2) Anlage 14
3) Anlage 15
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(A) (C)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12711
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.10.2015
Becker, Dirk SPD 15.10.2015
Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 15.10.2015
Feiler, Uwe CDU/CSU 15.10.2015
Gambke, Dr. Thomas BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.10.2015
Gleicke, Iris SPD 15.10.2015
Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 15.10.2015
Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 15.10.2015
Henke, Rudolf CDU/CSU 15.10.2015
Irlstorfer, Erich CDU/CSU 15.10.2015
Kolbe, Daniela SPD 15.10.2015
Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.10.2015
Nord, Thomas DIE LINKE 15.10.2015
Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 15.10.2015
Pilger, Detlev SPD 15.10.2015
Schlecht, Michael DIE LINKE 15.10.2015
Weinberg, Harald DIE LINKE 15.10.2015
Wicklein, Andrea SPD 15.10.2015
Wolff (Wolmirstedt),
Waltraud
SPD 15.10.2015
Zdebel, Hubertus DIE LINKE 15.10.2015
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Sven-
Christian Kindler, Peter Meiwald, Monika Lazar,
Julia Verlinden, Jürgen Trittin, Corinna Rüffer
und Stephan Kühn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) zu der namentlichen Abstimmung über den
von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge-
brachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleuni-
gungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a)
Immer mehr Menschen verlassen weltweit aus
größter Not ihre Heimat und flüchten. Sie fliehen vor
Gewalt, Terror, Krieg und Verfolgung. Den Menschen,
die nach Europa und Deutschland fliehen, wollen wir
mit offenen Armen begegnen. Sie haben ein Recht auf
Schutz und ein menschenwürdiges Leben.
Wir sind einerseits erschüttert über die gewalttäti-
gen Übergriffe auf Geflüchtete in Deutschland. Im-
mer wieder brennen geplante oder bereits bewohnte
Flüchtlingsunterkünfte. Bereits jetzt gab es dieses
Jahr über 500 Angriffe auf Unterkünfte. Andererseits
freuen wir uns über die große Willkommenskultur, die
wir auf Bahnhöfen, in den Erstaufnahmeeinrichtun-
gen und in den Städten und Gemeinden erleben. Viele
zehntausend Menschen leisten tagtäglich ehrenamtlich
unglaublich viel für eine gelebte Willkommenskultur
in Deutschland. Sie zeigen immer und immer wie-
der aufs Neue ihre Solidarität mit den Geflüchteten.
Diesen Menschen gilt unser Dank und unsere Aner-
kennung. Es wäre jetzt Aufgabe der Bundesregierung,
sich dieser Hilfsbereitschaft mit deutlichen Verbesse-
rungen im Asylrecht anzuschließen.
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält notwendi-
ge finanzielle Zusagen des Bundes, der sich künftig
dauerhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten
der Flüchtlingsaufnahme beteiligt und darüber hinaus
weitere finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Ver-
nünftig ist auch, dass der Bau von Unterkünften für
Flüchtlinge durch Änderung der baurechtlichen Stan-
dards flexibilisiert wird, auch wenn sich diese Stan-
dardsenkung nicht verstetigen und auf andere Berei-
che ausgeweitet werden darf. Wir erkennen auch an,
dass Staatsangehörige der Westbalkanstaaten unter
engen Voraussetzungen einen Zugang zum deutschen
Arbeitsmarkt erhalten können. Dies ist allerdings mit
seinen Einschränkungen alles andere als ein Einstieg
in ein Einwanderungsgesetz ist, sondern eine gering-
fügige, allenfalls symbolische Teilliberalisierung des
bestehenden Systems, die zudem nur bis 2020 befristet
ist.
Dem stehen die härtesten Asylrechtsverschärfun-
gen seit 20 Jahren gegenüber. Diese Verschärfungen
lehnen wir ab. Wir wollen sie als Abgeordnete des
Deutschen Bundestages nicht durch Beschluss dem
Bundesrat zur Annahme vorlegen. Wir hatten auf ih-
ren Inhalt im parlamentarischen Verfahren keinerlei
Einfluss. Die Verantwortung für diese zum Teil verfas-
sungs- und europarechtswidrigen Verschärfungen des
Flüchtlingsrechts trägt allein die Koalitionsmehrheit,
die sie zum Preis für die dringend notwendige Finan-
zierung der Flüchtlingsaufnahme erklärt hat. Der Ge-
setzentwurf geht bei den Verschärfungen sogar über
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512712
(A) (C)
(B) (D)
die Vereinbarungen der Ministerpräsidentenkonferenz
hinaus.
Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist eine
Mogelpackung. Es enthält zahlreiche Abschreckungs-
und Ausgrenzungsvorschriften, aber nicht eine ein-
zige Maßnahme, die geeignet wäre, Asylverfahren
tatsächlich zu beschleunigen. Die Koalition hat sich
geweigert, eine Regelung zur pauschalen Anerken-
nung von Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Irak und
Somalia vorzuschlagen. Sie hat keine Altfallregelung
für langandauernde Verfahren entworfen. Und sie hat
die grüne Forderung nach einer Aufhebung der obli-
gatorischen Widerrufsprüfung gemäß § 73 Absatz 2a
AsylVfG zurückgewiesen.
Stattdessen werden nun auch Albanien, Kosovo
und Montenegro in die Liste sogenannter sicherer
Herkunftsstaaten aufgenommen. Die Bestimmung
von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Se-
negal und Ghana zu sicheren Herkunftsstaaten wird
bestätigt, obwohl Roma, LGBTTI und Journalistinnen
in den Staaten des Westbalkans weiterhin Verfolgung
droht und einvernehmliche gleichgeschlechtliche
Handlungen unter Erwachsenen im Senegal und Gha-
na immer noch unter Strafe stehen. Auch die allge-
meine Sicherheitslage in den Westbalkanstaaten gibt
weiterhin Anlass zur Sorge. Der Bundestag hat erst im
Sommer 2015 den KFOR-Einsatz der Bundeswehr im
Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil
ist.
Für die Geflüchteten aus diesen Staaten ist dieses
Gesetz ein schwerer Angriff auf das Prinzip der Ein-
zelfallprüfung, einem Grundpfeiler des Asylrechts.
Die Anträge der Geflüchteten werden zwar formal
noch einzeln geprüft, doch drängt sich eine ablehnende
Entscheidung faktisch auf. Das Bundesverfassungsge-
richt hat in diesem Zusammenhang unmissverständ-
lich festgestellt, dass ein Staat nicht zum sicheren Her-
kunftsstaat bestimmt werden kann, solange dort auch
nur Angehörige einer einzigen Gruppe verfolgt werden
(2 BvR 1507 und 1508/93). Der UNHCR, die EKD
und die Deutsche Bischofskonferenz haben in ihren
Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung gerügt, dieser missachte insoweit die Vorgaben
der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie).
Neben die bisherigen Beschränkungen der Rechts-
schutzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus sogenannten
sicheren Herkunftsstaaten treten mit diesem Gesetz-
entwurf nun weitere massive Einschränkungen ihrer
sozialen und wirtschaftlichen Rechte: Sie werden
dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erst-
aufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus
folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des abso-
luten Arbeitsverbotes und der Sachleistungsprinzips
werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres
zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für
Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die
Schulpflicht entfallen.
Wir halten auch die Verpflichtung zum Verbleib in
den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monaten
integrations- und flüchtlingspolitisch für kontrapro-
duktiv. Der Druck der Kommunen auf die Landesre-
gierungen, die Höchstdauer auszuschöpfen, wird al-
lein schon aus finanziellen Erwägungen enorm sein.
Geflüchteten wird selbst dann der Auszug aus den
Erstaufnahmeeinrichtungen verboten, wenn sie selbst
privaten Wohnraum zu günstigeren Kosten oder gar
eine kostenlose Unterkunft bei Freunden oder Ver-
wandten finden. Betroffen sind davon auch Flüchtlin-
ge mit sogenannter „guter Bleibeperspektive“. Mit der
Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeein-
richtungen gehen die Residenzpflicht, ein absolutes
Arbeitsverbot und in etlichen Bundesländern auch der
Ausschluss von der Schulpflicht einher. Das Sachleis-
tungsprinzip wird zwingend für den notwendigen Be-
darf, einschließlich Ernährung und Kleidung, und als
Soll-Bestimmung für den notwendigen persönlichen
Bedarf, wie zum Beispiel Zigaretten oder Fahrkarten
sodass der Staat immer weiß, wer sich wo befindet.
Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Kon-
flikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrich-
tungen, was Gewalt und Kriminalität befördern wird.
Damit schafft man keine Akzeptanz in der Bevölke-
rung – im Gegenteil.
Wir haben uns immer für die Abschaffung des Asyl-
bewerberleistungsgesetzes eingesetzt. Mit dem vor-
liegenden Gesetzespaket wird das Asylbewerberleis-
tungsgesetz massiv verschärft. Verfassungswidrig ist
die Herabsenkung von Leistungen unterhalb des so-
ziokulturellen Existenzminimums durch die pauscha-
le Leistungsanspruchseinschränkung für bestimmte
Gruppen. Das kann mit den Vorgaben des Bundesver-
fassungsgerichts nicht in Einklang gebracht werden.
Aus der Menschenwürde folgt nämlich, dass das ein-
heitliche, das physische und soziokulturelle Existenz-
minimum in jedem Fall und zu jeder Zeit zu gewähr-
leisten ist. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch
nicht relativierbar.
Eine bundesweite Gesundheitskarte wird es durch
diesen Gesetzentwurf auch künftig nicht geben. Wie
bisher dürfen die Länder sie ausstellen, sie muss aber
fortan den Vermerk enthalten, dass sie nur zu Leis-
tungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz be-
rechtigt. Damit wird das erfolgreiche Modell 3 von
Bremen, Hamburg und NRW in Frage gestellt. Ge-
flüchtete bleiben Patienten zweiter Klasse, die sich mit
einer Notversorgung zu begnügen haben.
Völlig unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind
das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen, die
Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissio-
nen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin fest-
steht, und die Verschärfung der Schleuserstrafbarkeit,
statt die illegale Einreise zu entkriminalisieren und da-
durch die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten. Die-
se Regelungen werden den Erfolg bestehender freiwil-
liger Rückführungsprogramme torpedieren und einen
enormen Kosten- und Personalaufwand verursachen.
Bei den Winterabschiebungsstopps wird der Hand-
lungsspielraum der Landesregierungen bei Abschie-
bungsstopps ohne Not eingeschränkt. Die vorüber-
gehende Ermächtigung zur Ausübung der Heilkunde
durch Asylsuchende ohne ärztliche Approbation, die
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12713
(A) (C)
(B) (D)
allerdings für ihre Tätigkeit nicht vergütet werden dür-
fen, sehen wir genauso kritisch wie die Bundesärzte-
kammer. Darin liegt ein doppelter Gleichheitsverstoß:
Manche ausländischen Ärzte dürfen dann – anders als
Deutsche – ohne Approbation ihren Beruf ausüben, al-
lerdings nur bestimmte ausländische Patienten behan-
deln, denen dadurch faktisch der Zugang zu dem Re-
gelsystem der Gesundheitsversorgung droht verwehrt
zu werden.
Die Verbesserungen beim Zugang zu den Integra-
tionskursen sind weitestgehend folgenlos, weil der
Kreis der Berechtigten restriktiv und teilweise vage
formuliert ist und lediglich ein nachrangiger Zugang
statt eines Teilnahmeanspruchs geschaffen wird.
Letztlich wird diese angebliche Verbesserung an den
schon jetzt fehlenden Kursplätzen scheitern oder dar-
an, dass die Kurszulassung nach den Regelungen der
Verordnung zum Asylverfahrensbeschleunigungsge-
setz auf drei Monate befristet wird, was faktisch eine
Kursteilnahme vereitelt.
Als mindestens problematisch bewerten wir auch
die Ermöglichung der Ernennung von Beamten als
Richter auf Zeit bei den Verwaltungsgerichten sowie
Betrauung von Richtern auf Probe als Einzelrichter
mit Asylangelegenheiten, trotz fortbestehender Be-
schränkungen bei der Zulassung von Rechtsmitteln.
Rechtssicherheit kann nicht durch die Beschränkung
von Rechtschutzmöglichkeiten hergestellt werden.
So lange die Berufung in Asylsachen so selten zuge-
lassen wird, so lange wird sich auch eine einheitliche
Rechtsprechung, die dringend notwendig wäre, nicht
herausbilden können.
Selbst wenn die geringen Spielräume, die den Län-
dern noch bleiben, von Bundesländern mit grüner Re-
gierungsbeteiligung genutzt werden: In Ländern wie
Bayern und Sachsen wird keine Regelung zugunsten
der Geflüchteten ausgelegt.
Trotz der lange überfälligen finanziellen Zusagen
für Länder und Kommunen können wir in der Summe
angesichts dieser massiven Verschlechterungen und
Asylrechtseinschränkungen für Geflüchtete nur zu
dem Schluss kommen, dieses Gesetz abzulehnen.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Maria
Klein-Schmeink und Dr. Harald Terpe (alle
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen
Abstimmung über den von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Tages-
ordnungspunkt 5 a)
Die Bundesregierung hatte lange Zeit die wachsenden
Flüchtlingszahlen ignoriert und keine ausreichenden Vor-
kehrungen getroffen, weder beim Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge noch bei der Aufnahme und Versor-
gung von Flüchtlingen. Länder und Kommunen wurden
allein gelassen. Von daher begrüßen wir es ausdrücklich,
dass nun durch zähe und lange Verhandlungen der Bun-
desländer einige lang überfällige und vielfach geforderte
Maßnahmen umgesetzt werden. An erster Stelle steht da-
bei die strukturelle und dauerhafte Beteiligung des Bun-
des an den Kosten der Aufnahme und Unterbringung der
Flüchtlinge. Insgesamt sollen Länder und Kommunen
um mehr als 4 Milliarden Euro entlastet werden. Zudem
werden Mittel zur Verfügung gestellt, die für unbeglei-
tete minderjährige Flüchtlinge und für den Ausbau der
Kinderbetreuung eingesetzt werden. Ein erster Schritt ist
auch, dass der Bund die Mittel für die soziale Wohnraum-
förderung um 500 Millionen Euro auf eine Milliarde in
den nächsten vier Jahren erhöht. Diese Summe ist eine
erste Finanzspritze. Wichtig ist auch, dass der Bund den
Zugang zu Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung und
zu Integrationskursen für viele Flüchtlinge verbessert.
Mit all diesen Maßnahmen übernimmt der Bund endlich
Verantwortung.
Das Verhandlungsergebnis zwischen Bundesregierung
und Bundesländern ist aber auch ein bitterer Kompro-
miss. Denn er enthält eine Reihe von Gesetzesverschär-
fungen, die mit einer menschenrechtsorientierten Flücht-
lingspolitik nicht in Einklang zu bringen sind und zudem
widersinnige Integrationshemmnisse aufbauen. Dazu
zählen insbesondere die verlängerte Verpflichtung von
Asylsuchenden zum Verbleib in Erstaufnahmeeinrich-
tungen, Anspruchseinschränkungen im Asylbewerber-
leistungsgesetz und die Ausweitung der Liste angeblich
„sicherer Herkunftsstaaten“. Diese Gesetzesverschär-
fungen werden wir bei Einzelabstimmungen namentlich
ablehnen.
Am Ende müssen wir uns aber auch zum Gesamtpa-
ket verhalten, und diese Entscheidung fällt uns extrem
schwer. Zustimmen können wir dem Gesetzentwurf
aufgrund der Verschärfungen auf keinen Fall. Den Ge-
setzentwurf können wir aber auch nicht ablehnen, denn
als langjährige Kommunalpolitikerinnen und Kommu-
nalpolitiker wissen wir, wie sehr die Kommunen auf die
finanzielle Unterstützung des Bundes angewiesen sind.
Aus diesen Gründen werden wir uns bei der Abstimmung
über das Gesamtpaket zwangsläufig enthalten.
Namentlich abgelehnt haben wir die Leistungskür-
zungen unter das Niveau des soziokulturellen Existenz-
minimums, die folglich nur Leistungen für Ernährung,
Unterkunft (inklusive Heizung) sowie Körper- und Ge-
sundheitspflege enthalten. Das ist nicht akzeptabel, denn
alle Menschen, die hier leben, haben ein Anrecht auf die
gleichen Leistungen. Deshalb sind wir auch der Mei-
nung, dass diese Leistungseinschränkungen verfassungs-
rechtlich mehr als fragwürdig sind. Auch die geforderte
Umwandung der Geldleistungen für den persönlichen
Bedarf in Sachleistungen ist weder humanitär noch so-
zialpolitisch vertretbar. Sie überfrachten zudem die Auf-
nahmeeinrichtungen mit noch mehr Bürokratie.
Ablehnen werden wir auch, dass Albanien, Kosovo
und Montenegro in die Liste der sogenannten sicheren
Herkunftsstaaten aufgenommen werden. Für uns ist das
ein Angriff auf das Prinzip der Einzelfallprüfung, einen
Grundpfeiler des Asylrechts. Das trifft insbesondere die
Roma, denn sie werden in den Staaten des Westbalkans
weiterhin diskriminiert. Und schlussendlich hat der Bun-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512714
(A) (C)
(B) (D)
destag erst im Sommer den KFOR-Einsatz der Bundes-
wehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer
instabil ist.
Für die Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Her-
kunftsstaaten gibt es zudem weitere Einschränkungen
ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte. Sie werden
dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erstauf-
nahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus fol-
genden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten
Arbeitsverbotes und des Sachleistungsprinzips werden
flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurück-
gedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder
und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht
entfallen. Auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Blei-
beperspektive“ können zukünftig bis zu sechs Monate in
Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Diese Regelung
produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelen-
dung in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Damit entsteht
keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil.
Deshalb werden wir auch diese Verschärfungen nament-
lich ablehnen.
Wir kritisieren auch die Beschränkung der Befas-
sung der Härtefallkommissionen auf Fälle, in denen kein
Rückführungstermin feststeht. Vor allem aber bleibt auch
die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen recht-
lich weiterhin auf die dringend erforderliche und nicht
aufschiebbare Behandlung bei akuter Erkrankung be-
schränkt. Das widerspricht nicht nur dem humanitären
Gebot auf eine angemessene gesundheitliche Versor-
gung, es führt häufig auch zu nachfolgenden bedeutend
aufwendigeren Behandlungen und höheren Kosten. Ge-
flüchtete bleiben somit Patienten zweiter Klasse, die sich
mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Die Opti-
on, in den Bundesländern mit den Krankenkassen eine
Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu vereinbaren, wurde
rechtlich nicht entsprechend den Vereinbarungen mit
den Ministerpräsidenten geregelt. Es ist weder eindeutig
absehbar, ob die bestehenden Vereinbarungen zur Ge-
sundheitskarte für Flüchtlinge in Bremen, Hamburg und
NRW Bestand haben. Es bleibt auch unklar, ob vergleich-
bare Rahmenvereinbarungen in den anderen Bundeslän-
dern in Zukunft möglich sind. Darüber hinaus soll auf
der Karte vermerkt werden, dass es sich um Flüchtlinge
handelt. Das ist diskriminierend und verlagert eine hoch-
problematische Entscheidung über eine eingeschränkte
Behandlung in die Arztpraxis.
Ein letzter Gedanke ist uns abschließend noch wich-
tig. Statt tragfähige Lösungen vorzuschlagen, werden
immer wieder von Regierungsmitgliedern oder von Mit-
gliedern der sie tragenden Parteien, insbesondere von der
CSU, populistische und völlig abstruse Debatten vom
Zaun gebrochen. Das lenkt von den wirklichen Proble-
men ab. Vor allem kann dies die gelebte Solidarität der
Bevölkerung erschüttern und gleichzeitig all jene, die
Unterkünfte für Geflüchtete in Brand stecken, bestärken.
Das sehen wir mit großer Sorge, und das geht uns auch
unter die Haut.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Lars Castellucci und
Dr. Dorothea Schlegel (beide SPD) zu der nament-
lichen Abstimmung über den von den Fraktionen
der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Ta-
gesordnungspunkt 5 a)
Das vorliegende Gesetz ist ein tragfähiger Kompro-
miss, der unser Asylsystem insgesamt verbessern wird.
Es enthält jedoch auch die Ausweitung der Liste sicherer
Herkunftsstaaten gemäß Artikel 16 Absatz 3 Grundge-
setz. Dieser Regelung kann ich nur als Teil des vorlie-
genden Gesamtpakets zustimmen. Als für sich stehende
Änderung müssten wir sie ablehnen.
Das Grundrecht auf Asyl wird nicht dadurch besser,
dass wir es einschränken. Im Parlamentarischen Rat gab
es 1948 heftige Diskussionen um die Aufnahme eines
Grundrechts auf Asyl. Aus den Erfahrungen deutscher
Flüchtlinge, unter ihnen Willy Brandt, sollte eine Leh-
re gezogen werden: Nie wieder Abhängigkeit vom guten
Willen eines Grenzbeamten, sondern ein Rechtsanspruch.
Es ist schon sehr bemerkenswert, dass ein Land, das am
Boden lag, einen Satz in das Grundgesetz geschrieben
hat, dass jeder Mensch hier ein Recht auf Asyl hat, der
politisch verfolgt wird. Es ist noch bemerkenswerter,
dass die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union über
das Asylrecht für politisch Verfolgte hinausgegangen
sind und sich auf gemeinsame Normen für den Schutz
von Flüchtlingen geeinigt haben. Vor diesem Hinter-
grund haben wir die Debatte zu führen.
Nach dem Asylverfahrensgesetz handelt es sich bei
den sicheren Herkunftsstaaten um solche Staaten, bei
denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse
die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder poli-
tische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigen-
de Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Diese Ver-
mutung besteht, solange ein Mensch aus einem solchen
Staat nicht glaubhaft Tatsachen vorträgt, die die Annah-
me begründen, dass er entgegen dieser Vermutung doch
verfolgt wird. Als sichere Herkunftsstaaten gelten die
Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die in An-
lage II des Asylverfahrensgesetzes bezeichneten Staaten.
Das Recht, Schutz in Deutschland zu suchen, besteht
auch für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten. Im
Falle eines Asylantrages einer Person aus einem sicheren
Herkunftsstaat ist der Antrag im ordentlichen Asylver-
fahren zu bearbeiten. Die Verlängerung der Liste siche-
rer Herkunftsstaaten hat auf die Asylantragszahlen somit
keinen Einfluss. Die Einstufung von Albanien, Kosovo
und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten wird Men-
schen aus diesen Staaten nicht davon abhalten, einen
Asylantrag in Deutschland zu stellen. Diese Idee ist kei-
ne Lösung für die aktuellen Herausforderungen, sondern
reine Symbolpolitik. Das zeigt die Erfahrung:
Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina
gelten seit November 2014 als sichere Herkunftsstaaten.
Trotzdem wurden bis September 2015 rund 24 700 Asyl-
anträge aus EjR Mazedonien und Serbien gestellt. Ein
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12715
(A) (C)
(B) (D)
positiver Effekt ist somit nicht erkennbar. Im Gegenteil:
Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind die Antrags-
zahlen aus EjR Mazedonien und Serbien sogar deutlich
gestiegen (um 84,8 Prozent bzw. um 28,8 Prozent).
Auch wird die Verfahrensdauer für Anträge von Men-
schen aus sicheren Herkunftsstaaten kaum beeinflusst.
Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
zeigen, dass die Verfahren für Anträge von Menschen
aus Albanien und Montenegro durchschnittlich deutlich
kürzer sind (1,8 bzw. 3,1 Monate) als die Verfahren von
Menschen aus den sicheren Herkunftsstaaten Serbien
(4,2 Monate) sowie Bosnien und Herzegowina (4,4 Mo-
nate). Das zeigt, dass eine erstrebenswerte Verkürzung
der Asylverfahren auch ohne das Mittel der sicheren Her-
kunftsstaaten möglich ist.
Positive Effekte sind also nicht zu erkennen. Negative
Effekte sind zu befürchten:
Erstens kann die Einstufung eines Staates als sicher-
er Herkunftsstaat die Beurteilung des Antrages eines
Schutzsuchenden aus diesem Staat negativ beeinflussen.
Es ist mindestens zu erwarten, dass die Sachbearbeitung
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in dem
Wissen, dass ein Mensch aus einem sicheren Herkunfts-
staat kommt, den Antrag anders beurteilt als den Antrag
eines aus einem anderen Staat kommenden Menschen.
Dadurch besteht die Gefahr, dass tatsächliche Schutz-
gründe nicht erkannt werden könnten. Es ist doch er-
staunlich, dass die Schutzquote für Menschen zum Bei-
spiel aus dem Kosovo in Frankreich im Jahr 2014 knapp
19 Prozent betrug, während in Deutschland lediglich
knapp ein halbes Prozent der Menschen aus dem Kosovo
Schutz erhielt. Auch in vielen anderen Staaten der Euro-
päischen Union und der Schweiz sind die Schutzquoten
für Flüchtlinge aus Staaten des westlichen Balkans weit
höher als in Deutschland.
Zweitens ist die Einstufung der Staaten des westlichen
Balkans ein falsches Signal an diese Staaten. Die Euro-
päische Union gerät in den Beitrittsverhandlungen in den
Themenbereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
Grundrechteschutz in die Defensive, wenn sie diesen
Staaten einen Persilschein als sichere Herkunftsstaaten
ausstellt.
Drittens erweckt die andauernde Diskussion über si-
chere Herkunftsstaaten den Anschein, dieses Mittel sei
eine einfache und schnelle Lösung. Die Menschen in
Deutschland erwarten wirksame und nachhaltige Lö-
sungen. Am nachhaltigsten wäre die Beseitigung der
Fluchtursachen. Nachhaltig wäre ein solidarisches Asyl-
system der Europäischen Union. Nachhaltig wäre auch
ein widerstandsfähiges und effizientes Asylsystem in
Deutschland. Leider bindet die Diskussion über sichere
Herkunftsstaaten wichtige Ressourcen, um diese Themen
voranzutreiben. Die Ausweitung der Liste der sicheren
Herkunftsländer ist keine Antwort auf die drängenden
Fragen von Migration und Flucht.
Aus diesen Gründen können wir dem Gesetzentwurf
nur mit Verweis auf diese Erklärung zustimmen.
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Uwe Kekeritz und Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) zu der namentlichen Abstimmung über den
von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge-
brachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleuni-
gungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a)
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält notwendige
finanzielle Zusagen des Bundes, der sich künftig dau-
erhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten der
Flüchtlingsaufnahme beteiligt und darüber hinaus wei-
tere finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Vernünftig
ist auch, dass der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge
durch Änderung der baurechtlichen Standards flexibili-
siert wird, auch wenn sich diese Standardsenkung nicht
verstetigen und auf andere Bereiche ausgeweitet werden
darf. Wir erkennen auch an, dass Staatsangehörige der
Westbalkanstaaten, wenn auch unter engen Vorausset-
zungen, einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt er-
halten können, was mit seinen Einschränkungen jedoch
alles andere als ein Einstieg in ein Einwanderungsgesetz
ist, sondern eine geringfügige, allenfalls symbolische
Teilliberalisierung des bestehenden Systems, die zudem
nur bis 2020 befristet ist.
Trotz dieser positiven Aspekte können wir dem Ge-
setzespaket nicht zustimmen. Schon der Titel ist eine
Mogelpackung. Das Gesetz enthält zahlreiche Abschre-
ckungs- und Ausgrenzungsvorschriften, aber nicht eine
einzige Maßnahme, die geeignet wäre, Asylverfahren
tatsächlich zu beschleunigen. Die Koalition hat sich ge-
weigert, eine Regelung zur pauschalen Anerkennung von
Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Irak und Somalia vorzu-
schlagen. Sie hat keine Altfallregelung für langandauern-
de Verfahren entworfen. Und sie hat die Forderung nach
einer Aufhebung der obligatorischen Widerrufsprüfung
gemäß § 73 Absatz 2 a AsylVfG zurückgewiesen.
Statt tragfähige Lösungen vorzuschlagen, werden
immer wieder von Regierungsmitgliedern oder von Mit-
gliedern der sie tragenden Parteien, vor allem von der
CSU, populistische und völlig abstruse Debatten vom
Zaun gebrochen, die von den wirklichen Problemen ab-
lenken und dazu führen können, dass die gelebte Solida-
rität der Bevölkerung untergraben wird und Verbrecher,
die Unterkünfte für Geflüchtete in Brand stecken, sich
bestärkt fühlen. Diesen Geist atmet zum Teil auch das
Asylverfahrensvereinfachungsgesetz. Das sehen wir mit
großer Sorge.
Die mit dem Gesetz eingeführte Dreiklassenunter-
teilung von AsylbewerberInnen, Flüchtlingen aus soge-
nannten sicheren Herkunftsstaaten, solchen mit „guter
Bleibeperspektive“ und dem Rest, lehnen wir ab. Schi-
kanen wie zusätzliche Leistungskürzungen und eine
Umwandlung der Geldleistungen für den persönlichen
Bedarf in Sachleistungen sind nicht nur humanitär, men-
schenrechtlich und sozialpolitisch unvertretbar, sie wir-
ken in der gegenwärtigen Situation auch als geistiger
Brandsatz und überfrachten, statt zu entlasten, die Auf-
nahmeeinrichtungen mit Bürokratie.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512716
(A) (C)
(B) (D)
Schon die bestehenden Leistungseinschränkungen
für Geflüchtete im Asylbewerberleistungsgesetz und bei
den Gesundheitsleistungen sind für uns in keiner Weise
akzeptabel. Und gehören abgeschafft. Alle Menschen,
die hier leben, haben in unseren Augen ein Anrecht auf
die gleichen Leistungen. Leistungseinschränkungen und
-ausschlüsse, sei es bei der Grundsicherung oder bei den
Gesundheitsleistungen, fördern nur die Entstehung von
Elendsquartieren, ausbeuterischer Schwarzarbeit, und sie
produzieren, gerade im Gesundheitsbereich, Folgekos-
ten, die sehr teuer werden können.
Zudem sind wir der Überzeugung, dass die Leistungs-
einschränkungen verfassungsrechtlich mehr als frag-
würdig sind. Darin haben uns auch die Stellungnahmen
der evangelischen und katholischen Kirche und weiterer
Sachverständiger in der Anhörung zu dem vorliegenden
Gesetz bestärkt. So sollen mit den Leistungskürzungen
und der Umwandlung von Geld- in Sachleistungen laut
dem Gesetzentwurf „Fehlanreize“ beseitigt werden. Dies
sind in unseren Augen migrationspolitische Erwägungen,
die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum
Asylbewerberleistungsgesetz vom 15.08.2012 als mögli-
cher Grund für Leistungseinschränkungen ausgeschlos-
sen wurden (Randnummer 121).
Wir sind auch der Auffassung, dass jegliche Leistungs-
kürzungen unter das Niveau des soziokulturellen Exis-
tenzminimums und damit folglich erst recht Leistungen,
die nicht einmal das physische Existenzminimum absi-
chern, sondern nur Leistungen für Ernährung, Unterkunft
(inklusive Heizung) sowie Körper- und Gesundheitspfle-
ge enthalten, verfassungsrechtlich nicht zu halten sind.
Und humanitär sowieso nicht. Das Bundesverfassungs-
gericht hat zwar in dem oben genannten Urteil bei einem
„nur kurzen“ Aufenthalt einen „möglicherweise spezi-
fisch niedrige(ren) Bedarf“ (Randnummer 119) als bei
längerfristig Aufenthaltsberechtigten nicht in jedem Fall
ausgeschlossen, jedoch würde das Gericht nach unserer
Kenntnis empirische Belege für den niedrigeren Bedarf
verlangen. Zudem eröffnet der Gesetzentwurf auch de
facto Leistungskürzungen bei mehr als nur kurzen Auf-
enthalten, schon allein, weil die Leistungskürzungen bei
Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen immer
wieder verlängert werden sollen.
Das Gleiche gilt für die Möglichkeit der Erbringung
der Leistungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe in
Form von Sachleistungen oder Wertgutscheinen statt fi-
nanzieller Leistungen. Sachleistungen und Wertgutschei-
ne verhindern gerade, dass individuell unterschiedlich
hohe existenzielle Bedarfe von den Leistungsbeziehen-
den im Rahmen einer pauschalierten Leistung ausgegli-
chen werden können. Deshalb gehen wir auch hier weder
von verfassungsrechtlich haltbaren noch humanitär hin-
nehmbaren Leistungsunterdeckungen unter das soziokul-
turelle Existenzminimum aus. Völlig abstrus erscheint
uns auch, dass infolge der Änderungsanträge nun zwar
die Möglichkeit der Erbringung von Sachleistungen in
Aufnahmeeinrichtungen daran geknüpft wird, dass nur
ein vertretbarer Verwaltungsaufwand vorliegt, eine sol-
che Prüfung jedoch in Gemeinschaftsunterkünften nicht
notwendig ist.
Die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen
bleibt rechtlich weiterhin auf die dringend erforderliche
und nicht aufschiebbare Behandlung bei akuter Erkran-
kung beschränkt. Das widerspricht nicht nur dem huma-
nitären Gebot auf eine angemessene gesundheitliche Ver-
sorgung, es führt häufig auch zu einer Chronifizierung
und nachfolgenden bedeutend aufwendigeren Behand-
lungen und, wie Studien zeigen, zu höheren Kosten. Ge-
flüchtete bleiben somit Patienten dritter Klasse, die sich
mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Die Opti-
on, in den Bundesländern mit den Krankenkassen eine
Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu vereinbaren, wurde
rechtlich nicht entsprechend den Vereinbarungen mit
den Ministerpräsidenten geregelt. Es ist weder eindeutig
absehbar, ob die bestehenden Vereinbarungen zur Ge-
sundheitskarte für Flüchtlinge in Bremen, Hamburg und
NRW Bestand haben, die in weiten Teilen eine Versor-
gung vorsieht, die der gesetzlich Versicherter entspricht.
Es bleibt auch unklar, ob vergleichbare Rahmenver-
einbarungen in den anderen Bundesländern in Zukunft
möglich sind. Darüber hinaus soll auf der Karte vermerkt
werden, dass es sich um einen Flüchtling handelt. Das ist
diskriminierend und verlagert eine hochproblematische
Entscheidung über eine eingeschränkte Behandlung in
die Arztpraxis. Hinzu kommt, dass ein Flickenteppich
von Regelungen entstehen wird, der für die Flüchtlinge
bei einem Ortswechsel problematisch und für die Kran-
kenkassen aufwendig ist. Notwendig wäre bundesein-
heitlich die Einbeziehung der Geflüchteten in die gesetz-
liche Krankenversicherung, wie dies für Flüchtlinge ab
15 Monaten bereits heute gilt. Die Kosten sollten durch
den Bund getragen werden.
In die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten
werden nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro
aufgenommen. Die Bestimmung von Bosnien-Herzego-
wina, Mazedonien, Serbien, Senegal und Ghana zu si-
cheren Herkunftsstaaten wird bestätigt, obwohl Roma,
LGBTTI und JournalistInnen in den Staaten des West-
balkans weiterhin Verfolgung droht und einvernehmliche
gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen
im Senegal und Ghana immer noch unter Strafe stehen.
Auch die allgemeine Sicherheitslage in den Westbalkan-
staaten gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Der Bundestag
hat erst im Sommer 2015 den KFOR-Einsatz der Bun-
deswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch im-
mer instabil ist.
Für die Geflüchteten aus diesen Staaten ist dieses
Gesetz ein schwerer Angriff auf das Prinzip der Einzel-
fallprüfung, einen Grundpfeiler des Asylrechts. Die An-
träge der Geflüchteten werden zwar formal noch einzeln
geprüft, doch drängt sich eine ablehnende Entscheidung
faktisch auf. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem
Zusammenhang unmissverständlich festgestellt, dass ein
Staat nicht zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt werden
kann, solange dort auch nur Angehörige einer einzigen
Gruppe verfolgt werden (2 BvR 1507 und 1508/93). Der
UNHCR, die EKD und die Deutsche Bischofs konferenz
haben in ihren Stellungnahmen insoweit die Missachtung
der Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrens-
richtlinie) gerügt.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12717
(A) (C)
(B) (D)
Neben die bisherigen Beschränkungen der Rechts-
schutzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus sogenannten
sicheren Herkunftsstaaten treten nun weitere massive
Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen
Rechte: Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflich-
tet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit
der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht,
des absoluten Arbeitsverbotes und des Sachleistungs-
prinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten
Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte
für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die
Schulpflicht entfallen.
Wir halten auch die Verpflichtung zum Verbleib in den
Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monaten inte-
grations- und flüchtlingspolitisch für kontraproduktiv.
Der Druck der Kommunen auf die Landesregierungen,
die Höchstdauer auszuschöpfen, wird allein schon aus
finanziellen Erwägungen enorm sein. Geflüchteten wird
selbst dann der Auszug aus der Erstaufnahmeeinrichtung
verboten, wenn sie selbst privaten Wohnraum zu güns-
tigeren Kosten oder gar eine kostenlose Unterkunft bei
Freunden oder Verwandten finden. Betroffen sind davon
auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Bleibeperspek-
tive“.
Mit der Verpflichtung zum Verbleib in den Erstauf-
nahmeeinrichtungen gehen die Residenzpflicht, ein ab-
solutes Arbeitsverbot und in etlichen Bundesländern
auch der Ausschluss von der Schulpflicht einher. Das
Sachleistungsprinzip wird zwingend für den notwendi-
gen Bedarf, einschließlich Ernährung und Kleidung, und
als Soll-Bestimmung für den notwendigen persönlichen
Bedarf, wie zum Beispiel Fahrkarten – sodass der Staat
immer weiß, wer sich wo befindet – oder Zigaretten. Die-
se Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte
und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrichtungen, was
Gewalt und Kriminalität befördern wird. Damit schafft
man keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil.
Völlig unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind
das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen, die
Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissio-
nen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin fest-
steht, und die Verschärfung der Schleuserstrafbarkeit,
statt die illegale Einreise zu entkriminalisieren und da-
durch die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten. Diese
Regelungen werden den Erfolg bestehender freiwilliger
Rückführungsprogramme torpedieren und einen enor-
men Kosten- und Personalaufwand verursachen. Bei den
Winterabschiebungsstopps wird der Handlungsspielraum
der Landesregierungen bei Abschiebungsstopps ohne
Not eingeschränkt. Die vorübergehende Ermächtigung
zur Ausübung der Heilkunde durch Asylsuchende ohne
ärztliche Approbation, die allerdings für ihre Tätigkeit
nicht vergütet werden dürfen, sehen wir genauso kritisch
wie die Bundesärztekammer. Darin liegt ein doppelter
Gleichheitsverstoß: Manche ausländischen Ärzte dürfen
dann – anders als Deutsche – ohne Approbation ihren
Beruf ausüben, allerdings nur bestimmte ausländische
Patienten behandeln, denen dadurch faktisch der Zugang
zu dem Regelsystem der Gesundheitsversorgung droht,
verwehrt zu werden.
Die Verbesserungen beim Zugang zu den Integrations-
kursen sind weitestgehend folgenlos, weil der Kreis der
Berechtigten restriktiv und teilweise vage formuliert ist
und lediglich ein nachrangiger Zugang statt eines Teil-
nahmeanspruchs geschaffen wird. Letztlich wird diese
angebliche Verbesserung an den schon jetzt fehlenden
Kursplätzen scheitern oder daran, dass die Kurszulas-
sung nach den Regelungen der Verordnung zum Asylver-
fahrensbeschleunigungsgesetz auf drei Monate befristet
wird, was faktisch eine Kursteilnahme vereitelt.
Als mindestens problematisch bewerten wir auch die
Ermöglichung der Ernennung von Beamten als Richter
auf Zeit bei den Verwaltungsgerichten sowie Betrauung
von Richtern auf Probe als Einzelrichter mit Asylange-
legenheiten, trotz fortbestehender Beschränkungen bei
der Zulassung von Rechtsmitteln. Rechtssicherheit kann
nicht durch die Beschränkung von Rechtschutzmöglich-
keiten hergestellt werden. Solange die Berufung in Asyl-
sachen so selten zugelassen wird, so lange wird sich auch
eine einheitliche Rechtsprechung, die dringend notwen-
dig wäre, nicht herausbilden können.
