran festhält, hat nur zwei Dinge im Sinn: eine weitere
große soziale Ungerechtigkeit und die massive Beför-
derung des Strukturwandels. – Das soll man dann auch

Jana Schimke






(A) (C)



(B) (D)


sagen. Dieses Ziel hat man sowieso; deshalb darf man es
auch erklären.

Ich bin seit 36 Jahren Pflichtmitglied der Landwirt-
schaftlichen Alterskasse. Bei vielen Kolleginnen und
Kollegen der CDU/CSU kann ich das nicht feststellen.
Dort hat man sich auf leisen Sohlen aus dem System ver-
abschiedet, um jetzt machtvoll für den Erhalt von Dingen
zu streiten, von denen man selber überhaupt nicht mehr
betroffen ist.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, so sind sie!)


1957 wurde die Hofabgabeklausel eingeführt, um
den damaligen Zustand, den Erbgang auf dem Sterbe-
bett, zu beenden. Aber die Welt hat sich weiterentwi-
ckelt; die Zustände haben sich verändert. Heute haben
nur noch 30 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe
eine geregelte Hofnachfolge. Für diese Betriebe ist die
Hofabgabeklausel kein Problem. Aber 70 Prozent al-
ler landwirtschaftlichen Betriebe haben keine geregelte
Hofnachfolge. Diese Landwirte werden gezwungen, ihre
Höfe abzugeben, um eine Rente zu erhalten, obwohl sie
keine Hofnachfolge haben.

Das führt natürlich zu dubiosesten Scheinverträgen.
Der Sohn als Lufthansa-Pilot ist dann auf einmal Hoferbe
im Ostwestfälischen, obwohl er niemals auf dem Hof ist.
Dadurch hat man dann aber irgendwie der Form Genüge
getan. Mit der Realität hat dies allerdings nichts zu tun.

Wer von diesen Landwirten weitermacht, sich also
entscheidet, auch mit 65 Jahren und mehr seinen land-
wirtschaftlichen Betrieb weiterzuführen, erhält keine
Rente, obwohl jahrzehntelang Beiträge gezahlt wurden.
Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit wollen wir
Grünen endlich beenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir als Grüne wollen es nicht hinnehmen – das tun wir
gemeinsam mit den Linken; wir haben ja gerade schon
Gemeinsamkeiten entdeckt –, dass die Bauern und Bäu-
erinnen in ehelicher Gemeinschaft ihren Hof abgeben
müssen, um circa 700 Euro Rente im Monat zu erhalten.
Das ist knapp genug und wird durch oft nur sehr kleine
Pachteinnahmen nur etwas angereichert. Dies führt zu
einem sehr bescheidenen Lebensabend der Bauern und
Bäuerinnen.

Andere EU-Länder, wie Österreich, die ein ähnliches
System haben, zeigen, dass es ohne Hofabgabepflicht
geht. Dort hat sich das Durchschnittsalter der Bäuerinnen
und Bauern nach der Streichung der Hofabgabeklausel
nicht verändert. Wir stellen also fest, dass das ein Vorbild
für Deutschland sein könnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Deshalb sind wir mit dem Ausschuss nach Österreich
gefahren. Ich frage mich heute aber, warum wir das getan
haben, wenn Sie in der Union nicht bereit sind, dazuzu-
lernen. Sie wissen doch ganz genau, dass die landwirt-
schaftliche Alterssicherung eine Ausnahme im System

darstellt. Versicherungspflichtige Selbstständige, die in
der gesetzlichen Rentenversicherung sind, können nach
Erreichen der Altersgrenze Rente beziehen, obwohl sie
ihren Betrieb weiterführen.

Auch an dieser Gesetzesvorlage haben Sie von der
Union wieder einmal halbherzig herumgedoktert. Um
nur eine neue Regelung herauszugreifen: die geänderte
Abgabemöglichkeit vom Ehemann an die jüngere Ehe-
frau. Das wollen Sie nun ändern. Dies ist eigentlich eine
Streichung der Hofabgabeklausel. Warum macht man es
so verkappt und nicht durchgängig? Es findet ja sowieso
statt. Der Titel wird erhalten, aber der Inhalt restlos aus-
gehöhlt.

Die meisten Landwirte sind verheiratet. Viele wer-
den die neue Regelung nutzen, die da lautet: Der Mann
geht mit 65 Jahren aufs Altenteil und bezieht Rente. Sei-
ne Frau arbeitet selbstständig weiter. – Bauernschläue
wird das Ganze anreichern; Sie von der CDU/CSU ken-
nen das ja bestens. Von daher wird es zu einer weiteren
Aushöhlung der Hofabgabeklausel kommen, die ihren
Namen dann nicht mehr verdient. Sie aber können der
Landjugend erzählen: Wir haben für die Hofabgabeklau-
sel gekämpft. – Sie hat zwar keine Bedeutung mehr, da
sie umgangen wird; aber formal ist sie noch da. Dies hat
insbesondere Frau Mortler von der CSU betrieben, weil
sie jemand ist, der nicht akzeptiert, dass sich die Welt
weiterdreht und wir uns mit ihr weiterentwickeln. Das
will sie nicht zur Kenntnis nehmen. Aber alle anderen
von uns merken das sehr wohl. Hier steht die Union doch
wieder einmal allein auf weiter Flur. Auch die Bundes-
länder haben bei der letzten Ministerkonferenz gezeigt,
dass sie mehrheitlich gegen diesen Entwurf sind.

Was finden wir in der Bibel dazu? Bei Matthäus, mei-
ne Kollegen von der CDU/CSU, heißt es: „Ehre Vater
und Mutter“ und „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie
Dich selbst“. Aber auch hier tragen Sie das Christliche
zu Unrecht in Ihrem Namen. Beenden Sie endlich diesen
Krieg mit den Schwächsten!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Alten haben es verdient, ernst genommen zu wer-
den. Es ist bewundernswert und anerkennenswert, mit
welcher Beharrlichkeit und Ausdauer der Arbeitskreis
für die Abschaffung der Hofabgabeklausel seit Jahren für
dieses Ziel kämpft.


(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Wir Grünen versprechen, ebenso wie die Kolleginnen
und Kollegen in den grün regierten Ländern, weiter für
die Erreichung dieses Ziels zu streiten. Wir Grünen hät-
ten auch den Vorschlag einer 10-prozentigen Abschlags-
rente ohne Hofabgabe, den Dr. Peter Mehl vom Bundes-
forschungsinstitut gemacht hat, akzeptiert. Hier gilt es,
den Streitern Dank zu sagen, die seit Jahren für vernünf-
tige Regelungen streiten, bei CDU/CSU allerdings kein
Gehör finden. Ich hoffe, dass die SPD als eine Partei,
die immer für die soziale Sicherung in der Landwirt-

Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


schaft gestanden hat, diese Sorgen ernster nimmt und die
Hofabgabe endlich abschafft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813020600

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Michael Gerdes, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1813020700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor-

liegende Gesetzentwurf sieht verschiedenste Neurege-
lungen vor, einen großen Strauß an Themen, wie wir ge-
rade gehört haben. Zur Hofabgabe werde ich jetzt nichts
sagen; das macht gleich meine Kollegin Schulte.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu ist alles gesagt worden!)


Bei den Änderungen des Zwölften Buches Sozialge-
setzbuch geht es vor allem um Verwaltungsvereinfachun-
gen, einheitliche Begriffe und auch redaktionelle Überar-
beitungen. Das ist sinnvoll. Hier gibt es auch keine große
politische Kontroverse. Interessant ist unter anderem,
dass die statistikbezogene Betrachtung von jährlicher
Erfassung auf vierteljährliche Betrachtung zu deutlichen
Verbesserungen in den Kommunen führt. Wurden bis-
her Leistungen und Aufwendungen für Klassenfahrten,
Schülerbeförderungen, Mittagsverpflegung, aber auch
ergänzende Lernförderung lediglich zum 31. Dezember
erhoben, erfolgt die Erfassung und Abrechnung nun we-
sentlich zeitnäher im vierteljährlichen Modus. Das führt
zu deutlich besserer Haushaltsklarheit.

Die Änderung der betroffenen Verwaltungsvorschrift
im SGB XII ergibt sich aus der Tatsache, dass der Bund
seit 2014, wie wir gehört haben, die Nettoausgaben der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu
100 Prozent übernimmt. Wie Sie wissen, war und ist das
wesentliche Ziel der Kostenübernahme die Stärkung der
Finanzkraft der Kommunen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Hier haben wir in den vergangenen Jahren und Monaten
einiges erreicht. Dennoch ist klar, dass viele Städte und
Gemeinden weiterhin unter knappen Kassen leiden. Die
aktuelle Flüchtlingssituation erhöht den Druck im Kes-
sel.

Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass es
die Sozialdemokraten waren, die an der damaligen Ein-
führung der Grundsicherung federführend beteiligt wa-
ren. Aus unserer Sicht ist die Grundsicherung ein erster
Schritt gegen unwürdige Armut im Alter. Sie ist eine gute
soziale Errungenschaft. Gut ist auch, dass der Bund diese
Leistung seit einiger Zeit vollständig zahlt.


(Beifall bei der SPD)


Im März 2015 bezogen in Deutschland rund
512 000 Personen Leistungen der Grundsicherung im Al-
ter. Deshalb bleibt es dabei: Wir müssen für ordentliche

Löhne und Einkommen der Menschen sorgen, damit sich
Altersarmut nicht verfestigt.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das alleine reicht nicht! – Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht erst in 20 oder 30 Jahren! Sie müssen sofort etwas machen!)


– Lassen Sie mich das vielleicht noch ausführen. – Das
setzt voraus, dass Menschen berufliche Perspektiven ha-
ben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da setzt eben auch
der Gesetzentwurf an. Er sieht unter anderem Änderun-
gen im SGB III sowie im Bundesausbildungsförderungs-
gesetz, BAföG, vor. Konkret geht es hier um die schnel-
lere Öffnung der ausbildungsbegleitenden Hilfen auch
für Geduldete. Sicherlich kennen Sie dieses Instrument.
Grundsätzlich geht es darum, jungen Menschen beim
Lernen unter die Arme zu greifen, etwa beim Erfassen
von fachlichen Inhalten, beim Abbau sprachlicher Defizi-
te oder in Form von sozialpädagogischer Hilfe. Sprache
ist der Zugang zur Gesellschaft und zum Arbeitsmarkt.
Deshalb gehören Sprachkurse zu den ersten Maßnahmen,
um Ausbildung zu ermöglichen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Je schneller wir ausbilden und fördern, desto eher
eröffnen wir Flüchtlingen die Chance auf Teilhabe und
Eigenständigkeit. Wir brauchen diese Hilfen mehr denn
je. Sie sind eine Chance für die Menschen, die bei uns
Zuflucht und Perspektiven suchen. Sie sind aber auch
eine gute Chance für uns als Einwanderungsland; denn
gut ausgebildete Menschen sind unsere Zukunft. Das gilt
selbstverständlich nicht nur für Flüchtlinge. Wir wollen
allen ausbildungswilligen Menschen in unserem Land
die gleichen Chancen bieten.


(Beifall bei der SPD)


Dabei geht es nicht nur um das Nachholen von Schulab-
schlüssen. Es lohnt sich, das Bildungsniveau insgesamt
zu stärken. Diese Idee sollten wir im Laufe des Gesetz-
gebungsverfahrens diskutieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sich meine Be-
trachtung in dieser Rede auf die jetzige, außergewöhnli-
che Situation fokussiert hat, erlauben Sie mir noch einen
grundsätzlichen Satz: Integration gelingt durch Bildung.
Das gilt für diejenigen, die schon immer in unserem Land
gelebt haben, gleichermaßen wie für die Menschen, die
jetzt hinzukommen. Lassen Sie uns diese Chance nutzen.
Wir haben heute Morgen gehört: Wir schaffen das. Aber
wir haben heute Morgen auch gehört: Wir machen das.

In diesem Sinne herzlichen Dank. Glückauf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813020800

Herzlichen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion

spricht jetzt der Kollege Albert Stegemann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1813020900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Neben
den schon genannten sehr wichtigen Punkten liegt mir
ein Thema des Gesetzentwurfs besonders am Herzen,
welches wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart haben,
und zwar die Neugestaltung der Hofabgabeklausel.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschaffung statt Neugestaltung! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschaffung, Albert! Das ist ganz einfach!)


Doch was verbirgt sich hinter diesem etwas sperrigen
Begriff? Um gesetzliche Regelungen zu verstehen, ist es
hin und wieder hilfreich, sich mit deren Entstehung aus-
einanderzusetzen.

Warum hat man seinerzeit den Rentenbezug der Land-
wirte an die Abgabe des Hofes geknüpft?


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1957!)


Als die Bundesregierung unter Konrad Adenauer 1957
das Alterssicherungssystem für Landwirte eingeführt hat,
verfolgte sie damit zwei Ziele: Erstens. Ehemalige Land-
wirte sollten erstmalig im Alter eine im Umlageverfahren
finanzierte Absicherung erhalten. Zweitens. Landwirtsfa-
milien sollten ermuntert werden, die Hofabgabe an die
nachfolgende Generation zu vollziehen. Daher bekom-
men nur Landwirte eine Rente, die den Hof an in der Re-
gel junge Betriebsleiter abgegeben haben. Diese sollen
dadurch früh unternehmerische Verantwortung überneh-
men können.

Dem Gesetzgeber war also damals wie heute ein
strukturelles Problem bewusst: Den Landwirten fällt es
hin und wieder äußerst schwer, sich von ihrer Scholle zu
trennen. Das ist verständlich; schließlich hat der Land-
wirt auf dieser sein Leben lang gewirtschaftet. Allerdings
sind landwirtschaftliche Flächen begrenzt und für die
landwirtschaftliche Tätigkeit unabdingbar. Zugleich ist
es für Junglandwirte aber faktisch nicht möglich, ohne
landwirtschaftliche Fläche unternehmerisch tätig zu wer-
den. Ebendiese jungen, engagierten und gut ausgebilde-
ten Landwirte braucht es aber. Sie haben neue Ideen und
Impulse, um Fragen des Tierwohls, des Gewässerschut-
zes, aber auch Fragen der Akzeptanz in der Gesellschaft
zu beantworten. Nicht zuletzt geht es auch um die Wett-
bewerbsfähigkeit der Landwirtschaft insgesamt.

Sie sehen also: Mit dieser Intention war die Hofabga-
be von Anfang an Voraussetzung für den Rentenbezug,
und sie hat nie an Berechtigung verloren.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, hat sie!)


So hat auch Dr. Mehl vom Thünen-Institut 2013 heraus-
gearbeitet, dass nur 6,6 Prozent der landwirtschaftlichen
Betriebsleiter in Deutschland älter als 65 Jahre sind. Im
EU-Schnitt sind es mehr als viermal so viele, und in
Italien ist sogar jeder dritte Landwirt über 65 Jahre alt.
Die Hofabgabeklausel erzielt also weiterhin die positi-
ve agrostrukturelle Wirkung, die bei der Architektur der
Alterssicherung der Landwirte neben der sozialen Siche-
rungsfunktion von Anfang an eine ganz erhebliche Rolle
gespielt hat.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist die Trickserei auch mitgerechnet? Herr Ostendorff hat das beschrieben!)


Gleichwohl fordert eine kleine, aber sehr lautstar-
ke Gruppe die Abschaffung der Hofabgabeklausel. Sie
begründet das damit, dass sie einen Anspruch auf diese
Rente hätte und von der Politik getäuscht würde. Dabei
gilt der Grundsatz „Rente nur nach Abgabe der unterneh-
merischen Verantwortung“ seit nunmehr knapp 60 Jah-
ren. Dieses Vorgehen wurde immer wieder höchstrich-
terlich bestätigt. Die Klausel muss damit jedem Landwirt
seit Beginn des Berufslebens klar gewesen sein.

Übrigens erhalten die Landwirte im Ruhestand im
Gegenzug zur Abgabe des Hofes gegenüber den Bei-
tragszahlern der gesetzlichen Rentenversicherung je ein-
gezahltem Euro eine um rund 10 Prozent höhere Rente.
Dies ist gerechtfertigt, weil der Landwirt mit der Hofab-
gabe neben dem Erreichen der Regelaltersgrenze und der
Erfüllung der Mindestwartezeit eine zusätzliche Bedin-
gung erfüllen muss, um in den Rentenbezug zu kommen.
Der Großteil derer, welche die Abschaffung der Hofab-
gabeklausel fordern, will daher schlicht die eigenen Ren-
tenzahlungen maximieren. Es kann aber nicht Unions-
politik sein, eine solche von eigenen Interessen geleitete
Forderung auf Kosten der Allgemeinheit zu goutieren.
Deshalb lehnen wir dies ab.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kollege Ostendorff hat einen Vorschlag gemacht!)


Zur Wahrheit gehört aber auch: Es gibt Einzelfälle,
bei denen die Hofabgabe schwerfällt. Gerade in struk-
turschwachen Regionen ist es nicht für jeden Landwirt
einfach, einen Hofnachfolger zu finden. Betriebsleiter
mit kleinen Betrieben bewirtschaften den Hof daher oft-
mals über die Regelaltersgrenze hinaus. Dann erhalten
sie nach heutiger Rechtslage jedoch keine Zahlung aus
der Alterssicherung der Landwirte, auf die sie gleichwohl
angewiesen wären.

Wir halten es für richtig, dass der Renteneintritt auch
weiterhin im Grundansatz an die Übergabe des Hofes
geknüpft ist. Die CDU/CSU steht aber an der Seite der
Landwirte, für welche diese Regelung eine besondere so-
ziale Härte bedeutet. Mit der Neugestaltung der Hofab-
gabeklausel wollen wir diesen Landwirten helfen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie höhlen sie total aus!)


Wie sehen die konkreten Maßnahmen im vorliegen-
den Gesetzentwurf aus, über die wir heute beraten? Wir






(A) (C)



(B) (D)


handeln nämlich nicht nur an einer Stelle, sondern gleich
an mehreren Stellen. Zum Beispiel wurden die Renten-
zahlungen an den Ehegatten bisher eingestellt, wenn des-
sen Ehepartner die Regelaltersgrenze erreicht, den Hof
aber noch nicht abgegeben hat.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das betraf die Frauen in der Regel! Ihr habt gemerkt: Die Frauen sind gleichberechtigt!)


Das wollen wir ändern, indem wir den Rentenanspruch
des Ehegatten in diesem Fall erhalten. Damit schaffen
wir einen Bestandsschutz für die Rente der Ehegatten.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine totale Diskriminierung der Frauen!)


– Die jetzt abgeschafft wird. Sehr gut!

Bisher dürfen Rentner nur wenig durch Weiterbewirt-
schaftung hinzuverdienen. Das wollen wir deutlich auf-
stocken, indem künftig mit knapp 8 Hektar viermal so
viel Fläche wie bisher weiterbewirtschaftet werden darf.
Zur Veranschaulichung: Diese Fläche entspricht ungefähr
der Größe von elf Fußballfeldern. – Damit verbessern wir
die Hinzuverdienstmöglichkeiten der Landwirte. Flanki-
erend ändern wir das Krankenversicherungsrecht, damit
die Einkünfte aus den Hinzuverdienstmöglichkeiten
nicht durch massiv ansteigende Krankenversicherungs-
beiträge aufgezehrt werden.

Ein weiterer Punkt: Bisher wurde eine spätere Inan-
spruchnahme der Rente nicht rentensteigernd gewür-
digt. Wir wollen nun eine Regelung aus der gesetzlichen
Rentenversicherung übernehmen, die eine spätere Inan-
spruchnahme der Rente honoriert.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Stück Gerechtigkeit! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Angleichung an die gesetzliche Rentenversicherung!)


Damit machen wir den nächsten logischen Schritt in
Richtung Flexirente.

Bisher gab es nach § 21 Absatz 6 des Gesetzes über
die Alterssicherung der Landwirte eine Regel zur Hofab-
gabe, die sogenannte Abgabefiktion durch Ermächtigung
zur Veräußerung oder Verpachtung an eine öffentliche
Stelle. So kompliziert, wie die Regelung klingt, ist sie
auch. Folglich wurde diese Möglichkeit bisher kein ein-
ziges Mal genutzt. Sie ist schlicht nicht praktikabel, und
deswegen schaffen wir sie ab. Damit leisten wir auch ei-
nen Beitrag zum Bürokratieabbau.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ferner soll künftig die Hofabgabe erfolgen können,
indem das landwirtschaftliche Unternehmen in eine Ge-
sellschaft eingebracht wird und der ehemalige Landwirt
dort keine Vertretungsvollmacht hat.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch überfällig!)


Sie sehen also: Mit diesen Vorschlägen werden die so-
zialen Härten in den Blick genommen und, wie ich finde,
gute Lösungen gefunden. Ich bin mir sicher, dass wir,
was dieses Thema anbelangt, zu einer Befriedung bei-
tragen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden
sicherlich auch künftig munter über die Hofabgabeklau-
sel diskutieren. Wir müssen aber bei allem, was wir tun,
darauf achten, dass wir das Kind nicht mit dem Bade aus-
schütten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig
es ist, dass Landwirte früh Verantwortung übernehmen
können. Daher brauchen wir Rahmenbedingungen, mit
denen jungen Menschen Verantwortung übertragen wird
und die Landwirten einen guten Ruhestand ermöglichen,
in dem sie stolz auf ihr Lebenswerk zurückschauen kön-
nen, weil sie die ehemals von ihnen bewirtschafteten Flä-
chen in guten Händen wissen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813021000

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Ursula Schulte, SPD-Frak-
tion.


(Beifall bei der SPD)



Ursula Schulte (SPD):
Rede ID: ID1813021100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir dis-
kutieren heute in erster Beratung über den Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozi-
algesetzbuch. In diesem Zusammenhang steht auch die
Hofabgabeklausel auf der Tagesordnung. Die Hofabga-
beverpflichtung, wie es richtig heißen muss, ist eine der
Kernvoraussetzungen für den Bezug einer Altersrente in
der Landwirtschaft. Die Hofabgabe ist kein Thema, das
vergnügungssteuerpflichtig ist; denn über den Sinn die-
ser Abgabe lässt sich trefflich streiten. Auch unter den
Generationen ist man sich längst nicht immer einig. Un-
ser sozialdemokratischer Anspruch lautet: Wer ein Leben
lang in die Alterssicherung eingezahlt hat, hat am Ende
auch ein Recht auf Rente.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, so einfach ist das!)


