Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz .Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sieherzlich zum Tagesordnungspunkt 1 dieser Woche:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der gestrigenKabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Asylverfah-rensbeschleunigungsgesetzes und Verordnung zumAsylverfahrensbeschleunigungsgesetz.Dazu hätten im Übrigen, wenn ich mir das erlaubendarf, ruhig ein paar mehr Kollegen anwesend sein kön-nen, insbesondere in Anbetracht des Ausmaßes der De-batten innerhalb und außerhalb des Parlaments zu diesemThema; dies steht aber einer gründlichen Befassung mitdem Thema nicht im Wege .
– Frau Kollegin, wenn Sie die Zahl der Anwesenden inRelation zur Sollstärke Ihrer Fraktion setzen, werden Siemeine Eingangsbemerkung nicht für völlig deplatzierthalten können .
– Ja, gut . Diesen virtuellen Wettbewerb können wir jaauch einmal ausschreiben .Ich erlaube mir die Anregung, dass mir die PGFs si-gnalisieren, wenn es bereits erkennbare Fragewünschegibt . Dann können wir das vorab ein bisschen sortieren .Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichtzum soeben genannten Thema hat der Bundesministerdes Innern, Herr Dr . Thomas de Maizière .Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DasBundeskabinett hat gestern ein umfangreiches Gesetzes-paket beschlossen . Wir werden morgen dazu die ersteLesung haben und in dem Rahmen natürlich noch einmalausführlich debattieren . Das Gesetzespaket ist Teil derUmsetzung der Maßnahmen, die die neue Lage erforder-lich macht, und Ergebnis des sogenannten Flüchtlings-gipfels am Donnerstag, dem 24 . September 2015 . Zudiesem Thema gehören natürlich sehr viele Aspekte, diesicher gleich Gegenstand der Fragen und auch Gegen-stand der morgigen Debatte sein werden .Ich will mich zur Einführung auf die wesentlichenElemente dieses Gesetzgebungspakets beschränken . Die-ses Gesetzgebungspaket besteht aus mehreren wichtigenTeilen:Erstens . Durch Standarderleichterungen im Baupla-nungsrecht, im Emissionsschutzrecht sowie in anderenRechtsgebieten ermöglichen wir es den Ländern undKommunen, die Aufnahme und Unterbringung vonFlüchtlingen zügig durchzuführen, insbesondere in An-betracht des kommenden Winters . Nicht geregelt sind dieBereiche, die zum Landesrecht gehören, also das Bau-ordnungsrecht, das Brandschutzrecht oder das Denkmal-schutzrecht; hier können wir nichts regeln . Aber das, waswir regeln konnten, haben wir geregelt . Das war ein be-sonderer Wunsch der Länder . Ich halte es für sehr wich-tig, in dieser Phase zu helfen . Viele dieser Regeln sindbefristet . Ich glaube aber, es ist wichtig, in dieser Notlageschnell menschenwürdige, winterfeste, adäquate Unter-künfte bauen zu können .Der zweite Schwerpunkt bezieht sich auf Maßnahmenzur Beschleunigung des Verfahrens, und zwar in vieler-lei Hinsicht . Ich möchte hier nur einen Aspekt nennen:Die Betroffenen sind nach diesem Gesetz verpflichtet,bis zu sechs Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtungzu bleiben; bei Menschen aus sicheren Herkunftsstaatengilt dies bis zum Abschluss des Verfahrens . Das ist eineVerpflichtung, die sich an die Ausländer richtet, und kei-ne Rechtsverpflichtung, die sich an die Länder richtet.Gleichwohl haben wir uns durch die Schaffung von Erst-aufnahmeeinrichtungen gemeinsam vorgenommen, dieVerfahren zu beschleunigen; das ist dort leichter möglichals bei einer sehr frühen dezentralen Unterbringung .Drittens . Es gibt viele Maßnahmen zur Verbesserungder Versorgung von Asylbewerbern: Impfungen, psy-
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chische Betreuung, auch die Option für die Länder, aufder Basis eines Bundesgesetzes, das Teil dieses Paketesist, eine Gesundheitskarte einzuführen . Die Leistungendieser Gesundheitskarte werden aber von Beginn an aufdem abgesenkten Niveau des Asylbewerberleistungsge-setzes erfolgen .Viertens . Wir wollen mit diesem Gesetz Fehlanreizebeseitigen, die dazu führen, dass viele Menschen nachDeutschland kommen und sich falsche Hoffnungen ma-chen . Außerdem gelingt es uns mit diesem Gesetz bes-ser, zu erreichen, dass diejenigen, die längst negativ ab-geschlossene Verfahren haben und trotzdem unser Landnicht verlassen, ausreisen . Im Gesetzentwurf enthaltensind auch Leistungskürzungen für vollziehbar Ausrei-sepflichtige. Ebenso enthalten ist das Thema „Sach-leistungen statt Taschengeld“ in einer abgestuften Formzwischen Erstaufnahmeeinrichtung und sonstiger Unter-bringung. Daneben findet sich in dem Gesetzentwurf einBeschäftigungsverbot bei offensichtlich unbegründetemAsylantrag . Wir wollen auch die Strafbarkeit für Schleu-ser verschärfen und die Gegenstände, mit denen sie Men-schen nach Deutschland schleppen und durch die sie kri-minelle Verdienste haben, einziehen können .Fünftens . Wir wollen diejenigen, von denen wir wis-sen, dass sie bleiben, früh, rechtzeitig und gut integrieren .Dazu gehören der Zugang zu Sprachkursen, der Zugangzu Berufsförderungskursen sowie eine bessere Vernet-zung zwischen Integrationskursen und berufsbezogenenSprachkursen . Dazu gehören viele Dinge, mit denen wirermöglichen, dass die Integration nicht durch lange Ver-fahren in Erstaufnahmeeinrichtungen oder anderswo ver-zögert oder für später erschwert wird .Wir regeln, dass alle Staaten des westlichen Balkanssichere Herkunftsstaaten werden . Das ist ein Wunschdieser Länder . Das wird auch durch die entsprechendeAnerkennungsquote reflektiert. Es ist auch die über-einstimmende Position aller Staaten der EuropäischenUnion . Gleichzeitig werden für Bürger der Westbalkan-staaten legale Migrationsmöglichkeiten geschaffen, ohneeinen Korridor . Wenn sie von einem dieser Staaten nachDeutschland wollen, können sie, wenn sie einen Arbeits-vertrag haben und ein Beschäftigungsverhältnis nach-weisen können, unter der Voraussetzung der Vorrang-prüfung, die schnell abgearbeitet werden soll, legal nachDeutschland migrieren .Der letzte Punkt, der Teil dieses Gesetzentwurfes ist,ist eine Finanzierungsregelung . Der Bund hat selbst ge-waltige zusätzliche Aufgaben im Zusammenhang mitdem Thema Flüchtlinge . Es entstehen Kosten in den Her-kunftsländern und den Transitländern . Es wird mehr Geldfür die Ernährung und Versorgung in Flüchtlingslagernbereitgestellt, damit sich nicht noch mehr Menschen auf-machen. Wir werden höhere Hartz-IV-Leistungen finan-zieren müssen . Wir brauchen mehr Mittel für das Bundes-amt für Migration und Flüchtlinge, auch für zusätzlicheStellen . Wir brauchen mehr Geld für Integrationskurse .Wir brauchen mehr Geld für die Bundespolizei . Ich sagedas deswegen, damit deutlich wird, dass nicht nur Länderund Kommunen zusätzliche Bedarfe und Kosten haben,sondern auch der Bund . Das wird teilweise schon imNachtragshaushalt geregelt; überwiegend wird das aberTeil der Beratungen zum Bundeshaushalt 2016 sein .Bezüglich der Finanzhilfen für die Länder haben wiruns, was sich auch in diesem Gesetzentwurf widerspie-gelt, auf ein Finanzierungsmodell verständigt, das, bezo-gen auf eine bestimmte zu erwartende Anzahl von Asyl-antragstellern, bezogen auf die Dauer der Verfahren undbezogen auf jeden einzelnen Asylbewerber – ein atmen-des, strukturelles, dynamisches Finanzierungsmodell –,sicherstellt, dass wir uns – das haben wir uns jedenfallsvorgenommen – zwischen Bund und Ländern in Zukunftnicht mehr darüber streiten .
Herr Minister, denken Sie ein bisschen an die Zeit .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ich bin sofort fertig . – Dazu kommen 350 Millionen
Euro zur Finanzierung unbegleiteter Minderjähriger und
500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau, nicht
nur für Flüchtlinge, sondern für alle, die den sozialen
Wohnungsbau benötigen .
Das ist, Herr Präsident, in groben Zügen der Inhalt des
Gesetzentwurfs .
Vielen Dank . – Die erste Nachfrage hat der Kollege
Wunderlich .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Minister, ein Bun-dessozialrichter hat bereits öffentlich erklärt, dass Kür-zungen des Existenzminimums mit migrationspolitischerBegründung verfassungswidrig und ein offener Verstoßgegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus demJahre 2012 sind . Da sind sich eigentlich alle Fachleuteeinig . Wenn man jetzt schaut, welche Begründung für dieKürzung im Gesetzentwurf steht, dann findet man nichts.Deswegen frage ich mich: Wie kann es sein, dass sich dieBundesregierung mit diesem maßgeblichen Urteil zu denLeistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nichteinmal auseinandersetzt? Und deswegen muss ich Sieheute hier fragen: Wie begründen Sie diesen offenen Ver-stoß gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts, das Existenzminimum aus migrationspolitischenGründen zu kürzen?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Ich halte das nicht für einen Verstoß gegen die Ver-fassung und auch nicht für einen Verstoß gegen diesesUrteil,
wobei man sagen muss, dass dieses Urteil natürlich aufeinem anderen Sachverhalt beruht und wir jetzt ganz an-dere Dimensionen des Problems haben .Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Es ist so, dass das Existenzminimum für ein legalesLeben in Deutschland vorgesehen ist .
Wenn aber jemand dieses Land verlassen muss – nachVorliegen aller Voraussetzungen wie Entscheidung derHärtefallkommission oder in einem Gerichtsverfahrensowie Fristsetzung usw . –, dann ist nicht einzusehen, dasser finanziell in gleicher Weise behandelt wird wie derje-nige, der legal in unserem Land lebt .
Das ist die erste Begründung .Das Zweite ist: Der Vergleichsmaßstab bezieht sichnicht nur auf die bisherigen Leistungen, sondern auchauf andere Gruppen . Zum Beispiel ist es so, dass mit-nichten alle EU-Bürger, die in unserem Land leben undes nicht verlassen wollen, ein Existenzminimum nachAsylbewerberleistungsgesetz oder etwas Vergleichbaresgewährt bekommen; sie erhalten zum Teil keine Leistun-gen . Insbesondere vor dem Hintergrund eines Vergleichsmit den EU-Bürgern, die keine Leistungen erhalten – ob-wohl für EU-Bürger legaler Aufenthalt, Freizügigkeitund all das gilt –, sehe ich einer Auseinandersetzung vordem Bundesverfassungsgericht mit Zuversicht entgegen .
Frau Keul .
Vielen Dank . – Mir war ganz neu, dass die Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts von einer zahlen-
mäßigen Dimension abhängig gemacht werden kann .
Meine Frage zielt in eine ähnliche Richtung . Was die
vollziehbar Ausreisepflichtigen betrifft, habe ich mal
nachgefragt: Allein in Niedersachsen sind von 14 000
Ausreisepflichtigen etwa 10 000 geduldet. So bleiben im-
mer noch 4 000 Menschen, die schon jetzt bei uns leben .
Sind die dann jetzt auch unmittelbar mit Inkrafttreten des
Gesetzes von der Kürzung der ihnen bewilligten Leistun-
gen betroffen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ich will, Frau Keul, zunächst etwas zu Ihrer Vor-
bemerkung sagen . Bezogen auf seine Rechtsprechung
zum Familienbegriff sagt das Bundesverfassungsgericht
selbst, dass sich die Rechtsprechung im Lichte der Le-
benssachverhalte, die sich in Deutschland entwickeln,
verändert . Das ist so bei Verfassungsrechtsprechung, und
auch hier wird es so sein .
Jetzt zur Frage der vollziehbar Ausreisepflichtigen. Es
geht natürlich nicht um alle hier Geduldeten, sondern es
geht um diejenigen, denen eine Ausreisefrist nicht ge-
währt wurde oder bei denen diese abgelaufen ist . Einer,
der hier geduldet ist, der ist hier eben geduldet und nicht
vollziehbar ausreisepflichtig.
Es gab da wohl ein Missverständnis: Die Frage bezog
sich insbesondere auf die nicht Geduldeten .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Wenn sie vollziehbar ausreisepflichtig sind, gilt es für
sie selbstverständlich auch .
Herr Brunner .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Minister, meine
Frage bezieht sich auf den Problemkreis der Erweiterung
der Liste der sicheren Herkunftsstaaten . Ich halte es für
richtig und notwendig, angesichts der hohen Zahl der
Flüchtlinge in diesem Bereich keine zusätzlichen Anrei-
ze zu schaffen . Zweifelsohne: Bezogen auf die Staaten
des Westbalkans ist es die richtige Entscheidung, sie in
die Liste aufzunehmen . In vielen Staaten sind die Bür-
gerinnen und Bürger nicht einer politischen Verfolgung
ausgesetzt . Nichtsdestotrotz möchte ich Sie fragen: Wie
wird beim Bundesamt und bei den entsprechenden Be-
hörden sichergestellt, dass der Personenkreis, der in den
entsprechenden Staaten nicht politisch, sondern we-
gen seiner ethnischen Herkunft oder seiner sexuellen
Orientierung verfolgt wird und deswegen Zuflucht in
der Bundesrepublik Deutschland sucht, ein entsprechen-
des ordnungsgemäßes Verfahren in der Bundesrepublik
Deutschland erhält, politisches Asyl bekommt und nicht
in die Heimatstaaten abgeschoben wird?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Abgeordneter, wir haben hinsichtlich der Einstu-
fung als sicheres Herkunftsland eine geltende Regelung
zur Rechtsfolge . Danach bleibt es bei einer individuellen
Prüfung, die allerdings schneller und einfacher erfolgt .
Das zeigt sich auch daran, dass die Anerkennungsquote
nicht null ist, aber eben sehr, sehr niedrig, in einer Grö-
ßenordnung von 1 bis 2 Prozent . Damit ist Ihre Frage
schon positiv beantwortet .
Ich will aber gerne noch hinzufügen, dass wir auf
dem Flüchtlingsgipfel ebenfalls festgehalten haben – das
muss jetzt aber nicht Teil des Gesetzes sein –, dass wir
mit und in den Westbalkanstaaten Hilfsmaßnahmen er-
greifen wollen, damit die besonders schlechte Situation
etwa der Roma dort besser wird .
Frau Jelpke .Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Vielen Dank . – Herr Minister, heute Morgen im Mor-
genmagazin hat Ihr Kollege Hermann aus Bayern an-
gekündigt, direkt an den Grenzen Asylverfahren durch-
führen zu wollen . Er hat darüber hinaus angekündigt
bzw . angedroht, die Flüchtlinge jetzt nach Berlin durch-
zuleiten, damit Berlin einmal sehe, in welcher schwieri-
gen Lage Bayern sei . Ich möchte Sie fragen, wie Sie zu
diesem Verhalten stehen. Steht hier eine „Orbanisierung“
durch das Land Bayern bevor, bzw . wie ist das verfas-
sungsrechtlich zu bewerten, wenn bereits an den Grenzen
Schnellverfahren und Abweisungen stattfinden? Nach
meiner Information ist es schon jetzt so, dass in Bayern
JVAs in Abschiebegefängnisse umgewidmet werden .
Welche Auffassung vertreten Sie dazu, auch vor dem
Hintergrund des Gesetzesverfahrens?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ich möchte zu beiden Punkten etwas sagen .
Zum ersten Punkt . Eine Regelung über ein sogenann-
tes Landgrenzenverfahren wäre nach der jetzigen deut-
schen Rechtslage nicht möglich. Wir sind aber verpflich-
tet, zwei EU-Richtlinien umzusetzen: eine sogenannte
Aufnahmerichtlinie und eine Asylverfahrensrichtlinie .
In der zweiten ist eine Ermächtigung aller europäi-
schen Staaten vorgesehen, ein solches Landgrenzenver-
fahren – wenn sie das für richtig halten – einzuführen .
Wir haben ein solches Verfahren an den Flughäfen . Wir
müssen politisch darüber diskutieren, ob wir das auch
in Deutschland wollen . Meine persönliche Meinung
dazu kennen Sie . Aber da ich hier die Bundesregierung
im Ganzen vertrete, sage ich Ihnen, dass dazu der Mei-
nungsbildungsprozess in der Bundesregierung noch nicht
abgeschlossen ist .
Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich klar Folgendes sa-
gen: Wenn es ein Bundesland gibt, das sich in besonderer
Weise solidarisch verhält, das in besonderer Weise die
Lasten der Aufnahme zu tragen hat und auch trägt, und
zwar weit über den Königsteiner Schlüssel hinaus, dann
ist es der Freistaat Bayern – das muss man wirklich ein-
mal deutlich sagen – mit einer erstklassigen Verwaltung
und vielen Ehrenamtlichen .
Wir haben ja jetzt einen genauen Einblick in die Ver-
teilung . Es ist ziemlich oft so, dass sich manche Länder
weigern oder sich nicht imstande sehen, eine bestimmte,
sehr große Anzahl von Flüchtlingen, die mit Zügen oder
Bussen zu uns kommen, aufzunehmen . Bayern hat sich
bereit erklärt, auch diese noch aufzunehmen – obwohl
sie bereits mehr aufnehmen, als nach dem Königsteiner
Schlüssel vorgesehen –, in der Hoffnung, dass sie ein,
zwei Tage später verteilt werden . Wenn dann der bayeri-
sche Innenminister darauf hinweist, dass das nicht ewig
so weitergehen kann, dann ist das verständlich und nicht
tadelnswert . Dass alle ihre Verteillast nach dem Kö-
nigsteiner Schlüssel zu tragen haben, ist eigentlich nur
selbstverständlich .
Darf ich noch einmal an die Redezeit erinnern: jeweils
eine Minute für die Fragen und Antworten . – Nächste
Frage: Frau Pothmer .
Herr Minister, im Gesetzentwurf steht, dass nur die
Menschen Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Maßnah-
men, Sprachkursen und Integrationskursen haben, die
eine sogenannte sichere Bleibeperspektive haben . Jetzt
frage ich mich: Wer stellt das eigentlich fest, dass die
Menschen eine sichere Bleibeperspektive haben? Welche
Kriterien werden zugrunde gelegt, um diese Feststellung
zu treffen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Die Grundentscheidung ist: Wir wollen gerne sehr
früh mit Integration bei denjenigen beginnen, von denen
wir wissen bzw . ahnen, dass sie hierbleiben . Eine hohe
Anerkennungsquote ist dafür ein Indiz . Wir wollen aber
nicht Geld ausgeben für diejenigen und auch keine Il-
lusionen wecken bei denjenigen, bei denen so gut wie
klar ist, dass sie unser Land verlassen müssen . Das ist
ein Pull-Effekt . Wie gesagt, das weckt nur Illusionen und
frustriert auch die Helfer, die sich darum kümmern . Des-
wegen gehören sicher diejenigen dazu, die aus sicheren
Herkunftsländern stammen .
– Das müssen wir noch sehen .
Frau Höger .
Vielen Dank . – Ich kann nur anschließen . Sie wollenja nicht nur im Vorhinein festlegen, wer eine Chance aufdas Grundrecht auf Asyl hat, um entsprechend auszusor-tieren, sondern Sie wollen die Flüchtlinge auch länger inErstaufnahmeeinrichtungen unterbringen . Diejenigen,die eine eindeutige Chance auf einen Aufenthaltsstatushaben, sollen sich dort drei Monate aufhalten, die ande-ren sechs Monate . Das bedeutet aber erst einmal für alleeine sehr viel längere Zeit in großen Lagern – es sindeher kasernierte Unterbringungen –, was die Möglich-keiten der Integration für die Dauer dieses Aufenthaltsvöllig verhindert .Meine Frage zielt vor allen Dingen auf etwas anderes .Schon jetzt sind diese Einrichtungen völlig überfüllt . DieFlüchtlinge werden sehr schnell weiterverteilt, weil derPlatz in den Erstaufnahmeeinrichtungen einfach nichtreicht . Wie wollen Sie gewährleisten, dass die Plätze inZukunft überhaupt da sind? Wie ist das mit beschleunig-ten Integrationsverfahren vereinbar?
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Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Das haben wir nicht in diesen Gesetzentwurf geschrie-ben, weil man es da nicht hineinschreiben muss . Aberwir, Bund und Länder, haben gewisse Ausbaupläne fürErstaufnahmeeinrichtungen verabredet .Wir wissen, dass jetzt aufgrund der großen Zahl – inden letzten Tagen sind jeweils knapp 10 000 Menschengekommen; am gestrigen Tag waren es etwas weniger –alle Mühe haben, den Menschen ein Dach über dem Kopfzu bieten; das ist so . Ich kann vor all denen, die dieseAufgabe stemmen, nur den Hut ziehen . Aber das Ziel istdergleichen natürlich nicht .Ziel ist vielmehr, dass wir Erstaufnahmeeinrichtun-gen haben, die ein schnelles Verfahren erlauben, die eineschnelle Unterscheidung zwischen den Schutzbedürfti-gen und den nicht Schutzbedürftigen erlauben . Geradedie Kommunen sagen uns, dass sie die Flüchtlinge erstdann aufnehmen wollen – das ist die gemeinsame Auf-fassung von Städtetag, Landkreistag und Städte- undGemeindebund –, wenn klar ist, dass sie bleiben dürfen .Genau so wollen wir vorgehen .
Volker Beck .
Herr de Maizière, ich möchte Sie etwas zum Thema
„sichere Herkunftsstaaten“ fragen. Da gibt es ja zwei
Vorschläge: einmal den Gesetzentwurf aus Ihrem Haus
mit den acht sicheren Herkunftsstaaten, Westbalkan plus
Senegal und Ghana, und es gibt zum anderen den Vor-
schlag der EU-Kommission, die Westbalkanstaaten plus
die Türkei zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären . In
diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen, wie Sie
das angesichts der Situation der Roma vor dem Hinter-
grund der Anerkennungsrichtlinie für den Westbalkan
rechtfertigen . In Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b der Qua-
lifikationsrichtlinie der EU heißt es, dass eine kumulati-
ve Verletzung von Menschenrechten eine Verfolgung im
Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist .
Ich war in den letzten Jahren wiederholt in Serbien
und habe mir dort Roma-Flüchtlingslager angeschaut .
Dort halten sich die sogenannten unsichtbaren Roma auf:
Das sind Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo, also Koso-
vo-Roma . Oft waren sie in Deutschland, wurden von dort
in den Kosovo abgeschoben, und sie sind nach Serbien
geflohen, weil ihre Herkunftsdörfer und -städte, in die sie
zurückgeschoben wurden, einfach nicht mehr existieren .
Diese Menschen fühlen sich im Kosovo nicht sicher . In-
wiefern verträgt sich diese Einstufung der sicheren Her-
kunftsstaaten mit der EU-Qualifikationsrichtlinie?
Was Senegal und Ghana angeht, wissen Sie, dass nach
Artikel 10 der EU-Qualifikationsrichtlinie die Verfolgung
von sexueller Orientierung ein Flüchtlingsanerkennungs-
grund sein kann . In Senegal und Ghana wird Homosexu-
alität nach dem Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt .
Das Auswärtige Amt führt in seinen Reisehinweisen auf,
dass man als Homosexueller besser nicht in eines die-
ser Länder fahren sollte, weil dort Verfolgung droht . Wie
sieht die Überprüfung dieser sicheren Herkunftsstaaten –
sie sind schon lange im Gesetz benannt – aus, wenn nach
der Verfahrensrichtlinie alle zwei Jahre überprüft werden
soll? Hat diese Überprüfung bei Senegal und Ghana vor
der Erstellung des Gesetzentwurfs Ihres Hauses stattge-
funden?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Zu Ihrer ersten Frage, Herr Abgeordneter Beck: Die
Lage der Roma ist in den entsprechenden Staaten nicht
gut . Sie entspricht aber nicht politischer Verfolgung,
auch nicht in der Kumulation .
Das ist die gemeinsame Auffassung des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge und der Gerichte .
Die Tatsache, dass das kein Tatbestand politischer Verfol-
gung ist, ist gemeinsame Auffassung aller europäischen
Länder, sodass Sie vielleicht einmal überlegen sollten, ob
und wie lange Sie diese Position noch aufrechterhalten,
zumal vermutlich auch nicht unerhebliche rot-grün re-
gierte Länder dem im Bundesrat zustimmen werden, wie
sie erklärt haben .
Jetzt zur zweiten Frage . Ihre Frage zu Senegal und
Ghana kann ich aus dem Stand nicht beantworten . Die
Antwort reiche ich Ihnen gerne schriftlich nach . Ich will
Ihnen aber sagen, dass es auch auf Wunsch der Grünen
Teil des Kompromisses ist, dass die Einstufung der si-
cheren Herkunftsstaaten alle zwei Jahre überprüft wird .
Dabei spielt die menschenrechtliche Lage in den Staaten
natürlich eine entscheidende Rolle .
Frau Hänsel .
