Protokoll:
18118

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 118

  • date_rangeDatum: 19. August 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 12:10 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/118 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 118. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen: Stabili- tätshilfe zugunsten Griechenlands b) Antrag des Bundesministeriums der Finan- zen: Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages, der Hellenischen Republik Stabilitäts- hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understan- ding zwischen der Hellenischen Repu- blik und dem Europäischen Stabilitäts- mechanismus (ESM) Drucksache 18/5780 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11455 B Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11455 C Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11458 D Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11462 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11464 A Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11465 D Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . 11467 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11468 D Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11469 D Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11470 D Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11472 C Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) 11473 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11474 A Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11475 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11476 A Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11477 A Heinz-Joachim Barchmann (SPD) . . . . . . . . . 11479 A Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11479 D Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11481 C Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11482 D Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11484 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11485 D Namentliche Abstimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 11486 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11487 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11489 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11491 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Stefan Liebich, Thomas Nord, Harald Petzold (Havelland), Richard Pitterle, Kirsten Tackmann, Frank Tempel und Dr. Axel Troost (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstim- mung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundesta- ges, der Hellenischen Republik Stabilitäts- hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- ordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11492 A Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lisa Paus, Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar, Steffi Lemke, Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- chen Abstimmung zu dem Antrag des Bun- desministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages, der Hellenischen Repu- blik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfe- fazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwi- schen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tagesordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . 11492 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Buchholz und Hubertus Zdebel (beide DIE LINKE) zur namentlichen Abstim- mung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundesta- ges, der Hellenischen Republik Stabilitäts- hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- ordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11493 D Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages, der Hellenischen Repu- blik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfe- fazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwi- schen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tagesordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . 11495 A Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11495 B Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11496 A Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11496 A Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11497 B Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11497 C Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11498 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . 11498 C Helmut Heiderich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11499 A Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11499 C Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11500 C Bettina Hornhues (CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11501 B Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11501 C Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11502 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11503 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11504 B Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11504 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11505 B Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11506 B Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11506 C Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11507 A Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11507 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11508 C Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11509 C Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11510 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11510 B Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . 11510 D Kai Whittaker (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . . 11511 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11455 (A) (C) (D)(B) 118. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11491 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Castellucci, Lars SPD 19.08.2015 Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 19.08.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.08.2015 Dr. h. c. Erler, Gernot SPD 19.08.2015 Freitag, Dagmar SPD 19.08.2015 Dr. Freudenstein, Astrid CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter CDU/CSU 19.08.2015 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 19.08.2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 19.08.2015 Groß, Michael SPD 19.08.2015 Gunkel, Wolfgang SPD 19.08.2015 Hartmann (Wackern- heim), Michael SPD 19.08.2015 Hauptmann, Mark CDU/CSU 19.08.2015 Hupach, Sigrid DIE LINKE 19.08.2015 Ilgen, Matthias SPD 19.08.2015 Jung, Andreas CDU/CSU 19.08.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 19.08.2015 Katzmarek, Gabriele SPD 19.08.2015 Kiziltepe, Cansel SPD 19.08.2015 Kolbe, Daniela SPD 19.08.2015 Körber, Carsten CDU/CSU 19.08.2015 Korte, Jan DIE LINKE 19.08.2015 Kunert, Katrin DIE LINKE 19.08.2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 19.08.2015 Dr. Lenz, Andreas CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Lindner, Tobias BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.08.2015 Lips, Patricia CDU/CSU 19.08.2015 Lühmann, Kirsten SPD 19.08.2015 Dr. Miersch, Matthias SPD 19.08.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.08.2015 Müller (Erlangen), Stefan CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 19.08.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Schabedoth, Hans- Joachim SPD 19.08.2015 Schieder, Marianne SPD 19.08.2015 Schipanski, Tankred CDU/CSU 19.08.2015 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 19.08.2015 Stadler, Svenja SPD 19.08.2015 Stauche, Carola CDU/CSU 19.08.2015 Stegemann, Albert CDU/CSU 19.08.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 19.08.2015 Tack, Kerstin SPD 19.08.2015 Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 19.08.2015 Vogler, Kathrin DIE LINKE 19.08.2015 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 19.08.2015 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 19.08.2015 Zypries, Brigitte SPD 19.08.2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 11492 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Stefan Liebich, Thomas Nord, Harald Petzold (Havelland), Richard Pitterle, Kirsten Tackmann, Frank Tempel und Dr. Axel Troost (alle DIE LINKE) zur namentli- chen Abstimmung zu dem Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bun- destages, der Hellenischen Republik Stabilitäts- hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu ge- währen, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tagesordnungs- punkt 1 b) Hiermit erklären wir, dass wir zur vorliegenden Be- schlussfassung mit Enthaltung stimmen. Wir begründen das wie folgt: Die seit gerade einem halben Jahr im Amt befindliche griechische Regierung ist mit den Versprechen angetreten, dass das Land ent- sprechend dem Wunsch der deutlichen Mehrheit der griechischen Bevölkerung in der Euro-Zone bleibt und sich zugleich nicht mehr dem Diktat der „Troika“ beugt, dass die Austeritätspolitik und die daraus resultierende Verelendung der Bevölkerung sowie der Niedergang der Wirtschaft beendet werden. Es war klar, dass sie diese Versprechen gegenüber der eigenen Bevölkerung nur re- alisieren konnte und kann, wenn sie dafür aus anderen europäischen Regierungen oder/und durch eine breite europäische Solidaritätsbewegung Unterstützung be- kommt. Bisher ist diese nicht ausreichend zustande ge- kommen. Trotzdem hat die griechische Regierung auf der europäischen Ebene die Sinnhaftigkeit der neolibera- len und vor allem deutschen Austeritätspolitik infrage gestellt sowie in Griechenland selbst als auch in Europa die soziale Frage wieder in die Debatte gebracht. Das Lager der Befürwortung dieser Politik hat Risse bekom- men. Die Unterstützung der Haltung der griechischen Regierung durch die Mehrheit der griechischen Bevölke- rung durch ein Referendum hat diese Position gestärkt. Zugleich stieß die Regierung Griechenlands an die Grenze ihrer Handlungsspielräume. Die Banken mussten schließen, die Kassen des Landes waren leer, eine Zah- lungsfähigkeit nicht mehr vorhanden, die Wirtschaft und die Gesellschaft standen vor dem allgemeinen Kollaps. Alexis Tsipras musste einen Weg finden, um die Hand- lungsfähigkeit der griechischen Regierung wenigstens teilweise wiederzuerlangen, ohne dabei die Unterstüt- zung der Mehrheit der Bevölkerung zu verlieren. Er hat sich dabei vor dem Hintergrund, dass ein Teil der Gläu- biger, insbesondere der deutschen, die griechische Krise nutzen wollten, um mit der Drohung eines Grexits ein deutsch-dominiertes „Kern-Europa“ durchzusetzen, für den Weg des „Kompromisses“ entschieden, um wenigs- tens Griechenlands Verbleib in der EU und im Euro zu retten. Damit mussten die Grexit-Befürworter dem Druck insbesondere der sozialdemokratischen italieni- schen sowie französischen Regierung nachgeben und die rücksichtslose Durchsetzung ihres Zieles aussetzen, ohne es jedoch tatsächlich aufzugeben. Der Preis, den Griechenland dafür zahlen muss, ist hoch und fand im Memorandum vom Juli 2015 seinen Ausdruck. Es ist ebenso Ausdruck des Kräfteverhältnisses in der Europäi- schen Union wie das hier zur Abstimmung stehende „Hilfspaket“. Aber es ermöglicht eine neue Runde des Widerstandes gegen die Austeritätspolitik in der EU und der Euro-Zone, eines Kampfes für eine solidarische und demokratische Zukunft der Europäischen Union. Wir können das Agieren der Bundesregierung in den Verhandlungen zum neuen Hilfspaket nicht befürworten, denn diese Regierung vertritt heute mit die reaktionärs- ten politischen Positionen in der EU. Teile von ihr stre- ben gar nach einem neoliberalen deutsch-dominierten „Kern-Europa“. Davon ausgehend gibt es gute Gründe zu diesem „Hilfspaket“ Nein zu sagen. Gleichwohl ist die griechische Regierung gegenwär- tig der mit Abstand einzige machtpolitische Aktivposten der Europäischen Linken. Wir begrüßen, dass es ihr ge- lungen ist, die Differenzen zwischen den Gläubigern zu nutzen, um deutsche Pläne für einen Grexit zu durch- kreuzen und sich Chancen – wenn auch begrenzt – für politische Korrekturen der Gläubigerlinien zu erhalten und zu schaffen: Dies sind die Frage des vom IWF ge- forderten Schuldenerlasses, die zwischen IWF, der deut- schen und der griechischen Regierung strittige Ausge- staltung des sogenannten Treuhandfonds, die von der EU-Kommission unterstützte Möglichkeit, reale Mittel für Investitionen in die Wirtschaft zu erhalten und die im sogenannten „Paket“ enthaltene Möglichkeit – neben sehr rigiden sozialen Einschnitten –, auch in einzelnen Bereichen soziale Reformen im Interesse der ärmsten Griechinnen und Griechen durchzuführen. Wir haben Verständnis, wenn andere diese Chancen nicht sehen. Zugleich bestärkt uns die Auseinanderset- zung in der Unionsfraktion darin, dass auch Abgeord- nete der Regierungsfraktionen diese Möglichkeiten se- hen und sie gerade damit ihr Nein begründen. Wir gehen davon aus, dass gerade diese Debatte in der Unionsfrak- tion ein Nachweis dafür ist, dass es Merkel und Schäuble nicht gelungen ist, das ihnen vom Bundestag erteilte Mandat bei den Verhandlungen eins zu eins umzusetzen, dass sich der Kampf der griechischen Seite für die eige- nen Ziele weiter lohnt und dass es der Syriza-Regierung durchaus bei den kommenden Auseinandersetzungen helfen kann, dies auch mit unserem Abstimmungsver- halten deutlich zu machen. Deshalb haben wir uns der Stimme enthalten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lisa Paus, Sylvia Kotting- Uhl, Monika Lazar, Steffi Lemke, Beate Müller- Gemmeke, Corinna Rüffer und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einho- lung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11493 (A) (C) (D)(B) schen Bundestages, der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazili- tät zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- ordnungspunkt 1 b) Mit dem dritten Hilfsprogramm kann das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone vorerst verhindert wer- den. Es wurde aber erneut versäumt, die notwendigen Be- dingungen für eine wirtschaftliche Erholung und nachhal- tige Entwicklung zu schaffen. Es fehlt sowohl an einer konsequenten Investitionsförderung als auch einer garan- tierten Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden. Zu- dem wurde das jetzige Programm nicht auf Augenhöhe verhandelt. Die Maßnahmen wurden der griechischen Re- gierung, die mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Banken erpresst wurde, von außen aufgezwungen. So wird die griechische Demokratie auf absehbare Zeit ent- machtet. Im Ergebnis steht das Land kurz vor Neuwahlen und weiteren Monaten der politischen Instabilität. Ange- sichts dieser zwiespältigen Gesamtbilanz haben wir uns heute im Bundestag enthalten. Wir bedauern sehr, dass die Bundesregierung nicht willens war, einen Kompromiss zu erzielen, der für Griechenland eine belastbare Perspektive schafft und Europa stärkt und die europäische Idee weiter entwickelt. Unrealistische Haushaltsziele und kein Ende der Aus- terität: Es gibt durchaus positive Aspekte im beschlosse- nen Memorandum of Understanding. Dazu gehört der intensivierte Kampf gegen Steuervermeidung, die höhe- ren Steuern für Reeder und die Kürzungen im griechi- schen Verteidigungshaushalt. Zugleich sind darin aber viel zu viele Elemente enthalten, die für eine Fortsetzung des schädlichen Austeritätskurses sorgen werden: bei- spielsweise die Kürzung der Zusatzrenten, die Erhöhung des Renteneintrittsalters und der Mehrwertsteuern auf den Inseln auf 23 Prozent. Unter diesen Umständen scheint der für das Jahr 2018 anvisierte Primärüber- schuss von 3,5 Prozent vollkommen unrealistisch. In je- dem Fall wird durch diese nach wie vor unrealistischen Sparziele ein großer Druck auf dem neu geschaffenen Privatisierungsfonds lasten. Die Erfahrungen mit der deutschen Treuhand zeigen, dass Zeit hierbei die ent- scheidende Komponente ist. Kurzfristiger Handlungs- druck angesichts nach wie vor hoher Einnahmeanforde- rungen wird einen Preisverfall des öffentlichen Eigentums bewirken und verhindert die langfristige Sa- nierung und strategische Neuaufstellung der öffentlichen Infrastruktur gerade in ökologischen Schlüsselsektoren wie Energie und Verkehr. Das ist eine schwere Hypothek für die Zukunft. Mit weiteren Sparmaßnahmen wird die Armut in Griechenland steigen, und es ist auch nicht absehbar, wie eine Mindestsicherung kostenneutral eingeführt werden kann. Zudem enthält das Memorandum of Understan- ding die Forderung, dass in einem Konsultationsprozess die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt über- prüft werden sollen. Schon die Eingriffe in die Tarifauto- nomie in den vergangenen Jahren waren nicht akzepta- bel, und sie widersprechen auch den europäischen Verträgen, der europäischen Grundrechtecharta und sind mit dem europäischen Sozialmodell nicht zu vereinba- ren. Nur mit wirkungsvollen Mindeststandards, Arbeit- nehmerrechten und gelebter Solidarität kann Europa ein soziales und demokratisches Konstrukt bleiben. Ohne Schuldenerleichterung bleibt das Hilfsprogramm eine Fehlkonstruktion: Die griechische Staatsschulden- quote wird nach den Vorhersagen der Troika schon bald die Marke von 200 Prozent übersteigen. Nach heutigem Stand wird auch der Bruttofinanzierungsbedarf des Staa- tes perspektivisch die kritischen Grenzen überschreiten. Griechenland wird nur dauerhaft aus der Krise kommen und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkeh- ren, wenn die Tragfähigkeit der Staatsschulden gesichert wird. Die Strategie von Schäuble und Merkel wird hinge- gen scheitern, wenn die Schuldenlast des Staates weiter die ökonomische Gesundung hemmt. Dass der IWF sich nicht an der Auszahlung der ersten Tranche beteiligt, zeigt, wie groß die Differenzen unter den Gläubigern sind. Eine effektive Umschuldung bleibt in der Schwebe. Da- mit kann aber auch ein Scheitern des Hilfsprogramms weiterhin nicht ausgeschlossen werden. Griechenland wird zur Schuldenkolonie: Das neue Hilfsprogramm ist an massive Eingriffe in die staatliche Souveränität Griechenlands gebunden. Anders als im bisherigen Prozess der europäischen Einigung handelt es sich dabei um einseitige Maßnahmen. So werden die Fortschritte des neuen Programms nicht nur alle drei Monate kontrolliert, Ministerpräsident Tsipras musste sich außerdem dazu verpflichten, alle vorherigen Maß- nahmen seiner Regierung zurückzunehmen, die nicht mit der Troika abgestimmt waren. Darüber hinaus wird der einzurichtende Privatisierungsfonds unter externe Aufsicht gestellt, womit Griechenland faktisch die Kon- trolle über sein öffentliches Eigentum verliert. Dieses Vorgehen schwächt das Vertrauen in Europa und seinen Sinn für Demokratie und Diversität. Das Ergebnis sind Vertrauensverlust in demokratische Strukturen, politi- sche Instabilität und eine brachiale Staatsreform, die Tsipras unter dem ständigen Risiko von Neuwahlen durchsetzen muss. Der Grexit ist und bleibt keine Alternative. Griechen- land ist weiter auf die Solidarität Europas angewiesen, und es wird unsere Aufgabe in Deutschland sein, weiter für diese Solidarität und für ein solidarisches Europa zu werben und die öffentliche Auseinandersetzung darüber mit den nationalkonservativen Kräften zu suchen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Buchholz und Hubertus Zdebel (beide DIE LINKE) zur na- mentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einho- lung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages, der Hellenischen Republik 11494 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazili- tät zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- ordnungspunkt 1 b) Wir stimmen heute gegen den Antrag der Bundesre- gierung und gegen die Vereinbarung mit Griechenland, die an die Kredite gebunden ist. Schäuble, Merkel und Gabriel setzen mit dem dritten Memorandum für Grie- chenland die Politik des brutalen Kürzungsdiktats der ersten beiden Memoranden fort. Gemeinsam mit der EU haben sie die griechische Regierung erpresst, die Verein- barung zu unterschreiben. Dabei hat die EU ihren un- demokratischen und neoliberalen Charakter gezeigt. Die Vereinbarung zwingt die griechische Regierung, die Renten zu kürzen, zahlreiche soziale und demokratische Errungenschaften der Arbeiterbewegung abzuschaffen und öffentliche Unternehmen und Eigentum zu privati- sieren. Die sogenannten Hilfsgelder gehen vor allem in den Schuldendienst, an die Institutionen und an die grie- chischen Banken. Schäuble, Merkel und Gabriel wollen der griechi- schen Bevölkerung nicht helfen. Deutsche und europäi- sche Unternehmen sollen massiv von den Privatisierun- gen und der Entrechtung griechischer Beschäftigter profitieren. So berichtet die FAZ, dass der Verkauf von 14 griechischen Flughäfen zum „Schnäppchen“-Preis von 1,2 Milliarden Euro an die Fraport AG, die sich mehrheitlich im Besitz des Landes Hessen und der Stadt Frankfurt am Main befindet, eine der Bedingungen an Griechenland war. Den Verkauf hatte die Syriza-Regie- rung zunächst gestoppt. Privatisiert werden sollen nun auch Post, Stromnetz und Stromversorgung, die Eisen- bahn, der Athener Flughafen und weitere regionale Flug- häfen, die Wasserversorgung der Regionen Attika und Thessaloniki, die staatlichen Erdöl- und Erdgasunterneh- men, die Häfen von Piräus und Thessaloniki sowie zehn regionale Häfen, die Autobahn und zahlreiche Immobi- lien. Darüber hinaus soll ein Privatisierungsfonds für weitere Betriebe und Immobilien unter Aufsicht der EU eingerichtet werden. Selbst unter der Voraussetzung von massiver Privati- sierung und Wirtschaftswachstum rechnet die Troika damit, dass sich die Schuldenlast Griechenlands stark er- höht. Statt des dritten Kürzungsdiktats fordern wir einen Schuldenschnitt für Griechenland. Unser Nein ist ein in- ternationalistisches Nein aus Solidarität zum Widerstand gegen das Kürzungsdiktat in Griechenland und ganz Eu- ropa. Diejenigen aus den Regierungsparteien, die heute mit Nein stimmen, befürworten im Gegensatz zur Linken das Kürzungsdiktat und die Erpressung der Bundesregie- rung gegenüber der griechischen Bevölkerung. Sie schü- ren chauvinistische Ressentiments unter anderem mit der Falschdarstellung, „die Deutschen“ würden für „die Griechen“ zahlen. Der deutsche Staat profitiert finanziell von der Krise Griechenlands, denn er muss inzwischen lediglich extrem niedrige Zinsen für deutsche Staatsan- leihen zahlen, in die sich Kapitalanleger flüchten, Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, IWH, schätzt, dass seit der Krise der deutsche Staatshaushalt dadurch um gut 100 Milliarden Euro entlastet worden sei. Dies seien mehr als die rund 90 Milliarden Euro, die Griechenland Deutschland direkt und indirekt schulde. Die vorliegende Vereinbarung lässt der griechischen Regierung keinen finanziellen Spielraum und ist ein Angriff auf die Demokratie. Wie schon bei den ersten beiden „Rettungspaketen“ wird die Demokratie durch die Kontrolle der Troika ersetzt. Die Vereinbarungen werden wie bisher vierteljährlich von der Troika über- prüft und erst dann werden Gelder ausgezahlt. Die Regierung wurde verpflichtet, bestimmte jährliche Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Dafür sind zusätzli- che Kürzungen vereinbart und laut Troika für das Jahr 2018 wahrscheinlich. Nur wenn Griechenland bereits Ei- gentum im Wert von 25 Milliarden Euro privatisiert hat, darf es von den weiteren Erlösen die Hälfte behalten. Die andere Hälfte geht in den Schuldendienst. Die Syriza-Regierung muss sechs der von ihr einge- führten Gesetze zurücknehmen und kann Gesetze zukünftig nur mit Einverständnis der Troika beschließen. Errungenschaften der Arbeiterbewegung sollen abge- schafft werden. Die Gesetzgebung zu Massenentlassun- gen, Streiks und Tarifverhandlungen darf die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation, zwar prüfen, aber die Gesetze werden in Übereinstimmung mit der Troika ge- macht, und: Eine Rückkehr zum früheren kollektiven Tarifrecht, die die Syriza-Regierung versprochen und in den Verhandlungen gefordert hatte, ist ausdrücklich ausgeschlossen. Selbst das Urteil des griechischen Verfassungsgerichts wird umgangen. Es erklärte die Rentenkürzungen des Memorandums von 2012 für ver- fassungswidrig. Nun soll es „gleichwertige Maßnah- men“ geben, die ihre Auswirkungen „vollständig aus- gleichen“. Von den Maßnahmen, die die neue griechische Regie- rung im ersten Halbjahr ihrer Amtszeit auf den Weg gebracht hat, bleiben unter anderem das Armutsbekämp- fungsprogramm in Höhe von 200 Millionen Euro, die Wiedereinrichtung der staatlichen Fernsehanstalt ERT, die Wiedereinstellung einiger Angestellter im öffentli- chen Dienst, darunter der Reinigungskräfte im Finanz- ministerium, sowie ein kleinerer Teil der Steueranhebun- gen für höhere Einkommen. Das zeigt, dass der jahrelange Widerstand der entlas- senen Putzfrauen des Finanzministeriums und der Be- schäftigten der staatlichen Fernsehanstalt ERT sowie die breite Solidarität mit ihren Kämpfen der einzige Weg sind, der Troika etwas entgegenzusetzen. Der Kampf gegen die Privatisierungen und das Kürzungsdiktat in Griechenland wird weitergehen. In dem Referendum vom 5. Juli 2015 haben 61 Prozent der Wählerinnen und Wähler zum Kürzungsdiktat der Troika mit Oxi, Nein, abgestimmt. Besonders stark war die Ablehnung unter jungen Menschen, Arbeitslosen, Arbeiterinnen und Ar- beitern und Angestellten. Die Gewerkschaft der Beschäftigten der staatlichen Häfen hat bereits im Juni angekündigt, gegen die Privati- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11495 (A) (C) (D)(B) sierung zu kämpfen. Bei der Abstimmung im griechi- schen Parlament am 15. Juli organisierte die Gewerk- schaft des öffentlichen Dienstes einen 24-stündigen Generalstreik gegen das dritte Memorandum. In den Sommerferien streikten die griechischen Eisenbahnerin- nen und Eisenbahner und Fluglotsen gegen die Privati- sierungspläne. Die kommunalen Angestellten von Thessaloniki verhinderten zum wiederholten Mal die Privatisierung der Stadtreinigung. Beschäftigte von Museen, unter anderem die Angestellten der Akropolis, legten die Arbeit aus Protest gegen ausbleibende Lohn- zahlungen nieder. Unsere Solidarität gilt dem Widerstand gegen das Kürzungsdiktat in Griechenland, deshalb stimmen wir heute mit Nein zum Antrag des Bundesfinanzministe- riums. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Ein- holung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages, der Hellenischen Re- publik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhil- fefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwi- schen der Hellenischen Republik und dem Eu- ropäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Ta- gesordnungspunkt 1 b) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem An- trag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einho- lung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages, der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understan- ding zwischen der Hellenischen Republik und dem Eu- ropäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, nicht zustim- men. Gegenstand des Antrages ist es, der Hellenischen Re- publik nach dem ESM-Vertrag Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren. Die Maßgaben des ESM-Vertrages werden nicht erfüllt. Zum einen ist im Antrag die Summe des Finanzbedarfs – „wird nach Schätzung der vier Institutionen 86 Milliarden Euro be- tragen“ – nicht genau bestimmt. Insbesondere hinsicht- lich der veranschlagten 50 Milliarden Euro Privatisie- rungserlöse gilt offensichtlich weiterhin das Prinzip Hoffnung. Des Weiteren ist selbst aus der Begründung zum An- trag erkennbar, dass die wesentlichen Bedingungen, nach denen Mittel aus dem ESM-Vertrag gewährt wer- den können, wie Schuldentragfähigkeit und Systemrele- vanz, nicht erfüllt werden. Eine weitere Bedingung war bisher immer, dass sich der IWF direkt an den Hilfspake- ten beteiligt. Dies ist für das dritte Hilfspaket nicht ge- währleistet. Hier werden also früher verbindlich getrof- fene Regeln und Vereinbarungen nicht eingehalten bzw. „kreativ uminterpretiert“. Das schafft ebenso wenig Vertrauen wie der Zick- zackkurs der griechischen Regierung, ihre verbalen Ent- gleisungen und die grundsätzliche Abneigung gegen die Reformforderungen. Die Umsetzung der Auflagen mag jetzt zumindest in einigen Bereichen vom griechischen Parlament in Gesetzesform gebracht sein, aber umge- setzt sind sie deshalb noch lange nicht. Papier ist gedul- dig. Neuwahlen stehen an. Das griechische Verfassungs- gericht hat schon einmal die Umsetzung von Reformen gekippt, und hochrangige Vertreter der griechischen Re- gierung sagen offen, dass sie jetzt erst einmal zustim- men, um das Geld zu bekommen und es dann nach eige- nem Dafürhalten umzuverteilen. Unabhängig von der Vertrauenswürdigkeit und der Reformwilligkeit der griechischen Regierung liegt eine weitere Kritik in dem viel zu geringen Anteil des Finanz- paketes, der für Investitionen als Voraussetzung für die Schaffung von Arbeitsplätzen vorgesehen ist. Mit gegen Krisen gerichteten Konjunkturprogrammen haben wir in Deutschland gute Erfahrungen gemacht. Griechenland ist so hoch verschuldet, dass es weder in 32,5, noch in 60 oder 100 Jahren diese hohen Schul- den zurückzahlen kann, da nicht zu erwarten ist, dass das Land innerhalb kürzester Zeit wirtschaftlich auf die Beine kommt oder gar exorbitantes Wachstum verzeich- nen kann. Wir müssen also unsere heutige Entscheidung nicht nur vor unseren Bürgern als heutigen europäischen Steuerzahlern verantworten, sondern auch noch vor un- seren Kindern und Enkelkindern, möglicherweise noch vor unseren Urenkeln. Das Land wird einen deutlichen Schuldenschnitt brauchen. Das sagt auch der IWF. Für einen realen Schuldenschnitt mit Zins- und Tilgungsfreiheit oder Streckung der Laufzeiten ist der Spielraum, laut Bundes- finanzminister Schäuble, sehr begrenzt. Allerdings passt ein solcher nominaler Schulden- schnitt nicht in die europäischen Verträge, jedenfalls noch nicht. Ich gehe davon aus, dass im Oktober, wenn der IWF erneut die Schuldenlasttragfähigkeit prüfen und über seine Beteiligung am Griechenlandhilfsprogramm entscheiden wird, es dann entweder eine wiederum sehr „kreative“ Begründung geben wird, wie wir dennoch ei- nen Schuldenschnitt organisieren, oder wir führen das ESM-Programm erstmals ohne die Beteiligung des IWF weiter. Das ist ebenfalls eine Verletzung der Regeln, die wir uns erst vor kurzem bei der Inkraftsetzung des ESM selbst gegeben haben. Problematisch bleibt in diesem Zusammenhang wei- terhin die Verflechtung mit der EZB, die den Umfang der Notkredite an Griechenland aufstockt, die ihrerseits aus den Rettungsschirmen gespeist werden. Das ist der Beweis, dass die EZB nunmehr verbotene Staatsfinan- zierung leistet. Damit hat auch dort ein Tabubruch statt- gefunden. Europa entfernt sich damit immer mehr von einer Wertegemeinschaft im Sinne einer Rechtsgemeinschaft, ein Paradigmenwechsel von dem Primat des Rechts hin 11496 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) zum Primat der Politik hat stattgefunden – alles ist im- mer und jederzeit verhandel- und austauschbar. Wir sind nicht nur auf dem Weg zu einer Haftungs-, Transfer- und Schuldenunion, wir sind mitten drin in der Spirale. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Radialkräfte das ganze Konstrukt der Währungsunion zersprengen. Klaus Brähmig (CDU/CSU): Hiermit zeige ich an, dass ich in der Kontinuität meiner letzten Abstimmung gegen die Aufnahme von Verhandlungen eines dritten Hilfspakets für Griechenland auch dem Verhandlungser- gebnis nicht zustimmen kann. Grund hierfür ist unter an- derem die bis zum heutigen Tage fehlende Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds, IWF, in die Fortset- zung der Griechenland-Hilfe. Diese war immer eine Grundvoraussetzung für deutsche Hilfsleistungen. Die Forderung des IWF nach einem Schuldenerlass für Grie- chenland widerspricht dem sogenannten Bail-out-Ver- bot. Die jetzt zu erwartende Zinsstreckung bis in das Jahr 2075 ist nur eine juristische Spitzfindigkeit, die sämtliche Probleme auf künftige Generationen abwälzt. Hinzu kommt, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass die zur Umsetzung wichtiger Reformmaßnahmen notwendige effiziente Verwaltung in Griechenland auch nur ansatzweise vorhanden ist. In der Abwägung aller Argumente werde ich dem Antrag nicht zustimmen. Michael Brand (CDU/CSU): Seit dem Beginn der Griechenland-Hilfe hat sich vieles verändert, manches zum Besseren, anderes hat sich verschlechtert. Vieles in den Annahmen zum ersten und zweiten Hilfspaket hat sich bei Überprüfung als nicht richtig erwiesen. Auch dies muss der Offenheit wegen festgestellt werden. In der Bilanz ist festzuhalten: Nachdem die griechische Regierung unter dem linken Ministerpräsidenten Tsipras zunächst versucht hat, die Erfolge der Vorgängerregierung durch unverantwortliche Ausgaben im Staatshaushalt und Rücknahme der in ihren ersten Schritten sogar erfolgrei- chen Konsolidierung zunichte zu machen, musste Tsipras eine Kehrtwende um 180 Grad vornehmen. Zum ersten Mal seit langer Zeit sind einzigartige Strukturreformen von Griechenland akzeptiert worden, die dem Nationalstaat von der internationalen Gemein- schaft zur Bedingung für weitere Hilfen gemacht wur- den. Viele dieser Maßnahmen sind bereits vom griechi- schen Parlament verabschiedet worden und werden nun in Kraft gesetzt. Diese Strukturreformen sind zwingend erforderlich, um Griechenland über eine lange Frist wie- der zurück in den Kreis nicht völlig verschuldeter Staa- ten zu führen. Ohne die harte Haltung insbesondere des deutschen Finanzministers Schäuble und auch den Druck aus dem Deutschen Bundestag wäre dies auf eu- ropäischer Ebene nicht erreicht worden. Allerdings gilt auch hier: Deutschland steht hier nicht gegen Griechenland, und Deutschland wird sich in Eu- ropa auch nicht isolieren. Es ist das nationale Interesse unseres Landes, dass Europa stark ist, weil dies zum Wohle der Menschen in unserem Lande in politischer, wirtschaftlicher und auch kultureller Hinsicht stark bei- trägt. Es ist auch in unserem nationalen Interesse, dass wir uns nicht mit wichtigen europäischen Partnern bei der Lösung eines schweren europäischen Problems überwer- fen. Deutschland kann seine Position einbringen, zäh und hart für sie kämpfen, wird aber am Ende sich einem europäischen Kompromiss nicht verwehren können, wenn wir als stärkstes Land in Europa nicht die Axt an die europäische Einheit anlegen wollen. Und in einer im- mer stärker globalisierten Welt werden wir dieses einige Europa in den kommenden Jahrzehnten noch sehr häufig dringend brauchen. Das qualitativ neue Griechenland-Paket wird wiede- rum mit auch deutschen Steuergeldern abgesichert. Dies offen anzusprechen, gehört zur Ehrlichkeit dazu, es führt kein Weg daran vorbei. Zur Ehrlichkeit gehört auch, da- rauf hinzuweisen, dass es jenseits des Griechenland-Pro- blems auch zur europäischen Wahrheit gehört, dass die Kompromisse auf der europäischen Ebene schon in der Vergangenheit meistens auch Geld gekostet haben. Zum ersten Mal allerdings ist bei der letzten Einigung zu Griechenland ein Maß an strukturellen Anforderun- gen an einen Nationalstaat zur Änderung seines Staates gestellt worden, wie dies vor einem Jahr völlig unvor- stellbar gewesen wäre. Diese von uns in Europa und un- seren griechischen EU-Partnern lange geforderten struk- turellen Änderungen im griechischen Staatswesen sind die Grundvoraussetzung dafür, dass Griechenland in ei- ner stärker von Wettbewerb geprägten Welt seine ver- diente Chance erhält. Das bezieht sich auf Finanzverwal- tung, Kampf gegen Korruption und Steuerprivilegien, Reform eines völlig verrückten Frühverrentungssystems, Einführung einer soliden und vor allem finanzierbaren sozialen Grundsicherung, einer effizienten Verwaltung und vieles andere mehr. Die aktuelle Hilfe in Höhe von insgesamt 86 Milliar- den Euro, von denen mehr als die Hälfte an europäische Gläubiger zurückfließt, die Frage der sogenannten Schul- dentragfähigkeit, die erwartete Beteiligung des IWF – über den der IWF entsprechend seiner internen Regeln erst im Oktober entscheidet – sind wichtig, und die Um- setzung wird erstmals penibel und zeitnah überprüft. Es gilt, dass es Geld nur gibt gegen Gegenleistung. Die Gegenleistung sind strukturellere Reformen, und es geht um nichts weniger als um die grundlegende Moder- nisierung eines Staates, der bislang europäischen Stan- dards noch nicht genügt und daher erhebliche Probleme in der Wirtschaft, im Staatswesen und im Ergebnis für die gesamte Bevölkerung hat. Niemand in Deutschland oder darüber hinaus, der politisch bei Verstand ist, will Griechenland aus der Eu- ropäischen Union hinauswerfen. Dazu ist die strategi- sche Lage der Europäischen Union in dieser Region, auch in unmittelbarer Nachbarschaft zur Türkei und im Wettbewerb um Einfluss, zum Beispiel durch Russland, zu ernst. Ob Griechenland entscheidet, den Weg der steinigen Reformen innerhalb der Euro-Zone zu gehen oder zu ei- nem bestimmten Zeitpunkt lieber außerhalb der Euro- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11497 (A) (C) (D)(B) Zone, aber innerhalb der Europäischen Union gehen will, kann im August 2015 niemand beantworten. Was aber im August 2015 beantwortet werden kann, ist die Frage auf eine Risikoabwägung: Ist es riskanter, den erreichten Kompromiss auf der europäischen Ebene platzen zu lassen, als wichtigstes Land der Europäischen Union, oder den erreichten Kompromiss mit einer um- strittenen Regierung – die miserabel begonnen hat, viel Vertrauen zerstört hatte und dennoch am Ende in den letzten Wochen die europäischen Konditionen akzeptiert hat und konstruktiv am Ergebnis mitgewirkt hat – mit der notwendigen Vorsicht und der nun eingebauten Kon- trolle mit zu tragen? Meine Antwort ist aus der deutschen wie aus der eu- ropäischen Sicht: Dieser neuen Qualität an europäischer Vereinbarung muss man den Mut haben, zuzustimmen. Es wäre nicht zu verantworten, diese historische Chance auf einen Neuanfang nicht zu nutzen. Das tue ich auch gegen erwartete, teils massive Kritik von denjenigen, die einfach nur die mathematische Auf- rechnung machen, ohne die politischen und später auch wirtschaftlichen Folgekosten für Europa und unser Land mit zu bedenken. Europa ist für Deutschland oft kompliziert, komplex, ärgerlich – aber es ist für das Wohl unseres Landes völlig unverzichtbar. Die aktuellen Herausforderungen, von Flüchtlingszustrom, Bedrohung durch IS-Terrorismus bis zu anderen Fragen, machen jeden Tag deutlich: Eu- ropa muss zusammenhalten, und es kann die immensen Herausforderungen nur gemeinsam bestehen. Dazu gibt es in der Tat keine gute Alternative. Unser Wohlstand, unsere Sicherheit und letztlich auch die Stabilität und der Frieden unseres Landes, auch für unsere Kinder und für uns, liegen in diesem Europa. Damit zu spielen, ist nicht meine Art. Wir werden noch länger mit Problemen zu tun haben, die größer sind als die Krise Griechenlands, in der Eu- ropa viel Steuergeld und politisch viel Lehrgeld bezahlt hat und dabei in einer weiteren großen Krise auch neue Erkenntnisse und eine neue politische Qualität gewon- nen hat, die uns bei anderen Projekten und Schwierigkei- ten zunutze kommen wird. Michael Donth (CDU/CSU): Griechenland soll mit Unterstützung des ESM die Chance erhalten, als Volks- wirtschaft und Staat aus eigener Kraft zu bestehen. Dies war zuvor bereits mit zwei anderen Programmen ver- sucht worden. Für den Erfolg braucht es, mehr noch als finanzielle Unterstützung, den Willen und ernsthafte Schritte in Griechenland, um Staat, Wirtschaft und Ge- sellschaft zu reformieren, zukunftsfähig zu machen. Dies kann nicht durch die Partner geschehen, dies kann nur durch Griechenland selbst geschehen. An die- ser Einsicht mangelte es seither. In den vergangenen vier Wochen haben die griechi- sche Regierung und das griechische Parlament zu mei- nem Erstaunen Vereinbarungen mit den Verhandlungs- partnern getroffen, die deutlich über das hinausgehen, was die griechische Seite bislang bereit war einzugehen. Ein Großteil davon wurde bereits vom Parlament in Ge- setzen umgesetzt, bevor das Programm neu gestartet wurde. Dies ist nicht zuletzt der engagierten und konse- quenten Verhandlungsführung von Bundesfinanzminis- ter Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verdanken. Dennoch sind aus meiner Sicht weitere Schritte der griechischen Seite notwendig, um das in den vergange- nen Monaten zerstörte Vertrauen wieder herzustellen. Deswegen ist es richtig, dass die nun vorgesehenen Mit- tel in Tranchen freigegeben werden und regelmäßige Überprüfungen durch die Troika stattfinden, ob und wie die Zusagen auch eingehalten und vor allem umgesetzt werden. Daran beteiligt sich auch weiterhin der IWF. Alle anderen europäischen Regierungen bzw. Parla- mente, auch die von Spanien und Portugal, tragen diese Vorschläge mit und haben positiv entschieden. Ich sehe sehr wohl das Risiko, dass die Rettung der griechischen Volkswirtschaft immer noch schiefgehen kann. Anderer- seits erkenne ich Chancen im vorgelegten Paket. Deshalb komme ich trotz der Bedenken für mich zu dem Ergebnis, dass ich heute mit Ja stimme. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Erstmals seit dem Amtsantritt des griechischen Premierministers Alexis Tsipras ist eine deutliche Reformbereitschaft in der griechischen Regierung zu erkennen. So wurden Steu- erprivilegien zurückgenommen, Reformen im Gesund- heits- und Rentensystem auf den Weg gebracht und Maßnahmen ergriffen, um den Bankensektor grundle- gend zu modernisieren. Zudem gibt es nun konkrete sub- stanzielle Privatisierungsschritte. Damit besteht eine realistische Chance, an die Reformanstrengungen anzu- knüpfen, die im vergangenen Jahr 2014 bereits erste Früchte getragen haben. Diese Chancen gilt es zu wah- ren. Ob die Reformbereitschaft ausreichen wird, um Grie- chenland auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen, kann jedoch heute nicht verlässlich eingeschätzt werden. Viele Maßnahmen stehen erst in den kommen- den Wochen und Monaten zur Umsetzung an. Für die Zustimmung zum dritten Hilfsprogramm sind für mich folgende Maßgaben entscheidend: – Die Auszahlung der einzelnen Kredittranchen ist klar an den Reformfortschritt in Griechenland geknüpft. Die Bundesregierung muss im ESM der Auszahlung von Tranchen zustimmen. Ich erwarte, dass die Bun- desregierung ihre Zustimmung verweigert, wenn Griechenland seine Reformzusagen nicht einhält. – Der IWF hat seine grundsätzliche Bereitschaft zu weiteren Griechenland-Hilfen erklärt, falls die Schul- dentragfähigkeit gewährleistet wird. Zudem hat er an zwei Stellen Verschärfungen der Reformmaßnahmen in Griechenland verlangt. Dies betrifft zum einen die Rentenreform und andere Maßnahmen zur Verbesse- rung der Haushaltslage, zum anderen die Wiederher- stellung des Vertrauens in den Bankensektor. Der 11498 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) ESM muss diese Forderungen zum Bestandteil der Bedingungen für die Auszahlung von Tranchen des Hilfsprogramms machen. – Ein Schuldenschnitt innerhalb der Euro-Zone kommt für mich weiterhin nicht infrage. – Strukturreformen bleiben der Dreh- und Angelpunkt für wirtschaftlichen Erfolg und finanzielle Stabilisie- rung. Nur ein reformwilliges Griechenland darf auf unsere Unterstützung rechnen. Angesichts der erheblichen Mittel, die nach Griechen- land fließen, ist ein konsequentes Monitoring des Re- formprozesses unerlässlich. Daher kommt es entschei- dend darauf an, dass auch der Deutsche Bundestag in den kommenden Jahren den Reformprozess intensiv be- obachtet und hierzu in geeigneter Weise Informationen einholt. Berichte vonseiten der Bundesregierung, der Eu- ropäischen Kommission und des ESM gehören für mich ebenso dazu wie unmittelbare Unterrichtungen in Grie- chenland vor Ort. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich werde einem zu- stimmenden Beschluss zu einer Stabilitätshilfe auf Drucksache 18/5780 nicht zustimmen. Begründung: Nach zwei gescheiterten Rettungsversu- chen für Griechenland, die im Wesentlichen alte Schul- den mit neuen Krediten tilgten, wird ein drittes Pro- gramm nach der gleichen Methode nicht erfolgreicher sein können. Weniger als ein Viertel sollen für Investiti- onshilfen zur Verfügung stehen, der Großteil geht sofort wieder an internationale Gläubiger zurück. In Wirklich- keit ist das ein Gläubigerschutzprogramm. Hier zeigt sich sehr klar das Grundproblem des Euro. Eine gemeinsame Währung erfordert eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das bedeutet einen Fi- nanzausgleich ohne Rückzahlungspflicht, wie er zwi- schen deutschen Bundesländern besteht. Das müssen wir unserer Bevölkerung dann aber offen sagen! Solange der Euro ein Währungsverbund wirtschafts- autonomer Mitgliedstaaten bleibt, muss die Möglichkeit bestehen, große ökonomische Unterschiede auch mit- hilfe des zeitweisen Umstiegs auf eine Regionalwährung zu überbrücken. Mit dem traditionellen Mittel der Währungskorrektur kann Griechenland seine Überschuldung abbauen und anschießend mit einem neuen Ausgangswert wieder in den Euro einsteigen. Deshalb unterstütze ich den Vorschlag für eine beglei- tete Unterbrechung der Euro-Zugehörigkeit. Während dieser Zeit stehen Griechenland alle Investitionspro- gramme und sozialen Gemeinschaftshilfen der EU offen. Sie kommen der griechischen Bevölkerung und ihrer Volkswirtschaft im Gegensatz zu den bisherigen Um- schuldungsprogrammen tatsächlich und unmittelbar zu- gute. Das aktuelle Programm ist auch deswegen auf Sand gebaut, weil die erwarteten Privatisierungserlöse mit Notverkäufen nicht zu erzielen sind. Schon beim zwei- ten Hilfsprogramm wurden 50 Milliarden Euro aus Pri- vatisierungen angesetzt, eingegangen sind aber nur 2,6 Milliarden Euro! Ich kann auch nicht akzeptieren, dass nach wie vor die Privatisierung des Trinkwassers verlangt wird, die wir in Deutschland strikt ablehnen. Wir brauchen eine Richtungsentscheidung über den Charakter der Europäischen Union und eine wirksame Einbindung der Finanzmärkte über die Finanztransak- tionsteuer. Letztlich haben die aufgeblähten Schulden- stände ihre Ursache im überbordenden Finanzsektor, der inzwischen das 90-fache Volumen der Realwirtschaft er- reicht hat. Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Den vorlie- genden Vertragsentwürfen für ein drittes Hilfspaket für Griechenland stimme ich nicht zu. Es ist mir wichtig, zu betonen, dass mit dieser Ablehnung keine Kritik an der Haltung der Bundesregierung oder der Kanzlerin einher- geht. Auch halte ich die Systematik der Stabilisierungs- politik innerhalb der Euro-Zone grundsätzlich für sinn- voll und geeignet. Beispielhaft seien hier die positiven Effekte in Portugal, Irland und Spanien genannt. Auch Zypern befindet sich, ausweislich der jüngsten Pro- grammüberprüfung, auf einem guten Weg. Vielmehr verweise ich an dieser Stelle auf meine per- sönlichen Erklärungen vom 27. Februar 2015 und 17. Juli 2015 und mein darin festgestelltes mangelndes Vertrauen in den Willen der griechischen Regierung, die mit den internationalen Partnern vereinbarten Reformen so umzusetzen. Seit Tagen verdichten sich ferner die Hinweise, dass in wenigen Wochen Neuwahlen in Griechenland abge- halten werden sollen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Reformanstrengungen während des Wahlkampfes vollständig zum Erliegen kommen. Mit diesen Ankündi- gungen vonseiten des regierenden Parteienbündnisses Syriza werden die sehr ambitionierten Zeit- und Reform- pläne bereits heute wieder infrage gestellt. Ein weiterer Punkt bestimmt meine ablehnende Hal- tung. Insbesondere die Umsetzung des Griechenland-II- Pakets verdeutlichte, dass die Überführung von Parla- mentsbeschlüssen in konkretes Verwaltungshandeln häu- fig an der mangelnden Funktionsfähigkeit staatlicher Strukturen in Griechenland scheitert oder zumindest ver- langsamt wird. Mit der sogenannten Task-Force für Griechenland unterbreitete die EU-Kommission bereits im Juli 2011 ein umfassendes und zielgerichtetes Unter- stützungsangebot an staatliche Stellen in Griechenland. Ziel war es, den Behörden vor Ort technische Hilfe bei der Reform der öffentlichen Verwaltung zukommen zu lassen. Leider wurde dieses Angebot zu selten angenom- men und aufgegriffen. Insofern ist es zwar zu begrüßen, dass im nunmehr dritten Memorandum of Understanding der Stärkung und Straffung von Behörden ein höheres Gewicht gege- ben wird. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind jedoch aus meiner Sicht nicht ausreichend, um eine effektive Umsetzung der so dringend notwendigen Reformen zu gewährleisten. Diese wiederum sind notwendig, um die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11499 (A) (C) (D)(B) in der Schuldentragfähigkeitsanalyse angenommenen Wachstumszahlen des Primärüberschusses im Staats- haushalt zu erreichen. Helmut Heiderich (CDU/CSU): Die von den Mitar- beitern der Europäischen Kommission, von EZB, IWF und ESM verfassten Unterlagen sind nicht nur zum Teil widersprüchlich, sondern wiederholen viele Maßnah- men, die schon in den letzten Jahren erfüllt werden soll- ten. Zudem verpflichten sie zu einer langen Phase von weiteren Zahlungen beziehungsweise zur Stundung von Schulden zugunsten Griechenlands, ohne dass die Be- dingungen des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 oder die Bedingungen des IWF erfüllt sind. Die beim Euro-Summit am 12. Juli 2015 getroffene Feststellung, dass neue ESM-Zahlungen nur erfolgen dürfen, „sofern alle in diesem Dokument aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind“, ist nachweislich nicht er- reicht. Das bestätigt auch der Bericht der EU-Kommis- sion vom 14. August 2015. Weiterhin wird vielfach von der Rekapitalisierung der Banken als zentralem Element gesprochen. Dabei wer- den erstmals Banken als nicht lebensfähig bezeichnet. Bisher wurde von der europäischen Bankenaufsicht im- mer erklärt, dass alle griechischen Banken den Stresstest bestanden hätten. Zudem ist inhaltlich bisher in keiner Weise erkennbar, wie diese Rekapitalisierung konkret stattfinden soll. Daten dazu sollen erst ab September be- kannt gegeben werden. Mit den heutigen Beschlüssen ist zudem klar, dass weitere Schuldenerleichterungen bzw. ESM-Zahlungen folgen werden. Dies wird insbesondere vom IWF betont, weil nach dessen Sicht die Gesamtverschuldung Griechenlands über 200 Prozent steigen wird, auch wenn alle vorge- schlagenen Maßnahmen ausgeführt werden. Sollte die griechische Regierung Neuwahlen ausru- fen, sind wohl viele der für September, Oktober und Jah- resende 2015 vorgesehenen zentralen Forderungen nicht mehr rechtzeitig erfüllbar, was weitere Abweichungen verursachen wird. Aus ökonomischer Bewertung, wegen der fehlenden Faktendarstellungen und der enthaltenden Widersprü- che ist das vorgelegte MoU nicht überzeugend und damit aus dieser Sicht nicht zustimmungsfähig. Allerdings ist dies kein Votum gegen Bundeskanz- lerin Dr. Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, die in zähen Verhandlungen immer wieder intensiv arbeiten, um die gesamte Euro-Gruppe zu überzeugen und um den Euro langfristig zukunftsfä- hig zu halten. Die gerade von vielen Medien betriebenen Aktionen, die Abstimmung über das MoU zu einem Vertrauensvo- tum für die Bundeskanzlerin zu machen, weise ich strikt zurück. Hier geht es um eine Sachentscheidung und nichts an- deres. Unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat wei- terhin mein vollstes Vertrauen. Christian Hirte (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun- desfinanzministeriums, der weitere Kredite für Grie- chenland vorsieht, stimme ich zu. Ein drittes Mal innerhalb weniger Jahre stimmt der Deutsche Bundestag über Kredite für Griechenland ab. Auch wenn sich die Abstimmung formal einreiht in die Debatten seit 2010, haben sich die Rahmenbedingungen, innerhalb derer wir diskutieren, grundlegend gewandelt. Die in Rede stehenden Kredite in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro bis 2018 sind nicht kleinzureden. Dennoch gilt es, den genauen Zweck der Gelder im Blick zu behalten. 54,1 Milliarden Euro stehen für den Schuldendienst bereit, dienen also lediglich zur Ablö- sung alter Kredite. Jeder Staat, auch die Bundesrepublik tut dies regelmäßig. Weitere 25 Milliarden Euro sind für die Rekapitalisierung der Banken bestimmt. Damit soll genau das verhindert werden, was die Lage in den ver- gangenen Wochen so dramatisch machte – die Schlie- ßung von Banken. Anders als von manchem vorgetra- gen, werden also nicht einfach Banken gerettet, sondern es wird die Grundlage dafür geschaffen, dass der Zah- lungsverkehr für jedermann weiter möglich ist. Griechenland hat sich in den vergangenen Jahren an- ders entwickelt als alle anderen Länder, welche die Hilfe der europäischen Partner in Anspruch nehmen mussten. Der vereinbarte Reformweg wurde nie so umgesetzt, wie er vereinbart war, viele eingeleitete Reformen wurden unter der derzeitigen Regierung sogar zurückgenommen. Es gibt daher allen Grund, bei Griechenland im Allge- meinen, aber vor allem der links-rechts-radikalen Regie- rung Tsipras auch weiterhin skeptisch zu bleiben. Wenn die Regierung und auch die Bevölkerung Griechenlands nicht bereit sind, dauerhaft grundsätzlich diesen harten Reformweg zu beschreiten, wird das Land nicht auf die Beine kommen – nicht mit Krediten, auch nicht mit ei- nem Grexit. Ich verstehe daher die Kollegen, die den Glauben an die Zuverlässigkeit griechischer Zusagen vollends verloren haben. Dennoch zeigen aus meiner Sicht die jüngsten Reformbeschlüsse, dass auch eine ideologisch getriebene Regierung sich nicht ewig den Realitäten verweigern kann. Tatsächlich jedoch geht es längst um mehr als die bloße Frage nach dem Umgang mit Griechenland. Bei allen Schwierigkeiten und auch Enttäuschungen, die wir mit der griechischen Regierung erlebt haben, geht es um mehr. Es geht um den Zusammenhalt Europas. Es geht um den Zusammenhalt in einer Welt, in der Konflikte um uns herum bestehen. Wir brauchen einander, und wir brauchen gegenseitiges Vertrauen und Kompromissfä- higkeit. Wir brauchen Partnerschaft und Kooperation in Europa, auch und insbesondere mit Frankreich und Ita- lien. All dies möchte ich nicht opfern, nur weil die ak- tuelle griechische Regierung nicht vertrauenswürdig ist. 11500 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Wir haben heute eine viel größere Verantwortung, als nur stur nach Athen zu schauen. Europa ist von vielen Seiten unter Druck, die gesamte Weltlage viel konfuser als noch vor drei oder vier Jahren. In dieser Situation ei- nen Riss in Europa zu riskieren, hielte ich für fahrlässig. Wem wäre denn geholfen, wenn wir Griechenland jetzt pleitegehen lassen würden und damit am Rand Europas endgültig das völlige Chaos in der Flüchtlingsfrage aus- brechen würde? Wir stimmen nicht allein über Geld für Athen ab, sondern darüber, ob wir Europa auch unter schmerzhaften Kompromissen zusammenhalten können. Es geht auch darum, ob sich in Europa unter unseren Partnern Mehrheiten für das wirtschaftliche und fis- kalische „Modell Deutschland“ oder für das „Modell Frankreich“ finden. In diesem Sinn sind wir gerade in den letzten sechs bis zwölf Monaten große Schritte vo- rangekommen. Die Verhandlungsführung von Bundes- kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble war dafür die Grundlage. Sie haben ihren vom Bundestag erteilten Auftrag so ausgeführt, dass die Interessen Deutschlands bestmöglich gewahrt wurden und zugleich das übergeordnete Interesse einer europäischen Verständigung möglich wurde. Sie haben, im besten Sinn, Staatskunst bewiesen. Wir stehen heute tatsächlich an einem Scheideweg in Europa. Wir müssen Fragen nach Vertiefung oder Ab- schwächung des Integrationskurses stellen, wir müssen über Bereitschaft, aber auch Grenzen von Solidarität und Transfers reden, wir müssen über unser gemeinsames Außenverhältnis diskutieren, etwa in Bezug auf Russ- land oder auch die offenen Flüchtlingsfragen. Wir müs- sen teils stark widerstreitende Grundüberzeugungen in West- und Ost- sowie Nord- und Südeuropa so zusam- menbinden, dass weiterhin ein gemeinsamer europäi- scher Weg möglich bleibt. Diese schwierigen Fragen ha- ben das Potenzial, den Zusammenhalt Europas auch aufs Spiel zu setzen. Deutschland ist im wahrsten Wortsinn bei all dem in einer Mittellage. Dies, unsere wirtschaftli- che Stärke, aber auch unsere Geschichte bringen uns in die zentrale Schlüsselposition. Deshalb bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir nicht diejenigen sein dürfen, die diesen Zusammenhalt aufkündigen. Ein kurz- fristiger Jubel über ein Ende weiterer Kredite, etwa durch einen Grexit, würde langfristig niemandem helfen. Meine Zustimmung für ein drittes Hilfspaket ist deshalb das Ergebnis einer nüchternen Abwägung, das ein schwieriger Weg einem anderen Weg vorzuziehen ist, dessen Ende ich als völlig ungewiss und derzeit höchst riskant einschätze. In der Vergangenheit habe ich mehrmals im Deut- schen Bundestag Hilfsprogrammen nicht zugestimmt, etwa auch im Jahr 2011 bei der Abstimmung über Kredite und Bürgschaften für Portugal. Nicht ohne Demut muss ich heute feststellen, dass meine damalige Einschätzung eines Besseren belehrt wurde – zum Wohle Portugals und zum Wohle Europas. Der grund- sätzliche Mechanismus aus Krediten, harten Reformen und regelmäßiger Kontrolle durch die Gläubiger hat sich dort wie in Spanien oder Irland als praktikabel und er- folgreich erwiesen. Bei aller Abwägung geht es letzlich gar nicht mehr darum, was das genau Richtige ist, das einzig Wahre, sondern darum, eine vertretbare Lösung zu unterstützen, die unsere Regierung unter Verhandlungsleitung von Wolfgang Schäuble und Angela Merkel dem Bundestag zur Abstimmung vorlegt. Ich habe insoweit größtes Ver- trauen, dass das erzielte Verhandlungsergebnis in der ak- tuellen Situation den für Deutschland in der Summe bestmöglichen Kompromiss darstellt. Ein Kompromiss, der allen Seiten viel abverlangt. Ein Kompromiss, der der Preis sein mag für manche Fehler der Vergangenheit. Ein Kompromiss, der mir in einer Zeit großer internatio- naler Verwerfungen erfolgversprechender erscheint als das einseitige alleinige Beharren auf eigene Interessen. Mit meiner Zustimmung unterstütze ich daher auch den notwendigen weiteren Reformprozess in Europa. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Griechenland und seine Regierung unter Ministerpräsident Tsipras haben sich seit der Aufnahme der Verhandlungen im Juli dieses Jahres mit der Umsetzung eines Teils der sogenannten Prior Actions deutlich auf die Euro-Gruppe und insbe- sondere auch auf Deutschlands Vorstellungen von einer erfolgreichen Politik und Verwaltung zu bewegt. Jedoch sind im jetzt vorliegenden Memorandum of Understanding gerade zentrale Punkte bisher nicht er- füllt bzw. lediglich durch noch nicht in der Praxis er- probte Gesetze oder gar nur durch Absichtserklärungen vorbereitet worden; die tatsächliche Umsetzung kann da- mit – auch durchaus der kurzen Zeitspanne geschuldet – gerade nicht überprüft werden. Zu diesen zentralen Punkten gehören insbesondere: – Verabschiedung des neuen Haushalts 2016 (Oktober 2015) – Anpassung der Umsatzbesteuerung (März 2016) – Reform der Vermögensteuer (Januar 2017) – Reform des Öffentlichen Beschaffungswesens (Sep- tember 2015) – Rentenreform (Oktober 2015 mit Wirkung zum Ja- nuar 2016) – Arbeitsmarktreformen (zunächst zurückgestellt) – Schaffung eines Privatisierungsfonds (im Oktober 2015 soll zunächst nur eine „Arbeitsgruppe“ einge- setzt werden) Die Möglichkeit der Überprüfung ist aber nach mei- nem Verständnis essenzieller Bestandteil der aus dem Grundgesetz folgenden haushaltspolitischen Verantwor- tung des Deutschen Bundestages, wie sie im ESM-Fi- nanzierungsgesetz, ESMFinG, niedergelegt ist: So sollen Abgeordnete gerade nicht „ins Blaue hinein“ entschei- den, sondern in Kenntnis aller Umstände. Letzteres ist hier gerade nicht der Fall, sondern es wird – zumindest für die erste Tranche – ein Freibrief gegeben, was ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Die darin liegende Prüfung der „Konditionalität“ ist insbesondere deshalb erforderlich, weil Mittel aus dem letzten Ret- tungspaket zwar als „Sanktion“ verfallen sind, nunmehr Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11501 (A) (C) (D)(B) aber gleichwohl als Teilbetrag in das in der Diskussion stehende neue Rettungspaket eingestellt wurden. Zudem ist für mich bisher nicht erkennbar, wie die griechische Rentenreform nunmehr in Einklang mit grie- chischem Verfassungsrecht gebracht werden kann, nach- dem die ursprünglich schon einmal verabschiedete Reform in diesem Punkt vom griechischen Verfassungs- gericht (Συμβούλιο της Επικρατείας) für verfassungs- widrig erklärt worden war. Auch hat sich meine Einschätzung zur Schuldentrag- fähigkeit Griechenlands nicht geändert. Wie auch der In- ternationale Währungsfonds, IWF, in seiner letzten Stel- lungnahme ausgeführt hat, bin auch ich nicht der Ansicht, dass durch das geplante Rettungspaket eine Schuldentragfähigkeit hergestellt werden kann. Viel- mehr bedarf es, was der IWF selbst auch zur Bedingung für seine Teilnahme an einem Rettungspaket macht, an- derer Maßnahmen, die dann offen und vorbehaltlos dis- kutiert werden müssen. Insbesondere ist es fraglich, ob die bisher geplanten Laufzeitverlängerungen und Stundungen von Zinszah- lungen ausreichen werden. Vielmehr müsste hier ernst- haft und ehrlich über einen echten Schuldenschnitt nach- gedacht werden – und damit auch über ein Staaten- Insolvenzverfahren, das den Ablauf einer Restrukturie- rung sowohl für den betroffenen Staat als auch für des- sen Gläubiger vorhersehbar macht. Zudem hat sich an meiner rechtlichen Einschätzung der Voraussetzungen eines ESM-Hilfspakets nichts ge- ändert. Auch zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich keine Ge- fahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt oder seiner Mitglieder. Ich verweise hier auf meine persönliche Erklärung vom 17. Juli 2015. In jedem Fall möchte ich jedoch herausstellen, dass mir die möglichen Folgen meiner Entscheidung – sollte sie von der Mehrheit des Deutschen Bundestages mitge- tragen werden – bewusst sind. So würde ein Nein zu dem jetzigen Hilfspaket zunächst eine weitere Brücken- finanzierung nach sich ziehen – zu der den Mitgliedern des Deutschen Bundestages auch bereits ein Vertragsent- wurf zugeleitet wurde. Damit wäre eine Beschlussfas- sung zum Beispiel im Oktober 2015 zu einem Zeitpunkt möglich, zu dem schon ein deutlich größerer Teil an Maßnahmen in Griechenland umgesetzt sein soll und da- mit überprüfbar wäre. Zudem wäre dann eine Beschluss- fassung zusammen mit dem IWF möglich. Bettina Hornhues (CDU/CSU): Nach reichlicher Ab- wägung der Sachverhalte möchte ich mein Abstimmungs- verhalten zum heutigen Antrag (Drucksache 18/5780) des Bundesministers der Finanzen erläutern. Ich habe in den vergangenen Monaten stark an dem Erfolg weiterer Griechenland-Hilfen und der Koopera- tions- und Reformbereitschaft der Griechen gezweifelt. Bereits im Februar habe ich der technischen Verlänge- rung des zweiten Hilfspaketes nur mit den größten Be- denken zugestimmt. Ich verweise an dieser Stelle auf meine persönliche Erklärung vom 27. Februar 2015 (Plenarprotokoll 18/89). Ich werde einem dritten Hilfspaket nach eingehendem Studium der vom Bundesfinanzministerium zur Verfü- gung gestellten Unterlagen die Zustimmung erteilen, da auf der Basis der deutlich veränderten Kooperationsbe- reitschaft der hellenischen Regierung in den Verhand- lungen der vergangenen Wochen umfangreiche Struk- turreformen und ein Privatisierungsfonds auf den Weg gebracht werden konnten. Die Auszahlung des Rettungs- paketes findet in kleineren Tranchen statt, und diese wer- den nur ausgezahlt, wenn die vereinbarten Reformen auch umgesetzt werden. In dem Bewusstsein, dass der Erfolg dieses Hilfsprogramms vor allem von der Regie- rung Griechenlands abhängt, ist es aber meiner Auffas- sung nach die richtige Entscheidung, um der Stabilisie- rung der Währungsunion zu dienen. Andrej Hunko (Die Linke): Ich habe bei der heutigen Abstimmung im Bundestag über ein drittes Kreditpro- gramm für Griechenland mit Nein gestimmt. Die folgen- den Gründe haben mich dazu bewogen: 1. Der Charakter des fälschlicherweise als „Hilfspro- gramm“ bezeichneten Kürzungsdiktats bleibt falsch. Die im Memorandum of Understanding festgehaltenen Be- dingungen werden die Krise nicht lösen, sondern weiter verschärfen. Sie sind wirtschaftlich kontraproduktiv, weil die Er- höhung von Verbrauchssteuern wie der Mehrwertsteuer, weitere Rentenkürzungen und ausbleibende Investitio- nen, jede Möglichkeit zur wirtschaftlichen Erholung massiv einschränken. Sie zwingen die Regierung, ein gigantisches Privati- sierungsprogramm umzusetzen und profitable öffentli- che Unternehmen zu Ramschpreisen zu verkaufen. Sie sind sozial verheerend, weil sie die Kosten der Krise weitgehend auf Beschäftigte, Arbeitslose und Rentnerinnen und Rentner abwälzen – wenn auch die Syriza-Regierung Zugeständnisse zur sozialen Abfede- rung erkämpfen konnte. 2. Die Kredite in Höhe von 86 Milliarden Euro, für die Deutschland mit 27 Prozent haftet, fließen erneut zum Großteil in den Finanzsektor und können nicht zur Überwindung der Wirtschaftskrise eingesetzt werden. Durch das wirtschaftlich verheerende Kürzungs- und Privatisierungsdiktat steigt die Wahrscheinlichkeit wei- ter, dass die Schulden nicht zurückgezahlt werden kön- nen. 3. Zwar sind im Vergleich zu den früheren Memoran- den einige wenige positive Veränderungen festzustellen wie beispielsweise die Absichtserklärung, eine Gesund- heits-Grundversorgung für alle einzurichten – auch für nicht Versicherte. Dass diese Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, ist angesichts der Kürzungsvorgaben im Memorandum jedoch extrem schwierig. 4. Das Zustandekommen des Griechenlandpakets ent- spricht einem Diktat und ist undemokratisch. In einer beispiellosen Erpressung haben die EU-Institutionen im Verbund mit der deutschen Bundesregierung die griechi- sche Regierung zur Kapitulation gezwungen. Diese 11502 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Politik widerspricht zutiefst meinen Überzeugungen, weshalb ich sie hier, im Parlament der Erpresser, nur ablehnen kann. Ich mache hingegen keine Aussage darüber, wie ich mich in Griechenland, im Parlament der Erpressten, verhalten würde. Dies ist allein Sache der griechischen Abgeordneten. 5. Griechenland braucht unsere Hilfe, und ich bin ohne Umschweife dafür, diese solidarisch zu gewähren. Das heute zur Abstimmung stehende Paket ist jedoch ein weiterer Rettungsring aus Blei. Unter diesen Bedingun- gen kann ich nur mit Nein stimmen. Thomas Jurk (SPD): Das nun vorliegende Memo- randum of Understanding, MoU, für ein dreijähriges ESM-Programm zur Unterstützung Griechenlands ist keine ausreichende Grundlage für die dringend notwen- dige Stärkung der griechischen Wirtschaft und setzt unrealistische Ziele, welche sich schon bald als nicht umsetzbar erweisen werden. Dies wird maßgeblich dazu beitragen, den Zusammenhalt in Europa weiter zu unter- graben. Bei der geplanten Unterstützung für Griechenland handelt es sich im Wesentlichen um eine Fortführung bzw. Anpassung der Bedingungen der seit 2010 laufen- den Hilfsprogramme. Das Ergebnis dieser bisherigen Hilfe kann nach mehr als fünf Jahren nur als desaströs bezeichnet werden: Das griechische BIP und die Real- löhne sind seit 2010 um rund 20 Prozent zurückgegan- gen. Die Binnennachfrage ist in diesem Zeitraum um knapp 30 Prozent gesunken. Auch die gesamtwirtschaft- liche Investitionsquote ist von 2010 bis heute von 17 auf 11 Prozent gefallen. Die Staatsschuldenquote Griechen- lands lag 2010 bei 145 Prozent des BIP und wird im kommenden Jahr – trotz eines Schuldenschnitts im Jahr 2012 – bei rund 200 Prozent des BIP liegen. Die Arbeits- losenquote hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt und liegt bei mehr als 25 Prozent. Die Armut ist in Griechen- land inzwischen zum Alltag vieler Menschen geworden. Ursache des Scheiterns der bisherigen Hilfspro- gramme für Griechenland ist in erster Linie nicht die mangelhafte Umsetzung von Reformen (siehe „Reform Responsiveness Score“ 2007 bis 2014 der OECD in „Going for Growth“ 2015), sondern das Außerachtlassen grundlegender ökonomischer Zusammenhänge, insbe- sondere hinsichtlich der Auswirkungen der Hilfspro- gramme auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Dies wird mit dem nun vorliegenden MoU leider nicht korrigiert. So sollen beispielsweise im Rentensys- tem im kommenden Jahr Leistungen im Umfang von 1 Prozent des BIP eingespart werden, was entsprechende negative Auswirkungen auf Kaufkraft und Binnennach- frage haben wird. Auch die im MoU aufgeführten Maßnahmen zur Förderung von Investitionen oder zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit bleiben weit hinter dem dringend Notwendigen zurück. So stehen zur Unterstützung Griechenlands in der laufenden EU-För- derperiode von 2014 bis 2020 etwa 35 Milliarden Euro an EU-Mitteln zur Verfügung. Dies sind zunächst einmal 3 Milliarden Euro weniger als in der vorausgegangenen Förderperiode 2007 bis 2013. Zusätzlich stehen nun le- diglich die im MoU in Aussicht gestellten, von Grie- chenland nicht abgerufenen Mittel der EU-Programme 2007 bis 2013 in Höhe von gut 5 Milliarden Euro zur Verfügung. Hinzu kommt, dass nach dem MoU die grie- chischen Haushaltsüberschüsse bis zum Erreichen des vereinbarten Primärüberschussziels, und bei Überschrei- ten des vereinbarten Primärüberschussziels teilweise, zur Schuldensenkung verwendet werden müssen. Diese Mittel stehen also nicht für Investitionen und Konsum zur Verfügung, was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage schwächen wird. Nennenswerte Wachstumsimpulse für die griechische Wirtschaft werden so auch mit dem neuen MoU nicht gesetzt, was ein Scheitern beim Errei- chen der mittelfristigen Wachstumsziele und damit auch der Ziele bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen zur Folge haben wird. Die Wachstumsziele sind ohnehin viel zu ambitio- niert. So wird in der aktuellen Schuldentragfähigkeits- analyse der europäischen Institutionen im Basisszenario für Griechenland von einem langfristigen Wachstum des realen BIP von 1,75 Prozent ausgegangen. Auf welchen Annahmen dieses Basisszenario beruht, wird in dieser Schuldentragfähigkeitsanalyse offengelassen. Demge- genüber geht der IWF davon aus, dass das langfristige Wachstum des realen BIP 0,8 Prozent erreichen wird, wenn die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote von aktuell 11 Prozent bis 2019 auf 19 Prozent des BIP stei- gen, die Arbeitsmarktpartizipation den höchsten Wert in der Euro-Zone erreichen, die Arbeitslosigkeit auf das Niveau Deutschlands fallen und die Steigerungsrate der totalen Faktorproduktivität das durchschnittliche Niveau in der Euro-Zone seit 1980 erreichen würde (siehe „IMF Country Report“ No. 15/165). Es ist aus meiner Sicht abwegig, zu erwarten, dass Griechenland diese Voraus- setzungen für ein nachhaltiges Wachstum erfüllen kann. Deshalb können die von den europäischen Institutionen vorgegebenen Wachstumsziele und damit auch die Haushaltsziele nicht erreicht werden. Der IWF hat es zunächst abgelehnt, sich an einem weiteren Hilfsprogramm für Griechenland zu beteiligen und dies mit der nicht gegebenen Schuldentragfähigkeit begründet. Laut IWF würde der Bruttofinanzierungs- bedarf Griechenlands deutlich über dem als sicher geltenden Schwellenwert von 15 Prozent liegen und langfristig weiter ansteigen. Auch wenn die aktuelle Schuldentragfähigkeitsanalyse der europäischen Institu- tionen in dieser Frage unkonkret bleibt, wird diese Einschätzung hier doch im Wesentlichen bestätigt. Um die Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten, werden von den europäischen Institutionen deshalb schuldensen- kende Maßnahmen vorgeschlagen. Diese Maßnahmen müssten nach meiner Einschätzung einen erheblichen Umfang haben und würden damit die Glaubwürdigkeit des fundamentalen europäischen Grundsatzes, nicht für die Verbindlichkeiten anderer Staaten einzutreten, in Zweifel ziehen. Nicht angesprochen werden in der ak- tuellen Analyse darüber hinaus die erheblichen Risiken für die Schuldentragfähigkeit: So wird im MoU darge- legt, dass in Zukunft möglicherweise zusätzliche Maß- nahmen zur Abwicklung notleidender Kredite im Ban- kensektor erforderlich sind. Für mich bleibt außerdem Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11503 (A) (C) (D)(B) höchst zweifelhaft, dass die Privatisierungserlöse im ge- planten Umfang von knapp 14 Milliarden Euro bis 2022 und weiterer 50 Milliarden Euro im neuen Privatisie- rungsfonds während der Laufzeit des neuen Darlehens erzielt werden, da in den vergangenen fünf Jahren tat- sächlich nur rund 3 Milliarden Euro Einnahmen aus Pri- vatisierungen erlöst wurden. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Schuldentragfähigkeit bei objekti- ver Betrachtung nicht gegeben ist. Ganz unabhängig von den unrealistischen Zielen des ESM-Programms hinsichtlich Wirtschaftswachstum, Haushaltsüberschüssen und Schuldentragfähigkeit ist auch die Erwartung, dass Griechenland die im MoU im Einzelnen genannten Bedingungen vollständig und frist- gerecht erfüllen wird, wenig überzeugend. So hat das Referendum vom 5. Juli 2015 in Griechenland deutlich gezeigt, dass die griechische Bevölkerung mehrheitlich eine Fortsetzung der gescheiterten „Rettungspolitik“ ab- lehnt. Diese Ablehnung wird zweifellos von der griechi- schen Regierung geteilt, deren Vertreter dies mehrfach öffentlich zum Ausdruck gebracht haben. Stärker wiegt jedoch, dass die im MoU genannten Maßnahmen von Griechenland – selbst bei gutem Willen aller Beteilig- ten – bei sachlicher Betrachtung kaum umgesetzt wer- den können. So sind im MoU – neben den circa 50 Vor- abmaßnahmen, die bis heute noch nicht vollständig umgesetzt wurden – über 50 weitere Maßnahmen aufge- führt, die bis September bzw. Oktober 2015 (das heißt innerhalb weniger Tage bzw. Wochen) umgesetzt wer- den müssen. Darunter sind beispielsweise umfassende Reformen der Tarifordnung für die öffentliche Verwal- tung, des Rentensystems, der Einkommensteuer sowie des Steuerverfahrensrechts, die Geltendmachung und Beitreibung von Rückforderungen im Gesundheitssys- tem oder die Veröffentlichung der seit über drei Monaten säumigen Steuer- und Sozialabgabenschuldner. Selbst in einem Staat mit funktionierender öffentlicher Verwal- tung würde die Umsetzung jeder einzelnen dieser Maßnahmen mehr Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb ist – auch unter Berücksichtigung der technischen Hilfe – nicht davon auszugehen, dass Griechenland dies vollum- fänglich wird leisten können. Unzweifelhaft ist es notwendig, dass Griechenland eine effiziente Staatsverwaltung bekommt, ein funktio- nierendes Rechtssystem geschaffen und die Korruption bekämpft wird. Auch die Einführung einer sozialen Grundsicherung und eine bessere Gesundheitsversor- gung der Bevölkerung sind dringend erforderlich. Ich begrüße auch ausdrücklich die dafür vorgesehene techni- sche Hilfe der EU. Trotzdem wird dies nach meiner Ansicht nicht ausreichen, um Griechenland wieder auf einen dauerhaften Wachstumspfad zu führen, welcher die Rückzahlung der gewährten Hilfen ermöglicht. Zur Stärkung der griechischen Wirtschaft wäre zusätzlich eine große solidarische Anstrengung aller Mitgliedstaa- ten der Europäischen Union unerlässlich. Einer – wenn auch modifizierten – Fortsetzung der bisherigen europäi- schen „Rettungspolitik“ kann ich deshalb nicht zustim- men. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Positivste vorneweg: Mit dem dritten Hilfsprogramm wird Griechenland für drei Jahre aus den Negativschlag- zeilen kommen. Die bisher erreichten Reformen können weitergeführt werden, und die europäische Idee hat wie- der etwas Zeit, an Stärke zu gewinnen. Für drei Jahre werden die an der europäischen Idee zweifelnden CDU/ CSU-Abweichler ihre Grexit-Diskussion einstellen müs- sen. Finanzminister Schäuble, der noch immer für den Grexit ist, musste eine schwere Niederlage einstecken. Das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone wurde gegen seinen Willen vorerst verhindert. Eine langfristige Lösung stellen die Abmachungen aber nicht dar. Wieder einmal wurde es versäumt, die Weichen für die nachhaltige Erholung des Landes zu stellen. Es fehlt sowohl an einer konsequenten Investi- tionsförderung – dafür sind keine ausreichenden Mittel vorhanden – als auch einer garantierten Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden. Griechenland kann die Schulden nicht völlig zurückzahlen. Deshalb wird es ein viertes Kreditprogramm in drei Jahren geben. Die Chance, dieses zu verhindern, wurde durch Merkels und Schäubles Weigerung, einen wirksamen Schuldenschnitt durchzuführen, vertan. Angesichts dieser zwiespältigen Gesamtbilanz habe ich mich heute im Bundestag enthalten. Ich bedauere sehr, dass die Bundesregierung nicht daran interessiert war, einen Kompromiss zu erzielen, zu dem ich als über- zeugter Europäer mit gutem Gewissen Ja sagen kann. Unrealistische Haushaltsziele und kein Ende der Aus- terität: Es gibt durchaus ein paar positive Aspekte im be- schlossenen Memorandum of Understanding. Dazu ge- hören strukturelle Veränderungen im Steuerbereich, die den Kampf gegen Steuervermeidung maßgeblich verbes- sern werden. Es wird höhere Steuern für Reeder und Kürzungen im griechischen Verteidigungshaushalt ge- ben. Es sind aber auch viele Elemente enthalten, die für eine Fortsetzung des schädlichen Austeritätskurses sor- gen werden: beispielsweise die Kürzung der Zusatzren- ten, die Erhöhung des Renteneintrittalters (in einem Land mit einer Arbeitslosigkeit von über 25 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von etwa 60 Prozent) und der Mehrwertsteuer. Unter diesen Umständen scheint der für das Jahr 2018 anvisierte Primärüberschuss von 3,5 Prozent vollkommen unrealistisch – welches Land hat denn tatsächlich einen solch hohen Primärüber- schuss, und warum sollte ausgerechnet Griechenland diesen erreichen? Die unrealistischen Sparziele werden großen Druck auf den neu geschaffenen Privatisierungsfonds ausüben. Die Erfahrungen mit der deutschen Treuhand zeigen, dass der Zeitfaktor hierbei die entscheidende Kompo- nente ist. Kurzfristiger Handlungsdruck angesichts nach wie vor hoher Einnahmeanforderungen wird einen Preisverfall des öffentlichen Eigentums bewirken und verhindert die langfristige Sanierung und strategische Neuaufstellung der öffentlichen Infrastruktur gerade in ökologischen Schlüsselsektoren wie Energie und Ver- kehr – eine schwere Hypothek für die Zukunft. 11504 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Ohne Schuldenerleichterung bleibt das Hilfsprogramm eine Fehlkonstruktion: Die griechische Staatsschulden- quote wird steigen und die Marke von 200 Prozent über- steigen. Auch der Finanzierungsbedarf öffentlicher Gü- ter hat längst die kritischen Grenzen überschritten und stellt einen dauerhaften Hinderungsgrund für eine nach- haltige Entwicklung in Griechenland dar. Das ist auch ein Grund, warum Griechenland die gesamten Schulden nicht begleichen können wird. Die Tragfähigkeit der Staatsschulden muss aber gesichert sein, damit Grie- chenland wieder zu einem sich selbst tragenden Wirt- schafts- und Sozialsystem kommen kann. Die Strategie von Schäuble und Merkel wird deshalb scheitern, da die- ses Programm die Schuldenlast des Staates erhöht und letztlich eine ökonomische und soziale Gesundung ver- hindert. Das bestätigt auch der IWF, der sich nicht an der Auszahlung der ersten Tranche beteiligt. Das zeigt aber auch, wie groß die Differenzen unter den Gläubigern sind. Angela Merkel hat längst erkannt, dass Griechen- land eine effektive Umschuldung benötigt, verschiebt die Umsetzung dieser Erkenntnis allerdings in die Zu- kunft und vergeudet damit wieder wichtige Zeit und er- höht damit das Risiko des Scheiterns. Damit verteuert sie in jedem Fall die Hilfsanforderungen Griechenlands. Im schlimmsten Fall könnte die Verweigerungshaltung Merkels ein Scheitern des Hilfsprogramms bedeuten. Die europäische Idee darf nicht begraben werden: Der Grexit ist und bleibt keine Alternative. Das Land wird weiter auf die Solidarität Europas angewiesen sein. Aber auch umgekehrt gilt: Wenn Griechenland scheitert, wird dies enormen Schaden für die europäische Idee bewir- ken. Kein Land Europas profitiert mehr von Europa als Deutschland. Es liegt also auch in unserem Interesse, die europäische Idee zu verteidigen und dafür zu sorgen, dass Europa demokratischer und solidarischer wird. Die Flüchtlingsdramatik in Griechenland zeigt uns, wie we- nig Europa wirklicher Solidarität verpflichtet ist. In Deutschland müssen wir weiter die öffentliche Aus- einandersetzung mit den nationalkonservativen Kräften suchen, ihre Ideologie zurückdrängen und die europäi- sche Idee stärken. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Nach gewissenhafter Abwägung sämtlicher Aspekte stimme ich dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zu, Griechenland im Rahmen eines dritten Reformprogramms weitere Un- terstützung im Gegenzug für umfassende und überprüf- bare Reformen zu gewähren. Ausschlaggebend für meine Zustimmung waren folgende Aspekte: Die in meiner Erklärung vom 17. Juli 2015 formulier- ten Forderungen sehe ich als erfüllt an. Das Programm dient der Stabilität der Euro-Zone, dem inneren Zusam- menhalt der Europäischen Union und der Wiederherstel- lung von Solidität und Wettbewerbsfähigkeit in Grie- chenland. Die Reformziele wurden im Gegensatz zu den bisherigen Programmen inhaltlich wesentlich detaillier- ter fixiert und mit zusätzlichen Fristen versehen. Re- formfortschritte können künftig besser überprüft und konsequenter durchgesetzt werden. Das Grundprinzip unserer Stabilisierungspolitik – Solidarität für Reformen – wurde maßgeblich gestärkt. Unkonditio- nierte Hilfe lehne ich weiterhin strikt ab. Die Euro- Gruppe hat ausdrücklich betont, dass sie das Engage- ment des IWF für unabdingbar erachtet. Die offenen Forderungen des IWF können im Rahmen des vorliegen- den Programms erfüllt und somit die Mitwirkung des IWF sichergestellt werden. Der Wille aller beteiligten Parteien, die Mitwirkung des IWF sicherzustellen, ist ge- geben. Die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister haben hart verhandelt und ein Ergebnis erzielt, dem letztendlich alle 19 Euro-Finanzminister zugestimmt ha- ben. Ich vertraue diesem Kompromiss, da er keine un- konditionierte Hilfe verspricht, sondern an klare und überprüfbare Reformvorgaben gekoppelt ist. Die letzte Tranche aus dem zweiten Programm wurde mangels Re- formfortschritten zurückgehalten. Diese Konsequenz er- warte ich auch von dem neuen Programm. Griechenland ist reformierbar, sofern der politische Wille dazu besteht. Schon die ersten beiden Programme hatten trotz ihrer Unzulänglichkeiten für Reformerfolge gesorgt. 2014 verzeichnete Athen einen signifikanten Haushaltsüberschuss vor Schulden, ein erstes, leichtes Absinken der Arbeitslosigkeit und ein spürbares Wirt- schaftswachstum. Mit ihrem irrationalen Vorgehen hat die neue griechische Regierung viele dieser Erfolge zu- nichtegemacht. Das neue Programm bietet nun die Chance, auf den Reformpfad zurückzukehren. Als neue Abgeordnete bin ich bereit, diese Chance letztmalig zu gewähren. Als deutsche Abgeordnete sind wir vor allem dem deutschen Steuerzahler verpflichtet und müssen da- her den Reformwillen der Griechen einfordern und die Fortschritte in den zuständigen Gremien konsequent überwachen. Ich sehe keine bessere Alternative zu diesem neuen Reformprogramm. Ein unkoordiniertes Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone würde ebenfalls be- trächtliche Kosten verursachen. Europa darf es nicht zu- lassen, dass ein geopolitisch so bedeutender EU-Staat derartig destabilisiert wird. Griechenland hat aufgrund seiner geografischen Lage beim Schutz der EU-Außen- grenzen, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise und als NATO-Partner zahlreiche wichtige Funktionen zu er- füllen, für die es in jedem Fall gesamteuropäische Unter- stützung benötigt. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone bleibt für mich aber weiterhin eine Op- tion, sofern der nun gezeigte Reformwille nachlässt. Alle beteiligten Institutionen sind aufgefordert, sich auf diese Eventualität gewissenhaft und umsichtig vorzubereiten. Hilde Mattheis (SPD): Meine Zustimmung zur Sta- bilitätshilfe zugunsten Griechenlands – Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages, der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinba- rung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabi- litätsmechanismus, ESM –, ist ein Votum für den Zu- sammenhalt Europas und gegen eine unkontrollierte In- solvenz Griechenlands. Es ist gleichzeitig gerichtet gegen jeden Versuch, Griechenland aus dem Euro-Raum Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11505 (A) (C) (D)(B) – oder der EU – zu drängen. Derartige Vorschläge halte ich für politisch und wirtschaftlich schädlich für die EU und unser Land. Dazu stelle ich allerdings fest: 1. Die Austeritätspolitik ist gescheitert. Sie hat keine ökonomische Wende auslösen können, sondern vielmehr die wirtschaftliche Situation der griechischen Unter- und Mittelschichten verschlechtert. Statt diesen Weg weiter zu verfolgen, muss ein anderer, hin zu einem nachhalti- gen, solidarischen Wirtschaften und einer Erneuerung des Staates beschritten werden. Wir müssen uns auch in Zukunft entschieden dafür einsetzen, Griechenland in der europäischen Familie und der Gemeinschaftswäh- rung zu halten. Europa muss deutlich machen, dass in Krisenzeiten kein Land zurückgelassen werden darf. Die vom IWF geforderte Entschuldung Griechenlands kann dabei nicht ausgeschlossen werden. 2. Griechenland benötigt ein Investitionsprogramm, um die ökonomische Wende zu schaffen. Aus eigener Kraft kann Griechenland nur schwer eine wirtschaftliche Trendwende erzielen. Ein gezieltes Zukunftsinvestiti- onsprogramm, das mittels EU-Investitionsfonds und der Mobilisierung privaten Kapitals angeschoben wird, ist dazu erforderlich. Durch die Investition in Zukunfts- branchen kann auch ein Beitrag zur Binnennachfrage ge- leistet werden. 3. Um die notwendigen Reformen umzusetzen, braucht Griechenland einen modernen und handlungs- fähigen Staat. Statt vorgegebener Entlassungsquoten für öffentliche Bedienstete und erzwungenem Ausver- kauf der öffentlichen Infrastruktur müssen Rechts- und Sozialstaatlichkeit gestärkt werden. Die griechische Regierung hat hierbei umfassende Reformen angekün- digt. Griechenland benötigt dabei jedoch von der euro- päischen Gemeinschaft konkrete Unterstützung sowie ausreichend Zeit und Spielraum, um diese rechtsstaatli- chen und sozialen Vorhaben zum Wohle des Landes und der gesamten europäischen Gemeinschaft umzuset- zen. Das erzielte Verhandlungsergebnis ist unstrittig ein enormes Austeritätspaket, das dem Land drastische Ein- schnitte abverlangt. Der Verkauf von 14 Regionalflughä- fen an den deutschen Flughafenbetreiber Fraport macht den Ausverkauf des Landes deutlich. Allerdings hat sich Griechenland damit in dieser Situation eine Perspektive erkämpft. Die griechische Regierung muss dabei unter- stützt werden. Außerdem muss die in der Erklärung er- hobene Forderung von Christine Lagarde, Geschäftsfüh- rende Direktorin des IWF, nach Schuldenerleichterung aufgegriffen werden. Der Grexit ist und bleibt keine Al- ternative. Um die Hoffnung auf eine wirtschaftliche und soziale Trendwende zu untermauern, braucht Griechen- land die europäische Solidarität. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Erstens. In der Ab- stimmung vom 17. Juli 2015 habe ich mich der Stimme enthalten, da ich zum einen die Verhandlungsführung der Bundeskanzlerin und insbesondere des Bundes- finanzministers weiterhin unterstützen wollte, anderer- seits aber zum damaligen Zeitpunkt und auf Basis des seinerzeit gegebenen Kenntnisstands nach einer schwie- rigen Abwägung meine Zustimmung nicht erteilen konnte, „grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Artikel 16 ESM-Vertrag zu ge- währen“. Es bestehen sicherlich auch weiterhin begründete Zweifel, ob die im ESM-Vertrag vorgesehenen grund- sätzlichen Voraussetzungen für einen Einsatz von ESM- Darlehen überhaupt gegeben sind – insbesondere eine Gefährdung der Finanzstabilität der Euro-Zone als Gan- zes lag und liegt nach meiner Einschätzung nicht vor. Unabhängig davon habe ich die nunmehr vorliegende Vereinbarung im Einzelnen geprüft. Dabei habe ich ins- besondere auch die fachlichen Einschätzungen berück- sichtigt, die das Bundesministerium der Finanzen vor der Sitzung der Euro-Gruppe am 14. August 2015 abge- geben hat. Zweitens. Bereits bei der Verlängerung des zweiten Rettungspakets im Februar 2015 fiel es mehr als schwer, noch Vertrauen in die Ernsthaftigkeit und Verlässlichkeit der griechischen Regierung aufzubringen, die von ihr gemachten Zusagen und eingegangenen Verpflichtungen auch tatsächlich einzuhalten. Das Verhalten der griechischen Regierung bis Mitte Juli 2015 hat die schlimmsten Befürchtungen in dieser Hinsicht zunächst leider mehr als bestätigt. Ich nehme zur Kenntnis, dass Regierung und Parlament in Grie- chenland sich nunmehr zu einem ambitionierten und not- wendigen Reformprogramm verpflichtet haben. Dies ist zweifelsohne ein großer Verhandlungserfolg der Bun- deskanzlerin und des Bundesfinanzministers. Ob diese Verpflichtungen aber über mögliche Neu- wahlen im Herbst 2015 hinaus tatsächlich Bestand haben und die zugesagten Reformen nachhaltig und wirksam umgesetzt werden, daran bestehen allerdings weiterhin durchaus erhebliche Zweifel. Dies betrifft insbesondere auch die Frage der Erbringung der notwendigen Eigen- mittel für die Bankenrekapitalisierung und den Abbau der öffentlichen Verschuldung im Rahmen des vorgese- henen Privatisierungsfonds. Drittens. Selbst wenn die im Programm vereinbarten Reformen nunmehr erfolgreich umgesetzt werden, kann ich zum heutigen Zeitpunkt eine glaubwürdige Perspek- tive zur Wiedererlangung von Schuldentragfähigkeit und Kapitalmarktzugang Griechenlands in einem überschau- baren Zeitraum nicht erkennen. Nach Auffassung des IWF – Country Report vom 14. Juli 2015 – bestehen nur drei Optionen, um Schul- dentragfähigkeit und Kapitalmarktzugang Griechenlands wiederherzustellen: ein umfangreicher Schuldenver- zicht der europäischen Gläubiger vorab, der Einstieg in dauerhafte fiskalische Transferzahlungen innerhalb der Euro-Zone oder der weitgehende Verzicht auf Schulden- dienst für einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren auf alle bisherigen und die jetzt neu zu gewährenden Darlehen. Wenn derartige Maßnahmen unabweisbar notwendig würden, könnte dies den faktischen Einstieg in eine dau- 11506 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) erhafte Transferunion bedeuten, was nach meiner Ein- schätzung mit dem Maastricht-Vertrag und damit einem weiteren Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone nicht vereinbar wäre. Viertens. Eine weitere Beteiligung des IWF ist aus meiner Sicht für eine erfolgreiche Umsetzung des Re- formprogramms dringend notwendig. Der IWF hat sei- nerseits Schuldenerleichterungen in offenbar signifikan- tem Umfang zur notwendigen Voraussetzung für seine weitere Beteiligung am Hilfsprogramm für Griechenland erklärt. Die geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, hat auch nach dem Beschluss der Euro-Gruppe am 14. August 2015 dazu wie folgt festgestellt: „How- ever, I remain firmly of the view that Greece’s debt has become unsustainable and that Greece cannot restore debt sustainability solely through actions on its own. Thus, it is equally critical for medium and long-term debt sustainability that Greece’s European partners make concrete commitments in the context of the first review of the ESM program to provide significant debt relief, well beyond what has been considered so far.“ Es besteht weitgehend Einigkeit, dass eine weitere Beteiligung des IWF unverzichtbar ist. Darüber soll je- doch nunmehr erst im Oktober 2015 konkret entschieden werden. Ich empfinde es als problematisch, dass der Deutsche Bundestag heute bereits dem Gesamtpro- gramm zustimmen soll, bevor ausreichende Klarheit da- rüber besteht, ob und unter welchen Bedingungen sich der IWF tatsächlich substanziell an diesem neuen Pro- gramm beteiligen wird. Fünftens. Ich erkenne die erfolgreichen Bemühungen der Bundesregierung ausdrücklich an und würde es au- ßerordentlich begrüßen, wenn auf dieser Grundlage künftig die mit der Vereinbarung angestrebten Ziele in vollem Umfang erreicht würden und sich meine heute bestehenden Bedenken damit rückblickend als unbe- gründet erweisen. In einer Gesamtbeurteilung sehe ich mich aber zum heutigen Zeitpunkt und auf dem heutigen Kenntnisstand aus den genannten Gründen nicht in der Lage, dem vor- liegenden Antrag uneingeschränkt zuzustimmen – auch wenn ich mich nur schweren Herzens in einer wichtigen Frage von der Mehrheit meiner Fraktion entferne, werde ich mich daher heute erneut der Stimme enthalten. Florian Oßner (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun- desministeriums der Finanzen am 19. August 2015 stimme ich unter sieben Voraussetzungen zu, dass: erstens der Internationale Währungsfonds, IWF, auch nach den Neuverhandlungen im Oktober 2015 an den Fi- nanzhilfen an die Hellenische Republik Griechenland in überwachender und finanzieller Form eingebunden wird sowie aktiv mitwirkt; zweitens die bereits eingeleiteten Reformmaßnah- men weiter umgesetzt werden – zusätzlich zu den bereits beschlossenen Steuerreformen durch das griechische Parlament muss eine funktionsfähige Steuerverwaltung sowie Unabhängigkeit der griechischen Statistikbehörde vollständig sichergestellt und eine tragfähige Insolvenz- ordnung ausgearbeitet werden –; drittens ein Privatisierungsfonds weiter vorangetrie- ben wird – griechisches Staatsvermögen muss in einen unabhängigen Fonds transferiert werden, der die Vermö- genswerte durch Privatisierung monetarisiert (siehe auch Memorandum of Understanding) –; viertens die griechische Regierung die Liberalisie- rung in zahlreichen Branchen vorantreibt, den Arbeits- markt flexibler gestaltet und mehr Wettbewerb im Ener- giesektor etabliert – ein weiterer Reformschritt ist die Modernisierung der Verwaltung sowie die Erreichung höherer wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit –; fünftens ein nominaler Schuldenschnitt nicht reali- siert wird; sechstens es nur Solidarität gegen Solidität und Ver- lässlichkeit geben kann; siebtens die sogenannte Troika den Reformprozess vor Ort überwacht, womit ein transparentes Monitoring implementiert wird. Ulrich Petzold (CDU/CSU): In den vergangenen vier Wochen hat die Bundesregierung gemeinsam mit anderen europäischen Partnern der amtierenden griechi- schen Regierung aus Links- und Rechtspopulisten um- fangreiche Zusagen zur Umgestaltung der desolaten Staatsverwaltung in Griechenland abgerungen, die in ei- nem Memorandum of Understanding vereinbart sind. Im Gegenzug dazu wird Griechenland zum 20. August die- ses Jahres eine erste Sub-Tranche von 13 Milliarden Euro einer Gesamtfinanzhilfe von 86 Milliarden Euro ausgezahlt. Selbstverständlich berücksichtigen die in dem Memo- randum of Understanding getroffenen Vereinbarungen wesentliche Bedenken gerade auch des Deutschen Bundestages, sodass man der deutschen Verhandlungs- führung ausdrücklich dafür danken kann, doch wird hier letztendlich eine griechische Zusage zumindest in der Sub-Tranche gegen eine konkrete, beträchtliche Zahlung getauscht. Leider mussten wir in diesem Jahr bei genau der Regierung, der wir jetzt die Zahlung leisten, feststellen, dass Zusagen nicht allzu viel wert waren. Selbstver- ständlich kann man dagegenhalten, dass das griechische Parlament in seiner Sitzung vom 13./14. August ein Maßnahmenpaket verabschiedet hat, das die Forderun- gen des Memorandum of Understanding aufgreift. Be- denken muss man jedoch dabei, dass ein Maßnahmenpa- ket keine gesetzliche Regelung und schon gar keine verwaltungsmäßige Umsetzung darstellt. Gerade bei der Umsetzung europäischer Vorgaben haben sich in der Vergangenheit und insbesondere bei der existierenden Regierung umfangreiche Defizite gezeigt, sodass sich für mich die Situation so darstellt, dass wir als Europa in der Hoffnung auf die Umsetzung eines guten Verhand- lungsergebnisses erneut eine Vorauszahlung leisten. Besondere Bedenken entstehen bei mir dadurch, dass sich aufgrund der fehlenden Regierungsmehrheit für das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11507 (A) (C) (D)(B) umzusetzende Reformpaket eine Neuwahl mit absolut unberechenbarem Ausgang konkret abzeichnet und es fraglich ist, woran sich eine neue Regierung gebunden fühlt. Da ich gerade auch die Bemühungen der deutschen Verhandlungsführung achte und das Ergebnis der Ver- handlungen im Memorandum of Understanding als für alle Seiten akzeptabel anerkenne, jedoch persönlich kein Zutrauen zur Umsetzung der getroffenen Vereinbarun- gen durch Griechenland habe, werde ich mich der Stimme enthalten. Alois Rainer (CDU/CSU): Nach sorgfältiger Überle- gung und gewissenhafter Abwägung stimme ich dem Antrag des Bundesfinanzministeriums zu, Griechenland im Rahmen eines dritten Reformprogramms auf Grund- lage des Memorandum of Understanding zu unterstüt- zen. Grundlage für meine Zustimmung waren insbeson- dere folgende Aspekte: Zunächst hat Griechenland bereits vor Aufnahme der Verhandlungen im Juli zuvor zurückgestellte Reformen umgesetzt. Dazu zählen eine systematischere Erhebung und Erhöhung der Mehrwertsteuer, Maßnahmen für ein nachhaltigeres Rentensystem, die Unabhängigkeit der Statistikbehörde, die vollständige Umsetzung des Euro- päischen Fiskalvertrages, eine effizientere Zivilprozess- ordnung zur Verkürzung überlanger Verfahren und die vollständige Umsetzung der europäischen Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken. Mit der Umsetzung der vereinbarten Reformagenda im Memorandum of Unterstanding soll die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wiederhergestellt, die Finanz- stabilität gesichert, für Wachstum und Wettbewerbs- fähigkeit gesorgt werden. Für mich ist hierbei sehr wichtig, dass weitere Aus- zahlungen an erfolgreich umgesetzte Reformen geknüpft werden. Deshalb ist es richtig, dass weiterhin regel- mäßige Programmüberprüfungen vorgesehen sind und die Hilfskredite nur in Tranchen und unabhängig von diesen Überprüfungen ausgezahlt werden. Denn nicht alle Reformen wurden unumkehrbar umgesetzt. Weiter ist unabdingbar, dass der Internationale Wäh- rungsfonds, IWF, mit seiner besonderen Expertise, wie Schulden abgebaut und die Wettbewerbsfähigkeit der Länder durch Strukturreformen nachhaltig verbessert werden kann, weiter an Bord bleibt. Die griechische Regierung hat einen Wandel vollzo- gen. Von einer anfangs ablehnenden Zusammenarbeit ist man zwischenzeitlich zu konstruktiven Gesprächen ge- kommen. Der Erfolg und die Nachhaltigkeit eines dritten Programms hängen zuallererst jedoch an der Reform- bereitschaft der Griechen selbst. Mit der geänderten Haltung der griechischen Regierung und der Umsetzung der Reformen kann es Griechenland nun schaffen, die gesteckten Ziele zu erreichen. Wie ich schon in meiner Erklärung vom 17. Juli schrieb, galt für mich immer das Prinzip: Solidarität nur gegen Solidität, und wenn die griechische Regierung be- reit ist, die harten Reformen umzusetzen, dann ist es nur folgerichtig, den nächsten Schritt zu gehen. Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme der Vereinba- rung über ein ESM-Programm für die Hellenische Repu- blik zu. Ich stimme zu, weil die Mehrheit der deutschen als auch der griechischen Bürgerinnen und Bürger ein Aus- scheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungsraum ablehnt und gemeinsam für eine gerechte europäische Sozial- und Wirtschaftspolitik, für eine europäische Inte- gration und ein Europa des Friedens, der Freiheit und der Demokratie eintritt. Außerdem hat Deutschland Europa und damit auch Griechenland in vielerlei Hinsicht un- endlich viel zu verdanken. Ich begrüße sehr, dass nach der Zustimmung des Deut- schen Bundestags zur Aufnahme von Verhandlungen am 17. Juli 2015 zügig Gespräche und Vereinbarungen er- reicht werden konnten. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass mit der Umsetzung des ESM-Programms ein drohendes Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungs- raum verhindert werden kann. Dies ist insbesondere das Verdienst der SPD sowie der sozialdemokratisch und so- zialistisch regierten Mitglieder der Euro-Gruppe, die sich stets gegen ein – auch zeitweises – Ausscheiden Grie- chenlands verwahrt haben. Das vorliegende ESM-Programm ist in vielerlei Hin- sicht besser als frühere Programme. Von besonderer Be- deutung sind dabei die in Aussicht gestellten Schuldener- leichterungen für die Hellenische Republik und die notwendige Lockerung der Konsolidierungsziele. Diese Einsicht ist der Tatsache geschuldet, dass angesichts des hohen Schuldenstands und der kritischen ökonomischen Lage Griechenlands nicht alle notwendigen Ziele – Kon- solidierung und Schuldenabbau, nachhaltige Strukturre- formen und Impulse für neues Wachstum – gleichzeitig erreicht werden können. Das zur Abstimmung stehende ESM-Programm erlaubt durch Anpassung der Haushalts- ziele an die gegebenen Möglichkeiten Griechenlands die Konzentration auf Strukturreformen und Wachstumsim- pulse. Umfangreiche und effektive Strukturreformen sind unausweichlich, um einen funktionierenden Sozialstaat und eine Daseinsvorsorge für alle in Griechenland si- cherzustellen, um die öffentliche Verwaltung effektiver und transparenter zu machen und Korruption zu be- kämpfen und den Kampf gegen Steuerhinterziehung – auch durch wirksame strafrechtliche Bestimmungen – zu stärken. Nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa ist die Bekämpfung von Steuerbetrug eine wich- tige gemeinsame Aufgabe. Ich betone deshalb auch die Bedeutung der weiteren Kooperation mit dem Internatio- nalen Währungsfonds, IWF, der – mit und auch ohne weitere finanzielle Beteiligung – bei der fachlich und so- zial angemessenen Definition der Reformschritte mit- wirken soll. Die griechische Wirtschaft ist auf eine nachhaltige Wachstumsstrategie angewiesen, die durch ein umfang- 11508 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) reiches EU-Investitionsprogramm angeschoben werden muss. Für eine Wiederbelebung privater Investitionen in Griechenland ist es umso wichtiger, dass die Unsicher- heit über den Verbleib der Hellenischen Republik im Euro-Währungsraum vom Tisch ist. Ich bin auch davon überzeugt, dass sich Ausstiegsszenarien Einzelner zu Mitgliedern des derzeitigen Euro-Währungsraumes in Zukunft nicht wiederholen werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Europäische Union einen unverzichtbaren Beitrag zu Frieden, Völ- kerverständigung und gegenseitiger Solidarität leistet. Die Gemeinschaftswährung ist Ausdruck dieser europäi- schen Integration und von großer ökonomischer Bedeu- tung für sämtliche Mitgliedstaaten des gemeinsamen Währungsraums und der Europäischen Union insgesamt. Die Menschen in Europa stehen zum Euro – auch die Menschen in Griechenland und in Deutschland. Mit großer Sorge verfolge ich die soziale Situation in Griechenland – die hohe Arbeitslosigkeit, die weit verbrei- tete Armut und die unzureichende medizinische Versor- gung der Menschen. Die durch konstruktive Verhandlungen der griechischen Regierung und der Finanzminister der an- deren Euro-Mitgliedstaaten zügig erreichten Vereinbarun- gen sollen nun der dramatischen sozialen Lage abhelfen. Europa insgesamt muss sich daran messen lassen, dass Eu- ropäerinnen und Europäer nicht in sozialem Elend leben müssen. Umso wichtiger ist es, bei der Umsetzung der Struk- turreformen soziale und ökonomische Erfordernisse ge- meinsam zu betrachten. Da soziale Gerechtigkeit maß- geblich von öffentlicher Infrastruktur abhängt, appelliere ich nachdrücklich, im Rahmen der verabredeten Privati- sierungsvorgaben die Handlungsfähigkeit der Helleni- schen Republik im Bereich der Daseinsvorsorge nicht einseitig den kurzfristigen Erlöszielen unterzuordnen. Privatisierungsvorgaben dürfen nicht dazu führen, im In- teresse privater Investoren die öffentliche Infrastruktur unter Wert veräußern zu müssen. In Deutschland selbst lassen sich dafür zahlreiche – letztlich beim einsichtsvol- len Rückkauf teure – Beispiele aufzählen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Krise und die bisher dominierende Austeritätspolitik zu einer Ver- schärfung der sozialen Situation in Griechenland insbe- sondere zulasten der Menschen mit geringem Einkommen geführt haben: Lohnsenkungen um fast 40 Prozent, durch- schnittliche Rentensenkungen um 48 Prozent, drastische Einkommensverluste der ärmsten Haushalte, eine Steige- rung der Arbeitslosigkeit auf 27 Prozent, bei Jugendlichen auf über 50 Prozent und die steigende Zahl der Suizide um rund 35 Prozent sind Ausdruck dieser dramatischen Ent- wicklung. Die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen aller Euro-Partner begreife ich deshalb als Start für eine neue, integrierte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der EU insgesamt. Sie muss ausgerichtet sein auf die Reduzierung mak- roökonomischer Ungleichgewichte, insbesondere der Leistungsbilanzunterschiede, die auf die von Deutsch- land maßgeblich forcierte Politik der Wettbewerbsfähig- keit und Austerität zurückgehen. Die zukünftige Wirt- schaftspolitik der EU, die einen Schwerpunkt auf gemeinsame Programme zur Bekämpfung von Jugendar- beitslosigkeit, auf stärkere europäische Kompetenzen sowie auf eine verbesserte Regulierung der Kapital- märkte legen muss, ist die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des heute vorliegenden ESM-Programms. Die Entscheidung zu einer gemeinsamen, nationale Inte- ressen ausgleichenden Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU ist auch notwendige Bedingung dafür, eine ökonomi- sche Spaltung Europas und die drohende wirtschaftliche Destabilisierung weiterer Europartner zu verhindern. Ich erwarte ausdrücklich, dass auch die Konservativen ihr leichtfertiges Kokettieren mit einem Kerneuropa ökono- mischer Stärke unterlassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass in der Europäischen Union und der Euro-Gruppe gegenseitiges Vertrauen verloren geht und nationale Interessen europaweite Kon- flikte nicht abzusehenden Ausmaßes auslösen. Zuneh- mendem Nationalismus trete ich entschieden entgegen. Bei meiner Entscheidung geht es nicht nur um Griechen- land – es geht um ein Europa, welches basiert auf Freiheit und Demokratie, auf Rechtsstaatlichkeit und Menschen- rechten. In diesem Europa, in dem jeder Mensch die gleiche Würde hat, wollen wir gemeinsam in Frieden mit unseren Nachbarn leben. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): An Tagen wie heute mit Entscheidungen wie diesen wird mir erneut bewusst, welche große Verantwortung wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestags tragen. Ich un- terstelle den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, dass sie sich ihre Entscheidung ähnlich schwer gemacht haben wie ich. In den vergangenen Tagen habe ich viel gelesen, diskutiert, hinterfragt und gezweifelt. Am Ende steht mein Ja zum dritten Hilfspaket. Aber es ist ein „Ja, aber …“. Ja, wir brauchen eine starke Europäische Union. Die Europäische Union bringt uns Frieden, das darf niemals gering geschätzt werden. Und sie verschafft uns eine nicht gekannte Freizügigkeit und Wohlstand. Das geht nicht ohne Solidarität, ohne Anstrengungen, ohne unser aller Einsatz. Darum ist das Ja auch ein Ja für das grie- chische Volk, das sowohl unter den Konsequenzen der vergangenen unfähigen und korrupten griechischen Re- gierungen als auch unter den Fehlern, die in der Europäi- schen Union gemacht wurden, leiden muss. Ja, es gibt ermutigende Zeichen in diesem Memoran- dum of Understanding. Allen voran, dass die Korruption und die Steuerhinterziehung bekämpft werden sollen. Es ist gut, dass die Steuerprivilegien für die Reeder auslau- fen werden. Und es ist sinnvoll, wenn eine soziale Grundsicherung geschaffen werden soll, um damit das Problem der hohen Frühverrentnung anzugehen, oder wenn es Hilfen für Langzeitarbeitslose geben soll. Wenn nun tatsächlich eine effizientere Steuerverwaltung auf- gebaut werden könnte, wäre auch dies ein großer Schritt, um der Schattenwirtschaft im Land entgegenzutreten und vor allem endlich die Reichen ihren Teil leisten zu lassen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11509 (A) (C) (D)(B) Ja, wir können die Folgen eines Grexits nicht abse- hen. Aber ich glaube, dass ein Grexit für das griechische Volk, dem vor allem meine Solidarität gilt, zunächst eine massive Verschlechterung bringen wird. Nur ein Bei- spiel: Schon jetzt ist die steigende Kindersterblichkeit ein Alarmsignal. Wie wäre dies, wenn die Preise für die zu importierenden Medikamente ins Unermessliche stei- gen? Ein Grexit hätte auch ein politisches Erdbeben in der EU zur Folge. Was wäre dann in ein paar Jahren zum Beispiel mit Italien? Wir können die Folgen derzeit nicht absehen, aber ich ahne, dass ein Grexit keine Alternative sein kann und sein darf. Aber: Ob dieses Hilfspaket tatsächlich uns dem Ziel näher bringen wird, dass Griechenland wieder auf eige- nen Beinen stehen kann, dahinter steht ein Fragezeichen. Wieder werden Schulden gemacht, um Altschulden zu bezahlen. Dass dies langfristig nicht funktionieren kann, dazu braucht es keine Wirtschaftsprofessoren. Ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass es einen echten Schuldenschnitt braucht, um Griechenland überhaupt eine Chance auf Erholung der Wirtschaft und des Staats- haushaltes zu geben. So kurbeln wir nur immer weiter den Kreislauf aus Alt- und Neuschulden an. Dem Staat aber fehlen die notwendigen Gelder für Investitionen, auch Fördermilliarden aus der EU können so nicht abge- rufen werden, da die Kofinanzierung nicht steht, nicht stehen kann. Hinzu kommen Maßnahmen, denen ich mehr als skeptisch gegenüberstehe. Die teilweise Erhö- hung der Mehrwehrsteuer, vor allem auf den Inseln, wird mehrheitlich eher die arme Bevölkerung treffen. Vor al- lem aber der Tourismus, einer der wichtigsten noch funktionierenden Wirtschaftszweige, wird darunter lei- den. Das halte ich nicht für zielführend. Aber: Die griechische Regierung hat viel Vertrauen verspielt. Sicherlich hat nicht geholfen, dass manch schriller griechischer Ton ein nicht minder schrilles deutsches Echo bekommen hat. Die Finanzminister Va- roufakis und Schäuble hatten zuzeiten offenbar mehr In- teresse daran, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen und mit dem Finger aufeinander zu zeigen, als ernsthaft an Lö- sungen zu arbeiten. Aber es bleibt ein völlig verständli- cher Unmut, dass hier Alex Tsipras zwischenzeitlich sehr hoch gepokert hat. Und auch wenn es ihm jetzt ge- lungen ist, das griechische Parlament mehrheitlich hinter sich und das dritte Hilfspaket zu bringen, machen mir die drohenden Neuwahlen Sorge. Was, wenn hier die ex- tremen linken und rechten politischen Kräfte noch mehr an Zulauf bekommen? Mit wem sollen dann die konkre- ten Maßnahmen, die im Memorandum of Understanding stehen, umgesetzt werden? Das bereitet mir Sorge. Aber: Man kann mit der Art und Weise, wie die Bun- desregierung in die Verhandlung gegangen ist, nicht zufrieden sein. Mein Ja ist deshalb ein eindeutiges Ja für die europäische Idee, aber ein Nein gegen Bundes- kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Ohne Rücksprache mit dem Deut- schen Bundestag wurde in den entscheidenden Verhand- lungen plötzlich der Grexit ins Spiel gebracht, offenbar von langer Hand vom Finanzministerium vorbereitet. Dieses nahezu erpresserische Verhalten in einem Ringen um einen für beide Seiten tragfähigen Kompromiss halte ich nicht nur für kontraproduktiv, sondern auch noch für politisch unanständig. Bei allem Für und Wider, das ich in dieser Erklärung nur ansatzweise andeuten kann, bleibt es schlussendlich bei meinem „Ja, aber …“. Es ist dies eine der schwie- rigsten politischen Entscheidungen, die ich als Abgeord- nete je zu treffen hatte. Und ich sehe meine Verantwor- tung gegenüber den deutschen und den europäischen Bürgerinnen und Bürgern. Sie wiegt schwer. Ich hoffe, dass ich ihr in der Rückschau gerecht geworden bin. Dr. Nina Scheer (SPD): Den Griechenland-Hilfen stimme ich zu, da eine Ablehnung für Griechenland eine humanitäre Katastrophe zur Folge hätte und damit auch für Europa dauerhaft schädlich wäre. Ich halte allerdings wesentliche Teile des Hilfsprogramms für verfehlt: Wenn einem notleidenden Staat durch Privatisierungs- verpflichtungen Einnahmemöglichkeiten genommen werden, ist das kontraproduktiv. So halte ich etwa die Liberalisierung des Stromnetz- betreibers ADMIE, die als bevorzugte Variante im Memorandum of Understanding hervorgehoben wird, für falsch. Die zugleich als mögliche Alternative vor- gesehene Eigentumsentflechtung zwischen Netz und Stromerzeugung, bei der die Stromnetze aber in öffentli- cher Hand bleiben, ist unter den zeitlichen Vorgaben – in diesem Fall der Privatisierung des Stromnetzes bis Okto- ber 2015 – nicht zu realisieren und somit für Griechen- land kein reeller Handlungsspielraum. Mit dieser fakti- schen Privatisierungsvorgabe für das Stromnetz bleiben wichtige Fragen außer Acht: Welche privaten Akteure werden bei welchen Renditevorgaben in das griechische Stromnetz investieren, um es für die Zukunft fit zu ma- chen? Ist Privatisierung mit Blick auf die Langfristigkeit von Netzinvestitionen nicht die volkswirtschaftlich teu- rere Option? Im Zuge des notwendigen Energiewendeumbaus des Stromversorgungssystems haben sich in den letzten Jahren in Europa insbesondere die Übertragungsnetz- betreiber aus Dänemark (Energinet.dk), Irland (EirGrid), Norwegen (Statnett), Niederlande (TenneT) und auch Schweden (Svenska Kraftnät) bezogen auf die jeweils inländischen Entwicklungen als starke und zugleich vor- anschreitende Player erwiesen. Alle diese Netzbetreiber sind zu 100 Prozent im Staatsbesitz. Griechenland braucht neben dem Aufbau einer soli- den Verwaltungsstruktur Schuldenerleichterungen und Konjunkturprogramme. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Griechenland seine Schulden dauerhaft nicht tragen kann. Anders als die vorangegangenen Griechenland- Hilfsprogramme enthält das jetzige Programm richtige Ansätze, etwa zum Aufbau einer Sozialversicherung. Zugleich dürfen zeitliche Vorgaben nicht bedeuten, dass entsprechende Maßnahmen nicht wahrgenommen wer- den. Zur weiteren inhaltlichen Positionierung verweise ich auf meine persönliche Erklärung vom 17. Juli 2015. 11510 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Jana Schimke (CDU/CSU): Die Verhandlungen der vergangenen Wochen mit der griechischen Regierung über weitere Hilfen der Euro-Länder waren nicht leicht. Deshalb möchte ich dem durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erzielten Verhandlungsergebnis meinen Respekt aus- sprechen. Die Vielzahl der vereinbarten Reformen zeigt auf, was die Grundlagen eines annähernd funktionieren- den Staates sind. Bereits bei der vergangenen Abstimmung über die Erteilung eines Verhandlungsmandates hatte ich große Bedenken. So galt es, den herben Vertrauensverlust zwi- schen der griechischen Regierung und den Euro-Ländern wiederherzustellen. In der Hoffnung, dass dies gelingt, hatte ich einem Verhandlungsmandat zugestimmt. Doch trotz der positiven Verhandlungsergebnisse hat sich mei- ner Ansicht nach bis heute nichts an der bisherigen Lage geändert, und die politische Lage Griechenlands ist noch instabiler geworden. So ist die aktuelle griechische Re- gierung im Begriff, sich zu spalten und aufzulösen. Wei- terhin ist davon auszugehen, dass es noch in diesem Jahr zu Neuwahlen in Griechenland kommt, deren Ausgang ungewiss ist. Niemand kann derzeit sagen, ob die heute beschlosse- nen Reformen auch nach den Wahlen tatsächlich umge- setzt werden. Den politischen Willensbekundungen fehlt es nach wie vor an messbaren Ergebnissen und einer Schuldentragfähigkeit. Deshalb untersagt der Internatio- nale Währungsfonds, IWF, auch weiterhin seine Beteili- gung an den Hilfen, welche für eine aussichtsreiche Unterstützungspolitik jedoch unabdingbar sind. Weiterhin fehlt es an einer glaubwürdigen Strategie und der Bereitschaft, den Umgang mit Schuldenländern in der Europäischen Währungsunion zu regeln. Dabei ist es an der Zeit, die Konstruktionsfehler der Währungs- union einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und klare Regeln für den Umgang mit Schuldenländern zu entwickeln. Europa bleibt nur dann stark, wenn jedes Mitglieds- land die Verantwortung für sein eigenes Handeln über- nimmt und wir nicht auf eine Schuldenunion zusteuern. Dies würde dazu führen, dass die Menschen und damit auch die Steuerzahler den Glauben an das europäische Projekt verlieren. Unter diesen Umständen ein neues Hilfsprogramm zu starten, kann ich nicht verantworten und werde deshalb mit Nein stimmen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist heute das dritte „Rettungspaket“ für Grie- chenland. Die beiden ersten sind kläglich gescheitert. Sie haben den wirtschaftlichen Aufschwung nicht gebracht. Die soziale Situation im Land und die Wirtschaftslage sind nicht besser als vorher, sondern dramatisch schlech- ter geworden, zum Verzweifeln. Die Sparzwänge hatten verheerende Folgen. Und die Schulden sind enorm ge- wachsen auf weit über 300 Milliarden Euro. Die Wahr- heit, die in der deutschen Regierung keiner hören will, ist: Der griechische Staat wird die Schulden nie zurück- zahlen können. Ich stimme zum dritten Rettungspaket wieder mit Nein. Denn wie sollen die neuen Kredite in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro und neue Sparzwänge mit Hunderten von Auflagen, die in mehr als 30 Seiten des Memoran- dums aufgelistet sind, nun Rettung bringen? Die bisher aufgezwungene restriktive Sparpolitik wird in keinem Punkt korrigiert. Ganz im Gegenteil: Kleinere Verbesse- rungen durch die neue Regierung werden nun „korri- giert“. Die Kredite zusätzlicher Finanzhilfe für Grie- chenland aus dem ESM werden die wirtschaftliche und soziale Lage im Land nicht verbessern. Denn sie dürfen ausschließlich für die Bedienung der bisherigen Schul- den und die Sanierung der Banken eingesetzt werden. So sind von der ersten Tranche von 26 Milliarden Euro 16 Milliarden für Rückzahlungen und 10 Milliarden für Rekapitalisierung und Abwicklung von Banken vorgese- hen, insgesamt können es bis zu 25 Milliarden sein. Von der Gesamtsumme der Kredite bis zu 86 Milliarden ge- hen 54,1 Milliarden in den Schuldendienst, 7 Milliarden in den Abbau von Zahlungsrückständen und 7,6 Milliar- den in den Aufbau von Reserven. Der Rest reicht nicht mal für die Gebühren und Zinsen der neuen Kredite. Die Gesamtschuldenlast aber wird erheblich höher. Im Memorandum sind zwar hehre Ziele für die Regie- rung formuliert, wie die „Notwendigkeit sozialer Gerech- tigkeit und Fairness innerhalb der und zwischen den Gene- rationen“, sowie die „Schaffung von 50 000 Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose“, aber die ESM-Finanzhilfen dür- fen dafür nicht eingesetzt werden. 50 000 Arbeitsplätze sollen es kurzfristig sein, gar Arbeitsbeschaffungsmaß- nahmen für 150 000 Arbeitslose bis März 2016. Nur, da- für und für die ebenfalls im Memorandum angekündigte Einführung garantierter Mindesteinkommen sowie den Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle – auch un- versicherte Personen – sind die Gelder aus den Krediten nicht da, auch nicht für die Verbesserung der katastro- phalen Lage der Flüchtlinge im Land. Die neuen Kredite helfen nur den „Institutionen“, also den Gläubigern, und das auch nur, solange das neue Geld reicht. Sie helfen nicht bei der Finanzierung der dringend notwendigen In- vestitionen in Griechenland. Immer neue Kredite und Schulden sind der verhäng- nisvoll falsche Weg, wie spätestens nach dem Scheitern der bisherigen Rettungsschirme deutlich geworden ist. Ein deutlicher Schuldenschnitt und ein mehrjähriges Moratorium bei der Bedienung der Restschulden, ver- bunden mit einem gezielten Investitionsprogramm für Wirtschaft, Infrastruktur und die sozialen Sicherungssys- teme für Griechenland, sind unverzichtbar. Sie sind auch vertretbar, schließlich hat Deutschland circa 100 Milliar- den Euro an den niedrigen Zinsen für die eigenen Schul- den seit der Griechenland-Krise gespart, Das wäre der richtige Weg – humaner und solidarischer. Deshalb stimme ich dem Antrag der Bundesregierung nicht zu. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Bei der heutigen namentlichen Abstimmung zum Antrag des Bundes- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11511 (A) (C) (D)(B) ministeriums der Finanzen „Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands“ werde ich nach reiflicher Überlegung zustimmen. Zur Abstimmung steht ein hartes und ambitioniertes Reformpaket mit einem strengen Kontrollmechanismus. Damit ist das grundlegende Prinzip – Hilfe nur gegen Reformen – eingehalten. Die Auszahlung erfolgt – so wie in der letzten Stimmerklärung von mir gefordert – erneut nur in einzelnen Tranchen und nur dann, wenn Griechenland die geforderten Reformvorhaben erfolg- reich umsetzt. Griechenland hat sich stark bewegt und bereits wich- tige Reformen beschlossen. Nun kommen weitere harte Einschnitte auf das Land zu: Die Strukturreformen, die die Vorgängerregierungen immer wieder versprochen, aber nicht umgesetzt haben, sollen nun endlich durchge- führt werden, etwa die Abschaffung von Frührenten, Reformen auf dem Arbeitsmarkt oder Privatisierungen. Zudem soll der Kampf gegen Korruption und Steuerhin- terziehung verschärft werden. Die griechische Regierung hat einen weiten Weg zu- rückgelegt und – ausgehend von der Ablehnung jegli- cher Zusammenarbeit – endlich erkannt, dass es den Euro nicht zum Nulltarif gibt, sondern nur, wenn man die gemeinsamen Regeln innerhalb der Euro-Gruppe einhält. Dies liegt nicht zuletzt an der harten Verhand- lungslinie unseres Finanzministers Dr. Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Entscheidend für mich war ebenso, dass die EU auch bei einer Staatspleite Griechenlands zahlen müsste, und zwar in Form von humanitären Hilfen, die nicht in Form von Krediten, sondern direkt fließen würden. Allerdings hätte die EU dann nicht die Möglichkeit, die Auszahlung an die Verabschiedung von Reformvorhaben zu knüpfen. Hilfe darf es aber nur gegen Reformen in Griechenland geben. Es kommt jetzt darauf an, dass Griechenland auf die- sem Weg bleibt und weiterhin liefert. Das wird von den Institutionen in engen Zeitabständen überprüft, und die Auszahlung der einzelnen Tranchen erfolgt nur dann, wenn Griechenland die geforderten Reformvorhaben weiterhin erfolgreich umsetzt. Vor diesem Hintergrund habe ich heute dem Hilfspro- gramm zugestimmt. Kai Whittaker (CDU/CSU): Der Deutsche Bundes- tag soll bei seiner heutigen Abstimmung über ein drittes Hilfspaket für Griechenland entscheiden. Im Vorfeld dieser Abstimmung hat der Deutsche Bundestag der Bundesregierung mit seinem Votum vom 17. Juli 2015 das Mandat erteilt, mit Griechenland über Finanzhilfen in Verhandlungen zu treten. Folgende Punkte sind anzumerken: 1. Mit der Erklärung des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 ist es gelungen, die Konditionalität von Kredithil- fen gegen Reformen einstimmig in der Euro-Gruppe durchzusetzen. Dies findet sich auch in der Erklärung der Euro-Gruppe vom 14. August 2015 wieder. Dabei wird das Reformprogramm nach wie vor von der Euro- päischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, dem ESM und dem IWF beaufsichtigt und kontrolliert. Damit gibt es keine Sonderbehandlung für Griechen- land, sondern Griechenland wird wie alle vorherigen Programmländer behandelt. 2. Mit der Erklärung der Euro-Gruppe vom 14. Au- gust 2015 ist ein detailliertes Reformprogramm erarbei- tet worden. Dieses Programm hat zum Ziel, den maroden Bankensektor zu reformieren, die Staatseinnahmen zu erhöhen, Ausgaben zu senken, die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zu steigern und eine effi- ziente Staatsverwaltung aufzubauen. Damit haben wir eine realistische Aufgabenbeschreibung für die griechi- sche Regierung und gleichzeitig eine sehr engmaschige, permanente Kontrolle in den nächsten drei Jahren. 3. Seit dem 15. Juli 2015 hat das griechische Parla- ment mit großer Mehrheit alle wesentlichen vereinbarten Maßnahmenpakete verabschiedet, die als Vorbedingung für ein drittes Hilfspaket gefordert waren. Mit der erfolg- reichen Abstimmung im Parlament hat die griechische Regierung das innenpolitische Mandat für den entspre- chenden Reformkurs erteilt bekommen. Bemerkenswert ist dabei, dass sich eine überparteiliche Mehrheit für die Maßnahmen ausgesprochen hat. Damit scheint die grie- chische Regierung sich endlich zum Prinzip der Konditi- onalität zu bekennen. Dies muss ich anerkennen. Selbstverständlich bleiben nach wie vor Zweifel über den eingeschlagenen Weg. Das Vertrauen, das die grie- chische Regierung in den letzten Monaten zerstört hat, lässt sich nicht ohne Weiteres durch einige Beschlüsse oder Absichtsbekundungen in wenigen Wochen wieder aufbauen. Nun sind Taten gefordert. Zweifel bleiben auch über die zukünftige Rolle des IWF. Für mich ist klar, das es keinen Schuldenschnitt für ein Land innerhalb der Euro-Zone geben kann und dass gleichzeitig der IWF weiterhin als Kreditgeber im Boot bleiben muss. Aus heutiger Sicht ist nicht klar, wie ein Engagement des IWF aussehen wird und unter welchen Bedingungen es erfolgen kann. Dies erfüllt mich mit großer Sorge. Dennoch bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, diese letzte Chance der griechischen Regierung zu ge- ben. Durch die harten Verhandlungen der deutschen Bundesregierung ist es gelungen, dass die von uns im- mer geforderte Konditionalität, das heißt europäische Hilfe gegen Reformen, durchgesetzt wurde. Es wäre aus deutscher Sicht unverantwortlich, wenn wir nun trotz unseres Verhandlungserfolgs Griechenland nicht helfen würden, obwohl alle wesentlichen Bedingungen Deutschlands vonseiten Griechenlands akzeptiert wor- den sind. Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 118. Sitzung Inhaltsverzeichnis Tagesordnungspunkt 1 Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811800000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zur 118. Plenarsitzung des Deutschen Bundesta-
ges. Die heutige Sitzung habe ich gemäß Artikel 39 Ab-
satz 3 Satz 2 des Grundgesetzes einberufen, und ich gehe
davon aus, dass Sie nachweislich Ihrer bemerkenswert
starken Anwesenheit mit der Einberufung dieser Sitzung
einverstanden sind. Die Unvermeidlichkeit war ja auch
hinreichend gut erkennbar.