Wir setzen uns weiterhin für eine gerechte und solida-
rische Lastenteilung innerhalb der EU, für gleichberech-
tigte Mindestsicherungs- und Gesundheitsleistungen für
Geflüchtete in Deutschland ein. Das Asylbewerberleis-
tungsgesetz gehört abgeschafft und eine echte Gesund-
heitskarte für Geflüchtete eingeführt.
Die Herausforderungen, die mit den zu uns Geflüch-
teten verbunden sind, müssen endlich angenommen wer-
den. Wenn die Bundesregierung weiterhin zögert, steuern
wir im kommenden Winter auf eine humanitäre Krise in
Deutschland zu. Die Bundesregierung muss dringendst
Maßnahmen ergreifen, um den Ländern und Kommunen
zu ermöglichen, schnellstens Erstgesundheitsversorgun-
gen und Impfungen bei allen Geflüchteten durchzuführen
und dafür zu sorgen, dass die Kommunen noch vor dem
Winter ausreichend Unterkünfte für Obdachlose, Ge-
flüchtete und andere zur Verfügung stellen können.
Anlage 6
Erklärungen nach § 31 GO
zu der namentlichen Abstimmung über den von
den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge-
brachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleuni-
gungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 5 a)
Klaus Brähmig (CDU/CSU): Im Rahmen der na-
mentlichen Abstimmung am 15. Oktober 2015 werde ich
dem oben genannten Entwurf eines Asylverfahrensbe-
schleunigungsgesetzes zustimmen. Mit allem Nachdruck
weise ich aber darauf hin, dass meiner Überzeugung nach
dieses Maßnahmenpaket nur ein erster – wenn auch sehr
wichtiger – Schritt sein kann, um die teilweise verhee-
renden Auswirkungen der Flüchtlingsströme in unserem
Land besser zu bewältigen. Zugleich rufe ich die Bundes-
regierung auf, den Weg der Restriktion von illegaler und
ungesteuerter Zuwanderung beherzt weiterzugehen, um
den sozialen Frieden und die politische Statik Deutsch-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512718
(A) (C)
(B) (D)
lands nicht zu gefährden. Eine ungesteuerte Zuwande-
rung, die sich nicht an den politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Interessen unseres Landes orientiert und das
Sicherheitsbedürfnis unserer Bevölkerung weitgehend
ignoriert, muss unweigerlich scheitern.
Marco Bülow (SPD): In einigen wesentlichen Punk-
ten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus menschen-
rechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesserungen: Um
Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, wer-
den die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kom-
munen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pau-
schale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für
die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung
einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich betei-
ligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mitteln in
Höhe von 350 Millionen Euro.
Derzeit sind nach Schätzungen des UNHCR 60 Mil-
lionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist die
höchste Zahl, die jemals vom UNHCR verzeichnet wur-
de, und sie wächst weiterhin rasant. In der Bundesrepu-
blik werden in diesem Jahr schätzungsweise 1 Million
Geflüchtete erwartet. In dieser globalen Flüchtlingskri-
se sehe ich sowohl die Europäische Union als auch die
Bundesrepublik Deutschland in der Verantwortung für
eine solidarische und humane Asylpolitik. Hierzu erachte
ich eine Modernisierung des Asylrechts als erforderlich.
Im Sinne beispielsweise legaler Wege für Asylsuchende
nach Europa und im Sinne einer menschenrechtsbasierten
Asylpraxis in der Europäischen Union und der Bundes-
republik Deutschland. Hierzu zählen für mich ebenfalls
Maßnahmen, wie einen Zweckwechsel für Asylsuchende
zu ermöglichen. Als Sozialdemokrat lehne ich grundsätz-
lich Verschärfungen ab, die einer menschenrechtsbasier-
ten Asylpraxis entgegenstehen.
Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus
menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem An-
spruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich
sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung
der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und
widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf
Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün-
digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein-
schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind
ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungs-
kürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die
keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman,
und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungs-
konform.
Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische
Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, ent-
halte ich mich der Stimme.
Dr. Karamba Diaby (SPD): Bei Abstimmungen mit
erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen
nehme ich für mich das Recht eines jeden Abgeordne-
ten nach Artikel 38 (1) des Grundgesetzes in Anspruch.
In Abwägung der getroffenen Verbesserungen und Ver-
schärfungen des Asylverfahrensbeschleunigungsgeset-
zes stimme ich mit Enthaltung.
Erstens. Derzeit sind nach Schätzungen des UNHCR
60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist
die höchste Zahl, die jemals von UNHCR verzeichnet
wurde, und sie wächst weiterhin rasant. In der Bundesre-
publik werden in diesem Jahr schätzungsweise 1 Million
Geflüchtete erwartet. In dieser globalen Flüchtlingskrise
sehe ich sowohl die Europäische Union als auch die Bun-
desrepublik Deutschland in der Verantwortung für eine
solidarische und humane Asylpolitik. Hierzu erachte ich
eine Modernisierung des Asylrechts als erforderlich, im
Sinne beispielsweise legaler Wege nach Europa für Asyl-
suchende und im Sinne einer menschenrechtsbasierten
Asylpraxis in der Europäischen Union und der Bundes-
republik Deutschland. Hierzu zählen für mich ebenfalls
Maßnahmen wie die, einen Zweckwechsel für Asylsu-
chende zu ermöglichen. Als Sozialdemokrat lehne ich
grundsätzlich Verschärfungen ab, die einer menschen-
rechtsbasierten Asylpraxis entgegenstehen.
Zweitens. In unter anderem folgenden wesentli-
chen Punkten sehe ich deutliche Verbesserungen: Um
Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen, wer-
den die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die Kom-
munen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine Pau-
schale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem für
die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung
einen Monat darüber hinaus vorgesehen. Zusätzlich be-
teiligt sich der Bund an der Versorgung von unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mitteln in
Höhe von 350 Millionen Euro.
Drittens. Hingegen verschlechtert der vorliegende
Gesetzentwurf die Situation von Geflüchteten. Unter
anderem folgende Neuregelungen sind für mich aus
menschenrechtlichen Erwägungen heraus und aus dem
Anspruch heraus, dass Flucht nach Deutschland mög-
lich sein muss, nicht zustimmungsfähig: Die Ausweitung
der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und
widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf
Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün-
digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein-
schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind
unverhältnismäßig. Ebenfalls sind die unbegründeten
Leistungskürzungen inhuman und scheinen mir nicht
verfassungskonform.
Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): In einigen wesent-
lichen Punkten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus
menschenrechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesse-
rungen: Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu be-
kämpfen, werden die entsprechenden Mittel aufgestockt.
Um die Kommunen und Länder zu entlasten, wird ab
2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asyl-
suchendem für die Dauer des Verfahrens und im Falle
einer Ablehnung einen Monat darüber hinaus eingeführt.
Zusätzlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung von
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzli-
chen Mitteln in Höhe von 350 Millionen Euro.
Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus
menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem An-
spruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich
sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung
der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12719
(A) (C)
(B) (D)
widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf
Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün-
digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein-
schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind
ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungs-
kürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die
keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman,
und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungs-
konform.
Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische
Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist,
enthalte ich mich in der Gesamtabstimmung und bei
den Einzelabstimmungen zu den genannten Punkten der
Stimme.
Hilde Mattheis (SPD): Zweifelsohne ist die politi-
sche Bewältigung des großen Zustroms an Flüchtlingen
aus verschiedenen Teilen der Welt eine der größten Her-
ausforderungen für die Bundesrepublik.
Es ist Aufgabe der Bundesregierung, auch durch
kurzfristige, schnelle und unbürokratische Hilfe, dafür
zu sorgen, dass Gemeinden, Bundesländer und andere
staatliche Institutionen die Aufnahme und Versorgung
von Flüchtlingen gewährleisten können, wenn sie dazu
finanziell oder strukturell nicht (mehr) in der Lage sind.
Der vorliegende Gesetzesentwurf erfüllt dieses Ziel
nur zum Teil. Es ist sehr zu begrüßen, dass Maßnahmen
zur medizinischen Versorgung und zur Integration von
Flüchtlingen ergriffen werden.
Angesichts der hygienischen Mängel – insbesondere
in Erstaufnahmeeinrichtungen und der Gefahr von ei-
ner schnellen Ausbreitung von Krankheiten – sind die
vorgeschlagenen Verbesserungen zum Impfschutz sehr
wichtig. Sie werden dazu beitragen, den Impfschutz
für Flüchtlinge deutlich zu erhöhen. Ebenso sinnvoll
ist es, dass Geflüchtete, die in ihren Heimatländern als
Ärzte tätig waren, hier die Möglichkeit erhalten, weiter
die medizinische Behandlung zu übernehmen. So kann
einem drohenden Ärztemangel entgegengewirkt wer-
den. Besonders wichtig ist für die SPD die Einführung
der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge,
die eine sinnlose Bürokratie vermeidet und den Zugang
zu medizinischer Versorgung entscheidend verbessert.
Umso bedauerlicher ist es, dass es nicht gelungen ist,
dieses Instrument bundesweit einzuführen, sondern ei-
nige Bundesländer bereits angekündigt haben, dass sie
die Gesundheitskarte aus ideologischen Gründen nicht
einführen werden.
Auch der verbessere Zugang zur Sprachförderung ist
zu begrüßen. Kenntnisse in der deutschen Sprache sind
der Schlüssel, um eine spätere schnelle Integration in die
Schule oder auf dem Arbeitsmarkt zu gewährleisten.
Dem gegenüber stehen die Einschränkungen des
Asylrechts, die vor allem auf Druck der CDU/CSU ins
Gesetz geschrieben wurden. Dabei ist insbesondere die
nochmalige Ausweitung von sogenannten sicheren Her-
kunftsstaaten, die Verlängerung des Aufenthaltes in Erst-
aufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monate und den
Vorrang von Sach- gegenüber Geldleistungen in Erstauf-
nahmeeinrichtungen zu nennen.
Die Ausweitung von sicheren Herkunftsstaaten auf
weitere Länder des Westbalkans lehne ich ab. Die Bun-
desregierung ignoriert hier, dass diese Länder durch
vielfache Diskriminierungen und Gewalt zum Beispiel
gegenüber Roma nicht als sicher gelten können. Die
niedrige Anerkennungsquote in Deutschland von Flücht-
lingen aus diesen Ländern kann nicht als Rechtfertigung
dienen, diese Länder ohne weitere Argumente als sicher
einzustufen.
Die Verlängerung des Aufenthaltes in Erstaufnahme-
einrichtungen wurde von der Großen Koalition in die-
sem Jahr auf drei Monate verkürzt. Dass diese Regelung
wieder zurückgenommen werden soll, ist falsch. Auf-
grund der Zustände in den Einrichtungen ist ein längerer
Aufenthalt inakzeptabel. Zudem stehen die dort geltende
Residenzpflicht und das Arbeitsverbot einer schnellen In-
tegration entgegen.
Geldleistungen für Asylbewerber dienen der Deckung
des täglichen Bedarfs. Sie sind kein Taschengeld, und
sie sind ganz sicher kein Anreiz für eine Flucht nach
Deutschland. Diese so weit wie möglich in Sachleis-
tungen umzuwandeln, wie es der Gesetzesentwurf vor-
schlägt, ist unpraktisch, mit einem hohen bürokratischen
Aufwand verbunden und möglicherweise nicht verfas-
sungskonform.
Keine dieser Regelungen ist in irgendeiner Art und
Weise geeignet, Kommunen und Bundesländer zu entlas-
ten, Flüchtlinge besser zu versorgen, unterzubringen oder
zu integrieren, Fluchtursachen zu bekämpfen und damit
sinnvoll den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen.
Diese Regelungen werden die Situation nicht verbessern,
sondern noch verschlechtern.
Daher kann ich dem vorliegenden Gesetzesentwurf
trotz der erreichten Verbesserungen durch die SPD nicht
zustimmen.
Klaus Mindrup (SPD): Weltweit sind 60 Millionen
Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verfol-
gung und es kommen viele schutzsuchende Menschen
nach Europa, insbesondere auch nach Deutschland. Wir
wollen unserer humanitären Verantwortung gerecht wer-
den und möglichst vielen Personen Schutz und Sicherheit
bieten. Das stellt den Bund, die Länder und Kommunen
und die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderun-
gen.
Selbstverständlich müssen wir als langfristige Maß-
nahmen Fluchtursachen bekämpfen und Krisenregi-
onen stabilisieren, deutlich mehr Geld in die Hand
nehmen, um die betroffenen Nachbarländer mit ihren
Flüchtlingscamps zu unterstützen. Dazu brauchen wir
auch eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der
Europä ischen Union. Wir sind zudem gefordert, in der
momentanen Situation kurzfristige Lösungen zur Schaf-
fung einer nachhaltigen Infrastruktur für Flüchtlinge und
ihre Integration in unser Land zu finden. Auf dem Flücht-
lingsgipfel im Bundeskanzleramt am 24. September wur-
de ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, das
heute im Bundestag verabschiedet wird.
Das Asylpaket ist ein wichtiger Schritt, um die Auf-
nahme, menschenwürdige Unterbringung, Versorgung
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512720
(A) (C)
(B) (D)
und Integration von geflüchteten Menschen zu gestalten.
Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen,
werden die entsprechenden Mittel aufgestockt.
Der Bund beteiligt sich ab 2016 dauerhaft und struk-
turell an den Kosten der Unterbringung und Versorgung
von Flüchtlingen mit einer Pauschale von monatlich
670 Euro pro Asylbewerber für die Dauer des Verfahrens.
Dies war ein Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters
von Berlin. Michael Müller, der sich in den Verhandlun-
gen durchsetzen konnte. Auch beteiligt sich der Bund
an der Versorgung von unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlingen zusätzlich mit 350 Millionen jährlich und
stellt u. a. 500 Millionen Euro jährlich für den sozialen
Wohnungsbau und 900 Millionen frei werdende Mittel
aus dem gestoppten Betreuungsgeld für bessere Kin-
derbetreuung bereit. Für ein Sonderprogramm des Bun-
desfreiwilligendienstes in der Flüchtlingsarbeit werden
10 000 neue Stellen geschaffen.
Darüber hinaus eröffnet das Asylpaket auch Perspek-
tiven für Perspektiven für AsylbewerberInnen, bei denen
ein dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, unter anderem
durch die Aufstockung der Mittel für Sprachkurse, die
frühe Öffnung der Integrationskurse und Regelungen zur
frühzeitigen Arbeitsmarktintegration. Außerdem sieht
der Gesetzentwurf Erleichterungen im Bau planungs-
recht für Flüchtlingsunterkünfte vor sowie eine deutliche
Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Asylbe-
werberInnen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich an vielen Stel-
len dafür eingesetzt, dass der ursprüngliche Entwurf ent-
schärft werden konnte. Viele Verschärfungen des Asyl-
rechts konnten wir heraus verhandeln. Das erkenne ich
an.
Der Gesetzentwurf enthält allerdings eine Reihe von
Regelungen, die ich sehr kritisch sehe.
Für mich ist klar: Es darf keine Abstriche am Grund-
recht auf Asyl geben. Maßnahmen, von denen bereits bei
der Verabschiedung des Gesetzes klar ist, dass sie zu ei-
ner positiven Bewältigung der aktuellen Herausforderun-
gen nicht nur nicht beitragen, sondern finsterste Abschre-
ckungs- und Abschottungspolitik sind, lehne ich auf das
Schärfste ab. Das ist nicht das Deutschland, das ist nicht
das Europa, welches ich mir für unsere Kinder und für
uns selbst wünsche. Ich befinde mich mit meiner Kritik
auch in bester Gesellschaft: mit dem Rat für Migration,
mit den katholischen Bischöfen, Wohlfahrtsverbänden,
Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, der Bun-
desärztekammer.
Insbesondere bei den Regelungen zur Gesundheitsver-
sorgung von Flüchtlingen führt die Blockadehaltung der
Union nicht nur zu einer Zweiklassen-Gesundheitsver-
sorgung sondern auch noch zu einem Flickenteppich – je
nach Bundesland mit unterschiedlichem Zugang zu Ge-
sundheitsleistungen für Flüchtlinge.
Die Unterscheidung in Flüchtlinge mit guter Blei-
beperspektive und solche ohne ist problematisch. Und
zwar nicht nur vor dem Hintergrund , dass das Asylrecht
eine Individualprüfung vorsieht, sondern auch aus prak-
tischen Erwägungen , dass eine Zweiklassenbehandlung
von Flüchtlingen zu Konflikten führen wird.
Schattenseiten des Asylverfahrensbeschleunigungsge-
setzes
1. Erweiterung der Liste von sicheren Drittstaaten
Laut Gesetzesentwurf werden folgende „sichere
Herkunftsländer“ genannt: Albanien, Bosnien und Her-
zegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro,
Senegal und Serbien. Damit werden Albanien, Kosovo
und Montenegro erstmals zu sicheren Herkunftsstaaten
erklärt. Diese Erweiterung geht über den geltenden Koa-
litionsvertrag hinaus. Das Grundrecht auf Asyl ist jedoch
ein individuelles Recht, das zwingend die Einzelfall-
prüfung vorsieht. Das Konzept der sicheren Drittsaaten
entkernt dieses Grundrecht. Das jeweilige Asylverfahren
wird in der Praxis lediglich um 10 Minuten beschleunigt.
Auch aus den erst in diesem Jahr als „sicher“ deklarier-
ten Drittstaaten ist die Anzahl der Erstanträge dieses Jahr
weiter gestiegen (aus Serbien bis 30.9.15: 14 390 im Ver-
gleich zu 2014: 17 172; Mazedonien bis 30.9.15: 7 385
im Vergleich zu 2014: 5 614). Im europäischen Vergleich
wurden nach Angaben von Pro Asyl 2014 in Frankreich
20 Prozent in Belgien 18 Prozent Schutzsuchenden aus
dem „sicheren Herkunftsland“ Bosnien und Herzegowi-
na anerkannt.
Problematisch ist zudem, dass trotz der Verfolgung
aufgrund der sexuellen Orientierung weiter an der ge-
setzlichen Einstufung von Ghana und Senegal als „si-
cheren Herkunftsstaaten“ festgehalten wird, obwohl dort
einvernehmliche homosexuellen Beziehungen unter Er-
wachsenen unter Strafe stehen.
Situation im Kosovo
Rund 700 deutsche Soldaten leisten derzeit Dienst im
Kosovo im Rahmen des KVOR-Einsatzes mit dem Auf-
trag, ein sicheres Umfeld im Kosovo aufzubauen und zu
erhalten, einschließlich öffentlicher Sicherheit und Ord-
nung. Es ist schwer vermittelbar, dass ein Land, in dem
die Bundeswehr die öffentliche Sicherheit und Ordnung
gewährleisten muss, als sicherer Drittstaat eingestuft
werden kann.
Am Beispiel Kosovo lässt sich aber zugleich auch
zeigen, wie ohne eine Einstufung als „sicherer Dritt-
staat“ eine Lösung erreicht werden kann. Nachdem An-
fang 2015 sehr viele Asylanträge von KosovarInnen ge-
stellt wurden, hatten sich mehrere Bundesländer und der
Bund verständigt, die Anträge beschleunigt zu bearbei-
ten und vor Ort Aufklärungsarbeit zu leisten. Innerhalb
von vier Wochen wurden über 50 Prozent der Anträge
entschieden. Die Maßnahmen zeigten schnell Wirkung –
denn die Zahlen der Erstanträge gingen schnell zurück.
Im Januar stand der Kosovo noch auf Platz zwei der Her-
kunftsländer, im September nur noch an neunter Stelle.
Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat in
einem Urteil vom 10. Oktober 2014 entschieden, dass
Kosovo von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten in
Frankreich zu streichen ist. In dem Urteil stellt das Ge-
richt fest, dass ein Staat, dessen Institutionen noch in
weiten Teilen von der Unterstützung internationaler Or-
ganisationen und Missionen abhängig seien, nicht die
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12721
(A) (C)
(B) (D)
Voraussetzungen erfülle. Insbesondere führe die unsiche-
re politische und soziale Situation im Kosovo dazu, dass
einige Bevölkerungsgruppen keinen effektiven Schutz
vor gewalttätigen Übergriffen finden könnten.
Die verbreitete gesellschaftliche Diskriminierung von
Minderheiten unter Einschluss der Roma wird sowohl in
der Gesetzesbegründung als auch in vielen Stellungnah-
men zum Gesetzentwurf zu Recht problematisiert.
Vor dem Kosovokrieg lebten ca. 150 000 Roma,
Ashkali und sogenannte ÄgypterInnen im Kosovo. Heu-
te sind es nur noch ca. 50 000. Ausgrenzung herrscht auf
dem Arbeitsmarkt, beim Zugang zur Gesundheitsversor-
gung, zur Schulbildung und zum Wohnraum. Von zent-
raler Bedeutung ist die Ausgrenzung der Roma bei der
medizinischen Versorgung. Das BAMF sowie die Ge-
richte haben die meisten positiven Bescheide bezüglich
Abschiebeschutz aufgrund gravierender Erkrankungen
der Flüchtlinge und deren Nichtbehandlung im Kosovo
gefällt.
In der Schweiz erhielten nach Angaben von Pro Asyl
2014 rund 37 Prozent der serbischen und 40 Prozent
kosovarischen AntragstellerInnen einen Schutzstatus.
Finnland gewährte 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem
Kosovo Schutz.
Situation in Albanien
Der Deutsche Anwaltsverein mahnt an, dass ge-
schlechtsspezifische Verfolgung, insbesondere sexua-
lisierte Gewalt, seitens der Bundesregierung nicht hin-
reichend untersucht wurde. Bezüglich Albanien wird
ausdrücklich von diskriminierenden Bräuchen für junge
Mädchen berichtet, allerdings eine staatliche Billigung
nicht erkannt. Darauf kommt es aber gemäß Artikel 6
der Qualifikationsrichtlinie der EU (RL/EU 2011/95)
nicht an. Bezüglich Kosovo und Montenegro wurde ge-
schlechtsspezifische Verfolgung gar nicht untersucht.
In Großbritannien wurden nach Angaben von Pro Asyl
im Jahr 2014 18 Prozent der albanischen Asylsuchenden
als schutzbedürftig eingestuft.
Situation in Montenegro
Nach Angaben des LSVD wurde beispielsweise in
Montenegro das Zentrum für Lesben, Schwule, Bi-
sexuelle, Transgender und Intersexuelle in der Haupt-
stadt Podgorica laut Amnesty International allein im ver-
gangenen Jahr 26-mal angegriffen.
2. Flickenteppich statt Gesundheitskarte
Eine flächendeckende Einführung der elektronischen
Gesundheitskarte ist aufgrund der Blockadehaltung von
CDU/CSU nicht gelungen. Auch die Beschränkung der
Behandlungen auf „akute Erkrankungen und Schmerz-
zustände“ konnte nicht gelockert werden. Das bedeu-
tet nicht nur eine Zweiklassen-Gesundheitsversorgung,
sondern führt auch noch zu einem je nach Bundesland
unterschiedlichen Zugang zu Gesundheitsleistungen für
Flüchtlinge. In der Union haben sich diejenigen durchge-
setzt, die glauben, der Zugang zu unserem Gesundheits-
wesen sei das „falsche Signal“. Sie glauben völlig an der
Realität vorbei, dass Menschen Tausende Kilometer und
Todesängste wegen unseres Gesundheitssystems auf sich
nehmen.
Derzeit ist das Verfahren äußerst kompliziert: Kran-
ke Flüchtlinge müssen bei jeder Erkrankung erst zum
Sozial amt, wo – nach zumeist langen Wartezeiten – me-
dizinische Laien über jeden Arztbesuch entscheiden.
Diese entscheiden, ob eine akute Erkrankung, ob ein
Schmerzzustand vorliegt, der ärztlich behandelt werden
darf. Erst nach Erhalt des sogenannten „Grünen Schein“
ist ein Arztbesuch möglich. Die ÄrztInnen schicken dem
Amt die Rechnung, dieses bezahlt diese – nach Prüfung –
direkt. So wird in den ohnehin oftmals überforderten So-
zialämtern ein großer bürokratischer Aufwand geschaf-
fen. Eine bundesweite Regelung hätte alle Kommunen
entlastet. Die jetzt getroffene Regelung führt zu einem
Flickenteppich in Deutschland. Eine Einigung war ledig-
lich hinsichtlich der Ermächtigung für die Bundesländer
möglich. Diese können die gesetzlichen Krankenkassen
verpflichten, gegen Kostenerstattung die Krankenbe-
handlungen zu übernehmen. Der AOK-Bundesverband
macht in seiner Stellungnahme deutlich, dass eine Leis-
tungsgewährung ohne Gesundheitskarte zu zusätzlichem
Bürokratieaufwand führt, den die Krankenkassen nur
unter Einsatz erheblicher personeller und sächlicher Res-
sourcen bewältigen können. Eine Leistungsgewährung
über von der Krankenkasse auszugebende Behandlungs-
scheine in Papierform wäre angesichts der aktuellen
E-Health-Gesetzgebung ein Rückfall in die Steinzeit,
mahnt der AOK-Bundesverband an.
Eine elektronische Gesundheitskarte ist sowohl in
Stadt- als auch Flächenstaaten möglich: Hamburg und
Bremen machen es uns bereits seit Langem vor, Nord-
rhein-Westfalen wird es uns ab Anfang 2016 zeigen. Vom
Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wür-
den hingegen alle Beteiligten profitieren: Flüchtlinge,
Ärztinnen und Kommunen. Zudem kämen die Synergie-
effekte besser zum Tragen, wenn der Einsatz der Gesund-
heitskarte bundesweit erfolgen würde.
Dem Entwurf zufolge soll die elektronische Gesund-
heitskarte eine Angabe über den besonderen Status des
Karteninhabers und damit über das begrenzte Leis-
tungsspektrum nach den §§ 4 und 6 des Asylbewerber-
leistungsgesetzes enthalten. Dies durfte die Aufrüstung
der EDV-Systeme, sowohl bei den Kassen als auch bei
den Vertragsärzten und -psychotherapeuten, mit den
entsprechenden Kosten erforderlich machen. Des Weite-
ren ist den Ärzten eine Prüfung, ob eine Leistung dem
Versorgungsanspruch nach §§ 4, 6 AsylbLG unterfällt,
nicht zuzumuten. Auch die Bundesärztekammer hält es
für höchst fragwürdig, den Asylbegehrenden einen nur
beschränkten Leistungsanspruch nach Asylbewerberleis-
tungsgesetz zu gewähren.
Auch gemäß der UN-Kinderrechtskonvention müssen
alle Kinder (also minderjährige Flüchtlinge bis 18 Jahre),
die sich bei uns in Deutschland aufhalten, mittels Kran-
kenkassenkarte vollen Zugang zur Gesundheitsversor-
gung gemäß allen Büchern des SGB erhalten, und zwar
unabhängig von der Asylgewährung und vom Stand ihres
Verfahrens. Dies betrifft insbesondere die derzeit nicht
gewährleistete Versorgung chronisch kranker und behin-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512722
(A) (C)
(B) (D)
derter Flüchtlingskinder sowie die Versorgung von Kin-
dern mit psychischen Störungen und Traumata.
3. Verbleib von Menschen aus so genannten sicheren
Drittstaaten bis zur Abschiebung in Erstaufnahmeein-
richtungen
Für Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Her-
kunftsländern“ wird eine unbegrenzte Unterbringung
in Erstaufnahmeeinrichtungen angeordnet (bis zur Ent-
scheidung über Ausreise oder Abschiebung). Generell
soll die Verpflichtung, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu
wohnen, auf sechs Monate verlängert werden können.
Damit geht eine Verlängerung der Residenzpflicht und
des Arbeitsverbots einher. Das UNHCR hält die Ausdeh-
nung der Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrich-
tung zu wohnen, auf 6 Monate für problematisch.
In der Realität sind die Unterkünfte in den Erstauf-
nahmeeinrichtungen überfüllt, häufig nicht winterfest,
und die Belegung auf engstem Raum ist auf Dauer nicht
zumutbar. Die Unterbringungssituation – in Tragluft-
hallen, Industriegebäuden, Zeltstädten – befördert die
psychische Belastung, soziale Ausgrenzung und Stigma-
tisierung der Menschen. Darunter leiden insbesondere
Familien mit Kindern und alleinstehende Frauen. Gerade
aus Frauenperspektive habe ich große Bedenken gegen
diese Regelung.
Erst im letzten Jahr wurden für die Gruppe der Asyl-
bewerberInnen im Rahmen des Rechtsstellungsverbesse-
rungsgesetzes wesentliche Erleichterungen geschaffen,
die jetzt wieder abgeschafft werden.
Ein Zweiklassensystem bei der Aufnahme von Asyl-
suchenden darf es nicht geben. Es ist diskriminierend
und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar –
denn ob ein Asylantrag berechtigt ist oder nicht, steht erst
am Ende eines Asylverfahrens fest und darf nicht vor-
weggenommen werden.
Die Arbeiterwohlfahrt befürchtet zudem, dass durch
die drei geplanten großen Verteilzentren für Flüchtlinge
die Ressentiments in der Bevölkerung deutlich ansteigen
könnten (geplant sind die Verteilzentren in Selchow am
Flughafen BER, Lüneburger Heide und bei Heidelberg).
Dieses einerseits, weil die geplante große Anzahl von
Menschen in Unterkünften für die einheimische Bevöl-
kerung beängstigend sein könnte und es rechtsgerichte-
ten Gruppen einfacher macht, Ängste zu schüren, und an-
dererseits, da Regionen für die Großunterkünfte gewählt
wurden, die nur schwierig den Kontakt zur Bevölkerung
ermöglichen werden. Gerade dieser bewusst hergestellte
Kontakt zwischen den Menschen auf der Flucht und den
Einheimischen hat sich aber bewährt als wirkungsvolle
Maßnahme zum sozialen Zusammenhalt und zur Will-
kommenskultur.
4. Negierung des Gender-Aspektes
Für sehr problematisch halte ich die völlige Negie-
rung des Gender-Aspektes und damit der geschlechts-
spezifischen Notlagen bis hin zur sexuellen Gewalt ge-
gen Frauen und Mädchen auf der Flucht bzw. in unseren
Erstaufnahmeeinrichtungen. Dieses Regierungsverhalten
widerspricht der Istanbul-Konvention. Dabei kennt die
Bundesregierung diese Notlagen: Schon 2004 lieferte
eine Studie des Familienministeriums zu „Lebenssitua-
tion, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutsch-
land“ Hinweise: 79 Prozent der stichprobenartig befrag-
ten weiblichen Flüchtlinge gaben an, in Deutschland
psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein, 51 Prozent spra-
chen von körperlicher, 25 Prozent von sexueller Gewalt.
Gerade hat das Deutsche Institut für Menschenrechte die
weitere Studie „Effektiver Schutz vor geschlechtsspezi-
fischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften“ veröf-
fentlicht. Hier wird der mangelhafte Schutz von Frauen
angeprangert, die nach Deutschland geflohen sind.
5. Einschränkung der Grundleistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz
Das Gesetz sieht Leistungsreduzierungen für Men-
schen vor, über deren Asylrecht oder Ausreisepflicht
noch nicht entschieden wurde, außerdem für vollziehbar
ausreisepflichtige AusländerInnen, denen keine Duldung
gewährt wurde oder deren Duldung abgelaufen ist.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner
Entscheidung vom Juli 2012 klargestellt, dass das Men-
schenrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Exis-
tenzminimums allen Menschen unabhängig von ihrem
Aufenthaltsstatus zukommt. Die Höhe existenzsichern-
der Leistungen darf sich ausschließlich am Bedarf, nicht
aber an migrationspolitischen Überlegungen orientieren.
„Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist
migrationspolitisch nicht zu relativieren“ hat das Bun-
desverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2012
ausdrücklich festgestellt.
6. Einführung von Sachleistungen in den Erstaufnah-
meeinrichtungen
Gemäß § 3 Absatz 1 und 2 AsylbLG sollen die Be-
hörden den Asylsuchenden künftig jegliches Bargeld, das
heißt das „Taschengeld“ zur Deckung ihres soziokultu-
rellen Teilhabebedarfs an der Gesellschaft und zur Pflege
zwischenmenschlicher Beziehungen – Telefon, Fahrgeld,
Anwalt, Kommunikation, Bildung, Kultur usw. – unter
Hinweis auf die Substitution dieses Bedarfs durch Sach-
leistungen in den EAEs und GUs dauerhaft teilweise
oder vollständig streichen können.
Die neue Sollvorschrift für die Rückkehr zum Sach-
leistungsprinzip ist ein großer Schritt zurück in die
90er-Jahre. Die mühsam errungenen Fortschritte im letz-
ten Jahr werden damit zunichte gemacht.
Die Anwendung des Sachleistungsprinzips bedeutet
nicht nur einen höheren Verwaltungsaufwand, sondern
erschwert auch eine selbstständige Lebensführung und
gesellschaftliche Teilhabe. Stattdessen sollen die Asylsu-
chenden künftig für den persönlichen Bedarf „Sachleis-
tungen“ beantragen, also für jede Sim-Karte, Briefmar-
ke oder Fahrkarte zum Arzt, für jeden Besuch bei einer
Beratungsstelle oder Anwalt usw. erst einen begründeten
Antrag bei der Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung
stellen müssen.
Im Ergebnis ist absehbar, dass bundesweit der Betrag
je nach politischer Couleur festgesetzt, gekürzt oder ge-
strichen werden wird.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12723
(A) (C)
(B) (D)
7. Abschiebungen ohne Vorankündigung – de facto
Abschaffung der Härtefallkommissionen
Mit dem Verbot der Ankündigung einer Abschiebung
wird die Arbeit der Härtefallkommissionen de facto ab-
geschafft. Dabei hat sich das Härtefallkommissionsver-
fahren trotz erheblicher anfänglicher Bedenken einiger
Bundesländer in den meisten Bundesländern bewährt. Es
hat sich herausgestellt, dass das Verfahren in vielen hu-
manitären Fällen, in denen eine Aufenthaltsbeendigung
als nicht mehr vertretbar erschien, zu einer vernünftigen
Lösung führen konnte.
8. Beschäftigungsverbot für Personen aus sicheren
Drittstaaten
Ein generelles Arbeitsverbot für AusländerInnen soll
verhängt werden, wenn sie sich in das Inland begeben
haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungs-
gesetz zu erlangen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen
aus Gründen, die sie selbst zu vertreten haben , nicht
vollzogen werden können oder sie Staatsangehörige ei-
nes sicheren Herkunftsstaates nach § 29 a des Asylge-
setzes sind und ein nach dem 31. August 2015 gestellter
Asylantrag abgelehnt wurde. Das geplante gesetzliche
Arbeitsverbot für Geduldete, die das Abschiebehindernis
selbst zu vertreten haben, wird kontraproduktiv wirken.
für Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Ausbeu-
tungsverhältnisse.
Aus Artikel 15 Absatz 1 Asyl-Aufnahme-Richtlinie
2013/33/EU ergibt sich, dass spätestens neun Monate
nach der Stellung des Asylantrags ein Arbeitsmarktzu-
gang zu gewähren ist. Dies gilt auch für Asylbewerberin-
nen aus sicheren Herkunftsstaaten, solange das BAMF
noch nicht über den Antrag entschieden hat.
Trotz der genannten kritischen Punkte komme ich
zum Ergebnis, dass ich dem Gesetzentwurf zustimme, da
die positiven Punkte überwiegen. Ich werde mich für die
Korrektur der negativen Punkte einsetzen.
Mechthild Rawert (SPD): Weltweit sind 60 Mil-
lionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und
Verfolgung, und es kommen viele schutzsuchende Men-
schen nach Europa, insbesondere auch nach Deutsch-
land. Wir wollen unserer humanitären Verantwortung
gerecht werden und möglichst vielen Personen Schutz
und Sicherheit bieten. Das stellt den Bund, die Länder
und Kommunen und die gesamte Gesellschaft vor gro-
ße Herausforderungen. Selbstverständlich müssen wir
als langfristige Maßnahmen Fluchtursachen bekämpfen
und Krisenregionen stabilisieren, deutlich mehr Geld in
die Hand nehmen, um die betroffenen Nachbarländer mit
ihren Flüchtlingscamps zu unterstützen. Dazu brauchen
wir auch eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik
der Europäischen Union. Wir sind zudem gefordert, in
der momentanen Situation kurzfristige Lösungen zur
Schaffung einer nachhaltigen Infrastruktur für Flüchtlin-
ge und ihre Integration in unser Land zu finden. Auf dem
Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt am 24. Septem-
ber wurde ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlos-
sen, das heute im Bundestag verabschiedet wird.
Das Asylpaket ist ein wichtiger Schritt, um die Auf-
nahme, menschenwürdige Unterbringung, Versorgung
und Integration von geflüchteten Menschen zu gestalten.
Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen,
werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Der Bund
beteiligt sich ab 2016 dauerhaft und strukturell an den
Kosten der Unterbringung und Versorgung von Flücht-
lingen mit einer Pauschale von monatlich 670 Euro pro
Asylbewerber für die Dauer des Verfahrens. Dies war ein
Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin,
Michael Müller, der sich in den Verhandlungen durch-
setzen konnte. Auch beteiligt sich der Bund an der Ver-
sorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
zusätzlich mit 350 Millionen Euro jährlich und stellt un-
ter anderem 500 Millionen Euro für den sozialen Woh-
nungsbau und 900 Millionen Euro frei werdende Mittel
aus dem gestoppten Betreuungsgeld für bessere Kin-
derbetreuung bereit. Für ein Sonderprogramm des Bun-
desfreiwilligendienstes in der Flüchtlingsarbeit werden
10 000 neue Stellen geschaffen.
Darüber hinaus eröffnet das Asylpaket auch Perspek-
tiven für AsylbewerberInnen, bei denen ein dauerhafter
Aufenthalt zu erwarten ist, unter anderem durch die Auf-
stockung der Mittel für Sprachkurse, die frühe Öffnung
der Integrationskurse und Regelungen zur frühzeitigen
Arbeitsmarktintegration. Außerdem sieht der Gesetzent-
wurf Erleichterungen im Bauplanungsrecht für Flücht-
lingsunterkünfte vor sowie eine deutliche Verbesserung
der Gesundheitsversorgung von AsylbewerberInnen.
Der Gesetzentwurf enthält allerdings eine Reihe von
Regelungen, die nicht auf meine Zustimmung treffen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich an vielen Stellen
dafür eingesetzt, dass der ursprüngliche Entwurf an ei-
nigen Punkten entschärft werden konnte. Viele Verschär-
fungen des Asylrechts konnten wir herausverhandeln.
Das erkenne ich an.
Für mich ist klar: Es darf keine Abstriche am Grund-
recht auf Asyl geben. Maßnahmen, von denen bereits bei
der Verabschiedung des Gesetzes klar ist, dass sie zu ei-
ner positiven Bewältigung der aktuellen Herausforderun-
gen nicht nur nicht beitragen, sondern finsterste Abschre-
ckungs- und Abschottungspolitik sind, lehne ich auf das
Schärfste ab. Das ist nicht das Deutschland, das ist nicht
das Europa, welches ich mir für unsere Kinder und für
uns selbst wünsche. Ich befinde mich mit meiner Kritik
auch in bester Gesellschaft: mit dem Rat für Migration,
mit den katholischen Bischöfen, Wohlfahrtsverbänden,
Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, der Bun-
desärztekammer.
Insbesondere bei den Regelungen zur Gesundheits-
versorgung von Flüchtlingen führt die Blockadehaltung
der Union nicht nur zu einer Zweiklassen-Gesundheits-
versorgung, sondern auch noch zu einem Flickentep-
pich – je nach Bundesland mit unterschiedlichem Zugang
zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge.