Danke schön . – Herr de Maizière, die Rückkehr zumPrinzip „Sachleistungen statt Geldleistungen“ für dieje-nigen, bei denen abzusehen ist, dass sie kein Bleiberechterhalten, lässt die Einrichtungen vor Ort stöhnen . Das isteigentlich eine weltfremde Entscheidung . In den Erstauf-nahmeeinrichtungen in Baden-Württemberg, die ich be-sucht habe, war man heilfroh darüber, dass Sie das Geld-leistungsprinzip umgesetzt haben, weil man dadurch denbürokratischen Aufwand enorm verringern konnte . Ichfinde, es ist ein Unding, dass Sie die Einrichtungen, diees jetzt ohnehin mit viel mehr Menschen zu tun haben –in Meßstetten und Ellwangen haben wir eine drei- bis
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vierfache Belegung –, jetzt zwingen, zum Prinzip derSachleistungen zurückzukehren . Das ist wirklich aber-witzig . Außerdem kostet das viel mehr . Ich würde gernevon Ihnen wissen: Wie hoch schätzen Sie den durch dieRückkehr zum Sachleistungsprinzip bedingten personel-len und finanziellen Mehraufwand? Das ist Verschleu-derung von Steuergeldern und wirklich eine Zumutungfür die Betroffenen, die mit dem Geld vielleicht gerneein Buch oder sonst etwas gekauft hätten . Sie sind, beidem bisschen Geld, das sie an Unterstützung bekommen,fremdbestimmt .Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Abgeordnete, natürlich ist die Auszahlung vonGeld unbürokratisch und effektiv . Das ist nur nicht dasalleinige Kriterium. Es gibt einen Zielkonflikt: Einerseitssind Geldleistungen unbürokratisch und effektiv; ande-rerseits sind sie ein Anreiz, weil genau dieses Geld demSchlepper gezahlt werden kann, weil dieses Geld in dasHeimatland geschickt werden kann oder für Dinge aus-gegeben werden kann, für die es nicht vorgesehen ist . Wirdiskutieren streitig über den Pull-Effekt des Taschengel-des . Ich kann nur sagen, dass der serbische Ministerprä-sident uns dringend sagt, dass ein Taschengeld für drei,vier Personen von 500 bis 600 Euro für die serbische Be-völkerung einen Pull-Effekt darstellt .Deswegen haben wir einen Kompromiss geschlos-sen – auch mit dem Ministerpräsidenten des LandesBaden-Württemberg –, der Folgendes vorsieht: In Erst-aufnahmeeinrichtungen soll, soweit verwaltungsmäßigvertretbar – so ist, glaube ich, in etwa die Formulierung –,das Taschengeld in Form von Sachleistungen oder Wert-gutscheinen vergeben werden . In den Gemeinschafts-einkünften kann so verfahren werden . Das ist also eineSollregelung – mit einer Abwägungsmöglichkeit in Be-zug auf den verwaltungsmäßigen Aufwand – bzw . eineKannregelung. Ich finde, das ist eine klare Botschaft, undso wird es den Ländern trotzdem ermöglicht, die Rege-lung mit einem vertretbaren Verwaltungsaufwand anzu-wenden .
Darf ich uns zwischendurch einmal im Interesse der
Verständlichkeit für die interessierte Öffentlichkeit emp-
fehlen, dass wir statt von „Pull-Effekten“, –
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Sogeffekte .
– „Push-Effekten“ und „Hotspots“ von den Sachver-
halten reden, die wir damit meinen?
Herr Minister, viele Asylsuchende leiden unter denErfahrungen, die sie im Bürgerkrieg oder während derFlucht gemacht haben . Viele erlitten dadurch Traumataund sehr schwerwiegende psychische Störungen . Für dieGruppe der Asylsuchenden, die länger als 15 Monate inDeutschland sind, sehen Sie jetzt dankenswerterweisedie Möglichkeit einer besseren psychologischen Betreu-ung vor . Für mich stellt sich die Frage: Warum nur fürdiesen Personenkreis? Alle wissen, dass es ohne Behand-lung zu Chronifizierungen, also zu dauerhaften Schäden,kommen kann . Ferner wissen wir, dass die Integrationdadurch beeinträchtigt wird und diese schwerwiegendenErkrankungen durch den Aufenthalt in großen Einrich-tungen massiv verstärkt werden können . Auch wissenwir, dass der Aufenthalt in solchen Einrichtungen einAuslöser für die Krankheit sein kann . Was schlagen Sievor, um der Gruppe derjenigen, die noch keine 15 Mona-te in Deutschland sind, eine wirksame Hilfe zuteilwerdenzu lassen?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Ich habe mich gerade rückversichert, weil ich in derFrage fachlich nicht so fit bin; dafür bitte ich um Ver-ständnis . Deswegen kann ich Ihnen die Frage nicht ab-schließend beantworten .Jedenfalls haben wir eine deutliche Verbesserung dergesundheitlichen Versorgung, weil wir erstmalig auchdie Behandlung solcher Traumata in den Leistungska-talog aufnehmen . Eine Verbesserung gibt es auch beimImpfschutz .Es ist ein wichtiger Punkt, dass wir die Fähigkeitenvon Asylbewerbern, etwa aus Syrien, gerade im medizi-nischen Bereich auch zur Betreuung der Asylbewerberselbst nutzen . Dabei gibt es Anerkennungsprobleme undvieles andere mehr, aber ich halte das für ein wichtigesElement . Ich weise auch darauf hin, dass von den unbe-gleiteten Minderjährigen besonders viele unter Traumataleiden . Das ist insgesamt ein sehr schwieriges Thema .Die Antwort auf die Frage nach der Differenzierung„bis 15 Monate“ bzw. „nach 15 Monaten“ würde ich ger-ne schriftlich nachreichen .Ich würde gern, Herr Präsident, Ihre Anregung auf-greifen und erklären: Pull-Effekt heißt Sogeffekt . Wennman Maßnahmen ergreift, die ein Land besonders at-traktiv machen, dann löst allein diese Attraktivität einenSog aus, in dieses Land zu kommen . Das nennt man neu-deutsch Pull-Effekt .Heike Hänsel
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Das Schöne an dieser Klarstellung ist, dass es die
tröstliche Gewissheit vermittelt, dass im Deutschen
Sachverhalte ähnlich kurz und präzise beschrieben wer-
den können wie im Englischen auch, sodass die Notwen-
digkeit gar nicht besteht, sich an dieser Stelle anderswo
zu bedienen .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Wohl war .
Frau Binder .
Herr Minister, mir will eines nicht in den Kopf . Mir
ist nicht klar, was uns daran hindert, Flüchtlingen aus
Ländern wie Syrien, Irak oder Eritrea, bei denen die An-
erkennungsquote bei 99 bis 100 Prozent liegt, die Mög-
lichkeit zu eröffnen, beispielsweise bei Bekannten oder
Verwandten, die bereits in Deutschland sind, zu wohnen
oder tatsächlich eine eigene Wohnung anzumieten, um
die Gemeinden, die Anwohnerinnen und Anwohner, die
im Umfeld einer Erstaufnahmeeinrichtung leben, und
auch die Beschäftigten in diesen Einrichtungen zu ent-
lasten . Ich denke, es wäre für viele Menschen eine Er-
leichterung, wenn sie sich selbst eine Unterkunft suchen
könnten . Das wäre gleichzeitig auch eine Entlastung für
die Menschen, die im Umfeld einer Erstaufnahmeein-
richtung wohnen, die dadurch, dass dort Hunderte oder
Tausende von Menschen auf einen Schlag in einer Mas-
senunterkunft zusammengepfercht werden, auch einer
extremen Belastung ausgesetzt sind . Was hindert uns da-
ran, hierbei eine andere Vorgehensweise zu wählen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Frau Abgeordnete, das hört sich nur auf den ersten
Blick überzeugend an . Ich habe darüber auch mit Pro
Asyl schon viel diskutiert .
Erstens müssen wir feststellen, ob es sich um einen
Syrer handelt . Das hört sich einfach an, ist aber nicht im-
mer einfach, weil zum Teil keine Dokumente vorliegen
und etliche behaupten, Syrer zu sein, ohne es tatsächlich
zu sein .
Das zweite Argument ist: Wir müssen die großen Las-
ten, die mit einer solch großen Zahl von Asylbewerbern
verbunden sind, fair zwischen den Bundesländern auf-
teilen . Die syrischen Gemeinden – jetzt hätte ich fast
gesagt, Herr Präsident: die syrischen Communitys –, in
denen es viele Syrer gibt, haben natürlich eine größere
Anziehungskraft als Gemeinden, in denen es keine Sy-
rer gibt. Würden wir aber sagen: „Da dürfen alle sofort
hin“, dann hätten wir eine derartige Sonderbelastung der
Ballungsgebiete, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen
und anderswo,
dass das mit einer fairen Lastenverteilung in Deutsch-
land – insbesondere während des Asylverfahrens – mei-
nes Erachtens nicht vereinbar ist .
Frau Haßelmann .
Danke, Herr Präsident . – Herr Minister, zum einen
habe ich Ihre Ausführungen zum Sachleistungsprinzip
im Gesetz so nicht gefunden . Ich wäre daran interessiert,
dass Sie mir die Fundstelle nennen .
Meine eigentliche Frage bezieht sich auf Ihre Formu-
lierung hinsichtlich des „atmenden Finanzierungssys-
tems“ .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ja .
Kann man das so verstehen, dass Sie sagen, die Finan-zierungsvereinbarung beläuft sich am Ende klar auf eineSpitzabrechnung?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Ich habe gerade in meinen Unterlagen geblättert, kanndas jetzt jedoch nicht gleichzeitig machen . Das klärenwir, wenn Sie einverstanden sind, bilateral .Ich habe das politische Dokument zitiert: „Soll, so-weit verwaltungsmäßig vertretbar“, oder so ähnlich, und„kann“ bei den anderen.
Zur zweiten Frage: Es ist in der Tat eine Spitzabrech-nung vorgesehen . Der Mechanismus ist, dass die LänderAbschläge bekommen und im Folgejahr spitz abgerech-net wird . Wenn es im Laufe des Jahres erhebliche Dif-ferenzen gibt, dann kann man darüber reden . Es ist be-sprochen worden, dass man zwischendurch Abschlägeverringert oder erhöht oder einen Ausgleich vornimmt .Aber die Spitzabrechnung war ein besonderer Wunschder Länder .Herr Präsident, Spitzabrechnung ist auch ein Aus-druck, den ich vielleicht erklären sollte . Das bedeutet:Es gibt Geld pro Asylbewerber, und zwar in einem be-stimmten Land; denn in einem Bundesland dauern dieVerfahren wegen des BAMF oder der unterschiedlichenHerkunftsstaaten der Asylbewerber länger als in einem
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anderen Land . Das soll nicht mit einem Durchschnittnivelliert werden, sondern es gibt im Nachhinein eineSpitzabrechnung pro Asylbewerber pro Bundesland .
Frau Keul .
Erlauben Sie eine kurze Vorbemerkung zu dem ein-
gangs zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts .
Herr de Maizière, Sie als Verfassungsminister wissen ge-
nauso wie ich, dass dieses Urteil auf Artikel 1 Grundge-
setz beruht und dass es sich mit Artikel 1 genauso verhält
wie mit Artikel 16 . Beide kennen keine Obergrenzen . Ich
verweise nur auf das Zitat der Kanzlerin .
Meine eigentliche Frage knüpft an die Frage der Kol-
legin Pothmer an . Wir lesen ja in der Begründung – im
Gesetz leider nicht, weil Sie da auf eine Verordnung ver-
weisen –, dass die Integrationsleistungen denen zur Ver-
fügung stehen sollen, deren Antrag auf Asyl voraussicht-
lich Erfolg haben wird . Ich frage mich: Wie wollen Sie
diese Erfolgsaussichten feststellen? In einem gesonder-
ten Verfahren? Wir haben doch im Augenblick schon ge-
nug zu tun, überhaupt das Asylverfahren voranzutreiben .
Jetzt muss dann quasi im Vorverfahren des Asylverfah-
rens geprüft werden, ob das Asylverfahren gute Aussich-
ten auf Erfolg hat, oder wie muss ich mir das praktisch
vorstellen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Nein, das wird man sicherlich an die Nationalität
knüpfen, an die Anerkennungsquoten und die Erfahrung,
die man gemacht hat . Ein zusätzliches Verfahren ist nicht
beabsichtigt .
Frau Höger .
Meine Frage bezieht sich erneut darauf, dass Sie in
Ihrem ganzen Gesetzesvorhaben besonderen Wert darauf
legen, Flüchtlinge vom Westbalkan abzuschrecken, da-
mit sie gar nicht erst kommen . Jetzt zeigt aber die aktuel-
le Anzahl von Asylanträgen, dass die Asylanträge dieser
Flüchtlinge höchstens 10 Prozent ausmachen . Dadurch,
dass Sie dieses ganze bürokratische Verfahren einführen,
haben Sie weniger Zeit und Geld für die anderen Flücht-
linge, die wirklich unsere Hilfe brauchen . Obwohl es sich
um einen ganz kleinen Teil der Flüchtlinge handelt, legen
Sie so großen Wert auf Abschreckung und Diskriminie-
rung . Ist das nicht völlig an der Realität vorbei?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Nein . Erstens ist es so, dass die Relation, der Anteil
derer, die aus den Westbalkanstaaten kommen, geringer
geworden ist . Das stimmt . Die absolute Zahl ist aber im-
mer noch so, dass wir von ein paar Tausend pro Woche
reden . Versetzen wir uns einmal in das Frühjahr: Wären
damals ein paar Tausend Albaner pro Woche gekommen,
würden wir hier ganz anders diskutieren .
Zweitens kommt hinzu, dass wir noch aus dem ers-
ten Halbjahr sehr viele Verfahren und abgelehnte Asyl-
bewerber, also Entscheide des BAMF, haben, wo es noch
keinen Vollzug gibt . Es geht dabei um etwa 60 000 oder
mehr . Wenn wir das nicht ändern, lösen wir möglicher-
weise wieder einen Sogeffekt aus, weil dann viele sagen:
Na ja, wenn die nicht zurückkommen, dann kann ich
vielleicht trotzdem noch dorthin gehen . – Von daher ist
das eine Maßnahme zur Umsetzung der Verfahren, die
wir haben, aber auch eine präventive Maßnahme für die
Zukunft .
Volker Beck .
Wir sind uns ja bei allen Differenzen über konkrete
Punkte in diesem Gesetz einig, dass wir schnellere Asyl-
verfahren brauchen, um schneller zu entscheiden, wer
bleiben darf und wer am Ende gehen muss . Mich wun-
dert, dass in Ihrem Gesetzentwurf nichts Substanzielles
zu einer Beschleunigung der Verfahren enthalten ist, zum
Beispiel Vorschläge zur Behandlung von Asylanträgen
von Menschen aus Staaten mit hoher Anerkennungs-
quote – man könnte Gruppenverfahren machen – oder
eine Finalisierungsregelung zur Lösung von Altfällen,
bei denen wir ewig lange Verfahren haben und wissen,
dass wir die Leute am Ende des Verfahrens sowieso nicht
wegschicken werden . Warum gibt es da keine Verfah-
rensvereinfachung, die dem Bundesamt die Möglichkeit
gibt, bei den schwierigeren Fällen mit der notwendigen
Sorgfalt und rechtsstaatlichen Qualität zu prüfen?
Mir ist angesichts der hohen Zahl nicht klar, wie man
Flüchtlingen aus Ländern gerecht werden will, in denen
die Menschenrechtslage hoch volatil ist, zum Beispiel
Kongo, Äthiopien, Nigeria .
Lieber Herr Beck, schauen Sie einmal auf die Zeit .
Dort sind schwierige Sachverhalte wie die kumulative
Verfolgung, die nicht so einfach festzustellen ist, zu prü-
fen . – Punkt, Herr Präsident .
Schön .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Beck, natürlich gibt es in dem Gesetz verfahrens-mäßige Beschleunigungen . Ich halte zum Beispiel dieBundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Verpflichtung, sich, wenn die Kapazität zur Verfügungsteht, für eine gewisse Zeit in einer Erstaufnahmeeinrich-tung aufzuhalten, für eine verfahrensbeschleunigendeMaßnahme .
Im Übrigen gilt der alte Grundsatz: Man soll nicht et-was ins Gesetz schreiben, wenn es nicht nötig ist, etwasins Gesetz zu schreiben . Wir ergreifen viele verfahrens-beschleunigende Maßnahmen, aber wir tun dies unterge-setzlich . So haben wir etwa entschieden, bei syrischenAntragstellern praktisch nur noch ein schriftliches Ver-fahren durchzuführen . Ich muss allerdings Wert darauflegen, dass die Identitätsfeststellung präzise erfolgenmuss, auch aus Sicherheitsgründen . – Ich freue mich,dass Sie da nicken; denn das ist ein wichtiger Punkt, dermanchmal, ehrlich gesagt, etwas Zeit kostet .Wir haben außerdem vier Entscheidungszentren ge-gründet, in denen einfach gelagerte Fälle schnell ent-schieden werden . Zur Beschleunigung der Verfahrenwird es beim BAMF, beim Bundesamt für Migration undFlüchtlinge, zusätzliche Stellen geben; wir werden sieim Rahmen des Haushaltsverfahrens schaffen, sie abernicht in dieses Gesetz hineinschreiben . Ein weiteres Bei-spiel ist das neue IT-Verfahren; dazu finden Sie etwas imNachtragshaushalt .Es gibt also eine ganze Reihe von beschleunigendenMaßnahmen, von denen wir einige ins Gesetz aufgenom-men haben . Manche haben wir aber nicht im Gesetz er-wähnt, vor allen Dingen deshalb nicht, weil wir sie garnicht in ein Gesetz hinschreiben müssen, sondern dieseAufgaben durch gutes Verwaltungshandeln erledigen .
Wir haben jetzt das Ende der vorgesehenen Gesamt-
diskussionszeit erreicht . Ich habe mir noch Wortmel-
dungen von Frau Stamm-Fibich, Frau Klein-Schmeink,
Stephan Mayer und Herrn Wendt notiert, die ich noch
aufrufe . Können wir damit dann die Wortmeldeliste zu
diesem Themenkomplex schließen? – Ich bedanke mich .
Frau Stamm-Fibich .
Herr Minister, wir als SPD-Bundestagsfraktion begrü-
ßen außerordentlich, dass eine Rahmenvereinbarung ge-
schaffen wurde, um den Asylbewerbern die elektronische
Gesundheitskarte zur Verfügung zu stellen . Ich möchte
Ihnen dazu eine Frage stellen . In der Bevölkerung ist
nämlich aufgrund einiger Äußerungen ein bisschen Un-
sicherheit aufgekommen . Wenn sich ein Bundesland
entscheidet, diese Karte auszugeben, erfolgen die ent-
sprechenden Leistungen nach dem Asylbewerberleis-
tungsgesetz, und es sind nicht, wie irrtümlich kundgetan
wird, normale Leistungen der Versichertenkarte . Können
Sie das so bestätigen, bitte?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ja, Frau Kollegin, das möchte ich ausdrücklich be-
stätigen – ich will das gerne auch öffentlich hervorhe-
ben –: Die Gesundheitskarte soll eine Erleichterung für
die Länder sein, die sie nutzen; sie bedeutet aber keine
Leistungsverbesserung . Nach jetziger Rechtslage ist es
so, dass bei Asylbewerbern im Vergleich zu anderen das
Niveau der Gesundheitsversorgung geringer ist . Das ist
übrigens insbesondere beim Zahnersatz ein wichtiges
Thema .
Viele sagen oder befürchten – öffentlich oder halb-
öffentlich –, dass es möglich ist, dass jemand, der etwa
aus einem Westbalkanstaat kommt, das Verfahren ver-
zögert, die vollen Gesundheitsleistungen ausnutzt, vor
der Ablehnung zurückgeht und vielleicht ein halbes Jahr
später wiederkommt; dies wiederum hätte einen Sog-
effekt . Wir allerdings wollen in den Ländern, die diese
Karte nutzen, für bürokratische Erleichterungen sorgen .
Deswegen ist im Gesetz vorgesehen, dafür Vorsorge zu
treffen, dass auch bei Nutzung einer solchen optionalen
Gesundheitskarte das Leistungsniveau demselben ab-
gesenkten Niveau wie bisher nach dem Asylbewerber-
leistungsgesetz entspricht . Das heißt, es ist geringer als
bei den normalen Versicherten im gesetzlichen Versiche-
rungssystem .
Frau Klein-Schmeink .
Ich würde da gerne anknüpfen und Sie etwas fragen .
In einigen Bundesländern wird die Gesundheitskarte für
Flüchtlinge ja schon genutzt . Auch in Bremen, Hamburg
und NRW gibt es eine solche Vereinbarung . Haben diese
Vereinbarungen Bestand?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
In der Tat haben wir darüber diskutiert: Warum brau-
chen wir eigentlich eine Bundesregelung, wenn die Län-
der es auch jetzt schon so machen können? Alle waren
sich aber einig: Es soll ein bundesgesetzlicher Boden
für diese Rahmenvereinbarung bereitet werden . Meine
Antwort lautet: Wenn die bisherigen Vereinbarungen
dem Boden, den das Bundesgesetz schafft, entsprechen,
muss man sie nicht ändern . Anderenfalls muss eine ent-
sprechende Vereinbarung in einem Land an die bundes-
gesetzliche Regelung angepasst werden .
Stephan Mayer .
Sehr geehrter Herr Minister, die Bundesregierunglegt mit diesem Gesetzentwurf ein sehr umfangreichesPaket vor: Standardabweichungen werden geregelt, dasAsylbewerberleistungsgesetz und das Asylverfahrensge-setz werden novelliert, und außerdem wird die zukünf-Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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tige umfangreiche finanzielle Unterstützung der Länderdurch den Bund geregelt .Herr Minister, mich würde interessieren, welche Er-wartungshaltung die Bundesregierung gegenüber denLändern hat, ihrerseits auf landesgesetzlicher EbeneVeränderungen vorzunehmen, zum Beispiel in punctoStandardabweichungen und darüber hinaus – ich denkehier an Stellenmehrungen bei den Ausländerbehördenund den Verwaltungsgerichten – im personellen Bereich?Außerdem geht es mir um das Verhalten einiger Länder .Ich spreche hier ganz bewusst die Praxis in Schleswig-Holstein und Thüringen an, die im Winter letzten Jahresauf Abschiebungen verzichtet haben .Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Abgeordneter, zunächst gibt es ja im Bundes-gesetz einige Regelungen, durch die das, was Sie ange-sprochen haben, in Zukunft verhindert wird . So darf etwadie Aussetzung der Abschiebung nicht länger als für dreiMonate erfolgen . In den Sitzungen hat ein Ministerpräsi-dent gesagt, es solle in Zukunft keinen Winterabschiebe-erlass mehr geben . Wir werden dann sehen, wie sich dasumsetzen lässt .Das politische Papier vom letzten Donnerstag – nichtder Gesetzentwurf – enthält aber auch Verpflichtungender Länder . Es sind also keine rechtsverbindlichen, aberpolitische Verpflichtungen. Es geht darum, die Auslän-derbehörden und die Verwaltungsgerichte so mit Per-sonal auszustatten, dass etwa schnellere Verfahren desBAMF möglich sind . Das hat ja auch Folgen für die Aus-länderbehörden und andere – bei negativen Entscheidun-gen auch für die Gerichte . Das muss dann entsprechendumgesetzt werden, und ich habe die sichere Zuversicht,dass die Länder ihre Verpflichtungen insoweit einhalten.Es gibt dann noch einen sehr interessanten Punkt:Auch in Bezug auf die Verwaltungsgerichte haben wir indem Gesetzentwurf das eine oder andere geregelt . Darü-ber hinaus enthält auch das politische Papier noch einenPrüfauftrag . Es gilt zu prüfen, ob nicht auch durch bes-sere Verfahren bei den Verwaltungsgerichten ein denk-bares Nadelöhr im Anschluss an schnellere Verfahrenbeim BAMF besser geschlossen werden kann . Ich setzedarauf, dass die Länder das schnell umsetzen .
Kollege Wendt .
Herr Minister, das Gesetz heißt „Asylverfahrensbe-
schleunigungsgesetz“ . Am Ende eines Asylverfahrens
steht die Entscheidung, ob die entsprechende Person
hierbleiben darf oder das Land zu verlassen hat .
Für den Fall einer Abschiebung habe ich folgende
Fragen: Vielleicht können Sie noch einmal aufführen,
welche konkreten Maßnahmen jetzt anstehen, um die
Abschiebungen zu beschleunigen . Was halten Sie von
dem Gedanken einiger Länder, zum Beispiel Thüringens,
die Verantwortung für die Abschiebung auf die Landkrei-
se zu delegieren? Demgegenüber sind wir der Meinung,
dass eine bundeseinheitliche Koordination besser ist . Vor
allen Dingen: Wie soll sich künftig die Kooperation mit
den Ländern gestalten, die die Flüchtlinge wieder zu-
rücknehmen sollen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Abgeordneter, es gibt eine ganze Reihe von Maß-
nahmen, die ich jetzt aus Zeitgründen gar nicht erwähnen
kann .
Die Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern
sollen möglichst bis zum Schluss der Verfahren in den
Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben, von wo aus sie
dann in ihr Land zurückkehren können oder abgeschoben
werden . Wir haben auch erklärt, dass die Bundespolizei
dabei engagiert hilft .
Das Nächste ist, dass keine Abschiebung länger als
für drei Monate ausgesetzt werden darf . Außerdem wird
die bisherige sehr weitgehende Ankündigung von Ab-
schiebungen eingeschränkt . Darüber hinaus erfolgt gege-
benenfalls eine Konzentration im Rechtsschutz; darüber
habe ich eben schon gesprochen .