Wenn ich mit den vielen Gruppen, die mich aus dem
Westmünsterland – durchaus landwirtschaftlich ge-
prägt – in Berlin besuchen, über die Hofabgabeklausel
diskutiere, ernte ich erstaunte Blicke und sehe in viele
ungläubige Gesichter. Die Menschen können nicht nach-
vollziehen, dass der Bezug einer Regelaltersrente in der
Landwirtschaft nur dann möglich ist, wenn man sein Un-
ternehmen abgibt. Die Mehrzahl meiner Besucherinnen
und Besucher empfindet das als zutiefst ungerecht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Albert Stegemann






(A) (C)



(B) (D)


Damit bin ich bei den Kernfragen, die uns beschäfti-
gen sollten, wenn wir über die Hofabgabeverpflichtung
nachdenken. Wie können wir erstens soziale Härten bei
den älteren Landwirten vermeiden? Wie schaffen wir es
zweitens, junge Landwirte in ihrer persönlichen und un-
ternehmerischen Entwicklung zu unterstützen? Drittens.
Wie schaffen wir es, dass die Ehepartner in der Land-
wirtschaft sozial und vor allem eigenständig abgesichert
werden? Das sind die Fragen, auf die wir in der Großen
Koalition Antworten geben wollten. Ich denke, dass wir
auch einige Antworten gefunden haben.

Wir haben uns 2013 vorgenommen, die Hofabgabe-
klausel neu zu gestalten. Immer wieder ist es seit Grün-
dung der landwirtschaftlichen Alterssicherung zur No-
vellierung und damit auch zur Aushöhlung dieser Klausel
gekommen. Deswegen sage ich an dieser Stelle, dass ich
persönlich – ich denke, ich darf das auch im Namen der
SPD-Fraktion sagen – die Hofabgabeklausel für nicht
mehr zeitgemäß halte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie sehen nun die geplanten Veränderungen bei der
Hofabgabeverpflichtung aus? In der Koalition haben
wir miteinander vereinbart, den rentenunschädlichen
Rückbehalt auf 99 Prozent der Mindestgröße anzuheben.
Somit kann der Landwirt neben seiner Rente eine land-
wirtschaftliche Fläche unterhalb der zur Versicherungs-
pflicht führenden Mindestgröße behalten. Das sind im-
merhin 8 Hektar, wie Sie gerade ausgeführt haben, Herr
Stegemann. Flankiert wird diese Maßnahme durch eine
Änderung im Recht der Krankenversicherung. Bezieher
einer Rente sollen pflichtversichert bleiben können, so-
fern sie unterhalb dieser betrieblichen Mindestgröße lie-
gen. Wir haben auch eine Anpassung der Alterssicherung
für Landwirte an die Regelung der gesetzlichen Renten-
versicherung miteinander verabredet.

Ganz wichtig: Wir haben die rentenrechtliche Stellung
der Ehegatten verbessert; denn die derzeitige Rechtslage
führt doch zu einer eklatanten Benachteiligung der Ehe-
partner. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Eine jüngere
Fiktivlandwirtin – das ist die Ehefrau eines Landwirts
ohne eigene Flächen – wird nach dem Gesetz, dessen
Entwurf vorliegt, zukünftig auch dann einen Rentenan-
spruch haben, wenn ihr Ehemann trotz Erreichens der
Regelaltersgrenze den Betrieb nicht abgibt. Damit haben
wir, wie ich finde, eine entscheidende Verbesserung für
die Bäuerinnen erreicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Die eben genannten drei Punkte – die Erhöhung der
Rückbehaltsfläche, die Honorierung verkürzter Renten-
laufzeiten und die Verbesserung der Absicherung der
Ehepartner – sind die zentralen Bestandteile des nun
vorliegenden Gesetzentwurfs. Ergänzung erfahren diese
Punkte durch die Tatsache, dass der landwirtschaftliche
Unternehmer seinen Betrieb nun einfacher in eine neue
Gesellschaft überführen kann. Sicherlich bleiben bei dem
heute vorliegenden Gesetzentwurf noch viele Wünsche
offen. Aber wir stehen erst am Anfang des parlamenta-

rischen Verfahrens. Wie uns die Erfahrung lehrt, kommt
kein Gesetz so aus dem Bundestag, wie es eingebracht
wurde.

Die SPD will eine moderne Agrarpolitik, verbunden
mit einer innovativen Sozialpolitik. Vor allen Dingen
wollen wir eine Landwirtschaft, die von der Gesellschaft
akzeptiert wird. Dazu ist die Novellierung der Hofabga-
beklausel ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Die
SPD-Fraktion hätte sicherlich mit diesem Gesetzentwurf
auch gleich die Abschaffung der Hofabgabeklausel be-
schließen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber unser Koalitionspartner hält an der Übergabe des
Hofes bei Renteneintritt fest. Schade, schade, schade!
Aber ich bin mir sicher: Was nicht ist, kann noch werden.

Danke, dass Sie mir zugehört haben.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hätten euch aber unterstützt!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813021200

Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che angelangt.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/6284 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie den Zu-
satzpunkt 3 auf:

13. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke,
Caren Lay, Diana Golze, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwu-
cher in Hochschulstädten bekämpfen

Drucksachen 18/2870, 18/4512

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn (Tübingen), Kai Gehring, Sven-Christian
Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bund-Länder-Aktionsplan „Studentisches
Wohnen, Integration und soziale Infrastruk-
tur“ auflegen

Drucksache 18/6336

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ursula Schulte






(A) (C)



(B) (D)


Ich bitte, die Plätze einzunehmen und die Gespräche
zu beenden.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bun-
desregierung der Parlamentarische Staatssekretär Florian
Pronold.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1813021300


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren über zwei Anträge der Oppo-
sition, in denen etwas gefordert wird, was wir als Große
Koalition bereits umsetzen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wie immer bei Anträgen der Opposition ist es so, dass
ungefähr das Doppelte von dem gefordert wird, was wir
machen. Da denke ich zum Beispiel an die soziale Wohn-
raumförderung. Ich kann mich erinnern, dass vor einem
Jahr die Opposition gefordert hat, wir müssten die so-
ziale Wohnraumförderung mindestens verdoppeln. Jetzt,
da wir sie verdoppeln, reicht das nicht aus, und sie muss
mindestens versechsfacht werden. So ist das Geschäft
der Opposition.

Die SPD-Bundestagsfraktion wie die Große Koaliti-
on hat auf das Thema „bezahlbares Wohnen“ einen gro-
ßen Schwerpunkt gelegt. Wir haben das nicht nur in den
Koalitionsvertrag geschrieben, sondern wir haben auch
gehandelt. Dies kommt insbesondere den Studierenden
in den Hochschulstädten zugute. Mittlerweile sind die
Wohnungsmärkte in 40 von etwa 80 Hochschulstädten
angespannt, wodurch dringender Handlungsbedarf be-
steht. Auch Studierende müssen bezahlbaren Wohnraum
vorfinden, und wir leisten dazu einen großen Beitrag.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben die Mietpreisbremse umgesetzt,


(Beifall bei der SPD)


die dazu führt, dass bei Wiedervermietung die Mieten
nicht mehr in dem Maße wie zuvor ansteigen.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist ja eine Schimäre!)


Wir haben umgesetzt, dass ein marktwirtschaftliches
Prinzip wieder gilt, nämlich: Wer bestellt, bezahlt auch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Maklergebühr war ein Ärgernis für viele Studieren-
de, die das Zweieinhalbfache der Monatsmiete zahlen
mussten, wenn sie sich selber eine Wohnung gesucht ha-
ben und so abgezockt worden sind. Das ist seit Sommer
dieses Jahres vorbei.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben im Rahmen der BAföG-Reform den Zu-
schuss deutlich erhöht,


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist keine BAföG-Reform!)


um den Wohnraum von Studierenden zu finanzieren.

Wir haben vor wenigen Monaten in diesem Haus die
Wohngeldreform beschlossen. Über 40 Prozent steigen
die Ausgaben des Bundes für das Wohngeld. Auch das
kommt Studierenden zugute.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben die Mittel für die soziale Wohnraumförde-
rung verdoppelt. Das ist eigentlich Aufgabe der Länder,
so wie die Bereitstellung von Wohnraum für Studierende
eigentlich auch Aufgabe der Länder wäre. Wir unterstüt-
zen jetzt die Bestrebungen der Länder, indem wir nicht
nur 500 Millionen Euro im Jahr, sondern 1 Milliarde
Euro pro Jahr für soziale Wohnraumförderung ausgeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Angespannte Wohnungsmärkte bekommen wir nicht
in den Griff, indem wir nur den mietrechtlichen Schutz
verbessern. Wir bekommen sie nur dann in den Griff,
wenn wir zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum vor Ort
schaffen. Deswegen ist es richtig, dass wir neben der
Förderung des sozialen Wohnungsbaus auch die Liegen-
schaften des Bundes verbilligt abgeben; denn so kann
soziale Wohnraumförderung auch von den Kommunen,
von Genossenschaften und von Baugesellschaften vor
Ort geleistet werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das führt dazu, dass es zu einer Entspannung auf den
Wohnungsmärkten kommt.

Wir wollen zusätzlich steuerliche Anreize schaffen,
um neben der öffentlich geförderten Wohnraumfürsorge
die Bereitstellung von Wohnraum durch Private zu för-
dern, insbesondere in angespannten Wohnungsmärkten,
und zwar über verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten,
damit mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht. Auch das ist
wichtig für die Studierenden.

Wir haben als Große Koalition beschlossen, dass
wir, obwohl der Bund für die soziale Wohnraumförde-
rung nicht mehr zuständig ist, etwas machen, was den
Studierenden ganz besonders zugutekommt. Wir werden
nämlich in Modellvorhaben für experimentelles Bauen
120 Millionen Euro ausgeben, um neue Konzepte aus-
zuprobieren, die eine Leuchtturmfunktion für den stu-
dentischen Wohnungsbau in der ganzen Republik haben
sollen. Ich war gerade mit dem Kollegen Mindrup in
Berlin unterwegs, um mir ein Projekt zur Planung von
Mikrowohnungen anzuschauen. Auch in anderen euro-
päischen Städten kann man besichtigen, wie heute mit
intelligenten Lösungen auf formal geringem Wohnraum
von vielleicht nur 16 Quadratmetern ganz tolle Wohnsi-
tuationen geschaffen werden. So kann man Studierenden
und Auszubildenden bezahlbares Wohnen ermöglichen.

Wir wollen neues nachhaltiges Bauen ausprobieren.
Wer weiß denn, ob in 15 Jahren die Studierendenzah-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


len noch so hoch sind? Warum soll man Gebäude nicht
so gestalten, dass sie künftig auch anderweitig nutzbar
sind? Wenn wir an den Zuzug von Flüchtlingen denken:
Warum sollen Wohnraumgrößen nicht verändert werden?
Warum soll eine Durchmischung von Wohnraum nicht
schon jetzt eingeplant werden?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir reden in Umweltdebatten immer davon, dass wir
das 30-Hektar-Ziel einhalten sollen. Was heißt das in der
konkreten Umsetzung des Vorhabens, mehr Wohnraum
zu schaffen? Das heißt doch, dass die Städte nicht mehr
in die Breite, sondern in die Höhe wachsen müssen. In-
telligente und nachhaltige Nachverdichtung, das ist eine
der Aufgaben, die wir in unserem Modellvorhaben für
experimentelles Bauen für Studierende und Auszubil-
dende einfordern.

Ich denke nur an die Universität Regensburg, an der
ich in den 70er-Jahren studiert habe, ein Flachbau. Das
führt mich zu einer anderen Idee: Würde man zum Bei-
spiel darauf in Holzbauweise Studierendenwohnungen
schaffen,


(Ulli Nissen [SPD]: Super Idee!)


dann könnten die Studierenden in der Früh auch länger
schlafen. Es wäre mir sehr entgegengekommen und hätte
meine Noten nachhaltig verbessert,


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


wenn ich eine solche Möglichkeit zu meinen Universi-
tätszeiten gehabt hätte. Unabhängig davon gibt es direkt
neben der Universität riesige Parkplätze. Warum sollte
dort nicht in Holzständerbauweise neuer Wohnraum
geschaffen werden? Die Parkplätze blieben erhalten.
Trotzdem gäbe es eine intelligente Nachverdichtung, die
übrigens auch dazu führt, dass studentischer Wohnraum
billiger wird. Der Boden gehört ja schon der öffentlichen
Hand. Man hätte 20 bis 25 Prozent weniger Baukosten.
Gegenstand des Modellvorhabens ist auch, besonders
günstiges, aber hochwertiges Bauen zu fördern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir schaffen Leuchtturmprojekte für den studenti-
schen Wohnungsbau der Zukunft. 120 Millionen Euro
werden wir dafür in die Hand nehmen. Das ist wirklich
ein gutes Zeichen. In der SPD, in der Großen Koalition
ist das Thema „bezahlbares Wohnen auch für Studieren-
de“ in den besten Händen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813021400

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht die Kollegin

Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813021500

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir

reden heute nicht zum ersten Mal über die großen Pro-

bleme von Studierenden, eine Wohnung, und zwar eine
bezahlbare Wohnung, zu finden. Ehrlich gesagt, durch
besonders großen Tatendrang ist die Regierung eigent-
lich nicht aufgefallen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber ich kann Ihnen versprechen: Die Linke und die ge-
samte Opposition werden dafür sorgen, dass dieses The-
ma zu Semesterbeginn immer wieder auf der Tagesord-
nung steht.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Wir auch!)


Die neuesten Zahlen zu diesem Semester sind noch
schlimmer als die letzten. Mittlerweile zahlen Studieren-
de in München für ein WG-Zimmer weit über 500 Euro.
Die Zahl der Hochschulstandorte mit einem sogenannten
angespannten Wohnungsmarkt ist im letzten Jahr noch
einmal angewachsen. Das heißt, die Studierenden wer-
den auch in diesem Herbst wieder in Turnhallen, Zelten
oder Containern unterkommen müssen. Wenn hier nicht
bald etwas passiert, werden die Studierenden nicht mehr
über die Runden kommen, selbst wenn sie das BAföG
zweimal beantragen könnten.

Zwar wurde jetzt von der Großen Koalition das Pro-
gramm „Modellvorhaben nachhaltiges Wohnen für Stu-
denten und Auszubildende“ ins Leben gerufen – Sie ha-
ben es gerade erwähnt –; aber das wird dem Bedarf nicht
einmal im Ansatz gerecht. Es hat auch bis jetzt, ehrlich
gesagt, noch nicht ein einziges zusätzliches Zimmer ge-
schaffen. Das ist schlicht fahrlässig; denn in der nächsten
Zeit kann sich die Wohnsituation noch einmal zuspitzen.
Wir alle wissen, wie viele Menschen gerade aus Not und
Elend bei uns ankommen.

Es ist höchste Zeit, dass nicht nur die Hochschulen
konsequent für die jungen Zugewanderten geöffnet wer-
den, sondern dass auch die soziale Infrastruktur so auf
Vordermann gebracht wird, dass junge Menschen, egal
ob aus Deutschland, aus Syrien oder Albanien, auch in
München oder Köln studieren können und nicht an unbe-
zahlbaren Mietkosten scheitern.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es braucht ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um die
Situation nicht nur für Studierende, sondern auch für die
Mieterinnen und Mieter allgemein zu verbessern, damit
die Studierenden, die ja für ihr Studium oft mehrfach um-
ziehen müssen, nicht auch noch die ohnehin angespannte
Situation auf dem allgemeinen Mietmarkt verschärfen,
weil der Vermieter die Miete bei jeder Neuvermietung
noch einmal erhöht. Das ist das eigentliche Problem. Da
greift Ihre sogenannte Mietpreisbremse, die Sie gerade
angesprochen haben, eben nicht.

Die Linke schlägt ein Bund-Länder-Programm
vor, um innerhalb der nächsten vier Jahre 45 000 neue
Wohnheimplätze in Trägerschaft der Studentenwerke
fertigzustellen und um endlich wieder eine bundesweite

Parl. Staatssekretär Florian Pronold






(A) (C)



(B) (D)


Versorgungsquote von 15 Prozent der Studierenden mit
Wohnheimplätzen zu gewährleisten.


(Beifall bei der LINKEN)


Solche öffentlich geförderten Maßnahmen hätten üb-
rigens auch enorme Entspannungseffekte auf den allge-
meinen Miet- und Wohnungsmarkt. Der hat das wirklich
mehr als nötig, weil die Große Koalition offensichtlich
keine adäquate Antwort darauf hat, dass die Zahl der So-
zialwohnungen Jahr für Jahr um Zehntausende zusam-
menschrumpft, weil öffentlich geförderte Wohnungen
aus der Sozialbindung herausfallen und dann profitorien-
tiert und zu deutlich höheren Preisen vermietet werden.
Diesem Problem ist nicht ohne einen Neustart des sozi-
alen Wohnungsbaus aus öffentlichen Mitteln und ohne
eine Mietpreisbremse, die diesen Namen auch verdient,
die endlich Schluss macht mit Mieterhöhungen bei Neu-
vermietungen, beizukommen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Linke will – das wiederhole ich gerne so lange, bis
es auch bei der Regierung ankommt –,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kann dauern!)


dass die Wohnkostenpauschale im BAföG wenigstens an
die durchschnittlichen Mietkosten und dann dynamisch
an die Steigerungsraten angepasst wird. Ich finde, es ist
wirklich peinlich, sich derart wie die Bundesregierung
für eine BAföG-Erhöhung abzufeiern, die schon weit un-
ter dem Bedarf liegt, noch bevor sie überhaupt in Kraft
tritt.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kolleginnen und Kollegen, verantwortlich ist man be-
kanntermaßen nicht nur für das, was man tut, sondern
auch für das, was man nicht tut. Fangen Sie endlich an,
zu handeln, und lassen Sie nicht auch noch die Wahl des
Studienorts zu einer sozialen Frage werden!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813021600

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt die Kollegin Sylvia Jörrißen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Jörrißen (CDU):
Rede ID: ID1813021700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Vor ziemlich exakt einem Jahr, am 17. Oktober
2014, haben wir den Antrag der Linken in erster Lesung
beraten. Wir sprechen also heute über etwas, was eigent-
lich gar nicht mehr aktuell ist.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wir können Zahlen draufsatteln! Das ist kein Problem!)


Trotzdem ist es wichtig, dass wir darüber sprechen. Die
Situation am Wohnungsmarkt ist an einigen Studienorten
schwierig. Um das zu erkennen, haben wir Ihren Antrag
nicht gebraucht.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sprechen Sie doch zum Grünen-Antrag! Der ist doch toller! – Heiterkeit bei der CDU/ CSU – Gegenruf des Abg. Christian Haase [CDU/CSU]: Das ist sehr subjektiv!)


Eine Wohnung am Studienort und eine gesicherte Stu-
dienfinanzierung sind Voraussetzungen für die Aufnah-
me eines Studiums.


(Zuruf von der SPD: Gesundes Selbstbewusstsein bei den Kolleginnen und Kollegen!)


– Ja. – Wir wissen, dass die Lage angespannt ist. Gerade
dort, wo das bereits der Fall ist, wird sie durch den Zu-
strom der Flüchtlinge noch angespannter. Die Große Ko-
alition arbeitet sehr erfolgreich an diesem Problem. Das
Wohnen hat für uns eine ganz besondere Schlüsselrolle.

Meine Damen und Herren, wir haben im letzten Jahr
vieles umgesetzt. Ich möchte gar nicht mehr im Detail
auf die Einzelheiten eingehen, wir haben das oft genug
hier im Plenum debattiert. Ich erinnere nur an die Erhö-
hung des BAföG-Regelsatzes. Der Wohnkostenanteil da-
rin ist überproportional erhöht worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, der liegt nun im Schnitt ungefähr 100 Euro unter dem, was Studenten an Miete zahlen!)


Ich erinnere an die Einführung des Bestellerprinzips im
Mietrecht. Das erspart den Studenten bares Geld, da sie
in aller Regel keine Maklercourtage mehr zu tragen ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich erinnere auch an die Einführung der Mietpreisbrem-
se. Aber so, wie die Linken und auch die Grünen sie for-
dern, nämlich auch für Neubauten, wäre sie kontrapro-
duktiv, da sie dann zur Investitionsbremse würde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, obwohl
die Zuständigkeit für die Wohnraumförderung bei den
Ländern liegt, übernimmt die unionsgeführte Bundesre-
gierung hier Verantwortung. Mit dem Programm „Mo-
dellvorhaben nachhaltiges Wohnen für Studenten und
Auszubildende“ werden 120 Millionen Euro für inno-
vative und neue Konzepte bereitgestellt. Wir wissen,
es muss jetzt schnell und unkompliziert Wohnraum ge-
schaffen werden.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Deshalb liegt der Förderschwerpunkt bei Konzepten mit
einer verkürzten Bauzeit, bei Konzepten mit einer flexib-
len Nutzbarkeit und bei Konzepten, die eine Einbindung
in das städtische Umfeld ermöglichen;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


denn dort, wo Wohnraum knapp ist, sind auch Grund und
Boden knapp. Unser Staatssekretär hat gerade vieles zu
dem Programm gesagt. Lieber Herr Pronold, ich vertraue
ganz darauf, dass Sie dieses Programm jetzt auch schnell
an den Start bringen.


(Ulli Nissen [SPD]: Da können Sie sicher sein!)


Wir wissen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass dieses Programm allein nicht reicht. Deshalb ha-
ben wir die Mittel für die soziale Wohnraumförderung,
die wir den Ländern zur Verfügung stellen, für die Jah-
re 2016 bis 2019 auf über 1 Milliarde Euro aufgestockt
und damit rund verdoppelt.

Ihr Antrag verkennt unser föderales System. Auch wir
wünschen uns eine zweckgebundene Verwendung dieser
Mittel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist in der Vergangenheit in vielen Ländern nicht
erfolgt. Die Länder haben dies nunmehr zugesagt und
wollen endlich ihrer Verantwortung nachkommen. Wir
müssen ein strenges Auge darauf richten, dass dies tat-
sächlich auch so umgesetzt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Lassen Sie mich auf einen letzten Punkt zu sprechen
kommen, und zwar den Umgang mit den bundeseigenen
Liegenschaften. Wir lassen unsere Städte und Kommu-
nen nicht im Regen stehen. Im Nachtragshaushalt ist ver-
einbart, dass die BImA solche Liegenschaften, die für die
Schaffung von sozialem oder studentischem Wohnraum
genutzt werden, zu vergünstigten Konditionen an die
Kommunen abgibt. Für Umplanungen von leerstehenden
Kasernen gibt es bereits heute erfolgreiche Beispiele, so
in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen in der Stu-
dentenstadt Münster mit der York-Kaserne und der Ox-
ford-Kaserne.