Nun rufe ich unsere Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b
auf:

a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister der Finanzen

Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands

b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen

Einholung eines zustimmenden Beschlusses
des Deutschen Bundestages, der Hellenischen
Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanz-
hilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinba-
rung über ein Memorandum of Understanding
zwischen der Hellenischen Republik und dem
Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)


Drucksache 18/5780

Die Anhänge zu diesem Memorandum liegen als Un-
terrichtung zu diesem Antrag vor und sind allen Mitglie-
dern des Hauses zugegangen. Über den Antrag des Bun-
desministeriums der Finanzen werden wir am Schluss
der Beratung namentlich abstimmen. Zu diesem Antrag
des Bundesministeriums der Finanzen liegt auch ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 125 Minuten, also gut zwei Stunden, vorgesehen.
Ich darf auch hierzu Ihr Einvernehmen feststellen. – Das
ist offenkundig der Fall. Dann haben wir das so be-
schlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister der Finanzen, Wolfgang Schäuble.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ent-
scheidung über ein weiteres Hilfsprogramm für Grie-
chenland fällt nicht leicht. Die Debatten zu den Hilfen
für Griechenland waren und sind aus guten Gründen
streitig. Es gibt beachtliche Gründe dafür und es gibt be-
achtliche Gründe dagegen – ökonomische und politi-
sche; das ist unbestritten. Das liegt an der unvollständi-
gen Konstruktion der Währungsunion, der eben eine
gemeinsame Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik
fehlt. So konnten einzelne Euro-Länder Entscheidungen
auf Kosten der Gemeinschaft treffen, weil Verantwor-
tung und Haftung immer wieder auseinanderzufallen
drohten.

Im Zuge der Euro-Krise haben wir die Währungs-
union seit 2010 stabiler gemacht: mit den neu eingeführ-
ten Regeln für den Stabilitäts- und Wachstumspakt, mit
dem sogenannten Six-Pack, und mit dem Fiskalpakt. So
ist es gelungen, Verantwortung und Haftung näher zu-
sammenzuführen. Mit der Bankenunion haben wir den
Teufelskreis zwischen Staatsschulden und Bankenkrisen
durchbrochen. Mit gezielten Reformprogrammen haben
wir die Wachstumskräfte in der Währungsunion gestärkt.
Das war erfolgreich: in Irland, in Portugal, in Spanien
und in Zypern. Es hat bis zum letzten Jahr auch in Grie-
chenland funktioniert. Dabei war Griechenland von An-
fang an ein außergewöhnlich schwieriger Fall.

Vor dem ersten Programm hatte Griechenland 2009
ein Haushaltsdefizit und ein Leistungsbilanzdefizit von
jeweils 15 Prozent – vor der Euro-Krise. Dazu kamen
und kommen die schwierigen institutionellen Rahmen-
bedingungen, schwache Strukturen der Verwaltung und
der Justiz, hohe Sozialleistungen und ein überdimensio-
nierter Beamtenapparat. Trotzdem war Griechenland bis
Ende vergangenen Jahres auf gutem Weg. Griechenland
hatte Wachstum; es hatte im vergangenen Jahr eine hö-

11456 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) (C)



(D)(B)

here Wachstumsrate als die meisten anderen Länder der
Euro-Zone. Griechenland hatte einen Handelsbilanz-
überschuss, einen Primärüberschuss, und auch die Ar-
beitslosigkeit begann zu sinken.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit!)


– Sie ging zurück. Sie war vorher so hoch, Herr Kollege.
Das ist in Krisen so. Ich kann Ihnen einmal die Zahlen
aus anderen Ländern sagen. Griechenland war auf einem
guten Weg, auf einem besseren, als viele zu hoffen ge-
wagt haben.

Nun ist auch wahr: Die Wiedergewinnung tragfähiger
öffentlicher Finanzen als Voraussetzung für Wachstum,
Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen und Arbeitsplätze
erfordert von der Bevölkerung in jedem Fall erhebliche
Anpassungsleistungen. Je länger die Anpassungsleistun-
gen dauern, umso schwieriger ist es auch für eine Bevöl-
kerung, dafür den politischen Konsens und den sozialen
Konsens aufrechtzuerhalten. Aber sie sind unverzicht-
bar, insbesondere wenn man Mitglied in einer Wäh-
rungsunion ist. Die Entscheidung, ob man solche Anpas-
sungsleistungen zu tragen bereit und in der Lage ist, liegt
ausschließlich im jeweiligen Land. Aber für die Mit-
gliedschaft in der Währungsunion sind sie unverzichtbar.

Das Problem des griechischen Ministerpräsidenten
war, dass er vor und nach der letzten Wahl versprochen
hatte, genau diese Entscheidung zu vermeiden. Er hatte
versprochen: Griechenland bleibt in der Euro-Zone,
ohne Reformen, ohne Programm. Dies hat sich als ein
nicht haltbares Versprechen herausgestellt. Jetzt muss er
das Gegenteil von dem machen, was er versprochen
hatte. Darüber ist die Einheit seiner Partei ganz offen-
sichtlich schweren Belastungen ausgesetzt.

Erst als die Unausweichlichkeit der Entscheidung klar
war, haben sich die Verantwortlichen in Griechenland
für einen neuen Anfang entschieden. Wenn der Minister-
präsident im Parlament und öffentlich gesagt hat – ich
zitiere –, dass Griechenland jetzt all das umstürzen
müsse, was Griechenland in diese Krise geführt habe,
um dauerhaft zu Wachstum und Beschäftigung zu kom-
men, dann ist das von seiner Seite die Bestätigung, dass
es richtig war, Griechenland die Notwendigkeit, diese
Wahl zu treffen, deutlich vor Augen zu führen. Dazu hat
die Euro-Gruppe, dazu hat Deutschland beigetragen. Das
ist im Interesse Griechenlands und im Interesse Europas.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Vereinbarung der Staats- und Regierungschefs
vom 12. Juli 2015 enthält die Rahmenbedingungen. Da-
nach haben die Institutionen die Vereinbarungen mit der
griechischen Regierung erarbeitet. Die Institutionen sind
die Europäische Kommission, die Europäische Zentral-
bank und der Internationale Währungsfonds. Früher ha-
ben wir diese Einrichtungen Troika genannt, jetzt nen-
nen wir sie Institutionen. Sie haben die Vereinbarungen
mit der griechischen Regierung erarbeitet, das soge-
nannte Memorandum of Understanding, und abgeschlos-
sen. Auf dieser Grundlage hat die Euro-Gruppe am
vergangenen Freitag völlig einmütig einen Beschluss
vorbereitet, für den ich im Deutschen Bundestag um Zu-
stimmung ersuche.

Das Programm für die nächsten drei Jahre sieht Fi-
nanzhilfen von bis zu 86 Milliarden Euro vor. Die erste
Tranche soll 26 Milliarden Euro betragen. Sie dienen der
Ablösung der schon im Juli beschlossenen Brücken-
finanzierung zur Bedienung der fällig gewordenen aus-
wärtigen Verbindlichkeiten – mit über 12 Milliarden
Euro –; etwas mehr als 3 Milliarden Euro werden für die
Erfüllung aufgelaufener Zahlungsverpflichtungen in
Griechenland zur Verfügung gestellt, damit die griechi-
sche Wirtschaft wieder in Schwung kommen kann. Denn
wenn Rechnungen nicht bezahlt werden, dann kommt
die Wirtschaft nicht in Schwung.

Darüber hinaus werden Griechenland 10 Milliarden
Euro auf einem gesonderten Konto beim ESM für die
Bankenrekapitalisierung bereitgestellt; denn die zügige
Rekapitalisierung der Banken in Griechenland ist wiede-
rum notwendig, damit die Kapitalverkehrskontrollen
schrittweise aufgehoben werden können. Auch das ist
wichtig, damit die griechische Wirtschaft wieder Fuß
fasst.

Die weiteren im Programm vorgesehenen Tranchen
werden Zug um Zug mit erfolgreichen Programmüber-
prüfungen in den kommenden Jahren gezahlt. Diese
Konditionalität mit Überprüfungen ist Bestandteil und
Bedingung eines jeden europäischen Stabilisierungspro-
gramms. Die Institutionen werden die Umsetzung der
Auflagen alle drei Monate überprüfen. Auf der Grund-
lage dieser Überprüfungen wird in der Euro-Gruppe
bzw. im Board des Europäischen Stabilitätsmechanismus
über die jeweiligen Auszahlungen beschlossen, wobei
der Deutsche Bundestag jeweils im Rahmen des ESM-
Finanzierungsgesetzes über die Entscheidungen infor-
miert oder daran beteiligt wird – so wie das in unserer
Gesetzgebung beschlossen und geregelt ist. Die erste
Überprüfung soll im Oktober 2015 stattfinden.

Ziel der Reformmaßnahmen ist, dass Griechenland
wirtschaftlich möglichst schnell wieder auf eigenen Bei-
nen stehen kann. Deshalb ist es erforderlich, dass Grie-
chenland ab 2016 wieder Primärüberschüsse erwirt-
schaftet. Ich will daran erinnern: Griechenland hatte im
vergangenen Jahr einen Primärüberschuss. Wir hatten
die Aussicht, dass in diesem Jahr ein ansteigender Pri-
märüberschuss entstehen würde. Das ist leider durch die
Entwicklungen der letzten acht Monate unmöglich ge-
worden. Aber ab dem kommenden Jahr soll wieder ein
kleiner und dann ansteigender Primärüberschuss erwirt-
schaftet werden: 0,5 Prozent im kommenden Jahr,
1,75 Prozent in 2017 und ab 2018 ein Primärüberschuss
von 3,5 Prozent.

Die Reformmaßnahmen betreffen insbesondere eine
verbesserte Haushaltsplanung, eine größere Steuerge-
rechtigkeit, eine Modernisierung der Arbeits- und Pro-
duktmärkte und der öffentlichen Verwaltung, eine Priva-
tisierungsstrategie und eine Rentenreform. Insgesamt
sieht das Programm zahlreiche und umfangreiche Ein-
zelmaßnahmen vor, von denen ein Großteil – das ist das
Neue – bereits vorab im griechischen Parlament verab-
schiedet worden ist. Wichtige konkrete Reformmaßnah-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11457

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) (C)



(D)(B)

men umfassen unter anderem die Liberalisierung des
Energiemarkts, die Abschaffung von Steuerbegünstigun-
gen, die Bekämpfung von Korruption in der Verwaltung,
den Umbau des Renten- und Gesundheitswesens, die
Wiederherstellung von Liquidität und Kapitalausstattung
angeschlagener Banken, den Umgang mit notleidenden
Krediten und die Einrichtung eines Privatisierungsfonds.

Bei den Bankenrekapitalisierungsmaßnahmen, die
sich in dem Programm, im Rahmen der 86 Milliarden
Euro, auf bis zu 25 Milliarden Euro belaufen können – je
nachdem, was durch die europäische Bankenaufsicht als
Notwendigkeit ermittelt wird –, ist sichergestellt, dass
über die ersten 10 Milliarden Euro hinaus zunächst der
tatsächliche Bedarf durch einen Stresstest der europäi-
schen Bankenaufsicht ermittelt wird. Darüber hinaus ist
Voraussetzung, dass die Programmüberprüfung im Okto-
ber 2015 erfolgreich abgeschlossen wird. Darüber hi-
naus wird das Bail-in-Instrument für Anleihegläubiger
erstrangiger Schuldtitel gelten. Die Beteiligung von Ein-
legern bleibt vor Inkrafttreten der Bankenrestrukturie-
rungsrichtlinie ausgeschlossen.

Für das den Banken zur Verfügung zu stellende Kapi-
tal, also bis zu 25 Milliarden Euro, sollen entsprechende
Anteile an den unabhängigen Privatisierungsfonds über-
tragen werden. Dieser Privatisierungsfonds soll bis Ende
2015 unter der Aufsicht der relevanten europäischen
Institutionen seine Arbeit aufnehmen. Den ersten Ent-
wurf dafür muss Griechenland schon im Oktober 2015
vorlegen. In diesen Fonds sollen während der Laufzeit
des Programms – über die im MoU vereinbarten Privati-
sierungen hinaus – werthaltige Vermögenswerte transfe-
riert werden, die sich im Wert entwickeln sollen, damit
sie nach Abschließen der Privatisierung zusätzlich zur
Schuldenreduzierung und zur Förderung von Investitio-
nen in Griechenland beitragen können.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klappt doch nie!)


Für die Bundesregierung ist unabdingbar, dass der In-
ternationale Währungsfonds mit seiner besonderen Exper-
tise bezüglich Staatsschuldenkrisen weiter an Bord bleibt.
Die Euro-Gruppe teilt diese Auffassung, und sie hat dies
in ihrer Erklärung vom Freitag ausdrücklich niedergelegt.
Der Internationale Währungsfonds wird seinerseits über
eine weitere Beteiligung nach einer Überprüfung des Pro-
gramms im Herbst entscheiden.

Man muss daran erinnern: Das eigentliche Programm
des Internationalen Währungsfonds hatte eine Laufzeit
bis Ende März kommenden Jahres. Durch die Nichtbe-
dienung einer Zahlung Ende Juni, Anfang Juli dieses
Jahres an den IWF ist das Programm außer Kraft getre-
ten. Deswegen hat der IWF schon bei den Verhandlun-
gen der Staats- und Regierungschefs am 12. Juli 2015 er-
klärt, dass ein neues Programm für den IWF notwendig
ist und dass der IWF darüber erst im Oktober 2015 nach
einer ersten Programmübersicht – im Lichte der einge-
tretenen Verzögerungen bei der Bedienung von IWF-
Verbindlichkeiten – nach IWF-Regeln entscheiden wird.
Aber seine grundsätzliche Bereitschaft zu einer weiteren
Beteiligung hat der IWF erklärt, und er hat Maßnahmen
spezifiziert, die jetzt auf den Weg gebracht werden müs-
sen.


(Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Frau Göring-Eckardt, die Konditionalität, die wir im
MoU vereinbart haben, ist mit dem IWF zu 100 Prozent
gemeinsam festgelegt.

Der IWF hat zwei zusätzliche Punkte – hinsichtlich der
Rentenreform und der Banken-Governance – genannt, die
bis Oktober 2015 geklärt werden müssen – auch das ist
einvernehmlich – und die dann auch in das europäische
Programm übernommen werden sollen, damit wir eine
völlige Identität der Konditionalität von ESM-Programm
und IWF-Programm haben werden.

Des Weiteren gehört zu diesen Maßnahmen natür-
lich auch die gemeinsame Beurteilung, dass die Schul-
dentragfähigkeit gegeben ist. Da haben wir im Augen-
blick die Situation, dass die europäischen Institutionen
– Kommission und EZB – zu der Einschätzung gekom-
men sind, dass die Schuldentragfähigkeit bei konse-
quenter Umsetzung der Programmvereinbarungen und
durch Maßnahmen zur Schuldenerleichterung ohne ei-
nen Schuldenschnitt erreicht werden kann.

Zwar werden die bisher vereinbarten Zielwerte für die
Schuldenstandsquote aufgrund der Verwerfungen der
vergangenen Monate erst deutlich später erreicht werden
können – das ist unbestreitbar –, aber in jedem Fall wird
die Schuldenstandsquote schon während der Programm-
laufzeit bis 2018 ihren Kulminationspunkt überschrei-
ten, ab dem sie dann wieder zurückgeht. Denn die Schul-
denstandsquote geht in dem Augenblick zurück, in dem
der Überschuss höher ist, und deswegen hängt das davon
ab, wie sich das Wachstum entwickelt und die Reduzie-
rung der Haushaltsdefizite erfolgt. Der Kulminations-
punkt muss also noch vor 2018 erreicht werden, sodass
die Schuldenstandsquote dann wieder rückläufig ist.

Der Verschuldungsgrad ist im internationalen Ver-
gleich extrem hoch, obwohl es Länder gibt – ich nenne
nur Japan –, die eine viel höhere Schuldenstandsquote
haben. Deswegen hat man in den vergangenen Jahren in-
ternational mehr und mehr darauf abgehoben, dass die
entscheidende Größe für die Schuldentragfähigkeit ei-
gentlich nicht der Schuldenstand ist, sondern die Frage:
Liegt der jährlich zu leistende Dienst für Zins und Til-
gung, die sogenannte Bruttofinanzierungsbelastung pro
Jahr, unterhalb von 15 Prozent der gesamtwirtschaftli-
chen Leistungskraft oder nicht? Diese Beurteilung wird
gemeinsam von Internationalem Währungsfonds und eu-
ropäischen Institutionen mit zugrunde gelegt. Diese
15 Prozent werden – jedenfalls nach den heutigen, noch
vorläufigen Zahlen – bis weit in die 2020er-Jahre hinein
eingehalten werden können. Ob das für die gesamte Pro-
grammlaufzeit der Fall sein wird, muss man im Oktober
2015 im Lichte der dann zu aktualisierenden Zahlen be-
urteilen. Deswegen bin ich ganz zuversichtlich, dass wir
im Oktober 2015 zu einer gemeinsamen Beurteilung der
Schuldentragfähigkeit kommen werden.

Dementsprechend werden wir, wenn es dann notwen-
dig ist, noch einen begrenzten Spielraum in der Frage

11458 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) (C)



(D)(B)

der Laufzeit der Kredite haben, vielleicht auch in der
Frage von tilgungsfreien Perioden. Aber auch da sind ja
die bisherigen Laufzeiten und die tilgungsfreien Perio-
den schon so umfangreich, dass der Spielraum für wei-
tere Schuldenerleichterungen ein begrenzter ist; das
muss man immer wieder sehr klar sagen. Wiederum ist
auch klar, dass ein Schuldenschnitt nicht möglich ist. Er
ist nach den europäischen Verträgen, nach übereinstim-
mender Beurteilung aller Fachleute und nach der Erklä-
rung der Staats- und Regierungschefs für die Mitglieder
der Europäischen Währungsunion nicht zulässig.

Es war bereits in der Erklärung vom Juli dieses Jahres
enthalten, dass der IWF erst im Oktober 2015 über seine
Beteiligung an einem neuen Programm entscheiden wird.
Aber unter der Voraussetzung der entsprechenden Ände-
rungen im Rentensystem und der Banken-Governance
und unter der Voraussetzung, dass eine Einigung über die
Schuldentragfähigkeit erzielt wird, hat die Generaldirek-
torin des IWF am vergangenen Freitag zugesagt, sich im
Oktober 2015 in den IWF-Gremien für eine weitere finan-
zielle Beteiligung des Internationalen Währungsfonds ein-
zusetzen. Genau in dieser Form wurde bei allen bisheri-
gen europäischen Programmen die Beteiligung des IWF
vereinbart; denn der IWF entscheidet unabhängig.

Die Zusage seiner Generaldirektorin, dass man sich
für eine weitere Beteiligung einsetzen wird, ist von den
Gremien des IWF in der Vergangenheit, wenn die Vo-
raussetzungen erfüllt waren, immer honoriert worden.
Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass das
auch in diesem Jahr der Fall sein wird. Die Euro-
Gruppe ihrerseits hat entsprechend der Position der
Bundesregierung klar gesagt, dass eine weitere Beteili-
gung des Internationalen Währungsfonds an diesem
Programm auch finanziell unverzichtbar ist.

Mit all den Vereinbarungen im MoU und mit den Er-
klärungen der Euro-Gruppe sind also die Beschlüsse des
Europäischen Gipfels vom 12. Juli 2015 umgesetzt. Alle
Beteiligten waren sich einig, dass in den letzten Wochen
ein grundsätzlicher Wandel in Griechenland zu verzeich-
nen ist. Dass das zu Auseinandersetzungen innerhalb der
die dortige Regierung tragenden Kräfte führt, spricht für
die Ernsthaftigkeit des Wandels; wenn es ohne Aus-
einandersetzung ginge, dann wäre das irgendwie überra-
schend. Aber weil dieser Wandel wirklich offensichtlich
ist und mit Händen zu greifen war – viele haben gesagt,
man glaubt fast, dass man in einer anderen Welt lebt; wie
gesagt, die meisten Prior Actions sind inzwischen vom
griechischen Parlament beschlossen worden –, waren
wir uns unter den Finanzministern am Freitag völlig ei-
nig, dass wir auf dieser Grundlage den Abschluss eines
Hilfsprogramms empfehlen können und empfehlen müs-
sen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gibt es
nach den Erfahrungen der zurückliegenden Monate und
Jahre keine Garantien, dass das alles funktionieren wird,
und Zweifel sind immer erlaubt. Aber angesichts der
Tatsache, dass das griechische Parlament einen Großteil
der Maßnahmen bereits beschlossen hat, wäre es unver-
antwortlich, die Chance für einen neuen Anfang in Grie-
chenland jetzt nicht zu nutzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn Griechenland zu seinen Vereinbarungen steht und
wenn das Programm entschlossen und vollständig umge-
setzt wird, dann kann die griechische Wirtschaft in den
nächsten Jahren wieder wachsen. Die Chance ist gege-
ben. Ob sie genutzt wird, entscheiden allein die Grie-
chen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen oft Ent-
scheidungen treffen, bei denen es gute Gründe dafür und
gute Gründe dagegen gibt; das ist Politik. Es ist nicht so,
dass immer alle Argumente nur dafür sprechen.


(Christine Lambrecht [SPD]: Leider!)


Bei den meisten Entscheidungen ist es übrigens so,
dass man zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht ganz
sicher sein kann, wie sich das in der Rückschau in eini-
gen Jahren darstellen wird; wir können zukünftige Ent-
wicklungen nicht antizipieren. Deswegen müssen wir
die Argumente sorgfältig abwägen. Insofern sage ich
mit allem Ernst: Wir haben uns alle Mühe gemacht, un-
serer Verantwortung für Europa, für europäische Soli-
darität gegenüber Griechenland, aber natürlich auch
gegenüber dem Souverän in jedem anderen Mitglied-
staat und gegenüber den Steuerzahlern in allen Ländern
der europäischen Währungsunion gerecht zu werden.

Wir wissen – darin sind wir uns alle einig –, wir brau-
chen aus vielen, vielen Gründen ein starkes, ein hand-
lungsfähiges Europa, und das geht nicht ohne Verläss-
lichkeit, ohne Vertrauen, und das erfordert Solidarität.
Ich glaube, dass ich sagen kann, dass ich nicht weniger
als irgendjemand sonst um diese Entscheidung gerungen
habe. Weil das so ist, kann ich Sie alle mit voller Über-
zeugung bitten: Stimmen Sie dem Antrag des Bundes-
finanzministeriums zu.


(Anhaltender Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811800100

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-

lege Dr. Gysi für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811800200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich

zur Euro-Krise und zu Griechenland komme, einige we-
nige andere außenpolitische und innenpolitische Bemer-
kungen:

Gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Online-
plattform netzpolitik.org


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats
und Preisgabe von Staatsgeheimnissen eingeleitet.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Thema verfehlt!)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11459

Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Anzeigenerstatter war der Verfassungsschutz, und Gut-
achter darüber, dass das Staatsgeheimnisse sind, war
auch der Verfassungsschutz.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Thema verfehlt!)


Es ist übrigens eine völlig neue Rechtsansicht, dass der
vermeintlich Geschädigte auch die Gutachten über sich
abgibt. Abgesehen davon wissen wir inzwischen: Das
Bundeskanzleramt und das Bundesinnenministerium
waren vorab informiert. Das heißt, es handelte sich um
einen schwerwiegenden politischen Angriff auf die Pres-
sefreiheit.


(Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Wollen Sie von Ihrem Versagen in der Griechenland-Frage ablenken, Herr Gysi?)


Ich sage Ihnen: Dass der Generalbundesanwalt in den
vorzeitigen Ruhestand geschickt wurde, löst das Pro-
blem nicht. Das ist ein Bauernopfer. Wir brauchen hier
vollständige Aufklärung.


(Beifall bei der LINKEN)

Meine zweite Bemerkung: Seit Jahrzehnten unterdrü-

cken die türkischen Behörden die Kurdinnen und Kur-
den in der Türkei, und zwar kulturell, sozial und recht-
lich.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Können Sie noch einmal die Überschrift der Debatte lesen?)


– Ich weiß, Sie meinen, das gehört nicht zum Thema.
Aber die Leute interessiert das, und das ist das Entschei-
dende.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Zu Griechenland nichts zu sagen, oder wie?)


Im Kampf dagegen bildete sich die PKK. Nach vielen
Jahrzehnten hat endlich ein so schwieriger und wichtiger
Friedensprozess begonnen, und den zerstört Erdogan ge-
rade durch Bomben. Ich weiß, dass auch die PKK Fehler
begeht, aber Erdogan begeht viel schwerwiegendere
Fehler, und er ist viel mächtiger und stärker und hat des-
halb ganz andere Verpflichtungen. Aber der Höhepunkt
ist, dass die Bundesregierung uns bestätigen musste,
dass Erdogan den „Islamischen Staat“, diese einzigartige
terroristische Organisation, regelmäßig unterstützt, wäh-
rend die PKK die entscheidende Kämpferin gegen den
„Islamischen Staat“ ist.


(Beifall bei der LINKEN)

Schon deshalb müssen wir endlich das Verbot der PKK
in Deutschland aufheben.

Ich sage Ihnen auch: Sie müssen mit der türkischen
Regierung ganz anders sprechen. Wie würden Sie denn
mit anderen Regierungen, die den „Islamischen Staat“
unterstützen, umgehen? Ganz anders. Bloß weil das ein
NATO-Partner ist, machen Sie nichts. Das ist durch
nichts zu rechtfertigen; das will ich Ihnen ganz klar sa-
gen.


(Beifall bei der LINKEN)

An der Grenze zu Syrien stehen Bundeswehrsoldaten
mit Patriot-Raketen. Als sie dorthin gestellt wurden, ha-
ben wir Ihnen gesagt, wir würden Teil des Nahostkon-
flikts. Das ist durch nichts zu rechtfertigen; aber Sie wa-
ren ja, wie immer, schlauer und haben das beschlossen.
Jetzt, Frau Merkel, haben auch Sie es verstanden und
eingesehen. Sie ziehen die Soldaten und Raketen ab.
Wieder einmal hören Sie auf uns – aber spät, sehr spät.
Ich sage Ihnen: Sie müssen sich künftig diesbezüglich
mehr beeilen.


(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie waren schon mal besser!)


Eine dritte Bemerkung will ich machen, und zwar zur
Flüchtlingsproblematik, die unsere Gesellschaft sehr be-
schäftigt. Ich möchte gern ganz kurz vier Forderungen
formulieren:

Erstens. Das Leben jedes Flüchtlings im Mittelmeer
muss gerettet werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Alle Flüchtlinge müssen bei uns anständig
behandelt und untergebracht werden, und die Kommu-
nen müssen endlich entlastet werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nebenbei bemerkt: Der Linken-Ministerpräsident von
Thüringen, Bodo Ramelow, leistet diesbezüglich eine
sehr gute Arbeit.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Weil Sie ihn nie loben, muss ich das ja machen. Verste-
hen Sie das?


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist kein Thema für einen Bauchladen! Das wäre ein eigenes Thema hier!)


Drittens. Nicht die Flüchtlinge, aber die Kosten müs-
sen innerhalb der Europäischen Union gerecht verteilt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Viertens. Ernsthaft – das sage ich Ihnen – muss be-
gonnen werden, die Fluchtursachen zu bekämpfen, das
heißt Krieg, Hunger, Elend und Rassismus. Wir aber
sind der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Ich sage
es Ihnen so ernsthaft wie möglich: Wenn wir nicht be-
ginnen, die Weltprobleme zu lösen, werden sie täglich
und verschärfter zu uns kommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber nun zur Griechenland-Krise


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – Aha! – Juchhu! – Doch noch zum Thema?)


– ich hoffte auf Ihre Begeisterung, die habe ich schon er-
reicht – und zum dritten Hilfspaket. Es geht um 86 Mil-
liarden Euro, davon erstens für Altschulden 54 Milliar-

11460 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

den Euro. Das heißt, man macht neue Schulden, um alte
Schulden zu begleichen, und aus diesem Kreislauf
kommt man nicht mehr heraus. Zweitens. Für Pleiteban-
ken – statt Insolvenzen von Banken mit Erstattung der
Guthaben hinzunehmen – stellen wir, nein, nicht wir,
sondern die entsprechenden europäischen Einrichtungen
wieder 25 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Dritte
– das stimmt, was Herr Schäuble gesagt hat –: 11 Mil-
liarden Euro dienen dazu, offene Rechnungen des Staats-
apparates zu begleichen, Löcher zu stopfen. Für die drin-
gend notwendigen Investitionen wird von diesen Euros
nicht einer verwendet. Nicht einer!

Aber es könnte ja auch Positives geben.

Ich komme zum Ersten. Griechenland hat ja aus ande-
ren Fonds bis zum Jahre 2020 Anspruch auf 36 Milliar-
den Euro, die man tatsächlich für Investitionen verwen-
den könnte. Das Problem ist nur: Bisher hat Griechenland
davon keinen Euro bekommen, weil es die Eigenmittel
nicht aufbringen kann, die dafür gefordert sind. Da geht
es Griechenland so wie unseren armen Kommunen, die
nicht an Fördergelder herankommen, weil sie die Eigen-
mittel nicht aufbringen. Das ist dieselbe Struktur. Nun ist
in Aussicht gestellt worden, die Eigenmittel zu reduzie-
ren – aber nur in Aussicht gestellt; es ist noch nichts be-
schlossen. Warum haben Sie denn nicht jetzt beschlossen,
die Eigenmittel auf null zu setzen, damit endlich das Geld
fließen und Investitionen stattfinden können?


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Es sollen ja jetzt ernsthaft Korruption,
Steuerhinterziehung und Steuerumgehung bekämpft
werden, und sogar ein Stück mehr Steuergerechtigkeit
soll hergestellt werden. Übrigens sage ich Ihnen noch
einmal – das wissen Sie auch, Herr Schäuble und Frau
Merkel –: Das ist nur mit dieser Regierung möglich. Bei
allen vorhergehenden Regierungen, die von Ihren
Schwesterparteien gestellt wurden, von den Konservati-
ven und von den Sozialdemokraten, war das undenkbar;
denn die haben die Korruption in Griechenland organi-
siert und erfunden. Also mussten wir hier einen neuen
Weg gehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Abgesehen davon soll ja auch die Einkommensteuer re-
formiert werden – das ist eine Chance, dass auch der
Spitzensteuersatz erhöht wird –, und Immobilien sollen
endlich angemessen bewertet werden.

Drittens sollen die Militärausgaben – wenn auch nicht
genug – gesenkt werden.

Viertens. Die angestrebten Überschüsse im Haushalt
wurden der Realität angepasst, sodass möglicherweise
gewisse Spielräume für die Regierung entstehen.

Aber nun passiert etwas Interessantes – deshalb, Herr
Schäuble, haben Sie ja so lange vom Internationalen
Währungsfonds, vom IWF, gesprochen –: Sie stecken
doch in einem Interessenkonflikt. Denn Herr Schäuble
besteht darauf, dass der IWF beteiligt ist. Auf der ande-
ren Seite will er aber keine Schuldenerleichterungen für
Griechenland. Nun sagt aber der IWF, er beteilige sich
nur, wenn es Schuldenerleichterungen für Griechenland
gibt.

Na ja, was tun? Frau Merkel hat angedeutet, man
könnte ja vielleicht die Rückzahlungspflichten zeitlich
strecken; vielleicht könnte man auch noch die Zinsen
stunden; ein Schuldenschnitt käme nicht infrage. Aber
immerhin, über diese beiden Dinge könnte man nach-
denken. Interessant ist: Das sind die Elemente, die für
Deutschland 1952 auf der Schuldenkonferenz in London
hinsichtlich der Reparationen aus dem Ersten Weltkrieg
beschlossen wurden. Wir machen also nichts anderes als
das, was wir auch erfahren haben, wenn auch in etwas
anderer Zeit. Ich bin gespannt, wie das ausgeht. Noch ist
ja nichts entschieden. Warten wir es ab!

Sie wissen – Sie werden es gleich wieder bestreiten –:
Ich bin ein Anhänger von Logik.


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Erklären Sie dann mal, warum Sie dagegenstimmen!)


– Ich wusste es.


(Johannes Kahrs [SPD]: Dann können Sie jetzt ja mal erklären, warum Sie dagegenstimmen!)


– Ja, jetzt kommt ja meine Logik. Passen Sie auf!


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oh, jetzt wird es spannend!)


Erstens. Deutschland hat bisher in der Krise keinen
einzigen Euro an Griechenland gezahlt. Diese Tatsache
müssen wir immer wieder benennen.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Aber wir haften für eine ganze Menge!)


Zweitens. Die Bundesregierung hat gegen unseren
Willen allerdings unterschrieben, für 27 Prozent der
während der Krise aufgenommenen Schulden von
Irland, Spanien, Portugal, Zypern und Griechenland zu
haften. Das gilt auch für die jetzt geplanten 86 Milliar-
den Euro.

Drittens. Wenn eines – oder mehrere – dieser Länder
in die Pleite getrieben und zahlungsunfähig wird, dann
also haften wir dank Ihrer Unterschrift, Frau Merkel und
Herr Schäuble, und zwar im Umfange von 27 Prozent.

Viertens. Wenn ein Staat pleitegeht, bedeutet dies für
die dortige Bevölkerung eine schlimme Verarmung,
Massenarbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, ein Netz von
Suppenküchen, also eine Katastrophe. Es bedeutet für
unsere Bevölkerung, dass wir dann im Milliardenum-
fang zahlungspflichtig werden. Das heißt, auch bei uns
leitete sich ein weiterer Verarmungsprozess ein.

Fünftens. Also müssen wir doch genauso wie die iri-
sche, spanische, portugiesische, zypriotische und grie-
chische Bevölkerung für einen Auf- und nicht für einen
Abbau dieser Länder streiten.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann ginge es sowohl den Menschen dort als auch bei
uns besser. Für Griechenland bedeutete das endlich In-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11461

Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

vestitionen in Bildung, Solarindustrie, Tourismus und
Schiffsindustrie. Wenn Sie die anderen zerstören, zerstö-
ren Sie auch unser Land. Diese Tatsache müssen wir ver-
deutlichen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wenn! Aber das ist ja nicht so!)


Aber Sie bauen dennoch weiter und schlimmer ab.
Jetzt werde ich es Ihnen sagen:

Erstens gibt es weitere Kürzungen bei Renten und So-
zialleistungen, noch einmal. Das bedeutet eine geringere
Kaufkraft. Griechenland hat einen kleinen Exportsektor
und lebt überwiegend von der Binnenwirtschaft. Wenn
Sie die Kaufkraft reduzieren, geht die Binnenwirtschaft
zurück, wird sie geschwächt. Dann gibt es geringere
Steuereinnahmen, und damit wird die Regierung weni-
ger rückzahlungsfähig und kann gar keine Investitionen
tätigen.

Zweites Beispiel: Sie erhöhen die Mehrwertsteuer auf
23 Prozent.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir nicht! – Thomas Oppermann [SPD]: Wir nicht, Syriza!)


– Ja, Sie bestehen darauf und erpressen die Griechen,
dass sie es machen. So ist es richtig formuliert. Sie
haben recht, Herr Oppermann; ich sollte das genauer
formulieren.

Die Mehrwertsteuer steigt auf 23 Prozent; die Aus-
nahmen bei Inseln werden zurückgenommen. Das aber
bedeutet, dass die gesamte Bevölkerung belastet wird,
auch der ärmere Teil, und es bedeutet darüber hinaus,
dass der Tourismus zurückgedrängt wird. Das sind wie-
der weniger Steuereinnahmen. Damit kann die Regie-
rung weniger zurückzahlen und nicht investieren. Ich
verstehe diese ganze Logik nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Dass Sie nichts verstehen, ist das Problem! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist das Problem!)


Drittens. Außerdem sollen Massenentlassungen deut-
lich erleichtert werden. Auch das ist eine Katastrophe.
Dagegen war die Sozialdemokratie früher übrigens ein-
mal; aber es ist lange her.

Viertens. Außerdem verlangen Sie von Griechenland
eine umfassende Privatisierung der öffentlichen Güter
und Daseinsvorsorge. Also, das ist ja schon an sich
falsch. Sie hat nirgendwo im Interesse der Bevölkerung
funktioniert, weder in London noch bei uns. Aber wenn
sie auch noch unter Druck und Zwang erfolgt, dann führt
dies natürlich automatisch zu extrem niedrigen Preisen.

Übrigens, Herr Schäuble, nun lese ich, dass die
14 rentablen Regionalflughäfen in Griechenland ganz
zufällig an die deutsche Firma Fraport gehen sollen,


(Zurufe von der CDU/CSU: Na und, ist das was Schlimmes? – Die hat die Ausschreibung gewonnen!)

die übrigens überwiegend im öffentlichen Eigentum der
Bundesrepublik steht. Das ist also eine Privatisierung öf-
fentlichen Eigentums in Griechenland zugunsten öffent-
lichen Eigentums in Deutschland.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was haben Sie dagegen?)


Mehr als merkwürdig! Der Preis ist übrigens ein fantasti-
scher Dumpingpreis. Damit kann die griechische Regie-
rung die von Ihnen geplanten 50 Milliarden Euro für Pri-
vatisierungen niemals realisieren.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wie haben Sie die denn bewertet?)


Jetzt kommt der fünfte Punkt. Unvorstellbar, aber
wahr: Die griechische Regierung darf keinen einzigen
Bankchef, keinen einzigen leitenden Angestellten einer
Bank entlassen oder einstellen. Das machen europäische
Institutionen. Wie wollen Sie eigentlich so wirksam Kor-
ruption bekämpfen?


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist eine ungeheure Einschränkung der Souveränität.

Der Höhepunkt ist, dass die Regierung einen Gesetz-
entwurf ohne Genehmigung dieser europäischen Institu-
tionen nicht einmal öffentlich diskutieren, geschweige
denn in das Parlament einbringen kann. Das zerstört die
parlamentarische Demokratie. Da können wir beim bes-
ten Willen nicht mitmachen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber all das ändert nichts an unserer Solidarität mit
der griechischen Bevölkerung, mit Syriza und auch
nichts an meinen guten Beziehungen zu Ministerpräsi-
dent Tsipras.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist ja nun wirklich verlogen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was ist mit Varoufakis?)


Bisher hat Deutschland entgegen den Behauptungen
einer sehr stark bebilderten Zeitung nicht einen Euro für
Griechenland bezahlt, und wenn es je dazu kommen
sollte, dann nur durch eine verfehlte Politik der Bundes-
regierung.

Aber was die bebilderte Zeitung und auch Sie immer
verschweigen, ist die Tatsache, dass Deutschland laut
Berechnung eines Wirtschaftsinstituts inzwischen
100 Milliarden Euro an der Krise verdient hat, und zwar,
weil auf Druck der Bundesregierung die Europäische
Zentralbank die Zinsen Richtung null gefahren hat, so-
dass wir dieses Geld einsparen konnten. Allerdings muss
man erwähnen, dass die Bürgerinnen und Bürger das
dadurch bezahlt haben, indem ihre Sparguthaben ent-
sprechend entwertet wurden.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: So einen Blödsinn habe ich selten gehört!)


Also, 100 Milliarden Euro haben wir daran verdient.

Außerdem wurden bis Mitte 2015, Herr Gabriel, ent-
gegen Ihrer Reduzierungsankündigung so viele Rüs-
tungsexporte genehmigt wie im gesamten Jahr 2014.

11462 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811800300

Herr Kollege.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811800400

Ich bin sofort fertig.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt kommt der übliche Dialog! Wir warten auf den üblichen Dialog!)


Unter den Empfängerländern befinden sich auch auspeit-
schende, verstümmelnde und höchst undemokratische
Staaten wie Saudi-Arabien. Deutschland verdient also
auch noch an jedem Krieg. Glauben Sie wirklich an eine
sinnvolle Zukunft unseres Landes, wenn wir so extrem
von Krisen und Kriegen profitieren? Ich nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war aber auch nicht so bedeutend!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811800500

Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Oppermann

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1811800600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe

heute Gregor Gysi natürlich ganz aufmerksam zugehört.
Es war wohl seine letzte oder vorletzte Rede als Frak-
tionsvorsitzender.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Mischen Sie sich nicht in unsere Redeplanung ein!)


Ich habe gedacht: Heute kommt das politische Ver-
mächtnis von Gregor Gysi an seine eigene Fraktion.
Aber ich muss sagen, Herr Gysi: Ich bin von Ihrer Rede
maßlos enttäuscht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Sie wollten sich hier als ein Meister der politischen
Logik präsentieren. Aber die politische Logik ist ganz
einfach und nicht so kompliziert, wie Sie sie dargestellt
haben.


(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])


Wenn Sie heute bei diesem Hilfsprogramm mit Nein
stimmen, dann fallen Sie damit Ihrer Schwesterpartei
Syriza in Griechenland in den Rücken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind kein Meister der politischen Logik. Sie sind ein
Meister der politischen Rabulistik. Ihnen ist kein argu-
mentativer Eiertanz zu schade, um am Ende zu dem Er-
gebnis zu kommen, mit Nein zu stimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In Athen kämpft Alexis Tsipras um den Verbleib
Griechenlands in der Euro-Zone, und Sie hier im Deut-
schen Bundestag unterstützen die linksradikale Opposi-
tion gegen Tsipras. Ich finde, das ist ein schwacher Ab-
gang, den Sie als Fraktionsvorsitzender gewählt haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Das war schon mal ein guter Start!)


Meine Damen und Herren, kaum jemand hatte nach
den dramatischen Wochen, die wir im Juni erlebt haben,
damit gerechnet, dass uns heute hier ein Hilfsprogramm
vorliegt, das, wenn es Punkt für Punkt umgesetzt wird,
Griechenland wirtschaftlich wieder auf die Beine brin-
gen kann.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Nach monatelanger destruktiver ideologischer Aus-
einandersetzung hat Alexis Tsipras seinen irrlichternden
Finanzminister Varoufakis entlassen, das Kabinett um-
gebildet, sich entschieden, für den Verbleib in der Euro-
Zone zu kämpfen, und sich auf konstruktive Verhandlun-
gen eingelassen.


(Zurufe von der LINKEN)


Das Ergebnis zeigt: Es war absolut richtig, dass wir hier
vor vier Wochen den Weg für Verhandlungen mit Grie-
chenland frei gemacht haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zum ersten Mal seit dem Amtsantritt der Syriza-
Regierung haben viele europäische Kolleginnen und
Kollegen und auch Finanzminister Schäuble, die mit der
griechischen Regierung direkt zu tun hatten, den Ein-
druck, dass diesmal nicht nur über Reformen geredet
und verhandelt wird, sondern dass es auch den Willen
gibt, diese Reformen umzusetzen. Ich finde, das ist ein
ermutigendes Zeichen.

Auch wenn in Griechenland viele immer noch nicht
restlos überzeugt sind und die Regierungspartei Syriza
vor der Spaltung steht, so ist doch die ganz überwie-
gende Mehrheit im griechischen Parlament und auch die
ganz große Mehrheit in der griechischen Bevölkerung
der Meinung, dass wir lange genug gestritten haben.
Jetzt haben wir uns geeinigt.

Jetzt muss entschieden werden. Jetzt müssen die
Dinge umgesetzt werden, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dafür gibt es gute Argumente. Ich finde, dieses Hilfs-
programm hat eine andere, eine neue Qualität, weil es
sich in einem ganz wesentlichen Punkt von den bisheri-
gen Programmen unterscheidet. Es ist nämlich nicht nur,
wie bisher, allein auf die fiskalischen Einsparziele
fixiert, sondern es setzt erstmals auf den Umbau von
Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Griechenland, und
nur so können die vielen verschiedenen, tiefliegenden
und einander wechselseitig verstärkenden Defizite die-
ses Landes gelöst werden.

Drei Beispiele dazu machen das sehr gut nachvoll-
ziehbar.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11463

Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

Erstens. Weil es in Griechenland keine funktionie-
rende soziale Absicherung gibt, kam es zu einer syste-
matischen Flucht in die Frühverrentung. Nirgendwo in
Europa gibt es so viele junge Rentner und Rentnerinnen
wie in Griechenland. Deshalb sind die Rentenlasten auch
kaum noch bezahlbar. Jetzt soll eine soziale Grundsiche-
rung geschaffen werden, damit die arbeitsfähige Bevöl-
kerung nicht mehr vorzeitig in den Ruhestand geschickt
werden muss. Das ist doch sehr vernünftig, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Ein großer Teil der griechischen Wirtschaft
existiert als Schattenwirtschaft, in der keine Steuern ge-
zahlt werden. Jetzt soll endlich eine effektive Finanzver-
waltung aufgebaut werden, die in der Lage ist, Steuern
einzutreiben, und zwar nicht nur von den kleinen Leuten,
sondern auch von den Reichen des Landes. Dazu passt,
dass die Steuerprivilegien für Landwirte und Reeder aus-
laufen, für die es ohnehin keine Rechtfertigung gibt. Ab-
gesehen davon: Griechenland ist ein armer Staat, und ein
armer Staat kann sich keine Steuersubventionen für rei-
che Reeder leisten. Gut, dass das jetzt zu Ende geht,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Drittens. Ihnen geht es um die Menschen in Griechen-
land. Aber das Leben in Griechenland ist in vielen Berei-
chen für viele Menschen gemessen an ihren kleinen Ein-
kommen viel zu teuer, weil es zu wenig Wettbewerb
gibt. Das gilt für Energie, Lebensmittel und Medika-
mente. Jetzt werden Generika zugelassen, Subventionen
für Landwirte abgebaut und Monopole im Strommarkt
aufgebrochen. Auch das ist vernünftig und sozial ge-
recht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das alles steht im Memorandum of Understanding,
und zwar nicht als bloße Absichtserklärung, sondern es
ist detailliert mit Einzelmaßnahmen unterlegt. Natürlich
hätte man sich an der einen oder anderen Stelle noch
mehr wünschen können. Aber am Ende ist das Pro-
gramm eben ein Kompromiss, der zwar den Griechen
und uns gleichermaßen schwerfällt, aber es ist ein ambi-
tionierter Kompromiss, der die Grundlage für wichtige
gesellschaftliche Veränderungen in Griechenland sein
kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieses Programm ist auch deshalb besser als seine
Vorgänger, weil es so konstruiert ist, dass die einzelnen
Finanzhilfen mit der Umsetzung einzelner Reformen
verknüpft sind. Diese Reformen muss die griechische
Regierung jetzt Punkt für Punkt einlösen. Finanzhilfen
gibt es nur Zug um Zug gegen Reformen. Wir alle müs-
sen ein Interesse daran haben, dass diese Veränderungen
gelingen. Deshalb bitte ich die Bundesregierung darum,
dass sie den neuen Dienst der EU-Kommission zur Un-
terstützung von Strukturreformen nach Kräften personell
unterstützt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieser neue Service muss helfen, dass Griechenland die
schwierigen Probleme bewältigen kann. Denn die grie-
chische Regierung – auch wenn sie uns nicht gefällt –
muss jetzt Erfolg haben. Nur sie kann Griechenland re-
formieren, und nur sie kann Glaubwürdigkeit, Verläss-
lichkeit und Vertrauen wiederherstellen, was für einen
wirtschaftlichen Aufschwung notwendig ist. Das sollten
wir unterstützen.

Der IWF ist am neuen Programm vorerst nicht finan-
ziell beteiligt, weil die Schuldentragfähigkeit nach sei-
nen Kriterien noch nicht gegeben ist. Die Euro-Gruppe
hat deshalb nochmals deutlich gemacht, dass sie bereit
ist, die Schuldentragfähigkeit zu sichern. Wir alle wis-
sen, dass ein glatter Schuldenschnitt unter vertragsrecht-
lichen Gesichtspunkten eher schwierig ist. Aber es sind
Erleichterungen bei den Zinszahlungen und den Laufzei-
ten möglich, die dem IWF den Einstieg und Griechen-
land eine langfristige Schuldenrückzahlung ermögli-
chen.

Einige hätten sich diese Erleichterungen schon heute
gewünscht, allen voran die griechische Regierung. Aber
ich muss sagen: Ich bin eigentlich froh, dass es eine
klare Bedingung für diese Erleichterungen gibt. Erst
wenn die Überprüfung des Programms im Herbst ergibt,
dass die Reformen auch erfolgreich umgesetzt worden
sind, reden wir über Schuldenerleichterungen. Alles an-
dere wäre auch nicht im Sinne der griechischen Bevölke-
rung; denn es sind die Menschen in Griechenland, die
zuerst darauf angewiesen sind, dass dort ein handlungs-
fähiger Staat entsteht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Aber umgekehrt gilt auch: Wenn Griechenland sich
erfolgreich reformiert, dann muss es auch Schuldener-
leichterungen geben. Dieses Versprechen hat Griechen-
land von der Euro-Gruppe, dieses Versprechen hat Grie-
chenland auch von dieser Koalition, und dafür bietet das
dritte Hilfsprogramm eine sehr gute Grundlage. Deshalb,
meine Damen und Herren, wird meine Fraktion heute
dem Programm mit großer Geschlossenheit zustimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei der SPD auch nicht besonders typisch, oder? – Gegenruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD]: Kümmert euch um eure Geschlossenheit! Da habt ihr genug zu tun! – Gegenruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]: Kommen die alle nicht, oder? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU]: Wer den Ärger hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811800700

Nächster Redner ist der Kollege Anton Hofreiter für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

11464 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015


(A) (C)



(D)(B)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Merkel, Sie haben erst vor kurzem be-
kannt gegeben – –


(Lachen bei der CDU/CSU)


– Was finden Sie daran so ungewöhnlich, dass man Frau
Merkel anspricht? Ist es so ungewöhnlich für Sie, dass
sie da ist, dass man sie einmal erwähnt? Oder ist es, weil
Sie sozusagen gar nicht auf sie hören?

Frau Merkel, Sie haben vor kurzem in den Medien
und in der Öffentlichkeit gesagt, dass es nichts bringt,
zur griechischen Regierung oder zur griechischen Bevöl-
kerung nett zu sein. Sie haben bekannt gegeben, man
müsse hart sein und den Griechen so richtig zeigen, wo
es langgeht. Aber sind das denn irgendwelche politi-
schen oder gar ökonomischen Kriterien? Geht es darum,
nett oder hart zu sein, oder geht es darum, ein Paket zu
stricken und so zu gestalten, dass die griechische Wirt-
schaft wieder funktioniert und es den Menschen wieder
besser geht? Ist Ihnen nicht klar, dass wir nur dann,
wenn es Griechenland wieder besser geht, wenn die Re-
formen so gestaltet sind, dass sie nicht besonders hart
sind, sondern besonders wirkungsvoll sind, eine Chance
haben, wenigstens einen Teil des Geldes, für das wir und
die anderen europäischen Regierungen bürgen, wieder-
zusehen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns an, wie Sie als Kanzlerin und Sie,
Herr Schäuble, in den Verhandlungen agiert haben und
wie Sie, Herr Gabriel, sich öffentlich vor den Verhand-
lungen geäußert haben, wie Sie mit Grexit, dem Raus-
schmiss Griechenlands aus der Euro-Zone, gedroht
haben! Eine deutsche Regierungsspitze, die so agiert,
schadet dem Zusammenhalt in Europa, und damit scha-
det sie auch Deutschland; denn Sie schaden damit unse-
rem Standing in Europa. Sie schaden dem Zusammen-
halt in Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich frage mich schon, Frau Merkel: Haben Sie denn
inzwischen solche Töne nötig? Haben Sie das inzwi-
schen nötig, um Ihre Leute hinter sich zu bringen? Müs-
sen Sie denn wirklich diese Klischees und Stereotype be-
dienen? Ist das wirklich nötig?


(Lachen der Abg. Gitta Connemann [CDU/ CSU])


Wäre nicht etwas anderes nötig? Wäre es nicht end-
lich notwendig, dass Sie gegenüber der deutschen Be-
völkerung und gegenüber der Öffentlichkeit erklären,
warum Sie die Politik machen, die Sie machen, dass Sie
erklären, warum Europa zusammengehalten werden
muss, warum der Euro für uns wichtig ist?


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Zuhören!)


Wäre es nicht notwendig, dass Sie mal klar und deutlich
erklären, warum diese Politik notwendig ist, anstatt im-
mer nur im Verschwurbelten und immer nur im Unklaren
oder schlimmstenfalls in Klischees zu bleiben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich muss die
griechische Regierung Strukturreformen ergreifen, zum
Beispiel so etwas wie eine vernünftige Steuerverwaltung
einführen und so etwas wie einen vernünftigen Staat
schaffen. Natürlich muss sie sich trauen, sich mit mäch-
tigen, reichen Familienunternehmern wie den Reedern
anzulegen, damit auch die endlich einmal Steuern zah-
len. Aber ausgerechnet Sie, Frau Merkel, die Sie es in
den letzten zehn Jahren noch nie gewagt haben, eine ris-
kante, eine schwierige Reform anzugehen, ausgerechnet
Sie, die Sie meistens noch eine Umfrage abwarten, bevor
Sie sich überhaupt öffentlich äußern, ausgerechnet Sie
sagen, die griechische Regierung müsse mal Härte zei-
gen und mit der griechischen Regierung müsse man mal
hart umgehen. Ist Ihnen das nicht eigentlich selber pein-
lich?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, es
haben ja viele vor, Nein zu sagen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Stimmen die Grünen denn alle dafür?)


Man hat den Eindruck, dass Sie überhaupt nicht mehr in
der Lage sind, eine vernünftige Bewertung dessen vor-
zunehmen, was innerhalb Europas passiert, was inner-
halb der Europäischen Union, innerhalb der Euro-Zone
passiert.

Bei Ihnen gibt es den Wunsch, Griechenland aus dem
Euro zu schmeißen, mit Griechenland einfach, damit das
Ganze zu Ende geht, eine Art Ende mit Schrecken zu in-
szenieren. Ist Ihnen nicht klar, dass, wenn Griechenland
aus dem Euro rausbricht, die Lage in Griechenland noch
schlimmer wird, dass die Lage für die Menschen noch
problematischer wird, wobei die Lage ohnehin schon
schlimm ist, und dass das eben kein Ende mit Schrecken
ist? Es mag vielleicht bei Ihrer eigenen Parteibasis im
Wahlkreis ganz gut klingen, wenn man sagt: Pah, ich
habe es den Griechen mal gezeigt, und ich habe mich ge-
traut, hier mit Nein zu stimmen. Ich habe mich vielleicht
sogar getraut, anders abzustimmen als Herr Kauder. –
Aber ist das irgendwo eine vernünftige Haltung? Glau-
ben Sie ernsthaft, dass damit das Problem gelöst ist?
Was wird am Ende sein, wenn Griechenland aus dem
Euro rausbricht? Dann wird es entsprechend ein humani-
täres Paket für Griechenland geben müssen; denn Grie-
chenland verschwindet ja nicht aus der Europäischen
Union. Griechenland hört ja nicht auf zu sein. Glaubt ir-
gendwer hier im Saal, dass wir es uns leisten können,
mit Griechenland einen gescheiterten Staat in dieser
noch dazu geopolitisch schwierigen Region zu haben?
Deshalb kann ich nur sagen: Geben Sie sich alle einen
Ruck, und sagen Sie zu diesem – wenn auch sehr
schwierigen – Paket Ja!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Ja sagen wir auch!)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11465

Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

Frau Merkel, merken Sie eigentlich nicht, dass Sie
mit Ihren pragmatischen Trippelschritten, mit diesem
pragmatischen Vor-sich-hin-Wurschteln, das Sie seit
fünf Jahren praktizieren, am Ende nicht weiterkommen?
Ich meine, es klingt im ersten Moment immer gut: Ich
fahre auf Sicht. Die Zukunft ist im Dunkeln.


(Michael Grosse-Brömer denn jetzt? Wenn es dunkel ist, kann man nicht auf Sicht fahren! Ich mache einen pragmatischen Schritt nach dem anderen. – Aber allein der Umstand, dass wir schon wieder über die Euro-Krise reden, dass wir seit fünf Jahren über diese Euro-Krise reden, zeigt doch, dass dieses pragmatische Durchwurschteln am Ende nicht funktionieren wird. Wir brauchen endlich einen vernünftigen Plan: Wie geht es mit der Euro-Zone weiter? Wie kommen wir zu einer wirklichen Wirtschaftsund Währungsunion? Wie kommen wir zu einem wirklichen Zusammenhalt in der Europäischen Union? Wir erwarten von Ihnen als Regierungschefin des größten und damit auch mächtigsten Euro-Landes, dass Sie sich da einmal etwas überlegen, dass Sie da vorangehen – denn Sie sind immerhin diese Regierungschefin –, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist mal richtig!)


dass Sie da einmal etwas leisten und damit klar sagen, in
welche Richtung es gehen soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das braucht Europa auch bei weiteren Fragen. Diese
Euro-Krise ist ja nicht einmal das schwierigste Problem,
das wir im Moment in Europa haben. Schauen Sie sich
die Flüchtlingstragödien an, die sich im Moment im Mit-
telmeer, im Nahen Osten, auf den griechischen Inseln er-
eignen! Schauen Sie sich an, wie armselig Europa da
agiert, wie armselig die nationalen Regierungen agieren!
Man kann sich noch nicht einmal über die Verteilung
von einigen Zehntausend Flüchtlingen einigen. Das zeigt
doch, wie notwendig wir einen deutlicheren Zusammen-
halt in der Europäischen Union brauchen, wie sehr wir
eine Vision für Europa brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Natürlich sehen wir, dass in diesem Paket auch eine
ganze Reihe von Defiziten drinsteckt; denn in diesem
Paket gibt es automatische Ausgabenkürzungen, die am
Ende prozyklisch sind und damit de facto die Krise ver-
längern und nicht aus der Krise herausführen. Natürlich
ist in diesem Paket wieder keine vernünftige Schulden-
erleichterung drin. Dabei wissen doch am Ende alle:
Griechenland wird nicht in der Lage sein, die hohe
Schuldenlast entsprechend zurückzuzahlen. Aber Sie
sind schlichtweg zu feige, diese Wahrheit gegenüber der
deutschen Bevölkerung und hier gegenüber dem Deut-
schen Bundestag zu äußern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

In diesem ganzen Paket stecken natürlich auch noch
Unmengen Wunschdenken drin. Herr Schäuble, Sie ha-
ben wieder von diesen wunderbaren Privatisierungserlö-
sen gesprochen: 50 Milliarden Euro Privatisierungser-
löse. Jetzt mal ehrlich: Sie können doch einigermaßen
mit Zahlen umgehen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Einigermaßen?!)


Sie wissen doch selber, dass es diese 50 Milliarden Euro
nie geben wird. Es ist doch reines Wunschdenken, was
Sie hier verbreiten. Seien Sie doch einfach einmal ehrli-
cher!

Seien Sie ehrlich, was den IWF angeht! Der IWF hat
in dem Punkt recht: Wir brauchen eine Schuldenerleich-
terung. Seien Sie entsprechend ehrlich: Es wird diese
50 Milliarden Euro an Privatisierungserlösen niemals
geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion
wird trotz der demokratischen, sozialen und ökonomi-
schen Schwierigkeiten und Irrtümer, die in diesem Paket
stecken, mehrheitlich zustimmen. Aber: Diese Zustim-
mung ist ein Ja zu Europa, ein Ja zu einem europäischen
Kompromiss und kein Ja zu dieser Bundesregierung, die
in den Verhandlungen zum Teil populistisch, zum Teil
uneuropäisch und zum Teil unverantwortlich gehandelt
hat. Wir stimmen zu, weil wir wissen: Wenn das Geld an
Griechenland nicht fließt, dann wird Griechenland aus
dem Euro brechen.

Auch die Linksfraktion muss sich mal fragen, was das
bedeutet. Ja, wir wissen, dass die Lage in Griechenland
für viele Menschen schwierig ist und das Paket die Pro-
bleme am Ende nicht lösen wird. Aber die Alternative ist
einfach schlichtweg noch schlimmer;


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Es gibt andere Alternativen! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Es gibt zwei Wege!)


die Verheerungen für die griechische Wirtschaft und für
die Menschen in Griechenland wären noch schlimmer.
Deshalb: Geben Sie sich einen Ruck, und üben Sie Soli-
darität mit Griechenland und mit den Menschen in Grie-
chenland!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811800800

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun Volker Kauder

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1811800900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Wenn wir uns an die letzte Sondersit-
zung und daran, worüber wir da diskutiert haben, um den

11466 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

Weg für Verhandlungen frei zu machen, erinnern, dann
stellen wir fest, dass doch bei vielen eine gewisse Un-
sicherheit herrschte, ob dies tatsächlich zu einem guten
Ergebnis führt. Zu viel ist in den Wochen davor an Dis-
kussionen und an Hin und Her der griechischen Regie-
rung geschehen. Man hat deshalb durchaus Verständnis
haben können, wenn einige gesagt haben: Dies kann gar
nicht zu einem guten Ergebnis führen. – Wenn wir jetzt
aber das Ergebnis anschauen, dann zeigt sich rückbli-
ckend, dass es richtig war, noch einmal den Versuch zu
machen, diese griechische Regierung auf einen richtigen
Weg zu führen.

Wenn man das Ergebnis anschaut, bleiben natürlich
auch Fragen. Wolfgang Schäuble hat darauf hinge-
wiesen, dass die allermeisten Fragen, über die wir zu
entscheiden haben – übrigens nicht nur im politischen
Bereich, sondern auch in anderen Bereichen –, Abwä-
gungsfragen sind, wo es Gründe dafür und Gründe dage-
gen gibt und wo es nicht hundert zu null steht. In diese
Abwägung müssen die folgenden Fragen einbezogen
werden: Welche Konsequenzen hat ein Verhalten, also
ob ich so oder anders entscheide? Welche Möglichkeiten
bietet eine Entscheidung, dem anderen doch noch einmal
zu helfen, über die Hürde zu kommen, die notwendig
ist? Vielleicht bietet eine solche Abwägung auch die
Möglichkeit, Dinge einzubeziehen, die nicht unmittelbar
etwas mit dem Gegenstand zu tun haben, um den es jetzt
geht.

Natürlich stimme ich zu, dass alle den Erfolg Europas
wollen und dass auch diejenigen, die sagen: „Wir kön-
nen diesen Weg jetzt nicht mitgehen“, der Meinung sind,
dass dies dazu dient, dass Europa vorankommt. Aber zur
gleichen Zeit gilt auch, dass wir hier im deutschen Parla-
ment nicht allein im luftleeren Raum entscheiden, son-
dern dass wir in Europa in einer Gemeinschaft sind, wo
die Deutschen zwar ein bedeutendes Wort zu sagen ha-
ben, aber nicht allein sind. Hier gilt es abzuwägen, ob
das, was wir erreicht haben, so weit trägt, dass wir sagen
können: Jawohl, wir gehen diesen Weg mit.

Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen, dass
beim letzten Mal die Finanzminister in der Euro-Gruppe
zu einem großen Teil anderer Meinung waren. Dieses
Mal aber war die Meinung dahin gehend einheitlich,
dass jetzt etwas erreicht worden ist, was tragfähig sein
könnte. Deshalb kommt es auch darauf an, in diesem Eu-
ropa zusammenzubleiben. Deswegen glaube ich, dass es
viele gute Gründe gibt, diesem Antrag, den Wolfgang
Schäuble erläutert hat, jetzt zuzustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt sicher aber auch andere Gründe, zuzustim-
men, etwa weil in diesem Europa Aufgaben vor uns lie-
gen, die sich vielleicht als schwerer herausstellen könn-
ten als die Aufgaben, die wir im Augenblick schon als
schwer wahrnehmen. Wir sehen, dass Europa mit dieser
gemeinsamen Entscheidung für Griechenland einen rich-
tigen Weg beschritten hat, nämlich zusammenzubleiben
und eine Lösung zu finden. Für die Menschen – das sage
ich aufgrund meiner vielen Begegnungen und Erfahrun-
gen aus meinem eigenen Wahlkreis – ist Griechenland
ein Thema. Aber es wird nicht am Thema Griechenland,
das für viele abstrakt ist, beurteilt werden, ob wir wirk-
lich die Kraft haben, ein Problem anzupacken und zu lö-
sen, sondern am Thema Flüchtlinge und Asyl, das den
Menschen persönlich immer näher kommt. Hier wird es
darauf ankommen, dass wir nicht nur in Deutschland,
sondern in Europa eine Lösung finden. Ich finde, Europa
muss noch einmal einen energischen Schritt machen. Es
kann nicht heißen: Jetzt haben wir uns mit Griechenland
beschäftigt und sind froh, dass wir jetzt eine Lösung auf
den Tisch gelegt haben, und jetzt ist erst einmal Atem-
pause. – Es muss heißen: Die Gemeinsamkeiten, die wir
für Griechenland gefunden haben, sind erst der Anfang,
um auch Gemeinsamkeiten bei diesem zentralen und
wichtigen Thema des Umgangs mit Flüchtlingen zu fin-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es wird immer wieder in die Diskussion hineinge-
bracht, dass die Deutschen in Bezug auf Griechenland
besondere Forderungen haben und besonders streng
sind. Herr Hofreiter, Sie haben vorhin gesagt, man wäre
so streng gewesen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe gesagt: Es ist kein Kriterium! Ob es funktioniert oder nicht, das ist ein Kriterium!)


– Ja, aber ich sage Ihnen einmal: Ich bin felsenfest davon
überzeugt, wenn die deutsche Bundesregierung in ihrer
Verhandlungsführung nicht so streng gewesen wäre, hät-
ten wir dieses Ergebnis heute nicht erzielt. Deswegen
war dieser Weg notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auf der anderen Seite müssen wir sagen: Wir haben
einen guten Kompromiss gefunden. Jetzt müssen wir in
Europa verlangen, dass wir auch in den Asyl- und
Flüchtlingsfragen zu einem Ergebnis kommen. Wenn
schon international festgestellt wird, dass Deutschland
viele Flüchtlinge aufnimmt, während andere Länder in
Europa dies nicht tun, dann ist das doch eine Herausfor-
derung. Hier muss ich sagen: Europa wird seine Stärke
nicht nur dadurch zeigen, dass wir jetzt in der Euro-Zone
zusammenbleiben. Die Menschen werden die Stärke Eu-
ropas suchen, wenn es darum geht, Möglichkeiten zu
finden, die Probleme beim Thema Flüchtlinge und Asyl
zu lösen, und nicht bei einem anderen Thema.

Hierzu kann ich nur aus leidvoller Erfahrung sagen
– es gibt einige Kollegen, die dies miterlebt haben –: Als
1991/92 die Zahlen von Flüchtlingen und Asylbewer-
bern enorm gestiegen sind, haben wir uns eine partei-
politische Diskussion geleistet, die zu verheerenden Er-
gebnissen geführt hat. Erst nachdem wir uns diese
Diskussionen geleistet haben, sind wir in die Lage ge-
kommen, miteinander einen guten Kompromiss zu fin-
den.


(Zurufe von der LINKEN)


Deswegen sage ich auch im Hinblick auf die eine oder
andere aktuelle Äußerung: Ich rate allen dringend dazu,
das Thema Flüchtlinge und Asyl nicht zu einem partei-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11467

Volker Kauder


(A) (C)



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politischen Kampffeld zu machen, liebe Kolleginnen
und Kollegen. Dazu ermahne ich alle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie mal mit der CSU gesprochen? Mit Herrn Seehofer? – Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])


– Es würde mich schon enttäuschen, wenn dieser Appell
so endete wie jetzt bei Ihnen, Frau Kollegin. Ich habe
doch gerade darauf hingewiesen, dass wir versuchen
müssen und sollen, gemeinsame Lösungen zu finden.
Das ist nicht nur ein Thema der Bundesregierung, das ist
nicht nur ein Thema des Deutschen Bundestages, son-
dern das ist auch ein Thema des Bundesrates und der
Bundesländer. Das ist ein Thema, das uns alle bewegt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen setze ich schon darauf – dafür wäre ich sehr
dankbar –, dass wir hier, in dieser Demokratie, bei einer
Herausforderung, die nicht nur CDU/CSU, SPD und an-
dere betrifft, sondern alle betrifft, die Regierungsverant-
wortung in diesem Land haben, zu gemeinsamen Lösun-
gen und Beschlüssen kommen und damit Europa zeigen:
So wie wir handlungsfähig sind, so muss auch Europa
handlungsfähig werden.

Wir haben jetzt beim Thema Griechenland schwierige
Diskussionen auch gerade in meiner Fraktion. Aber ich
sage Ihnen: Letztlich werden wir daran gemessen, ob wir
das Thema Asyl und Flüchtlinge sachgerecht lösen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811801000

Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1811801100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte doch noch mal zu dem Thema kommen, über das
wir heute abstimmen werden – nämlich die Frage der
Finanzhilfen für Griechenland in den nächsten drei Jah-
ren –, und zu den Konsequenzen, die sich mit dieser Ab-
stimmung verbinden.

Vor vier Wochen hat der Bundestag der Regierung,
dem Finanzminister einen Verhandlungsauftrag erteilt.
Damals gab es ein sehr uneinheitliches Bild auch im
Bundestag selbst: Ablehnung bei der Linksfraktion, bei
den Grünen war es gemischt – da war alles dabei –, die
Union unsicher. Es ist aber eine der ganz zentralen Fra-
gen in dieser Legislaturperiode, wie unsere Währung,
wie Europa zusammengehalten wird. Ich glaube, dass
das, was wir jetzt als Ergebnis vorliegen haben, viel bes-
ser ist als das, was der Verhandlungsauftrag und die Ver-
abredung der Staats- und Regierungschefs vom Juli vor-
sahen.
Warum ist das so? Was wären die Konsequenzen,
wenn wir hier Nein sagen würden?

Erstens. Die Griechen haben nach einem halben Jahr
der Turbulenzen und des Selbstfindungsprozesses der
Regierung jetzt sehr eindeutig die Kurve gekriegt. Der
Ministerpräsident kämpft um Reformen in seinem Land.
Er hat begriffen, dass sich Griechenland nur selbst hel-
fen kann. Insofern ist es absolut zu begrüßen, dass die
Griechen sowohl die Bekämpfung von Korruption und
Steuerhinterziehung als auch die Wiederbelebung des
wirtschaftlichen Wachstums angehen, indem Struktur-
reformen in diesem Land durchgeführt werden, die dazu
führen, dass es zu mehr wirtschaftlicher Beteiligung in
Freiheit kommt. Das soll endlich gelingen. Das unter-
stützen wir, und das haben wir Sozialdemokraten auch
immer gefordert.


(Beifall bei der SPD)


Das Zweite ist: Wir haben eine längere Perspektive.
Wissen Sie, das ist jetzt das dritte Programm. Wir haben
viele Debatten über die Programme geführt, und ich
habe oft im Bundestag gesagt – auch entgegen dem, was
Teile der damaligen schwarz-gelben Regierung gesagt
haben: „Wir geben kein Geld, das kostet alles nichts, es
ist nur ein Paket und dann nie wieder“ –: Es kann durch-
aus sein, dass wir auch über ein drittes Programm reden
müssen; man muss dem klar ins Auge sehen.

Jetzt zitiere ich einmal eine Zeitung, die der SPD
nicht unbedingt nahe steht, Die Welt vom 18. August, die
titelt: „Wie die drei Affen – und das jahrelang“, also:
nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. – Und weiter:
„Unionspolitiker wollten nie über ein drittes Hilfspaket
und einen Schuldenerlass für Athen reden. Nun kommt
wohl beides.“

Ich will nicht ausschließen, dass beides kommt, ins-
besondere was den Schuldenerlass betrifft. Es hängt
auch sehr stark vom Wachstum in Griechenland ab, ob
das notwendig ist. Aber klar ist, dass man mit einer kla-
ren Haltung, mit Überzeugung herangehen muss, auch
mit der Konsequenz, innenpolitisch unangenehme Dinge
zu sagen, also der Bevölkerung zu sagen: Es ist wichtig,
dass wir den Euro – in allen Ländern – behalten. Es ist
unsere Währung, es ist unser Geld. – Damit spielt man
nicht, und schon gar nicht, um innenpolitisch kurzfristig
Erfolg zu erzielen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU])


Das hat die SPD auch nie getan, sondern wir haben uns
sehr stark – selbst in der Opposition – dafür eingesetzt,
dieses übergreifende europäische Projekt zu vollenden.


(Zuruf des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU])


Ich will nun aufgreifen, was der Bundesfinanzminis-
ter zu Beginn gesagt hat. Er hat von einer unfertigen
Währungsunion gesprochen. Das stimmt, sie ist unfertig,
weil wir noch in ganz vielen Bereichen Autonomie ha-
ben, insbesondere was die Steuer- und Haushaltspolitik
betrifft. Die Frage, die sich damit für die Zukunft stellt,
lautet: Wie geht es weiter? Gehen wir zurück zu einem

11468 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Carsten Schneider (Erfurt)



(A) (C)



(D)(B)

Nationalstaat, oder gehen wir in Richtung eines starken
und gerechten Europas, insbesondere auch bei der Frage
der Besteuerung von Konzernen?

Wir Sozialdemokraten sind ganz klar auf dem Weg,
zu sagen: Wir wollen ein starkes Europa, das diese
Aufgaben, die Herr Kauder hier eben auch zu Recht be-
schrieben hat, bewältigen kann. Das geht nur gemein-
sam, und deswegen ist es richtig, dass wir als Sozialde-
mokraten heute – und deswegen werbe ich auch dafür –
dem Antrag der griechischen Regierung sehr geschlos-
sen stattgeben und ihr helfen wollen, ihr Land in den
nächsten drei Jahren wieder auf Vordermann zu bringen.


(Beifall bei der SPD)


Es ist gut, dass der Grexit vom Tisch ist. Es ist gut,
dass den Griechen – entgegen dem ursprünglichen Pro-
gramm – auch noch geholfen wird, indem nämlich in
den nächsten ein, zwei Jahren nicht so viel gespart wer-
den muss – das ist der sogenannte Primärüberschuss –,
sondern es einen langsameren Pfad gibt, auf dem der
Überschuss erbracht werden muss.

Ich habe mich, Herr Gysi, doch einigermaßen über
Ihre Rede gewundert, in der Sie – wie Herr Kauder – ja
auch andere Themen angesprochen haben, aber nicht
das, worüber wirklich zu reden gewesen wäre.

Ich komme noch einmal zu dem Griechenland-Punkt
zurück: Im Februar haben weite Teile Ihrer Fraktion
– das fand ich bemerkenswert – gesagt: Wir stimmen der
Verlängerung des zweiten Hilfspakets zu.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Zeit gewinnen!)


Jetzt lehnen Sie den Antrag der Syriza-Regierung ab,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie stellen den Antrag, nicht die Griechen stellen den Antrag!)


in dem wir sogar eine Drei-Jahres-Perspektive haben.

Ich will nur einen Punkt herausgreifen: Sie haben ge-
sagt, die Mehrwertsteuererhöhung und -vereinheitli-
chung für die Hotels auf den Inseln wäre wirtschaftspoli-
tisch unsinnig.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das sind zwei Themen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811801200

Lieber Kollege Schneider, darf der Kollege Ernst eine

Zwischenfrage stellen?


Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1811801300

Gleich. Ich will nur den Punkt zu Ende bringen.

Sie haben gesagt, dass das wirtschaftspolitisch unsin-
nig sei. Sehen Sie, in dem MoU stehen viele Sachen, was
das Land wirtschaftspolitisch machen muss. Das sind
viele kluge Dinge,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Beschäftigtenrechte! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Privatisierung der Banken!)

beispielsweise die Liberalisierung von angestammten
Berufen wie Notaren oder mehr Wettbewerb herzustel-
len. Hier denke ich an die Mövenpick-Steuer, die Hotel-
steuer, die die schwarz-gelbe Regierung damals zur Be-
günstigung der Hotels in Deutschland eingeführt hat.
Damals haben Sie dagegengestimmt. Da waren Sie wie
wir der Auffassung: Es ist unsinnig, das so zu machen. –
Jetzt soll in Griechenland die Steuer erhöht werden, und
Sie sagen, das sei unsinnig.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Mehrwertsteuer ist eine für alle und trifft nicht nur Hotels!)


Das ist keine Logik, das ist auch keine Dialektik – viel-
leicht verstehe ich Sie auch nicht –, es ist jedenfalls un-
sinnig.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Ernst, noch ein Wort zu den Zinsen: Se-
hen Sie, Herr Gysi hat gesagt, die unabhängige EZB
habe jetzt auf Druck Deutschlands dafür gesorgt, dass
die Zinsen für die Staatsanleihen Deutschlands gesunken
sind, teilweise auf null. Das ist ganz großer Blödsinn.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)


Denn erstens ist die EZB unabhängig; es gibt keinen
Druck auf sie. Im Gegenteil:


(Lachen bei der LINKEN)


Es ist eher andersherum.

Zum Zweiten. Die Staatsanleihen Deutschlands wer-
den am Markt gehandelt. Das sind insgesamt fast 2 Bil-
lionen Euro. Die werden pro Jahr sechsmal umgeschla-
gen; da geht es um circa 10 Billionen Euro. 80 Prozent
der Investoren sind Ausländer. Die Preise werden am
Markt festgestellt. Ich bin froh, dass wir nicht so viel
Zinsen zahlen müssen wie geplant, dass wir diese
100 Milliarden Euro sparen, sie vielmehr investieren
können und keine Schulden dafür machen müssen. Da-
rüber bin ich froh und nicht wie Sie der Auffassung, wie
Sie es hier gesagt haben, dass wir beim deutschen Sparer
sparen. Das ist doch absoluter Blödsinn.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811801400

Wenn überhaupt, dann muss die Zwischenfrage jetzt

gestellt werden, oder die Redezeit ist vorbei. – Bitte
schön, Herr Kollege Ernst.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811801500

Danke schön. – Sie haben es so dargestellt, als wür-

den wir den Antrag von Syriza ablehnen. Ich weiß nicht,
ob Ihnen entgangen ist, dass hier der Antrag der Regie-
rung zur Abstimmung steht und nicht der Antrag von
Syriza. – Das ist insofern interessant, als Sie daran den
Unterschied zwischen unserer und Ihrer Politik erkennen
können.

Wir stimmen hier nicht darüber ab – wie der Kollege
Oppermann behauptet hat –, ob wir die „linksradikale
Position“ von Syriza unterstützen – die steht überhaupt

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11469

Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

nicht zur Debatte –, sondern wir stimmen über den Weg
ab, den die Bundesregierung also auch mit Unterstüt-
zung der Sozialdemokraten vorschlägt, der dazu beiträgt,
dass das Wachstum in Griechenland weiter geschwächt
wird, der im Ergebnis dazu führt, dass die Steuereinnah-
men in Griechenland weiter sinken werden, was im Er-
gebnis dann wiederum dazu führen wird, dass Griechen-
land nicht in die Lage versetzt wird, seine Schulden
zurückzuzahlen. Darüber stimmen wir ab.

Ich bitte Sie einfach, zur Kenntnis zu nehmen, dass
wir hier in Deutschland nur über Dinge abzustimmen ha-
ben, die wir beeinflussen können. Wir haben die Regie-
rung hier zu kontrollieren und nicht die griechische. Die
Regierung in Deutschland trägt maßgeblich dazu bei, die
Erpressung der griechischen Regierung fortzusetzen, sie
trägt dazu bei, die Austeritätspolitik, die übrigens von
der Sozialdemokratie oft kritisiert wurde, fortzusetzen.
Solch einer Politik können wir nicht zustimmen, obwohl
wir Syriza unterstützen. Das möchte ich in aller Deut-
lichkeit sagen.


(Beifall bei der LINKEN)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1811801600

Herr Kollege Ernst, zunächst einmal vielen Dank,

dass ich ein paar Bemerkungen zu den Positionen der
Linkspartei machen kann.

Zu Griechenland. Es gab Wachstum in Griechenland;
Finanzminister Schäuble hat zu Recht darauf hingewie-
sen. Für 2015 wurden fast 3 Prozent Wachstum erwartet.
Nachdem dann die Regierung von Herrn Tsipras gewählt
wurde, ist es zurückgegangen.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Nee, nee, nee! Es ist vorher um 25 Prozent gesunken!)


Es ist auch eindeutig, warum es zurückgegangen ist:
Diese Regierung wusste nicht, ob sie im Euro bleiben
will oder nicht. Sie wollte uns erpressen. Das war die Si-
tuation. Das hat zu großer Verunsicherung geführt. Die
Wahlversprechen, die Syriza gemacht hat – Grundsteuer
soll es nicht mehr geben etc. –, die Sie in Teilen auch
machen, konnten alle nicht eingehalten werden.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Sind Sie der Pressesprecher von Herrn Schäuble?)


Trotzdem haben die Griechen gesagt: Die haben es ver-
sprochen, deswegen zahlen wir jetzt alle keine Grund-
steuer mehr. – Deswegen sind die Steuereinnahmen zu-
rückgegangen. Niemand hat mehr investiert, weil keiner
wusste, ob der Euro bleibt oder nicht.

Die Griechen selbst haben darüber abgestimmt, ob sie
dieser Regierung vertrauen, indem sie ihr Geld von den
Konten geholt haben. Das war eine Abstimmung mit den
Füßen.

Diese Unsicherheit, die ein halbes Jahr gedauert hat,
hat Griechenland extrem viel Zeit und wahrscheinlich
wirtschaftliche und soziale Substanz gekostet. Das war
ein großer Fehler.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und vorher war alles in Ordnung, ja?)


Ich stelle fest: Im Februar waren Sie noch für die Ver-
längerung des zweiten Hilfsprogramms.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! Wir haben dem Zeitgewinn zugestimmt!)


Das war noch härter als das, über das wir jetzt abstim-
men. Die Primärüberschüsse, die man durch das vorhe-
rige Programm erzielen wollte, lagen bei 3,5 oder
4,5 Prozent. Jetzt reden wir über einen geringeren Pri-
märüberschuss im Jahr 2015 von minus 0,25 Prozent.
Minus! In 2016 beträgt er nicht einmal 1 Prozent. Das
heißt: Griechenland muss weniger sparen als ursprüng-
lich geplant, und dem haben Sie zugestimmt. Ich stelle
fest: Der linksradikale Flügel der Linkspartei und Frau
Wagenknecht haben sich durchgesetzt, nicht der realisti-
sche Flügel, den Sie in Teilen vertreten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der
wichtigen Entscheidung, vor der wir heute stehen, sage
ich: Die Sozialdemokratie wird dem Hilfspaket zustim-
men. Wir werden nachhalten, dass die Reformen in Grie-
chenland auch umgesetzt werden. Ich glaube auch, dass
wir noch mehr für Wachstum in Griechenland tun müs-
sen. Mit einem klaren Kurs und einer klaren Haltung
sind wir für die Zukunft gut gewappnet. Deutschland ist
in den Händen einer Regierung, an der wir Sozialdemo-
kraten beteiligt sind – das zeigt gerade die heutige De-
batte –, gut aufgehoben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811801700

Das Wort erhält nun die Kollegin Gesine Lötzsch für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811801800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Es ist hier häufig das Wort „Solidarität“ gebraucht
worden. Uns als Linken ist vorgeworfen worden, wir
wären nicht solidarisch mit Griechenland.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Zu Recht!)


Ich werde Ihnen einmal sagen, was wirkliche Solidarität
mit Griechenland bedeuten würde, nämlich eine echte
Schuldenerleichterung; wenn Sie schon das Wort
„Schuldenschnitt“ nicht über die Lippen bekommen.
Das würde echte Solidarität bedeuten.


(Beifall bei der LINKEN)


Solidarität mit Griechenland bedeutet, echte Investi-
tionen zu ermöglichen, zum Beispiel aus unseren im-
mensen Zinsgewinnen. Das wäre Solidarität.


(Beifall bei der LINKEN)


11470 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Dr. Gesine Lötzsch


(A) (C)



(D)(B)

Solidarität hieße: Respekt vor den demokratischen Insti-
tutionen in Griechenland statt Erpressung und Entmün-
digung. Das ist Solidarität.


(Beifall bei der LINKEN)


Man muss dieser Regierung auch einmal Zeit zum
Arbeiten geben. Sie ist seit sechs Monaten im Amt. Am
Sonntag war die Wahl, am Montag haben sie angefan-
gen, zu regieren. Gucken Sie sich einmal an, wie das in
Deutschland ist: Da fängt eine Regierung nach sechs
Monaten im besten Fall an, zu arbeiten. Ich finde, das
muss man anerkennen. Man muss ihnen die Gelegenheit
geben, ihre Programme durchzusetzen. Man sollte nicht
so tun, als müsse man Syriza und Herrn Tsipras überre-
den, die Reichen im Land zu besteuern. Das war ein zen-
traler Punkt seines Wahlprogramms. Alles andere, was
hier behauptet wird, ist eine Diffamierung dieser Partei
und dieser Regierung, und das lassen wir nicht zu.


(Beifall bei der LINKEN – Norbert Spinrath [SPD]: Aber sie haben es nicht gemacht!)


Ich sage Ihnen: Solidarität bedeutet nicht, Griechen-
land ein Programm aufzuzwingen, das wirtschaftlich fa-
tal ist, das Sozialabbau und Privatisierungen erzwingt.
Das ist keine Solidarität, sondern das Gegenteil von eu-
ropäischer Solidarität.


(Beifall bei der LINKEN)


Bereits mit dem ersten und dem zweiten sogenannten
Hilfspaket hat die Bundesregierung Griechenland an den
wirtschaftlichen Abgrund geführt. Die Zahlen sprechen
eine klare Sprache – ich nenne Ihnen nur zwei –: Die
Kindersterblichkeit in diesem europäischen Land ist um
43 Prozent gestiegen, und über 3 Millionen Menschen
haben keine Krankenversicherung. In Griechenland
herrscht ein humanitärer Notstand. Dieses Land braucht
wirkliche Hilfe und keine Kürzungsdiktate.


(Beifall bei der LINKEN – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Deswegen stimmen Sie dagegen!)


Wir hier in Deutschland haben es 2008 doch ganz an-
ders gemacht; das wissen auch Herr Schäuble und Frau
Merkel. Wir haben in der Finanzkrise 2008/2009 eine
völlig entgegengesetzte Entscheidung getroffen. Auf
Vorschlag der Linken – ursprünglich kam er von der Lin-
ken, wurde dann aber von anderen übernommen – wurde
in Deutschland ein großes Investitionsprogramm gestar-
tet. Hinzu kamen die Verlängerung der Bezugsdauer des
Kurzarbeitergeldes und die Einführung der Abwrackprä-
mie.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das war auch von Ihnen? Ich glaube es ja!)


Ich frage Sie alle: Warum haben die Kanzlerin und
der Finanzminister Griechenland eine Medizin ver-
schrieben, die sie für Deutschland nie akzeptiert hätten?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nach dem Misserfolg der ersten beiden Programme hätte
sich die Bundesregierung doch sagen müssen: Stopp, das
läuft falsch; hier müssen wir etwas tun. Wenn eine Medi-
zin bei einer Krankheit nicht wirkt, dann ist es doch ab-
solut absurd, zu sagen, dass diese Krankheit dadurch be-
kämpft wird, dass diese Medizin in fünffacher Dosis
verschrieben wird. Nein, wir sagen: Diese falsche Medi-
zin muss endlich abgesetzt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen noch ein Wort zu unseren Zinsgewin-
nen: Diese Zinsgewinne haben dazu beigetragen, dass
wir hier in Deutschland etwas erreichen konnten, womit
sich der Finanzminister gerne schmückt, nämlich die be-
rühmte schwarze Null. Dass diese schwarze Null zu ei-
nem großen Teil aus Zinseinsparungen infolge der
Schuldenkrise resultiert, haben nicht wir ausgerechnet,
sondern das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
Halle berechnet, gewiss keine Vorfeldorganisation der
Linken.

Wir haben von der Griechenland-Krise bisher profi-
tiert. Das ist das Gegenteil von Solidarität. Ich finde,
wahre Solidarität besteht darin, Programme aufzulegen,
die erstens die europäische Idee und den europäischen
Zusammenhalt stärken und zweitens dafür sorgen, dass
in Griechenland die Wirtschaft wieder auf die Beine
kommt. Das, was jetzt beschlossen wurde, ist eine große
Hilfe für die Banken, die mit Steuergeldern gerettet wur-
den, und auch eine Hilfe für die herrschende Politik hier
in Deutschland. Jeder muss wissen, worüber wir abstim-
men. Wir stimmen nicht über Hilfen für Griechenland
ab, sondern über ein böses Spiel mit den Menschen in
Griechenland, und dagegen wird die Linke immer kämp-
fen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811801900

Gerda Hasselfeldt ist die nächste Rednerin für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1811802000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

will nur einige wenige Bemerkungen in die Debatte ein-
werfen.

Erstens. Die griechische Regierung und das griechi-
sche Parlament haben inzwischen offensichtlich den
Ernst der Lage erkannt. Sie sind zu Reformen bereit, ja,
sie haben mittlerweile sogar im Vorgriff auf das Ver-
handlungsergebnis eine ganze Reihe von Gesetzen be-
schlossen. Das alles zeigt: Athen hat begriffen, worum
es geht. In Athen wird verstanden, dass es keinen
schmerzfreien Weg aus dieser Schuldenkrise in Grie-
chenland gibt. Ich finde, es ist an der Zeit, dass auch die
Linke bei uns im Parlament dies endlich begreift.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweite Bemerkung. Es bleibt bei dem wichtigen
Grundsatz: Europäische Solidarität kann es nur in Ver-
bindung mit den notwendigen nationalen Reformen ge-
ben, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11471

Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

Das darf nicht nur auf dem Papier stehen; denn dafür
gibt es gute Gründe:

Erstens wird das Programm keinen Erfolg haben,
wenn nicht auch zügige Reformen durchgeführt werden,
Reformen, die dazu geeignet sind, die Wettbewerbsfä-
higkeit der Wirtschaft wiederherzustellen, die aber auch
dazu geeignet sind, den Staat wieder in Ordnung zu brin-
gen und effizient zu gestalten.

Zweitens ist Europa keine Schuldenunion.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Solidarität bedeutet nicht Übernahme der Schulden und
Vergemeinschaftung der Schulden.


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: 27 Prozent!)


Nicht zuletzt deshalb haben wir uns in unserer Fraktion
seit Jahren immer wieder erfolgreich dagegen gewehrt
– das haben wir auch europäisch durchgesetzt –, dass es
Euro-Bonds und eine Vergemeinschaftung der Schulden
gibt. Jedes Land muss seine Hausaufgaben selbst ma-
chen. Es erfährt vorübergehende Hilfe von uns, aber die
Hausaufgaben müssen selbst gemacht werden. Deshalb
kann es keinen Verzicht auf die notwendigen Reformen
geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Die Ergebnisse in Spanien, in Portugal, in
Irland zeigen doch, dass dieser Weg – Solidarität in Ver-
bindung mit den notwendigen nationalen Reformen –
richtig und erfolgreich war. Auch die harte Haltung in
Griechenland zeigt, dass dies notwendig ist. Wir haben
ja in Griechenland erlebt, dass dann, wenn der Reform-
druck weg ist, wenn frühere Reformen zurückgenom-
men werden, die wirtschaftliche Entwicklung und die
Stabilität des Landes nachlassen und die Probleme für
die Menschen größer werden. Nur durch den Druck, der
in den letzten Monaten erzeugt wurde, hat sich auch in
Griechenland etwas bewegt. Auszahlungen sind nicht er-
folgt, weil Verabredungen nicht eingehalten wurden. Eu-
ropa hat sich nicht erpressen lassen. Wir haben der grie-
chischen Regierung damals nicht nachgegeben. Nur
deshalb war es auch möglich, dass in der griechischen
Regierung und im griechischen Parlament das notwen-
dige Umdenken eingesetzt hat, das die Grundlage für
dieses Programm ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das trägt eindeutig die deutsche Handschrift. Unser
Bundesfinanzminister und unsere Bundeskanzlerin ha-
ben hieran maßgeblich mitgewirkt. Sie haben sich des-
halb – ich sage das mit voller Überzeugung – um die Sta-
bilität unserer gemeinsamen Währung, um dieses
gemeinsame europäische Haus große Verdienste erwor-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine weitere Bemerkung, meine Damen und Herren.
Dieses Programm ist geprägt von strengeren Auflagen,
von strengeren, intensiveren, engmaschigeren Kontrol-
len. Es wurde in verschiedenen Debattenbeiträgen schon
darauf hingewiesen; deshalb brauche ich das nicht zu
wiederholen. Ich sage nur: Das war und ist auch notwen-
dig, und zwar deshalb, weil durch die verlorenen sechs
Monate in diesem Jahr, durch das bisherige Versäumen
von Reformen durch die griechische Regierung die
Situation nicht besser, sondern schlechter geworden ist.
Es ist auch notwendig, strengere, engmaschigere Kon-
trollen zu machen, weil das Vertrauen in den letzten Mo-
naten durchaus gestört wurde; da brauchen wir uns
nichts vorzumachen. Dieses Vertrauen, das zerstört
wurde, muss jetzt wieder aufgebaut werden. Das ist Sa-
che der griechischen Regierung, und ich hoffe sehr, dass
wir da nicht enttäuscht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Eine vierte Bemerkung will ich machen. Sie betrifft
die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds. Wir
sind fest davon überzeugt, dass der IWF auch künftig
mit an Bord sein muss. Der Internationale Währungs-
fonds hat große, jahrzehntelange Erfahrung in der Be-
wältigung von Staatsschuldenkrisen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Der Internationale Währungsfonds hat eigene Regeln, er
hat einen unabhängigeren Blick als die europäischen Be-
teiligten.


(Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aus all diesen Gründen ist die Beteiligung des Interna-
tionalen Währungsfonds auch künftig notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Bundesfinanzminister hat vorhin auf die verfahrens-
mäßigen und rechtlichen Probleme hingewiesen. Der
IWF war an allen Verhandlungen beteiligt, und er hat das
Verhandlungsergebnis auch begrüßt. Das ist eine ganz
wesentliche Grundlage für alles, was weiterhin kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir werden das, was Griechenland zu erledigen hat,
bei der ersten Überprüfung im Herbst gemeinsam mit
dem Internationalen Währungsfonds sehr genau über-
prüfen und bei dieser Gelegenheit auch über mögliche
Schuldenerleichterungen sprechen. Man kann über Fris-
ten, über Laufzeiten sicherlich reden; aber ein nominaler
Schuldenschnitt verbietet sich nicht nur rechtlich, son-
dern ist auch politisch nicht geboten. Wir wollen und wir
brauchen keine Schuldenunion in Europa.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun bleibt – das ist meine letzte Bemerkung – die
Frage: Behindert dieses Programm eventuell Investitio-
nen und Wachstum? Trägt es dazu bei oder nicht? Ich
will zunächst einmal feststellen: Ein solches europäi-
sches Rettungsprogramm – das gilt nicht nur für dieses
hier – ist kein Investitionsprogramm, sondern ein Pro-
gramm, das dazu dient, dass sich das jeweilige Land

11472 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

wieder am Kapitalmarkt finanzieren kann. Der Zugang
zu den Kapitalmärkten ist das Ziel dieses Programms,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)


und dazu wird befristete Hilfestellung geleistet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun frage ich Sie: Wer wird denn in einem Land in-
vestieren, in dem der Staat nicht funktioniert, in dem die
rechtsstaatlichen Fundamente nicht vorhanden sind, in
einem Land, das verschuldet ist? Ich sage Ihnen: Nie-
mand!

Das hat auch die Situation in Griechenland in den
letzten sechs Monaten gezeigt. Die Grundvoraussetzung
für Investitionen sind doch nicht irgendwelche Pro-
gramme, sondern die Grundvoraussetzung für Investitio-
nen ist, dass der Staat funktioniert, dass er verlässlich ist,
dass es einen verlässlichen, funktionierenden Staatsauf-
bau und ein Staatswesen gibt, durch das sich auch wett-
bewerbsfähige Wirtschaft entfalten kann.

Genau da setzt dieses Programm mit an, nämlich
durch Auflagen hinsichtlich verschiedener Reformen im
Arbeitsmarktbereich, im Steuerbereich, im Verwaltungs-
bereich, im Rentenbereich und in vielen Bereichen mehr.
Das – und nicht allein irgendein Programm – ist der
Schlüssel zu Investitionen. Die Strukturen müssen wie-
der so gesetzt werden, dass sich Investitionstätigkeit ab-
spielt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand hier im
Haus macht sich die Entscheidung leicht. Wir haben ja
nicht nur gestern und heute gerungen, sondern wir disku-
tieren seit langem immer wieder über die Frage: Wie
können wir die Probleme in Griechenland gemeinsam
lösen?

Für mich gilt:

Erstens. Das Prinzip Solidarität und Eigenverantwor-
tung ist in diesem Programm nicht nur gewahrt, sondern
besonders stark ausgeprägt.

Zweitens. Die Auflagen sind strenger, stringenter. Die
Kontrolle ist engmaschiger, was auch notwendig ist.

Drittens. Die Hartnäckigkeit der Bundesregierung hat
sich bewährt. Sie hat dazu geführt, dass in Griechenland
ein Umdenken stattgefunden hat.

Viertens. Dieses Programm ist ein gemeinsames, eu-
ropäisches Programm, dem alle europäischen Länder zu-
stimmen.

Mit all seinen Maßnahmen bietet dieses Programm
eine gute Chance für Griechenland, die Staatsschulden-
krise zu bewältigen. Es ist eine gute Grundlage für eine
weitere positive wirtschaftliche und politische Entwick-
lung in Europa, ja, für weitere wirtschaftliche und politi-
sche Stabilität in Europa. Dies brauchen wir, wenn wir
die anderen Probleme, die gerade angesprochen wurden,
wie beispielsweise die Asylproblematik, gemeinsam lö-
sen wollen. Deshalb empfehle ich Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811802100

Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian

Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Ruhig bleiben, Sven!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am Anfang nur ein Wort zu Ihrer Rede, Herr
Kauder. Sie haben gesagt, Sie wollten das Thema Asyl
und Flüchtlinge nicht parteipolitisch ausschlachten; das
ist auch richtig. Aber genau das haben Sie in Ihrer Rede
gemacht, nämlich das Thema parteipolitisch ausge-
schlachtet. Das finde ich scheinheilig und unwürdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zu Griechenland. Mit diesem dritten Kreditprogramm
wird der Grexit abgewendet. Damit ist auch klar: Ihre
Versuche, Finanzminister Schäuble, Griechenland aus
der Euro-Zone rauszumobben, sind gescheitert, weil Ita-
lien, Frankreich und die EU-Kommission das verhindert
haben. Das ist heute die positive Nachricht im Rahmen
des Beschlusses über dieses Programm.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Mit diesem Programm wird Zeit gekauft. Eine
zentrale Grundvoraussetzung ist aber, dass jetzt die un-
säglichen Grexit-Debatten der letzten Monate wirklich
aufhören, damit Investoren nach Griechenland zurück-
kommen. Deswegen muss für diese Bundesregierung,
die diese Debatte befeuert hat, klar sein: Grexit isch
over. Griechenland bleibt im Euro-Raum – Punkt. Das
muss jetzt die klare Linie der Bundesregierung sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Leider haben das viele in der Union noch nicht ver-
standen. Deswegen ist Herr Kauder auch so nervös.
Viele wollen weiterhin den Grexit. Christian von Stetten
schlägt einen eigenen Untersuchungsausschuss vor – ge-
gen die eigene Regierung wohlgemerkt.


(Widerspruch des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU])


Volker Kauder hat die Mitglieder seiner eigenen Frak-
tion bedroht. All das hat nichts genützt. Es gibt weiterhin
rund 60 Abweichler. Man muss klar sehen: In der Union
brennt die Hütte. Diese 60 Abweichler sind ein klares
Misstrauensvotum, nicht nur gegen Volker Kauder, son-
dern auch gegen Angela Merkel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Heilsbringer soll jetzt der IWF sein. Ich finde, da
hat man sich den falschen Propheten ausgesucht.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11473


(A) (C)



(D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811802200

Herr Kollege Kindler, darf der Kollege von Stetten,

der sich offenkundig persönlich angesprochen fühlt, eine
Zwischenbemerkung machen?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811802300

Bitte.


Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1811802400

Herr Kollege, Sie haben gerade behauptet, dass ich ei-

nen Untersuchungsausschuss gefordert hätte. Ich weiß
nicht, wie Sie darauf kommen. Ich kann Ihnen mitteilen
– ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen –, dass ich
gefragt worden bin, warum ich die rechtlichen Fragen
jetzt gelöst haben möchte, und dass ich darauf geantwor-
tet habe: Wir müssen sie heute lösen, weil ich nicht in ei-
nigen Jahren vor einem Untersuchungsausschuss unan-
genehme Fragen gestellt bekommen möchte. Ich habe
mit keinem Wort einen Untersuchungsausschuss gefor-
dert und werde auch der Einsetzung eines solchen Aus-
schusses nicht zustimmen. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis
zu nehmen.

Herzlichen Dank.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an den Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] gewandt: Das haben Sie wieder falsch gelesen!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege von Stetten, es ist ziemlich interessant,
dass Sie jetzt deutlich zurückrudern. Aber warum haben
Sie diese Bemerkung eigentlich gemacht? Sie haben das
Wort „Untersuchungsausschuss“ in die Medien gebracht
und klargemacht, dass Sie deutliche Zweifel an Ihrer ei-
genen Regierung bzw. Ihrer eigenen Fraktion haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Rund 60 Abgeordnete haben es ebenso gemacht.

Laut Handelsblatt sind 15 Abgeordnete nicht aus ih-
rem Urlaub zurückgekehrt, weil sie heute nicht mit Nein
stimmen wollten, weil sie anscheinend Angst vor Herrn
Kauder und davor haben, dass sie aus den Ausschüssen
entfernt werden. Sie haben gestern nur eine Stunde dis-
kutiert, obwohl Sie so viele Fragen haben.


(Widerspruch der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU])


Deshalb frage ich Sie: Wie nehmen Sie Ihre Verantwor-
tung als frei gewählter Abgeordneter in der Unionsfrak-
tion wahr? Wo machen Sie dort klar, welche Position Sie
haben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die letzte Klammer, die Sie, Herr von Stetten, und die
anderen Abweichler mit der gesamten Unionsfraktion
verbindet, ist der Internationale Währungsfonds. Das
Problem ist aber, dass Sie sich einen falschen Heilsbrin-
ger und Propheten ausgesucht haben. Man kann nicht
den Internationalen Währungsfonds weiter an Bord hal-
ten und gleichzeitig seine Botschaft, die richtige Analyse
zur Schuldentragfähigkeit und zur Schuldenerleichte-
rung, ablehnen. Das macht doch keinen Sinn. Das ist wi-
dersprüchlich und peinlich. Es versteht keiner draußen
im Land, warum Sie den Internationalen Währungsfonds
weiter dabeihaben wollen, aber gegen Schuldenerleich-
terungen sind. Diese Position müssen Sie in der Union
klären und sich klar dazu bekennen, dass es bei dem Pro-
gramm Schuldenerleichterungen braucht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Schuldenerleichterung wird sowieso kommen,
mit oder ohne IWF. Das ist jedem klar. Denn eine Ver-
schuldung von 200 Prozent des BIP im nächsten Jahr
nach den Prognosen ist nicht tragfähig. Aus unserer
Sicht wäre es allerdings besser, wenn man das ohne den
IWF macht, weil Europa das Problem alleine lösen kann.
Der IWF sieht höhere Zinsen und geringere Laufzeiten
vor. Damit erhöhen sich die Kreditkonditionen für Grie-
chenland, und die Umschuldung wird erschwert.

Deswegen sagen wir: Wir Grünen glauben an Europa.
Wir glauben, dass der ESM das alleine schaffen kann. Er
hat das notwendige Volumen. Griechenland braucht
zwar eine Schuldenerleichterung, aber lieber ohne den
IWF. Das wäre die bessere Antwort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, gerade in Deutschland muss man verstehen,
dass Schuldenerleichterungen besonders wichtig sind,
damit ein Land und seine Gesellschaft wieder auf die
Beine kommen. Natürlich haben die griechischen Regie-
rungen in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Das
ist völlig unbestritten. Sie haben sich überschuldet und
müssen jetzt Reformen durchführen. Aber das, was die
griechische Regierung gemacht hat, ist nichts im Ver-
gleich zu dem, was Deutschland im letzten Jahrhundert
verbrochen hat, und trotzdem hat es massive Schulden-
schnitte und Schuldenerleichterungen gewährt bekom-
men.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Warum schreien Sie bei der Union? Man muss doch
einmal auf die historische Wahrheit hinweisen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deutschland hat den Vernichtungskrieg angefangen und
die Schoah, die Ermordung der europäischen Juden, zu
verantworten, und trotzdem haben wenige Jahre danach
die Gläubiger, die Länder, denen Deutschland viel Leid
– schreckliches Leid – und Blut gebracht hat, diesem
Land eine große Schuldenerleichterung gewährt, auch
Griechenland übrigens. Deswegen muss man auch auf-
grund der historischen Erfahrung und der historischen
Verantwortung jetzt für eine Schuldenerleichterung für
Griechenland sein. Das ist unsere Aufgabe.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


(B)


11474 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811802500

Herr Kollege Kindler, lassen Sie noch eine Zwischen-

frage des Kollegen Nüßlein zu?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerne.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1811802600

Herr Kollege Kindler, vielen Dank. – Sie reden viel

über Fehler und Verantwortung, im Übrigen auch in his-
torischen Zusammenhängen, die ich persönlich an der
Stelle so nicht sehen möchte.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es aber! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der LINKEN)


Ich möchte Sie aber fragen: Wenn Sie über Fehler und
Verantwortung sprechen, würden Sie dann bitte auch
einräumen, dass Griechenland ohne den großen Fehler
der damaligen rot-grünen Bundesregierung gar nicht den
Euro hätte?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Würden Sie bitte dazu einmal Ausführungen machen?
Im Übrigen ist die Aufnahme damals wider besseres
Wissen erfolgt. Ich habe das in diesem Hause schon ein-
mal formuliert.

Im Jahr 2000 hat der Abgeordnete Dr. Gerd Müller,
heute Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, ganz
klar gesagt: Herr Eichel, das war ein schwerer Fehler,
die Griechen in die Euro-Zone aufzunehmen. Die Zahlen
sind gefälscht. – Das belegt, dass immerhin der Abge-
ordnete das damals gewusst hat. Die damalige Bundesre-
gierung will es nicht gewusst haben. Aber wenn Sie über
Fehler und Verantwortung sprechen, dann sollten Sie
auch etwas dazu sagen, dass die rot-grüne Bundesregie-
rung damals den Fehler gemacht hat,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja jetzt ein großartiger Beitrag!)


Griechenland gegen besseres Wissen und trotz der schon
damals fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in
die Euro-Zone aufzunehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erst einmal will ich antworten, dass ich es unglaub-
lich finde, dass Sie die historische Verantwortung
Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg und die Schoah
hier in Abrede stellen wollten und bestreiten, dass es da-
nach einen klaren Schuldenerlass gab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Sie können das gerne im Protokoll nachlesen.


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung!)


Sie haben gesagt, Sie sähen die historischen Zusammen-
hänge anders.


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Ganz schwach! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Zu dem zweiten Punkt, den Sie angeführt haben: Man
muss doch einfach klarmachen, dass es keine Entschei-
dung alleine Deutschlands war,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Unglaublich!)


sondern eine Entscheidung der Europäischen Union, der
europäischen Verantwortungsträger, Griechenland in die
Euro-Zone aufzunehmen. Natürlich wissen wir heute,
dass es damals auch falsche Zahlen gab. Aber es ist doch
klar, dass es keine Entscheidung alleine Deutschlands
war, sondern aller europäischen Verantwortungsträger,
das zu machen. Anscheinend sind Sie in der Union im-
mer noch der Meinung, dass Griechenland nicht in der
Euro-Zone sein sollte. Das ist der fundamentale Unter-
schied zu uns. Wir sind der Meinung, dass Griechenland
in der Euro-Zone bleiben sollte und zur Euro-Zone ge-
hört, weil Griechenland zu Europa gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das Paket, über das wir heute abstimmen und dem
wir Grüne mit großer Mehrheit zustimmen werden, ent-
hält Licht und Schatten. Das muss man, glaube ich, zum
Ende sagen. Zum Licht gehören die Strukturreformen im
Justizbereich und der Kampf gegen die Korruption in der
Steuerverwaltung. Das sind Reformen, die notwendig
sind und die wir als Grüne lange gefordert haben.

Aber es gibt auch Schattenseiten. Gerade die zu gerin-
gen Investitionen sind ein großes Manko in diesem Pa-
ket. Das liegt auch daran, dass die Fehler der Vergangen-
heit mit einer prozyklischen Haushaltspolitik wiederholt
werden. In der Rezession, die Griechenland droht, soll
weiter gekürzt werden. Damit werden wir negative
Wachstumseffekte in Griechenland haben, damit werden
mehr Menschen arbeitslos werden, und damit werden zu
wenige Investitionen nach Griechenland kommen.

Deswegen fordern wir auch, dass das Programm über-
prüft wird – es sind Überprüfungen vorgesehen –, und
wir wollen, dass die Politik des Kaputtsparens, die ge-
scheitert ist, überwunden wird und dass Griechenland
jetzt endlich ein Programm bekommt, das ihm Luft zum
Atmen lässt, ein echtes Investitionsprogramm, damit die
Wirtschaft wieder auf die Beine und das Land wirklich
aus der Krise kommt. Darum muss es jetzt gehen. Des-
wegen werden wir heute dem Programm zustimmen.
Wir werden es aber auch weiter kritisch begleiten und
Veränderungen einfordern.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11475


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811802700

Das Wort erteile ich nun dem Kollegen Norbert

Spinrath für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1811802800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! In diesen Tagen haben
viele von uns zahlreiche wütende, teils aufgebrachte E-
Mails oder Briefe von Bürgerinnen und Bürgern anläss-
lich unserer heutigen Debatte erreicht. Es war immer der
gleiche Tenor: Griechenland sei ein Fass ohne Boden, in
dem die europäischen Gelder seit Jahren wirkungslos
versickerten.


(Beifall des Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/ CSU])


Dieses beliebte Sprachbild von all denen, die weitere
Hilfen für Griechenland ablehnen, ist schlichtweg falsch.
Es zeigt aber eines: Es gibt eine hohe Verunsicherung
und einen großen Vertrauensverlust auf allen Seiten.
Richtig bleibt aber, dass Griechenland in den nächsten
drei Jahren bis zu 86 Milliarden Euro an ESM-Finanz-
hilfen erhalten soll. Dieses Geld versickert aber keines-
wegs im Nirgendwo, sondern es fließt in ein ambitio-
niertes Reform- und Sparprogramm.

Das uns heute zur Bewertung vorgelegte MoU enthält
erstmals ein sozialverträgliches Reformpaket, verbunden
mit einem engmaschigen Korsett aus Konditionen und
Überprüfungsmechanismen. Es ist das klarste, es ist das
realistischste Programm der letzten Jahre.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es bietet nun endlich die Chance, Griechenland zu mo-
dernisieren. Es bietet die Chance, eine leistungsfähige
Verwaltung aufzubauen, eine leistungsfähige Rentenver-
sicherung aufzubauen, eine leistungsfähige soziale Si-
cherung aufzubauen, eine leistungsfähige Gesundheits-
vorsorge aufzubauen, und es gibt dem Land die Chance,
sich zu befähigen, sich selbst – mit der Unterstützung
durch EU-Investitionsprogramme – wieder auf den Pfad
von Wachstum und Beschäftigung zu führen. Es bietet
aber auch die Chance, die schlimmsten sozialen Verwer-
fungen der letzten Jahre umzukehren oder zumindest
deutlich zu lindern.

Es bietet die Chance auf Wachstum in Griechenland,
und das ist es, was das Land braucht. Ohne wirtschaftli-
che Entwicklung, ohne Wachstum ist jede Schuldentrag-
fähigkeitsdiskussion hinfällig.

Es gilt jetzt, diese Chancen zu nutzen. Das gilt für die
Menschen in Griechenland, aber auch für Europa. Des-
halb, liebe Kolleginnen und Kollegen, werde ich diesem
Programm zustimmen. Es muss endlich Schluss sein mit
der unsäglichen Grexit-Debatte, die insbesondere das
Vertrauen zwischen allen Verhandlungspartnern nach-
haltig gestört hat, die aber auch zur Verunsicherung in
der Öffentlichkeit und zu diesen E-Mails und Briefen ge-
führt hat.
Meine Überzeugung ist, dass wir gut daran tun, euro-
papolitisch Konsequenzen aus diesem Vorgang zu zie-
hen. Deutschland darf keine Zweifel mehr aufkommen
lassen, dass die europäische Integration, ihre Wahrung
und Vertiefung, nicht nur Staatsziel ist, sondern immer
und überall auch Grundlage unseres Handelns ist und
bleiben muss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen die Zweifel an der Zuverlässigkeit, die
zum Teil der EU entgegengebracht werden, ernst neh-
men. Wir müssen durch konsequente Weiterentwicklung
diese Zweifel entkräften. Dazu, liebe Kolleginnen und
Kollegen, bedarf es einer Weiterentwicklung der Wirt-
schafts- und Währungsunion, wie sie die Wirtschafts-
minister Deutschlands und Frankreichs, Gabriel und
Macron, und sehr ähnlich auch die Präsidenten der fünf
EU-Institutionen beschrieben haben. Auf Dauer bedarf
es eben auch eines echten europäischen Währungsfonds,
der hinreichend stark ist, europäische Probleme ab-
schließend auch in Europa zu lösen.


(Beifall bei der SPD)


Auch wenn wir für die heutige Debatte unseren Ur-
laub unterbrechen mussten, bin ich froh, dass wir heute
in dieser Sondersitzung über das dritte Rettungspaket de-
battieren. Dass es jetzt zu einem schnellen und positiven
Ergebnis gekommen ist, war keineswegs selbstverständ-
lich. Die EU-Institutionen und die griechische Regie-
rung haben in den letzten Wochen ruhig, besonnen, mit
hoher Kompetenz und sehr erfolgsorientiert verhandelt.
Das ist zum Erfolg geworden. Es zeigt aber auch, dass
Europa nur durch solidarisches und geschlossenes Han-
deln die aktuelle Krise bewältigen kann. Dieser Weg
wird kein leichter sein. Griechenland steht vor einer gro-
ßen Herausforderung, die Reformen eben nicht nur als
Gesetze durch das Parlament zu bringen, sondern sie tat-
sächlich auch umzusetzen.

In dem Zusammenhang, Frau Lötzsch: Natürlich war
es ein zentrales Wahlversprechen von Herrn Tsipras,
Steuern einzutreiben. Warum haben sie es denn nicht ge-
macht?


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)


Sie hatten doch sechs Monate lang Zeit dazu.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sie wissen doch genau, dass das unterbunden wurde!)


Nun aber sollten wir auch einmal expressis verbis an-
erkennen, dass das griechische Parlament bereits 40 der
im MoU vereinbarten Maßnahmen beschlossen hat. Die
übrigen 17 sollen bis zum Oktober verabschiedet wer-
den. Es braucht einen langen Atem, bis sich die neue
Handschrift im MoU, die auch eine soziale ist, in der
Realität durchsetzt.

Es zeigt sich aber auch, dass die griechische Regie-
rung Vertrauen schaffen und die positive Dynamik für
sich nutzen muss – gegenüber seinen Bürgerinnen und

11476 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Norbert Spinrath


(A) (C)



(D)(B)

Bürgern, gegenüber Europa. Griechenland muss neue
Strukturen schaffen, muss dabei Misstrauen aufgeben
und Unterstützungsangebote annehmen. Investitionsmit-
tel aus dem MFR und aus dem Juncker-Plan müssen
sinnvoll genutzt werden, und die Wirtschaft in Griechen-
land muss angekurbelt werden, weg ausschließlich vom
Import hin zu einer exportorientierten Wirtschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb komme ich
zu dem Fazit: Das Bild von Griechenland als Fass ohne
Boden taugt nicht dazu, die Situation zutreffend zu be-
schreiben. Griechenland wird in den kommenden Jahren
harte und tiefe Einschnitte in seinen Strukturen und bei
seiner Verwaltung vornehmen müssen, um das ambitio-
nierte Reformkonzept umzusetzen und soziale und wirt-
schaftliche Stabilität zu erreichen. Am Ende gilt aber
dann trotzdem: Manchmal braucht es eben einen langen
Atem, um angestrebte Ziele zu erreichen, oder – um im
Bild zu bleiben –: Das Fass hat einen Boden in einem so-
lidarischen, in einem sozialen Europa.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811802900

Manuel Sarrazin ist der nächste Redner für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt dürfen die Grünen klatschen!)



Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811803000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Frau Merkel, ich habe einen Vorschlag für Sie: Wir ha-
ben ja gelernt, dass es vor dem Hintergrund des Pro-
blems in Ihrer Fraktion mit den 56 Kollegen, die nicht
genau wissen, wie sie abstimmen sollen, für Sie eigent-
lich am besten wäre, wenn Griechenland eine Erfolgsge-
schichte schriebe, wenn es jetzt bergauf ginge, wenn es
Wachstum gäbe und man wieder sagen könnte: Es klappt
doch und alles läuft.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat sie doch gesagt! – Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Ist doch klar!)


Dann würden vielleicht auch die 56 Kollegen zu der Ein-
sicht kommen, dass man tatsächlich etwas für Griechen-
land tun sollte und der Grexit eine blöde Idee ist. Viel-
leicht ist bei dem Punkt dann sogar noch ein 57. Kollege
dabei. Dazu sage ich gleich noch etwas.

Ich würde Ihnen vorschlagen: Geben Sie Griechen-
land mehr Möglichkeiten für Investitionen und wirklich
essenzielle Schuldenerleichterungen im Oktober, um den
positiven Weg von Herrn Tsipras, den er jetzt beschrei-
ten kann, abzustützen und um Ihre eigene Regierung in
diesem Land zu retten. Das wäre mein Vorschlag für Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben heute etwas Bemerkenswertes erlebt.
Wenn man sich die Reden angehört hat, die heute ge-
halten wurden – von Herrn Schäuble, von Herrn
Oppermann –, dann stellt man fest: Da fehlte eine Ton-
lage, die in den letzten Monaten so viel zwischen
Deutschland und Griechenland kaputt gemacht hat. Wie
kam das eigentlich? Herr Schäuble, Sie haben heute
extrem rational den Inhalt dieses Pakets vorgetragen, der
Licht und Schatten hat, der aber meiner Ansicht nach
nicht so schlecht ist wie der Deal im Juli; ich glaube, das
sehen Sie vielleicht anders.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das war kein Deal! Wir haben doch nur gesagt, wir nehmen Verhandlungen auf!)


Ich glaube, die Essenz Ihrer ruhigen und sachlichen
Rede war, dass Sie sich mit Ihren Vorstellungen eines
zeitweiligen Grexits nicht durchsetzen konnten. Das
analysiert man auch in dem Punkt, dass Sie sich schwer-
getan haben. Warum haben Sie sich mit diesem Deal
denn so schwergetan, wenn er offenkundig zumindest
besser ist als die alten Programme? Weil Sie sich mit
Ihren eigenen Vorstellungen, Griechenland herauszu-
drängen, bei diesem Deal nicht durchsetzen konnten,
und das muss festgehalten werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben auch gesagt: Ein starkes Europa geht über
Verlässlichkeit. – Wenn wir diesen Streit über den Grexit
sozusagen einmal zur Seite packen und sagen, da haben
die Grünen gegen Schäuble gewonnen – man kann es
auch anders diskutieren: vielleicht Merkel gegen
Schäuble oder so –, und wir Ihren Punkt aufgreifen, ein
starkes Europa braucht Verlässlichkeit, dann stimme ich
Ihnen zu,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Da sehe ich keinen roten Faden!)


möchte Ihnen aber sagen: Ich erwarte von dieser Bun-
desregierung Verlässlichkeit, dass das Thema Grexit
damit jetzt auch vom Tisch ist, denn Griechenland
braucht politische Stabilität. Da ist es auch unsere Auf-
gabe, dafür zu sorgen, dass das nicht wieder passiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die letzten Wochen haben uns doch gezeigt, dass Eu-
ropa anders agieren kann als in diesem Kampf nationaler
Interessen,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Dass Tsipras die Unsicherheit gebracht hat!)


die auf Gipfeln in einem großen Showdown aufeinander-
krachen und wo es dann Gewinner und Verlierer für die
Debatten zu Hause braucht. Das zeigt, dass, wenn man
Vertrauen in europäische Institutionen und in gemein-
same Verhandlungserfolge hat, man dann auch etwas
erreichen kann, was die Menschen in verschiedenen
Öffentlichkeiten nicht gegeneinander aufbringt. Deswe-
gen müssen wir jetzt endlich die Frage der demokrati-
schen Integration in Europa angehen und die Institutio-
nen, die Europa zusammenführen können – wie das
Europäische Parlament, die Europäische Kommission –,
stärken, damit sie auch in solchen Krisenfragen mehr
Einfluss haben und mehr zu konstruktiven, positiven,
immer noch nicht perfekten, aber besseren Lösungen als
vorher beitragen können.

Danke.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11477

Manuel Sarrazin


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811803100

Das Wort erhält nun der Kollege Ralph Brinkhaus für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1811803200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Sarrazin, ich finde es rührend, wie Sie um unsere Regie-
rung besorgt sind. Wahrscheinlich ist das die Angst da-
vor, irgendwann einmal selbst Regierungsverantwortung
zu bekommen; denn die Beiträge der Grünen waren
nicht dazu angetan, Hoffnung zu machen, dass das dann
vernünftig läuft.

Meine Damen und Herren, wir können uns hier treff-
lich darüber streiten, was der richtige Weg für Griechen-
land ist; darüber ist in verschiedenen Debattenbeiträgen
gesprochen worden. Es war nicht alles richtig, aber Herr
Gysi hat einen richtigen Satz gesagt; ich gebe das mal
sinngemäß wieder. Herr Gysi, Sie haben gesagt, wenn
wir die Probleme nicht vor Ort lösen, dann kommen die
Probleme zu uns. Das sehen wir momentan auf ganz
verschiedenen Politikfeldern, ob das die Flüchtlinge
sind, die zu uns kommen, oder ob das Sicherheitspro-
bleme oder sonstige Probleme sind. Deswegen scheidet
bei dieser ganzen Beschäftigung mit dem Komplex Grie-
chenland eine Sache aus: dass wir Griechenland hängen
lassen und wir Griechenland sich selbst überlassen. Ich
glaube, das ist auch Konsens in diesem Haus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Wenn das ausscheidet, dann hat man drei Optionen,
wie man mit Griechenland und seiner Bevölkerung um-
geht. Die erste Option ist: Wir helfen ihnen, nachdem sie
insolvent bzw. in den Bankrott gegangen sind. Zweite
Option: Wir helfen ihnen außerhalb des Euros. Dritte
Option: Wir helfen ihnen innerhalb des Euros.

Es ist so, dass wir uns in der gesamten europäischen
Rettungspolitik dafür entschieden haben, dass es zu-
nächst besser ist, innerhalb des Euros zu helfen. Wir
waren, meine Damen und Herren, darin gar nicht so un-
erfolgreich: bei Spanien, bei Portugal, bei Irland, bei
Zypern und – der Bundesfinanzminister hat es angespro-
chen – bis zum Dezember letzten Jahres auch bei
Griechenland. Die griechische Regierung hat in den letz-
ten Monaten nicht viel Anlass gegeben, um Vertrauen
aufzubauen. Das ist richtig. Das ist überhaupt keine
Frage. Nichtsdestotrotz müssen wir sehen, dass nach
dem Referendum zumindest beim Finanzminister, aber
auch bei dem Ministerpräsidenten eine Verhaltensände-
rung eingesetzt hat. Deswegen kann ich nur nachhaltig
dafür werben, dass wir versuchen, Griechenland inner-
halb des Euro zu helfen. Das Paket, das uns heute vor-
liegt, ist so ausgerichtet, dass wir das schaffen können,
wenn die Griechen mitspielen. Das Paket besteht aus
zwei Teilen.
Der eine Teil ist, dass es netto rund 86 Milliarden
Euro Hilfen für Griechenland gibt, die sich wie folgt zu-
sammensetzen – auch das muss an dieser Stelle einmal
gesagt werden –: 37 Milliarden Euro zur Bedienung der
Altschulden, das heißt, es ist eine Umschuldung, 17 Mil-
liarden Euro für Zinsen auf diese Altschulden. Weiter
geht es um 7 Milliarden Euro für Rechnungen, die die
griechischen Behörden bisher nicht bezahlt haben und
damit unter anderem den griechischen Mittelstand
schwer geschädigt haben. Es geht um die Handkasse
– das sind auch noch einmal 7 Milliarden Euro –, die je-
des Land braucht, um bestehen zu können. Und, Herr
Gysi, es geht um bis zu 25 Milliarden Euro für die Ban-
ken. Ja, 25 Milliarden Euro für die Banken. Wir sind,
meine Damen und Herren, in den letzten fünf Jahren
sehr dafür kritisiert worden, dass wir angeblich die Ban-
ken gerettet haben. Manchmal ist es schwierig, Dinge zu
erklären, aber manchmal kapiert auch eine linke Partei
wie Syriza – wenn der Crash da ist –, was es bedeutet,
wenn man nicht vorausschauend gehandelt hat. Der
Crash war da: Die Banken haben in Griechenland zuge-
macht, die Menschen konnten kein Geld mehr aus den
Geldautomaten bekommen, die Unternehmen konnten
weder im Inland noch im Ausland überweisen. Man hat
gesehen, dass Banken mehr sind als Aktionäre, als Gläu-
biger und Einleger. Banken sind Infrastruktur. Banken
sind die Straßen, die man braucht, damit eine Wirtschaft
bestehen kann. Deshalb ist es wichtig – ob es uns gefällt
oder nicht –, dass wir an dieser Stelle mit den 25 Milliar-
den Euro – vielleicht wird es weniger – die Banken stüt-
zen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der zweite Teil des Paketes ist ein sehr ambitioniertes
Reformprogramm. Es ist schon in verschiedenen Reden
darauf hingewiesen worden. Es geht um das Steuer-
system, um das Sozialversicherungssystem, um das
Gesundheitssystem, um ausgeglichene Haushalte, um
Institutionen, die besser funktionieren sollen, um Kor-
ruptionsbekämpfung, um die Öffnung von Arbeitsmärk-
ten und von Produktmärkten. Ich denke, dass wir alle der
Meinung sind, dass dieses Paket, wenn es tatsächlich
umgesetzt wird, dazu geeignet ist, Griechenland wirklich
zu helfen.

Ich will das einmal erläutern. Wenn ich einen Staat zu
sanieren hätte, dann würde ich Folgendes machen: Ich
würde kurzfristige Reformen auf den Weg bringen, die
mir Geld bringen, damit ich handeln kann. Das ist in die-
sem Paket enthalten. Ich würde langfristige Reformen
auf den Weg bringen, damit ich wieder ein Geschäfts-
modell habe, also Verbesserung der Verwaltung, Verbes-
serung der Investitionen, Wirtschaftsförderung. Das ist
in diesem Paket enthalten. Ich würde das Zahlungssys-
tem, das Bankensystem stabilisieren, weil sonst kein
Staat leben kann. Das ist in diesem Paket enthalten. Ich
würde mir die Zeit erkaufen – auch das ist richtig –, um
mir die Gläubiger vom Hals zu halten, damit ich alles
umsetzen kann. Ich würde noch etwas Viertes machen –
darüber stimmen wir heute nicht ab, aber es gehört auch
dazu –: Ich würde Investitionen auf den Weg bringen.

11478 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)

Wir haben über 30 Milliarden Euro europäische Mit-
tel, die nur darauf warten, von Griechenland abgerufen
zu werden für Investitionen unter anderem im Kampf
gegen die Langzeitarbeitslosigkeit. Insofern ist dieses
Paket ein gutes Paket,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


wenn es denn umgesetzt wird. Da haben wir natürlich
Zweifel: Wird es denn umgesetzt? Ist die Regierung in
Griechenland so stabil, dass sie die Mehrheit hat, dass
sie auch den Willen hat, das Ganze umzusetzen, wenn es
unterschrieben ist und wenn die erste Tranche geflossen
ist? Die Bundesregierung hat hier Folgendes gesagt:
Leistung nur gegen Gegenleistung. Deswegen ist es auch
so wichtig, dass, bevor die erste Tranche gezahlt wird –
der Kollege Spinrath hat darauf hingewiesen, über
50 Maßnahmen sind im Rahmen der Prior Actions vom
griechischen Parlament schon umgesetzt worden; noch
nicht in der Praxis, auch das gehört zur Wahrheit –, das
Prinzip „Leistung gegen Gegenleistung“ als essenzieller
Bestandteil dieses Paketes sichergestellt ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir
lassen uns gerne von Ihnen beschimpfen, wenn wir sa-
gen: Wir haben an dieser Stelle zu hart verhandelt. Ich
glaube, das ist wichtig, damit dieses Paket erfolgreich
ist.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, sinnvoll zu verhandeln und zu sinnvollen Ergebnissen zu kommen!)


Insofern ist es auch uns zu verdanken, dass es so ist, wie
es ist.

Trotzdem, meine Damen und Herren, bleiben immer
noch Restzweifel: Wird das Ganze Erfolg haben, oder
wird es keinen Erfolg haben? Diesen Restzweifel kann
ich Ihnen nicht nehmen. Auch ich weiß nicht, was im
Herbst passiert. Ich weiß nicht, ob wir hier irgendwann
wieder stehen und sagen, wir brauchen ein viertes Paket,
ob der IWF sagt, dass es soundso nicht geht, oder ob
eine griechische Regierung eine Reform doch nicht um-
setzt. Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist ein langsa-
mer, mühsamer Prozess. Wir haben in der Politik immer
gerne die Schwarz-Weiß-Lösung, bei der man sagt: Jetzt
machen wir etwas, und das funktioniert. Aber das wird
auf europäischer Ebene nie funktionieren. Deswegen ist
es ein mühsamer Prozess, der vor uns steht. Aber ich
glaube, dass es sich am Ende des Tages lohnt, sich auf
diesen Prozess einzulassen und unsere Kraft in diesen
Prozess zu investieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen an dieser Stelle vielleicht aber auch etwas
selbstkritisch zurückblicken, und zwar insofern, dass es
nicht von ungefähr gekommen ist, dass man im Januar in
Griechenland eine Regierung gewählt hat, die nach un-
seren Maßstäben absurd war und damals auch absurd ge-
handelt hat. Wir müssen selbstkritisch eines sehen: Man
kann den Menschen in einem Land nicht nur sagen: „Ihr
müsst fünf Jahre lang reformieren!“. Es war zwar total
richtig, Reformen einzufordern, weil Griechenland von
einem ganz schlimmen Ausgangspunkt kam. Aber die
Menschen in Griechenland, die im Übrigen nie das Ge-
fühl hatten, dass sie dort ein falsches Leben gelebt hätten
oder alles nicht richtig gewesen wäre, sahen zu Beginn
dieser fünf Jahre kein Licht am Ende des Tunnels; sie sa-
hen nicht, dass sich irgendetwas verbessert. Man muss
auch irgendwie dafür sorgen, dass es kurzfristige Erfolge
gibt. Deswegen ist es wichtig – Kollege Oppermann hat
es angesprochen –, dass in diesem Paket auch Aussagen
zu Mindestlöhnen und zur sozialen Stabilität getroffen
werden. Wir müssen bei allen Paketen, die wir zukünftig
auf den Weg bringen, mehr daran denken; denn wir dür-
fen die Menschen in dem Land, in dem die Reformen
stattfinden, nicht verlieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich die ganze Sache zusammenfasse, dann sage
ich flapsig – erste Bemerkung –: Griechenland bleibt so
oder so auf unserem Deckel. Zweite Bemerkung: Dieses
Reformpaket ist gut angelegt, auch angesichts der Tatsa-
che, dass wir Griechenland Zeit geben. Dass die Gläubi-
ger das Land nicht angreifen können oder nichts gegen
das Land machen können, ist richtig. Wenn das Paket
denn vernünftig umgesetzt wird. Das ist die Frage, die
niemand klären kann.

Es ist so, dass wir wirklich hart verhandelt haben. Es
ist auch so – das gilt zumindest für die Union –, dass das
Paket, wenn wir es alleine hätten backen können, sicher-
lich an der einen oder anderen Stelle schärfer oder
anders gewesen wäre, dass die Ziele verbindlicher gewe-
sen wären, dass die Zeitpläne ehrgeiziger gewesen wä-
ren. Das ist überhaupt keine Frage. Aber eines ist auch
richtig: Wir sind 19 Länder in der Euro-Zone. Bei
19 Ländern kann man nicht sagen, dass alles so ticken
und laufen muss, wie es in Deutschland für richtig erach-
tet wird. Da muss man Kompromisse eingehen. Ich
glaube, wir als Deutsche sind in einer ganz besonderen
Verantwortung, diese Kompromisse zu organisieren. Wir
sind eines der größten und wirtschaftsstärksten Länder in
Europa. Wenn wir diese Kompromisse nicht organisie-
ren, wer soll es dann machen? Wir haben eine Verant-
wortung für dieses Europa.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Weil das so ist, halte ich dieses Paket – bei allen Be-
denken auch von einigen Kolleginnen und Kollegen aus
meiner Fraktion, die ich respektiere und zum Teil sogar
teile – unter dem Strich für nachvollziehbar und für ver-
tretbar und werbe um Ihre Zustimmung.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811803300

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Heinz-

Joachim Barchmann für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11479


(A) (C)



(D)(B)


Heinz-Joachim Barchmann (SPD):
Rede ID: ID1811803400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Über die verschiedenen Inhalte des ESM-Programms für
Griechenland wurde heute schon in aller Breite disku-
tiert. Es ist viel über die zahlreichen Maßnahmen ge-
sprochen worden, die Griechenland in den kommenden
drei Jahren umsetzen muss, als Gegenleistung für die
Finanzmittel von bis zu 86 Milliarden Euro. Als Bericht-
erstatter der SPD-Fraktion für Griechenland im Europa-
ausschuss möchte ich hier nicht noch einmal auf die
Zahlen eingehen, die mit dem Programm zusammenhän-
gen, obwohl sie sehr wichtig sind. Ich möchte stattdes-
sen auf Punkte eingehen, die mir zum einen als Sozial-
demokrat und alter Gewerkschafter wichtig sind und mir
zum anderen als einfacher, normaler europäischer Bür-
ger am Herzen liegen.

Aus sozialdemokratischer Sicht möchte ich hier noch
einmal deutlich machen, dass wir das Programm, wie es
jetzt ausgehandelt wurde, als deutlich ausgereifter anse-
hen können als frühere Vorschläge, vor allem deshalb,
weil bei diesem Programm viel stärker auf die sozialen
Auswirkungen der Maßnahmen geachtet wurde, die von
der griechischen Regierung nun umzusetzen sind. Diese
Reformen können die Grundlage für eine vernünftige so-
ziale Basisabsicherung der griechischen Bevölkerung
und auch für einen vernünftigen Zugang der Bevölke-
rung zur Gesundheitsversorgung legen. Die Strukturen,
um diese Grundfunktionen sicherzustellen, werden mit
dem vorliegenden Programm geschaffen. Es geht nicht
mehr nur ums Sparen. Auch die Auswirkungen auf die
Menschen vor Ort werden nun endlich in den Blick ge-
nommen. Dies ist aus meiner Sicht eine klare Abkehr
von der strikten Austeritätspolitik, die über einen viel zu
langen Zeitraum in ganz Europa den Umgang mit der Fi-
nanzkrise beherrscht hat und die auch von der letzten
Bundesregierung mit geprägt wurde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dass es hier nun endlich zu Veränderungen mit einem
viel stärkeren Fokus auf soziale Aspekte gekommen ist,
ist nach meinem Dafürhalten ganz besonders den Stim-
men der deutschen und der europäischen Sozialdemo-
kraten zu verdanken. Dafür haben wir uns seit Jahren
starkgemacht.


(Beifall bei der SPD)


Die Abkehr von einem strikten Sparkurs und das Er-
öffnen von Perspektiven für die griechischen Bürgerin-
nen und Bürger ist der entscheidende Punkt. Mit dem
neuen Programm werden dringend notwendige Struktur-
veränderungen in Gang gesetzt, von denen Griechenland
hoffentlich langfristig profitieren wird. Mit dem Ziel, ef-
fizientere Verwaltungsstrukturen zu schaffen und ein
transparentes, funktionierendes Steuersystem zu etablie-
ren, werden genau die richtigen Akzente gesetzt. Das
Aufbrechen des oligarchischen und teilweise verkruste-
ten Wirtschaftssystems wird zu mehr Berechenbarkeit,
mehr Stabilität, aber auch zu funktionierenden staatli-
chen Strukturen führen, an denen es in der Vergangen-
heit oft gefehlt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nur so können Staatseinnahmen generiert und Investitio-
nen nach Griechenland geholt werden; denn eine politi-
sche und verwaltungstechnische Stabilität ist hierfür not-
wendig. Das kann zum Abbau von Massenarbeitslosigkeit
führen. Ein weiteres großes Problem, was ich dabei sehe,
ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die weiter abgebaut
werden muss, von der heute aber überhaupt noch nicht ge-
sprochen wurde; darauf möchte ich noch einmal beson-
ders hinweisen.


(Beifall bei der SPD)


Als letzten Punkt möchte ich die aktuelle Situation
der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln ansprechen.
Jeder von uns hat mitbekommen, was auf der Insel Kos
los ist. Die Frage der Flüchtlinge im Mittelmeer ist ein
gesamteuropäisches Problem, das von allen gemeinsam
gelöst werden muss. Griechenland ist aufgrund seiner
geografischen Lage besonders davon betroffen. Die Fi-
nanz- und Verwaltungskrise trägt allerdings zu einer
weiteren Verschärfung der Situation bei. Wenn kein Geld
da ist, können Menschen, die vor Krieg und Elend ge-
flüchtet sind, nicht einmal mit dem Lebensnotwendigen
versorgt werden. Hier ist die europäische Solidarität ge-
fragt, und da müssen auch wir in Deutschland uns fra-
gen, ob wir als europäische Bürger an der einen oder an-
deren Stelle nicht noch mehr tun können. Da bitte ich um
Ihre Unterstützung. Ich denke, das ist eine ganz notwen-
dige Sache, bei der wir Griechenland unterstützen müs-
sen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811803500

Michael Stübgen ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1811803600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir hier
vor etwas über vier Wochen – am 17. Juli – eine Sonder-
sitzung hatten, hat mir – ich will es ehrlich zugeben – die
Fantasie gefehlt, mir vorzustellen, dass wir in vier Wo-
chen in der Lage sein würden, über ein Memorandum of
Understanding für Griechenland einschließlich eines
dritten Hilfspakets, das auch nur ansatzweise tragfähig
ist, abzustimmen.

Ich gebe es ehrlich zu: Ich war vor vier Wochen em-
pört darüber, welche europaweite Kampagne gegen Bun-
desfinanzminister Schäuble – auch in Deutschland – lief,
und dies nur deshalb, weil er eine fast triviale Wahrheit
ausgesprochen hat. Er hat nämlich gesagt und argumen-
tiert, dass es, wenn ein Euro-Mitgliedsland – in diesem
Fall Griechenland – fundamental und nachhaltig nicht
bereit sei, die Regeln des Euro-Systems einzuhalten,
wenn es auch nicht bereit sei, und zwar auch noch durch
ein Referendum bestätigt, Reformen vorzunehmen, um
die fiskalische Tragfähigkeit wiederherzustellen, für die-
ses Land keine Zukunft in der Euro-Zone geben werde.

11480 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Michael Stübgen


(A) (C)



(D)(B)

Er hat niemals gesagt, dass dieses Land rausgeworfen
werden soll. Im Übrigen haben 15 der 19 Finanzminister
der Euro-Gruppe dies genauso gesehen und sich dement-
sprechend artikuliert. Ich werfe niemandem vor, dass er
eine andere Meinung hat und sie artikuliert. Nur die Art
und Weise dieser Kritik, die darauf abzielte, die persönli-
che Integrität des Andersdenkenden zu verletzen, hielt
ich für absolut inakzeptabel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])


Außerdem war ich bestürzt über die in den Medien
kursierenden öffentlichen Äußerungen von Regierungs-
vertretern aus Italien und Frankreich, gezielt gegen die
deutsche Bundesregierung gerichtet und in einem Ton
und in einer Art und Weise, von der ich hoffte, dass wir
sie in der Europäischen Union nicht haben. Hinzu kam,
dass sich wenige Tage zuvor eine klare Mehrheit der
griechischen Bevölkerung in einem Referendum dafür
ausgesprochen hat, dass sie nicht bereit ist, Reformen
zur Wiedererlangung der fiskalischen Tragfähigkeit um-
zusetzen. Vor diesem Hintergrund hatte ich Schwierig-
keiten, mir vorzustellen, was uns heute zur Abstimmung
vorgelegt wird.

Ich will jetzt aufhören, Ihnen weiter über meine Ge-
mütszustände zu berichten. Ich wollte nur sagen: Es war
auch für mich ein sehr langer Weg vom 17. Juli bis
heute. Heute stehe ich hier und werbe voller innerer
Überzeugung dafür, dass Sie diesem Memorandum of
Understanding und dem dritten Hilfspaket für Griechen-
land zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich will das an einzelnen Beispielen deutlich ma-
chen. Ich kenne alle Memorandums of Understanding,
die die Euro-Gruppe und Griechenland beschlossen ha-
ben. Das erste Memorandum aus dem Jahr 2010 hat
sich sehr stark dadurch ausgezeichnet, dass wir das
Ausmaß der Krise und die wahre Situation in Griechen-
land maßlos unterschätzt hatten. Das zweite Memoran-
dum Anfang 2012, noch mit Papandreou, wurde nach
dem Sturz des Ministerpräsidenten nicht mehr umge-
setzt. Ende 2012 gab es ein drittes Memorandum of
Understanding – auch dem hat der Bundestag zuge-
stimmt –, das dann umgesetzt wurde, einschließlich ei-
ner deutlich über 50-prozentigen Reduzierung der
Schulden aller privaten Gläubiger.

Ich kann Ihnen sagen: Das Memorandum, das uns
heute zur Beschlussfassung vorliegt, ist nach meiner
Einschätzung das beste, das fundierteste und das eng-
maschigste, das es bisher gab. Es zeigt auch sehr deut-
lich, dass die Euro-Gruppe aus den Fehlern der letzten
Jahre gelernt hat. Ich möchte drei für mich ganz wesent-
liche Punkte dieses Memorandums nennen. Es hat auch
viel mit Fehleinschätzung und Nichtwissen zu tun.

Punkt eins. Höchste Priorität in diesem Memorandum
hat die Unterstützung der sozial Schwächsten in Grie-
chenland. Diese Priorität ist deshalb von so besonderer
Bedeutung, weil es in Griechenland – das können wir
uns in Deutschland gar nicht vorstellen – keine soziale
Grundsicherung gibt. Wenn ein griechischer Arbeitneh-
mer arbeitslos wird, bekommt er für eine befristete Zeit
Übergangsgeld oder Arbeitslosengeld, aber dann be-
kommt er null Leistungen. Ein Arbeitsloser in Griechen-
land steht also sehr bald vor der existenziellen Frage:
Kann ich meine Familie und mich überhaupt noch ernäh-
ren? Wenn ich null Leistungen empfange, kann ich auch
keine Krankenversicherungsbeiträge zahlen, dann er-
halte ich im Krankheitsfall nicht die notwendige Versor-
gung. Dieses Leck gibt es in Griechenland übrigens
schon seit Jahrzehnten, also auch schon vor der Finanz-
krise. Diese Problematik ist im vorliegenden Memoran-
dum of Understanding nun adressiert worden, um Grie-
chenland die entsprechende Hilfestellung für den
notwendigen Umbau zukommen zu lassen. Eine soziale
Grundsicherung zu gewährleisten, halte ich für sehr rich-
tig und für sehr angemessen. Das hat meine volle Unter-
stützung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zum zweiten Punkt. Herr Gysi – ich sehe
ihn nicht mehr –


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Er kommt gleich wieder!)


hat heute – ich habe es erwartet – wieder Krokodilsträ-
nen vergossen und gesagt: Dieses dritte Rettungspro-
gramm beinhaltet zum großen Teil die Refinanzierung
und Bedienung vorhandener Schulden. Herr Gysi, Sie
könnten sich auch darüber beschweren, dass ein Auto
fährt. Aber das Wesen eines Autos ist, zu fahren. Das
Wesen des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanis-
mus, ist ganz eindeutig, einen ungeordneten Staatsbank-
rott zu verhindern. Der passiert nämlich dann, wenn man
den Schuldendienst nicht mehr leisten kann. Ungeordne-
ter Staatsbankrott heißt Zusammenbruch sämtlicher So-
zialleistungen eines Staates – ich will das jetzt gar nicht
weiter ausführen –; aber das sagt Herr Gysi nie dazu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich ist es das Wesen des ESM, dass wir einen
Staatsbankrott in Griechenland verhindern – in anderen
Ländern haben wir das erfolgreich gemacht –, mit dem
Ziel, dass das Land seine fiskalische Stabilität wiederer-
langt.

Der dritte Punkt – auch da fließen Krokodilstränen,
und es wird regelmäßig gesagt –: Es werden ja bis zu
25 Milliarden Euro für die Banken gegeben, nicht für die
Menschen, sondern für die Banken. – Was die Linken in
diesem Zusammenhang niemals sagen, ist, dass bei den
griechischen Banken, die samt und sonders illiquide sind
und kurz vor dem Bankrott stehen, Millionen von klei-
nen Sparkonten von normalen Griechen geführt werden,
von Rentnern, die ein paar Hundert Euro angespart ha-
ben, und von Familien, die vielleicht ein paar Tausend
Euro angespart haben, um sich etwas leisten zu können.
Bei einem ungeordneten Bankrott dieser Banken, bei ei-
nem ungeordneten Staatsbankrott Griechenlands wäre
das alles weg und stünde auf null. Das heißt, Bankenre-
kapitalisierung ist auch eine soziale Aufgabe, die wir er-
füllen müssen. Deshalb stehe ich ausdrücklich hinter der
Bankenrekapitalisierung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11481

Michael Stübgen


(A) (C)



(D)(B)

Lassen Sie mich ein Thema noch nennen, das vor al-
len Dingen in meiner Fraktion in der Debatte eine we-
sentliche Rolle gespielt hat, wie ich glaube, zu Recht. Es
geht um die Schuldentragfähigkeit. Es ist richtig, dass
uns bis jetzt noch keine Schuldentragfähigkeitsbestäti-
gung für dieses Programm durch den IWF vorliegt. Es
ist auch richtig, dass gerade meine Fraktion immer klar
kommuniziert hat, dass das Vorliegen dieser Schulden-
tragfähigkeitsbestätigung für uns eine ganz wesentliche
Voraussetzung ist. Ich will Ihnen sagen, warum ich zu
diesem Zeitpunkt trotzdem zustimme, warum ich das für
ausreichend halte.

Punkt eins. Wir wissen – das ist unter Ökonomen um-
stritten, ein bisschen auch beim IWF –, dass die Betrach-
tung allein des Nominalwerts der Schulden im Verhältnis
zum Bruttoinlandsprodukt nicht die gesamte Vielfalt der
fiskalischen Realität abdeckt. Wenn das stimmte, dürfte
es Japan als Industrienation längst nicht mehr geben.

Punkt zwei. Ich halte die Analyse des ESM für sehr
interessant und lesenswert. Darin wird die Schuldentrag-
fähigkeit an der Bruttofinanzierungsquote festgemacht,
also daran, was ein Land in den nächsten 15 Jahren an
Schuldendienstleistungen im Verhältnis zum Gesamt-
haushalt aufbringen muss. Klar ist, dass in den 2020er-
Jahren, also bis 2030, diese Bruttofinanzierungsquote in
Griechenland unter 15 Prozent liegen wird. Das gilt – das
ist nachgewiesen – allgemein als tragfähig. Insofern ist,
denke ich, heute ein ausreichender Ansatz bei der Schul-
dentragfähigkeit da.

Es bleibt aber dabei – Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen –: Für uns ist
eine aktive Beteiligung des IWF, auch eine finanzielle
Beteiligung, unverzichtbar. In wenigen Wochen werden
wir in diesem Hause darüber diskutieren, wie wir im Ok-
tober zu einer Beteiligung des IWF kommen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch zwei
kurze Sätze zu einem Thema –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811803700

Nein, einer, Herr Stübgen.


Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1811803800

– einer; ich danke für die Großzügigkeit –, das viele

meiner Kollegen umtreibt. Es geht um die Frage: Wie
groß kann eigentlich die Hoffnung sein, dass in Grie-
chenland jetzt alles anders wird, als wir das im letzten
halben Jahr, aber auch in den letzten Jahren erlebt ha-
ben? Ich glaube, es gibt genug Anzeichen dafür, dass es
besser wird. Zum Ersten hat sich die Verhandlungssitua-
tion deutlich verändert. Zum Zweiten gibt es eine breite
Mehrheit im Parlament, eine Nichtregierungsmehrheit,
für diese Reform. Die Prior Actions sind durchweg um-
gesetzt worden. Zum Dritten. Es wird mit allergrößter
Wahrscheinlichkeit im September dieses Jahres Neu-
wahlen in Griechenland geben. Wir werden sehr genau
beobachten können, wie sich die Parteien dort aufstellen.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811803900

Herr Kollege, wenn mich mein Eindruck nicht

täuscht – –


Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1811804000

Wenn es dazu kommt – was wir alle hoffen –, dass

eine Reformregierung die Mehrheit erhält, werden wir
die Schuldentragfähigkeit erreichen. Wenn nicht, werden
wir, glaube ich, wieder über die Frage eines Verbleibs
Griechenlands in der Euro-Zone diskutieren müssen.
Das will aber keiner von uns.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und für die Groß-
mut des Präsidenten.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811804100

Das Wort erhält nun Johannes Kahrs für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1811804200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir Sozialdemokraten hatten, was Griechen-
land und die Rettungspakete angeht, immer eine klare
Linie. Die SPD hat sich hier immer solidarisch gezeigt.
Die SPD hat aber auch immer gesagt: Hilfen gibt es nur,
wenn die Griechen ihren Teil dazu beitragen. Das eine
geht nicht ohne das andere. Wenn wir in Deutschland,
wenn wir in Europa leisten, helfen und unterstützen,
dann muss man auch sehen, dass die Griechen ihren Teil
dazu beitragen. – Wenn man sich dieses Hilfspaket an-
schaut, stellt man fest, dass es genau so ist, wie wir es
gefordert haben. Wie es die SPD von Anfang an gefor-
dert hat, so ist es gekommen. Deswegen werden wir, die
SPD, dem auch zustimmen. Das, glaube ich, ist eine gute
Sache.


(Beifall bei der SPD)


Wir Sozialdemokraten sind froh, dass dieses Paket, so
wie es hier heute vorliegt, vorliegen kann.


(Beifall der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD])


Wenn man sich dann aber anguckt, was der eine oder
andere Kollege hier zu diesem Thema gesagt hat, dann
merkt man, dass Lernprozesse nicht nur in Griechenland
stattgefunden haben, sondern auch in diesem Hohen
Hause. Auch das ist gut, weil wir ja eine lernfähige Ein-
heit sind, weil wir wieder feststellen können, dass man
auch hier dazulernen kann; das haben wir bei vielen
Fraktionen gesehen. Das begrüße ich außerordentlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Kollege Brinkhaus hat zu Recht gesagt: Wenn wir
helfen, dann kann es sein, dass das nicht das Ende ist. –
Das wiederum ist eine Entwicklung, die man bei der
Union in der Vergangenheit so nie erlebt hat. Der Kol-
lege Brinkhaus hat hier von einem möglichen vierten
Hilfspaket gesprochen. Das kann am Ende alles sein.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)


11482 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Johannes Kahrs


(A) (C)



(D)(B)

Für uns ist es wichtig, dass die Entwicklung in Griechen-
land positiv ist, dass sie so weitergeht, dass sie sich ir-
gendwann selber tragen kann, und dass es dadurch auch
eine Schuldentragfähigkeit gibt. Das alles kann aber
auch nur funktionieren, wenn die Griechen selber ihren
Teil dazu beitragen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Kollege Kauder hat hier in der letzten Sitzung ge-
sagt, dass Griechenland nur in Griechenland gerettet
wird. Ich glaube, er hat recht. Griechenland wird nur in
Griechenland gerettet – von den Griechen.

Die griechische Regierung hat sich verändert. Sie hat
ihre Positionen geändert. Nachdem der unsägliche Herr
Varoufakis nun nicht mehr Finanzminister ist und Herr
Tsipras gemerkt hat, dass er sich im Parlament neue
Mehrheiten suchen muss, um sein Land zu retten und
das gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen hin-
zubekommen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es mit den Linken! Die kannst du nicht gebrauchen!)


haben wir alle jetzt auch den Glauben, dass die griechi-
sche Regierung Griechenland selber retten will, indem
die notwendigen Strukturreformen durchgeführt werden,
ob es nun um das Steuersystem geht, ob man Grund-
buchämter haben will, gegen Korruption oder die über-
bordende Bürokratie vorgehen will oder für ein funktio-
nierendes, finanzierbares Rentensystem sorgen will. Ich
glaube, wir, auch die CDU/CSU, nehmen der griechi-
schen Regierung jetzt ab, dass sie das will.

Das wird man aber nicht in zwei, sechs oder zehn Mo-
naten hinbekommen. Dafür braucht man Jahre. Das ist
ein langwieriger Prozess. Wir im Deutschen Bundestag
werden die griechische Regierung, wenn sie erkennbar
diesen Weg geht und Erfolge vorzeigen kann, unterstüt-
zen, auch wenn das fünf, sechs oder zehn Jahre dauert.
Wir haben nicht nur beim ersten und beim zweiten Hilfs-
programm mitgemacht, sondern wir machen auch jetzt
beim dritten Hilfsprogramm und auch bei einem mögli-
chen vierten mit, wenn wir sehen, dass auch die Grie-
chen ihren Teil tun. Ich glaube, die wirkliche Erkenntnis
in dieser Debatte ist, dass es dafür in diesem Hause eine
große Mehrheit gibt.

Wenn man sich den Kollegen Stübgen, der vor mir
gesprochen hat, angehört hat, dann hat man festgestellt,
dass auch er persönlich einen Weg gegangen ist. Der
Kollege Brinkhaus hat gesagt, man muss dafür sorgen,
dass die Menschen in Griechenland, die unter diesen
Sparprogrammen und unter diesen Reformen leiden
– denn das alles ist nicht einfach –, Licht am Ende des
Tunnels sehen. Wir werden mit dafür sorgen müssen,
dass es dieses Licht am Ende des Tunnels gibt. Nur dann
werden die Menschen in Griechenland diesen Weg mit-
gehen. Nur dann kann auch die griechische Regierung
diesen Weg gehen. Das kriegen wir aber nur gemeinsam
hin, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])

Wenn man sich vor Augen hält, was der Kollege Gysi
hier unterhaltsamerweise zum Besten gegeben hat, dann
muss man sagen: Die eine Hälfte seiner Rede hat er nicht
über Griechenland geredet, sondern einen Kessel Buntes
präsentiert. Als er dann endlich zum Thema gekommen
ist, hat er es gründlich verfehlt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Er hat zum Beispiel gesagt, dass es nicht unsere Aufgabe
ist, Banken zu retten. Ehrlich gesagt, wir retten ja nicht
die Banken um der Banken willen; das hat auch der Kol-
lege Stübgen hier gesagt. Wir retten Banken, weil anders
Wirtschaft, weil anders Staat nicht möglich ist, weil
Menschen gespart haben, weil es nur in einem funktio-
nierenden Bankensystem zu wirtschaftlichem Fortschritt
kommt.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Zypern!)


Wenn die Banken erst einmal pleite sind, ist es drei-
mal, viermal schwieriger, sie neu aufzubauen – denen
vertraut nämlich kein Mensch mehr –, als wenn man
Banken rettet und guckt, dass sie wieder auf eine ver-
nünftige Spur kommen. Anders kann es doch gar nicht
gehen. Das hat Herr Gysi überhaupt nicht verstanden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dann hat Herr Gysi noch etwas gesagt. Dieses Ret-
tungspaket ist ja dazu da, Geld umzuschulden, dauerhaft
zu finanzieren und Banken zu retten. Wir in Europa wol-
len über ein Investitionspaket mit über 35 Milliarden
Euro helfen, mit denen man in Griechenland das Gleiche
macht, was wir in der Krise in Deutschland gemacht ha-
ben, als wir Konjunkturpakete hatten, als wir eine Ab-
wrackprämie hatten, als wir Kurzarbeitergeld beschlos-
sen haben; das wird über dieses Investitionsprogramm
kommen. Herr Gysi hat gesagt, das könnten sich die
Griechen nicht leisten. Wir haben aber in Verhandlungen
in Europa erreicht, dass der Eigenanteil der Griechen
deutlich reduziert worden ist. Er liegt in den meisten
Programmen bei 5 Prozent. Das ist etwas, was es nir-
gendwo anders gibt.

Wenn man das alles zusammenfasst, dann merkt man
meines Erachtens, dass wir Sozialdemokraten, dass diese
Große Koalition ihre Aufgaben gemacht hat, dass es in
Griechenland funktioniert hat: Die Griechen gehen die-
sen Weg. Deswegen würde ich mich freuen, wenn wir
hier heute im Deutschen Bundestag alle solidarisch und
gemeinsam zustimmen. Dass die Linke schon angekün-
digt hat, dass sie die Menschen in Griechenland, dass sie
Griechenland nicht unterstützen will, ist eine Schande.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811804300

Das Wort erhält nun der Kollege Klaus-Peter Willsch.


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1811804400

Ich habe mich erst einmal vergewissert, wer hinter

mir sitzt. – Herr Präsident! Liebe Kollegen! Der Grund-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11483

Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)

tenor der Debatte, die wir heute führen, von all denen,
die sich für das dritte Rettungspaket aussprechen, lautet:
Athen hat verstanden.


(Johannes Kahrs [SPD]: Herr Willsch nicht!)


Nun glaube ich, dass man keine große Mühe braucht,
um da ein bisschen Wasser in den Wein zu schütten. Ich
bin bei diesem Freitag nicht dabei gewesen, Herr
Finanzminister, als es ja wohl so eine Art Pfingsterlebnis
gegeben hat. Es ist zwar nicht der Heilige Geist, aber of-
fenbar der stabilitätspolitische Geist ausgegossen wor-
den. Nun müssen wir einmal überprüfen, ob das wirklich
eine breite Erscheinung ist oder ob das ein Momentein-
druck war.

Ich höre nach wie vor von Tsipras, dass er gegen das
spricht, was vereinbart worden ist; er sei dazu erpresst
worden. Ich lese in der Zeitung von seinem Vertrauten
– das ist also keiner von denen, die sich jetzt abspalten
wollen, sondern sein Vertrauter, Staatsminister Nikos
Pappas –:

Die wirtschaftliche Erholung Griechenlands hänge
davon ab, dass die Gläubiger einen „konstanten
Fluss von Finanzmitteln und eine Lösung der
Schuldenfrage“ garantierten.

Dann geht es weiter:

Syriza gehe es weiterhin um Umverteilung von
Mitteln in Griechenland und künftig um Finanzpro-
gramme für diejenigen, die durch die Reformver-
einbarungen von Kürzungen betroffen seien, etwa
die Landwirte.

Es ist uns als wichtiger Erfolg verkauft worden, dass
diese Reform durchgeführt worden ist; hier wird ange-
kündigt, dass sie wieder konterkariert werden wird. –
Dann geht es weiter:

Es gebe keinen Grund, warum Syriza nicht in Eu-
ropa weiter für seine Ziele kämpfen solle, etwa für
eine Rolle der EZB als Garant für alle Staatsschul-
den, sagte Pappas. Er stimme der Idee des ehemali-
gen italienischen Ministerpräsidenten Romano
Prodi zu, dass sich Frankreich und Italien mit ande-
ren Ländern gegen Deutschland verbünden sollten,


Ein dankbarer Schuldner klingt in meinen Ohren ein
bisschen anders, und dass hier wirklich der Reformwille
mit Gewalt um sich gegriffen hätte, kann ich daraus auch
nicht ablesen.

Kollege Stübgen hat es dankenswerterweise ange-
sprochen: Wir erwarten die Vertrauensabstimmung in
Kürze, vielleicht schon morgen, wenn hier alles in tro-
ckenen Tüchern ist und die ersten Milliarden überwiesen
sind. Sie wird Herr Tsipras nach allen Vorhersagen, die
man aus Griechenland so hört, verlieren, und dann gehen
wir in den Wahlkampf.

Was Wahlkampf in Griechenland heißt, das haben wir
dieses Jahr doch schon zweimal erlebt, einmal beim
Wahlkampf für das Referendum, das im Übrigen zum
Gegenstand hatte, dass Herr Tsipras die Bevölkerung
aufgerufen hat, Nein zu sagen zu einem Reformpaket,
und auch im Januar/Februar, als das Parlament neu ge-
wählt wurde. Auch da ging es nicht gerade schonend und
mit weichen Bandagen zu, sondern es wurde hart ge-
kämpft.

Das liegt auch ein wenig im Wesen des politischen
Systems von Griechenland. Im Wahlkampf muss man
eine Mehrheit für sich gewinnen, um danach Regie-
rungsämter zu bekommen und seine Hintersassen mit
Regierungsposten und Posten in der staatlichen Industrie
zu versorgen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was ist das für ein Verständnis, wie Sie das übersetzen!)


Deshalb ist das immer eine entscheidende Phase. Dass in
dieser Zeit der IWF überprüfen soll, ob in Griechenland
alles gut läuft: Mit Verlaub, da fehlt mir wirklich der
Glaube, dass das realistisch ist.

Wir alle – Sie genauso wie ich – werden doch von
vielen Menschen angeschrieben und angesprochen, die
dafür nur noch ein Kopfschütteln übrig haben. Ich meine
auch: Wenn man – jetzt übertrage ich die normale Le-
benserfahrung auf die Politik – zweimal mit Anlauf mit
dem Kopf gegen die Wand gelaufen ist, dann sollte man
einmal gucken, ob es nicht irgendwo eine Tür gibt. In
diesem Fall ist die Tür der Grexit. Das haben Sie, Herr
Finanzminister, vor den Verhandlungen am letzten
Freitag erfreulicherweise sehr ordentlich vorgetragen.

Griechenland wird es im Euro-Raum nicht schaffen.
Wir werden es nicht schaffen, die Euro-Zone mit Gewalt
gegen den Willen der Bevölkerungen zusammenzuhal-
ten, wenn wir es nicht zulassen, dass die Euro-Zone
atmen kann. Das heißt, dass Griechenland den Euro-
Raum verlässt und mit einer eigenen Währung die not-
wendigen Strukturanpassungen währungspolitisch flan-
kieren kann. Nach einer harten Anpassung und Rezes-
sion wird es ein Wachstum erleben, weil der Import
zurückgeht und der Export anzieht. Viele Touristen wer-
den kommen, da der Urlaub in Griechenland günstiger
wird. Anders wird es nicht funktionieren.

Ich will noch eines zu der Frage sagen: Wer zahlt das
alles? In diesem Zusammenhang ist die neue Definition
von Schuldentragfähigkeit ziemlich gefährlich. Wenn
wir eine Grenze von 15 Prozent für Ausgaben für akzep-
tabel halten, dann haben wir es in der Hand, immer neue
Kredite zu geben. Durch eine beliebige Verlängerung
des tilgungsfreien Zeitraums können wir die Schulden-
tragfähigkeit von außen mit Pseudokrediten herstellen.

Was wir wirklich machen, wenn wir Kredite gewäh-
ren und Laufzeiten um 30 oder 50 Jahre erhöhen, ist eine
Schenkung und nichts anderes. Das ist natürlich ein Ver-
stoß gegen das, was wir den Menschen versprochen ha-
ben: Jeder in der Währungsunion muss für seine Schul-
den selbst aufkommen. Es gibt kein Bail-out.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811804500

Herr Kollege.

11484 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015


(A) (C)



(D)(B)


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1811804600

Zahlen – das ist der letzte Satz, Herr Präsident – wer-

den das nicht einmal mehr unsere Kinder, sondern deren
Kinder und Enkel. Über 2 Billionen Euro an Schulden
haben diese Menschen abzutragen, und jetzt packen wir
noch Schulden anderer drauf. Das ist den nachfolgenden
Generationen gegenüber unverantwortlich. Sagen Sie
bitte Nein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811804700

Letzter Redner in der Aussprache ist der Kollege

Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt!)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1811804800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

stimmen heute nicht über den kommenden Wahlkampf
in Griechenland oder darüber ab, ob sich Herr Tsipras
der Vertrauensfrage stellt.


(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])


Wir stimmen heute über einen Antrag der Bundesregie-
rung mit neun Anlagen ab. Ich finde, das, was in den
letzten Tagen vereinbart worden ist und was in diesem
Antrag steht, verdient Respekt.

Ich gebe für mich ganz ehrlich zu: In dem Zeitraum
Ende Juni/Anfang Juli, in dem die griechische Regie-
rung das Volk aufhetzte, in einem Referendum Nein zu
Reformen zu sagen, und das Volk mit Nein stimmte, gab
es für mich zwei entscheidende Momente. Zum einen
waren das die Folgen in Form von Bankenschließungen
und Kapitalverkehrskontrollen. Zum anderen war es die
Tatsache – da widerspreche ich den Grünen ganz aus-
drücklich in ihrem Antrag, das war kein historischer
Fehler –, in einer Debatte zu beleuchten, was für Grie-
chenland ein genereller Grexit oder ein zeitweiliger
Grexit bedeutet hätte.

Es ist meine feste Überzeugung: Wenn in den letzten
Wochen und Monaten von Angela Merkel und Wolfgang
Schäuble, von der Bundesregierung insgesamt, nicht so
hart verhandelt worden wäre, hätten wir nicht das vorlie-
gende Ergebnis zur Abstimmung. Das ist an dieser Stelle
meine feste Überzeugung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lieber Kollege Willsch, an der Grexit-Debatte stört
mich eins: Sie beschreiben nicht die Folgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Griechenland bleibt in der Europäischen Union. Grie-
chenland bleibt im Schengen-Raum. Griechenland bleibt
in der NATO.
Ein Kollege hat gestern in der Arbeitsgruppe Haus-
halt den Vorschlag gemacht, die Konditionen, die wir im
dritten Hilfspaket mit Griechenland vereinbart haben,
mit Entwicklungsländern zu vereinbaren. Eine Konditio-
nierung bei Entwicklungshilfe: Das wäre aus meiner
Sicht dann auch die Alternative für Griechenland gewe-
sen. Mich stört an der Debatte, dass man nur ganz einsei-
tig Haare in der Suppe findet und Situationen beschreibt,
ohne auch darauf hinzuweisen, wo dieser Weg hinführen
würde. Das stört mich ganz erheblich, liebe Kolleginnen
und Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Den Grünen will ich eines sagen: Sie sprechen davon,
dass Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Wolfgang
Schäuble die Axt an die Grundwerte in Europa gelegt
haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Verständ-
nis von Solidarität in Europa ist, dass sie auch immer mit
eigener Verantwortung verbunden ist. Mein Verständnis
von Hilfe ist Hilfe zur Selbsthilfe, und mein Verständnis
von Europa ist, dass nicht einer die Regeln bestimmt,
wenn man sich in Europa Regeln gibt, sondern dass die
Regeln, die alle vereinbart haben, auch von allen einzu-
halten sind. Das ist mein Verständnis von Europa.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Hier hat die griechische Regierung einen Weg zurück-
legen müssen. Wer sich die Mühe macht, einen Blick in
die Anlage 3 a zu werfen, sieht, dass die Maßnahmen
48 bis 56 – Kollege Poß, Sie nicken – jetzt unter dem
Druck der Quadriga vom griechischen Parlament zu-
rückgenommen werden. Das betrifft die Steueramnestie
für Reiche. Es geht auch zum Beispiel darum, dass die
hellenische Tourismusorganisation keine Grundsteuern
zahlen muss, und um die überzogenen Subventionen für
Kleinerwerbslandwirte und Nebenerwerbslandwirte in
Griechenland. Man musste erst Druck aufbauen, liebe
Kollegin Lötzsch, bis Syriza das zurückgenommen hat,
was sie fehlerhaft im Februar und März beschlossen ha-
ben. Das haben sie nicht von alleine gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Kollege Hofreiter, Sie sind gegen Ausgabenkürzun-
gen. Das verstehe ich nicht. Sie sind dagegen, dass in
den beiden kommenden Jahren im griechischen Militär-
haushalt eine halbe Milliarde Euro eingespart wird. Ich
bin dafür, dass da gekürzt wird. Wo denn sonst? Wo
sonst soll bei einer Armee von 175 000 Mann gekürzt
werden?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich bin aber auch genauso dafür – das will ich ganz
klar und deutlich sagen –, dass im öffentlichen Dienst
die Mindestrenten eingefroren werden. Ich will Ihnen
auch sagen, warum: weil die Renten in Griechenland,
und zwar die Renten im privaten Sektor und die Klien-
telrenten, die über Jahre von Pasok, ND und wem auch
immer im öffentlichen Dienst ausgereicht worden sind,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11485

Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)

ganz weit auseinandergehen. Wir haben auch eine Ver-
antwortung gegenüber den Letten, den Esten, den Litau-
ern, den Slowenen und den Slowaken, die deutlich nied-
rigere Mindesteinkommen und ein deutlich niedrigeres
Sozialniveau haben. Deswegen ist es richtig, auch bei
den Klientelrenten in Griechenland einen Stopp für die
nächsten Jahre vorzusehen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Im Memorandum of Understanding sind 58 Maßnah-
men mit 200 konkreten Terminen vorgesehen, von denen
– das halte ich für sehr bemerkenswert – vier Fünftel
heute schon zumindest im Parlament beschlossen, wenn
auch noch nicht umgesetzt worden sind.

Die entscheidende und härteste Bewährungsprobe in
den nächsten Wochen und Monaten wird übrigens die
Umsetzung sein. Deswegen stimme ich dem Kollegen
Thomas Oppermann zu, dass es richtig ist, dass wir
heute nicht über die Verlängerung von Kreditlaufzeiten
und Schuldenerleichterungen reden – ein Haircut ist
überhaupt nicht möglich –, sondern dass wir das erst
dann in den Blick nehmen, wenn die griechische Regie-
rung gezeigt hat, dass sie das, was vereinbart worden ist,
nicht nur im Parlament beschließen lässt, sondern es
auch administrativ umsetzt. Es hilft überhaupt nichts, die
Erhöhung der Mehrwertsteuern für die kleinen Inseln um
30 Prozent zu beschließen. Das Entscheidende ist nicht
der Beschluss im Parlament, sondern dass die Steuern
auch eingenommen werden. Denn nur dann können sie
in den griechischen Haushalt fließen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ist aus meiner Sicht das, was Tsipras und die grie-
chische Regierung jetzt leisten müssen.

Lieber Johannes Kahrs, dieses Hilfspaket war kein
Selbstläufer, und dieses Hilfspaket wird bis 2018 auch
kein Selbstläufer sein. Ich persönlich würde mich sehr
freuen, wenn wir zu Beginn des kommenden Jahres,
ähnlich wie nach einer gewissen Zeit im Falle von Spa-
nien, Irland, Portugal und Zypern, im Haushaltsaus-
schuss die MoUs, die Reviews, zur Kenntnis nehmen
können und keine Stellungnahme abgeben, weil in dem
Fall die Quadriga attestiert, dass das, was beschlossen
wurde, in Griechenland auch umgesetzt wird.

Wenn Sie sich das Memorandum of Understanding in
seiner ganzen Breite anschauen, dann sehen Sie, dass
hiermit eine Basis gelegt worden ist. Hier hat aus meiner
Sicht die Europäische Kommission eine große Verant-
wortung, nicht nur politisch zu agieren, sondern auch
echte technische Hilfe vor Ort zu leisten, und zwar in
den verschiedensten Bereichen. Dann ist eine Chance
gegeben, dass in Griechenland ein moderner, wettbe-
werbsfähiger Staat entsteht.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir ist relativ wurscht,
welche Partei am Ruder ist. Für mich ist von Interesse,
dass das umgesetzt wird, was mit den europäischen In-
stitutionen vereinbart worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Schauen wir uns an, was in den letzten sechs, sieben
Monaten gelaufen ist. Griechenland war 2010 pleite,
weil die Griechen völlig über ihre Verhältnisse gelebt ha-
ben. Griechenland hatte ein Haushaltsdefizit von 15 Pro-
zent, im Jahre 2010 eine Schuldenquote von 150 Pro-
zent. Griechenland war Schritt für Schritt auf dem Weg
zur Besserung. Der Direktor des ESM hat das im Mai in
beeindruckender Weise hier bei uns dargestellt. Grie-
chenland war auf dem Weg der Besserung, und auch im
dritten und vierten Quartal 2014 war Licht am Ende des
Tunnels.

Ich bin ähnlich wie du, Johannes, der Meinung, dass
der unselige Finanzminister Varoufakis ruhig Motorrad
fahren oder in seinem Häuschen seine Zeit verbringen
soll. Das soll mir recht sein. Da können die Bunten in
Europa schreiben, was sie wollen; das stört mich nicht.
Ich hoffe, dass in Griechenland jetzt wirklich Verantwor-
tung von der griechischen Regierung wahrgenommen
wird und dass sie in erster Linie an die zurückliegenden
Wochen und Monate denkt und begreift, was es heißt,
wenn Banken schließen müssen und Kapitalverkehrs-
kontrollen eingeführt werden müssen. Das Entschei-
dende ist, dass dieses Paket jetzt in Griechenland ver-
antwortungsvoll umgesetzt wird. Meine persönliche
Überzeugung ist, dass man dann auch in Griechenland
Wachstum und Beschäftigung schaffen kann.

Ein Abschlusswort, Herr Kollege Gysi. Ich gebe Ih-
nen einen guten Rat. Ich beziehe mich auf die 35 Milliar-
den Euro, die Griechenland von der Europäischen Union
bekommt. Entweder wir zahlen nur 5 Prozent, oder die
5 Prozent werden von der Europäischen Investitions-
bank übernommen. Was Sie zu den Investitionen in
Griechenland erzählt haben, ist der größte sachliche Un-
fug, den ich je im Deutschen Bundestag gehört habe.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811804900

Zu einer persönlichen Erklärung zur Aussprache er-

hält jetzt der Kollege Nüßlein das Wort.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Er hat vorhin schon etwas gesagt!)


Anschließend habe ich noch eine wichtige Mitteilung
zu machen. Insofern besteht durchaus Gelegenheit, sich
noch einen Augenblick auf die Plätze zu setzen. Danach
kommen wir zu der namentlichen Abstimmung.

Bitte, Herr Kollege Nüßlein.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1811805000

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr

Kollege Kindler hat mich im Rahmen dieser Debatte in
dieselbe Ecke wie Holocaustleugner gestellt. Ich möchte
das hier an dieser Stelle auf das Schärfste zurückweisen.
Herr Kollege Kindler, weder der Kontext Ihrer Einlas-
sung noch der Kontext meiner Zwischenfrage gab dazu
Anlass. So etwas tut man auch nicht in schärfster rhetori-

11486 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

scher und argumentativer Bedrängnis, nicht unter Kolle-
gen und nicht unter Demokraten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie dürfen davon ausgehen, dass ich mir der histori-
schen Verantwortung Deutschlands absolut bewusst bin.
Sie dürfen aber auch davon ausgehen, dass ich sehr wohl
der Auffassung bin, dass Deutschland jedenfalls für die
Schuldenmisere in Griechenland nichts kann, dass wir
aber eine Verantwortung dafür tragen, diese Problematik
im Interesse Europas zu lösen.

Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen, Herr Kindler,
und würde mich freuen, wenn wir uns im Anschluss in
einem persönlichen Gespräch noch einmal austauschen
könnten. Über eine Entschuldigung würde ich mich auch
freuen.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811805100

Ich schließe damit unsere Aussprache.

Bevor wir jetzt zu den Abstimmungen kommen, habe
ich noch einen wichtigen praktischen Hinweis mit Blick
auf die Arbeitsfähigkeit der Büros und auch der Kolle-
ginnen und Kollegen, die sich in den nächsten Wochen
vermutlich nicht dauerhaft in Berlin aufhalten wollen
und müssen.

Wie wir bereits mehrfach mitgeteilt haben, wird ab
morgen Abend mit dem Neuaufsetzen der IT-Systeme
des Bundestages begonnen. Während der notwendigen
Arbeiten, die wir hoffen bis einschließlich des Wochen-
endes im Kern erfolgreich durchführen zu können, so-
dass wir im Laufe des kommenden Montags hoffentlich
wieder in vollem Umfang arbeitsfähig werden, kann na-
turgemäß die Bundestags-IT nicht zur Verfügung stehen.

Wir haben gestern Abend erneut in einer E-Mail an
alle Kolleginnen und Kollegen und Büros darauf hinge-
wiesen, was beim Wiederanfahren des Systems am
Montag zu beachten ist. Bei der ersten Anmeldung an
das neue System ab Montag werden Sie bzw. die Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter im Büro aufgefordert, das
Passwort zu ändern. So, das setzt voraus, dass einer da
ist – ganz praktisch.


(Heiterkeit)


An Parlakom-Geräten in den Büros in Berlin und in
den Wahlkreisbüros werden Sie über die Anmeldemaske
durch das Passwortänderungsverfahren geführt, das Ih-
nen von auch früher üblichen Passwortänderungen be-
kannt sein sollte. Insofern handelt es sich hier weder um
ein ungewöhnliches noch um ein aufwendiges Verfah-
ren. Aber es ist ein unverzichtbares Verfahren, wenn
man im System arbeiten will.

Ein bisschen komplizierter ist die Passwortänderung
für die persönlichen Smartphones oder Tablets. Dafür
gibt es eine Anleitung für die verschiedenen Gerätetypen
im Intranet unter „Aktuelles“. Hier empfehle ich, sich
gegebenenfalls diese Empfehlungen und Handhabungen
auszudrucken.


(Heiterkeit und Beifall)


Jedenfalls würde ich gerne vermeiden, dass nach den
erheblichen und bemerkenswerten Anstrengungen, die
viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den vergange-
nen Wochen vorgenommen haben, ich ab Mitte der Wo-
che verzweifelte Anrufe von Kolleginnen und Kollegen
bekomme, sie hätten gehört, ab Montag wäre das System
wieder verfügbar, sie kämen nur nicht rein. Deswegen
wäre es schon ganz gut, wenn die dafür erforderlichen
Voraussetzungen auch individuell bzw. in den Büros ge-
troffen würden. Wenn es dazu Fragen oder Probleme
gibt, steht Ihnen unser IT-Support unter der bekannten
Durchwahlnummer 117 auch über das Wochenende zur
Verfügung.


(Christine Lambrecht [SPD]: Was für ein Service im Plenum!)


So, und nun kommen wir zur Abstimmung über den
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf den
Drucksachen 18/5780 und 18/5788 zur Einholung eines
zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages,
der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer
Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinba-
rung über ein Memorandum of Understanding zwischen
der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabi-
litätsmechanismus.

Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, dass der
Antrag auch die Zustimmung zur Auszahlung der ersten
Tranche der Finanzhilfe an Griechenland in Höhe von
26 Milliarden Euro beinhaltet. Darüber muss also nicht
etwa erst zu einem späteren Zeitpunkt gesondert abge-
stimmt werden.

Im Übrigen nehmen wir zahlreiche persönliche Erklä-
rungen zur Abstimmung, die wir erhalten haben, in be-
währtem Verfahren zu Protokoll.1)

Wir stimmen nun auf Verlangen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD über den Antrag namentlich ab. Ich
bitte um einen Hinweis der Schriftführerinnen und
Schriftführer, ob die Urnen jeweils doppelt besetzt sind.
Ich gucke einmal von links über die Mitte nach rechts. –
Es sieht so aus. Dann eröffne ich hiermit die Abstim-
mung.

Ist ein Mitglied im Saal anwesend, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht erkennbar.
Dann schließe ich hiermit die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Da wir nur eine namentliche Abstim-
mung haben, wird das vermutlich zügig gehen, sodass
diejenigen, die ganz gespannt auf das Ergebnis dieser
Abstimmung warten, sich nicht allzu lange gedulden
müssen, bis wir es vorliegen haben.2)

1) Anlagen 2 bis 5
2) Ergebnis Seite 11487 C

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11487

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(B)

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/5789. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Das sind
ein paar mehr. Wer enthält sich? – Damit ist dieser Ent-
schließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich für einige Minuten die Sit-
zung und teile Ihnen dann das Ergebnis mit.

Vorsichtshalber weise ich schon jetzt darauf hin, dass
die nächste Sitzung des Bundestages voraussichtlich am
Dienstag, dem 8. September 2015, stattfinden wird. Ge-
hen Sie davon aus, dass das der späteste denkbare Ter-
min ist. Sie bekommen aber rechtzeitig die entsprechen-
den Informationen.


(Unterbrechung von 12.03 bis 12.09 Uhr)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811805200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene

Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich teile Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums
der Finanzen zur Stabilitätshilfe zugunsten Griechen-
lands mit: abgegebene Stimmen 585. Mit Ja haben ge-
stimmt 454, mit Nein haben 113 Kolleginnen und Kolle-
gen gestimmt, enthalten haben sich 18. Damit ist der
Antrag angenommen.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 584;
davon

ja: 453
nein: 113
enthalten: 18

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Uwe Feiler
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Stefan Heck
Mechthild Heil
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Markus Koob
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)


11488 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Johannes Selle
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11489

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Thomas Bareiß
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Peter Beyer
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Cajus Caesar
Thomas Dörflinger
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist

(Karlsruhe Land)

Klaus-Peter Flosbach
Michael Frieser
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Matthias Hauer
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Hubert Hüppe
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Alois Karl
Jens Koeppen
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Carsten Linnemann
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Jan Metzler
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Tim Ostermann
Sylvia Pantel
Eckhard Pols
Albert Rupprecht
Jana Schimke
Ronja Schmitt
Bernhard Schulte-Drüggelte
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Tino Sorge
Dr. Wolfgang Stefinger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Stephan Stracke
Arnold Vaatz
Ingo Wellenreuther
Marian Wendt
Peter Wichtel
Klaus-Peter Willsch
Dagmar G. Wöhrl
Emmi Zeulner
SPD

Marco Bülow
Thomas Jurk
Jeannine Pflugradt
Peer Steinbrück

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Petra Pau
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Alexander Ulrich
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Hans-Christian Ströbele

Enthalten

CDU/CSU

Wilfried Lorenz
Dr. Andreas Nick
Ulrich Petzold

DIE LINKE

Stefan Liebich
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Uwe Kekeritz
Sylvia Kotting-Uhl
Monika Lazar
Steffi Lemke
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Dr. Harald Terpe
Wir sind damit auch am Schluss unserer heutigen Ta-
gesordnung.

Die nächste Sitzung des Bundestages berufe ich hier-
mit auf Dienstag, den 8. September 2015, ein, soweit
nicht zwischenzeitlich andere Mitteilungen erfolgen.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
ein paar hoffentlich ruhige, besinnliche und erholsame
Tage.