Schließlich ist das Thema Passersatzbeschaffung zu
nennen . Wir wollen mit dem EU-Laissez-Passer-Verfah-
ren – das steht nicht in diesem Papier; dafür weiß ich jetzt
auch keine schöne Übersetzung – die Möglichkeit eröff-
nen, auch ohne einen Pass ausreisen zu können, und zwar
mit einem EU-Dokument . – So kurz ist die Übersetzung
jetzt nicht, aber so ist es vielleicht verständlich .
Beispielsweise Erlaubnisverfahren .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ja, das ist zu 80 Prozent richtig beschrieben . – Ein sol-
ches Verfahren erübrigt die mühsame Passersatzbeschaf-
fung . Das wollen wir mit den entsprechenden Ländern
vereinbaren .
Es gibt hier also eine ganze Reihe von Maßnahmen .
Man muss auch nicht immer nur abschieben . Ich halte
auch sehr viel von einer freiwilligen Rückkehr und von
Hilfen zur freiwilligen Rückkehr, wenn es nicht übertrie-
ben ist . Bezogen auf die sicheren Herkunftsländer haben
wir zum Beispiel gesagt: Derjenige, der in diesem Jahr
gekommen ist und jetzt geht, der kann auch von der le-
galen Migration Gebrauch machen, wenn er die Voraus-
setzungen erfüllt . Ich glaube, das ist auch ein wichtiger
Anreiz .
Vielen Dank, Herr Minister . – Ich frage Sie, ob esnoch Fragen zu anderen Themen der gestrigen Kabinetts-sitzung gibt? – Das ist nicht der Fall . Gibt es sonstigeFragen an die Bundesregierung? – Dazu sehe ich jeden-falls im Augenblick auch keine Wortmeldung . Dann be-ende ich damit die Regierungsbefragung .Stephan Mayer
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:FragestundeDrucksache 18/6136Die Fragen werden in der Ihnen bekanntgegebenenReihenfolge der Ressorts aufgerufen .Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Hiersteht der Kollege Norbert Barthle, ParlamentarischerStaatssekretär im zuständigen Ministerium, für die Be-antwortung der Fragen zur Verfügung .Wir kommen zur Frage 1 des Kollegen AlexanderNeu . – Er ist gar nicht da?
– Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vor-gesehen . Damit entfällt die Antwort . Herr Staatssekretär,dann kommen Sie vergleichsweise leicht weg .Die Frage 2 der Kollegin Tabea Rößner wird ohnehinschriftlich beantwortet .Wir kommen zu den Fragen 3 und 4 des KollegenMatthias Gastel . – Auch er ist nicht da . Es wird verfahrenwie in der Geschäftsordnung vorgesehen .Wir kommen zur Frage 5 des Kollegen HerbertBehrens:Welche Auswirkungen hat nach Kenntnis der Bundes-regierung als Vertreterin des Gesellschafters Bund in derGesellschafterversammlung der Flughafen Berlin Branden-burg GmbH und vertreten im Aufsichtsrat durch zweiStaatssekretäre der derzeit verhängte Baustopp am FlughafenBerlin Brandenburg auf den geplanten Eröffnungstermin im
bleme zu rechnen?N
Sehr verehrter Kollege Behrens, die Vorhabenträgerin
FBB hat angegeben, bis Mitte Oktober 2015 eine end-
ständige Lösung für die mit dem derzeitigen Baustopp
verbundenen vorhandenen Fragen zu erarbeiten . Vorher
können die zeitlichen und kostenmäßigen Auswirkungen
aus Sicht der Bundesregierung nicht zuverlässig einge-
schätzt werden .
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wir haben uns ja zu einem frühe-
ren Zeitpunkt über die Folgekosten des Stillstands am
BER unterhalten . Ich weiß nicht, ob das vor Ihrer Zeit
gewesen ist: Es standen Zahlen zwischen 10 und 50 Mil-
lionen Euro, die pro Monat Bauverzögerung an Kosten
anfallen, im Raum . Es gibt relativ gesicherte Aussagen,
dass zumindest mit 25 Millionen Euro pro Monat als Fol-
gen eines Stillstands am Bau gerechnet werden muss .
Können Sie diese Zahlen bestätigen? Würde das aus
Ihrer Sicht nicht dazu führen, dass diese Bauverzögerun-
gen unter Umständen der EU gemeldet werden müssten,
die sich derzeit im Rahmen eines Notifizierungsverfah-
rens mit dieser Frage beschäftigt?
N
Ihre letzte Frage stimmt mit der Frage 6 überein . –
Wir können derzeit noch nicht sagen, wann das Notifi-
zierungsverfahren der EU abgeschlossen sein wird . Das
ist nicht abzusehen, da es aufgrund der Zusammenhänge,
die Sie darstellen, nicht auszuschließen ist, dass die EU-
Kommission mit weiteren Fragen auf uns zukommt .
In der Unterrichtung im Haushaltsausschusses heute
früh, in der auch ein Vertreter des Flughafens und Staats-
sekretär Bomba anwesend waren, wurde nochmals ver-
sichert, dass keine zusätzlichen Zeitverzögerungen über
die hinaus, die bereits eingepreist sind, auftreten werden,
sodass man nach wie vor von einem Eröffnungstermin
im zweiten Quartal 2017 ausgeht .
Weitere Zusatzfrage?
Ja . – Können Sie denn die Zahl bestätigen, dass die
Bauverzögerung 25 Millionen Euro pro Monat an Kosten
nach sich zieht?
N
Diese Zahl liegt mir so nicht vor . Wir wissen über die
Nachfinanzierungsthemen Bescheid, aber diese Zahl ist
mir so nicht präsent .
Hat sich die Frage 6 erledigt, Herr Behrens, oder soll
ich sie aufrufen?
Bitte aufrufen .
Ja, okay .
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Herbert Behrens auf:
Wann wird nach Kenntnis der Bundesregierung das laufen-
de Notifizierungsverfahren bezüglich weiterer Gesellschaf-
terzuschüsse an die FBB beendet sein, und welchen Einfluss
haben die bekanntgewordenen Statikprobleme auf dieses Noti-
fizierungsverfahren?
Herr Staatssekretär .
N
Nochmals die Antwort auf Frage 6: Wann das Noti-fizierungsverfahren abgeschlossen sein wird, lässt sichderzeit nicht absehen . Es ist nicht auszuschließen, dassdie Europäische Kommission aufgrund der bekanntge-Präsident Dr. Norbert Lammert
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wordenen Statikprobleme zusätzliche Fragen an die Bun-desregierung richten wird .
Zusatzfrage?
Ja, noch eine Zusatzfrage . – Die Bürgerinitiativen ha-
ben in einer gemeinsamen Presseerklärung zum BER da-
rauf hingewiesen, dass es im Notifizierungsverfahren in
Brüssel zurzeit um 2,6 Milliarden Euro geht . Können Sie
diese Zahl bestätigen?
N
Mir sind Erhöhungen der Kosten in der Größen-
ordnung von – ich habe die Unterlagen nicht dabei –
1,107 Milliarden Euro bekannt, aber nicht die von Ihnen
genannte Zahl .
Weitere Frage?
Weil Sie eben angedeutet haben, dass es unter Um-
ständen noch Nachfragen seitens der EU geben könnte:
Kann es in einem solchen Fall, wenn es keine endgültige
Entscheidung über die Freigabe entsprechender EU-Mit-
tel gibt, nicht auch zu weiteren Bauverzögerungen kom-
men?
N
Davon gehe ich nicht aus, da die Flughafengesell-
schaft sagt, dass mit den Nachforderungen Liquidität ge-
geben ist .
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Stephan Kühn auf:
Wo sind die Sanktionen nach Artikel 13 Absatz 1 der Ver-
ordnung Nummer 715/2007 über die Typgenehmigung
von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen im deut-
schen Recht verankert, und welche Maßnahmen zu ihrer An-
wendung wurden getroffen?
N
Sehr geehrter Herr Kollege Kühn, die Verordnung
Nummer 715/2007 ist für bestimmte Kraftfahrzeuge bei
der Typgenehmigung nach der Rahmenrichtlinie 207/46/
EG obligatorisch anzuwenden . Die Erteilung der Typ-
genehmigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt erfolgt
unter Berücksichtigung dessen nach der EG-Fahrzeug-
genehmigungsverordnung . Hieraus ergeben sich auch
die Möglichkeiten der staatlichen Reaktion auf Verstöße
gegen die Typgenehmigungsvorschriften . Es gelten die
§§ 7, 25, 27 und 37 der EG-Fahrzeuggenehmigungsver-
ordnung . Insbesondere sind danach spezielle Verwal-
tungsmaßnahmen vorgesehen, die beispielsweise von
einem teilweisen Widerruf der Typgenehmigung bis zu
deren Erlöschen reichen . Darüber hinaus bestehen die
allgemeinen verwaltungsrechtlichen Reaktionsmöglich-
keiten .
Zusatzfrage?
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Vielen Dank . – Erste Zusatzfrage – Sie haben Verwal-
tungsmaßnahmen angesprochen –: Können Sie uns kon-
kret sagen, in welcher Höhe und in welchem Umfang bei
Verstößen gegen die Verordnung zur Euro-5- und Euro-
6-Norm Sanktionen möglich sind? In welchem Umfang
und in welcher Höhe können die Verstöße sanktioniert
werden, und wo findet sich konkret im nationalen Recht
die Grundlage dafür, solche Sanktionen zu verhängen?
N
Herr Kollege Kühn, wie Ihnen mein Minister schon in
der vergangenen Woche erklärt hat, kann man über Ver-
stöße und Sanktionen erst dann reden und nachdenken,
wenn die Sachverhalte geklärt sind, wenn man also weiß,
welche Verstöße überhaupt vorliegen . Wir sind derzeit
mitten in der Klärung .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Mit dem geltenden deutschen Recht, das die
EU-Verordnung Nummer 715/2007 umsetzt, ist der
Rechtsrahmen für Sanktionen abgesteckt . Ich frage Sie:
Wie sieht das geltende Recht konkret aus, und in wel-
chem Umfang können theoretisch – unabhängig von
dem konkreten Fall, um den es gerade geht – Sanktionen
verhängt werden? Wenn das rechtlich geregelt ist – ich
gehe davon aus, dass die Verordnung umgesetzt und in
das deutsche Recht implementiert wurde –, dann gibt es
einen Rechtsrahmen, der ein bestimmtes Volumen und
bestimmte maximale bzw. minimale Sanktionen definiert.
Danach frage ich . Das ist unabhängig von der Frage des
VW-Skandals im Einzelfall . Wie sieht der Rechtsrahmen
aus, und in welchem Umfang und in welcher Höhe sind
dort Sanktionen vorgesehen?
N
Es handelt sich um den Rechtsrahmen der Typzulas-
sung . Dabei ist, wie gesagt, die weitestgehende Sanktion
der Entzug der Typzulassung . Davor können selbstver-
ständlich Auflagen erteilt werden.
Kollege Behrens .
Herr Staatssekretär, es ist ein bisschen schwierig, aufdie Frage eine klare Antwort von Ihnen zu bekommen .Wir wissen, dass die Richtlinie in nationales Recht um-gesetzt worden ist und seit 2009 Gültigkeit hat . DannParl. Staatssekretär Norbert Barthle
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muss es doch klar sein, wo man das, was Sie gerade er-wähnt haben, nämlich dass es bestimmte Sanktionsmög-lichkeiten gibt, findet.N
Ich sage nochmals: Wenn man weiß, um welche Ver-
stöße es sich handelt, dann kann man auch sagen, was an
möglichen Sanktionen eintreten könnte . Aber da wir da-
rüber keine Klarheit haben, kann ich keine präzise Aus-
kunft geben .
Ich habe gerade den Vorsitz übernommen und grüße
Sie . Schönen Nachmittag von meiner Seite aus, auch
unseren Gästen auf der Besuchertribüne!
Eine Zusatzfrage hat die Kollegin Keul .
Auch mich interessieren die Sanktionen . Unter an-
derem wurden nun strafrechtliche Ermittlungen gegen
einzelne Manager eingeleitet . Ich möchte fragen, ob die
zuständigen Behörden zugleich auch entsprechende Ver-
fahren gegen die juristische Person VW nach §§ 30 und
130 Ordnungswidrigkeitengesetz einleiten .
N
Frau Kollegin Keul, auch für diese Frage gilt: Wir ha-
ben eine Kommission eingesetzt, die die Vorgänge unter-
sucht . Von dieser Kommission liegen noch keine Ergeb-
nisse und auch noch kein Zwischenbericht vor . Bevor wir
darüber keine Klarheit haben, können wir keine präzise-
ren Antworten auf Ihre Fragen geben .
Danke, Herr Barthle . – Dann hat der Kollege Krischer
eine Zusatzfrage .
Herr Staatssekretär, ich kann, ehrlich gesagt, Ihre
Nichtantwort an dieser Stelle nicht verstehen; denn im
Raume steht die Manipulation einer Software, um be-
stimmte Abgaswerte unter Prüfbedingungen zu errei-
chen . Ich möchte an dieser Stelle die Frage des Kollegen
Kühn präzisieren: Können Sie uns den Rechtsrahmen,
also die Paragrafen, in denen die Straf- und Sanktions-
bewehrung für so etwas geregelt ist, nennen, sowohl für
die juristische Person, also für das handelnde bzw . nicht
handelnde Unternehmen, als auch in zweiter Linie für
die Personen, die entsprechende Manipulationen durch-
geführt haben? Welche Rechtsgrundlage ist hier also ein-
schlägig? Dass Sie nicht sagen können, wie das im Detail
aussieht, ist mir völlig klar . Aber Sie müssen doch hier
eine einschlägige Rechtsgrundlage nennen können .
N
Herr Kollege Krischer, Sie wissen ganz genau, dass
es sich um einen Verstoß, also um Regelwidrigkeiten
bei Dieselfahrzeugen auf dem amerikanischen Markt
handelt . Darüber hinaus kennen wir die präziseren Um-
stände nicht . Wir wissen beispielsweise nicht, wie dies
für den europäischen oder gar für den deutschen Markt
zu bewerten ist . Über das amerikanische Rechtssystem
müssen Sie sich in Amerika kundig machen .
Danke, Herr Staatssekretär . – Die nächste Frage hat
die Kollegin Wilms .
Vielen Dank . – Herr Staatssekretär, ich komme auf
Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Kühn zurück .
Kollege Kühn hat ja nach dem Rechtsrahmen gefragt,
also danach, was in Deutschland geltendes Recht ist,
nicht nach dem amerikanischen Recht und auch nicht
nach dem konkreten Fall, der nun im Raum steht . Ich will
da jetzt ganz gezielt nachfragen: Gibt es im geltenden
deutschen Rechtsrahmen – egal ob die Grundlage nun
ein deutsches Gesetz oder eine europäische Verordnung
ist – bei solchen Verstößen gegen die Zulassungsbestim-
mungen über die Möglichkeit, die Betriebserlaubnis zu
entziehen, wie Sie es eben gesagt haben, hinaus weitere
Möglichkeiten, beispielsweise Geldstrafen wegen began-
gener Ordnungswidrigkeiten zu verhängen? Was sieht da
der Rechtsrahmen, der hier gültig ist, vor, und gegen wen
richten sich diese Strafen? – Danke .
N
Frau Kollegin, Sie sprechen ganz bewusst von „sol-
chen Verstößen“ . Das ist ein semantisch ausgesprochen
unscharfer Begriff . Diesen können weder Sie noch ich
präzisieren . Deshalb kann ich Ihre Frage auch nicht be-
antworten .
Die nächste Frage stellt die Kollegin Paus .
N
Welche Verstöße sind es? Können Sie es präzisieren?Herbert Behrens
Metadaten/Kopzeile:
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Moment! Jetzt ist die Kollegin Paus dran . Dann gebe
ich Ihnen ausführlich die Möglichkeit, zu antworten,
Herr Staatssekretär .
Frau Paus .
Unter welchen Be-
dingungen kann die Typgenehmigung entzogen werden?
Unter welchen Bedingungen kann man die Zulassungs-
bescheinigung verlieren?
Ich möchte einen weiteren Aspekt hinzufügen . Sie
wissen genauso gut wie ich, dass die Kfz-Steuer inzwi-
schen eine CO
2
-Komponente enthält . Der zulässige Wert
bei dieser Komponente ergibt sich aus der Zulassungs-
bescheinigung . Sollte sich herausstellen, dass der dort
angegebene Wert betreffend den CO
2
-Ausstoß falsch ist:
Inwieweit werden damit Kfz-Steuerbescheide rechtsun-
wirksam?
N
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Typgenehmigungen gibt es klare Regeln; es
müssen bestimmte Werte eingehalten werden . Diese wer-
den gemessen und teilweise auch nachgemessen .
Deshalb kann bei Verstoß gegen diese Regeln die Typzu-
lassung entzogen werden . Die Zulassung orientiert sich
ja nicht an den Verbrauchswerten, die angegeben werden,
sondern an den Grenzwerten der Schadstoffe .
Die Kollegin Keul hat die nächste Frage .
Ich muss an der gleichen Stelle nachfragen . Wenn
Westernstiefel tragende Leute aus der Tuner-Szene ir-
gendwie an ihren mit Fuchsschwänzen behängten Ma-
schinen rumschrauben, um die Maschinen irgendwie
lauter und dreckiger zu machen, und damit die Abgas-
werte ändern, dann ist die Konsequenz relativ klar: Dann
erlischt die Betriebserlaubnis, und zwar sofort .
ich kann es nicht, und deshalb ist diese Frage nicht re-
levant .
Dann hat die nächste Frage der Kollege Wunderlich .
Ich möchte eine ganz konkrete Frage stellen und er-
warte auch eine ganz konkrete Antwort . Es geht um die
in Artikel 13 genannten Sanktionen der EU-Richtlinie
von 2007 . Ist die Richtlinie in dieser Hinsicht in bundes-
deutsches Recht umgesetzt worden, und wenn ja, wann
und wo finden sich die entsprechenden Sanktionen?
Da hilft das iPad nicht weiter, Herr Staatssekretär .
N
Doch! – Nochmals: Über Sanktionen kann man dann
reden, wenn man Sachverhalte genau kennt . Der Bun-
desregierung sind keine Sachverhalte bekannt, und ihr
waren auch zu früheren Zeiten, vor diesem Wochenende,
entsprechende Sachverhalte nicht bekannt . Wir sind mit-
ten in der Aufklärung der Sachverhalte . Erst wenn das
geschehen ist, kann ich Ihnen nähere Auskunft geben .
Es gibt weitere Fragen zu der Frage 7, und zwar zu-
nächst vom Kollegen Krischer .
Herr Staatssekretär, ich kann Ihre Antwort jetzt nur soverstehen, dass Sie uns hier nicht sagen können, in wel-cher Form die entsprechende EU-Richtlinie in deutschesRecht umgesetzt worden ist . Anders ist Ihre Antwortnicht zu interpretieren . Es geht nicht um einen konkretenFall . Wir fragen jetzt ganz allgemein . Das war die Fra-ge des Kollegen Kühn; der Kollege Wunderlich hat dasnoch einmal genau so gefragt . Sie können also die Ant-wort darauf, wo Sanktionsmöglichkeiten in Deutschlandexistieren, nicht liefern .
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 126 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 30 . September 2015 12223
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(D)
Deshalb meine konkrete Nachfrage: In den USA führtdas, was wir an Softwaremanipulationen zur Verände-rung von Abgaswerten zur Kenntnis bekommen haben,zu strafrechtlichen Ermittlungen . Da scheint das sogarein Straftatbestand zu sein, wenn ich das richtig inter-pretiere . Kann es sein, dass die gleiche Handlung amgleichen Motor – da werden ja ähnliche Motoren ver-wendet – in Deutschland überhaupt keine Ordnungswid-rigkeit, Straftat oder irgendein Verstoß gegen Recht ist?N
Herr Krischer, Sie stellen wiederholt eine spekulati-
ve Frage, ordentlicherweise auch mit „Kann es sein ...?“
eingeleitet . Ich kann zu spekulativen Fragen nur speku-
lative Antworten geben, aber spekulative Antworten gibt
die Bundesregierung nicht .
Dann hat die nächste Frage Frau Haßelmann .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekretär,
wir sind jetzt in der neunten oder zehnten Runde, und
zwar immer noch zur ersten Frage zum Bereich „Abgas-
skandal VW“ . Merken Sie eigentlich nicht, wie lächer-
lich Sie sich mit der Nichtbeantwortung dieser Fragen
machen?
Man bekommt ja den Eindruck, als wollten Sie auf der
Regierungsbank das Ganze aussitzen . Letzte Woche
noch der Chefaufklärer, und jetzt einfach dem Parlament
jede Art von Antwort und Information nicht geben! Da-
bei sind Sie verpflichtet, vollständig und wahrheitsgemäß
zu antworten .
N
Frau Kollegin, wir sind mitten in der Aufklärung eines
sehr schwierigen Sachverhalts,
der sehr große Auswirkungen nicht nur auf die deutsche
Wirtschaft, sondern auch auf unser gesamtes Staatswe-
sen haben kann . In einer solch hochkomplexen Ange-
legenheit von größter Bedeutung ist aufzuklären, auch
Transparenz herzustellen,
aber immer auf dem Boden der Tatsachen; und über die
Tatsachen können wir dann informieren, wenn sie uns
vorliegen, und nicht zuvor .
Danke, Herr Staatssekretär . – Dann hat die nächste
Frage Dr . Hofreiter .
Herr Staatssekretär, ich kann ja verstehen, dass Sie an-
gesichts des Zustandes Ihres Ministeriums nicht in der
Lage sind, uns Antworten auf Fragen im Zusammenhang
mit dem VW-Skandal zu geben .
Aber worauf wir eine Antwort erwarten können, ist die
Frage: Haben Sie die EU-Richtlinie auf nationaler Ebene
umgesetzt, wie haben Sie sie umgesetzt, und wo – in wel-
chem Gesetz oder in welcher Verordnung – finden wir
diese Umsetzung? Diese Frage können Sie beantworten .
Sie hätten sie eigentlich schon vor zwei Jahren beantwor-
ten müssen; denn die Richtlinie müsste schon längst um-
gesetzt sein .
Die Frage ist also nicht, was Sie über den VW-Skandal
wissen – da erwarten wir nicht viel von Ihnen –, sondern:
Wo haben Sie die Richtlinie umgesetzt, wo stehen die
Sanktionsmöglichkeiten, und bis zu welcher Höhe be-
stehen Sanktionsmöglichkeiten?
Das müssen Sie beantworten können; denn das ist eine
rechtliche Frage, die unabhängig vom aktuellen Skandal
ist .
N
Ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, dass im Falle eines
erkennbaren Verstoßes gegen diese Richtlinie die höchst-
mögliche Sanktion der Entzug der Typgenehmigung ist .
Das finden Sie auch in unseren Unterlagen. Alles andere
ist dahingestellt .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Ich möchte denKolleginnen Keul, Wilms und Paus mitteilen, dass ich ih-nen in der Fragerunde zur Frage 7 nicht noch ein weiteresMal das Wort erteilen kann, da sie schon Fragen gestellthaben .
– Ja, das ist laut unserer Geschäftsordnung so .Oliver Krischer
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(D)
Wir kommen zur Frage 8 des Abgeordneten StephanKühn:Wann hat das Kraftfahrt-Bundesamt von der im Ap-ril 2015 von der Volkswagen AG in den USA begonne-nen Rückrufaktion von Dieselfahrzeugen mit 2-Liter-Motorender Baujahre 2010 bis 2014 Kenntnis erlangt, und hat das KBAdiese Rückrufaktion zum Anlass genommen, sich mit der US-Umweltbehörde EPA ins Benehmen zu setzen?Herr Staatssekretär, bitte .N
Herr Kollege, das Kraftfahrt-Bundesamt hat von der
genannten Rückrufaktion in den USA erstmalig durch
öffentliche Medienberichte erfahren . Nachdem das KBA
über die Untersuchungsberichte in Kenntnis gesetzt wur-
de, hat ein Gespräch mit der US-Umweltbehörde EPA
stattgefunden .
Herr Kühn .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Sie wollen also allen Ernstes behaupten, dass eine
Rückrufaktion in den USA, die eine halbe Million Fahr-
zeuge des größten deutschen Autoherstellers betrifft, in
Deutschland nicht bekannt geworden ist. Das finde ich
bemerkenswert .
Aber die Studie des ICCT, die das Eingreifen der ame-
rikanischen Umweltbehörde erst bewirkt hat, müsste be-
kannt sein . Die Untersuchungsergebnisse dieser Studie
sind im vergangenen Herbst in Deutschland veröffent-
licht worden, nämlich dass gravierende Abweichungen
gegenüber den erlaubten Abgaswerten festgestellt wur-
den . Ich frage Sie daher: Welche Schlussfolgerungen hat
das Verkehrsministerium nach Bekanntwerden bzw . Ver-
öffentlichung dieser ICCT-Studie im Herbst letzten Jah-
res, also 2014, gezogen, und was hat es unternommen?
N
Herr Kollege Kühn, wie wir in der Antwort auf die
Kleine Anfrage der Grünen vom Juli schon schriftlich
ausgeführt haben, lagen der Bundesregierung bis zum
fraglichen Wochenende keine Erkenntnisse über diese
Abschalteinrichtung vor .