Meine Damen und Herren, die Herausforderungen im
Bereich des studentischen Wohnens und der Schaffung
bezahlbaren Wohnraums allgemein können nur gemein-
sam geschultert werden. Wir alle sind verpflichtet, an
dieser Aufgabe mitzuwirken: der Bund, die Länder, die
Kommunen, aber auch private Investoren.


(Volkmar Vogel Sehr richtig!)


Hierfür müssen noch zusätzliche Anreize geschaffen
werden, zum Beispiel steuerliche.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813021800

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Christian Kühn,

Bündnis 90/Die Grünen.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen
und Besucher auf der Tribüne! Herr Pronold, ich fand es
wirklich sehr amüsant, Ihre Aufzählung dessen, was die-
se Regierung alles macht, zu hören; aber der Mieterbund
hat heute eine Pressemitteilung herausgegeben und ge-
sagt: Die Politik in Deutschland befindet sich angesichts
der angespannten Lage auf den Wohnungsmärkten im
Schlaf. – Ich sage Ihnen: Diese Regierung befindet sich
immer noch im Schlaf. Ich werde es in der Rede nach-
weisen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Regierung befindet sich im Schlaf und braucht
jemanden, der sie aufweckt. Ich sage Ihnen: Diese Debat-
te hier hat sie ein Stück weit aufgeweckt. Deswegen ist
es gut, dass diese Debatte beantragt worden ist und dass
wir sie auch führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben eine brutal angespannte Wohnungsmarktsi-
tuation in den Hochschulstädten. In meiner Heimatstadt
Tübingen sind die Mieten in sieben Jahren um 22 Pro-
zent gestiegen. Gleichzeitig ist deutschlandweit die Stu-
dierendenzahl um 700 000 gestiegen.


(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sag das mal dem grünen OB!)


Diese Aufgabe können eben die Universitätsstädte selber
nicht mehr stemmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen braucht es Bundesmittel. Deswegen war es
so wichtig, dass wir bereits letztes Jahr ein Bundespro-
gramm für Wohnungsbau thematisiert haben. Dadurch
sind Sie überhaupt erst auf die Idee gekommen, ein Pro-
gramm aufzulegen. Wir als Opposition empfinden es als
einen großen Erfolg, dass Sie 120 Millionen Euro für ein
Wohnheimprogramm in Deutschland lockergemacht ha-
ben.


(Klaus Mindrup [SPD]: Wir auch!)


Es fehlen aber immer noch 25 000 Wohnheimplätze.
Deswegen reicht es nicht, was Sie hier machen. Es reicht
auch nicht aus, die soziale Wohnraumförderung auf
1 Milliarde Euro zu erhöhen. Der Städte- und Gemein-
debund selbst sagt, dass wir 2 Milliarden Euro brauchen,
der Mieterbund auch. Wenn ich das, was Frau Barbara
Hendricks heute Mittag gesagt hat, richtig verstanden
habe, dann ist es ja wohl so, dass sie selbst nicht glaubt,
dass die derzeitigen Mittel für die historische Herausfor-
derung, vor der wir auf den Wohnungsmärkten stehen,
ausreicht. Deswegen: Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Da stehen nämlich 2 Milliarden Euro drin. Dann bekom-
men wir die Lage auch besser in den Griff.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sylvia Jörrißen






(A) (C)



(B) (D)


Frau Jörrißen, die Mietpreisbremse, für die Sie sich
hier jetzt loben, haben Sie von der Union verzögert und
am Ende durchlöchert, und sie kam viel zu spät. Wenn
wir sie ein Jahr vorher bekommen hätten, wenn Sie sie in
den ersten 100 Tagen der Regierungszeit umgesetzt hät-
ten, wären wir heute schon ein deutliches Stück weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Gleiche gilt für die Liegenschaftspolitik. Warum
ist es denn erst heute möglich, dass bei Vorliegen des Kri-
teriums „sozialer Wohnungsbau“ Bundesliegenschaften
verbilligt abgegeben werden können? Das liegt doch da-
ran, dass sich die Union jahrelang bei dem Thema Bun-
desliegenschaften gesperrt hat und es erst jetzt möglich
gemacht hat. Wenn wir das früher gemacht hätten, hätten
wir in den letzten Jahren deutlich mehr Wohnheimplät-
ze, aber auch mehr sozialen Wohnungsbau in die Städte
gebracht. Es ist ein Skandal, dass Sie das so lange ver-
hindert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dazu, dass Sie sich hier für die Erhöhung des BAföG
loben, ist zu sagen: Es ist eine Erhöhung, aber es ist eine
Erhöhung, die nicht reicht, und sie ist auch nicht intelli-
gent.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und sie kommt erst nächstes Jahr!)


Letztlich haben Sie nämlich bei der BAföG-Mietkosten-
pauschale keine regionale Staffelung eingeführt. Beim
Wohngeld gibt es eine Staffelung, beim BAföG nicht.
Das passt systematisch nicht zusammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es handelt sich eben nicht um eine zielgenaue Antwort
auf die Situation der Studierenden in den Hochschulstäd-
ten. Ich fordere Sie auf: Ändern Sie das! Es ist nämlich
wohnungspolitisch höchst problematisch, was Sie da ma-
chen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ganz toll finde ich an dieser GroKo, dass Sie sich für
Dinge loben, die Sie noch gar nicht gemacht haben,


(Zuruf von der CDU/CSU: So gut sind wir!)


für die Sie noch nicht einmal einen Haushaltsbeschluss
haben, für die Sie sozusagen höchstens der Presse
Sprechblasen geben.


(Ulli Nissen [SPD]: Was? Sprechblasen?)


Das betrifft beispielsweise die steuerliche Förderung und
die AfA. Ich sage Ihnen: Das werden Sie nicht hinkrie-
gen. – Und Sie kriegen das deswegen nicht hin, weil Sie
sich mit Ihrem Finanzministerium gar nicht einig sind.
Deswegen steht auch in dem gemeinsamen Beschluss
von Ministerpräsidenten und Kanzlerin nicht „steuerli-

che Abschreibungen“ oder „steuerliche Anreize“ drin,
sondern da steht nur noch „Anreize“ drin.


(Ulli Nissen [SPD]: Das ist umschrieben! – Zuruf von der LINKEN: Aha!)


Ich bin mir nicht sicher, ob Sie das wirklich hinbekom-
men, was Sie hier versprechen. Ich finde, man sollte nur
Dinge versprechen, die man am Ende auch wirklich hal-
ten kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Groß [SPD]: Das machen wir!)


Zum Schluss will ich sagen: Die Hochschulstädte sind
ein Brennglas für die wohnungspolitische Entwicklung
in Deutschland. Wir sehen ja, wie die Wohnungsmärk-
te aus dem Ruder geraten sind. Die Instrumente, die wir
heute alle miteinander versprechen, reichen nicht aus.


(Klaus Mindrup [SPD]: Völlig richtig!)


Wir brauchen eine neue Systematik, wir brauchen eine
neue Idee. Ich glaube, dass wir alle miteinander über
eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit sprechen sollten
und diese möglichst in dieser Legislaturperiode umset-
zen sollten. Wir stehen nämlich vor einer historischen
Aufgabe.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813021900

Vielen Dank. – Jetzt hat Yvonne Magwas, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Yvonne Magwas (CDU):
Rede ID: ID1813022000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mit dieser Debatte greifen wir erneut ein ak-
tuelles Thema auf. Wir wissen, Anfang der Woche hat
in vielen Bundesländern das Wintersemester begonnen.
Das heißt auch, dass immer mehr junge Menschen in den
Unistädten eine Unterkunft benötigen. Besonders beliebt
sind Hamburg, Berlin, München.


(Michaela Engelmeier [SPD]: Frankfurt!)


Das verschärft die Situation auf den dort ohnehin ange-
spannten Wohnungsmärkten noch weiter.

Das Thema „bezahlbarer Wohnraum“ ist uns nicht nur
hinreichend bekannt, wir reagieren bereits seit Beginn
der Legislaturperiode darauf. Natürlich sind besonders
Studierende auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen.
Doch es wäre zu kurz gegriffen, wenn wir uns nur auf
das Wohnen von Studierenden konzentrieren würden;
denn wir alle wissen: Junge Familien, Rentner oder auch
Flüchtlinge benötigen bezahlbaren Wohnraum.


(Zuruf von der LINKEN: Ach was!)


Deshalb gibt es auch das Bündnis für bezahlbares Woh-
nen und Bauen, und wir freuen uns schon, lieber Florian

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


Pronold, auf die ersten Ergebnisse, die in den nächsten
Wochen präsentiert werden sollen.


(Christian Kühn DIE GRÜNEN]: Wir auch! Wir sind einmal gespannt, was da wirklich kommt! Wir glauben nämlich, da kommt nicht wirklich etwas raus! – Gegenruf des Abgeordneten Klaus Mindrup [SPD]: Mehr Optimismus, Christian!)


Diese sind sicherlich vielschichtiger als das, was die Lin-
ken und die Grünen uns anbieten,


(Christian Haase [CDU/CSU]: Noch sind sie nicht regierungsfähig!)


nämlich den Wohnungsneubau vor allem staatlich zu fi-
nanzieren und staatlich zu steuern. Damit bestätigen Sie
erneut, meine Damen und Herren von den Linken, dass
Sie kein Verhältnis zum Steuergeld und zu generationen-
gerechter Politik haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Union! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber obdachlose Studierende als eine schwarze Null! Das ist unglaublich!)


Zukunftsgerichtete Politik sieht für uns anders aus.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wie denn? – Gegenruf der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU]: Vor allen Dingen optimistisch!)


Wir wollen unseren Kindern Chancen statt Schulden ver-
erben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seit der Föderalismusreform tragen die Länder die
Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung. Das
wollten sie auch so.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wenn es nicht klappt, ist es blöd, nicht?)


Damit sind auch die Länder für die Bereitstellung von
ausreichend bezahlbarem Wohnraum, also auch für die
Studierenden, zuständig. Aber die Länder müssen die
übertragene Verantwortung auch übernehmen, und sie
müssen die ihnen übertragene Verantwortung auch wirk-
lich ernst nehmen. Aber mit Ausnahme von ein oder zwei
Positivbeispielen ist das leider nicht der Fall. Die Län-
der verwenden die Mittel nicht, wie wir uns das wün-
schen, und nicht, wie sie es müssten. Die Verdoppelung
der sozialen Wohnraumförderung auf 1 Milliarde Euro
pro Jahr, die wir heute Morgen beschlossen haben, war –
meine Vorredner haben das schon öfter gesagt – ein
Meilenstein. Das ist ein starkes Zeichen für die soziale
Wohnraumförderung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir als Union hätten uns gewünscht, dass die Länder
künftig jährlich Bericht ablegen müssen, ob sie das Geld
auch tatsächlich zweckgebunden einsetzen.


(Ulli Nissen [SPD]: Frau Magwas, da können wir doch gemeinsam was dran ändern!)


– Frau Nissen, wir bleiben dran, und wir appellieren auch
ein weiteres Mal an die Länder, die Mittel endlich zielge-
richtet dafür aufzuwenden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, anders als die Linken sind
wir uns darüber im Klaren, dass staatliche Wohnraum-
förderung allein den Bedarf nicht decken kann. Darüber
waren sich gestern im Übrigen auch die Experten im
Fachgespräch zu den Herausforderungen auf dem Woh-
nungsmarkt einig, und zwar vom Mieterbund bis hin zum
BFW. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat beschlos-
sen, dass es dringend Anreize für private Investitionen
in den Wohnungsbau geben muss. Steuerliche Anreize
wären in der derzeitigen Situation ein starkes Zeichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung muss deshalb mit allen beteiligten
Ressorts den Beschluss nun auch endlich umsetzen. Un-
sere Unterstützung haben sie dafür.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Mit anderen Forderungen, meine Damen und Herren
von den Linken, schießen Sie deutlich über das Ziel hi-
naus, zum Beispiel mit der flächendeckenden Mietpreis-
bremse. Wir haben sie so ausgestaltet, dass zum einen
Mieter entlastet werden, zum anderen aber auch der Bau
von neuen Wohnungen ermöglicht und in den Bau von
neuen Wohnungen investiert wird.


(Volkmar Vogel Die flächendeckende Mitpreisbremse hat zum Untergang der DDR beitragen!)


Denn wir wissen: Der beste Mieterschutz, egal ob für
Flüchtlinge, für Studierende oder auch für junge Famili-
en, ist immer noch der Bau von neuen Wohnungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie dagegen, meine Damen und Herren von den Linken,
fordern eine Investitionsbremse. So ist es.

Daher kann man abschließend wieder einmal sagen:
ein typischer Antrag der Opposition; denn Sie müssen
die Milliardenforderungen ja auch nicht umsetzen. Wir
dagegen stehen für eine ausgewogene und nachhaltige
Wohnungs- und Finanzpolitik. Aus diesem Grund lehnen
wir den Antrag der Linken heute auch ab.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813022100

Vielen Dank. – Damit beenden wir die Aussprache.

Yvonne Magwas






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in
Hochschulstädten bekämpfen“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4512,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/2870 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 3. Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6336
mit dem Titel „Bund-Länder-Aktionsplan ‚Studenti-
sches Wohnen, Integration und soziale Infrastruktur‘
auflegen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der EU-Mobilitäts-Richtlinie

Drucksache 18/6283
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Finanzausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu
Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden. 1)

Dann kommen wir zur Überweisung. Interfraktionell
wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Druck-
sache 18/6283 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es von Ihrer Seite dazu
anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der
Fall. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter

(Tübingen)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzre-
geln für Sportanlagen den heutigen Anforde-
rungen anpassen

Drucksache 18/4329
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

1) Anlage 8

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Monika
Lazar, Bündnis 90/Die Grünen.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813022200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Aussage unseres Antrages ist eigentlich ganz ein-
fach: Sport und Wohnen sollen in räumlicher Nähe mitei-
nander vereinbar sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Leider ist das unter den gegebenen Bedingungen in ei-
nigen Regionen Deutschlands nicht so einfach möglich;
denn die Rechtslage in Bezug auf die Lärmschutzverord-
nung bei Sportstätten ist veraltet, uneinheitlich und un-
deutlich. Das Ergebnis sind verfallene Sportplätze oder
Sportanlagen, die zu weit außerhalb liegen. Der DOSB
beziffert den Investitionsstau bei Sportstätten im Breiten-
und Spitzensport auf 42 Milliarden Euro. Dabei ist es
nicht so, dass hier keiner handeln will. Selbst wenn Kom-
munen die Mittel aufbringen könnten, um die Sportanla-
gen auf Vordermann zu bringen, müssen sie befürchten,
die Standorte gleich ganz zu verlieren. Am Ende also gibt
es entweder moderne Sportplätze in Randlage oder we-
nig genutzte ältere Sportanlagen vor der eigenen Haustür.

Beispiel Altanlagenbonus: Wenn sich ein Sportver-
ein eine Sanierung seiner Sportstätte wünscht, die auch
neuesten Umweltstandards genügt, dann läuft er Gefahr,
dass die Genehmigung für den gesamten Betrieb auf den
Prüfstand kommt. Das ist in mehrerlei Hinsicht absurd.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Derzeit befinden wir uns in einer Grauzone. Es ist nie
sicher, ab wann ein Umbau zum Wegfall des Bestands-
schutzes führt. Wir fordern deshalb eine bundesweite Re-
gelung, die endlich Klarheit schafft und es erlaubt, öko-
logische Verträglichkeit auch in der Stadt sicherzustellen.

Ein weiterer Punkt ist die Privilegierung von Kinder-
lärm. Wir erinnern uns: In der letzten Wahlperiode haben
wir erst klargestellt, dass Kinder natürlich den ganzen
Tag auf dem Spielplatz spielen können. Aber warum soll-
te das bei Sportplätzen anders sein? Wir sind uns doch
alle einig: Kinder und Jugendliche brauchen Bewegung,
sie sollen Sport treiben und sich austoben dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Leider sieht die Wirklichkeit anders aus. Das Ro-
bert-Koch-Institut hat in einer 2014 erschienenen Studie
herausgestellt, dass zwar gut drei Viertel aller Kinder und
Jugendlichen regelmäßig Sport treiben und sich ausrei-
chend bewegen, gleichzeitig aber sind nach den aktuell
vorliegenden Zahlen 1,9 Millionen Kinder zwischen 3
und 17 Jahren in Deutschland übergewichtig. Das ent-
spricht 15 Prozent.

Ich sage nicht, dass das an der Lärmschutzverordnung
liegt, aber wir sollten frühzeitig an den Stellschrauben
drehen. Die Lärmschutzverordnung ist eine solche Stell-
schraube. Wenn es keinen geeigneten Sportplatz vor der

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Tür gibt, dann gibt es auch weniger Anreiz, vor die Tür
zu gehen und Sport zu treiben.

Natürlich gibt es zwei Seiten der Medaille. Die An-
wohnerinnen und Anwohner haben selbstverständlich
ein Recht auf Ruhe. Daher lautet unsere Forderung nicht
einfach „Sport frei, und der Rest schert uns nicht“. Man
muss schon unterscheiden, ob der Sportlärm von Kindern
und Jugendlichen kommt, die ihre Freizeit aktiv gestalten
wollen, oder von den Sportereignissen mit einem weitaus
höheren Zuschaueraufkommen. Anlagen, in denen sol-
che Veranstaltungen stattfinden, sollen gegebenenfalls zu
den genehmigungsbedürftigen Anlagen gezählt werden.

Für alle Beteiligten ist es zudem sinnvoll, einheitli-
che Prüfmethoden zu wählen. Auch dies ist bisher nicht
geregelt. Das Bundesumweltministerium hatte bereits
Anfang des Jahres im Sportausschuss angekündigt, dass
hier etwas geändert werden soll. Bis heute ist noch nichts
passiert. Warum beseitigen Sie nicht diesen Flickentep-
pich kommunaler Einzelregelungen und schaffen eine
verlässliche gesetzliche Grundlage, die den heutigen Be-
dürfnissen und Anforderungen entspricht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unser Antrag soll eine Anregung sein, damit wir noch
in dieser Wahlperiode endlich einer Lösung näher kom-
men. Ich denke, das ist in unser aller Interesse.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813022300

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU spricht jetzt der

Kollege Karsten Möring.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Karsten Möring (CDU):
Rede ID: ID1813022400

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Vertreter der Vereine, die hier im
Raum sein mögen! Lassen Sie mich mit einem Kompli-
ment an die Grünen beginnen:


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Die Grünen verstehen es immer wieder, auf einen fah-
renden Zug aufzuspringen und damit den Eindruck zu
erwecken, sie hätten ihn angeschoben oder säßen gar in
der Lokomotive.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr vergiftetes Lob können Sie behalten!)


Das ist auch bei diesem Antrag der Fall.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Glück! Wenn wir Sie nicht hätten!)


Denn wir wissen ja alle, dass der Diskussionsprozess, der
dem zugrunde liegt, schon seit einiger Zeit anhält. Ich
will allerdings nicht verschweigen, dass ich mich freuen

würde, wenn das Ministerium alsbald seine eigenen Vor-
stellungen einbringen würde.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind Sie also doch noch nicht so weit! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was machen wir denn? Antreiber sind wir! – Gegenruf von der CDU/ CSU: Seid doch nicht so aggressiv! Ein bisschen friedlich!)


– Ob Anschieber oder Antreiber, werden wir sehen.


(Volkmar Vogel Karsten, alles richtig gemacht!)


– Ja, genau.

Ich wundere mich ein bisschen über die Bereitschaft
der Grünen, die in diesem Antrag zum Ausdruck kommt,
Umweltstandards im Sinne eines Interessenausgleichs zu
reduzieren, indem sie sagen: Wir müssen die Interessen
zusammenbringen. – Bei anderen Themen würde ich mir
bei den Grünen auch ein bisschen mehr Flexibilität wün-
schen. Das kenne ich sonst nicht von Ihnen. Ich denke an
solche Dinge wie die Forderung von Teilen der Grünen,
eine halbe Stunde Lärm im Jahr zu verbieten, nämlich
das Silvesterfeuerwerk,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn für Argumente?)


und zwar wegen des Lärms, aber nicht wegen der Luft-
verschmutzung; das wäre ja vielleicht ein Argument ge-
wesen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben zehn Minuten Redezeit, mehr als wir!)


– Ja nun! Es gibt ein paar Dinge, die ich gerne in den
zehn Minuten unterbringen möchte. Passen Sie auf!


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss nicht zehn Minuten reden! Man kann auch kürzer! – Gegenruf des Abg. Volkmar Vogel [CDU/CSU]: Das müsst ihr aushalten!)


Sport und Lärm sind leider eine untrennbare Einheit,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Plopp-Plopp auf
dem Tennisplatz, die knallenden Skateboards, der Torju-
bel – Musik für die einen, nämlich diejenigen, die dabei
sind, Lärm für die anderen, nämlich diejenigen, die nicht
dabei sind.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Torjubel ist Musik für alle! – Gegenruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Das hängt davon ab! Wenn ihr bei der Eintracht einen reinkriegt, dann nicht mehr!)


– Selten für den Gegner, lieber Herr Schatzmeister des
DFB. Das dürfte unterschiedlich wahrgenommen wer-
den.

Monika Lazar






(A) (C)



(B) (D)


Gleichwohl: Als Mitglied des kürzlich hier gegründe-
ten Bundestagsfanclubs des 1. FC-Köln „Koalition Rut-
Wiess“


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schleichwerbung!)


– um das bei dieser Gelegenheit zu betonen – habe ich
großes Verständnis für die Sporttreibenden und die Verei-
ne. Auch als Leiter einer Schule mit einem benachbarten
Sportplatz am Rand eines Wohngebiets weiß ich, wovon
ich rede. Aber auch als Umweltpolitiker sage ich: Ge-
rade weil der Sport trotz seines Lärms und mit seinem
Lärm so bedeutend ist – Beispiele hat meine Vorrednerin
genannt; ich brauche sie nicht zu wiederholen –, wollen
wir den Interessen des Sports so weit wie möglich, bis zu
den Grenzen des Zulässigen – um es mal so zu sagen –,
entgegenkommen.

