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    Plenarprotokoll 18/130 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 130. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12553 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 5 f und 15. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12554 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 12554 A Begrüßung der Präsidentin des Seimas der Republik Litauen, Frau Loreta Graužinienė . 12570 A Tagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 15./16. Oktober 2015 in Brüssel Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 12554 D Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 12559 A Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 12561 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12564 B Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12566 A Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12568 C Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . 12570 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 12572 D Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . 12573 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12573 D Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12574 C Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12575 D Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Asylver- fahrensbeschleunigungsgesetzes Drucksachen 18/6185, 18/6386 . . . . . . 12576 D – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6387 . . . . . . . . . . . . . . 12576 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sigrid Hupach, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Flüchtlinge willkommen heißen – Für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alle Flücht- linge willkommen heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Für eine faire finanzielle Ver- antwortungsteilung bei der Aufnah- me und Versorgung von Flüchtlingen Drucksachen 18/3839, 18/6190, 18/4694, 18/6386 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12577 A c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015II eines Gesetzes zur schnelleren Entlas- tung der Länder und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern (Entlastungsbeschleuni- gungsgesetz) Drucksachen 18/6172, 18/6381 . . . . . . . . . 12577 B d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Un- terbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher Drucksachen 18/5921, 18/6289, 18/6392 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12577 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unbe- gleitete minderjährige Flüchtlinge mit einer starken Jugendhilfe auf- nehmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Kindeswohl bei der Versorgung un- begleiteter minderjähriger Flüchtlin- ge absichern Drucksachen 18/4185, 18/5932, 18/6392 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12577 C Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12577 C Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12579 B Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12580 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12582 A Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12583 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12585 C Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12586 B Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12587 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12588 B Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12590 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12590 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12590 D Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 12592 B Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12594 A Namentliche Abstimmungen . . 12595 A, B, C, 12607 D Ergebnisse . . . . 12595 B, 12598 B, 12601 B, 12604 B, 12609 A Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Kerstin Andreae, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aus dem Pkw-Abgasskandal Konsequenzen zie- hen – Wettbewerbsfähigkeit der Auto- mobilindustrie sichern Drucksache 18/6334 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12609 A b) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die notwendigen Konsequenzen aus dem Betrugsskandal um Kfz-Abgase ziehen Drucksache 18/6325 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12609 C Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12612 A Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12613 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12616 B Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12617 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12618 B Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12618 D Oliver Wittke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12619 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12620 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12621 D Oliver Wittke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12622 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12622 C Birgit Kömpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12623 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12624 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12624 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 III Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD) . . . . . . . . . 12626 B Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12627 C Tagesordnungspunkt 30: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seearbeits- gesetzes Drucksache 18/6162 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12628 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten Drucksache 18/6280 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12628 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung vom 10. Dezember 2014 des Übereinkommens vom 27. Juni 1980 zur Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe Drucksache 18/6294 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12628 D d) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Harald Ebner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Biosi- cherheit bei Hochrisikoforschung in den Lebenswissenschaften stärken Drucksache 18/6204 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12628 D e) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Caren Lay, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Herdenschutz ist Wolfsschutz – Jetzt ein bundesweites Kompe- tenzzentrum aufbauen Drucksache 18/6327 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12629 A Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Einsetzung des 3. Untersuchung- sausschusses Drucksache 18/6330 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12629 A b) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen – Völkerstrafprozesse in Deutschland vo- ranbringen Drucksache 18/6341 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12629 B Tagesordnungspunkt 31: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschafts- und Kooperationsab- kommen vom 11. Mai 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Re- publik Irak andererseits Drucksachen 18/5577, 18/6374 . . . . . . . . . 12629 C b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 7. Mai 2015 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestim- mten Einkünften Drucksachen 18/6157, 18/6369 Buch- stabe b und Buchstabe c . . . . . . . . . . . . 12629 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerungen und über gegen- seitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grund- steuern Drucksachen 18/6158, 18/6369 Buchstabe b und Buchstabe c . . . . 12629 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Vierte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/5891, 18/5976 Nr. 2.1, 18/6180 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12630 B d)–f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 233, 234 und 235 zu Petitionen Drucksachen 18/6210, 18/6211, 18/6212 . 12630 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Ge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015IV setz zur Änderung des Regionalisierungsge- setzes Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4164, 18/4189, 18/4514, 18/6370 . . . . . . . . . . . . . . 12630 D Tagesordnungspunkt 25: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben Drucksache 18/6328 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12630 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vierter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsper- spektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/5764 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12631 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Amt des Maritimen Koordinators aufwerten Drucksache 18/6347 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12631 A Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12631 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12632 B Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12633 A Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12634 B Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12635 B Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . 12636 B Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 12637 B Tagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Ver- pflichtungen nach dem Nagoya-Proto- koll und zur Durchführung der Ver- ordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes Drucksachen 18/5321, 18/6384 . . . . . . . . . 12638 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von Na- goya vom 29. Oktober 2010 über den Zu- gang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt Drucksachen 18/5219, 18/6384 . . . . . . . . . 12638 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekre- tärin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12638 D Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 12639 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . . 12640 C Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12642 A Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12643 A Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12643 D René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12644 C Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on DIE LINKE sowie der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Milchmarkt stabilisieren – Milchkrise beenden Drucksache 18/6206 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12646 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Auslaufen der Milchquote – Wettbewerbsfähigkeit der Milchviehhalter sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Landwirtschaft braucht flächendeckende Milchviehhaltung – Bäuerliche Milcherzeuger stärken – Milchpreise stabilisieren Drucksachen 18/4424, 18/4330, 18/5601 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12646 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 12646 B Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . 12647 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . 12649 A Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12649 D Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . 12651 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 V Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 12651 D Kees de Vries (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12653 C Rita Hagl-Kehl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12654 D Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksachen 18/5865, 18/6234 . . . . . . . . . . . 12656 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekre- tärin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12656 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 12656 D Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12657 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12659 B Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12660 C Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12661 B Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für die Angelegenheiten der Europäi- schen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsame Grundwerte stär- ken – Europa stärken Drucksachen 18/4686, 18/6196 . . . . . . . . . . . 12663 B Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 12663 B Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12664 C Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12665 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12666 D Dr. Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12668 A Iris Eberl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12669 A Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialge- setzbuch und weiterer Vorschriften Drucksache 18/6284 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12670 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 12670 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 12671 C Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12672 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12673 D Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12675 A Albert Stegemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12676 A Ursula Schulte (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12677 C Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeord- neten Nicole Gohlke, Caren Lay, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten be- kämpfen Drucksachen 18/2870, 18/4512 . . . . . . . . . . . 12678 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tü- bingen), Kai Gehring, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bund- Länder- Aktionsplan „Studentisches Wohnen, Integ- ration und soziale Infrastruktur“ auflegen Drucksache 18/6336 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12678 D Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12679 A Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12680 B Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12681 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12682 C Yvonne Magwas (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12683 D Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie Drucksache 18/6283 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12685 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015VI Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen Drucksache 18/4329 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12685 B Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12685 C Karsten Möring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12686 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12688 B Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12689 B Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12690 A Tagesordnungspunkt 14: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner Drucksachen 18/5901, 18/6227 . . . . . . 12691 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur abschlie- ßenden Beendigung der verfassungs- widrigen Diskriminierung eingetra- gener Lebenspartnerschaften Drucksachen 18/3031, 18/6227 . . . . . . 12691 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ehe für gleichge- schlechtliche Paare – Der Entschließung des Bundesrates folgen Drucksachen 18/5205, 18/6379 . . . . . . . . 12691 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . 12691 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . 12692 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 12693 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12694 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12695 C Susann Rüthrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12696 C Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption Drucksachen 18/4350, 18/6389 . . . . . . . . . . . 12697 D Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12698 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12699 B Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12700 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12701 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12702 B Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- rechts und des Unterhaltsverfahrensrechts Drucksachen 18/5918, 18/6287, 18/6380 . . . . 12703 A Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsge- setzes Drucksachen 18/5925, 18/6292, 18/6383 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12703 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6388 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12703 C Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12703 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 12704 C Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12705 C Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12706 D Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechts- behelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. No- vember 2013 in der Rechtssache C-72/12 Drucksachen 18/5927, 18/6288, 18/6385 . . . . 12708 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 VII Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batterie- gesetzes Drucksachen 18/5759, 18/6233 . . . . . . . . . . . 12708 B Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes Drucksachen 18/6186, 18/6390 . . . . . . . . . . . 12708 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Ab- kommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkür- zung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen Drucksachen 18/5579, 18/6369 Buchstabe a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12709 A Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Lebensmittelspeziali- tätengesetzes Drucksache 18/6164 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12709 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der aufsichts- und be- rufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56 EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Ab- schlussprüfung bei Unternehmen von öf- fentlichem Interesse (Abschlussprüferauf- sichtsreformgesetz – APAReG) Drucksache 18/6282 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12709 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12709 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 12711 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Sven-Christian Kindler, Peter Meiwald, Monika Lazar, Julia Verlinden, Jürgen Trittin, Corinna Rüffer und Stephan Kühn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- gebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbe- schleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 12711 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Beate Müller-Gemmeke, Maria Klein- Schmeink und Dr. Harald Terpe (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 12713 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Lars Castellucci und Dr. Dorothea Schlegel (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asyl- verfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 12714 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Uwe Kekeritz und Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrens- beschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 12715 C Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 12717 D Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12717 D Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12718 A Dr . Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12718 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015VIII Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 12718 D Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12719 A Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12719 D Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12723 B Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12726 D Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12727 A Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12727 C Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Michael Grosse- Brömer (CDU/CSU) als Berichterstatter zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungs- ausschuss) zu dem Dritten Gesetz zur Ände- rung des Regionalisierungsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . 12728 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . 12728 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12729 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 12729 D Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12730 D Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . . 12731 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12732 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfah- rensrechts (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 12733 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12733 C Dr . Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 12734 C Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12735 C Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12736 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 12737 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umset- zung des Urteils des Europäischen Gerichts- hofs vom 7. November 2013 in der Rechtssa- che C-72/12 (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 12737 C Oliver Grundmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12737 D Dr . Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 12738 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 12739 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12739 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 12740 B Dr . Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12740 B Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12741 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 12742 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12742 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 12743 A Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12743 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12743 C Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12744 B Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12744 C Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12745 C Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Schlussabstimmung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 IX 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 12747 A Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 12747 A Dr . Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12747 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 12749 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12749 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 12750 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 12750 D Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 12750 D Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12751 C Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12752 A Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 12753 A Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12753 D Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausfüh- rung der entsprechenden Vorgaben der Ver- ordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüferauf- sichtsreformgesetz – APAReG) (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 12754 B Dr . Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12754 C Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12755 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12756 C Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12757 D (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12553 130. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Beginn: 9.01 Uhr
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    2) Anlage 14 3) Anlage 15 Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12711 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.10.2015 Becker, Dirk SPD 15.10.2015 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 15.10.2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 15.10.2015 Gambke, Dr. Thomas BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.10.2015 Gleicke, Iris SPD 15.10.2015 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 15.10.2015 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 15.10.2015 Henke, Rudolf CDU/CSU 15.10.2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 15.10.2015 Kolbe, Daniela SPD 15.10.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.10.2015 Nord, Thomas DIE LINKE 15.10.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 15.10.2015 Pilger, Detlev SPD 15.10.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 15.10.2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 15.10.2015 Wicklein, Andrea SPD 15.10.2015 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 15.10.2015 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 15.10.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Sven- Christian Kindler, Peter Meiwald, Monika Lazar, Julia Verlinden, Jürgen Trittin, Corinna Rüffer und Stephan Kühn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleuni- gungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Immer mehr Menschen verlassen weltweit aus größter Not ihre Heimat und flüchten. Sie fliehen vor Gewalt, Terror, Krieg und Verfolgung. Den Menschen, die nach Europa und Deutschland fliehen, wollen wir mit offenen Armen begegnen. Sie haben ein Recht auf Schutz und ein menschenwürdiges Leben. Wir sind einerseits erschüttert über die gewalttäti- gen Übergriffe auf Geflüchtete in Deutschland. Im- mer wieder brennen geplante oder bereits bewohnte Flüchtlingsunterkünfte. Bereits jetzt gab es dieses Jahr über 500 Angriffe auf Unterkünfte. Andererseits freuen wir uns über die große Willkommenskultur, die wir auf Bahnhöfen, in den Erstaufnahmeeinrichtun- gen und in den Städten und Gemeinden erleben. Viele zehntausend Menschen leisten tagtäglich ehrenamtlich unglaublich viel für eine gelebte Willkommenskultur in Deutschland. Sie zeigen immer und immer wie- der aufs Neue ihre Solidarität mit den Geflüchteten. Diesen Menschen gilt unser Dank und unsere Aner- kennung. Es wäre jetzt Aufgabe der Bundesregierung, sich dieser Hilfsbereitschaft mit deutlichen Verbesse- rungen im Asylrecht anzuschließen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält notwendi- ge finanzielle Zusagen des Bundes, der sich künftig dauerhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme beteiligt und darüber hinaus weitere finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Ver- nünftig ist auch, dass der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge durch Änderung der baurechtlichen Stan- dards flexibilisiert wird, auch wenn sich diese Stan- dardsenkung nicht verstetigen und auf andere Berei- che ausgeweitet werden darf. Wir erkennen auch an, dass Staatsangehörige der Westbalkanstaaten unter engen Voraussetzungen einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten können. Dies ist allerdings mit seinen Einschränkungen alles andere als ein Einstieg in ein Einwanderungsgesetz ist, sondern eine gering- fügige, allenfalls symbolische Teilliberalisierung des bestehenden Systems, die zudem nur bis 2020 befristet ist. Dem stehen die härtesten Asylrechtsverschärfun- gen seit 20 Jahren gegenüber. Diese Verschärfungen lehnen wir ab. Wir wollen sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages nicht durch Beschluss dem Bundesrat zur Annahme vorlegen. Wir hatten auf ih- ren Inhalt im parlamentarischen Verfahren keinerlei Einfluss. Die Verantwortung für diese zum Teil verfas- sungs- und europarechtswidrigen Verschärfungen des Flüchtlingsrechts trägt allein die Koalitionsmehrheit, die sie zum Preis für die dringend notwendige Finan- zierung der Flüchtlingsaufnahme erklärt hat. Der Ge- setzentwurf geht bei den Verschärfungen sogar über Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512712 (A) (C) (B) (D) die Vereinbarungen der Ministerpräsidentenkonferenz hinaus. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist eine Mogelpackung. Es enthält zahlreiche Abschreckungs- und Ausgrenzungsvorschriften, aber nicht eine ein- zige Maßnahme, die geeignet wäre, Asylverfahren tatsächlich zu beschleunigen. Die Koalition hat sich geweigert, eine Regelung zur pauschalen Anerken- nung von Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Irak und Somalia vorzuschlagen. Sie hat keine Altfallregelung für langandauernde Verfahren entworfen. Und sie hat die grüne Forderung nach einer Aufhebung der obli- gatorischen Widerrufsprüfung gemäß § 73 Absatz 2a AsylVfG zurückgewiesen. Stattdessen werden nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro in die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten aufgenommen. Die Bestimmung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Se- negal und Ghana zu sicheren Herkunftsstaaten wird bestätigt, obwohl Roma, LGBTTI und Journalistinnen in den Staaten des Westbalkans weiterhin Verfolgung droht und einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen im Senegal und Gha- na immer noch unter Strafe stehen. Auch die allge- meine Sicherheitslage in den Westbalkanstaaten gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Der Bundestag hat erst im Sommer 2015 den KFOR-Einsatz der Bundeswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil ist. Für die Geflüchteten aus diesen Staaten ist dieses Gesetz ein schwerer Angriff auf das Prinzip der Ein- zelfallprüfung, einem Grundpfeiler des Asylrechts. Die Anträge der Geflüchteten werden zwar formal noch einzeln geprüft, doch drängt sich eine ablehnende Entscheidung faktisch auf. Das Bundesverfassungsge- richt hat in diesem Zusammenhang unmissverständ- lich festgestellt, dass ein Staat nicht zum sicheren Her- kunftsstaat bestimmt werden kann, solange dort auch nur Angehörige einer einzigen Gruppe verfolgt werden (2 BvR 1507 und 1508/93). Der UNHCR, die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz haben in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der Bundesregie- rung gerügt, dieser missachte insoweit die Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie). Neben die bisherigen Beschränkungen der Rechts- schutzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten treten mit diesem Gesetz- entwurf nun weitere massive Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte: Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erst- aufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des abso- luten Arbeitsverbotes und der Sachleistungsprinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen. Wir halten auch die Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monaten integrations- und flüchtlingspolitisch für kontrapro- duktiv. Der Druck der Kommunen auf die Landesre- gierungen, die Höchstdauer auszuschöpfen, wird al- lein schon aus finanziellen Erwägungen enorm sein. Geflüchteten wird selbst dann der Auszug aus den Erstaufnahmeeinrichtungen verboten, wenn sie selbst privaten Wohnraum zu günstigeren Kosten oder gar eine kostenlose Unterkunft bei Freunden oder Ver- wandten finden. Betroffen sind davon auch Flüchtlin- ge mit sogenannter „guter Bleibeperspektive“. Mit der Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeein- richtungen gehen die Residenzpflicht, ein absolutes Arbeitsverbot und in etlichen Bundesländern auch der Ausschluss von der Schulpflicht einher. Das Sachleis- tungsprinzip wird zwingend für den notwendigen Be- darf, einschließlich Ernährung und Kleidung, und als Soll-Bestimmung für den notwendigen persönlichen Bedarf, wie zum Beispiel Zigaretten oder Fahrkarten sodass der Staat immer weiß, wer sich wo befindet. Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Kon- flikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrich- tungen, was Gewalt und Kriminalität befördern wird. Damit schafft man keine Akzeptanz in der Bevölke- rung – im Gegenteil. Wir haben uns immer für die Abschaffung des Asyl- bewerberleistungsgesetzes eingesetzt. Mit dem vor- liegenden Gesetzespaket wird das Asylbewerberleis- tungsgesetz massiv verschärft. Verfassungswidrig ist die Herabsenkung von Leistungen unterhalb des so- ziokulturellen Existenzminimums durch die pauscha- le Leistungsanspruchseinschränkung für bestimmte Gruppen. Das kann mit den Vorgaben des Bundesver- fassungsgerichts nicht in Einklang gebracht werden. Aus der Menschenwürde folgt nämlich, dass das ein- heitliche, das physische und soziokulturelle Existenz- minimum in jedem Fall und zu jeder Zeit zu gewähr- leisten ist. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar. Eine bundesweite Gesundheitskarte wird es durch diesen Gesetzentwurf auch künftig nicht geben. Wie bisher dürfen die Länder sie ausstellen, sie muss aber fortan den Vermerk enthalten, dass sie nur zu Leis- tungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz be- rechtigt. Damit wird das erfolgreiche Modell 3 von Bremen, Hamburg und NRW in Frage gestellt. Ge- flüchtete bleiben Patienten zweiter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Völlig unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen, die Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissio- nen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin fest- steht, und die Verschärfung der Schleuserstrafbarkeit, statt die illegale Einreise zu entkriminalisieren und da- durch die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten. Die- se Regelungen werden den Erfolg bestehender freiwil- liger Rückführungsprogramme torpedieren und einen enormen Kosten- und Personalaufwand verursachen. Bei den Winterabschiebungsstopps wird der Hand- lungsspielraum der Landesregierungen bei Abschie- bungsstopps ohne Not eingeschränkt. Die vorüber- gehende Ermächtigung zur Ausübung der Heilkunde durch Asylsuchende ohne ärztliche Approbation, die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12713 (A) (C) (B) (D) allerdings für ihre Tätigkeit nicht vergütet werden dür- fen, sehen wir genauso kritisch wie die Bundesärzte- kammer. Darin liegt ein doppelter Gleichheitsverstoß: Manche ausländischen Ärzte dürfen dann – anders als Deutsche – ohne Approbation ihren Beruf ausüben, al- lerdings nur bestimmte ausländische Patienten behan- deln, denen dadurch faktisch der Zugang zu dem Re- gelsystem der Gesundheitsversorgung droht verwehrt zu werden. Die Verbesserungen beim Zugang zu den Integra- tionskursen sind weitestgehend folgenlos, weil der Kreis der Berechtigten restriktiv und teilweise vage formuliert ist und lediglich ein nachrangiger Zugang statt eines Teilnahmeanspruchs geschaffen wird. Letztlich wird diese angebliche Verbesserung an den schon jetzt fehlenden Kursplätzen scheitern oder dar- an, dass die Kurszulassung nach den Regelungen der Verordnung zum Asylverfahrensbeschleunigungsge- setz auf drei Monate befristet wird, was faktisch eine Kursteilnahme vereitelt. Als mindestens problematisch bewerten wir auch die Ermöglichung der Ernennung von Beamten als Richter auf Zeit bei den Verwaltungsgerichten sowie Betrauung von Richtern auf Probe als Einzelrichter mit Asylangelegenheiten, trotz fortbestehender Be- schränkungen bei der Zulassung von Rechtsmitteln. Rechtssicherheit kann nicht durch die Beschränkung von Rechtschutzmöglichkeiten hergestellt werden. So lange die Berufung in Asylsachen so selten zuge- lassen wird, so lange wird sich auch eine einheitliche Rechtsprechung, die dringend notwendig wäre, nicht herausbilden können. Selbst wenn die geringen Spielräume, die den Län- dern noch bleiben, von Bundesländern mit grüner Re- gierungsbeteiligung genutzt werden: In Ländern wie Bayern und Sachsen wird keine Regelung zugunsten der Geflüchteten ausgelegt. Trotz der lange überfälligen finanziellen Zusagen für Länder und Kommunen können wir in der Summe angesichts dieser massiven Verschlechterungen und Asylrechtseinschränkungen für Geflüchtete nur zu dem Schluss kommen, dieses Gesetz abzulehnen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Maria Klein-Schmeink und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tages- ordnungspunkt 5 a) Die Bundesregierung hatte lange Zeit die wachsenden Flüchtlingszahlen ignoriert und keine ausreichenden Vor- kehrungen getroffen, weder beim Bundesamt für Migra- tion und Flüchtlinge noch bei der Aufnahme und Versor- gung von Flüchtlingen. Länder und Kommunen wurden allein gelassen. Von daher begrüßen wir es ausdrücklich, dass nun durch zähe und lange Verhandlungen der Bun- desländer einige lang überfällige und vielfach geforderte Maßnahmen umgesetzt werden. An erster Stelle steht da- bei die strukturelle und dauerhafte Beteiligung des Bun- des an den Kosten der Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge. Insgesamt sollen Länder und Kommunen um mehr als 4 Milliarden Euro entlastet werden. Zudem werden Mittel zur Verfügung gestellt, die für unbeglei- tete minderjährige Flüchtlinge und für den Ausbau der Kinderbetreuung eingesetzt werden. Ein erster Schritt ist auch, dass der Bund die Mittel für die soziale Wohnraum- förderung um 500 Millionen Euro auf eine Milliarde in den nächsten vier Jahren erhöht. Diese Summe ist eine erste Finanzspritze. Wichtig ist auch, dass der Bund den Zugang zu Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung und zu Integrationskursen für viele Flüchtlinge verbessert. Mit all diesen Maßnahmen übernimmt der Bund endlich Verantwortung. Das Verhandlungsergebnis zwischen Bundesregierung und Bundesländern ist aber auch ein bitterer Kompro- miss. Denn er enthält eine Reihe von Gesetzesverschär- fungen, die mit einer menschenrechtsorientierten Flücht- lingspolitik nicht in Einklang zu bringen sind und zudem widersinnige Integrationshemmnisse aufbauen. Dazu zählen insbesondere die verlängerte Verpflichtung von Asylsuchenden zum Verbleib in Erstaufnahmeeinrich- tungen, Anspruchseinschränkungen im Asylbewerber- leistungsgesetz und die Ausweitung der Liste angeblich „sicherer Herkunftsstaaten“. Diese Gesetzesverschär- fungen werden wir bei Einzelabstimmungen namentlich ablehnen. Am Ende müssen wir uns aber auch zum Gesamtpa- ket verhalten, und diese Entscheidung fällt uns extrem schwer. Zustimmen können wir dem Gesetzentwurf aufgrund der Verschärfungen auf keinen Fall. Den Ge- setzentwurf können wir aber auch nicht ablehnen, denn als langjährige Kommunalpolitikerinnen und Kommu- nalpolitiker wissen wir, wie sehr die Kommunen auf die finanzielle Unterstützung des Bundes angewiesen sind. Aus diesen Gründen werden wir uns bei der Abstimmung über das Gesamtpaket zwangsläufig enthalten. Namentlich abgelehnt haben wir die Leistungskür- zungen unter das Niveau des soziokulturellen Existenz- minimums, die folglich nur Leistungen für Ernährung, Unterkunft (inklusive Heizung) sowie Körper- und Ge- sundheitspflege enthalten. Das ist nicht akzeptabel, denn alle Menschen, die hier leben, haben ein Anrecht auf die gleichen Leistungen. Deshalb sind wir auch der Mei- nung, dass diese Leistungseinschränkungen verfassungs- rechtlich mehr als fragwürdig sind. Auch die geforderte Umwandung der Geldleistungen für den persönlichen Bedarf in Sachleistungen ist weder humanitär noch so- zialpolitisch vertretbar. Sie überfrachten zudem die Auf- nahmeeinrichtungen mit noch mehr Bürokratie. Ablehnen werden wir auch, dass Albanien, Kosovo und Montenegro in die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen werden. Für uns ist das ein Angriff auf das Prinzip der Einzelfallprüfung, einen Grundpfeiler des Asylrechts. Das trifft insbesondere die Roma, denn sie werden in den Staaten des Westbalkans weiterhin diskriminiert. Und schlussendlich hat der Bun- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512714 (A) (C) (B) (D) destag erst im Sommer den KFOR-Einsatz der Bundes- wehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil ist. Für die Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Her- kunftsstaaten gibt es zudem weitere Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte. Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erstauf- nahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus fol- genden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten Arbeitsverbotes und des Sachleistungsprinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurück- gedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen. Auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Blei- beperspektive“ können zukünftig bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelen- dung in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Damit entsteht keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil. Deshalb werden wir auch diese Verschärfungen nament- lich ablehnen. Wir kritisieren auch die Beschränkung der Befas- sung der Härtefallkommissionen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin feststeht. Vor allem aber bleibt auch die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen recht- lich weiterhin auf die dringend erforderliche und nicht aufschiebbare Behandlung bei akuter Erkrankung be- schränkt. Das widerspricht nicht nur dem humanitären Gebot auf eine angemessene gesundheitliche Versor- gung, es führt häufig auch zu nachfolgenden bedeutend aufwendigeren Behandlungen und höheren Kosten. Ge- flüchtete bleiben somit Patienten zweiter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Die Opti- on, in den Bundesländern mit den Krankenkassen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu vereinbaren, wurde rechtlich nicht entsprechend den Vereinbarungen mit den Ministerpräsidenten geregelt. Es ist weder eindeutig absehbar, ob die bestehenden Vereinbarungen zur Ge- sundheitskarte für Flüchtlinge in Bremen, Hamburg und NRW Bestand haben. Es bleibt auch unklar, ob vergleich- bare Rahmenvereinbarungen in den anderen Bundeslän- dern in Zukunft möglich sind. Darüber hinaus soll auf der Karte vermerkt werden, dass es sich um Flüchtlinge handelt. Das ist diskriminierend und verlagert eine hoch- problematische Entscheidung über eine eingeschränkte Behandlung in die Arztpraxis. Ein letzter Gedanke ist uns abschließend noch wich- tig. Statt tragfähige Lösungen vorzuschlagen, werden immer wieder von Regierungsmitgliedern oder von Mit- gliedern der sie tragenden Parteien, insbesondere von der CSU, populistische und völlig abstruse Debatten vom Zaun gebrochen. Das lenkt von den wirklichen Proble- men ab. Vor allem kann dies die gelebte Solidarität der Bevölkerung erschüttern und gleichzeitig all jene, die Unterkünfte für Geflüchtete in Brand stecken, bestärken. Das sehen wir mit großer Sorge, und das geht uns auch unter die Haut. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Lars Castellucci und Dr. Dorothea Schlegel (beide SPD) zu der nament- lichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Ta- gesordnungspunkt 5 a) Das vorliegende Gesetz ist ein tragfähiger Kompro- miss, der unser Asylsystem insgesamt verbessern wird. Es enthält jedoch auch die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten gemäß Artikel 16 Absatz 3 Grundge- setz. Dieser Regelung kann ich nur als Teil des vorlie- genden Gesamtpakets zustimmen. Als für sich stehende Änderung müssten wir sie ablehnen. Das Grundrecht auf Asyl wird nicht dadurch besser, dass wir es einschränken. Im Parlamentarischen Rat gab es 1948 heftige Diskussionen um die Aufnahme eines Grundrechts auf Asyl. Aus den Erfahrungen deutscher Flüchtlinge, unter ihnen Willy Brandt, sollte eine Leh- re gezogen werden: Nie wieder Abhängigkeit vom guten Willen eines Grenzbeamten, sondern ein Rechtsanspruch. Es ist schon sehr bemerkenswert, dass ein Land, das am Boden lag, einen Satz in das Grundgesetz geschrieben hat, dass jeder Mensch hier ein Recht auf Asyl hat, der politisch verfolgt wird. Es ist noch bemerkenswerter, dass die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union über das Asylrecht für politisch Verfolgte hinausgegangen sind und sich auf gemeinsame Normen für den Schutz von Flüchtlingen geeinigt haben. Vor diesem Hinter- grund haben wir die Debatte zu führen. Nach dem Asylverfahrensgesetz handelt es sich bei den sicheren Herkunftsstaaten um solche Staaten, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder poli- tische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigen- de Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Diese Ver- mutung besteht, solange ein Mensch aus einem solchen Staat nicht glaubhaft Tatsachen vorträgt, die die Annah- me begründen, dass er entgegen dieser Vermutung doch verfolgt wird. Als sichere Herkunftsstaaten gelten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die in An- lage II des Asylverfahrensgesetzes bezeichneten Staaten. Das Recht, Schutz in Deutschland zu suchen, besteht auch für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten. Im Falle eines Asylantrages einer Person aus einem sicheren Herkunftsstaat ist der Antrag im ordentlichen Asylver- fahren zu bearbeiten. Die Verlängerung der Liste siche- rer Herkunftsstaaten hat auf die Asylantragszahlen somit keinen Einfluss. Die Einstufung von Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten wird Men- schen aus diesen Staaten nicht davon abhalten, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen. Diese Idee ist kei- ne Lösung für die aktuellen Herausforderungen, sondern reine Symbolpolitik. Das zeigt die Erfahrung: Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina gelten seit November 2014 als sichere Herkunftsstaaten. Trotzdem wurden bis September 2015 rund 24 700 Asyl- anträge aus EjR Mazedonien und Serbien gestellt. Ein Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12715 (A) (C) (B) (D) positiver Effekt ist somit nicht erkennbar. Im Gegenteil: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind die Antrags- zahlen aus EjR Mazedonien und Serbien sogar deutlich gestiegen (um 84,8 Prozent bzw. um 28,8 Prozent). Auch wird die Verfahrensdauer für Anträge von Men- schen aus sicheren Herkunftsstaaten kaum beeinflusst. Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigen, dass die Verfahren für Anträge von Menschen aus Albanien und Montenegro durchschnittlich deutlich kürzer sind (1,8 bzw. 3,1 Monate) als die Verfahren von Menschen aus den sicheren Herkunftsstaaten Serbien (4,2 Monate) sowie Bosnien und Herzegowina (4,4 Mo- nate). Das zeigt, dass eine erstrebenswerte Verkürzung der Asylverfahren auch ohne das Mittel der sicheren Her- kunftsstaaten möglich ist. Positive Effekte sind also nicht zu erkennen. Negative Effekte sind zu befürchten: Erstens kann die Einstufung eines Staates als sicher- er Herkunftsstaat die Beurteilung des Antrages eines Schutzsuchenden aus diesem Staat negativ beeinflussen. Es ist mindestens zu erwarten, dass die Sachbearbeitung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in dem Wissen, dass ein Mensch aus einem sicheren Herkunfts- staat kommt, den Antrag anders beurteilt als den Antrag eines aus einem anderen Staat kommenden Menschen. Dadurch besteht die Gefahr, dass tatsächliche Schutz- gründe nicht erkannt werden könnten. Es ist doch er- staunlich, dass die Schutzquote für Menschen zum Bei- spiel aus dem Kosovo in Frankreich im Jahr 2014 knapp 19 Prozent betrug, während in Deutschland lediglich knapp ein halbes Prozent der Menschen aus dem Kosovo Schutz erhielt. Auch in vielen anderen Staaten der Euro- päischen Union und der Schweiz sind die Schutzquoten für Flüchtlinge aus Staaten des westlichen Balkans weit höher als in Deutschland. Zweitens ist die Einstufung der Staaten des westlichen Balkans ein falsches Signal an diese Staaten. Die Euro- päische Union gerät in den Beitrittsverhandlungen in den Themenbereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechteschutz in die Defensive, wenn sie diesen Staaten einen Persilschein als sichere Herkunftsstaaten ausstellt. Drittens erweckt die andauernde Diskussion über si- chere Herkunftsstaaten den Anschein, dieses Mittel sei eine einfache und schnelle Lösung. Die Menschen in Deutschland erwarten wirksame und nachhaltige Lö- sungen. Am nachhaltigsten wäre die Beseitigung der Fluchtursachen. Nachhaltig wäre ein solidarisches Asyl- system der Europäischen Union. Nachhaltig wäre auch ein widerstandsfähiges und effizientes Asylsystem in Deutschland. Leider bindet die Diskussion über sichere Herkunftsstaaten wichtige Ressourcen, um diese Themen voranzutreiben. Die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer ist keine Antwort auf die drängenden Fragen von Migration und Flucht. Aus diesen Gründen können wir dem Gesetzentwurf nur mit Verweis auf diese Erklärung zustimmen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Uwe Kekeritz und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleuni- gungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Der vorliegende Gesetzentwurf enthält notwendige finanzielle Zusagen des Bundes, der sich künftig dau- erhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme beteiligt und darüber hinaus wei- tere finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Vernünftig ist auch, dass der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge durch Änderung der baurechtlichen Standards flexibili- siert wird, auch wenn sich diese Standardsenkung nicht verstetigen und auf andere Bereiche ausgeweitet werden darf. Wir erkennen auch an, dass Staatsangehörige der Westbalkanstaaten, wenn auch unter engen Vorausset- zungen, einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt er- halten können, was mit seinen Einschränkungen jedoch alles andere als ein Einstieg in ein Einwanderungsgesetz ist, sondern eine geringfügige, allenfalls symbolische Teilliberalisierung des bestehenden Systems, die zudem nur bis 2020 befristet ist. Trotz dieser positiven Aspekte können wir dem Ge- setzespaket nicht zustimmen. Schon der Titel ist eine Mogelpackung. Das Gesetz enthält zahlreiche Abschre- ckungs- und Ausgrenzungsvorschriften, aber nicht eine einzige Maßnahme, die geeignet wäre, Asylverfahren tatsächlich zu beschleunigen. Die Koalition hat sich ge- weigert, eine Regelung zur pauschalen Anerkennung von Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Irak und Somalia vorzu- schlagen. Sie hat keine Altfallregelung für langandauern- de Verfahren entworfen. Und sie hat die Forderung nach einer Aufhebung der obligatorischen Widerrufsprüfung gemäß § 73 Absatz 2 a AsylVfG zurückgewiesen. Statt tragfähige Lösungen vorzuschlagen, werden immer wieder von Regierungsmitgliedern oder von Mit- gliedern der sie tragenden Parteien, vor allem von der CSU, populistische und völlig abstruse Debatten vom Zaun gebrochen, die von den wirklichen Problemen ab- lenken und dazu führen können, dass die gelebte Solida- rität der Bevölkerung untergraben wird und Verbrecher, die Unterkünfte für Geflüchtete in Brand stecken, sich bestärkt fühlen. Diesen Geist atmet zum Teil auch das Asylverfahrensvereinfachungsgesetz. Das sehen wir mit großer Sorge. Die mit dem Gesetz eingeführte Dreiklassenunter- teilung von AsylbewerberInnen, Flüchtlingen aus soge- nannten sicheren Herkunftsstaaten, solchen mit „guter Bleibeperspektive“ und dem Rest, lehnen wir ab. Schi- kanen wie zusätzliche Leistungskürzungen und eine Umwandlung der Geldleistungen für den persönlichen Bedarf in Sachleistungen sind nicht nur humanitär, men- schenrechtlich und sozialpolitisch unvertretbar, sie wir- ken in der gegenwärtigen Situation auch als geistiger Brandsatz und überfrachten, statt zu entlasten, die Auf- nahmeeinrichtungen mit Bürokratie. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512716 (A) (C) (B) (D) Schon die bestehenden Leistungseinschränkungen für Geflüchtete im Asylbewerberleistungsgesetz und bei den Gesundheitsleistungen sind für uns in keiner Weise akzeptabel. Und gehören abgeschafft. Alle Menschen, die hier leben, haben in unseren Augen ein Anrecht auf die gleichen Leistungen. Leistungseinschränkungen und -ausschlüsse, sei es bei der Grundsicherung oder bei den Gesundheitsleistungen, fördern nur die Entstehung von Elendsquartieren, ausbeuterischer Schwarzarbeit, und sie produzieren, gerade im Gesundheitsbereich, Folgekos- ten, die sehr teuer werden können. Zudem sind wir der Überzeugung, dass die Leistungs- einschränkungen verfassungsrechtlich mehr als frag- würdig sind. Darin haben uns auch die Stellungnahmen der evangelischen und katholischen Kirche und weiterer Sachverständiger in der Anhörung zu dem vorliegenden Gesetz bestärkt. So sollen mit den Leistungskürzungen und der Umwandlung von Geld- in Sachleistungen laut dem Gesetzentwurf „Fehlanreize“ beseitigt werden. Dies sind in unseren Augen migrationspolitische Erwägungen, die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz vom 15.08.2012 als mögli- cher Grund für Leistungseinschränkungen ausgeschlos- sen wurden (Randnummer 121). Wir sind auch der Auffassung, dass jegliche Leistungs- kürzungen unter das Niveau des soziokulturellen Exis- tenzminimums und damit folglich erst recht Leistungen, die nicht einmal das physische Existenzminimum absi- chern, sondern nur Leistungen für Ernährung, Unterkunft (inklusive Heizung) sowie Körper- und Gesundheitspfle- ge enthalten, verfassungsrechtlich nicht zu halten sind. Und humanitär sowieso nicht. Das Bundesverfassungs- gericht hat zwar in dem oben genannten Urteil bei einem „nur kurzen“ Aufenthalt einen „möglicherweise spezi- fisch niedrige(ren) Bedarf“ (Randnummer 119) als bei längerfristig Aufenthaltsberechtigten nicht in jedem Fall ausgeschlossen, jedoch würde das Gericht nach unserer Kenntnis empirische Belege für den niedrigeren Bedarf verlangen. Zudem eröffnet der Gesetzentwurf auch de facto Leistungskürzungen bei mehr als nur kurzen Auf- enthalten, schon allein, weil die Leistungskürzungen bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen immer wieder verlängert werden sollen. Das Gleiche gilt für die Möglichkeit der Erbringung der Leistungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe in Form von Sachleistungen oder Wertgutscheinen statt fi- nanzieller Leistungen. Sachleistungen und Wertgutschei- ne verhindern gerade, dass individuell unterschiedlich hohe existenzielle Bedarfe von den Leistungsbeziehen- den im Rahmen einer pauschalierten Leistung ausgegli- chen werden können. Deshalb gehen wir auch hier weder von verfassungsrechtlich haltbaren noch humanitär hin- nehmbaren Leistungsunterdeckungen unter das soziokul- turelle Existenzminimum aus. Völlig abstrus erscheint uns auch, dass infolge der Änderungsanträge nun zwar die Möglichkeit der Erbringung von Sachleistungen in Aufnahmeeinrichtungen daran geknüpft wird, dass nur ein vertretbarer Verwaltungsaufwand vorliegt, eine sol- che Prüfung jedoch in Gemeinschaftsunterkünften nicht notwendig ist. Die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen bleibt rechtlich weiterhin auf die dringend erforderliche und nicht aufschiebbare Behandlung bei akuter Erkran- kung beschränkt. Das widerspricht nicht nur dem huma- nitären Gebot auf eine angemessene gesundheitliche Ver- sorgung, es führt häufig auch zu einer Chronifizierung und nachfolgenden bedeutend aufwendigeren Behand- lungen und, wie Studien zeigen, zu höheren Kosten. Ge- flüchtete bleiben somit Patienten dritter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Die Opti- on, in den Bundesländern mit den Krankenkassen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu vereinbaren, wurde rechtlich nicht entsprechend den Vereinbarungen mit den Ministerpräsidenten geregelt. Es ist weder eindeutig absehbar, ob die bestehenden Vereinbarungen zur Ge- sundheitskarte für Flüchtlinge in Bremen, Hamburg und NRW Bestand haben, die in weiten Teilen eine Versor- gung vorsieht, die der gesetzlich Versicherter entspricht. Es bleibt auch unklar, ob vergleichbare Rahmenver- einbarungen in den anderen Bundesländern in Zukunft möglich sind. Darüber hinaus soll auf der Karte vermerkt werden, dass es sich um einen Flüchtling handelt. Das ist diskriminierend und verlagert eine hochproblematische Entscheidung über eine eingeschränkte Behandlung in die Arztpraxis. Hinzu kommt, dass ein Flickenteppich von Regelungen entstehen wird, der für die Flüchtlinge bei einem Ortswechsel problematisch und für die Kran- kenkassen aufwendig ist. Notwendig wäre bundesein- heitlich die Einbeziehung der Geflüchteten in die gesetz- liche Krankenversicherung, wie dies für Flüchtlinge ab 15 Monaten bereits heute gilt. Die Kosten sollten durch den Bund getragen werden. In die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten werden nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro aufgenommen. Die Bestimmung von Bosnien-Herzego- wina, Mazedonien, Serbien, Senegal und Ghana zu si- cheren Herkunftsstaaten wird bestätigt, obwohl Roma, LGBTTI und JournalistInnen in den Staaten des West- balkans weiterhin Verfolgung droht und einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen im Senegal und Ghana immer noch unter Strafe stehen. Auch die allgemeine Sicherheitslage in den Westbalkan- staaten gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Der Bundestag hat erst im Sommer 2015 den KFOR-Einsatz der Bun- deswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch im- mer instabil ist. Für die Geflüchteten aus diesen Staaten ist dieses Gesetz ein schwerer Angriff auf das Prinzip der Einzel- fallprüfung, einen Grundpfeiler des Asylrechts. Die An- träge der Geflüchteten werden zwar formal noch einzeln geprüft, doch drängt sich eine ablehnende Entscheidung faktisch auf. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang unmissverständlich festgestellt, dass ein Staat nicht zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt werden kann, solange dort auch nur Angehörige einer einzigen Gruppe verfolgt werden (2 BvR 1507 und 1508/93). Der UNHCR, die EKD und die Deutsche Bischofs konferenz haben in ihren Stellungnahmen insoweit die Missachtung der Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrens- richtlinie) gerügt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12717 (A) (C) (B) (D) Neben die bisherigen Beschränkungen der Rechts- schutzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten treten nun weitere massive Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte: Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflich- tet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten Arbeitsverbotes und des Sachleistungs- prinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen. Wir halten auch die Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monaten inte- grations- und flüchtlingspolitisch für kontraproduktiv. Der Druck der Kommunen auf die Landesregierungen, die Höchstdauer auszuschöpfen, wird allein schon aus finanziellen Erwägungen enorm sein. Geflüchteten wird selbst dann der Auszug aus der Erstaufnahmeeinrichtung verboten, wenn sie selbst privaten Wohnraum zu güns- tigeren Kosten oder gar eine kostenlose Unterkunft bei Freunden oder Verwandten finden. Betroffen sind davon auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Bleibeperspek- tive“. Mit der Verpflichtung zum Verbleib in den Erstauf- nahmeeinrichtungen gehen die Residenzpflicht, ein ab- solutes Arbeitsverbot und in etlichen Bundesländern auch der Ausschluss von der Schulpflicht einher. Das Sachleistungsprinzip wird zwingend für den notwendi- gen Bedarf, einschließlich Ernährung und Kleidung, und als Soll-Bestimmung für den notwendigen persönlichen Bedarf, wie zum Beispiel Fahrkarten – sodass der Staat immer weiß, wer sich wo befindet – oder Zigaretten. Die- se Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrichtungen, was Gewalt und Kriminalität befördern wird. Damit schafft man keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil. Völlig unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen, die Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissio- nen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin fest- steht, und die Verschärfung der Schleuserstrafbarkeit, statt die illegale Einreise zu entkriminalisieren und da- durch die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten. Diese Regelungen werden den Erfolg bestehender freiwilliger Rückführungsprogramme torpedieren und einen enor- men Kosten- und Personalaufwand verursachen. Bei den Winterabschiebungsstopps wird der Handlungsspielraum der Landesregierungen bei Abschiebungsstopps ohne Not eingeschränkt. Die vorübergehende Ermächtigung zur Ausübung der Heilkunde durch Asylsuchende ohne ärztliche Approbation, die allerdings für ihre Tätigkeit nicht vergütet werden dürfen, sehen wir genauso kritisch wie die Bundesärztekammer. Darin liegt ein doppelter Gleichheitsverstoß: Manche ausländischen Ärzte dürfen dann – anders als Deutsche – ohne Approbation ihren Beruf ausüben, allerdings nur bestimmte ausländische Patienten behandeln, denen dadurch faktisch der Zugang zu dem Regelsystem der Gesundheitsversorgung droht, verwehrt zu werden. Die Verbesserungen beim Zugang zu den Integrations- kursen sind weitestgehend folgenlos, weil der Kreis der Berechtigten restriktiv und teilweise vage formuliert ist und lediglich ein nachrangiger Zugang statt eines Teil- nahmeanspruchs geschaffen wird. Letztlich wird diese angebliche Verbesserung an den schon jetzt fehlenden Kursplätzen scheitern oder daran, dass die Kurszulas- sung nach den Regelungen der Verordnung zum Asylver- fahrensbeschleunigungsgesetz auf drei Monate befristet wird, was faktisch eine Kursteilnahme vereitelt. Als mindestens problematisch bewerten wir auch die Ermöglichung der Ernennung von Beamten als Richter auf Zeit bei den Verwaltungsgerichten sowie Betrauung von Richtern auf Probe als Einzelrichter mit Asylange- legenheiten, trotz fortbestehender Beschränkungen bei der Zulassung von Rechtsmitteln. Rechtssicherheit kann nicht durch die Beschränkung von Rechtschutzmöglich- keiten hergestellt werden. Solange die Berufung in Asyl- sachen so selten zugelassen wird, so lange wird sich auch eine einheitliche Rechtsprechung, die dringend notwen- dig wäre, nicht herausbilden können. Wir setzen uns weiterhin für eine gerechte und solida- rische Lastenteilung innerhalb der EU, für gleichberech- tigte Mindestsicherungs- und Gesundheitsleistungen für Geflüchtete in Deutschland ein. Das Asylbewerberleis- tungsgesetz gehört abgeschafft und eine echte Gesund- heitskarte für Geflüchtete eingeführt. Die Herausforderungen, die mit den zu uns Geflüch- teten verbunden sind, müssen endlich angenommen wer- den. Wenn die Bundesregierung weiterhin zögert, steuern wir im kommenden Winter auf eine humanitäre Krise in Deutschland zu. Die Bundesregierung muss dringendst Maßnahmen ergreifen, um den Ländern und Kommunen zu ermöglichen, schnellstens Erstgesundheitsversorgun- gen und Impfungen bei allen Geflüchteten durchzuführen und dafür zu sorgen, dass die Kommunen noch vor dem Winter ausreichend Unterkünfte für Obdachlose, Ge- flüchtete und andere zur Verfügung stellen können. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleuni- gungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a) Klaus Brähmig (CDU/CSU): Im Rahmen der na- mentlichen Abstimmung am 15. Oktober 2015 werde ich dem oben genannten Entwurf eines Asylverfahrensbe- schleunigungsgesetzes zustimmen. Mit allem Nachdruck weise ich aber darauf hin, dass meiner Überzeugung nach dieses Maßnahmenpaket nur ein erster – wenn auch sehr wichtiger – Schritt sein kann, um die teilweise verhee- renden Auswirkungen der Flüchtlingsströme in unserem Land besser zu bewältigen. Zugleich rufe ich die Bundes- regierung auf, den Weg der Restriktion von illegaler und ungesteuerter Zuwanderung beherzt weiterzugehen, um den sozialen Frieden und die politische Statik Deutsch- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512718 (A) (C) (B) (D) lands nicht zu gefährden. Eine ungesteuerte Zuwande- rung, die sich nicht an den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen unseres Landes orientiert und das Sicherheitsbedürfnis unserer Bevölkerung weitgehend ignoriert, muss unweigerlich scheitern. Marco Bülow (SPD): In einigen wesentlichen Punk- ten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus menschen- rechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesserungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, wer- den die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kom- munen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pau- schale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich betei- ligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro. Derzeit sind nach Schätzungen des UNHCR 60 Mil- lionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist die höchste Zahl, die jemals vom UNHCR verzeichnet wur- de, und sie wächst weiterhin rasant. In der Bundesrepu- blik werden in diesem Jahr schätzungsweise 1 Million Geflüchtete erwartet. In dieser globalen Flüchtlingskri- se sehe ich sowohl die Europäische Union als auch die Bundesrepublik Deutschland in der Verantwortung für eine solidarische und humane Asylpolitik. Hierzu erachte ich eine Modernisierung des Asylrechts als erforderlich. Im Sinne beispielsweise legaler Wege für Asylsuchende nach Europa und im Sinne einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis in der Europäischen Union und der Bundes- republik Deutschland. Hierzu zählen für mich ebenfalls Maßnahmen, wie einen Zweckwechsel für Asylsuchende zu ermöglichen. Als Sozialdemokrat lehne ich grundsätz- lich Verschärfungen ab, die einer menschenrechtsbasier- ten Asylpraxis entgegenstehen. Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem An- spruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün- digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein- schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungs- kürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman, und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungs- konform. Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, ent- halte ich mich der Stimme. Dr. Karamba Diaby (SPD): Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen nehme ich für mich das Recht eines jeden Abgeordne- ten nach Artikel 38 (1) des Grundgesetzes in Anspruch. In Abwägung der getroffenen Verbesserungen und Ver- schärfungen des Asylverfahrensbeschleunigungsgeset- zes stimme ich mit Enthaltung. Erstens. Derzeit sind nach Schätzungen des UNHCR 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist die höchste Zahl, die jemals von UNHCR verzeichnet wurde, und sie wächst weiterhin rasant. In der Bundesre- publik werden in diesem Jahr schätzungsweise 1 Million Geflüchtete erwartet. In dieser globalen Flüchtlingskrise sehe ich sowohl die Europäische Union als auch die Bun- desrepublik Deutschland in der Verantwortung für eine solidarische und humane Asylpolitik. Hierzu erachte ich eine Modernisierung des Asylrechts als erforderlich, im Sinne beispielsweise legaler Wege nach Europa für Asyl- suchende und im Sinne einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis in der Europäischen Union und der Bundes- republik Deutschland. Hierzu zählen für mich ebenfalls Maßnahmen wie die, einen Zweckwechsel für Asylsu- chende zu ermöglichen. Als Sozialdemokrat lehne ich grundsätzlich Verschärfungen ab, die einer menschen- rechtsbasierten Asylpraxis entgegenstehen. Zweitens. In unter anderem folgenden wesentli- chen Punkten sehe ich deutliche Verbesserungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, wer- den die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kom- munen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pau- schale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus vorgesehen. Zusätzlich be- teiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro. Drittens. Hingegen verschlechtert der vorliegende Gesetzentwurf die Situation von Geflüchteten. Unter anderem folgende Neuregelungen sind für mich aus menschenrechtlichen Erwägungen heraus und aus dem Anspruch heraus, dass Flucht nach Deutschland mög- lich sein muss, nicht zustimmungsfähig: Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün- digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein- schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind unverhältnismäßig. Ebenfalls sind die unbegründeten Leistungskürzungen inhuman und scheinen mir nicht verfassungskonform. Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): In einigen wesent- lichen Punkten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus menschenrechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesse- rungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu be- kämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kommunen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asyl- suchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzli- chen Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro. Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem An- spruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12719 (A) (C) (B) (D) widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün- digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein- schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungs- kürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman, und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungs- konform. Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, enthalte ich mich in der Gesamtabstimmung und bei den Einzelabstimmungen zu den genannten Punkten der Stimme. Hilde Mattheis (SPD): Zweifelsohne ist die politi- sche Bewältigung des großen Zustroms an Flüchtlingen aus verschiedenen Teilen der Welt eine der größten Her- ausforderungen für die Bundesrepublik. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, auch durch kurzfristige, schnelle und unbürokratische Hilfe, dafür zu sorgen, dass Gemeinden, Bundesländer und andere staatliche Institutionen die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen gewährleisten können, wenn sie dazu finanziell oder strukturell nicht (mehr) in der Lage sind. Der vorliegende Gesetzesentwurf erfüllt dieses Ziel nur zum Teil. Es ist sehr zu begrüßen, dass Maßnahmen zur medizinischen Versorgung und zur Integration von Flüchtlingen ergriffen werden. Angesichts der hygienischen Mängel – insbesondere in Erstaufnahmeeinrichtungen und der Gefahr von ei- ner schnellen Ausbreitung von Krankheiten – sind die vorgeschlagenen Verbesserungen zum Impfschutz sehr wichtig. Sie werden dazu beitragen, den Impfschutz für Flüchtlinge deutlich zu erhöhen. Ebenso sinnvoll ist es, dass Geflüchtete, die in ihren Heimatländern als Ärzte tätig waren, hier die Möglichkeit erhalten, weiter die medizinische Behandlung zu übernehmen. So kann einem drohenden Ärztemangel entgegengewirkt wer- den. Besonders wichtig ist für die SPD die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge, die eine sinnlose Bürokratie vermeidet und den Zugang zu medizinischer Versorgung entscheidend verbessert. Umso bedauerlicher ist es, dass es nicht gelungen ist, dieses Instrument bundesweit einzuführen, sondern ei- nige Bundesländer bereits angekündigt haben, dass sie die Gesundheitskarte aus ideologischen Gründen nicht einführen werden. Auch der verbessere Zugang zur Sprachförderung ist zu begrüßen. Kenntnisse in der deutschen Sprache sind der Schlüssel, um eine spätere schnelle Integration in die Schule oder auf dem Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Dem gegenüber stehen die Einschränkungen des Asylrechts, die vor allem auf Druck der CDU/CSU ins Gesetz geschrieben wurden. Dabei ist insbesondere die nochmalige Ausweitung von sogenannten sicheren Her- kunftsstaaten, die Verlängerung des Aufenthaltes in Erst- aufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monate und den Vorrang von Sach- gegenüber Geldleistungen in Erstauf- nahmeeinrichtungen zu nennen. Die Ausweitung von sicheren Herkunftsstaaten auf weitere Länder des Westbalkans lehne ich ab. Die Bun- desregierung ignoriert hier, dass diese Länder durch vielfache Diskriminierungen und Gewalt zum Beispiel gegenüber Roma nicht als sicher gelten können. Die niedrige Anerkennungsquote in Deutschland von Flücht- lingen aus diesen Ländern kann nicht als Rechtfertigung dienen, diese Länder ohne weitere Argumente als sicher einzustufen. Die Verlängerung des Aufenthaltes in Erstaufnahme- einrichtungen wurde von der Großen Koalition in die- sem Jahr auf drei Monate verkürzt. Dass diese Regelung wieder zurückgenommen werden soll, ist falsch. Auf- grund der Zustände in den Einrichtungen ist ein längerer Aufenthalt inakzeptabel. Zudem stehen die dort geltende Residenzpflicht und das Arbeitsverbot einer schnellen In- tegration entgegen. Geldleistungen für Asylbewerber dienen der Deckung des täglichen Bedarfs. Sie sind kein Taschengeld, und sie sind ganz sicher kein Anreiz für eine Flucht nach Deutschland. Diese so weit wie möglich in Sachleis- tungen umzuwandeln, wie es der Gesetzesentwurf vor- schlägt, ist unpraktisch, mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden und möglicherweise nicht verfas- sungskonform. Keine dieser Regelungen ist in irgendeiner Art und Weise geeignet, Kommunen und Bundesländer zu entlas- ten, Flüchtlinge besser zu versorgen, unterzubringen oder zu integrieren, Fluchtursachen zu bekämpfen und damit sinnvoll den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen. Diese Regelungen werden die Situation nicht verbessern, sondern noch verschlechtern. Daher kann ich dem vorliegenden Gesetzesentwurf trotz der erreichten Verbesserungen durch die SPD nicht zustimmen. Klaus Mindrup (SPD): Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verfol- gung und es kommen viele schutzsuchende Menschen nach Europa, insbesondere auch nach Deutschland. Wir wollen unserer humanitären Verantwortung gerecht wer- den und möglichst vielen Personen Schutz und Sicherheit bieten. Das stellt den Bund, die Länder und Kommunen und die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderun- gen. Selbstverständlich müssen wir als langfristige Maß- nahmen Fluchtursachen bekämpfen und Krisenregi- onen stabilisieren, deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, um die betroffenen Nachbarländer mit ihren Flüchtlingscamps zu unterstützen. Dazu brauchen wir auch eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der Europä ischen Union. Wir sind zudem gefordert, in der momentanen Situation kurzfristige Lösungen zur Schaf- fung einer nachhaltigen Infrastruktur für Flüchtlinge und ihre Integration in unser Land zu finden. Auf dem Flücht- lingsgipfel im Bundeskanzleramt am 24. September wur- de ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, das heute im Bundestag verabschiedet wird. Das Asylpaket ist ein wichtiger Schritt, um die Auf- nahme, menschenwürdige Unterbringung, Versorgung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512720 (A) (C) (B) (D) und Integration von geflüchteten Menschen zu gestalten. Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Der Bund beteiligt sich ab 2016 dauerhaft und struk- turell an den Kosten der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen mit einer Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylbewerber für die Dauer des Verfahrens. Dies war ein Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Michael Müller, der sich in den Verhandlun- gen durchsetzen konnte. Auch beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zusätzlich mit 350 Millionen jährlich und stellt u. a. 500 Millionen Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau und 900 Millionen frei werdende Mittel aus dem gestoppten Betreuungsgeld für bessere Kin- derbetreuung bereit. Für ein Sonderprogramm des Bun- desfreiwilligendienstes in der Flüchtlingsarbeit werden 10 000 neue Stellen geschaffen. Darüber hinaus eröffnet das Asylpaket auch Perspek- tiven für Perspektiven für AsylbewerberInnen, bei denen ein dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, unter anderem durch die Aufstockung der Mittel für Sprachkurse, die frühe Öffnung der Integrationskurse und Regelungen zur frühzeitigen Arbeitsmarktintegration. Außerdem sieht der Gesetzentwurf Erleichterungen im Bau planungs- recht für Flüchtlingsunterkünfte vor sowie eine deutliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Asylbe- werberInnen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich an vielen Stel- len dafür eingesetzt, dass der ursprüngliche Entwurf ent- schärft werden konnte. Viele Verschärfungen des Asyl- rechts konnten wir heraus verhandeln. Das erkenne ich an. Der Gesetzentwurf enthält allerdings eine Reihe von Regelungen, die ich sehr kritisch sehe. Für mich ist klar: Es darf keine Abstriche am Grund- recht auf Asyl geben. Maßnahmen, von denen bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes klar ist, dass sie zu ei- ner positiven Bewältigung der aktuellen Herausforderun- gen nicht nur nicht beitragen, sondern finsterste Abschre- ckungs- und Abschottungspolitik sind, lehne ich auf das Schärfste ab. Das ist nicht das Deutschland, das ist nicht das Europa, welches ich mir für unsere Kinder und für uns selbst wünsche. Ich befinde mich mit meiner Kritik auch in bester Gesellschaft: mit dem Rat für Migration, mit den katholischen Bischöfen, Wohlfahrtsverbänden, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, der Bun- desärztekammer. Insbesondere bei den Regelungen zur Gesundheitsver- sorgung von Flüchtlingen führt die Blockadehaltung der Union nicht nur zu einer Zweiklassen-Gesundheitsver- sorgung sondern auch noch zu einem Flickenteppich – je nach Bundesland mit unterschiedlichem Zugang zu Ge- sundheitsleistungen für Flüchtlinge. Die Unterscheidung in Flüchtlinge mit guter Blei- beperspektive und solche ohne ist problematisch. Und zwar nicht nur vor dem Hintergrund , dass das Asylrecht eine Individualprüfung vorsieht, sondern auch aus prak- tischen Erwägungen , dass eine Zweiklassenbehandlung von Flüchtlingen zu Konflikten führen wird. Schattenseiten des Asylverfahrensbeschleunigungsge- setzes 1. Erweiterung der Liste von sicheren Drittstaaten Laut Gesetzesentwurf werden folgende „sichere Herkunftsländer“ genannt: Albanien, Bosnien und Her- zegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Damit werden Albanien, Kosovo und Montenegro erstmals zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Diese Erweiterung geht über den geltenden Koa- litionsvertrag hinaus. Das Grundrecht auf Asyl ist jedoch ein individuelles Recht, das zwingend die Einzelfall- prüfung vorsieht. Das Konzept der sicheren Drittsaaten entkernt dieses Grundrecht. Das jeweilige Asylverfahren wird in der Praxis lediglich um 10 Minuten beschleunigt. Auch aus den erst in diesem Jahr als „sicher“ deklarier- ten Drittstaaten ist die Anzahl der Erstanträge dieses Jahr weiter gestiegen (aus Serbien bis 30.9.15: 14 390 im Ver- gleich zu 2014: 17 172; Mazedonien bis 30.9.15: 7 385 im Vergleich zu 2014: 5 614). Im europäischen Vergleich wurden nach Angaben von Pro Asyl 2014 in Frankreich 20 Prozent in Belgien 18 Prozent Schutzsuchenden aus dem „sicheren Herkunftsland“ Bosnien und Herzegowi- na anerkannt. Problematisch ist zudem, dass trotz der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung weiter an der ge- setzlichen Einstufung von Ghana und Senegal als „si- cheren Herkunftsstaaten“ festgehalten wird, obwohl dort einvernehmliche homosexuellen Beziehungen unter Er- wachsenen unter Strafe stehen. Situation im Kosovo Rund 700 deutsche Soldaten leisten derzeit Dienst im Kosovo im Rahmen des KVOR-Einsatzes mit dem Auf- trag, ein sicheres Umfeld im Kosovo aufzubauen und zu erhalten, einschließlich öffentlicher Sicherheit und Ord- nung. Es ist schwer vermittelbar, dass ein Land, in dem die Bundeswehr die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten muss, als sicherer Drittstaat eingestuft werden kann. Am Beispiel Kosovo lässt sich aber zugleich auch zeigen, wie ohne eine Einstufung als „sicherer Dritt- staat“ eine Lösung erreicht werden kann. Nachdem An- fang 2015 sehr viele Asylanträge von KosovarInnen ge- stellt wurden, hatten sich mehrere Bundesländer und der Bund verständigt, die Anträge beschleunigt zu bearbei- ten und vor Ort Aufklärungsarbeit zu leisten. Innerhalb von vier Wochen wurden über 50 Prozent der Anträge entschieden. Die Maßnahmen zeigten schnell Wirkung – denn die Zahlen der Erstanträge gingen schnell zurück. Im Januar stand der Kosovo noch auf Platz zwei der Her- kunftsländer, im September nur noch an neunter Stelle. Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat in einem Urteil vom 10. Oktober 2014 entschieden, dass Kosovo von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten in Frankreich zu streichen ist. In dem Urteil stellt das Ge- richt fest, dass ein Staat, dessen Institutionen noch in weiten Teilen von der Unterstützung internationaler Or- ganisationen und Missionen abhängig seien, nicht die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12721 (A) (C) (B) (D) Voraussetzungen erfülle. Insbesondere führe die unsiche- re politische und soziale Situation im Kosovo dazu, dass einige Bevölkerungsgruppen keinen effektiven Schutz vor gewalttätigen Übergriffen finden könnten. Die verbreitete gesellschaftliche Diskriminierung von Minderheiten unter Einschluss der Roma wird sowohl in der Gesetzesbegründung als auch in vielen Stellungnah- men zum Gesetzentwurf zu Recht problematisiert. Vor dem Kosovokrieg lebten ca. 150 000 Roma, Ashkali und sogenannte ÄgypterInnen im Kosovo. Heu- te sind es nur noch ca. 50 000. Ausgrenzung herrscht auf dem Arbeitsmarkt, beim Zugang zur Gesundheitsversor- gung, zur Schulbildung und zum Wohnraum. Von zent- raler Bedeutung ist die Ausgrenzung der Roma bei der medizinischen Versorgung. Das BAMF sowie die Ge- richte haben die meisten positiven Bescheide bezüglich Abschiebeschutz aufgrund gravierender Erkrankungen der Flüchtlinge und deren Nichtbehandlung im Kosovo gefällt. In der Schweiz erhielten nach Angaben von Pro Asyl 2014 rund 37 Prozent der serbischen und 40 Prozent kosovarischen AntragstellerInnen einen Schutzstatus. Finnland gewährte 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem Kosovo Schutz. Situation in Albanien Der Deutsche Anwaltsverein mahnt an, dass ge- schlechtsspezifische Verfolgung, insbesondere sexua- lisierte Gewalt, seitens der Bundesregierung nicht hin- reichend untersucht wurde. Bezüglich Albanien wird ausdrücklich von diskriminierenden Bräuchen für junge Mädchen berichtet, allerdings eine staatliche Billigung nicht erkannt. Darauf kommt es aber gemäß Artikel 6 der Qualifikationsrichtlinie der EU (RL/EU 2011/95) nicht an. Bezüglich Kosovo und Montenegro wurde ge- schlechtsspezifische Verfolgung gar nicht untersucht. In Großbritannien wurden nach Angaben von Pro Asyl im Jahr 2014 18 Prozent der albanischen Asylsuchenden als schutzbedürftig eingestuft. Situation in Montenegro Nach Angaben des LSVD wurde beispielsweise in Montenegro das Zentrum für Lesben, Schwule, Bi- sexuelle, Transgender und Intersexuelle in der Haupt- stadt Podgorica laut Amnesty International allein im ver- gangenen Jahr 26-mal angegriffen. 2. Flickenteppich statt Gesundheitskarte Eine flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist aufgrund der Blockadehaltung von CDU/CSU nicht gelungen. Auch die Beschränkung der Behandlungen auf „akute Erkrankungen und Schmerz- zustände“ konnte nicht gelockert werden. Das bedeu- tet nicht nur eine Zweiklassen-Gesundheitsversorgung, sondern führt auch noch zu einem je nach Bundesland unterschiedlichen Zugang zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge. In der Union haben sich diejenigen durchge- setzt, die glauben, der Zugang zu unserem Gesundheits- wesen sei das „falsche Signal“. Sie glauben völlig an der Realität vorbei, dass Menschen Tausende Kilometer und Todesängste wegen unseres Gesundheitssystems auf sich nehmen. Derzeit ist das Verfahren äußerst kompliziert: Kran- ke Flüchtlinge müssen bei jeder Erkrankung erst zum Sozial amt, wo – nach zumeist langen Wartezeiten – me- dizinische Laien über jeden Arztbesuch entscheiden. Diese entscheiden, ob eine akute Erkrankung, ob ein Schmerzzustand vorliegt, der ärztlich behandelt werden darf. Erst nach Erhalt des sogenannten „Grünen Schein“ ist ein Arztbesuch möglich. Die ÄrztInnen schicken dem Amt die Rechnung, dieses bezahlt diese – nach Prüfung – direkt. So wird in den ohnehin oftmals überforderten So- zialämtern ein großer bürokratischer Aufwand geschaf- fen. Eine bundesweite Regelung hätte alle Kommunen entlastet. Die jetzt getroffene Regelung führt zu einem Flickenteppich in Deutschland. Eine Einigung war ledig- lich hinsichtlich der Ermächtigung für die Bundesländer möglich. Diese können die gesetzlichen Krankenkassen verpflichten, gegen Kostenerstattung die Krankenbe- handlungen zu übernehmen. Der AOK-Bundesverband macht in seiner Stellungnahme deutlich, dass eine Leis- tungsgewährung ohne Gesundheitskarte zu zusätzlichem Bürokratieaufwand führt, den die Krankenkassen nur unter Einsatz erheblicher personeller und sächlicher Res- sourcen bewältigen können. Eine Leistungsgewährung über von der Krankenkasse auszugebende Behandlungs- scheine in Papierform wäre angesichts der aktuellen E-Health-Gesetzgebung ein Rückfall in die Steinzeit, mahnt der AOK-Bundesverband an. Eine elektronische Gesundheitskarte ist sowohl in Stadt- als auch Flächenstaaten möglich: Hamburg und Bremen machen es uns bereits seit Langem vor, Nord- rhein-Westfalen wird es uns ab Anfang 2016 zeigen. Vom Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wür- den hingegen alle Beteiligten profitieren: Flüchtlinge, Ärztinnen und Kommunen. Zudem kämen die Synergie- effekte besser zum Tragen, wenn der Einsatz der Gesund- heitskarte bundesweit erfolgen würde. Dem Entwurf zufolge soll die elektronische Gesund- heitskarte eine Angabe über den besonderen Status des Karteninhabers und damit über das begrenzte Leis- tungsspektrum nach den §§ 4 und 6 des Asylbewerber- leistungsgesetzes enthalten. Dies durfte die Aufrüstung der EDV-Systeme, sowohl bei den Kassen als auch bei den Vertragsärzten und -psychotherapeuten, mit den entsprechenden Kosten erforderlich machen. Des Weite- ren ist den Ärzten eine Prüfung, ob eine Leistung dem Versorgungsanspruch nach §§ 4, 6 AsylbLG unterfällt, nicht zuzumuten. Auch die Bundesärztekammer hält es für höchst fragwürdig, den Asylbegehrenden einen nur beschränkten Leistungsanspruch nach Asylbewerberleis- tungsgesetz zu gewähren. Auch gemäß der UN-Kinderrechtskonvention müssen alle Kinder (also minderjährige Flüchtlinge bis 18 Jahre), die sich bei uns in Deutschland aufhalten, mittels Kran- kenkassenkarte vollen Zugang zur Gesundheitsversor- gung gemäß allen Büchern des SGB erhalten, und zwar unabhängig von der Asylgewährung und vom Stand ihres Verfahrens. Dies betrifft insbesondere die derzeit nicht gewährleistete Versorgung chronisch kranker und behin- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512722 (A) (C) (B) (D) derter Flüchtlingskinder sowie die Versorgung von Kin- dern mit psychischen Störungen und Traumata. 3. Verbleib von Menschen aus so genannten sicheren Drittstaaten bis zur Abschiebung in Erstaufnahmeein- richtungen Für Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Her- kunftsländern“ wird eine unbegrenzte Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen angeordnet (bis zur Ent- scheidung über Ausreise oder Abschiebung). Generell soll die Verpflichtung, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, auf sechs Monate verlängert werden können. Damit geht eine Verlängerung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbots einher. Das UNHCR hält die Ausdeh- nung der Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrich- tung zu wohnen, auf 6 Monate für problematisch. In der Realität sind die Unterkünfte in den Erstauf- nahmeeinrichtungen überfüllt, häufig nicht winterfest, und die Belegung auf engstem Raum ist auf Dauer nicht zumutbar. Die Unterbringungssituation – in Tragluft- hallen, Industriegebäuden, Zeltstädten – befördert die psychische Belastung, soziale Ausgrenzung und Stigma- tisierung der Menschen. Darunter leiden insbesondere Familien mit Kindern und alleinstehende Frauen. Gerade aus Frauenperspektive habe ich große Bedenken gegen diese Regelung. Erst im letzten Jahr wurden für die Gruppe der Asyl- bewerberInnen im Rahmen des Rechtsstellungsverbesse- rungsgesetzes wesentliche Erleichterungen geschaffen, die jetzt wieder abgeschafft werden. Ein Zweiklassensystem bei der Aufnahme von Asyl- suchenden darf es nicht geben. Es ist diskriminierend und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar – denn ob ein Asylantrag berechtigt ist oder nicht, steht erst am Ende eines Asylverfahrens fest und darf nicht vor- weggenommen werden. Die Arbeiterwohlfahrt befürchtet zudem, dass durch die drei geplanten großen Verteilzentren für Flüchtlinge die Ressentiments in der Bevölkerung deutlich ansteigen könnten (geplant sind die Verteilzentren in Selchow am Flughafen BER, Lüneburger Heide und bei Heidelberg). Dieses einerseits, weil die geplante große Anzahl von Menschen in Unterkünften für die einheimische Bevöl- kerung beängstigend sein könnte und es rechtsgerichte- ten Gruppen einfacher macht, Ängste zu schüren, und an- dererseits, da Regionen für die Großunterkünfte gewählt wurden, die nur schwierig den Kontakt zur Bevölkerung ermöglichen werden. Gerade dieser bewusst hergestellte Kontakt zwischen den Menschen auf der Flucht und den Einheimischen hat sich aber bewährt als wirkungsvolle Maßnahme zum sozialen Zusammenhalt und zur Will- kommenskultur. 4. Negierung des Gender-Aspektes Für sehr problematisch halte ich die völlige Negie- rung des Gender-Aspektes und damit der geschlechts- spezifischen Notlagen bis hin zur sexuellen Gewalt ge- gen Frauen und Mädchen auf der Flucht bzw. in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen. Dieses Regierungsverhalten widerspricht der Istanbul-Konvention. Dabei kennt die Bundesregierung diese Notlagen: Schon 2004 lieferte eine Studie des Familienministeriums zu „Lebenssitua- tion, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutsch- land“ Hinweise: 79 Prozent der stichprobenartig befrag- ten weiblichen Flüchtlinge gaben an, in Deutschland psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein, 51 Prozent spra- chen von körperlicher, 25 Prozent von sexueller Gewalt. Gerade hat das Deutsche Institut für Menschenrechte die weitere Studie „Effektiver Schutz vor geschlechtsspezi- fischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften“ veröf- fentlicht. Hier wird der mangelhafte Schutz von Frauen angeprangert, die nach Deutschland geflohen sind. 5. Einschränkung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Das Gesetz sieht Leistungsreduzierungen für Men- schen vor, über deren Asylrecht oder Ausreisepflicht noch nicht entschieden wurde, außerdem für vollziehbar ausreisepflichtige AusländerInnen, denen keine Duldung gewährt wurde oder deren Duldung abgelaufen ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom Juli 2012 klargestellt, dass das Men- schenrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Exis- tenzminimums allen Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zukommt. Die Höhe existenzsichern- der Leistungen darf sich ausschließlich am Bedarf, nicht aber an migrationspolitischen Überlegungen orientieren. „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ hat das Bun- desverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2012 ausdrücklich festgestellt. 6. Einführung von Sachleistungen in den Erstaufnah- meeinrichtungen Gemäß § 3 Absatz 1 und 2 AsylbLG sollen die Be- hörden den Asylsuchenden künftig jegliches Bargeld, das heißt das „Taschengeld“ zur Deckung ihres soziokultu- rellen Teilhabebedarfs an der Gesellschaft und zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen – Telefon, Fahrgeld, Anwalt, Kommunikation, Bildung, Kultur usw. – unter Hinweis auf die Substitution dieses Bedarfs durch Sach- leistungen in den EAEs und GUs dauerhaft teilweise oder vollständig streichen können. Die neue Sollvorschrift für die Rückkehr zum Sach- leistungsprinzip ist ein großer Schritt zurück in die 90er-Jahre. Die mühsam errungenen Fortschritte im letz- ten Jahr werden damit zunichte gemacht. Die Anwendung des Sachleistungsprinzips bedeutet nicht nur einen höheren Verwaltungsaufwand, sondern erschwert auch eine selbstständige Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe. Stattdessen sollen die Asylsu- chenden künftig für den persönlichen Bedarf „Sachleis- tungen“ beantragen, also für jede Sim-Karte, Briefmar- ke oder Fahrkarte zum Arzt, für jeden Besuch bei einer Beratungsstelle oder Anwalt usw. erst einen begründeten Antrag bei der Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung stellen müssen. Im Ergebnis ist absehbar, dass bundesweit der Betrag je nach politischer Couleur festgesetzt, gekürzt oder ge- strichen werden wird. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12723 (A) (C) (B) (D) 7. Abschiebungen ohne Vorankündigung – de facto Abschaffung der Härtefallkommissionen Mit dem Verbot der Ankündigung einer Abschiebung wird die Arbeit der Härtefallkommissionen de facto ab- geschafft. Dabei hat sich das Härtefallkommissionsver- fahren trotz erheblicher anfänglicher Bedenken einiger Bundesländer in den meisten Bundesländern bewährt. Es hat sich herausgestellt, dass das Verfahren in vielen hu- manitären Fällen, in denen eine Aufenthaltsbeendigung als nicht mehr vertretbar erschien, zu einer vernünftigen Lösung führen konnte. 8. Beschäftigungsverbot für Personen aus sicheren Drittstaaten Ein generelles Arbeitsverbot für AusländerInnen soll verhängt werden, wenn sie sich in das Inland begeben haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungs- gesetz zu erlangen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die sie selbst zu vertreten haben , nicht vollzogen werden können oder sie Staatsangehörige ei- nes sicheren Herkunftsstaates nach § 29 a des Asylge- setzes sind und ein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt wurde. Das geplante gesetzliche Arbeitsverbot für Geduldete, die das Abschiebehindernis selbst zu vertreten haben, wird kontraproduktiv wirken. für Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Ausbeu- tungsverhältnisse. Aus Artikel 15 Absatz 1 Asyl-Aufnahme-Richtlinie 2013/33/EU ergibt sich, dass spätestens neun Monate nach der Stellung des Asylantrags ein Arbeitsmarktzu- gang zu gewähren ist. Dies gilt auch für Asylbewerberin- nen aus sicheren Herkunftsstaaten, solange das BAMF noch nicht über den Antrag entschieden hat. Trotz der genannten kritischen Punkte komme ich zum Ergebnis, dass ich dem Gesetzentwurf zustimme, da die positiven Punkte überwiegen. Ich werde mich für die Korrektur der negativen Punkte einsetzen. Mechthild Rawert (SPD): Weltweit sind 60 Mil- lionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verfolgung, und es kommen viele schutzsuchende Men- schen nach Europa, insbesondere auch nach Deutsch- land. Wir wollen unserer humanitären Verantwortung gerecht werden und möglichst vielen Personen Schutz und Sicherheit bieten. Das stellt den Bund, die Länder und Kommunen und die gesamte Gesellschaft vor gro- ße Herausforderungen. Selbstverständlich müssen wir als langfristige Maßnahmen Fluchtursachen bekämpfen und Krisenregionen stabilisieren, deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, um die betroffenen Nachbarländer mit ihren Flüchtlingscamps zu unterstützen. Dazu brauchen wir auch eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der Europäischen Union. Wir sind zudem gefordert, in der momentanen Situation kurzfristige Lösungen zur Schaffung einer nachhaltigen Infrastruktur für Flüchtlin- ge und ihre Integration in unser Land zu finden. Auf dem Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt am 24. Septem- ber wurde ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlos- sen, das heute im Bundestag verabschiedet wird. Das Asylpaket ist ein wichtiger Schritt, um die Auf- nahme, menschenwürdige Unterbringung, Versorgung und Integration von geflüchteten Menschen zu gestalten. Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Der Bund beteiligt sich ab 2016 dauerhaft und strukturell an den Kosten der Unterbringung und Versorgung von Flücht- lingen mit einer Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylbewerber für die Dauer des Verfahrens. Dies war ein Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, der sich in den Verhandlungen durch- setzen konnte. Auch beteiligt sich der Bund an der Ver- sorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zusätzlich mit 350 Millionen Euro jährlich und stellt un- ter anderem 500 Millionen Euro für den sozialen Woh- nungsbau und 900 Millionen Euro frei werdende Mittel aus dem gestoppten Betreuungsgeld für bessere Kin- derbetreuung bereit. Für ein Sonderprogramm des Bun- desfreiwilligendienstes in der Flüchtlingsarbeit werden 10 000 neue Stellen geschaffen. Darüber hinaus eröffnet das Asylpaket auch Perspek- tiven für AsylbewerberInnen, bei denen ein dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, unter anderem durch die Auf- stockung der Mittel für Sprachkurse, die frühe Öffnung der Integrationskurse und Regelungen zur frühzeitigen Arbeitsmarktintegration. Außerdem sieht der Gesetzent- wurf Erleichterungen im Bauplanungsrecht für Flücht- lingsunterkünfte vor sowie eine deutliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung von AsylbewerberInnen. Der Gesetzentwurf enthält allerdings eine Reihe von Regelungen, die nicht auf meine Zustimmung treffen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich an vielen Stellen dafür eingesetzt, dass der ursprüngliche Entwurf an ei- nigen Punkten entschärft werden konnte. Viele Verschär- fungen des Asylrechts konnten wir herausverhandeln. Das erkenne ich an. Für mich ist klar: Es darf keine Abstriche am Grund- recht auf Asyl geben. Maßnahmen, von denen bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes klar ist, dass sie zu ei- ner positiven Bewältigung der aktuellen Herausforderun- gen nicht nur nicht beitragen, sondern finsterste Abschre- ckungs- und Abschottungspolitik sind, lehne ich auf das Schärfste ab. Das ist nicht das Deutschland, das ist nicht das Europa, welches ich mir für unsere Kinder und für uns selbst wünsche. Ich befinde mich mit meiner Kritik auch in bester Gesellschaft: mit dem Rat für Migration, mit den katholischen Bischöfen, Wohlfahrtsverbänden, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, der Bun- desärztekammer. Insbesondere bei den Regelungen zur Gesundheits- versorgung von Flüchtlingen führt die Blockadehaltung der Union nicht nur zu einer Zweiklassen-Gesundheits- versorgung, sondern auch noch zu einem Flickentep- pich – je nach Bundesland mit unterschiedlichem Zugang zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge. Die Unterscheidung in Flüchtlinge mit guter Blei- beperspektive und solche ohne ist problematisch. Und zwar nicht nur vor dem Hintergrund, dass das Asylrecht eine Individualprüfung vorsieht, sondern auch aus prak- tischen Erwägungen, dass eine Zweiklassenbehandlung von Flüchtlingen zu Konflikten führen wird. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512724 (A) (C) (B) (D) Schattenseiten des Asylverfahrensbeschleunigungsge- setzes 1. Erweiterung der Liste von sicheren Drittstaaten Laut Gesetzesentwurf werden folgende „sichere Herkunftsländer“ genannt: Albanien, Bosnien und Her- zegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Damit werden Albanien, Kosovo und Montenegro erstmals zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Diese Erweiterung geht über den geltenden Koa- litionsvertrag hinaus. Das Grundrecht auf Asyl ist jedoch ein individuelles Recht, das zwingend die Einzelfall- prüfung vorsieht. Das Konzept der sicheren Drittsaaten entkernt dieses Grundrecht. Das jeweilige Asylverfahren wird in der Praxis lediglich um 10 Minuten beschleunigt. Auch aus den erst in diesem Jahr als „sicher“ deklarier- ten Drittstaaten ist die Anzahl der Erstanträge dieses Jahr weiter gestiegen (aus Serbien bis 30. September 2015: 14 390 im Vergleich zu 2014: 17 172; Mazedonien bis 30. September 2015: 7 385 im Vergleich zu 2014: 5 614). Im europäischen Vergleich wurden nach Angaben von Pro Asyl 2014 in Frankreich 20 Prozent und in Belgien 18 Prozent der Schutzsuchenden aus dem „sicheren Her- kunftsland“ Bosnien und Herzegowina anerkannt. Problematisch ist zudem, dass trotz der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung weiter an der ge- setzlichen Einstufung von Ghana und Senegal als „si- cheren Herkunftsstaaten“ festgehalten wird, obwohl dort einvernehmliche homosexuellen Beziehungen unter Er- wachsenen unter Strafe stehen. Situation im Kosovo Rund 700 deutsche Soldaten leisten derzeit Dienst im Kosovo im Rahmen des KVOR-Einsatzes mit dem Auf- trag, ein sicheres Umfeld im Kosovo aufzubauen und zu erhalten, einschließlich öffentlicher Sicherheit und Ord- nung. Es ist schwer vermittelbar, dass ein Land, in dem die Bundeswehr die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten muss, als sicherer Drittstaat eingestuft werden kann. Am Beispiel Kosovo lässt sich aber zugleich auch zeigen, wie ohne eine Einstufung als „sicherer Dritt- staat“ eine Lösung erreicht werden kann. Nachdem An- fang 2015 sehr viele Asylanträge von KosovarInnen ge- stellt wurden, hatten sich mehrere Bundesländer und der Bund verständigt, die Anträge beschleunigt zu bearbei- ten und vor Ort Aufklärungsarbeit zu leisten. Innerhalb von vier Wochen wurden über 50 Prozent der Anträge entschieden. Die Maßnahmen zeigten schnell Wirkung – denn die Zahlen der Erstanträge gingen schnell zurück. Im Januar stand der Kosovo noch auf Platz zwei der Her- kunftsländer, im September nur noch an neunter Stelle. Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat in einem Urteil vom 10. Oktober 2014 entschieden, dass Kosovo von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten in Frankreich zu streichen ist. In dem Urteil stellt das Ge- richt fest, dass ein Staat, dessen Institutionen noch in weiten Teilen von der Unterstützung internationaler Or- ganisationen und Missionen abhängig seien, nicht die Voraussetzungen erfülle. Insbesondere führe die unsiche- re politische und soziale Situation im Kosovo dazu, dass einige Bevölkerungsgruppen keinen effektiven Schutz vor gewalttätigen Übergriffen finden könnten. Die verbreitete gesellschaftliche Diskriminierung von Minderheiten unter Einschluss der Roma wird sowohl in der Gesetzesbegründung als auch in vielen Stellungnah- men zum Gesetzentwurf zu Recht problematisiert. Vor dem Kosovokrieg lebten ca. 150 000 Roma, As- hkali und sogenannte ÄgypterInnen im Kosovo. Heute sind es nur noch ca. 50 000. Ausgrenzung herrscht auf dem Arbeitsmarkt, beim Zugang zur Gesundheitsversor- gung, zur Schulbildung und zum Wohnraum. Von zent- raler Bedeutung ist die Ausgrenzung der Roma bei der medizinischen Versorgung. Das BAMF sowie die Ge- richte haben die meisten positiven Bescheide bezüglich Abschiebeschutz aufgrund gravierender Erkrankungen der Flüchtlinge und deren Nichtbehandlung im Kosovo gefällt. In der Schweiz erhielten nach Angaben von Pro Asyl 2014 rund 37 Prozent der serbischen und 40 Prozent der kosovarischen AntragstellerInnen einen Schutzstatus. Finnland gewährte 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem Kosovo Schutz. Situation in Albanien Der Deutsche Anwaltsverein mahnt an, dass ge- schlechtsspezifische Verfolgung, insbesondere sexua- lisierte Gewalt, seitens der Bundesregierung nicht hin- reichend untersucht wurde. Bezüglich Albanien wird ausdrücklich von diskriminierenden Bräuchen für junge Mädchen berichtet, allerdings eine staatliche Billigung nicht erkannt. Darauf kommt es aber gemäß Artikel 6 der Qualifikationsrichtlinie der EU (RL/EU 2011/95) nicht an. Bezüglich Kosovo und Montenegro wurde ge- schlechtsspezifische Verfolgung gar nicht untersucht. In Großbritannien wurden nach Angaben von Pro Asyl im Jahr 2014 18 Prozent der albanischen Asylsuchenden als schutzbedürftig eingestuft. Situation in Montenegro Nach Angaben des LSVD wurde beispielsweise in Montenegro das Zentrum für Lesben, Schwule, Bise- xuelle, Transgender und Intersexuelle in der Hauptstadt Podgorica laut Amnesty International allein im vergan- genen Jahr 26-mal angegriffen. 2. Flickenteppich statt Gesundheitskarte Eine flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist aufgrund der Blockadehaltung von CDU/CSU nicht gelungen. Auch die Beschränkung der Behandlungen auf „akute Erkrankungen und Schmerz- zustände“ konnte nicht gelockert werden. Das bedeu- tet nicht nur eine Zweiklassen-Gesundheitsversorgung, sondern führt auch noch zu einem je nach Bundesland unterschiedlichen Zugang zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge. In der Union haben sich diejenigen durchge- setzt, die glauben, der Zugang zu unserem Gesundheits- wesen sei das „falsche Signal“. Sie glauben völlig an der Realität vorbei, dass Menschen Tausende Kilometer und Todesängste wegen unseres Gesundheitssystems auf sich nehmen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12725 (A) (C) (B) (D) Derzeit ist das Verfahren äußerst kompliziert: Kran- ke Flüchtlinge müssen bei jeder Erkrankung erst zum Sozial amt, wo – nach zumeist langen Wartezeiten – me- dizinische Laien über jeden Arztbesuch entscheiden. Diese entscheiden, ob eine akute Erkrankung, ob ein Schmerzzustand vorliegt, der ärztlich behandelt werden darf. Erst nach Erhalt des sogenannten „Grünen Schein“ ist ein Arztbesuch möglich. Die ÄrztInnen schicken dem Amt die Rechnung, dieses bezahlt diese – nach Prüfung – direkt. So wird in den ohnehin oftmals überforderten So- zialämtern ein großer bürokratischer Aufwand geschaf- fen. Eine bundesweite Regelung hätte alle Kommunen entlastet. Die jetzt getroffene Regelung führt zu einem Flickenteppich in Deutschland. Eine Einigung war ledig- lich hinsichtlich der Ermächtigung für die Bundesländer möglich. Diese können die gesetzlichen Krankenkassen verpflichten, gegen Kostenerstattung die Krankenbe- handlungen zu übernehmen. Der AOK-Bundesverband macht in seiner Stellungnahme deutlich, dass eine Leis- tungsgewährung ohne Gesundheitskarte zu zusätzlichem Bürokratieaufwand führt, den die Krankenkassen nur unter Einsatz erheblicher personeller und sächlicher Res- sourcen bewältigen können. Eine Leistungsgewährung über von der Krankenkasse auszugebende Behandlungs- scheine in Papierform wäre angesichts der aktuellen E-Health-Gesetzgebung ein Rückfall in die Steinzeit, mahnt der AOK-Bundesverband an. Eine elektronische Gesundheitskarte ist sowohl in Stadt- als auch Flächenstaaten möglich: Hamburg und Bremen machen es uns bereits seit Langem vor, Nord- rhein-Westfalen wird es uns ab Anfang 2016 zeigen. Vom Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wür- den hingegen alle Beteiligten profitieren: Flüchtlinge, ÄrztInnen und Kommunen. Zudem kämen die Synergie- effekte besser zum Tragen, wenn der Einsatz der Gesund- heitskarte bundesweit erfolgen würde. Dem Entwurf zufolge soll die elektronische Gesund- heitskarte eine Angabe über den besonderen Status des Karteninhabers und damit über das begrenzte Leis- tungsspektrum nach den §§ 4 und 6 des Asylbewerber- leistungsgesetzes enthalten. Dies dürfte die Aufrüstung der EDV-Systeme, sowohl bei den Kassen als auch bei den Vertragsärzten und -psychotherapeuten, mit den entsprechenden Kosten erforderlich machen. Des Weite- ren ist den Ärzten eine Prüfung, ob eine Leistung dem Versorgungsanspruch nach §§ 4, 6 AsylbLG unterfällt, nicht zuzumuten. Auch die Bundesärztekammer hält es für höchst fragwürdig, den Asylbegehrenden einen nur beschränkten Leistungsanspruch nach Asylbewerberleis- tungsgesetz zu gewähren. Auch gemäß der UN-Kinderrechtskonvention müssen alle Kinder (also minderjährige Flüchtlinge bis 18 Jahre), die sich bei uns in Deutschland aufhalten, mittels Kran- kenkassenkarte vollen Zugang zur Gesundheitsversor- gung gemäß allen Büchern des SGB erhalten, und zwar unabhängig von der Asylgewährung und vom Stand ihres Verfahrens. Dies betrifft insbesondere die derzeit nicht gewährleistete Versorgung chronisch kranker und behin- derter Flüchtlingskinder sowie die Versorgung von Kin- dern mit psychischen Störungen und Traumata. 3. Verbleib von Menschen aus so genannten sicheren Drittstaaten bis zur Abschiebung in Erstaufnahmeein- richtungen Für Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Her- kunftsländern“ wird eine unbegrenzte Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen angeordnet (bis zur Ent- scheidung über Ausreise oder Abschiebung). Generell soll die Verpflichtung, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, auf sechs Monate verlängert werden können. Damit geht eine Verlängerung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbots einher. Das UNHCR hält die Ausdeh- nung der Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrich- tung zu wohnen, auf 6 Monate für problematisch. In der Realität sind die Unterkünfte in den Erstauf- nahmeeinrichtungen überfüllt, häufig nicht winterfest, und die Belegung auf engstem Raum ist auf Dauer nicht zumutbar. Die Unterbringungssituation in –Traglufthal- len, Industriegebäuden, Zeltstädten – befördert die psy- chische Belastung, soziale Ausgrenzung und Stigmati- sierung der Menschen. Darunter leiden insbesondere Familien mit Kindern und alleinstehende Frauen. Gerade aus Frauenperspektive habe ich große Bedenken gegen diese Regelung. Erst im letzten Jahr wurden für die Gruppe der Asyl- bewerberInnen im Rahmen des Rechtsstellungsverbesse- rungsgesetzes wesentliche Erleichterungen geschaffen, die jetzt wieder abgeschafft werden. Ein Zweiklassensystem bei der Aufnahme von Asyl- suchenden darf es nicht geben. Es ist diskriminierend und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar – denn ob ein Asylantrag berechtigt ist oder nicht, steht erst am Ende eines Asylverfahrens fest und darf nicht vor- weggenommen werden. Die Arbeiterwohlfahrt befürchtet zudem, dass durch die drei geplanten großen Verteilzentren für Flüchtlinge die Ressentiments in der Bevölkerung deutlich ansteigen könnten (geplant sind die Verteilzentren in Selchow am Flughafen BER, Lüneburger Heide und bei Heidelberg). Dieses einerseits, weil die geplante große Anzahl von Menschen in Unterkünften für die einheimische Bevöl- kerung beängstigend sein könnte und es rechtsgerichte- ten Gruppen einfacher macht, Ängste zu schüren, und an- dererseits, da Regionen für die Großunterkünfte gewählt wurden, die nur schwierig den Kontakt zur Bevölkerung ermöglichen werden. Gerade dieser bewusst hergestellte Kontakt zwischen den Menschen auf der Flucht und den Einheimischen hat sich aber bewährt als wirkungsvolle Maßnahme zum sozialen Zusammenhalt und zur Will- kommenskultur. 4. Negierung des Gender-Aspektes Für sehr problematisch halte ich die völlige Negie- rung des Gender-Aspektes und damit der geschlechts- spezifischen Notlagen bis hin zur sexuellen Gewalt ge- gen Frauen und Mädchen auf der Flucht bzw. in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen. Dieses Regierungsverhalten widerspricht der Istanbul-Konvention. Dabei kennt die Bundesregierung diese Notlagen: Schon 2004 lieferte eine Studie des Familienministeriums zu „Lebenssitua- tion, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutsch- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512726 (A) (C) (B) (D) land“ Hinweise: 79 Prozent der stichprobenartig befrag- ten weiblichen Flüchtlinge gaben an, in Deutschland psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein, 51 Prozent spra- chen von körperlicher, 25 Prozent von sexueller Gewalt. Gerade hat das Deutsche Institut für Menschenrechte die weitere Studie „Effektiver Schutz vor geschlechtsspezi- fischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften“ veröf- fentlicht. Hier wird der mangelhafte Schutz von Frauen angeprangert, die nach Deutschland geflohen sind. 5. Einschränkung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Das Gesetz sieht Leistungsreduzierungen für Men- schen vor, über deren Asylrecht oder Ausreisepflicht noch nicht entschieden wurde, außerdem für vollziehbar ausreisepflichtige AusländerInnen, denen keine Duldung gewährt wurde oder deren Duldung abgelaufen ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom Juli 2012 klargestellt, dass das Men- schenrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Exis- tenzminimums allen Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zukommt. Die Höhe existenzsichern- der Leistungen darf sich ausschließlich am Bedarf, nicht aber an migrationspolitischen Überlegungen orientieren. „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ hat das Bun- desverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2012 ausdrücklich festgestellt. 6. Einführung von Sachleistungen in den Erstaufnah- meeinrichtungen Gemäß § 3 Absatz 1 und 2 AsylbLG sollen die Be- hörden den Asylsuchenden künftig jegliches Bargeld, d.h. das „Taschengeld“ zur Deckung ihres soziokulturel- len Teilhabebedarfs an der Gesellschaft und zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen – Telefon, Fahrgeld, Anwalt, Kommunikation, Bildung, Kultur usw. – unter Hinweis auf die Substitution dieses Bedarfs durch Sach- leistungen in den EAEs und GUs dauerhaft teilweise oder vollständig streichen können. Die neue Sollvorschrift für die Rückkehr zum Sach- leistungsprinzip ist ein großer Schritt zurück in die 90er-Jahre. Die mühsam errungenen Fortschritte im letz- ten Jahr werden damit zunichte gemacht. Die Anwendung des Sachleistungsprinzips bedeutet nicht nur einen höheren Verwaltungsaufwand, sondern erschwert auch eine selbstständige Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe. Stattdessen sollen die Asylsu- chenden künftig für den persönlichen Bedarf „Sachleis- tungen“ beantragen, also für jede Sim‐Karte, Briefmar- ke oder Fahrkarte zum Arzt, für jeden Besuch bei einer Beratungsstelle oder Anwalt usw. erst einen begründeten Antrag bei der Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung stellen müssen. Im Ergebnis ist absehbar, dass bundesweit der Betrag je nach politischer Couleur festgesetzt, gekürzt oder ge- strichen werden wird. 7. Abschiebungen ohne Vorankündigung – de facto Abschaffung der Härtefallkommissionen Mit dem Verbot der Ankündigung einer Abschiebung wird die Arbeit der Härtefallkommissionen de facto ab- geschafft. Dabei hat sich das Härtefallkommissionsver- fahren trotz erheblicher anfänglicher Bedenken einiger Bundesländer in den meisten Bundesländern bewährt. Es hat sich herausgestellt, dass das Verfahren in vielen hu- manitären Fällen, in denen eine Aufenthaltsbeendigung als nicht mehr vertretbar erschien, zu einer vernünftigen Lösung führen konnte. 8. Beschäftigungsverbot für Personen aus sicheren Drittstaaten Ein generelles Arbeitsverbot für AusländerInnen soll verhängt werden, wenn sie sich in das Inland begeben haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungs- gesetz zu erlangen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die sie selbst zu vertreten haben, nicht vollzogen werden können oder sie Staatsangehörige ei- nes sicheren Herkunftsstaates nach § 29 a des Asylge- setzes sind und ein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt wurde. Das geplante gesetzliche Arbeitsverbot für Geduldete, die das Abschiebehindernis selbst zu vertreten haben, wird kontraproduktiv wirken und fördert Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Ausbeutungsverhältnisse. Aus Artikel 15 Absatz 1 Asyl-Aufnahme-Richtlinie 2013/33/EU ergibt sich, dass spätestens neun Monate nach der Stellung des Asylantrags ein Arbeitsmarktzu- gang zu gewähren ist. Dies gilt auch für AsylbewerberIn- nen aus sicheren Herkunftsstaaten, solange das BAMF noch nicht über den Antrag entschieden hat. Aus diesen Gründen werde ich mit Enthaltung abstim- men. Christoph Strässer (SPD): In einigen wesentlichen Punkten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus men- schenrechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesserungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kommunen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ableh- nung einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbeglei- teten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mit- teln in der Höhe von 350 Millionen Euro. Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem An- spruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün- digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein- schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungs- kürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman, und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungs- konform. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12727 (A) (C) (B) (D) Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, ent- halte ich mich der Stimme. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei der heutigen Abstimmung über das Asyl- verfahrensbeschleunigungsgesetz habe ich mich enthal- ten. Warum? Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, denn viele Kommunen – gerade in Bayern – stehen seit Mona- ten unter einer enormen finanziellen Belastung. Das hat nun auch die Bundesregierung erkannt und möchte mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz die Voraus- setzungen schaffen, dass sich der Bund dauerhaft, struk- turell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsauf- nahme beteiligt. Das ist das Gute am Gesetzentwurf der Bundesre- gierung – und das will ich ganz deutlich anerkennen. In der aktuellen Situation ist zügiges und wohlüberlegtes Handeln wichtiger denn je. Der Winter steht vor der Tür, Menschen in Not brauchen ein Dach über dem Kopf und möglichst schnelle Teilhabe an Gesellschaft, Bildung und Arbeitsmarkt. All das kostet Geld. An dieser gesamt- gesellschaftlichen Aufgabe wird sich der Bund nun ange- messen beteiligen. Allerdings enthält das Gesetzespaket zahlreiche asylrechtliche Verschärfungen, die mit einer menschen- rechtsorientierten Flüchtlingspolitik nicht in Einklang zu bringen sind. Dazu zählen insbesondere die verlängerte Verpflichtung von Asylsuchenden zum Verbleib in Erst- aufnahmeeinrichtungen, Anspruchseinschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz und die Ausweitung der Liste angeblich „sicherer Herkunftsstaaten“. Keine dieser vorgesehenen Regelungen entlastet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder trägt zur beschleunigten Bearbeitung von Asylanträgen bei. Die Reduzierung der weiterhin viel zu langen Be- arbeitungszeiten – von oftmals mehreren Jahren – sind jedoch der Dreh- und Angelpunkt auch für eine wirksame Entlastung der Länder und Kommunen. Das Gesetz beschleunigt also kein Verfahren, es ver- langsamt. Das muss man ganz klar so sagen. Und ich sage auch: Es widerspricht meinem Men- schenbild und meiner Überzeugung als grüne Abge- ordnete, dass Menschen über Monate in engen Erstauf- nahmeeinrichtungen zusammengepfercht sein sollen, wo Gewalt und Konflikte viel schneller entstehen und Menschen nicht zur Ruhe kommen, die genau das am allermeisten brauchen. Zudem steht jetzt der Winter vor der Tür. Ich will – und dafür stehe ich ein – dass wir Menschen, die vor Gewalt, Krieg, Hunger und Men- schenrechtsverletzungen fliehen, ein positives Ankom- men in unserem Land ermöglichen. Ich unterstütze kein Gesetzespaket, das widersinnige Integrationshemmnisse aufbaut und Menschen in gute und schlechte Flüchtlinge unterscheidet. Deshalb kann ich ausdrücklich nicht zustimmen. Ich möchte das Gesetzespaket aber auch nicht vollständig ablehnen, da die Kommunen jetzt schnelle und verläss- liche Finanzierung benötigen. Dieser wichtigen finanzi- ellen Unterstützung, die im Gesetz immerhin enthalten ist, kann und möchte ich keine Absage erteilen. Deshalb habe ich in den namentlichen Einzelabstimmungen so- wohl die Erweiterung der sogenannten „sicheren Her- kunftsstaaten“, die Leistungskürzungen beziehungsweise die Rückkehr zum Sachleistungsprinzip im Asylbewer- berleistungsgesetz als auch die Verlängerung der Ver- bleibsdauer in der Erstaufnahme abgelehnt. Meine aus- drückliche Zustimmung konnte ich schließlich nur der finanziellen Entlastung für Länder und Kommunen ge- ben, die Beachtliches leisten und Unterstützung dringend benötigen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern zeigt, dass Kriege auch außerhalb von Europa unmittelbaren Einfluss auf uns in Deutschland haben. Wir können das nicht mehr verdrängen. Darum wäre es am sinnvollsten, die Fluchtursachen, nämlich die Kriege und Bürgerkrie- ge im Nahen Osten oder in Afrika, zu befrieden. So weit ist die Weltgemeinschaft leider noch nicht. Gerade das Verhalten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zeigt, allen Sonntagsreden zum 70-jährigen Bestehen der Ver- einten Nationen zum Trotz, dass die Welt noch nicht mit einer Stimme spricht. Deutschland hat eine historische Pflicht nach dem zweiten Weltkrieg wahrgenommen und ein sinnvolles Asylrecht als Grundrecht in die Verfassung aufgenom- men. Denn gerade die Geschichte hat uns in Deutsch- land sehr deutlich gezeigt, dass Verfolgte Schutzräume brauchen. Viele Menschen kommen zu uns, weil das Leben in ihrer Heimat unmöglich geworden ist. Sie su- chen Schutz und wir haben ihnen zu helfen – nicht nur nach dem Grundgesetz, sondern vor allem auch als mit- fühlende Menschen. In den letzten Monaten ist die Zahl der Schutzsuchenden sprunghaft angestiegen – die Grün- de und Ursachen kennen wir dagegen schon seit vielen Jahren. Viel früher hätte die Bundesregierung sich darauf vorbereiten können und müssen. Jahrelang hat sie zuge- schaut, wie die Situation in Italien und Griechenland im- mer unerträglicher wurde. Unternommen hat sie dagegen nichts. Die Bundesregierung verweigert sich weiter prakti- kablen Regelungen für eine legale Zuwanderung. Damit bleibt den vielen Flüchtenden keine andere Möglich- keit, als sich eigenständig und ohne jede Kontrolle und Lenkungsmöglichkeit auf den Weg zu uns zu machen. Deswegen sind wir jetzt in dieser chaotischen Situati- on und haben damit Länder, Kreise und Kommunen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht. Weil die Bundesregierung jahrelang die Probleme ignoriert hat, ist sie jetzt gezwungen, im Eilverfahren Lösungen zu erar- beiten. Das heutige Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz wird sehr viele Probleme nicht lösen können. In dieser Eile und angesichts der akuten Schwierigkeiten wird es keine grundlegende und langfristig tragfähige Lösung sein. Wir werden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit schon in kurzer Zeit über weitere Maßnahmen sprechen. Trotz all dieser Punkte müssen wir jetzt etwas tun. Wir Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512728 (A) (C) (B) (D) haben – weil es die Bundesregierung so eklatant ver- säumt hat – jetzt keine Zeit, um gründlich und in Ruhe ein Einwanderungsgesetz für die geordnete Zuwande- rung oder eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwi- schen Bund, Ländern und Kommunen anzugehen. So, wie es jetzt in Kreisen und Kommunen aussieht, kann es nicht weitergehen. Wir können nicht dauerhaft auf Freiwilligenhilfe angewiesen sein. Wir müssen jetzt Unterkünfte schaffen, in denen Menschen auch im Win- ter vernünftig leben können. Wir müssen Kreise und Kommunen finanziell unterstützen, damit die Hilfe für Flüchtlinge nicht zulasten von anderen wichtigen kom- munalen Aufgaben geht. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist ein Kompromiss, der zwischen Bund und Ländern ausgehan- delt wurde. Es liegt in der Natur eines Kompromisses, dass er Teile enthält, die mir nicht gefallen und die ich ei- gentlich ablehne. Die Ausweitung der Liste sicherer Her- kunftsstaaten ist Symbolpolitik, welche Asylverfahren nur minimal verkürzen wird. Eine Entlastung der Ämter wird damit kaum erreicht, sie werden weiter am Limit ar- beiten müssen. Auch die Verlängerung der Verweildauer in einer Erstaufnahmeeinrichtung wird kaum etwas brin- gen, weil dahinter die Hoffnung steckt, die Flucht nach Deutschland unattraktiver zu machen. Wer viel Geld be- zahlt, Haus und Hof verlässt und sich teilweise zu Fuß Tausende Kilometer auf den Weg macht, für den ist es unbedeutend, ob er drei oder sechs Monate in solch ei- ner Einrichtung verbringen muss. Die Verlängerung der Verweildauer wird die Probleme eher verschärfen, weil Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit völ- lig verschiedenen Perspektiven auf engstem Raum für lange Zeit miteinander auskommen müssen. Auch der Schwenk von Geld auf Sachleistungen wird die Arbeit der Helfer vor Ort vor allem erschweren. Es ist einfacher und günstiger, Geld auszuzahlen, als bei einem individu- ellen Bedürfnis auf die Unterstützung von Helfern ange- wiesen zu sein. All diese Aspekte finde ich fragwürdig, weil sie Probleme nicht lösen können. Dennoch sind sie Teil des Kompromisses. Jeder der heute über das Asyl- verfahrensbeschleunigungsgesetz abstimmt, weiß, dass sich daran nichts mehr ändern wird. Die Landesregierungen stehen in der Pflicht, ihre Kreise und Kommunen mit den dringend benötigten fi- nanziellen Mitteln des Bundes zu unterstützen. Sie kön- nen sich nicht einfach nur die Teile des Kompromisses auswählen, die ihnen gefallen. Stimmen sie dem Kom- promiss nicht zu, gibt es auch kein Geld. Es gibt nur die- sen Kompromiss oder gar nichts. So einfach und bitter ist die politische Realität, der ich mich nicht verweigern kann. Die grün getragene Landesregierung in Schles- wig-Holstein hat sich auf diesen Kompromiss mit all sei- nen Zumutungen geeinigt, weil sie die Not vor Ort kennt. Deswegen stehe auch ich dazu. Würde ich den Kompromiss ablehnen, würde ich Kreise, Kommunen und die dort helfende Zivilgesell- schaft im bürokratischen Regen stehen lassen. Das ist für mich nicht zu rechtfertigen, weil wir das Staatsversagen auf den höchsten Ebenen weiter auf die Zivilgesellschaft abwälzen würden. Eine Enthaltung ist keine neutrale Position, sondern sie heißt, dass man zu einer bestimmten Frage keine Hal- tung hat. Ich habe aber eine Haltung zu diesem Thema, und die ist eindeutig: Wir dürfen die handelnden Men- schen vor Ort, von der Zivilgesellschaft und in den Ver- waltungen, nicht mehr alleinlassen. Darum werde ich dem Kompromiss, auf den sich auch die grün mitregier- ten Länder geeinigt haben, zustimmen. Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Michael Grosse-Brömer (CDU/ CSU) als Berichterstatter zu der Beschlussempfeh- lung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- gesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgeset- zes (Zusatztagesordnungspunkt 6) Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschlie- ßenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am 14. Oktober 2015 mache ich darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung eine Protokollerklärung abgegeben hat. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis: Protokollerklärung der Bundesregierung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Die Bundesregierung gibt aus Anlass der Beschluss- fassung des Vermittlungsausschusses zum Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes folgende Zusagen: 1. zu Nummer 2 (Artikel 2 Nummer 1, § 5 Absatz 4 RegG) Die Bundesregierung wird unverzüglich die Länder einladen, um die Rechtsverordnung gemein-sam zu erarbeiten. Grundlage für die Gespräche zwischen Bund und Ländern ist der Beschluss der Bespre- chung der Bundeskanzlerin mit den Regierungsche- finnen und Regierungschefs der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik am 24. September 2015. Es besteht Einigkeit, dass diese Rechtsverordnung ab dem 01. Januar 2016 gelten soll. 2. zu Nummer 2 (Artikel 2 Nummer 1, § 5 Absatz 5 RegG) Die Bundesregierung verpflichtet sich, im Rahmen des in Vorbereitung befindlichen Gesetzentwurfs zur Eisenbahnregulierung sicherzustellen, dass das Volumen der jährlichen länderspezifischen Steige- rung der Infrastrukturentgelte den Anstieg nach § 5 Absatz 3 RegG nicht übersteigt. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie (Tagesordnungs- punkt 10) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12729 (A) (C) (B) (D) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Im Koalitionsver- trag haben wir vereinbart, dass „wir die betriebliche Al- tersvorsorge stärken“ werden. Mit der Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie in deutsches Recht machen wir damit den Anfang. Im Gegensatz zu früheren Jahren ist es in der heutigen Arbeitswelt selbstverständlich, dass Beschäftigte in ihrem Erwerbsleben den Arbeitgeber wechseln. Nicht zuletzt durch die Globalisierung nimmt auch der grenzüberschreitende Arbeitgeberwechsel stetig zu. Das elementare Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU wird durch die neuen Regelungen der betrieblichen Altersvorsorge für die Beschäftigten geför- dert. Wir wollen gute Bedingungen für die Beschäftigten in Deutschland nicht nur für die Zeit ihres Erwerbslebens, sondern auch für die Zeit danach schaffen. Dazu gehört auch, dass jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer wissen sollte, dass die betriebliche und private Vorsorge wichtige Säulen der Alterssicherung sind. Die wichtigsten Bestandteile bei der deutschen Umset- zung der EU-Richtlinie sind: Die Herabsetzung des Un- verfallbarkeitsalters des Beschäftigten bei Anwartschaf- ten von 26 auf 21 Jahre. Die Unverfallbarkeitsfrist, ab der Betriebsrenten bei einem Arbeitgeberwechsel nicht mehr verfallen, wird von fünf auf drei Jahre abgesenkt. „Ruhende“ Betriebsanwartschaften von Beschäftigten, die nicht mehr bei dem Arbeitgeber tätig sind, müssen genauso wie aktive Anwartschaften behandelt werden. Der Auskunftsanspruch der Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer wird gestärkt. Diese Erneuerungen gelten sowohl für Beschäftigte, die innerhalb Deutschlands ihren Arbeitgeber wechseln, als auch für den EU-grenzüberschreitenden Arbeitge- berwechsel. Es sollte für einen Beschäftigten, der von Bayern nach Baden-Württemberg den Arbeitgeber wech- selt, nichts anderes gelten als bei einem Wechsel von Deutschland nach Österreich. Im Ergebnis geht der deutsche Gesetzentwurf über die Eins-zu-Eins-Umsetzung der Richtlinie hinaus. Damit nutzen wir bewusst die Spielräume einer Richtlinie. Lassen Sie mich auf einige Detailfragen eingehen. Der Auskunftsanspruch: Jeder Beschäftigte sollte wis- sen, was seine Anwartschaft beinhaltet. Transparenz und eine gewisse Planungssicherheit ermöglichen es dem Ar- beitnehmer, seine Altersvorsorge auf mehrere Säulen zu verteilen. Ich begrüße es, dass der Arbeitnehmer zukünftig kein „berechtigtes Interesse“ mehr vorweisen muss, um mehr Informationen über seine betriebliche Altersvorsorge zu erhalten. Damit beseitigen wir ein weiteres Hindernis der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge. Der Ar- beitgeber kann die Auskunft in Textform, im Sinne des § 126 b Bürgerliches Gesetzbuch also auch per E-Mail erfüllen. Diese Möglichkeit wird für Erleichterungen in vielen Unternehmen sorgen. Mit der Herabsetzung des Lebensalters für den Erhalt der Anwartschaften und der Unverfallbarkeitsfristen ver- hindern wir, dass zukünftig jüngere Arbeitnehmer ihre erworbenen Anwartschaften verlieren. Auch fördern wir damit, dass sich jüngere Beschäftigte mit ihrer Altersvor- sorge verstärkt auseinandersetzen. Bei den Kleinstanwartschaften erfolgt eine Eins-zu- Eins-Umsetzung der Richtlinie. Nach heutiger Gesetzes- lage bedarf der Arbeitgeber nicht der Zustimmung des Arbeitnehmers, wenn er Kleinstanwartschaften abfinden möchte. Durch die Ergänzung des Betriebsrentengeset- zes ändern sich bei grenzüberschreitenden Arbeitgeber- wechsel nun die Ansprüche der Beschäftigten, siehe § 3 Absatz 2 Betriebsrentengesetz. Ab Inkrafttreten der Än- derungen im Jahre 2018 bedarf es nun der Zustimmung des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber Anwartschaf- ten abfinden will. Um jedoch auch die Interessen des Ar- beitgebers nicht zu vernachlässigen und unnötigen jah- relangen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, muss der Arbeitnehmer eine Frist von drei Monaten wahren. Natürlich wollen wir auch verhindern, dass für die Ar- beitgeber, besonders die kleinen und mittelständischen Unternehmen, überflüssige Bürokratie und Ausgaben entstehen. Deshalb haben wir uns für eine Umsetzungs- frist bis 2018 entschieden. Bundesministerin Andrea Nahles hat es bereits im Juli dieses Jahres umschrieben: Es handelt sich um eine schonende Umsetzung. Die- se schonende Umsetzung ermöglicht den Unternehmen ausreichend Zeit, ihre Organisation an die neuen gesetz- lichen Umstellungen anzupassen. Die Kernaussage lautet: Mit der Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie schaffen wir bessere Bedin- gungen für die Alterssicherung von Beschäftigten. Ich bin zuversichtlich, dass weitere Schritte zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge folgen werden. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die be- triebliche Altersvorsorge hat sich traditionell seit ihrer Begründung im vorletzten Jahrhundert auf freiwilliges Engagement der Arbeitgeber gestützt. Im Rahmen der Rentenreform 2001 erhielt die BAV zusammen mit der privaten Altersvorsorge eine wichtige Funktion: Die auf kapitalgedeckter Finanzierung beruhenden Systeme soll- ten als zweite und dritte Säule der Alterssicherung den demografisch bedingten Rückgang des Leistungsniveaus in der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversiche- rung als erster Säule ausgleichen. Hierfür wurde der BAV mit der Entgeltumwandlung ein Finanzierungsinstrument an die Hand gegeben, das nun auch die Arbeitnehmer strukturell einbezog. Die Einführung der Entgeltumwandlung im Jahr 1974 hat die Akzente in der betrieblichen Altersversorgung verscho- ben. Mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf Entgel- tumwandlung 2001 wurde die BAV weiter gestärkt. Laut Alterssicherungsbericht 2012 wird die BAV in 28 Pro- zent der Fälle ausschließlich vom Arbeitnehmer finan- ziert, während dieses in 44 Prozent der Fälle gemeinsam durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschieht. Knapp 60 Prozent aller sozialversicherungspflich- tig Beschäftigten verfügen heute über eine aktive Be- triebsrentenanwartschaft. Nach einer Phase des rapiden Anstiegs unmittelbar nach der Rentenreform 2001 ver- langsamt sich das Wachstum allerdings seit 2009. Man muss genau hinschauen; denn die Zahlen geben nicht die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512730 (A) (C) (B) (D) erheblichen Verbreitungsunterschiede nach Betriebsgrö- ßen, Branchen und Einkommen wieder. Ein deutliches Gefälle zeigt die Statistik bereits zwischen Großbetrie- ben, die eine fast hundertprozentige Durchdringung auf- weisen, und KMU. Bei Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitern liegt der Anteil der Beschäftigten mit einer BAV bei über 70 Prozent, bei Unternehmen zwi- schen 50 und 200 Beschäftigten immerhin noch bei circa 50 Prozent. Bei kleineren Betrieben sinkt der Anteil kon- tinuierlich ab. Zugleich deutet vieles darauf hin, dass gerade bei geringeren Einkommen die dort eigentlich besonders nötige zusätzliche Absicherung durch BAV und auch die private Vorsorge nicht hinreichend ist. Die Statisti- ken zeigen: Je niedriger das Einkommen, desto geringer die Absicherungsquote. Wenn aber der Ausgleich des sinkenden Niveaus in der GRV durch die zusätzlichen Säulen nicht funktioniert, wäre eine zentrale Prämisse des Rentenkonzeptes nicht erfüllt und dessen politische Legitimation erschüttert. Erforderlich sind deshalb neue und zielgerichtete Impulse für die BAV jetzt, wie sie auch im Koalitionsvertrag vereinbart sind: Die Alterssicherung steht im demografischen Wan- del stabiler, wenn sie sich auf mehrere starke Säulen stützt. Deswegen werden wir die betriebliche Al- tersvorsorge stärken. Sie muss auch für Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter von Klein- und Mittelbe- trieben selbstverständlich werden. Daher wollen wir die Voraussetzungen schaffen, damit die Betriebs- renten auch in kleinen Unternehmen hohe Verbrei- tung finden. Hierzu werden wir prüfen, inwieweit mögliche Hemmnisse bei den kleinen und mittleren Unternehmen abgebaut werden können. Wir werden auch im europäischen Kontext darauf achten, dass die guten Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersvorsorge erhalten bleiben. Unter den beschriebenen Voraussetzungen wäre es ge- radezu fatal gewesen, wenn frühere Pläne der EU-Kom- mission aus dem Jahr 2005 für eine Portabilitätsrichtli- nie realisiert worden wären. Über die jetzt gefundenen Regelungen deutlich hinausgehende Erstattungs- und Mitnahmemöglichkeiten von Anwartschaften wie die Möglichkeit der Übertragung des Kapitals auf ein neu- es Rentensystem oder andere Altersversorgungsmodelle, die Verpflichtung von Unternehmen zur Anpassung von Betriebsrentenanwartschaften ausgeschiedener Arbeit- nehmer bis hin zur Anwendung der Richtlinie auch auf Altzusagen hatten wegen des großen Umsetzungsauf- wandes zum Erlahmen vieler betrieblicher Initiativen geführt. Im Zusammenhang mit Überlegungen zum „Weiß- buch Rente“ drohte vor drei Jahren weiteres Ungemach. Diese hatten die Akteure in der BAV aufgeschreckt. Die ursprünglich geplante Übertragung der für Banken und Versicherungen sinnvollen Kapitaldeckungsvorschriften auf die betriebliche Altersvorsorge hatte nach der Über- zeugung von Experten die betriebliche Altersvorsorge überfordert und zu einer Erosion der zweiten Säule der Alterssicherung geführt. Unter dem Gesichtspunkt, dass Unternehmen und Pensionssicherungsverein bereits für die Einlagen haften, waren solche Anforderungen an die Kapitalrücklagen überdies vollkommen überflüssig gewesen. Mit einem Antrag in diesem Hause haben wir vor rund drei Jahren auf die Problematik aufmerksam ge- macht. Es war nicht die leichteste Übung, die Pläne zu verhindern. Denn wir mussten die Mehrheit der EU-Mit- gliedstaaten, die keine BAV kennen, für deren Besonder- heiten sensibilisieren. Im Ergebnis konnte also Schaden von der BAV ab- gewehrt werden. Mit der Umsetzung der EU Mobilitäts- Richtlinie wird die BAV für Arbeitnehmer jetzt interes- santer, weil zum Beispiel das Risiko gemindert wird, im Falle des Arbeitnehmerwechsels Ansprüche zu verlieren, ohne dass die Unternehmen überfordert werden. Das al- les reicht aber noch nicht aus, um die angestrebte Absi- cherungsbreite zu erreichen. Weitere Schritte sind – wie dargestellt – erforderlich. Es gibt auf dem Markt eine Vielzahl guter Ideen, die sich im Ergebnis alle auch positiv auf die Angebo- te im Rahmen der BAV auswirken würden. Ich kenne Forderungskataloge, deren Umsetzung problemlos mit 15 Milliarden Euro oder mehr zu Buche schlagen wür- den. Die Kunst liegt aber auch in diesem Fall darin, einen realistischen Finanzierungsrahmen möglichst effizient einzusetzen. Mitnahmeeffekte, eine Fokussierung auf Zielgruppen mit einem bereits überdurchschnittlichen Absicherungsgrad oder gar Doppelförderungen gilt es zu vermeiden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Vergabe eines wissenschaftlichen Gutachtens „Opti- mierung der staatlichen Förderung der betrieblichen Al- tersversorgung“ durch das BMF und erhoffen uns durch dieses wertvolle Hinweise, wie wir die gesteckten Ziele erreichen können. Im Mittelpunkt der anstehenden Weiterentwicklung der BAV muss stehen, dass wieder mehr Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer zu der Überzeugung gelangen, dass sich die betriebliche Altersvorsorge lohnt. Dafür wird es nicht reichen, Geld in die Hand zu nehmen. Der Anspruch auf Entgeltumwandlung ist ja da. die Arbeit- nehmer greifen aber oft nicht zu. Zugleich müssen auch Gegebenheiten beseitigt wer- den, die den Unternehmen das Leben schwermachen – ausgerechnet denen, die bereit sind, sich besonders für die BAV zu engagieren. Hier wäre eine der Realität näher kommende steuerliche Erfassung von Pensionsrückstel- lungen ein wichtiger Schritt. Die Vorschriften zur Bi- lanzierung belasten die Unternehmen gerade in der ak- tuellen Niedrigzinsphase erheblich. Es ist ein wichtiges Signal, dass der Bundesminister der Finanzen in dieser Woche angekündigt hat, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Ralf Kapschack (SPD): Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts Richtlinie – das hört sich nicht unbedingt an wie der Titel eines Krimis. Aber es ist wie bei manchen guten Büchern: Vom Titel darf man sich nicht abschrecken lassen. Es geht um ein hochspan- nendes Thema: um die Altersversorgung von Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmern. Auch wenn sich die öffentliche Aufmerksamkeit zur- zeit auf andere Themen konzentriert: Die Frage der Al- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12731 (A) (C) (B) (D) tersversorgung in unserem Land ist eine der Fragen, die viele Menschen umtreibt. Da erwarten sie Antworten. Wir reden heute über die betriebliche Altersversorgung. Sie hat in Deutschland lange Tradition. Bei BASF etwa ist sie älter als die gesetzliche Rentenversicherung. Eine Stärkung und größere Verbreitung der betrieblichen Al- tersvorsorge ist für uns eine wünschenswerte Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung. Da müssen wir ei- niges tun. Dazu dient in gewissem Umfang auch dieser Gesetzentwurf. Wesentlicher Inhalt des vorliegenden Entwurfs ist die Verringerung der Fristen, die dazu führen, dass Ansprü- che an betriebliche Altersversorgung unverfallbar wer- den. Das kommt vor allem jungen und mobilen Arbeits- kräften zugute. Zweiter Punkt: die Wahrung von Anwartschaften, wenn der Arbeitgeber gewechselt wird. Dabei sollen die ruhenden Ansprüche ausgeschiedener Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer nicht schlechter behandelt wer- den als die Ansprüche derjenigen, die im Unternehmen bleiben. Das ist gut so, zeigt aber gleichzeitig, dass es oft nicht ohne Weiteres möglich ist, den erworbenen An- spruch auf eine betriebliche Altersversorgung mitzuneh- men. Auch da gibt es Handlungsbedarf. Dritter Punkt des Gesetzentwurfs ist die Regelung über Abfindungen Der vierte und letzte Punkt ist die Informationspflicht der Arbeitgeber oder Versorgungsträger darüber, wie Ansprüche erworbenen werden, wie hoch sie sind und wie sich ein Ende des Arbeitsverhältnisses auswirkt. Die meisten Arbeitgeber informieren schon heute, aber offen- bar nicht alle in ausreichender Form. Deshalb ist es gut, dies klar, eindeutig und zum Nutzen der Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer zu regeln. Die EU-Richtlinie will die Mobilität von Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmern zwischen den Mitglied- staaten erleichtern. Die Bundesregierung schlägt vor, die Vorgaben in das Betriebsrentengesetz so zu übernehmen, dass sie für alle gelten, auch beim Wechsel des Arbeits- platzes im Inland. Das ist richtig so. Die Diskussion bietet die Gelegenheit, sich einmal anzuschauen, wie es aussieht mit der betrieblichen Al- tersversorgung in Deutschland. Die betriebliche und ta- rifvertraglich abgesicherte Altersversorgung ist aus Sicht der SPD die beste Form der privaten und zugleich kollek- tiven Altersversorgung. Wir wollen sie stärken und durch die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit auch in Regionen und Branchen in Deutschland durchsetzen, in denen sie derzeit aufgrund der geringen Tarifbindung noch viel zu wenig genutzt wird. Nach letzten Untersuchungen haben etwa 60 Prozent der Beschäftigten Anspruch auf eine betriebliche Al- tersversorgung. Keine Überraschung ist, dass dies nach Branchen und Betriebsgrößen sehr stark variiert. In Be- trieben mit mehr als 1 000 Beschäftigten gibt es nahezu für alle ein Angebot. Im Handwerk aber, mit einer durch- schnittlichen Betriebsgröße von neun Beschäftigten, profitiert nur jeder Zehnte von betrieblicher Altersver- sorgung. Ich kann mir gut vorstellen, dass zum Beispiel die Frau des Firmeninhabers, des Klempnermeisters oder Tischlers, die die Lohnabrechnungen macht, sich nicht auch noch um betriebliche Altersversorgung kümmern will und kann. Aber daran darf eine zusätzliche Absiche- rung der Beschäftigten im Alter gerade auch im Hand- werk nicht scheitern. Auch für Mittel- und Kleinbetriebe muss betriebliche Altersversorgung selbstverständlich werden. Das hat sich die Koalition auf die Fahne geschrieben. Wenn kleine Betriebe damit überfordert sind, muss es nach unserer Ansicht Branchenlösungen geben, die vor allem kleinen Unternehmen Risiko und Organisationsaufwand abneh- men. Gleichzeitig können solche Einrichtungen durch die entsprechende Größe Kostenvorteile beim Vertrieb, bei Verwaltungskosten und bei möglichen Anlagen rea- lisieren. Das Arbeitsministerium hat dazu ja erste Ideen entwickelt. Um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker zu motivieren, eine betriebliche Altersversorgung aufzu- bauen, braucht es nach unserer Meinung aber auch an anderer Stelle Veränderungen. Heute muss jedem Be- schäftigten auf Nachfrage ein Angebot zur betrieblichen Entgeltumwandlung gemacht werden. Die SPD will, dass in Zukunft jedes Unternehmen eine entsprechende Möglichkeit anbietet, wenn die Arbeitnehmerin, der Ar- beitnehmer nicht selbst darauf verzichtet. Die Erfahrung in Nachbarländern zeigt, dass eine solche Opt-out-Rege- lung zu einer deutlich besseren Verbreitung führt. Herr Weiß, sie haben ja am Dienstag erzählt, dass sich die CDU auf ihrem Parteitag 2005 auch für eine Opt-out- Regelung ausgesprochen hat. Also, dann lassen sie uns doch da einmal etwas machen. Wir helfen gerne dabei, gute Beschlüsse der CDU umzusetzen. Attraktive Altersversorgung wird in Zukunft sicher- lich auch ein Argument sein, um Arbeitskräfte zu binden oder neue zu gewinnen. Deshalb ist das für Unternehmen nicht nur ein Kostenfaktor. Um betriebliche Altersver- sorgung für Beschäftigte lukrativer zu machen, sollten die Ersparnisse der Arbeitgeber bei der Entgeltumwand- lung eingebaut werden, in erster Linie, um die Leistung zu erhöhen. Aber vielleicht kann man ja auch darüber nachdenken, diese Mittel als Kompensation für die heute gültige Regelung zu nutzen, dass auf Betriebsrenten der volle Krankenkassenbeitrag zu zahlen ist. Die Anrechnung auf die Grundsicherung ist eine Hür- de für Geringverdiener, sich mit betrieblicher Altersver- sorgung zu beschäftigen. Wenn das Geld bei Rentenein- tritt weg ist, warum soll man dann sparen? Hier müssen Anreize geschaffen werden. Denn gerade Geringverdie- ner brauchen eine zusätzliche Absicherung im Alter. Ge- rade sie müssen auch Zugang zu betrieblicher Altersver- sorgung haben. Die bisherige staatliche Förderung muss deshalb auf den Prüfstand. Es gibt also jede Menge offener Fragen. Ich freue mich auf die Ausschussberatung des Gesetzentwurfs. Das ist dann das nächste Kapital dieser spannenden Geschichte. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sieben Millio- nen EU-Bürgerinnen und Bürger arbeiteten 2013 nicht in ihrem eigenen Land. 1,1 Millionen Beschäftigte pendel- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512732 (A) (C) (B) (D) ten nicht von Köln nach Bonn oder nach Berlin, sondern über Grenzen hinweg. 1,2 Millionen Menschen werden von ihrem Chef befristet ins Aus land entsandt. Europa ist in Bewegung, und das ist gut so. Deshalb begrüßen wir jeden Schritt, der es diesen Pionierinnen und Pionie- ren in Europa erleichtert, sich frei zu bewegen, in einem anderen Land oder auch grenzüberschreitend zu arbeiten und damit die Idee Europa Tag ein Tag aus mit Leben zu erfüllen. Bei der Frage von Rentenanwartschaften ist es oft be- sonders schwierig, sie über die Grenzen hinweg mitzu- nehmen und am Ende die unterschiedlichen Rentenpunk- te, die man mal hier und mal dort gesammelt hat, auch ausgezahlt zu bekommen. Bei Betriebsrenten ist es oft noch schwieriger. Ich danke hier vor allem dem Europäi- schen Gewerkschaftsbund, der sich dieses Themas schon vor zehn Jahren ange nommen hat, in einer Zeit, als man unter Freizügigkeit noch neoliberal verstand, dass sich Konzerne, ohne Steuern zu zahlen, mit Dumpinglöhnen und ohne Sozialstandards im Ausland niederlassen kön- nen sollten. Es begann dann eine lange Geschichte des Widerstands der Arbeitgeber, aber auch von Mitglied- staaten, die alles tun wollten, um ein Recht auf die Über- tragbarkeit von Betriebsrenten zu verhindern. Noch 2007 stimmte die Große Koalition aus Deutsch- land gegen den Richtlinienentwurf. Sieben dürre Jahre später, im vergangen Jahr, war es dann endlich soweit: Die Mobilitätsrichtlinie erleichtert die Übertragung von Betriebsrenten von einem Job zum nächsten. Betriebs- rentenanwartschaften bleiben bei einem Arbeitgeber- wechsel grundsätzlich erhalten. Das alles gilt auch bei einem Arbeitgeberwechsel im Inland. Betriebsrenten gelten jetzt nach drei und nicht mehr nach fünf Beschäf- tigungsjahren als unverfallbar und garantiert. Für diese Garantie wird auch das Mindestalter der Beschäftigten von 25 auf 21 Jahre gesenkt. Kleinstanwartschaften dürfen nicht mehr ohne Zustimmung der Beschäftigten abgefunden werden. Dies gilt allerdings nicht bei einem Wechsel innerhalb Deutschlands. Außerdem wurden die Informationsrechte der Beschäftigten über ihre Betriebs- rentenansprüche gestärkt. Das alles begrüßen wir. Das hat die Bundesregierung eins zu eins und schnell umgesetzt. Gut so! Aber lassen Sie mich zum Schluss dieses Gesetzes- vorhaben noch in den größeren Kontext einordnen! László Andor hatte 2014 als amtierender EU-Sozial- kommissar, die Mobilitätsrichtlinie begrüßt, da europa- weit die Arbeitskräfte immer stärker auf Zusatzrenten und Zusatzpensionen angewiesen seien. Auch Herr Kol- lege Weiß von der Union hat jüngst im Handelsblatt ge- warnt: Der Handlungsdruck sei immens ... Seit 2009 stag- niert die Verbreitung der bAV. Wenn das so bleibt, müssen wir eines Tages feststel- len, dass das Drei-Säulen-Modell der Altersversor- gung aus im Niveau sinkender gesetzlicher Rente, Betriebs-und Riester-Rente gescheitert ist. Herr Weiß, das ist eine bemerkenswerte Einsicht. Ich prophezeie Ihnen: Weder die richtige Mobilitäts-Richtlinie noch ihr jetzt schon bei Arbeitgebern und Gewerkschaften durchge- fallenes Sozialpartnermodell Betriebsrente werden die betriebliche Altersversorgung so attraktiv machen, dass die Lücke, die Sie durch die Senkung des Rentenniveaus in die gesetzliche Rente gerissen haben, ausgeglichen werden wird, ganz zu schweigen vom Totalausfall der Riesterrente. Das Drei-Säulen-Modell ist gescheitert. Stärken Sie endlich die gesetzliche Rente, und heben Sie das Rentenniveaus wieder auf 53 Prozent an! Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ohne Frage: Die Betriebsrente ist längst mehr als ein perso- nalpolitisches Instrument zur Mitarbeiterbindung. Sie übernimmt immer mehr auch eine sozialpolitische Funk- tion. Allerdings gilt das nur für einen ausgewählten Per- sonenkreis. Gerade Frauen, Geringverdienerinnen und Geringverdiener, Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen und in vielen Branchen, beispielsweise im Gastgewerbe oder im Gesundheitswesen, sind heute oft von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen. Im Bundessozialministerium hat man dieses Problem offensichtlich erkannt. Das ist durchaus erfreulich. Na- türlich wollen auch wir die betriebliche Altersversorgung weiter fördern und zur Verbreiterung beitragen. Nur: Be- triebsrenten sind – entgegen der Vorstellung der Bundes- regierung – kein rentenpolitisches Allheilmittel. Wir sehen es im Koalitionsvertrag und auch in den jüngsten Aussagen von Andrea Nahles: Die Betriebsrente soll es in Zukunft richten. Sie setzt alles auf eine Karte, letztlich aber doch auf das falsche Pferd. In Zukunft müs- se nach dem Willen der Bundesregierung in erster Linie die betriebliche Altersversorgung das Absinken des Ren- tenniveaus ausgleichen. Dies aber könnte in der Theorie nur dann gelingen, wenn tatsächlich jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer in Ost und West, in Rostock, in Leipzig oder in Dortmund, in jeder Branche und in jedem Betrieb, ob groß oder klein, Zugang zu einem Betriebs- rentenangebot erhält und dieses auch annimmt. Dahin wäre es noch ein weiter Weg. Wer also die umfassende und alle einbeziehende Si- cherungsfunktion des Alterssicherungssystems bewahren will, muss realistischer Weise alle drei Säulen der Alters- sicherung in den Blick nehmen und besonders die gesetz- liche Rente stärken. Es braucht vor diesem Hintergrund schon beson- ders wirksame rentenpolitische Scheuklappen, um, wie die Koalition, die beiden anderen Säulen ganz aus dem Blickfeld verschwinden zu lassen. Die in ihrer bisherigen Form gescheiterte Riester-Ren- te? Die Bundesregierung ignoriert sie und all die offen- kundigen Probleme. Wenn überhaupt: Mehr als kosme- tische verbraucherpolitische Maßnahmen sind bei der dritten Säule von der Koalition bis zur Bundestagswahl nicht zu erwarten. Die Entwicklung des Rentenniveaus, besonders nach 2030? Dazu hört man von Andrea Nahles nicht mehr als Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12733 (A) (C) (B) (D) betretenes Schweigen. Dabei war es gerade die gefor- derte private Altersvorsorge, die die Leistungseinschrän- kungen bei der gesetzlichen Rente ausgleichen und damit auch rechtfertigen sollte. Die Bundesregierung hat keine Antworten auf die offensichtlichen Probleme der ersten und der dritten Säule. Umso beschämender ist es, dass selbst auch bei der groß angekündigten Betriebsrentenreform keinerlei Fort- schritte zu vermelden sind. Die Nahles-Rente, das „Neue Sozialpartnermodell Betriebsrente“, droht – ironischer- weise – gerade am massiven Widerstand der Sozialpart- ner zu scheitern. Zwei Entwürfe des Sozialministeriums sind bereits durchgefallen. Selbst ein Minimalkonsens zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften steht in den Sternen. Davon abgesehen erscheint der bisherige Vor- schlag des BMAS, zum Beispiel zu gemeinsamen Ein- richtungen …, wenig geeignet, um tatsächlich eine fast vollständige Verbreitung der Betriebsrente erreichen zu können. Würden Sie sich ehrlich machen, müssten wir eigentlich über eine gesetzliche Lösung diskutieren, also etwa über eine mit jedem Arbeitsvertrag automa- tisch verbundene Betriebsrente mit einer Opt-out-Opti- on für die Beschäftigten. Vielleicht mangelt es Ihnen an Mumm, einen solchen Vorschlag gegen die Sozialpartner durchzusetzen. Dass wir angesichts der verfahrenen und peinlichen Blockadesituation bei der Nahles-Rente überhaupt über Betriebsrenten diskutieren, ist allein der Europäischen Union zu verdanken. Wir begrüßen, dass die Bundesre- gierung über die Europäische Mobilitäts-Richtlinie nach jahrelanger Verzögerung angehalten wird, endlich zu handeln. Die Richtlinie erleichtert es vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, betrieblich für das Alter vorzusorgen. Gerade Jüngere werden davon profitieren, dass sie auch schon Anfang 20 wirksame Versorgungsanwartschaften aufbauen können, auch dann, wenn sie ihren Arbeitsplatz innerhalb der Europäischen Union wechseln. Ebenso sind die im Gesetzentwurf vorgesehene Dynamisierung der Anwartschaften von ehemaligen Beschäftigten sowie die Verkürzung der Unverfallbarkeitsfristen von fünf auf drei Jahre ein Schritt in die richtige Richtung. Letztlich ist aber auch klar: Zu mehr, als die europä- ische Minimalforderung umzusetzen, scheint die Koali- tion nicht fähig. Was das für die konfliktträchtige Ausei- nandersetzung um die Nahles-Rente bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfah- rensrechts (Tagesordnungspunkt 17) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ich freue mich, dass ich zur heutigen Debatte zum Unterhaltsrecht nicht nur als Jurist, sondern insbesondere auch als Familienpoli- tiker die Gelegenheit habe, mich an der Diskussion zu beteiligen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts haben wir die rechtlichen Grundlagen im Hinblick auf den Mindestunterhalt, das vereinfachte Verfahren im Kinderunterhaltsgesetz und die Regelungen im Auslandsunterhaltsgesetz überarbei- tet und angepasst. Erstens. Schaffung einer neuen Bezugsgröße für den Mindestunterhalt von Kindern Wir haben uns innerhalb der Koalition zum einen dar- auf verständigt, eine neue Bezugsgröße für den Mindest- unterhalt von Kindern zu schaffen. Der in § 1612 a BGB geregelte Mindestunterhalt soll sich künftig nicht mehr an den steuerrechtlich geprägten Kinderfreibetrag anleh- nen, sondern das steuerfrei zu stellende sächliche Exis- tenzminimum minderjähriger Kinder soll Anknüpfungs- punkt für die künftige Berechnung sein (§ 1612 a Satz 2 BGB). Zwar orientieren sich die derzeit noch geltenden Regelungen auch am entsprechenden Existenzmini- mumssatz, allerdings ist es diesbezüglich zu Abweichun- gen zwischen der Höhe des Mindestunterhalts und des Existenzminimums minderjähriger Kinder gekommen, die wir mit der im vorliegenden Entwurf vorgeschlage- nen Regelung nunmehr ausräumen. Seit der Unterhalts- rechtsreform aus dem Jahr 2008 war der Mindestunter- halt zentraler Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des Unterhalts für minderjährige Kinder. Der Umfang und die Höhe des Existenzminimums von Kindern werden künftig alle zwei Jahre auf Basis des Existenzminimumsberichts der Bundesregierung im Rahmen einer Rechtsverordnung –erstmals am 1. Janu- ar 2016 –durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz festgelegt. Durch diesen regelmäßi- gen Anpassungszyklus stellen wir sicher, dass nachtei- lige Folgen für Familien durch eine verzögerte Anpas- sung oder eine Unterschreitung des Steuerfreibetrages/ Mindestunterhaltes unterhalb des sächlichen Existenz- minimums künftig vermieden werden und es zu einer schnelleren Anpassung des Mindestunterhalts für min- derjährige Kinder kommt. Situationen wie die in diesem Jahr, wo die Freibetragsanhebung zu Beginn des Jahres nicht rechtzeitig erfolgt ist und der Mindestunterhalt für die Kinder in der ersten Jahreshälfte das Existenzmini- mum nicht voll gedeckt hatte, werden durch die neue Re- gelung in Zukunft vermieden. Zweitens. Neuordnung des vereinfachten Verfahrens beim Kindesunterhalt: Neben dem regulären Unterhaltsverfahren besteht die Möglichkeit, zur Existenzsicherung vom Unterhaltsver- pflichteten beim Familiengericht im Rahmen des soge- nannten vereinfachten Verfahrens nach §§ 249 – 260 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) noch schneller, benutzerfreundlicher und effi- zienter Unterhalt für ein minderjähriges Kind vollstre- ckungsfähig festsetzen zu lassen. Das vereinfachte Ver- fahren nach den §§ 249 ff. FamFG hat sich nach seiner Einführung durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder aus dem Jahr Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512734 (A) (C) (B) (D) 1998 als ein zügiges und einfaches Unterhaltsfestset- zungsverfahren zur Existenzsicherung minderjähriger Kinder etabliert und auch bewährt. Um ein Beispiel zu nennen: Im Jahr 2013 sind von fast 76 000 erledigten Kindesunterhaltsverfahren knapp 28 000 – also etwa 36 Prozent – im vereinfachten Verfahren beantragt wor- den. Aus diesen Gründen wollen wir an diesem Verfah- ren auch grundsätzlich festhalten und lediglich in einigen Bereichen noch passgenau nachjustieren. Insbesondere die nach der Kindesunterhalt-Formular- verordnung (KindUFV) vorgeschriebene Benutzung ei- nes bundeseinheitlichen Formulars zur Beantragung des Unterhalts hat sich in der Praxis als zu kompliziert und anwenderunfreundlich erwiesen. Unserer Intention, dem Kind schnellstmöglich die dringend benötigte finanzielle Unterstützung so schnell und so unkompliziert wie mög- lich zur Verfügung zu stellen, konnten wir mit diesem Verfahren nicht immer nachkommen. Diesbezügliche Anträge und Einwendungen waren bislang stets formu- largebunden. Aus der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die Antragsteller zum überwiegenden Teil Behörden sind (Jugendamt, örtliche Sozialbehörden), die im Rahmen der Beistandschaft und in Fällen des Anspruchsüber- gangs nach dem Unterhaltsvorschussgesetz das Ver- fahren nutzen und für die kein Formularzwang besteht (§ 1 II KindUFV). Sie stehen Elternteilen als Antrags- gegner gegenüber, die hingegen stets zur Verwendung des sogenannten Einwendungsformulars verpflichtet sind. Gerade aber für den (nicht anwaltlich vertretenen) Antragsgegner gestaltete es sich im Rahmen dieses Ver- fahrens schwierig, seine Einwendungen zu erheben und seine Rechte geltend zu machen. Auch im Hinblick auf die Verfahren mit Auslandsbe- zug hat sich das vereinfachte Verfahren, insbesondere in Bezug auf den Übersetzungsaufwand der Formulare, ebenfalls als nicht praxistauglich erwiesen. Im Rahmen der Beantragung des Kindesunterhaltes im vereinfachten Verfahren wollen wir durch entsprechen- de Änderungen im Bereich des Kindesunterhaltsgeset- zes, der Kinderunterhalts- Formularverordnung und des Gesetzes über Gerichtskosten in Familiensachen dafür Sorge tragen, dass sich das Verfahren nunmehr effizien- ter und benutzerfreundlicher gestaltet. Aus diesem Grund soll unter anderem im FamFG der sogenannte „Formu- larzwang“ entfallen, Regelungen zu den Einwendungen des Antragsgegners und zum Übergang in das streitige Verfahren geändert werden. Der Bundesrat hat sich im Hinblick auf die Abschaf- fung des verpflichtend zu nutzenden Einwendungsfor- mulars und dem damit einhergehenden geringeren Über- setzungsaufwand dafür ausgesprochen, die Verfahren mit Auslandsbezug nicht aus dem Anwendungsbereich für das vereinfachte Verfahren herauszunehmen. Den Forderungen des Bundesrates tragen wir mit un- serem diesbezüglichen Änderungsantrag nunmehr Rech- nung – das vereinfachte Verfahren soll auch in Auslands- fällen weiter angewandt werden können. Drittens. Änderung des Auslandsunterhaltsgesetzes Ferner enthält der Gesetzentwurf der Bundesregierung in Bezug auf das Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) – wel- ches die grenzüberschreitende Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen regelt – einige Anpassungen, die infolge einer Entscheidung des EuGH zur örtlichen Zu- ständigkeit der deutschen Familiengerichte in Unter- haltssachen notwendig geworden sind. Zudem führen wir eine gesetzliche Gebührenregelung für die Einreichung einer Schutzschrift zum elektroni- schen Schutzschriftenregister ein. Ich denke, dass es uns mit dem vorliegenden Gesetze- sentwurf nicht nur gelungen ist, das Unterhaltsverfahren zu entbürokratisieren, praxistauglicher und anwender- freundlicher zu gestalten, sondern – und das sage ich ge- rade als Familienpolitiker – Regelungen Eingang in das Unterhaltsrecht gefunden haben, die dem Kindeswohl noch besser entsprechen und den betroffenen Familien zu Gute kommen. Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): In ab- schließender Beratung debattieren wir heute den Gesetz- entwurf der Bundesregierung, in dem es hauptsächlich um Änderungen im Unterhaltsrecht und im Unterhalts- verfahrensrecht sowie um einige kleine marginale Ände- rungen in der ZPO geht. Wir haben es hier im Unterhalts- recht nicht mit dem von manchen geforderten großen Wurf zu tun, dennoch beschließen wir wichtige Dinge. Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es im Wesentlichen um zwei Punkte: Erstens um den Mindestunterhalt für minderjährige Kinder, also um das Geld, welches Kinder von Ihren Eltern nach der Trennung oder Scheidung erhalten. Ein Elternteil leistet in der Regel den Unterhalt in Form von Betreuung, der andere zahlt. Das sind zurzeit für die Kleinsten bis 5 Jahre 236 Euro, für die 6- bis 11-Jähri- gen 284 Euro, für die 12- bis 17-Jährigen 348 Euro und für Jugendliche ab 18 Jahren 320 Euro, immer ohne das Kindergeld. Wie errechnet man nun diesen Mindestunterhalt? Der Mindestunterhalt richtet sich aktuell noch nach dem dop- pelten Freibetrag für das sachliche Existenzminimum ei- nes Kindes, dem sogenannten Kinderfreibetrag. Derzeit ist der Mindestunterhalt also vom Einkommenssteuerge- setz abhängig. Dies wurde von der Praxis vielfach kri- tisiert. Die Anknüpfung an das Einkommensteuergesetz hat aufgrund verschiedener steuerlicher Verhältnisse der beteiligten Eltern zu Abweichungen des Mindestunter- halts vom Existenzminimum geführt. Der Gesetzentwurf will nun den Mindestunterhalt an das sachliche Existenz- minimum minderjähriger Kinder anknüpfen, und zwar unabhängig von den steuerlichen Verhältnissen der El- tern. Alle zwei Jahre wird dann die Höhe des Mindest- unterhalts per Verordnung des BMJV auf Grundlage des Existenzminimumberichts der Bundesregierung festge- legt, beginnend mit dem 1. Januar 2016. Die Änderung soll eine Unterdeckung des sachlichen Existenzmini- mums, wie in der Vergangenheit vorgekommen, verhin- dern. Also, meine Damen und Herren, eine gute Rege- lung im Sinne der Kinder. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12735 (A) (C) (B) (D) Zweitens ändert der Gesetzentwurf das sogenannte vereinfachte Verfahren zur Festsetzung der Unterhalts- ansprüche minderjähriger Kinder. Im Prinzip hat sich dieses Verfahren bewährt. Dies belegen auch die entspre- chenden Zahlen. Es ist auch sinnvoll, dass Gläubiger von Kindesunterhaltsansprüchen diese leichter geltend ma- chen können als im streitigen Verfahren und damit das Existenzminimum minderjähriger Kinder schneller und einfacher gesichert wird. Der 20. Deutsche Familiengerichtstag hat am 20. Sep- tember 2013 Vorschläge zur Fortentwicklung des Verfah- rens vorgelegt, die weitgehend im vorliegenden Gesetz- entwurf umgesetzt wurden. Der Begriff des vereinfachten Verfahrens ist vielleicht etwas irreführend. Es gilt als kompliziert und stark formalisiert. Deshalb ist eine Fort- entwicklung nötig. In der anwaltlichen Praxis kommt das Verfahren kaum vor. Ich habe es in meiner familienan- waltlichen Tätigkeit sehr selten verwendet. Es hat sich gezeigt, dass das vereinfachte Verfahren auf Seiten des Antragstellers von lediglich einer relativen kleinen An- zahl normaler Menschen, der Gesetzentwurf spricht von Naturalbeteiligten, genutzt wird. Ganz im Gegensatz zu den Behörden und Ämtern, diese benutzen das formali- sierte Verfahren gern zur Durchsetzung von Rückforde- rungsansprüchen im Rahmen des Unterhaltsvorschusses. Rechtliche Laien als Antragsteller taten sich mit den wenig anwenderfreundlichen Formularen schwer. Mit rechtlich geschulten und erfahrenen Behördenmitarbei- tern auf der Antragsgegnerseite blieb von der viel zitier- ten Waffengleichheit im Verfahren nicht viel übrig. Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Ände- rungen machen das Verfahren praktikabler, leichter zu- gänglich und effizienter. Hervorzuheben ist hierbei die geplante Abschaffung des Formularzwangs bei Einwen- dungen des Antragsgegners Im Änderungsantrag sind nun die Einzelheiten zur Vorlagepflicht von Unterlagen, die die Erfüllung des Anspruchs nachweisen sollen, verändert worden. Dabei sind meines Erachtens die Anforderungen der Praxis gut umgesetzt worden. Weiterhin war zunächst geplant, Verfahren mit Auslandbezug wegen hoher Kosten und hohen Zeitaufwands vom Verfahren auszunehmen. Nach der Stellungnahme des Bundesrates bleibt alles beim Al- ten. Auch Auslandsverfahren können im vereinfachten Verfahren geltend gemacht werden. In der Praxis werden fast alle Kinderunterhaltsverfahren mit Auslandsbezug im vereinfachten Verfahren erledigt. Das sollten wir so beibehalten. Nicht mit Bezug zum Unterhaltsrecht wurde im Än- derungsantrag außerdem eine kleine Änderung in der ZPO auf den ursprünglichen Gesetzentwurf aufgesattelt. Diese setzt die gerichtliche Gebühr für das Schutzschrif- tenregister in Höhe von 83 Euro fest. Der Bundesrat hat sich darauf verständigt, dass das Land Hessen das Regis- ter führen soll. Es dient dazu, Schutzschriften – das sind vorsorglich eingereichte Schriftsätze in Erwartung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – auf- zunehmen. Also, in der Form des Änderungsantrags ist eine deut- liche Verbesserung der rechtlichen Lage zu erkennen, und darum sollte es uns bei unserer Arbeit ja immer ge- hen. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. Sonja Stetten (SPD): Trennt sich ein Paar, geht es bei den Streitigkeiten, die vor Gericht ausgetragen wer- den, fast immer ums Geld oder um die Kinder. Egal wie die Streitigkeiten ausgehen, die gemeinsamen Kinder ha- ben darunter am meisten zu leiden. Das Unterhaltsrecht regelt theoretisch sehr genau die finanziellen Ansprüche der Kinder im Fall einer Tren- nung der Eltern. Mit dem Mindestunterhalt soll sicherge- stellt werden, dass der Lebensbedarf des Kindes gedeckt wird. Dass die Eltern hier in der Verantwortung stehen und dazu verpflichtet sind, den Lebensbedarf ihrer Kin- der finanziell abzusichern, sollte eine Selbstverständlich- keit sein. Ist es aber leider oft nicht! Wir wissen aus der Praxis, dass es genügend Fälle gibt, in denen ein Elternteil versucht, sich vor den Un- terhaltszahlungen zu drücken. Zum Beispiel indem das eigene Einkommen klein gerechnet oder die Zahlungen einfach nicht getätigt werden. Die dem Kind zustehenden Unterhaltsansprüche müs- sen ermittelt und festgelegt werden, um dann durchge- setzt werden zu können. Das ist alles nicht immer ganz einfach. Damit es zumindest etwas einfacher wird, brin- gen wir heute einige Änderungen auf dem Gebiet des Unterhalts- und des Unterhaltsverfahrensrechts auf den Weg. Nicht nur die Familienrechtler waren zunächst ein- mal sehr froh, als das Vereinfachte Unterhaltsverfahren 1998 eingeführt wurde. Allerdings war die Enttäuschung dann wiederum ebenfalls sehr groß, als man die Flut von auszufüllenden Anträgen und Einwendungen auf dem Schreibtisch hatte. Für die Jugendämter mag dies tatsachlich eine „Vereinfachung“ gewesen sein. Für die Anwälte und vor allem aber auch die jeweiligen Unter- haltsgläubiger war es das nicht. Aus dem Vereinfachten Unterhaltsverfahren wurde ein „erschwertes“ und oft ge- nug wegen der formalen Zwänge sogar ein „verschlepp- tes“ Unterhaltsverfahren. Die Praxis, sprich, Richter, Anwalte und Jugendämter, aber vor allem auch betroffene Elternteile, werden daher die geplanten Änderungen mit Sicherheit begrüßen. In dem geplanten Gesetz geht es allerdings nicht nur um das vereinfachte Unterhaltsverfahren. Auch der Min- destunterhalt wird künftig auf andere Füße gestellt. Es ist gut, dass der Mindestunterhalt zukünftig nicht mehr am einkommensteuerrechtlichen Existenzmini- mum, sondern am sachlichen Existenzminimum min- derjähriger Kinder ausgerichtet wird. Die Höhe des Mindestunterhalts soll in einer vom Ministerium zu er- lassenden Rechtsverordnung festgelegt werden. Entspre- chend dem Rhythmus der Existenzminimumberichte der Bundesregierung ist vorgesehen, den Mindestunterhalt für minderjährige Kinder alle zwei Jahre anzupassen. Die formale Anknüpfung an die steuerrechtlichen Kinderfrei- beträge hat in der Praxis zu sozialen Ungerechtigkeiten geführt. So lag der Betrag nach dem Existenzminimum- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512736 (A) (C) (B) (D) bericht 2014 um 6 Euro über dem geltenden Mindestun- terhalt. Mit der Befugnis zur Rechtsverordnung knüpft man an die bis 2007 geltende Tradition der früheren „Regel- satzverordnung“ an. Ich möchte die heutige familienrechtliche Debatte dazu nutzen, noch etwas zum Thema moderne Familien- bilder und Umsetzung entsprechender Modelle zu sagen. Junge Eltern wollen heute immer öfter viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Die Elternzeit wird auch von jungen Vätern gerne und immer öfter in Anspruch ge- nommen. Und umgekehrt wollen junge Mütter ihre be- ruflichen Ziele nicht mehr für die Familie aus den Augen verlieren. Die Zeiten, in denen der Vater lediglich gezahlt und sich die Mutter um die gemeinsamen Kinder geküm- mert hat, sind weitestgehend vorbei. Die Zeiten haben sich geändert, haben sich zum Glück geändert. Die Kinder halten sich heute immer häufiger, auch nach Trennungen, anteilig bei beiden Elternteilen auf. Unsere heutige Rechtspraxis trägt diesen veränderten Lebenswirklichkeiten nicht Rechnung, jedenfalls nicht ausreichend. Unsere Unterhalts-, Umgangs- und Sorge- rechte stammen noch aus einer Zeit, in der klassische Rollenmuster galten. Das heißt: Das Recht hinkt den Re- alitäten hinterher. Deshalb müssen wir gemeinsam über- legen, wie wir hier Abhilfe schaffen können. Innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion wird das The- ma derzeit im Austausch mit Fachleuten intensiv disku- tiert. Was wir heute auf jeden Fall sagen können, weil wir es aus der Praxis wissen, ist, dass sich schon heute vie- le Eltern für eine hälftige Betreuung und Versorgung der Kinder entscheiden. Und dabei liegen die Vorteile ja klar auf der Hand: Beide Elternteile verbringen Zeit mit den Kindern. Die Kinder haben bei Vater und Mutter ein Zuhause. Sie erleben Alltag, Freizeit und Ferien mit beiden Eltern- teilen. Es gibt also kein Tauziehen um den Nachwuchs, der alle Seiten belastet. Es gibt kein Elternteil, bei dem die Kinder lediglich „zu Besuch“ sind. Vater und Mutter tragen gemeinsam Verantwortung. Es liegt an unseren zunehmend flexiblen Arbeitszei- ten, dass es für Familien immer mehr Möglichkeiten gibt, dieses Modell zu leben. Allerdings sind unterhaltsrechtli- che, steuer- und sozialrechtliche Fragen noch überhaupt nicht geklärt. Jedenfalls kann es nicht sein, dass der gut- verdienende Elternteil durch das Wechselmodell in Gän- ze von seiner Unterhaltspflicht befreit wird. Denn dann sind die Kinder die Leidtragenden. Und uns geht es ja vor allem um das Wohl des Kindes. Hier müssen wir für die Gerichte und Jugendämter, aber auch für die Jobcenter und Familienkassen verbindliche Regelungen schaffen. Natürlich bleibt die Frage über die Betreuung der gemeinsamen Kinder eine höchst individuelle Entschei- dung. Was der Gesetzgeber aber leisten kann, ist, Impul- se zu geben. Und er kann das rechtliche Handwerkszeug dahingehend andern, dass es an die realen Lebensverhält- nisse in unserer modernen Gesellschaft angepasst wird. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir eine ge- rechte und vor allem familienfreundliche Gesetzgebung schaffen. Das kommt unseren Kindern zugute und also unserer Zukunft. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Grundsätzlich ist eine Änderung im Unterhaltsrecht zu begrüßen. Die Bun- desregierung lässt hier aber eine gute Möglichkeit für eine größere Reform verstreichen. Es steht außer Frage, dass eine Anhebung des sächlichen Existenzminimums und damit zugleich eine Anpassung der Düsseldorfer Ta- belle überfällig ist. Allerdings bleibt der Entwurf hinter den Erwartungen an mehr Transparenz und Konsistenz der Regelung zurück. Schön ist, dass das vereinfachte Verfahren anwen- derfreundlicher gestaltet werden soll und ein Ausgleich des vorhandenen Ungleichgewichts zwischen Behörden (kein Formularzwang) und natürlichen Personen (jetzt auch ohne Formularzwang bei Geltendmachung von Ein- wendungen) angestrebt wird. Problematisch ist aber beim Artikel 2 des vorliegen- den Gesetzes (§§ 249 ff. FamFG-E) beim Unterhalts- vorschuss die fehlende Unterrichtung des betreuenden Elternteils (in der Regel noch immer die Mutter) über den Anspruchsübergang und die Geltendmachung der Ansprüche durch das Jugendamt mit der Konsequenz, dass es zu einer mehrfachen Rechtsverfolgung und im ungünstigsten Fall auch zur doppelten und unterschiedli- chen Titulierung kommen kann. Von daher hätten Infor- mations- und Anzeigepflichten normiert werden können, um derartig mögliche Kollisionen zu vermeiden. Und auch durch die Anknüpfung des Mindestun- terhalts an das sächliche Existenzminimum nach dem Existenzminimumsbericht der Bundesregierung ergibt sich das Problem, dass dieser ans SGB anknüpft und die dortigen Bedarfe zugrunde gelegt werden, die mitunter zu niedrig angesetzt sind, weil pauschalisiert, und den realen Existenzbedarf nicht abbilden. Hier hätte grund- legend über die Bedarfe neu entschieden werden müssen. Im Übrigen heißt das auch, dass der Mindestunterhalt nie höher liegen kann, als das nach dem Existenzmini- mumbericht errechnete sächliche Existenzminimum für Kinder, selbst wenn die steuerlichen Kinderfreibeträge wieder darüber lägen. Dies würde eine Verschlechterung für unterhaltsbe- rechtigte Kinder gegenüber der geltenden Rechtslage darstellen. So war das beispielsweise 2012 der Fall. Der Steuerfreibetrag betrug 4 368 Euro, das sächliche Exis- tenzminimum 4 272 Euro. Also 96 Euro unter dem Steu- erbetrag. Das heißt, dass monatlich 8 Euro weniger ge- zahlt worden wären, wenn das jetzt vorliegende Gesetz bereits gegolten hätte. Der VAMV hat in seiner Stellung- nahme vom Juli 2015 dieses Beispiel für 2012 ausführ- lich vorgerechnet. Diese mögliche Schlechterstellung hätte mit einem einfachen Satz als Ergänzung im Gesetz verhindert wer- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12737 (A) (C) (B) (D) den können. Beispiele dafür sind in den Stellungnahmen der beteiligten Verbände genannt. Außerdem stellt die Rechtsverordnung des BMJ nicht sicher, dass das durch den Existenzminimumbericht be- kanntgegebene sächliche Existenzminimum für Kinder zeitnah in das Unterhaltsrecht weitergereicht wird. Insgesamt ist festzustellen, dass das Unterhaltsrecht insgesamt neu zu überdenken ist und dabei die Schnitt- stellen zum Steuer und Sozialrecht mit in den Blick ge- nommen werden müssen. Dazu gehört auch ein Überden- ken der Düsseldorfer Tabelle. Dazu ist jedoch ein großer Gesamtentwurf vonnöten. Die Bundesregierung bleibt aber mit diesem Entwurf auf halben Weg stehen. Der halbe Weg, deshalb auch nur ein halbes Ja von der Linken. Von daher werden wir uns bei diesem Gesetz enthalten. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetz soll der Mindestunterhalt in § 1612 a BGB künftig direkt an das sächliche Existenz- minimum des Kindes angeknüpft werden – ohne Umweg über den steuerlichen Kinderfreibetrag. Das vermeidet Divergenzen zulasten der Kinder durch zeitliche Ver- zögerungen bei der Anpassung. Künftig soll also das Justizministerium beginnend mit dem 1. Januar 2016, alle zwei Jahre den Mindestunterhalt durch Rechtsver- ordnung festlegen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Sie wollen darüber hinaus mit Ihrem Gesetz das vereinfach- te Verfahren vereinfachen. Auch das ist eine gute Idee. Der Formularzwang für die Einwendungen gegen die Festsetzung und Titulierung war und ist eine Zumutung und führt zu oft zu fehlerhaften Unterhaltstiteln. Die Abschaffung des Formularzwanges ist daher berechtigt. Entgegen dem ursprünglichen Vorschlag soll das verein- fachte Verfahren jetzt doch weiter zulässig sein, wenn der Antragsgegner im Ausland wohnt. Das ist in der Tat besser, weil am Ende dem Kind das jeweils effizientere Verfahren zur Wahl stehen sollte, und die inländischen Gerichte am Wohnort des Kindes ohnehin zuständig sind. Nicht hilfreich ist allerdings die neue Möglichkeit von Teilfestsetzungen bei entsprechender Verpflich- tungserklärung des Unterhaltschuldners. Das macht das anschließende streitige Verfahren über den Restbetrag intransparenter und fehleranfälliger. Besser wäre es ge- wesen, im streitigen Verfahren immer den vollständigen Unterhaltsanspruch zum Streitgegenstand zu machen. Am Ende bleibt dieser kleine Makel allerdings nicht das einzig Unbefriedigende im Rahmen des Kindesunter- halts. So stellt sich zum Beispiel die grundlegende Frage, warum eigentlich sozialrechtliches, steuerrechtliches und unterhaltsrechtliches Existenzminimum eines Kindes ständig auseinanderfallen. Könnte man nicht einmal über eine unbürokratischere und einheitlichere Absicherung von Kindern in diesem Land nachdenken? Nachdem ich zehn Jahre lang als Fachanwältin für Familienrecht Unterhalt berechnet und eingeklagt hatte, musste ich feststellen, dass die Beantragung, die Anrech- nung, die Rückübertragung, die Vollstreckung oder Auf- rechnung mehr Aufwand verursachte, als das Kind selber jemals für sich beansprucht. Je ärmer das Kind, desto mehr Behörden beschäftigen sich mit seinem Bedarf. Nach meiner Berechnung würden wir uns und die Kin- der in diesem Land erheblich besser stellen, wenn wir all die zerstückelten Teilleistungen abschaffen und stattdes- sen eine Kindergrundsicherung in Höhe des sächlichen Existenzminimums an alle auszahlen. Was wäre das für eine Entlastung für Jugendämter, Jobcenter, Sozialämter, Finanzämter und Familienkassen! Der steuerliche Kin- derfreibetrag könnte ebenso entfallen wie der Kinderre- gelsatz bei Hartz IV. Die Mangelfallberechnungen würde niemand vermissen! Auch die Familiengerichte würden entlastet, weil Kindesunterhalt überhaupt nur noch ober- halb des Mindestbedarfes geltend gemacht würde. Nehmen Sie also diesen Vorschlag mit, und denken Sie einmal über einen wirklich großen Wurf nach. Ihrer Fehlerkorrektur im Kleinen stimmen wir heute trotzdem zu. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu Änderung des Umwelt-Rechtsbefehlsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. No- vember 2013 in der Rechtssache C-72/12 (Tages- ordnungspunkt 19) Oliver Grundmann (CDU/CSU): Wir sprechen heu- te über wichtige Änderungen im Umwelt-Rechtsbehelfs- gesetz. Was ist der Hintergrund? Mit Urteil vom 7. November hat der Europäische Gerichtshof die Klagerechte von Gemeinden und Pri- vatpersonen sowie von anerkannten Umweltverbänden erweitert. Dieses Recht wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in nationale Gesetzgebung überführen. Gemeinden und Privatpersonen, die von den Ergeb- nissen einer Umweltverträglichkeitsprüfung betroffen sind, sollen künftig unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsbehelf einlegen können. Bei fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfungen wird zwischen abso- luten und relativen Verfahrensfehlern unterschieden und die unterschiedlichen Fehlerfolgen klarstellend geregelt. Die dritte große Änderung ist die Beweislastumkehr bei gerügten und offensichtlichen Fehlern der Umweltver- träglichkeitsprüfung. Bislang musste durch einen Kläger nachgewiesen werden, dass die Entscheidung über das Vorhaben ohne fehlerhafte UVP voraussichtlich anders ausgefallen wäre. In Zukunft muss der Vorhabenträger beweisen, dass trotz des beanstandeten Fehlers die Ent- scheidung gerade nicht anders ausgefallen wäre. Das Ziel dieser Gesetzgebung ist es, die Verfahrens- rechte von Bürgerinnen, Bürgern, Gemeinden und aner- kannten Umweltvereinigungen zu stärken. Und das ist uns mit diesem Gesetzentwurf gelungen. Jedoch wird „Altrip“ nicht die letzte Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes gewesen sein. Ge- mäß Beschluss der 5. Vertragsstaatenkonferenz zur Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512738 (A) (C) (B) (D) Aarhus-Konvention sind wir dazu aufgefordert, eine Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes auch dahingehend vorzunehmen, dass Umweltverbänden die Möglichkeit eingeräumt wird, inhaltliche und verfah- rensrechtliche Fehler zu rügen, unabhängig davon, ob die verletzte Vorschrift dem Umweltschutz dient. Und weiterhin sind wir aufgefordert, einen effektiven Zugang anerkannter Umweltverbände zu den nationalen Gerich- ten zu gewährleisten. Die Bundesregierung wird auch dieser Aufgabe verantwortungsvoll nachkommen. Und dennoch müssen wir wachsam bleiben. Umweltverbände erlangen durch diese Gesetzesvorhaben umfassende Kla- gerechte, die weitreichende Folgen haben können. Ich bin ein Mann der Praxis. Ich war Geschäftsfüh- rer eines mittelständischen Unternehmens und blicke auf eine langjährige Erfahrung in der Kommunalpolitik zu- rück. Aus eigener Erfahrung sage ich Ihnen: Für eine In- vestitionsentscheidung ist nicht vorrangig die Anzahl an Klagen von Bedeutung, sondern die politische Wirkung, die das Klagerecht entfalten kann. Umso wichtiger ist es, dass wir bei den anstehenden Novellierungsvorhaben ökologische Gegebenheiten und ökonomische Erforder- nisse in Einklang bringen. Deutschland steht vor großen und wichtigen Heraus- forderungen: Wir befinden uns in einem grundlegenden Umbau unserer Energieversorgung. Wichtige Infrastruk- turprojekte wie der Leitungsausbau sollten nicht durch ausufernde Bürokratie verzögert werden. Wir dürfen den zahlreichen Investoren in unserem Land – die große In- frastrukturprojekte schultern wollen, die uns voranbrin- gen wollen, die ihren Teil dazu leisten, dass es uns wirt- schaftlich so gut geht, dass unser Konjunkturmotor läuft und dass es bei uns weiter vorwärts geht – keine weiteren Steine in Weg legen. Manch Kritiker sieht die aufgezeigten Entwicklungen im Umweltklagerecht vielleicht als weiteren Beleg für eine ausufernde Umweltbürokratie, die durch ständige Änderungen und eine kontinuierliche Fortentwicklung der Rechtsprechung den Weg durch den Dschungel der Bürokratie noch langsamer macht. Das muss man sehr differenziert bewerten: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir Rechtssicher- heit, wo vorher keine war. Und diese Rechtssicherheit schafft Planungssicherheit. Die Eröffnung wirksamer Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Einzelpersonen und Um- weltverbände ergänzt und komplettiert die bestehenden Beteiligungsrechte in Planungs- und Zulassungsverfah- ren. Insbesondere auch Kommunalpolitiker werden darin eine Stärkung für die kommunale Familie, eine Stärkung für die kommunale Selbstverwaltung sehen. Gleichwohl sage ich auch hier: Es gibt auch Planungsvorhaben, die von Seiten der Kommunen zu verantworten sind. Und so laufen letztlich auch die Kommunen Gefahr, angreifbarer zu werden. Daran sieht man, wie kompliziert die Sachla- ge ist – in diesem sensiblen Feld der Umweltpolitik. Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen hier eine Politik machen, die einen fairen Ausgleich schafft, die Ökologie und Ökonomie verbindet. Wir wollen Verfahrensverein- fachungen. Wir wollen Klarheit und Rechtsstaatlichkeit, denn das sind wir den Menschen, den Unternehmen und unserem Land schuldig. Und dies ist bei diesem Gesetz- entwurf gelungen. Deshalb bitte ich um Ihre Zustim- mung. Dr. Matthias Miersch (SPD): Wir debattieren heute wieder einmal über eine Änderung des Umweltrechts- behelfsgesetzes. Eine Änderung, die notwendig gewor- den ist, weil erneut – bereits zum zweiten Mal – gegen europäisches Recht verstoßen wurde. Bemerkenswert ist dabei, dass bei der 1. Novelle zur Heilung des einge- schränkten Zugangs zu Gerichten, im sogenannten „Tri- anel-Urteil“, gleich aufs Neue andere EU-rechtswidrige Paragrafen in die Novelle eingebaut wurden. Dies führte zur zweiten Verurteilung vor dem Europä- ischen Gerichtshof (EuGH) – dem sog. „Altrip-Urteil“ – und zu dem nun vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung debattieren. Für das Umweltrechtsbehelfsgesetz, das knapp neun Jahre alt ist, sind die zweimaligen Verurteilungen vor dem EuGH ein einsamer Rekord –- auf den man aller- dings nicht stolz sein sollte. An dieser Stelle sollte man nicht verschweigen, dass es leider immer mal wieder vorkommt, dass EU-rechts- widrige Gesetze im Deutschen Bundestag verabschiedet werden, die nach einer Verurteilung durch den EuGH wieder korrigiert werden müssen. Dies kann daran liegen, dass die europäische Richtlinie nicht eindeutig formuliert wurde oder dass es im Umsetzungsgesetz auslegungsfä- hige Formulierungen gibt, die die EU-Kommission zu genaueren Prüfungen veranlassen und letztendlich zur Klageerhebung vor dem EuGH führen. Beim Umweltrechtsbehelfsgesetz ist dies jedoch eindeutig nicht der Fall. Die Anhörungen, die im parla- mentarischen Verfahren zu den Gesetzentwürfen durch- geführt wurden, haben sehr deutlich gezeigt, dass alle vorgelegten Gesetzentwürfe an verschiedenen Stellen als EU-rechtswidrig eingestuft wurden. Dies waren zum Beispiel massive Bedenken wegen der Einschränkung der Beteiligungsrechte von anerkannten Umweltverbän- den und von Einzelpersonen sowie wegen Einschränkun- gen im Rechtsschutz. Man kann also nicht von einem Versehen ausgehen, denn die Aarhus-Konvention und die sie umsetzenden Richtlinien sind eindeutig formuliert. Vielmehr spielte die „gefühlte Angst vor dem Bürger und den Umweltverbänden“ eine Rolle, die vermeintlich mit ihren Einwendungen die Verfahren verzögern und ggf. neue Prüfungen und Umplanungen verursachen und das Vorhaben insgesamt verteuern. So versucht man, mit gesetzlichen Regelungen die Bürger und Verbände mög- lichst weit aus den Verfahren herauszuhalten. Dies ist ein deutlicher ein Rückschritt in der Beteiligungskultur Deutschlands und wird nicht von Erfolg gekrönt sein. So widerspricht dies auch den neuen Tendenzen und Formaten einer umfassenden Bürgerbeteiligung wie wir sie zum Beispiel in der Endlager-Kommission praktizie- ren! Ich bin fest davon überzeugt, dass es zielführend ist, den Sachverstand von Verbänden und Bürgerinnen und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12739 (A) (C) (B) (D) Bürgern ernst zu nehmen, sich andere Lösungen vor- stellen zu lassen und Alternativen zu prüfen. Denn es ist längst erwiesen, dass eine frühzeitige und umfängliche Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht zwingend zu einer Verzögerung eines Vorhabens führen muss. Dankenswerterweise wird das Bundesumweltministe- rium demnächst den Entwurf eines völlig überarbeiteten Umweltrechtsgesetzes vorlegen, das neu strukturiert und vor allem die durch die Aarhus-Konvention vorgegebe- ne umfassende Beteiligung an Planungs- und Genehmi- gungsverfahren ernst nehmen wird. Ich hoffe sehr, dass dann die unendliche Geschichte der Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der unzureichen- den Umsetzung völker- und europarechtlicher Vorgaben bei der Beteiligung von Umweltverbänden und natürli- chen Personen an Planungs- und Genehmigungsverfah- ren ein Ende finden wird. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Da braucht es ein Ur- teil des obersten europäischen Gerichtshofes, um klarzu- stellen, dass nicht nur gegen eine fehlende Umweltver- träglichkeitsprüfung geklagt werden darf, sondern auch gegen eine fehlerhafte. Auch wenn es hier im Fall Altrip unter anderem um Unklarheiten über eine Übergangsfrist ging, ist die Umweltverträglichkeitsprüfung auch damals nichts Neues gewesen. Dass solche Urteile notwendig sind, zeigt klar auf, mit welcher ideologischen Missachtung mit dem Mittel der Umweltverträglichkeitsprüfung zeitweise umgegangen wird. Die Umweltverträglichkeitsprüfung und vor allem auch der bessere Gerichtszugang für Betroffene wurden aus gutem Grund eingeführt: Damit Infrastrukturprojekte nicht aufs Geradewohl in die Landschaft gesetzt werden, wie es gerade am billigsten ist und Planern und Inves- toren am besten passt. Es gibt unzählige Beispiele über die nachhaltige Zerstörung von Natur- und Lebensraum im Interesse von Wirtschafts- und Infrastrukturprojekten. Wer auf der A4 von Thüringen nach Hessen fährt, über- quert die versalzene Werra und erblickt auf der linken Seite die wohl noch Jahrtausende bestehenden riesigen Mahnmale des Kalibergbaus. Oder denken wir an Stau- fen: Dort quillt eine ganze Stadt auf und stürzt langsam ein, weil man bei den Bohrungen für Geothermie ein Gipslager angebohrt hat. Nicht für ein sicheres Stromsystem wird derzeit in Deutschland der Übertragungsnetzausbau vorangetrie- ben, sondern für den freien europäischen Strommarkt. Deshalb wird technisch völlig überdimensioniert ge- plant. Man stelle sich vor, eine so umstrittene Leitung wie die Suedlink könnte mit einer fehlerhaften Umwelt- verträglichkeitsprüfung trotzdem den Planfeststellungs- beschluss erhalten, juristisch nicht anfechtbar. Das wäre so, wie wenn ein Betrüger trotz Nachweis des Betruges seine Beute weiter behalten darf. Ich will nicht erleben, wie die Bürgerinitiativen darauf reagieren würden. Es kann also nicht zu viel verlangt sein, bei großen Eingriffen in die Natur die Risiken und Nutzen für die Gesellschaft vorher sorgfältig abzuwägen. Dafür gibt es die Umweltverträglichkeitsprüfung als Minimalkonsens zwischen großen Projekten und Investitionen und den Interessen von Mensch und Umwelt, und deshalb muss jede Umweltverträglichkeitsprüfung sachlich richtig und mit größter Sorgfalt erfolgen. Sie muss sich selbstver- ständlich an die vorgegebenen Regularien und Verfahren halten und muss bei Verstoß gegen die Regeln anfechtbar sein. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist keine for- male Hürde, auch wenn diverse Projektplaner dies gern so sehen. Für Akzeptanz in der Gesellschaft muss gewährleistet sein und bleiben, dass eine Umweltverträglichkeitsprü- fung auch zwingend zum Abbruch von Projekten führen kann, wenn Schäden für Mensch und Umwelt den ge- sellschaftlichen Nutzen übersteigen. Die Linke begrüßt daher die grundsätzliche Klarstellung durch den Europäi- schen Gerichtshof, und wir stimmen der Klarstellung des Gesetzentwurfs zu. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lan- ge bevor die Regierung tätig wurde, um die Urteile des Europäischen Gerichtshof umzusetzen, hatte die Grüne Bundestagsfraktion das Problem benannt und bereits im November 2011 einen eigenen Gesetzesentwurf, Druck- sachennummer 17/7888 vorgelegt, um die fehlerhafte Umsetzung des Europäischen Rechts in Deutschland zu beseitigen. Der damals vorgelegte Gesetzentwurf der Grünen hat- te für den § 4 Absatz 1, der heute von Ihnen zur Änderung vorliegt, bereits vor vier Jahren einen Vorschlag gemacht, der fast identisch mit dem nun von vorgeschlagenem ist. Auch bei der letzten Änderung des Umwelt-Rechtsbe- helfsgesetzes im Jahr 2012 hatten wir in einem Antrag den nun hier geänderten § 4 Absatz 1 kritisiert. Mit wel- cher Begründung hat die letzte Koalition eigentlich un- sere guten Vorschläge abgelehnt, wenn Sie sie jetzt fast ebenso einbringen? Das erschließt sich mir nicht. Für mich ist klar: Der letzten Bundesregierung fehlte der Wille, die Vorgaben zu den Klagerechten von Ver- bänden korrekt umzusetzen. Es scheint mir, dass es der jetzigen Koalition wieder ähnlich geht, da lediglich an Details gearbeitet wird. Die eigentlich notwendige große Novelle wird aber weiter auf die lange Bank geschoben. Wovor haben Sie eigentlich Angst? Denn mit dem Zu- gang zum Klageweg wird für Bürgerinnen und Bürger oder Verbände lediglich die Möglichkeit eingeräumt, begangene Rechtsfehler zu heilen, wenn solche in den Planungsverfahren erfolgt sind, also eine Verletzung der Rechte erfolgte, welche wir hier im Parlament aus gu- ten Gründen beschlossen haben. Warum wollen Sie dies nicht zulassen? Ist es denn so schlimm, wenn von uns beschlossenes Recht notfalls in Gerichten durchgesetzt wird? Oder haben Sie Angst, dass die NGOs mit diesem Recht, gegen fehlerhafte Entscheidungen vor Ort gege- benenfalls klagen zu können, Schindluder treiben? Dazu möchte ich gerne auf eine Studie verweisen von Professor Dr. Martin Führ, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule Darmstadt. Seine Erkenntnisse wurden unter anderem in der Neuen Zeitschrift für Ver- waltungsrecht besprochen, in einem Aufsatz mit dem Ti- tel „Verbandsklage nach UmwRG – empirische Befunde und rechtliche Bewertung“. Von 2006 bis 2012 wurden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512740 (A) (C) (B) (D) insgesamt 58 Rechtsbehelfs-Verfahren festgestellt. Also zehn Verfahren pro Jahr in der gesamten Bundesrepu- blik – bei über 775 Verfahren mit Umweltverträglich- keitsprüfung im Jahr! Von einer Klageflut kann hier also überhaupt keine Rede sein. Verbände und Bürgerinnen scheinen mit diesen Rechten sehr behutsam umzugehen. Im Schwerpunkt richten sich die Rechtsbehelfe ge- gen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen sowie nachträgliche Anordnungen. Von den 58 identifizierten Verfahren sind 37 abgeschlossen. Eine Erfolgsbewertung dieser Verfahren ergab, dass der eingelegte Rechtsbehelf in 18 Fällen in vollem Umfang oder teilweise zulässig und begründet war. Daraus ergibt sich eine prozessuale Erfolgsquote von 48,6 Prozent der Fälle. Ergo: In nahezu der Hälfte der bisherigen Rechts- behelfsverfahren wurde erst durch die Klage geltendes Recht durchgesetzt. Der Anteil erfolgreicher Verfahren liegt deutlich über der Erfolgsquote sonstiger verwal- tungsrechtlicher Rechtsbehelfe. Sie bewegt sich sogar noch oberhalb der Quote von circa 40 Prozent, die für die naturschutzrechtliche Verbandsklage ermittelt wurde. Das zeigt: Hier wird sehr verantwortungsbewusst von Seiten der Klägerinnen und Kläger mit dem Recht um- gegangen. Höchste Zeit, dass Sie die entsprechenden Änderun- gen vornehmen. Ebenso drängt es, die angekündigte umfassende Reform des UmweltRechtsbehelfsgesetzes endlich vorzunehmen, die Sie in dem Gesetzentwurf ja auch ankündigen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes (Tagesordnungs- punkt 20) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Es muss uns in Zukunft – noch besser als heute – gelingen, Abfälle zu vermeiden, und wenn Abfälle entstehen, diese als Res- sourcen zu begreifen. Es muss uns in Zukunft noch bes- ser als heute gelingen, die Stoffkreisläufe zu schließen. Wir müssen den Weg zu einer echten Kreislaufwirtschaft weitergehen. Das ist gut für die Umwelt, das schont Ressourcen, und das ist in wirtschaftlicher Hinsicht eine Chance. Ich sage daher: Es wird mehr und mehr zu ei- ner Notwendigkeit. Das heißt auch, dass wir dort, wo es möglich ist, gefährliche Stoffe aus den Stoffkreisläufen heraushalten. Mit dem Batteriegesetz, das wir heute verabschieden, gehen wir einen ganz konkreten Schritt in diese Rich- tung. Worum geht es? Im Kern geht es um zwei Dinge. Erstens: Die Verwendung von Quecksilber wird ein- geschränkt. Bisher durften Knopfzellen einen noch rela- tiv hohen Quecksilbergehalt aufweisen. Diese Ausnahme wird es künftig nicht mehr geben. Der Grenzwert wird nun verschärft. Es dürfen keine Knopfzellen mehr in Ver- kehr gebracht werden, die mehr als 0,0005 Gewichtspro- zent Quecksilber enthalten. Zweitens: Bei Gerätebatterien, die in schnurlosen Elektrowerkzeugen eingesetzt werden, wird der maxima- le Cadmiumgehalt auf 0,002 Prozent begrenzt. Auch dies ist eine Verschärfung. Sie gilt ab dem 1. Januar 2017. Durch diese Neuregelungen entsteht ein Nutzen für Mensch und Umwelt. Es werden weniger Schadstof- fe eingesetzt. Somit werden Gefahren und Risiken für Mensch und Umwelt während der Nutzungsphase, aber auch in der späteren Verwertungsphase vermieden. Der Batteriebereich hat durchaus eine große Bedeu- tung. Denn der Einsatz und die Anzahl mobiler elekt- ronischer Geräte nehmen zu. 215 Jahre nach Erfindung der Batterie sind Batterien in vielen Bereichen heute nicht wegzudenken. Allein in Deutschland werden allein 1,28 Milliarden Knopfzellen pro Jahr hergestellt. Die Kosten, die mit der Verschärfung einhergehen, sind überschaubar: Die Knopfzellen verteuern sich da- durch um rund einen halben Cent pro Stück. Diese neuen scharfen Grenzwerte sind möglich, weil technologische Innovation stattgefunden hat. Es ist er- neut ein Beispiel dafür, wie technologische Innovation ermöglicht, Umwelt und Wirtschaft vernünftig miteinan- der in Einklang zu bringen. Mit der Änderung des Batteriegesetzes setzen wir eine europäische Richtlinie um. Das heißt, die strengen Gren- zwerte gelten in der ganzen Europäischen Union. Auch das ist eine gute und wichtige Nachricht. Im parlamentarischen Verfahren haben wir noch eine wichtige Klarstellung vorgenommen: Bereits in Verkehr gebrachte Geräte mit Batterien, die Quecksilber und Cadmium oberhalb der zulässigen Höchstkonzentration enthalten, dürfen noch abverkauft werden, und zwar trotz der neuen Verkehrsverbote. Mit dem heutigen Gesetz wird auch die Verbraucher- freundlichkeit an kommunalen Sammelstellen erhöht: Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger werden zur kos- tenlosen Rücknahme von Altbatterien aus Elektro- und Elektronikaltgeräten verpflichtet. Diese verpflichtende Rücknahme gilt für jene Batterien, die der Verbraucher laut Elektrogesetz an den kommunalen Sammelstellen von Elektroaltgeräten zu trennen hat. Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger können alle anderen Batterien freiwillig zurücknehmen und damit einen weiteren Beitrag zur Erreichung steigender Sam- melquoten leisten. Die durch Kommunen gesammelten Batterien werden an das gemeinsame Rücknahmesystem übergeben. Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, wird zudem geregelt, dass ein Vertreiber, der Fahrzeugbatte- rien per Fernkommunikation anbietet, Pfand erstatten muss, wenn die Rückgabe von Altbatterien nachgewie- sen wurde. Ich bin davon überzeugt, dass das neue Gesetz ver- nünftig ist und positive Wirkungen entfalten wird. Ich möchte es aber auch nicht versäumen, an die Bürgerinnen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12741 (A) (C) (B) (D) und Bürger zu appellieren, ihre alten Batterien zurückzu- geben. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 44 Prozent der Batterien gesammelt. Um die vorgegebene Mindest- sammelquote von 45 Prozent für das kommende Jahr zu erreichen, sind also Anstrengungen notwendig. Es lohnt sich: Denn alte Batterien enthalten wichtige Wertstoffe. Michael Thews (SPD): Wir debattieren hier heute über eine Novelle des Batteriegesetzes. Aus meiner Sicht ist das Batteriegesetz eine Erfolgsgeschichte. Es ist am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten und hat die bis da- hin geltende Batterieverordnung ersetzt. Damals wurden erstmals verbindliche Sammelziele für Geräte-Altbatte- rien festgelegt. Im Batteriegesetz gilt dabei, wie schon in der Batterieverordnung, grundsätzlich das Prinzip der Herstellerverantwortung. Das heißt in diesem Fall, die Hersteller sind organisatorisch und finanziell verantwort- lich für das Sammeln und das Recycling der Altbatterien und Altakkumulatoren. Die Hersteller gründeten damals, gemeinsam mit dem Zentralverband der Elektrotech- nik- und Elektronikindustrie die „Stiftung Gemeinsames Rücknahmesystem Batterien“ – kurz GRS Batterien. Als non-profit-Unternehmen übernimmt die Stiftung die Herstellerverantwortung für über 2 500 Batterieherstel- ler und -importeure. Innerhalb weniger Jahre wurde ein funktionierendes Rücknahmesystem aufgebaut und eine sehr hohe Verwertungsquote, heute rund 100 Prozent, erreicht. Die Stiftung GRS Batterien wurde auch auf- grund dieses Erfolges vom Bundesumweltministerium als Rücknahmesystem anerkannt. Die bereits kurz nach Inkrafttreten der Batterieverordnung eintretende Steige- rung der Sammlung von Altbatterien ist insbesondere auch den Kommunen zu verdanken. 2014 stammte jede vierte gesammelte Altbatterie aus kommunalen Sammel- stellen. Wir alle kennen dies, die Sammelboxen für Altbatte- rien in Büchereien, Rathäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen. Dies waren die Anfänge der Sammlung von Altbatterien. Zusätzlich zu den Sammelstellen in öf- fentlichen Einrichtungen und im Gewerbe kommen noch die gesetzlich vorgeschriebenen Sammelboxen in den Verkaufsstellen des Handels. Von diesen Sammelstellen holt die Stiftung GRS die Altbatterien ab und verwertet sie. Dazu wurden Vereinbarungen, meist auf freiwilliger Basis, mit Kommunen, Handel und Gewerbe getroffen. Dies dichte Sammelnetz ist ein Grund dafür, dass die Sammelquote von 45 Prozent ab 2016 nach Angaben des Rücknahmesystems bereits 2014 übertroffen wurde. Ich meine allerdings, dass bei der Sammelquote noch ein- deutig Luft nach oben ist. In diesem Abfallstrom funktionieren Vereinbarun- gen – im Gegensatz zu den häufigen Auseinanderset- zungen bei Verpackungsabfällen – zwischen Herstellern, Handel und Kommunen besser als in anderen Abfallbe- reichen. Der Grund dafür liegt meiner Ansicht nach in der Organisationsart. Ein einziges, nichtprofitorientiertes Rücknahmesystem verhindert unnötigen Verwaltungs- aufwand, Reibungsverluste und vereinfacht die Möglich- keit zu freiwilligen Vereinbarungen. Das Batteriegesetz ist auch deshalb eine Erfolgs- geschichte, weil das Recycling der Batterien sehr gut funktioniert. Betrachten wir mal die drei Sammelgrup- pen Geräte-Altbatterien, Fahrzeug-Altbatterien und In- dustrie-Altbatterien: Im Jahr 2013 haben, nach Zahlen des Umweltbundesamtes, die Rücknahmesysteme für Geräte-Altbatterien 18 714 Tonnen Geräte-Altbatteri- en – wiederaufladbare und nicht wiederaufladbare – in die stoffliche Verwertung gegeben. Damit wurde eine Verwertungsquote von 100 Prozent erreicht. Und was fast noch wichtiger ist, diese Batterien wurden auch hochwertig verwertet. Von diesen 18 714 Tonnen konn- ten nämlich 12 000 Tonnen Sekundärrohstoff und zwar insbesondere Zink, Stahl, Ferromangan und Blei zurück- gewonnen werden. Auch das Recycling der Fahrzeug-Altbatterien funk- tioniert gut. 163 401 Tonnen wurden 2013 in die stoffli- che Verwertung gegeben, das sind 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Verwertungsquote stieg hier von 98 Prozent auf 99 Prozent. Von den gesammelten Industrie-Altbatterien gelangte im Jahr 2013 eine Masse von 44 275 Tonnen Blei-Säu- re-Altbatterien in den stofflichen Verwertungsprozess. 2012 waren es noch 30 736 Tonnen. Die Verwertungs- quote erreichte in 2013 und 2012 jeweils 96 Prozent. Das heißt, dass in Deutschland fast alle gesammelten Geräte-Altbatterien zu den Verwertern gelangen und dort auch hochwertig recycelt werden. Natürlich sind Verbesserungen und Anpassungen im- mer notwendig, so wie die hier vorgenommenen sinnvoll und notwendig sind. Neu in der jetzt vorliegenden Novelle ist, dass die Wertstoffhöfe der öffentlich-rechtlichen Entsorger, die bisher auf freiwilliger Basis zurückgenommen haben, verpflichtet werden, Batterien und Akkus zurückzuneh- men. Allerdings nur die, die die Nutzer, wenn sie ihre alten Elektrogeräte auf den Wertstoffhöfen abgeben, von diesen trennen müssen. Eine sinnvolle Änderung, weil sie verbraucherfreundlich ist, denn so kann der Verbrau- cher sein Elektrogerät und seine Batterie am gleichen Ort abgeben. Gute Sammelquoten können nur entstehen, wenn die Sammlung verbraucherfreundlich ist. Die zweite wichtige Änderung ist die weitere Ein- schränkung der Verwendung der Umweltgifte Cadmi- um und Quecksilber in Batterien. Gerade Quecksilber ist ein gefährliches Nervengift. Schon kleinste Mengen können das ungeborene Baby im Mutterleib schädi- gen. Es gibt ein grundsätzliches Verbot, Batterien, die mehr als 0,0005 Gewichtprozent Quecksilber enthalten, in Verkehr zu bringen. Die bisher geltende Ausnahme für Knopfzellen wird aufgehoben und ab 2016 wird das Verwendungsverbot von Cadmium (über 0,002 Gewicht- sprozent) auch auf Gerätebatterien und -akkumulatoren von schnurlosen Elektrowerkzeugen erstreckt. Was allerdings – wie schon erwähnt – noch verbes- serungswürdig ist, sind die Sammelergebnisse. Weniger als 50 Prozent der in Verkehr gebrachten Gerätebatterien finden den Weg zurück zu den Sammelstellen. Hier müs- sen wir besser werden. So wie wir es uns nicht leisten können, dass nicht mehr funktionsfähige Handys in den Schubladen zuhause verstauben, so müssen wir es auch Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512742 (A) (C) (B) (D) erreichen, dass die Endnutzer ihre alten Batterien und Akkus aus den Schubladen und Schränken holen, und vor allen Dingen nicht mehr in die Restmülltonne werfen. Das ist auch eine Frage der Information und Motivation. Wir dürfen nicht nachlassen, die Verbraucherinnen und Verbraucher, die in Deutschland ein ausgeprägtes Be- wusstsein für dieses Thema haben, über die Sammlung, Trennung und Verwertung von Abfällen zu informieren. Gerade auch so positive Recyclingzahlen wie im Fall der Altbatterien und –akkus tragen dazu bei zu motivieren. Ohne die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger kom- men wir beim Thema Kreislaufwirtschaft nicht weiter, deshalb ist mir dieser Punkt auch besonders wichtig. Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass sich der weltweite Primärmaterialeinsatz in den letz- ten 30 Jahren mehr als verdoppelt hat. Er ist von circa 36 Milliarden Tonnen 1980 auf 78 Milliarden Tonnen 2011 angestiegen. Würden wir unsere heutigen Kon- summuster beibehalten, würden wir nach Schätzungen der UNEP im Jahr 2050 mehr als 140 Milliarden Ton- nen Mineralien, Erze, fossile Brennstoffe und Biomasse verbrauchen. Dieser Entwicklung müssen wir durch die Vervollständigung der Kreislaufwirtschaft durch Recy- cling und verstärkten Einsatz von Sekundärrohstoffen entgegen arbeiten. Ralph Lenkert (DIE LINKE): In Deutschland wer- den jährlich über 80 000 Tonnen Batterien verkauft. Ebenfalls jährlich werden aber nur 40 Prozent der Alt- batterien zum Recyceln zurückgegeben und gesammelt. Das bedeutet, dass Jahr für Jahr fast 50 000 Tonnen Alt- batterien in der Natur oder in Müllverbrennungsanlagen enden. Dieses ökologische Desaster der Ressourcenver- geudung entspricht sogar den gesetzlichen Vorgaben, die eine Sammelquote von 40 Prozent vorsehen, 45 Prozent ab 2016. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nichts weiter als ein formaler, verwalterischer Akt. Die Ausnahmen für Quecksilbergehalt bei Knopfzellen werden abgeschafft, ebenso die Ausnahmen für Cadmiumgehalt bei Batterien in schnurlosen Elektrowerkzeugen. Das ist eine Eins-zu- Eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen. Viel wichtiger als die Pflege solcher Gesetzeswerke wäre es aber, die Einhaltung der Grenzwerte, die sie vorgeben, konsequent zu überwa- chen. Das Umweltbundesamt kommt in Studien regelmä- ßig zu dem Schluss, dass die Hälfte der Zink-Kohle-Bat- terien einen zu hohen Cadmiumgehalt hat. Bei anderen Batterietypen waren nicht so viele Modelle betroffen, aber dennoch gibt es durchweg Batterien mit zu hohen Schwermetallwerten in den Läden zu kaufen. Das war im Jahr 2006 so, und das war vor zwei Jahren immer noch so. Wozu haben wir dieses Gesetz eigentlich, wenn die Regeln, die dort aufgestellt werden, nicht überwacht werden und bei Verstößen keine harten Sanktionierungen folgen? Wir hätten uns gewünscht, dass die Bundesregierung ein wenig mehr Elan zeigt, wenn sie das Batteriegesetz umschreibt. Ganz im Sinne des Deutschen Ressourcenef- fizienzprogramms muss viel mehr Batteriemüll wieder eingesammelt werden. Das Programm führt Lithium un- ter den kritischen Metallen – bei primärseitiger vollstän- diger Importabhängigkeit und immer wieder der Frage nach der politischen Stabilität der Herkunftsländer. Wir können es uns schlicht nicht leisten, Lithium wegzuwer- fen. Gleiches gilt für Nickel und Kobalt. Mit einer Sammelquote von knapp über 40 Prozent liegt Deutschland im EU-Vergleich gar nicht schlecht. Wir sollten uns aber gerade im Hinblick auf Ressour- cenknappheit und Schwermetallausbringung in die Um- welt nicht damit begnügen, dass andere schlechter sind. Ja, in anderen Ländern ist die Sammelquote viel geringer. Aber es gibt eben auch bessere. In der Schweiz werden 70 Prozent der Altbatterien wieder eingesammelt. Dort fordert das Bundesamt für Umwelt, BAFU, sogar eine Quote von 80 Prozent. Warum ist das in Deutschland nicht möglich? In der Schweiz ist es über die Einführung einer Recyclingabgabe auf Batterien und durch den Bat- tery-Man gelungen, den Rücklauf erheblich zu erhöhen. Ob es nun in Deutschland unbedingt ein Battery-Man sein muss, sei mal dahingestellt. Aber es wäre generell eine Aufgabe für das Umwelt- ministerium, mehr Aufklärung und Werbung zu leisten und dafür zu sorgen, dass die Grenzwerte bei Schwerme- tallen eingehalten werden. Im Übrigen gibt es eine ganz einfache und unkompli- zierte Methode, wie wir die Quote drastisch erhöhen kön- nen: Führen wir ein Pfandsystem auf alle Batterietypen ein, wie es bei KfZ-Batterien ja bereits praktiziert wird. Da dieser Entwurf Chancen vergibt, aber wenigstens nichts verschlechtert, enthält sich die Linke. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Gesetz setzt eine Novelle des europäischen Rechts in deutsches Recht um. Das ist aus unserer Sicht in Ord- nung, aber weder umweltpolitisch richtungsweisend noch etwas, wofür man sich groß loben sollte, sondern die Erledigung einer reinen Pflichtaufgabe. Unser Eindruck geht immer mehr dahin, dass vor- ausschauende Umweltpolitik unter dieser Regierung gar nicht mehr stattfindet. Was von der Europäischen Union kommt, wird von Ihnen murrend und viel zu spät umge- setzt, und bloß nicht mehr als das, worauf man sich in Europa bereits zwischen allen Mitgliedstaaten geeinigt hatte, obwohl die europäischen Verträge ganz klar sagen, dass die Mitgliedstaaten für einen vorsorgenden Umwelt- schutz über die Anforderungen in Europa hinausgehen können. Das ist sicherlich nicht überall sinnvoll, aber hier und da könnte die Große Koalition doch mal Impulse setzen, die belegen, dass Umweltschutz in Deutschland nach wie vor wichtig ist. Es ist doch hinlänglich bekannt, dass hohe Umweltanforderungen Innovationen in der Wirt- schaft voranbringen. Der Schutz der natürlichen Umwelt darf nicht hinter wirtschaftlichen Zielen hinterherhinken, denn eine intakte Umwelt ist das Fundament jeden wirt- schaftlichen Handelns. Die Novelle der Batterierichtlinie wurde bereits am 20. November 2013 von den Mitgliedstaaten der EU be- schlossen. Da haben Sie sich ganz schön Zeit gelassen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12743 (A) (C) (B) (D) bei den an und für sich unstrittigen Änderungen, die Sie hier vornehmen. Die Verwendung von giftigem Cadmium und Queck- silber in Batterien und Akkumulatoren wird einge- schränkt. Das ist gut so und angesichts der Gefährlichkeit dieser Stoffe sicherlich angezeigt. Aber warum haben Sie hierfür bis heute benötigt? Das Verbot von Quecksilber in Knopfzellen hätte man sicher auch rascher vornehmen können. Was wir Grüne von Ihnen fordern, ist klar: Eine bessere Umweltgesetzgebung, die die Regeln für alle so verbindlich machen, dass wir aufhören unsere Umwelt zu zerstören. Alles, was wir von Ihnen bekommen, sind verspätete EU Umsetzungen und Programme oder Akti- onspläne, die auf Freiwilligkeit setzen, aber weder ver- bindliche Regeln für alle setzen, noch wirkliche Anreize bieten. Von selber wird da sichtlich nichts besser wer- den. Gehen Sie die wirklich wichtigen Baustellen endlich konkret an. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Ge- setzes zur Änderung des Bundeszentralregisterge- setzes (Tagesordnungspunkt 21) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Mit dem vorliegen- den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundes- zentralregistergesetzes soll die Nutzung des sogenannten Ähnlichenservices gesetzlich neu geregelt werden. Bei diesem Ähnlichenservice geht es darum, dass die Regis- terbehörde bis zu 20 Datensätze zu Personen mit ähnli- chen Personalien übermittelt, wenn sie eine Mitteilung oder ein Ersuchen einem bestimmten Datensatz nicht eindeutig zuordnen kann und dadurch eine Identitätsfest- stellung durch die ersuchende Stelle nicht möglich war. Eine solche Regelung sieht die Strafprozessordnung für das staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister vor und soll nun auf das Bundeszentralregister ausgeweitet werden. Dieses war schon vor der Sommerpause mit dem Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes geschehen. Allerdings war damals ein Zugriff auf diesen Ähnlichenservice nur für das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Bundes- nachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst beabsichtigt. Die damals gewählte Formulierung hat je- doch dazu geführt, dass jede zum Zugriff auf das Bun- deszentralregister berechtigte Stelle nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Inanspruchnahme des Ähnlichenservice befugt gewesen wäre. Dieses Versehen soll jetzt korrigiert werden. Inso- fern stellt das Änderungsgesetz eine Einschränkung des im Juli verabschiedeten Gesetzes dar. Ich will aber aus- drücklich betonen, dass ich es sehr begrüße, dass die Bun- desregierung zumindest prüfen will, ob sich nicht eine Ausdehnung der zugriffsberechtigten Stellen auf weitere Sicherheitsbehörden – etwa auf die Kriminalpolizei – an- bietet. Angesichts der wachsenden Zahl ausländischer Tatverdächtiger scheint die Ausdehnung auf andere Si- cherheitsbehörden geradezu zwingend. Dem stehen auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken gegenüber, weil alle Daten, die sich nicht auf den Betreffenden beziehen, nach erfolgter Identifizierung von der ersuchenden Stel- le unverzüglich zu löschen sind, und zwar von Gesetzes wegen, und wenn eine Identifizierung gar nicht möglich war, dann sind alle Daten zu löschen. Insoweit nehmen wir heute eine Einschränkung des Zugriffs auf den Ähn- lichenservice vor, die durchaus in einiger Zeit schon wie- der aufgehoben werden könnte, um bei der Ermittlung von Tatverdächtigen in Zukunft erfolgreicher zu sein. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Oft ist davon die Rede, dass sich Politik und Sicherheitsbehörden in einem Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit befin- den – insbesondere beim Thema Datenschutz. Es wird nur scheinbar zu einer Gratwanderung, wenn wir Gesetze beschließen oder ändern, die den Datenschutz tangieren. Datenschutz ist zu Recht ein hohes Gut, zu dem wir uns klar bekennen. Wenn wir morgen im Deutschen Bundestag die Wie- dereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschließen, dann tun wir dies, um den ermittelnden Behörden die notwendigen Möglichkeiten zu geben, Verbrechen zu be- kämpfen und möglichst gleich zu verhindern. Die Ermittler und alle Experten – übrigens unabhängig von der Parteizugehörigkeit – sind sich einig: Sie brau- chen zur Strafverfolgung, als Instrument der Aufklärung und Prävention dringend die Vorratsdatenspeicherung. Dann können sie unter anderem ganze Kinderpornogra- fie-Ringe ausheben. Der Fall Edathy hat deutlich gezeigt, wie Fälle die- ser Art aufgrund des hohen Ermittlungsaufwands und der schweren Beweislage oftmals in der Praxis enden. Es kann nicht sein, dass Ermittlungserfolge gerade im Bereich der Kinderpornografie davon abhängig sind, welcher Telekommunikationsanbieter Verbindungsdaten überhaupt und, wenn ja, wie lange speichert. Mindestspeicherfristen von Verbindungsdaten sind natürlich kein Allheilmittel. Damit werden sich nicht alle schweren Straftaten verhindern und aufklären lassen – leider! Aber dieses Ziel wird leider durch gar keine Er- mittlungsmethode zu 100 Prozent erreicht. Die Speiche- rung von Verbindungsdaten ist jedoch zur Entdeckung von kriminellen Netzwerken schlichtweg notwendig und dient der Aufklärung von schwersten Straftaten. Sie ist ein Instrument von vielen – aber es wäre unverantwort- lich, komplett darauf zu verzichten. Ähnlich wie bei der Speicherung von Verbindungsda- ten verhält es sich auch mit dem sogenannten Ähnlichen- service im Bundeszentralregister. Dabei handelt es sich um ein Vorgehen bei Abfragen, bei denen zum Beispiel Unklarheit über den genauen Vornamen einer Person be- steht. Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst können demnach, falls die Registerbehörde einer Mitteilung oder einem Ersu- chen keinen eindeutigen Datensatz zuordnen kann, bis zu 20 Datensätze zu Personen mit sehr ähnlichen Personali- en zur Identitätsfeststellung übermittelt bekommen. Und auch hier befinden wir uns im Spannungsfeld zwischen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512744 (A) (C) (B) (D) der Freiheit des Einzelnen und der Sicherheit der Allge- meinheit. Es muss eine Möglichkeit geschaffen werden, die Abfrage so zu gestalten, dass naheliegende Ermitt- lungserfolge doch noch erzielt werden können. Gleich- zeitig muss ein verbindlicher Rahmen dafür geschaffen werden, dass die Datenschutzinteressen des Einzelnen nicht in unverhältnismäßiger Art und Weise tangiert wer- den. Ich freue mich sehr, dass dies mit dem vorliegenden Entwurf gelungen ist. Denn weil uns der Datenschutz so ein hohes Gut ist, beschränken wir durch das vorliegende Gesetz den Be- reich der Behörden, die die „Ähnlichendatensätze“ abfra- gen dürfen, auf bestimmte Behörden. Die Eingrenzung dieses Berechtigtenkreises auf den Bundesnachrichten- dienst, den Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst wird genau dieser sachgerechten Grund- rechtsabwägung gerecht. Denn so ist sichergestellt, dass der Ähnlichenservice nur zur Verfolgung von Straftaten von herausragender Bedeutung in Anspruch genommen werden darf. Ich denke, dass dies sachgerecht ist, wenn man be- denkt, dass auch das Kriterium der Ähnlichkeit der Datensätze und die Mengenbegrenzung auf maximal 20 Sätze eine regulierende Einschränkung darstellt. Benjamin Franklin soll einmal gesagt haben: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“ Ich denke, wir haben mit vor- liegendem Gesetzentwurf eine kluge und ausgewogene Lösung gefunden. Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung. Dr. Johannes Fechner (SPD): Vor der Sommerpau- se haben wir im Rahmen der Neuregelungen zur verbes- serten Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden den so genannten Ähnlichenservice für das Bundeszen- tralregister beschlossen. Das bedeutet, dass die Register- behörde, die ein an sie gerichtetes Ersuchen namentlich nicht eindeutig zuordnen kann, der um Auskunft bitten- den Behörde zur Identitätsfeststellung bis zu 20 Daten- sätze zu Personen mit ähnlichem Namen übermittelt. Eine solche Regelung macht Sinn. Denn ansonsten besteht die Gefahr, dass der Erhalt wichtiger Information an einem Tippfehler oder der falschen Schreibweise des Namens scheitert. Allerdings ist die Regelung weitreichend, denn es werden auch Daten von unbeteiligten Personen über- mittelt, nur weil diese einen ähnlichen Namen haben. Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Bundeszentral- registergesetzes begrenzen wir deshalb den Kreis der auskunftsberechtigten Behörden deutlich. Auskunft in Form des Ähnlichenservice dürfen danach nur Verfas- sungsschutzbehörden, Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst erhalten. Zudem soll die Einführung des Ähnlichenservice erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich am 30. April 2018, erfolgen. Hinter- grund des späteren Inkrafttretens ist, dass das zuständige Bundesamt für Justiz mehr Zeit benötigt, um die tech- nischen Voraussetzungen für den Ähnlichenservice im Bereich des Bundeszentralregisters zu schaffen. Die heute erfolgende Beschränkung auf die Nachrich- tendienste stellt eine sinnvolle Einschränkung dar. Aus Gründen des Datenschutzes muss der Ähnlichenservice restriktiv ausgestaltet werden. Jan Korte (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung hier heute vorlegt, wird für mehr Datenschutz sorgen. Das klingt erstmal positiver, als es ist: Denn mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes soll ein Datenleck ge- stopft werden, welches die Bundesregierung gerade erst mit dem vor kurzem verabschiedeten „Gesetz zur Ver- besserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfas- sungsschutzes“ aufgerissen hatte. Ein Ziel dieses Gesetzes war die Einführung des so- genannten Ähnlichenservice im Bundeszentralregister. Bislang besteht dieser Service im zentralen staatsanwalt- schaftlichen Verfahrensregister beim Bundesamt für Jus- tiz. Abfrageberechtigt sind die Strafverfolgungsbehör- den. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) dürfen ebenfalls eingeschränkt Daten wie Personendaten und aktenführende Stelle ab- fragen. Lässt sich eine Anfrage nicht eindeutig einem Datensatz zuordnen, werden zunächst zu 20, dann zu 50 ähnlichen Namen Datensätze übermittelt. Diese müs- sen von der empfangenden Stelle geprüft und gelöscht werden, wenn sich die eigentlich gesuchte Person darun- ter nicht befindet. Das Bundeszentralregister, in dem alle strafrechtlichen Verurteilungen der Menschen in Deutschland gespeichert werden, sieht einen solchen Ähnlichenservice bislang nicht vor. Mitarbeiter der Registerbehörden versuchen bei fehlerhaften, unvollständigen oder zweifelhaften Da- ten durch Rückfragen bei der abfragenden Behörde den tatsächlich gesuchten Datensatz zu finden oder gegebe- nenfalls zu korrigieren. Mit einer Änderung des Bun- deszentralregistergesetzes im Rahmen der Verfassungs- schutzreform wurde der Ähnlichenservice nun auch dort eingeführt. Dabei haben Sie von der Koalition allerdings vergessen, diesen Service auf die Geheimdienste zu be- grenzen. Das nenne ich mal schlampige Gesetzgebung. Der Rechtsausschuss des Bundesrates hat das zum Glück gemerkt und deshalb empfohlen, diese Änderung ganz zu streichen, was wir sehr begrüßt hätten. Hilfsweise sollte nach dem Willen des Bundesrates zumindest eine ent- sprechende Beschränkung auf die Dienste vorgenommen werden. Dieser Empfehlung kommt die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf nun nach. Andernfalls wären sämtliche für das Bundeszentralregister abfrageberech- tigten Stellen bis hin zur Jagdbehörde befugt, den neuen Ähnlichenservice im Bundeszentralregister in Anspruch zu nehmen. Die Schlamperei setzt sich allerdings auch in diesem Gesetzentwurf fort. Da wird behauptet, es handele sich um lediglich 20 „ähnliche“ Datensätze, die übermittelt werden könnten. Da haben Sie über die komplizierte Ver- weisungstechnik im Gesetz offenbar selber die Orientie- rung verloren. Denn findet sich in den 20 Datensätzen nicht die gesuchte Person, können 50 weitere Ähnlichen- treffer angefordert werden! Das heißt, die Geheimdiens- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12745 (A) (C) (B) (D) te erhalten 70 persönliche Angaben zu Bürgerinnen und Bürgern, die rein gar nichts mit irgendwelchen verfas- sungsfeindlichen Bestrebungen zu tun haben müssen. Und hier ist doch aus der Erfahrung der Vergangenheit wirklich Vorsicht geboten: Denn ob die eigentlich über- flüssigerweise übermittelten Datensätze dann am Ende tatsächlich gelöscht werden oder nicht doch Eingang in irgendwelche Selektorenlisten finden oder zu anderen nachrichtendienstlichen Eingriffen führen, kann nicht sicher ausgeschlossen werden. Ich erinnere hier an die Entführungen von Khaled el-Masri und Murat Kurnaz, die auch nur irgendwie verwechselt wurden. Obwohl also der Zugang zu erheblich mehr Daten ermöglicht wird, wird das Datenschutzniveau auf dem bisherigen Umfang belassen. Nur jede zehnte Abfrage muss protokolliert werden, und das wird auch nur stich- probenartig untersucht. Für die Löschung überflüssig übermittelter Daten besteht gleich gar keine Protokollie- rungspflicht. Dass hier die Kontrolle erheblich gestärkt werden müsste, sieht man schon an der bisherigen Praxis der Geheimdienste: Aus einer aktuellen Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion geht hervor, dass allein das Bundesamt für Verfassungsschutz jährlich 1 200 bis 1 700 Ersuchen um Auskunft aus dem staatsanwalt- schaftlichen Verfahrensregister stellt. Für den MAD und den BND gibt es noch nicht einmal Angaben dazu. Bei Nutzung des Ähnlichenservice kommt man da schnell auf Zehntausende Datensätze pro Jahr, die den Diensten ohne Prüfung der Erforderlichkeit Jahr für Jahr übermit- telt werden könnten. Richtig wäre deshalb gewesen, die systemfremde Einführung des Ähnlichenservice im Bundeszentralre- gistergesetz wieder komplett zu streichen. Dass er nun wenigstens auf die Geheimdienste beschränkt wird, für die dieses Instrument ja eigentlich nur geschaffen wer- den sollte, ist nicht mal ein schwacher Trost. Es zeigt die schlampige Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung und das Fehlen jeder Sensibilität im Hinblick auf den Datenschutz und seine zentralen Grundsätze wie Daten- sparsamkeit und Erforderlichkeit der Datenübermittlung. Ohne die jetzt vorgeschlagene Änderung der Bundes- regierung bliebe es allerdings dabei, dass außer den Ge- heimdiensten auch weiterhin alle möglichen Behörden auf den Ähnlichenservice zugreifen können. Bei allen grundsätzlichen Bedenken wird sich Die Linke daher enthalten. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bei den Geheimdiensten, also im Geschäftsbe- reich des Bundeskanzleramts, brennt nun schon seit einigen Jahren die Hütte lichterloh. Der erste NSU-Un- tersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages brachte unter anderem katastrophale Zustände im Ver- hältnis der Dienste zueinander zutage, die trotz hunderter Spitzel eine dreiköpfige rechtsextreme Mordbande mit zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern nicht zu stoppen vermochten. Derartig chaotische Verhältnisse konterkarieren die wirksame Erfüllung der Aufgaben der Dienste ganz offenkundig. Der vom Ausschuss heraus- gearbeitete hohe Reformbedarf im Sinne von Demokra- tie und Bürgerrechten wurde im Wesentlichen durch die Große Koalition bis heute ignoriert. Der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode gräbt praktisch jede Sitzungswo- che neue Erkenntnisse über klar rechtswidrige Vorgänge, insbesondere bezüglich der Aktivität des Bundesnach- richtendienstes, aus, vergangene Woche etwa die offen rechtswidrigen Praktiken des BND bei den gemeinsam mit dem US-Militärdienst erfolgten Befragungen von Asylbewerbern auf deutschem Boden, die unter ande- rem der Erlangung von Daten zur Ziellokalisierung von US-Drohnen dienten. Auch hier, mehr als zwei Jahre nach den ersten Snow- den-Veröffentlichungen, sind bis heute keinerlei gesetzli- che Reformen für eine Verbesserung der demokratischen Kontrolle der Dienste und für die Bürgerinnen und Bür- ger in Sicht, um deren Grundrechte es im Kern bei diesen Geheimdienstskandalen geht. Im Gegenteil: Befugnisse wurden und werden weiter ausgebaut und gar die On- line-Massenüberwachung durch Stellenaufstockungen in einem verfassungsrechtlich hochumstrittenen Feld, in dem zukünftig ohne ausreichende Rechtsgrundlage agiert wird, in fragwürdiger Weise ermöglicht. Darüber hinaus wurde der Einsatz von rechtsextremen und nicht rechts- extremen V-Leuten endgültig gesetzlich legitimiert – und zu allem sogar versucht, dass der Öffentlichkeit als das Gegenteil, nämlich als Einhegung, zu verkaufen. Mit größter Verwunderung mussten wir zur Kennt- nis nehmen, dass die Große Koalition insgesamt einen von den genannten Skandalen völlig unbeirrten Kurs des Ausbaus von Kompetenzen und Befugnissen der Geheimdienste verfolgt. Für den BND kam das in ei- ner 300 Millionen Euro Finanzspritze zum Ausdruck, mit der unter anderem ausgerechnet der Ausbau der geheimdienstlichen Telekommunikationsüberwachung finanziert werden soll. Für das Bundesamt für Verfas- sungsschutz wurde dies deutlich, als kürzlich ein um- fangreiches Artikelgesetz zur Reform des Bundesamtes durch den Bundestag bugsiert wurde, das nicht mehr und nicht weniger als eine deutliche Aufwertung des Dienstes mit sich bringt – mehr Mittel, mehr Personal und zu- sätzliche Befugnisse. Als Grüne haben wir dagegen vo- tiert. Wir wollen insbesondere den Inlandsgeheimdienst auf dem Prüfstand sehen, ihn von Grund auf reformieren und seine Befugnisse auf das bürgerrechtlich Gebotene einschränken. Schon im damaligen Entwurf für die Reform des Bun- desverfassungsschutzes wollten Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, auch das Bundes- zentralregister aufbohren. Nun haben wir sicherlich Pro- bleme im Bereich der Geheimdienste, denen wir weitaus größere Bedeutung für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zumessen sollten. Doch auch der uns heute zur Abstimmung vorgelegte Ähnlichenservice wirft ein gravierendes rechtsstaatliches Problem auf: Er betrifft die geheimdienstliche Erfassung von Informationen und Daten über Personen, denen ganz überwiegend und de- finitiv nichts vorgeworfen werden kann. Sie haben nur eine Ähnlichkeit mit Jemandem. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512746 (A) (C) (B) (D) Der bis heute allein für das zentrale staatsanwaltliche Verfahrensregister bestehende, euphemistisch sogenann- te Ähnlichenservice soll nun auf das Bundeszentralre- gister ausgeweitet werden. Beim Ähnlichenservice, kon- kret geregelt in § 8 der ZStVBetrV, wird es anfragenden Staatsanwaltschaften aus der gesamten Bundesrepublik ermöglicht, sich in Fällen nicht eindeutig zuordenbarer oder unvollständiger Datensätze für Zwecke der Iden- titätsprüfung bis zu 20 Datensätze von unter ähnlichen Identifizierungsdaten gespeicherten Daten übersenden zu lassen. Diese Datensätze müssen, soweit sie Nichttreffer darstellen, wegen der eindeutigen Zweckbindung unmit- telbar nach Durchsicht gelöscht werden. Zugriffsberechtigt sein sollten nach Ihrem damali- gen Entwurf alle in § 41 BZRG genannten Behörden, ein weiter Kranz. Ihre Idee, derart unter dem Radar der öffentlich diskutierten Reformen auch noch die Zugriffs- möglichkeiten der Geheimdienste auf amtliche Regis- ter zu erweitern, ging leider schief. Der Bundesrat hat völlig zu Recht dagegen interveniert. Die Reform wurde zunächst von den Ländern kassiert. Leider wollten die Länder den Ähnlichenservice jedoch nicht insgesamt stoppen, sondern gaben sich mit einer Beschränkung auf BND, MAD und BfV zufrieden. Der vorgelegte Entwurf dampft damit – auf Druck des Bundesrates – der Sache nach eine Vorschrift wieder ein, die bereits in dem Artikelgesetz zur unsäglichen Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes aufgekommen war. Die gesetzliche Erweiterung der Zugriffsmöglichkei- ten auf die Datenbestände des Bundeszentralregisters stellt einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der dort gespeicherten Personen dar. Nach der Rechtspre- chung des Bundesverfassungsgerichts muss gerade für die in Strafverfahren verwickelten Personen und deren Informationen, auch und gerade nach Beendigung ihrer Strafverfahren, ein besonderes Schutzniveau für Infor- mationen zu ihren strafrechtlichen Verurteilungen beste- hen, um dem grundrechtlich anerkannten sozialen Reha- bilitationsinteresse Rechnung zu tragen. Der bisherige Ähnlichenservice blieb innerhalb der staatsanwaltlichen Verfahren und beschränkte sich auf Ermittlungsverfahren. Es handelt sich dabei um einen bedeutsamen Eingriff in die Grundrechte der davon Betroffenen, weil es in der Mehrzahl völlig unbeschol- tene Personen durch Übermittlung von deren Daten an die Staatsanwaltschaften mit dem Risiko belastet, unge- rechtfertigt in ein – weiteres – Ermittlungsverfahren zu geraten. Schon bislang musste dieses Verfahren der Da- tenübermittlung Unbescholtener deshalb als höchst be- denklich bewertet werden, das allenfalls mit Blick auf die Vorläufigkeit des Ermittlungsverfahrens, der möglichen Entlastungsfunktion für einzelne Tatverdächtige und auf- grund des nicht abschließenden Charakters gerechtfertigt war. Die Erweiterung des Verfahrens auf das Bundeszent- ralregistergesetz stellt eine von der Bundesregierung in der Sache nicht näher – auch nicht empirisch – darge- legte Erstreckung auf einen umfänglichen und besonde- rem gesetzlichen Schutz unterfallenden Datenbestand dar. Für diese grundrechtsrelevante Erstreckung ist die Bundesregierung darlegungspflichtig. Die nunmehr erfolgte Beschränkung ausgerechnet auf die Geheimdienste wird ebenfalls in der Sache nicht näher erläutert. Das ist für einen so grundrechtsintensiven Be- reich wie die Geheimdienste erst recht nicht hinnehmbar. Zudem stellt sich die Frage, ob es nach dem sogenannten Doppeltürenmodell des Bundesverfassungsgerichts nicht zusätzlich einer hinreichend konkreten und bestimmba- ren Regelung zur Inanspruchnahme durch die Dienste in den einschlägigen Geheimdienstgesetzen bedarf. Denn die von Ihrem Gesetz und den arkanen Verweisungsket- ten in Anspruch genommenen Bestimmungen des BZRG und der StPO betreffen automatisierte Übermittlungen, während die Erhebungsnormen des BND und des BfV allein von Einzelersuchen handeln. Auch hier gilt: Für das Gros der Datenübermittlungen fehlt es an jeglicher datenschutzrechtlicher Erforderlich- keit, da es sich – für alle Beteiligten bekannt – nur um ähnliche, aber nicht genaue Datensätze handelt. Schon das Verfahren der Auswahl der Ähnlichendaten durch die für das Bundeszentralregister zuständige Stelle wirft des- halb bislang ungeregelt gebliebene datenschutzrechtliche Fragen auf. Wir meinen: Ähnlichendaten ausgerechnet in der Hand von Geheimdiensten bergen ein besonderes Risiko für die Betroffenen: Gerade der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss hat aufgezeigt, in welchem Umfang die Dienste insbesondere von BND und BfV mit Hilfe von formalen Suchbegriffen, also Telekommunika- tionsmerkmalen, Rasterfahndungen auf Leitungen und in Medien durchführen. Ähnlichendaten sind eine Ver- suchung, diese Daten in die bestehenden Systeme einzu- spielen und – entgegen der gesetzlich vorgeschriebenen Zweckbindung auf Identitätsfeststellung – auf mögliche Treffer in den Datenbanken hin zu überprüfen. Nach der Rechtslage wäre dies aufgrund der eindeutigen Zweck- bindung allein zur Identifizierung eines unklaren Daten- satzes zwar unzulässig, aber im Bereich der Signal In- telligence etwa des BND wurde in den zurückliegenden 15 Jahren in vielerlei Hinsicht offenkundig rechtswidrig gehandelt oder die bestehenden Rechtsvorschriften krea- tiv zu eigenen Gunsten ausgelegt. Unser Fazit zum heute vorgelegten Gesetzesvorschlag lautet deshalb: Der bisher allein für die Staatsanwalt- schaften im Rahmen von Ermittlungsverfahren bestehen- de Ähnlichenservice ist ohnehin datenrechtlich höchst fragwürdig, weil er Informationen von Unbescholtenen in laufende Ermittlungen hereingibt. Seine Ausweitung auf das BZRG – ausgerechnet auf die Geheimdienste – ist nicht nur in der Sache fahrlässig, sondern rechtlich höchst fragwürdig. Wir haben deshalb diese Erweiterung geheimdienstlicher Zugriffe auf das Bundeszentralregis- tergesetz bereits im Rahmen der Reform des Bundesver- fassungsschutzgesetzes kritisiert und abgelehnt. Wir enthalten uns heute allein deshalb, weil die einen noch gravierenderen Eingriff darstellende Regelung aus dem damaligen Verfahren, also die Erstreckung des Ähn- lichenservice auf alle in § 41 BZRG genannten Behör- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12747 (A) (C) (B) (D) den, von Ihnen wieder – wenn auch nicht freiwillig – aufgenommen wurde. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung und Schlussabstimmung des von der Bunderegierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ir- land zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver- mögen (Tagesordnungspunkt 22) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Das vorlie- gende Änderungsprotokoll soll hinsichtlich der Besteue- rung von Unternehmensgewinnen die Aktualisierung des Artikel 7 des Musterabkommens für den Bereich Steuern vom Einkommen und vom Vermögen der OECD auch im Doppelbesteuerungsabkommen mit der Republik Irland nachvollziehen. Das Musterabkommen der OECD, dessen Artikel 7 seit 2010 neu gefasst wurde, sieht jetzt den sogenannten „Authorized OECD Approach – AOA“ für die Auftei- lung der Gewinne zwischen einer Betriebsstätte und dem Unternehmen vor, zu dem sie gehört. Damit wird einer Vereinheitlichung der internationalen Betriebsstättenbe- steuerung Rechnung getragen. Grundsätzlich sind dabei zwei Arten von Betriebsstätten zu unterscheiden; zum einen feste Geschäftseinrichtungen, über die das Unter- nehmen eine gewisse Verfügungsmacht hat, und zum an- deren den abhängigen Vertreter mit der Vollmacht zum Abschluss von Verträgen für den Geschäftsherren. Für die angemessene Aufteilung der Gewinne zwi- schen dem Unternehmen und der Betriebsstätte kann man wiederum zwei Ansätze wählen. Sieht man die Betriebsstätte als Einheit, die nur mit einer eingeschränkten Selbstständigkeit ausgestattet ist, dann wird sie als Teil des Gesamtunternehmens defi- niert. Der Fremdvergleich ist bei dieser Auffassung nur eingeschränkt für Warentransaktionen vorgesehen, und logischerweise kann auch die Betriebsstätte dann keinen Gewinn machen, wenn das Gesamtunternehmen einen Verlust macht. Demgegenüber steht die Auffassung der uneinge- schränkten Anwendung des Fremdvergleichs. Das bedeu- tet, dass auf alle Transaktionen innerhalb des Einheitsun- ternehmens der Fremdvergleich Anwendung findet und damit letztlich auch die Betriebsstätte einen Gewinn aus- weisen kann, selbst wenn das Gesamtunternehmen einen Verlust macht. Die Betriebsstätte wird damit ähnlich wie ein Tochterunternehmen behandelt. Dieser zweite Ansatz der Betriebsstättenbesteuerung wird dem neuen Artikel 7 des OECD Musterabkommen zugrunde gelegt. Mit dem im alten DBA Irland enthaltenen Artikel 7 konnten weder die grenzüberschreitenden Gewinne ei- nes Unternehmens sachgerecht aufgeteilt werden, noch konnten Gewinnverlagerungen begegnet werden. Mit der Änderung des Artikel 7 im neuen Abkommen wird jetzt die Möglichkeit geschaffen, aufgrund eines international anerkannten Fremdvergleichs die zutreffende Gewinn- aufteilung zwischen Betriebsstätte und Gesamtunterneh- men zu erreichen. Damit können Besteuerungslücken ge- schlossen werden und Besteuerungskonflikte vermieden werden. Im neuen DBA werden allerdings Lebensversiche- rungsgeschäfte, die vor dem 1. Januar 2001 abgeschlos- sen wurden, aufgrund der irischen Rechtslage zur steuer- lichen Behandlung von Altverträgen in diesem Bereich unverändert nach den alten Vorschriften erfasst. Große Auswirkungen wird dies allerdings kaum entfalten, weil der Umfang eher unwesentlich ist. Neben der Änderung des Artikel 7 werden noch klei- nere Änderungen erfasst wie die Vertragsstaatendefiniti- on der Bundesrepublik und die Aktualisierung der unter das Abkommen fallenden irischen Steuern. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist aber auch, dass Irland inzwischen nationale Maßnahmen ergriffen hat, um das Modell des sogenannten „double Irish“ für die Zukunft zu schließen. Mit dieser Gestaltung konnten amerikanische Gesellschaften ihre Gewinne fast steuerfrei über irische Tochtergesellschaften verlagern. Das ist zwar nicht unmittelbar ein Ausfluss dieses Ab- kommens, aber es zeigt, dass die Bemühungen der Bun- desregierung zur Verhinderung von Gestaltungsmöglich- keiten mit Auslandsbezug Früchte tragen. Das Gesetz ist unproblematisch, aktualisiert ein DBA und passt es an die aktuelle Abkommenspolitik der Bun- desrepublik an. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu die- sem Gesetz. Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Wir haben nicht sehr oft die Gelegenheit, im Plenum über den Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen zu debattieren. Insofern freue ich mich, dass die Revision des Abkommens mit Irland uns jetzt Anlass bietet, dieses Thema einmal öf- fentlich zu diskutieren. Doppelbesteuerungsabkommen sind für die exportori- entierte deutsche Wirtschaft von immenser Bedeutung. Mit jedem zusätzlichen Abkommen schaffen wir Rechts- und Planungssicherheit in Steuerangelegenheiten, im Übrigen nicht ausschließlich für Unternehmen, sondern auch für Arbeitnehmer, Rentner und Studenten, die sich für längere Zeit im Ausland aufhalten. Jedes Abkommen fördert und vertieft die wirtschaftlichen Beziehungen zu diesen Staaten. Wir gewährleisten mit ihnen aber vor al- lem eine wirksamere und zutreffendere Steuererhebung, indem wir sowohl die doppelte Besteuerung als auch die mindestens ebenso unerwünschte doppelte Nicht-Be- steuerung verhindern. Mit insgesamt 85 Staaten hat die Bundesrepublik Deutschland derzeit Abkommen auf dem Gebiet der Einkommen und Vermögen, bei Erbschaften und Schen- kungen und zum Austausch von Steuerinformationen, abgeschlossen. Weitere 59 Abkommen befinden sich im Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512748 (A) (C) (B) (D) Verhandlungsstadium, bzw. sind bereits unterschrieben, aber noch nicht in Kraft getreten. Zunächst möchte ich an dieser Stelle einmal hervorheben, dass die Schlagzahl der Revision von bestehenden oder des Neuabschlusses von Doppelbesteuerungsabkommen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. In der Amtszeit von Wolfgang Schäuble wurden bereits mehr als doppelt so viele Ab- kommen geschlossen wie jeweils zuvor von seinen bei- den Amtsvorgängern. Für dieses im ureigenen Interesse der Bundesrepublik stehende Engagement gebührt unser aller Dank und Anerkennung vor allem dem Bundesfi- nanzminister, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mit- arbeitern im Bundesfinanzministerium und im Auswär- tigen Amt. Wir debattieren hier im Deutschen Bundestag aus gu- ten Gründen Fälle von Steuerhinterziehung, bei denen Vermögenswerte im Ausland vor den deutschen Behör- den versteckt werden. Vor diesem Hintergrund ist die zunehmende Zahl von Abkommen zum Informations- austausch – allein 14 von 31 seit 2010 – ein wichtiger Baustein, diesen Machenschaften ein Ende zu bereiten. Vor ziemlich genau einem Jahr gelang Finanzminister Schäuble das Meisterstück, bei einer Steuerkonferenz in Berlin mit über 50 Staaten den automatischen Informati- onsaustausch zu vereinbaren. Darunter befinden sich be- kannte Steueroasen wie die Bermudas und die Cayman Islands, aber auch zur Steuervermeidung gern genutzte europäische Staaten wie Liechtenstein, Luxemburg und die Schweiz. Steuerhinterziehung wird dadurch weitest- gehend unmöglich, und das ist der Erfolg dieser Bundes- regierung und von Wolfgang Schäuble ganz persönlich. Doch nicht nur das Verstecken privater Vermögens- werte im Ausland ist ein Problem. Gerade international operierende Konzerne haben kreative Wege gefunden, ihre eigene Steuerlast auf ein Minimum zu reduzieren. Die Bundesregierung hat dieses Problem seit Jahren im Blick und auch entsprechende Abwehrmaßnahmen er- griffen. Erinnern möchte ich an dieser Stelle an die Zins- schranke, Regelungen zur Funktionsverlagerung, die Hinzurechnungsbesteuerung und weitere Maßnahmen, die 2008 im Zuge der Unternehmenssteuerreform auf den Weg gebracht wurden. Dazu kommen „treaty overri- de“-Maßnahmen als Reaktion auf „treaty shopping“-Ak- tivitäten und Umschaltklauseln von der Freistellungs- auf die Anrechnungsmethode für den Fall, das in dem ande- ren Staat keine oder eine deutlich zu geringe Besteuerung stattfindet. Doch wir leben in einer globalisierten Welt. Die besten nationalen Gesetze nützen nichts, wenn inter- national nicht an einem Strang gezogen wird. Und auch hier übernimmt die Bundesrepublik Deutschland eine Führungsrolle. Der 2012 auf OECD-Ebene unter dem Kürzel BEPS initiierte Prozess zur Verhinderung von Gewinnverlagerungs- und Steuervermeidungsstrategien wurde von der Bundesregierung maßgeblich vorangetrie- ben. In der vergangenen Woche wurde der Abschlussbe- richt mit seinem 15-Punkte-Aktionsplan der Öffentlich- keit vorgestellt und von der Fachwelt auf breiter Basis gelobt. Jetzt geht es darum, dass dieser Aktionsplan in den 34 OECD-Mitgliedstaaten und den über 80 assozi- ierten Staaten möglichst ungeschmälert umgesetzt wird. Bemerkenswert dabei ist, dass einige der Maßnahmen, die wir national zur Verhinderung von Gewinnverlage- rungen bereits umgesetzt haben, jetzt auch international als probates Mittel anerkannt und in den Aktionsplan aufgenommen wurden. Auch dies ist ein Erfolg dieser Bundesregierung. Wir aktualisieren heute im Doppelbesteuerungsab- kommen mit Irland im Wesentlichen den Abschnitt über Unternehmensgewinne. Ersetzt wird das bisherige quo- tale System durch den auf OECD-Ebene vereinbarten Fremdvergleichsgrundsatz, den sogenannten Authorised OECD Approach. Deutschland hat an der Ausarbeitung dieses Standards entscheidend mitgewirkt, und es ist gut und richtig, dass in dieser entscheidenden Frage der Un- ternehmensgewinne eine internationale Einigung über deren Zuordnung zu einer Betriebsstätte erzielt werden konnte. Es ist daher nur konsequent, diesen Standard auch in der Praxis umzusetzen, und das werden wir heute tun. Ich habe daher wenig Verständnis für die vonseiten der Grünen und Linken im Finanzausschuss geäußerte Kritik an dieser Vereinbarung. Wie sollen wir denn von anderen Staaten Vertragstreue und die Einhaltung inter- nationaler Regeln fordern, wenn wir selbst nicht mit gu- tem Beispiel vorangehen? Zudem irren Sie sich, wenn Sie glauben, die alte Regelung wäre besser für das deut- sche Steueraufkommen und die Verhinderung von Ge- winnerlagerungen in das Niedrigsteuerland Irland. Wenn Sie sich einmal mit Fachleuten unterhalten, werden Sie schnell feststellen, dass dem nicht so ist. Von der Opposition kam darüber hinaus Kritik an der Tatsache, dass in diesem Abkommen mit Irland die Doppelbesteuerung durch die Freistellungsmethode ver- hindert werden soll, die im Übrigen ergänzt wird durch Klauseln zum Umschalten auf die Anrechnungsmethode. Sie haben vorgeschlagen, stattdessen generell auf die An- rechnungsmethode umzuschwenken, wenn möglich in sämtlichen Abkommen weltweit. Ich kann nur eindring- lich davor warnen, diesen Weg tatsächlich zu gehen. Für unsere auf Export ausgerichtete deutsche Wirtschaft ist es von elementarer Bedeutung, auf ausländischen Märk- ten mit den dortigen Wettbewerbern zu gleichen Bedin- gungen konkurrieren zu können. Dies ist nur durch die Freistellungsmethode gewährleistet und Grundbedin- gung für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unterneh- men im Ausland. Ein genereller Wechsel zur Anrech- nungsmethode wird nicht, wie von Ihnen behauptet, das Steueraufkommen in Deutschland erhöhen, sondern den Wirtschaftsstandort insgesamt deutlich schwächen. Wir sehen also heute am Beispiel des Doppelbesteu- erungsabkommens mit Irland sehr plastisch, dass die Bundesregierung konzentriert daran arbeitet, Steuerhin- terziehung, Gewinnverlagerung und schädliche Gestal- tungsmaßnahmen einzudämmen. Darüber hinaus ist sie äußerst erfolgreich darin, verbindliche Standards auf internationaler Ebene zu vereinbaren. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Jetzt kommt es darauf an, dass auch internationale Partner, aber aus meiner Sicht vor allem unsere europäischen Partner, diesen Weg konse- quent verfolgen, anstatt ein Unterbietungswettrennen um den geringsten Steuersatz zu veranstalten. Auch diesen Gesprächen wird sich unser Bundesfinanzminister nicht verschließen, und ich wünsche ihm und seinen Mitarbei- tern dabei allen erdenklichen Erfolg. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12749 (A) (C) (B) (D) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Doppelbe- steuerungsabkommen haben für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und für die Steuererhebung der Staaten eine immense Bedeutung. Es handelt sich um völkerrechtliche Verträge zwischen zwei Staaten, in denen geregelt wird, in welchem Umfang das Besteue- rungsrecht einem Staat, für die in einem der beiden Ver- tragsstaaten erzielten Einkünfte, zusteht. Bisher sollten Doppelbesteuerungsabkommen vor allem verhindern, dass Steuerpflichtige, die in beiden Staaten Einkünfte erzielen, in beiden Staaten – also doppelt – besteuert werden. Die aggressive Steuerplanung multinationaler Konzerne, die die mangelnde Abstimmung zwischen den nationalen Steuersysteme zu ihrem Vorteil ausnutzen, hat aber die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen gelenkt: die Verhinde- rung der doppelten Nichtbesteuerung von Einkünften. Die heute zur Debatte stehenden Änderungen des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutsch- land und Irland sind gerade aufgrund der vorgesehenen Änderungen bei der Besteuerung grenzüberschreitend tätiger Unternehmen interessant. Im Schwerpunkt geht es um die Anpassung der Regelungen zur Besteuerung von Betriebsstätten an den sogenannten „Authorized OECD-Approach“. Bei Betriebsstätten handelt es sich um rechtlich unselbständige Geschäftseinrichtungen, die ein deutsches Unternehmen im Ausland unterhält oder um solche Geschäftseinrichtungen, die ein im Ausland ansässiges Unternehmen in Deutschland betreibt. Bisher gibt es eine weitgehend uneinheitliche Praxis der inter- nationalen Betriebsstättenbesteuerung. Teilweise werden indirekte Gewinnaufteilungsmethoden angewandt, die die Zuordnung von Einkünften nach pauschalen Schlüs- seln vorsehen. Nach dem „Authorized OECD-Approach“ wird eine Betriebsstätte für die grenzüberschreitende Gewinnauf- teilung zwischen ihr und dem Unternehmen, zu dem sie gehört, wie ein eigenständiges Unternehmen behandelt. Um dies zu ermöglichen, muss für die rechtlich unselb- ständige Betriebsstätte eine steuerliche Nebenrechnung erstellt werden, die inhaltlich der Bilanz eines eigenstän- digen Unternehmens entspricht. Dazu wir in einem ersten Schritt festgestellt, welche Funktionen die Betriebsstätte im Verhältnis zum restlichen Unternehmen durch ihr Personal tatsächlich ausübt. Davon ausgehend werden Vermögenswerte, Chancen bzw. Risiken sowie das dafür erforderliche Eigenkapital zugeordnet. In einem zwei- ten Schritt werden für Geschäftsfälle zwischen einem Unternehmen und seiner rechtlich unselbständigen Be- triebsstätte grundsätzlich schuldrechtliche Beziehungen unterstellt. Auf diese anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind dann die Grundsätze der OECD-Ver- rechnungspreisrichtlinien anzuwenden, die dem Fremd- vergleichsgrundsatz entsprechen. Für die Geschäftsfälle mit andern Teilen des Unternehmens werden Fremdprei- se unterstellt, die zwischen fremden Dritten vereinbart worden wären. Der Betriebsstätte werden somit die Ge- winne zugerechnet, die sie erzielen würde, wenn sie ein selbständiges Unternehmen wäre. Dieses Verfahren halte ich für besser, als die bisherige indirekte pauschale Auf- teilung – wenn wir ehrlich sind, kennen wir nicht einmal die genauen – in der Praxis angewandten – Kriterien bzw. Parameter, nach denen die pauschale Aufteilung erfolge. Auf Basis des von der OECD entwickelten Ansatzes kann künftig nicht nur eine international einheitliche, sondern auch eine zielgenauere Gewinnermittlung erfol- gen. Deutschland erhält somit bessere Möglichkeiten, die Gewinne deutscher Betriebsstätten ausländischer Unter- nehmen zu korrigieren und seine Besteuerungsrechte zu wahren. Wie schon angedeutet: Die Annahme, dass die bisher teilweise angewandten indirekten Gewinnaufteilungsme- thoden, die auch nach dem alten DBA mit Irland zuläs- sig waren, besser als die Gewinnaufteilung nach Fremd- vergleichsgrundsätzen zur Eindämmung aggressiver Steuerplanung geeignet seien, trifft nach Auffassung der Fachleute in der Finanzverwaltung nicht zu. Dies ist auf Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Gesamtgewinns eines Unternehmens, der Festlegung eines zutreffenden pauschalen Aufteilungsmaßstabes und der Berücksichti- gung von Verlusten anderer Unternehmensteile zurückzu- führen. In der Vergangenheit boten die indirekten Gewin- naufteilungsmethoden offensichtlich keinen wirksamen Schutz vor den Steuergestaltungen der Unternehmen. Ich habe die Erwartung, dass das geänderte Doppelbesteue- rungsabkommen mit Irland aufgrund der Anwendung des Authorized OECD-Approaches zu einer besseren gren- züberschreitende Aufteilung von Besteuerungsgrundla- gen zwischen Betriebsstätten und den Mutter-Unterneh- men führen wird. Deshalb stimmen wir dem – Achtung: „Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermei- dung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen“ auch zu. Richard Pitterle (DIE LINKE): Wie schön wäre es doch, wenn hehren Worten auch einmal handfeste Taten folgen würden. Alle paar Wochen gelobt der Bundesfi- nanzminister, dass man für mehr Steuergerechtigkeit sor- gen werde, dass man Steuerumgehung bekämpfen werde, dass man es großen internationalen Konzernen wie Ap- ple, Google und Konsorten bald unmöglich mache, ihre Gewinne ins Ausland zu verlagern, und dass man sie auf diesem Wege endlich dazu bringe, hierzulande die ihrem Gewinn tatsächlich angemessenen Steuern zu zahlen. Nur leider, leider, Sie ahnen es schon: Es folgen keine handfesten Taten. Die Beteuerungen der Bundesregie- rung sind mal wieder nichts als heiße Luft. Schlimmer noch, Sie, meine Damen und Herren von der Bundesre- gierung, machen mit dem hier vorgelegten Gesetzent- wurf sogar eher das Gegenteil und erleichtern Steuerum- gehung. Das lässt die Linke ihnen so nicht durchgehen. Folgendes haben Sie vor: Mit dem Gesetzentwurf streichen Sie eine ganz bestimmte Regelung im Doppel- besteuerungsabkommen zwischen der Republik Irland und Deutschland. Bisher gab es nach Artikel 7 Absatz 4 des Abkommens die Möglichkeit, den Gewinn einer be- stimmten Betriebsstätte durch Aufteilung der Gesamtge- winne eines Unternehmens zu ermitteln. Im Klartext heißt das Folgendes: Macht ein Unternehmen hierzulande gro- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512750 (A) (C) (B) (D) ßen Reibach, zahlt dafür hier aber kaum Steuern, weil der Hauptsitz in Irland ist, so kann man den in Deutschland anfallenden Gewinn aus dem Gesamtgewinn des Unter- nehmens herausrechnen und hier besteuern. Das wäre nur gerecht, denn Steuern müssen dort gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfindet. Also, meine Damen und Herren von der Bundesre- gierung, wieso streichen Sie diese Regelung? Sie spielen Apple und Co. in die Karten und das sehenden Auges. Mit der Bekämpfung von Steuerumgehung hat das nichts zu tun. Ihr Verweis darauf, dass Sie mit dem heutigen Ge- setz das Doppelbesteuerungsabkommen an den neuesten OECD-Standard anpassen, ist keine Entschuldigung und schon gar keine Verbesserung. Zwar soll auch der neue OECD-Standard auf dem Papier der Verhinderung von Steuerumgehung dienen, Sie lassen dabei aber einfach unter den Tisch fallen, dass der neue Standard innerhalb der Staatengemeinschaft hoch umstritten ist und teil- weise sogar die Befürchtung besteht, dass er zusätzliche Möglichkeiten zur Gewinnverschiebung zwischen Staa- ten und somit zur Steuerumgehung bietet. Auch an einer anderen Stelle machen Sie, meine Da- men und Herren von der Bundesregierung einen leider alles andere als kompetenten Eindruck: Auf eine Anfrage der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen erklären Sie, dass Ihre Streichung der bisherigen Regelung nicht dazu führen würde, dass Deutschland künftig ein Instru- ment zur effektiven Besteuerung internationaler Kon- zerne fehlt. In derselben Anfrage erklären Sie aber auch, dass Sie überhaupt nicht wissen, ob und in wie vielen Fällen die bisherige Regelung jemals angewandt wurde. Das ist schon ein starkes Stück. Sie geben offen zu, keine Kenntnis von der möglicherweise sehr guten Wirksam- keit einer Regelung zur Bekämpfung der Steuerumge- hung zu haben, schaffen Sie aber einfach ab. So macht man keine seriöse Steuerpolitik. Die Lin- ke wird dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, denn im Gegensatz zur Bundesregierung nehmen wir den Kampf gegen Steuerumgehung ernst. Wenn Großkonzerne wie Apple und Co. hierzulande satte Gewinne einfahren, dann müssen diese auch besteuert werden. Alles andere geht zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aus der Mitte der Gesellschaft, und das ist mit der Linken nicht zu machen! Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie ver- passen es mit der übereilten Anpassung des Doppelbe- steuerungsabkommens mit Irland, ein Zeichen gegen die Praxis internationaler Konzerne zu setzen, die in Europa Steuersonderregime nutzen, um ihre Steuerlast so weit es geht zu senken. Gerade Irland hat in der Vergangenheit durch Steu- ergeschenke versucht, internationale Unternehmen an- zusiedeln. Zwar ist das Ende der schädlichsten Steu- erpraktik vielleicht in der gesamten EU besiegelt. Der sogenannte Double Irish wurde 2014 von der irischen Regierung abgeschafft. Aber es gibt Übergangsregelun- gen bis ins nächste Jahrzehnt, und es wurde bereits ange- kündigt, dass Irland stattdessen eine Patentbox schaffen wird. Statt über das Konstrukt des Double Irish, also über zwei irische Tochterunternehmen, Gewinne nahezu un- versteuert in wirkliche Steuersümpfe wie die Cayman-Is- lands zu schaffen, dürfen internationale Konzerne also mit Rabatten auf geistiges Eigentum rechnen. Das ist kaum besser und ebenfalls sehr gestaltungsanfällig. Auch diese Konstrukte lehnen wir als Fraktion vehement ab. Aber mit Apple und Google haben die amerikanischen Konzerne die Geschenke Irlands dankend angenommen, die bei der Praxis der legalen Steuervermeidung als ne- gatives Musterbeispiel dienen können, und sie stehen bei weitem nicht alleine da. Durch die Änderung des bestehenden Artikel 7 im Doppelbesteuerungsabkom- men der Bundesrepublik mit Irland und die damit ver- bundene Anpassung des Artikels an das 2010 reformierte OECD-Musterabkommen gibt die Bundesregierung eine Möglichkeit aus der Hand, diesen Praktiken der interna- tionalen Steuervermeidung Einhalt zu gebieten. Auch wenn die Bundesregierung sich auf die Imple- mentierung internationaler Standards beruft, so muss ich mit meiner Fraktion hier feststellen, dass dieser interna- tionale Standard an der Stelle eine Verschlechterung zum Status quo darstellt. Ich kann das sehr anschaulich ma- chen an einem Passus, der aus dem bisher gültigen Ab- kommen gestrichen werden soll – ich zitiere –: „Soweit es in einem Vertragsstaat üblich ist, die einer Betriebs- stätte zuzurechnenden Gewinne durch Aufteilung der Gesamtgewinne des Unternehmens auf seine einzelnen Teile zu ermitteln, schließt Absatz 2 nicht aus, dass dieser Vertragsstaat die zu besteuernden Gewinne nach der übli- chen Aufteilung ermittelt; die Gewinnaufteilung muss je- doch derart sein, dass das Ergebnis mit den Grundsätzen dieses Artikels übereinstimmt.“ Statt wie bisher Gewinn- aufteilung, also Unitary Taxation, als Grundlage der Be- steuerung für Betriebsstätten zu nutzen, wird das Fremd- vergleichsprinzip in dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Irland implementiert, und das ist sehr viel anfälliger für schädliche Steuervermeidungsmethoden. Die Bundesregierung und die Große Koalition neh- men also deutschen Steuerbehörden aktiv ein Mittel, mit denen sie negative Steuergestaltungen verhindern könnten. Die Reden der Minister Schäuble und Gabriel für den Kampf gegen internationale Steuervermeidung sind damit reine Sonntagsreden und als Schönfärberei entlarvt. Die Bundesregierung muss sich an ihrem Han- deln messen lassen, und hier versagt sie. Wir lehnen die geplante Änderung am Doppelbesteuerungsabkommen mit Irland ab. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Lebensmittelspezialitätengesetzes (Ta- gesordnungspunkt 23) Alois Rainer (CDU/CSU): Mit der vorliegenden Gesetzesänderung zum Ersten Gesetz zur Änderung des Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12751 (A) (C) (B) (D) Lebensmittelspezialitätengesetzes gehen wir auf die Ver- ordnungen 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 21. November 2012 ein. Im Einzelnen sind die Qualität und die Vielfalt der Erzeu- gung in der Landwirtschaft, der Fischerei und der Aqua- kulturen der Europäischen Union in ihrer jeweiligen Art und Stärke zu erhalten und der Wettbewerbsvorteil der Union weiter auszubauen. Ein weiterer Punkt ist, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher insbesondere in Deutschland zum ei- nen über die Qualität von Produkten informiert werden möchten und zum anderen zunehmend Qualitätserzeug- nisse sowie traditionelle Erzeugnisse verlangen. Dadurch entsteht eine Nachfrage nach Agrarerzeugnissen oder Le- bensmitteln mit bestimmbaren besonderen Merkmalen, insbesondere solchen, die eine Verbindung zu ihrem geo- grafischen Ursprungs aufweisen. Erzeuger können nur dann weiterhin hochwertige Pro- dukte und Qualitätserzeugnisse herstellen, wenn sie da- für entsprechend und angemessen entlohnt werden. Des- halb ist gerade mit Blick auf „Labellisierung“ im Markt wichtig, dass die Erzeugnisse auf dem Markt sachgemäß kenntlich gemacht werden. Käufer und Verbraucher soll- ten sich im Rahmen eines fairen Wettbewerbs über die Merkmale ihres Erzeugnisses informieren können. Ein wesentliches Ziel des Gesetzes ist, die Erzeuger von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln dabei zu un- terstützen, Käufer und Verbraucher über die Produktei- genschaften und Bewirtschaftungsmerkmale dieser Erzeugnisse und Lebensmittel zu unterrichten. So sind Schwäbische Spätzle, Nürnberger Lebkuchen, Allgäuer Emmentaler oder Thüringer Rostbratwurst nicht nur weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt, sie sind darüber hinaus auch besonders geschützt. Geografische Angaben und Ursprungsbezeichnun- gen sowie auch garantiert traditionelle Spezialitäten für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel können durch EU-Recht geschützt werden. Die EU-Gü- tezeichen „g.U.“ (geschützte Ursprungsbezeichnung), „g.g.A.“ (geschützte geografische Angabe) und „g.t.S.“ (garantiert traditionelle Spezialität) wurden von der EU im Jahre 1992 als System zum Schutz und zur Förderung traditioneller und regionaler Lebensmittelerzeugnisse eingeführt. Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Le- bensmittelspezialitätengesetzes setzt die EU-rechtlichen Bestimmungen über Qualitätsregelungen in nationales Recht um. Speziell wird das Verfahren für das Güte- zeichen „geschützte traditionelle Spezialität – g.t.S.“ entsprechend der EU-Vorgaben angepasst, wonach, wie gerade geschildert, für den Produktionsprozess entschei- dend ist, dass dem traditionellen Rezept oder Herstel- lungsverfahren gefolgt wird. Damit ist es möglich, eine Sanktionierung bei Verstö- ßen gegen den Schutzbereich der garantiert traditionel- len Spezialität umzusetzen. Dies ist insbesondere auch dann gegeben, wenn ein Hersteller vor der erstmaligen Vermarktung das Produkt nicht auf die Einhaltung der Produktspezifikation hat überprüfen lassen. Weiter soll der neue Begriff „Bergerzeugnis“ einge- führt werden. Mit Verwendung dieser Qualitätsangabe dürfen nur Erzeugnisse verwendet werden, bei denen sowohl Rohstoffe als auch Futter für die Nutztiere über- wiegend aus Berggebieten stammen. Und im Falle von Verarbeitungserzeugnissen muss auch die Verarbeitung in Berggebieten erfolgen. Carola Stauche (CDU/CSU): Heute beraten wir in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes. Dabei geht es darum, das bestehende nationale Recht an novelliertes EU-Recht anzupassen. Denn in der EU-Ver- ordnung Nummer 1151/2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel wurde das Recht der traditionellen Spezialitäten neu geregelt und die be- stehende Verordnung aus dem Jahre 2006 aufgehoben. Entsprechend wurden auch die Umsetzung und Durch- führung auf EU-Ebene neu geregelt. Es handelt sich bei dieser Rechtsanpassung zu den garantiert traditionellen Spezialitäten jedoch nicht etwa um Schutzvorschriften für Allgäuer Emmentaler oder Thüringer Rostbratwurst. Diese sind nämlich über die Herkunftsangaben „geschützte Ursprungsbezeichnung“ und „geschützte geografische Angabe“ abgesichert. Im vorliegenden Entwurf geht es hingegen vor allem um die „garantiert traditionellen Spezialitäten“. Dieses Quali- tätssiegel ergibt sich aus der traditionellen Zusammen- setzung bzw. dem traditionellem Herstellungsverfahren eines Produktes und ist nicht an eine bestimmte Region oder einen bestimmten Ort gebunden. Der heute dis- kutierte Gesetzentwurf befasst sich vor allem mit dem Antrags- und Einspruchsverfahren und dem Verbot der widerrechtlichen Nutzung eines geschützten Namens. In Deutschland haben wir jedoch bisher kein Produkt, das nach diesem EU-Standard geschützt ist, da bei uns aus- schließlich die geografischen Herkunftsangaben genutzt werden. Wichtiger ist daher die Einführung des neuen Quali- tätsbegriffs „Bergerzeugnis“. Hierin sind klare Regeln vorgesehen, wann ein Produkt als „Bergerzeugnis“ ver- marktet werden kann. Die wesentliche Produktion muss in Berggebieten stattfinden: Berggebiete in diesem Sin- ne sind nach EU-Definition Gebiete, in denen aufgrund von Höhen- bzw. Hanglage und kurzer Vegetationszeit Landwirtschaft nur unter erschwerten Bedingungen praktiziert werden kann. In Deutschland gehören mehr als 400 000 Hektar Fläche zu den benachteiligten Berg- gebieten. Erzeugnisse tierischen Ursprungs können künftig als „Bergerzeugnis“ vermarktet werden, wenn die betreffen- den Tiere mindestens in den letzten beiden Dritteln ihrer Lebenszeit in den genannten Berggebieten aufgezogen und die Erzeugnisse in Berggebieten verarbeitet werden. Spezielle Regelungen sind vorgesehen für Wandertiere und Futtermittel. Imkereierzeugnisse dürfen als Bergerzeugnis be- zeichnet werden, wenn die Bienen Nektar und Pollen ausschließlich in Berggebieten gesammelt haben. Ver- fütterter Zucker muss nicht aus Berggebieten stammen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512752 (A) (C) (B) (D) Gegenteiliges wäre auch nicht zu realisieren, da Zucker- produktion in Berggebieten nicht vorhanden ist. „Bergerzeugnis“ und „garantiert traditionelle Spezi- alität“, „geschützte Ursprungsbezeichnung“ und „ge- schützte geografische Spezialität“: All diese Gütesiegel haben den Sinn, gewachsene Traditionen in der Lebens- mittelherstellung zu fördern, traditionelle Qualität zu schützen und Vermarktungsmöglichkeiten zu fördern. Ich bin der Meinung, dass hier ein bewährtes Konzept sinnvoll weiterentwickelt wird und unsere erfolgreiche und verdienstvolle Land- und Ernährungswirtschaft auch weiterhin nach Kräften unterstützt wird. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Der Qualitätsan- spruch von Verbraucherinnen und Verbrauchern bei fri- schen und verarbeiteten Lebensmitteln ist in den letzten Jahren merklich gestiegen. Immer mehr Menschen wol- len wissen, woher die Produkte stammen, für die sie im Supermarkt ihr Geld ausgeben. Sie wollen wissen, wo sie erzeugt und wie sie hergestellt wurden. Das gilt für ausgewiesene Lebensmittelspezialitäten umso mehr. Das wachsende Informationsbedürfnis der Verbrau- cherinnen und Verbraucher hat dazu geführt, dass wir es heute im Verbraucheralltag mit einer Fülle von Labels und Auszeichnungen zu tun haben. Das Internetportal der Verbraucherinitiative „Label-Online“ hat in der Katego- rie „Essen und Trinken“ inzwischen 160 verschiedene Kennzeichnungen gesammelt und bewertet. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der La- bellandschaft nun eine weitere Produktkennzeichnung hinzugefügt: das Qualitätsmerkmal „Bergerzeugnis“. So hat es die EU in ihrer neuen Verordnung über Qualitäts- regelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel vor- gesehen. Mit dem Begriff „Bergerzeugnis“ dürfen damit künftig nur noch solche Lebensmittel beworben werden, die den in der Verordnung gesetzlich definierten Anfor- derungen entsprechen. Ich begrüße es außerordentlich, dass die Bergwirt- schaft durch diese neue Regelung die Möglichkeit erhält, Verbraucherinnen und Verbraucher auf die besondere re- gionale Herkunft ihrer Erzeugnisse hinzuweisen. Bergbauern und Verarbeiter in Bergregionen stellen ihre Produkte oft unter beschwerlichen Bedingungen und zu vergleichsweise hohen Produktionskosten her. Mit der Einführung des neuen Qualitätsbegriffs können sie ihre Produkte nun gezielt bewerben und Vermarktungslücken besser nutzen. Als Verbraucherpolitikerin ist es mir bei neuen Kenn- zeichnungen aber immer auch wichtig, dass den Verbrau- cherinnen und Verbrauchern bewusst ist, welche Bedeu- tung sich hinter dem Begriff tatsächlich verbirgt. Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, die zentralen Defini- tionskriterien hier wiederzugeben. Für Eier und Milch darf die Bezeichnung „Berger- zeugnis“ dann genutzt werden, wenn die Tiere, von de- nen sie stammen, in Berggebieten gehalten werden und ihr Futter überwiegend in den Bergen angebaut wurde – bei Legehennen zu mindestens 50 Prozent, bei Milchkü- hen zu mindestens 60 Prozent. Beim Fleisch müssen die Tiere die letzten zwei Drittel ihres Lebens in Berggebieten verbracht haben. Für Wan- derherden gelten Ausnahmen. Der erlaubte Anteil des zu- gekauften Futters variiert dabei zwischen 40 Prozent bei Rindern und 75 Prozent bei Schweinen. Verarbeitete Erzeugnisse dürfen „Bergerzeugnis- se“ heißen, sofern nicht mehr als 50 Prozent der Zuta- ten sowie Kräuter, Gewürze und Zucker außerhalb von Berggebieten stammen. Die Verarbeitung von Milch und Fleisch von Berggebieten kann auch in bis zu 30 Kilome- ter Umgebung der Berggebiete erfolgen. Es steht außer Frage, dass klar definierte Begrifflich- keiten und unabhängig geprüfte Label den Verbrauche- rinnen und Verbrauchern eine wichtige Orientierungshil- fe bieten. Gute Beispiele hierfür sind das EU-Biosiegel oder die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung. Wie wichtig geschützte Angaben zur Herkunft auch für die Landwirtschaft sind, zeigte sich nicht zuletzt in der aktuellen Debatte um die Freihandelsabkommen TTIP und CETA mit den USA und Kanada. Wenn wir allein auf niedrige Preise setzen, um kon- kurrenzfähig zu bleiben, werden wir mit unseren land- wirtschaftlichen Produkten im internationalen Wettbe- werb nicht bestehen können. Es ist die hohe Qualität, die Verbraucherinnen und Verbraucher weltweit mit Produk- ten europäischer Herkunft verbinden, die die Position unserer Landwirtschaft auf dem Weltmarkt stark macht. Bereits 1992 hat die EU mit der Einführung der drei EU-Gütesiegel zur geschützten Ursprungsbezeichnung, zur geschützten geografischen Angabe und zur garantiert traditionellen Spezialität diesem Gedanken Rechnung getragen. Die Idee, die hinter diesen Gütesiegeln steht, ist so löblich wie die Idee, einen neuen Qualitätsbegriffs zu entwickeln: Die Erzeuger sollen bei der regionalen Ver- marktung ihrer Produkte unterstützt werden. An dem Er- gebnis könnten wir aber noch ein wenig arbeiten. Der Erfolg von Herkunftslabeln und Qualitätssiegeln muss sich in der Praxis daran messen lassen, ob die Er- wartungen, die sie bei Verbraucherinnen und Verbrau- chern erzeugen, der Realität standhalten. Aus Erzeuger- sicht sind die Glaubwürdigkeit und der Bekanntheitsgrad ein wichtiger Erfolgsfaktor. Die EU-Gütezeichen sind indes nur einer kleinen Min- derheit bekannt. Einer Studie der Georg-August-Uni- versität Göttingen zufolge haben nur 15,7 Prozent der Befragten das Siegel zur geschützten geografischen Angabe – das meist genutzte unter den drei Siegeln – überhaupt schon einmal auf einem Lebensmittel be- merkt. Angaben zur Bedeutung des Zeichens konnten lediglich knapp 12 Prozent der Befragten machen. Das Gütezeichen zu traditionellen Spezialitäten besitzt in Deutschland scheinbar sogar so wenig Attraktivität, dass es hierzulande bislang für kein Produkt beantragt wurde. Auch hinsichtlich ihrer Aussagekraft zeigen die Güte- siegel Schwächen auf. Über die Hälfte der Verbrauche- rinnen und Verbraucher meint, dass für die Thüringer Rostbratwurst nur Fleisch verarbeitet werden darf, das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12753 (A) (C) (B) (D) aus Thüringen kommt. Ebenso unbefriedigend fällt das Ergebnis der Umfrage im Hinblick auf den Schwarz- wälder Schinken aus. Hier glauben 56 Prozent der Men- schen, dass das Fleisch für den Schinken von Tieren aus dem Schwarzwald kommen muss. Die Zukunft wird zeigen, wie sich der nun zusätzlich zu den EU-Gütezeichen eingeführte Qualitätsbegriff „Bergerzeugnis“ in der Praxis bewährt und ob er von der Wirtschaft und den Verbraucherinnen und Verbrauchern angenommen wird. Karin Binder (DIE LINKE): Informationen über die Herkunft von Lebensmitteln sind für die Verbrauche- rinnen und Verbraucher von hoher Bedeutung. Kundin- nen und Kunden sind gern bereit, 20 Prozent mehr für Produkte aus regionaler Erzeugung zu zahlen. Oder sie knüpfen bestimmte Erwartungen an Spezialitäten, die aus einer bestimmten Region kommen oder nach tradi- tionellem Rezept hergestellt wurden. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen damit das regionale Handwerk, die Kleinbauern und die Lebensmittelvielfalt stärken und eben nicht den Einheitsbrei der Lebensmittel-Industrie. Leider kann das Lebensmittelspezialitätengesetz, das jetzt auf Grund einer entsprechenden EU-Verordnung ge- ändert werden soll, diesem Anspruch nicht gerecht wer- den. Es trägt sogar zur Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher bei. Beispiel Schwarzwälder Schinken: Trotz der Anga- be „geschützte geografische Angabe“ mit blauem Logo kommt der Schinken in der Regel nicht aus dem Schwarz- wald. Nur jede zehnte der Schweinekeulen kommt über- haupt aus Baden-Württemberg. 90 Prozent des Fleisches werden möglichst billig auf dem Weltmarkt zusammen- gekauft. Das Produkt darf sich dennoch Schwarzwälder Schinken nennen, weil die globalen Schweinekeulen im Ländle geräuchert und verpackt werden. Dabei soll das Ziel des Gesetzes im Sinne der EU-Vor- gaben sein, „fairen Wettbewerb für Landwirte und Er- zeuger von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln mit wertsteigernden Merkmalen und Eigenschaften“ sowie zuverlässige Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten. Ich sage: Wer Schweinekeulen global zusammen- kauft, um sie im Schwarzwald zu räuchern, nützt weder den heimischen Landwirten noch einem fairen Wettbe- werb und damit auch nicht den Verbrauchern. Das ist rei- ne Profitmacherei. Immerhin gibt es das Logo der „geschützten Ur- sprungsbezeichnung“, das sich von dem oben genann- ten Logo lediglich in der Farbe unterscheidet. Ich frage mich, wie viele Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa diesen Unterschied kennen. Die geschützte Ursprungsbezeichnung mit dem roten Logo garantiert, dass die Erzeugung, Verarbeitung und Herstellung eines Erzeugnisses in einem bestimmten geografischen Gebiet nach festgelegten Verfahren erfolgt und sämtliche Produktionsschritte in dem betreffenden Gebiet erfolgen müssen. Das trifft zum Beispiel auf den Allgäuer Emmentaler zu. Aber nicht auf einen Holsteiner Tilsiter Käse, dessen blaues Logo ahnen lässt, dass die Milch sonstwo herkommt, aber nicht von der norddeut- schen Küste. Dann gibt es noch die „garantiert traditi- onelle Spezialität“, ein drittes Logo, auch dies in Blau, jedoch schlichter gestaltet. Hierbei wird lediglich ein traditionelles Rezept gekennzeichnet, beispielsweise für Mozzarella. Diese Beispiele zeigen die gesetzlich zulässige Ver- wirrung. Hinzu kommt die gezielte Werbung mit ähnlich klingenden, aber ungeschützten Begriffen, um die Ver- braucherinnen und Verbraucher an der Nase herumzufüh- ren. Ich frage Sie: wer hat beim Einkaufen die Zeit und die Möglichkeit, sich in die Tiefen einer EU-Verordnung einzulesen, bevor er oder sie ins Käseregal greift? Neu hinzugekommen ist jetzt der Begriff „Berger- zeugnis“. So etwas kann sinnvoll sein; denn bestimmte Lebensmittel erhalten ihren typischen oder auch beson- ders intensiven Geschmack eben aus den Bergregionen. Doch auch bei diesen Fleisch- und Milchprodukten müs- sen Verbraucherinnen und Verbraucher Abstriche ma- chen: Die meisten Tiere verbringen nur einen Teil ihres Lebens am Berg, und auch das Viehfutter stammt meist nur anteilig aus der Bergregion. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher ist diese Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes kaum ein Gewinn. Auch kleine Landwirtschaftsbetriebe oder das örtliche Lebensmittelhandwerk werden damit nicht wirklich gestärkt. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich bei der EU dafür einzusetzen, das irreführende blaue Logo der vermeintlich „geschützten geografischen Angabe“ abzu- schaffen. Angaben wie „Regional“ müssen endlich ge- setzlich geschützt werden, so wie es bei „Bio“ längst der Fall ist. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver- braucherinnen und Verbraucher vertrauen immer stärker auf frische Lebensmittel, die vor ihrer Haustür wachsen, entstehen und verarbeitet werden: Die Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln steigt stetig. Davon können Betriebe bäuerlicher Landwirtschaft, lokale Verarbeiter, das Lebensmittelhandwerk und Versorger vor Ort profi- tieren. Gleichzeitig erhalten Wertschöpfungsketten vom Hof auf unsere Teller die Vielfalt traditioneller Produkte, aber auch Arbeitsplätze auf dem Land. Es ist unsere Auf- gabe, hier die richtigen Weichen zu stellen, um diesen Trend zu stärken. Wenn wir im Supermarkt klar erkennen können, wo- her unser Essen kommt, können wir Politik mit dem Einkaufswagen machen. Denn wenn wir uns für Lebens- mittel aus der Region entscheiden, bleibt unser Geld in der Region. Die europäische Verordnung über Quali- tätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel schlägt hier einen ganz richtigen Weg ein: Sie regelt den Herkunftsschutz und die Kennzeichnung traditioneller Spezialitäten in der EU. Falls Sie jetzt kein Siegel vor Augen haben, geht es Ihnen wie den meisten Menschen in Deutschland. Denn die Kennzeichnung „geschützte Ursprungsbezeichnung“, „geschützte geografische Angabe“ oder auch „garantiert Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512754 (A) (C) (B) (D) traditionelle Spezialität“ werden hierzulande kaum ver- wendet. Nur elf Produkte, hauptsächlich Käse, Fleisch und Wein, sind in Deutschland geschützten Ursprungs. Kein einziges Lebensmittel trägt das Gütezeichen „ga- rantiert traditionelle Spezialität“ – und um genau das geht es bei der heutigen Anpassung des Lebensmittelspe- zialitätengesetzes an EU-Recht. Wieso wird denn das europäische Gütezeichen „ga- rantiert traditionelle Spezialität“ in Deutschland nicht verwendet? Zunächst einmal: Weil es niemand kennt. Den Erzeugern und Produzenten bringt es rein gar nichts, mit einem hierzulande unbekannten Siegel zu werben. Die Verbraucherinnen und Verbraucher übersehen es im Supermarkt schlicht und ergreifend. Aber auch wenn sie das runde gelb-blaue Siegel er- kennen sollten: Die „geschützte traditionelle Spezialität“ hält nicht, was sie verspricht. Sie umfasst nämlich nur die Zusammensetzung des Produkts, also die Rezeptur, die Herstellungs- oder Verarbeitungsverfahren – nicht aber den Herkunftsort. So sind zum Beispiel die Pizza Napoletana oder der Serrano-Schinken geschützt, müs- sen aber nicht notwendigerweise aus Italien oder Spanien stammen. Um regionale Wertschöpfung zu stärken, ist aber eine konsequente und für die Verbraucherinnen und Verbrau- cher leicht verständliche Kennzeichnung von Lebensmit- teln Grundvoraussetzung. Diese Kennzeichnung muss sowohl die Herstellungsweise der Produkte umfassen, also beispielsweise traditionelle handwerkliche Verfah- ren oder Rezepturen, wie auch die Erzeugung, Produkti- on und sogar die Futtermittel. Das Lebensmittelspezialitätengesetz allein kann das nicht leisten. Hier muss die Bundesregierung endlich tä- tig werden: mit einer bundesweiten Regionalkennzeich- nung, die verpflichtend kenntlich macht, was mit dem Werbeslogan „aus der Region“ gemeint ist. Nur so kön- nen wir nichtssagende Industriesiegel loswerden. Gleichzeitig brauchen wir bessere Förderung und Be- ratung, um den vielen Regionalinitiativen den Rücken zu stärken. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und im Rahmen eines Bundesprogrammes Regionalvermarktung müssen wir den Auf- und Ausbau regionaler Wirtschaftskreisläufe stärken. Nur so können wir die Vielfalt des traditionellen Essens vor Ort erhalten und kleineren landwirtschaftli- chen Betrieben und dem Lebensmittelhandwerk eine Zu- kunft aufzeigen. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschluss- prüfung bei Unternehmen von öffentlichem Inter- esse (Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz-APA- ReG) (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Erstens. Die EU-Kommission hat im Jahr 2010 unter dem Eindruck der Finanzkrise und im Zusammenhang mit der Finanz- marktregulierungsreform ein Grünbuch zur Aufarbeitung der Rolle der Abschlussprüfer in der Finanzmarktkrise erarbeitet. Auf diesem Grünbuch aufbauend hat sie eine Richtlinie und eine Verordnung vorgeschlagen, die am 16. April 2014 durch das Europäische Parlament und den Rat erlassen wurden. Zweitens. Ziel dieser Regelungsvorschläge ist eine Verbesserung der Qualität der Abschlussprüfungen so- wie eine Steigerung der Aussagekraft des Prüfungser- gebnisses. Darüber hinaus soll der wesentlich von großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bediente Markt der Abschlussprüfungen bei Unternehmen von öffentlichem Interesse auch für „kleinere“ Abschlussprüfer geöffnet werden. Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen wir die- se Ziele ausdrücklich. Sie stärken den Wettbewerb. Der Jahresabschluss ist die wichtigste Informationsquelle für ein Unternehmen. Die Dokumentation der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zum Bilanzstichtag ist Basis für Planungen und künftige Entscheidungen des Unterneh- mens und der Anteilseigner. Weiterhin wird das Ergebnis des Jahresabschlusses von Banken und anderen Gläubi- gern als Kriterium für eine Kreditvergabe herangezogen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Jah- resabschluss ordnungsgemäß geprüft wird. Heute geht es um die Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der EU-Vorschriften. Dazu hat das Bundeswirtschaftsministerium das Abschlussprü- feraufsichtsreformgesetz, kurz das APAReG, vorgelegt. Drittens. Was sind die wichtigsten Inhalte dieses Ge- setzes? Die einschneidendste Veränderung durch das APA- ReG betrifft wohl die Abschlussprüferaufsichtskommis- sion, kurz APAK. Durch die Einrichtung der APAK im Jahr 2004 wurden Abschlussprüfer, die gesetzlich vorge- schriebene Abschlussprüfungen vornehmen, unter eine letztverantwortliche, berufsstandsunabhängige Aufsicht gestellt. Die Aufsicht soll die Qualität, Unabhängigkeit und Integrität des Prüferberufes stärken. Diese Ziele hat die APAK in den letzten zehn Jahren erreicht. Die APAK genießt international im Kreise der Aufsichtsbehörden über Abschlussprüfer einen sehr gu- ten Ruf. Bei einem Gespräch in der letzten Woche haben mir Vertreter der kanadischen Wirtschaftsprüferaufsicht die gute Reputation der APAK bestätigt. Im Zuge der Reform der Aufsicht durch das APAReG soll die Leistungsfähigkeit der APAK erhalten bleiben. Aufgrund der EU-Vorschriften muss aber die Struktur der APAK geändert werden. Bisher handelt es sich bei der APAK um eine nicht rechtsfähige Personengemeinschaft eigener Art. Die EU-Vorschriften sehen im Bereich der Inspektionen eine berufsstandsunabhängige Behörde vor. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12755 (A) (C) (B) (D) Die APAK kann diese Aufgaben aufgrund ihrer Rechtsform daher zukünftig nicht mehr wahrnehmen. Sie wird durch das APAReG aufgelöst. Ihre Aufgaben werden auf die neu zu schaffende Abschlussprüferauf- sichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr- kontrolle, kurz APAS, übertragen. Als zweiter zentraler Punkt soll durch das APAReG die Selbstverwaltung der Wirtschaftsprüfer in der Wirt- schaftsprüferkammer, der WPK, soweit wie möglich er- halten bleiben. Das ist gut. Die berufsständische Selbst- verwaltung entlastet den Staat und ist Ausprägung des Selbstverständnisses der Freien Berufe. Wir sehen die Selbstverwaltung als ein wichtiges Element einer frei- heitlichen Ordnungspolitik an. Weiterhin soll die präventive Berufsaufsicht neu ge- ordnet werden. Es werden Regelungen zur Abgrenzung und Abstimmung von Inspektionen und Qualitätskontrol- le geschaffen. Darüber hinaus wird es bezogen auf die Ermittlungsergebnisse der Qualitätskontrolle zukünftig kein allgemeines Verwertungsverbot mehr für die Be- rufsaufsicht durch die WPK geben. Das APAReG enthält zudem neue bzw. strengere be- rufsrechtliche Regelungen, zum Beispiel betreffend das Qualitätssicherungssystem, die Unabhängigkeitsanfor- derungen und die Dokumentationspflichten. Außerdem werden durch das APAReG die Berufsauf- sicht und das berufsgerichtliche Verfahren neu geregelt. Die Zuständigkeit der WPK und des BAFA für berufsauf- sichtliche Maßnahmen wird auf schwere Berufspflicht- verletzungen erstreckt. Die Rechtsschutzmöglichkeiten der Berufsangehörigen werden ausgeweitet. Des Weiteren wird das System der Teilnahmebeschei- nigung abgeschafft. Das entspricht den Forderungen vieler kleiner und mittlerer Wirtschaftsprüfungsgesell- schaften. Nach dem Regierungsentwurf soll es durch ein Anzeige- und Registrierungsverfahren ersetzt werden. Darüber hinaus wird der Kontrollzyklus im Rahmen der Qualitätskontrolle allgemein und im Rahmen der Ins- pektionen für Prüferpraxen, die kleine und mittlere Un- ternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, auf sechs Jahre verlängert. Schließlich wird für die vereidigten Buchprüfer eine verkürzte Prüfung zum Wirtschaftsprüfer eingeführt. Viertens. Ich denke, dass es sich beim APAReG um eine solide Umsetzung der europäischen Vorgaben han- delt. Doch nach der Maßgabe: „Es verlässt kein Gesetz den Bundestag, wie es hereinkommt“, werden wir uns im parlamentarischen Verfahren einige Punkte noch genauer anschauen. Beispielhaft seien folgende erwähnt: Erstens die Registrierungspflicht, die im Regierungs- entwurf anstatt einer Teilnahmebescheinigung vorge- sehen ist. Durch eine solche Registrierungspflicht wird möglicherweise erneut Bürokratie aufgebaut, die mit der Abschaffung der Teilnahmebescheinigung wegfallen sollte. Zweitens die Intensität der Qualitätskontrollprüfun- gen. Es ist für uns wichtig, dass sich diese am Umfang der Geschäftstätigkeit der Praxen orientiert. Es muss sichergestellt sein, dass kleine und mittlere Wirtschafts- prüfungsgesellschaften nicht durch umfassende Quali- tätskontrollprüfungen überfordert werden. Drittens die Aufsicht über die Qualitätskontrollprüfer durch die APAS. Eine solche Regelung ist in der Richt- linie nicht vorgesehen und kann zu mehr Bürokratie bei den Qualitätskontrollprüfern führen. Fünftens. Insgesamt soll durch das APAReG das Ver- trauen in den wichtigen Berufsstand der Abschlussprüfer nach der Finanzkrise weiter gestärkt werden. Der Groß- teil der Wirtschaftsprüfer prüft sehr gewissenhaft, und das Amt genießt in Deutschland ein hohes Ansehen. Damit das so bleibt, möchte ich hier aber auch an den Berufsstand selbst appellieren: Bitte verlieren Sie sich nicht in internen Streitigkeiten. Diese können dem ge- samten Berufsstand und damit auch Ihnen selbst schaden. Lassen Sie uns das APAReG gemeinsam so abschließen, dass es die EU-Ziele ausreichend berücksichtigt und den Berufsstand insgesamt stärkt. Wichtig für uns ist eine Eins-zu-Eins Umsetzung der Richtlinie, die Gewährleistung einer funktionierenden Selbstverwaltung des Berufsstandes und eine mittel- standsfreundliche Ausgestaltung der Regelungen. Dazu müssen die Stellschrauben im APAReG an einigen Stel- len nochmals justiert werden. Matthias Ilgen (SPD): Infolge der EU-Abschlussprü- ferreform aus dem Jahr 2014 muss bis Juni 2016 die ge- änderte Abschlussprüferrichtlinie ins deutsche Recht um- gesetzt werden. Am 1. Juli 2015 hat die Bundesregierung dazu den Entwurf eines Abschlussprüferaufsichtsreform- gesetzes – im Folgenden kurz APAReG – beschlossen. Dieses müssen wir nun im Bundestag debattieren. Der Entwurf sieht im Prinzip die „Eins zu eins“-Umsetzung der europäischen Vorgaben vor und zielt darauf ab, die Selbstverwaltung der Wirtschaftsprüfer weitestgehend zu erhalten. Dennoch stehen erhebliche Umstrukturie- rungen bevor. Kernelement der Reform ist die Übertragung von Aufgaben der Abschlussprüferaufsichtskommission und der Wirtschaftsprüferkammer auf eine neue Abschluss- prüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. So werden die derzeit national und in- ternational anerkannte Aufsichtstätigkeit der APAK so- wie einzelne Aufgaben der Berufsaufsicht der WPK in eine eigenständige Abschlussprüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle über- führt. Zwar erfüllt die APAK bereits jetzt die EU-Anforde- rungen an Qualifikation und Unabhängigkeit von Leitung und Mitarbeitern. Sie kann aber die Aufgaben aufgrund ihrer Rechtsform und Struktur zukünftig nicht mehr wahrnehmen. Die APAK ist ehrenamtlich tätig, hat keine Rechtspersönlichkeit und bedient sich zur Erfüllung ihrer derzeitigen Aufgaben der Mitarbeiter der WPK. Zukünf- tig ist dies aufgrund der EU-Vorgaben nicht mehr mög- lich; die berufsstandsunabhängige Aufsicht muss selbst operativ Aufgaben durch eigene Mitarbeiter wahrneh- men und Verwaltungsakte erlassen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512756 (A) (C) (B) (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Einglie- derung der APAS als eigenständige Stelle in das BAFA können bestehende Verwaltungsstrukturen im Sinne der Wirtschaftlichkeit genutzt werden. Gleichzeitig werden durch die Eigenständigkeit der Stelle die EU-Anforde- rungen an die Qualifikation und Letztverantwortung der Leitung erfüllt sowie die Sichtbarkeit und der Erhalt der „Marke“ APAK/APAS als national und internatio- nal hoch anerkannte berufsstandsunabhängige Aufsicht gesichert. Die Kontinuität der bisherigen Aufsicht wird insbesondere durch eine weitestmögliche gesetzliche Übernahme des vorhandenen hochqualifizierten Perso- nals gewährleistet. Ein zweiter wichtiger Bestandteil des APAReG ist der weitestmögliche Erhalt der beruflichen Selbstverwal- tung. Die berufliche Selbstverwaltung hat sich bei den Wirtschafsprüfern – wie auch bei anderen Freien Beru- fen – als effektiv und bürokratiearm erwiesen und damit bewährt. Bereits in den europäischen Verhandlungen hat sich die Bundesregierung erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Selbstverwaltung des Berufsstandes der Wirt- schaftsprüfer in die staatliche Aufsichtsaufgabe einge- bunden werden kann. Soweit es europarechtlich zulässig ist, wird daher im Wege einer Mitgliedstaatenoption ein Teil der Aufgaben – unter der Letztverantwortung der APAS – auf die bestehende Selbstverwaltung der Wirt- schaftsprüfer in der WPK gesetzlich übertragen. Nicht zuletzt sieht der Gesetzentwurf – entsprechend den europäischen Vorgaben – in zahlreichen Punkten neue oder strengere berufsrechtliche Regelungen, etwa zum Qualitätssicherungs-System, zu den Unabhängig- keitsanforderungen an Abschlussprüfer und zu Doku- mentationspflichten vor. Zu den Verschärfungen im Berufsrecht gehören die zwingend vorgegebene Sankti- onierung von Berufsgesellschaften, die Veröffentlichung von Sanktionen und die Berücksichtigung von bei der Qualitätskontrolle festgestellten Berufspflichtverletzun- gen im Berufsaufsichts-verfahren. Zulässige Erleichte- rungen insbesondere im Rahmen der Qualitätskontrolle und für mittlere und kleinere Prüferpraxen werden zur Vermeidung übermäßiger bürokratischer Belastungen umgesetzt. Der Entwurf enthält darüber hinaus eine Verbesserung der Qualität der Abschlussprüfung. Die Neuordnung des berufsaufsichtlichen Verfahrens soll einer einheitlichen und zügigen Sanktionierung von Berufspflichtverstößen und Ausweitung des gerichtlichen Rechtsschutzes die- nen. Zusätzlich wird für die vereidigten Buchprüfer die Möglichkeit einer verkürzten Prüfung zum Wirtschafts- prüfer wieder eingeführt. Wie in jedem Gesetzgebungsverfahren haben auch beim APAReG die interessierten Kreise Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und diese in zahlreichen Gesprä- chen und einem regen Postverkehr gegenüber mir und meinen Berichterstatter-Kollegen genutzt. Leider kam es diesbezüglich wiederholt zu inhaltlich falschen und un- sachlichen Beiträgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten wir nicht so hinnehmen. Genauso wie das BMWi verfolgen wir die andauern- den und zum Teil äußerst unsachlichen und persönlich diffamierenden Auseinandersetzungen innerhalb des Be- rufstands der Wirtschaftsprüfer mit Sorge. Im Rahmen der Rechtsaufsicht über die WPK und die APAK habe ich – oft gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Matthias Heider – stets und umfangreich den Dialog mit allen Vertretern des Berufsstands gesucht, insbesondere auch mit Verbandsmitgliedern der mittelständischen Wirt- schaftsprüfung. Dabei haben wir bei allen Beteiligten für sachorientierte Lösungen und eine konstruktive, zu- kunftsgerichtete Zusammenarbeit geworben. Wir erreichen mit diesem Gesetzentwurf, sehr verehr- te Kolleginnen und Kollegen, das Interesse der EU-Re- form insbesondere auch für die APAS und die WPK zu stärken. Für mich steht fest: Eine Schwächung und Be- schädigung der Abschlussprüferaufsicht hätte auch eine Schwächung der Finanzmarktaufsicht zur Folge und könnte die Finanzmarktstabilität und damit das Vertrauen der Unternehmen, Investoren und internationalen Finanz- märkte in das deutsche Aufsichtssystem gefährden – und damit letztendlich dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden. Hieran ist uns wirklich nicht gelegen. Klaus Ernst (DIE LINKE): Uns liegt heute das Ab- schlussprüferaufsichtsreformgesetz, APAReG, zur ersten Lesung vor, mit dem europäische Verordnungen für Ab- schlussprüfer und Prüfer von Unternehmen von öffentli- chem Interesse, PIE, umgesetzt werden sollen. Wir halten Reformen in diesem Bereich für überfäl- lig. Wir wissen, dass es bei vielen Wirtschaftsprüfern in Deutschland brodelt und es in ihren berufsständischen Organisationen nicht zum Besten steht. Auch halten wir die Aufsichtsstrukturen in der heutigen Form für unge- eignet, die Rechtsaufsicht durch die zuständigen Behör- den für vollkommen zahnlose Tiger. Sie werden den Auf- gaben in keinster Weise gerecht. Seit Jahren kommt Kritik aus dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer selbst. Strukturell ist der Prüfermarkt hochgradig konzentriert: 90 Prozent der 160 Unterneh- men aus DAX, MDAX, TecDAX und SDAX werden von den großen vier Gesellschaften betreut. Betreut heißt bis heute gleichzeitig beraten und geprüft! Das ist keine Fra- ge der Kompetenz, auch die EU-Kommission drängt seit Jahren vergeblich auf eine strikte Trennung von Beratung und Prüfung sowie effektive Kontrolle und Aufsicht. Das APAReG jedoch stellt diese Kardinalfehler nicht ab. Stattdessen werden bestehende Überregulierungen im Berufsrecht beibehalten und selbständige Wirtschafts- prüfer und kleine, mittelständische Prüfgesellschaften behindert. Für sie werden die Qualifizierungsanforde- rungen und andere bürokratische Hürden sogar erhöht. Hier zeigt sich konkret, was die immer in Sonntagsreden betonte mittelstandsfreundliche Politik der CDU/CSU im Alltag heißt. Ähnlich trist sieht es bei der SPD aus: Sie versucht nicht einmal, die massiven Ungleichgewichte zwischen den Big 4 und dem Rest abzubauen und die vermachteten Märkte aufzubrechen. Die Große Koaliti- on will sich ganz offensichtlich nicht mit PwC, KPMG, Deloitte und Ernst &Young anlegen. Warum auch? De- ren Vertreter haben leichten Zugang in die Ministerien, schreiben indirekt an Gesetzen mit oder werden als Be- rater bestellt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12757 (A) (C) (B) (D) Aber nicht nur in diesem Punkt versagt die Bun- desregierung mit dem APAReG. Medienberichte über Lobbyarbeit und Kungelrunden, wie sie zuletzt das HANDELSBLATT im Zusammenhang von Luxleaks im Juni 2015 beschrieben hat, sind eine Sache. Eine andere Sache ist die massive Kritik aus dem Berufsstand selbst und die unzureichende Lösung des massiven Streits durch die ministerielle Rechtsaufsicht. Sie wird von vie- len Wirtschaftsprüfern längst nicht mehr als unabhängig Kontrolle und möglicher Mediator wahrgenommen. Da hilft es überhaupt nicht weiter, die Problematik als die Angelegenheit einer kleinen Krawalltruppe frustrierter Wirtschaftsprüfer abzutun, die mit haltlosen Unterstel- lungen Stimmung machen will. Denn wie spätestens seit 2007 klar geworden sein sollte, sind trotz bester Prüfberichte und formal korrekter Bilanzprüfung reihenweise Banken, Versicherungen und Unternehmen über Nacht insolvent geworden. Die Steu- erzahlerinnen und Steuerzahler mussten für dieses Versa- gen von Wirtschaftsprüfer tief in die Tasche greifen. Selbstverständlich trägt der Berufsstand der Wirt- schaftsprüfer nicht allein die Schuld an zurückliegenden Bilanzskandalen und der Krise 2007/08. Viele in Wirt- schaft und Politik haben gleichermaßen versagt. Genau deshalb muss an vielen unterschiedlichen Stellen mit verschiedenen Instrumenten angesetzt werden. Nur so kann verhindert werden, dass dies noch einmal geschieht. Dafür aber müssen die richtigen Prioritäten gesetzt und Probleme schonungslos benannt werden. Hier liegt das Grundproblem des vorliegenden APA- ReG. Es sollen zwar die Qualität der Prüfungen und die Kontrolle verbessert werden. Aber wo liegen die Quali- täts- und Kontrollprobleme, und wer wird angesprochen? An allen großen Bilanzskandalen sind stets die großen Prüfungsgesellschaften mitbeteiligt gewesen. Falsche oder zu gute Testate pflastern den Weg bis in die Insol- venz! Aktuell wird die Kompetenzfrage auch im VW Skandal zu stellen sein. Denn auch hier gab es bis vor wenige Wochen nur beste Testate der bestellten Prüfge- sellschaft, obwohl auch ihr die Risiken und der mögliche Betrug lange bekannt gewesen sein dürften. Am Ende werden viele Testate keinen Pfifferling wert sein, und die Zeche müssen die Beschäftigten, die Steuerzahler und Kommunen zahlen. Eine in der Breite schlechte Qualität der Wirtschafts- prüfung der klein- und mittelständischen privaten wie öf- fentlichen Unternehmen gibt es dagegen nicht! Ähnlich sieht es auch die EU-Kommission, deren Vorgaben im APAReG nicht wirklich umgesetzt werden. Man konzen- triert sich lieber auf die rein formelle Qualität der Prü- fung und formuliert eine Reform zugunsten der Big 4. Es ist für uns nicht schlüssig, warum sich künftig alle Abschlussprüfungen an den Anforderungen von Un- ternehmen von öffentlichem Interesse, PIE, orientieren sollten. Der Aufwand für kleine und mittlere Praxen so- wie die weitere Standardisierung der Prüfung sind un- verhältnismäßig. Befördert wird damit der weitere Ver- drängungswettbewerb zugunsten weniger Prüfungs- und Beratungsgesellschaften. Das wiederum erschwert die Qualitätssicherung und deren Kontrolle. Teure Zertifi- zierungen, hoher bürokratischer Aufwand und der starke Bezug auf abzuhakende Checklisten stehen einer ver- nünftigen unabhängigen Prüfung entgegen. Wir begrüßen die Integration der Abschlussprüferauf- sichtskommission, APAK, in das Bundesamt für Wirt- schaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA. Die Beschränkung der Kontrolle des Bundes auf eine bloße Rechtsaufsicht allerdings widerspricht dem Demokratieprinzip. Zentral bleibt für uns, die bestehenden Interessenkonflikte trans- parent und offen darzulegen und abzustellen. Wir können die Kritik vieler Wirtschaftsprüfer ver- stehen, die uns in den letzten Wochen zum APAReG erreicht hat. Manches teilen wir ausdrücklich, insbe- sondere bei den berufsständischen Organisationen, den Kontroll gremien und vor allem der ministeriellen Rechtsaufsicht. Die Bundesregierung aber schweigt zu diesen Problemen. Wir hoffen, dass in der kommenden Anhörung im Wirtschaftsausschuss zum APAReG eini- ge Regeln zurückgenommen werden, sodass kleine und mittelständische Prüfgesellschaften gefördert werden und der Gesetzgeber endlich die wirklichen Probleme wahrnimmt und angeht. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu Beginn der Legislatur hat sich diese Koalition lautstark zu dem Ziel des Bürokratieabbaus insbesondere im Hin- blick auf die Vorgaben der EU bekannt. Außerdem soll gerade die mittelständische Industrie gefördert und von Vorgaben entlastet werden. Mit dem vorgelegten Gesetz- entwurf zur Reform der Abschlussprüferaufsicht können diese beiden – sehr wichtigen – Ziele nur ansatzweise umgesetzt werden. Gerade kleine und mittlere Wirtschaftsprüferkanzlei- en müssen nach dem Entwurf der Bundesregierung mit deutlich mehr Vorgaben rechnen, als sie die EU verlangt. Von einer Eins-zu-Eins-Umsetzung ist der Koalitionsent- wurf weit entfernt, obwohl exakt dies im Koalitionsver- trag geschrieben steht: „Wir wollen EU-Vorgaben ‚eins zu eins‘ umsetzen“, heißt es dort. Insbesondere die geplanten Änderungen an der Orga- nisation der Kammer werfen die Frage auf, warum das Bundeswirtschaftsministerium derart in die Struktur der Kammer eingreift und dort die Machtverhältnisse deut- lich in Richtung Präsident und Präsidium verschiebt. Der Kammerpräsident soll nach dem Regierungsentwurf Or- ganstellung erhalten, und die Mitglieder des Präsidiums für den Beirat der Kammer sollen stimmberechtigt wer- den. Dadurch ändern sich dort die Mehrheitsverhältnis- se der berufspolitischen Lager, und allein deswegen ist dieser Eingriff keine Kleinigkeit. Hier wird im Gesetz- gebungsverfahren zu klären sein, ob diese Maßnahmen, die weit über die EU-Vorgaben hinausgehen, zu rechtfer- tigen sind. Damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen Punkt: Im Laufe des Gesetzgebungsprozesses zur Re- form der Abschlussprüferaufsicht, aber auch zur Reform der Wirtschaftsprüferordnung, die parallel läuft, hat sich herausgestellt, dass die berufspolitischen Lager sehr zer- stritten sind. Ein Streitpunkt war und ist noch immer die Vergütung der Mitglieder der Abschlussprüferaufsichts- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512758 (A) (C) (B) (D) kommission. Bedingt durch eine hohe Intransparenz und Vorwürfe der Befangenheit stehen sich hier die Partei- en mit deutlich unterschiedlichen Positionen gegenüber. Was an dieser Stelle die einzige Lösung sein kann, ist mehr Transparenz. Nach dem Regierungsentwurf ist für die neu einzu- richtende Abschlussprüferaufsichtsstelle, APAS, für bestimmte Angestellte eine Entlohnung außerhalb des TVöD vorgesehen, um genug geeignetes Fachpersonal zu finden. Dies ist im Prinzip nicht anzugreifen, aber es muss sichergestellt sein, dass sich die Vergütungen im Rahmen halten, und dazu bedarf es einer angemessenen parlamentarischen Kontrolle. Dies gilt sowohl für das Gesamtbudget der APAS wie auch für die Vergütung der neuen Leitung der APAS. Budget und Gehaltsrahmen der Vorstände müssen für das Parlament, aber auch die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein und dürfen keinerlei Geheimhaltung unterliegen. Das Versteckspiel, das das Bundeswirtschaftsministerium aktuell in Bezug auf die Vergütung der Abschlussprüferaufsichtskommission ge- zeigt hat, ist kleinkariert und hat nur Vermutungen ins Kraut schießen lassen, dass die Vergütungen und Ent- schädigungen nicht angemessen sind. Wer etwas ver- steckt, darf sich über Kritik nicht beschweren. Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, ist die Qualitätskontrolle der Wirtschaftsprüfung. Diese Quali- tätskontrolle und daraus abgeleitet die Qualitätsprüfung für die Abschlussprüfung ist ein entscheidendes Ziel der Reform, gerade im Hinblick auf Wirtschaftsprüfungsleis- tungen, die angesichts teilweise dramatischen Manage- mentversagens – zu erwähnen ist hier etwa die Insolvenz der Sächsischen Landesbank – sicher hinterfragt wer- den müssen. Für die Prüfungen von Unternehmen von öffentlichem Interesse ist weiterhin die Abschlussprü- feraufsicht zuständig. Hier stellt sich für mich die Fra- ge: Wie kann wirksamer verhindert werden, dass es zu zweifelhaften Prüfergebnissen wie zur Zeit der Finanz- krise kommen kann? Damals wurden uneingeschränkte Testate ausgestellt trotz der Risiken, die in bestimmten Bankenbilanzen lauerten. Parallel dazu kann man sich auch fragen, ob bei der Überprüfung der VW-Bilanzen nicht schon eher auf das Risiko manipulierter oder zumindest überhöhter Abgas- werte hingewiesen hätte werden müssen. Schon 2014 gab es erste Hinweise und Ermittlungen seitens der US-Behörden. Aber diese Fälle zeigen die Bedeutung einer funktionierenden Aufsicht, insbesondere über die Prüfgesellschaften von Unternehmen mit sogenanntem öffentlichem Interesse. Ob die geplanten Veränderungen bei der Qualitäts- prüfung kleinerer Prüfgesellschaften sinnvoll sind, muss sich im Laufe des Gesetzgebungsprozesses noch klären. Die möglichen Sanktionen sollen ausgeweitet und die Kontrolle verschärft werden. Ob dies unter dem Ge- sichtspunkt des Bürokratieabbaus und der Verhältnismä- ßigkeit geboten ist, erscheint zumindest zweifelhaft. Zweifelhaft ist auch die Angliederung der Aufsicht an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. In der Vergangenheit hat dieses Amt keinerlei Erfahrung in der Berufsaufsicht sammeln können, und auch im Sinne der Transparenz erscheint die Schaffung einer eigenstän- digen Behörde sinnvoller. Das Anhängen an das BAFA scheint mehr die Flucht des Bundeswirtschaftsministe- riums vor der Verantwortung zu sein und erschwert zu- dem eine wirksame parlamentarische Kontrolle. Durch erstens mehr Transparenz und zweitens der Stärkung der Kompetenzen des Parlaments und seiner Mitglieder wäre die neue Aufsicht durchaus ein Fortschritt. Dies ist bisher durch den Regierungsentwurf nicht ersichtlich. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist gefordert, im weiteren Verfahren die offenen Fragen zu klären. Auch und besonders vor der Maßgabe, dass es sich um einen gespaltenen Berufsstand mit einer ho- hen Markt- und Machtkonzentration handelt, wird meine Fraktion genau darauf achten, wie die Reform der Ab- schlussprüferaufsicht am Ende aussehen wird. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 130. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Regierungserklärung zum Europäischen Rat TOP 5 Bewältigung der Flüchtlingskrise TOP 6 Abgasskandal bei Dieselfahrzeugen TOP 30, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 31 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 6 Beschlussempfehlung Vermittlungsausschuss TOP 25 Maritime Wirtschaft in Deutschland TOP 7 Nagoya-Protokoll - Zugang zu genetischen Ressourcen TOP 9 Milchmarkt TOP 8 Änderung des Atomgesetzes TOP 11 Gemeinsame europäische Grundwerte TOP 12 Änderung des SGB XII –Sozialhilfe- TOP 13, ZP 3 Wohnungsnot in Hochschulstädten TOP 10 Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie ZP 4 Lärmschutzregeln für Sportanlagen TOP 14 Bereinigung des Rechts der Lebenspartner TOP 16 Gesetz zur Bekämpfung der Korruption TOP 17 Unterhalts- und Unterhaltsverfahrensrecht TOP 18 Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz TOP 19 Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes TOP 20 Änderung des Batteriegesetzes TOP 21 Änderung des Bundeszentralregistergesetzes TOP 22 Änderung des Steuerabkommens mit Irland TOP 23 Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes TOP 24 Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wilhelm Priesmeier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

    ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man so zu-
    hört, dann glaubt man, Friedrich Ostendorff und die Kol-
    legin Tackmann haben den Stein der Weisen gefunden,
    wie man zu einer neuen Marktwirtschaft kommt.

    Eins ist doch klar: Wenn wir mit den Beschlüssen von
    2003 – unter Rot-Grün von Renate Künast in Luxemburg
    in hervorragender Weise durchgesetzt – ernst machen,
    dann bedeutet das, dass wir am Ende die Interventions-
    politik abgeschafft, den Interventionspreis gesenkt, die
    Exporterstattungen gestrichen und uns damit dem Welt-
    markt geöffnet haben. Das bietet Chancen, das bietet na-
    türlich auch Risiken.

    Mit dem alten System haben wir die Betriebe nicht
    stabilisiert; die Zahl der Betriebe ist kontinuierlich zu-
    rückgegangen. Zu Recht weist der grüne Antrag darauf
    hin, dass seit 1999 die Hälfte der Betriebe aufgegeben
    hat. Das ist zu Zeiten passiert, als wir noch einen regu-
    lierten Markt hatten. Die Quote hat das nicht verhindern
    können.

    In den letzten Jahren haben wir zumindest durch Ver-
    änderungen des Agrarsystems im Hinblick auf die Ge-

    Friedrich Ostendorff






    (A) (C)



    (B) (D)


    meinsame Agrarpolitik und das Zahlungssystem dafür
    gesorgt, dass die Landwirtschaft in Europa erheblich
    wettbewerbsfähiger geworden ist. Man sollte sich nicht
    einfach von dem verabschieden, was man einmal mitbe-
    schlossen hat. Dazu sollte man stehen, und dazu stehe ich
    zumindest in der vollen Verantwortung.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Als Kassandra braucht man hier nicht aufzutreten. Der
    eigentliche Akteur im Milchpulvermarkt ist Neuseeland.
    Nicht nur die Europäer haben ihre Produktion drastisch
    erhöht, sondern die Neuseeländer haben das Gleiche
    getan. Wir finden uns jetzt in einer Situation wieder,
    in der wir in der Tat eine Überproduktion haben. Aber
    welches Instrument ist denn besser geeignet als Ange-
    bot und Nachfrage mit dem daraus resultierenden Preis,
    um solche Krisen zu bewältigen? Bisher kann ich nicht
    erkennen, dass da jemand wirklich den Stein der Wei-
    sen gefunden hat. Wenn ich an alte Zeiten zurückdenke:
    Schon der zentral gelenkten Planwirtschaft war kein Er-
    folg beschieden.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Bravo!)


    Das, was wir hier in Ansätzen sehen, ist so etwas Ähn-
    liches.

    Meine Damen und Herren, diese Denkweise kann ich
    nicht mehr nachvollziehen. Das hat den europäischen
    Steuerzahler sehr viel Geld gekostet, nicht zur Stabili-
    sierung beigetragen und auch nicht für wettbewerbs- und
    zukunftsfähige Betriebe gesorgt.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo kommen die Liquiditätshilfen her, Wilhelm? Aus Steuergeldern!)


    – Die Liquiditätshilfen kommen aus den Steuergeldern,
    zum Teil natürlich auch aus den Zahlungen, die durch die
    „Superabgabe“ nach Brüssel abgeflossen sind.


    (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wird es die nächsten Jahre nicht geben!)


    Das heißt, die kommen aus dem Sektor unmittelbar.

    Das Vertrauen der deutschen Landwirte, glaube ich,
    verliert man durch eine offene und geradlinige Politik
    nicht; ich setze darauf. Wenn wir zurückschauen, dann
    können wir erkennen, dass wir in den vergangenen Jahr-
    zehnten viele Milliarden für nichts ausgegeben haben.
    Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist ein Konzept, original
    übernommen vom BDM. Insofern, glaube ich, sitzt hier
    die parlamentarische Speerspitze dieses Verbandes.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ob man sich wirklich dazu machen sollte, ist für mich
    die Frage; ich glaube, eher nicht. Eigene Ideen dazu, wie
    man das Ganze angeht, habe ich heute nicht gehört.

    Sie fordern Bonuszahlungen für Betriebe, die ihre
    Produktion kurzfristig drosseln. Da muss man natürlich
    sehen, dass man das nicht unbedingt nur aus dem bezah-

    len kann, was Sie als Finanzierung anbieten. Das wird
    wesentlich darüber hinausgehen. Das wird dann natürlich
    auch die sonstigen Zahlungen, die wir in dem Bereich
    noch haben, in ganz erheblichem Umfang belasten. So
    einfach ist die Rechnung nicht.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Das, was Sie auf der einen Seite nehmen, können Sie
    dann auf der anderen Seite – linke Tasche/rechte Ta-
    sche – wieder ausgeben. So kann man das machen. Sie
    wollen eine Abgabe für Erzeuger einführen, die ihre Pro-
    duktion um mehr als 5 Prozent erhöhen. Warum gerade
    5 Prozent? Warum nicht 3,8 oder 4,9? Dafür liefern Sie
    keinen überzeugenden Beleg.


    (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wollen Sie 69 und nicht 70 Millionen Liquiditätsbeihilfe?)


    Die durchschnittlichen Erzeugungskosten sollen der
    Maßstab für den unteren Preis sein. – Wo sind denn die
    durchschnittlichen Erzeugungskosten in Irland, in Est-
    land, in Italien, in Griechenland? Überall sind unter-
    schiedliche Bedingungen im Markt. Überall sind unter-
    schiedliche Kostensituationen.


    (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 15 Cent Milchpreis in Estland! Estland hat den niedrigsten Milchpreis in Europa!)


    In dieser Situation kann man das in einem gemeinsamen
    europäischen Markt überhaupt nicht definieren. Der An-
    satz, den Sie fahren, ist ökonomisch nicht tragfähig. Das
    müssen Sie, finde ich, einmal offen eingestehen.

    Private Lagerhaltung halte ich nicht für das Mittel der
    Wahl. Das dient den Lagerhaltern, aber nicht den Land-
    wirten. Die Anhebung des Interventionspreises – vielen
    Dank, dass Sie das abgewehrt haben – ist auch kein taug-
    liches Mittel, genauso wenig wie der Versuch einer flexi-
    blen Mengensteuerung. Das ist purer Dirigismus, blanke
    Bürokratie.

    Bürokratie – das haben wir eben schon gehört – funk-
    tioniert im Agrarbereich nicht besonders gut. Man ist
    noch nicht einmal in der Lage, die Direktzahlungen vor-
    zeitig auszuzahlen.

    Liquiditätshilfen für an sich gut aufgestellte Betriebe
    in so einer Krisensituation, das kann ich durchaus nach-
    vollziehen. Das ist ein überschaubarer Bereich. Das kann
    man politisch vertreten – das haben wir in anderen Berei-
    chen auch –, aber nur für die Betriebe, die in einer ent-
    sprechenden Situation sind. So etwas kann man natürlich
    nicht dauerhaft darstellen.

    Kontrollen und Überwachungsinstrumente – das wäre
    ja Ihre Strategie – müssten erst aufgebaut werden. Sank-
    tionen müssten durchgesetzt werden. Überall wäre staat-
    liches Handeln gefragt. Ich sage eines voraus: Bis das
    Instrumentarium umgesetzt wäre, würde niemand mehr
    über diese Krise reden.


    (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann kommt die nächste Krise!)


    Dr. Wilhelm Priesmeier






    (A) (C)



    (B) (D)


    Ich erinnere mich noch an 2009. Was war unmittel-
    bar danach? Da haben wir eine Kuhschwanzprämie be-
    schlossen. Die haben wir ein Jahr später ausbezahlt; da
    war der Preis schon wieder oben. Das sind Instrumente,
    die untauglich sind.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ich habe das feste Vertrauen in die deutsche Agrar-
    wirtschaft, in die Landwirtschaft, in die Milchviehhalter
    und in die Milchbauern, dass sie auch diese Krise über-
    winden werden; denn die Krise ist endlich.


    (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Krise ist nicht endlich!)


    Am Horizont scheint sich eine gewisse Entspannung ab-
    zuzeichnen. Das kann man nicht einfach negieren. Der
    Milchpulverpreis in Neuseeland – Neuseeland ist der
    Pulverexporteur – ist auf den Terminmärkten schon um
    60 Prozent gestiegen. Das lässt den Rückschluss zu, dass
    wir die Talsohle zumindest durchschritten haben und es
    vielleicht schon in allernächster Zeit wieder nach oben
    geht.

    Wenn wir etwas Gutes tun wollen, dann sollten wir
    uns Gedanken darüber machen, wie wir im Binnenmarkt
    Wettbewerbsfähigkeit und Marktfähigkeit besser dar-
    stellen können, wie wir Situationen, in denen es Nach-
    frageoligopole gibt, angehen können. Vielleicht sollten
    wir Andienungsverpflichtungen und solche Dinge in be-
    stimmten Regionen begrenzen, um da dem Erzeuger eine
    bessere Marktposition zu geben.

    Es gibt auch andere Hinweise. Indem man regionali-
    sierte Produkte auf den Markt bringt, erzeugt man einen
    höheren Mehrwert und kann auch mehr vom Verbraucher
    erwarten. Man schaue sich nur den Biobereich an! Da
    funktioniert der Markt. Also kann das mit dem Markt ja
    nicht so ganz falsch sein. Oder soll es da, wo die Preise
    steigen, in irgendeiner Form eine Begrenzung geben?

    Jeder Eingriff in solche Mechanismen bringt letztend-
    lich einen Wohlfahrtsverlust mit sich.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Dafür muss ich hinterher die Konsequenzen tragen. Man
    kann das auch nicht in Gänze tun; denn im Rahmen der
    europäischen Agrarpolitik ist eine Neuorientierung ange-
    sagt. Es ist, wie ich glaube, nicht zweckdienlich, dass wir
    dazu übergehen, das bisherige System weiterzuführen.

    Im Hinblick auf 2017/2020 gibt es eine ganze Reihe
    an Handlungsoptionen; diese sollten wir auch wahrneh-
    men, indem wir beispielsweise Geld aus der ersten Säule
    in die zweite packen, es zielgerichtet für die Förderung
    von Grünlandstandorten ausgeben und so dafür sorgen,
    dass diese Grünlandstandorte nachhaltig bearbeitet und
    im Sinne des Klimaschutzes erhalten werden können.
    Klimaschutz, Grünlandregionen und Milchproduktion
    bilden ja letztlich eine Einheit. Die ersten beiden Fakto-
    ren sind dabei die Grundlage für unsere Milchprodukti-
    on; das wird auch in Zukunft so sein.

    Ich hoffe einmal, dass wir in einem halben oder Drei-
    vierteljahr über die derzeitige Krise in der jetzigen Form
    nicht mehr reden werden.

    Vielen Dank.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)




Rede von Claudia Roth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Einen schönen Nach-

mittag von meiner Seite Ihnen und den Gästen oben!

Der nächste Redner ist Kees de Vries für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Kees de Vries


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Frau Präsidentin! Liebe Zuschauer auf den Tribünen!

    Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Milch
    mal wieder. Zwei Anträge werden abschließend beraten,
    nämlich von den Grünen und von unserer Koalition. Die-
    se Anträge basieren auf dem Milchquotenende am 1. Ap-
    ril dieses Jahres. Ein weiterer Antrag stammt nun von den
    Grünen, die extra dazu die Linken mit ins Boot geholt
    haben,


    (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Eigentlich andersherum! Aber egal!)


    der aber wirklich nichts Neues bringt.


    (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir begegnen uns auf Augenhöhe!)


    – Nein, so lang bist du nicht.


    (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von Grü-
    nen und Linken, Sie gießen hier erneut die Vorstellungen
    des BDM in einen Antrag. Der BDM hat übrigens als Ers-
    ter – das war im Jahr 1998 – die Abschaffung der Quote
    gefordert. Ich habe hier Flugblätter, die zeigen, dass der
    BDM schon damals festgestellt hat, dass nur eine – ich
    zitiere – Abschaffung der Quote zu einer „Verbesserung
    der Wirtschaftlichkeit“ und zur „Nutzung der Chancen
    auf den internationalen Märkten“ führt.


    (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es gibt Leute, die dazulernen! – Gegenruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht man in der Union nicht so!)


    – Ja, die suche ich noch.

    Wenn dann jetzt, 15 Jahre später, dieser Wunsch in Er-
    füllung gegangen ist und alle zusammen feststellen, dass
    das auch nicht alle Betriebe retten kann, wird ein frei-
    williger Verzicht auf Produktion gefordert. Das war auch
    beim ersten Antrag der Grünen zum Milchquotenende
    schon der Fall; aber, lieber Friedrich Ostendorff, durch
    Wiederholung wird diese Forderung nicht überzeugen-
    der. Das hat im Übrigen auch schon das Johann-Hein-
    rich-von-Thünen-Institut festgestellt. Jeder, der sich mit
    dieser Materie auseinandergesetzt hat, weiß schon lange,

    Dr. Wilhelm Priesmeier






    (A) (C)



    (B) (D)


    dass es für diese Krise keine Lösung im Sinne der Markt-
    regulierung gibt. Das war auch so gewollt, als wir uns
    2003 zur Beendigung der Quotierung bekannt haben. Ich
    mache es kurz: Ein freiwilliger Verzicht auf Milchpro-
    duktion, wie Sie es hier wiederum fordern, ist schlicht
    unrealistisch, ja sogar populistisch.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Bestenfalls können wir versuchen, die Auswirkungen
    dieser Preiskrise zu mildern. Ich bin der Meinung, dass
    unser Minister Christian Schmidt sich in diesem Fall bis
    an die Grenzen seiner Möglichkeiten für unsere Milch-
    bauern eingesetzt hat.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb braucht er jetzt Personenschutz, oder wie? – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man den Milchbauern noch einmal erklären! Das haben sie nicht ganz verstanden!)


    Maßgeblich durch seinen Einsatz hat EU-Kommissar
    Hogan zugestimmt, dass die Gelder aus der „Superabga-
    be“ – eigentlich zweckentfremdet – für unsere Milchbau-
    ern eingesetzt werden.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Krise ist nicht
    eine Folge des Auslaufens der Quotierung.


    (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das ist ja erstaunlich!)


    Nein, meine Damen und Herren – Frau Tackmann, viel-
    leicht können Sie auch noch lernen; wir haben diese
    Hoffnung –, zwei verführerisch gute Jahre für die Milch-
    bauern haben zu einer Produktionssteigerung auch bei
    uns um mehr als 4 Prozent geführt.


    (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Problem!)


    Das ist zusammen mit dem Nachfragerückgang in China
    und den Sanktionen wegen der Ukraine-Krise die Ursa-
    che dafür, dass wir eine Überproduktion haben.


    (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, China sei die Zukunft! Was denn jetzt?)


    – Friedrich, du wirst lernen: Es ist die Zukunft. – Diese
    Überschussproduktion wird in dem von uns allen gewoll-
    ten freien Markt nun einmal zu sinkenden Preisen führen.

    Jetzt sollten wir nicht in Aktionismus verfallen. Der
    Sektor wird nicht nur diese Krise überstehen. Der Sektor
    hat eine gute Zukunft.


    (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Sektor vielleicht! Aber Zehntausende Milchbauern nicht!)


    Tatsache ist, dass wir im Durchschnitt der letzten Jahre
    zufriedenstellende oder sogar gute Preise hatten. Trotz-
    dem gab es vor und während der Quotierung einen Struk-
    turwandel, und diesen werden wir auch weiter haben. Ob

    dieser freie Markt und die dazu gehörende Volatilität der
    Preise für kleinere Betriebe so große Probleme bringen,
    dass dies zu einem verstärkten Strukturwandel führen
    wird – ich gebe zu, auch ich habe davor Angst –, wird
    uns die Zeit lehren. Ganz werden wir den Strukturwandel
    nicht aufhalten können, genauso wenig wie den techni-
    schen Fortschritt. Aber wenn unsere Gesellschaft das als
    ein Problem sehen wird, dann werden wir uns damit aus-
    einandersetzen müssen.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe
    schon gesagt, dass die aktuelle Krise nur der Markt lösen
    kann, indem Angebot und Nachfrage wieder in Balance
    gebracht werden. Aber genauso fest steht, dass die nächs-
    te Krise kommt.


    (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon die nächste Krise! Die eine ist noch nicht zu Ende!)


    Die für mich spannende Frage ist, ob wir dann wieder
    diesen Weg gehen oder ob wir in der Lage sind, intel-
    ligentere Modelle zu finden. Ich bin unserem Minister
    Schmidt sehr dankbar, dass er auf der vorletzten Agrar-
    ministerkonferenz gesagt hat, dass es bei der Lösung die-
    ser Frage keine „Denkverbote“ geben darf.


    (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Hauptsache Mengenregulierung!)


    Ich habe die berechtigte Hoffnung, dass wir in der nächs-
    ten Zeit ohne Scheuklappen miteinander über die zukünf-
    tige Marktorientierung ins Gespräch kommen werden.


    (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur über Menge dürfen wir nicht reden! Alles vorher schon mal regeln! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn jetzt mit China?)


    Ich komme zum Schluss. Der Antrag der Grünen ist
    einfach nicht realistisch und deshalb abzulehnen. Folge-
    richtig muss man dem Antrag der Koalition zustimmen.

    Vielen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)