Herr Kühn .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Staatssekretär, ich habe nicht nach einer Abschalt-
einrichtung gefragt; denn die Autoren der ICCT-Studie
kannten die Ursache für das Überschreiten der Grenz-
werte bei den Abgasemissionen, die sie gemessen hatten,
ja nicht . Die Studie hat nur belegt, dass es gravierende
Differenzen zwischen den Abgasen, die tatsächlich aus
dem Auspuff herauskommen, und den Messwerten auf
dem Prüfstand gibt . Diese Abweichungen haben die ame-
rikanische Umweltschutzbehörde dazu bewegt, Untersu-
chungen durchzuführen und sich mit VW in Verbindung
zu setzen . Das heißt, das ICCT kannte die Ursache für
die Abweichungen überhaupt nicht, konnte sie sich auch
nicht erklären und hat nur die festgestellten Messergeb-
nisse veröffentlicht .
Meines Erachtens wird auch im Bundesverkehrsmi-
nisterium Zeitung gelesen . Zumindest wissen Sie immer
sehr genau, was ich in der Zeitung erkläre oder was dort
von den Grünen berichtet wird . Ich frage Sie: Welche
Schlussfolgerungen bzw . Konsequenzen haben Sie aus
den vor einem Jahr veröffentlichten Ergebnissen des
ICCT im vergangenen Jahr gezogen?
N
Herr Kollege, Sie bringen wieder zwei Dinge durch-
einander .
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sie vergleichen die Abgaswerte, die offensichtlich durch
Manipulation bei einigen VW-Motoren erreicht wurden,
mit den Abgasen, die während des Fahrbetriebs aus dem
Auspuff herauskommen . Was hinten herauskommt, ist
abhängig vom Verbrauch . Dass die angegebenen Ver-
brauchswerte nur in wenigen Fällen dem tatsächlichen
Verbrauch entsprechen, wissen wir schon lange . Das
weiß man auch in der Europäischen Union . Deshalb ver-
suchen wir seit 2011, dieses Problem in den Griff zu be-
kommen . Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu
tun . Deshalb muss man dafür Sorge tragen, dass dies
auch in der Öffentlichkeit nicht ständig vermengt wird,
so wie es die Grünen permanent versuchen .
Die nächste Frage hat die Kollegin Dr . Wilms .
He
Hat die Bundes-
regierung die EU-Verordnung Nummer 715/2007 in na-
tionales Recht umgesetzt, und wenn ja, wo finden wir die
Sanktionen? Welche sind da drin? Eine klare, einfache
Frage .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf darauf hinweisen, dass sich das nicht auf dieFrage 8 vom Kollegen Kühn bezieht, sondern noch ein-Vizepräsidentin Claudia Roth
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mal auf die Frage 7 . Daher kann ich die Frage leider nichtzulassen .
Kollege Krischer .
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade geantwortet,
dass Sie von einer Rückrufaktion des VW-Konzerns in
der Größenordnung von einer halben Million Fahrzeu-
gen nichts mitbekommen haben . Okay, das muss ich zur
Kenntnis nehmen . Da kann sich dann jeder ein Bild über
Ihre Arbeit machen .
Die ICCT-Studie hat Ihnen vorgelegen bzw . liegt Ih-
nen vor . Mich würde, da diese Studie sehr deutlich nach-
weist, dass es erhebliche Überschreitungen bei Stick-
oxidemissionen nicht nur bei VW, sondern bei vielen
Fahrzeugherstellern gibt, einfach konkret interessieren:
Welche konkrete Konsequenz hat diese Studie in Ihrem
Haus gehabt? Zu welcher politischen Aktivität hat das
geführt?
N
Die Bundesregierung respektive der Bundesverkehrs-
minister gehört zu den wenigen, die auf europäischer
Ebene mit Nachdruck einfordern, dass eine Veränderung
der Messsystematik vorgenommen wird hin zu Erkennt-
nissen und Messwerten, die sich näher am tatsächlichen
Verbrauch von Fahrzeugen und damit auch am tatsächli-
chen Ausstoß von entsprechenden Schadstoffen orientie-
ren . Wir gehen davon aus, dass wir hoffentlich bald eine
Einigung auf EU-Ebene erzielen können, um zu diesem
sogenannten näher am Betrieb orientierten Messverfah-
ren auch mit mobilen Messeinrichtungen übergehen zu
können, damit realistische Werte erfasst werden und auch
entsprechend kommuniziert werden können .
Wir gehören also zu den Ländern auf europäischer
Ebene, die da mit Nachdruck vorangehen . Das machen
nicht alle; aber wir tun es . Deshalb, glaube ich, sind Sie
da bei uns in guten Händen .
Frau Höhn .
Herr Staatssekretär, Sie haben eben auf die Frage von
Stephan Kühn gesagt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt
von den Vorgängen in den USA keine Kenntnis hatte . Ich
frage Sie jetzt sehr konkret: Können Sie ausschließen,
dass irgendein Mitarbeiter oder irgendeine Mitarbeiterin
des Verkehrsministeriums oder des Kraftfahrt-Bundes-
amts von den Vorgängen in den USA Kenntnis hatte?
N
Frau Kollegin Höhn, ich kann Ihnen versichern, dass
die Bundesregierung davon keine Kenntnis hatte .
Die nächste Frage zum Fragekomplex der Frage 8 hat
der Kollege Behrens .
Herr Staatssekretär, wir wissen zwar jetzt, dass Sie
nicht wissen, ob die EU-Richtlinie umgesetzt worden
ist . Wir haben auch von Ihnen erfahren, dass Sie nicht
mehr darüber wissen, als in der Presse stand, als es 2015
eine Rückrufaktion in den USA gegeben hat . Können Sie
denn zumindest das Datum dieser Presseberichterstat-
tung nennen, auf die Sie verweisen? Seit wann hat also
die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass es 2015, in
diesem Jahr, in Kalifornien eine Rückrufaktion gegeben
hat mit der Begründung, es müsse eine neue Software
aufgespielt werden?
N
Das Datum der Pressemitteilung liegt mir momentan
nicht vor . Ansonsten distanziere ich mich von den von
Ihnen präsupponierten Mitbehauptungen .
Die Kollegin Paus .
Herr
Ist es denn
so, dass der Verkehrsminister die weiteren Konsequen-
zen genauso engagiert verfolgt und in Bezug auf die An-
passung der Bemessungsgrundlage für die Kfz-Steuer im
Gespräch mit dem Bundesfinanzministerium steht? Gibt
es dazu Gespräche? Können Sie mir darüber berichten?
N
Dazu gibt es keine Gespräche, und es gibt auch keineBestrebungen seitens der Bundesregierung, die Kfz-Be-steuerung zu verändern .Vizepräsidentin Claudia Roth
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Dann kommen wir jetzt zur Frage 9 des Kollegen
Krischer:
Unterstützt die Bundesregierung eine Transparenzoffensi-
ve der Automobilbranche, wie von Bündnis 90/Die Grünen
geschlagen, die die Offenlegung sämtlicher Informationen
zum Stickoxidausstoß aller in Deutschland zugelassenen Die-
selmodelle, deren Testergebnisse mögliche Abweichungen
zwischen Laborergebnissen und auf Prüfstrecken ermittelten
Werten sowie Informationen über Abschalteinrichtungen be-
inhaltet, und falls ja, wie sieht der konkrete Umsetzungsfahr-
plan diesbezüglich aus?
Herr Staatssekretär .
N
Herr Kollege Krischer, unserer Ansicht nach ist es
jetzt das Allerwichtigste, das Vertrauen der Kunden zu-
rückzugewinnen . Die Bundesregierung erwartet daher
eine vollumfängliche Aufklärung und absolute Transpa-
renz aller Vorgänge .
Herr Krischer .
Ihre Antworten hier machen mich fast sprachlos .
Er sagte „fast“. Keine Vorfreude!
Es ist unglaublich, dass der größte deutsche und euro-
päische Automobilkonzern in Schwierigkeiten kommt,
die Schwierigkeiten selber zu verantworten hat und die
Bundesregierung hier in einer derart lapidaren Art und
Weise damit umgeht .
Ich erwarte von einer Bundesregierung, dass sie jetzt
ihren Teil dazu leistet und zum Beispiel die Ergebnis-
se von Messungen, die durchgeführt wurden, öffentlich
macht .
An der Stelle möchte ich ganz konkret bei Ihnen nach-
fragen: Wie oft hat das Kraftfahrt-Bundesamt in der Ver-
gangenheit bei einer Typzulassung eigentlich konkret
nachgemessen? Wie oft ist in der Vergangenheit bei Typ-
zulassungen nachgemessen worden?
Herr Staatssekretär .
N
Herr Kollege Krischer, auch bei Ihnen gilt mein Satz,
dass ich mich von Ihren wertenden Äußerungen distan-
ziere . Der Bundesverkehrsminister war derjenige, der
nach Bekanntwerden des Skandals in Amerika sofort –
sofort! – das Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen hat,
Untersuchungen vorzunehmen . Er war derjenige, der
sofort noch am Montag eine Kommission eingerichtet
hat, die den Dingen nachgeht . Diese Kommission war
auch schon bei VW und arbeitet eng mit VW zusammen .
Diese Kommission ist aus Experten zusammengesetzt
und wird den Dingen nachhaltig auf den Grund gehen .
Der Bundesverkehrsminister war derjenige, der sofort
das Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen hat, nicht nur
bestimmte Pkw eines bestimmten Herstellers zu unter-
suchen, sondern alle auf dem europäischen Markt befind-
lichen Diesel-Pkw nachzuuntersuchen .
Der Bundesverkehrsminister war also derjenige, der so-
fort aktiv die Dinge in die Hand genommen hat und für
Aufklärung und Transparenz sorgt . Deshalb verstehe ich
Ihre Wertung nicht .
Herr Krischer, Nachfrage .
Herr Staatssekretär, meine Frage war, wie oft es zu
Nachmessungen durch das Kraftfahrt-Bundesamt bei
Typzulassungen gekommen ist . Ihre Nichtantwort inter-
pretiere ich so, dass die Antwort in Zahlen null ist, dass
eine Kontrolle nicht stattgefunden hat und dass die Bun-
desregierung durch ihr Nichthandeln an der Stelle inso-
fern zumindest die Mitverantwortung trägt, da sie nicht
überprüft hat . Das möchte ich hier einfach feststellen .
Diese Wertung möchte ich hier machen .
N
Die Anzahl der Nachprüfungen kann ich Ihnen ad hoc
nicht nennen .
Trotzdem kann er darauf antworten .
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N
Die Anzahl von eventuellen Nachprüfungen kann ich
Ihnen ad hoc nicht mitteilen . Sie können sich aber gerne
schriftlich an uns wenden .
Dann werden wir Ihnen die Ergebnisse nach den erfor-
derlichen Nachforschungen auch liefern können .
Gut . – Die nächste –
Gut . – Sind Sie einverstanden – die Zeit war noch
nicht abgelaufen –, dass er die Frage jetzt noch stellen
kann in seiner zweiten Rückfrage, Herr Staatssekretär? –
Dann bitte .
Mich würde konkret interessieren, welche Institutio-
nen Sie jetzt mit der Nachprüfung der vorhandenen auf
der Straße fahrenden Dieselfahrzeuge, die die Grenzwer-
te nach bisherigen Messungen nicht einhalten, beauftra-
gen . Welche Institutionen werden damit beauftragt? Wie
soll das Ganze organisiert werden?
Herr Staatssekretär .
N
Das Kraftfahrt-Bundesamt wird die erforderlichen
Maßnahmen einleiten, um Nachprüfungen durchführen
zu können, und zwar mithilfe von denjenigen Institu-
tionen, die die entsprechende Expertise und die entspre-
chenden Vorrichtungen haben .
– Das kann ich Ihnen abschließend auch nicht sagen . Es
kommen aber zunächst einmal natürlich der TÜV und die
DEKRA infrage und vielleicht auch noch andere .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Nächste Fragestel-
lerin Frau Höhn, und dann Herr Straubinger .
Herr Staatssekretär, seit Sommer dieses Jahres gibt
es vonseiten der EU ein Vertragsverletzungsverfahren
gegen Deutschland wegen zu hoher Stickoxidwerte . Die
Hauptverursacher dieser Stickoxidbelastung in den Städ-
ten sind Dieselmotoren . Hat es durch dieses Vertragsver-
letzungsverfahren Überlegungen im Verkehrsministe-
rium gegeben, den Ausstoß von Dieselfahrzeugen stärker
zu kontrollieren und damit den Anlass für das Vertrags-
verletzungsverfahren abzustellen?
Herr Staatssekretär .
N
Dieses Vertragsverletzungsverfahren existiert . Das ist
richtig . Ich habe Ihnen bereits erklärt, dass wir auf euro-
päischer Ebene intensiv daran arbeiten, die Messmetho-
den zu verändern, um damit näher an die realistischen
Verbräuche und Ausstöße von Schadstoffen heranzu-
kommen . Wir arbeiten mit Nachdruck daran .
Herr Straubinger .
Herr Staatssekretär, es wurde jetzt ja sehr häufig ge-
fragt, wie schnell die Aufklärung erfolgt . Ich möchte hier
ausdrücklich die Bundesregierung loben, dass sie großen
Druck ausübt,
damit bis zum 9 . Oktober entsprechende Ergebnisse vor-
liegen . Wäre es nicht hilfreich, wenn der Anteilseigner,
das Land Niedersachsen, noch stärkeren Druck ausüben
würde und von der rot-grünen Landesregierung auch ein
stärkerer Beitrag geleistet würde?
N
Danke, Herr Kollege Straubinger . – Das ist sicherlichrichtig . VW ist der einzige Hersteller, bei dem im Auf-sichtsrat eine Landesregierung sitzt . Wir haben allerdings
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über die Landesregierung keinerlei Informationen überdie Vorgänge bei VW bekommen .
Danke, Herr Staatssekretär . – Nächster Fragesteller ist
Herr Kühn .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Was schnelles Handeln bedeutet, haben wir beim BER
gemerkt . Auch da wurde eine Taskforce gegründet . Wir
fragen mal lieber nicht, wie die Ergebnisse waren .
Ich möchte, Herr Staatssekretär, noch einmal zu den
Nachprüfungen kommen . Können Sie mir zusichern,
dass alle Ergebnisse der Nachprüfungen der Öffentlich-
keit frei zugänglich gemacht werden und beim KBA kos-
tenlos abrufbar sein werden? – Sie haben ja eine Trans-
parenzoffensive angekündigt . Ich wollte Sie nur daran
erinnern .
Herr Staatssekretär .
N
Ich erlaube mir, für mein Haus die Aussage zu ma-
chen, dass wir die Ergebnisse dieser Nachprüfungen
selbstverständlich öffentlich machen .
Danke schön . – Dann hat Frau Haßelmann das Wort .
Danke, Frau Präsidentin . – Der Vergleich von Stephan
Kühn mit der Taskforce BER verheißt nichts Gutes . Das
Thema an sich ist aber viel zu ernst, als dass man darüber
einen Witz macht .
Zunächst einmal, Herr Staatssekretär, möchte ich Sie
darauf hinweisen, dass der Kollege Krischer die Frage
nicht noch einmal schriftlich Ihrem Ministerium einrei-
chen muss, weil wir davon ausgehen, dass Sie die Ant-
wort auf die Frage, die Sie nicht beantworten konnten,
nämlich wie oft es zu Nachmessungen gekommen ist,
ihm von sich aus geben werden .
Nun meine eigentliche Frage: Wie muss ich mir das
beim Kraftfahrt-Bundesamt eigentlich vorstellen? Wie
arbeitet es? Es ist ja eine Ihnen nachgeordnete Behörde .
Messen die regelmäßig? Messen die auf Verdacht? Mes-
sen die überhaupt nicht und akzeptieren einfach das, was
ihnen von den Autoherstellern als Grenzwert überreicht
wird? Wie funktioniert das?
N
Das Kraftfahrt-Bundesamt beauftragt die Institutio-
nen, die über entsprechende Einrichtungen verfügen .
Man braucht ja Prüfstände und für die Messungen ent-
sprechende Kompetenz . So wird das durchgeführt .
– Das wird stichprobenartig gemacht .
Dann habe ich Frau Lühmann als nächste Fragestel-
lerin .
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass Infor-
mationen, die irgendein Anteilseigner aus einer Auf-
sichtsratssitzung erlangt, nicht weitergegeben werden
dürfen? Stimmen Sie mir weiterhin zu, dass das Land
Niedersachsen und sein Ministerpräsident mehrfach öf-
fentlich und auch in den Kontakten mit Ihrem Haus die
Ermittlungen vorangetrieben haben und die Zusammen-
arbeit – das hat auch Ihr Minister bestätigt – in diesem
Punkt hervorragend ist?
N
Seit Bekanntwerden dieses Skandals ist die Zusam-
menarbeit mit dem Land Niedersachsen sehr gut, und der
Ministerpräsident unterstützt uns in unserem Vorgehen .
Da stimme ich Ihnen vollumfänglich zu .
Dann ist das geklärt . – Frau Wilms, bitte .
Vielen Dank . – Herr Staatssekretär, ich komme noch
mal auf das zu sprechen, was Kollegin Haßelmann eben
schon angesprochen hat: die ganz präzise Frage, wie viel
Mal tatsächlich die Ergebnisse, die von den Herstellern
vorgelegt worden sind, vom KBA durch Messungen im
Rahmen des Zulassungsverfahrens nachgeprüft worden
sind . Da geht es um eine Zahl, und die wollen wir wissen .
Ich schätze – Sie sind doch gut vorbereitet –, dass Sie sie
uns jetzt auch liefern können .
Herr Staatssekretär .
N
Ich habe bereits zugesagt, dass wir die Frage derNachmessungen schriftlich beantworten .Parl. Staatssekretär Norbert Barthle
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Dann kommen wir jetzt zur Frage 10 des Kollegen
Krischer:
Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass alle Diesel-
fahrzeuge in Deutschland, bei deren Typzulassung manipulier-
te Software zum Einsatz gekommen sein könnte, zurückgeru-
fen und so umgerüstet werden, dass die Stickoxidgrenzwerte
eingehalten werden, und wenn ja, welche Maßnahmen wird
Herr Staatssekretär .
N
Herr Kollege Krischer, Volkswagen hat ohne Verzöge-
rungen sicherzustellen, dass eine Rechtskonformität aller
betroffenen Fahrzeuge hergestellt wird . Dementspre-
chend wurde Volkswagen am 25 . September 2015 vom
Kraftfahrt-Bundesamt mit Fristsetzung zum 7 . Oktober
2015 dazu aufgefordert, einen verbindlichen Maßnah-
men- und Zeitplan vorzulegen .
Herr Krischer, bitte .
Herr Kollege Barthle, da würde mich interessieren:
Auf welcher Rechtsgrundlage werden dann die weiteren
Messungen bei den betroffenen Fahrzeugen durchge-
führt? Sie haben eben gesagt, dass Messungen erfolgen
sollen . Welche Rechtsgrundlage gibt es da? Vor allen
Dingen: Wer finanziert diese Messungen? Mich interes-
siert auch Folgendes: Auf welcher Rechtsgrundlage wird
die Kommission bei VW tätig? Wie findet das Ganze
statt? Öffnet VW freiwillig alle Türen, alle Bücher und
den Zugang zu allen Rechnern, oder wie läuft das Ganze
dort ab? Das würde mich interessieren . Ich bitte Sie, das
hier einmal darzustellen .
N
Der Kommission wurde von VW zugesichert, dass
sie vollen Einblick in die Zusammenhänge bekommt,
dass Transparenz hergestellt wird . Die Zusammenarbeit
verläuft bisher sehr gut . Die Kommission war schon in
Wolfsburg und lässt sich die einzelnen Dinge erklären
und vorführen und versucht, dadurch Klarheit in die Zu-
sammenhänge zu bekommen .
Herr Krischer, Ihre Rückfrage .
Meine weitere Frage ist: Wenn es bei den vorhan-
denen Fahrzeugen zu Nachrüstungen kommen müsste,
würde die Bundesregierung dann dafür sorgen, dass der
VW-Konzern und möglicherweise auch weitere Automo-
bilunternehmen die vollen Kosten dafür übernehmen?
N
Wir haben zunächst einmal den VW-Konzern gebeten,
uns einen klaren Maßnahmen- und Zeitplan vorzulegen,
und dafür einen Termin genannt . Wir gehen selbstver-
ständlich davon aus, dass bei nachlaufenden Maßnah-
men, die notwendig werden könnten, die Kosten nicht
zulasten der Verbraucher gehen .
Vielen Dank . – Eine Zusatzfrage des Kollegen Kühn .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Staatssekretär, Sie hatten die Rolle des KBA
angesprochen . Es soll die Rechtskonformität bei der
Typzulassung prüfen . Sie haben gesagt, dass das Kraft-
fahrt-Bundesamt, also die zuständige Behörde, über kei-
ne technischen Einrichtungen, sprich: über Prüfstände,
verfüge . Können Sie das bestätigen?
Herr Staatssekretär .
N
Das kann ich nicht präzise beantworten; denn es könn-
te sein, dass da noch irgendwo ein Prüfstand vorhanden
ist . Die Antwort muss ich nachliefern; ich will nichts Fal-
sches sagen .
Gut, das liefern Sie schriftlich nach . – Frau Paus .
Die Zulassungsbescheinigung, aus der unter anderem
die Höhe des CO
2
-Ausstoßes hervorgeht, ist ja Grund-
lage für die Berechnung der Kfz-Steuerschuld . Daher
meine Nachfrage: Wenn die Zulassungsbescheinigung
erlischt: Hat das Verkehrsministerium geklärt, inwieweit
dann auch der Kfz-Steuerbescheid erlischt und neu er-
stellt werden muss?
N
Wenn kein Zulassungsbescheid vorhanden ist, dann
kann ein Pkw nicht zugelassen werden . Dann wird auch
keine Kfz-Steuer erhoben .
Das hat eine Logik .
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Christian Kühn auf:Seit wann ist die Bundesregierung mit den US-Umwelt-behörden zum Thema „Betrugsfälle von VW in den USA“ inKontakt, und welche Maßnahmen wurden im Hinblick auf Ab-schalteinrichtungen unternommen?
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Herr Staatssekretär .N
Herr Kollege Kühn, das Bundesministerium für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur hat unmittelbar nach Be-
kanntwerden der Vorwürfe gegen Volkswagen in den
USA einen Fachaustausch mit der zuständigen US-Be-
hörde EPA aufgenommen . Die Maßnahmen der Bundes-
regierung betreffen nicht die in den USA auf dem Markt
befindlichen Fahrzeuge.
Herr Kühn .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Gestatten Sie mir kurz die Anmerkung, dass das nicht
die Antwort auf meine Frage war . Ich habe gefragt, wann
die Bundesregierung mit den US-Behörden zum Thema
„Betrugsfälle von VW in den USA“ Kontakt hatte, und
nicht, wie das in Zukunft sein wird .
N
Ich habe Ihnen auf Ihre Frage geantwortet, dass wir
unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen
Volkswagen in den USA einen Fachaustausch mit der zu-
ständigen Behörde vorgenommen haben .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Hatten Sie bzw . die Bundesregierung dann also vor
Bekanntwerden der Vorfälle keinen Kontakt mit US-Be-
hörden in Bezug auf diesen Vorfall, also weder Ihr Mi-
nisterium noch die untergeordneten Behörden Ihres Mi-
nisteriums?
N
Ich wiederhole das, was wir gegenüber den Grünen
schon etwa 20- oder 50-mal gesagt haben:
Zuvor lagen der Bundesregierung keine Kenntnisse über
solche Vorgänge vor .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Meine zweite Nachfrage . Sie haben vorher gesagt,
dass nach der Rückrufaktion im April 2015 ein Gespräch
des Kraftfahrt-Bundesamtes – das haben Sie vorhin ein-
leitend auf die Frage von Stephan Kühn gesagt – mit der
US-Umweltbehörde EPA stattgefunden hat . Das muss ja
vor dem 18 . September gewesen sein . Ich frage noch ein-
mal: Wann hat dieses Gespräch stattgefunden?
N
Sie unterstellen mir gerade eine Aussage, die ich nicht
getätigt habe . Ich habe gesagt, dass wir nach Bekannt-
werden der Vorwürfe gegen Volkswagen in den USA
Kontakt aufgenommen haben, nicht zuvor .
Herr Krischer, bitte .
Herr Staatssekretär, Herr Minister Dobrindt hat an
dieser Stelle in der vergangenen Woche auf die Frage,
ob Kontakte in die USA aufgenommen worden seien, ge-
antwortet, dass die Kommission, die er jetzt eingesetzt
hat – die derzeit in Wolfsburg tätig ist –, Kontakt mit den
USA aufnehmen wird . Das heißt, das muss jetzt inner-
halb der letzten sieben Tage passiert sein . Vorher scheint
es – jedenfalls war die Antwort des Ministers nicht an-
ders zu verstehen – keinerlei Kontakt in Richtung USA
gegeben zu haben . Mich interessiert natürlich: Welche
Erkenntnisse hat dieser Kontakt gebracht – das ist ja eine
entscheidende Frage, wenn man im VW-Konzern unter-
wegs ist und versucht, Fragen zu klären –, und was heißt
das für europäische Autofahrerinnen und Autofahrer?
N
Zunächst wieder eine Richtigstellung . Sie präsuppo-
nieren bei jeder Frage etwas, das so nicht stimmt . Selbst-
verständlich hat es Kontakte mit den amerikanischen Be-
hörden gegeben, aber nicht zu diesen Vorfällen; das ist
das eine .