Was wollen wir erreichen? Natürlich wollen wir errei-
chen, dass das, was wir beim Kinderlärm in Bezug auf
Kitas und Spielplätze beschlossen haben, auch für Sport-
anlagen gilt. Das ist eigentlich eine Selbstverständlich-
keit. Im Bereich des Jugendlichensports wollen wir die
Regelungen so weit wie möglich fassen. Wir kommen da
wahrscheinlich in eine rechtliche Grauzone – das muss
man prüfen –, aber die Zielsetzung, die wir verfolgen,
ist, den Sport von Jugendlichen so weit wie möglich zu
privilegieren. Unter Umständen muss man da zu diffe-
renzierten Regelungen kommen, was Spielzeiten angeht.
Das werden wir sehen, wenn wir uns mit den Details be-
fassen.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wann liegt das Gesetz denn vor?)


Wir sind auch der Meinung, dass die Kommunen und
die Länder Spielräume brauchen für Regelungen, die den
lokalen und regionalen Verhältnissen besser angepasst
sind als das, was wir von hier aus im Rahmen einer bun-
deseinheitlichen Regelung machen. Wenn das nicht so
wäre, brauchten wir die Lärmschutzverordnung für die
Sportanlagen überhaupt nicht. Aber wir haben sie, und
wir brauchen sie auch.

Die Sportanlagenlärmschutzverordnung ist eine Er-
folgsgeschichte; denn mit ihrer Einführung 1991 kam es
zu einer deutlichen Verringerung der Konflikte. Heute
gibt es vielleicht hundert oder ein paar mehr Problemfäl-
le zwischen Vereinen und Nutzern; demgegenüber stehen
einige tausend Fälle, in denen es keine Probleme gibt.
Aufgrund dieser Verordnung ist eine Befriedung entstan-
den. Deswegen sage ich: Die Verordnung ist insgesamt
ein Erfolg, auch wenn sie jetzt in einigen Punkten ohne
Zweifel angepasst werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang freue ich mich über die Vor-
schläge, die der DOSB und der DFB gemacht haben. Wir
werden ihnen wahrscheinlich nicht in allen Punkten fol-
gen können, aber ihre Anregung war wichtig. So konnten
wir einige Punkte zusammenstellen, mit denen wir uns
befassen müssen.

Ich will zwei Bereiche herausgreifen, in denen es zur-
zeit große Probleme gibt. Das eine Problem ist der so-

genannte Altanlagenbonus. Was verbirgt sich dahinter?
Dahinter verbirgt sich die Notwendigkeit oder Nichtnot-
wendigkeit eines neuen Genehmigungsverfahrens bei
der Modernisierung oder Erweiterung eines bisherigen
Sportplatzes. In der Praxis zeigt sich, dass die Verwal-
tungen die Sache sehr unterschiedlich handhaben, und
das ist unbefriedigend. Eine sehr unterschiedliche Hand-
habung hat nämlich auch zur Folge, dass die Verwaltun-
gen aus dem Bedürfnis heraus, möglichst keine Fehler
zu machen, sehr restriktiv mit diesem Thema umgehen.
Da gibt es Beispiele, die belegen, dass die Umwandlung
eines Ascheplatzes zu einem Kunstrasenplatz zum An-
lass genommen wird, ein neues Genehmigungsverfahren
durchzuführen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja, das kann ja wohl nicht sein!)


Das ist sinnlos.

Die Anwendung der alten Regelung in Bezug auf den
Altanlagenbonus macht auf jeden Fall immer dann Sinn,
wenn Art und Umfang der Belastung, die von diesem
Sportplatz in Form von Lärm oder Ähnlichem ausgehen,
im Großen und Ganzen gleich bleiben. Wenn es grund-
sätzliche oder erhebliche Änderungen gibt, dann muss
man über neue Genehmigungsverfahren nachdenken.
Aber ohne erhebliche Änderungen ist das nicht notwen-
dig.

Weil die Verwaltung hier solche Probleme hat, sind
wir für eine Klarstellung: Was ist beispielsweise unter ei-
ner erheblichen Änderung zu verstehen? Was wird durch
den Altanlagenbonus begünstigt und was nicht? Das gilt
dann auch umgekehrt für den Fall, dass man eine neue
Genehmigung benötigt. Dann wissen alle Beteiligten,
woran sie sind. Sie können sich darauf einstellen und
überlegen, ob sie eine Erweiterung oder Veränderung
vornehmen wollen. Das gilt beispielsweise auch, wenn
Umbauten zu einer deutlich veränderten oder erhöhten
Lärmbelastung führen, zum Beispiel für die Einrichtung
von Skateranlagen auf bestehenden Sportplätzen; denn
deren Lärmimmission ist von anderer Güte und Quali-
tät. Das geht in Wohngebieten in der Tat wahrscheinlich
nicht.

Das zweite Problemfeld ist die sogenannte heranrü-
ckende Bebauung. Hierbei muss ich vielfach den Kom-
munalverwaltungen und den Bauplanungsbehörden den
Vorwurf machen, dass sie dabei nicht sorgfältig vorge-
hen. Wir haben im Bundes-Immissionsschutzgesetz einen
Leitgedanken formuliert, der für alle Planungsbehörden
verbindlich ist – dieser Leitgedanke steht in § 1, Zweck
des Gesetzes –: „dem Entstehen schädlicher Umweltein-
wirkungen vorzubeugen“. Zum Entstehen schädlicher
Umwelteinwirkungen gehören auch Lärmemissionen,
die wir bei Sportplätzen in der Regel haben. Das heißt:
Wenn eine Kommunalbehörde eine heranrückende Be-
bauung plant, die die Lärmemissionen nicht berücksich-
tigt, dann ist der Bebauungsplan rechtswidrig. Aber die
Krux in dieser Situation ist, dass ein solcher rechtswid-
riger Bebauungsplan nur in der Phase der Offenlegung,
also solange er noch nicht rechtsgültig ist, angegriffen
werden kann; in der Regel weiß das kein Vereinsmitglied,
kein Nutzer eines Sportplatzes. In dem Moment, in dem

Karsten Möring






(A) (C)



(B) (D)


der Bebauungsplan rechtskräftig wird, hat der Anlieger
Anspruch auf die Einhaltung der Grenzwerte. Hier haben
wir eine Umkehrung der Situation. Es gibt eine Fülle von
Klagen oder juristischen Auseinandersetzungen, die man
einem ehrenamtlichen Vereinsmitglied und dem Kassen-
wart des Vereins nun wirklich nicht zumuten kann; das
muss klargestellt werden. Die Verantwortung tragen die
Planungsbehörden.

Ich habe bei einem Besuch in Düsseldorf – auch als
Kölner darf man das –


(Michaela Engelmeier [SPD]: Na, na! Aber nicht oft!)


mit einer Reihe von Vertretern von Sportvereinen vor Ort
gesprochen, die mir solche Fälle geschildert haben. Ich
muss ehrlich sagen: Ich war entsetzt darüber, was einfach
grob fahrlässig falsch gemacht worden ist.

Es kommt hinzu, dass Konflikte, die danach auftreten,
von den Kommunalverwaltungen in der Regel auf Kos-
ten der Vereine gelöst werden, indem sie sagen: Ihr müsst
euren Betrieb einschränken, damit an der Stelle XY we-
niger Lärmbelastung herrscht.

Das alles müssen wir ändern. Wir wollen mit der Än-
derung ein gedeihliches Miteinander von Wohnen und
Sport in unseren Städten und Gemeinden erreichen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn der Vorschlag?)


Daran muss sich die neue gesetzliche Regelung messen
lassen. Ich freue mich auf eine gemeinsame Kraftan-
strengung, mit der wir das erreichen. Ich lade jeden ein,
mitzuwirken. Wir werden im Ausschuss noch intensiver
darüber reden.

Zwei Sekunden Zeitüberschreitung verzeihen Sie mir
bitte. – Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813022500

Das wird gerne verziehen. Wenn nur alle anderen auch

so pünktlich wären wie Sie!

Als Nächster hat jetzt der Kollege Ralph Lenkert,
Fraktion Die Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813022600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Heute geht es um Lärmschutz, ganz emo-
tional darum, mit Freude und Elan am Sonntag mit und
ohne Bälle Sport zu treiben, so wie Sie und ich es ma-
chen, oder bei Sportveranstaltungen zu jubeln, was ich
eher tue.

Da die Koalition hinsichtlich der Sportstättenlärmver-
ordnung nicht aus der Hüfte kommt, wie den Antworten
auf die Fragen meiner Kollegin Kunert zu entnehmen
war, danke ich den Grünen dafür, dass sie einen Antrag
zur Anhebung der Geräuschgrenzwerte für Sportanlagen

stellen, wie es die Linke schon in der letzten Legislatur-
periode tat.


(Beifall bei der LINKEN)


Klar ist: Unsere Jugend bewegt sich zu wenig, und
große Teile der Bevölkerung treiben zu wenig Sport.
Und wann haben Schülerinnen und Schüler, Auszubil-
dende oder Berufstätige richtig Zeit für Freizeit- und
Breitensport? Am Wochenende. Aber dagegen steht die
18. Bundesimmissionsschutzverordnung, die mit ih-
ren Lärmgrenzwerten Sportveranstaltungen und Spiele,
selbst einfaches Sporttreiben wegen der für Sportanlagen
unverständlich niedrigen Grenzwerte erschwert und ge-
rade sonntags in enge Zeitfenster – von 9 bis 13 Uhr und
von 15 bis 20 Uhr – gezwängt hat. Im Winterhalbjahr
sind die möglichen Nutzungszeiten auf nicht extra be-
leuchteten Anlagen real noch viel kürzer.

Wie schon 2010 schlagen wir vor, dass für den Ju-
gend- und Freizeitsport die erlaubten Lärmgrenzwerte in
sogenannten reinen Wohngebieten auf 55 Dezibel ange-
hoben werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist übrigens der heutige Grenzwert in allgemeinen
Wohngebieten. Weiterhin fordern wir, dass dieser Grenz-
wert tagsüber ohne Mittagsabsenkung gilt. Als Techniker
kann ich Dezibelgrenzwerte einschätzen. Wissen Sie,
was 55 Dezibel bedeuten? Ein ruhiger Bach murmelt mit
50 Dezibel im Wald. Ein Fernseher auf Zimmerlautstärke
verursacht 60 Dezibel, so wie auch ein Gespräch am Kaf-
feetisch. Pkws dürfen mit 59 Dezibel durch reine Wohn-
gebiete rauschen, und Militärjets dürfen mit 90 Dezibel
darüber hinwegdonnern. Hunde dürfen bellen, das ist ja
ihre Natur – übrigens lauter als 50 Dezibel. Frösche muss
man bis 55 Dezibel ertragen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht man dann?)


Selbst wenn sie mit 70 Dezibel quaken, dürfen sie meist
bleiben; denn das entspricht ihrer Natur.


(Beifall bei der LINKEN)


Welchen sinnvollen Grund gibt es angesichts dessen für
Grenzen von 50 oder gar 45 Dezibel für Sportanlagen
und Freizeitsport?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keinen!)


Sorgen wir für mehr Akzeptanz für Menschen, egal ob
es um Ballspiele, neue Trendsportarten oder Wettkämpfe
geht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, folgen Sie den Anre-
gungen der Grünen und den Vorschlägen der Linken.
Wir sind für wohnortnahe Sportanlagen. Dann werden
Jugendliche öfter zum Sportplatz gehen. Gemeinsamer
Sport hilft unserer Gesundheit und unserem sozialen Zu-

Karsten Möring






(A) (C)



(B) (D)


sammenhalt. Es wäre doch schön, wenn wir mehr solche
Geräusche zulassen würden, oder?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gesetze sollten sich am Leben orientieren. Im No-
vember 2011 änderte der Bundestag einstimmig das Bun-
des-Immissionsschutzgesetz, damit sich Kinder herum-
tollend entwickeln können, damit nie wieder ein Gericht
fröhliches Kinderlachen als Lärmstörung unterbindet.
Setzen wir uns zusammen, diskutieren wir im Ausschuss,
treiben wir das Ministerium, und wenn Sie von der Koa-
lition es wollen, dann finden wir wie 2011 eine gemeinsa-
me Lösung, damit Schilder wie „Sportplatz sonntags von
13 bis 15 Uhr geschlossen“ auf dem Müll landen.

Eine Änderung der 18. Bundesimmissionsschutz-
verordnung hilft Jugendlichen, Sportlern, Vereinen und
Kommunen, auf rechtssicherer Basis ihre Arbeit und un-
sere Freizeit zu organisieren. Dann fliegen mehr Bälle
aus Spaß als Flaschen aus Frust. Um Ihnen die Angst zu
nehmen: Auch bei erlaubten 55 Dezibel dürfen Sportle-
rinnen und Sportler noch immer nicht so viel Lärm ver-
ursachen wie Ihre vielgeliebten Pkws.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813022700

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Ulli

Nissen das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1813022800

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Ralph

Lenkert, ich habe bei mir im Garten wütende Eichhörn-
chen, die pöbeln, wenn ich meine Haselnüsse selber pflü-
cke. Ich weiß nicht, wie viele Dezibel es bei ihnen sind.
Aber ich finde, das ist letztlich auch ein tolles Geräusch.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir alle kennen die Probleme, die mit
wachsenden Städten verbunden sind. Immer mehr Men-
schen leben auf gleichem Raum. Das bedeutet neben
steigenden Mieten auch Nachverdichtung und engeres
Zusammenwohnen. Das birgt Konfliktpotenzial. Viele
Sportvereine beklagen sich, dass sie wegen Beschwer-
den von Anwohnern keine ausreichenden Trainings- und
Spielzeiten mehr anbieten können. Für uns alle ist klar:
Sport und Bewegung sind gut für die Gesundheit, für
das persönliche Wohlbefinden, aber auch wichtig für das
soziale Miteinander, und Sport hat ein großes Integrati-
onspotenzial. Gemeinsamer Sport bringt Menschen zu-
einander. Gerade in der jetzigen Situation ist die Arbeit,
die Sportvereine für die Integration leisten, sehr wichtig.

Stellvertretend für viele Vereine, die hier eine tolle Ar-
beit leisten, möchte ich die SG Bornheim Grün-Weiß aus
meinem Frankfurter Wahlkreis nennen.


(Volkmar Vogel Wir schließen uns dem Gruß an!)


Der Verein kümmert sich unter anderem um 20 unbe-
gleitete minderjährige Flüchtlinge. Diese helfen am
kommenden Samstag bei der Organisation und Durch-
führung der Feier zum 70-jährigen Jubiläum. Liebe SG
Bornheim, Gratulation zum 70. Jubiläum und danke für
eure großartige Arbeit!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


– Da könnt ihr Grünen und Linken auch ruhig mitklat-
schen. Also, ein Dank an die SG Bornheim bitte auch von
euch!


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gruß an Roter Stern Leipzig!)


Sport soll integrieren und nicht spalten. Deshalb ist es
wichtig, dass ein fairer Ausgleich zwischen den Interes-
sen des Sports und der Wohnbevölkerung gefunden wird.
Zum Sportlärm gibt es verschiedenste Diskussionsbeiträ-
ge – das ist schon erwähnt worden –, unter anderem vom
Deutschen Städtetag, vom DFB und vom DOSB. Als Be-
richterstatterin zu diesem Themenbereich führe ich seit
Monaten viele Gespräche mit Verbänden und Betroffe-
nen. Ich möchte zwei Punkte ansprechen, die mir wich-
tig sind und die schon Entspannung – oder noch besser:
Ruhe – bringen könnten.

Die Sportanlagenlärmschutzverordnung, kurz SAL-
VO, von 1991 regelt die Vorgaben für Sportvereine.
Seitdem hat sich einiges in den Städten und in unserer
Lebenswirklichkeit verändert. Ein Ansatzpunkt ist, den
Altanlagenbonus zu konkretisieren. Auf Sportanlagen,
die es bereits vor Inkrafttreten der SALVO gab, darf es
lauter sein als auf neueren. Unklar ist aber, was passiert,
wenn ein Verein seine Anlage zum Beispiel durch einen
Kunstrasen modernisiert. Verliert er dadurch seinen Bo-
nus? Hier müssen wir wirklich für Klarheit sorgen.

Es ist vorhin schon angesprochen worden: Nord-
rhein-Westfalen zum Beispiel hat gute Auslegungs-
hinweise vorgelegt, die meiner Meinung nach von uns
aufgegriffen werden könnten. Denn damit erhalten Sport-
vereine endlich Klarheit und Sicherheit darüber, welche
Modernisierungen und Änderungen an einer Sportanlage
eben nicht zum Verlust des Bonus führen. Für sinnvoll
halte ich auch, das Kinderlärmprivileg, das bisher nur für
Kitas und Kindergärten gilt, auf den Vereinssport auszu-
weiten. Sport von Kindern auf Sportplätzen sollte nicht
als Lärm gelten.

Jetzt komme ich zu den Ruhezeiten. In Frankfurt set-
ze ich mich wegen des Fluglärms schon lange für ein
Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr morgens ein. Da kann
ich auch bei anderen Lärmquellen nicht sagen: Das ist in
Ordnung. – Ich halte eine Abendruhe ab 22 Uhr grund-
sätzlich für richtig. Allerdings bin ich flexibel bei den
Mittagszeiten, gerade auch am Wochenende.

Wer in der Stadt wohnt, der weiß, dass es dort nicht
überall leise ist, und wer den Sportplatz schon sieht,

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


wenn er sich eine Wohnung mietet, der kann sich danach
nicht beschweren, dass dort auch tatsächlich Sport be-
trieben wird.


(Matthias Schmidt stimmt!)


Ich kann mich wirklich immer zutiefst darüber ärgern,
wenn sich Menschen beschweren, obwohl sie vorher al-
les gesehen haben.

Ich danke den Grünen für den Antrag.


(Beifall des Abg. Christian Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden das im Interesse der Sportlerinnen und
Sportler und auch aller anderen sicherlich gemeinschaft-
lich auf einen guten Weg bringen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813022900

Vielen Dank. – Als Letzte spricht jetzt Michaela

Engelmeier, SPD-Fraktion, zu diesem Tagesordnungs-
punkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1813023000

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe

Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Das Thema Lärm ist seit vielen Jahren
ein Dauerbrenner im Sport.

In den letzten Jahren kam es vermehrt zu Einschrän-
kungen des Betriebes von Sportanlagen, nachdem sich
Nachbarn und Anwohner gegen den Lärm, der von Sport-
anlagen ausgeht, gerichtlich zur Wehr gesetzt hatten und
damit zum Teil auch erfolgreich waren. Das führte dazu,
dass manche Sportanlagen nur noch sehr eingeschränkt
nutzbar sind, die Kinder dauernd ermahnt werden, beim
Jubel über Tore nicht zu laut zu sein, und vieles mehr. Für
viele Sportvereine, Eltern und Kinder ist das eine absurde
Situation.

Allerdings kann man auch keine einseitige Zuschrei-
bung von Recht und Unrecht vornehmen. Im Gegenteil:
Hier steht Recht gegen Recht.

Daher hat unsere Koalition dieses Thema auch im Ko-
alitionsvertrag verankert. Wir haben uns für gute Rah-
menbedingungen im Sport ausgesprochen und die Prü-
fung der Immissionsregelungen vereinbart. Im Wortlaut
heißt es:

Wir machen uns dafür stark, dass eine attraktive,
ausgewogene und bedarfsorientierte Infrastruktur
für den Spitzen-, Leistungs- und Breitensport erhal-
ten bleibt.


(Matthias Schmidt Vereinbarung!)


Die Interessen des Sports sind in immissionsschutz-
rechtlichen Konfliktlagen angemessen zu berück-
sichtigen. Deshalb werden wir auch eine Änderung
der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen prü-
fen.

Die rechtliche Lage ist komplex und leider nicht be-
sonders anwenderfreundlich. Es bestehen zivilrechtliche
Regelungen im BGB, öffentlich-rechtliche Vorschriften
wie das Bundes-Immissionsschutzgesetz, die sogenannte
Sportanlagenlärmschutzverordnung und die Lärmschutz-
verordnungen der Länder. Wann welche Gesetze zur An-
wendung kommen und ob es Bundes- oder Ländersache
ist, hängt vom Einzelfall ab und kann nicht pauschal be-
urteilt werden.

Genau das ist das Problem, liebe Monika, warum euer
Antrag hier ein bisschen zu kurz greift und uns in die
Pflicht nimmt, einen konkreteren vorzulegen,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr könnt es noch besser machen!)


und das werden wir tun.

Wir werden das Bundes-Immissionsschutzgesetz
ergänzen und die Sportanlagenlärmschutzverordnung
sport- und kinderfreundlich weiterentwickeln – und das
konkreter als in eurem Antrag, damit die Maßnahmen zü-
giger umgesetzt werden können.

Wir wollen den Sportlärm von Kindern und Jugend-
lichen mit Kinderlärm gleichsetzen, also den Lärm von
Kindern und Jugendlichen auf Sportanlagen privilegie-
ren. Die Geräuscheinwirkungen durch Kinder und Ju-
gendliche, die auf Sportanlagen aktiv sind, sollen nicht
als schädliche Umwelteinflüsse eingestuft werden.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Wir wollen die Zeiten modern gestalten und die Spiel-
zeiten im Sportbetrieb flexibilisieren. Ruhe- und Spiel-
zeiten auf Sportanlagen sollen mit Blick auf die geänder-
ten Sport- und Freizeitgewohnheiten angepasst werden.

Wir wollen die Altanlagen schützen und einen Bonus
für Altanlagen schaffen. Der Schutz für eine Sportanla-
ge, die vor 1991 gebaut wurde, bleibt erhalten, wenn Än-
derungen oder Modernisierungen, wie zum Beispiel die
Umwandlung in einen Kunstrasenplatz, keine wesentli-
chen Änderungen darstellen.

Ich möchte gerne mit einem Zitat von Kurt Tucholsky
schließen, das auch den Sport betrifft:

Im Übrigen ist der Mensch ein Lebewesen, das
klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bel-
len lässt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann
ist er tot.


(Heiterkeit im ganzen Hause – Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813023100

Vielen Dank. – Damit sind wir am Schluss der Aus-

sprache angelangt.

Ulli Nissen






(A) (C)



(B) (D)


Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4329 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe hier kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der
Lebenspartner

Drucksache 18/5901

– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws,
Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
abschließenden Beendigung der verfas-
sungswidrigen Diskriminierung eingetra-
gener Lebenspartnerschaften

Drucksache 18/3031

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/6227

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid
Hupach, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Ehe für gleichgeschlechtliche Paare –
Der Entschließung des Bundesrates folgen

Drucksachen 18/5205, 18/6379

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor. Außerdem hat die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen einen Änderungsantrag zu ihrem Gesetzentwurf
eingebracht.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1813023200

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und

Kollegen! In diesen Tagen sprechen wir in Deutschland
fast ausschließlich über die Frauen und Männer, die als
Flüchtlinge zu uns nach Deutschland kommen. Wir sa-
gen ganz selbstverständlich – das ist auch richtig so –,
dass Menschen, die aus Ländern kommen, in denen sie
unterdrückt, missachtet, verfolgt, diskriminiert werden,
in Deutschland einen Anspruch auf Schutz haben. Wir
sagen gleichzeitig, und zwar mit voller Überzeugung,
dass diese Menschen in Deutschland unser Wertege-

rüst, unser Grundgesetz, unsere Grundsätze und unsere
Gesellschaftsordnung zu berücksichtigen und zu achten
haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD])


– Danke sehr. – Zu dieser Grundordnung in Deutsch-
land und zu unserem Wertegerüst gehört, niemanden zu
diskriminieren. Dazu gehört: Frauen und Männer sind
gleichberechtigt. Es kann nicht sein, dass man einer Frau
nicht die Hand gibt. Zu diesem Grundgerüst gehört, dass
in diesem Land, nicht nur durch die Entscheidung des
Deutschen Bundestags und die Entscheidung der ent-
sprechenden Gerichte, Männer mit Männern und Frauen
mit Frauen zusammenleben dürfen und können und ein
Teil unserer Gesellschaft sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, halte
ich es für fast überflüssig, in einer solchen Diskussion
zu fragen: Warum brauchen wir dann noch ein Gesetz,
wenn wir von den Flüchtlingen in unserem Land verlan-
gen, dass sie sich an unsere Rechtsordnung halten, dass
niemand diskriminiert werden darf? Warum müssen wir
in Deutschland dann noch ein Gesetz auf den Weg brin-
gen, mit dem wir Diskriminierungen in diesem Lande
aufheben? Wir müssen es machen, weil in diesem Land
die Ehe zwischen Menschen gleichen Geschlechts immer
noch nicht die Rechtsstellung hat, die sie eigentlich ha-
ben sollte.

Gestern sagte Volker Kauder einen schönen Satz frei
nach Kurt Schumacher: Politik beginnt als Erstes mit
dem Erkennen der Wirklichkeit. – Die Wirklichkeit in
diesem Land ist eine andere als die, die für uns vorgese-
hen ist. Die Wirklichkeit heißt: Männer leben mit Män-
nern, Frauen leben mit Frauen. Schwule und Lesben ha-
ben in diesem Land die gleichen Rechte und können sie
auch in Anspruch nehmen.

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,
liegt nunmehr zu Recht der Entwurf eines Gesetzes zur
Bereinigung des Rechts der Lebenspartner als ein wich-
tiger, aber, wie ich sage, nicht letzter und endgültiger
Schritt zur zweiten und dritten Beratung in diesem Hause
vor. Er hat den langen Kampf – Martin Luther King wür-
de ihn als langen Weg bezeichnen – von der Verschärfung
der Vorschriften gegen Homosexuelle im Jahr 1935 über
die unsäglichen Bestätigungen durch deutsche Parlamen-
te und das deutsche Verfassungsgericht im Jahre 1959,
dann über die Änderungen 1969 bis hin zum Lebenspart-
nerschaftsgesetz 2001 und zur Bereinigung des Rechts
geführt.

Ich sage: Heute ist ein guter Tag, aber noch nicht der
letzte Tag in diesem Kampf. Deshalb, liebe Kolleginnen
und Kollegen, bitte ich Sie alle in diesem Haus an dieser
Stelle um Zustimmung zu dem Entwurf eines Gesetzes
zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner.

Gleichzeitig bitte ich die lieben Kolleginnen und Kol-
legen der Union: Geben Sie sich einen Ruck! Anerkennen
Sie die Wirklichkeit in diesem Land, sodass wir bei den
dann anstehenden Beratungen über die Gesetzentwürfe

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


des Bundesrates, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
der Linken und wie sie so alle vorliegen,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es liegen genug Vorschläge vor!)


zu einem vernünftigen Ergebnis für die Menschen dieses
Landes kommen.

In diesem Sinne: Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813023300

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht der Kollege

Harald Petzold, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813023400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Lieber Karl-Heinz Brunner, ich schätze
deine Redebeiträge zu diesem Thema immer sehr,


(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Die sind auch gut!)


aber du kannst es drehen und wenden, wie du willst: Der
Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der
Lebenspartner, den wir heute in zweiter und dritter Le-
sung beraten, verlässt leider den Deutschen Bundestag
genauso schlecht, wie er hineingegangen ist. Dabei war
es eigentlich ein bekannter Sozialdemokrat, der festge-
stellt hat, dass kein Gesetz das Parlament so verlässt, wie
es hineingekommen ist. Diesen Anspruch habt ihr leider
nicht eingelöst. Dabei hätte es so viel zu ändern gegeben.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will nur zwei Beispiele nennen. Das gemeinsame
Adoptionsrecht ist völlig aus dem Gesetzentwurf ausge-
klammert worden. Damit bleibt es dabei, dass Paare in
gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nicht gemeinsam
Kinder adoptieren können. Das ist und bleibt meiner
Ansicht nach eine klare Diskriminierung von gleichge-
schlechtlichen Paaren.


(Beifall des Abg. Volker Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dazu kann die Linke nur Nein sagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass Sie nicht einmal den Versuch unternehmen, lie-
be Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, auf
die Koalitionspartnerin mehr Druck auszuüben, finde ich
angesichts Ihres Wahlversprechens von „100 Prozent
Gleichstellung nur mit uns“ beschämend. Das ist Betrug
an Ihren Wählerinnen und Wählern.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Beck zwar 100 Prozent!)


(Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und


Auch die Ehe wird Paaren in eingetragenen Le-
benspartnerschaften nach wie vor nicht offenstehen.
Bündnis 90/Die Grünen haben einen Gesetzentwurf vor-

gelegt, den Sie leider ablehnen wollen. Darin sind all die
Beispiele, die bereinigt werden müssten, aufgeführt.

Die Große Koalition versucht seit der öffentlichen
Anhörung zu den Gesetzentwürfen der Linken, vom
Bündnis 90/Die Grünen und der Bundesregierung, ihre
flügellahme Argumentation mit dem Hilfsargument zu
stützen, die Anhörung habe ergeben, dass eine Grundge-
setzänderung notwendig sei, um die Ehe für alle öffnen
zu können.


(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Wer sagt das? – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Genau so ist es! – Volker Beck GRÜNEN]: Mit der Wirklichkeit haben es die Kollegen nicht so!)


– Ja, genau so. Sehen Sie? – Dabei haben Sie es in der
Anhörung selbst erleben können: Es waren sieben Sach-
verständige, von denen vier verneint haben, dass eine
Grundgesetzänderung nötig ist.


(Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Aber drei haben es bestätigt!)


Zwei haben sich explizit dafür ausgesprochen, und die
dritte hat gesagt, sie könne es sich vorstellen. Wenn ich
die Grundrechenarten richtig verstanden habe, ist vier
immer noch mehr als drei. Ich wäre der SPD dankbar,
wenn sie dafür sorgen würde, dass die Koalitionspartne-
rin nicht auch noch die Unwahrheit verbreitet.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Volker Beck GRÜNEN])


Für mich war an der Anhörung am bemerkenswer-
testen, dass das SPD-geführte Justizministerium einen
alten Gesetzentwurf aus der Schublade gezaubert hat,
mit dem schon die liberale Justizministerin Leutheusser-
Schnarrenberger 2012 gescheitert ist, und dass es nur um
redaktionelle Änderungen in gerade einmal 32 Gesetzen
ging. Es hat mir niemand geglaubt, als ich es angesprochen
habe: Wohlgemerkt, es gibt derzeit noch etwa 150 Rege-
lungen in über 50 Gesetzen und Verordnungen, in denen
die Gleichstellung noch nicht vollzogen worden ist.

Deswegen hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme
zum Gesetzentwurf zur Bereinigung des Rechts der Le-
benspartner geschrieben – ich finde, das ist konsequent –:

Der Bundesrat hält den Gesetzentwurf jedoch nicht
für ausreichend, da er die Gleichstellung gleichge-
schlechtlicher Paare in wesentlichen Rechtsgebie-
ten, wie dem Adoptionsrecht, ausspart.

Solange Sie auf das Deckblatt des Gesetzentwurfs un-
ter der Rubrik „Alternativen“ schreiben: „Keine“, kann
ich deshalb nur sagen – und ich sage Ihnen das immer
wieder, solange dies so ist –: Das ist eine Lüge. Denn es
gibt Alternativen. Es liegen inzwischen drei Gesetzent-
würfe vor: einer der Linken, einer vom Bündnis 90/Die
Grünen und seit September auch einer des Bundesrates.
Deswegen legen wir Ihnen heute erneut unseren Antrag
vor, wenigstens die Entschließung des Bundesrates um-
zusetzen und endlich die rechtliche und öffentliche Dis-
kriminierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften
zu beenden.

Dr. Karl-Heinz Brunner






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813023500

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt die Kollegin Dr. Sabine Sütterlin-Waack.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU):
Rede ID: ID1813023600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Wir befassen uns heute abschließend mit zwei Gesetzent-
würfen und einem Antrag. Die drei Drucksachen haben
eine wesentliche Gemeinsamkeit: das Ziel, rechtliche
Ungleichheiten zwischen Ehe und eingetragener Le-
benspartnerschaft zu beseitigen. Ich sage ganz bewusst
„Ziel“, weil ich überzeugt bin, dass wir auch in der CDU
noch nicht am Ende der Debatte angekommen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Wir haben, wie es sich in einer Volkspartei gehört, ein
breites Meinungsspektrum. Es sind nicht nur redaktionel-
le Änderungen, die der Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung vorsieht. Es findet eine umfassende Anpassung des
Zivilrechts, des Sozialrechts und des Verfahrensrechts
statt. Allerdings wurde die Frage der gemeinschaftlichen
Adoption – das wird hier niemanden überraschen – aus-
geklammert.

Ich betone abermals: Dort, wo im Vergleich zum
Gesetzentwurf der Grünen keine entsprechenden Re-
gelungen stehen, sind diese nicht ausgelassen worden,
um Ungleichbehandlungen bewusst aufrechtzuerhalten,
sondern weil sie teilweise auf andere Art und Weise re-
guliert wurden. Das geschah teils durch Wegfall, teils
durch grundlegende Überarbeitung der entsprechenden
Gesetze.

Dem Antrag der Linken und der Initiative des Bun-
desrates folgend wäre ein Bereinigungsgesetz gar nicht
nötig.


(Beifall des Abg. Harald Petzold [DIE LINKE])


Mit der Initiative wird nämlich vorgeschlagen, die Ehe
für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen.


(Beifall des Abg. Harald Petzold [DIE LINKE])


Dazu soll eine einfachgesetzliche Regelung im Bürgerli-
chen Gesetzbuch gefunden werden, sodass die Ehe nicht
nur von Personen verschiedenen, sondern auch von Per-
sonen gleichen Geschlechts geschlossen werden kann.


(Harald Petzold Genau so ist es! – Ulli Nissen [SPD]: Sehr gute Idee!)


Die Initiative, meine Kolleginnen und Kollegen – hö-
ren Sie einmal zu! –, setzt aber eine wichtige Prämisse
voraus, nämlich dass die Öffnung der Ehe für gleichge-

schlechtliche Paare ohne Grundgesetzänderung zulässig
wäre.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ist sie auch! – Harald Petzold KE]: Ist sie auch!)


Wir sind davon überzeugt, lieber Kollege Petzold, dass
dies falsch ist.


(Harald Petzold Sie sind selbst davon überzeugt, dass es so ist!)


Die entscheidende Frage hier lautet: Steht der verfas-
sungsrechtliche Begriff der Ehe in Artikel 6 Absatz 1
Grundgesetz diesem Gesetzentwurf entgegen? Der ge-
nannte Grundrechtsartikel stellt Ehe und Familie unter
den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.


(Harald Petzold Genau! Das ist alles!)


Dabei kann nicht bestritten werden, dass die Väter und
Mütter der Verfassung unter Ehe die Verbindung zwi-
schen Mann und Frau verstanden haben.


(Harald Petzold Die kannten nichts anderes!)


– Genau! – Eine andere Form des Zusammenlebens war
zu jener Zeit nicht vorstellbar. Dieses Eheverständnis
aber wurde vom Bundesverfassungsgericht in mehreren
Entscheidungen bestätigt.


(Volker Beck GRÜNEN]: Wenn damals die Apartheid gegolten hätte, wäre es auch nicht möglich gewesen, dass Schwarze und Weiße heiraten, oder was soll der Stuss?)


In seinem Urteil von 2002 definierte es die Ehe im Sinne
des Grundgesetzes als – ich zitiere – „die Vereinigung ei-
nes Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten
Lebensgemeinschaft“.


(Harald Petzold Das ist 13 Jahre alt!)


In der Folgezeit hat das Bundesverfassungsgericht
schrittweise in einer Mehrzahl von Urteilen die Le-
benspartnerschaft an die Ehe angeglichen. Von seinem
Eheverständnis aber ist es nicht abgerückt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Noch nicht!)


Sogar in seiner jüngsten Entscheidung zum Ehegatten-
splitting im Jahre 2013 wurde die Gleichgeschlechtlich-
keit der Lebenspartner als Unterschied zur Ehe erwähnt.

Meine Damen und Herren, ich habe bereits erwähnt,
dass das Grundgesetz die Ehe unter den besonderen
Schutz des Staates stellt. Diese Institutsgarantie gewähr-
leistet neben dem Bestand der Ehe auch – und das ist ent-
scheidend – ihre wesentlichen unantastbaren Strukturen,
wozu die verschiedengeschlechtliche Verbindung zählt.
Vor diesem Hintergrund sind wir als Gesetzgeber bei der
rechtlichen Ausgestaltung der Ehe an die verfassungs-
rechtlich gesicherten Strukturprinzipien der Ehe gebun-

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


den. Über diese Grenze können wir uns nicht einfach hin-
wegsetzen, indem wir die Ehe im BGB neu definieren.

Auch wenn wir das Leitbild der Ehe als eine Verbin-
dung zwischen Mann und Frau achten, verkennen wir
nicht die gesellschaftliche Wirklichkeit. Während früher
homosexuellen Paaren die gesellschaftliche Anerken-
nung versagt war, erfahren sie heute die gebotene Ak-
zeptanz.


(Volker Beck GRÜNEN]: „Anerkennung versagt war“? Die kamen in den Knast!)


Gleichgeschlechtliche Partnerschaften gehören inzwi-
schen zur gesellschaftlichen Realität und Normalität.
Gleichgeschlechtliche Partner übernehmen genauso wie
in einer Ehe dauerhaft die Verantwortung für den Partner.
Sie sind einander zu Fürsorge und Unterstützung ver-
pflichtet.

Aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
gesellschaftliche Akzeptanz rechtfertigt nicht ohne Wei-
teres die Änderung des Ehebegriffs.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie doch vor dem Aber aufgehört!)


Mit der Initiative des Bundesrates macht man es sich zu
einfach. Es geht hier um grundlegende Werte unserer
Verfassung, die durch das einfache Recht nicht geändert
werden können. Wir sind der Meinung: Nur eine Ver-
fassungsänderung mit einer Zweidrittelmehrheit beider
Kammern kann das Eheverständnis neu definieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813023700

Vielen Dank. – Volker Beck ist der nächste Redner für

Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813023800

Ich muss ja sagen: Da ich die Debatten zu diesem The-

ma in diesem Haus schon eine Weile führe, dachte ich:
Ich kann mich nicht mehr aufregen, und ich erlebe nichts
Neues mehr. Frau Sütterlin-Waack, Sie haben mich heute
Abend überrascht. Das mit dem Ehebegriff im Grundge-
setz war ja nun samt und sonders Stuss.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Es geht auch eine Nummer kleiner!)


Teil der verfassungsrechtlichen Texte, auf die sich die
Vereinigten Staaten, Frankreich oder Deutschland beru-
fen, ist doch, dass sie in einer bestimmten historischen
Situation geschrieben wurden, wie zum Beispiel die
französische Déclaration des Droits de l‘Homme. Da-
mals war man der Auffassung, dass selbstverständlich
diese Menschenrechte nicht für Frauen gelten. Sie gelten
heute für Frauen, ohne dass der Verfassungstext geändert
wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Als Amerika die Bill of Rights in seine Verfassung ge-
schrieben hat, war man selbstverständlich der Auffas-
sung, dass das für Weiße gilt, aber nicht für Schwarze,
weil die keine Menschen sind. Als das Grundgesetz vom
Parlamentarischen Rat verabschiedet wurde, war man
der Auffassung, dass Homosexualität strafbar ist. Wenn
es strafbar ist, können gleichgeschlechtliche Paare na-
türlich nicht auf einem Standesamt eine Ehe schließen;
das wäre widersinnig. Aber das alles waren falsche, men-
schenrechtswidrige Rechtszustände.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Diese haben wir überwunden. Deshalb muss man die Be-
griffe der Verfassung hier in einem neuen Licht lesen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Da bin ich schon erstaunt, dass Sie offensichtlich immer
noch in den 50er-Jahren geistig stehen geblieben sind
und nicht akzeptieren, dass Homosexuelle die gleichen
Menschenrechte haben wie Heterosexuelle.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Damit sind wir beim Kern der Debatte. Dass es Ih-
nen in der Koalition letztendlich um eine Fortsetzung der
Schikanierung geht, sieht man an dem vorliegenden Ge-
setzentwurf.


(Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Völliger Quatsch!)


Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben ver-
sprochen: 100 Prozent Gleichstellung nur mit uns! Sie
haben es sogar geschafft, in den Koalitionsvertrag aufzu-
nehmen, dass Lebenspartnerschaft und Ehe gleichgestellt
werden sollen. Bloß, warum haben Sie das dann nicht in
den Gesetzentwurf geschrieben?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vor-
sieht, dass man, wenn man nicht den Schritt zur Öffnung
der Ehe geht, wenigstens gleiche Rechte von Lebenspart-
nerschaft und Ehe vorsieht.

Sie können die Differenzen auch nicht so recht be-
gründen. Wir haben in einer Kleinen Anfrage mit 50 Fra-
gen versucht, herauszufinden, was der Sinn der verschie-
denen Unterschiede ist.


(Ulli Nissen [SPD]: Kleine Anfrage mit 50 Fragen!)


Dabei kam heraus: Bei manchen Sachen finden Sie das
Recht nicht so aktuell und halten es eigentlich für reno-
vierungs- und bereinigungsbedürftig. Dann wundert man
sich, warum das nicht im Bereinigungsgesetz gemacht
wird. Bei anderen Sachen kündigen Sie an, darüber woll-
ten Sie – nach zwei Jahren Koalition – jetzt doch noch
einmal nachdenken; beim Sprengstoffgesetz und beim
Bundesvertriebenengesetz plane man etwas.

Dr. Sabine Sütterlin-Waack






(A) (C)



(B) (D)


Dass das Herumdoktern am Lebenspartnerschaftsge-
setz keinen Sinn mehr hat, sieht man an Ihrer Antwort
auf die Fragen nach dem Staatsbürgerschaftsrecht und
der Niederlassungserlaubnis. Da sagen Sie nämlich, was
Ihnen bei der Lebenspartnerschaft dauernd passiert:

Bei der fehlenden Einbeziehung von Lebenspart-
nerschaften in § 51 Absatz 10 Satz 2 des Aufent-
haltsgesetzes handelt es sich um ein redaktionelles
Versehen. Dieses wird bei nächster Gelegenheit kor-
rigiert.

Die Gelegenheit wäre heute. Das haben Sie aber nicht
gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn Sie die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen
wollen, dann legen Sie Ihren Gesetzentwurf zu den Ak-
ten und stimmen wenigstens unserem zu. Machen Sie
Schluss mit der Diskriminierung!

Wir haben hier häufig über die Adoptionsfrage gestrit-
ten. Bei dieser Frage geht es eigentlich auch nur noch
um eine Schikane. Selbstverständlich können Schwule
und Lesben in Lebenspartnerschaften über Einzeladop-
tion und dann über Sukzessivadoption gemeinsame Ad-
optiveltern werden. Warum in zwei Schritten mit zwei
Verwaltungsverfahren und zwei Gutachten? Das alles
kostet Geld und Zeit und ist zum Nachteil der Kinder, die
ohnehin in solchen Lebenspartnerschaften aufwachsen
werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Das alles geschieht nur, um eine symbolische Diskrimi-
nierung aufrechtzuerhalten. Das hält vor der Verfassung
nicht stand. Ich finde es nicht anständig, dass Sie daran
festhalten wollen.


(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Sozialdemokraten, beim Griechenland-Hilfspa-
ket haben 60 Abgeordnete nicht mit der Koalition und
der Kanzlerin gestimmt. Machen Sie nun einmal genau-
so viel Dampf, und zeigen Sie Mut! Stimmen Sie heute
unserem Gesetzentwurf zu! Dann haben wir wenigstens
beim Lebenspartnerschaftsgesetz die gleichen Rechte,
und Sie können sich darauf berufen, dass Sie nur die Vor-
gabe des Koalitionsvertrages umgesetzt haben, die die
anderen nicht umsetzen wollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Elfi Scho-Antwerpes [SPD]: Ich fühle mich gar nicht angesprochen bei der männlichen Form! Diskriminierung!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813023900

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Alexander

Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1813024000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, man kann schon sagen, dass die Ge-
schichte der Gleichstellung heute ein neues Kapitel be-
kommt. Wir gehen einen richtigen und wichtigen Schritt.
Ich habe schon beim letzten Mal vorangestellt: Wir sind
uns doch im Prinzip und vom Ergebnis her einig: Nie-
mand soll aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskri-
miniert werden.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist das dann so schwer?)


Gerade in diesen Tagen finde ich es wichtig, dass die-
ses Signal auch nach außen geht,


(Volker Beck GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch wenigstens, um die Muslime zu ärgern!)


in diesen Tagen, da Tausende unser Land als Zufluchts-
land aufsuchen. Aber ich möchte an dieser Stelle schon
davor warnen, dass wir dieses Signal mit einer eher kon-
ditionierten Diskussion verwässern; denn das schwächt
das Signal nur ab.


(Harald Petzold Was soll denn das jetzt?)


Ich glaube, man kann heute schon sagen, dass wir
trotz aller Diskussion die Geschichte der Gleichstellung
gemeinsam in diesem Land gestaltet haben –


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Die einen mehr, die anderen weniger! – Volker Beck DIE GRÜNEN]: Sie haben alles abgelehnt und in Karlsruhe bekämpft, aber sonst waren Sie irgendwie dabei!)


mit unterschiedlichen Positionen, mit gesellschaftspoli-
tischen Prozessen und auch mit innerparteilichen Orien-
tierungsphasen. Aber das werden Sie einer großen Volks-
partei wie der CDU einfach zugestehen müssen, einer
Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die unterschied-
lichsten Strömungen zu vereinen.

Ich behaupte heute: Der Erfolg gibt uns recht. Den
Erfolg sollten wir nicht an der Bezeichnung messen, son-
dern an Inhalten.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade in den Umfragen sieht man das!)


Das sage ich ganz bewusst in einer Zeit, in der die Dis-
kussion in eine neue Richtung kommt, in der argumen-
tiert wird, wir müssten die Ehe für alle öffnen, weil wir
nur durch eine Öffnung der Ehe eine hundertprozentige
Gleichstellung erreichen würden.


(Harald Petzold Das ist auch so!)


Dann werden verschiedene Länder genannt, 20 sind es
mittlerweile an der Zahl, und es wird – das empfinde ich
als problematisch – der Eindruck erweckt, als wären die-
se Länder mustergültig und hätten eine hundertprozenti-
ge Gleichstellung. Schauen wir uns diese Länder an. Ich

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


erinnere an meine These: Der Erfolg der Gleichstellung
wird sich an Inhalten festmachen und nicht an Bezeich-
nungen. Bei genauerem Hinsehen stellen wir zum Bei-
spiel fest, dass in den USA, wo 2015 der Supreme Court
die Ehe für alle geöffnet hat, über die Hälfte der Bundes-
staaten noch heute keinerlei Antidiskriminierungsgesetze
für Homosexuelle im Arbeitsbereich haben.


(Volker Beck GRÜNEN]: Wissen Sie, dass Sie dagegen waren in Deutschland und dass Rot-Grün das gegen Sie durchgesetzt hat?)


Schauen wir nach Mexiko, wo die Ehe für alle im
Jahr 2006 eingeführt wurde. Aktuelle Umfragen zeigen,
dass 63 Prozent der Bevölkerung nach wie vor Homose-
xuelle nicht akzeptieren. Ganz dramatisch ist es in Brasi-
lien. Seit 2013 gibt es dort in allen Bundesstaaten die Ehe
für alle. Im Jahr 2002 gab es dort tragische 126 Morde an
Homosexuellen. Brasilien ist noch heute an der Spitze
der Länder, in denen es die meiste Gewalt gegen Homo-
sexuelle gibt.

Deswegen ist für mich die Quintessenz daraus: Der
Erfolg der Gleichstellung macht sich nicht an der Be-
zeichnung fest.

Es ist auch nicht so, wie immer argumentiert wird, dass
aus Artikel 6 Grundgesetz zwingend die Öffnung der Ehe
folgen würde. Artikel 6 schützt die Ehe als Keimzelle der
Gesellschaft, aber eben auch als Ursprung des Lebens.


(Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Das steht aber nicht im Grundgesetz! – Harald Petzold nicht in Artikel 6!)


(Havelland) [DIE LINKE]: Das steht aber


Artikel 6 schützt die Familie als sozialen Rückzugsort
der gegenseitigen Solidarität. Es ist vollkommen richtig:
Eine Familie können auch gleichgeschlechtliche Partner
gründen. Ich erlebe das selbst in meinem Umfeld, und
ich sage Ihnen: Das sind tolle Eltern, und die können das.
Aber es gibt eben diesen einen Unterschied: Ursprung
des Lebens kann eine gleichgeschlechtliche Partner-
schaft nicht sein.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie denn mit „Ursprung des Lebens“?)


Deswegen sagt das Bundesverfassungsgericht auch –
die Entscheidung ist vorhin schon von der Kollegin
Sütterlin-Waack zitiert worden –, dass die Ehe als Ins-
titution eben Mann und Frau vorbehalten ist. Aus dieser
Argumentation erschließt sich, dass eine Grundgesetzän-
derung erforderlich wäre. Das sieht im Übrigen – das ist
heute noch überhaupt nicht angeklungen – auch das Bun-
desjustizministerium so.


(Volker Beck GRÜNEN]: Der Bundesjustizminister hat das dementiert! Das war doch der Herr Lange, der alles unterschreibt, ohne zu lesen!)


Herr Kollege Petzold, auch ich war in der Anhörung,
und ich wollte konkret wissen, aufgrund welcher Punk-
te wir die Ehe für alle brauchen, weil sonst die Gleich-
stellung nicht gelingt. Ich habe diese Frage ausdrücklich

formuliert, und ich habe auf diese Frage keine Antwort
bekommen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Womöglich lag es an der Frage!)


Ich nehme im Übrigen auch nicht wahr, dass sich
die Bedeutung der Ehe gewandelt hat und dass es eine
Entkoppelung von Ehe und Elternschaft gegeben hat.
70 Prozent der Kinder wachsen in Ehen auf.

Insofern, meine Damen, meine Herren, möchte ich am
Ende für eine Versachlichung der Debatte werben. Ich
möchte auch für Zustimmung werben. Wir machen einen
großen Schritt; wir machen einen richtigen Schritt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813024100

Nächste Rednerin ist Susann Rüthrich, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Susann Rüthrich (SPD):
Rede ID: ID1813024200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich habe zwei Kinder. Ich erziehe sie gemein-
sam mit meinem Mann. Wir sind nicht verheiratet. Wir
können uns frei entscheiden. Wir könnten jederzeit ver-
heiratet sein. Das unterscheidet uns von anderen Paaren,
die in genau derselben Situation sind, bei denen ebenfalls
Kinder leben oder leben könnten, die das ganz norma-
le Leben miteinander teilen, die heiraten wollen, es aber
nicht können, weil es zwei Männer oder zwei Frauen
sind.

Für mein Familienleben würde es nicht den gerings-
ten Unterschied machen, wenn nebenan zwei Männer
oder zwei Frauen als verheiratetes Paar leben. Ganz im
Gegenteil: Niemand büßte etwas ein. Wenn die Ehe die
Keimzelle der Gesellschaft sein soll, wenn Familien mit
Kindern da sind und wenn wir Familien stärken wollen,
was hindert uns dann daran, allen Menschen die Stabilität
einer Ehe zu gewähren,


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


auch den Kindern, die bei gleichgeschlechtlichen Paaren
leben?

Wir regeln heute die weitere Angleichung der Le-
benspartnerschaften an die Ehe. Das ist gut; aber es ist
noch nicht das Ende des Weges. Es sind Gesetzentwürfe
in der Diskussion, die die Ehe für gleichgeschlechtliche
Paare öffnen wollen. Mit deren Annahme könnten wir
uns die Debatte um die Angleichung von Ehe und Le-
benspartnerschaft ersparen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Harald Petzold KE])


Aber gut, es stehen Bedenken im Raum. Diese Beden-
ken muss ich nicht teilen. Aber es geht mir doch entschie-
den gegen den Strich, wenn etwa mit dem Kindeswohl

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


gegen die Öffnung der Ehe und damit des Adoptions-
rechts argumentiert wird.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn es ist auch heute so: Eine Adoption findet immer
am Kindeswohl orientiert statt. Nicht die Eltern suchen
sich ihr Wunschkind aus. Die künftigen Eltern haben kei-
nen Anspruch auf ein Kind. Es gibt viel mehr adoptions-
willige Eltern als Kinder, die adoptiert werden können.
Natürlich prüfen die Jugendämter, welches Elternpaar
für das Kind das beste und das geeignetste ist. Warum
sollen das nicht zwei sorgende Frauen oder Männer sein?

Es ist doch bereits jetzt so, dass Kinder in den ver-
schiedensten Konstellationen leben: bei Mama oder
Papa, bei Mama und Papa, bei zwei Mamas, bei zwei Pa-
pas. Das Entscheidende ist eben nicht die Konstellation,
sondern die Fürsorge, die Liebe und die sichere Bindung,
die diese Kinder bei ihren Eltern erfahren.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hoffe, dass wir die Bedenken bald überwinden kön-
nen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehöre nicht zu
denen, die in den Debatten zu diesem Thema schon 15-
mal gesprochen haben. Ich habe eine Bitte: Lassen Sie
uns diese Debatte noch zweimal führen: zur ersten Le-
sung des entsprechenden Gesetzentwurfes zur Öffnung
der Ehe und dann zu seiner Verabschiedung. Und dann
ist gut.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813024300

Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che angekommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Bereinigung des Rechts der Lebenspartner. Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/6227, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/5901 anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-
menverhältnis wie zuvor angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag von
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6366. Wer

stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stim-
men der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen abgelehnt.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zur abschließenden Beendigung
der verfassungswidrigen Diskriminierung eingetragener
Lebenspartnerschaften. Der Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6227, den Ge-
setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/3031 abzulehnen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6365 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade eigentlich!)


Tagesordnungspunkt 14 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ehe für
gleichgeschlechtliche Paare – Der Entschließung des
Bundesrates folgen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6379, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5205
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Bekämpfung der Korruption

Drucksache 18/4350

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/6389

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dirk Wiese, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Susann Rüthrich






(A) (C)



(B) (D)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1813024400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der in Deutschland durch Korruption entstan-
dene Schaden belief sich nach einer Studie der Johannes
Kepler Universität Linz im Jahr 2012 auf rund 250 Milli-
arden Euro. 250 Milliarden Euro sind – veranschaulicht –
ungefähr so viel wie das Bruttoinlandsprodukt der Bun-
desländer Hessen oder Niedersachsen.

Das zeigt – auch wenn wir es gerne anders hätten –:
Deutschland ist alles andere als frei von Korruption. Das
untermauert auch der Korruptionsindex CPI, Corruption
Perceptions Index, 2014 von Transparency International.
Deutschland liegt dort nach wie vor nur auf Platz 12. Ich
glaube, wir alle in diesem Hohen Hause sind da einer
Meinung: Mit diesem Platz dürfen wir uns nicht zufrie-
dengeben.

Das zeigt auch: Korruption ist keine Randerschei-
nung. Sie betrifft nahezu alle Bereiche im privaten und
im öffentlichen Sektor. Sie muss mit einem langen Atem
bekämpft werden, und manchmal muss man dabei auch
dicke Bretter bohren. Meine Kolleginnen und Kollegen
von der SPD-Bundestagsfraktion und ich kennen das
sehr gut. Wir mussten in diesem Hohen Hause lange da-
für streiten, dass die Abgeordnetenbestechung endlich
strafrechtlich vernünftig geregelt wurde.


(Beifall bei der SPD)


Korruption macht heute auch vor staatlichen Grenzen
nicht mehr Halt. In einer weltweit verflochtenen Wirt-
schaft mit einer engen Zusammenarbeit vieler Staaten
auf dem Weltmarkt sind Korruptionstaten auch und gera-
de über Grenzen hinweg vermehrt an der Tagesordnung.

Korruption gefährdet den freien und internationalen
Wettbewerb und das Vertrauen in die staatlichen und in-
ternationalen Organisationen. Deshalb ist die effektive
Bekämpfung grenzüberschreitender Korruption für uns
von höchster Priorität. Die rot-schwarze Bundesregie-
rung unterstützt deshalb die Schaffung internationaler
Rechtsinstrumente, um der Korruption entschieden ent-
gegenzutreten. Denn nur so, also indem wir Korruption
im Keim ersticken und als Staatengemeinschaft gemein-
sam und koordiniert vorgehen, können wir möglichst fai-
re Wettbewerbsbedingungen für alle auf dem Weltmarkt
schaffen. Damit steigern wir dann auch den Arbeits-
schutz und verbessern die Beschäftigungsbedingungen
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch den heute vor-
liegenden Gesetzentwurf werden gleich mehrere interna-
tionale Vorgaben umgesetzt. Zum einen sieht der Entwurf
eine Ausweitung der Strafbarkeit der Bestechlichkeit und
Bestechung im geschäftlichen Verkehr – § 299 des Straf-
gesetzbuches – vor, die nach dem EU-Rahmenbeschluss
zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor von
2003 erforderlich ist.

Zum anderen werden zur Umsetzung des Strafrechts-
übereinkommens des Europarats über Korruption die
Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit und Bestechung auf
ausländische, europäische und internationale Amtsträ-
ger erweitert und das Strafanwendungsrecht angepasst.
So wird in den Straftatbestand der Geldwäsche – § 261

Strafgesetzbuch – ein Verweis auf den mit dem Gesetz-
entwurf neu geschaffenen § 335 a StGB „Ausländische
und internationale Bedienstete“ aufgenommen werden.
Dadurch wird sichergestellt, dass auch die Bestechlich-
keit und Bestechung von Bediensteten und Richtern aus-
ländischer und internationaler Behörden und Gerichte,
soweit sich die Tat auf eine künftige Diensthandlung
oder künftige richterliche Handlung bezieht, als Vortat
der Geldwäsche erfasst wird. Damit wird auch den Vor-
gaben des Strafrechtsübereinkommens gegen Korrupti-
on des Europarats und des Zusatzprotokolls entsprochen
und die Ratifizierung ermöglicht, so wie dies außer uns
übrigens mittlerweile alle EU-Mitgliedstaaten und fast
alle Mitgliedstaaten des Europarats getan haben.

Zusammenfassend heißt das: Wir setzen neue Maßstä-
be bei der Korruptionsbekämpfung und beenden damit
den Stillstand, der in der letzten Legislaturperiode im
Korruptionsstrafrecht herrschte.

Lassen sich mich kurz noch einmal ein paar Worte
zum Kernstück des Gesetzentwurfs sagen, der Erweite-
rung des Straftatbestands der Bestechlichkeit und Beste-
chung im geschäftlichen Verkehr. Bei der Bestechung im
geschäftlichen Verkehr wird nicht ein Amtsträger besto-
chen, sondern ein Angestellter oder Beauftragter eines
Unternehmens. Strafbar ist dies nach geltender Rechts-
lage nur, wenn mit der Bestechung eine unlautere Bevor-
zugung im Wettbewerb erkauft werden soll. Vielzitiertes
Beispiel ist hier der Einkäufer eines Unternehmens, der
von einem Zulieferer ein Bestechungsgeld erhält und
dafür im Gegenzug diesem Zulieferer und nicht einem
günstigeren Konkurrenten den Zuschlag erteilt. Mangelt
es jedoch an einer Wettbewerbsverzerrung, scheidet eine
Korruptionsstrafbarkeit derzeit aus.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Dieser Umstand ist erstens rechtspolitisch nicht hin-
nehmbar, und zweitens entspricht er auch nicht den Vor-
gaben des EU-Rahmenbeschlusses. Dieser verlangt eine
ausdrückliche Strafbarkeit nach dem Geschäftsherren-
modell. Ein Beispiel ist der Qualitätsprüfer eines Unter-
nehmens, der sich vom Zulieferer bestechen lässt und
deshalb die fehlerhafte Ware nicht bemängelt. Deshalb
ändern wir hier die Strafbarkeit und schließen somit die-
se Regelungslücke.

Bei der Neufassung des § 299 des Strafgesetzbuches
zeigte auch das Struck’sche Gesetz seine volle Wirkung:
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde ergänzt
und zum Teil neu gefasst, um insbesondere den Beden-
ken und der Kritik aus der Sachverständigenanhörung
Rechnung zu tragen. An dieser Stelle noch einmal Dank
an den Kollegen Grindel! Ich denke, hier haben wir die
Sachverständigenanhörung gut ausgewertet und das gut
in den Änderungsantrag eingebracht.


(Beifall des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/ CSU])


Wir haben dabei zum einen klargestellt, dass der
bestochene Angestellte seine Pflichten verletzen muss,
indem er eine Handlung vornimmt oder unterlässt. Da-
durch wird verdeutlicht, dass die bloße Annahme eines






(A) (C)



(B) (D)


Vorteils und ein darin liegender Compliance-Verstoß für
die Strafbarkeit nicht ausreichen, sondern die tatsächli-
che Pflichtverletzung durch eine darüber hinausgehende
Handlung oder Unterlassung erfolgen muss.

Zum anderen soll die Strafbarkeit erfordern, dass die
Tat ohne Einwilligung des Unternehmens erfolgt. Die
Regelung soll die Rechtssicherheit insbesondere für An-
gestellte und Beauftragte erhöhen, indem sie verdeut-
licht, dass bei einem transparenten und vom Unterneh-
men gebilligten Verhalten kein Risiko einer Strafbarkeit
nach § 299 StGB besteht.

Zusätzlich haben wir in Umsetzung des Koalitionsver-
trags die Strafbarkeit der Selbstgeldwäsche entsprechend
den Vorgaben der Financial Action Task Force erweitert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Konkret heißt das hier: Wenn ein Vortatbeteiligter einen
aus seiner eigenen Straftat herrührenden Gegenstand in
den Verkehr bringt und dabei dessen rechtswidrige Her-
kunft verschleiert, gilt der bisher bestehende umfassen-
de persönliche Strafausschließungsgrund in § 261 StGB
nicht mehr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir le-
gen einen durchdachten Gesetzentwurf vor, der sich als
geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Korruption in
Deutschland erweisen wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813024500

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Jörn

Wunderlich, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813024600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nun ist er endlich abschlussreif, der Gesetzentwurf zur
Bekämpfung der Korruption. Wir hatten schon in der vor-
letzten Legislatur einen fast gleichlautenden Gesetzent-
wurf. Der ist leider gescheitert. Dann war die Legislatur
vorbei. Woran lag es? Weil da eine Regelung zur Abge-
ordnetenbestechung mit enthalten war. Das wollte – jetzt
hätte ich fast gesagt: der schwarze Block – der schwarze
Teil der rot-schwarzen Regierung natürlich nicht. – Gut.

In der darauffolgenden Legislatur, unter Schwarz-
Gelb, war das Thema natürlich völlig vom Tisch.

Jetzt, Herr Wiese, muss ich einmal sagen: Der 2014
erlassene § 108 e zur Abgeordnetenbestechung ist eine
Lachnummer. Jeder Richter freut sich darüber, weil der
keine Arbeit macht; denn aufgrund dieses Paragrafen
können nur saudumme Abgeordnete bestraft werden.
Er greift ja nur, wenn etwas auf Weisung oder Auftrag
geschieht. Nur dann, wenn einer hingeht und sagt: „Ein
Lobbyist hat mir 10 000 Euro gegeben. Dafür stimme
ich jetzt entsprechend ab“, macht er sich strafbar. Wenn
er aber sagt: „Ich habe mir die Argumente noch einmal
durchgelesen und sie mir zu eigen gemacht“, dann nicht.

Also so blöd ist, glaube ich, keiner hier im Hause. Aber
das nur mal am Rande.

Jetzt geht es um die EU-Richtlinie, deren Umsetzung
schon länger überfällig ist. Immerhin, jetzt soll es so weit
sein. Gut, es hat etwas Positives – das hat auch schon
mein Kollege Frank Tempel bei der ersten Lesung hier
im Plenarsaal festgestellt –, dass in dem Entwurf Rege-
lungen des EU-Bestechungsgesetzes und des Gesetzes
zur Bekämpfung internationaler Bestechung vom Ne-
benstrafrecht ins Strafgesetzbuch übertragen werden.
Aber – das ist auch schon angesprochen worden – die
Erweiterung der Strafvorschrift des § 299 StGB durch
Einführung des Geschäftsherrenmodells geht zu weit. So
geht es gegenwärtig im Rahmen des § 299 noch um den
Wettbewerbsschutz und nur mittelbar um Vermögensin-
teressen von Wettbewerbern oder Geschäftsherren.

Das Beispiel mit dem Materialprüfer, das Sie genannt
haben, hinkt ja ein bisschen. Dabei geht es ja darum, dass
jemand etwas unternimmt bzw. unterlässt, indem er etwa
für die Firma schlechteres Material einkauft. Da ent-
steht ja auch ein Schaden. Aber dass ein solcher Schaden
entsteht, ist nach dem neuen Modell ja gar nicht mehr
notwendig. Das geschützte Rechtsgut wird jetzt so geän-
dert, dass es nicht mehr auf einen Vermögensnachteil an-
kommt, sondern es reicht aus, dass ein Angestellter eines
Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten
annimmt und dass er in Bezug auf die Dienstleistungen
seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletzt.
Das klingt jetzt ein bisschen kompliziert. Ich will das
einmal an einem Beispiel verdeutlichen:

Ein Catering-Unternehmen bekommt den Auftrag, für
die Vereinsfeier eines Fußballvereins Essen zu liefern.
Laut Arbeitsvertrag müssen die Mitarbeiter ihre Dienst-
kleidung mit dem Emblem der Firma tragen. Jetzt kom-
men sie da an, bauen die Tabletts mit den Schnittchen
auf, und da sagt der Veranstalter: Passt einmal auf, wenn
ihr unsere Fußballtrikots anzieht, dann bekommt ihr für
das nächste Heimspiel Freikarten. – Dann sagen die:
Klasse, das machen wir. – Damit machen sie sich straf-
bar, weil sie nämlich gegen die Vorschriften des Unter-
nehmens verstoßen, und das ganz unabhängig davon, ob
der Fußballverein anschließend sagt: So ein toller Laden,
da bestellen wir immer wieder. – Also selbst dann, wenn
es einen Vermögensvorteil für den Unternehmer gibt,
würden sich die Mitarbeiter strafbar machen.

Unterliegen sie der Versuchung, droht ihnen Freiheits-
strafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe,


(Volker Beck GRÜNEN]: Essen ist gefährlicher, als man denkt!)


aber das alles ins Gutdünken des Arbeitgebers gestellt,
weil es sich ja um ein Antragsdelikt handelt. Ich glaube
nicht, dass die Staatsanwaltschaft da ein besonderes In-
teresse an Strafverfolgung bejahen würde. Es hängt eben
vom Strafantrag des Auftraggebers ab. Das heißt, hier
wird alles in die Entscheidungsgewalt der Unternehmen
verlagert, ob eine Tat strafrechtlich zu belangen ist oder
nicht. Das ist einfach zu unbestimmt. Da kann sich jetzt
jeder sein eigenes Beispiel ausdenken. Es gibt tausend
Möglichkeiten, wie man das ausgestalten kann. Das ist

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


nach Artikel 103 Grundgesetz zu unbestimmt, und das ist
nicht nachvollziehbar.

Whistleblower-Schutz fehlt im Gesetz in Gänze; und
damit wird eine wesentliche Vorgabe aus dem Straf-
rechtsübereinkommen des Europarates nicht umgesetzt,
die sich aus Artikel 22 und 33 des Übereinkommens er-
gibt. Whistleblower sind aber unbedingt vor Strafverfol-
gung zu schützen; denn gerade im Bereich Korruption in
Wirtschaft und Politik sind wir im Grunde auf Whistle-
blower angewiesen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese müssen geschützt werden, um nachteilige Folgen
für sie abzuwenden.

Außerdem ist hier wieder – das muss man auch ein-
mal feststellen – eine riesige Chance vertan worden, Kor-
ruption in den eigenen Reihen zu verhindern. Ein drin-
gend notwendiges, verpflichtendes Lobbyregister fehlt
auch. Das ist erkennbar auch nicht gewollt, wobei ein
solches Register – das muss ich sagen – möglicherweise
die Abgasskandale bei VW transparenter gemacht hätte
und wir vielleicht heute schon wüssten, wer von der Re-
gierung diese Schweinereien gedeckt hat.

Schönen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das war ja ein müder Abgang! Ganz müder Abgang!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813024700

Als nächster Redner hat Reinhard Grindel von der

CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1813024800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kernpunkt des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption
sollte nach dem Regierungsentwurf die Einführung des
Geschäftsherrenmodells sein. Dagegen haben sich im
Schrifttum und auch in unserer öffentlichen Anhörung
erhebliche Bedenken ergeben – mit beachtlichen Argu-
menten.


(Beifall des Abg. Volker Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Rechtsgut des § 299 Strafgesetzbuch war bisher der
Schutz des lauteren Wettbewerbs. Bestraft wird danach,
wer sich einen Vorteil dafür verschafft, dass er einen an-
deren im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzugt, also
klassischerweise, wie Kollege Wiese das angesprochen
hat, bei Ausschreibungen.

Mit dem neuen § 299 Strafgesetzbuch sollte es nun um
den Schutz der Vermögensinteressen des Unternehmens
gehen. Es sollte auch ein Angestellter bestraft werden,
wenn er beim Bezug von Waren und Dienstleistungen ei-
nen Vorteil dafür fordert, sich versprechen lässt oder an-
nimmt, da er seine Pflicht gegenüber dem Unternehmen
verletzt. Der reine Verstoß gegen Compliance-Vorschrif-

ten eines Unternehmens hätte also für den Angestellten
strafrechtliche Konsequenzen haben können.

Dagegen ist zu Recht argumentiert worden, dass es
nicht sein darf, dass ein Privater, also der Unternehmer,
die Reichweite einer Strafvorschrift bestimmt. Der poten-
zielle Bestecher kann den Pflichtenkreis des Angestellten
auch möglicherweise gar nicht hinreichend kennen. Un-
ternehmen – auch das ist in der öffentlichen Anhörung
angesprochen worden – könnten zudem veranlasst sein,
ihre Compliance-Vorschriften erheblich zusammenzu-
streichen, um sich nicht quasi selbst solche Korruptions-
fälle im Haus zu schaffen, die dann zu Problemen bei der
Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen führen.

Die Koalitionsfraktionen haben im Hinblick auf die
Anregungen in der öffentlichen Anhörung deshalb – das
Kompliment für die gute Zusammenarbeit gebe ich gerne
an Kollege Wiese zurück – zwei gravierende Verände-
rungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung vorge-
nommen. Nach dem jetzt neuen § 299 Strafgesetzbuch
reicht die reine Pflichtverletzung für die Begründung der
Strafbarkeit nicht mehr aus, sondern es muss eine Hand-
lung oder Unterlassung hinzutreten, die über die reine
Pflichtverletzung hinausgeht. Das bedeutet: Die bloße
Annahme des Vorteils oder das reine Verschweigen einer
Zuwendung gegenüber dem Geschäftsherrn reicht nicht
aus, sondern es muss ein darüber hinausgehendes Verhal-
ten des Vorteilsnehmers erfolgen.

Mit Blick auf eine Kritik der Kollegin Keul im Aus-
schuss will ich auch auf unsere Begründung des Ände-
rungsantrages hinweisen, in der es ausdrücklich heißt:

Ein Vorteil, dessen Annahme eine Pflichtverletzung
begründet, ist nicht zugleich Gegenleistung für die-
se Pflichtverletzung.

Nochmals: Es muss vielmehr im Rahmen der Unrechts-
vereinbarung zu einer im Interesse des Vorteilsgebers lie-
genden gesonderten Gegenleistung des Vorteilsnehmers
kommen.

Wir brauchen also eine Unrechtsvereinbarung, und
wir brauchen eine korrespondierende Handlung oder Un-
terlassung. Damit wird im Hinblick auf den alten § 299
Strafgesetzbuch, der ja tatbestandsmäßig erhalten bleibt,
und im Hinblick auf die Untreue nach § 266 Strafgesetz-
buch der Anwendungsbereich des Geschäftsherrenmo-
dells erheblich eingeschränkt, und das ist auch gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nun wissen wir, dass solche Änderungen des Straf-
rechts immer auch geeignet sind, für Unsicherheiten in
der Rechtsanwendung zu sorgen. Deshalb haben wir
aus Klarstellungsgründen eine weitere Ergänzung des
Regierungsentwurfs vorgenommen: In Zukunft kann
ein Angestellter den Tatbestand der Bestechlichkeit im
geschäftlichen Verkehr nur verwirklichen, wenn er dies
ohne Einwilligung des Unternehmens tut. Wir machen
deutlich, dass bei einem transparenten und vom Unter-
nehmen gebilligten Verhalten kein Risiko einer Strafbar-
keit besteht. Das entspricht auch dem Verfahren in vielen,
vor allem größeren Unternehmen, wo man der Compli-
ance- oder Personalabteilung oder seinem Vorgesetzten
eine Einladung oder ein Geschenk anzeigt und sich die

Jörn Wunderlich






(A) (C)



(B) (D)


Annahme dann genehmigen lässt. Einer nachträglichen
Genehmigung bedarf es übrigens nicht, weil es sich hier
ohnehin um ein Antragsdelikt handelt.

Nun ist von der Opposition im Ausschuss und auch
heute wieder hier im Plenum gefragt worden: Warum
verzichtet ihr nicht ganz auf das Geschäftsherrenmodell?
Wer meine Rede aus der ersten Lesung nachgelesen hat,
der weiß, dass ich für diese Argumentation eine gewisse
Offenheit zeige. Aber wir mussten bei den Ausschussbe-
ratungen zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung
eindringlich darauf verwiesen hat, dass wir aus Anlass
der Übernahme von EU-Richtlinien und Beschlüssen des
Europarats um diesen gesetzgeberischen Schritt nicht
herumkommen, wenn wir uns nicht einem Vertragsver-
letzungsverfahren aussetzen wollen. Auf die Richtigkeit
dieser Aussage vertrauen wir, wenngleich auch dies in
unserer Anhörung vereinzelt anders beurteilt worden ist.

Alles in allem – das will ich festhalten – haben wir den
Tatbestand aber so klargestellt und auf den strafwürdigen
Kern reduziert, dass er für die Praxis handhabbar ist und
keine Verunsicherungen mit sich bringt.

Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein
Gedanke: Antikorruptionsgesetze, Compliance-Kodex,
Good-Governance-Vorschriften – alles gut und schön.
Die Compliance-Regelungen von VW gelten bis heu-
te unter Experten als absolut vorbildlich. Im Endeffekt
kommt es deshalb nicht allein auf gute Vorschriften an,
sondern auf gute Menschen, die sich im Wirtschaftsver-
kehr im Zweifel am Grundsatz ausrichten: Das tut man
nicht. Und wo es zu wenige dieser guten Menschen gibt,
können wir noch so viele gute Gesetze machen und wer-
den Fehlverhalten trotzdem nicht verhindern.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813024900

Als nächste Rednerin hat Katja Keul von der Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813025000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Hut
ab, Herr Grindel: Problem erkannt, aber mit dem Ände-
rungsantrag leider nicht behoben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie wollen heute ein Gesetz verabschieden, mit dem
Sie es künftig Arbeitgebern überlassen, festzulegen, was
in diesem Land strafbar ist oder nicht. Nichts anderes
ist die Einführung des sogenannten Geschäftsherrenmo-
dells.

Bislang ist nach § 299 StGB strafbar, wer sich als
Angestellter eines Unternehmens bestechen lässt, um an-
dere in unlauterer Weise zu bevorteilen, und damit den
Wettbewerb verzerrt. Gleiches gilt für den Bestechenden.
Geschütztes Rechtsgut ist dabei der freie Wettbewerb so-
wie die Vermögensinteressen der Mitbewerber und des
Geschäftsherrn. Wer seinem Geschäftsherrn durch ein
solches Verhalten auch noch einen Vermögensnachteil

verursacht, kann außerdem wegen Untreue nach § 266
StGB bestraft werden. Damit sind alle in Betracht kom-
menden Rechtsgüter in diesem Zusammenhang ausrei-
chend geschützt.

Künftig soll aber die Verletzung von arbeitsvertrag-
lichen Pflichten strafbar sein, unabhängig von einem
Vermögensschaden oder einer Wettbewerbsverzerrung.
Schutzgut soll laut Ihrer Gesetzesbegründung das Inte-
resse des Geschäftsherrn an der loyalen und unbeein-
flussten Erfüllung der Pflichten durch seine Angestellten
sein. Das ist doch aber eine zivilrechtliche Angelegenheit
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und kein straf-
rechtliches Schutzgut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn ich mich einer Weisung meines Arbeitgebers
widersetze, muss ich als Arbeitnehmer mit einer Ab-
mahnung rechnen, aber doch nicht mit Gefängnis. Hinzu
kommt: Ob das Interesse des Geschäftsherrn schutzwür-
dig ist oder nicht, hängt doch wohl ganz von der Pflicht
im Einzelnen ab. Wir wissen doch gar nicht, was das für
Pflichten sind und ob die im Sinne des Allgemeinwohls
liegen. In einem Arbeitsvertrag kann ich alles Mögliche
vereinbaren.

Ein Chef verlangt von seinem Arbeitnehmer, er soll
die Waren nur an Leute mit rot-grünen Armbändern ver-
kaufen. Dann kommt jemand und sagt: Ich gebe dir ei-
nen aus, wenn du mir die Ware verkaufst, auch wenn ich
nur ein schwarzes Armband habe. – Das ist künftig eine
Straftat. Was ist denn das für ein Unfug!

Es ist unsere Aufgabe, als Gesetzgeber festzulegen,
was strafbar ist und was nicht. Das erfordert schon das
Bestimmtheitsgebot des Artikels 103 Grundgesetz. Sie
dürfen das gar nicht an Privatpersonen delegieren. Ich
halte das für verfassungswidrig. Dazu werden wir auch
nicht durch europarechtliche Vorgaben verpflichtet, wie
Sie es in Ihrer Gesetzesbegründung behaupten.

Das Geschäftsherrenmodell steht in keiner Richtlinie,
sondern lediglich in einem Rahmenbeschluss aus dem
Jahr 2003. Deutschland hatte dieser Erklärung damals
nur zugestimmt, soweit der Geltungsbereich auf Fälle der
Wettbewerbsverzerrung beschränkt sei. Dieser Vorbehalt
sollte ab 2005 für fünf Jahre, also bis 2010, gelten. Bis
dahin wollte der Rat überprüfen, ob die Geltungsdauer
dieser Erklärung verlängert werden kann. Das hat er aber
nicht getan. Stattdessen wurden Rahmenbeschlüsse als
legislatives EU-Instrument mit dem Lissabon-Vertrag
von 2009 ganz abgeschafft.

Damit trat auch Artikel 83 AEUV in Kraft, wonach
eine Angleichung des Strafrechts hohen Hürden unter-
liegt, und das zu Recht. Mitgliedstaaten dürfen danach
die Notbremse ziehen, wenn grundlegende Aspekte des
nationalen Strafrechts betroffen sind. Das wäre auch in
diesem Fall eindeutig das Beste gewesen, statt einmal
wieder neue Straftatbestände zu schaffen, die keiner
braucht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Reinhard Grindel






(A) (C)



(B) (D)


Da wird es auch nicht besser, dass Sie jetzt im Wege
des Änderungsantrages auch noch die sogenannte Selbst-
geldwäsche unter Strafe stellen. Sie wollen jetzt den
Dieb, der das geklaute Geld ausgibt, noch einmal ge-
sondert wegen Geldwäsche bestrafen, wenn er dabei
die Herkunft des Geldes aus dem Diebstahl verschleiert.
Wozu das gut sein soll, erschließt sich mir nicht. In Kurz-
form heißt das Gesetz jetzt: Wer die Herkunft verschlei-
ert, macht sich strafbar, es sei denn, er ist der Täter, es sei
denn, er verschleiert die Herkunft. Mit Rechtsklarheit hat
das wohl wenig zu tun.

Wenn Sie wirklich etwas gegen Korruption machen
wollen, dann führen Sie endlich einen Whistleblower-
Schutz ein, damit kriminelle Netzwerke aufgedeckt und
ermittelt werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Fazit: Das Geschäftsherrenmodell ist unsinnig und
verfassungswidrig und wird von uns abgelehnt.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813025100

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Ullrich

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1813025200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beschließen heute das Gesetz zur Bekämp-
fung der Korruption und unternehmen damit einen
wichtigen Schritt bei der Bekämpfung der Wirtschafts-
kriminalität. Korruption ist ein schleichendes Gift, das
nicht nur monetäre Schäden anrichtet, sondern auch das
Vertrauen und das Fundament unserer Wirtschafts- und
Wettbewerbsordnung untergräbt.

Im Vordergrund dieses Gesetzes steht der Kampf ge-
gen die organisierte Kriminalität. Ein wesentliches Ele-
ment bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität
ist der Kampf gegen Geldwäsche. Man kann zu Recht
zugespitzt formulieren: Folgen Sie dem Geld, und entde-
cken Sie damit die kriminellen Strukturen! – Wir wollen
und werden diese kriminellen Strukturen bekämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein wichtiger Schritt ist die Einführung der Strafbar-
keit der sogenannten Selbstgeldwäsche. Es ist bislang
so, dass der Täter bei einer Vortat einen persönlichen
Strafausschließungsgrund hat, wenn er das Delikt der
Geldwäsche begeht. Es darf allerdings keine Rolle spie-
len, ob das Geld, das durch die Vortat erlangt worden ist,
durch Dritte oder durch den Täter selbst in den Verkehr
gebracht wird. Das In-den-Verkehr-Bringen des Geldes
aus der Vortat allein erfüllt den Unrechtsgehalt und schä-
digt unsere Wirtschaftsordnung. Deswegen hat die Geld-
wäsche einen eigenen Unrechtsgehalt, und deswegen
müssen und dürfen wir zukünftig den Vortäter bestrafen.

Das, Frau Kollegin Keul, ist ein wichtiger Schritt bei der
Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Ich bitte, das
nicht gering zu achten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung, OECD, mit ihrer Untergruppie-
rung Financial Action Task Force hat in mehreren Be-
richten dringend angemahnt, die Selbstgeldwäsche in
Deutschland endlich unter Strafe zu stellen. Ich bin in
diesem Zusammenhang auch unserem Bundesfinanzmi-
nister Wolfgang Schäuble sehr dankbar,


(Volker Beck GRÜNEN]: Der versteht ja was vom Thema!)


der bereits im Jahre 2014 dringend angemahnt hat, diese
Strafbarkeitslücke zu schließen. Wir schließen Sie heu-
te und unternehmen damit einen weiteren Schritt, der
uns davor bewahrt, in ein Überwachungsverfahren der
OECD zu geraten oder international auf den Finanzmärk-
ten Reputation zu verlieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck ist das bei Geldkoffern?)


(Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie


Wir werden, meine Damen und Herren, in den nächs-
ten Monaten in diesem Hohen Hause auch die 4. EU-
Anti- Geldwäsche-Richtlinie besprechen und sie einer
Umsetzung zuführen. Hier werden weitere Vorschriften
umzusetzen sein.

Es ist schwer verständlich, weshalb Banken den Straf-
verfolgungsbehörden Transaktionen von Geldbeträgen
ab etwa 15 000 Euro melden müssen, aber es für Spiel-
kasinos und andere Einrichtungen bislang keine korre-
spondierenden Vorschriften gibt. Auch das werden wir
ändern.

Unser Augenmerk richtet sich darauf, kriminelle
Strukturen zu bekämpfen, indem wir der Spur des Geldes
folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Heute, meine Damen und Herren, liegt ein sehr ausge-
wogener, intensiv abgestimmter und guter Gesetzesvor-
schlag vor.


(Volker Beck GRÜNEN]: Anders kennen wir das von dieser Koalition überhaupt nicht!)


Ich kann Ihnen empfehlen, diesen Gesetzesvorschlag an-
zunehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813025300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge-

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


setzes zur Bekämpfung der Korruption. Der Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/6389, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4350
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition und gegen die Stimmen der Op-
position angenommen worden.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist
der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Opposition angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Unterhaltsrechts und
des Unterhaltsverfahrensrechts

Drucksachen 18/5918, 18/6287

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/6380

Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu
Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden. Dann geschieht das auch so.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhalts-
verfahrensrechts. Der Gesetzentwurf beinhaltet in der
Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Recht und Verbraucherschutz auch Änderungen der Zi-
vilprozessordnung und kostenrechtlicher Vorschriften.

Wir kommen zur Abstimmung über diesen Gesetz-
entwurf einschließlich der genannten Änderungen. Der
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6380,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/5918 und 18/6287 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen worden.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge-

1) Anlage 9

setzentwurf in dritter Lesung angenommen worden mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Energie-
verbrauchskennzeichnungsgesetzes

Drucksachen 18/5925, 18/6292

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(9. Ausschuss)


Drucksache 18/6383


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/6388

Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie auch Änderungen weiterer Bestimmungen des
Energiewirtschaftsrechts.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
Dr. Nina Scheer von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU])



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1813025400

Sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen

und Kollegen! Wir haben heute über das Energiever-
brauchskennzeichnungsgesetz zu beraten und abzustim-
men. Damit wird ein Vorhaben aus dem NAPE umge-
setzt, mit dem in einer vereinfachten Form dargestellt
werden soll, wie effizient eine Heizungsanlage ist.

Wir haben zurzeit recht überschaubare Modernisie-
rungs- und Austauschraten im Gebäudebereich; die Aus-
tauschrate von Heizungsanlagen in Gebäuden beträgt
zurzeit 3 Prozent. Jetzt ist die Idee gewesen – und das
ist verbrieft in diesem Gesetzentwurf –, dass man durch
das Aufbringen eines Aufklebers mit der berühmten Ska-
la und einer entsprechenden Buchstabennummerierung
schon auf den ersten Blick ganz leicht erkennen kann,
wie effizient bzw. wie ineffizient eine Heizungsanlage ist;
denn bei einem Durchschnittsalter einer Heizungsanlage
von 17 Jahren ist es opportun, den einen oder anderen
Hauseigentümer oder die eine oder andere Hauseigentü-
merin darauf hinzuweisen, dass die Anlage nicht mehr so
effizient ist und ausgetauscht werden sollte.

Die Skalen kennt man schon von den Elektrogeräten.
Ich denke, sie sind einfach zu überschauen und inzwi-
schen so bekannt, dass man erwarten kann, dass schon
beim ersten Blick auf die Skala der gewünschte Effekt
erzielt wird.

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Man kann davon ausgehen, dass durch dieses Instru-
ment die Austauschrate – der Anstieg ist zwar überschau-
bar, aber immerhin – auf 3,7 Prozent im Jahr erhöht wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 3,7 Prozent?)


– Ja, auf 3,7 Prozent.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde, die Zahl ist immer noch sehr klein!)


In Anbetracht des Aufwandes, der damit in Zusammen-
hang steht – es handelt sich dabei, wie gesagt, nur um das
Aufbringen eines Aufklebers und das Überreichen von
Informationsbroschüren durch den Schornsteinfeger –,
ist das eigentlich ein ganz beträchtlicher Effekt. Die kos-
tenfreie Erstinformation, die dem Eigentümer übergeben
wird, und die ergänzenden Informationen über Investiti-
onszuschüsse und weiter gehende Energieberatungsmög-
lichkeiten sind frei Haus.

Es gab allerdings schon einige Kritik an dem Geset-
zesvorhaben. Unter anderem haben einige Vertreter be-
mängelt, dass der Fokus allein auf die Heizungsanlage
gerichtet wird; das sei nicht hinreichend. Gesagt wurde
auch, dass die Mieter möglicherweise vernachlässigt
würden; man müsse auch sie einbeziehen. Dazu möchte
ich Folgendes sagen: Auf den ersten Blick kann man sa-
gen, dass sich das charmant anhört. Man denkt spontan:
Ja, vielleicht ist das zu kurz gegriffen. – Auf den zweiten
Blick würde ich das aber verneinen; denn dieses Label
soll nur einen Anstoß geben. Die Information ist an den
Eigentümer zu richten und nicht unbedingt an den Mie-
ter. Das Label könnte dem Mieter nämlich suggerieren,
dass alles in Ordnung ist. Es könnte aber sein, dass mit
den Fenstern und der sonstigen Dämmung im Haus nicht
alles in Ordnung ist. Dann würde diese Information den
Mieter unter Umständen fehlleiten. Das Label auf der
Heizungsanlage und die begleitenden Informationen sol-
len eine Anstoßwirkung haben. Das ist Sinn und Zweck
der Sache.

Im Vergleich zum vorherigen Entwurf kam es zu einer
Veränderung. Man hat sich darauf verständigt, die unters-
ten beiden Kategorien der Skala zu streichen, weil es nur
sehr wenige Anlagen gibt, die darunter fallen. Durch den
Fortfall der untersten beiden Kategorien landen – das ist
der Effekt – viel mehr Heizungsanlagen mit einem relativ
schlechten Standard in der nunmehr untersten Kategorie
der Skala. Aufgrund dieser Tatsache erreicht man durch
dieses Label eine noch größere Anstoßwirkung.


(Unruhe bei der CDU/CSU)


– Übrigens würde ich mich freuen, wenn wir hier ein
bisschen mehr Aufmerksamkeit hätten. Für uns alle ist
das eine späte Stunde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte noch etwas zu dem Signal sagen, das der
Schornsteinfeger aussendet. Bisher ist es so: Wenn der
Schornsteinfeger dem Eigentümer sagt, dass die Hei-
zung völlig in Ordnung ist, kann das bei dem Eigentü-

mer durchaus den Eindruck erwecken, dass die Anlage
auch effizient ist. Dieser Eindruck könnte entstehen.
Man könnte glauben: Okay, mit meiner Heizungsanlage
ist alles in Ordnung. – Wenn der Schornsteinfeger mit
dem Label allerdings die Botschaft überbringt: „Ihre
Heizungsanlage ist zwar für sich genommen in Ordnung,
aber völlig ineffizient“, dann hat der Schornsteinfeger
noch eine andere Botschaft im Gepäck. Vor allem sug-
geriert er nicht, dass alles in Ordnung sei. Die bis heute
möglicherweise existierende kontraproduktive Wirkung
wird damit also durchbrochen. Ich finde, auch das ist ein
gewisser Charme dieses Gesetzentwurfs.

Damit habe ich diesen Gesetzentwurf zur Genüge vor-
gestellt. Ich finde, das ist ein wenn auch überschaubarer,
so doch nützlicher Schritt im Konzert der Maßnahmen
zur Effizienzsteigerung, die wir brauchen und noch zu
gestalten haben. Insofern bin ich guten Mutes, dass die-
ser Gesetzentwurf seinen Weg gehen wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813025500

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Eva Bulling-

Schröter das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813025600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Etiketten auf Heizungen zu kleben, ist zunächst einmal
richtig. Wir wollen damit den Hauseigentümern einen
Denkanstoß geben. Die Menschen sollen ihre Heizung
energetisch einordnen können. So weit, so gut. Dies kann
einen Anstoß zu einer dringenden weiterführenden Ener-
gieberatung geben, muss es aber nicht. Damit das alles
aber kein Etikettenschwindel wird, braucht es in diesem
Bereich Energiesparen und Effizienz mehr; das wissen
Sie auch alle. Vor allem braucht es endlich mehr Mut,
meine Herren, für die Erneuerbare-Energien-Wärme-
wende.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Keine Diskriminierung!)


– Ich traue Ihnen Mut zu; das ist doch keine Diskrimi-
nierung.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Hier müssen die Mittel des Marktanreizprogramms er-
höht und verstetigt werden. Es ist schwer, Heizungsla-
bels als kleinen Schritt in die richtige Richtung zu wür-
digen, weil dies gleichzeitig ein Licht darauf wirft, wie
viele Schritte noch vor uns liegen und wie sehr die Bun-
desregierung hier stolpert.

Nun ist seit dem NAPE, dem Nationalen Aktionsplan
Energieeffizienz, fast ein Jahr ins Land gegangen. Die
Aufbruchstimmung ist verflogen. Wir warten weiterhin
voller Ungeduld auf all die Ankündigungen wie etwa die
„Energieeffizienzstrategie Gebäude“ oder ein Energieef-

Dr. Nina Scheer






(A) (C)



(B) (D)


fizienzgesetz. Wann kommen denn die Vorschläge, wie
man die Instrumente DENEFF und Erneuerbare-Energi-
en-Wärmegesetz sinnvoll zusammenführt und ganzheit-
liche Ansätze bei der energetischen Sanierung gesetzlich
besser verankert? Darüber wird ja diskutiert. Inzwischen
geht die Debatte aber weiter, und sie wird lauter.

Die Spatzen pfeifen es schon von den Dächern: Sie
haben ein neues Effizienzpaket geschnürt, um die den
Kohlekraftwerken erlassenen CO2-Schulden über den
Effizienzbereich zu stemmen – zusätzlich zum NAPE;
denn irgendwie muss es ja kompensiert werden. Dafür
stellen Sie 1,3 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfü-
gung. Ich sage es einmal so: Das ist kein Pappenstiel.
Aber schauen wir uns die Maßnahmen an, die Sie damit
planen: Dabei geht es zum Beispiel um den Austausch
von älteren Pumpen und eine Heizungsoptimierung. Aus
unserer Sicht ist das eine klassische Ersatzhandlung: Sie
tun das eine, weil Sie das andere nicht zustande bringen.

Sie sollten noch entschlossener Anreize für den Wech-
sel auf die Nutzung erneuerbarer Energien im Wärme-
bereich setzen und beim KWK-Ziel nicht nachgeben.
Im Vergleich dazu ist der Austausch der Pumpen eine
Minimalmaßnahme. Sie kann zwar in der Breite wirken
und spart Strom, sie kann aber gleichzeitig Chancen ver-
bauen. Denn wenn die Hauseigentümer das Gefühl ha-
ben: „Jetzt habe ich schon etwas getan, und das relativ
preiswert“, dann werden sie überlegen, ob sie sich noch
eine neue Heizung kaufen; das wurde ja vorhin schon an-
gesprochen. Folglich fassen sie die Heizung dann eben
eine Weile nicht mehr an. Notwendig wäre aber eine um-
fassendere Sicht, die die ernsthafte Prüfung einer Um-
stellung auf die Nutzung erneuerbarer Energien im Wär-
mebereich einschließt.

Die Leute bejahen die Energiewende; das ist mein Ge-
fühl, und das hört man immer wieder. Aber im Energie-
bereich kommt nur wenig voran. Ich frage mich: Warum
ist das so, und wie kann man das forcieren? Auch wenn
sich die Öl- und Gaspreise nicht so entwickelt haben,
wie es angenommen wurde: Ich denke schon, dass viele
Leute bereit wären, hier etwas zu tun. Auch Sie müssen
noch etwas tun. Die Konzepte sollten sich aber nicht auf
die einzelnen Eigentümer konzentrieren. Vielmehr brau-
chen wir Quartierslösungen. Wir müssen noch viel mehr
darüber reden, wie das geht und wie man hier vorwärts-
kommt. Das gibt die gesetzliche Lage aber leider nicht
her. Da müssen Sie nachbessern.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn der Anteil der erneuerbaren Energien im Wärmebe-
reich von derzeit 10 Prozent auf 14 Prozent im Jahr 2020
steigen soll, ist noch viel mehr Anstrengung erforderlich.
Das müssen wir gemeinsam angehen.

Im Übrigen: Ich habe einmal nachgesehen, wann bei
meiner Heizung zu Hause das Etikett aufgeklebt werden
muss: 2026. Das ist noch lange hin.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813025700

Als nächster Redner spricht Hansjörg Durz von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1813025800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Im vergangenen Dezember hat das Kabinett den Natio-
nalen Aktionsplan Energieeffizienz beschlossen und da-
mit die Themen Energieeffizienz und Energieeinsparung
deutlich stärker in den Fokus gerückt. Fördern und For-
dern, Kommunikation und Beratung – mit dem NAPE
verfügen wir über einen Maßnahmenkatalog, mit dem
wir die von uns gesteckten Ziele im Bereich des Klima-
schutzes erreichen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Damit allein erreichen Sie sie nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es könnte ruhig ein bisschen mehr sein!)


– Das sehen wir dann.

Durch die Zusammenschau der unterschiedlichsten
Maßnahmen ist er zudem hilfreich, um sich im weiten
Feld der Energieeffizienz zurechtzufinden. Er zeigt auf,
wo Potenziale liegen und wie diese gehoben werden kön-
nen.

Es ist gut, dass das Thema Effizienz durch den NAPE
stärker in den Fokus gerückt ist. Genau dieser Fokus ist
auch notwendig, um der Energieeffizienz auch in der Öf-
fentlichkeit zu dem Stellenwert zu verhelfen, den sie als
zweite Säule der Energiewende verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nach einer entsprechenden Vorbereitungsphase be-
finden wir uns nun mitten in der Umsetzung des NAPE.
Eine Vielzahl von Maßnahmen wurde bereits umgesetzt.
Dazu zählen zum Beispiel die Weiterentwicklung der
Energieberatung, die Verstetigung und Aufstockung des
CO2-Gebäudesanierungsprogramms, die Fortentwick-
lung des Marktanreizprogramms und die Umsetzung des
Artikels 8 der EU-Energieeffizienz-Richtlinie.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, da gibt es gerade ein Vertragsverletzungsverfahren!)


Frau Bulling-Schröter, das sind nur ein paar Maßnah-
men, und uns liegt ja auch ein Zeitplan vor, bis wann
die weiteren Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Sie
sehen also: Hier ist sehr viel im Fluss.

Mit der heutigen Verabschiedung der Änderung des
Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes fügen wir
unserer Strategie einen weiteren Baustein hinzu.

Wir sprechen häufig davon, welch hohen Anteil der
Gebäudebestand mit knapp 40 Prozent für den Gesamt-
energieverbrauch in Deutschland hat. Dabei liefert die
Heizung wiederum den größten Beitrag innerhalb des
Gebäudes. Deshalb halte ich es auch für äußerst positiv,
dass wir heute die Gelegenheit haben, über genau eine

Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


solche Maßnahme zu diskutieren, die exakt diesen Be-
reich adressiert. Ich bin froh darüber, dass wir im Be-
reich der Energieeffizienz über eine konkrete Maßnah-
me diskutieren, die exemplarisch genau für die Art und
Weise steht, wie wir uns als Union die Steigerung der
Energieeffizienz vorstellen. Wir wollen die Potenziale
nicht durch Zwang, sondern auf freiwilliger Basis heben:
durch Information und Anreize.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD])


Mit dem Nationalen Effizienzlabel für Heizungsaltan-
lagen gehen wir genau diesen Weg, indem wir den Ver-
braucher in den Mittelpunkt stellen. Für die Verbraucher
soll mehr Transparenz entstehen, und sie sollen anhand
objektiver Kriterien selber entscheiden können. Genau so
wollen und werden wir zum Austausch motivieren.

Fest steht: Das Potenzial zur Effizienzsteigerung im
Bereich der Heizungsanlagen von Wohngebäuden ist rie-
sig. 70 Prozent der Heizgeräte in Deutschland werden als
nicht effizient eingestuft. Ein Grund dafür ist das Durch-
schnittsalter; wir haben es vorhin schon gehört. Es liegt
bei den Geräten bei etwa 17,6 Jahren. Ein Drittel ist sogar
älter als 20 Jahre.

Unser erklärtes Ziel ist es, die Sanierungsrate signi-
fikant zu erhöhen. Deshalb werden mit Start zum 1. Ja-
nuar 2016 Heizkessel von Heizungsinstallateuren, Ge-
bäudeenergieberatern oder Schornsteinfegern mit einem
Aufkleber versehen, mit dessen Hilfe der Verbraucher
über die Effizienz der Anlage informiert wird – und das
ohne Kosten für den Verbraucher.

Gekennzeichnet werden in einem ersten Schritt jene
Anlagen, die älter als Baujahr 1986 sind. In den folgen-
den Jahren werden sukzessive auch jüngere Altersklassen
in das Verfahren einbezogen, bis schließlich nach einem
stetigen Prozess im Jahr 2023, also nach acht Jahren, alle
knapp 13 Millionen Anlagen erfasst sind, die dann älter
als 15 Jahre sind.

Der Aufkleber soll den Verbraucher über den Effi-
zienzstatus seines Heizkessels informieren und damit
verdeutlichen, inwieweit aus Effizienzgesichtspunkten
Handlungsbedarf besteht. Gleichzeitig erhält der Besit-
zer Informationen über Heizungschecks, Vor-Ort-Bera-
tungsmöglichkeiten und mögliche Förderprogramme.

Im Übrigen setzt der Aufkleber auf dem bestehenden
EU-weiten Effizienzlabel für neue Heizkessel auf, das
seit September 2015 gilt. Das Label ist dem Verbraucher
außerdem bereits von Konsumgütern bestens bekannt.
Damit erreichen wir einen hohen Wiedererkennungswert.
Mit dem engen Bezug zu dem EU-Etikett für Neugeräte
stellen wir außerdem eine Vergleichbarkeit von Altgerä-
ten und Neugeräten für den Verbraucher sicher.

Mit unserer Beschlussempfehlung schlagen wir zu-
dem vor – auch das ist bereits angeklungen –, die bis-
herigen Effizienzklassen F und G zu streichen, da sie für
die Heizungsanlagen in Deutschland quasi keine Rolle
spielen werden.

Nach einer wissenschaftlichen Untersuchung ist das
Heizungslabel dazu geeignet, die Austauschrate von Hei-

zungsanlagen um 20 Prozent pro Jahr zu erhöhen. Das ist
also wirklich ein nicht ganz unwesentlicher Schritt.

Sehr geehrte Damen und Herren, für notwendige
Informationen zu sorgen, ist ein Schritt. Mit dem Hei-
zungslabel haben wir eine hervorragende Möglichkeit,
den Verbraucher direkt zu sensibilisieren. Doch damit
ist zunächst nur der erste Schritt getan. Der zweite muss
folgen, nämlich die Sanierung anzureizen. Dazu ist die
konkrete Ausgestaltung der Förderung von zentraler Be-
deutung.

Die Fördermittel im Bereich der Energieeffizienz wur-
den enorm aufgestockt. Wir nehmen in den kommenden
fünf Jahren, wenn man die Maßnahmen zusammenzählt,
insgesamt etwa 8 Milliarden Euro in die Hand – eine
ganz beträchtliche Summe –, um ein ganzes Bündel an
Maßnahmen im Bereich Energieeffizienz umzusetzen.
Speziell im Bereich Heizung zählen dazu beispielsweise
der Pumpentausch in Gebäuden, mit dem insbesondere
durch den Einbau von modernen und hocheffizienten
Pumpen Energieeinsparungen von 70 bis 80 Prozent er-
reicht werden können; oder das Programm zur Förderung
der Heizungsoptimierung, mit dem bestehende Anlagen
optimal eingestellt und somit ohne große Baumaßnah-
men Effizienzsteigerungen erreicht werden; oder das
Marktanreizprogramm, mit dem das Heizen mit erneu-
erbaren Energien gefördert wird, das bereits zum 1. April
dieses Jahres modifiziert wurde und seitdem wieder sehr
gut nachgefragt wird.

Die Information und die Förderinstrumente helfen uns
nicht nur, die Klimaziele zu erreichen, sondern werden
auch einen Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Wirtschaft leisten und sind ein
enormes Konjunkturprogramm, also insgesamt eine sehr
sinnvolle Maßnahme.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gleichzeitig mit dem Energieverbrauchskennzeich-
nungsgesetz treffen wir auch eine Entscheidung im Be-
reich Energieleitungsbau. Künftig wird der Turnus des
Netzentwicklungsplans neu gefasst und von einem jährli-
chen auf einen zweijährigen Zyklus umgestellt. Dadurch
wird der Prozess insgesamt schlanker, besser strukturiert
und verständlicher. Damit die Regelung bereits für den
nächsten NEP greift und der neue Turnus bereits 2016
angewendet werden kann, muss die Änderung noch in
diesem Jahr in Kraft treten. Deshalb bitte ich Sie insge-
samt um Zustimmung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813025900

Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in dieser Debatte

hat Dr. Julia Verlinden von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813026000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Wir sprechen heute, fast ein Jahr

Hansjörg Durz






(A) (C)



(B) (D)


nachdem der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz
verabschiedet wurde, über eine sogenannte Sofortmaß-
nahme, die hier zur Umsetzung steht. Das, finde ich, ist
sehr amüsant.

In dieser Sofortmaßnahme, nämlich in dem vorge-
legten Gesetzentwurf, steht, dass die Bundesregierung
mit diesem Aufkleber für Heizungen das Ziel verfolge,
dass sich die „Inanspruchnahme einer weiter gehenden
Energieberatung“ erhöhe und dass sich die Motivation
der Verbraucher erhöhe, um alte, ineffiziente Heizgeräte
auszutauschen. – Ja, Anreize zum Austausch von alten
Heizungen fordern wir Grüne ja schon lange, um den
Energieverbrauch zu verringern und um natürlich auch
das Klima zu schützen.

Schauen wir uns einmal genauer an, was die Bundes-
regierung hier vorlegt. Die Schornsteinfeger sollen je
nach Energieeffizienzkategorie ein Label auf die Hei-
zung im Keller kleben. Und sie sollen die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher auf weiterführende Beratungsan-
gebote aufmerksam machen. – Das war’s. Das ist doch
nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Diese Maßnahme
entspricht nicht den notwendigen Klimaschutz- und
Energieeinsparbemühungen in Gebäuden und wird den
vorhandenen Energieeffizienzpotenzialen auch nicht an-
nähernd gerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Vergleich zum Jahr 2008 will die Bundesregie-
rung bis 2020 insgesamt 20 Prozent Energie einsparen.
Geschafft sind bisher genau 6,4 Prozent. Es bleiben also
gerade einmal noch fünf Jahre Zeit. Die Bundesregierung
muss hier ganz schön flott noch sehr viel in Bewegung
setzen, um diese Menge Energie einzusparen. Der Grund
dafür ist nicht nur, dass sie es sich selbst vorgenom-
men hat. Vielmehr steckt die Bundesregierung mitten
in einem EU-Vertragsverletzungsverfahren, weil sie die
EU-Energieeffizienz-Richtlinie bisher nicht zufrieden-
stellend umgesetzt hat.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich weiß nicht, was Sie daran so lustig finden. Das wird
für die Bundesregierung ziemlich teuer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir schaffen es!)


Im Zweifel können das ziemlich hohe Strafzahlungen
werden. Aber gut, Sie erklären dann den Steuerzahlern,
dass Sie eben nicht nur die Energiewende riskieren, son-
dern eben auch die Strafzahlungen vor dem EuGH.

Es ist echt tragisch, wie schwer Sie sich mit einer ver-
nünftigen Energieeffizienzpolitik tun. Wenn dieser bunte
Heizungsaufkleber seine prognostizierte Wirkung er-
zielt – das muss sich erst noch zeigen –, dann trägt dieses
Instrument mit sage und schreibe – aufgepasst! – 0,3 Pro-
zent zum Einsparziel bei. Das ist zwar besser als nichts,
aber zu einer wirksamen Energieeffizienzpolitik, die den
Klimaschutz wirklich ernst nimmt, gehören weitere po-
litische Maßnahmen. Denn durch die Etikettierung der
Heizkessel werden insbesondere Vermieter überhaupt
keinen Anreiz haben, alte Kessel auszutauschen. Dass

die alten Heizungen viel zu viel Energie verbrauchen,
ist den Vermietern egal. Denn die Heizkosten zahlen die
Mieterinnen und Mieter, und diese erfahren nicht ein-
mal – wir haben es gerade gehört –, ob ihr Vermieter eine
völlig ineffiziente und veraltete Heizungsanlage im Kel-
ler stehen hat.

Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, das Instrument
zu verbessern, indem man hier mehr Transparenz für die
Mieter herstellt. Aber dem wollte die Bundesregierung
nicht folgen. Das finde ich äußerst bedauerlich.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum auch?)


Auch eine bessere Verschränkung des neuen Instru-
ments mit der existierenden Energieeinsparverordnung
haben Sie leider nicht umgesetzt. Denn die Energieein-
sparverordnung – Herr Durz hat sehr viel von Freiwil-
ligkeit gesprochen; ich weiß nicht, ob er die Energieein-
sparverordnung kennt – sieht bereits seit längerem eine
Austauschpflicht für Heizkessel vor, die älter als 30 Jahre
sind.

Ich glaube nicht, dass es Ihnen mit der Modernisie-
rung des Heizungsbestands so ernst ist wie uns Grünen.
Denn wir Grünen wollen einen wirksamen Instrumenten-
mix für die Gebäudesanierung. Dazu gehört aus unserer
Sicht vor allem eine massive Förderung von Quartierssa-
nierungen dort, wo viele einkommensschwache Haushal-
te zur Miete wohnen. Denn wir wollen nicht, dass diese
Menschen den stetig steigenden Heizkosten quasi ausge-
liefert sind. Und für Hauseigentümer und -eigentümerin-
nen eignet sich eine ausführliche, qualitativ hochwertige
Beratung wie ein individueller Gebäudesanierungsfahr-
plan deutlich besser zur Planung der Erneuerung der Hei-
zungsanlage als ein Aufkleber.

Kommen Sie endlich in die Puschen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Es wäre doch beschämend, wenn wir beim Thema Ge-
bäudesanierung weiter nur in kleinen Tippelschritten
vorankommen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813026100

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6383,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/5925 und 18/6292 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung

Dr. Julia Verlinden






(A) (C)



(B) (D)


mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Oppo-
sition angenommen worden.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition bei Ent-
haltung der Opposition angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsge-
setzes zur Umsetzung des Urteils des Europä-
ischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in
der Rechtssache C-72/12

Drucksachen 18/5927, 18/6288

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16. Ausschuss)


Drucksache 18/6385

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden.1)

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/6385, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/5927 und 18/6288 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Dann ist der Gesetzentwurf in zwei-
ter Beratung einstimmig angenommen worden.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Der
Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen wor-
den. Das passiert ja auch nicht so häufig.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes

Drucksache 18/5759

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16. Ausschuss)


Drucksache 18/6233

1) Anlage 10

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.2)

Dann kommen wir jetzt gleich zur Abstimmung. Der
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6233, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/5759 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Der Ge-
setzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des
Bundeszentralregistergesetzes
Drucksache 18/6186
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/6390
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben

werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.3)

Dann kommen wir gleich zur Abstimmung. Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6390, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
auf Drucksache 18/6186 anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Oppo-
sition angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich ent-
hält? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom

2) Anlage 11
3) Anlage 12

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


3. Dezember 2014 zur Änderung des Ab-
kommens vom 30. März 2011 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und Irland zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur
Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen
Drucksache 18/5579
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/6369 Buchstabe a
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben

werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.1)

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Finanzaus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/6369, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/5579 anzunehmen.

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich ent-
hält? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf
mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der
Opposition angenommen worden.

Über die Buchstaben b und c der Beschlussempfeh-
lung wurde bereits unter Tagesordnungspunkt 31 b abge-
stimmt. Es gibt – weil es Verwunderung gab – nur eine
zweite Lesung, da es sich um ein Vertragsgesetz handelt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Lebensmittelspezialitätengeset-
zes
Drucksache 18/6164
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

1) Anlage 13

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.2)

Hier wird interfraktionell die Überweisung des Ge-
setzentwurfes auf Drucksache 18/6164 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der aufsichts- und berufsrechtlichen Re-
gelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur
Ausführung der entsprechenden Vorgaben
der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hin-
blick auf die Abschlussprüfung bei Unterneh-

(Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz – APAReG)

Drucksache 18/6282
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich
sehe, dass Sie damit einverstanden sind.3)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/6282 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 16. Oktober 2015, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen Abend.