Die Unterscheidung in Flüchtlinge mit guter Blei-
beperspektive und solche ohne ist problematisch. Und
zwar nicht nur vor dem Hintergrund, dass das Asylrecht
eine Individualprüfung vorsieht, sondern auch aus prak-
tischen Erwägungen, dass eine Zweiklassenbehandlung
von Flüchtlingen zu Konflikten führen wird.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512724
(A) (C)
(B) (D)
Schattenseiten des Asylverfahrensbeschleunigungsge-
setzes
1. Erweiterung der Liste von sicheren Drittstaaten
Laut Gesetzesentwurf werden folgende „sichere
Herkunftsländer“ genannt: Albanien, Bosnien und Her-
zegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro,
Senegal und Serbien. Damit werden Albanien, Kosovo
und Montenegro erstmals zu sicheren Herkunftsstaaten
erklärt. Diese Erweiterung geht über den geltenden Koa-
litionsvertrag hinaus. Das Grundrecht auf Asyl ist jedoch
ein individuelles Recht, das zwingend die Einzelfall-
prüfung vorsieht. Das Konzept der sicheren Drittsaaten
entkernt dieses Grundrecht. Das jeweilige Asylverfahren
wird in der Praxis lediglich um 10 Minuten beschleunigt.
Auch aus den erst in diesem Jahr als „sicher“ deklarier-
ten Drittstaaten ist die Anzahl der Erstanträge dieses Jahr
weiter gestiegen (aus Serbien bis 30. September 2015:
14 390 im Vergleich zu 2014: 17 172; Mazedonien bis
30. September 2015: 7 385 im Vergleich zu 2014: 5 614).
Im europäischen Vergleich wurden nach Angaben von
Pro Asyl 2014 in Frankreich 20 Prozent und in Belgien
18 Prozent der Schutzsuchenden aus dem „sicheren Her-
kunftsland“ Bosnien und Herzegowina anerkannt.
Problematisch ist zudem, dass trotz der Verfolgung
aufgrund der sexuellen Orientierung weiter an der ge-
setzlichen Einstufung von Ghana und Senegal als „si-
cheren Herkunftsstaaten“ festgehalten wird, obwohl dort
einvernehmliche homosexuellen Beziehungen unter Er-
wachsenen unter Strafe stehen.
Situation im Kosovo
Rund 700 deutsche Soldaten leisten derzeit Dienst im
Kosovo im Rahmen des KVOR-Einsatzes mit dem Auf-
trag, ein sicheres Umfeld im Kosovo aufzubauen und zu
erhalten, einschließlich öffentlicher Sicherheit und Ord-
nung. Es ist schwer vermittelbar, dass ein Land, in dem
die Bundeswehr die öffentliche Sicherheit und Ordnung
gewährleisten muss, als sicherer Drittstaat eingestuft
werden kann.
Am Beispiel Kosovo lässt sich aber zugleich auch
zeigen, wie ohne eine Einstufung als „sicherer Dritt-
staat“ eine Lösung erreicht werden kann. Nachdem An-
fang 2015 sehr viele Asylanträge von KosovarInnen ge-
stellt wurden, hatten sich mehrere Bundesländer und der
Bund verständigt, die Anträge beschleunigt zu bearbei-
ten und vor Ort Aufklärungsarbeit zu leisten. Innerhalb
von vier Wochen wurden über 50 Prozent der Anträge
entschieden. Die Maßnahmen zeigten schnell Wirkung –
denn die Zahlen der Erstanträge gingen schnell zurück.
Im Januar stand der Kosovo noch auf Platz zwei der Her-
kunftsländer, im September nur noch an neunter Stelle.
Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat in
einem Urteil vom 10. Oktober 2014 entschieden, dass
Kosovo von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten in
Frankreich zu streichen ist. In dem Urteil stellt das Ge-
richt fest, dass ein Staat, dessen Institutionen noch in
weiten Teilen von der Unterstützung internationaler Or-
ganisationen und Missionen abhängig seien, nicht die
Voraussetzungen erfülle. Insbesondere führe die unsiche-
re politische und soziale Situation im Kosovo dazu, dass
einige Bevölkerungsgruppen keinen effektiven Schutz
vor gewalttätigen Übergriffen finden könnten.
Die verbreitete gesellschaftliche Diskriminierung von
Minderheiten unter Einschluss der Roma wird sowohl in
der Gesetzesbegründung als auch in vielen Stellungnah-
men zum Gesetzentwurf zu Recht problematisiert.
Vor dem Kosovokrieg lebten ca. 150 000 Roma, As-
hkali und sogenannte ÄgypterInnen im Kosovo. Heute
sind es nur noch ca. 50 000. Ausgrenzung herrscht auf
dem Arbeitsmarkt, beim Zugang zur Gesundheitsversor-
gung, zur Schulbildung und zum Wohnraum. Von zent-
raler Bedeutung ist die Ausgrenzung der Roma bei der
medizinischen Versorgung. Das BAMF sowie die Ge-
richte haben die meisten positiven Bescheide bezüglich
Abschiebeschutz aufgrund gravierender Erkrankungen
der Flüchtlinge und deren Nichtbehandlung im Kosovo
gefällt.
In der Schweiz erhielten nach Angaben von Pro Asyl
2014 rund 37 Prozent der serbischen und 40 Prozent der
kosovarischen AntragstellerInnen einen Schutzstatus.
Finnland gewährte 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem
Kosovo Schutz.
Situation in Albanien
Der Deutsche Anwaltsverein mahnt an, dass ge-
schlechtsspezifische Verfolgung, insbesondere sexua-
lisierte Gewalt, seitens der Bundesregierung nicht hin-
reichend untersucht wurde. Bezüglich Albanien wird
ausdrücklich von diskriminierenden Bräuchen für junge
Mädchen berichtet, allerdings eine staatliche Billigung
nicht erkannt. Darauf kommt es aber gemäß Artikel 6
der Qualifikationsrichtlinie der EU (RL/EU 2011/95)
nicht an. Bezüglich Kosovo und Montenegro wurde ge-
schlechtsspezifische Verfolgung gar nicht untersucht.
In Großbritannien wurden nach Angaben von Pro Asyl
im Jahr 2014 18 Prozent der albanischen Asylsuchenden
als schutzbedürftig eingestuft.
Situation in Montenegro
Nach Angaben des LSVD wurde beispielsweise in
Montenegro das Zentrum für Lesben, Schwule, Bise-
xuelle, Transgender und Intersexuelle in der Hauptstadt
Podgorica laut Amnesty International allein im vergan-
genen Jahr 26-mal angegriffen.
2. Flickenteppich statt Gesundheitskarte
Eine flächendeckende Einführung der elektronischen
Gesundheitskarte ist aufgrund der Blockadehaltung von
CDU/CSU nicht gelungen. Auch die Beschränkung der
Behandlungen auf „akute Erkrankungen und Schmerz-
zustände“ konnte nicht gelockert werden. Das bedeu-
tet nicht nur eine Zweiklassen-Gesundheitsversorgung,
sondern führt auch noch zu einem je nach Bundesland
unterschiedlichen Zugang zu Gesundheitsleistungen für
Flüchtlinge. In der Union haben sich diejenigen durchge-
setzt, die glauben, der Zugang zu unserem Gesundheits-
wesen sei das „falsche Signal“. Sie glauben völlig an der
Realität vorbei, dass Menschen Tausende Kilometer und
Todesängste wegen unseres Gesundheitssystems auf sich
nehmen.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12725
(A) (C)
(B) (D)
Derzeit ist das Verfahren äußerst kompliziert: Kran-
ke Flüchtlinge müssen bei jeder Erkrankung erst zum
Sozial amt, wo – nach zumeist langen Wartezeiten – me-
dizinische Laien über jeden Arztbesuch entscheiden.
Diese entscheiden, ob eine akute Erkrankung, ob ein
Schmerzzustand vorliegt, der ärztlich behandelt werden
darf. Erst nach Erhalt des sogenannten „Grünen Schein“
ist ein Arztbesuch möglich. Die ÄrztInnen schicken dem
Amt die Rechnung, dieses bezahlt diese – nach Prüfung –
direkt. So wird in den ohnehin oftmals überforderten So-
zialämtern ein großer bürokratischer Aufwand geschaf-
fen. Eine bundesweite Regelung hätte alle Kommunen
entlastet. Die jetzt getroffene Regelung führt zu einem
Flickenteppich in Deutschland. Eine Einigung war ledig-
lich hinsichtlich der Ermächtigung für die Bundesländer
möglich. Diese können die gesetzlichen Krankenkassen
verpflichten, gegen Kostenerstattung die Krankenbe-
handlungen zu übernehmen. Der AOK-Bundesverband
macht in seiner Stellungnahme deutlich, dass eine Leis-
tungsgewährung ohne Gesundheitskarte zu zusätzlichem
Bürokratieaufwand führt, den die Krankenkassen nur
unter Einsatz erheblicher personeller und sächlicher Res-
sourcen bewältigen können. Eine Leistungsgewährung
über von der Krankenkasse auszugebende Behandlungs-
scheine in Papierform wäre angesichts der aktuellen
E-Health-Gesetzgebung ein Rückfall in die Steinzeit,
mahnt der AOK-Bundesverband an.
Eine elektronische Gesundheitskarte ist sowohl in
Stadt- als auch Flächenstaaten möglich: Hamburg und
Bremen machen es uns bereits seit Langem vor, Nord-
rhein-Westfalen wird es uns ab Anfang 2016 zeigen. Vom
Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wür-
den hingegen alle Beteiligten profitieren: Flüchtlinge,
ÄrztInnen und Kommunen. Zudem kämen die Synergie-
effekte besser zum Tragen, wenn der Einsatz der Gesund-
heitskarte bundesweit erfolgen würde.
Dem Entwurf zufolge soll die elektronische Gesund-
heitskarte eine Angabe über den besonderen Status des
Karteninhabers und damit über das begrenzte Leis-
tungsspektrum nach den §§ 4 und 6 des Asylbewerber-
leistungsgesetzes enthalten. Dies dürfte die Aufrüstung
der EDV-Systeme, sowohl bei den Kassen als auch bei
den Vertragsärzten und -psychotherapeuten, mit den
entsprechenden Kosten erforderlich machen. Des Weite-
ren ist den Ärzten eine Prüfung, ob eine Leistung dem
Versorgungsanspruch nach §§ 4, 6 AsylbLG unterfällt,
nicht zuzumuten. Auch die Bundesärztekammer hält es
für höchst fragwürdig, den Asylbegehrenden einen nur
beschränkten Leistungsanspruch nach Asylbewerberleis-
tungsgesetz zu gewähren.
Auch gemäß der UN-Kinderrechtskonvention müssen
alle Kinder (also minderjährige Flüchtlinge bis 18 Jahre),
die sich bei uns in Deutschland aufhalten, mittels Kran-
kenkassenkarte vollen Zugang zur Gesundheitsversor-
gung gemäß allen Büchern des SGB erhalten, und zwar
unabhängig von der Asylgewährung und vom Stand ihres
Verfahrens. Dies betrifft insbesondere die derzeit nicht
gewährleistete Versorgung chronisch kranker und behin-
derter Flüchtlingskinder sowie die Versorgung von Kin-
dern mit psychischen Störungen und Traumata.
3. Verbleib von Menschen aus so genannten sicheren
Drittstaaten bis zur Abschiebung in Erstaufnahmeein-
richtungen
Für Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Her-
kunftsländern“ wird eine unbegrenzte Unterbringung
in Erstaufnahmeeinrichtungen angeordnet (bis zur Ent-
scheidung über Ausreise oder Abschiebung). Generell
soll die Verpflichtung, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu
wohnen, auf sechs Monate verlängert werden können.
Damit geht eine Verlängerung der Residenzpflicht und
des Arbeitsverbots einher. Das UNHCR hält die Ausdeh-
nung der Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrich-
tung zu wohnen, auf 6 Monate für problematisch.
In der Realität sind die Unterkünfte in den Erstauf-
nahmeeinrichtungen überfüllt, häufig nicht winterfest,
und die Belegung auf engstem Raum ist auf Dauer nicht
zumutbar. Die Unterbringungssituation in –Traglufthal-
len, Industriegebäuden, Zeltstädten – befördert die psy-
chische Belastung, soziale Ausgrenzung und Stigmati-
sierung der Menschen. Darunter leiden insbesondere
Familien mit Kindern und alleinstehende Frauen. Gerade
aus Frauenperspektive habe ich große Bedenken gegen
diese Regelung.
Erst im letzten Jahr wurden für die Gruppe der Asyl-
bewerberInnen im Rahmen des Rechtsstellungsverbesse-
rungsgesetzes wesentliche Erleichterungen geschaffen,
die jetzt wieder abgeschafft werden.
Ein Zweiklassensystem bei der Aufnahme von Asyl-
suchenden darf es nicht geben. Es ist diskriminierend
und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar –
denn ob ein Asylantrag berechtigt ist oder nicht, steht erst
am Ende eines Asylverfahrens fest und darf nicht vor-
weggenommen werden.
Die Arbeiterwohlfahrt befürchtet zudem, dass durch
die drei geplanten großen Verteilzentren für Flüchtlinge
die Ressentiments in der Bevölkerung deutlich ansteigen
könnten (geplant sind die Verteilzentren in Selchow am
Flughafen BER, Lüneburger Heide und bei Heidelberg).
Dieses einerseits, weil die geplante große Anzahl von
Menschen in Unterkünften für die einheimische Bevöl-
kerung beängstigend sein könnte und es rechtsgerichte-
ten Gruppen einfacher macht, Ängste zu schüren, und an-
dererseits, da Regionen für die Großunterkünfte gewählt
wurden, die nur schwierig den Kontakt zur Bevölkerung
ermöglichen werden. Gerade dieser bewusst hergestellte
Kontakt zwischen den Menschen auf der Flucht und den
Einheimischen hat sich aber bewährt als wirkungsvolle
Maßnahme zum sozialen Zusammenhalt und zur Will-
kommenskultur.
4. Negierung des Gender-Aspektes
Für sehr problematisch halte ich die völlige Negie-
rung des Gender-Aspektes und damit der geschlechts-
spezifischen Notlagen bis hin zur sexuellen Gewalt ge-
gen Frauen und Mädchen auf der Flucht bzw. in unseren
Erstaufnahmeeinrichtungen. Dieses Regierungsverhalten
widerspricht der Istanbul-Konvention. Dabei kennt die
Bundesregierung diese Notlagen: Schon 2004 lieferte
eine Studie des Familienministeriums zu „Lebenssitua-
tion, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutsch-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512726
(A) (C)
(B) (D)
land“ Hinweise: 79 Prozent der stichprobenartig befrag-
ten weiblichen Flüchtlinge gaben an, in Deutschland
psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein, 51 Prozent spra-
chen von körperlicher, 25 Prozent von sexueller Gewalt.
Gerade hat das Deutsche Institut für Menschenrechte die
weitere Studie „Effektiver Schutz vor geschlechtsspezi-
fischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften“ veröf-
fentlicht. Hier wird der mangelhafte Schutz von Frauen
angeprangert, die nach Deutschland geflohen sind.
5. Einschränkung der Grundleistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz
Das Gesetz sieht Leistungsreduzierungen für Men-
schen vor, über deren Asylrecht oder Ausreisepflicht
noch nicht entschieden wurde, außerdem für vollziehbar
ausreisepflichtige AusländerInnen, denen keine Duldung
gewährt wurde oder deren Duldung abgelaufen ist.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner
Entscheidung vom Juli 2012 klargestellt, dass das Men-
schenrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Exis-
tenzminimums allen Menschen unabhängig von ihrem
Aufenthaltsstatus zukommt. Die Höhe existenzsichern-
der Leistungen darf sich ausschließlich am Bedarf, nicht
aber an migrationspolitischen Überlegungen orientieren.
„Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist
migrationspolitisch nicht zu relativieren“ hat das Bun-
desverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2012
ausdrücklich festgestellt.
6. Einführung von Sachleistungen in den Erstaufnah-
meeinrichtungen
Gemäß § 3 Absatz 1 und 2 AsylbLG sollen die Be-
hörden den Asylsuchenden künftig jegliches Bargeld,
d.h. das „Taschengeld“ zur Deckung ihres soziokulturel-
len Teilhabebedarfs an der Gesellschaft und zur Pflege
zwischenmenschlicher Beziehungen – Telefon, Fahrgeld,
Anwalt, Kommunikation, Bildung, Kultur usw. – unter
Hinweis auf die Substitution dieses Bedarfs durch Sach-
leistungen in den EAEs und GUs dauerhaft teilweise
oder vollständig streichen können.
Die neue Sollvorschrift für die Rückkehr zum Sach-
leistungsprinzip ist ein großer Schritt zurück in die
90er-Jahre. Die mühsam errungenen Fortschritte im letz-
ten Jahr werden damit zunichte gemacht.
Die Anwendung des Sachleistungsprinzips bedeutet
nicht nur einen höheren Verwaltungsaufwand, sondern
erschwert auch eine selbstständige Lebensführung und
gesellschaftliche Teilhabe. Stattdessen sollen die Asylsu-
chenden künftig für den persönlichen Bedarf „Sachleis-
tungen“ beantragen, also für jede Sim‐Karte, Briefmar-
ke oder Fahrkarte zum Arzt, für jeden Besuch bei einer
Beratungsstelle oder Anwalt usw. erst einen begründeten
Antrag bei der Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung
stellen müssen.
Im Ergebnis ist absehbar, dass bundesweit der Betrag
je nach politischer Couleur festgesetzt, gekürzt oder ge-
strichen werden wird.
7. Abschiebungen ohne Vorankündigung – de facto
Abschaffung der Härtefallkommissionen
Mit dem Verbot der Ankündigung einer Abschiebung
wird die Arbeit der Härtefallkommissionen de facto ab-
geschafft. Dabei hat sich das Härtefallkommissionsver-
fahren trotz erheblicher anfänglicher Bedenken einiger
Bundesländer in den meisten Bundesländern bewährt. Es
hat sich herausgestellt, dass das Verfahren in vielen hu-
manitären Fällen, in denen eine Aufenthaltsbeendigung
als nicht mehr vertretbar erschien, zu einer vernünftigen
Lösung führen konnte.
8. Beschäftigungsverbot für Personen aus sicheren
Drittstaaten
Ein generelles Arbeitsverbot für AusländerInnen soll
verhängt werden, wenn sie sich in das Inland begeben
haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungs-
gesetz zu erlangen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen
aus Gründen, die sie selbst zu vertreten haben, nicht
vollzogen werden können oder sie Staatsangehörige ei-
nes sicheren Herkunftsstaates nach § 29 a des Asylge-
setzes sind und ein nach dem 31. August 2015 gestellter
Asylantrag abgelehnt wurde. Das geplante gesetzliche
Arbeitsverbot für Geduldete, die das Abschiebehindernis
selbst zu vertreten haben, wird kontraproduktiv wirken
und fördert Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und
Ausbeutungsverhältnisse.
Aus Artikel 15 Absatz 1 Asyl-Aufnahme-Richtlinie
2013/33/EU ergibt sich, dass spätestens neun Monate
nach der Stellung des Asylantrags ein Arbeitsmarktzu-
gang zu gewähren ist. Dies gilt auch für AsylbewerberIn-
nen aus sicheren Herkunftsstaaten, solange das BAMF
noch nicht über den Antrag entschieden hat.
Aus diesen Gründen werde ich mit Enthaltung abstim-
men.
Christoph Strässer (SPD): In einigen wesentlichen
Punkten des Gesetzentwurfs sehe ich, auch aus men-
schenrechtspolitischer Sicht, deutliche Verbesserungen:
Um Fluchtursachen in Herkunftsländern zu bekämpfen,
werden die entsprechenden Mittel aufgestockt. Um die
Kommunen und Länder zu entlasten, wird ab 2016 eine
Pauschale von monatlich 670 Euro pro Asylsuchendem
für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ableh-
nung einen Monat darüber hinaus eingeführt. Zusätzlich
beteiligt sich der Bund an der Versorgung von unbeglei-
teten minderjährigen Flüchtlingen mit zusätzlichen Mit-
teln in der Höhe von 350 Millionen Euro.
Andere Neuregelungen sind für mich, ebenfalls aus
menschenrechtspolitischer Sicht, aber auch aus dem An-
spruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich
sein muss, nicht zustimmungsfähig. Die Ausweitung
der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht sachgerecht und
widerspricht dem Prinzip des deutschen Asylrechts auf
Einzelfallprüfung. Die Abschiebungen ohne Vorankün-
digung sind inhuman und unverhältnismäßig. Die Ein-
schränkungen der Arbeit der Härtefallkommission sind
ebenfalls unverhältnismäßig. Unbegründete Leistungs-
kürzungen und Absenkung der Leistungen für die, die
keine positive Bleibeperspektive haben, sind inhuman,
und darüber hinaus erscheinen sie mir nicht verfassungs-
konform.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12727
(A) (C)
(B) (D)
Da ein Gesetzentwurf, der oben genannte kritische
Punkte enthält, für mich nicht zustimmungsfähig ist, ent-
halte ich mich der Stimme.
Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Bei der heutigen Abstimmung über das Asyl-
verfahrensbeschleunigungsgesetz habe ich mich enthal-
ten. Warum?
Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, denn
viele Kommunen – gerade in Bayern – stehen seit Mona-
ten unter einer enormen finanziellen Belastung. Das hat
nun auch die Bundesregierung erkannt und möchte mit
dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz die Voraus-
setzungen schaffen, dass sich der Bund dauerhaft, struk-
turell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsauf-
nahme beteiligt.
Das ist das Gute am Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung – und das will ich ganz deutlich anerkennen. In
der aktuellen Situation ist zügiges und wohlüberlegtes
Handeln wichtiger denn je. Der Winter steht vor der Tür,
Menschen in Not brauchen ein Dach über dem Kopf und
möglichst schnelle Teilhabe an Gesellschaft, Bildung
und Arbeitsmarkt. All das kostet Geld. An dieser gesamt-
gesellschaftlichen Aufgabe wird sich der Bund nun ange-
messen beteiligen.
Allerdings enthält das Gesetzespaket zahlreiche
asylrechtliche Verschärfungen, die mit einer menschen-
rechtsorientierten Flüchtlingspolitik nicht in Einklang zu
bringen sind. Dazu zählen insbesondere die verlängerte
Verpflichtung von Asylsuchenden zum Verbleib in Erst-
aufnahmeeinrichtungen, Anspruchseinschränkungen im
Asylbewerberleistungsgesetz und die Ausweitung der
Liste angeblich „sicherer Herkunftsstaaten“.
Keine dieser vorgesehenen Regelungen entlastet das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder
trägt zur beschleunigten Bearbeitung von Asylanträgen
bei. Die Reduzierung der weiterhin viel zu langen Be-
arbeitungszeiten – von oftmals mehreren Jahren – sind
jedoch der Dreh- und Angelpunkt auch für eine wirksame
Entlastung der Länder und Kommunen.
Das Gesetz beschleunigt also kein Verfahren, es ver-
langsamt. Das muss man ganz klar so sagen.
Und ich sage auch: Es widerspricht meinem Men-
schenbild und meiner Überzeugung als grüne Abge-
ordnete, dass Menschen über Monate in engen Erstauf-
nahmeeinrichtungen zusammengepfercht sein sollen,
wo Gewalt und Konflikte viel schneller entstehen und
Menschen nicht zur Ruhe kommen, die genau das am
allermeisten brauchen. Zudem steht jetzt der Winter vor
der Tür. Ich will – und dafür stehe ich ein – dass wir
Menschen, die vor Gewalt, Krieg, Hunger und Men-
schenrechtsverletzungen fliehen, ein positives Ankom-
men in unserem Land ermöglichen. Ich unterstütze kein
Gesetzespaket, das widersinnige Integrationshemmnisse
aufbaut und Menschen in gute und schlechte Flüchtlinge
unterscheidet.
Deshalb kann ich ausdrücklich nicht zustimmen. Ich
möchte das Gesetzespaket aber auch nicht vollständig
ablehnen, da die Kommunen jetzt schnelle und verläss-
liche Finanzierung benötigen. Dieser wichtigen finanzi-
ellen Unterstützung, die im Gesetz immerhin enthalten
ist, kann und möchte ich keine Absage erteilen. Deshalb
habe ich in den namentlichen Einzelabstimmungen so-
wohl die Erweiterung der sogenannten „sicheren Her-
kunftsstaaten“, die Leistungskürzungen beziehungsweise
die Rückkehr zum Sachleistungsprinzip im Asylbewer-
berleistungsgesetz als auch die Verlängerung der Ver-
bleibsdauer in der Erstaufnahme abgelehnt. Meine aus-
drückliche Zustimmung konnte ich schließlich nur der
finanziellen Entlastung für Länder und Kommunen ge-
ben, die Beachtliches leisten und Unterstützung dringend
benötigen.
Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern zeigt,
dass Kriege auch außerhalb von Europa unmittelbaren
Einfluss auf uns in Deutschland haben. Wir können das
nicht mehr verdrängen. Darum wäre es am sinnvollsten,
die Fluchtursachen, nämlich die Kriege und Bürgerkrie-
ge im Nahen Osten oder in Afrika, zu befrieden. So weit
ist die Weltgemeinschaft leider noch nicht. Gerade das
Verhalten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zeigt,
allen Sonntagsreden zum 70-jährigen Bestehen der Ver-
einten Nationen zum Trotz, dass die Welt noch nicht mit
einer Stimme spricht.
Deutschland hat eine historische Pflicht nach dem
zweiten Weltkrieg wahrgenommen und ein sinnvolles
Asylrecht als Grundrecht in die Verfassung aufgenom-
men. Denn gerade die Geschichte hat uns in Deutsch-
land sehr deutlich gezeigt, dass Verfolgte Schutzräume
brauchen. Viele Menschen kommen zu uns, weil das
Leben in ihrer Heimat unmöglich geworden ist. Sie su-
chen Schutz und wir haben ihnen zu helfen – nicht nur
nach dem Grundgesetz, sondern vor allem auch als mit-
fühlende Menschen. In den letzten Monaten ist die Zahl
der Schutzsuchenden sprunghaft angestiegen – die Grün-
de und Ursachen kennen wir dagegen schon seit vielen
Jahren. Viel früher hätte die Bundesregierung sich darauf
vorbereiten können und müssen. Jahrelang hat sie zuge-
schaut, wie die Situation in Italien und Griechenland im-
mer unerträglicher wurde. Unternommen hat sie dagegen
nichts.
Die Bundesregierung verweigert sich weiter prakti-
kablen Regelungen für eine legale Zuwanderung. Damit
bleibt den vielen Flüchtenden keine andere Möglich-
keit, als sich eigenständig und ohne jede Kontrolle und
Lenkungsmöglichkeit auf den Weg zu uns zu machen.
Deswegen sind wir jetzt in dieser chaotischen Situati-
on und haben damit Länder, Kreise und Kommunen an
die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht. Weil die
Bundesregierung jahrelang die Probleme ignoriert hat, ist
sie jetzt gezwungen, im Eilverfahren Lösungen zu erar-
beiten.
Das heutige Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz
wird sehr viele Probleme nicht lösen können. In dieser
Eile und angesichts der akuten Schwierigkeiten wird es
keine grundlegende und langfristig tragfähige Lösung
sein. Wir werden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit
schon in kurzer Zeit über weitere Maßnahmen sprechen.
Trotz all dieser Punkte müssen wir jetzt etwas tun. Wir
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512728
(A) (C)
(B) (D)
haben – weil es die Bundesregierung so eklatant ver-
säumt hat – jetzt keine Zeit, um gründlich und in Ruhe
ein Einwanderungsgesetz für die geordnete Zuwande-
rung oder eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwi-
schen Bund, Ländern und Kommunen anzugehen.
So, wie es jetzt in Kreisen und Kommunen aussieht,
kann es nicht weitergehen. Wir können nicht dauerhaft
auf Freiwilligenhilfe angewiesen sein. Wir müssen jetzt
Unterkünfte schaffen, in denen Menschen auch im Win-
ter vernünftig leben können. Wir müssen Kreise und
Kommunen finanziell unterstützen, damit die Hilfe für
Flüchtlinge nicht zulasten von anderen wichtigen kom-
munalen Aufgaben geht.
Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist ein
Kompromiss, der zwischen Bund und Ländern ausgehan-
delt wurde. Es liegt in der Natur eines Kompromisses,
dass er Teile enthält, die mir nicht gefallen und die ich ei-
gentlich ablehne. Die Ausweitung der Liste sicherer Her-
kunftsstaaten ist Symbolpolitik, welche Asylverfahren
nur minimal verkürzen wird. Eine Entlastung der Ämter
wird damit kaum erreicht, sie werden weiter am Limit ar-
beiten müssen. Auch die Verlängerung der Verweildauer
in einer Erstaufnahmeeinrichtung wird kaum etwas brin-
gen, weil dahinter die Hoffnung steckt, die Flucht nach
Deutschland unattraktiver zu machen. Wer viel Geld be-
zahlt, Haus und Hof verlässt und sich teilweise zu Fuß
Tausende Kilometer auf den Weg macht, für den ist es
unbedeutend, ob er drei oder sechs Monate in solch ei-
ner Einrichtung verbringen muss. Die Verlängerung der
Verweildauer wird die Probleme eher verschärfen, weil
Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit völ-
lig verschiedenen Perspektiven auf engstem Raum für
lange Zeit miteinander auskommen müssen. Auch der
Schwenk von Geld auf Sachleistungen wird die Arbeit
der Helfer vor Ort vor allem erschweren. Es ist einfacher
und günstiger, Geld auszuzahlen, als bei einem individu-
ellen Bedürfnis auf die Unterstützung von Helfern ange-
wiesen zu sein. All diese Aspekte finde ich fragwürdig,
weil sie Probleme nicht lösen können. Dennoch sind sie
Teil des Kompromisses. Jeder der heute über das Asyl-
verfahrensbeschleunigungsgesetz abstimmt, weiß, dass
sich daran nichts mehr ändern wird.
Die Landesregierungen stehen in der Pflicht, ihre
Kreise und Kommunen mit den dringend benötigten fi-
nanziellen Mitteln des Bundes zu unterstützen. Sie kön-
nen sich nicht einfach nur die Teile des Kompromisses
auswählen, die ihnen gefallen. Stimmen sie dem Kom-
promiss nicht zu, gibt es auch kein Geld. Es gibt nur die-
sen Kompromiss oder gar nichts. So einfach und bitter
ist die politische Realität, der ich mich nicht verweigern
kann. Die grün getragene Landesregierung in Schles-
wig-Holstein hat sich auf diesen Kompromiss mit all sei-
nen Zumutungen geeinigt, weil sie die Not vor Ort kennt.
Deswegen stehe auch ich dazu.
Würde ich den Kompromiss ablehnen, würde ich
Kreise, Kommunen und die dort helfende Zivilgesell-
schaft im bürokratischen Regen stehen lassen. Das ist für
mich nicht zu rechtfertigen, weil wir das Staatsversagen
auf den höchsten Ebenen weiter auf die Zivilgesellschaft
abwälzen würden.
Eine Enthaltung ist keine neutrale Position, sondern
sie heißt, dass man zu einer bestimmten Frage keine Hal-
tung hat. Ich habe aber eine Haltung zu diesem Thema,
und die ist eindeutig: Wir dürfen die handelnden Men-
schen vor Ort, von der Zivilgesellschaft und in den Ver-
waltungen, nicht mehr alleinlassen. Darum werde ich
dem Kompromiss, auf den sich auch die grün mitregier-
ten Länder geeinigt haben, zustimmen.
Anlage 7
Erklärung
des Abgeordneten Michael Grosse-Brömer (CDU/
CSU) als Berichterstatter zu der Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grund-
gesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Dritten
Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgeset-
zes (Zusatztagesordnungspunkt 6)
Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschlie-
ßenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am
14. Oktober 2015 mache ich darauf aufmerksam, dass die
Bundesregierung eine Protokollerklärung abgegeben hat.
Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis:
Protokollerklärung der Bundesregierung zum Dritten
Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes
Die Bundesregierung gibt aus Anlass der Beschluss-
fassung des Vermittlungsausschusses zum Dritten Gesetz
zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes folgende
Zusagen:
1. zu Nummer 2 (Artikel 2 Nummer 1, § 5 Absatz 4
RegG)
Die Bundesregierung wird unverzüglich die Länder
einladen, um die Rechtsverordnung gemein-sam zu
erarbeiten. Grundlage für die Gespräche zwischen
Bund und Ländern ist der Beschluss der Bespre-
chung der Bundeskanzlerin mit den Regierungsche-
finnen und Regierungschefs der Länder zur Asyl-
und Flüchtlingspolitik am 24. September 2015.
Es besteht Einigkeit, dass diese Rechtsverordnung
ab dem 01. Januar 2016 gelten soll.
2. zu Nummer 2 (Artikel 2 Nummer 1, § 5 Absatz 5
RegG)
Die Bundesregierung verpflichtet sich, im Rahmen
des in Vorbereitung befindlichen Gesetzentwurfs
zur Eisenbahnregulierung sicherzustellen, dass das
Volumen der jährlichen länderspezifischen Steige-
rung der Infrastrukturentgelte den Anstieg nach § 5
Absatz 3 RegG nicht übersteigt.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung
der EU-Mobilitäts-Richtlinie (Tagesordnungs-
punkt 10)
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12729
(A) (C)
(B) (D)
Matthäus Strebl (CDU/CSU): Im Koalitionsver-
trag haben wir vereinbart, dass „wir die betriebliche Al-
tersvorsorge stärken“ werden. Mit der Umsetzung der
EU-Mobilitätsrichtlinie in deutsches Recht machen wir
damit den Anfang. Im Gegensatz zu früheren Jahren ist
es in der heutigen Arbeitswelt selbstverständlich, dass
Beschäftigte in ihrem Erwerbsleben den Arbeitgeber
wechseln. Nicht zuletzt durch die Globalisierung nimmt
auch der grenzüberschreitende Arbeitgeberwechsel stetig
zu. Das elementare Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit
innerhalb der EU wird durch die neuen Regelungen der
betrieblichen Altersvorsorge für die Beschäftigten geför-
dert. Wir wollen gute Bedingungen für die Beschäftigten
in Deutschland nicht nur für die Zeit ihres Erwerbslebens,
sondern auch für die Zeit danach schaffen. Dazu gehört
auch, dass jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer
wissen sollte, dass die betriebliche und private Vorsorge
wichtige Säulen der Alterssicherung sind.
Die wichtigsten Bestandteile bei der deutschen Umset-
zung der EU-Richtlinie sind: Die Herabsetzung des Un-
verfallbarkeitsalters des Beschäftigten bei Anwartschaf-
ten von 26 auf 21 Jahre. Die Unverfallbarkeitsfrist, ab
der Betriebsrenten bei einem Arbeitgeberwechsel nicht
mehr verfallen, wird von fünf auf drei Jahre abgesenkt.
„Ruhende“ Betriebsanwartschaften von Beschäftigten,
die nicht mehr bei dem Arbeitgeber tätig sind, müssen
genauso wie aktive Anwartschaften behandelt werden.
Der Auskunftsanspruch der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer wird gestärkt.
Diese Erneuerungen gelten sowohl für Beschäftigte,
die innerhalb Deutschlands ihren Arbeitgeber wechseln,
als auch für den EU-grenzüberschreitenden Arbeitge-
berwechsel. Es sollte für einen Beschäftigten, der von
Bayern nach Baden-Württemberg den Arbeitgeber wech-
selt, nichts anderes gelten als bei einem Wechsel von
Deutschland nach Österreich.
Im Ergebnis geht der deutsche Gesetzentwurf über die
Eins-zu-Eins-Umsetzung der Richtlinie hinaus. Damit
nutzen wir bewusst die Spielräume einer Richtlinie.
Lassen Sie mich auf einige Detailfragen eingehen.
Der Auskunftsanspruch: Jeder Beschäftigte sollte wis-
sen, was seine Anwartschaft beinhaltet. Transparenz und
eine gewisse Planungssicherheit ermöglichen es dem Ar-
beitnehmer, seine Altersvorsorge auf mehrere Säulen zu
verteilen.
Ich begrüße es, dass der Arbeitnehmer zukünftig kein
„berechtigtes Interesse“ mehr vorweisen muss, um mehr
Informationen über seine betriebliche Altersvorsorge zu
erhalten. Damit beseitigen wir ein weiteres Hindernis der
Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge. Der Ar-
beitgeber kann die Auskunft in Textform, im Sinne des
§ 126 b Bürgerliches Gesetzbuch also auch per E-Mail
erfüllen.
Diese Möglichkeit wird für Erleichterungen in vielen
Unternehmen sorgen.
Mit der Herabsetzung des Lebensalters für den Erhalt
der Anwartschaften und der Unverfallbarkeitsfristen ver-
hindern wir, dass zukünftig jüngere Arbeitnehmer ihre
erworbenen Anwartschaften verlieren. Auch fördern wir
damit, dass sich jüngere Beschäftigte mit ihrer Altersvor-
sorge verstärkt auseinandersetzen.
Bei den Kleinstanwartschaften erfolgt eine Eins-zu-
Eins-Umsetzung der Richtlinie. Nach heutiger Gesetzes-
lage bedarf der Arbeitgeber nicht der Zustimmung des
Arbeitnehmers, wenn er Kleinstanwartschaften abfinden
möchte. Durch die Ergänzung des Betriebsrentengeset-
zes ändern sich bei grenzüberschreitenden Arbeitgeber-
wechsel nun die Ansprüche der Beschäftigten, siehe § 3
Absatz 2 Betriebsrentengesetz. Ab Inkrafttreten der Än-
derungen im Jahre 2018 bedarf es nun der Zustimmung
des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber Anwartschaf-
ten abfinden will. Um jedoch auch die Interessen des Ar-
beitgebers nicht zu vernachlässigen und unnötigen jah-
relangen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, muss der
Arbeitnehmer eine Frist von drei Monaten wahren.
Natürlich wollen wir auch verhindern, dass für die Ar-
beitgeber, besonders die kleinen und mittelständischen
Unternehmen, überflüssige Bürokratie und Ausgaben
entstehen. Deshalb haben wir uns für eine Umsetzungs-
frist bis 2018 entschieden. Bundesministerin Andrea
Nahles hat es bereits im Juli dieses Jahres umschrieben:
Es handelt sich um eine schonende Umsetzung. Die-
se schonende Umsetzung ermöglicht den Unternehmen
ausreichend Zeit, ihre Organisation an die neuen gesetz-
lichen Umstellungen anzupassen.
Die Kernaussage lautet: Mit der Umsetzung der
EU-Mobilitäts-Richtlinie schaffen wir bessere Bedin-
gungen für die Alterssicherung von Beschäftigten. Ich
bin zuversichtlich, dass weitere Schritte zur Stärkung der
betrieblichen Altersvorsorge folgen werden.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die be-
triebliche Altersvorsorge hat sich traditionell seit ihrer
Begründung im vorletzten Jahrhundert auf freiwilliges
Engagement der Arbeitgeber gestützt. Im Rahmen der
Rentenreform 2001 erhielt die BAV zusammen mit der
privaten Altersvorsorge eine wichtige Funktion: Die auf
kapitalgedeckter Finanzierung beruhenden Systeme soll-
ten als zweite und dritte Säule der Alterssicherung den
demografisch bedingten Rückgang des Leistungsniveaus
in der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversiche-
rung als erster Säule ausgleichen.
Hierfür wurde der BAV mit der Entgeltumwandlung
ein Finanzierungsinstrument an die Hand gegeben, das
nun auch die Arbeitnehmer strukturell einbezog. Die
Einführung der Entgeltumwandlung im Jahr 1974 hat die
Akzente in der betrieblichen Altersversorgung verscho-
ben. Mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf Entgel-
tumwandlung 2001 wurde die BAV weiter gestärkt. Laut
Alterssicherungsbericht 2012 wird die BAV in 28 Pro-
zent der Fälle ausschließlich vom Arbeitnehmer finan-
ziert, während dieses in 44 Prozent der Fälle gemeinsam
durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschieht.
Knapp 60 Prozent aller sozialversicherungspflich-
tig Beschäftigten verfügen heute über eine aktive Be-
triebsrentenanwartschaft. Nach einer Phase des rapiden
Anstiegs unmittelbar nach der Rentenreform 2001 ver-
langsamt sich das Wachstum allerdings seit 2009. Man
muss genau hinschauen; denn die Zahlen geben nicht die
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512730
(A) (C)
(B) (D)
erheblichen Verbreitungsunterschiede nach Betriebsgrö-
ßen, Branchen und Einkommen wieder. Ein deutliches
Gefälle zeigt die Statistik bereits zwischen Großbetrie-
ben, die eine fast hundertprozentige Durchdringung auf-
weisen, und KMU. Bei Unternehmen mit mindestens
500 Mitarbeitern liegt der Anteil der Beschäftigten mit
einer BAV bei über 70 Prozent, bei Unternehmen zwi-
schen 50 und 200 Beschäftigten immerhin noch bei circa
50 Prozent. Bei kleineren Betrieben sinkt der Anteil kon-
tinuierlich ab.
Zugleich deutet vieles darauf hin, dass gerade bei
geringeren Einkommen die dort eigentlich besonders
nötige zusätzliche Absicherung durch BAV und auch
die private Vorsorge nicht hinreichend ist. Die Statisti-
ken zeigen: Je niedriger das Einkommen, desto geringer
die Absicherungsquote. Wenn aber der Ausgleich des
sinkenden Niveaus in der GRV durch die zusätzlichen
Säulen nicht funktioniert, wäre eine zentrale Prämisse
des Rentenkonzeptes nicht erfüllt und dessen politische
Legitimation erschüttert. Erforderlich sind deshalb neue
und zielgerichtete Impulse für die BAV jetzt, wie sie auch
im Koalitionsvertrag vereinbart sind:
Die Alterssicherung steht im demografischen Wan-
del stabiler, wenn sie sich auf mehrere starke Säulen
stützt. Deswegen werden wir die betriebliche Al-
tersvorsorge stärken. Sie muss auch für Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter von Klein- und Mittelbe-
trieben selbstverständlich werden. Daher wollen wir
die Voraussetzungen schaffen, damit die Betriebs-
renten auch in kleinen Unternehmen hohe Verbrei-
tung finden. Hierzu werden wir prüfen, inwieweit
mögliche Hemmnisse bei den kleinen und mittleren
Unternehmen abgebaut werden können. Wir werden
auch im europäischen Kontext darauf achten, dass
die guten Rahmenbedingungen für die betriebliche
Altersvorsorge erhalten bleiben.
Unter den beschriebenen Voraussetzungen wäre es ge-
radezu fatal gewesen, wenn frühere Pläne der EU-Kom-
mission aus dem Jahr 2005 für eine Portabilitätsrichtli-
nie realisiert worden wären. Über die jetzt gefundenen
Regelungen deutlich hinausgehende Erstattungs- und
Mitnahmemöglichkeiten von Anwartschaften wie die
Möglichkeit der Übertragung des Kapitals auf ein neu-
es Rentensystem oder andere Altersversorgungsmodelle,
die Verpflichtung von Unternehmen zur Anpassung von
Betriebsrentenanwartschaften ausgeschiedener Arbeit-
nehmer bis hin zur Anwendung der Richtlinie auch auf
Altzusagen hatten wegen des großen Umsetzungsauf-
wandes zum Erlahmen vieler betrieblicher Initiativen
geführt.
Im Zusammenhang mit Überlegungen zum „Weiß-
buch Rente“ drohte vor drei Jahren weiteres Ungemach.
Diese hatten die Akteure in der BAV aufgeschreckt. Die
ursprünglich geplante Übertragung der für Banken und
Versicherungen sinnvollen Kapitaldeckungsvorschriften
auf die betriebliche Altersvorsorge hatte nach der Über-
zeugung von Experten die betriebliche Altersvorsorge
überfordert und zu einer Erosion der zweiten Säule der
Alterssicherung geführt. Unter dem Gesichtspunkt, dass
Unternehmen und Pensionssicherungsverein bereits für
die Einlagen haften, waren solche Anforderungen an
die Kapitalrücklagen überdies vollkommen überflüssig
gewesen. Mit einem Antrag in diesem Hause haben wir
vor rund drei Jahren auf die Problematik aufmerksam ge-
macht. Es war nicht die leichteste Übung, die Pläne zu
verhindern. Denn wir mussten die Mehrheit der EU-Mit-
gliedstaaten, die keine BAV kennen, für deren Besonder-
heiten sensibilisieren.
Im Ergebnis konnte also Schaden von der BAV ab-
gewehrt werden. Mit der Umsetzung der EU Mobilitäts-
Richtlinie wird die BAV für Arbeitnehmer jetzt interes-
santer, weil zum Beispiel das Risiko gemindert wird, im
Falle des Arbeitnehmerwechsels Ansprüche zu verlieren,
ohne dass die Unternehmen überfordert werden. Das al-
les reicht aber noch nicht aus, um die angestrebte Absi-
cherungsbreite zu erreichen. Weitere Schritte sind – wie
dargestellt – erforderlich.
Es gibt auf dem Markt eine Vielzahl guter Ideen,
die sich im Ergebnis alle auch positiv auf die Angebo-
te im Rahmen der BAV auswirken würden. Ich kenne
Forderungskataloge, deren Umsetzung problemlos mit
15 Milliarden Euro oder mehr zu Buche schlagen wür-
den. Die Kunst liegt aber auch in diesem Fall darin, einen
realistischen Finanzierungsrahmen möglichst effizient
einzusetzen. Mitnahmeeffekte, eine Fokussierung auf
Zielgruppen mit einem bereits überdurchschnittlichen
Absicherungsgrad oder gar Doppelförderungen gilt es
zu vermeiden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang
die Vergabe eines wissenschaftlichen Gutachtens „Opti-
mierung der staatlichen Förderung der betrieblichen Al-
tersversorgung“ durch das BMF und erhoffen uns durch
dieses wertvolle Hinweise, wie wir die gesteckten Ziele
erreichen können.
Im Mittelpunkt der anstehenden Weiterentwicklung
der BAV muss stehen, dass wieder mehr Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer zu der Überzeugung gelangen,
dass sich die betriebliche Altersvorsorge lohnt. Dafür
wird es nicht reichen, Geld in die Hand zu nehmen. Der
Anspruch auf Entgeltumwandlung ist ja da. die Arbeit-
nehmer greifen aber oft nicht zu.
Zugleich müssen auch Gegebenheiten beseitigt wer-
den, die den Unternehmen das Leben schwermachen –
ausgerechnet denen, die bereit sind, sich besonders für
die BAV zu engagieren. Hier wäre eine der Realität näher
kommende steuerliche Erfassung von Pensionsrückstel-
lungen ein wichtiger Schritt. Die Vorschriften zur Bi-
lanzierung belasten die Unternehmen gerade in der ak-
tuellen Niedrigzinsphase erheblich. Es ist ein wichtiges
Signal, dass der Bundesminister der Finanzen in dieser
Woche angekündigt hat, dieses Problem in den Griff zu
bekommen.
Ralf Kapschack (SPD): Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung der EU-Mobilitäts Richtlinie – das hört sich
nicht unbedingt an wie der Titel eines Krimis. Aber es
ist wie bei manchen guten Büchern: Vom Titel darf man
sich nicht abschrecken lassen. Es geht um ein hochspan-
nendes Thema: um die Altersversorgung von Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern.
Auch wenn sich die öffentliche Aufmerksamkeit zur-
zeit auf andere Themen konzentriert: Die Frage der Al-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12731
(A) (C)
(B) (D)
tersversorgung in unserem Land ist eine der Fragen, die
viele Menschen umtreibt. Da erwarten sie Antworten.
Wir reden heute über die betriebliche Altersversorgung.
Sie hat in Deutschland lange Tradition. Bei BASF etwa
ist sie älter als die gesetzliche Rentenversicherung. Eine
Stärkung und größere Verbreitung der betrieblichen Al-
tersvorsorge ist für uns eine wünschenswerte Ergänzung
der gesetzlichen Rentenversicherung. Da müssen wir ei-
niges tun. Dazu dient in gewissem Umfang auch dieser
Gesetzentwurf.
Wesentlicher Inhalt des vorliegenden Entwurfs ist die
Verringerung der Fristen, die dazu führen, dass Ansprü-
che an betriebliche Altersversorgung unverfallbar wer-
den. Das kommt vor allem jungen und mobilen Arbeits-
kräften zugute.
Zweiter Punkt: die Wahrung von Anwartschaften,
wenn der Arbeitgeber gewechselt wird. Dabei sollen die
ruhenden Ansprüche ausgeschiedener Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer nicht schlechter behandelt wer-
den als die Ansprüche derjenigen, die im Unternehmen
bleiben. Das ist gut so, zeigt aber gleichzeitig, dass es
oft nicht ohne Weiteres möglich ist, den erworbenen An-
spruch auf eine betriebliche Altersversorgung mitzuneh-
men. Auch da gibt es Handlungsbedarf.
Dritter Punkt des Gesetzentwurfs ist die Regelung
über Abfindungen
Der vierte und letzte Punkt ist die Informationspflicht
der Arbeitgeber oder Versorgungsträger darüber, wie
Ansprüche erworbenen werden, wie hoch sie sind und
wie sich ein Ende des Arbeitsverhältnisses auswirkt. Die
meisten Arbeitgeber informieren schon heute, aber offen-
bar nicht alle in ausreichender Form. Deshalb ist es gut,
dies klar, eindeutig und zum Nutzen der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer zu regeln.
Die EU-Richtlinie will die Mobilität von Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern zwischen den Mitglied-
staaten erleichtern. Die Bundesregierung schlägt vor, die
Vorgaben in das Betriebsrentengesetz so zu übernehmen,
dass sie für alle gelten, auch beim Wechsel des Arbeits-
platzes im Inland. Das ist richtig so.
Die Diskussion bietet die Gelegenheit, sich einmal
anzuschauen, wie es aussieht mit der betrieblichen Al-
tersversorgung in Deutschland. Die betriebliche und ta-
rifvertraglich abgesicherte Altersversorgung ist aus Sicht
der SPD die beste Form der privaten und zugleich kollek-
tiven Altersversorgung. Wir wollen sie stärken und durch
die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit auch in
Regionen und Branchen in Deutschland durchsetzen, in
denen sie derzeit aufgrund der geringen Tarifbindung
noch viel zu wenig genutzt wird.
Nach letzten Untersuchungen haben etwa 60 Prozent
der Beschäftigten Anspruch auf eine betriebliche Al-
tersversorgung. Keine Überraschung ist, dass dies nach
Branchen und Betriebsgrößen sehr stark variiert. In Be-
trieben mit mehr als 1 000 Beschäftigten gibt es nahezu
für alle ein Angebot. Im Handwerk aber, mit einer durch-
schnittlichen Betriebsgröße von neun Beschäftigten,
profitiert nur jeder Zehnte von betrieblicher Altersver-
sorgung. Ich kann mir gut vorstellen, dass zum Beispiel
die Frau des Firmeninhabers, des Klempnermeisters oder
Tischlers, die die Lohnabrechnungen macht, sich nicht
auch noch um betriebliche Altersversorgung kümmern
will und kann. Aber daran darf eine zusätzliche Absiche-
rung der Beschäftigten im Alter gerade auch im Hand-
werk nicht scheitern.
Auch für Mittel- und Kleinbetriebe muss betriebliche
Altersversorgung selbstverständlich werden. Das hat sich
die Koalition auf die Fahne geschrieben. Wenn kleine
Betriebe damit überfordert sind, muss es nach unserer
Ansicht Branchenlösungen geben, die vor allem kleinen
Unternehmen Risiko und Organisationsaufwand abneh-
men. Gleichzeitig können solche Einrichtungen durch
die entsprechende Größe Kostenvorteile beim Vertrieb,
bei Verwaltungskosten und bei möglichen Anlagen rea-
lisieren. Das Arbeitsministerium hat dazu ja erste Ideen
entwickelt.
Um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker zu
motivieren, eine betriebliche Altersversorgung aufzu-
bauen, braucht es nach unserer Meinung aber auch an
anderer Stelle Veränderungen. Heute muss jedem Be-
schäftigten auf Nachfrage ein Angebot zur betrieblichen
Entgeltumwandlung gemacht werden. Die SPD will,
dass in Zukunft jedes Unternehmen eine entsprechende
Möglichkeit anbietet, wenn die Arbeitnehmerin, der Ar-
beitnehmer nicht selbst darauf verzichtet. Die Erfahrung
in Nachbarländern zeigt, dass eine solche Opt-out-Rege-
lung zu einer deutlich besseren Verbreitung führt. Herr
Weiß, sie haben ja am Dienstag erzählt, dass sich die
CDU auf ihrem Parteitag 2005 auch für eine Opt-out-
Regelung ausgesprochen hat. Also, dann lassen sie uns
doch da einmal etwas machen. Wir helfen gerne dabei,
gute Beschlüsse der CDU umzusetzen.
Attraktive Altersversorgung wird in Zukunft sicher-
lich auch ein Argument sein, um Arbeitskräfte zu binden
oder neue zu gewinnen. Deshalb ist das für Unternehmen
nicht nur ein Kostenfaktor. Um betriebliche Altersver-
sorgung für Beschäftigte lukrativer zu machen, sollten
die Ersparnisse der Arbeitgeber bei der Entgeltumwand-
lung eingebaut werden, in erster Linie, um die Leistung
zu erhöhen. Aber vielleicht kann man ja auch darüber
nachdenken, diese Mittel als Kompensation für die heute
gültige Regelung zu nutzen, dass auf Betriebsrenten der
volle Krankenkassenbeitrag zu zahlen ist.
Die Anrechnung auf die Grundsicherung ist eine Hür-
de für Geringverdiener, sich mit betrieblicher Altersver-
sorgung zu beschäftigen. Wenn das Geld bei Rentenein-
tritt weg ist, warum soll man dann sparen? Hier müssen
Anreize geschaffen werden. Denn gerade Geringverdie-
ner brauchen eine zusätzliche Absicherung im Alter. Ge-
rade sie müssen auch Zugang zu betrieblicher Altersver-
sorgung haben. Die bisherige staatliche Förderung muss
deshalb auf den Prüfstand.
Es gibt also jede Menge offener Fragen. Ich freue mich
auf die Ausschussberatung des Gesetzentwurfs. Das ist
dann das nächste Kapital dieser spannenden Geschichte.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sieben Millio-
nen EU-Bürgerinnen und Bürger arbeiteten 2013 nicht in
ihrem eigenen Land. 1,1 Millionen Beschäftigte pendel-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512732
(A) (C)
(B) (D)
ten nicht von Köln nach Bonn oder nach Berlin, sondern
über Grenzen hinweg. 1,2 Millionen Menschen werden
von ihrem Chef befristet ins Aus land entsandt. Europa
ist in Bewegung, und das ist gut so. Deshalb begrüßen
wir jeden Schritt, der es diesen Pionierinnen und Pionie-
ren in Europa erleichtert, sich frei zu bewegen, in einem
anderen Land oder auch grenzüberschreitend zu arbeiten
und damit die Idee Europa Tag ein Tag aus mit Leben zu
erfüllen.
Bei der Frage von Rentenanwartschaften ist es oft be-
sonders schwierig, sie über die Grenzen hinweg mitzu-
nehmen und am Ende die unterschiedlichen Rentenpunk-
te, die man mal hier und mal dort gesammelt hat, auch
ausgezahlt zu bekommen. Bei Betriebsrenten ist es oft
noch schwieriger. Ich danke hier vor allem dem Europäi-
schen Gewerkschaftsbund, der sich dieses Themas schon
vor zehn Jahren ange nommen hat, in einer Zeit, als man
unter Freizügigkeit noch neoliberal verstand, dass sich
Konzerne, ohne Steuern zu zahlen, mit Dumpinglöhnen
und ohne Sozialstandards im Ausland niederlassen kön-
nen sollten. Es begann dann eine lange Geschichte des
Widerstands der Arbeitgeber, aber auch von Mitglied-
staaten, die alles tun wollten, um ein Recht auf die Über-
tragbarkeit von Betriebsrenten zu verhindern.
Noch 2007 stimmte die Große Koalition aus Deutsch-
land gegen den Richtlinienentwurf. Sieben dürre Jahre
später, im vergangen Jahr, war es dann endlich soweit:
Die Mobilitätsrichtlinie erleichtert die Übertragung von
Betriebsrenten von einem Job zum nächsten. Betriebs-
rentenanwartschaften bleiben bei einem Arbeitgeber-
wechsel grundsätzlich erhalten. Das alles gilt auch bei
einem Arbeitgeberwechsel im Inland. Betriebsrenten
gelten jetzt nach drei und nicht mehr nach fünf Beschäf-
tigungsjahren als unverfallbar und garantiert. Für diese
Garantie wird auch das Mindestalter der Beschäftigten
von 25 auf 21 Jahre gesenkt. Kleinstanwartschaften
dürfen nicht mehr ohne Zustimmung der Beschäftigten
abgefunden werden. Dies gilt allerdings nicht bei einem
Wechsel innerhalb Deutschlands. Außerdem wurden die
Informationsrechte der Beschäftigten über ihre Betriebs-
rentenansprüche gestärkt.
Das alles begrüßen wir.
Das hat die Bundesregierung eins zu eins und schnell
umgesetzt. Gut so!
Aber lassen Sie mich zum Schluss dieses Gesetzes-
vorhaben noch in den größeren Kontext einordnen!
László Andor hatte 2014 als amtierender EU-Sozial-
kommissar, die Mobilitätsrichtlinie begrüßt, da europa-
weit die Arbeitskräfte immer stärker auf Zusatzrenten
und Zusatzpensionen angewiesen seien. Auch Herr Kol-
lege Weiß von der Union hat jüngst im Handelsblatt ge-
warnt:
Der Handlungsdruck sei immens ... Seit 2009 stag-
niert die Verbreitung der bAV.
Wenn das so bleibt, müssen wir eines Tages feststel-
len, dass das Drei-Säulen-Modell der Altersversor-
gung aus im Niveau sinkender gesetzlicher Rente,
Betriebs-und Riester-Rente gescheitert ist.
Herr Weiß, das ist eine bemerkenswerte Einsicht. Ich
prophezeie Ihnen:
Weder die richtige Mobilitäts-Richtlinie noch ihr jetzt
schon bei Arbeitgebern und Gewerkschaften durchge-
fallenes Sozialpartnermodell Betriebsrente werden die
betriebliche Altersversorgung so attraktiv machen, dass
die Lücke, die Sie durch die Senkung des Rentenniveaus
in die gesetzliche Rente gerissen haben, ausgeglichen
werden wird, ganz zu schweigen vom Totalausfall der
Riesterrente. Das Drei-Säulen-Modell ist gescheitert.
Stärken Sie endlich die gesetzliche Rente, und heben Sie
das Rentenniveaus wieder auf 53 Prozent an!
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ohne
Frage: Die Betriebsrente ist längst mehr als ein perso-
nalpolitisches Instrument zur Mitarbeiterbindung. Sie
übernimmt immer mehr auch eine sozialpolitische Funk-
tion. Allerdings gilt das nur für einen ausgewählten Per-
sonenkreis. Gerade Frauen, Geringverdienerinnen und
Geringverdiener, Beschäftigte in kleinen und mittleren
Unternehmen und in vielen Branchen, beispielsweise im
Gastgewerbe oder im Gesundheitswesen, sind heute oft
von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen.
Im Bundessozialministerium hat man dieses Problem
offensichtlich erkannt. Das ist durchaus erfreulich. Na-
türlich wollen auch wir die betriebliche Altersversorgung
weiter fördern und zur Verbreiterung beitragen. Nur: Be-
triebsrenten sind – entgegen der Vorstellung der Bundes-
regierung – kein rentenpolitisches Allheilmittel.
Wir sehen es im Koalitionsvertrag und auch in den
jüngsten Aussagen von Andrea Nahles: Die Betriebsrente
soll es in Zukunft richten. Sie setzt alles auf eine Karte,
letztlich aber doch auf das falsche Pferd. In Zukunft müs-
se nach dem Willen der Bundesregierung in erster Linie
die betriebliche Altersversorgung das Absinken des Ren-
tenniveaus ausgleichen. Dies aber könnte in der Theorie
nur dann gelingen, wenn tatsächlich jede Arbeitnehmerin
und jeder Arbeitnehmer in Ost und West, in Rostock, in
Leipzig oder in Dortmund, in jeder Branche und in jedem
Betrieb, ob groß oder klein, Zugang zu einem Betriebs-
rentenangebot erhält und dieses auch annimmt. Dahin
wäre es noch ein weiter Weg.
Wer also die umfassende und alle einbeziehende Si-
cherungsfunktion des Alterssicherungssystems bewahren
will, muss realistischer Weise alle drei Säulen der Alters-
sicherung in den Blick nehmen und besonders die gesetz-
liche Rente stärken.
Es braucht vor diesem Hintergrund schon beson-
ders wirksame rentenpolitische Scheuklappen, um, wie
die Koalition, die beiden anderen Säulen ganz aus dem
Blickfeld verschwinden zu lassen.
Die in ihrer bisherigen Form gescheiterte Riester-Ren-
te? Die Bundesregierung ignoriert sie und all die offen-
kundigen Probleme. Wenn überhaupt: Mehr als kosme-
tische verbraucherpolitische Maßnahmen sind bei der
dritten Säule von der Koalition bis zur Bundestagswahl
nicht zu erwarten.
Die Entwicklung des Rentenniveaus, besonders nach
2030? Dazu hört man von Andrea Nahles nicht mehr als
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12733
(A) (C)
(B) (D)
betretenes Schweigen. Dabei war es gerade die gefor-
derte private Altersvorsorge, die die Leistungseinschrän-
kungen bei der gesetzlichen Rente ausgleichen und damit
auch rechtfertigen sollte. Die Bundesregierung hat keine
Antworten auf die offensichtlichen Probleme der ersten
und der dritten Säule.
Umso beschämender ist es, dass selbst auch bei der
groß angekündigten Betriebsrentenreform keinerlei Fort-
schritte zu vermelden sind. Die Nahles-Rente, das „Neue
Sozialpartnermodell Betriebsrente“, droht – ironischer-
weise – gerade am massiven Widerstand der Sozialpart-
ner zu scheitern. Zwei Entwürfe des Sozialministeriums
sind bereits durchgefallen. Selbst ein Minimalkonsens
zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften steht in den
Sternen. Davon abgesehen erscheint der bisherige Vor-
schlag des BMAS, zum Beispiel zu gemeinsamen Ein-
richtungen …, wenig geeignet, um tatsächlich eine fast
vollständige Verbreitung der Betriebsrente erreichen zu
können. Würden Sie sich ehrlich machen, müssten wir
eigentlich über eine gesetzliche Lösung diskutieren,
also etwa über eine mit jedem Arbeitsvertrag automa-
tisch verbundene Betriebsrente mit einer Opt-out-Opti-
on für die Beschäftigten. Vielleicht mangelt es Ihnen an
Mumm, einen solchen Vorschlag gegen die Sozialpartner
durchzusetzen.
Dass wir angesichts der verfahrenen und peinlichen
Blockadesituation bei der Nahles-Rente überhaupt über
Betriebsrenten diskutieren, ist allein der Europäischen
Union zu verdanken. Wir begrüßen, dass die Bundesre-
gierung über die Europäische Mobilitäts-Richtlinie nach
jahrelanger Verzögerung angehalten wird, endlich zu
handeln.
Die Richtlinie erleichtert es vielen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, betrieblich für das Alter vorzusorgen.
Gerade Jüngere werden davon profitieren, dass sie auch
schon Anfang 20 wirksame Versorgungsanwartschaften
aufbauen können, auch dann, wenn sie ihren Arbeitsplatz
innerhalb der Europäischen Union wechseln. Ebenso
sind die im Gesetzentwurf vorgesehene Dynamisierung
der Anwartschaften von ehemaligen Beschäftigten sowie
die Verkürzung der Unverfallbarkeitsfristen von fünf auf
drei Jahre ein Schritt in die richtige Richtung.
Letztlich ist aber auch klar: Zu mehr, als die europä-
ische Minimalforderung umzusetzen, scheint die Koali-
tion nicht fähig. Was das für die konfliktträchtige Ausei-
nandersetzung um die Nahles-Rente bedeutet, kann sich
jeder ausmalen.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfah-
rensrechts (Tagesordnungspunkt 17)
Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ich freue mich, dass
ich zur heutigen Debatte zum Unterhaltsrecht nicht nur
als Jurist, sondern insbesondere auch als Familienpoli-
tiker die Gelegenheit habe, mich an der Diskussion zu
beteiligen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Änderung des Unterhaltsrechts und
des Unterhaltsverfahrensrechts haben wir die rechtlichen
Grundlagen im Hinblick auf den Mindestunterhalt, das
vereinfachte Verfahren im Kinderunterhaltsgesetz und
die Regelungen im Auslandsunterhaltsgesetz überarbei-
tet und angepasst.
Erstens. Schaffung einer neuen Bezugsgröße für den
Mindestunterhalt von Kindern
Wir haben uns innerhalb der Koalition zum einen dar-
auf verständigt, eine neue Bezugsgröße für den Mindest-
unterhalt von Kindern zu schaffen. Der in § 1612 a BGB
geregelte Mindestunterhalt soll sich künftig nicht mehr
an den steuerrechtlich geprägten Kinderfreibetrag anleh-
nen, sondern das steuerfrei zu stellende sächliche Exis-
tenzminimum minderjähriger Kinder soll Anknüpfungs-
punkt für die künftige Berechnung sein (§ 1612 a Satz 2
BGB). Zwar orientieren sich die derzeit noch geltenden
Regelungen auch am entsprechenden Existenzmini-
mumssatz, allerdings ist es diesbezüglich zu Abweichun-
gen zwischen der Höhe des Mindestunterhalts und des
Existenzminimums minderjähriger Kinder gekommen,
die wir mit der im vorliegenden Entwurf vorgeschlage-
nen Regelung nunmehr ausräumen. Seit der Unterhalts-
rechtsreform aus dem Jahr 2008 war der Mindestunter-
halt zentraler Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des
Unterhalts für minderjährige Kinder.
Der Umfang und die Höhe des Existenzminimums
von Kindern werden künftig alle zwei Jahre auf Basis
des Existenzminimumsberichts der Bundesregierung im
Rahmen einer Rechtsverordnung –erstmals am 1. Janu-
ar 2016 –durch das Bundesministerium für Justiz und
Verbraucherschutz festgelegt. Durch diesen regelmäßi-
gen Anpassungszyklus stellen wir sicher, dass nachtei-
lige Folgen für Familien durch eine verzögerte Anpas-
sung oder eine Unterschreitung des Steuerfreibetrages/
Mindestunterhaltes unterhalb des sächlichen Existenz-
minimums künftig vermieden werden und es zu einer
schnelleren Anpassung des Mindestunterhalts für min-
derjährige Kinder kommt. Situationen wie die in diesem
Jahr, wo die Freibetragsanhebung zu Beginn des Jahres
nicht rechtzeitig erfolgt ist und der Mindestunterhalt für
die Kinder in der ersten Jahreshälfte das Existenzmini-
mum nicht voll gedeckt hatte, werden durch die neue Re-
gelung in Zukunft vermieden.
Zweitens. Neuordnung des vereinfachten Verfahrens
beim Kindesunterhalt:
Neben dem regulären Unterhaltsverfahren besteht die
Möglichkeit, zur Existenzsicherung vom Unterhaltsver-
pflichteten beim Familiengericht im Rahmen des soge-
nannten vereinfachten Verfahrens nach §§ 249 – 260 des
Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in
den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
(FamFG) noch schneller, benutzerfreundlicher und effi-
zienter Unterhalt für ein minderjähriges Kind vollstre-
ckungsfähig festsetzen zu lassen. Das vereinfachte Ver-
fahren nach den §§ 249 ff. FamFG hat sich nach seiner
Einführung durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des
Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder aus dem Jahr
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512734
(A) (C)
(B) (D)
1998 als ein zügiges und einfaches Unterhaltsfestset-
zungsverfahren zur Existenzsicherung minderjähriger
Kinder etabliert und auch bewährt. Um ein Beispiel zu
nennen: Im Jahr 2013 sind von fast 76 000 erledigten
Kindesunterhaltsverfahren knapp 28 000 – also etwa
36 Prozent – im vereinfachten Verfahren beantragt wor-
den. Aus diesen Gründen wollen wir an diesem Verfah-
ren auch grundsätzlich festhalten und lediglich in einigen
Bereichen noch passgenau nachjustieren.
Insbesondere die nach der Kindesunterhalt-Formular-
verordnung (KindUFV) vorgeschriebene Benutzung ei-
nes bundeseinheitlichen Formulars zur Beantragung des
Unterhalts hat sich in der Praxis als zu kompliziert und
anwenderunfreundlich erwiesen. Unserer Intention, dem
Kind schnellstmöglich die dringend benötigte finanzielle
Unterstützung so schnell und so unkompliziert wie mög-
lich zur Verfügung zu stellen, konnten wir mit diesem
Verfahren nicht immer nachkommen. Diesbezügliche
Anträge und Einwendungen waren bislang stets formu-
largebunden. Aus der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass
die Antragsteller zum überwiegenden Teil Behörden sind
(Jugendamt, örtliche Sozialbehörden), die im Rahmen
der Beistandschaft und in Fällen des Anspruchsüber-
gangs nach dem Unterhaltsvorschussgesetz das Ver-
fahren nutzen und für die kein Formularzwang besteht
(§ 1 II KindUFV). Sie stehen Elternteilen als Antrags-
gegner gegenüber, die hingegen stets zur Verwendung
des sogenannten Einwendungsformulars verpflichtet
sind. Gerade aber für den (nicht anwaltlich vertretenen)
Antragsgegner gestaltete es sich im Rahmen dieses Ver-
fahrens schwierig, seine Einwendungen zu erheben und
seine Rechte geltend zu machen.
Auch im Hinblick auf die Verfahren mit Auslandsbe-
zug hat sich das vereinfachte Verfahren, insbesondere
in Bezug auf den Übersetzungsaufwand der Formulare,
ebenfalls als nicht praxistauglich erwiesen.
Im Rahmen der Beantragung des Kindesunterhaltes im
vereinfachten Verfahren wollen wir durch entsprechen-
de Änderungen im Bereich des Kindesunterhaltsgeset-
zes, der Kinderunterhalts- Formularverordnung und des
Gesetzes über Gerichtskosten in Familiensachen dafür
Sorge tragen, dass sich das Verfahren nunmehr effizien-
ter und benutzerfreundlicher gestaltet. Aus diesem Grund
soll unter anderem im FamFG der sogenannte „Formu-
larzwang“ entfallen, Regelungen zu den Einwendungen
des Antragsgegners und zum Übergang in das streitige
Verfahren geändert werden.
Der Bundesrat hat sich im Hinblick auf die Abschaf-
fung des verpflichtend zu nutzenden Einwendungsfor-
mulars und dem damit einhergehenden geringeren Über-
setzungsaufwand dafür ausgesprochen, die Verfahren mit
Auslandsbezug nicht aus dem Anwendungsbereich für
das vereinfachte Verfahren herauszunehmen.
Den Forderungen des Bundesrates tragen wir mit un-
serem diesbezüglichen Änderungsantrag nunmehr Rech-
nung – das vereinfachte Verfahren soll auch in Auslands-
fällen weiter angewandt werden können.
Drittens. Änderung des Auslandsunterhaltsgesetzes
Ferner enthält der Gesetzentwurf der Bundesregierung
in Bezug auf das Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) – wel-
ches die grenzüberschreitende Geltendmachung von
Unterhaltsansprüchen regelt – einige Anpassungen, die
infolge einer Entscheidung des EuGH zur örtlichen Zu-
ständigkeit der deutschen Familiengerichte in Unter-
haltssachen notwendig geworden sind.
Zudem führen wir eine gesetzliche Gebührenregelung
für die Einreichung einer Schutzschrift zum elektroni-
schen Schutzschriftenregister ein.
Ich denke, dass es uns mit dem vorliegenden Gesetze-
sentwurf nicht nur gelungen ist, das Unterhaltsverfahren
zu entbürokratisieren, praxistauglicher und anwender-
freundlicher zu gestalten, sondern – und das sage ich ge-
rade als Familienpolitiker – Regelungen Eingang in das
Unterhaltsrecht gefunden haben, die dem Kindeswohl
noch besser entsprechen und den betroffenen Familien
zu Gute kommen. Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu
diesem Gesetzentwurf.
Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): In ab-
schließender Beratung debattieren wir heute den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung, in dem es hauptsächlich
um Änderungen im Unterhaltsrecht und im Unterhalts-
verfahrensrecht sowie um einige kleine marginale Ände-
rungen in der ZPO geht. Wir haben es hier im Unterhalts-
recht nicht mit dem von manchen geforderten großen
Wurf zu tun, dennoch beschließen wir wichtige Dinge.
Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es im Wesentlichen
um zwei Punkte:
Erstens um den Mindestunterhalt für minderjährige
Kinder, also um das Geld, welches Kinder von Ihren
Eltern nach der Trennung oder Scheidung erhalten. Ein
Elternteil leistet in der Regel den Unterhalt in Form von
Betreuung, der andere zahlt. Das sind zurzeit für die
Kleinsten bis 5 Jahre 236 Euro, für die 6- bis 11-Jähri-
gen 284 Euro, für die 12- bis 17-Jährigen 348 Euro und
für Jugendliche ab 18 Jahren 320 Euro, immer ohne das
Kindergeld.
Wie errechnet man nun diesen Mindestunterhalt? Der
Mindestunterhalt richtet sich aktuell noch nach dem dop-
pelten Freibetrag für das sachliche Existenzminimum ei-
nes Kindes, dem sogenannten Kinderfreibetrag. Derzeit
ist der Mindestunterhalt also vom Einkommenssteuerge-
setz abhängig. Dies wurde von der Praxis vielfach kri-
tisiert. Die Anknüpfung an das Einkommensteuergesetz
hat aufgrund verschiedener steuerlicher Verhältnisse der
beteiligten Eltern zu Abweichungen des Mindestunter-
halts vom Existenzminimum geführt. Der Gesetzentwurf
will nun den Mindestunterhalt an das sachliche Existenz-
minimum minderjähriger Kinder anknüpfen, und zwar
unabhängig von den steuerlichen Verhältnissen der El-
tern. Alle zwei Jahre wird dann die Höhe des Mindest-
unterhalts per Verordnung des BMJV auf Grundlage des
Existenzminimumberichts der Bundesregierung festge-
legt, beginnend mit dem 1. Januar 2016. Die Änderung
soll eine Unterdeckung des sachlichen Existenzmini-
mums, wie in der Vergangenheit vorgekommen, verhin-
dern. Also, meine Damen und Herren, eine gute Rege-
lung im Sinne der Kinder.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12735
(A) (C)
(B) (D)
Zweitens ändert der Gesetzentwurf das sogenannte
vereinfachte Verfahren zur Festsetzung der Unterhalts-
ansprüche minderjähriger Kinder. Im Prinzip hat sich
dieses Verfahren bewährt. Dies belegen auch die entspre-
chenden Zahlen. Es ist auch sinnvoll, dass Gläubiger von
Kindesunterhaltsansprüchen diese leichter geltend ma-
chen können als im streitigen Verfahren und damit das
Existenzminimum minderjähriger Kinder schneller und
einfacher gesichert wird.
Der 20. Deutsche Familiengerichtstag hat am 20. Sep-
tember 2013 Vorschläge zur Fortentwicklung des Verfah-
rens vorgelegt, die weitgehend im vorliegenden Gesetz-
entwurf umgesetzt wurden. Der Begriff des vereinfachten
Verfahrens ist vielleicht etwas irreführend. Es gilt als
kompliziert und stark formalisiert. Deshalb ist eine Fort-
entwicklung nötig. In der anwaltlichen Praxis kommt das
Verfahren kaum vor. Ich habe es in meiner familienan-
waltlichen Tätigkeit sehr selten verwendet. Es hat sich
gezeigt, dass das vereinfachte Verfahren auf Seiten des
Antragstellers von lediglich einer relativen kleinen An-
zahl normaler Menschen, der Gesetzentwurf spricht von
Naturalbeteiligten, genutzt wird. Ganz im Gegensatz zu
den Behörden und Ämtern, diese benutzen das formali-
sierte Verfahren gern zur Durchsetzung von Rückforde-
rungsansprüchen im Rahmen des Unterhaltsvorschusses.
Rechtliche Laien als Antragsteller taten sich mit den
wenig anwenderfreundlichen Formularen schwer. Mit
rechtlich geschulten und erfahrenen Behördenmitarbei-
tern auf der Antragsgegnerseite blieb von der viel zitier-
ten Waffengleichheit im Verfahren nicht viel übrig. Die
im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Ände-
rungen machen das Verfahren praktikabler, leichter zu-
gänglich und effizienter. Hervorzuheben ist hierbei die
geplante Abschaffung des Formularzwangs bei Einwen-
dungen des Antragsgegners
Im Änderungsantrag sind nun die Einzelheiten zur
Vorlagepflicht von Unterlagen, die die Erfüllung des
Anspruchs nachweisen sollen, verändert worden. Dabei
sind meines Erachtens die Anforderungen der Praxis
gut umgesetzt worden. Weiterhin war zunächst geplant,
Verfahren mit Auslandbezug wegen hoher Kosten und
hohen Zeitaufwands vom Verfahren auszunehmen. Nach
der Stellungnahme des Bundesrates bleibt alles beim Al-
ten. Auch Auslandsverfahren können im vereinfachten
Verfahren geltend gemacht werden. In der Praxis werden
fast alle Kinderunterhaltsverfahren mit Auslandsbezug
im vereinfachten Verfahren erledigt. Das sollten wir so
beibehalten.
Nicht mit Bezug zum Unterhaltsrecht wurde im Än-
derungsantrag außerdem eine kleine Änderung in der
ZPO auf den ursprünglichen Gesetzentwurf aufgesattelt.
Diese setzt die gerichtliche Gebühr für das Schutzschrif-
tenregister in Höhe von 83 Euro fest. Der Bundesrat hat
sich darauf verständigt, dass das Land Hessen das Regis-
ter führen soll. Es dient dazu, Schutzschriften – das sind
vorsorglich eingereichte Schriftsätze in Erwartung eines
Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – auf-
zunehmen.
Also, in der Form des Änderungsantrags ist eine deut-
liche Verbesserung der rechtlichen Lage zu erkennen,
und darum sollte es uns bei unserer Arbeit ja immer ge-
hen. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung.
Sonja Stetten (SPD): Trennt sich ein Paar, geht es
bei den Streitigkeiten, die vor Gericht ausgetragen wer-
den, fast immer ums Geld oder um die Kinder. Egal wie
die Streitigkeiten ausgehen, die gemeinsamen Kinder ha-
ben darunter am meisten zu leiden.
Das Unterhaltsrecht regelt theoretisch sehr genau die
finanziellen Ansprüche der Kinder im Fall einer Tren-
nung der Eltern. Mit dem Mindestunterhalt soll sicherge-
stellt werden, dass der Lebensbedarf des Kindes gedeckt
wird. Dass die Eltern hier in der Verantwortung stehen
und dazu verpflichtet sind, den Lebensbedarf ihrer Kin-
der finanziell abzusichern, sollte eine Selbstverständlich-
keit sein. Ist es aber leider oft nicht!
Wir wissen aus der Praxis, dass es genügend Fälle
gibt, in denen ein Elternteil versucht, sich vor den Un-
terhaltszahlungen zu drücken. Zum Beispiel indem das
eigene Einkommen klein gerechnet oder die Zahlungen
einfach nicht getätigt werden.
Die dem Kind zustehenden Unterhaltsansprüche müs-
sen ermittelt und festgelegt werden, um dann durchge-
setzt werden zu können. Das ist alles nicht immer ganz
einfach. Damit es zumindest etwas einfacher wird, brin-
gen wir heute einige Änderungen auf dem Gebiet des
Unterhalts- und des Unterhaltsverfahrensrechts auf den
Weg.
Nicht nur die Familienrechtler waren zunächst ein-
mal sehr froh, als das Vereinfachte Unterhaltsverfahren
1998 eingeführt wurde. Allerdings war die Enttäuschung
dann wiederum ebenfalls sehr groß, als man die Flut
von auszufüllenden Anträgen und Einwendungen auf
dem Schreibtisch hatte. Für die Jugendämter mag dies
tatsachlich eine „Vereinfachung“ gewesen sein. Für die
Anwälte und vor allem aber auch die jeweiligen Unter-
haltsgläubiger war es das nicht. Aus dem Vereinfachten
Unterhaltsverfahren wurde ein „erschwertes“ und oft ge-
nug wegen der formalen Zwänge sogar ein „verschlepp-
tes“ Unterhaltsverfahren.
Die Praxis, sprich, Richter, Anwalte und Jugendämter,
aber vor allem auch betroffene Elternteile, werden daher
die geplanten Änderungen mit Sicherheit begrüßen.
In dem geplanten Gesetz geht es allerdings nicht nur
um das vereinfachte Unterhaltsverfahren. Auch der Min-
destunterhalt wird künftig auf andere Füße gestellt.
Es ist gut, dass der Mindestunterhalt zukünftig nicht
mehr am einkommensteuerrechtlichen Existenzmini-
mum, sondern am sachlichen Existenzminimum min-
derjähriger Kinder ausgerichtet wird. Die Höhe des
Mindestunterhalts soll in einer vom Ministerium zu er-
lassenden Rechtsverordnung festgelegt werden. Entspre-
chend dem Rhythmus der Existenzminimumberichte der
Bundesregierung ist vorgesehen, den Mindestunterhalt
für minderjährige Kinder alle zwei Jahre anzupassen. Die
formale Anknüpfung an die steuerrechtlichen Kinderfrei-
beträge hat in der Praxis zu sozialen Ungerechtigkeiten
geführt. So lag der Betrag nach dem Existenzminimum-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512736
(A) (C)
(B) (D)
bericht 2014 um 6 Euro über dem geltenden Mindestun-
terhalt.
Mit der Befugnis zur Rechtsverordnung knüpft man
an die bis 2007 geltende Tradition der früheren „Regel-
satzverordnung“ an.
Ich möchte die heutige familienrechtliche Debatte
dazu nutzen, noch etwas zum Thema moderne Familien-
bilder und Umsetzung entsprechender Modelle zu sagen.
Junge Eltern wollen heute immer öfter viel Zeit mit
ihren Kindern verbringen. Die Elternzeit wird auch von
jungen Vätern gerne und immer öfter in Anspruch ge-
nommen. Und umgekehrt wollen junge Mütter ihre be-
ruflichen Ziele nicht mehr für die Familie aus den Augen
verlieren. Die Zeiten, in denen der Vater lediglich gezahlt
und sich die Mutter um die gemeinsamen Kinder geküm-
mert hat, sind weitestgehend vorbei. Die Zeiten haben
sich geändert, haben sich zum Glück geändert.
Die Kinder halten sich heute immer häufiger, auch
nach Trennungen, anteilig bei beiden Elternteilen auf.
Unsere heutige Rechtspraxis trägt diesen veränderten
Lebenswirklichkeiten nicht Rechnung, jedenfalls nicht
ausreichend. Unsere Unterhalts-, Umgangs- und Sorge-
rechte stammen noch aus einer Zeit, in der klassische
Rollenmuster galten. Das heißt: Das Recht hinkt den Re-
alitäten hinterher. Deshalb müssen wir gemeinsam über-
legen, wie wir hier Abhilfe schaffen können.
Innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion wird das The-
ma derzeit im Austausch mit Fachleuten intensiv disku-
tiert.
Was wir heute auf jeden Fall sagen können, weil wir
es aus der Praxis wissen, ist, dass sich schon heute vie-
le Eltern für eine hälftige Betreuung und Versorgung der
Kinder entscheiden. Und dabei liegen die Vorteile ja klar
auf der Hand:
Beide Elternteile verbringen Zeit mit den Kindern.
Die Kinder haben bei Vater und Mutter ein Zuhause.
Sie erleben Alltag, Freizeit und Ferien mit beiden Eltern-
teilen. Es gibt also kein Tauziehen um den Nachwuchs,
der alle Seiten belastet.
Es gibt kein Elternteil, bei dem die Kinder lediglich
„zu Besuch“ sind.
Vater und Mutter tragen gemeinsam Verantwortung.
Es liegt an unseren zunehmend flexiblen Arbeitszei-
ten, dass es für Familien immer mehr Möglichkeiten gibt,
dieses Modell zu leben. Allerdings sind unterhaltsrechtli-
che, steuer- und sozialrechtliche Fragen noch überhaupt
nicht geklärt. Jedenfalls kann es nicht sein, dass der gut-
verdienende Elternteil durch das Wechselmodell in Gän-
ze von seiner Unterhaltspflicht befreit wird. Denn dann
sind die Kinder die Leidtragenden. Und uns geht es ja vor
allem um das Wohl des Kindes. Hier müssen wir für die
Gerichte und Jugendämter, aber auch für die Jobcenter
und Familienkassen verbindliche Regelungen schaffen.
Natürlich bleibt die Frage über die Betreuung der
gemeinsamen Kinder eine höchst individuelle Entschei-
dung. Was der Gesetzgeber aber leisten kann, ist, Impul-
se zu geben. Und er kann das rechtliche Handwerkszeug
dahingehend andern, dass es an die realen Lebensverhält-
nisse in unserer modernen Gesellschaft angepasst wird.
Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir eine ge-
rechte und vor allem familienfreundliche Gesetzgebung
schaffen. Das kommt unseren Kindern zugute und also
unserer Zukunft.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Grundsätzlich ist
eine Änderung im Unterhaltsrecht zu begrüßen. Die Bun-
desregierung lässt hier aber eine gute Möglichkeit für
eine größere Reform verstreichen. Es steht außer Frage,
dass eine Anhebung des sächlichen Existenzminimums
und damit zugleich eine Anpassung der Düsseldorfer Ta-
belle überfällig ist. Allerdings bleibt der Entwurf hinter
den Erwartungen an mehr Transparenz und Konsistenz
der Regelung zurück.
Schön ist, dass das vereinfachte Verfahren anwen-
derfreundlicher gestaltet werden soll und ein Ausgleich
des vorhandenen Ungleichgewichts zwischen Behörden
(kein Formularzwang) und natürlichen Personen (jetzt
auch ohne Formularzwang bei Geltendmachung von Ein-
wendungen) angestrebt wird.
Problematisch ist aber beim Artikel 2 des vorliegen-
den Gesetzes (§§ 249 ff. FamFG-E) beim Unterhalts-
vorschuss die fehlende Unterrichtung des betreuenden
Elternteils (in der Regel noch immer die Mutter) über
den Anspruchsübergang und die Geltendmachung der
Ansprüche durch das Jugendamt mit der Konsequenz,
dass es zu einer mehrfachen Rechtsverfolgung und im
ungünstigsten Fall auch zur doppelten und unterschiedli-
chen Titulierung kommen kann. Von daher hätten Infor-
mations- und Anzeigepflichten normiert werden können,
um derartig mögliche Kollisionen zu vermeiden.
Und auch durch die Anknüpfung des Mindestun-
terhalts an das sächliche Existenzminimum nach dem
Existenzminimumsbericht der Bundesregierung ergibt
sich das Problem, dass dieser ans SGB anknüpft und die
dortigen Bedarfe zugrunde gelegt werden, die mitunter
zu niedrig angesetzt sind, weil pauschalisiert, und den
realen Existenzbedarf nicht abbilden. Hier hätte grund-
legend über die Bedarfe neu entschieden werden müssen.
Im Übrigen heißt das auch, dass der Mindestunterhalt
nie höher liegen kann, als das nach dem Existenzmini-
mumbericht errechnete sächliche Existenzminimum für
Kinder, selbst wenn die steuerlichen Kinderfreibeträge
wieder darüber lägen.
Dies würde eine Verschlechterung für unterhaltsbe-
rechtigte Kinder gegenüber der geltenden Rechtslage
darstellen. So war das beispielsweise 2012 der Fall. Der
Steuerfreibetrag betrug 4 368 Euro, das sächliche Exis-
tenzminimum 4 272 Euro. Also 96 Euro unter dem Steu-
erbetrag. Das heißt, dass monatlich 8 Euro weniger ge-
zahlt worden wären, wenn das jetzt vorliegende Gesetz
bereits gegolten hätte. Der VAMV hat in seiner Stellung-
nahme vom Juli 2015 dieses Beispiel für 2012 ausführ-
lich vorgerechnet.
Diese mögliche Schlechterstellung hätte mit einem
einfachen Satz als Ergänzung im Gesetz verhindert wer-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12737
(A) (C)
(B) (D)
den können. Beispiele dafür sind in den Stellungnahmen
der beteiligten Verbände genannt.
Außerdem stellt die Rechtsverordnung des BMJ nicht
sicher, dass das durch den Existenzminimumbericht be-
kanntgegebene sächliche Existenzminimum für Kinder
zeitnah in das Unterhaltsrecht weitergereicht wird.
Insgesamt ist festzustellen, dass das Unterhaltsrecht
insgesamt neu zu überdenken ist und dabei die Schnitt-
stellen zum Steuer und Sozialrecht mit in den Blick ge-
nommen werden müssen. Dazu gehört auch ein Überden-
ken der Düsseldorfer Tabelle. Dazu ist jedoch ein großer
Gesamtentwurf vonnöten. Die Bundesregierung bleibt
aber mit diesem Entwurf auf halben Weg stehen.
Der halbe Weg, deshalb auch nur ein halbes Ja von
der Linken. Von daher werden wir uns bei diesem Gesetz
enthalten.
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
dem vorliegenden Gesetz soll der Mindestunterhalt in
§ 1612 a BGB künftig direkt an das sächliche Existenz-
minimum des Kindes angeknüpft werden – ohne Umweg
über den steuerlichen Kinderfreibetrag. Das vermeidet
Divergenzen zulasten der Kinder durch zeitliche Ver-
zögerungen bei der Anpassung. Künftig soll also das
Justizministerium beginnend mit dem 1. Januar 2016,
alle zwei Jahre den Mindestunterhalt durch Rechtsver-
ordnung festlegen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Sie
wollen darüber hinaus mit Ihrem Gesetz das vereinfach-
te Verfahren vereinfachen. Auch das ist eine gute Idee.
Der Formularzwang für die Einwendungen gegen die
Festsetzung und Titulierung war und ist eine Zumutung
und führt zu oft zu fehlerhaften Unterhaltstiteln. Die
Abschaffung des Formularzwanges ist daher berechtigt.
Entgegen dem ursprünglichen Vorschlag soll das verein-
fachte Verfahren jetzt doch weiter zulässig sein, wenn
der Antragsgegner im Ausland wohnt. Das ist in der Tat
besser, weil am Ende dem Kind das jeweils effizientere
Verfahren zur Wahl stehen sollte, und die inländischen
Gerichte am Wohnort des Kindes ohnehin zuständig sind.
Nicht hilfreich ist allerdings die neue Möglichkeit
von Teilfestsetzungen bei entsprechender Verpflich-
tungserklärung des Unterhaltschuldners. Das macht das
anschließende streitige Verfahren über den Restbetrag
intransparenter und fehleranfälliger. Besser wäre es ge-
wesen, im streitigen Verfahren immer den vollständigen
Unterhaltsanspruch zum Streitgegenstand zu machen.
Am Ende bleibt dieser kleine Makel allerdings nicht das
einzig Unbefriedigende im Rahmen des Kindesunter-
halts.
So stellt sich zum Beispiel die grundlegende Frage,
warum eigentlich sozialrechtliches, steuerrechtliches und
unterhaltsrechtliches Existenzminimum eines Kindes
ständig auseinanderfallen. Könnte man nicht einmal über
eine unbürokratischere und einheitlichere Absicherung
von Kindern in diesem Land nachdenken?
Nachdem ich zehn Jahre lang als Fachanwältin für
Familienrecht Unterhalt berechnet und eingeklagt hatte,
musste ich feststellen, dass die Beantragung, die Anrech-
nung, die Rückübertragung, die Vollstreckung oder Auf-
rechnung mehr Aufwand verursachte, als das Kind selber
jemals für sich beansprucht. Je ärmer das Kind, desto
mehr Behörden beschäftigen sich mit seinem Bedarf.
Nach meiner Berechnung würden wir uns und die Kin-
der in diesem Land erheblich besser stellen, wenn wir all
die zerstückelten Teilleistungen abschaffen und stattdes-
sen eine Kindergrundsicherung in Höhe des sächlichen
Existenzminimums an alle auszahlen. Was wäre das für
eine Entlastung für Jugendämter, Jobcenter, Sozialämter,
Finanzämter und Familienkassen! Der steuerliche Kin-
derfreibetrag könnte ebenso entfallen wie der Kinderre-
gelsatz bei Hartz IV. Die Mangelfallberechnungen würde
niemand vermissen! Auch die Familiengerichte würden
entlastet, weil Kindesunterhalt überhaupt nur noch ober-
halb des Mindestbedarfes geltend gemacht würde.
Nehmen Sie also diesen Vorschlag mit, und denken
Sie einmal über einen wirklich großen Wurf nach. Ihrer
Fehlerkorrektur im Kleinen stimmen wir heute trotzdem
zu.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
Zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zu Änderung des
Umwelt-Rechtsbefehlsgesetzes zur Umsetzung des
Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. No-
vember 2013 in der Rechtssache C-72/12 (Tages-
ordnungspunkt 19)
Oliver Grundmann (CDU/CSU): Wir sprechen heu-
te über wichtige Änderungen im Umwelt-Rechtsbehelfs-
gesetz. Was ist der Hintergrund?
Mit Urteil vom 7. November hat der Europäische
Gerichtshof die Klagerechte von Gemeinden und Pri-
vatpersonen sowie von anerkannten Umweltverbänden
erweitert. Dieses Recht wollen wir mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf in nationale Gesetzgebung überführen.
Gemeinden und Privatpersonen, die von den Ergeb-
nissen einer Umweltverträglichkeitsprüfung betroffen
sind, sollen künftig unter bestimmten Voraussetzungen
einen Rechtsbehelf einlegen können. Bei fehlerhaften
Umweltverträglichkeitsprüfungen wird zwischen abso-
luten und relativen Verfahrensfehlern unterschieden und
die unterschiedlichen Fehlerfolgen klarstellend geregelt.
Die dritte große Änderung ist die Beweislastumkehr bei
gerügten und offensichtlichen Fehlern der Umweltver-
träglichkeitsprüfung. Bislang musste durch einen Kläger
nachgewiesen werden, dass die Entscheidung über das
Vorhaben ohne fehlerhafte UVP voraussichtlich anders
ausgefallen wäre. In Zukunft muss der Vorhabenträger
beweisen, dass trotz des beanstandeten Fehlers die Ent-
scheidung gerade nicht anders ausgefallen wäre.
Das Ziel dieser Gesetzgebung ist es, die Verfahrens-
rechte von Bürgerinnen, Bürgern, Gemeinden und aner-
kannten Umweltvereinigungen zu stärken. Und das ist
uns mit diesem Gesetzentwurf gelungen.
Jedoch wird „Altrip“ nicht die letzte Novellierung
des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes gewesen sein. Ge-
mäß Beschluss der 5. Vertragsstaatenkonferenz zur
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512738
(A) (C)
(B) (D)
Aarhus-Konvention sind wir dazu aufgefordert, eine
Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes auch
dahingehend vorzunehmen, dass Umweltverbänden die
Möglichkeit eingeräumt wird, inhaltliche und verfah-
rensrechtliche Fehler zu rügen, unabhängig davon, ob
die verletzte Vorschrift dem Umweltschutz dient. Und
weiterhin sind wir aufgefordert, einen effektiven Zugang
anerkannter Umweltverbände zu den nationalen Gerich-
ten zu gewährleisten. Die Bundesregierung wird auch
dieser Aufgabe verantwortungsvoll nachkommen. Und
dennoch müssen wir wachsam bleiben. Umweltverbände
erlangen durch diese Gesetzesvorhaben umfassende Kla-
gerechte, die weitreichende Folgen haben können.
Ich bin ein Mann der Praxis. Ich war Geschäftsfüh-
rer eines mittelständischen Unternehmens und blicke auf
eine langjährige Erfahrung in der Kommunalpolitik zu-
rück. Aus eigener Erfahrung sage ich Ihnen: Für eine In-
vestitionsentscheidung ist nicht vorrangig die Anzahl an
Klagen von Bedeutung, sondern die politische Wirkung,
die das Klagerecht entfalten kann. Umso wichtiger ist
es, dass wir bei den anstehenden Novellierungsvorhaben
ökologische Gegebenheiten und ökonomische Erforder-
nisse in Einklang bringen.
Deutschland steht vor großen und wichtigen Heraus-
forderungen: Wir befinden uns in einem grundlegenden
Umbau unserer Energieversorgung. Wichtige Infrastruk-
turprojekte wie der Leitungsausbau sollten nicht durch
ausufernde Bürokratie verzögert werden. Wir dürfen den
zahlreichen Investoren in unserem Land – die große In-
frastrukturprojekte schultern wollen, die uns voranbrin-
gen wollen, die ihren Teil dazu leisten, dass es uns wirt-
schaftlich so gut geht, dass unser Konjunkturmotor läuft
und dass es bei uns weiter vorwärts geht – keine weiteren
Steine in Weg legen.
Manch Kritiker sieht die aufgezeigten Entwicklungen
im Umweltklagerecht vielleicht als weiteren Beleg für
eine ausufernde Umweltbürokratie, die durch ständige
Änderungen und eine kontinuierliche Fortentwicklung
der Rechtsprechung den Weg durch den Dschungel der
Bürokratie noch langsamer macht.
Das muss man sehr differenziert bewerten: Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir Rechtssicher-
heit, wo vorher keine war. Und diese Rechtssicherheit
schafft Planungssicherheit. Die Eröffnung wirksamer
Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Einzelpersonen und Um-
weltverbände ergänzt und komplettiert die bestehenden
Beteiligungsrechte in Planungs- und Zulassungsverfah-
ren. Insbesondere auch Kommunalpolitiker werden darin
eine Stärkung für die kommunale Familie, eine Stärkung
für die kommunale Selbstverwaltung sehen. Gleichwohl
sage ich auch hier: Es gibt auch Planungsvorhaben, die
von Seiten der Kommunen zu verantworten sind. Und so
laufen letztlich auch die Kommunen Gefahr, angreifbarer
zu werden. Daran sieht man, wie kompliziert die Sachla-
ge ist – in diesem sensiblen Feld der Umweltpolitik.
Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen hier eine Politik
machen, die einen fairen Ausgleich schafft, die Ökologie
und Ökonomie verbindet. Wir wollen Verfahrensverein-
fachungen. Wir wollen Klarheit und Rechtsstaatlichkeit,
denn das sind wir den Menschen, den Unternehmen und
unserem Land schuldig. Und dies ist bei diesem Gesetz-
entwurf gelungen. Deshalb bitte ich um Ihre Zustim-
mung.
Dr. Matthias Miersch (SPD): Wir debattieren heute
wieder einmal über eine Änderung des Umweltrechts-
behelfsgesetzes. Eine Änderung, die notwendig gewor-
den ist, weil erneut – bereits zum zweiten Mal – gegen
europäisches Recht verstoßen wurde. Bemerkenswert
ist dabei, dass bei der 1. Novelle zur Heilung des einge-
schränkten Zugangs zu Gerichten, im sogenannten „Tri-
anel-Urteil“, gleich aufs Neue andere EU-rechtswidrige
Paragrafen in die Novelle eingebaut wurden.
Dies führte zur zweiten Verurteilung vor dem Europä-
ischen Gerichtshof (EuGH) – dem sog. „Altrip-Urteil“ –
und zu dem nun vorliegenden Gesetzentwurf, den wir
heute in zweiter und dritter Lesung debattieren.
Für das Umweltrechtsbehelfsgesetz, das knapp neun
Jahre alt ist, sind die zweimaligen Verurteilungen vor
dem EuGH ein einsamer Rekord –- auf den man aller-
dings nicht stolz sein sollte.
An dieser Stelle sollte man nicht verschweigen, dass
es leider immer mal wieder vorkommt, dass EU-rechts-
widrige Gesetze im Deutschen Bundestag verabschiedet
werden, die nach einer Verurteilung durch den EuGH
wieder korrigiert werden müssen. Dies kann daran liegen,
dass die europäische Richtlinie nicht eindeutig formuliert
wurde oder dass es im Umsetzungsgesetz auslegungsfä-
hige Formulierungen gibt, die die EU-Kommission zu
genaueren Prüfungen veranlassen und letztendlich zur
Klageerhebung vor dem EuGH führen.
Beim Umweltrechtsbehelfsgesetz ist dies jedoch
eindeutig nicht der Fall. Die Anhörungen, die im parla-
mentarischen Verfahren zu den Gesetzentwürfen durch-
geführt wurden, haben sehr deutlich gezeigt, dass alle
vorgelegten Gesetzentwürfe an verschiedenen Stellen
als EU-rechtswidrig eingestuft wurden. Dies waren zum
Beispiel massive Bedenken wegen der Einschränkung
der Beteiligungsrechte von anerkannten Umweltverbän-
den und von Einzelpersonen sowie wegen Einschränkun-
gen im Rechtsschutz.
Man kann also nicht von einem Versehen ausgehen,
denn die Aarhus-Konvention und die sie umsetzenden
Richtlinien sind eindeutig formuliert.
Vielmehr spielte die „gefühlte Angst vor dem Bürger
und den Umweltverbänden“ eine Rolle, die vermeintlich
mit ihren Einwendungen die Verfahren verzögern und
ggf. neue Prüfungen und Umplanungen verursachen und
das Vorhaben insgesamt verteuern. So versucht man, mit
gesetzlichen Regelungen die Bürger und Verbände mög-
lichst weit aus den Verfahren herauszuhalten. Dies ist
ein deutlicher ein Rückschritt in der Beteiligungskultur
Deutschlands und wird nicht von Erfolg gekrönt sein.
So widerspricht dies auch den neuen Tendenzen und
Formaten einer umfassenden Bürgerbeteiligung wie wir
sie zum Beispiel in der Endlager-Kommission praktizie-
ren!
Ich bin fest davon überzeugt, dass es zielführend ist,
den Sachverstand von Verbänden und Bürgerinnen und
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12739
(A) (C)
(B) (D)
Bürgern ernst zu nehmen, sich andere Lösungen vor-
stellen zu lassen und Alternativen zu prüfen. Denn es ist
längst erwiesen, dass eine frühzeitige und umfängliche
Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht zwingend zu einer
Verzögerung eines Vorhabens führen muss.
Dankenswerterweise wird das Bundesumweltministe-
rium demnächst den Entwurf eines völlig überarbeiteten
Umweltrechtsgesetzes vorlegen, das neu strukturiert und
vor allem die durch die Aarhus-Konvention vorgegebe-
ne umfassende Beteiligung an Planungs- und Genehmi-
gungsverfahren ernst nehmen wird.
Ich hoffe sehr, dass dann die unendliche Geschichte
der Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland vor
dem Europäischen Gerichtshof wegen der unzureichen-
den Umsetzung völker- und europarechtlicher Vorgaben
bei der Beteiligung von Umweltverbänden und natürli-
chen Personen an Planungs- und Genehmigungsverfah-
ren ein Ende finden wird.
Ralph Lenkert (DIE LINKE): Da braucht es ein Ur-
teil des obersten europäischen Gerichtshofes, um klarzu-
stellen, dass nicht nur gegen eine fehlende Umweltver-
träglichkeitsprüfung geklagt werden darf, sondern auch
gegen eine fehlerhafte. Auch wenn es hier im Fall Altrip
unter anderem um Unklarheiten über eine Übergangsfrist
ging, ist die Umweltverträglichkeitsprüfung auch damals
nichts Neues gewesen.
Dass solche Urteile notwendig sind, zeigt klar auf, mit
welcher ideologischen Missachtung mit dem Mittel der
Umweltverträglichkeitsprüfung zeitweise umgegangen
wird. Die Umweltverträglichkeitsprüfung und vor allem
auch der bessere Gerichtszugang für Betroffene wurden
aus gutem Grund eingeführt: Damit Infrastrukturprojekte
nicht aufs Geradewohl in die Landschaft gesetzt werden,
wie es gerade am billigsten ist und Planern und Inves-
toren am besten passt. Es gibt unzählige Beispiele über
die nachhaltige Zerstörung von Natur- und Lebensraum
im Interesse von Wirtschafts- und Infrastrukturprojekten.
Wer auf der A4 von Thüringen nach Hessen fährt, über-
quert die versalzene Werra und erblickt auf der linken
Seite die wohl noch Jahrtausende bestehenden riesigen
Mahnmale des Kalibergbaus. Oder denken wir an Stau-
fen: Dort quillt eine ganze Stadt auf und stürzt langsam
ein, weil man bei den Bohrungen für Geothermie ein
Gipslager angebohrt hat.
Nicht für ein sicheres Stromsystem wird derzeit in
Deutschland der Übertragungsnetzausbau vorangetrie-
ben, sondern für den freien europäischen Strommarkt.
Deshalb wird technisch völlig überdimensioniert ge-
plant. Man stelle sich vor, eine so umstrittene Leitung
wie die Suedlink könnte mit einer fehlerhaften Umwelt-
verträglichkeitsprüfung trotzdem den Planfeststellungs-
beschluss erhalten, juristisch nicht anfechtbar. Das wäre
so, wie wenn ein Betrüger trotz Nachweis des Betruges
seine Beute weiter behalten darf. Ich will nicht erleben,
wie die Bürgerinitiativen darauf reagieren würden.
Es kann also nicht zu viel verlangt sein, bei großen
Eingriffen in die Natur die Risiken und Nutzen für die
Gesellschaft vorher sorgfältig abzuwägen. Dafür gibt es
die Umweltverträglichkeitsprüfung als Minimalkonsens
zwischen großen Projekten und Investitionen und den
Interessen von Mensch und Umwelt, und deshalb muss
jede Umweltverträglichkeitsprüfung sachlich richtig und
mit größter Sorgfalt erfolgen. Sie muss sich selbstver-
ständlich an die vorgegebenen Regularien und Verfahren
halten und muss bei Verstoß gegen die Regeln anfechtbar
sein. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist keine for-
male Hürde, auch wenn diverse Projektplaner dies gern
so sehen.
Für Akzeptanz in der Gesellschaft muss gewährleistet
sein und bleiben, dass eine Umweltverträglichkeitsprü-
fung auch zwingend zum Abbruch von Projekten führen
kann, wenn Schäden für Mensch und Umwelt den ge-
sellschaftlichen Nutzen übersteigen. Die Linke begrüßt
daher die grundsätzliche Klarstellung durch den Europäi-
schen Gerichtshof, und wir stimmen der Klarstellung des
Gesetzentwurfs zu.
Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lan-
ge bevor die Regierung tätig wurde, um die Urteile des
Europäischen Gerichtshof umzusetzen, hatte die Grüne
Bundestagsfraktion das Problem benannt und bereits im
November 2011 einen eigenen Gesetzesentwurf, Druck-
sachennummer 17/7888 vorgelegt, um die fehlerhafte
Umsetzung des Europäischen Rechts in Deutschland zu
beseitigen.
Der damals vorgelegte Gesetzentwurf der Grünen hat-
te für den § 4 Absatz 1, der heute von Ihnen zur Änderung
vorliegt, bereits vor vier Jahren einen Vorschlag gemacht,
der fast identisch mit dem nun von vorgeschlagenem ist.
Auch bei der letzten Änderung des Umwelt-Rechtsbe-
helfsgesetzes im Jahr 2012 hatten wir in einem Antrag
den nun hier geänderten § 4 Absatz 1 kritisiert. Mit wel-
cher Begründung hat die letzte Koalition eigentlich un-
sere guten Vorschläge abgelehnt, wenn Sie sie jetzt fast
ebenso einbringen? Das erschließt sich mir nicht.
Für mich ist klar: Der letzten Bundesregierung fehlte
der Wille, die Vorgaben zu den Klagerechten von Ver-
bänden korrekt umzusetzen. Es scheint mir, dass es der
jetzigen Koalition wieder ähnlich geht, da lediglich an
Details gearbeitet wird. Die eigentlich notwendige große
Novelle wird aber weiter auf die lange Bank geschoben.
Wovor haben Sie eigentlich Angst? Denn mit dem Zu-
gang zum Klageweg wird für Bürgerinnen und Bürger
oder Verbände lediglich die Möglichkeit eingeräumt,
begangene Rechtsfehler zu heilen, wenn solche in den
Planungsverfahren erfolgt sind, also eine Verletzung der
Rechte erfolgte, welche wir hier im Parlament aus gu-
ten Gründen beschlossen haben. Warum wollen Sie dies
nicht zulassen? Ist es denn so schlimm, wenn von uns
beschlossenes Recht notfalls in Gerichten durchgesetzt
wird? Oder haben Sie Angst, dass die NGOs mit diesem
Recht, gegen fehlerhafte Entscheidungen vor Ort gege-
benenfalls klagen zu können, Schindluder treiben?
Dazu möchte ich gerne auf eine Studie verweisen von
Professor Dr. Martin Führ, Professor für Öffentliches
Recht an der Hochschule Darmstadt. Seine Erkenntnisse
wurden unter anderem in der Neuen Zeitschrift für Ver-
waltungsrecht besprochen, in einem Aufsatz mit dem Ti-
tel „Verbandsklage nach UmwRG – empirische Befunde
und rechtliche Bewertung“. Von 2006 bis 2012 wurden
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512740
(A) (C)
(B) (D)
insgesamt 58 Rechtsbehelfs-Verfahren festgestellt. Also
zehn Verfahren pro Jahr in der gesamten Bundesrepu-
blik – bei über 775 Verfahren mit Umweltverträglich-
keitsprüfung im Jahr! Von einer Klageflut kann hier also
überhaupt keine Rede sein. Verbände und Bürgerinnen
scheinen mit diesen Rechten sehr behutsam umzugehen.
Im Schwerpunkt richten sich die Rechtsbehelfe ge-
gen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen sowie
nachträgliche Anordnungen. Von den 58 identifizierten
Verfahren sind 37 abgeschlossen. Eine Erfolgsbewertung
dieser Verfahren ergab, dass der eingelegte Rechtsbehelf
in 18 Fällen in vollem Umfang oder teilweise zulässig
und begründet war. Daraus ergibt sich eine prozessuale
Erfolgsquote von 48,6 Prozent der Fälle.
Ergo: In nahezu der Hälfte der bisherigen Rechts-
behelfsverfahren wurde erst durch die Klage geltendes
Recht durchgesetzt. Der Anteil erfolgreicher Verfahren
liegt deutlich über der Erfolgsquote sonstiger verwal-
tungsrechtlicher Rechtsbehelfe. Sie bewegt sich sogar
noch oberhalb der Quote von circa 40 Prozent, die für
die naturschutzrechtliche Verbandsklage ermittelt wurde.
Das zeigt: Hier wird sehr verantwortungsbewusst von
Seiten der Klägerinnen und Kläger mit dem Recht um-
gegangen.
Höchste Zeit, dass Sie die entsprechenden Änderun-
gen vornehmen. Ebenso drängt es, die angekündigte
umfassende Reform des UmweltRechtsbehelfsgesetzes
endlich vorzunehmen, die Sie in dem Gesetzentwurf ja
auch ankündigen.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Batteriegesetzes (Tagesordnungs-
punkt 20)
Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Es muss uns in
Zukunft – noch besser als heute – gelingen, Abfälle zu
vermeiden, und wenn Abfälle entstehen, diese als Res-
sourcen zu begreifen. Es muss uns in Zukunft noch bes-
ser als heute gelingen, die Stoffkreisläufe zu schließen.
Wir müssen den Weg zu einer echten Kreislaufwirtschaft
weitergehen. Das ist gut für die Umwelt, das schont
Ressourcen, und das ist in wirtschaftlicher Hinsicht eine
Chance. Ich sage daher: Es wird mehr und mehr zu ei-
ner Notwendigkeit. Das heißt auch, dass wir dort, wo es
möglich ist, gefährliche Stoffe aus den Stoffkreisläufen
heraushalten.
Mit dem Batteriegesetz, das wir heute verabschieden,
gehen wir einen ganz konkreten Schritt in diese Rich-
tung. Worum geht es? Im Kern geht es um zwei Dinge.
Erstens: Die Verwendung von Quecksilber wird ein-
geschränkt. Bisher durften Knopfzellen einen noch rela-
tiv hohen Quecksilbergehalt aufweisen. Diese Ausnahme
wird es künftig nicht mehr geben. Der Grenzwert wird
nun verschärft. Es dürfen keine Knopfzellen mehr in Ver-
kehr gebracht werden, die mehr als 0,0005 Gewichtspro-
zent Quecksilber enthalten.
Zweitens: Bei Gerätebatterien, die in schnurlosen
Elektrowerkzeugen eingesetzt werden, wird der maxima-
le Cadmiumgehalt auf 0,002 Prozent begrenzt. Auch dies
ist eine Verschärfung. Sie gilt ab dem 1. Januar 2017.
Durch diese Neuregelungen entsteht ein Nutzen für
Mensch und Umwelt. Es werden weniger Schadstof-
fe eingesetzt. Somit werden Gefahren und Risiken für
Mensch und Umwelt während der Nutzungsphase, aber
auch in der späteren Verwertungsphase vermieden.
Der Batteriebereich hat durchaus eine große Bedeu-
tung. Denn der Einsatz und die Anzahl mobiler elekt-
ronischer Geräte nehmen zu. 215 Jahre nach Erfindung
der Batterie sind Batterien in vielen Bereichen heute
nicht wegzudenken. Allein in Deutschland werden allein
1,28 Milliarden Knopfzellen pro Jahr hergestellt.
Die Kosten, die mit der Verschärfung einhergehen,
sind überschaubar: Die Knopfzellen verteuern sich da-
durch um rund einen halben Cent pro Stück.
Diese neuen scharfen Grenzwerte sind möglich, weil
technologische Innovation stattgefunden hat. Es ist er-
neut ein Beispiel dafür, wie technologische Innovation
ermöglicht, Umwelt und Wirtschaft vernünftig miteinan-
der in Einklang zu bringen.
Mit der Änderung des Batteriegesetzes setzen wir eine
europäische Richtlinie um. Das heißt, die strengen Gren-
zwerte gelten in der ganzen Europäischen Union. Auch
das ist eine gute und wichtige Nachricht.
Im parlamentarischen Verfahren haben wir noch eine
wichtige Klarstellung vorgenommen: Bereits in Verkehr
gebrachte Geräte mit Batterien, die Quecksilber und
Cadmium oberhalb der zulässigen Höchstkonzentration
enthalten, dürfen noch abverkauft werden, und zwar trotz
der neuen Verkehrsverbote.
Mit dem heutigen Gesetz wird auch die Verbraucher-
freundlichkeit an kommunalen Sammelstellen erhöht:
Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger werden zur kos-
tenlosen Rücknahme von Altbatterien aus Elektro- und
Elektronikaltgeräten verpflichtet. Diese verpflichtende
Rücknahme gilt für jene Batterien, die der Verbraucher
laut Elektrogesetz an den kommunalen Sammelstellen
von Elektroaltgeräten zu trennen hat.
Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger können alle
anderen Batterien freiwillig zurücknehmen und damit
einen weiteren Beitrag zur Erreichung steigender Sam-
melquoten leisten. Die durch Kommunen gesammelten
Batterien werden an das gemeinsame Rücknahmesystem
übergeben.
Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, wird
zudem geregelt, dass ein Vertreiber, der Fahrzeugbatte-
rien per Fernkommunikation anbietet, Pfand erstatten
muss, wenn die Rückgabe von Altbatterien nachgewie-
sen wurde.
Ich bin davon überzeugt, dass das neue Gesetz ver-
nünftig ist und positive Wirkungen entfalten wird. Ich
möchte es aber auch nicht versäumen, an die Bürgerinnen
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12741
(A) (C)
(B) (D)
und Bürger zu appellieren, ihre alten Batterien zurückzu-
geben. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 44 Prozent
der Batterien gesammelt. Um die vorgegebene Mindest-
sammelquote von 45 Prozent für das kommende Jahr zu
erreichen, sind also Anstrengungen notwendig. Es lohnt
sich: Denn alte Batterien enthalten wichtige Wertstoffe.
Michael Thews (SPD): Wir debattieren hier heute
über eine Novelle des Batteriegesetzes. Aus meiner Sicht
ist das Batteriegesetz eine Erfolgsgeschichte. Es ist am
1. Dezember 2009 in Kraft getreten und hat die bis da-
hin geltende Batterieverordnung ersetzt. Damals wurden
erstmals verbindliche Sammelziele für Geräte-Altbatte-
rien festgelegt. Im Batteriegesetz gilt dabei, wie schon
in der Batterieverordnung, grundsätzlich das Prinzip der
Herstellerverantwortung. Das heißt in diesem Fall, die
Hersteller sind organisatorisch und finanziell verantwort-
lich für das Sammeln und das Recycling der Altbatterien
und Altakkumulatoren. Die Hersteller gründeten damals,
gemeinsam mit dem Zentralverband der Elektrotech-
nik- und Elektronikindustrie die „Stiftung Gemeinsames
Rücknahmesystem Batterien“ – kurz GRS Batterien.
Als non-profit-Unternehmen übernimmt die Stiftung die
Herstellerverantwortung für über 2 500 Batterieherstel-
ler und -importeure. Innerhalb weniger Jahre wurde ein
funktionierendes Rücknahmesystem aufgebaut und eine
sehr hohe Verwertungsquote, heute rund 100 Prozent,
erreicht. Die Stiftung GRS Batterien wurde auch auf-
grund dieses Erfolges vom Bundesumweltministerium
als Rücknahmesystem anerkannt. Die bereits kurz nach
Inkrafttreten der Batterieverordnung eintretende Steige-
rung der Sammlung von Altbatterien ist insbesondere
auch den Kommunen zu verdanken. 2014 stammte jede
vierte gesammelte Altbatterie aus kommunalen Sammel-
stellen.
Wir alle kennen dies, die Sammelboxen für Altbatte-
rien in Büchereien, Rathäusern und anderen öffentlichen
Einrichtungen. Dies waren die Anfänge der Sammlung
von Altbatterien. Zusätzlich zu den Sammelstellen in öf-
fentlichen Einrichtungen und im Gewerbe kommen noch
die gesetzlich vorgeschriebenen Sammelboxen in den
Verkaufsstellen des Handels. Von diesen Sammelstellen
holt die Stiftung GRS die Altbatterien ab und verwertet
sie. Dazu wurden Vereinbarungen, meist auf freiwilliger
Basis, mit Kommunen, Handel und Gewerbe getroffen.
Dies dichte Sammelnetz ist ein Grund dafür, dass die
Sammelquote von 45 Prozent ab 2016 nach Angaben des
Rücknahmesystems bereits 2014 übertroffen wurde. Ich
meine allerdings, dass bei der Sammelquote noch ein-
deutig Luft nach oben ist.
In diesem Abfallstrom funktionieren Vereinbarun-
gen – im Gegensatz zu den häufigen Auseinanderset-
zungen bei Verpackungsabfällen – zwischen Herstellern,
Handel und Kommunen besser als in anderen Abfallbe-
reichen. Der Grund dafür liegt meiner Ansicht nach in
der Organisationsart. Ein einziges, nichtprofitorientiertes
Rücknahmesystem verhindert unnötigen Verwaltungs-
aufwand, Reibungsverluste und vereinfacht die Möglich-
keit zu freiwilligen Vereinbarungen.
Das Batteriegesetz ist auch deshalb eine Erfolgs-
geschichte, weil das Recycling der Batterien sehr gut
funktioniert. Betrachten wir mal die drei Sammelgrup-
pen Geräte-Altbatterien, Fahrzeug-Altbatterien und In-
dustrie-Altbatterien: Im Jahr 2013 haben, nach Zahlen
des Umweltbundesamtes, die Rücknahmesysteme für
Geräte-Altbatterien 18 714 Tonnen Geräte-Altbatteri-
en – wiederaufladbare und nicht wiederaufladbare – in
die stoffliche Verwertung gegeben. Damit wurde eine
Verwertungsquote von 100 Prozent erreicht. Und was
fast noch wichtiger ist, diese Batterien wurden auch
hochwertig verwertet. Von diesen 18 714 Tonnen konn-
ten nämlich 12 000 Tonnen Sekundärrohstoff und zwar
insbesondere Zink, Stahl, Ferromangan und Blei zurück-
gewonnen werden.
Auch das Recycling der Fahrzeug-Altbatterien funk-
tioniert gut. 163 401 Tonnen wurden 2013 in die stoffli-
che Verwertung gegeben, das sind 8 Prozent mehr als im
Vorjahr. Die Verwertungsquote stieg hier von 98 Prozent
auf 99 Prozent.
Von den gesammelten Industrie-Altbatterien gelangte
im Jahr 2013 eine Masse von 44 275 Tonnen Blei-Säu-
re-Altbatterien in den stofflichen Verwertungsprozess.
2012 waren es noch 30 736 Tonnen. Die Verwertungs-
quote erreichte in 2013 und 2012 jeweils 96 Prozent.
Das heißt, dass in Deutschland fast alle gesammelten
Geräte-Altbatterien zu den Verwertern gelangen und dort
auch hochwertig recycelt werden.
Natürlich sind Verbesserungen und Anpassungen im-
mer notwendig, so wie die hier vorgenommenen sinnvoll
und notwendig sind.
Neu in der jetzt vorliegenden Novelle ist, dass die
Wertstoffhöfe der öffentlich-rechtlichen Entsorger, die
bisher auf freiwilliger Basis zurückgenommen haben,
verpflichtet werden, Batterien und Akkus zurückzuneh-
men. Allerdings nur die, die die Nutzer, wenn sie ihre
alten Elektrogeräte auf den Wertstoffhöfen abgeben, von
diesen trennen müssen. Eine sinnvolle Änderung, weil
sie verbraucherfreundlich ist, denn so kann der Verbrau-
cher sein Elektrogerät und seine Batterie am gleichen
Ort abgeben. Gute Sammelquoten können nur entstehen,
wenn die Sammlung verbraucherfreundlich ist.
Die zweite wichtige Änderung ist die weitere Ein-
schränkung der Verwendung der Umweltgifte Cadmi-
um und Quecksilber in Batterien. Gerade Quecksilber
ist ein gefährliches Nervengift. Schon kleinste Mengen
können das ungeborene Baby im Mutterleib schädi-
gen. Es gibt ein grundsätzliches Verbot, Batterien, die
mehr als 0,0005 Gewichtprozent Quecksilber enthalten,
in Verkehr zu bringen. Die bisher geltende Ausnahme
für Knopfzellen wird aufgehoben und ab 2016 wird das
Verwendungsverbot von Cadmium (über 0,002 Gewicht-
sprozent) auch auf Gerätebatterien und -akkumulatoren
von schnurlosen Elektrowerkzeugen erstreckt.
Was allerdings – wie schon erwähnt – noch verbes-
serungswürdig ist, sind die Sammelergebnisse. Weniger
als 50 Prozent der in Verkehr gebrachten Gerätebatterien
finden den Weg zurück zu den Sammelstellen. Hier müs-
sen wir besser werden. So wie wir es uns nicht leisten
können, dass nicht mehr funktionsfähige Handys in den
Schubladen zuhause verstauben, so müssen wir es auch
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512742
(A) (C)
(B) (D)
erreichen, dass die Endnutzer ihre alten Batterien und
Akkus aus den Schubladen und Schränken holen, und
vor allen Dingen nicht mehr in die Restmülltonne werfen.
Das ist auch eine Frage der Information und Motivation.
Wir dürfen nicht nachlassen, die Verbraucherinnen und
Verbraucher, die in Deutschland ein ausgeprägtes Be-
wusstsein für dieses Thema haben, über die Sammlung,
Trennung und Verwertung von Abfällen zu informieren.
Gerade auch so positive Recyclingzahlen wie im Fall der
Altbatterien und –akkus tragen dazu bei zu motivieren.
Ohne die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger kom-
men wir beim Thema Kreislaufwirtschaft nicht weiter,
deshalb ist mir dieser Punkt auch besonders wichtig.
Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass
sich der weltweite Primärmaterialeinsatz in den letz-
ten 30 Jahren mehr als verdoppelt hat. Er ist von circa
36 Milliarden Tonnen 1980 auf 78 Milliarden Tonnen
2011 angestiegen. Würden wir unsere heutigen Kon-
summuster beibehalten, würden wir nach Schätzungen
der UNEP im Jahr 2050 mehr als 140 Milliarden Ton-
nen Mineralien, Erze, fossile Brennstoffe und Biomasse
verbrauchen. Dieser Entwicklung müssen wir durch die
Vervollständigung der Kreislaufwirtschaft durch Recy-
cling und verstärkten Einsatz von Sekundärrohstoffen
entgegen arbeiten.
Ralph Lenkert (DIE LINKE): In Deutschland wer-
den jährlich über 80 000 Tonnen Batterien verkauft.
Ebenfalls jährlich werden aber nur 40 Prozent der Alt-
batterien zum Recyceln zurückgegeben und gesammelt.
Das bedeutet, dass Jahr für Jahr fast 50 000 Tonnen Alt-
batterien in der Natur oder in Müllverbrennungsanlagen
enden. Dieses ökologische Desaster der Ressourcenver-
geudung entspricht sogar den gesetzlichen Vorgaben, die
eine Sammelquote von 40 Prozent vorsehen, 45 Prozent
ab 2016.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist nichts weiter als
ein formaler, verwalterischer Akt. Die Ausnahmen für
Quecksilbergehalt bei Knopfzellen werden abgeschafft,
ebenso die Ausnahmen für Cadmiumgehalt bei Batterien
in schnurlosen Elektrowerkzeugen. Das ist eine Eins-zu-
Eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben. Dagegen
ist natürlich nichts zu sagen. Viel wichtiger als die Pflege
solcher Gesetzeswerke wäre es aber, die Einhaltung der
Grenzwerte, die sie vorgeben, konsequent zu überwa-
chen. Das Umweltbundesamt kommt in Studien regelmä-
ßig zu dem Schluss, dass die Hälfte der Zink-Kohle-Bat-
terien einen zu hohen Cadmiumgehalt hat. Bei anderen
Batterietypen waren nicht so viele Modelle betroffen,
aber dennoch gibt es durchweg Batterien mit zu hohen
Schwermetallwerten in den Läden zu kaufen. Das war
im Jahr 2006 so, und das war vor zwei Jahren immer
noch so. Wozu haben wir dieses Gesetz eigentlich, wenn
die Regeln, die dort aufgestellt werden, nicht überwacht
werden und bei Verstößen keine harten Sanktionierungen
folgen?
Wir hätten uns gewünscht, dass die Bundesregierung
ein wenig mehr Elan zeigt, wenn sie das Batteriegesetz
umschreibt. Ganz im Sinne des Deutschen Ressourcenef-
fizienzprogramms muss viel mehr Batteriemüll wieder
eingesammelt werden. Das Programm führt Lithium un-
ter den kritischen Metallen – bei primärseitiger vollstän-
diger Importabhängigkeit und immer wieder der Frage
nach der politischen Stabilität der Herkunftsländer. Wir
können es uns schlicht nicht leisten, Lithium wegzuwer-
fen. Gleiches gilt für Nickel und Kobalt.
Mit einer Sammelquote von knapp über 40 Prozent
liegt Deutschland im EU-Vergleich gar nicht schlecht.
Wir sollten uns aber gerade im Hinblick auf Ressour-
cenknappheit und Schwermetallausbringung in die Um-
welt nicht damit begnügen, dass andere schlechter sind.
Ja, in anderen Ländern ist die Sammelquote viel geringer.
Aber es gibt eben auch bessere. In der Schweiz werden
70 Prozent der Altbatterien wieder eingesammelt. Dort
fordert das Bundesamt für Umwelt, BAFU, sogar eine
Quote von 80 Prozent. Warum ist das in Deutschland
nicht möglich? In der Schweiz ist es über die Einführung
einer Recyclingabgabe auf Batterien und durch den Bat-
tery-Man gelungen, den Rücklauf erheblich zu erhöhen.
Ob es nun in Deutschland unbedingt ein Battery-Man
sein muss, sei mal dahingestellt.
Aber es wäre generell eine Aufgabe für das Umwelt-
ministerium, mehr Aufklärung und Werbung zu leisten
und dafür zu sorgen, dass die Grenzwerte bei Schwerme-
tallen eingehalten werden.
Im Übrigen gibt es eine ganz einfache und unkompli-
zierte Methode, wie wir die Quote drastisch erhöhen kön-
nen: Führen wir ein Pfandsystem auf alle Batterietypen
ein, wie es bei KfZ-Batterien ja bereits praktiziert wird.
Da dieser Entwurf Chancen vergibt, aber wenigstens
nichts verschlechtert, enthält sich die Linke.
Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
Gesetz setzt eine Novelle des europäischen Rechts in
deutsches Recht um. Das ist aus unserer Sicht in Ord-
nung, aber weder umweltpolitisch richtungsweisend
noch etwas, wofür man sich groß loben sollte, sondern
die Erledigung einer reinen Pflichtaufgabe.
Unser Eindruck geht immer mehr dahin, dass vor-
ausschauende Umweltpolitik unter dieser Regierung gar
nicht mehr stattfindet. Was von der Europäischen Union
kommt, wird von Ihnen murrend und viel zu spät umge-
setzt, und bloß nicht mehr als das, worauf man sich in
Europa bereits zwischen allen Mitgliedstaaten geeinigt
hatte, obwohl die europäischen Verträge ganz klar sagen,
dass die Mitgliedstaaten für einen vorsorgenden Umwelt-
schutz über die Anforderungen in Europa hinausgehen
können.
Das ist sicherlich nicht überall sinnvoll, aber hier und
da könnte die Große Koalition doch mal Impulse setzen,
die belegen, dass Umweltschutz in Deutschland nach
wie vor wichtig ist. Es ist doch hinlänglich bekannt, dass
hohe Umweltanforderungen Innovationen in der Wirt-
schaft voranbringen. Der Schutz der natürlichen Umwelt
darf nicht hinter wirtschaftlichen Zielen hinterherhinken,
denn eine intakte Umwelt ist das Fundament jeden wirt-
schaftlichen Handelns.
Die Novelle der Batterierichtlinie wurde bereits am
20. November 2013 von den Mitgliedstaaten der EU be-
schlossen. Da haben Sie sich ganz schön Zeit gelassen
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12743
(A) (C)
(B) (D)
bei den an und für sich unstrittigen Änderungen, die Sie
hier vornehmen.
Die Verwendung von giftigem Cadmium und Queck-
silber in Batterien und Akkumulatoren wird einge-
schränkt. Das ist gut so und angesichts der Gefährlichkeit
dieser Stoffe sicherlich angezeigt. Aber warum haben Sie
hierfür bis heute benötigt? Das Verbot von Quecksilber
in Knopfzellen hätte man sicher auch rascher vornehmen
können. Was wir Grüne von Ihnen fordern, ist klar: Eine
bessere Umweltgesetzgebung, die die Regeln für alle so
verbindlich machen, dass wir aufhören unsere Umwelt
zu zerstören. Alles, was wir von Ihnen bekommen, sind
verspätete EU Umsetzungen und Programme oder Akti-
onspläne, die auf Freiwilligkeit setzen, aber weder ver-
bindliche Regeln für alle setzen, noch wirkliche Anreize
bieten. Von selber wird da sichtlich nichts besser wer-
den. Gehen Sie die wirklich wichtigen Baustellen endlich
konkret an.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Ge-
setzes zur Änderung des Bundeszentralregisterge-
setzes (Tagesordnungspunkt 21)
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Mit dem vorliegen-
den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-
zentralregistergesetzes soll die Nutzung des sogenannten
Ähnlichenservices gesetzlich neu geregelt werden. Bei
diesem Ähnlichenservice geht es darum, dass die Regis-
terbehörde bis zu 20 Datensätze zu Personen mit ähnli-
chen Personalien übermittelt, wenn sie eine Mitteilung
oder ein Ersuchen einem bestimmten Datensatz nicht
eindeutig zuordnen kann und dadurch eine Identitätsfest-
stellung durch die ersuchende Stelle nicht möglich war.
Eine solche Regelung sieht die Strafprozessordnung
für das staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister vor
und soll nun auf das Bundeszentralregister ausgeweitet
werden. Dieses war schon vor der Sommerpause mit
dem Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im
Bereich des Verfassungsschutzes geschehen. Allerdings
war damals ein Zugriff auf diesen Ähnlichenservice nur
für das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Bundes-
nachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst
beabsichtigt. Die damals gewählte Formulierung hat je-
doch dazu geführt, dass jede zum Zugriff auf das Bun-
deszentralregister berechtigte Stelle nach Inkrafttreten
des Gesetzes zur Inanspruchnahme des Ähnlichenservice
befugt gewesen wäre.
Dieses Versehen soll jetzt korrigiert werden. Inso-
fern stellt das Änderungsgesetz eine Einschränkung des
im Juli verabschiedeten Gesetzes dar. Ich will aber aus-
drücklich betonen, dass ich es sehr begrüße, dass die Bun-
desregierung zumindest prüfen will, ob sich nicht eine
Ausdehnung der zugriffsberechtigten Stellen auf weitere
Sicherheitsbehörden – etwa auf die Kriminalpolizei – an-
bietet. Angesichts der wachsenden Zahl ausländischer
Tatverdächtiger scheint die Ausdehnung auf andere Si-
cherheitsbehörden geradezu zwingend. Dem stehen auch
keine datenschutzrechtlichen Bedenken gegenüber, weil
alle Daten, die sich nicht auf den Betreffenden beziehen,
nach erfolgter Identifizierung von der ersuchenden Stel-
le unverzüglich zu löschen sind, und zwar von Gesetzes
wegen, und wenn eine Identifizierung gar nicht möglich
war, dann sind alle Daten zu löschen. Insoweit nehmen
wir heute eine Einschränkung des Zugriffs auf den Ähn-
lichenservice vor, die durchaus in einiger Zeit schon wie-
der aufgehoben werden könnte, um bei der Ermittlung
von Tatverdächtigen in Zukunft erfolgreicher zu sein.
Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Oft ist davon die
Rede, dass sich Politik und Sicherheitsbehörden in einem
Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit befin-
den – insbesondere beim Thema Datenschutz. Es wird
nur scheinbar zu einer Gratwanderung, wenn wir Gesetze
beschließen oder ändern, die den Datenschutz tangieren.
Datenschutz ist zu Recht ein hohes Gut, zu dem wir uns
klar bekennen.
Wenn wir morgen im Deutschen Bundestag die Wie-
dereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschließen,
dann tun wir dies, um den ermittelnden Behörden die
notwendigen Möglichkeiten zu geben, Verbrechen zu be-
kämpfen und möglichst gleich zu verhindern.
Die Ermittler und alle Experten – übrigens unabhängig
von der Parteizugehörigkeit – sind sich einig: Sie brau-
chen zur Strafverfolgung, als Instrument der Aufklärung
und Prävention dringend die Vorratsdatenspeicherung.
Dann können sie unter anderem ganze Kinderpornogra-
fie-Ringe ausheben.
Der Fall Edathy hat deutlich gezeigt, wie Fälle die-
ser Art aufgrund des hohen Ermittlungsaufwands und
der schweren Beweislage oftmals in der Praxis enden.
Es kann nicht sein, dass Ermittlungserfolge gerade im
Bereich der Kinderpornografie davon abhängig sind,
welcher Telekommunikationsanbieter Verbindungsdaten
überhaupt und, wenn ja, wie lange speichert.
Mindestspeicherfristen von Verbindungsdaten sind
natürlich kein Allheilmittel. Damit werden sich nicht alle
schweren Straftaten verhindern und aufklären lassen –
leider! Aber dieses Ziel wird leider durch gar keine Er-
mittlungsmethode zu 100 Prozent erreicht. Die Speiche-
rung von Verbindungsdaten ist jedoch zur Entdeckung
von kriminellen Netzwerken schlichtweg notwendig und
dient der Aufklärung von schwersten Straftaten. Sie ist
ein Instrument von vielen – aber es wäre unverantwort-
lich, komplett darauf zu verzichten.
Ähnlich wie bei der Speicherung von Verbindungsda-
ten verhält es sich auch mit dem sogenannten Ähnlichen-
service im Bundeszentralregister. Dabei handelt es sich
um ein Vorgehen bei Abfragen, bei denen zum Beispiel
Unklarheit über den genauen Vornamen einer Person be-
steht. Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und
der Militärische Abschirmdienst können demnach, falls
die Registerbehörde einer Mitteilung oder einem Ersu-
chen keinen eindeutigen Datensatz zuordnen kann, bis zu
20 Datensätze zu Personen mit sehr ähnlichen Personali-
en zur Identitätsfeststellung übermittelt bekommen. Und
auch hier befinden wir uns im Spannungsfeld zwischen
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512744
(A) (C)
(B) (D)
der Freiheit des Einzelnen und der Sicherheit der Allge-
meinheit. Es muss eine Möglichkeit geschaffen werden,
die Abfrage so zu gestalten, dass naheliegende Ermitt-
lungserfolge doch noch erzielt werden können. Gleich-
zeitig muss ein verbindlicher Rahmen dafür geschaffen
werden, dass die Datenschutzinteressen des Einzelnen
nicht in unverhältnismäßiger Art und Weise tangiert wer-
den.
Ich freue mich sehr, dass dies mit dem vorliegenden
Entwurf gelungen ist.
Denn weil uns der Datenschutz so ein hohes Gut ist,
beschränken wir durch das vorliegende Gesetz den Be-
reich der Behörden, die die „Ähnlichendatensätze“ abfra-
gen dürfen, auf bestimmte Behörden. Die Eingrenzung
dieses Berechtigtenkreises auf den Bundesnachrichten-
dienst, den Verfassungsschutz und den Militärischen
Abschirmdienst wird genau dieser sachgerechten Grund-
rechtsabwägung gerecht. Denn so ist sichergestellt, dass
der Ähnlichenservice nur zur Verfolgung von Straftaten
von herausragender Bedeutung in Anspruch genommen
werden darf.
Ich denke, dass dies sachgerecht ist, wenn man be-
denkt, dass auch das Kriterium der Ähnlichkeit der
Datensätze und die Mengenbegrenzung auf maximal
20 Sätze eine regulierende Einschränkung darstellt.
Benjamin Franklin soll einmal gesagt haben: „Wer die
Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am
Ende beides verlieren.“ Ich denke, wir haben mit vor-
liegendem Gesetzentwurf eine kluge und ausgewogene
Lösung gefunden.
Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung.
Dr. Johannes Fechner (SPD): Vor der Sommerpau-
se haben wir im Rahmen der Neuregelungen zur verbes-
serten Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden
den so genannten Ähnlichenservice für das Bundeszen-
tralregister beschlossen. Das bedeutet, dass die Register-
behörde, die ein an sie gerichtetes Ersuchen namentlich
nicht eindeutig zuordnen kann, der um Auskunft bitten-
den Behörde zur Identitätsfeststellung bis zu 20 Daten-
sätze zu Personen mit ähnlichem Namen übermittelt. Eine
solche Regelung macht Sinn. Denn ansonsten besteht die
Gefahr, dass der Erhalt wichtiger Information an einem
Tippfehler oder der falschen Schreibweise des Namens
scheitert. Allerdings ist die Regelung weitreichend, denn
es werden auch Daten von unbeteiligten Personen über-
mittelt, nur weil diese einen ähnlichen Namen haben.
Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf der
Koalitionsfraktionen zur Änderung des Bundeszentral-
registergesetzes begrenzen wir deshalb den Kreis der
auskunftsberechtigten Behörden deutlich. Auskunft in
Form des Ähnlichenservice dürfen danach nur Verfas-
sungsschutzbehörden, Bundesnachrichtendienst und der
Militärische Abschirmdienst erhalten. Zudem soll die
Einführung des Ähnlichenservice erst zu einem späteren
Zeitpunkt, nämlich am 30. April 2018, erfolgen. Hinter-
grund des späteren Inkrafttretens ist, dass das zuständige
Bundesamt für Justiz mehr Zeit benötigt, um die tech-
nischen Voraussetzungen für den Ähnlichenservice im
Bereich des Bundeszentralregisters zu schaffen.
Die heute erfolgende Beschränkung auf die Nachrich-
tendienste stellt eine sinnvolle Einschränkung dar. Aus
Gründen des Datenschutzes muss der Ähnlichenservice
restriktiv ausgestaltet werden.
Jan Korte (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf, den
die Bundesregierung hier heute vorlegt, wird für mehr
Datenschutz sorgen. Das klingt erstmal positiver, als es
ist: Denn mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Bundeszentralregistergesetzes soll ein Datenleck ge-
stopft werden, welches die Bundesregierung gerade erst
mit dem vor kurzem verabschiedeten „Gesetz zur Ver-
besserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfas-
sungsschutzes“ aufgerissen hatte.
Ein Ziel dieses Gesetzes war die Einführung des so-
genannten Ähnlichenservice im Bundeszentralregister.
Bislang besteht dieser Service im zentralen staatsanwalt-
schaftlichen Verfahrensregister beim Bundesamt für Jus-
tiz. Abfrageberechtigt sind die Strafverfolgungsbehör-
den. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der
Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische
Abschirmdienst (MAD) dürfen ebenfalls eingeschränkt
Daten wie Personendaten und aktenführende Stelle ab-
fragen. Lässt sich eine Anfrage nicht eindeutig einem
Datensatz zuordnen, werden zunächst zu 20, dann zu
50 ähnlichen Namen Datensätze übermittelt. Diese müs-
sen von der empfangenden Stelle geprüft und gelöscht
werden, wenn sich die eigentlich gesuchte Person darun-
ter nicht befindet.
Das Bundeszentralregister, in dem alle strafrechtlichen
Verurteilungen der Menschen in Deutschland gespeichert
werden, sieht einen solchen Ähnlichenservice bislang
nicht vor. Mitarbeiter der Registerbehörden versuchen
bei fehlerhaften, unvollständigen oder zweifelhaften Da-
ten durch Rückfragen bei der abfragenden Behörde den
tatsächlich gesuchten Datensatz zu finden oder gegebe-
nenfalls zu korrigieren. Mit einer Änderung des Bun-
deszentralregistergesetzes im Rahmen der Verfassungs-
schutzreform wurde der Ähnlichenservice nun auch dort
eingeführt. Dabei haben Sie von der Koalition allerdings
vergessen, diesen Service auf die Geheimdienste zu be-
grenzen. Das nenne ich mal schlampige Gesetzgebung.
Der Rechtsausschuss des Bundesrates hat das zum Glück
gemerkt und deshalb empfohlen, diese Änderung ganz zu
streichen, was wir sehr begrüßt hätten. Hilfsweise sollte
nach dem Willen des Bundesrates zumindest eine ent-
sprechende Beschränkung auf die Dienste vorgenommen
werden. Dieser Empfehlung kommt die Bundesregierung
mit ihrem Gesetzentwurf nun nach. Andernfalls wären
sämtliche für das Bundeszentralregister abfrageberech-
tigten Stellen bis hin zur Jagdbehörde befugt, den neuen
Ähnlichenservice im Bundeszentralregister in Anspruch
zu nehmen.
Die Schlamperei setzt sich allerdings auch in diesem
Gesetzentwurf fort. Da wird behauptet, es handele sich
um lediglich 20 „ähnliche“ Datensätze, die übermittelt
werden könnten. Da haben Sie über die komplizierte Ver-
weisungstechnik im Gesetz offenbar selber die Orientie-
rung verloren. Denn findet sich in den 20 Datensätzen
nicht die gesuchte Person, können 50 weitere Ähnlichen-
treffer angefordert werden! Das heißt, die Geheimdiens-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12745
(A) (C)
(B) (D)
te erhalten 70 persönliche Angaben zu Bürgerinnen und
Bürgern, die rein gar nichts mit irgendwelchen verfas-
sungsfeindlichen Bestrebungen zu tun haben müssen.
Und hier ist doch aus der Erfahrung der Vergangenheit
wirklich Vorsicht geboten: Denn ob die eigentlich über-
flüssigerweise übermittelten Datensätze dann am Ende
tatsächlich gelöscht werden oder nicht doch Eingang in
irgendwelche Selektorenlisten finden oder zu anderen
nachrichtendienstlichen Eingriffen führen, kann nicht
sicher ausgeschlossen werden. Ich erinnere hier an die
Entführungen von Khaled el-Masri und Murat Kurnaz,
die auch nur irgendwie verwechselt wurden.
Obwohl also der Zugang zu erheblich mehr Daten
ermöglicht wird, wird das Datenschutzniveau auf dem
bisherigen Umfang belassen. Nur jede zehnte Abfrage
muss protokolliert werden, und das wird auch nur stich-
probenartig untersucht. Für die Löschung überflüssig
übermittelter Daten besteht gleich gar keine Protokollie-
rungspflicht. Dass hier die Kontrolle erheblich gestärkt
werden müsste, sieht man schon an der bisherigen Praxis
der Geheimdienste: Aus einer aktuellen Antwort auf eine
Kleine Anfrage meiner Fraktion geht hervor, dass allein
das Bundesamt für Verfassungsschutz jährlich 1 200
bis 1 700 Ersuchen um Auskunft aus dem staatsanwalt-
schaftlichen Verfahrensregister stellt. Für den MAD und
den BND gibt es noch nicht einmal Angaben dazu. Bei
Nutzung des Ähnlichenservice kommt man da schnell
auf Zehntausende Datensätze pro Jahr, die den Diensten
ohne Prüfung der Erforderlichkeit Jahr für Jahr übermit-
telt werden könnten.
Richtig wäre deshalb gewesen, die systemfremde
Einführung des Ähnlichenservice im Bundeszentralre-
gistergesetz wieder komplett zu streichen. Dass er nun
wenigstens auf die Geheimdienste beschränkt wird, für
die dieses Instrument ja eigentlich nur geschaffen wer-
den sollte, ist nicht mal ein schwacher Trost. Es zeigt die
schlampige Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung
und das Fehlen jeder Sensibilität im Hinblick auf den
Datenschutz und seine zentralen Grundsätze wie Daten-
sparsamkeit und Erforderlichkeit der Datenübermittlung.
Ohne die jetzt vorgeschlagene Änderung der Bundes-
regierung bliebe es allerdings dabei, dass außer den Ge-
heimdiensten auch weiterhin alle möglichen Behörden
auf den Ähnlichenservice zugreifen können. Bei allen
grundsätzlichen Bedenken wird sich Die Linke daher
enthalten.
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Bei den Geheimdiensten, also im Geschäftsbe-
reich des Bundeskanzleramts, brennt nun schon seit
einigen Jahren die Hütte lichterloh. Der erste NSU-Un-
tersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages
brachte unter anderem katastrophale Zustände im Ver-
hältnis der Dienste zueinander zutage, die trotz hunderter
Spitzel eine dreiköpfige rechtsextreme Mordbande mit
zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern nicht
zu stoppen vermochten. Derartig chaotische Verhältnisse
konterkarieren die wirksame Erfüllung der Aufgaben der
Dienste ganz offenkundig. Der vom Ausschuss heraus-
gearbeitete hohe Reformbedarf im Sinne von Demokra-
tie und Bürgerrechten wurde im Wesentlichen durch die
Große Koalition bis heute ignoriert.
Der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss
der 18. Wahlperiode gräbt praktisch jede Sitzungswo-
che neue Erkenntnisse über klar rechtswidrige Vorgänge,
insbesondere bezüglich der Aktivität des Bundesnach-
richtendienstes, aus, vergangene Woche etwa die offen
rechtswidrigen Praktiken des BND bei den gemeinsam
mit dem US-Militärdienst erfolgten Befragungen von
Asylbewerbern auf deutschem Boden, die unter ande-
rem der Erlangung von Daten zur Ziellokalisierung von
US-Drohnen dienten.
Auch hier, mehr als zwei Jahre nach den ersten Snow-
den-Veröffentlichungen, sind bis heute keinerlei gesetzli-
che Reformen für eine Verbesserung der demokratischen
Kontrolle der Dienste und für die Bürgerinnen und Bür-
ger in Sicht, um deren Grundrechte es im Kern bei diesen
Geheimdienstskandalen geht. Im Gegenteil: Befugnisse
wurden und werden weiter ausgebaut und gar die On-
line-Massenüberwachung durch Stellenaufstockungen
in einem verfassungsrechtlich hochumstrittenen Feld, in
dem zukünftig ohne ausreichende Rechtsgrundlage agiert
wird, in fragwürdiger Weise ermöglicht. Darüber hinaus
wurde der Einsatz von rechtsextremen und nicht rechts-
extremen V-Leuten endgültig gesetzlich legitimiert –
und zu allem sogar versucht, dass der Öffentlichkeit als
das Gegenteil, nämlich als Einhegung, zu verkaufen.
Mit größter Verwunderung mussten wir zur Kennt-
nis nehmen, dass die Große Koalition insgesamt einen
von den genannten Skandalen völlig unbeirrten Kurs
des Ausbaus von Kompetenzen und Befugnissen der
Geheimdienste verfolgt. Für den BND kam das in ei-
ner 300 Millionen Euro Finanzspritze zum Ausdruck,
mit der unter anderem ausgerechnet der Ausbau der
geheimdienstlichen Telekommunikationsüberwachung
finanziert werden soll. Für das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz wurde dies deutlich, als kürzlich ein um-
fangreiches Artikelgesetz zur Reform des Bundesamtes
durch den Bundestag bugsiert wurde, das nicht mehr und
nicht weniger als eine deutliche Aufwertung des Dienstes
mit sich bringt – mehr Mittel, mehr Personal und zu-
sätzliche Befugnisse. Als Grüne haben wir dagegen vo-
tiert. Wir wollen insbesondere den Inlandsgeheimdienst
auf dem Prüfstand sehen, ihn von Grund auf reformieren
und seine Befugnisse auf das bürgerrechtlich Gebotene
einschränken.
Schon im damaligen Entwurf für die Reform des Bun-
desverfassungsschutzes wollten Sie, werte Kolleginnen
und Kollegen der Großen Koalition, auch das Bundes-
zentralregister aufbohren. Nun haben wir sicherlich Pro-
bleme im Bereich der Geheimdienste, denen wir weitaus
größere Bedeutung für die Grundrechte der Bürgerinnen
und Bürger zumessen sollten. Doch auch der uns heute
zur Abstimmung vorgelegte Ähnlichenservice wirft ein
gravierendes rechtsstaatliches Problem auf: Er betrifft
die geheimdienstliche Erfassung von Informationen und
Daten über Personen, denen ganz überwiegend und de-
finitiv nichts vorgeworfen werden kann. Sie haben nur
eine Ähnlichkeit mit Jemandem.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512746
(A) (C)
(B) (D)
Der bis heute allein für das zentrale staatsanwaltliche
Verfahrensregister bestehende, euphemistisch sogenann-
te Ähnlichenservice soll nun auf das Bundeszentralre-
gister ausgeweitet werden. Beim Ähnlichenservice, kon-
kret geregelt in § 8 der ZStVBetrV, wird es anfragenden
Staatsanwaltschaften aus der gesamten Bundesrepublik
ermöglicht, sich in Fällen nicht eindeutig zuordenbarer
oder unvollständiger Datensätze für Zwecke der Iden-
titätsprüfung bis zu 20 Datensätze von unter ähnlichen
Identifizierungsdaten gespeicherten Daten übersenden zu
lassen. Diese Datensätze müssen, soweit sie Nichttreffer
darstellen, wegen der eindeutigen Zweckbindung unmit-
telbar nach Durchsicht gelöscht werden.
Zugriffsberechtigt sein sollten nach Ihrem damali-
gen Entwurf alle in § 41 BZRG genannten Behörden,
ein weiter Kranz. Ihre Idee, derart unter dem Radar der
öffentlich diskutierten Reformen auch noch die Zugriffs-
möglichkeiten der Geheimdienste auf amtliche Regis-
ter zu erweitern, ging leider schief. Der Bundesrat hat
völlig zu Recht dagegen interveniert. Die Reform wurde
zunächst von den Ländern kassiert. Leider wollten die
Länder den Ähnlichenservice jedoch nicht insgesamt
stoppen, sondern gaben sich mit einer Beschränkung auf
BND, MAD und BfV zufrieden.
Der vorgelegte Entwurf dampft damit – auf Druck des
Bundesrates – der Sache nach eine Vorschrift wieder ein,
die bereits in dem Artikelgesetz zur unsäglichen Reform
des Bundesverfassungsschutzgesetzes aufgekommen
war.
Die gesetzliche Erweiterung der Zugriffsmöglichkei-
ten auf die Datenbestände des Bundeszentralregisters
stellt einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der
dort gespeicherten Personen dar. Nach der Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts muss gerade für
die in Strafverfahren verwickelten Personen und deren
Informationen, auch und gerade nach Beendigung ihrer
Strafverfahren, ein besonderes Schutzniveau für Infor-
mationen zu ihren strafrechtlichen Verurteilungen beste-
hen, um dem grundrechtlich anerkannten sozialen Reha-
bilitationsinteresse Rechnung zu tragen.
Der bisherige Ähnlichenservice blieb innerhalb der
staatsanwaltlichen Verfahren und beschränkte sich auf
Ermittlungsverfahren. Es handelt sich dabei um einen
bedeutsamen Eingriff in die Grundrechte der davon
Betroffenen, weil es in der Mehrzahl völlig unbeschol-
tene Personen durch Übermittlung von deren Daten an
die Staatsanwaltschaften mit dem Risiko belastet, unge-
rechtfertigt in ein – weiteres – Ermittlungsverfahren zu
geraten. Schon bislang musste dieses Verfahren der Da-
tenübermittlung Unbescholtener deshalb als höchst be-
denklich bewertet werden, das allenfalls mit Blick auf die
Vorläufigkeit des Ermittlungsverfahrens, der möglichen
Entlastungsfunktion für einzelne Tatverdächtige und auf-
grund des nicht abschließenden Charakters gerechtfertigt
war.
Die Erweiterung des Verfahrens auf das Bundeszent-
ralregistergesetz stellt eine von der Bundesregierung in
der Sache nicht näher – auch nicht empirisch – darge-
legte Erstreckung auf einen umfänglichen und besonde-
rem gesetzlichen Schutz unterfallenden Datenbestand
dar. Für diese grundrechtsrelevante Erstreckung ist die
Bundesregierung darlegungspflichtig.
Die nunmehr erfolgte Beschränkung ausgerechnet auf
die Geheimdienste wird ebenfalls in der Sache nicht näher
erläutert. Das ist für einen so grundrechtsintensiven Be-
reich wie die Geheimdienste erst recht nicht hinnehmbar.
Zudem stellt sich die Frage, ob es nach dem sogenannten
Doppeltürenmodell des Bundesverfassungsgerichts nicht
zusätzlich einer hinreichend konkreten und bestimmba-
ren Regelung zur Inanspruchnahme durch die Dienste in
den einschlägigen Geheimdienstgesetzen bedarf. Denn
die von Ihrem Gesetz und den arkanen Verweisungsket-
ten in Anspruch genommenen Bestimmungen des BZRG
und der StPO betreffen automatisierte Übermittlungen,
während die Erhebungsnormen des BND und des BfV
allein von Einzelersuchen handeln.
Auch hier gilt: Für das Gros der Datenübermittlungen
fehlt es an jeglicher datenschutzrechtlicher Erforderlich-
keit, da es sich – für alle Beteiligten bekannt – nur um
ähnliche, aber nicht genaue Datensätze handelt. Schon
das Verfahren der Auswahl der Ähnlichendaten durch die
für das Bundeszentralregister zuständige Stelle wirft des-
halb bislang ungeregelt gebliebene datenschutzrechtliche
Fragen auf.
Wir meinen: Ähnlichendaten ausgerechnet in der
Hand von Geheimdiensten bergen ein besonderes Risiko
für die Betroffenen: Gerade der erste parlamentarische
Untersuchungsausschuss hat aufgezeigt, in welchem
Umfang die Dienste insbesondere von BND und BfV mit
Hilfe von formalen Suchbegriffen, also Telekommunika-
tionsmerkmalen, Rasterfahndungen auf Leitungen und
in Medien durchführen. Ähnlichendaten sind eine Ver-
suchung, diese Daten in die bestehenden Systeme einzu-
spielen und – entgegen der gesetzlich vorgeschriebenen
Zweckbindung auf Identitätsfeststellung – auf mögliche
Treffer in den Datenbanken hin zu überprüfen. Nach der
Rechtslage wäre dies aufgrund der eindeutigen Zweck-
bindung allein zur Identifizierung eines unklaren Daten-
satzes zwar unzulässig, aber im Bereich der Signal In-
telligence etwa des BND wurde in den zurückliegenden
15 Jahren in vielerlei Hinsicht offenkundig rechtswidrig
gehandelt oder die bestehenden Rechtsvorschriften krea-
tiv zu eigenen Gunsten ausgelegt.
Unser Fazit zum heute vorgelegten Gesetzesvorschlag
lautet deshalb: Der bisher allein für die Staatsanwalt-
schaften im Rahmen von Ermittlungsverfahren bestehen-
de Ähnlichenservice ist ohnehin datenrechtlich höchst
fragwürdig, weil er Informationen von Unbescholtenen
in laufende Ermittlungen hereingibt. Seine Ausweitung
auf das BZRG – ausgerechnet auf die Geheimdienste –
ist nicht nur in der Sache fahrlässig, sondern rechtlich
höchst fragwürdig. Wir haben deshalb diese Erweiterung
geheimdienstlicher Zugriffe auf das Bundeszentralregis-
tergesetz bereits im Rahmen der Reform des Bundesver-
fassungsschutzgesetzes kritisiert und abgelehnt.
Wir enthalten uns heute allein deshalb, weil die einen
noch gravierenderen Eingriff darstellende Regelung aus
dem damaligen Verfahren, also die Erstreckung des Ähn-
lichenservice auf alle in § 41 BZRG genannten Behör-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12747
(A) (C)
(B) (D)
den, von Ihnen wieder – wenn auch nicht freiwillig –
aufgenommen wurde.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
Zur Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bunderegierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014
zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ir-
land zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und
zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver-
mögen (Tagesordnungspunkt 22)
Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Das vorlie-
gende Änderungsprotokoll soll hinsichtlich der Besteue-
rung von Unternehmensgewinnen die Aktualisierung des
Artikel 7 des Musterabkommens für den Bereich Steuern
vom Einkommen und vom Vermögen der OECD auch im
Doppelbesteuerungsabkommen mit der Republik Irland
nachvollziehen.
Das Musterabkommen der OECD, dessen Artikel 7
seit 2010 neu gefasst wurde, sieht jetzt den sogenannten
„Authorized OECD Approach – AOA“ für die Auftei-
lung der Gewinne zwischen einer Betriebsstätte und dem
Unternehmen vor, zu dem sie gehört. Damit wird einer
Vereinheitlichung der internationalen Betriebsstättenbe-
steuerung Rechnung getragen. Grundsätzlich sind dabei
zwei Arten von Betriebsstätten zu unterscheiden; zum
einen feste Geschäftseinrichtungen, über die das Unter-
nehmen eine gewisse Verfügungsmacht hat, und zum an-
deren den abhängigen Vertreter mit der Vollmacht zum
Abschluss von Verträgen für den Geschäftsherren.
Für die angemessene Aufteilung der Gewinne zwi-
schen dem Unternehmen und der Betriebsstätte kann
man wiederum zwei Ansätze wählen.
Sieht man die Betriebsstätte als Einheit, die nur mit
einer eingeschränkten Selbstständigkeit ausgestattet ist,
dann wird sie als Teil des Gesamtunternehmens defi-
niert. Der Fremdvergleich ist bei dieser Auffassung nur
eingeschränkt für Warentransaktionen vorgesehen, und
logischerweise kann auch die Betriebsstätte dann keinen
Gewinn machen, wenn das Gesamtunternehmen einen
Verlust macht.
Demgegenüber steht die Auffassung der uneinge-
schränkten Anwendung des Fremdvergleichs. Das bedeu-
tet, dass auf alle Transaktionen innerhalb des Einheitsun-
ternehmens der Fremdvergleich Anwendung findet und
damit letztlich auch die Betriebsstätte einen Gewinn aus-
weisen kann, selbst wenn das Gesamtunternehmen einen
Verlust macht. Die Betriebsstätte wird damit ähnlich wie
ein Tochterunternehmen behandelt. Dieser zweite Ansatz
der Betriebsstättenbesteuerung wird dem neuen Artikel 7
des OECD Musterabkommen zugrunde gelegt.
Mit dem im alten DBA Irland enthaltenen Artikel 7
konnten weder die grenzüberschreitenden Gewinne ei-
nes Unternehmens sachgerecht aufgeteilt werden, noch
konnten Gewinnverlagerungen begegnet werden. Mit der
Änderung des Artikel 7 im neuen Abkommen wird jetzt
die Möglichkeit geschaffen, aufgrund eines international
anerkannten Fremdvergleichs die zutreffende Gewinn-
aufteilung zwischen Betriebsstätte und Gesamtunterneh-
men zu erreichen. Damit können Besteuerungslücken ge-
schlossen werden und Besteuerungskonflikte vermieden
werden.
Im neuen DBA werden allerdings Lebensversiche-
rungsgeschäfte, die vor dem 1. Januar 2001 abgeschlos-
sen wurden, aufgrund der irischen Rechtslage zur steuer-
lichen Behandlung von Altverträgen in diesem Bereich
unverändert nach den alten Vorschriften erfasst. Große
Auswirkungen wird dies allerdings kaum entfalten, weil
der Umfang eher unwesentlich ist.
Neben der Änderung des Artikel 7 werden noch klei-
nere Änderungen erfasst wie die Vertragsstaatendefiniti-
on der Bundesrepublik und die Aktualisierung der unter
das Abkommen fallenden irischen Steuern.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist aber
auch, dass Irland inzwischen nationale Maßnahmen
ergriffen hat, um das Modell des sogenannten „double
Irish“ für die Zukunft zu schließen. Mit dieser Gestaltung
konnten amerikanische Gesellschaften ihre Gewinne fast
steuerfrei über irische Tochtergesellschaften verlagern.
Das ist zwar nicht unmittelbar ein Ausfluss dieses Ab-
kommens, aber es zeigt, dass die Bemühungen der Bun-
desregierung zur Verhinderung von Gestaltungsmöglich-
keiten mit Auslandsbezug Früchte tragen.
Das Gesetz ist unproblematisch, aktualisiert ein DBA
und passt es an die aktuelle Abkommenspolitik der Bun-
desrepublik an. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu die-
sem Gesetz.
Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Wir haben nicht sehr
oft die Gelegenheit, im Plenum über den Abschluss von
Doppelbesteuerungsabkommen zu debattieren. Insofern
freue ich mich, dass die Revision des Abkommens mit
Irland uns jetzt Anlass bietet, dieses Thema einmal öf-
fentlich zu diskutieren.
Doppelbesteuerungsabkommen sind für die exportori-
entierte deutsche Wirtschaft von immenser Bedeutung.
Mit jedem zusätzlichen Abkommen schaffen wir Rechts-
und Planungssicherheit in Steuerangelegenheiten, im
Übrigen nicht ausschließlich für Unternehmen, sondern
auch für Arbeitnehmer, Rentner und Studenten, die sich
für längere Zeit im Ausland aufhalten. Jedes Abkommen
fördert und vertieft die wirtschaftlichen Beziehungen zu
diesen Staaten. Wir gewährleisten mit ihnen aber vor al-
lem eine wirksamere und zutreffendere Steuererhebung,
indem wir sowohl die doppelte Besteuerung als auch die
mindestens ebenso unerwünschte doppelte Nicht-Be-
steuerung verhindern.
Mit insgesamt 85 Staaten hat die Bundesrepublik
Deutschland derzeit Abkommen auf dem Gebiet der
Einkommen und Vermögen, bei Erbschaften und Schen-
kungen und zum Austausch von Steuerinformationen,
abgeschlossen. Weitere 59 Abkommen befinden sich im
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512748
(A) (C)
(B) (D)
Verhandlungsstadium, bzw. sind bereits unterschrieben,
aber noch nicht in Kraft getreten. Zunächst möchte ich
an dieser Stelle einmal hervorheben, dass die Schlagzahl
der Revision von bestehenden oder des Neuabschlusses
von Doppelbesteuerungsabkommen in den letzten Jahren
deutlich zugenommen hat. In der Amtszeit von Wolfgang
Schäuble wurden bereits mehr als doppelt so viele Ab-
kommen geschlossen wie jeweils zuvor von seinen bei-
den Amtsvorgängern. Für dieses im ureigenen Interesse
der Bundesrepublik stehende Engagement gebührt unser
aller Dank und Anerkennung vor allem dem Bundesfi-
nanzminister, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern im Bundesfinanzministerium und im Auswär-
tigen Amt.
Wir debattieren hier im Deutschen Bundestag aus gu-
ten Gründen Fälle von Steuerhinterziehung, bei denen
Vermögenswerte im Ausland vor den deutschen Behör-
den versteckt werden. Vor diesem Hintergrund ist die
zunehmende Zahl von Abkommen zum Informations-
austausch – allein 14 von 31 seit 2010 – ein wichtiger
Baustein, diesen Machenschaften ein Ende zu bereiten.
Vor ziemlich genau einem Jahr gelang Finanzminister
Schäuble das Meisterstück, bei einer Steuerkonferenz in
Berlin mit über 50 Staaten den automatischen Informati-
onsaustausch zu vereinbaren. Darunter befinden sich be-
kannte Steueroasen wie die Bermudas und die Cayman
Islands, aber auch zur Steuervermeidung gern genutzte
europäische Staaten wie Liechtenstein, Luxemburg und
die Schweiz. Steuerhinterziehung wird dadurch weitest-
gehend unmöglich, und das ist der Erfolg dieser Bundes-
regierung und von Wolfgang Schäuble ganz persönlich.
Doch nicht nur das Verstecken privater Vermögens-
werte im Ausland ist ein Problem. Gerade international
operierende Konzerne haben kreative Wege gefunden,
ihre eigene Steuerlast auf ein Minimum zu reduzieren.
Die Bundesregierung hat dieses Problem seit Jahren im
Blick und auch entsprechende Abwehrmaßnahmen er-
griffen. Erinnern möchte ich an dieser Stelle an die Zins-
schranke, Regelungen zur Funktionsverlagerung, die
Hinzurechnungsbesteuerung und weitere Maßnahmen,
die 2008 im Zuge der Unternehmenssteuerreform auf
den Weg gebracht wurden. Dazu kommen „treaty overri-
de“-Maßnahmen als Reaktion auf „treaty shopping“-Ak-
tivitäten und Umschaltklauseln von der Freistellungs- auf
die Anrechnungsmethode für den Fall, das in dem ande-
ren Staat keine oder eine deutlich zu geringe Besteuerung
stattfindet. Doch wir leben in einer globalisierten Welt.
Die besten nationalen Gesetze nützen nichts, wenn inter-
national nicht an einem Strang gezogen wird. Und auch
hier übernimmt die Bundesrepublik Deutschland eine
Führungsrolle. Der 2012 auf OECD-Ebene unter dem
Kürzel BEPS initiierte Prozess zur Verhinderung von
Gewinnverlagerungs- und Steuervermeidungsstrategien
wurde von der Bundesregierung maßgeblich vorangetrie-
ben. In der vergangenen Woche wurde der Abschlussbe-
richt mit seinem 15-Punkte-Aktionsplan der Öffentlich-
keit vorgestellt und von der Fachwelt auf breiter Basis
gelobt. Jetzt geht es darum, dass dieser Aktionsplan in
den 34 OECD-Mitgliedstaaten und den über 80 assozi-
ierten Staaten möglichst ungeschmälert umgesetzt wird.
Bemerkenswert dabei ist, dass einige der Maßnahmen,
die wir national zur Verhinderung von Gewinnverlage-
rungen bereits umgesetzt haben, jetzt auch international
als probates Mittel anerkannt und in den Aktionsplan
aufgenommen wurden. Auch dies ist ein Erfolg dieser
Bundesregierung.
Wir aktualisieren heute im Doppelbesteuerungsab-
kommen mit Irland im Wesentlichen den Abschnitt über
Unternehmensgewinne. Ersetzt wird das bisherige quo-
tale System durch den auf OECD-Ebene vereinbarten
Fremdvergleichsgrundsatz, den sogenannten Authorised
OECD Approach. Deutschland hat an der Ausarbeitung
dieses Standards entscheidend mitgewirkt, und es ist gut
und richtig, dass in dieser entscheidenden Frage der Un-
ternehmensgewinne eine internationale Einigung über
deren Zuordnung zu einer Betriebsstätte erzielt werden
konnte. Es ist daher nur konsequent, diesen Standard
auch in der Praxis umzusetzen, und das werden wir heute
tun. Ich habe daher wenig Verständnis für die vonseiten
der Grünen und Linken im Finanzausschuss geäußerte
Kritik an dieser Vereinbarung. Wie sollen wir denn von
anderen Staaten Vertragstreue und die Einhaltung inter-
nationaler Regeln fordern, wenn wir selbst nicht mit gu-
tem Beispiel vorangehen? Zudem irren Sie sich, wenn
Sie glauben, die alte Regelung wäre besser für das deut-
sche Steueraufkommen und die Verhinderung von Ge-
winnerlagerungen in das Niedrigsteuerland Irland. Wenn
Sie sich einmal mit Fachleuten unterhalten, werden Sie
schnell feststellen, dass dem nicht so ist.
Von der Opposition kam darüber hinaus Kritik an
der Tatsache, dass in diesem Abkommen mit Irland die
Doppelbesteuerung durch die Freistellungsmethode ver-
hindert werden soll, die im Übrigen ergänzt wird durch
Klauseln zum Umschalten auf die Anrechnungsmethode.
Sie haben vorgeschlagen, stattdessen generell auf die An-
rechnungsmethode umzuschwenken, wenn möglich in
sämtlichen Abkommen weltweit. Ich kann nur eindring-
lich davor warnen, diesen Weg tatsächlich zu gehen. Für
unsere auf Export ausgerichtete deutsche Wirtschaft ist
es von elementarer Bedeutung, auf ausländischen Märk-
ten mit den dortigen Wettbewerbern zu gleichen Bedin-
gungen konkurrieren zu können. Dies ist nur durch die
Freistellungsmethode gewährleistet und Grundbedin-
gung für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unterneh-
men im Ausland. Ein genereller Wechsel zur Anrech-
nungsmethode wird nicht, wie von Ihnen behauptet, das
Steueraufkommen in Deutschland erhöhen, sondern den
Wirtschaftsstandort insgesamt deutlich schwächen.
Wir sehen also heute am Beispiel des Doppelbesteu-
erungsabkommens mit Irland sehr plastisch, dass die
Bundesregierung konzentriert daran arbeitet, Steuerhin-
terziehung, Gewinnverlagerung und schädliche Gestal-
tungsmaßnahmen einzudämmen. Darüber hinaus ist sie
äußerst erfolgreich darin, verbindliche Standards auf
internationaler Ebene zu vereinbaren. Wir haben unsere
Hausaufgaben gemacht. Jetzt kommt es darauf an, dass
auch internationale Partner, aber aus meiner Sicht vor
allem unsere europäischen Partner, diesen Weg konse-
quent verfolgen, anstatt ein Unterbietungswettrennen um
den geringsten Steuersatz zu veranstalten. Auch diesen
Gesprächen wird sich unser Bundesfinanzminister nicht
verschließen, und ich wünsche ihm und seinen Mitarbei-
tern dabei allen erdenklichen Erfolg.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12749
(A) (C)
(B) (D)
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Doppelbe-
steuerungsabkommen haben für die internationalen
Wirtschaftsbeziehungen und für die Steuererhebung
der Staaten eine immense Bedeutung. Es handelt sich
um völkerrechtliche Verträge zwischen zwei Staaten, in
denen geregelt wird, in welchem Umfang das Besteue-
rungsrecht einem Staat, für die in einem der beiden Ver-
tragsstaaten erzielten Einkünfte, zusteht. Bisher sollten
Doppelbesteuerungsabkommen vor allem verhindern,
dass Steuerpflichtige, die in beiden Staaten Einkünfte
erzielen, in beiden Staaten – also doppelt – besteuert
werden. Die aggressive Steuerplanung multinationaler
Konzerne, die die mangelnde Abstimmung zwischen den
nationalen Steuersysteme zu ihrem Vorteil ausnutzen, hat
aber die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Zweck der
Doppelbesteuerungsabkommen gelenkt: die Verhinde-
rung der doppelten Nichtbesteuerung von Einkünften.
Die heute zur Debatte stehenden Änderungen des
Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutsch-
land und Irland sind gerade aufgrund der vorgesehenen
Änderungen bei der Besteuerung grenzüberschreitend
tätiger Unternehmen interessant. Im Schwerpunkt geht
es um die Anpassung der Regelungen zur Besteuerung
von Betriebsstätten an den sogenannten „Authorized
OECD-Approach“. Bei Betriebsstätten handelt es sich
um rechtlich unselbständige Geschäftseinrichtungen, die
ein deutsches Unternehmen im Ausland unterhält oder
um solche Geschäftseinrichtungen, die ein im Ausland
ansässiges Unternehmen in Deutschland betreibt. Bisher
gibt es eine weitgehend uneinheitliche Praxis der inter-
nationalen Betriebsstättenbesteuerung. Teilweise werden
indirekte Gewinnaufteilungsmethoden angewandt, die
die Zuordnung von Einkünften nach pauschalen Schlüs-
seln vorsehen.
Nach dem „Authorized OECD-Approach“ wird eine
Betriebsstätte für die grenzüberschreitende Gewinnauf-
teilung zwischen ihr und dem Unternehmen, zu dem sie
gehört, wie ein eigenständiges Unternehmen behandelt.
Um dies zu ermöglichen, muss für die rechtlich unselb-
ständige Betriebsstätte eine steuerliche Nebenrechnung
erstellt werden, die inhaltlich der Bilanz eines eigenstän-
digen Unternehmens entspricht. Dazu wir in einem ersten
Schritt festgestellt, welche Funktionen die Betriebsstätte
im Verhältnis zum restlichen Unternehmen durch ihr
Personal tatsächlich ausübt. Davon ausgehend werden
Vermögenswerte, Chancen bzw. Risiken sowie das dafür
erforderliche Eigenkapital zugeordnet. In einem zwei-
ten Schritt werden für Geschäftsfälle zwischen einem
Unternehmen und seiner rechtlich unselbständigen Be-
triebsstätte grundsätzlich schuldrechtliche Beziehungen
unterstellt. Auf diese anzunehmenden schuldrechtlichen
Beziehungen sind dann die Grundsätze der OECD-Ver-
rechnungspreisrichtlinien anzuwenden, die dem Fremd-
vergleichsgrundsatz entsprechen. Für die Geschäftsfälle
mit andern Teilen des Unternehmens werden Fremdprei-
se unterstellt, die zwischen fremden Dritten vereinbart
worden wären. Der Betriebsstätte werden somit die Ge-
winne zugerechnet, die sie erzielen würde, wenn sie ein
selbständiges Unternehmen wäre. Dieses Verfahren halte
ich für besser, als die bisherige indirekte pauschale Auf-
teilung – wenn wir ehrlich sind, kennen wir nicht einmal
die genauen – in der Praxis angewandten – Kriterien bzw.
Parameter, nach denen die pauschale Aufteilung erfolge.
Auf Basis des von der OECD entwickelten Ansatzes
kann künftig nicht nur eine international einheitliche,
sondern auch eine zielgenauere Gewinnermittlung erfol-
gen. Deutschland erhält somit bessere Möglichkeiten, die
Gewinne deutscher Betriebsstätten ausländischer Unter-
nehmen zu korrigieren und seine Besteuerungsrechte zu
wahren.
Wie schon angedeutet: Die Annahme, dass die bisher
teilweise angewandten indirekten Gewinnaufteilungsme-
thoden, die auch nach dem alten DBA mit Irland zuläs-
sig waren, besser als die Gewinnaufteilung nach Fremd-
vergleichsgrundsätzen zur Eindämmung aggressiver
Steuerplanung geeignet seien, trifft nach Auffassung der
Fachleute in der Finanzverwaltung nicht zu. Dies ist auf
Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Gesamtgewinns
eines Unternehmens, der Festlegung eines zutreffenden
pauschalen Aufteilungsmaßstabes und der Berücksichti-
gung von Verlusten anderer Unternehmensteile zurückzu-
führen. In der Vergangenheit boten die indirekten Gewin-
naufteilungsmethoden offensichtlich keinen wirksamen
Schutz vor den Steuergestaltungen der Unternehmen. Ich
habe die Erwartung, dass das geänderte Doppelbesteue-
rungsabkommen mit Irland aufgrund der Anwendung des
Authorized OECD-Approaches zu einer besseren gren-
züberschreitende Aufteilung von Besteuerungsgrundla-
gen zwischen Betriebsstätten und den Mutter-Unterneh-
men führen wird. Deshalb stimmen wir dem – Achtung:
„Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur
Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermei-
dung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der
Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein-
kommen und vom Vermögen“ auch zu.
Richard Pitterle (DIE LINKE): Wie schön wäre es
doch, wenn hehren Worten auch einmal handfeste Taten
folgen würden. Alle paar Wochen gelobt der Bundesfi-
nanzminister, dass man für mehr Steuergerechtigkeit sor-
gen werde, dass man Steuerumgehung bekämpfen werde,
dass man es großen internationalen Konzernen wie Ap-
ple, Google und Konsorten bald unmöglich mache, ihre
Gewinne ins Ausland zu verlagern, und dass man sie auf
diesem Wege endlich dazu bringe, hierzulande die ihrem
Gewinn tatsächlich angemessenen Steuern zu zahlen.
Nur leider, leider, Sie ahnen es schon: Es folgen keine
handfesten Taten. Die Beteuerungen der Bundesregie-
rung sind mal wieder nichts als heiße Luft. Schlimmer
noch, Sie, meine Damen und Herren von der Bundesre-
gierung, machen mit dem hier vorgelegten Gesetzent-
wurf sogar eher das Gegenteil und erleichtern Steuerum-
gehung. Das lässt die Linke ihnen so nicht durchgehen.
Folgendes haben Sie vor: Mit dem Gesetzentwurf
streichen Sie eine ganz bestimmte Regelung im Doppel-
besteuerungsabkommen zwischen der Republik Irland
und Deutschland. Bisher gab es nach Artikel 7 Absatz 4
des Abkommens die Möglichkeit, den Gewinn einer be-
stimmten Betriebsstätte durch Aufteilung der Gesamtge-
winne eines Unternehmens zu ermitteln. Im Klartext heißt
das Folgendes: Macht ein Unternehmen hierzulande gro-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512750
(A) (C)
(B) (D)
ßen Reibach, zahlt dafür hier aber kaum Steuern, weil der
Hauptsitz in Irland ist, so kann man den in Deutschland
anfallenden Gewinn aus dem Gesamtgewinn des Unter-
nehmens herausrechnen und hier besteuern. Das wäre
nur gerecht, denn Steuern müssen dort gezahlt werden,
wo die Wertschöpfung stattfindet.
Also, meine Damen und Herren von der Bundesre-
gierung, wieso streichen Sie diese Regelung? Sie spielen
Apple und Co. in die Karten und das sehenden Auges.
Mit der Bekämpfung von Steuerumgehung hat das nichts
zu tun.
Ihr Verweis darauf, dass Sie mit dem heutigen Ge-
setz das Doppelbesteuerungsabkommen an den neuesten
OECD-Standard anpassen, ist keine Entschuldigung und
schon gar keine Verbesserung. Zwar soll auch der neue
OECD-Standard auf dem Papier der Verhinderung von
Steuerumgehung dienen, Sie lassen dabei aber einfach
unter den Tisch fallen, dass der neue Standard innerhalb
der Staatengemeinschaft hoch umstritten ist und teil-
weise sogar die Befürchtung besteht, dass er zusätzliche
Möglichkeiten zur Gewinnverschiebung zwischen Staa-
ten und somit zur Steuerumgehung bietet.
Auch an einer anderen Stelle machen Sie, meine Da-
men und Herren von der Bundesregierung einen leider
alles andere als kompetenten Eindruck: Auf eine Anfrage
der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen erklären
Sie, dass Ihre Streichung der bisherigen Regelung nicht
dazu führen würde, dass Deutschland künftig ein Instru-
ment zur effektiven Besteuerung internationaler Kon-
zerne fehlt. In derselben Anfrage erklären Sie aber auch,
dass Sie überhaupt nicht wissen, ob und in wie vielen
Fällen die bisherige Regelung jemals angewandt wurde.
Das ist schon ein starkes Stück. Sie geben offen zu, keine
Kenntnis von der möglicherweise sehr guten Wirksam-
keit einer Regelung zur Bekämpfung der Steuerumge-
hung zu haben, schaffen Sie aber einfach ab.
So macht man keine seriöse Steuerpolitik. Die Lin-
ke wird dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, denn im
Gegensatz zur Bundesregierung nehmen wir den Kampf
gegen Steuerumgehung ernst. Wenn Großkonzerne wie
Apple und Co. hierzulande satte Gewinne einfahren,
dann müssen diese auch besteuert werden. Alles andere
geht zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aus
der Mitte der Gesellschaft, und das ist mit der Linken
nicht zu machen!
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie ver-
passen es mit der übereilten Anpassung des Doppelbe-
steuerungsabkommens mit Irland, ein Zeichen gegen die
Praxis internationaler Konzerne zu setzen, die in Europa
Steuersonderregime nutzen, um ihre Steuerlast so weit es
geht zu senken.
Gerade Irland hat in der Vergangenheit durch Steu-
ergeschenke versucht, internationale Unternehmen an-
zusiedeln. Zwar ist das Ende der schädlichsten Steu-
erpraktik vielleicht in der gesamten EU besiegelt. Der
sogenannte Double Irish wurde 2014 von der irischen
Regierung abgeschafft. Aber es gibt Übergangsregelun-
gen bis ins nächste Jahrzehnt, und es wurde bereits ange-
kündigt, dass Irland stattdessen eine Patentbox schaffen
wird. Statt über das Konstrukt des Double Irish, also über
zwei irische Tochterunternehmen, Gewinne nahezu un-
versteuert in wirkliche Steuersümpfe wie die Cayman-Is-
lands zu schaffen, dürfen internationale Konzerne also
mit Rabatten auf geistiges Eigentum rechnen. Das ist
kaum besser und ebenfalls sehr gestaltungsanfällig. Auch
diese Konstrukte lehnen wir als Fraktion vehement ab.
Aber mit Apple und Google haben die amerikanischen
Konzerne die Geschenke Irlands dankend angenommen,
die bei der Praxis der legalen Steuervermeidung als ne-
gatives Musterbeispiel dienen können, und sie stehen
bei weitem nicht alleine da. Durch die Änderung des
bestehenden Artikel 7 im Doppelbesteuerungsabkom-
men der Bundesrepublik mit Irland und die damit ver-
bundene Anpassung des Artikels an das 2010 reformierte
OECD-Musterabkommen gibt die Bundesregierung eine
Möglichkeit aus der Hand, diesen Praktiken der interna-
tionalen Steuervermeidung Einhalt zu gebieten.
Auch wenn die Bundesregierung sich auf die Imple-
mentierung internationaler Standards beruft, so muss ich
mit meiner Fraktion hier feststellen, dass dieser interna-
tionale Standard an der Stelle eine Verschlechterung zum
Status quo darstellt. Ich kann das sehr anschaulich ma-
chen an einem Passus, der aus dem bisher gültigen Ab-
kommen gestrichen werden soll – ich zitiere –: „Soweit
es in einem Vertragsstaat üblich ist, die einer Betriebs-
stätte zuzurechnenden Gewinne durch Aufteilung der
Gesamtgewinne des Unternehmens auf seine einzelnen
Teile zu ermitteln, schließt Absatz 2 nicht aus, dass dieser
Vertragsstaat die zu besteuernden Gewinne nach der übli-
chen Aufteilung ermittelt; die Gewinnaufteilung muss je-
doch derart sein, dass das Ergebnis mit den Grundsätzen
dieses Artikels übereinstimmt.“ Statt wie bisher Gewinn-
aufteilung, also Unitary Taxation, als Grundlage der Be-
steuerung für Betriebsstätten zu nutzen, wird das Fremd-
vergleichsprinzip in dem Doppelbesteuerungsabkommen
mit Irland implementiert, und das ist sehr viel anfälliger
für schädliche Steuervermeidungsmethoden.
Die Bundesregierung und die Große Koalition neh-
men also deutschen Steuerbehörden aktiv ein Mittel,
mit denen sie negative Steuergestaltungen verhindern
könnten. Die Reden der Minister Schäuble und Gabriel
für den Kampf gegen internationale Steuervermeidung
sind damit reine Sonntagsreden und als Schönfärberei
entlarvt. Die Bundesregierung muss sich an ihrem Han-
deln messen lassen, und hier versagt sie. Wir lehnen die
geplante Änderung am Doppelbesteuerungsabkommen
mit Irland ab.
Anlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än-
derung des Lebensmittelspezialitätengesetzes (Ta-
gesordnungspunkt 23)
Alois Rainer (CDU/CSU): Mit der vorliegenden
Gesetzesänderung zum Ersten Gesetz zur Änderung des
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12751
(A) (C)
(B) (D)
Lebensmittelspezialitätengesetzes gehen wir auf die Ver-
ordnungen 1151/2012 des Europäischen Parlaments und
des Europäischen Rates vom 21. November 2012 ein. Im
Einzelnen sind die Qualität und die Vielfalt der Erzeu-
gung in der Landwirtschaft, der Fischerei und der Aqua-
kulturen der Europäischen Union in ihrer jeweiligen Art
und Stärke zu erhalten und der Wettbewerbsvorteil der
Union weiter auszubauen.
Ein weiterer Punkt ist, dass die Verbraucherinnen
und Verbraucher insbesondere in Deutschland zum ei-
nen über die Qualität von Produkten informiert werden
möchten und zum anderen zunehmend Qualitätserzeug-
nisse sowie traditionelle Erzeugnisse verlangen. Dadurch
entsteht eine Nachfrage nach Agrarerzeugnissen oder Le-
bensmitteln mit bestimmbaren besonderen Merkmalen,
insbesondere solchen, die eine Verbindung zu ihrem geo-
grafischen Ursprungs aufweisen.
Erzeuger können nur dann weiterhin hochwertige Pro-
dukte und Qualitätserzeugnisse herstellen, wenn sie da-
für entsprechend und angemessen entlohnt werden. Des-
halb ist gerade mit Blick auf „Labellisierung“ im Markt
wichtig, dass die Erzeugnisse auf dem Markt sachgemäß
kenntlich gemacht werden. Käufer und Verbraucher soll-
ten sich im Rahmen eines fairen Wettbewerbs über die
Merkmale ihres Erzeugnisses informieren können.
Ein wesentliches Ziel des Gesetzes ist, die Erzeuger
von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln dabei zu un-
terstützen, Käufer und Verbraucher über die Produktei-
genschaften und Bewirtschaftungsmerkmale dieser
Erzeugnisse und Lebensmittel zu unterrichten. So sind
Schwäbische Spätzle, Nürnberger Lebkuchen, Allgäuer
Emmentaler oder Thüringer Rostbratwurst nicht nur weit
über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt, sie sind
darüber hinaus auch besonders geschützt.
Geografische Angaben und Ursprungsbezeichnun-
gen sowie auch garantiert traditionelle Spezialitäten
für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel
können durch EU-Recht geschützt werden. Die EU-Gü-
tezeichen „g.U.“ (geschützte Ursprungsbezeichnung),
„g.g.A.“ (geschützte geografische Angabe) und „g.t.S.“
(garantiert traditionelle Spezialität) wurden von der EU
im Jahre 1992 als System zum Schutz und zur Förderung
traditioneller und regionaler Lebensmittelerzeugnisse
eingeführt.
Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Le-
bensmittelspezialitätengesetzes setzt die EU-rechtlichen
Bestimmungen über Qualitätsregelungen in nationales
Recht um. Speziell wird das Verfahren für das Güte-
zeichen „geschützte traditionelle Spezialität – g.t.S.“
entsprechend der EU-Vorgaben angepasst, wonach, wie
gerade geschildert, für den Produktionsprozess entschei-
dend ist, dass dem traditionellen Rezept oder Herstel-
lungsverfahren gefolgt wird.
Damit ist es möglich, eine Sanktionierung bei Verstö-
ßen gegen den Schutzbereich der garantiert traditionel-
len Spezialität umzusetzen. Dies ist insbesondere auch
dann gegeben, wenn ein Hersteller vor der erstmaligen
Vermarktung das Produkt nicht auf die Einhaltung der
Produktspezifikation hat überprüfen lassen.
Weiter soll der neue Begriff „Bergerzeugnis“ einge-
führt werden. Mit Verwendung dieser Qualitätsangabe
dürfen nur Erzeugnisse verwendet werden, bei denen
sowohl Rohstoffe als auch Futter für die Nutztiere über-
wiegend aus Berggebieten stammen. Und im Falle von
Verarbeitungserzeugnissen muss auch die Verarbeitung
in Berggebieten erfolgen.
Carola Stauche (CDU/CSU): Heute beraten wir in
erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes.
Dabei geht es darum, das bestehende nationale Recht an
novelliertes EU-Recht anzupassen. Denn in der EU-Ver-
ordnung Nummer 1151/2012 über Qualitätsregelungen
für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel wurde das Recht
der traditionellen Spezialitäten neu geregelt und die be-
stehende Verordnung aus dem Jahre 2006 aufgehoben.
Entsprechend wurden auch die Umsetzung und Durch-
führung auf EU-Ebene neu geregelt.
Es handelt sich bei dieser Rechtsanpassung zu den
garantiert traditionellen Spezialitäten jedoch nicht etwa
um Schutzvorschriften für Allgäuer Emmentaler oder
Thüringer Rostbratwurst. Diese sind nämlich über die
Herkunftsangaben „geschützte Ursprungsbezeichnung“
und „geschützte geografische Angabe“ abgesichert. Im
vorliegenden Entwurf geht es hingegen vor allem um die
„garantiert traditionellen Spezialitäten“. Dieses Quali-
tätssiegel ergibt sich aus der traditionellen Zusammen-
setzung bzw. dem traditionellem Herstellungsverfahren
eines Produktes und ist nicht an eine bestimmte Region
oder einen bestimmten Ort gebunden. Der heute dis-
kutierte Gesetzentwurf befasst sich vor allem mit dem
Antrags- und Einspruchsverfahren und dem Verbot der
widerrechtlichen Nutzung eines geschützten Namens. In
Deutschland haben wir jedoch bisher kein Produkt, das
nach diesem EU-Standard geschützt ist, da bei uns aus-
schließlich die geografischen Herkunftsangaben genutzt
werden.
Wichtiger ist daher die Einführung des neuen Quali-
tätsbegriffs „Bergerzeugnis“. Hierin sind klare Regeln
vorgesehen, wann ein Produkt als „Bergerzeugnis“ ver-
marktet werden kann. Die wesentliche Produktion muss
in Berggebieten stattfinden: Berggebiete in diesem Sin-
ne sind nach EU-Definition Gebiete, in denen aufgrund
von Höhen- bzw. Hanglage und kurzer Vegetationszeit
Landwirtschaft nur unter erschwerten Bedingungen
praktiziert werden kann. In Deutschland gehören mehr
als 400 000 Hektar Fläche zu den benachteiligten Berg-
gebieten.
Erzeugnisse tierischen Ursprungs können künftig als
„Bergerzeugnis“ vermarktet werden, wenn die betreffen-
den Tiere mindestens in den letzten beiden Dritteln ihrer
Lebenszeit in den genannten Berggebieten aufgezogen
und die Erzeugnisse in Berggebieten verarbeitet werden.
Spezielle Regelungen sind vorgesehen für Wandertiere
und Futtermittel.
Imkereierzeugnisse dürfen als Bergerzeugnis be-
zeichnet werden, wenn die Bienen Nektar und Pollen
ausschließlich in Berggebieten gesammelt haben. Ver-
fütterter Zucker muss nicht aus Berggebieten stammen.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512752
(A) (C)
(B) (D)
Gegenteiliges wäre auch nicht zu realisieren, da Zucker-
produktion in Berggebieten nicht vorhanden ist.
„Bergerzeugnis“ und „garantiert traditionelle Spezi-
alität“, „geschützte Ursprungsbezeichnung“ und „ge-
schützte geografische Spezialität“: All diese Gütesiegel
haben den Sinn, gewachsene Traditionen in der Lebens-
mittelherstellung zu fördern, traditionelle Qualität zu
schützen und Vermarktungsmöglichkeiten zu fördern.
Ich bin der Meinung, dass hier ein bewährtes Konzept
sinnvoll weiterentwickelt wird und unsere erfolgreiche
und verdienstvolle Land- und Ernährungswirtschaft auch
weiterhin nach Kräften unterstützt wird.
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Der Qualitätsan-
spruch von Verbraucherinnen und Verbrauchern bei fri-
schen und verarbeiteten Lebensmitteln ist in den letzten
Jahren merklich gestiegen. Immer mehr Menschen wol-
len wissen, woher die Produkte stammen, für die sie im
Supermarkt ihr Geld ausgeben. Sie wollen wissen, wo
sie erzeugt und wie sie hergestellt wurden. Das gilt für
ausgewiesene Lebensmittelspezialitäten umso mehr.
Das wachsende Informationsbedürfnis der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher hat dazu geführt, dass wir es
heute im Verbraucheralltag mit einer Fülle von Labels
und Auszeichnungen zu tun haben. Das Internetportal der
Verbraucherinitiative „Label-Online“ hat in der Katego-
rie „Essen und Trinken“ inzwischen 160 verschiedene
Kennzeichnungen gesammelt und bewertet.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der La-
bellandschaft nun eine weitere Produktkennzeichnung
hinzugefügt: das Qualitätsmerkmal „Bergerzeugnis“. So
hat es die EU in ihrer neuen Verordnung über Qualitäts-
regelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel vor-
gesehen. Mit dem Begriff „Bergerzeugnis“ dürfen damit
künftig nur noch solche Lebensmittel beworben werden,
die den in der Verordnung gesetzlich definierten Anfor-
derungen entsprechen.
Ich begrüße es außerordentlich, dass die Bergwirt-
schaft durch diese neue Regelung die Möglichkeit erhält,
Verbraucherinnen und Verbraucher auf die besondere re-
gionale Herkunft ihrer Erzeugnisse hinzuweisen.
Bergbauern und Verarbeiter in Bergregionen stellen
ihre Produkte oft unter beschwerlichen Bedingungen und
zu vergleichsweise hohen Produktionskosten her. Mit der
Einführung des neuen Qualitätsbegriffs können sie ihre
Produkte nun gezielt bewerben und Vermarktungslücken
besser nutzen.
Als Verbraucherpolitikerin ist es mir bei neuen Kenn-
zeichnungen aber immer auch wichtig, dass den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern bewusst ist, welche Bedeu-
tung sich hinter dem Begriff tatsächlich verbirgt. Daher
möchte ich die Gelegenheit nutzen, die zentralen Defini-
tionskriterien hier wiederzugeben.
Für Eier und Milch darf die Bezeichnung „Berger-
zeugnis“ dann genutzt werden, wenn die Tiere, von de-
nen sie stammen, in Berggebieten gehalten werden und
ihr Futter überwiegend in den Bergen angebaut wurde –
bei Legehennen zu mindestens 50 Prozent, bei Milchkü-
hen zu mindestens 60 Prozent.
Beim Fleisch müssen die Tiere die letzten zwei Drittel
ihres Lebens in Berggebieten verbracht haben. Für Wan-
derherden gelten Ausnahmen. Der erlaubte Anteil des zu-
gekauften Futters variiert dabei zwischen 40 Prozent bei
Rindern und 75 Prozent bei Schweinen.
Verarbeitete Erzeugnisse dürfen „Bergerzeugnis-
se“ heißen, sofern nicht mehr als 50 Prozent der Zuta-
ten sowie Kräuter, Gewürze und Zucker außerhalb von
Berggebieten stammen. Die Verarbeitung von Milch und
Fleisch von Berggebieten kann auch in bis zu 30 Kilome-
ter Umgebung der Berggebiete erfolgen.
Es steht außer Frage, dass klar definierte Begrifflich-
keiten und unabhängig geprüfte Label den Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern eine wichtige Orientierungshil-
fe bieten. Gute Beispiele hierfür sind das EU-Biosiegel
oder die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung.
Wie wichtig geschützte Angaben zur Herkunft auch
für die Landwirtschaft sind, zeigte sich nicht zuletzt in
der aktuellen Debatte um die Freihandelsabkommen
TTIP und CETA mit den USA und Kanada.
Wenn wir allein auf niedrige Preise setzen, um kon-
kurrenzfähig zu bleiben, werden wir mit unseren land-
wirtschaftlichen Produkten im internationalen Wettbe-
werb nicht bestehen können. Es ist die hohe Qualität, die
Verbraucherinnen und Verbraucher weltweit mit Produk-
ten europäischer Herkunft verbinden, die die Position
unserer Landwirtschaft auf dem Weltmarkt stark macht.
Bereits 1992 hat die EU mit der Einführung der drei
EU-Gütesiegel zur geschützten Ursprungsbezeichnung,
zur geschützten geografischen Angabe und zur garantiert
traditionellen Spezialität diesem Gedanken Rechnung
getragen.
Die Idee, die hinter diesen Gütesiegeln steht, ist so
löblich wie die Idee, einen neuen Qualitätsbegriffs zu
entwickeln: Die Erzeuger sollen bei der regionalen Ver-
marktung ihrer Produkte unterstützt werden. An dem Er-
gebnis könnten wir aber noch ein wenig arbeiten.
Der Erfolg von Herkunftslabeln und Qualitätssiegeln
muss sich in der Praxis daran messen lassen, ob die Er-
wartungen, die sie bei Verbraucherinnen und Verbrau-
chern erzeugen, der Realität standhalten. Aus Erzeuger-
sicht sind die Glaubwürdigkeit und der Bekanntheitsgrad
ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Die EU-Gütezeichen sind indes nur einer kleinen Min-
derheit bekannt. Einer Studie der Georg-August-Uni-
versität Göttingen zufolge haben nur 15,7 Prozent der
Befragten das Siegel zur geschützten geografischen
Angabe – das meist genutzte unter den drei Siegeln –
überhaupt schon einmal auf einem Lebensmittel be-
merkt. Angaben zur Bedeutung des Zeichens konnten
lediglich knapp 12 Prozent der Befragten machen. Das
Gütezeichen zu traditionellen Spezialitäten besitzt in
Deutschland scheinbar sogar so wenig Attraktivität, dass
es hierzulande bislang für kein Produkt beantragt wurde.
Auch hinsichtlich ihrer Aussagekraft zeigen die Güte-
siegel Schwächen auf. Über die Hälfte der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher meint, dass für die Thüringer
Rostbratwurst nur Fleisch verarbeitet werden darf, das
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12753
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(B) (D)
aus Thüringen kommt. Ebenso unbefriedigend fällt das
Ergebnis der Umfrage im Hinblick auf den Schwarz-
wälder Schinken aus. Hier glauben 56 Prozent der Men-
schen, dass das Fleisch für den Schinken von Tieren aus
dem Schwarzwald kommen muss.
Die Zukunft wird zeigen, wie sich der nun zusätzlich
zu den EU-Gütezeichen eingeführte Qualitätsbegriff
„Bergerzeugnis“ in der Praxis bewährt und ob er von der
Wirtschaft und den Verbraucherinnen und Verbrauchern
angenommen wird.
Karin Binder (DIE LINKE): Informationen über die
Herkunft von Lebensmitteln sind für die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher von hoher Bedeutung. Kundin-
nen und Kunden sind gern bereit, 20 Prozent mehr für
Produkte aus regionaler Erzeugung zu zahlen. Oder sie
knüpfen bestimmte Erwartungen an Spezialitäten, die
aus einer bestimmten Region kommen oder nach tradi-
tionellem Rezept hergestellt wurden. Verbraucherinnen
und Verbraucher wollen damit das regionale Handwerk,
die Kleinbauern und die Lebensmittelvielfalt stärken und
eben nicht den Einheitsbrei der Lebensmittel-Industrie.
Leider kann das Lebensmittelspezialitätengesetz, das
jetzt auf Grund einer entsprechenden EU-Verordnung ge-
ändert werden soll, diesem Anspruch nicht gerecht wer-
den. Es trägt sogar zur Täuschung der Verbraucherinnen
und Verbraucher bei.
Beispiel Schwarzwälder Schinken: Trotz der Anga-
be „geschützte geografische Angabe“ mit blauem Logo
kommt der Schinken in der Regel nicht aus dem Schwarz-
wald. Nur jede zehnte der Schweinekeulen kommt über-
haupt aus Baden-Württemberg. 90 Prozent des Fleisches
werden möglichst billig auf dem Weltmarkt zusammen-
gekauft. Das Produkt darf sich dennoch Schwarzwälder
Schinken nennen, weil die globalen Schweinekeulen im
Ländle geräuchert und verpackt werden.
Dabei soll das Ziel des Gesetzes im Sinne der EU-Vor-
gaben sein, „fairen Wettbewerb für Landwirte und Er-
zeuger von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln mit
wertsteigernden Merkmalen und Eigenschaften“ sowie
zuverlässige Informationen für Verbraucherinnen und
Verbraucher zu gewährleisten.
Ich sage: Wer Schweinekeulen global zusammen-
kauft, um sie im Schwarzwald zu räuchern, nützt weder
den heimischen Landwirten noch einem fairen Wettbe-
werb und damit auch nicht den Verbrauchern. Das ist rei-
ne Profitmacherei.
Immerhin gibt es das Logo der „geschützten Ur-
sprungsbezeichnung“, das sich von dem oben genann-
ten Logo lediglich in der Farbe unterscheidet. Ich frage
mich, wie viele Verbraucherinnen und Verbraucher in
Europa diesen Unterschied kennen.
Die geschützte Ursprungsbezeichnung mit dem roten
Logo garantiert, dass die Erzeugung, Verarbeitung und
Herstellung eines Erzeugnisses in einem bestimmten
geografischen Gebiet nach festgelegten Verfahren erfolgt
und sämtliche Produktionsschritte in dem betreffenden
Gebiet erfolgen müssen. Das trifft zum Beispiel auf den
Allgäuer Emmentaler zu. Aber nicht auf einen Holsteiner
Tilsiter Käse, dessen blaues Logo ahnen lässt, dass die
Milch sonstwo herkommt, aber nicht von der norddeut-
schen Küste. Dann gibt es noch die „garantiert traditi-
onelle Spezialität“, ein drittes Logo, auch dies in Blau,
jedoch schlichter gestaltet. Hierbei wird lediglich ein
traditionelles Rezept gekennzeichnet, beispielsweise für
Mozzarella.
Diese Beispiele zeigen die gesetzlich zulässige Ver-
wirrung. Hinzu kommt die gezielte Werbung mit ähnlich
klingenden, aber ungeschützten Begriffen, um die Ver-
braucherinnen und Verbraucher an der Nase herumzufüh-
ren. Ich frage Sie: wer hat beim Einkaufen die Zeit und
die Möglichkeit, sich in die Tiefen einer EU-Verordnung
einzulesen, bevor er oder sie ins Käseregal greift?
Neu hinzugekommen ist jetzt der Begriff „Berger-
zeugnis“. So etwas kann sinnvoll sein; denn bestimmte
Lebensmittel erhalten ihren typischen oder auch beson-
ders intensiven Geschmack eben aus den Bergregionen.
Doch auch bei diesen Fleisch- und Milchprodukten müs-
sen Verbraucherinnen und Verbraucher Abstriche ma-
chen: Die meisten Tiere verbringen nur einen Teil ihres
Lebens am Berg, und auch das Viehfutter stammt meist
nur anteilig aus der Bergregion.
Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher ist
diese Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes
kaum ein Gewinn. Auch kleine Landwirtschaftsbetriebe
oder das örtliche Lebensmittelhandwerk werden damit
nicht wirklich gestärkt.
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich bei der
EU dafür einzusetzen, das irreführende blaue Logo der
vermeintlich „geschützten geografischen Angabe“ abzu-
schaffen. Angaben wie „Regional“ müssen endlich ge-
setzlich geschützt werden, so wie es bei „Bio“ längst der
Fall ist.
Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver-
braucherinnen und Verbraucher vertrauen immer stärker
auf frische Lebensmittel, die vor ihrer Haustür wachsen,
entstehen und verarbeitet werden: Die Nachfrage nach
regionalen Lebensmitteln steigt stetig. Davon können
Betriebe bäuerlicher Landwirtschaft, lokale Verarbeiter,
das Lebensmittelhandwerk und Versorger vor Ort profi-
tieren. Gleichzeitig erhalten Wertschöpfungsketten vom
Hof auf unsere Teller die Vielfalt traditioneller Produkte,
aber auch Arbeitsplätze auf dem Land. Es ist unsere Auf-
gabe, hier die richtigen Weichen zu stellen, um diesen
Trend zu stärken.
Wenn wir im Supermarkt klar erkennen können, wo-
her unser Essen kommt, können wir Politik mit dem
Einkaufswagen machen. Denn wenn wir uns für Lebens-
mittel aus der Region entscheiden, bleibt unser Geld in
der Region. Die europäische Verordnung über Quali-
tätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel
schlägt hier einen ganz richtigen Weg ein: Sie regelt den
Herkunftsschutz und die Kennzeichnung traditioneller
Spezialitäten in der EU.
Falls Sie jetzt kein Siegel vor Augen haben, geht es
Ihnen wie den meisten Menschen in Deutschland. Denn
die Kennzeichnung „geschützte Ursprungsbezeichnung“,
„geschützte geografische Angabe“ oder auch „garantiert
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512754
(A) (C)
(B) (D)
traditionelle Spezialität“ werden hierzulande kaum ver-
wendet. Nur elf Produkte, hauptsächlich Käse, Fleisch
und Wein, sind in Deutschland geschützten Ursprungs.
Kein einziges Lebensmittel trägt das Gütezeichen „ga-
rantiert traditionelle Spezialität“ – und um genau das
geht es bei der heutigen Anpassung des Lebensmittelspe-
zialitätengesetzes an EU-Recht.
Wieso wird denn das europäische Gütezeichen „ga-
rantiert traditionelle Spezialität“ in Deutschland nicht
verwendet? Zunächst einmal: Weil es niemand kennt.
Den Erzeugern und Produzenten bringt es rein gar nichts,
mit einem hierzulande unbekannten Siegel zu werben.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher übersehen es im
Supermarkt schlicht und ergreifend.
Aber auch wenn sie das runde gelb-blaue Siegel er-
kennen sollten: Die „geschützte traditionelle Spezialität“
hält nicht, was sie verspricht. Sie umfasst nämlich nur
die Zusammensetzung des Produkts, also die Rezeptur,
die Herstellungs- oder Verarbeitungsverfahren – nicht
aber den Herkunftsort. So sind zum Beispiel die Pizza
Napoletana oder der Serrano-Schinken geschützt, müs-
sen aber nicht notwendigerweise aus Italien oder Spanien
stammen.
Um regionale Wertschöpfung zu stärken, ist aber eine
konsequente und für die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher leicht verständliche Kennzeichnung von Lebensmit-
teln Grundvoraussetzung. Diese Kennzeichnung muss
sowohl die Herstellungsweise der Produkte umfassen,
also beispielsweise traditionelle handwerkliche Verfah-
ren oder Rezepturen, wie auch die Erzeugung, Produkti-
on und sogar die Futtermittel.
Das Lebensmittelspezialitätengesetz allein kann das
nicht leisten. Hier muss die Bundesregierung endlich tä-
tig werden: mit einer bundesweiten Regionalkennzeich-
nung, die verpflichtend kenntlich macht, was mit dem
Werbeslogan „aus der Region“ gemeint ist. Nur so kön-
nen wir nichtssagende Industriesiegel loswerden.
Gleichzeitig brauchen wir bessere Förderung und Be-
ratung, um den vielen Regionalinitiativen den Rücken
zu stärken. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur
Verbesserung der Agrarstruktur und im Rahmen eines
Bundesprogrammes Regionalvermarktung müssen wir
den Auf- und Ausbau regionaler Wirtschaftskreisläufe
stärken. Nur so können wir die Vielfalt des traditionellen
Essens vor Ort erhalten und kleineren landwirtschaftli-
chen Betrieben und dem Lebensmittelhandwerk eine Zu-
kunft aufzeigen.
Anlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung
der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen
der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung
der entsprechenden Vorgaben der Verordnung
(EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschluss-
prüfung bei Unternehmen von öffentlichem Inter-
esse (Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz-APA-
ReG) (Tagesordnungspunkt 24)
Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Erstens. Die
EU-Kommission hat im Jahr 2010 unter dem Eindruck
der Finanzkrise und im Zusammenhang mit der Finanz-
marktregulierungsreform ein Grünbuch zur Aufarbeitung
der Rolle der Abschlussprüfer in der Finanzmarktkrise
erarbeitet. Auf diesem Grünbuch aufbauend hat sie eine
Richtlinie und eine Verordnung vorgeschlagen, die am
16. April 2014 durch das Europäische Parlament und den
Rat erlassen wurden.
Zweitens. Ziel dieser Regelungsvorschläge ist eine
Verbesserung der Qualität der Abschlussprüfungen so-
wie eine Steigerung der Aussagekraft des Prüfungser-
gebnisses. Darüber hinaus soll der wesentlich von großen
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bediente Markt der
Abschlussprüfungen bei Unternehmen von öffentlichem
Interesse auch für „kleinere“ Abschlussprüfer geöffnet
werden.
Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen wir die-
se Ziele ausdrücklich. Sie stärken den Wettbewerb. Der
Jahresabschluss ist die wichtigste Informationsquelle für
ein Unternehmen. Die Dokumentation der Vermögens-,
Finanz- und Ertragslage zum Bilanzstichtag ist Basis für
Planungen und künftige Entscheidungen des Unterneh-
mens und der Anteilseigner. Weiterhin wird das Ergebnis
des Jahresabschlusses von Banken und anderen Gläubi-
gern als Kriterium für eine Kreditvergabe herangezogen.
Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Jah-
resabschluss ordnungsgemäß geprüft wird.
Heute geht es um die Umsetzung der aufsichts- und
berufsrechtlichen Regelungen der EU-Vorschriften. Dazu
hat das Bundeswirtschaftsministerium das Abschlussprü-
feraufsichtsreformgesetz, kurz das APAReG, vorgelegt.
Drittens. Was sind die wichtigsten Inhalte dieses Ge-
setzes?
Die einschneidendste Veränderung durch das APA-
ReG betrifft wohl die Abschlussprüferaufsichtskommis-
sion, kurz APAK. Durch die Einrichtung der APAK im
Jahr 2004 wurden Abschlussprüfer, die gesetzlich vorge-
schriebene Abschlussprüfungen vornehmen, unter eine
letztverantwortliche, berufsstandsunabhängige Aufsicht
gestellt. Die Aufsicht soll die Qualität, Unabhängigkeit
und Integrität des Prüferberufes stärken.
Diese Ziele hat die APAK in den letzten zehn Jahren
erreicht. Die APAK genießt international im Kreise der
Aufsichtsbehörden über Abschlussprüfer einen sehr gu-
ten Ruf. Bei einem Gespräch in der letzten Woche haben
mir Vertreter der kanadischen Wirtschaftsprüferaufsicht
die gute Reputation der APAK bestätigt.
Im Zuge der Reform der Aufsicht durch das APAReG
soll die Leistungsfähigkeit der APAK erhalten bleiben.
Aufgrund der EU-Vorschriften muss aber die Struktur der
APAK geändert werden. Bisher handelt es sich bei der
APAK um eine nicht rechtsfähige Personengemeinschaft
eigener Art. Die EU-Vorschriften sehen im Bereich der
Inspektionen eine berufsstandsunabhängige Behörde vor.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12755
(A) (C)
(B) (D)
Die APAK kann diese Aufgaben aufgrund ihrer
Rechtsform daher zukünftig nicht mehr wahrnehmen.
Sie wird durch das APAReG aufgelöst. Ihre Aufgaben
werden auf die neu zu schaffende Abschlussprüferauf-
sichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr-
kontrolle, kurz APAS, übertragen.
Als zweiter zentraler Punkt soll durch das APAReG
die Selbstverwaltung der Wirtschaftsprüfer in der Wirt-
schaftsprüferkammer, der WPK, soweit wie möglich er-
halten bleiben. Das ist gut. Die berufsständische Selbst-
verwaltung entlastet den Staat und ist Ausprägung des
Selbstverständnisses der Freien Berufe. Wir sehen die
Selbstverwaltung als ein wichtiges Element einer frei-
heitlichen Ordnungspolitik an.
Weiterhin soll die präventive Berufsaufsicht neu ge-
ordnet werden. Es werden Regelungen zur Abgrenzung
und Abstimmung von Inspektionen und Qualitätskontrol-
le geschaffen. Darüber hinaus wird es bezogen auf die
Ermittlungsergebnisse der Qualitätskontrolle zukünftig
kein allgemeines Verwertungsverbot mehr für die Be-
rufsaufsicht durch die WPK geben.
Das APAReG enthält zudem neue bzw. strengere be-
rufsrechtliche Regelungen, zum Beispiel betreffend das
Qualitätssicherungssystem, die Unabhängigkeitsanfor-
derungen und die Dokumentationspflichten.
Außerdem werden durch das APAReG die Berufsauf-
sicht und das berufsgerichtliche Verfahren neu geregelt.
Die Zuständigkeit der WPK und des BAFA für berufsauf-
sichtliche Maßnahmen wird auf schwere Berufspflicht-
verletzungen erstreckt. Die Rechtsschutzmöglichkeiten
der Berufsangehörigen werden ausgeweitet.
Des Weiteren wird das System der Teilnahmebeschei-
nigung abgeschafft. Das entspricht den Forderungen
vieler kleiner und mittlerer Wirtschaftsprüfungsgesell-
schaften. Nach dem Regierungsentwurf soll es durch ein
Anzeige- und Registrierungsverfahren ersetzt werden.
Darüber hinaus wird der Kontrollzyklus im Rahmen der
Qualitätskontrolle allgemein und im Rahmen der Ins-
pektionen für Prüferpraxen, die kleine und mittlere Un-
ternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, auf sechs
Jahre verlängert.
Schließlich wird für die vereidigten Buchprüfer eine
verkürzte Prüfung zum Wirtschaftsprüfer eingeführt.
Viertens. Ich denke, dass es sich beim APAReG um
eine solide Umsetzung der europäischen Vorgaben han-
delt. Doch nach der Maßgabe: „Es verlässt kein Gesetz
den Bundestag, wie es hereinkommt“, werden wir uns im
parlamentarischen Verfahren einige Punkte noch genauer
anschauen. Beispielhaft seien folgende erwähnt:
Erstens die Registrierungspflicht, die im Regierungs-
entwurf anstatt einer Teilnahmebescheinigung vorge-
sehen ist. Durch eine solche Registrierungspflicht wird
möglicherweise erneut Bürokratie aufgebaut, die mit
der Abschaffung der Teilnahmebescheinigung wegfallen
sollte.
Zweitens die Intensität der Qualitätskontrollprüfun-
gen. Es ist für uns wichtig, dass sich diese am Umfang
der Geschäftstätigkeit der Praxen orientiert. Es muss
sichergestellt sein, dass kleine und mittlere Wirtschafts-
prüfungsgesellschaften nicht durch umfassende Quali-
tätskontrollprüfungen überfordert werden.
Drittens die Aufsicht über die Qualitätskontrollprüfer
durch die APAS. Eine solche Regelung ist in der Richt-
linie nicht vorgesehen und kann zu mehr Bürokratie bei
den Qualitätskontrollprüfern führen.
Fünftens. Insgesamt soll durch das APAReG das Ver-
trauen in den wichtigen Berufsstand der Abschlussprüfer
nach der Finanzkrise weiter gestärkt werden. Der Groß-
teil der Wirtschaftsprüfer prüft sehr gewissenhaft, und
das Amt genießt in Deutschland ein hohes Ansehen.
Damit das so bleibt, möchte ich hier aber auch an den
Berufsstand selbst appellieren: Bitte verlieren Sie sich
nicht in internen Streitigkeiten. Diese können dem ge-
samten Berufsstand und damit auch Ihnen selbst schaden.
Lassen Sie uns das APAReG gemeinsam so abschließen,
dass es die EU-Ziele ausreichend berücksichtigt und den
Berufsstand insgesamt stärkt.
Wichtig für uns ist eine Eins-zu-Eins Umsetzung der
Richtlinie, die Gewährleistung einer funktionierenden
Selbstverwaltung des Berufsstandes und eine mittel-
standsfreundliche Ausgestaltung der Regelungen. Dazu
müssen die Stellschrauben im APAReG an einigen Stel-
len nochmals justiert werden.
Matthias Ilgen (SPD): Infolge der EU-Abschlussprü-
ferreform aus dem Jahr 2014 muss bis Juni 2016 die ge-
änderte Abschlussprüferrichtlinie ins deutsche Recht um-
gesetzt werden. Am 1. Juli 2015 hat die Bundesregierung
dazu den Entwurf eines Abschlussprüferaufsichtsreform-
gesetzes – im Folgenden kurz APAReG – beschlossen.
Dieses müssen wir nun im Bundestag debattieren. Der
Entwurf sieht im Prinzip die „Eins zu eins“-Umsetzung
der europäischen Vorgaben vor und zielt darauf ab, die
Selbstverwaltung der Wirtschaftsprüfer weitestgehend
zu erhalten. Dennoch stehen erhebliche Umstrukturie-
rungen bevor.
Kernelement der Reform ist die Übertragung von
Aufgaben der Abschlussprüferaufsichtskommission und
der Wirtschaftsprüferkammer auf eine neue Abschluss-
prüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle. So werden die derzeit national und in-
ternational anerkannte Aufsichtstätigkeit der APAK so-
wie einzelne Aufgaben der Berufsaufsicht der WPK in
eine eigenständige Abschlussprüferaufsichtsstelle beim
Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle über-
führt.
Zwar erfüllt die APAK bereits jetzt die EU-Anforde-
rungen an Qualifikation und Unabhängigkeit von Leitung
und Mitarbeitern. Sie kann aber die Aufgaben aufgrund
ihrer Rechtsform und Struktur zukünftig nicht mehr
wahrnehmen. Die APAK ist ehrenamtlich tätig, hat keine
Rechtspersönlichkeit und bedient sich zur Erfüllung ihrer
derzeitigen Aufgaben der Mitarbeiter der WPK. Zukünf-
tig ist dies aufgrund der EU-Vorgaben nicht mehr mög-
lich; die berufsstandsunabhängige Aufsicht muss selbst
operativ Aufgaben durch eigene Mitarbeiter wahrneh-
men und Verwaltungsakte erlassen.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512756
(A) (C)
(B) (D)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Einglie-
derung der APAS als eigenständige Stelle in das BAFA
können bestehende Verwaltungsstrukturen im Sinne der
Wirtschaftlichkeit genutzt werden. Gleichzeitig werden
durch die Eigenständigkeit der Stelle die EU-Anforde-
rungen an die Qualifikation und Letztverantwortung der
Leitung erfüllt sowie die Sichtbarkeit und der Erhalt
der „Marke“ APAK/APAS als national und internatio-
nal hoch anerkannte berufsstandsunabhängige Aufsicht
gesichert. Die Kontinuität der bisherigen Aufsicht wird
insbesondere durch eine weitestmögliche gesetzliche
Übernahme des vorhandenen hochqualifizierten Perso-
nals gewährleistet.
Ein zweiter wichtiger Bestandteil des APAReG ist der
weitestmögliche Erhalt der beruflichen Selbstverwal-
tung. Die berufliche Selbstverwaltung hat sich bei den
Wirtschafsprüfern – wie auch bei anderen Freien Beru-
fen – als effektiv und bürokratiearm erwiesen und damit
bewährt. Bereits in den europäischen Verhandlungen hat
sich die Bundesregierung erfolgreich dafür eingesetzt,
dass die Selbstverwaltung des Berufsstandes der Wirt-
schaftsprüfer in die staatliche Aufsichtsaufgabe einge-
bunden werden kann. Soweit es europarechtlich zulässig
ist, wird daher im Wege einer Mitgliedstaatenoption ein
Teil der Aufgaben – unter der Letztverantwortung der
APAS – auf die bestehende Selbstverwaltung der Wirt-
schaftsprüfer in der WPK gesetzlich übertragen.
Nicht zuletzt sieht der Gesetzentwurf – entsprechend
den europäischen Vorgaben – in zahlreichen Punkten
neue oder strengere berufsrechtliche Regelungen, etwa
zum Qualitätssicherungs-System, zu den Unabhängig-
keitsanforderungen an Abschlussprüfer und zu Doku-
mentationspflichten vor. Zu den Verschärfungen im
Berufsrecht gehören die zwingend vorgegebene Sankti-
onierung von Berufsgesellschaften, die Veröffentlichung
von Sanktionen und die Berücksichtigung von bei der
Qualitätskontrolle festgestellten Berufspflichtverletzun-
gen im Berufsaufsichts-verfahren. Zulässige Erleichte-
rungen insbesondere im Rahmen der Qualitätskontrolle
und für mittlere und kleinere Prüferpraxen werden zur
Vermeidung übermäßiger bürokratischer Belastungen
umgesetzt.
Der Entwurf enthält darüber hinaus eine Verbesserung
der Qualität der Abschlussprüfung. Die Neuordnung des
berufsaufsichtlichen Verfahrens soll einer einheitlichen
und zügigen Sanktionierung von Berufspflichtverstößen
und Ausweitung des gerichtlichen Rechtsschutzes die-
nen. Zusätzlich wird für die vereidigten Buchprüfer die
Möglichkeit einer verkürzten Prüfung zum Wirtschafts-
prüfer wieder eingeführt.
Wie in jedem Gesetzgebungsverfahren haben auch
beim APAReG die interessierten Kreise Gelegenheit zur
Stellungnahme erhalten und diese in zahlreichen Gesprä-
chen und einem regen Postverkehr gegenüber mir und
meinen Berichterstatter-Kollegen genutzt. Leider kam es
diesbezüglich wiederholt zu inhaltlich falschen und un-
sachlichen Beiträgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das sollten wir nicht so hinnehmen.
Genauso wie das BMWi verfolgen wir die andauern-
den und zum Teil äußerst unsachlichen und persönlich
diffamierenden Auseinandersetzungen innerhalb des Be-
rufstands der Wirtschaftsprüfer mit Sorge. Im Rahmen
der Rechtsaufsicht über die WPK und die APAK habe
ich – oft gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Matthias
Heider – stets und umfangreich den Dialog mit allen
Vertretern des Berufsstands gesucht, insbesondere auch
mit Verbandsmitgliedern der mittelständischen Wirt-
schaftsprüfung. Dabei haben wir bei allen Beteiligten
für sachorientierte Lösungen und eine konstruktive, zu-
kunftsgerichtete Zusammenarbeit geworben.
Wir erreichen mit diesem Gesetzentwurf, sehr verehr-
te Kolleginnen und Kollegen, das Interesse der EU-Re-
form insbesondere auch für die APAS und die WPK zu
stärken. Für mich steht fest: Eine Schwächung und Be-
schädigung der Abschlussprüferaufsicht hätte auch eine
Schwächung der Finanzmarktaufsicht zur Folge und
könnte die Finanzmarktstabilität und damit das Vertrauen
der Unternehmen, Investoren und internationalen Finanz-
märkte in das deutsche Aufsichtssystem gefährden – und
damit letztendlich dem Wirtschaftsstandort Deutschland
schaden. Hieran ist uns wirklich nicht gelegen.
Klaus Ernst (DIE LINKE): Uns liegt heute das Ab-
schlussprüferaufsichtsreformgesetz, APAReG, zur ersten
Lesung vor, mit dem europäische Verordnungen für Ab-
schlussprüfer und Prüfer von Unternehmen von öffentli-
chem Interesse, PIE, umgesetzt werden sollen.
Wir halten Reformen in diesem Bereich für überfäl-
lig. Wir wissen, dass es bei vielen Wirtschaftsprüfern in
Deutschland brodelt und es in ihren berufsständischen
Organisationen nicht zum Besten steht. Auch halten wir
die Aufsichtsstrukturen in der heutigen Form für unge-
eignet, die Rechtsaufsicht durch die zuständigen Behör-
den für vollkommen zahnlose Tiger. Sie werden den Auf-
gaben in keinster Weise gerecht.
Seit Jahren kommt Kritik aus dem Berufsstand der
Wirtschaftsprüfer selbst. Strukturell ist der Prüfermarkt
hochgradig konzentriert: 90 Prozent der 160 Unterneh-
men aus DAX, MDAX, TecDAX und SDAX werden von
den großen vier Gesellschaften betreut. Betreut heißt bis
heute gleichzeitig beraten und geprüft! Das ist keine Fra-
ge der Kompetenz, auch die EU-Kommission drängt seit
Jahren vergeblich auf eine strikte Trennung von Beratung
und Prüfung sowie effektive Kontrolle und Aufsicht.
Das APAReG jedoch stellt diese Kardinalfehler nicht
ab. Stattdessen werden bestehende Überregulierungen
im Berufsrecht beibehalten und selbständige Wirtschafts-
prüfer und kleine, mittelständische Prüfgesellschaften
behindert. Für sie werden die Qualifizierungsanforde-
rungen und andere bürokratische Hürden sogar erhöht.
Hier zeigt sich konkret, was die immer in Sonntagsreden
betonte mittelstandsfreundliche Politik der CDU/CSU im
Alltag heißt. Ähnlich trist sieht es bei der SPD aus: Sie
versucht nicht einmal, die massiven Ungleichgewichte
zwischen den Big 4 und dem Rest abzubauen und die
vermachteten Märkte aufzubrechen. Die Große Koaliti-
on will sich ganz offensichtlich nicht mit PwC, KPMG,
Deloitte und Ernst &Young anlegen. Warum auch? De-
ren Vertreter haben leichten Zugang in die Ministerien,
schreiben indirekt an Gesetzen mit oder werden als Be-
rater bestellt.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015 12757
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Aber nicht nur in diesem Punkt versagt die Bun-
desregierung mit dem APAReG. Medienberichte über
Lobbyarbeit und Kungelrunden, wie sie zuletzt das
HANDELSBLATT im Zusammenhang von Luxleaks im
Juni 2015 beschrieben hat, sind eine Sache. Eine andere
Sache ist die massive Kritik aus dem Berufsstand selbst
und die unzureichende Lösung des massiven Streits
durch die ministerielle Rechtsaufsicht. Sie wird von vie-
len Wirtschaftsprüfern längst nicht mehr als unabhängig
Kontrolle und möglicher Mediator wahrgenommen. Da
hilft es überhaupt nicht weiter, die Problematik als die
Angelegenheit einer kleinen Krawalltruppe frustrierter
Wirtschaftsprüfer abzutun, die mit haltlosen Unterstel-
lungen Stimmung machen will.
Denn wie spätestens seit 2007 klar geworden sein
sollte, sind trotz bester Prüfberichte und formal korrekter
Bilanzprüfung reihenweise Banken, Versicherungen und
Unternehmen über Nacht insolvent geworden. Die Steu-
erzahlerinnen und Steuerzahler mussten für dieses Versa-
gen von Wirtschaftsprüfer tief in die Tasche greifen.
Selbstverständlich trägt der Berufsstand der Wirt-
schaftsprüfer nicht allein die Schuld an zurückliegenden
Bilanzskandalen und der Krise 2007/08. Viele in Wirt-
schaft und Politik haben gleichermaßen versagt. Genau
deshalb muss an vielen unterschiedlichen Stellen mit
verschiedenen Instrumenten angesetzt werden. Nur so
kann verhindert werden, dass dies noch einmal geschieht.
Dafür aber müssen die richtigen Prioritäten gesetzt und
Probleme schonungslos benannt werden.
Hier liegt das Grundproblem des vorliegenden APA-
ReG. Es sollen zwar die Qualität der Prüfungen und die
Kontrolle verbessert werden. Aber wo liegen die Quali-
täts- und Kontrollprobleme, und wer wird angesprochen?
An allen großen Bilanzskandalen sind stets die großen
Prüfungsgesellschaften mitbeteiligt gewesen. Falsche
oder zu gute Testate pflastern den Weg bis in die Insol-
venz! Aktuell wird die Kompetenzfrage auch im VW
Skandal zu stellen sein. Denn auch hier gab es bis vor
wenige Wochen nur beste Testate der bestellten Prüfge-
sellschaft, obwohl auch ihr die Risiken und der mögliche
Betrug lange bekannt gewesen sein dürften. Am Ende
werden viele Testate keinen Pfifferling wert sein, und die
Zeche müssen die Beschäftigten, die Steuerzahler und
Kommunen zahlen.
Eine in der Breite schlechte Qualität der Wirtschafts-
prüfung der klein- und mittelständischen privaten wie öf-
fentlichen Unternehmen gibt es dagegen nicht! Ähnlich
sieht es auch die EU-Kommission, deren Vorgaben im
APAReG nicht wirklich umgesetzt werden. Man konzen-
triert sich lieber auf die rein formelle Qualität der Prü-
fung und formuliert eine Reform zugunsten der Big 4.
Es ist für uns nicht schlüssig, warum sich künftig alle
Abschlussprüfungen an den Anforderungen von Un-
ternehmen von öffentlichem Interesse, PIE, orientieren
sollten. Der Aufwand für kleine und mittlere Praxen so-
wie die weitere Standardisierung der Prüfung sind un-
verhältnismäßig. Befördert wird damit der weitere Ver-
drängungswettbewerb zugunsten weniger Prüfungs- und
Beratungsgesellschaften. Das wiederum erschwert die
Qualitätssicherung und deren Kontrolle. Teure Zertifi-
zierungen, hoher bürokratischer Aufwand und der starke
Bezug auf abzuhakende Checklisten stehen einer ver-
nünftigen unabhängigen Prüfung entgegen.
Wir begrüßen die Integration der Abschlussprüferauf-
sichtskommission, APAK, in das Bundesamt für Wirt-
schaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA. Die Beschränkung
der Kontrolle des Bundes auf eine bloße Rechtsaufsicht
allerdings widerspricht dem Demokratieprinzip. Zentral
bleibt für uns, die bestehenden Interessenkonflikte trans-
parent und offen darzulegen und abzustellen.
Wir können die Kritik vieler Wirtschaftsprüfer ver-
stehen, die uns in den letzten Wochen zum APAReG
erreicht hat. Manches teilen wir ausdrücklich, insbe-
sondere bei den berufsständischen Organisationen,
den Kontroll gremien und vor allem der ministeriellen
Rechtsaufsicht. Die Bundesregierung aber schweigt zu
diesen Problemen. Wir hoffen, dass in der kommenden
Anhörung im Wirtschaftsausschuss zum APAReG eini-
ge Regeln zurückgenommen werden, sodass kleine und
mittelständische Prüfgesellschaften gefördert werden
und der Gesetzgeber endlich die wirklichen Probleme
wahrnimmt und angeht.
Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu
Beginn der Legislatur hat sich diese Koalition lautstark
zu dem Ziel des Bürokratieabbaus insbesondere im Hin-
blick auf die Vorgaben der EU bekannt. Außerdem soll
gerade die mittelständische Industrie gefördert und von
Vorgaben entlastet werden. Mit dem vorgelegten Gesetz-
entwurf zur Reform der Abschlussprüferaufsicht können
diese beiden – sehr wichtigen – Ziele nur ansatzweise
umgesetzt werden.
Gerade kleine und mittlere Wirtschaftsprüferkanzlei-
en müssen nach dem Entwurf der Bundesregierung mit
deutlich mehr Vorgaben rechnen, als sie die EU verlangt.
Von einer Eins-zu-Eins-Umsetzung ist der Koalitionsent-
wurf weit entfernt, obwohl exakt dies im Koalitionsver-
trag geschrieben steht: „Wir wollen EU-Vorgaben ‚eins
zu eins‘ umsetzen“, heißt es dort.
Insbesondere die geplanten Änderungen an der Orga-
nisation der Kammer werfen die Frage auf, warum das
Bundeswirtschaftsministerium derart in die Struktur der
Kammer eingreift und dort die Machtverhältnisse deut-
lich in Richtung Präsident und Präsidium verschiebt. Der
Kammerpräsident soll nach dem Regierungsentwurf Or-
ganstellung erhalten, und die Mitglieder des Präsidiums
für den Beirat der Kammer sollen stimmberechtigt wer-
den. Dadurch ändern sich dort die Mehrheitsverhältnis-
se der berufspolitischen Lager, und allein deswegen ist
dieser Eingriff keine Kleinigkeit. Hier wird im Gesetz-
gebungsverfahren zu klären sein, ob diese Maßnahmen,
die weit über die EU-Vorgaben hinausgehen, zu rechtfer-
tigen sind.
Damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen
Punkt: Im Laufe des Gesetzgebungsprozesses zur Re-
form der Abschlussprüferaufsicht, aber auch zur Reform
der Wirtschaftsprüferordnung, die parallel läuft, hat sich
herausgestellt, dass die berufspolitischen Lager sehr zer-
stritten sind. Ein Streitpunkt war und ist noch immer die
Vergütung der Mitglieder der Abschlussprüferaufsichts-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 201512758
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kommission. Bedingt durch eine hohe Intransparenz und
Vorwürfe der Befangenheit stehen sich hier die Partei-
en mit deutlich unterschiedlichen Positionen gegenüber.
Was an dieser Stelle die einzige Lösung sein kann, ist
mehr Transparenz.
Nach dem Regierungsentwurf ist für die neu einzu-
richtende Abschlussprüferaufsichtsstelle, APAS, für
bestimmte Angestellte eine Entlohnung außerhalb des
TVöD vorgesehen, um genug geeignetes Fachpersonal
zu finden. Dies ist im Prinzip nicht anzugreifen, aber es
muss sichergestellt sein, dass sich die Vergütungen im
Rahmen halten, und dazu bedarf es einer angemessenen
parlamentarischen Kontrolle. Dies gilt sowohl für das
Gesamtbudget der APAS wie auch für die Vergütung der
neuen Leitung der APAS. Budget und Gehaltsrahmen
der Vorstände müssen für das Parlament, aber auch die
Öffentlichkeit nachvollziehbar sein und dürfen keinerlei
Geheimhaltung unterliegen. Das Versteckspiel, das das
Bundeswirtschaftsministerium aktuell in Bezug auf die
Vergütung der Abschlussprüferaufsichtskommission ge-
zeigt hat, ist kleinkariert und hat nur Vermutungen ins
Kraut schießen lassen, dass die Vergütungen und Ent-
schädigungen nicht angemessen sind. Wer etwas ver-
steckt, darf sich über Kritik nicht beschweren.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, ist die
Qualitätskontrolle der Wirtschaftsprüfung. Diese Quali-
tätskontrolle und daraus abgeleitet die Qualitätsprüfung
für die Abschlussprüfung ist ein entscheidendes Ziel der
Reform, gerade im Hinblick auf Wirtschaftsprüfungsleis-
tungen, die angesichts teilweise dramatischen Manage-
mentversagens – zu erwähnen ist hier etwa die Insolvenz
der Sächsischen Landesbank – sicher hinterfragt wer-
den müssen. Für die Prüfungen von Unternehmen von
öffentlichem Interesse ist weiterhin die Abschlussprü-
feraufsicht zuständig. Hier stellt sich für mich die Fra-
ge: Wie kann wirksamer verhindert werden, dass es zu
zweifelhaften Prüfergebnissen wie zur Zeit der Finanz-
krise kommen kann? Damals wurden uneingeschränkte
Testate ausgestellt trotz der Risiken, die in bestimmten
Bankenbilanzen lauerten.
Parallel dazu kann man sich auch fragen, ob bei der
Überprüfung der VW-Bilanzen nicht schon eher auf das
Risiko manipulierter oder zumindest überhöhter Abgas-
werte hingewiesen hätte werden müssen. Schon 2014
gab es erste Hinweise und Ermittlungen seitens der
US-Behörden. Aber diese Fälle zeigen die Bedeutung
einer funktionierenden Aufsicht, insbesondere über die
Prüfgesellschaften von Unternehmen mit sogenanntem
öffentlichem Interesse.
Ob die geplanten Veränderungen bei der Qualitäts-
prüfung kleinerer Prüfgesellschaften sinnvoll sind, muss
sich im Laufe des Gesetzgebungsprozesses noch klären.
Die möglichen Sanktionen sollen ausgeweitet und die
Kontrolle verschärft werden. Ob dies unter dem Ge-
sichtspunkt des Bürokratieabbaus und der Verhältnismä-
ßigkeit geboten ist, erscheint zumindest zweifelhaft.
Zweifelhaft ist auch die Angliederung der Aufsicht an
das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. In
der Vergangenheit hat dieses Amt keinerlei Erfahrung in
der Berufsaufsicht sammeln können, und auch im Sinne
der Transparenz erscheint die Schaffung einer eigenstän-
digen Behörde sinnvoller. Das Anhängen an das BAFA
scheint mehr die Flucht des Bundeswirtschaftsministe-
riums vor der Verantwortung zu sein und erschwert zu-
dem eine wirksame parlamentarische Kontrolle. Durch
erstens mehr Transparenz und zweitens der Stärkung der
Kompetenzen des Parlaments und seiner Mitglieder wäre
die neue Aufsicht durchaus ein Fortschritt. Dies ist bisher
durch den Regierungsentwurf nicht ersichtlich.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
ist gefordert, im weiteren Verfahren die offenen Fragen
zu klären. Auch und besonders vor der Maßgabe, dass
es sich um einen gespaltenen Berufsstand mit einer ho-
hen Markt- und Machtkonzentration handelt, wird meine
Fraktion genau darauf achten, wie die Reform der Ab-
schlussprüferaufsicht am Ende aussehen wird.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Oktober 2015
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130. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 4 Regierungserklärung zum Europäischen Rat
TOP 5 Bewältigung der Flüchtlingskrise
TOP 6 Abgasskandal bei Dieselfahrzeugen
TOP 30, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
TOP 31 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
ZP 6 Beschlussempfehlung Vermittlungsausschuss
TOP 25 Maritime Wirtschaft in Deutschland
TOP 7 Nagoya-Protokoll - Zugang zu genetischen Ressourcen
TOP 9 Milchmarkt
TOP 8 Änderung des Atomgesetzes
TOP 11 Gemeinsame europäische Grundwerte
TOP 12 Änderung des SGB XII –Sozialhilfe-
TOP 13, ZP 3 Wohnungsnot in Hochschulstädten
TOP 10 Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie
ZP 4 Lärmschutzregeln für Sportanlagen
TOP 14 Bereinigung des Rechts der Lebenspartner
TOP 16 Gesetz zur Bekämpfung der Korruption
TOP 17 Unterhalts- und Unterhaltsverfahrensrecht
TOP 18 Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz
TOP 19 Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes
TOP 20 Änderung des Batteriegesetzes
TOP 21 Änderung des Bundeszentralregistergesetzes
TOP 22 Änderung des Steuerabkommens mit Irland
TOP 23 Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes
TOP 24 Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz
Anlagen
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15