Zum Zweiten – was die Kontakte nach den Vorwürfen
anbelangt –: Ich kann Ihnen noch keine Auskunft über
Details und Inhalte geben, weil wir abwarten, bis uns der
Bericht der Kommission vorliegt . Den haben wir noch
nicht . Insofern muss man warten, bis Erkenntnisse aus-
gewertet und zusammengefasst sind und uns vorgelegt
werden können .
Vielen Dank . – Ich rufe die Frage 12 der Kollegin
Dr . Wilms auf:
Inwiefern werden auch weitere Fahrzeughersteller neben
VW daraufhin untersucht, ob sie Abschalteinrichtungen in
ihren Fahrzeugen verbaut haben, und aus welchen Gründen
erfolgt dies gegebenenfalls nicht?
Herr Staatssekretär .
N
Frau Kollegin Wilms, das Kraftfahrt-Bundesamt istangewiesen, seine Nachprüfungen auf Fahrzeugtypenin- sowie ausländischer Hersteller zu erstrecken . Ichhabe in einer vorangegangenen Antwort bereits erklärt,dass die Anweisung, dass alle ausländischen Herstellernachgeprüft werden, am Mittwoch nach dem fraglichenWochenende erfolgt ist .Vizepräsidentin Claudia Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 126 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 30 . September 2015 12231
(C)
(D)
Frau Wilms .
Herr Staatssekretär, vielen Dank . – Dann wollen wir
das noch präzisieren, um noch ein bisschen Übung in
das ganze System hineinzubekommen: Werden im Rah-
men dieser Nachprüfungen bei den Herstellern, die Sie
jetzt angekündigt haben und die auch die ausländischen
Hersteller und auch andere deutsche Hersteller betreffen,
die Inhaber der Typgenehmigung aufgefordert, die Fahr-
zeugsoftware gegenüber dem KBA komplett offenzule-
gen?
N
Frau Kollegin Wilms, diese Nachprüfungen beziehen
sich auf diesen Abschaltmechanismus . Das ist der Aus-
gangspunkt der Vorwürfe . Daraufhin werden diese Fahr-
zeuge geprüft .
Frau Wilms, eine zweite Nachfrage .
Wenn ich das richtig sehe, wollen Sie sich da nur wie-
der auf irgendwelche Grenzwerte beziehen . Wenn ich es
richtig verstanden habe, Herr Staatssekretär, wollen Sie
aber nicht wirklich herausfinden, ob in der Software noch
weitere Probleme schlummern . Sie wollen keine Soft-
wareprüfung vornehmen . Sie wollen sich nur Ergebnisse
anschauen .
Herr Staatssekretär .
N
Die Nachprüfungen beziehen sich auf den Vorwurf,
dass illegale Abschaltmechanismen mit einer bestimmten
Software verwandt wurden . Das ist der fragliche Punkt .
Der wird aufgeklärt . Es kann nicht Aufgabe des Staates
sein, die Software eines bestimmten Fahrzeugherstellers
vollumfänglich auszuwerten; denn dann befände man
sich tief in betrieblichen Informationen, die nicht öffent-
lich werden dürfen .
Frau Haßelmann .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Eine kurze Nachfra-
ge, Herr Staatssekretär . Sie haben gerade die Anweisung
an das Kraftfahrt-Bundesamt hinsichtlich der Prüfung
der inländischen und ausländischen Fahrzeughersteller
zitiert, zumindest hatte ich Sie so verstanden . Vorhin ha-
ben Sie einmal erläutert, dass das normalerweise stich-
probenartig erfolgt . Ist nach dem jetzt bekanntgeworde-
nen Skandal um die Abgasmanipulation immer noch die
Regel, dass das KraftfahrtBundesamt nur stichproben-
artig vorgeht? Oder ist Ihre Anweisung so zu verstehen,
dass diese Behörde jetzt so sensibel ist, dass sie durch-
prüft und nicht mehr nur stichprobenartig vorgeht? Ich
weiß ja nicht, was „stichprobenartig“ heißt. Wird jedes
20 ., jedes 30 . oder jedes 100 . Fahrzeug überprüft? Das
würde mich interessieren .
Herr Staatssekretär, bitte .
N
Frau Kollegin, da kommen jetzt wieder mehrere Din-
ge durcheinander .
Die Nachprüfungen beziehen sich auf die Frage, ob sol-
che illegalen Abschaltmechanismen eingebaut sind . Die
Nachprüfungen beziehen sich nicht darauf, ob die Ver-
brauchswerte stimmen . Ich weiß nicht, welche Nach-
prüfungen Sie im Kopf haben . Die Nachprüfungen, von
denen ich rede, beziehen sich auf den illegalen Einsatz
einer Software, die die sogenannte Abschaltautomatik
auslöst .
Herr Kühn, eine Nachfrage .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin in Bezug auf die
Nachprüfungen gesagt, dass die höchstmögliche Sank-
tion sein könnte, dass die Typgenehmigung, also die
Zulassung, erlischt . Was könnte denn nach dem Rechts-
rahmen, den Sie nicht näher erläutern konnten, die ge-
ringstmögliche sein?
Herr Staatssekretär .
N
Ich schlage vor, da treten wir in einen Fachdisput mit-
einander ein .
Gut, dann können Sie das ja fachdisputmäßig viel-leicht in der nächsten Ausschusssitzung klären . Ein Fach-disput ist nicht unmittelbar der Frage zuzuordnen .Nächster Fragesteller: Herr Krischer .
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Herr Staatssekretär, mir ist jetzt, ehrlich gesagt, gar
nicht mehr klar – auch nicht nach der Frage der Kollegin
Haßelmann und Ihrer Antwort darauf –, was Sie genau
machen: Prüfen Sie nur die Abschalteinrichtung? Schau-
en Sie sich die Technik nur dahin gehend an, was die Ab-
schaltvorrichtung und die dahinterstehende Software ist,
oder schauen Sie sich auch die gesamten Abgaswerte des
Fahrzeugs an? Gesetzt den Fall, Sie finden ein Fahrzeug,
das eine immense Überschreitung der zulässigen Abgas-
werte aufweist, obwohl die Abschaltvorrichtung im kon-
kreten Fall völlig korrekt und nicht beanstandenswert ist,
machen Sie nichts; so habe ich Sie jetzt verstanden . Ist
das so?
N
Von welchem Prüfvorgang sprechen Sie, Herr Kollege
Krischer?
Ich spreche von den Dingen, von denen Sie gerade
sprechen .
N
Ich spreche von den Nachprüfungen, die wir vorneh-
men. Die habe ich genau definiert.
Sie versuchen erneut, Verbrauchswerte und die damit
natürlich zusammenhängenden Abgaswerte zu vermi-
schen .
– Die hängen natürlich auch vom Verbrauch ab . – Sie
versuchen erneut, etwas zu vermischen, was nicht zu-
sammengehört . Ich ersuche Sie erneut, dieses Vorgehen,
nämlich Abgasmengen und Bestandteile mit den Ver-
brauchswerten von Fahrzeugen zu verknüpfen, zu unter-
lassen . Die Verbrauchswerte können im alltäglichen Ge-
brauch erheblich höher sein als die Werte, die von den
Fahrzeugherstellern angegeben werden, weil diese Ver-
brauchswerte in einer Laborsituation gemessen werden .
Wir messen jetzt nicht jeden Verbrauchswert der
Fahrzeuge nach – das kann nicht unsere Aufgabe sein –,
sondern wir versuchen, eine andere Messmethode einzu-
führen . Aber auch diese Messmethode muss unter Labor-
bedingungen angewendet werden, um eine Vergleich-
barkeit der Ergebnisse herstellen zu können . Da Sie von
Überschreitungen gesprochen haben, sage ich Ihnen: Es
kommt immer darauf an, unter welchen Fahrbedingun-
gen diese Überschreitungen eintreten, ob die Fahrbedin-
gungen vergleichbar sind .
Ich kann mein Fahrzeug auf ein und derselben Strecke so
fahren, dass es 7 Liter verbraucht, oder so, dass es 10 Li-
ter verbraucht . Das hängt von mir ab . Also: Von welchen
Messmethoden sprechen Sie?
Vielen Dank . – Jetzt hat Herr Behrens die nächste Fra-
ge .
Herr Staatssekretär, als niedersächsischer Abgeordne-
ter wird mir bei Ihren Antworten ein bisschen angst und
bange, da ich weiß, dass, wenn VW niest, ganz Nieder-
sachsen Schnupfen hat . Da VW über 100 000 Beschäf-
tigte hat, halte ich es für erforderlich, dass seitens der
Bundesregierung klare Ansagen an den VW-Konzern
gemacht werden . Schließlich führt das Verhalten des
Vorstands zur Gefährdung von Zehntausenden Arbeits-
plätzen, wenn sich die Situation nicht schnellstmöglich
aufklären lässt .
Insofern möchte ich Sie noch einmal darum bitten,
uns Folgendes zu erläutern: Mit welchem Auftrag ist
Ihre Kommission unterwegs? Auf die Frage der Kollegin
Wilms haben Sie gesagt, dass die Probleme mit der Soft-
ware nicht direkt und nachprüfbar aufgedeckt werden
müssen, damit man selber feststellen kann, ob die An-
sage überhaupt richtig ist . Sind Sie der Meinung, dass es
ausreicht, wenn VW Ihnen sagt: „Wir werden umfassend
aufklären“?
Herr Staatssekretär .
N
Herr Kollege Behrens, ich wiederhole es nochmals:Wir haben dem VW-Konzern mitgeteilt, dass wir erwar-ten, dass bis zum 7 . Oktober 2015 ein klarer Fahr- undZeitplan vorgelegt wird, wie die Dinge aufgeklärt werdensollen . Wir haben ein großes Interesse daran, dass dieseVorfälle möglichst schnell und möglichst transparent auf-geklärt werden, damit das Vertrauen der Menschen, derVerbraucher, der Käufer zurückkehrt .Wir sehen sehr wohl, dass es große Sorgen gibt, auchim Land Niedersachsen und bei den Beschäftigten . Wirhaben ein großes Interesse daran, diese Sorgen mög-lichst schnell auszuräumen . Dafür muss man sauber undkorrekt vorgehen und die Dinge aufklären, die es aufzu-klären gilt . Dabei müssen die Sachverhalte sauber von-einander getrennt werden, und es dürfen nicht Dingehineingemischt werden, die damit nichts zu tun haben,weil das zu einer weiteren Skandalisierung dieses Sach-verhalts führen kann . Teilen der Linken und der Grünenmuss ich vorwerfen, dass sie permanent Sachverhalte
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miteinander vermischen und damit dazu beitragen, dassdas von ihnen Befürchtete eintreten kann .
Eine Zusatzfrage von Kollegin Paus .
Auch ich möchte fragen, was genau der Untersu-
chungsgegenstand ist . Ich versuche einmal, das zu inter-
pretieren . Haben Sie den Untersuchungsgegenstand eng
definiert, in diesem Sinne: „Untersuchungsgegenstand
ist, ob die von der Firma Bosch – folgende Typennum-
mer – verwendete Abschaltvorrichtung sich in weiteren
außer den von VW, Audi und Skoda genannten Fahr-
zeugen befindet, und darüber hinaus wird nicht geprüft“,
oder gibt es einen weiteren Prüfauftrag? Bezüglich des
engen Prüfauftrags würde mich interessieren, ob dann
auch geprüft wird, inwieweit diese Abschaltvorrichtung
an- oder ausgeschaltet worden ist, ob Sie das überprüfen
können .
Ansonsten will ich noch Folgendes fragen: Sind Sie
mit mir der Auffassung, dass es bei den modernen Soft-
warelösungen unter Laborbedingungen neben An und
Aus noch weitere Möglichkeiten gibt, zu manipulieren?
Sind Sie nicht wie ich der Auffassung, dass es sich loh-
nen würde, den Untersuchungsauftrag entsprechend aus-
zuweiten?
Herr Staatssekretär, bitte .
N
Frau Kollegin, ich habe Ihnen erklärt, dass wir diese
Kommission eingesetzt und mit entsprechenden Exper-
ten besetzt haben, die allen relevanten Fragen nachgehen .
Ich schließe mich Ihren Vermutungen nicht an . Uns lie-
gen keine genaueren Erkenntnisse über die Zusammen-
hänge vor .
Frau Höhn .
Prüfen Sie bei Fahrzeugen auch überhöhte Werte von
zum Beispiel NOx oder Feinstaub im realen Verkehr?
Prüfen Sie das? Ist das Teil Ihres Untersuchungsauftrags?
N
Frau Höhn, ich appelliere nochmals an die gesamte
Fraktion der Linken und auch an Sie persönlich – –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Grünenfraktion .
N
Entschuldigung, ich meinte die Fraktion der Grü-
nen . Ich appelliere an Sie: Vermischen Sie nicht ständig
verschiedene Sachverhalte, die nichts miteinander zu tun
haben . Sie erwecken damit in der Öffentlichkeit einen
falschen Eindruck .
Dass sich die Verbrauchswerte und damit auch Abgas-
werte wie die Stickoxide
bei anderen Verbräuchen, bei anderen Fahrzyklen anders
darstellen, das ist relativ logisch . Aber das hat mit den
jetzt zur Untersuchung anstehenden Dingen nichts zu
tun .
Danke schön . – Jetzt kommen wir zur Frage 13 der
Kollegin Lisa Paus:
Wird sich die Untersuchungskommission, die die Manipu-
lationen bei Abgasmessungen an Dieselautos untersuchen soll,
nur mit dem Hersteller VW beschäftigen ,
oder werden die Untersuchungen auch auf mögliche Manipu-
lationen bei Abgasmessungen durch weitere deutsche Auto-
mobilhersteller ausgeweitet?
Herr Staatssekretär .
N
Wenn Sie erlauben, werde ich die Frage 14 auch gleich
mit beantworten . Denn die Fragen stehen in einem engen
Sachzusammenhang .
Dann rufe ich jetzt die Frage 14 auf:Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, nach denensie ausschließen kann, dass neben VW auch andere deutscheAutomobilhersteller Manipulationen bei Abgasmessungen,wie VW sie für einen Teil seiner Fahrzeuge zugegeben hat,durchführen oder durchgeführt haben?Parl. Staatssekretär Norbert Barthle
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N
Das Kraftfahrt-Bundesamt ist angewiesen, seine
Nachprüfungen auf Fahrzeugtypen in- und ausländischer
Hersteller zu erstrecken .
Frau Paus, Sie haben jetzt, wenn Sie möchten, viermal
die Möglichkeit, nachzufragen .
Ich habe immer noch nicht genau verstanden, wie
dieser Prüfauftrag ausschaut . Vielleicht können Sie mir
noch einmal erläutern, wie dieser Prüfauftrag formuliert
ist . Ist darin formuliert, dass geprüft wird, ob sich die ge-
nau definierte Abschaltvorrichtung von der Firma Bosch,
die sich in VW-, Audi- und Skoda-Motoren befindet,
auch in anderen Fahrzeugen befindet? Wie ist der Prüf-
auftrag formuliert?
N
Der Prüfauftrag an das KBA ist so formuliert, dass
nicht nur inländische Dieselmotoren untersucht werden –
nach unserer Kenntnis der 2-Liter-, der 1,6-Liter- und der
1,2-Liter-Motor – , vielmehr sollen auch weitere auf dem
europäischen Markt befindliche Fahrzeuge anderer Her-
steller untersucht werden, und zwar bezüglich der Frage,
ob eine widerrechtlich eingebaute Abschaltvorrichtung
vorzufinden ist.
Frau Paus .
Können Sie mir noch erläutern, warum der Prüfauf-
trag sich auf die Abschaltvorrichtung beschränkt, warum
nicht grundsätzlich geprüft wird, inwieweit manipulierte
Software verwendet worden ist?
N
Frau Kollegin Paus, wie soll das gehen? Wie soll man
irgendeine Manipulation in irgendeiner Software unter-
suchen? Sie müssen mir einmal erklären, wie das gehen
soll .
Die Frage kann ich so nicht beantworten, weil sie so
unscharf ist, dass es darauf keine genaue Antwort geben
kann .
Frau Paus ist jetzt an der Reihe zur dritten Rückfrage .
Als IT-Laiin meine ich mich so weit auszukennen,
dass es bei einem Computerprogramm sehr wohl mög-
lich ist, für bestimmte Situationen bestimmte Ablaufpro-
gramme zu schalten . Ich kann mir also vorstellen, dass
es bei einem Labortest nicht nur die Möglichkeit gibt, in
die Software, in das Programm ein einsprechendes Mo-
dul einzufügen: Schalte dieses Tool an oder aus . Es ist
sehr wohl auch möglich, eine Software so zu program-
mieren, dass unter bestimmten Bedingungen – man kann
die Laborbedingungen auch allgemeiner definieren – ein
Programm abzulaufen hat, das dazu führt, dass bestimm-
te Emissionen gedrosselt werden . Das ist durchaus mög-
lich . Sie können sich gern noch einmal mit Softwarespe-
zialisten unterhalten .
Prüft die Bundesregierung zusammen mit entspre-
chenden Experten, was die Software angeht, breitere
Manipulationsmöglichkeiten im Rahmen der Überprü-
fung der Motoren von inländischen und ausländischen
Fahrzeugherstellern?
N
Ich habe den Prüfauftrag bereits formuliert . Sie kön-
nen das gerne im Protokoll nachlesen . Ich muss den Satz,
der den Prüfauftrag beschreibt, nicht zehnmal wiederho-
len. Nebenbei bemerkt: In modernen Pkw befindet sich
Software mit einem Datenumfang, der etwa dem eines
Spaceshuttles entspricht . Insofern müssen Sie uns schon
etwas genauer, etwas präziser fragen, was denn überprüft
werden soll .
Frau Paus, die vierte Nachfrage? – Nicht mehr . Gut . –
Dann Herr Krischer .
Sie haben das Kraftfahrt-Bundesamt beauftragt, nur zu
überprüfen, ob die Fahrzeuge eine solche nicht zulässi-
ge Abschaltvorrichtung besitzen . Sie haben uns eben er-
klärt, dass man nicht in die Software schaut . Daher würde
mich natürlich interessieren – diese Abschaltvorrichtung
ist eine Software –, wie man das herausfinden will, ohne
in die Software zu schauen . Das ist mir ein Rätsel . Aber
Sie werden das sicherlich verstanden haben .
Ich darf also feststellen, dass Sie das eigentliche Pro-
blem, nämlich die Überschreitungen der Stickoxidgrenz-
werte – das ist ja auch das Problem in den USA –, hier
überhaupt nicht untersuchen, dass Sie keine Nachprü-
fungen unternehmen und dass Sie hier keine Messungen
vornehmen . Deshalb würde ich Sie bitten – Sie haben
jetzt mehrfach vom Auftrag an das Kraftfahrt-Bundes-
amt gesprochen; offenbar liegt er Ihnen vor –, uns diesen
Auftrag hier für das Protokoll wörtlich vorzulesen .
Herr Staatssekretär .
N
Den Auftrag kann ich Ihnen nicht wörtlich vorlesen;ich habe ihn auch nicht schriftlich bei mir . Ich wiederholenoch einmal: Es geht um die Frage, ob bei bestimmtenDieselmotoren durch eine illegale Software ein Mecha-nismus in Gang gesetzt wird, der falsche NOX-Werte er-
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gibt . Das wird überprüft, und zwar auch in anderen Fahr-zeugen .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Höhn, bitte .
Herr Staatssekretär, in den USA hat man ja diese
Tricksereien und den Betrug herausbekommen, weil man
festgestellt hat, dass diese Autos im normalen Verkehr
zu hohe Abgaswerte hatten . Dem ist man nachgegangen,
und dann ist man darauf gekommen: Aha, die haben diese
Abschaltvorrichtung . Wenn Sie jetzt die Software nicht
überprüfen und die hohen Abgaswerte nicht überprüfen,
wie wollen Sie dann überhaupt herausfinden, dass da eine
Abschaltvorrichtung vorhanden ist?
N
Ich habe Herrn Krischer schon gesagt – ich sage es
auch Ihnen –, dass wir selbstverständlich in die Software
hineinschauen müssen .
– Ich habe doch nie etwas anderes behauptet .
– Nein, ich habe nie etwas anderes behauptet . Ich habe
hier nur gesagt: Wir können nicht sämtliche Software
überprüfen .
Ich habe nie etwas anderes behauptet . Sie unterstellen
mir permanent Dinge, die ich nicht gesagt habe bzw . an-
geblich gesagt habe .
Dagegen verwahre ich mich mit aller Entschiedenheit .
Frau Kollegin Höhn, wie war Ihre Frage? Sie ist mir
jetzt entfallen . Entschuldigung .
Ich habe gefragt: Wenn Sie nicht die hohen Abgaswer-
te und auch nicht die Software überprüfen, wie bekom-
men Sie dann überhaupt heraus, dass da eine Abschalt-
technik verwendet worden ist?
N
Da sind wir wieder beim Selben . Wir müssen selbst-
verständlich in die Software schauen, um zu sehen, ob
diese manipulativen Vorgänge dort gespeichert sind, ob
sie aktiv sind und ob man sie außer Kraft setzen kann usw .
usf . Diese Dinge werden von der Kommission überprüft .
Ich bitte Sie: Lassen Sie der Kommission den nötigen
Freiraum, um diese Dinge jetzt ordentlich aufzuklären .
Stellen Sie im Vorfeld nicht irgendwelche Vermutungen
an, und machen Sie nicht irgendwelche Vorwürfe, bevor
wir überhaupt Fakten auf dem Tisch haben .
Eine Nachfrage von Stephan Kühn .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Staatssekretär, Sie haben ja den Vorwurf an uns
gerichtet, dass wir nicht auseinanderhalten können, wel-
che Abgaswerte im Labor geprüft werden und welche im
realen Straßenverkehr gemessen werden . Sie haben ge-
sagt, wir würden das durcheinanderwerfen . Nun ist es so,
dass die Bundesregierung – auch das haben Sie gesagt –
sich dafür einsetzt, dass es das sogenannte RDE-Verfah-
ren gibt, bei dem man die Abgaswerte im realen Verkehr
messen kann . Wir wissen, dass Laborsituation und realer
Verkehr zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind; denn
die Werte im realen Verkehr haben auch etwas mit dem
Fahrverhalten zu tun . Entsprechend sind die Emissionen
im Vergleich zur Laborsituation unterschiedlich . Deshalb
soll es bei RDE einen Umrechnungsfaktor geben, also:
Laborwert mal Komma x ergibt sozusagen den maximal
zulässigen im realen Verkehr emittierten NOX-Ausstoß .
Mich würde interessieren: Für welchen Umrechnungs-
faktor setzt sich die Bundesregierung bei den Verhand-
lungen für die Implementierung von RDE ein?
Herr Staatssekretär .
N
Herr Kollege, ich habe Ihnen nicht vorgeworfen,dass Sie die Laborsituation nicht von der Praxissituationunterscheiden können; ich nehme sehr wohl an, dass Siedas unterscheiden können .
Darum geht es aber bei dieser Frage nicht . Vielmehrist das erneut der Versuch, einen Sachverhalt, nämlichunterschiedliche Verbrauchs- und Emissionswerte beistandardisierten Laboruntersuchungen und realen Fahr-situationen, als Aufhänger zu benutzen .
Das ist aber nicht der Ausgangspunkt des VW-Skandals .Der Ausgangspunkt des VW-Skandals ist ein andererSachverhalt . Beide Sachverhalte vermischen Sie ständig .Ich lehne es ab, zu dem anderen Sachverhalt konkretereParl. Staatssekretär Norbert Barthle
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Aussagen zu machen, weil er mit dem einen Sachverhaltnichts zu tun hat .
Dass wir daran arbeiten, das RDE-Verfahren auf euro-päischer Ebene einzuführen, habe ich schon mehrmalserwähnt . Es ist aber noch nicht da, und es ist noch nichtkonkret abzusehen, wie es aussehen wird . Das wird aufeuropäischer Ebene verhandelt .
Jetzt habe ich noch eine Nachfrage vom Kollegen
Chris Kühn .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Wann gibt es denn Ergebnisse der Kommission hinsicht-
lich der Fahrzeugtypen von VW und anderer Fahrzeug-
hersteller in Deutschland? Wann kann die Öffentlichkeit
also mit Ergebnissen rechnen? Inwieweit fließen in diese
Ergebnisse auch Erkenntnisse der US-Bundesbehörden
und der US-Umweltbehörde mit ein?
N
Wann Ergebnisse vorliegen, kann man naturgemäß zu
Beginn der Arbeit einer solchen Kommission schlecht
vorhersagen . Dass, nachdem es Kontakt gegeben hat,
auch Ergebnisse aus den USA bewertet werden, davon
gehe ich aus .
Frau Dr . Wilms .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wir haben ganz gezielt gefragt,
wie es bei der Umrechnung der Werte der derzeitigen
Labormessungen auf RDE mit dem Umrechnungsfaktor
aussieht . Sie haben uns eben, wenn ich es richtig ver-
standen habe, mitgeteilt – es kann ja sein, dass bei mir
Aussetzer auf der Platte sind; das will ich nicht hundert-
prozentig ausschließen,
aber bislang funktioniert alles noch einigermaßen gut –,
dass sich die Bundesregierung damit noch nicht beschäf-
tigt hat . Ich sehe aber – das kann ich auch den Unterla-
gen, die uns zur Verfügung stehen, entnehmen –, dass in
Brüssel schon längst darüber verhandelt wird . Also: Wel-
chen Umrechnungsfaktor schlägt die Bundesregierung
vor? Da gibt es ja zwei Werte, die im Gespräch sind: 1,5
und 2,5 . Was schlägt die Bundesregierung vor?
Herr Staatssekretär .
N
Über diese Frage wird auf europäischer Ebene in-
tensiv verhandelt . Es wäre aus Sicht der Bundesregie-
rung schlecht, sich da auf einen Wert festzulegen . Das
schränkt die Verhandlungsmöglichkeiten ein . Ich kann
Ihnen nochmals versichern: Wir sind intensiv dabei, das
RDE-Verfahren baldmöglichst einzuführen .
Danke schön, Herr Staatssekretär . – Weil wir zwei
Fragen zusammengefasst haben, ist noch einmal Kollege
Krischer mit einer Nachfrage zu Frage 14 dran .
Prüfen Sie –
Sie haben eben auch mehrfach gesagt, die Kommission
prüft; ich habe gar nicht genau verstanden, wer prüft,
aber ich sage jetzt einfach einmal „Sie“ – oder prüft das
Kraftfahrt-Bundesamt jetzt fabrikneue Fahrzeuge, die
vom Hersteller zur Verfügung gestellt werden, oder wer-
den Fahrzeuge überprüft, die schon auf der Straße fahren,
die also schon im Betrieb befindlich sind?
Herr Staatssekretär .
N
Die Kommission überprüft die Vorgänge bei VW undversucht, zu ergründen, wie dieser ganze Mechanismusüberhaupt funktioniert hat, was da getan wurde .
– Ihre Frage war: „Wer prüft?“, und ich beantworte siegerade .
Die Nachprüfungen des Kraftfahrt-Bundesamtes be-ziehen sich auf die im Markt befindlichen Fahrzeugeeuropäischer und nichteuropäischer, deutscher und nicht-deutscher Hersteller .
– Die im Markt sind .
Parl. Staatssekretär Norbert Barthle
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Ja, die Frage war: fabrikneu oder nicht? Herr Staats-
sekretär, vielleicht noch einmal?
N
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Krischer, da lege ich mich jetzt nicht fest . Sagen
Sie mir einmal, was „fabrikneu“ ist. Auch da haben die
Hersteller unterschiedliche Auffassungen .
So, jetzt haben wir noch eine Nachfrage von Herrn
Wunderlich .
Wahrscheinlich ein vergeblicher Versuch . – Herr
Staatssekretär, eine ganz konkrete Frage an Sie als zu-
s
Wissen
Sie, wie die Prüfverfahren beim Kraftfahrt-Bundesamt
ablaufen, wie viele Fahrzeuge geprüft werden, bis es
eine Genehmigung gibt, und wie diese Fahrzeuge geprüft
werden? Wissen Sie dies konkret?
Der Staatssekretär antwortet jetzt .
N
Sehr geehrter Herr Kollege, wir haben diesen Prüfauf-
trag erst vor wenigen Tagen an das KBA gegeben . Ich
glaube, deshalb ist relativ leicht nachvollziehbar, dass
wir jetzt – nach wenigen Tagen – noch nicht über sämt-
liche Details, wie diese Prüfvorgänge ablaufen und wie
viel wann und wo geprüft wird, Bescheid geben können .
Das muss ja erarbeitet werden, und dafür braucht man
etwas Zeit .
Lassen Sie uns also die notwendige Zeit, um diese
Frage dann präzise zu beantworten .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . Sie sind jetzt mit
Ihren Antworten durch . Aber Sie haben ja eine gute Kon-
dition .
– Einige Fragen an Sie werden schriftlich beantwor-
tet . – Vielen herzlichen Dank .
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit . Herzlich willkommen, Florian Pronold .
Er wird sich jetzt nicht an die Beantwortung der Fra-
ge 15 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl machen –
die wird schriftlich beantwortet –,
sondern an die Beantwortung der Frage 16 der Kollegin
Bärbel Höhn:
Stammt die Sulfatbelastung der Spree nach Kenntnis der
Bundesregierung hauptsächlich aus aktiven oder stillgelegten
Braunkohletagebauen, und von welchen möglichen Beein-
trächtigungen der Trinkwasserversorgung entlang der Spree
geht die Bundesregierung in den nächsten Jahren in diesem
Zusammenhang aus?
Fl
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung liegen hierzu keine eigenen Gut-
achten und Erkenntnisse vor . Die Geschäftsführung der
Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsge-
sellschaft mbH als Projektträger und Unternehmen des
Bundes für die Sanierung der stillgelegten Tagebau- und
Veredelungsanlagen in den neuen Bundesländern hat eine
Studie dazu veröffentlicht. Sie trägt den Titel „Einschät-
zung des Anteils des Sanierungsbergbaus der LMBV an
der Sulfatbelastung der Spree“ .
Dieser Studie kann man Folgendes entnehmen: Im Er-
gebnis ist es so, dass der aktive Tagebau gegenwärtig zu
etwa 51 Prozent, der stillgelegte Tagebau der Lausitzer
und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft
zu etwa 28 Prozent sowie die in der Lausitz natürlich vor-
handenen geologischen Bodenschichten zu etwa 21 Pro-
zent die Sulfatfrachten in die Spree eintragen . Die Studie
ist auf der Webseite der Lausitzer und Mitteldeutschen
Bergbau-Verwaltungsgesellschaft einsehbar .
Frau Höhn .
Herr Staatssekretär, geht die Bundesregierung nach
dieser Studie davon aus, dass es steigende Sulfatwerte
geben wird, wenn die Erweiterung des Braunkohletage-
baus Welzow-Süd in der Lausitz abgeschlossen ist?
Fl
Die Bundesregierung geht auf Basis dieses vorliegen-den Gutachtens davon aus, dass zukünftig kein signifi-
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kanter Anstieg der Gesamtsulfatbelastung in der Spree zuerwarten ist .
Herr Staatssekretär, Sie haben ja eben aus diesem Gut-
achten vorgelesen und gesagt, dass der aktive Tagebau
zu etwa 51 Prozent und der stillgelegte Tagebau zu etwa
28 Prozent zu den Belastungen beitragen . Geht die Bun-
desregierung davon aus, dass sich die Verockerung der
Spree trotz einer Erweiterung des Tagesbaus nicht ver-
ändert?
Fl
Noch einmal: Wir können uns nur beziehen auf die
Erkenntnisse, die wir haben . Die Erkenntnisse sind das
vorliegende Gutachten, das auch öffentlich ist und das zu
dem Ergebnis kommt, dass es keinen signifikanten An-
stieg geben wird .
Wenn sich die Grundlagen ändern, ist selbstverständ-
lich eine Neubewertung vorzunehmen . Das ist ja logisch .
Wenn wir eine tatsächliche Ausweitung des Tagebaus
hätten, dann müsste man auch prüfen, ob die Maßnah-
men, die wir mit dieser Gesellschaft ergriffen haben – wo
wir jetzt über 20 Millionen Euro investiert haben, um die
Sulfatbelastung nicht weiter zu erhöhen –, dazu führen,
dass es keinen weiteren – so wie das Gutachten sagt –
Anstieg der Sulfatbelastung gibt . .
Wenn es eine signifikante Änderung gibt, muss man
eine Neubewertung vornehmen .
Uns liegen derzeit aber keine Erkenntnisse vor, dass es
dadurch zu einem signifikanten Anstieg käme.
Vielen Dank .Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Bildung und Forschung .Die Frage 17 des Abgeordneten Kai Gehring unddie Frage 18 des Abgeordneten Dieter Janecek werdenschriftlich beantwortet .Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung .Die Frage 19 des Abgeordneten Uwe Kekeritz wirdschriftlich beantwortet .Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-lerin und des Bundeskanzleramtes .Die Frage 20 der Abgeordneten Tabea Rößner unddie Frage 21 des Abgeordneten Dr . André Hahn werdenschriftlich beantwortet .Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Wirtschaft und Energie .Die Frage 22 des Abgeordneten Dr . André Hahn, dieFrage 23 der Abgeordneten Britta Haßelmann, die Fra-gen 24 und 25 der Abgeordneten Katharina Dröge unddie Frage 26 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl wer-den schriftlich beantwortet .Da der Fragesteller der Frage 27, Hubertus Zdebel,nicht da ist, entfällt die Beantwortung . Es wird verfahren,wie in der Geschäftsordnung vorgesehen .Die Frage 28 des Kollegen Uwe Kekeritz wird schrift-lich beantwortet .Wir kommen zum Geschäftsbereich des AuswärtigenAmtes .Die Fragen 29 und 30 der Kollegin Inge Höger sol-len schriftlich beantwortet werden . Die Fragen 31 und 32der Kollegin Heike Hänsel sollen schriftlich beantwortetwerden. Die Frage 33 der Kollegin Dağdelen soll schrift-lich beantwortet werden . Frage 34 wird nicht beantwor-tet, da Frau Dağdelen nicht da ist. Es wird verfahren, wiein der Geschäftsordnung vorgesehen .Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Kunert wer-den schriftlich beantwortet . Die Frage 37 des KollegenVolker Beck wird schriftlich beantwortet .Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeminis-teriums des Innern .Die Frage 38 des Kollegen Volker Beck wird schrift-lich beantwortet . Die Frage 39 der Kollegin Schauws sollebenfalls schriftlich beantwortet werden . Die Frage 40des Kollegen Neu wird nicht beantwortet, weil er nichtanwesend ist . Es wird verfahren, wie in der Geschäfts-ordnung vorgesehen .Die Fragen 41 und 42 der Kollegin Steinbach wer-den schriftlich beantwortet . Die Frage 43 des KollegenJanecek sowie die Fragen 44 und 45 der Kollegin UllaJelpke werden schriftlich beantwortet . – Liebe Leute,meldet es dann halt ab! – Die Fragen 46 und 47 des Kol-legen Ströbele werden nicht beantwortet, da er nicht daist . Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vor-gesehen .Die Fragen 48 und 49 des Kollegen Hunko sollenschriftlich beantwortet werden .Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums der Finanzen . Auch die Frage 50 der KolleginHöhn soll schriftlich beantwortet werden . – Wie ich sehe,kommt gerade der Kollege Zdebel in den Saal . Dann kön-nen wir seine Frage noch aufrufen . Wir haben ja noch einbisschen Zeit . Ist der für die Antwort zuständige Staats-sekretär noch da?
– Gut . – Wir kommen noch einmal zurück zum Ge-schäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaftund Energie .Ich rufe die Frage 27 von Herrn Zdebel auf:In welcher Weise besteht aus Sicht der Bundesregierungein Zusammenhang zwischen dem geplanten Gesetz zur Haf-tungssicherung für die Atomkonzerne in Sachen Atomrück-stellungen und den Ergebnissen des laufenden Stresstests überdie Verfügbarkeit und Höhe der Entsorgungsrückstellungen,und gibt es aus Sicht der Bundesregierung Umstände, die dazuParl. Staatssekretär Florian Pronold
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 126 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 30 . September 2015 12239
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führen könnten, dass ein solches Gesetz zur Haftungssiche-rung möglicherweise nicht erforderlich wäre?U
Frau Präsidentin! Ich beantworte die Frage von Herrn
Zdebel wie folgt: Die geplante Regelung zur Nachhaf-
tung verfolgt einen anderen Zweck als der Stresstest . Ziel
des Gesetzentwurfes ist es, eine langfristige Nachhaftung
jedes Unternehmens, das als Betreibergesellschaft von
Kernkraftwerken gilt, für die Kosten der Stilllegung und
des Rückbaus dieser Kernkraftwerke und der Entsorgung
der radioaktiven Abfälle zu gewährleisten und somit die
Risiken für die öffentlichen Haushalte zu reduzieren .
Mit der vom BMWi in Auftrag gegebenen Überprü-
fung der Kernenergierückstellungen – Klammer auf: der
sogenannte Stresstest – soll hingegen geklärt werden, ob
die Rückstellungen dieser Unternehmen ordnungsgemäß
gebildet sind, und soll ihre Eignung für die Finanzierung
der Atomverpflichtungen bewertet werden. Der Rege-
lungsvorschlag zur Nachhaftung ist daher von den Er-
gebnissen des laufenden Stresstests nicht abhängig .
Vielen Dank . – Herr Kollege .
Danke, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekretär, auch
Ihnen herzlichen Dank für die Antwort . Ich habe dann
doch noch einmal eine konkrete Nachfrage dazu . Durch
die Medien sind in diesem Zusammenhang schon Zahlen
gegangen, etwa dass den Energiekonzernen nach einer
vorab bekanntgewordenen Berechnung eventuell bis zu
30 Milliarden Euro fehlen . Könnten Sie das möglicher-
weise bestätigen? Könnten Sie mir Auskunft darüber ge-
ben, wie der Stand der Erkenntnisse der Bundesregierung
dazu ist, ob diese Berechnungen eventuell zutreffen?
U
Herr Abgeordneter, das, was Sie mit Ihrer Frage gera-
de anfangen, ist eine sehr kursrelevante Debatte . Diese
Zahl kann ich ausdrücklich nicht bestätigen .
Weitere Frage?
Das habe ich eigentlich auch nicht anders erwartet .
U
Warum stellen Sie dann die Frage?
Sie hatten letzte Woche schon davon gesprochen, dass
Sie Fragen zum Stresstest zum jetzigen Zeitpunkt sehr
ungerne beantworten .
Trotzdem frage ich zu einem anderen Punkt nach, der
in gewisser Weise damit in direktem Zusammenhang
steht, nämlich die von Minister Gabriel angekündigte
Atommüllrückstellungsbewertungskommission, um es
so vereinfacht zu sagen . Können Sie mir bestätigen, dass
der Kollege Bundestagsabgeordneter Jürgen Trittin als
Vorsitzender dieser Kommission im Gespräch ist?
Das interessiert mich jetzt auch .
U
Herr Abgeordneter, ich beantworte gerne Ihre Fragen
wie folgt: Erstens, wir machen den Stresstest, um die öf-
fentliche Hand vor irgendwelchen Beeinträchtigungen
bzw. finanziellen Verpflichtungen zu bewahren. Wir prü-
fen nach, ob die Atomkonzerne in der Lage sind, ihren
Verpflichtungen nachzukommen. Das sind Grundlage
und Absicht des Stresstests, und das ist ganz plausibel
und vernünftig aus Sicht jedes deutschen Steuerzahlers .
Das Zweite ist, dass Herr Bundesminister Gabriel eine
solche Kommission angekündigt hat, deren Besetzung
aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht .
Vielen Dank . – Eine Rückfrage des Kollegen Krischer .
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für Ihre Ausfüh-
rungen . – Sie widersprechen etwas den Ausführungen
Ihrer Kollegin Zypries in der Fragestunde der letzten
Woche . Da hat sie uns nämlich zu meiner Verwunderung
und auch zur Verwunderung von Kollegen erläutert, dass
das Konzernhaftungsgesetz und die Stresstests in einem
inhaltlichen Zusammenhang stehen, und das mit als Be-
gründung angeführt, warum das Konzernhaftungsgesetz,
das eigentlich schon in der letzten Sitzungswoche im Ka-
binett verabschiedet werden sollte – so war jedenfalls die
öffentliche Ankündigung –, sich weiter verzögern würde:
weil die Ergebnisse der Stresstests nicht vorliegen .
Ich habe Sie so verstanden, dass das in keinem un-
mittelbaren Zusammenhang steht und dass die Verlän-
gerung der Konzernhaftung unabhängig vom Ergebnis
der Stresstests erfolgt, weil sie sowieso vorgenommen
werden muss . Dazu bitte ich Sie um Klarstellung und
um einen Hinweis – da das Konzernhaftungsgesetz öf-
fentlich angekündigt war –, wann die Kabinettsbefassung
geplant ist und wann wir mit der Vorlage des Gesetzent-
wurfs rechnen können .
U
Zur Klarheit der Gedanken, Herr Kollege Krischer:Das eine ist das Überprüfen, ob die Konzerne mit denRückstellungen, die sie über Jahrzehnte gebildet haben,in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen,und das Zweite ist, dass wir mit dem Entwurf des Rück-Vizepräsidentin Claudia Roth
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bau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetzes dafürSorge tragen wollen, dass uns, ganz simpel gesprochen,niemand entwischt, auch wenn er seinen Konzern um-baut .Insofern handelt es sich zwar um die gleiche Thema-tik, aber durchaus um unterschiedliche Sachverhalte, dienebeneinanderstehen .Sie haben nach dem Termin gefragt . Nach meinemKenntnisstand ist als Kabinettstermin derzeit der 7 . Ok-tober vorgesehen .
Vielen herzlichen Dank, Herr Staatssekretär . – Dann
sind wir jetzt am Ende unserer Fragestunde angekom-
men . Die Fragen 51 und 52 des Kollegen Ebner aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung
und Landwirtschaft werden schriftlich beantwortet .
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 .35 Uhr . Genießen
Sie Ihren Kaffee oder was auch immer, und um 15 .35 Uhr
treffen wir uns pünktlich wieder zur Aktuellen Stunde .
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Gäste auf der Tribüne, herzlich willkommen! Ich rufe
den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zur Stationie-
rung von 20 modernisierten Atombomben in
Rheinland-Pfalz
Ich begrüße den Vertreter von Rheinland-Pfalz auf der
Bundesratsbank und ebenso die Vertreterinnen und Ver-
treter der Bundesregierung .
Ich eröffne die Aussprache mit Alexander Ulrich für
die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! InDeutschland, auf deutschem Boden soll ganz offensicht-lich atomar aufgerüstet werden . Das lehnen wir als Linkeentschieden ab .
Die Bundesregierung muss jetzt Farbe bekennen unddie Öffentlichkeit darüber informieren, was gerade pas-siert, was von US-Seite geplant ist . Sie muss erklären,warum sie still und heimlich akzeptiert, dass neue Atom-waffen auf dem Fliegerhorst in Büchel in Rheinland-Pfalz stationiert werden sollen,
obwohl der Bundestag im Jahr 2010 das genaue Gegen-teil beschlossen hat . Der Bundestag beschloss 2010, sichfür eine atomwaffenfreie Welt einzusetzen und sich beiden Verbündeten mit Nachdruck dafür einzusetzen, dieverbliebenen Atomwaffen in Rheinland-Pfalz abzuzie-hen . Diesem Antrag hatte übrigens auch die CDU/CSUzugestimmt, und er deckte sich sogar mit dem damalsgültigen Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundes-regierung .
Jetzt passiert genau das Gegenteil . Wie wir auch, abernicht nur durch Frontal 21 wissen, plant die US-Regie-rung, bis 2020 in Europa lagernde Nuklearwaffen zumodernisieren . In Büchel sollen dann 20 neue Nuklear-waffen stationiert werden, die zusammen die Sprengkraftvon 80 Hiroshima-Bomben haben . Mit diesen neuenWaffensystemen wird der Atomwaffensperrvertrag be-wusst unterlaufen . Die atomare Aufrüstung wird so wei-ter vorangetrieben . Zudem bedeutet diese Modernisie-rung eine gefährliche Provokation gegenüber Russland,weil sie neue Angriffsoptionen bietet . Die USA heizen sodie Dynamik für einen neuen Kalten Krieg weiter an, unddie Bundesregierung macht munter mit . Wann wird manauf dieser Regierungsbank endlich verstehen, dass manFrieden in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russlandermöglichen kann?Unsere US-hörige Bundesregierung schweigt bzw .nickt sämtliche Pläne der Vereinigten Staaten heimlichab . Und: So wichtig es war, die Atomgespräche mit demIran zum Abschluss zu bringen, so sehr versagen dieAtommächte und auch die Bundesregierung bei der eige-nen Abrüstung . Man kann nicht glaubwürdig von ande-ren den Verzicht auf Atomwaffen fordern, ohne selbst zuverzichten . Kein Land der Welt hat das Recht, Massen-vernichtungswaffen zu besitzen .
Deutschland muss gerade vor dem Hintergrund seinerGeschichte auf nukleare Teilhabe in der NATO verzich-ten . Deutschland besitzt zwar formal keine Atomwaffen;aber die Bundeswehr ist in US-Planspiele für Atom-kriege eingebunden . In Büchel stehen deutsche Pilotenmit Kampfjets der Bundeswehr für Einsätze bereit . Mitdieser Beteiligung bricht die Bundesregierung ihre völ-kerrechtlichen Pflichten auf eine Art, die sie bei Nicht-NATO-Staaten zu Recht nie akzeptieren würde . Übrigensgeht es auch innerhalb der NATO anders . So sind Grie-chenland und Kanada schon vor Jahren aus der nuklearenTeilhabe ausgestiegen .Wir sagen: Die Modernisierung von Atomwaffen inBüchel muss gestoppt werden . Sonst wird ein fatales Zei-chen gesetzt, dass das Wettrüsten weitergeht .
Oder andersherum: Wenn die Bundesregierung hier undjetzt aussteigt, wäre das ein starkes, glaubwürdiges Si-gnal für globale atomare Abrüstung und ein ehrlichesEngagement für eine atomwaffenfreie Welt . Gerade inParl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
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dieser aufgeheizten Zeit mit der angespannten Lage inder Ukraine und den Massen an Kriegsflüchtlingen wäreein solches Zeichen unglaublich wichtig .Wir fordern die Bundesregierung auf, den Abzugsämtlicher Atomwaffen aus Deutschland endlich durch-zusetzen
und auf jegliche Art der nuklearen Teilhabe vollumfäng-lich zu verzichten . Ganz nebenbei könnte auf diese Wei-se in Büchel ein dreistelliger Millionenbetrag eingespartwerden; denn wir wissen, dass der Fliegerhorst eben-falls modernisiert werden soll und wir schon jetzt mit120 Millionen Euro dabei sind . Ähnlich ist es beim US-Hospital in Ramstein, wo wir mit 130 Millionen dabeisind . Dieses Geld könnte sinnvoller eingesetzt werden,und zwar für Arbeitsplätze, für die Zukunft einer Region,die es dringend nötig hat, als für Kriegsspiele mit Atom-waffen .Die Linke streitet weiter für eine atomwaffenfreieWelt und für ein atomwaffenfreies Deutschland . BeendenSie endlich Ihre Hörigkeit gegenüber den USA! MachenSie damit endlich Schluss!Ich bin froh, dass auch die Grünen meiner Rede zumTeil durch Applaus zugestimmt haben .
Aber auch von der rheinland-pfälzischen Landesregie-rung erwarte ich deutlich mehr; denn die rheinland-pfäl-zische Landesregierung aus SPD und Grünen ist mir vielzu ruhig . Man hat sich wohl mit den Plänen der Amerika-ner in Büchel abgefunden . Liebe grüne Bundestagsfrak-tion, sagen Sie Ihren Kollegen im Mainzer Landtag undIhrer zuständigen Ministerin dort, dass sie endlich han-deln sollen, damit nicht nur die Bundesregierung Druckmacht, sondern auch die Landesregierung in Rheinland-Pfalz .Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Ulrich . – Der nächste Red-
ner ist der Kollege Roderich Kiesewetter für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Wir sind eben leider Zeugeeiner Rede geworden, in der der Wunsch vor die Wirk-lichkeit gestellt wurde . Es ist schon absolut bedauerlich,dass die Ukraine als Beispiel für nukleare Abrüstung an-geführt wird . Es war doch gerade die Ukraine, die 1994um den Preis ihrer Unabhängigkeit die Nuklearwaffen anRussland übergeben und 20 Jahre später ihre Souveräni-tät verloren hat . Ich glaube, wäre die Ukraine Nuklear-macht geblieben, müssten wir den hybriden Krieg, denwir dort gerade erleben, nicht erleben .Mir geht es aber um Sachlichkeit in der Diskussion .Ich möchte deutlich hervorheben, dass gegenseitigeRückversicherung und Abrüstung an sich kein Selbst-zweck sind . Ziel unserer Außenpolitik ist, dass wir aufder einen Seite Verlässlichkeit im Bündnis bieten und aufder anderen Seite sowohl Sicherheit nach innen als auchSicherheit im Bündnis nach außen leisten können . Daskönnen wir durch eine Bundeswehr im Bündnis .
Das machen wir durch sehr stark orientierte Entwick-lungszusammenarbeit und einen vernetzten Ansatz, derin den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat .
Ich möchte herausstellen, dass uns Russland zurzeit indrei Bereichen nuklear bedroht:Erstens . Russland macht Volltruppenübungen undübt die Verlegung von Kurzstreckenraketen, von soge-nannten Iskander-Raketen; davon hat Russland mehr als4 000 Stück . Solche Übungen gab es auf deutschem Bo-den letztmals in der 80er-Jahren . Heute, 30 Jahre danach,wird dies auf russischem Boden wieder praktiziert .Zweitens . Russische strategische Bomber verletzenden Luftraum der Europäischen Union . Wir wissen nicht,was sie transportieren . Sie sind aber nuklearfähig . Dasfindet umgekehrt nicht statt.Drittens . Russland übt derzeit mit etwa 50 000 bis60 000 Soldaten die schnelle Verlegung über weite Stre-cken und dabei auch die Anwendung von Nuklearwaffen .Auch das gab es zuletzt in den 80er-Jahren und wird heu-te nicht mehr gemacht .Wir müssen also schon die Kirche im Dorf lassen undsehr deutlich sagen, dass die nukleare Bedrohung vonRussland ausgeht .
Für uns Deutsche ist die nukleare Teilhabe ein Thema,auf das ich gerne noch etwas Zeit verwenden möchte .Wir haben es im Jahr 2010 fast parteienübergreifend ge-schafft – Agnieszka Brugger war seinerzeit dabei –, einenAntrag auf nukleare Abrüstung im Bundestag durchzu-setzen . Damals war aber nicht von einem einseitigen Ab-zug von Nuklearwaffen die Rede, sondern davon, dasswir im strategischen Konzept der NATO eindeutige Hin-weise auf einen Abbau der Bedeutung von Nuklearwaf-fen verankert haben wollten . Das ist uns gelungen; dasging von diesem Bundestag aus . Wir können heute nochfroh darüber sein, dass wir das geschafft haben . Die Ent-wicklung seit 2010 ist aber eine andere; die Bedrohungunserer östlichen Grenze – insbesondere der souveränenUkraine – ist sehr sichtbar .Alexander Ulrich
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Der zweite Punkt ist: Wir wollen das strategischeKonzept der NATO weiterhin mit beeinflussen. Das gehtnicht, indem wir einseitig sagen: „Wir verzichten auf nu-kleare Teilhabe“, sondern das geht, indem wir konzep-tionell mitarbeiten und an den politischen Dokumentender NATO mitwirken . Das ist eine Besonderheit . DieBundesrepublik Deutschland ist neben Frankreich, Groß-britannien und den USA einer von vier Staaten, die da-ran mitwirken . Wir haben hier also eine ganz besondereRolle .Der dritte Punkt ist – er sollte dem Kollegen von derLinken etwas mehr zu Herzen gehen; da waren Sie sehroberflächlich, Herr Kollege Ulrich –:
Dadurch, dass wir als Bundesrepublik Deutschland ander nuklearen Teilhabe festhalten, verhindern wir, dassdie Staaten in Osteuropa die NATO-Russland-Grund-akte aufkündigen . In der NATO-Russland-Grundaktevon 1997 ist eindeutig festgehalten: keine Stationierungvon Nuklearwaffen in diesen Staaten . – Warum wollenwir das? Wir wollen keine Zone neuer Unsicherheitschaffen, sondern wir wollen, dass die Verlässlichkeit desamerikanischen Nuklearschirms konstant bleibt und wirnicht durch einen einseitigen Verzicht eine Diskussioninnerhalb der NATO entfachen, wer dann in Europa diedeutsche, die belgische, die niederländische, die italieni-sche oder die türkische Rolle übernimmt . Ich glaube, hiermuss uns sehr stark an Stabilität gelegen sein .
Ein letzter Punkt: Es handelt sich um eine Moderni-sierung . Wie uns Parlamentariern es über die Medienzugänglich gemacht worden ist, haben die vorhandenenNuklearwaffen ein bestimmtes Alter . Wer setzt denn aufAbschreckung oder auf verlässliche Rückversicherung,wenn die Waffen veraltet sind und dadurch möglicher-weise sogar eine schädliche Wirkung in ihrem Umfeldentfalten? Das bedeutet, die Modernisierung stärkt dietransatlantische Zusammenarbeit und unsere eigene Ver-lässlichkeit im Rahmen der nuklearen Teilhabe .Ich möchte bewusst sehr sachlich unterstreichen – unddafür habe ich eine Reihe von Argumenten genannt, aufdenen man aufbauen kann –: Mittelfristig halten wir alleam Ziel einer abnehmenden Bedeutung von Nuklearwaf-fen fest . Aber Russland belehrt uns zurzeit eines Besse-ren .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Herr Kollege Kiesewetter . – NächsteRednerin in der Debatte: Agnieszka Brugger für Bünd-nis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 25 Jah-re nach Ende des Kalten Krieges sind immer noch US-amerikanische Atomwaffen im Rahmen der nuklearenTeilhabe in der NATO in Büchel, in Rheinland-Pfalz,stationiert, und die Bundeswehr hält Trägermittel – Tor-nados – bereit, um diese Waffen im Ernstfall abzuwerfen .Wir sagen als Grüne nicht erst seit heute: Es ist höchsteZeit, dass diese Waffen abgezogen werden .
Lieber Kollege Ulrich, wir sind Ihnen sehr dankbar,dass Sie als Linksfraktion das heute zum Thema machen .Wir Grüne haben in den letzten Jahren auch schon zahl-reiche Anträge dazu gestellt . Bei Ihrer Rede haben wirnur teilweise geklatscht, weil nicht alles richtig war . Ichmöchte Sie explizit darauf hinweisen, dass sich unseregrüne stellvertretende Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, Eveline Lemke, in dieser Frage sehr klar und deut-lich positioniert hat .
Meine Damen und Herren, das Thema ist sehr aktuell .Vor Jahren hat Obama entschieden, dass das amerika-nische Nuklearwaffenarsenal modernisiert werden soll,und die Anzeichen mehren sich, dass das jetzt in die Tatumgesetzt wird . Hinter dem netten und verharmlosendenBegriff „Lebensdauerverlängerung“, der in diesem Zu-sammenhang gebraucht wird, verbirgt sich ein milliar-denschweres Aufrüstungsprogramm, von dem auch diein Büchel gelagerten Waffen betroffen sind . Das bedeutetin der Konsequenz, dass aus der Bombe B61 die nochpräzisiere und gefährlichere Variante B61-12 wird . In-folge dessen müssen auch die Flugzeuge, die Tornados,für Millionen Euro umgerüstet werden . Sie werden län-ger in Betrieb gehalten, als es ursprünglich geplant war .Auch das kostet ordentlich Geld . Gleichzeitig sagen alleExperten – Herr Kiesewetter, hier werden Sie nicht wi-dersprechen –, dass diese Waffen keinen militärischenNutzen mehr haben .
Es ist doch naiv, zu glauben, dass, wenn diese Waffenfür Unsummen modernisiert werden und die Trägermit-tel ebenfalls, es zu einem baldigen Abzug dieser Waffenkommen wird . Deshalb können wir die Bundesregierungnur auffordern: Ziehen Sie endlich die Notbremse!
Ich zitiere aus der Bundestagsdrucksache 17/11323 –sie ist aus der letzten Legislaturperiode –, die den Titelträgt: „Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffenin Europa und Deutschland – Abrüstungschancen nichtungenutzt lassen“ . Die antragstellende Fraktion fordertdarin die Bundesregierung auf, „deutlich klarzustellen,dass die Bundesregierung gegen die Stationierung mo-dernisierter B61 in Deutschland und Europa ist“ und „aufeine Modernisierung, Anpassung und Lebensdauerver-längerung des deutschen Trägersystems für substrategi-Roderich Kiesewetter
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sche Nuklearwaffen zu verzichten und hierfür auch keineHaushaltsmittel einzuplanen“ .
Sie denken wahrscheinlich, dieser Antrag stamme vonden Grünen oder den Linken; aber er stammt aus derFeder der SPD . Als Antragsteller wird oben namentlichgenannt der aktuelle Außenminister Frank-Walter Stein-meier .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ichkann Sie nur an das erinnern, was Sie vor nicht allzu lan-ger Zeit gefordert haben . Jetzt, wo Sie Regierungsverant-wortung tragen und den Außenminister stellen, haben Siedie Gelegenheit, es in die Realität umzusetzen . StoppenSie diesen finanziellen und sicherheitspolitischen Irrsinn!
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung be-tont immer auf dem internationalen Parkett, dass sie sichfür eine Welt frei von Atomwaffen einsetzt und die nuk-leare Abrüstung voranbringen will . Das predigen Sie aufder einen Seite; auf der anderen Seite aber lassen Sie defacto die Aufrüstung dieser Massenvernichtungswaffenim eigenen Land zu . Das ist völlig unglaubwürdig .
Ich sage Ihnen, was ich ebenso inakzeptabel finde:Wenn wir die Bundesregierung zu diesen Plänen befra-gen, versteckt sie sich seit Jahren hinter der Geheim-haltung im Rahmen der NATO . Ich muss Ihnen sagen:Man kann, wenn man denn möchte, die entsprechendenInformationen aus den USA nutzen . Man kann die Doku-mente der dortigen Regierung lesen, die dortigen Plenar-debatten mitverfolgen und nachlesen und sich in Blogsund Zeitschriften die Meinungen der dortigen Expertenanschauen. Da steht alles drin. Ich finde, die Bundesre-gierung ist an dieser Stelle in der Pflicht, die Fragen derParlamentarierinnen und Parlamentarier zu beantwortenund hier auch gegenüber der Öffentlichkeit und den Me-dien Transparenz herzustellen .
Der gute Antrag aus der letzten Wahlperiode, in demwir uns gemeinsam über die Partei- und Fraktionsgren-zen hinweg darauf geeinigt haben, den Abzug der nu-klearen Waffen zu fordern, ist schon von den KollegenUlrich und Kiesewetter angesprochen worden . Es ist janicht alltäglich, dass wir alle einer Meinung sind . LiebeKolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich kannSie nur auffordern: Rücken Sie davon nicht ab! LassenSie uns an diesem guten Konsens festhalten!Auch in den Niederlanden sind Atomwaffen im Rah-men der nuklearen Teilhabe stationiert . Die Freundinnenund Freunde im niederländischen Parlament haben sichgetraut, ein klares Zeichen zu setzen, und beschlossen,den Modernisierungsplänen, die die Waffen im eigenenLand betreffen, eine klare Absage zu erteilen . Ebensohaben sie beschlossen, dass die niederländischen Kampf-flugzeuge in Zukunft keine Atomwaffen mehr tragen dür-fen .
Insofern würde ich meine Rede gerne mit einem ver-söhnlichen Appell und einem Angebot insbesondere anSie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,schließen: Lassen Sie uns doch einen ähnlichen Be-schluss fassen und einen mutigen Schritt in Richtungeines atomwaffenfreien Deutschlands gehen .
Am Ende ist es eigentlich ganz einfach: Atomwaffen ma-chen die Welt nie, unter keinen Umständen sicherer .
Nur Abrüstung bedeutet am Ende mehr Frieden und Si-cherheit für alle .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin Brugger . – Nächster Red-
ner ist Niels Annen für die SPD .
Vielen Dank, liebe Frau Präsidentin . – Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Frau Brugger, es ist nett, dass Sieuns an diesen guten Antrag erinnern . Das wäre nicht nö-tig gewesen,
weil sich unsere Haltung gar nicht verändert hat . Unse-re Fraktion und auch die Große Koalition sprechen sichweiterhin eindeutig für das Ziel der nuklearen Abrüstungaus .
Wir haben uns in den letzten Jahren in diesem Haus im-mer darauf verständigt; das war auch gemeinsame Posi-tion der letzten Bundesregierungen . Ich bin froh, dass wiruns bei all der Rhetorik, die man zu solch einer Gelegen-heit gerne vortragen kann – das ist ja in Ordnung –, auchheute über dieses Ziel einig sind .
Agnieszka Brugger
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Herr Kollege Ulrich, ich habe mir einiges aus IhrerRede aufgeschrieben, weil ich glaube, dass man sich beidieser Debatte nicht nur Teile der Diskussion herauspi-cken sollte, zumindest dann nicht, wenn man eine ehr-liche und angemessene Debatte führen will . Sie habengesagt, „still und heimlich“ würden wir jetzt neue Atom-raketen stationieren . Das entspricht natürlich nicht derWahrheit . Wir haben hier eine Situation, die etwas kom-plexer ist, als es manchmal von diesem Podium aus dar-gestellt wird . Ich darf Sie daran erinnern, dass auch IhreFraktion es sehr begrüßt hat, dass wir in der Amtszeit vonPräsident Obama einen wichtigen Abrüstungsschritt ge-macht haben – das haben wir alle hier miteinander be-grüßt –, das sogenannte New-START-Abkommen . Manmuss sich auch noch einmal anschauen, wie die Debattein den USA abgelaufen ist. „Still und heimlich“ habenSie gesagt . In der sogenannten Nuclear Posture Reviewvon 2010 – das ist eine Überprüfung, die die Amerikanerregelmäßig durchführen –
ist ebendieses Modernisierungsprogramm enthalten . In-sofern kann man das nachlesen . Das ist weder still nochheimlich passiert .
Man muss dieses Modernisierungsprogramm nichtgut finden;
das ist überhaupt nicht meine These . Mir fallen vie-le schöne Dinge ein, die man mit 10 Milliarden Dollarmachen kann . Nur: Über diese 10 Milliarden Dollar ent-scheidet nicht der Deutsche Bundestag; darüber entschei-det der amerikanische Kongress . Wenn Sie die Debattenverfolgt haben, dann werden Sie mir zustimmen, dass eseine Verbindung gab zwischen der Zustimmung des Kon-gresses, der Nuclear Posture Review und dem Moderni-sierungsprogramm .
Noch einmal: Man muss das nicht gut finden; aber das istder Zusammenhang .
Und das war der wichtigste Schritt in Richtung Abrüs-tung, den wir in den letzten Jahren gegangen sind . DieKomplexität dieses Themas muss man von diesem Pultaus vortragen dürfen .
Ich will noch einen Hinweis geben . Ich habe über-haupt nichts dagegen, denselben Antrag noch einmal zubeschließen .
Ich bin mir nicht sicher, ob unser geschätzter Koalitions-partner das machen würde; aber nehmen wir einmal an,wir würden das gemeinsam machen . Das können wir ger-ne jederzeit tun. Ich darf nur mit aller Höflichkeit an dieErfahrungen aus der letzten Legislaturperiode erinnern .Der damalige Außenminister ist mit großem Brimboriumnach Washington gereist und hat gefordert, jetzt müsseetwas passieren, um dem Ziel einer Welt ohne Atom-waffen näherzukommen; das hat mir übrigens emotionaldurchaus gutgetan, weil das meiner Haltung entspricht .
Aber ich frage Sie: Welches Ergebnis hat das gehabt? –Gar kein Ergebnis!
Ich glaube, es ist eine kluge Politik, dass wir uns inder Großen Koalition auf einen – das gebe ich gernezu – mühsameren Weg verständigt haben . Dieser Wegsetzt auf Überzeugung – glücklicherweise nicht in die-sem Parlament; denn hier sind wir uns einig, und das istsehr wertvoll . Wir haben begonnen, unsere eigenen Ver-bündeten davon zu überzeugen, dass es der richtige Wegist, in der NATO, unserem wichtigsten Bündnis, in demwir Mitglied sind, dafür zu sorgen, dass die nuklearenWaffen abgezogen werden . Das ist die Position meinerFraktion, und dabei bleiben wir auch . Wir sprechen unsdarüber hinaus natürlich weiterhin für eine globale Null-lösung im Bereich der nuklearen Waffen aus; auch dasdarf hier deutlich gesagt werden . Deswegen begleitenwir diesen wichtigen und schwierigen Prozess .Ich hoffe und bin da ganz optimistisch, dass wirvonseiten der Bundesregierung in den nächsten Mona-ten vielleicht die eine oder andere Möglichkeit habenwerden, darauf hinzuwirken . Wir haben hier mehrfachdarüber diskutiert, dass es gerade angesichts der ange-spannten weltpolitischen Situation eine Chance ist, dasswir den OSZE-Vorsitz übernehmen werden . Wenn Sieunseren Koalitionsvertrag sorgfältig lesen – ich nehmean, dass Sie das beide getan haben, geschätzte Kollegenund Kolleginnen von der Opposition –, dann werden Siedarin nicht nur das Bekenntnis zur nuklearen Abrüstungfinden, sondern auch ein Bekenntnis zu einer neuen Ini-tiative im Bereich der konventionellen Abrüstung . Dasist der Schritt, den wir gehen . Dafür wird sich unserAußenminister engagieren .Natürlich kann man keine Versprechungen machen .Aber die Erfahrung ist doch: Wenn wir uns auf kleineSchritte konzentrieren, die wir in schwierigen Verhand-lungen möglicherweise erreichen, weil das Umfeld nuneinmal so ist, wie es ist – das haben wir alle miteinanderbedauert –, dann ist das vielleicht auch eine Chance, imBereich der substrategischen Waffen einen Schritt voran-zukommen. Ich finde schon, Herr Kollege Ulrich, dass esNiels Annen
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angemessen wäre, Ihre Fraktion würde eine solche De-batte anmelden, wenn die russische Seite ihre taktischenNuklearwaffen modernisiert . Davon habe ich nichts ge-hört . Deswegen ist das, was Sie gesagt haben, ein wenigunglaubwürdig .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Kollege Annen . – Nächster Redner in
der Aktuellen Stunde ist Thorsten Frei für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auch 70 Jahre nach dem nuklearen Urknall, nämlich demEinsatz von Atomwaffen in Hiroshima und Nagasaki mit200 000 Toten,
ist uns dieser Vorfall heute noch Mahnung genug . Wenndie Doomsday Clock auf drei vor zwölf gestellt wird unddamit die atomare Bedrohung in der Welt so hoch ein-geschätzt wird, wie in den letzten 30 Jahren nicht, dannist das in der Tat ein Zeichen dafür, dass wir alles dafürtun müssen, den Weg hin zu einer atomwaffenfreien Weltkonsequent weiterzugehen .Zu reden ist das eine, Anträge aus der Mottenkiste zuziehen ebenfalls, zu handeln und aktiv etwas dafür zutun, dass Atomwaffen in der Welt weniger werden, dasist das andere . Die Bundesregierung tut genau dies: Damuss man nur einmal einen Blick in den Jahresabrüs-tungsbericht werfen . Da muss man sich nur die erfolgrei-chen Bemühungen im Bereich des Nichtverbreitungsver-trages anschauen . Da muss man nur einmal schauen, woDeutschland wichtiger Geber ist, beispielsweise bei Or-ganisationen, die sich mit der Überwachung des Verbotsvon Nuklearwaffentests beschäftigen . Und da muss mansich nur die jüngsten Erfolge anschauen, die die deutscheRegierung etwa im E3+3-Format im Zusammenhang mitder Einigung mit dem Iran gefunden hat .Ich glaube, dass Deutschland eine erfolgreiche undeine gute Rolle gespielt hat und dass wir deshalb durch-aus auch gemeinsam mit dem Stockholmer Friedens-forschungsinstitut SIPRI davon ausgehen können, dasswir auf einem guten Weg sind, dass wir allerdings einenlangen Atem und kluge Diplomatie brauchen, um erfolg-reich fortzuschreiten .
Es ist aber auch wahr, dass es die Aufgabe eines Staa-tes und seiner Regierung ist, für Sicherheit und Souve-ränität des Staates und seiner Einwohner zu sorgen . Dasist die Aufgabe, die die Bundesregierung hat . Da genügteigentlich schon ein Blick auf die Realität, die sich unszeigt, um daraus klare Schlüsse zu ziehen .Erwähnt wurde die völkerrechtswidrige Annexion derKrim, erwähnt wurde der Bruch des Budapester Memo-randums von 1994, was natürlich ein fatales Zeichen füralle Atommächte und für all diejenigen, die das gernewerden möchten, war, weil es eben gezeigt hat, dass of-fensichtlich nur ein atomarer Schutzschirm Sicherheit fürregionale und territoriale Integrität bietet .Nächster Punkt ist die Militärdoktrin Russlands, diedergestalt geändert wurde, dass man die NATO und dieUSA zu Gegnern erklärt hat, und die beispielsweise aus-drücklich auch präemptive Nuklearschläge ermöglichthat . Das sind die Realitäten, mit denen wir uns natürlichauseinandersetzen müssen .Ich verweise auch – um an Niels Annen anzuschlie-ßen – auf die Beschaffung von 40 Interkontinentalrake-ten in Russland, die auch die modernsten und effektivstenAbwehrsysteme überwinden sollen . Erwähnenswert istauch die Tatsache, dass man mit Kurz- und Mittelstre-ckenraketen Übungen unmittelbar an NATO-Grenzlän-dern durchführt . All das sind Realitäten, mit denen wirkonfrontiert sind und auf die wir auch eine angemesseneAntwort finden müssen.
Die NATO hat sich ganz klar dazu bekannt, die Be-dingungen für eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen .Aber wer einseitig auf Atomwaffen verzichtet, solangees Atomwaffen in der Welt gibt, der ist dumm und der istnaiv; das wollen wir nicht sein .
Schauen Sie nicht nur nach Russland . Ich glaube,wir alle sollten darauf schauen, wie komplex die Weltinsgesamt ist . Schauen Sie nach China . Auch China isteine Atommacht . China hat in den vergangenen Jahrenjährlich seine Militärausgaben im zweistelligen Prozent-bereich erhöht und gibt derzeit jedes Jahr 125 Milliar-den Euro für Militär, Verteidigung und Sicherheit aus .Schauen Sie sich das atomare Wettrüsten beispielsweisezwischen Pakistan und Indien an . In den nächsten 10 bis15 Jahren wird das Potenzial dort um das Doppelte oderdas Dreifache erhöht werden . Dabei geht es immer umRaketen, die auch Nordamerika und Amerika erreichenkönnen .
Deshalb ist es klar, dass wir darauf eine Antwort fin-den müssen . Diese Antwort ist in der Tat keine militä-rische, weil weder 180 Sprengköpfe in Europa nochmutmaßlich 20 Sprengköpfe in Deutschland eine echtemilitärische Bedeutung haben; allerdings haben sie eineNiels Annen
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politisch-psychologische und eine strategische . Da gehtes eben auch um eine wirksame Abschreckung . Da gehtes um die Verhinderung von Proliferation . Darauf bedarfes einer glaubwürdigen Antwort . Diese Antwort ist dieNATO, und diese Antwort sind auch nukleare Vorausset-zungen in diesem Bündnis, die wir so lange brauchen, biswir das Ziel einer atomwaffenfreien Welt erreicht haben .
Das ist die Wahrheit .
Herr Kollege .
Deswegen ist es auch eine friedenspolitische Bot-
schaft, wenn man ein Stück weit über den Tag hinaus
denkt . Damit bin ich am Ende .
Herzlichen Dank .
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Katrin Werner, Fraktion Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen undHerren! Herr Frei, vielleicht schauen wir einfach einmalauf Deutschland: Rheinland-Pfalz ist ein Zentrum desamerikanischen Militärs in Europa. Dort befinden sichmehrere US-Luftwaffenstützpunkte; immer mehr Einhei-ten werden in die Region verlegt . Ich möchte meine Rededaher, anschließend an Ihren Beitrag, mit einer kleinen,gewiss unvollständigen Aufzählung einiger wichtiger Er-eignisse in Rheinland-Pfalz beginnen .Erstens . Auf der US-Airbase in Spangdahlem, unweitvom Wahlkreis Trier entfernt, wurden in diesem Jahrzusätzliche Kampfjets, Tankflugzeuge und Helikopterstationiert . Nicht nur, dass damit eine erheblich größereLärmbelästigung für die Anwohnerinnen und Anwohnereinhergeht, die zusätzlichen Militärflugzeuge stellen vorallem ein großes Risiko für die Bevölkerung und für dieUmwelt dar . In der Vergangenheit kam es bereits mehr-fach zu Unfällen bei Flugmanövern . Es ist nur eine Frageder Zeit bis zum nächsten Unglück .Zweitens . Im April berichtete der Spiegel, dass dieUS-Airbase in Ramstein als Zentrum des amerikanischenKampfdrohnenkrieges dient . Das ging aus den amerika-nischen Geheimdienstdokumenten hervor . Demnach istder Standort Ramstein unverzichtbar für die amerika-nischen Kampfdrohneneinsätze im Nahen Osten . Wirmüssen davon ausgehen, dass völkerrechtswidrige ge-zielte Tötungen von Ramstein aus mitgesteuert wurdenund weiterhin werden . Bis heute hat die Bundesregierungkeine Anstrengungen unternommen, das aufzuklärenoder gar zu unterbinden .Drittens . In der vergangenen Woche haben wir er-fahren, dass in Büchel, ebenfalls unweit von Trier, rund20 neue, hochmoderne und lenkbare amerikanischeAtomwaffen stationiert werden sollen . Diese Atomwaf-fen sollen zusammen eine Sprengkraft von 80 Hiroshi-ma-Bomben haben . Ihre höhere Zielgenauigkeit wird vorallem einen Effekt haben: Sie senkt die Hemmschwellefür einen Einsatz .Meine Damen und Herren, diese Meldungen stammenalle, wirklich alle, aus dem Jahr 2015 . Das macht einessehr klar: Rheinland-Pfalz wird zu einem gefährlichenmilitärischen Pulverfass . Die Bundesregierung hat aus alldem keine, wirklich keine Konsequenzen gezogen . Dasist eine Schande; denn sie gefährdet dadurch die Bevöl-kerung in der Region und trägt damit zu einer massivenUmweltverschmutzung bei, und sie wird Teil einer ag-gressiven Außenpolitik .
Was wir gerade hier erleben, ist eine Hochrüstungdes amerikanischen Militärs mitten in Europa . Das kannschnell zu einer Rüstungsspirale wie im Kalten Kriegführen . Das ist eine Machtdemonstration in RichtungRussland . Die klare politische Botschaft dabei ist: Ost-europa wird bewacht . – Glauben Sie mir, das sind nichtWorte der Linken, sondern das kann man in der Presselesen .Das Schweigen der Bundesregierung zu all diesen An-gelegenheiten spricht Bände . Es ist eine stillschweigendeZustimmung zu der weiteren Militarisierung in Deutsch-land, vor allen Dingen in Rheinland-Pfalz, zu der Mit-steuerung von Kampfdrohneneinsätzen von deutschemTerritorium aus und zu der weiteren atomaren Aufrüs-tung der Welt .Die Bundeswehr ist sogar beteiligt; denn sie ist es, diedie Atombomben abwerfen soll .
Dafür wird sie trainiert. Deutschland ist damit verpflich-tet, sich an den atomaren Kriegen zu beteiligen, und dasist, ganz ehrlich gesagt, ein unfassbarer Umstand .
Thorsten Frei
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Das steht klar im Widerspruch zum Atomwaffensperr-vertrag . Diese Zusammenarbeit in der sogenannten nuk-learen Teilhabe muss sofort beendet werden .
Sehr geehrte Regierungsmitglieder, vor vier Tagen,am 26. September 2015, war der erste „InternationaleTag für die vollständige Abschaffung von Atomwaffen“ .2015 jähren sich die Atombombenabwürfe auf Hiroshimazum 70 . Mal . Sehr geehrte Regierungsmitglieder, das istder richtige Zeitpunkt: Stoppen Sie die Aufrüstungsspi-rale! Setzen Sie den Bundestagsbeschluss von 2010 end-lich um! Sorgen Sie für den Abzug der Atombomben ausBüchel! Verhindern Sie die Stationierung weiterer Atom-waffen in Deutschland! Unterbinden Sie die Kampfdroh-neneinsätze, die von Ramstein ausgehen! Sorgen Sie füreine zivile Konversion der US-Luftwaffenstützpunkte inRamstein und Spangdahlem .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Dr . Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion, das Wort .
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen undKollegen! Gestatten Sie mir, Kollegin Werner und Kolle-gen von den Linken, zunächst eine Bemerkung vorweg .Verantwortung tragen verträgt keine Skandalisierung,keine Verschwörungstheorien und schon gar nicht dasSchüren von Ängsten . Das ist es nämlich, was Sie tun .Sie arbeiten mit Andeutungen, mit Unterstellungen, unddas alles unter der Prämisse: Auf den Wahrheitsgehaltkommt es nicht so sehr an, irgendetwas, die Angst, wirdschon hängen bleiben . Aber ich stelle heute fest: Es ver-fängt nicht .
Wenn ich die Resonanz hier sehe, dann stelle ich fest:Das verfängt nicht .Denn eines ist doch unstrittig: Parteiübergreifend undBeschlusslage dieses Hohen Hauses seit 2010 ist dielangfristige Vision einer atomwaffenfreien Welt . Unse-re Position ist da recht klar . Die Bundesrepublik zähltzu den Unterzeichnern des Kernwaffensperrvertrags, indessen Rahmen als sogenannte nukleare Teilhabe auchEinheiten der Bundeswehr mit nuklearen Nuklearspreng-köpfen ausgestattet werden können, die sich in Deutsch-land befinden. Dieses trifft heute nur noch auf Büchel zu.Ich sage, das ist ein Relikt aus einer Zeit, in der alleindie Vereinigten Staaten zeitweise 5 000 Nuklearwaffenin Deutschland stationierten .Die politischen Entwicklungen in den USA und Russ-land veranlassen uns jedoch, genau hinzuschauen – hin-zuschauen, einzugreifen und unseren Einfluss als Bun-desrepublik dort geltend zu machen, wo das Ziel deratomaren Abrüstung aus dem Blickfeld zu geraten droht .
Dass Deutschland dies zu leisten imstande ist, haben wirim Fall der Atomverhandlungen mit dem Iran, den E3+3-Verhandlungen, unter Beweis gestellt . Unser Außenmi-nister Frank-Walter Steinmeier hat Hervorragendes ge-leistet . Auch der ununterbrochene Einsatz Deutschlandsfür die Lösung im Ukraine-Konflikt zielt letztlich aufAbrüstung und die Verhinderung neuer Aufrüstung . Unddoch, meine Kolleginnen und Kollegen, mussten wir se-hen, dass West und Ost allzu schnell in überwunden ge-glaubte Muskelspiele zurückgefallen sind . Muskelspiele,Abschreckung, Angst, Misstrauen – es kann kein stärke-res Gift für die Abrüstung geben . Deshalb warne ich da-vor, verbal ständig aufzurüsten .
Wenn wir heute über Atomwaffen debattieren, dannmuss doch vor allem der Vision einer atomwaffenfreienWelt das Leben eingehaucht werden
und in praktische Politik und konkretes Handeln über-setzt werden . Dazu gehören, so wie es die Koalition ver-einbart hat, erstens die nachdrückliche und wiederholteForderung an alle Kernwaffenstaaten, die Bestrebungenzur nuklearen Abrüstung voranzutreiben und zu verstär-ken, zweitens die Intensivierung der Gespräche über wei-tere kernwaffenfreie Zonen und drittens – dies als letztenSchritt – der endgültige Abzug aller Atomwaffen dannauch aus Deutschland .Vergessen wir jedoch nicht: Genauso wichtig wie dieAbrüstung von Atomwaffen ist die der Kleinwaffen, derStreumunition, der vollautomatisierten Waffensysteme,um nur einige zu nennen . Die Liste der weltweit geäch-teten Waffen und Waffensysteme muss noch länger wer-den, wenn wir ihren zerstörerischen Einfluss auf Friedenund Stabilität reduzieren wollen .Visionen und Ideen zu Abrüstung und einer atom-waffenfreien Welt sind nicht neu . Immer wieder setz-ten sie Politiker weltweit auf die Agenda, wie BarackObama 2009 in Prag, frisch ins Amt gewählt . Mindes-tens genauso oft erfahren diese Ideen herbe Rückschläge .Das Wiederaufbrechen alter Ressentiments wie im Zugeder Ukraine-Krise gehört als Negativbeispiel sicherlichdazu . Dennoch dürfen wir nicht den Fehler machen, auswertvollen und mächtigen Ideen unerreichbare Utopienzu machen, indem wir uns scheinbar realpolitische Denk-verbote erteilen . Genauso wenig macht es Sinn, die Mo-dernisierung der Waffen in Büchel über Gebühr zu skan-dalisieren und eine Abkehr vom Abrüstungsversprechender deutschen Politik zu behaupten .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Kol-leginnen und Kollegen, die SPD war und ist bereit, wiesie es über mehrere Legislaturperioden gezeigt hat, dieseKatrin Werner
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oft kleinteilige, diese mühselige – unser früherer Bun-
graue,
schwere und mühsame – politische und diplomatische
Arbeit zu leisten und mitzutragen, die die Abrüstung und
die Ächtung bestimmter Kriegsmittel begünstigt und vo-
ranbringt . Denn es gibt zur Abrüstung keine Alternative .
Vielen Dank .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frageder nuklearen Abrüstung ist für meine Partei stets kon-stitutiv gewesen, und zwar nicht nur als eine Frage derSchnittmenge zwischen der Friedensbewegung und derAntiatombewegung in Deutschland, sondern schlicht alseine Frage des Überlebens der Menschheit .
Es ist gut, dass wir heute darüber diskutieren . Ichdanke Ihnen, Kollege Ulrich und Frau Kollegin Werner .Aber Sie haben anscheinend nicht hingeschaut, worüberam letzten Donnerstag im Landtag in Mainz diskutiertwurde . Da war genau dies das Thema . Da gab es einesehr klare Position der Landesregierung, der Sozialde-mokratie und der Grünen .
Es gab nur ein Problem, nämlich das, dass sich die Lan-desregierung bitterböse darüber beschwert, dass sie vonder Bundesregierung nicht ausreichend Informationenbekommt . Natürlich will auch die Landesregierung, dassdie Atomwaffen dort wegkommen . Natürlich kennt siedas Risiko . Aber es funktioniert nicht, wenn sie die In-formationen, die sie bräuchte, damit sie damit arbeitenkann, von der Bundesregierung nicht erhält . Das ist eineHausaufgabe, die dieselbe Partei, die dort die Minister-präsidentin stellt, hier als Hausaufgabe annehmen sollte .
Wir hatten 2009 die große Rede von Barack Obama inPrag, eine großartige visionäre Rede über eine Welt ohneAtomwaffen in Europa, in Nordamerika und in Ostasien .Dann gab es auch im Koalitionsvertrag der damaligenRegierung Passagen, die Hoffnung gemacht haben . Da-bei ging es um die Überprüfung des Abzuges der takti-schen Nuklearwaffen aus Deutschland .Dann kam das strategische Konzept der NATO . DieBundesregierung hat ihm zugestimmt . Darin stand dasGegenteil . Darin stand der Satz, den Kollege Frei geradenahezu eins zu eins angenommen hat: Solange es Atom-waffen auf der Welt gibt, wird die NATO eine nukleareAllianz bleiben . – Herr Kollege, Sie haben aber etwasvergessen zu erwähnen . Sie haben gesagt: Wer keineAtomwaffen hat oder anstrebt, ist naiv und dumm . –Nach dieser Lesart sind 190 Staaten auf der Welt naivund dumm, inklusive der Bundesrepublik Deutschland,die offiziell keine Atomwaffen besitzt und auch inoffi-ziell zumindest über die Kontrolle von Atomwaffen nichtverfügt . Ich glaube, das ist nicht der richtige Ansatz .
Dazu gehört auch, dass die CDU am Donnerstag imrheinland-pfälzischen Landtag die Debatte für überflüs-sig erklärt hat mit der Argumentation, es gebe ja offiziellkeine Bestätigung, dass die Atomwaffen in Büchel sta-tioniert werden . Sie haben vorhin völlig zu Recht gesagt:Man muss sich die Realität anschauen . Das sollten Sievielleicht Ihren Kolleginnen und Kollegen in Mainz ein-fach mitgeben .
Zur Realität gehört auch, dass nach einer Modernisie-rung, wenn die B61-Bomben kommen, die Tornados, diesie heute fliegen, nicht mehr werden fliegen können. Dasheißt, sie müssen zumindest nachgerüstet werden, wennnicht ein anderes Waffensystem gekauft wird . Das wer-den nicht die Amerikaner entscheiden, das werden auchnicht die Amerikaner bezahlen, das ist dann Sache desHaushalts . Ich habe den Kollegen Annen so verstanden,dass das mit der SPD nicht zu machen sein wird . Da re-den wir glasklar über das ganz konkrete Einstellen vonMitteln in den Haushalt . Da werden wir Sie selbstver-ständlich beim Wort nehmen . Wir freuen uns, dass auchSie die Chance sehen, die Anwendung dieser Atombom-ben und die Übungen tatsächlich zu verhindern .
Dafür gibt es auch eine sehr gute Rechtsgrundlage .Schauen Sie sich die alte Taschenkarte der Soldatinnenund Soldaten bei ISAF an . Dort steht eindeutig, dass dieVerwendung von Atombomben und auch das Üben mitAtomwaffen untersagt sind . Es geht bei diesem Beispielzwar um Afghanistan, aber das zeigt, dass es für die Bun-deswehr keine Rechtsgrundlage dafür gibt . Das heißt, dieBundeswehr darf grundsätzlich nicht die Übungen voll-ziehen, von denen wir wissen, dass es sie gibt .Herr Kollege Frei, Sie haben ein sehr präzises Bild derSicherheitslage gezeichnet .
Da bin ich sehr bei Ihnen . Das ist alles richtig . Wir ha-ben eine sehr schwierige Lage in Europa . Wir habendie russische Aggression in der Ukraine . Wir haben denBruch des Budapester Memorandums; dies hat natürlichauch auf die globalen Abrüstungsinitiativen, die es aufder Welt gibt, immense Auswirkungen . Es gibt ein rie-siges Misstrauen . 71 Prozent der Menschen in Russlandsagen laut Umfragen – ob sie unabhängig sind, weiß ichnicht –, dass die USA ein Feind sind . Über die Hälfte derMenschen in den USA sagen, dass Russland eine Gefahrist . Das alles ist richtig . Ostasien: China rüstet immensauf, auch nuklear . Japan und Südkorea schauen sich dasmit großer Angst an . Natürlich gibt es das Riesenproblemmit Nordkorea . Ja, die Situation im Nahen Osten ist dra-matisch . Ja, gerade in Pakistan wird die Rhetorik immerschärfer . Es ist offenkundig, dass auch in Indien, also ineinem Land, das weltweit die meisten Importe von Rüs-tungsgütern hat, die Rhetorik natürlich alles andere alsDr. Karl-Heinz Brunner
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weich ist . Ja, wir haben im März dieses Jahres die Situ-ation gehabt, dass ein russischer General Dänemark miteinem Atomschlag gedroht hat . Das ist alles bekannt .Nur, die Geschichte der Abrüstung der letzten 50,60 Jahre zeigt zweierlei: Erstens . Gerade in den schwie-rigsten Zeiten ist Abrüstung bei genug politischem Wil-len möglich . Zweitens – das ist entscheidend –: Es hatnoch nie Abrüstung ohne Vertrauensvorschuss gegeben .Genau diesen Vertrauensvorschuss darf man nicht durchdie Modernisierung der Atomwaffen unterminieren . Ge-nau dieser Vertrauensvorschuss ist es, der das Atomab-kommen mit dem Iran möglich gemacht hat . Genau die-ser Vertrauensvorschuss ist notwendig, damit wir nichtwieder mit Siebenmeilenstiefeln in eine nukleare Spiralerennen, die die gesamte Menschheit bedroht . Die NuclearThreat Initiative hat am Montag veröffentlicht, dass dieGefahr eines nuklearen Krieges heute so groß ist wie seit25 Jahren nicht mehr; die Gefahr steigt .Wir haben eine Vorbildfunktion . Wir sollten nicht diefalschen Vorbilder für die Länder auf der Welt sein, diesich überlegen, ob eine Atombombe die einzige Schutz-variante für sie ist . Wir sind der festen Überzeugung, derwichtigste, der einzige Schutz vor der Atombombe, denwir Menschen auf der Welt haben, ist, dass wir mit Ver-trauensvorschuss vorangehen .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wenn ich die Tagesordnung richtig gelesen habe,befassen wir uns mit der „Haltung der Bundesregierungzur Stationierung von 20 modernisierten Atombombenin Rheinland-Pfalz“ . Nun hat bis jetzt kein Mitglied derBundesregierung gesprochen, und all diejenigen, die ge-sprochen haben, können für die Bundesregierung nichtzuverlässig und kompetent Antwort geben . Ich habe michschon sehr gewundert, dass Sie die Haltung der Bundes-regierung erfragen, aber keine Anfrage an die Bundes-regierung stellen .
Ich meine, dass all das, was hier gesagt wird, eine politi-sche Diskussion des Parlaments, der frei gewählten Ab-geordneten wie Ihnen ist . Wir sollen unsere Meinung hierkundtun . Dann sagen Sie das doch auch, und halten Siemir Ihrer eigentlichen Absicht nicht hinter dem Berg .Sie müssten wissen, was Sie von der Bundesregierungzu hören bekommen, nämlich das, was in den letztenWochen und Monaten auf entsprechende, fast identischeAnfragen immer wieder geantwortet worden ist: dass dieInformationspolitik zu Nuklearstreitkräften der NATOaus Sicherheitsgründen der Gemeinhaltung des Bünd-nisses unterliegt . Da gibt es auch dann keine Änderung,wenn die Zahl, die Beschaffenheit, die Lagerorte und derUmgang mit Nuklearwaffen erfragt werden .
Sie selber, die Abgeordnete Höger und andere Abge-ordnete der Linken, haben ja vor wenigen Wochen eineKleine Anfrage gestellt . Auch Sie müssten wissen, weildie Anfrage ja erst im August dieses Jahres beantwortetworden ist, dass die Informationspolitik zu Nuklearstreit-kräften der NATO aus Sicherheitsgründen den verpflich-tenden Geheimhaltungsregeln des Bündnisses unterliegtund die Bundesregierung daher, wie alle anderen Bun-desregierungen vorher, keine Angaben zu Lagerorten,dem Umgang mit und den Spezifika der Nuklearwaffensowie ihrer Trägersysteme usw . machen kann . Es scheintmir so zu sein, dass es Ihnen eher um die Fragestellungselber als um die Antwort geht .
Weil wir gerade beim Reden sind: In der Tat kann manauf den Zusammenhang, den Sie herstellen wollen, ein-gehen . Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sindauf der Welt in der Tat in einer Gemengelage . Auch wirsehen natürlich die Ankündigungen des russischen Prä-sidenten Putin, der vor nicht langer Zeit, im Juni diesesJahres, gesagt hat, dass der Bestand seiner Atomstreit-kräfte um mehr als 40 neue ballistische Interkontinental-raketen aufgerüstet werden soll . Sie erinnern sich viel-leicht auch, dass er vor wenigen Jahren, 2012, gesagt hat,dass es die Absicht Russlands ist, bis zum Jahr 2022 400neue ballistische Atomraketen aufzustellen . Wenn Sie daimmer noch meinen, Herr Nouripour, wir sollten einenVertrauensvorschuss geben und Verhandlungen vonvornherein dadurch desavouieren, dass wir unsere Ver-handlungsposition schmälern, dann, meine ich, ist dasvöllig verkehrt .
Nein, ich glaube, wir haben eine wechselseitige Bezie-hung, die darin gipfeln muss, dass wir am Ende zu einemweiteren Vertrag über Abrüstungsverhandlungen und zuguten Ergebnissen kommen .Meine Damen und Herren, wir haben in den letztenJahren und Jahrzehnten unendlich viel Positives und Gu-tes gemacht, um eine Welt ohne Atomwaffen, eine Weltmit weniger Waffen zu schaffen .Bedenken Sie, dass wir es seit der deutschen Wie-dervereinigung vor 25 Jahren geschafft haben, dassdie 5 000 Atomraketen aus Amerika, die es früher inDeutschland gab, auf 200 reduziert wurden .
Omid Nouripour
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Das bedeutet eine Minderung um 96 Prozent . Ich musssagen: Wenn jemand bemängelt, dass nichts erreicht wor-den ist, dann verschließt er die Augen vor der Realität,und zwar ganz gewaltig .
Wir haben die Truppenstärken in Deutschland in denletzten 25 Jahren insgesamt dramatisch reduziert . In we-nigen Tagen werden wir den 25 . Jahrestag der deutschenWiedervereinigung begehen . Vor 25 Jahren waren inDeutschland noch etwa 1,5 Millionen Soldaten statio-niert . Heute sind es weniger als 250 000 . Auch das ist dasErgebnis einer hervorragenden, nachhaltigen Politik, diewir, die CDU/CSU, mit der SPD und der FDP betriebenhaben . Die Kollegen von den Grünen waren daran nichtbeteiligt – und die der Linken schon gar nicht .Meine Damen und Herren, eines möchte ich zumAbschluss noch sagen: dass wir in diesen Jahren einehervorragende Politik betrieben haben, was Abrüstungin Deutschland und in Europa betrifft . Wir leben inDeutschland seit 70 Jahren in Frieden und Freiheit . Dashaben wir auch den Amerikanern zu verdanken . Ich mei-ne, gerade weil in anderen Teilen der Welt Aufrüstungbetrieben wird, ist es nicht unkorrekt, wenn wir den Sta-tus unserer Waffenareale behalten und nicht voreilig undvorfristig einen Schritt gehen, um anderen entgegenzu-kommen .Am Ende muss das Ziel einer atomwaffenfreien Weltstehen, das wir propagieren und auf das wir hinarbeiten .Vielen herzlichen Dank .
Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Ab-
geordnete Thomas Hitschler, SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zu Beginn vor allem: Liebe Kolleginnen undKollegen der Linken! Den Enthusiasmus, den Sie heutevorzuspielen versuchen, hätte ich mir ein Stück weit da-mals gewünscht, als wir darüber diskutiert haben, syri-sche Chemiewaffen zu vernichten .
Falls ich mich richtig erinnere, haben Sie damals da-gegengestimmt, und heute spielen Sie sich so auf, alsob Sie die größten Abrüster wären . Ein Stück weit Ehr-lichkeit in der politischen Debatte wäre hier schon nichtschlecht .
Kolleginnen und Kollegen, vor knapp sechs Wochenjährten sich die Atombombenabwürfe auf die japani-schen Städte Hiroshima und Nagasaki . Vor 70 Jahrenwurden die beiden einzigen Kriegseinsätze dieser Waf-fen befohlen . Die beiden Bomben, als Indiz einer Zeit, inder Krieg und Gewalt alltäglich waren, wurden mit denCodenamen „Little Boy“ und „Fat Man“ versehen. DerKrieg im Pazifik endete wenige Tage nach dem Abwurfüber Nagasaki, nachdem er für fast vier Jahrzehnte in derRegion gewütet hatte . Die beiden Atombomben löstenzwei parallele Entwicklungen aus, deren Gegensätzlich-keit so wohl nur in der Absurdität des Kalten Kriegesexistieren konnte .Zum einen rüsteten beide Blöcke atomar massiv auf –bis zu einem Punkt Ende der 80er-Jahre, als die Arsenalevon Ost und West zusammen über 60 000 Sprengköpfeangehäuft hatten . Es existierten genug Atomwaffen, umdie Menschheit als Spezies auszulöschen .
– Mehrfach! – Zum anderen etablierte sich auf beidenSeiten des Eisernen Vorhangs die Angst vor den Lang-zeitfolgen eines atomaren Angriffs . Atomwaffen zer-stören nämlich noch lange, nachdem die Asche aus demHimmel geregnet ist und die Trümmer weggeräumtsind – schleichend, grausam und tödlich . Diese Angstführte zu Rüstungsbegrenzungen und schließlich zu Ab-rüstungsabkommen . Heute existiert weltweit nur nochein Bruchteil der Nuklearwaffen von damals . Aber selbstdas ist noch viel zu viel .
Meine Damen und Herren, es besteht weltweit wohlnur bei wenigen Themen ein derart breiter Konsens wiebei dem Schrecken von Atomwaffen . Die aktuelle Regie-rungskoalition hat sich, wie im Übrigen auch Ihre Vor-gängerin, dem Ziel der weltweiten atomaren Abrüstungverschrieben . Bereits 2010 hat sich die Mehrheit desBundestages in einem Beschluss für weltweite atomareAbrüstung und einen Abzug der in Deutschland verblie-benen Atomwaffen ausgesprochen . Diese Aussage hatweiterhin Gültigkeit . Sie wurde im Übrigen von Koali-tions- und Oppositionsfraktionen gemeinsam getragen .In dieser Legislaturperiode haben wir im gemeinsa-men Koalitionsvertrag vereinbart, dass sich die Bundes-regierung dafür einsetzen wird, entsprechende Verhand-lungen zwischen den USA und Russland zu unterstützen;denn so groß die Fortschritte im Bereich der Abrüstungauch sein mögen, so benötigen sie doch stets Gegensei-tigkeit, um nachhaltig zu sein . Bei aller Absurdität desKalten Krieges war es doch auch das Gleichgewicht desSchreckens, das den Einsatz von Nuklearwaffen verhin-dert hat . Aber, Kolleginnen und Kollegen, ich will dahinnicht wieder zurück . Niemals wieder!Einseitige Kritik hilft an dieser Stelle nicht weiter . Nu-kleare Abrüstung muss immer globale Abrüstung bedeu-ten: in den USA, in Europa, Russland, China, Pakistan,Israel, Nordkorea und Indien . Das muss auch das Zieldieser Bundesregierung sein – immer und jederzeit . In-vestitionen in einen Bundeswehrstandort bewusst falschzu verstehen und als Aufhänger für Kritik an den USAAlois Karl
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zu nutzen, ist der Bedeutung dieses Themas allerdingsunwürdig .
Ich bin Bundestagsabgeordneter aus Rheinland-Pfalz,und ich bin Verteidigungspolitiker . In dieser Doppel-funktion war ich in Büchel, dem Luftwaffenstandort,um den sich derzeit viele Gerüchte ranken . Dort habeich unser Taktisches Luftwaffengeschwader 33 besuchtund gesehen, wie groß der Investitionsbedarf in Bücheltatsächlich ist . In den letzten fünf Jahren wurden bereits19 Millionen Euro in dringend notwendige Baumaß-nahmen investiert . Der anstehende Investitionsbedarf inHöhe von 112 Millionen Euro betrifft neben dem bereitsGeschehenen diverse Neubauten, Unterkunftsgebäude,Wartungshallen, Büros und, und, und .
Jedem sollte klar sein, dass Flugzeuge schlaglochfreiePisten brauchen, um starten und landen zu können .
Die Start- und Landebahn ist dabei nur ein Teil . Siebefindet sich durch die letzte Winterperiode in einemsehr schlechten Zustand .
Deshalb wurde bereits im April mit Sofortmaßnahmenbegonnen, um den sicheren Flugbetrieb bis zur Grun-dinstandsetzung in voraussichtlich drei Jahren sicherzu-stellen . In drei Jahren, Kolleginnen und Kollegen! Selbstdem verschwörerischsten Verschwörungstheoretikersollte klar sein, dass wir von langfristigen Planungensprechen, die mit aktuellen Modernisierungsdebattenwenig zu tun haben .Meine Damen und Herren, wir tragen Verantwortunggegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten . Wir müs-sen dafür sorgen, dass sie gut untergebracht sind undordentlich arbeiten können . Das sind wir ihnen als Ar-beitgeber nämlich schuldig . In den anstehenden Haus-haltsberatungen werden wir uns deshalb dafür einsetzen,dass gerade dem Bereich Infrastruktur und Sanierung dieAufmerksamkeit geschenkt wird, die dieser Bereich ver-dient .
Kolleginnen und Kollegen, so unterschiedlich wir ein-zelnen Mitglieder des Bundestages auch sind, so denkeich doch, dass niemand unter uns das Prinzip der nuklea-ren Abrüstung infrage stellt .
Bundestag und Bundesregierung haben bei vielen Ge-legenheiten deutlich gemacht, dass sie eine Welt ohneNuklearwaffen anstreben . Hinter jedem Betonmischer aneinem Bundeswehrstandort aber eine einseitige Aufrüs-tung zu vermuten, ist nicht zielführend .Vielen Dank .
Die Aktuelle Stunde ist beendet .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen .