Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11491
(A) (C)
(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
(D)
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Albsteiger, Katrin CDU/CSU 19.08.2015
Dr. Castellucci, Lars SPD 19.08.2015
Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 19.08.2015
Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.08.2015
Dr. h. c. Erler, Gernot SPD 19.08.2015
Freitag, Dagmar SPD 19.08.2015
Dr. Freudenstein, Astrid CDU/CSU 19.08.2015
Dr. Friedrich (Hof),
Hans-Peter
CDU/CSU 19.08.2015
Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 19.08.2015
Gohlke, Nicole DIE LINKE 19.08.2015
Groß, Michael SPD 19.08.2015
Gunkel, Wolfgang SPD 19.08.2015
Hartmann (Wackern-
heim), Michael
SPD 19.08.2015
Hauptmann, Mark CDU/CSU 19.08.2015
Hupach, Sigrid DIE LINKE 19.08.2015
Ilgen, Matthias SPD 19.08.2015
Jung, Andreas CDU/CSU 19.08.2015
Karawanskij, Susanna DIE LINKE 19.08.2015
Katzmarek, Gabriele SPD 19.08.2015
Kiziltepe, Cansel SPD 19.08.2015
Kolbe, Daniela SPD 19.08.2015
Körber, Carsten CDU/CSU 19.08.2015
Korte, Jan DIE LINKE 19.08.2015
Kunert, Katrin DIE LINKE 19.08.2015
Lenkert, Ralph DIE LINKE 19.08.2015
Dr. Lenz, Andreas CDU/CSU 19.08.2015
Dr. Lindner, Tobias BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.08.2015
Lips, Patricia CDU/CSU 19.08.2015
Lühmann, Kirsten SPD 19.08.2015
Dr. Miersch, Matthias SPD 19.08.2015
Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.08.2015
Müller (Erlangen),
Stefan
CDU/CSU 19.08.2015
Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 19.08.2015
Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 19.08.2015
Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 19.08.2015
Dr. Schabedoth, Hans-
Joachim
SPD 19.08.2015
Schieder, Marianne SPD 19.08.2015
Schipanski, Tankred CDU/CSU 19.08.2015
Silberhorn, Thomas CDU/CSU 19.08.2015
Stadler, Svenja SPD 19.08.2015
Stauche, Carola CDU/CSU 19.08.2015
Stegemann, Albert CDU/CSU 19.08.2015
Steinbach, Erika CDU/CSU 19.08.2015
Tack, Kerstin SPD 19.08.2015
Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 19.08.2015
Vogler, Kathrin DIE LINKE 19.08.2015
Wunderlich, Jörn DIE LINKE 19.08.2015
Zimmermann (Zwickau),
Sabine
DIE LINKE 19.08.2015
Zypries, Brigitte SPD 19.08.2015
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Anlagen
11492 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015
(A) (C)
(D)(B)
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Stefan Liebich, Thomas
Nord, Harald Petzold (Havelland), Richard
Pitterle, Kirsten Tackmann, Frank Tempel und
Dr. Axel Troost (alle DIE LINKE) zur namentli-
chen Abstimmung zu dem Antrag des Bundes-
ministeriums der Finanzen zur Einholung eines
zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bun-
destages, der Hellenischen Republik Stabilitäts-
hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu ge-
währen, sowie zur Vereinbarung über ein
Memorandum of Understanding zwischen der
Hellenischen Republik und dem Europäischen
Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tagesordnungs-
punkt 1 b)
Hiermit erklären wir, dass wir zur vorliegenden Be-
schlussfassung mit Enthaltung stimmen.
Wir begründen das wie folgt: Die seit gerade einem
halben Jahr im Amt befindliche griechische Regierung
ist mit den Versprechen angetreten, dass das Land ent-
sprechend dem Wunsch der deutlichen Mehrheit der
griechischen Bevölkerung in der Euro-Zone bleibt und
sich zugleich nicht mehr dem Diktat der „Troika“ beugt,
dass die Austeritätspolitik und die daraus resultierende
Verelendung der Bevölkerung sowie der Niedergang der
Wirtschaft beendet werden. Es war klar, dass sie diese
Versprechen gegenüber der eigenen Bevölkerung nur re-
alisieren konnte und kann, wenn sie dafür aus anderen
europäischen Regierungen oder/und durch eine breite
europäische Solidaritätsbewegung Unterstützung be-
kommt. Bisher ist diese nicht ausreichend zustande ge-
kommen. Trotzdem hat die griechische Regierung auf
der europäischen Ebene die Sinnhaftigkeit der neolibera-
len und vor allem deutschen Austeritätspolitik infrage
gestellt sowie in Griechenland selbst als auch in Europa
die soziale Frage wieder in die Debatte gebracht. Das
Lager der Befürwortung dieser Politik hat Risse bekom-
men. Die Unterstützung der Haltung der griechischen
Regierung durch die Mehrheit der griechischen Bevölke-
rung durch ein Referendum hat diese Position gestärkt.
Zugleich stieß die Regierung Griechenlands an die
Grenze ihrer Handlungsspielräume. Die Banken mussten
schließen, die Kassen des Landes waren leer, eine Zah-
lungsfähigkeit nicht mehr vorhanden, die Wirtschaft und
die Gesellschaft standen vor dem allgemeinen Kollaps.
Alexis Tsipras musste einen Weg finden, um die Hand-
lungsfähigkeit der griechischen Regierung wenigstens
teilweise wiederzuerlangen, ohne dabei die Unterstüt-
zung der Mehrheit der Bevölkerung zu verlieren. Er hat
sich dabei vor dem Hintergrund, dass ein Teil der Gläu-
biger, insbesondere der deutschen, die griechische Krise
nutzen wollten, um mit der Drohung eines Grexits ein
deutsch-dominiertes „Kern-Europa“ durchzusetzen, für
den Weg des „Kompromisses“ entschieden, um wenigs-
tens Griechenlands Verbleib in der EU und im Euro zu
retten. Damit mussten die Grexit-Befürworter dem
Druck insbesondere der sozialdemokratischen italieni-
schen sowie französischen Regierung nachgeben und die
rücksichtslose Durchsetzung ihres Zieles aussetzen,
ohne es jedoch tatsächlich aufzugeben. Der Preis, den
Griechenland dafür zahlen muss, ist hoch und fand im
Memorandum vom Juli 2015 seinen Ausdruck. Es ist
ebenso Ausdruck des Kräfteverhältnisses in der Europäi-
schen Union wie das hier zur Abstimmung stehende
„Hilfspaket“. Aber es ermöglicht eine neue Runde des
Widerstandes gegen die Austeritätspolitik in der EU und
der Euro-Zone, eines Kampfes für eine solidarische und
demokratische Zukunft der Europäischen Union.
Wir können das Agieren der Bundesregierung in den
Verhandlungen zum neuen Hilfspaket nicht befürworten,
denn diese Regierung vertritt heute mit die reaktionärs-
ten politischen Positionen in der EU. Teile von ihr stre-
ben gar nach einem neoliberalen deutsch-dominierten
„Kern-Europa“. Davon ausgehend gibt es gute Gründe
zu diesem „Hilfspaket“ Nein zu sagen.
Gleichwohl ist die griechische Regierung gegenwär-
tig der mit Abstand einzige machtpolitische Aktivposten
der Europäischen Linken. Wir begrüßen, dass es ihr ge-
lungen ist, die Differenzen zwischen den Gläubigern zu
nutzen, um deutsche Pläne für einen Grexit zu durch-
kreuzen und sich Chancen – wenn auch begrenzt – für
politische Korrekturen der Gläubigerlinien zu erhalten
und zu schaffen: Dies sind die Frage des vom IWF ge-
forderten Schuldenerlasses, die zwischen IWF, der deut-
schen und der griechischen Regierung strittige Ausge-
staltung des sogenannten Treuhandfonds, die von der
EU-Kommission unterstützte Möglichkeit, reale Mittel
für Investitionen in die Wirtschaft zu erhalten und die im
sogenannten „Paket“ enthaltene Möglichkeit – neben
sehr rigiden sozialen Einschnitten –, auch in einzelnen
Bereichen soziale Reformen im Interesse der ärmsten
Griechinnen und Griechen durchzuführen.
Wir haben Verständnis, wenn andere diese Chancen
nicht sehen. Zugleich bestärkt uns die Auseinanderset-
zung in der Unionsfraktion darin, dass auch Abgeord-
nete der Regierungsfraktionen diese Möglichkeiten se-
hen und sie gerade damit ihr Nein begründen. Wir gehen
davon aus, dass gerade diese Debatte in der Unionsfrak-
tion ein Nachweis dafür ist, dass es Merkel und Schäuble
nicht gelungen ist, das ihnen vom Bundestag erteilte
Mandat bei den Verhandlungen eins zu eins umzusetzen,
dass sich der Kampf der griechischen Seite für die eige-
nen Ziele weiter lohnt und dass es der Syriza-Regierung
durchaus bei den kommenden Auseinandersetzungen
helfen kann, dies auch mit unserem Abstimmungsver-
halten deutlich zu machen.
Deshalb haben wir uns der Stimme enthalten.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Lisa Paus, Sylvia Kotting-
Uhl, Monika Lazar, Steffi Lemke, Beate Müller-
Gemmeke, Corinna Rüffer und Dr. Harald
Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur
namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des
Bundesministeriums der Finanzen zur Einho-
lung eines zustimmenden Beschlusses des Deut-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11493
(A) (C)
(D)(B)
schen Bundestages, der Hellenischen Republik
Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazili-
tät zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über
ein Memorandum of Understanding zwischen
der Hellenischen Republik und dem Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages-
ordnungspunkt 1 b)
Mit dem dritten Hilfsprogramm kann das Ausscheiden
Griechenlands aus der Euro-Zone vorerst verhindert wer-
den. Es wurde aber erneut versäumt, die notwendigen Be-
dingungen für eine wirtschaftliche Erholung und nachhal-
tige Entwicklung zu schaffen. Es fehlt sowohl an einer
konsequenten Investitionsförderung als auch einer garan-
tierten Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden. Zu-
dem wurde das jetzige Programm nicht auf Augenhöhe
verhandelt. Die Maßnahmen wurden der griechischen Re-
gierung, die mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit der
Banken erpresst wurde, von außen aufgezwungen. So
wird die griechische Demokratie auf absehbare Zeit ent-
machtet. Im Ergebnis steht das Land kurz vor Neuwahlen
und weiteren Monaten der politischen Instabilität. Ange-
sichts dieser zwiespältigen Gesamtbilanz haben wir uns
heute im Bundestag enthalten. Wir bedauern sehr, dass die
Bundesregierung nicht willens war, einen Kompromiss zu
erzielen, der für Griechenland eine belastbare Perspektive
schafft und Europa stärkt und die europäische Idee weiter
entwickelt.
Unrealistische Haushaltsziele und kein Ende der Aus-
terität: Es gibt durchaus positive Aspekte im beschlosse-
nen Memorandum of Understanding. Dazu gehört der
intensivierte Kampf gegen Steuervermeidung, die höhe-
ren Steuern für Reeder und die Kürzungen im griechi-
schen Verteidigungshaushalt. Zugleich sind darin aber
viel zu viele Elemente enthalten, die für eine Fortsetzung
des schädlichen Austeritätskurses sorgen werden: bei-
spielsweise die Kürzung der Zusatzrenten, die Erhöhung
des Renteneintrittsalters und der Mehrwertsteuern auf
den Inseln auf 23 Prozent. Unter diesen Umständen
scheint der für das Jahr 2018 anvisierte Primärüber-
schuss von 3,5 Prozent vollkommen unrealistisch. In je-
dem Fall wird durch diese nach wie vor unrealistischen
Sparziele ein großer Druck auf dem neu geschaffenen
Privatisierungsfonds lasten. Die Erfahrungen mit der
deutschen Treuhand zeigen, dass Zeit hierbei die ent-
scheidende Komponente ist. Kurzfristiger Handlungs-
druck angesichts nach wie vor hoher Einnahmeanforde-
rungen wird einen Preisverfall des öffentlichen
Eigentums bewirken und verhindert die langfristige Sa-
nierung und strategische Neuaufstellung der öffentlichen
Infrastruktur gerade in ökologischen Schlüsselsektoren
wie Energie und Verkehr. Das ist eine schwere Hypothek
für die Zukunft.
Mit weiteren Sparmaßnahmen wird die Armut in
Griechenland steigen, und es ist auch nicht absehbar, wie
eine Mindestsicherung kostenneutral eingeführt werden
kann. Zudem enthält das Memorandum of Understan-
ding die Forderung, dass in einem Konsultationsprozess
die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt über-
prüft werden sollen. Schon die Eingriffe in die Tarifauto-
nomie in den vergangenen Jahren waren nicht akzepta-
bel, und sie widersprechen auch den europäischen
Verträgen, der europäischen Grundrechtecharta und sind
mit dem europäischen Sozialmodell nicht zu vereinba-
ren. Nur mit wirkungsvollen Mindeststandards, Arbeit-
nehmerrechten und gelebter Solidarität kann Europa ein
soziales und demokratisches Konstrukt bleiben.
Ohne Schuldenerleichterung bleibt das Hilfsprogramm
eine Fehlkonstruktion: Die griechische Staatsschulden-
quote wird nach den Vorhersagen der Troika schon bald
die Marke von 200 Prozent übersteigen. Nach heutigem
Stand wird auch der Bruttofinanzierungsbedarf des Staa-
tes perspektivisch die kritischen Grenzen überschreiten.
Griechenland wird nur dauerhaft aus der Krise kommen
und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkeh-
ren, wenn die Tragfähigkeit der Staatsschulden gesichert
wird. Die Strategie von Schäuble und Merkel wird hinge-
gen scheitern, wenn die Schuldenlast des Staates weiter
die ökonomische Gesundung hemmt. Dass der IWF sich
nicht an der Auszahlung der ersten Tranche beteiligt,
zeigt, wie groß die Differenzen unter den Gläubigern sind.
Eine effektive Umschuldung bleibt in der Schwebe. Da-
mit kann aber auch ein Scheitern des Hilfsprogramms
weiterhin nicht ausgeschlossen werden.
Griechenland wird zur Schuldenkolonie: Das neue
Hilfsprogramm ist an massive Eingriffe in die staatliche
Souveränität Griechenlands gebunden. Anders als im
bisherigen Prozess der europäischen Einigung handelt es
sich dabei um einseitige Maßnahmen. So werden die
Fortschritte des neuen Programms nicht nur alle drei
Monate kontrolliert, Ministerpräsident Tsipras musste
sich außerdem dazu verpflichten, alle vorherigen Maß-
nahmen seiner Regierung zurückzunehmen, die nicht
mit der Troika abgestimmt waren. Darüber hinaus wird
der einzurichtende Privatisierungsfonds unter externe
Aufsicht gestellt, womit Griechenland faktisch die Kon-
trolle über sein öffentliches Eigentum verliert. Dieses
Vorgehen schwächt das Vertrauen in Europa und seinen
Sinn für Demokratie und Diversität. Das Ergebnis sind
Vertrauensverlust in demokratische Strukturen, politi-
sche Instabilität und eine brachiale Staatsreform, die
Tsipras unter dem ständigen Risiko von Neuwahlen
durchsetzen muss.
Der Grexit ist und bleibt keine Alternative. Griechen-
land ist weiter auf die Solidarität Europas angewiesen,
und es wird unsere Aufgabe in Deutschland sein, weiter
für diese Solidarität und für ein solidarisches Europa zu
werben und die öffentliche Auseinandersetzung darüber
mit den nationalkonservativen Kräften zu suchen.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Christine Buchholz und
Hubertus Zdebel (beide DIE LINKE) zur na-
mentlichen Abstimmung zu dem Antrag des
Bundesministeriums der Finanzen zur Einho-
lung eines zustimmenden Beschlusses des Deut-
schen Bundestages, der Hellenischen Republik
11494 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015
(A) (C)
(D)(B)
Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazili-
tät zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über
ein Memorandum of Understanding zwischen
der Hellenischen Republik und dem Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages-
ordnungspunkt 1 b)
Wir stimmen heute gegen den Antrag der Bundesre-
gierung und gegen die Vereinbarung mit Griechenland,
die an die Kredite gebunden ist. Schäuble, Merkel und
Gabriel setzen mit dem dritten Memorandum für Grie-
chenland die Politik des brutalen Kürzungsdiktats der
ersten beiden Memoranden fort. Gemeinsam mit der EU
haben sie die griechische Regierung erpresst, die Verein-
barung zu unterschreiben. Dabei hat die EU ihren un-
demokratischen und neoliberalen Charakter gezeigt. Die
Vereinbarung zwingt die griechische Regierung, die
Renten zu kürzen, zahlreiche soziale und demokratische
Errungenschaften der Arbeiterbewegung abzuschaffen
und öffentliche Unternehmen und Eigentum zu privati-
sieren. Die sogenannten Hilfsgelder gehen vor allem in
den Schuldendienst, an die Institutionen und an die grie-
chischen Banken.
Schäuble, Merkel und Gabriel wollen der griechi-
schen Bevölkerung nicht helfen. Deutsche und europäi-
sche Unternehmen sollen massiv von den Privatisierun-
gen und der Entrechtung griechischer Beschäftigter
profitieren. So berichtet die FAZ, dass der Verkauf von
14 griechischen Flughäfen zum „Schnäppchen“-Preis
von 1,2 Milliarden Euro an die Fraport AG, die sich
mehrheitlich im Besitz des Landes Hessen und der Stadt
Frankfurt am Main befindet, eine der Bedingungen an
Griechenland war. Den Verkauf hatte die Syriza-Regie-
rung zunächst gestoppt. Privatisiert werden sollen nun
auch Post, Stromnetz und Stromversorgung, die Eisen-
bahn, der Athener Flughafen und weitere regionale Flug-
häfen, die Wasserversorgung der Regionen Attika und
Thessaloniki, die staatlichen Erdöl- und Erdgasunterneh-
men, die Häfen von Piräus und Thessaloniki sowie zehn
regionale Häfen, die Autobahn und zahlreiche Immobi-
lien. Darüber hinaus soll ein Privatisierungsfonds für
weitere Betriebe und Immobilien unter Aufsicht der EU
eingerichtet werden.
Selbst unter der Voraussetzung von massiver Privati-
sierung und Wirtschaftswachstum rechnet die Troika
damit, dass sich die Schuldenlast Griechenlands stark er-
höht. Statt des dritten Kürzungsdiktats fordern wir einen
Schuldenschnitt für Griechenland. Unser Nein ist ein in-
ternationalistisches Nein aus Solidarität zum Widerstand
gegen das Kürzungsdiktat in Griechenland und ganz Eu-
ropa.
Diejenigen aus den Regierungsparteien, die heute mit
Nein stimmen, befürworten im Gegensatz zur Linken
das Kürzungsdiktat und die Erpressung der Bundesregie-
rung gegenüber der griechischen Bevölkerung. Sie schü-
ren chauvinistische Ressentiments unter anderem mit der
Falschdarstellung, „die Deutschen“ würden für „die
Griechen“ zahlen. Der deutsche Staat profitiert finanziell
von der Krise Griechenlands, denn er muss inzwischen
lediglich extrem niedrige Zinsen für deutsche Staatsan-
leihen zahlen, in die sich Kapitalanleger flüchten, Das
Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, IWH,
schätzt, dass seit der Krise der deutsche Staatshaushalt
dadurch um gut 100 Milliarden Euro entlastet worden
sei. Dies seien mehr als die rund 90 Milliarden Euro, die
Griechenland Deutschland direkt und indirekt schulde.
Die vorliegende Vereinbarung lässt der griechischen
Regierung keinen finanziellen Spielraum und ist ein
Angriff auf die Demokratie. Wie schon bei den ersten
beiden „Rettungspaketen“ wird die Demokratie durch
die Kontrolle der Troika ersetzt. Die Vereinbarungen
werden wie bisher vierteljährlich von der Troika über-
prüft und erst dann werden Gelder ausgezahlt. Die
Regierung wurde verpflichtet, bestimmte jährliche
Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Dafür sind zusätzli-
che Kürzungen vereinbart und laut Troika für das Jahr
2018 wahrscheinlich. Nur wenn Griechenland bereits Ei-
gentum im Wert von 25 Milliarden Euro privatisiert hat,
darf es von den weiteren Erlösen die Hälfte behalten.
Die andere Hälfte geht in den Schuldendienst.
Die Syriza-Regierung muss sechs der von ihr einge-
führten Gesetze zurücknehmen und kann Gesetze
zukünftig nur mit Einverständnis der Troika beschließen.
Errungenschaften der Arbeiterbewegung sollen abge-
schafft werden. Die Gesetzgebung zu Massenentlassun-
gen, Streiks und Tarifverhandlungen darf die ILO, die
Internationale Arbeitsorganisation, zwar prüfen, aber die
Gesetze werden in Übereinstimmung mit der Troika ge-
macht, und: Eine Rückkehr zum früheren kollektiven
Tarifrecht, die die Syriza-Regierung versprochen und in
den Verhandlungen gefordert hatte, ist ausdrücklich
ausgeschlossen. Selbst das Urteil des griechischen
Verfassungsgerichts wird umgangen. Es erklärte die
Rentenkürzungen des Memorandums von 2012 für ver-
fassungswidrig. Nun soll es „gleichwertige Maßnah-
men“ geben, die ihre Auswirkungen „vollständig aus-
gleichen“.
Von den Maßnahmen, die die neue griechische Regie-
rung im ersten Halbjahr ihrer Amtszeit auf den Weg
gebracht hat, bleiben unter anderem das Armutsbekämp-
fungsprogramm in Höhe von 200 Millionen Euro, die
Wiedereinrichtung der staatlichen Fernsehanstalt ERT,
die Wiedereinstellung einiger Angestellter im öffentli-
chen Dienst, darunter der Reinigungskräfte im Finanz-
ministerium, sowie ein kleinerer Teil der Steueranhebun-
gen für höhere Einkommen.
Das zeigt, dass der jahrelange Widerstand der entlas-
senen Putzfrauen des Finanzministeriums und der Be-
schäftigten der staatlichen Fernsehanstalt ERT sowie die
breite Solidarität mit ihren Kämpfen der einzige Weg
sind, der Troika etwas entgegenzusetzen. Der Kampf
gegen die Privatisierungen und das Kürzungsdiktat in
Griechenland wird weitergehen. In dem Referendum
vom 5. Juli 2015 haben 61 Prozent der Wählerinnen und
Wähler zum Kürzungsdiktat der Troika mit Oxi, Nein,
abgestimmt. Besonders stark war die Ablehnung unter
jungen Menschen, Arbeitslosen, Arbeiterinnen und Ar-
beitern und Angestellten.
Die Gewerkschaft der Beschäftigten der staatlichen
Häfen hat bereits im Juni angekündigt, gegen die Privati-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11495
(A) (C)
(D)(B)
sierung zu kämpfen. Bei der Abstimmung im griechi-
schen Parlament am 15. Juli organisierte die Gewerk-
schaft des öffentlichen Dienstes einen 24-stündigen
Generalstreik gegen das dritte Memorandum. In den
Sommerferien streikten die griechischen Eisenbahnerin-
nen und Eisenbahner und Fluglotsen gegen die Privati-
sierungspläne. Die kommunalen Angestellten von
Thessaloniki verhinderten zum wiederholten Mal die
Privatisierung der Stadtreinigung. Beschäftigte von
Museen, unter anderem die Angestellten der Akropolis,
legten die Arbeit aus Protest gegen ausbleibende Lohn-
zahlungen nieder.
Unsere Solidarität gilt dem Widerstand gegen das
Kürzungsdiktat in Griechenland, deshalb stimmen wir
heute mit Nein zum Antrag des Bundesfinanzministe-
riums.
Anlage 5
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag
des Bundesministeriums der Finanzen zur Ein-
holung eines zustimmenden Beschlusses des
Deutschen Bundestages, der Hellenischen Re-
publik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhil-
fefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung
über ein Memorandum of Understanding zwi-
schen der Hellenischen Republik und dem Eu-
ropäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Ta-
gesordnungspunkt 1 b)
Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem An-
trag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einho-
lung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen
Bundestages, der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe
in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie
zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understan-
ding zwischen der Hellenischen Republik und dem Eu-
ropäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, nicht zustim-
men.
Gegenstand des Antrages ist es, der Hellenischen Re-
publik nach dem ESM-Vertrag Stabilitätshilfe in Form
eines ESM-Darlehens zu gewähren. Die Maßgaben des
ESM-Vertrages werden nicht erfüllt. Zum einen ist im
Antrag die Summe des Finanzbedarfs – „wird nach
Schätzung der vier Institutionen 86 Milliarden Euro be-
tragen“ – nicht genau bestimmt. Insbesondere hinsicht-
lich der veranschlagten 50 Milliarden Euro Privatisie-
rungserlöse gilt offensichtlich weiterhin das Prinzip
Hoffnung.
Des Weiteren ist selbst aus der Begründung zum An-
trag erkennbar, dass die wesentlichen Bedingungen,
nach denen Mittel aus dem ESM-Vertrag gewährt wer-
den können, wie Schuldentragfähigkeit und Systemrele-
vanz, nicht erfüllt werden. Eine weitere Bedingung war
bisher immer, dass sich der IWF direkt an den Hilfspake-
ten beteiligt. Dies ist für das dritte Hilfspaket nicht ge-
währleistet. Hier werden also früher verbindlich getrof-
fene Regeln und Vereinbarungen nicht eingehalten bzw.
„kreativ uminterpretiert“.
Das schafft ebenso wenig Vertrauen wie der Zick-
zackkurs der griechischen Regierung, ihre verbalen Ent-
gleisungen und die grundsätzliche Abneigung gegen die
Reformforderungen. Die Umsetzung der Auflagen mag
jetzt zumindest in einigen Bereichen vom griechischen
Parlament in Gesetzesform gebracht sein, aber umge-
setzt sind sie deshalb noch lange nicht. Papier ist gedul-
dig. Neuwahlen stehen an. Das griechische Verfassungs-
gericht hat schon einmal die Umsetzung von Reformen
gekippt, und hochrangige Vertreter der griechischen Re-
gierung sagen offen, dass sie jetzt erst einmal zustim-
men, um das Geld zu bekommen und es dann nach eige-
nem Dafürhalten umzuverteilen.
Unabhängig von der Vertrauenswürdigkeit und der
Reformwilligkeit der griechischen Regierung liegt eine
weitere Kritik in dem viel zu geringen Anteil des Finanz-
paketes, der für Investitionen als Voraussetzung für die
Schaffung von Arbeitsplätzen vorgesehen ist. Mit gegen
Krisen gerichteten Konjunkturprogrammen haben wir in
Deutschland gute Erfahrungen gemacht.
Griechenland ist so hoch verschuldet, dass es weder
in 32,5, noch in 60 oder 100 Jahren diese hohen Schul-
den zurückzahlen kann, da nicht zu erwarten ist, dass das
Land innerhalb kürzester Zeit wirtschaftlich auf die
Beine kommt oder gar exorbitantes Wachstum verzeich-
nen kann. Wir müssen also unsere heutige Entscheidung
nicht nur vor unseren Bürgern als heutigen europäischen
Steuerzahlern verantworten, sondern auch noch vor un-
seren Kindern und Enkelkindern, möglicherweise noch
vor unseren Urenkeln.
Das Land wird einen deutlichen Schuldenschnitt
brauchen. Das sagt auch der IWF. Für einen realen
Schuldenschnitt mit Zins- und Tilgungsfreiheit oder
Streckung der Laufzeiten ist der Spielraum, laut Bundes-
finanzminister Schäuble, sehr begrenzt.
Allerdings passt ein solcher nominaler Schulden-
schnitt nicht in die europäischen Verträge, jedenfalls
noch nicht. Ich gehe davon aus, dass im Oktober, wenn
der IWF erneut die Schuldenlasttragfähigkeit prüfen und
über seine Beteiligung am Griechenlandhilfsprogramm
entscheiden wird, es dann entweder eine wiederum sehr
„kreative“ Begründung geben wird, wie wir dennoch ei-
nen Schuldenschnitt organisieren, oder wir führen das
ESM-Programm erstmals ohne die Beteiligung des IWF
weiter. Das ist ebenfalls eine Verletzung der Regeln, die
wir uns erst vor kurzem bei der Inkraftsetzung des ESM
selbst gegeben haben.
Problematisch bleibt in diesem Zusammenhang wei-
terhin die Verflechtung mit der EZB, die den Umfang
der Notkredite an Griechenland aufstockt, die ihrerseits
aus den Rettungsschirmen gespeist werden. Das ist der
Beweis, dass die EZB nunmehr verbotene Staatsfinan-
zierung leistet. Damit hat auch dort ein Tabubruch statt-
gefunden.
Europa entfernt sich damit immer mehr von einer
Wertegemeinschaft im Sinne einer Rechtsgemeinschaft,
ein Paradigmenwechsel von dem Primat des Rechts hin
11496 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015
(A) (C)
(D)(B)
zum Primat der Politik hat stattgefunden – alles ist im-
mer und jederzeit verhandel- und austauschbar. Wir sind
nicht nur auf dem Weg zu einer Haftungs-, Transfer- und
Schuldenunion, wir sind mitten drin in der Spirale. Es ist
nur eine Frage der Zeit, wann die Radialkräfte das ganze
Konstrukt der Währungsunion zersprengen.
Klaus Brähmig (CDU/CSU): Hiermit zeige ich an,
dass ich in der Kontinuität meiner letzten Abstimmung
gegen die Aufnahme von Verhandlungen eines dritten
Hilfspakets für Griechenland auch dem Verhandlungser-
gebnis nicht zustimmen kann. Grund hierfür ist unter an-
derem die bis zum heutigen Tage fehlende Einbeziehung
des Internationalen Währungsfonds, IWF, in die Fortset-
zung der Griechenland-Hilfe. Diese war immer eine
Grundvoraussetzung für deutsche Hilfsleistungen. Die
Forderung des IWF nach einem Schuldenerlass für Grie-
chenland widerspricht dem sogenannten Bail-out-Ver-
bot. Die jetzt zu erwartende Zinsstreckung bis in das
Jahr 2075 ist nur eine juristische Spitzfindigkeit, die
sämtliche Probleme auf künftige Generationen abwälzt.
Hinzu kommt, dass ich nicht davon ausgehen kann,
dass die zur Umsetzung wichtiger Reformmaßnahmen
notwendige effiziente Verwaltung in Griechenland auch
nur ansatzweise vorhanden ist. In der Abwägung aller
Argumente werde ich dem Antrag nicht zustimmen.
Michael Brand (CDU/CSU): Seit dem Beginn der
Griechenland-Hilfe hat sich vieles verändert, manches
zum Besseren, anderes hat sich verschlechtert. Vieles in
den Annahmen zum ersten und zweiten Hilfspaket hat
sich bei Überprüfung als nicht richtig erwiesen. Auch
dies muss der Offenheit wegen festgestellt werden.
In der Bilanz ist festzuhalten: Nachdem die griechische
Regierung unter dem linken Ministerpräsidenten Tsipras
zunächst versucht hat, die Erfolge der Vorgängerregierung
durch unverantwortliche Ausgaben im Staatshaushalt und
Rücknahme der in ihren ersten Schritten sogar erfolgrei-
chen Konsolidierung zunichte zu machen, musste Tsipras
eine Kehrtwende um 180 Grad vornehmen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit sind einzigartige
Strukturreformen von Griechenland akzeptiert worden,
die dem Nationalstaat von der internationalen Gemein-
schaft zur Bedingung für weitere Hilfen gemacht wur-
den. Viele dieser Maßnahmen sind bereits vom griechi-
schen Parlament verabschiedet worden und werden nun
in Kraft gesetzt. Diese Strukturreformen sind zwingend
erforderlich, um Griechenland über eine lange Frist wie-
der zurück in den Kreis nicht völlig verschuldeter Staa-
ten zu führen. Ohne die harte Haltung insbesondere des
deutschen Finanzministers Schäuble und auch den
Druck aus dem Deutschen Bundestag wäre dies auf eu-
ropäischer Ebene nicht erreicht worden.
Allerdings gilt auch hier: Deutschland steht hier nicht
gegen Griechenland, und Deutschland wird sich in Eu-
ropa auch nicht isolieren. Es ist das nationale Interesse
unseres Landes, dass Europa stark ist, weil dies zum
Wohle der Menschen in unserem Lande in politischer,
wirtschaftlicher und auch kultureller Hinsicht stark bei-
trägt.
Es ist auch in unserem nationalen Interesse, dass wir
uns nicht mit wichtigen europäischen Partnern bei der
Lösung eines schweren europäischen Problems überwer-
fen. Deutschland kann seine Position einbringen, zäh
und hart für sie kämpfen, wird aber am Ende sich einem
europäischen Kompromiss nicht verwehren können,
wenn wir als stärkstes Land in Europa nicht die Axt an
die europäische Einheit anlegen wollen. Und in einer im-
mer stärker globalisierten Welt werden wir dieses einige
Europa in den kommenden Jahrzehnten noch sehr häufig
dringend brauchen.
Das qualitativ neue Griechenland-Paket wird wiede-
rum mit auch deutschen Steuergeldern abgesichert. Dies
offen anzusprechen, gehört zur Ehrlichkeit dazu, es führt
kein Weg daran vorbei. Zur Ehrlichkeit gehört auch, da-
rauf hinzuweisen, dass es jenseits des Griechenland-Pro-
blems auch zur europäischen Wahrheit gehört, dass die
Kompromisse auf der europäischen Ebene schon in der
Vergangenheit meistens auch Geld gekostet haben.
Zum ersten Mal allerdings ist bei der letzten Einigung
zu Griechenland ein Maß an strukturellen Anforderun-
gen an einen Nationalstaat zur Änderung seines Staates
gestellt worden, wie dies vor einem Jahr völlig unvor-
stellbar gewesen wäre. Diese von uns in Europa und un-
seren griechischen EU-Partnern lange geforderten struk-
turellen Änderungen im griechischen Staatswesen sind
die Grundvoraussetzung dafür, dass Griechenland in ei-
ner stärker von Wettbewerb geprägten Welt seine ver-
diente Chance erhält. Das bezieht sich auf Finanzverwal-
tung, Kampf gegen Korruption und Steuerprivilegien,
Reform eines völlig verrückten Frühverrentungssystems,
Einführung einer soliden und vor allem finanzierbaren
sozialen Grundsicherung, einer effizienten Verwaltung
und vieles andere mehr.
Die aktuelle Hilfe in Höhe von insgesamt 86 Milliar-
den Euro, von denen mehr als die Hälfte an europäische
Gläubiger zurückfließt, die Frage der sogenannten Schul-
dentragfähigkeit, die erwartete Beteiligung des IWF
– über den der IWF entsprechend seiner internen Regeln
erst im Oktober entscheidet – sind wichtig, und die Um-
setzung wird erstmals penibel und zeitnah überprüft.
Es gilt, dass es Geld nur gibt gegen Gegenleistung.
Die Gegenleistung sind strukturellere Reformen, und es
geht um nichts weniger als um die grundlegende Moder-
nisierung eines Staates, der bislang europäischen Stan-
dards noch nicht genügt und daher erhebliche Probleme
in der Wirtschaft, im Staatswesen und im Ergebnis für
die gesamte Bevölkerung hat.
Niemand in Deutschland oder darüber hinaus, der
politisch bei Verstand ist, will Griechenland aus der Eu-
ropäischen Union hinauswerfen. Dazu ist die strategi-
sche Lage der Europäischen Union in dieser Region,
auch in unmittelbarer Nachbarschaft zur Türkei und im
Wettbewerb um Einfluss, zum Beispiel durch Russland,
zu ernst.
Ob Griechenland entscheidet, den Weg der steinigen
Reformen innerhalb der Euro-Zone zu gehen oder zu ei-
nem bestimmten Zeitpunkt lieber außerhalb der Euro-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11497
(A) (C)
(D)(B)
Zone, aber innerhalb der Europäischen Union gehen
will, kann im August 2015 niemand beantworten.
Was aber im August 2015 beantwortet werden kann,
ist die Frage auf eine Risikoabwägung: Ist es riskanter,
den erreichten Kompromiss auf der europäischen Ebene
platzen zu lassen, als wichtigstes Land der Europäischen
Union, oder den erreichten Kompromiss mit einer um-
strittenen Regierung – die miserabel begonnen hat, viel
Vertrauen zerstört hatte und dennoch am Ende in den
letzten Wochen die europäischen Konditionen akzeptiert
hat und konstruktiv am Ergebnis mitgewirkt hat – mit
der notwendigen Vorsicht und der nun eingebauten Kon-
trolle mit zu tragen?
Meine Antwort ist aus der deutschen wie aus der eu-
ropäischen Sicht: Dieser neuen Qualität an europäischer
Vereinbarung muss man den Mut haben, zuzustimmen.
Es wäre nicht zu verantworten, diese historische Chance
auf einen Neuanfang nicht zu nutzen.
Das tue ich auch gegen erwartete, teils massive Kritik
von denjenigen, die einfach nur die mathematische Auf-
rechnung machen, ohne die politischen und später auch
wirtschaftlichen Folgekosten für Europa und unser Land
mit zu bedenken.
Europa ist für Deutschland oft kompliziert, komplex,
ärgerlich – aber es ist für das Wohl unseres Landes völlig
unverzichtbar. Die aktuellen Herausforderungen, von
Flüchtlingszustrom, Bedrohung durch IS-Terrorismus
bis zu anderen Fragen, machen jeden Tag deutlich: Eu-
ropa muss zusammenhalten, und es kann die immensen
Herausforderungen nur gemeinsam bestehen. Dazu gibt
es in der Tat keine gute Alternative. Unser Wohlstand,
unsere Sicherheit und letztlich auch die Stabilität und der
Frieden unseres Landes, auch für unsere Kinder und für
uns, liegen in diesem Europa. Damit zu spielen, ist nicht
meine Art.
Wir werden noch länger mit Problemen zu tun haben,
die größer sind als die Krise Griechenlands, in der Eu-
ropa viel Steuergeld und politisch viel Lehrgeld bezahlt
hat und dabei in einer weiteren großen Krise auch neue
Erkenntnisse und eine neue politische Qualität gewon-
nen hat, die uns bei anderen Projekten und Schwierigkei-
ten zunutze kommen wird.
Michael Donth (CDU/CSU): Griechenland soll mit
Unterstützung des ESM die Chance erhalten, als Volks-
wirtschaft und Staat aus eigener Kraft zu bestehen. Dies
war zuvor bereits mit zwei anderen Programmen ver-
sucht worden. Für den Erfolg braucht es, mehr noch als
finanzielle Unterstützung, den Willen und ernsthafte
Schritte in Griechenland, um Staat, Wirtschaft und Ge-
sellschaft zu reformieren, zukunftsfähig zu machen.
Dies kann nicht durch die Partner geschehen, dies
kann nur durch Griechenland selbst geschehen. An die-
ser Einsicht mangelte es seither.
In den vergangenen vier Wochen haben die griechi-
sche Regierung und das griechische Parlament zu mei-
nem Erstaunen Vereinbarungen mit den Verhandlungs-
partnern getroffen, die deutlich über das hinausgehen,
was die griechische Seite bislang bereit war einzugehen.
Ein Großteil davon wurde bereits vom Parlament in Ge-
setzen umgesetzt, bevor das Programm neu gestartet
wurde. Dies ist nicht zuletzt der engagierten und konse-
quenten Verhandlungsführung von Bundesfinanzminis-
ter Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela
Merkel zu verdanken.
Dennoch sind aus meiner Sicht weitere Schritte der
griechischen Seite notwendig, um das in den vergange-
nen Monaten zerstörte Vertrauen wieder herzustellen.
Deswegen ist es richtig, dass die nun vorgesehenen Mit-
tel in Tranchen freigegeben werden und regelmäßige
Überprüfungen durch die Troika stattfinden, ob und wie
die Zusagen auch eingehalten und vor allem umgesetzt
werden. Daran beteiligt sich auch weiterhin der IWF.
Alle anderen europäischen Regierungen bzw. Parla-
mente, auch die von Spanien und Portugal, tragen diese
Vorschläge mit und haben positiv entschieden. Ich sehe
sehr wohl das Risiko, dass die Rettung der griechischen
Volkswirtschaft immer noch schiefgehen kann. Anderer-
seits erkenne ich Chancen im vorgelegten Paket.
Deshalb komme ich trotz der Bedenken für mich zu
dem Ergebnis, dass ich heute mit Ja stimme.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Erstmals seit dem
Amtsantritt des griechischen Premierministers Alexis
Tsipras ist eine deutliche Reformbereitschaft in der
griechischen Regierung zu erkennen. So wurden Steu-
erprivilegien zurückgenommen, Reformen im Gesund-
heits- und Rentensystem auf den Weg gebracht und
Maßnahmen ergriffen, um den Bankensektor grundle-
gend zu modernisieren. Zudem gibt es nun konkrete sub-
stanzielle Privatisierungsschritte. Damit besteht eine
realistische Chance, an die Reformanstrengungen anzu-
knüpfen, die im vergangenen Jahr 2014 bereits erste
Früchte getragen haben. Diese Chancen gilt es zu wah-
ren.
Ob die Reformbereitschaft ausreichen wird, um Grie-
chenland auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu
bringen, kann jedoch heute nicht verlässlich eingeschätzt
werden. Viele Maßnahmen stehen erst in den kommen-
den Wochen und Monaten zur Umsetzung an.
Für die Zustimmung zum dritten Hilfsprogramm sind
für mich folgende Maßgaben entscheidend:
– Die Auszahlung der einzelnen Kredittranchen ist klar
an den Reformfortschritt in Griechenland geknüpft.
Die Bundesregierung muss im ESM der Auszahlung
von Tranchen zustimmen. Ich erwarte, dass die Bun-
desregierung ihre Zustimmung verweigert, wenn
Griechenland seine Reformzusagen nicht einhält.
– Der IWF hat seine grundsätzliche Bereitschaft zu
weiteren Griechenland-Hilfen erklärt, falls die Schul-
dentragfähigkeit gewährleistet wird. Zudem hat er an
zwei Stellen Verschärfungen der Reformmaßnahmen
in Griechenland verlangt. Dies betrifft zum einen die
Rentenreform und andere Maßnahmen zur Verbesse-
rung der Haushaltslage, zum anderen die Wiederher-
stellung des Vertrauens in den Bankensektor. Der
11498 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015
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ESM muss diese Forderungen zum Bestandteil der
Bedingungen für die Auszahlung von Tranchen des
Hilfsprogramms machen.
– Ein Schuldenschnitt innerhalb der Euro-Zone kommt
für mich weiterhin nicht infrage.
– Strukturreformen bleiben der Dreh- und Angelpunkt
für wirtschaftlichen Erfolg und finanzielle Stabilisie-
rung. Nur ein reformwilliges Griechenland darf auf
unsere Unterstützung rechnen.
Angesichts der erheblichen Mittel, die nach Griechen-
land fließen, ist ein konsequentes Monitoring des Re-
formprozesses unerlässlich. Daher kommt es entschei-
dend darauf an, dass auch der Deutsche Bundestag in
den kommenden Jahren den Reformprozess intensiv be-
obachtet und hierzu in geeigneter Weise Informationen
einholt. Berichte vonseiten der Bundesregierung, der Eu-
ropäischen Kommission und des ESM gehören für mich
ebenso dazu wie unmittelbare Unterrichtungen in Grie-
chenland vor Ort.
Josef Göppel (CDU/CSU): Ich werde einem zu-
stimmenden Beschluss zu einer Stabilitätshilfe auf
Drucksache 18/5780 nicht zustimmen.
Begründung: Nach zwei gescheiterten Rettungsversu-
chen für Griechenland, die im Wesentlichen alte Schul-
den mit neuen Krediten tilgten, wird ein drittes Pro-
gramm nach der gleichen Methode nicht erfolgreicher
sein können. Weniger als ein Viertel sollen für Investiti-
onshilfen zur Verfügung stehen, der Großteil geht sofort
wieder an internationale Gläubiger zurück. In Wirklich-
keit ist das ein Gläubigerschutzprogramm.
Hier zeigt sich sehr klar das Grundproblem des Euro.
Eine gemeinsame Währung erfordert eine gemeinsame
Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das bedeutet einen Fi-
nanzausgleich ohne Rückzahlungspflicht, wie er zwi-
schen deutschen Bundesländern besteht. Das müssen wir
unserer Bevölkerung dann aber offen sagen!
Solange der Euro ein Währungsverbund wirtschafts-
autonomer Mitgliedstaaten bleibt, muss die Möglichkeit
bestehen, große ökonomische Unterschiede auch mit-
hilfe des zeitweisen Umstiegs auf eine Regionalwährung
zu überbrücken.
Mit dem traditionellen Mittel der Währungskorrektur
kann Griechenland seine Überschuldung abbauen und
anschießend mit einem neuen Ausgangswert wieder in
den Euro einsteigen.
Deshalb unterstütze ich den Vorschlag für eine beglei-
tete Unterbrechung der Euro-Zugehörigkeit. Während
dieser Zeit stehen Griechenland alle Investitionspro-
gramme und sozialen Gemeinschaftshilfen der EU offen.
Sie kommen der griechischen Bevölkerung und ihrer
Volkswirtschaft im Gegensatz zu den bisherigen Um-
schuldungsprogrammen tatsächlich und unmittelbar zu-
gute.
Das aktuelle Programm ist auch deswegen auf Sand
gebaut, weil die erwarteten Privatisierungserlöse mit
Notverkäufen nicht zu erzielen sind. Schon beim zwei-
ten Hilfsprogramm wurden 50 Milliarden Euro aus Pri-
vatisierungen angesetzt, eingegangen sind aber nur
2,6 Milliarden Euro! Ich kann auch nicht akzeptieren,
dass nach wie vor die Privatisierung des Trinkwassers
verlangt wird, die wir in Deutschland strikt ablehnen.
Wir brauchen eine Richtungsentscheidung über den
Charakter der Europäischen Union und eine wirksame
Einbindung der Finanzmärkte über die Finanztransak-
tionsteuer. Letztlich haben die aufgeblähten Schulden-
stände ihre Ursache im überbordenden Finanzsektor, der
inzwischen das 90-fache Volumen der Realwirtschaft er-
reicht hat.
Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Den vorlie-
genden Vertragsentwürfen für ein drittes Hilfspaket für
Griechenland stimme ich nicht zu. Es ist mir wichtig, zu
betonen, dass mit dieser Ablehnung keine Kritik an der
Haltung der Bundesregierung oder der Kanzlerin einher-
geht. Auch halte ich die Systematik der Stabilisierungs-
politik innerhalb der Euro-Zone grundsätzlich für sinn-
voll und geeignet. Beispielhaft seien hier die positiven
Effekte in Portugal, Irland und Spanien genannt. Auch
Zypern befindet sich, ausweislich der jüngsten Pro-
grammüberprüfung, auf einem guten Weg.
Vielmehr verweise ich an dieser Stelle auf meine per-
sönlichen Erklärungen vom 27. Februar 2015 und
17. Juli 2015 und mein darin festgestelltes mangelndes
Vertrauen in den Willen der griechischen Regierung, die
mit den internationalen Partnern vereinbarten Reformen
so umzusetzen.
Seit Tagen verdichten sich ferner die Hinweise, dass
in wenigen Wochen Neuwahlen in Griechenland abge-
halten werden sollen. Die Vergangenheit hat gezeigt,
dass Reformanstrengungen während des Wahlkampfes
vollständig zum Erliegen kommen. Mit diesen Ankündi-
gungen vonseiten des regierenden Parteienbündnisses
Syriza werden die sehr ambitionierten Zeit- und Reform-
pläne bereits heute wieder infrage gestellt.
Ein weiterer Punkt bestimmt meine ablehnende Hal-
tung. Insbesondere die Umsetzung des Griechenland-II-
Pakets verdeutlichte, dass die Überführung von Parla-
mentsbeschlüssen in konkretes Verwaltungshandeln häu-
fig an der mangelnden Funktionsfähigkeit staatlicher
Strukturen in Griechenland scheitert oder zumindest ver-
langsamt wird. Mit der sogenannten Task-Force für
Griechenland unterbreitete die EU-Kommission bereits
im Juli 2011 ein umfassendes und zielgerichtetes Unter-
stützungsangebot an staatliche Stellen in Griechenland.
Ziel war es, den Behörden vor Ort technische Hilfe bei
der Reform der öffentlichen Verwaltung zukommen zu
lassen. Leider wurde dieses Angebot zu selten angenom-
men und aufgegriffen.
Insofern ist es zwar zu begrüßen, dass im nunmehr
dritten Memorandum of Understanding der Stärkung
und Straffung von Behörden ein höheres Gewicht gege-
ben wird. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind jedoch
aus meiner Sicht nicht ausreichend, um eine effektive
Umsetzung der so dringend notwendigen Reformen zu
gewährleisten. Diese wiederum sind notwendig, um die
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11499
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in der Schuldentragfähigkeitsanalyse angenommenen
Wachstumszahlen des Primärüberschusses im Staats-
haushalt zu erreichen.
Helmut Heiderich (CDU/CSU): Die von den Mitar-
beitern der Europäischen Kommission, von EZB, IWF
und ESM verfassten Unterlagen sind nicht nur zum Teil
widersprüchlich, sondern wiederholen viele Maßnah-
men, die schon in den letzten Jahren erfüllt werden soll-
ten.
Zudem verpflichten sie zu einer langen Phase von
weiteren Zahlungen beziehungsweise zur Stundung von
Schulden zugunsten Griechenlands, ohne dass die Be-
dingungen des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 oder die
Bedingungen des IWF erfüllt sind.
Die beim Euro-Summit am 12. Juli 2015 getroffene
Feststellung, dass neue ESM-Zahlungen nur erfolgen
dürfen, „sofern alle in diesem Dokument aufgeführten
Voraussetzungen erfüllt sind“, ist nachweislich nicht er-
reicht. Das bestätigt auch der Bericht der EU-Kommis-
sion vom 14. August 2015.
Weiterhin wird vielfach von der Rekapitalisierung der
Banken als zentralem Element gesprochen. Dabei wer-
den erstmals Banken als nicht lebensfähig bezeichnet.
Bisher wurde von der europäischen Bankenaufsicht im-
mer erklärt, dass alle griechischen Banken den Stresstest
bestanden hätten. Zudem ist inhaltlich bisher in keiner
Weise erkennbar, wie diese Rekapitalisierung konkret
stattfinden soll. Daten dazu sollen erst ab September be-
kannt gegeben werden.
Mit den heutigen Beschlüssen ist zudem klar, dass
weitere Schuldenerleichterungen bzw. ESM-Zahlungen
folgen werden.
Dies wird insbesondere vom IWF betont, weil nach
dessen Sicht die Gesamtverschuldung Griechenlands
über 200 Prozent steigen wird, auch wenn alle vorge-
schlagenen Maßnahmen ausgeführt werden.
Sollte die griechische Regierung Neuwahlen ausru-
fen, sind wohl viele der für September, Oktober und Jah-
resende 2015 vorgesehenen zentralen Forderungen nicht
mehr rechtzeitig erfüllbar, was weitere Abweichungen
verursachen wird.
Aus ökonomischer Bewertung, wegen der fehlenden
Faktendarstellungen und der enthaltenden Widersprü-
che ist das vorgelegte MoU nicht überzeugend und damit
aus dieser Sicht nicht zustimmungsfähig.
Allerdings ist dies kein Votum gegen Bundeskanz-
lerin Dr. Angela Merkel und Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble, die in zähen Verhandlungen immer
wieder intensiv arbeiten, um die gesamte Euro-Gruppe
zu überzeugen und um den Euro langfristig zukunftsfä-
hig zu halten.
Die gerade von vielen Medien betriebenen Aktionen,
die Abstimmung über das MoU zu einem Vertrauensvo-
tum für die Bundeskanzlerin zu machen, weise ich strikt
zurück.
Hier geht es um eine Sachentscheidung und nichts an-
deres.
Unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat wei-
terhin mein vollstes Vertrauen.
Christian Hirte (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun-
desfinanzministeriums, der weitere Kredite für Grie-
chenland vorsieht, stimme ich zu.
Ein drittes Mal innerhalb weniger Jahre stimmt der
Deutsche Bundestag über Kredite für Griechenland ab.
Auch wenn sich die Abstimmung formal einreiht in die
Debatten seit 2010, haben sich die Rahmenbedingungen,
innerhalb derer wir diskutieren, grundlegend gewandelt.
Die in Rede stehenden Kredite in Höhe von bis zu
86 Milliarden Euro bis 2018 sind nicht kleinzureden.
Dennoch gilt es, den genauen Zweck der Gelder im
Blick zu behalten. 54,1 Milliarden Euro stehen für den
Schuldendienst bereit, dienen also lediglich zur Ablö-
sung alter Kredite. Jeder Staat, auch die Bundesrepublik
tut dies regelmäßig. Weitere 25 Milliarden Euro sind für
die Rekapitalisierung der Banken bestimmt. Damit soll
genau das verhindert werden, was die Lage in den ver-
gangenen Wochen so dramatisch machte – die Schlie-
ßung von Banken. Anders als von manchem vorgetra-
gen, werden also nicht einfach Banken gerettet, sondern
es wird die Grundlage dafür geschaffen, dass der Zah-
lungsverkehr für jedermann weiter möglich ist.
Griechenland hat sich in den vergangenen Jahren an-
ders entwickelt als alle anderen Länder, welche die Hilfe
der europäischen Partner in Anspruch nehmen mussten.
Der vereinbarte Reformweg wurde nie so umgesetzt, wie
er vereinbart war, viele eingeleitete Reformen wurden
unter der derzeitigen Regierung sogar zurückgenommen.
Es gibt daher allen Grund, bei Griechenland im Allge-
meinen, aber vor allem der links-rechts-radikalen Regie-
rung Tsipras auch weiterhin skeptisch zu bleiben. Wenn
die Regierung und auch die Bevölkerung Griechenlands
nicht bereit sind, dauerhaft grundsätzlich diesen harten
Reformweg zu beschreiten, wird das Land nicht auf die
Beine kommen – nicht mit Krediten, auch nicht mit ei-
nem Grexit. Ich verstehe daher die Kollegen, die den
Glauben an die Zuverlässigkeit griechischer Zusagen
vollends verloren haben. Dennoch zeigen aus meiner
Sicht die jüngsten Reformbeschlüsse, dass auch eine
ideologisch getriebene Regierung sich nicht ewig den
Realitäten verweigern kann.
Tatsächlich jedoch geht es längst um mehr als die
bloße Frage nach dem Umgang mit Griechenland. Bei
allen Schwierigkeiten und auch Enttäuschungen, die wir
mit der griechischen Regierung erlebt haben, geht es um
mehr. Es geht um den Zusammenhalt Europas. Es geht
um den Zusammenhalt in einer Welt, in der Konflikte
um uns herum bestehen. Wir brauchen einander, und wir
brauchen gegenseitiges Vertrauen und Kompromissfä-
higkeit. Wir brauchen Partnerschaft und Kooperation in
Europa, auch und insbesondere mit Frankreich und Ita-
lien. All dies möchte ich nicht opfern, nur weil die ak-
tuelle griechische Regierung nicht vertrauenswürdig ist.
11500 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015
(A) (C)
(D)(B)
Wir haben heute eine viel größere Verantwortung, als
nur stur nach Athen zu schauen. Europa ist von vielen
Seiten unter Druck, die gesamte Weltlage viel konfuser
als noch vor drei oder vier Jahren. In dieser Situation ei-
nen Riss in Europa zu riskieren, hielte ich für fahrlässig.
Wem wäre denn geholfen, wenn wir Griechenland jetzt
pleitegehen lassen würden und damit am Rand Europas
endgültig das völlige Chaos in der Flüchtlingsfrage aus-
brechen würde? Wir stimmen nicht allein über Geld für
Athen ab, sondern darüber, ob wir Europa auch unter
schmerzhaften Kompromissen zusammenhalten können.
Es geht auch darum, ob sich in Europa unter unseren
Partnern Mehrheiten für das wirtschaftliche und fis-
kalische „Modell Deutschland“ oder für das „Modell
Frankreich“ finden. In diesem Sinn sind wir gerade in
den letzten sechs bis zwölf Monaten große Schritte vo-
rangekommen. Die Verhandlungsführung von Bundes-
kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble war dafür die Grundlage. Sie haben
ihren vom Bundestag erteilten Auftrag so ausgeführt,
dass die Interessen Deutschlands bestmöglich gewahrt
wurden und zugleich das übergeordnete Interesse einer
europäischen Verständigung möglich wurde. Sie haben,
im besten Sinn, Staatskunst bewiesen.
Wir stehen heute tatsächlich an einem Scheideweg in
Europa. Wir müssen Fragen nach Vertiefung oder Ab-
schwächung des Integrationskurses stellen, wir müssen
über Bereitschaft, aber auch Grenzen von Solidarität und
Transfers reden, wir müssen über unser gemeinsames
Außenverhältnis diskutieren, etwa in Bezug auf Russ-
land oder auch die offenen Flüchtlingsfragen. Wir müs-
sen teils stark widerstreitende Grundüberzeugungen in
West- und Ost- sowie Nord- und Südeuropa so zusam-
menbinden, dass weiterhin ein gemeinsamer europäi-
scher Weg möglich bleibt. Diese schwierigen Fragen ha-
ben das Potenzial, den Zusammenhalt Europas auch aufs
Spiel zu setzen. Deutschland ist im wahrsten Wortsinn
bei all dem in einer Mittellage. Dies, unsere wirtschaftli-
che Stärke, aber auch unsere Geschichte bringen uns in
die zentrale Schlüsselposition. Deshalb bin ich zu der
Überzeugung gekommen, dass wir nicht diejenigen sein
dürfen, die diesen Zusammenhalt aufkündigen. Ein kurz-
fristiger Jubel über ein Ende weiterer Kredite, etwa
durch einen Grexit, würde langfristig niemandem helfen.
Meine Zustimmung für ein drittes Hilfspaket ist deshalb
das Ergebnis einer nüchternen Abwägung, das ein
schwieriger Weg einem anderen Weg vorzuziehen ist,
dessen Ende ich als völlig ungewiss und derzeit höchst
riskant einschätze.
In der Vergangenheit habe ich mehrmals im Deut-
schen Bundestag Hilfsprogrammen nicht zugestimmt,
etwa auch im Jahr 2011 bei der Abstimmung über
Kredite und Bürgschaften für Portugal. Nicht ohne
Demut muss ich heute feststellen, dass meine damalige
Einschätzung eines Besseren belehrt wurde – zum
Wohle Portugals und zum Wohle Europas. Der grund-
sätzliche Mechanismus aus Krediten, harten Reformen
und regelmäßiger Kontrolle durch die Gläubiger hat sich
dort wie in Spanien oder Irland als praktikabel und er-
folgreich erwiesen.
Bei aller Abwägung geht es letzlich gar nicht mehr
darum, was das genau Richtige ist, das einzig Wahre,
sondern darum, eine vertretbare Lösung zu unterstützen,
die unsere Regierung unter Verhandlungsleitung von
Wolfgang Schäuble und Angela Merkel dem Bundestag
zur Abstimmung vorlegt. Ich habe insoweit größtes Ver-
trauen, dass das erzielte Verhandlungsergebnis in der ak-
tuellen Situation den für Deutschland in der Summe
bestmöglichen Kompromiss darstellt. Ein Kompromiss,
der allen Seiten viel abverlangt. Ein Kompromiss, der
der Preis sein mag für manche Fehler der Vergangenheit.
Ein Kompromiss, der mir in einer Zeit großer internatio-
naler Verwerfungen erfolgversprechender erscheint als
das einseitige alleinige Beharren auf eigene Interessen.
Mit meiner Zustimmung unterstütze ich daher auch den
notwendigen weiteren Reformprozess in Europa.
Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Griechenland und
seine Regierung unter Ministerpräsident Tsipras haben
sich seit der Aufnahme der Verhandlungen im Juli dieses
Jahres mit der Umsetzung eines Teils der sogenannten
Prior Actions deutlich auf die Euro-Gruppe und insbe-
sondere auch auf Deutschlands Vorstellungen von einer
erfolgreichen Politik und Verwaltung zu bewegt.
Jedoch sind im jetzt vorliegenden Memorandum of
Understanding gerade zentrale Punkte bisher nicht er-
füllt bzw. lediglich durch noch nicht in der Praxis er-
probte Gesetze oder gar nur durch Absichtserklärungen
vorbereitet worden; die tatsächliche Umsetzung kann da-
mit – auch durchaus der kurzen Zeitspanne geschuldet –
gerade nicht überprüft werden.
Zu diesen zentralen Punkten gehören insbesondere:
– Verabschiedung des neuen Haushalts 2016 (Oktober
2015)
– Anpassung der Umsatzbesteuerung (März 2016)
– Reform der Vermögensteuer (Januar 2017)
– Reform des Öffentlichen Beschaffungswesens (Sep-
tember 2015)
– Rentenreform (Oktober 2015 mit Wirkung zum Ja-
nuar 2016)
– Arbeitsmarktreformen (zunächst zurückgestellt)
– Schaffung eines Privatisierungsfonds (im Oktober
2015 soll zunächst nur eine „Arbeitsgruppe“ einge-
setzt werden)
Die Möglichkeit der Überprüfung ist aber nach mei-
nem Verständnis essenzieller Bestandteil der aus dem
Grundgesetz folgenden haushaltspolitischen Verantwor-
tung des Deutschen Bundestages, wie sie im ESM-Fi-
nanzierungsgesetz, ESMFinG, niedergelegt ist: So sollen
Abgeordnete gerade nicht „ins Blaue hinein“ entschei-
den, sondern in Kenntnis aller Umstände. Letzteres ist
hier gerade nicht der Fall, sondern es wird – zumindest
für die erste Tranche – ein Freibrief gegeben, was ich
nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Die darin
liegende Prüfung der „Konditionalität“ ist insbesondere
deshalb erforderlich, weil Mittel aus dem letzten Ret-
tungspaket zwar als „Sanktion“ verfallen sind, nunmehr
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11501
(A) (C)
(D)(B)
aber gleichwohl als Teilbetrag in das in der Diskussion
stehende neue Rettungspaket eingestellt wurden.
Zudem ist für mich bisher nicht erkennbar, wie die
griechische Rentenreform nunmehr in Einklang mit grie-
chischem Verfassungsrecht gebracht werden kann, nach-
dem die ursprünglich schon einmal verabschiedete
Reform in diesem Punkt vom griechischen Verfassungs-
gericht (Συμβούλιο της Επικρατείας) für verfassungs-
widrig erklärt worden war.
Auch hat sich meine Einschätzung zur Schuldentrag-
fähigkeit Griechenlands nicht geändert. Wie auch der In-
ternationale Währungsfonds, IWF, in seiner letzten Stel-
lungnahme ausgeführt hat, bin auch ich nicht der
Ansicht, dass durch das geplante Rettungspaket eine
Schuldentragfähigkeit hergestellt werden kann. Viel-
mehr bedarf es, was der IWF selbst auch zur Bedingung
für seine Teilnahme an einem Rettungspaket macht, an-
derer Maßnahmen, die dann offen und vorbehaltlos dis-
kutiert werden müssen.
Insbesondere ist es fraglich, ob die bisher geplanten
Laufzeitverlängerungen und Stundungen von Zinszah-
lungen ausreichen werden. Vielmehr müsste hier ernst-
haft und ehrlich über einen echten Schuldenschnitt nach-
gedacht werden – und damit auch über ein Staaten-
Insolvenzverfahren, das den Ablauf einer Restrukturie-
rung sowohl für den betroffenen Staat als auch für des-
sen Gläubiger vorhersehbar macht.
Zudem hat sich an meiner rechtlichen Einschätzung
der Voraussetzungen eines ESM-Hilfspakets nichts ge-
ändert. Auch zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich keine Ge-
fahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes
insgesamt oder seiner Mitglieder. Ich verweise hier auf
meine persönliche Erklärung vom 17. Juli 2015.
In jedem Fall möchte ich jedoch herausstellen, dass
mir die möglichen Folgen meiner Entscheidung – sollte
sie von der Mehrheit des Deutschen Bundestages mitge-
tragen werden – bewusst sind. So würde ein Nein zu
dem jetzigen Hilfspaket zunächst eine weitere Brücken-
finanzierung nach sich ziehen – zu der den Mitgliedern
des Deutschen Bundestages auch bereits ein Vertragsent-
wurf zugeleitet wurde. Damit wäre eine Beschlussfas-
sung zum Beispiel im Oktober 2015 zu einem Zeitpunkt
möglich, zu dem schon ein deutlich größerer Teil an
Maßnahmen in Griechenland umgesetzt sein soll und da-
mit überprüfbar wäre. Zudem wäre dann eine Beschluss-
fassung zusammen mit dem IWF möglich.
Bettina Hornhues (CDU/CSU): Nach reichlicher Ab-
wägung der Sachverhalte möchte ich mein Abstimmungs-
verhalten zum heutigen Antrag (Drucksache 18/5780) des
Bundesministers der Finanzen erläutern.
Ich habe in den vergangenen Monaten stark an dem
Erfolg weiterer Griechenland-Hilfen und der Koopera-
tions- und Reformbereitschaft der Griechen gezweifelt.
Bereits im Februar habe ich der technischen Verlänge-
rung des zweiten Hilfspaketes nur mit den größten Be-
denken zugestimmt. Ich verweise an dieser Stelle auf
meine persönliche Erklärung vom 27. Februar 2015
(Plenarprotokoll 18/89).
Ich werde einem dritten Hilfspaket nach eingehendem
Studium der vom Bundesfinanzministerium zur Verfü-
gung gestellten Unterlagen die Zustimmung erteilen, da
auf der Basis der deutlich veränderten Kooperationsbe-
reitschaft der hellenischen Regierung in den Verhand-
lungen der vergangenen Wochen umfangreiche Struk-
turreformen und ein Privatisierungsfonds auf den Weg
gebracht werden konnten. Die Auszahlung des Rettungs-
paketes findet in kleineren Tranchen statt, und diese wer-
den nur ausgezahlt, wenn die vereinbarten Reformen
auch umgesetzt werden. In dem Bewusstsein, dass der
Erfolg dieses Hilfsprogramms vor allem von der Regie-
rung Griechenlands abhängt, ist es aber meiner Auffas-
sung nach die richtige Entscheidung, um der Stabilisie-
rung der Währungsunion zu dienen.
Andrej Hunko (Die Linke): Ich habe bei der heutigen
Abstimmung im Bundestag über ein drittes Kreditpro-
gramm für Griechenland mit Nein gestimmt. Die folgen-
den Gründe haben mich dazu bewogen:
1. Der Charakter des fälschlicherweise als „Hilfspro-
gramm“ bezeichneten Kürzungsdiktats bleibt falsch. Die
im Memorandum of Understanding festgehaltenen Be-
dingungen werden die Krise nicht lösen, sondern weiter
verschärfen.
Sie sind wirtschaftlich kontraproduktiv, weil die Er-
höhung von Verbrauchssteuern wie der Mehrwertsteuer,
weitere Rentenkürzungen und ausbleibende Investitio-
nen, jede Möglichkeit zur wirtschaftlichen Erholung
massiv einschränken.
Sie zwingen die Regierung, ein gigantisches Privati-
sierungsprogramm umzusetzen und profitable öffentli-
che Unternehmen zu Ramschpreisen zu verkaufen.
Sie sind sozial verheerend, weil sie die Kosten der
Krise weitgehend auf Beschäftigte, Arbeitslose und
Rentnerinnen und Rentner abwälzen – wenn auch die
Syriza-Regierung Zugeständnisse zur sozialen Abfede-
rung erkämpfen konnte.
2. Die Kredite in Höhe von 86 Milliarden Euro, für
die Deutschland mit 27 Prozent haftet, fließen erneut
zum Großteil in den Finanzsektor und können nicht zur
Überwindung der Wirtschaftskrise eingesetzt werden.
Durch das wirtschaftlich verheerende Kürzungs- und
Privatisierungsdiktat steigt die Wahrscheinlichkeit wei-
ter, dass die Schulden nicht zurückgezahlt werden kön-
nen.
3. Zwar sind im Vergleich zu den früheren Memoran-
den einige wenige positive Veränderungen festzustellen
wie beispielsweise die Absichtserklärung, eine Gesund-
heits-Grundversorgung für alle einzurichten – auch für
nicht Versicherte. Dass diese Maßnahmen tatsächlich
umgesetzt werden, ist angesichts der Kürzungsvorgaben
im Memorandum jedoch extrem schwierig.
4. Das Zustandekommen des Griechenlandpakets ent-
spricht einem Diktat und ist undemokratisch. In einer
beispiellosen Erpressung haben die EU-Institutionen im
Verbund mit der deutschen Bundesregierung die griechi-
sche Regierung zur Kapitulation gezwungen. Diese
11502 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015
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Politik widerspricht zutiefst meinen Überzeugungen,
weshalb ich sie hier, im Parlament der Erpresser, nur
ablehnen kann. Ich mache hingegen keine Aussage
darüber, wie ich mich in Griechenland, im Parlament der
Erpressten, verhalten würde. Dies ist allein Sache der
griechischen Abgeordneten.
5. Griechenland braucht unsere Hilfe, und ich bin
ohne Umschweife dafür, diese solidarisch zu gewähren.
Das heute zur Abstimmung stehende Paket ist jedoch ein
weiterer Rettungsring aus Blei. Unter diesen Bedingun-
gen kann ich nur mit Nein stimmen.
Thomas Jurk (SPD): Das nun vorliegende Memo-
randum of Understanding, MoU, für ein dreijähriges
ESM-Programm zur Unterstützung Griechenlands ist
keine ausreichende Grundlage für die dringend notwen-
dige Stärkung der griechischen Wirtschaft und setzt
unrealistische Ziele, welche sich schon bald als nicht
umsetzbar erweisen werden. Dies wird maßgeblich dazu
beitragen, den Zusammenhalt in Europa weiter zu unter-
graben.
Bei der geplanten Unterstützung für Griechenland
handelt es sich im Wesentlichen um eine Fortführung
bzw. Anpassung der Bedingungen der seit 2010 laufen-
den Hilfsprogramme. Das Ergebnis dieser bisherigen
Hilfe kann nach mehr als fünf Jahren nur als desaströs
bezeichnet werden: Das griechische BIP und die Real-
löhne sind seit 2010 um rund 20 Prozent zurückgegan-
gen. Die Binnennachfrage ist in diesem Zeitraum um
knapp 30 Prozent gesunken. Auch die gesamtwirtschaft-
liche Investitionsquote ist von 2010 bis heute von 17 auf
11 Prozent gefallen. Die Staatsschuldenquote Griechen-
lands lag 2010 bei 145 Prozent des BIP und wird im
kommenden Jahr – trotz eines Schuldenschnitts im Jahr
2012 – bei rund 200 Prozent des BIP liegen. Die Arbeits-
losenquote hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt und
liegt bei mehr als 25 Prozent. Die Armut ist in Griechen-
land inzwischen zum Alltag vieler Menschen geworden.
Ursache des Scheiterns der bisherigen Hilfspro-
gramme für Griechenland ist in erster Linie nicht die
mangelhafte Umsetzung von Reformen (siehe „Reform
Responsiveness Score“ 2007 bis 2014 der OECD in
„Going for Growth“ 2015), sondern das Außerachtlassen
grundlegender ökonomischer Zusammenhänge, insbe-
sondere hinsichtlich der Auswirkungen der Hilfspro-
gramme auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.
Dies wird mit dem nun vorliegenden MoU leider
nicht korrigiert. So sollen beispielsweise im Rentensys-
tem im kommenden Jahr Leistungen im Umfang von
1 Prozent des BIP eingespart werden, was entsprechende
negative Auswirkungen auf Kaufkraft und Binnennach-
frage haben wird. Auch die im MoU aufgeführten
Maßnahmen zur Förderung von Investitionen oder zur
Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit bleiben weit
hinter dem dringend Notwendigen zurück. So stehen zur
Unterstützung Griechenlands in der laufenden EU-För-
derperiode von 2014 bis 2020 etwa 35 Milliarden Euro
an EU-Mitteln zur Verfügung. Dies sind zunächst einmal
3 Milliarden Euro weniger als in der vorausgegangenen
Förderperiode 2007 bis 2013. Zusätzlich stehen nun le-
diglich die im MoU in Aussicht gestellten, von Grie-
chenland nicht abgerufenen Mittel der EU-Programme
2007 bis 2013 in Höhe von gut 5 Milliarden Euro zur
Verfügung. Hinzu kommt, dass nach dem MoU die grie-
chischen Haushaltsüberschüsse bis zum Erreichen des
vereinbarten Primärüberschussziels, und bei Überschrei-
ten des vereinbarten Primärüberschussziels teilweise,
zur Schuldensenkung verwendet werden müssen. Diese
Mittel stehen also nicht für Investitionen und Konsum
zur Verfügung, was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage
schwächen wird. Nennenswerte Wachstumsimpulse für
die griechische Wirtschaft werden so auch mit dem
neuen MoU nicht gesetzt, was ein Scheitern beim Errei-
chen der mittelfristigen Wachstumsziele und damit auch
der Ziele bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen zur
Folge haben wird.
Die Wachstumsziele sind ohnehin viel zu ambitio-
niert. So wird in der aktuellen Schuldentragfähigkeits-
analyse der europäischen Institutionen im Basisszenario
für Griechenland von einem langfristigen Wachstum des
realen BIP von 1,75 Prozent ausgegangen. Auf welchen
Annahmen dieses Basisszenario beruht, wird in dieser
Schuldentragfähigkeitsanalyse offengelassen. Demge-
genüber geht der IWF davon aus, dass das langfristige
Wachstum des realen BIP 0,8 Prozent erreichen wird,
wenn die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote von
aktuell 11 Prozent bis 2019 auf 19 Prozent des BIP stei-
gen, die Arbeitsmarktpartizipation den höchsten Wert in
der Euro-Zone erreichen, die Arbeitslosigkeit auf das
Niveau Deutschlands fallen und die Steigerungsrate der
totalen Faktorproduktivität das durchschnittliche Niveau
in der Euro-Zone seit 1980 erreichen würde (siehe „IMF
Country Report“ No. 15/165). Es ist aus meiner Sicht
abwegig, zu erwarten, dass Griechenland diese Voraus-
setzungen für ein nachhaltiges Wachstum erfüllen kann.
Deshalb können die von den europäischen Institutionen
vorgegebenen Wachstumsziele und damit auch die
Haushaltsziele nicht erreicht werden.
Der IWF hat es zunächst abgelehnt, sich an einem
weiteren Hilfsprogramm für Griechenland zu beteiligen
und dies mit der nicht gegebenen Schuldentragfähigkeit
begründet. Laut IWF würde der Bruttofinanzierungs-
bedarf Griechenlands deutlich über dem als sicher
geltenden Schwellenwert von 15 Prozent liegen und
langfristig weiter ansteigen. Auch wenn die aktuelle
Schuldentragfähigkeitsanalyse der europäischen Institu-
tionen in dieser Frage unkonkret bleibt, wird diese
Einschätzung hier doch im Wesentlichen bestätigt. Um
die Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten, werden von
den europäischen Institutionen deshalb schuldensen-
kende Maßnahmen vorgeschlagen. Diese Maßnahmen
müssten nach meiner Einschätzung einen erheblichen
Umfang haben und würden damit die Glaubwürdigkeit
des fundamentalen europäischen Grundsatzes, nicht für
die Verbindlichkeiten anderer Staaten einzutreten, in
Zweifel ziehen. Nicht angesprochen werden in der ak-
tuellen Analyse darüber hinaus die erheblichen Risiken
für die Schuldentragfähigkeit: So wird im MoU darge-
legt, dass in Zukunft möglicherweise zusätzliche Maß-
nahmen zur Abwicklung notleidender Kredite im Ban-
kensektor erforderlich sind. Für mich bleibt außerdem
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11503
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höchst zweifelhaft, dass die Privatisierungserlöse im ge-
planten Umfang von knapp 14 Milliarden Euro bis 2022
und weiterer 50 Milliarden Euro im neuen Privatisie-
rungsfonds während der Laufzeit des neuen Darlehens
erzielt werden, da in den vergangenen fünf Jahren tat-
sächlich nur rund 3 Milliarden Euro Einnahmen aus Pri-
vatisierungen erlöst wurden. Zusammenfassend bleibt
festzuhalten, dass die Schuldentragfähigkeit bei objekti-
ver Betrachtung nicht gegeben ist.
Ganz unabhängig von den unrealistischen Zielen des
ESM-Programms hinsichtlich Wirtschaftswachstum,
Haushaltsüberschüssen und Schuldentragfähigkeit ist
auch die Erwartung, dass Griechenland die im MoU im
Einzelnen genannten Bedingungen vollständig und frist-
gerecht erfüllen wird, wenig überzeugend. So hat das
Referendum vom 5. Juli 2015 in Griechenland deutlich
gezeigt, dass die griechische Bevölkerung mehrheitlich
eine Fortsetzung der gescheiterten „Rettungspolitik“ ab-
lehnt. Diese Ablehnung wird zweifellos von der griechi-
schen Regierung geteilt, deren Vertreter dies mehrfach
öffentlich zum Ausdruck gebracht haben. Stärker wiegt
jedoch, dass die im MoU genannten Maßnahmen von
Griechenland – selbst bei gutem Willen aller Beteilig-
ten – bei sachlicher Betrachtung kaum umgesetzt wer-
den können. So sind im MoU – neben den circa 50 Vor-
abmaßnahmen, die bis heute noch nicht vollständig
umgesetzt wurden – über 50 weitere Maßnahmen aufge-
führt, die bis September bzw. Oktober 2015 (das heißt
innerhalb weniger Tage bzw. Wochen) umgesetzt wer-
den müssen. Darunter sind beispielsweise umfassende
Reformen der Tarifordnung für die öffentliche Verwal-
tung, des Rentensystems, der Einkommensteuer sowie
des Steuerverfahrensrechts, die Geltendmachung und
Beitreibung von Rückforderungen im Gesundheitssys-
tem oder die Veröffentlichung der seit über drei Monaten
säumigen Steuer- und Sozialabgabenschuldner. Selbst in
einem Staat mit funktionierender öffentlicher Verwal-
tung würde die Umsetzung jeder einzelnen dieser
Maßnahmen mehr Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb ist
– auch unter Berücksichtigung der technischen Hilfe –
nicht davon auszugehen, dass Griechenland dies vollum-
fänglich wird leisten können.
Unzweifelhaft ist es notwendig, dass Griechenland
eine effiziente Staatsverwaltung bekommt, ein funktio-
nierendes Rechtssystem geschaffen und die Korruption
bekämpft wird. Auch die Einführung einer sozialen
Grundsicherung und eine bessere Gesundheitsversor-
gung der Bevölkerung sind dringend erforderlich. Ich
begrüße auch ausdrücklich die dafür vorgesehene techni-
sche Hilfe der EU. Trotzdem wird dies nach meiner
Ansicht nicht ausreichen, um Griechenland wieder auf
einen dauerhaften Wachstumspfad zu führen, welcher
die Rückzahlung der gewährten Hilfen ermöglicht. Zur
Stärkung der griechischen Wirtschaft wäre zusätzlich
eine große solidarische Anstrengung aller Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union unerlässlich. Einer – wenn
auch modifizierten – Fortsetzung der bisherigen europäi-
schen „Rettungspolitik“ kann ich deshalb nicht zustim-
men.
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
Positivste vorneweg: Mit dem dritten Hilfsprogramm
wird Griechenland für drei Jahre aus den Negativschlag-
zeilen kommen. Die bisher erreichten Reformen können
weitergeführt werden, und die europäische Idee hat wie-
der etwas Zeit, an Stärke zu gewinnen. Für drei Jahre
werden die an der europäischen Idee zweifelnden CDU/
CSU-Abweichler ihre Grexit-Diskussion einstellen müs-
sen. Finanzminister Schäuble, der noch immer für den
Grexit ist, musste eine schwere Niederlage einstecken.
Das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone
wurde gegen seinen Willen vorerst verhindert.
Eine langfristige Lösung stellen die Abmachungen
aber nicht dar. Wieder einmal wurde es versäumt, die
Weichen für die nachhaltige Erholung des Landes zu
stellen. Es fehlt sowohl an einer konsequenten Investi-
tionsförderung – dafür sind keine ausreichenden Mittel
vorhanden – als auch einer garantierten Tragfähigkeit
der griechischen Staatsschulden. Griechenland kann die
Schulden nicht völlig zurückzahlen. Deshalb wird es ein
viertes Kreditprogramm in drei Jahren geben. Die
Chance, dieses zu verhindern, wurde durch Merkels und
Schäubles Weigerung, einen wirksamen Schuldenschnitt
durchzuführen, vertan.
Angesichts dieser zwiespältigen Gesamtbilanz habe
ich mich heute im Bundestag enthalten. Ich bedauere
sehr, dass die Bundesregierung nicht daran interessiert
war, einen Kompromiss zu erzielen, zu dem ich als über-
zeugter Europäer mit gutem Gewissen Ja sagen kann.
Unrealistische Haushaltsziele und kein Ende der Aus-
terität: Es gibt durchaus ein paar positive Aspekte im be-
schlossenen Memorandum of Understanding. Dazu ge-
hören strukturelle Veränderungen im Steuerbereich, die
den Kampf gegen Steuervermeidung maßgeblich verbes-
sern werden. Es wird höhere Steuern für Reeder und
Kürzungen im griechischen Verteidigungshaushalt ge-
ben. Es sind aber auch viele Elemente enthalten, die für
eine Fortsetzung des schädlichen Austeritätskurses sor-
gen werden: beispielsweise die Kürzung der Zusatzren-
ten, die Erhöhung des Renteneintrittalters (in einem
Land mit einer Arbeitslosigkeit von über 25 Prozent und
einer Jugendarbeitslosigkeit von etwa 60 Prozent) und
der Mehrwertsteuer. Unter diesen Umständen scheint
der für das Jahr 2018 anvisierte Primärüberschuss von
3,5 Prozent vollkommen unrealistisch – welches Land
hat denn tatsächlich einen solch hohen Primärüber-
schuss, und warum sollte ausgerechnet Griechenland
diesen erreichen?
Die unrealistischen Sparziele werden großen Druck
auf den neu geschaffenen Privatisierungsfonds ausüben.
Die Erfahrungen mit der deutschen Treuhand zeigen,
dass der Zeitfaktor hierbei die entscheidende Kompo-
nente ist. Kurzfristiger Handlungsdruck angesichts nach
wie vor hoher Einnahmeanforderungen wird einen
Preisverfall des öffentlichen Eigentums bewirken und
verhindert die langfristige Sanierung und strategische
Neuaufstellung der öffentlichen Infrastruktur gerade in
ökologischen Schlüsselsektoren wie Energie und Ver-
kehr – eine schwere Hypothek für die Zukunft.
11504 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015
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(D)(B)
Ohne Schuldenerleichterung bleibt das Hilfsprogramm
eine Fehlkonstruktion: Die griechische Staatsschulden-
quote wird steigen und die Marke von 200 Prozent über-
steigen. Auch der Finanzierungsbedarf öffentlicher Gü-
ter hat längst die kritischen Grenzen überschritten und
stellt einen dauerhaften Hinderungsgrund für eine nach-
haltige Entwicklung in Griechenland dar. Das ist auch
ein Grund, warum Griechenland die gesamten Schulden
nicht begleichen können wird. Die Tragfähigkeit der
Staatsschulden muss aber gesichert sein, damit Grie-
chenland wieder zu einem sich selbst tragenden Wirt-
schafts- und Sozialsystem kommen kann. Die Strategie
von Schäuble und Merkel wird deshalb scheitern, da die-
ses Programm die Schuldenlast des Staates erhöht und
letztlich eine ökonomische und soziale Gesundung ver-
hindert. Das bestätigt auch der IWF, der sich nicht an der
Auszahlung der ersten Tranche beteiligt. Das zeigt aber
auch, wie groß die Differenzen unter den Gläubigern
sind. Angela Merkel hat längst erkannt, dass Griechen-
land eine effektive Umschuldung benötigt, verschiebt
die Umsetzung dieser Erkenntnis allerdings in die Zu-
kunft und vergeudet damit wieder wichtige Zeit und er-
höht damit das Risiko des Scheiterns. Damit verteuert
sie in jedem Fall die Hilfsanforderungen Griechenlands.
Im schlimmsten Fall könnte die Verweigerungshaltung
Merkels ein Scheitern des Hilfsprogramms bedeuten.
Die europäische Idee darf nicht begraben werden: Der
Grexit ist und bleibt keine Alternative. Das Land wird
weiter auf die Solidarität Europas angewiesen sein. Aber
auch umgekehrt gilt: Wenn Griechenland scheitert, wird
dies enormen Schaden für die europäische Idee bewir-
ken. Kein Land Europas profitiert mehr von Europa als
Deutschland. Es liegt also auch in unserem Interesse, die
europäische Idee zu verteidigen und dafür zu sorgen,
dass Europa demokratischer und solidarischer wird. Die
Flüchtlingsdramatik in Griechenland zeigt uns, wie we-
nig Europa wirklicher Solidarität verpflichtet ist. In
Deutschland müssen wir weiter die öffentliche Aus-
einandersetzung mit den nationalkonservativen Kräften
suchen, ihre Ideologie zurückdrängen und die europäi-
sche Idee stärken.
Andrea Lindholz (CDU/CSU): Nach gewissenhafter
Abwägung sämtlicher Aspekte stimme ich dem Antrag
des Bundesministeriums der Finanzen zu, Griechenland
im Rahmen eines dritten Reformprogramms weitere Un-
terstützung im Gegenzug für umfassende und überprüf-
bare Reformen zu gewähren. Ausschlaggebend für
meine Zustimmung waren folgende Aspekte:
Die in meiner Erklärung vom 17. Juli 2015 formulier-
ten Forderungen sehe ich als erfüllt an. Das Programm
dient der Stabilität der Euro-Zone, dem inneren Zusam-
menhalt der Europäischen Union und der Wiederherstel-
lung von Solidität und Wettbewerbsfähigkeit in Grie-
chenland. Die Reformziele wurden im Gegensatz zu den
bisherigen Programmen inhaltlich wesentlich detaillier-
ter fixiert und mit zusätzlichen Fristen versehen. Re-
formfortschritte können künftig besser überprüft und
konsequenter durchgesetzt werden. Das Grundprinzip
unserer Stabilisierungspolitik – Solidarität für
Reformen – wurde maßgeblich gestärkt. Unkonditio-
nierte Hilfe lehne ich weiterhin strikt ab. Die Euro-
Gruppe hat ausdrücklich betont, dass sie das Engage-
ment des IWF für unabdingbar erachtet. Die offenen
Forderungen des IWF können im Rahmen des vorliegen-
den Programms erfüllt und somit die Mitwirkung des
IWF sichergestellt werden. Der Wille aller beteiligten
Parteien, die Mitwirkung des IWF sicherzustellen, ist ge-
geben.
Die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister
haben hart verhandelt und ein Ergebnis erzielt, dem
letztendlich alle 19 Euro-Finanzminister zugestimmt ha-
ben. Ich vertraue diesem Kompromiss, da er keine un-
konditionierte Hilfe verspricht, sondern an klare und
überprüfbare Reformvorgaben gekoppelt ist. Die letzte
Tranche aus dem zweiten Programm wurde mangels Re-
formfortschritten zurückgehalten. Diese Konsequenz er-
warte ich auch von dem neuen Programm.
Griechenland ist reformierbar, sofern der politische
Wille dazu besteht. Schon die ersten beiden Programme
hatten trotz ihrer Unzulänglichkeiten für Reformerfolge
gesorgt. 2014 verzeichnete Athen einen signifikanten
Haushaltsüberschuss vor Schulden, ein erstes, leichtes
Absinken der Arbeitslosigkeit und ein spürbares Wirt-
schaftswachstum. Mit ihrem irrationalen Vorgehen hat
die neue griechische Regierung viele dieser Erfolge zu-
nichtegemacht. Das neue Programm bietet nun die
Chance, auf den Reformpfad zurückzukehren. Als neue
Abgeordnete bin ich bereit, diese Chance letztmalig zu
gewähren. Als deutsche Abgeordnete sind wir vor allem
dem deutschen Steuerzahler verpflichtet und müssen da-
her den Reformwillen der Griechen einfordern und die
Fortschritte in den zuständigen Gremien konsequent
überwachen.
Ich sehe keine bessere Alternative zu diesem neuen
Reformprogramm. Ein unkoordiniertes Ausscheiden
Griechenlands aus der Euro-Zone würde ebenfalls be-
trächtliche Kosten verursachen. Europa darf es nicht zu-
lassen, dass ein geopolitisch so bedeutender EU-Staat
derartig destabilisiert wird. Griechenland hat aufgrund
seiner geografischen Lage beim Schutz der EU-Außen-
grenzen, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise und
als NATO-Partner zahlreiche wichtige Funktionen zu er-
füllen, für die es in jedem Fall gesamteuropäische Unter-
stützung benötigt. Ein Ausscheiden Griechenlands aus
der Euro-Zone bleibt für mich aber weiterhin eine Op-
tion, sofern der nun gezeigte Reformwille nachlässt. Alle
beteiligten Institutionen sind aufgefordert, sich auf diese
Eventualität gewissenhaft und umsichtig vorzubereiten.
Hilde Mattheis (SPD): Meine Zustimmung zur Sta-
bilitätshilfe zugunsten Griechenlands – Einholung eines
zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages,
der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer
Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinba-
rung über ein Memorandum of Understanding zwischen
der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabi-
litätsmechanismus, ESM –, ist ein Votum für den Zu-
sammenhalt Europas und gegen eine unkontrollierte In-
solvenz Griechenlands. Es ist gleichzeitig gerichtet
gegen jeden Versuch, Griechenland aus dem Euro-Raum
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11505
(A) (C)
(D)(B)
– oder der EU – zu drängen. Derartige Vorschläge halte
ich für politisch und wirtschaftlich schädlich für die EU
und unser Land.
Dazu stelle ich allerdings fest:
1. Die Austeritätspolitik ist gescheitert. Sie hat keine
ökonomische Wende auslösen können, sondern vielmehr
die wirtschaftliche Situation der griechischen Unter- und
Mittelschichten verschlechtert. Statt diesen Weg weiter
zu verfolgen, muss ein anderer, hin zu einem nachhalti-
gen, solidarischen Wirtschaften und einer Erneuerung
des Staates beschritten werden. Wir müssen uns auch in
Zukunft entschieden dafür einsetzen, Griechenland in
der europäischen Familie und der Gemeinschaftswäh-
rung zu halten. Europa muss deutlich machen, dass in
Krisenzeiten kein Land zurückgelassen werden darf. Die
vom IWF geforderte Entschuldung Griechenlands kann
dabei nicht ausgeschlossen werden.
2. Griechenland benötigt ein Investitionsprogramm,
um die ökonomische Wende zu schaffen. Aus eigener
Kraft kann Griechenland nur schwer eine wirtschaftliche
Trendwende erzielen. Ein gezieltes Zukunftsinvestiti-
onsprogramm, das mittels EU-Investitionsfonds und der
Mobilisierung privaten Kapitals angeschoben wird, ist
dazu erforderlich. Durch die Investition in Zukunfts-
branchen kann auch ein Beitrag zur Binnennachfrage ge-
leistet werden.
3. Um die notwendigen Reformen umzusetzen,
braucht Griechenland einen modernen und handlungs-
fähigen Staat. Statt vorgegebener Entlassungsquoten
für öffentliche Bedienstete und erzwungenem Ausver-
kauf der öffentlichen Infrastruktur müssen Rechts- und
Sozialstaatlichkeit gestärkt werden. Die griechische
Regierung hat hierbei umfassende Reformen angekün-
digt. Griechenland benötigt dabei jedoch von der euro-
päischen Gemeinschaft konkrete Unterstützung sowie
ausreichend Zeit und Spielraum, um diese rechtsstaatli-
chen und sozialen Vorhaben zum Wohle des Landes
und der gesamten europäischen Gemeinschaft umzuset-
zen.
Das erzielte Verhandlungsergebnis ist unstrittig ein
enormes Austeritätspaket, das dem Land drastische Ein-
schnitte abverlangt. Der Verkauf von 14 Regionalflughä-
fen an den deutschen Flughafenbetreiber Fraport macht
den Ausverkauf des Landes deutlich. Allerdings hat sich
Griechenland damit in dieser Situation eine Perspektive
erkämpft. Die griechische Regierung muss dabei unter-
stützt werden. Außerdem muss die in der Erklärung er-
hobene Forderung von Christine Lagarde, Geschäftsfüh-
rende Direktorin des IWF, nach Schuldenerleichterung
aufgegriffen werden. Der Grexit ist und bleibt keine Al-
ternative. Um die Hoffnung auf eine wirtschaftliche und
soziale Trendwende zu untermauern, braucht Griechen-
land die europäische Solidarität.
Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Erstens. In der Ab-
stimmung vom 17. Juli 2015 habe ich mich der Stimme
enthalten, da ich zum einen die Verhandlungsführung
der Bundeskanzlerin und insbesondere des Bundes-
finanzministers weiterhin unterstützen wollte, anderer-
seits aber zum damaligen Zeitpunkt und auf Basis des
seinerzeit gegebenen Kenntnisstands nach einer schwie-
rigen Abwägung meine Zustimmung nicht erteilen
konnte, „grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form eines
ESM-Darlehens nach Artikel 16 ESM-Vertrag zu ge-
währen“.
Es bestehen sicherlich auch weiterhin begründete
Zweifel, ob die im ESM-Vertrag vorgesehenen grund-
sätzlichen Voraussetzungen für einen Einsatz von ESM-
Darlehen überhaupt gegeben sind – insbesondere eine
Gefährdung der Finanzstabilität der Euro-Zone als Gan-
zes lag und liegt nach meiner Einschätzung nicht vor.
Unabhängig davon habe ich die nunmehr vorliegende
Vereinbarung im Einzelnen geprüft. Dabei habe ich ins-
besondere auch die fachlichen Einschätzungen berück-
sichtigt, die das Bundesministerium der Finanzen vor
der Sitzung der Euro-Gruppe am 14. August 2015 abge-
geben hat.
Zweitens. Bereits bei der Verlängerung des zweiten
Rettungspakets im Februar 2015 fiel es mehr als schwer,
noch Vertrauen in die Ernsthaftigkeit und Verlässlichkeit
der griechischen Regierung aufzubringen, die von ihr
gemachten Zusagen und eingegangenen Verpflichtungen
auch tatsächlich einzuhalten.
Das Verhalten der griechischen Regierung bis Mitte
Juli 2015 hat die schlimmsten Befürchtungen in dieser
Hinsicht zunächst leider mehr als bestätigt. Ich nehme
zur Kenntnis, dass Regierung und Parlament in Grie-
chenland sich nunmehr zu einem ambitionierten und not-
wendigen Reformprogramm verpflichtet haben. Dies ist
zweifelsohne ein großer Verhandlungserfolg der Bun-
deskanzlerin und des Bundesfinanzministers.
Ob diese Verpflichtungen aber über mögliche Neu-
wahlen im Herbst 2015 hinaus tatsächlich Bestand haben
und die zugesagten Reformen nachhaltig und wirksam
umgesetzt werden, daran bestehen allerdings weiterhin
durchaus erhebliche Zweifel. Dies betrifft insbesondere
auch die Frage der Erbringung der notwendigen Eigen-
mittel für die Bankenrekapitalisierung und den Abbau
der öffentlichen Verschuldung im Rahmen des vorgese-
henen Privatisierungsfonds.
Drittens. Selbst wenn die im Programm vereinbarten
Reformen nunmehr erfolgreich umgesetzt werden, kann
ich zum heutigen Zeitpunkt eine glaubwürdige Perspek-
tive zur Wiedererlangung von Schuldentragfähigkeit und
Kapitalmarktzugang Griechenlands in einem überschau-
baren Zeitraum nicht erkennen.
Nach Auffassung des IWF – Country Report vom
14. Juli 2015 – bestehen nur drei Optionen, um Schul-
dentragfähigkeit und Kapitalmarktzugang Griechenlands
wiederherzustellen: ein umfangreicher Schuldenver-
zicht der europäischen Gläubiger vorab, der Einstieg in
dauerhafte fiskalische Transferzahlungen innerhalb der
Euro-Zone oder der weitgehende Verzicht auf Schulden-
dienst für einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren auf alle
bisherigen und die jetzt neu zu gewährenden Darlehen.
Wenn derartige Maßnahmen unabweisbar notwendig
würden, könnte dies den faktischen Einstieg in eine dau-
11506 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015
(A) (C)
(D)(B)
erhafte Transferunion bedeuten, was nach meiner Ein-
schätzung mit dem Maastricht-Vertrag und damit einem
weiteren Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone nicht
vereinbar wäre.
Viertens. Eine weitere Beteiligung des IWF ist aus
meiner Sicht für eine erfolgreiche Umsetzung des Re-
formprogramms dringend notwendig. Der IWF hat sei-
nerseits Schuldenerleichterungen in offenbar signifikan-
tem Umfang zur notwendigen Voraussetzung für seine
weitere Beteiligung am Hilfsprogramm für Griechenland
erklärt.
Die geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine
Lagarde, hat auch nach dem Beschluss der Euro-Gruppe
am 14. August 2015 dazu wie folgt festgestellt: „How-
ever, I remain firmly of the view that Greece’s debt has
become unsustainable and that Greece cannot restore
debt sustainability solely through actions on its own.
Thus, it is equally critical for medium and long-term
debt sustainability that Greece’s European partners make
concrete commitments in the context of the first review
of the ESM program to provide significant debt relief,
well beyond what has been considered so far.“
Es besteht weitgehend Einigkeit, dass eine weitere
Beteiligung des IWF unverzichtbar ist. Darüber soll je-
doch nunmehr erst im Oktober 2015 konkret entschieden
werden. Ich empfinde es als problematisch, dass der
Deutsche Bundestag heute bereits dem Gesamtpro-
gramm zustimmen soll, bevor ausreichende Klarheit da-
rüber besteht, ob und unter welchen Bedingungen sich
der IWF tatsächlich substanziell an diesem neuen Pro-
gramm beteiligen wird.
Fünftens. Ich erkenne die erfolgreichen Bemühungen
der Bundesregierung ausdrücklich an und würde es au-
ßerordentlich begrüßen, wenn auf dieser Grundlage
künftig die mit der Vereinbarung angestrebten Ziele in
vollem Umfang erreicht würden und sich meine heute
bestehenden Bedenken damit rückblickend als unbe-
gründet erweisen.
In einer Gesamtbeurteilung sehe ich mich aber zum
heutigen Zeitpunkt und auf dem heutigen Kenntnisstand
aus den genannten Gründen nicht in der Lage, dem vor-
liegenden Antrag uneingeschränkt zuzustimmen – auch
wenn ich mich nur schweren Herzens in einer wichtigen
Frage von der Mehrheit meiner Fraktion entferne, werde
ich mich daher heute erneut der Stimme enthalten.
Florian Oßner (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun-
desministeriums der Finanzen am 19. August 2015
stimme ich unter sieben Voraussetzungen zu, dass:
erstens der Internationale Währungsfonds, IWF, auch
nach den Neuverhandlungen im Oktober 2015 an den Fi-
nanzhilfen an die Hellenische Republik Griechenland in
überwachender und finanzieller Form eingebunden wird
sowie aktiv mitwirkt;
zweitens die bereits eingeleiteten Reformmaßnah-
men weiter umgesetzt werden – zusätzlich zu den bereits
beschlossenen Steuerreformen durch das griechische
Parlament muss eine funktionsfähige Steuerverwaltung
sowie Unabhängigkeit der griechischen Statistikbehörde
vollständig sichergestellt und eine tragfähige Insolvenz-
ordnung ausgearbeitet werden –;
drittens ein Privatisierungsfonds weiter vorangetrie-
ben wird – griechisches Staatsvermögen muss in einen
unabhängigen Fonds transferiert werden, der die Vermö-
genswerte durch Privatisierung monetarisiert (siehe auch
Memorandum of Understanding) –;
viertens die griechische Regierung die Liberalisie-
rung in zahlreichen Branchen vorantreibt, den Arbeits-
markt flexibler gestaltet und mehr Wettbewerb im Ener-
giesektor etabliert – ein weiterer Reformschritt ist die
Modernisierung der Verwaltung sowie die Erreichung
höherer wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit –;
fünftens ein nominaler Schuldenschnitt nicht reali-
siert wird;
sechstens es nur Solidarität gegen Solidität und Ver-
lässlichkeit geben kann;
siebtens die sogenannte Troika den Reformprozess
vor Ort überwacht, womit ein transparentes Monitoring
implementiert wird.
Ulrich Petzold (CDU/CSU): In den vergangenen
vier Wochen hat die Bundesregierung gemeinsam mit
anderen europäischen Partnern der amtierenden griechi-
schen Regierung aus Links- und Rechtspopulisten um-
fangreiche Zusagen zur Umgestaltung der desolaten
Staatsverwaltung in Griechenland abgerungen, die in ei-
nem Memorandum of Understanding vereinbart sind. Im
Gegenzug dazu wird Griechenland zum 20. August die-
ses Jahres eine erste Sub-Tranche von 13 Milliarden
Euro einer Gesamtfinanzhilfe von 86 Milliarden Euro
ausgezahlt.
Selbstverständlich berücksichtigen die in dem Memo-
randum of Understanding getroffenen Vereinbarungen
wesentliche Bedenken gerade auch des Deutschen
Bundestages, sodass man der deutschen Verhandlungs-
führung ausdrücklich dafür danken kann, doch wird hier
letztendlich eine griechische Zusage zumindest in der
Sub-Tranche gegen eine konkrete, beträchtliche Zahlung
getauscht.
Leider mussten wir in diesem Jahr bei genau der
Regierung, der wir jetzt die Zahlung leisten, feststellen,
dass Zusagen nicht allzu viel wert waren. Selbstver-
ständlich kann man dagegenhalten, dass das griechische
Parlament in seiner Sitzung vom 13./14. August ein
Maßnahmenpaket verabschiedet hat, das die Forderun-
gen des Memorandum of Understanding aufgreift. Be-
denken muss man jedoch dabei, dass ein Maßnahmenpa-
ket keine gesetzliche Regelung und schon gar keine
verwaltungsmäßige Umsetzung darstellt. Gerade bei der
Umsetzung europäischer Vorgaben haben sich in der
Vergangenheit und insbesondere bei der existierenden
Regierung umfangreiche Defizite gezeigt, sodass sich
für mich die Situation so darstellt, dass wir als Europa in
der Hoffnung auf die Umsetzung eines guten Verhand-
lungsergebnisses erneut eine Vorauszahlung leisten.
Besondere Bedenken entstehen bei mir dadurch, dass
sich aufgrund der fehlenden Regierungsmehrheit für das
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11507
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(D)(B)
umzusetzende Reformpaket eine Neuwahl mit absolut
unberechenbarem Ausgang konkret abzeichnet und es
fraglich ist, woran sich eine neue Regierung gebunden
fühlt.
Da ich gerade auch die Bemühungen der deutschen
Verhandlungsführung achte und das Ergebnis der Ver-
handlungen im Memorandum of Understanding als für
alle Seiten akzeptabel anerkenne, jedoch persönlich kein
Zutrauen zur Umsetzung der getroffenen Vereinbarun-
gen durch Griechenland habe, werde ich mich der
Stimme enthalten.
Alois Rainer (CDU/CSU): Nach sorgfältiger Überle-
gung und gewissenhafter Abwägung stimme ich dem
Antrag des Bundesfinanzministeriums zu, Griechenland
im Rahmen eines dritten Reformprogramms auf Grund-
lage des Memorandum of Understanding zu unterstüt-
zen.
Grundlage für meine Zustimmung waren insbeson-
dere folgende Aspekte:
Zunächst hat Griechenland bereits vor Aufnahme der
Verhandlungen im Juli zuvor zurückgestellte Reformen
umgesetzt. Dazu zählen eine systematischere Erhebung
und Erhöhung der Mehrwertsteuer, Maßnahmen für ein
nachhaltigeres Rentensystem, die Unabhängigkeit der
Statistikbehörde, die vollständige Umsetzung des Euro-
päischen Fiskalvertrages, eine effizientere Zivilprozess-
ordnung zur Verkürzung überlanger Verfahren und die
vollständige Umsetzung der europäischen Richtlinie zur
Sanierung und Abwicklung von Banken.
Mit der Umsetzung der vereinbarten Reformagenda
im Memorandum of Unterstanding soll die Tragfähigkeit
der öffentlichen Finanzen wiederhergestellt, die Finanz-
stabilität gesichert, für Wachstum und Wettbewerbs-
fähigkeit gesorgt werden.
Für mich ist hierbei sehr wichtig, dass weitere Aus-
zahlungen an erfolgreich umgesetzte Reformen geknüpft
werden. Deshalb ist es richtig, dass weiterhin regel-
mäßige Programmüberprüfungen vorgesehen sind und
die Hilfskredite nur in Tranchen und unabhängig von
diesen Überprüfungen ausgezahlt werden. Denn nicht
alle Reformen wurden unumkehrbar umgesetzt.
Weiter ist unabdingbar, dass der Internationale Wäh-
rungsfonds, IWF, mit seiner besonderen Expertise, wie
Schulden abgebaut und die Wettbewerbsfähigkeit der
Länder durch Strukturreformen nachhaltig verbessert
werden kann, weiter an Bord bleibt.
Die griechische Regierung hat einen Wandel vollzo-
gen. Von einer anfangs ablehnenden Zusammenarbeit ist
man zwischenzeitlich zu konstruktiven Gesprächen ge-
kommen. Der Erfolg und die Nachhaltigkeit eines dritten
Programms hängen zuallererst jedoch an der Reform-
bereitschaft der Griechen selbst. Mit der geänderten
Haltung der griechischen Regierung und der Umsetzung
der Reformen kann es Griechenland nun schaffen, die
gesteckten Ziele zu erreichen.
Wie ich schon in meiner Erklärung vom 17. Juli
schrieb, galt für mich immer das Prinzip: Solidarität nur
gegen Solidität, und wenn die griechische Regierung be-
reit ist, die harten Reformen umzusetzen, dann ist es nur
folgerichtig, den nächsten Schritt zu gehen.
Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme der Vereinba-
rung über ein ESM-Programm für die Hellenische Repu-
blik zu.
Ich stimme zu, weil die Mehrheit der deutschen als
auch der griechischen Bürgerinnen und Bürger ein Aus-
scheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungsraum
ablehnt und gemeinsam für eine gerechte europäische
Sozial- und Wirtschaftspolitik, für eine europäische Inte-
gration und ein Europa des Friedens, der Freiheit und der
Demokratie eintritt. Außerdem hat Deutschland Europa
und damit auch Griechenland in vielerlei Hinsicht un-
endlich viel zu verdanken.
Ich begrüße sehr, dass nach der Zustimmung des Deut-
schen Bundestags zur Aufnahme von Verhandlungen am
17. Juli 2015 zügig Gespräche und Vereinbarungen er-
reicht werden konnten. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass
mit der Umsetzung des ESM-Programms ein drohendes
Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungs-
raum verhindert werden kann. Dies ist insbesondere das
Verdienst der SPD sowie der sozialdemokratisch und so-
zialistisch regierten Mitglieder der Euro-Gruppe, die sich
stets gegen ein – auch zeitweises – Ausscheiden Grie-
chenlands verwahrt haben.
Das vorliegende ESM-Programm ist in vielerlei Hin-
sicht besser als frühere Programme. Von besonderer Be-
deutung sind dabei die in Aussicht gestellten Schuldener-
leichterungen für die Hellenische Republik und die
notwendige Lockerung der Konsolidierungsziele. Diese
Einsicht ist der Tatsache geschuldet, dass angesichts des
hohen Schuldenstands und der kritischen ökonomischen
Lage Griechenlands nicht alle notwendigen Ziele – Kon-
solidierung und Schuldenabbau, nachhaltige Strukturre-
formen und Impulse für neues Wachstum – gleichzeitig
erreicht werden können. Das zur Abstimmung stehende
ESM-Programm erlaubt durch Anpassung der Haushalts-
ziele an die gegebenen Möglichkeiten Griechenlands die
Konzentration auf Strukturreformen und Wachstumsim-
pulse.
Umfangreiche und effektive Strukturreformen sind
unausweichlich, um einen funktionierenden Sozialstaat
und eine Daseinsvorsorge für alle in Griechenland si-
cherzustellen, um die öffentliche Verwaltung effektiver
und transparenter zu machen und Korruption zu be-
kämpfen und den Kampf gegen Steuerhinterziehung
– auch durch wirksame strafrechtliche Bestimmungen –
zu stärken. Nicht nur in Griechenland, sondern in ganz
Europa ist die Bekämpfung von Steuerbetrug eine wich-
tige gemeinsame Aufgabe. Ich betone deshalb auch die
Bedeutung der weiteren Kooperation mit dem Internatio-
nalen Währungsfonds, IWF, der – mit und auch ohne
weitere finanzielle Beteiligung – bei der fachlich und so-
zial angemessenen Definition der Reformschritte mit-
wirken soll.
Die griechische Wirtschaft ist auf eine nachhaltige
Wachstumsstrategie angewiesen, die durch ein umfang-
11508 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015
(A) (C)
(D)(B)
reiches EU-Investitionsprogramm angeschoben werden
muss. Für eine Wiederbelebung privater Investitionen in
Griechenland ist es umso wichtiger, dass die Unsicher-
heit über den Verbleib der Hellenischen Republik im
Euro-Währungsraum vom Tisch ist. Ich bin auch davon
überzeugt, dass sich Ausstiegsszenarien Einzelner zu
Mitgliedern des derzeitigen Euro-Währungsraumes in
Zukunft nicht wiederholen werden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Europäische
Union einen unverzichtbaren Beitrag zu Frieden, Völ-
kerverständigung und gegenseitiger Solidarität leistet.
Die Gemeinschaftswährung ist Ausdruck dieser europäi-
schen Integration und von großer ökonomischer Bedeu-
tung für sämtliche Mitgliedstaaten des gemeinsamen
Währungsraums und der Europäischen Union insgesamt.
Die Menschen in Europa stehen zum Euro – auch die
Menschen in Griechenland und in Deutschland.
Mit großer Sorge verfolge ich die soziale Situation in
Griechenland – die hohe Arbeitslosigkeit, die weit verbrei-
tete Armut und die unzureichende medizinische Versor-
gung der Menschen. Die durch konstruktive Verhandlungen
der griechischen Regierung und der Finanzminister der an-
deren Euro-Mitgliedstaaten zügig erreichten Vereinbarun-
gen sollen nun der dramatischen sozialen Lage abhelfen.
Europa insgesamt muss sich daran messen lassen, dass Eu-
ropäerinnen und Europäer nicht in sozialem Elend leben
müssen.
Umso wichtiger ist es, bei der Umsetzung der Struk-
turreformen soziale und ökonomische Erfordernisse ge-
meinsam zu betrachten. Da soziale Gerechtigkeit maß-
geblich von öffentlicher Infrastruktur abhängt, appelliere
ich nachdrücklich, im Rahmen der verabredeten Privati-
sierungsvorgaben die Handlungsfähigkeit der Helleni-
schen Republik im Bereich der Daseinsvorsorge nicht
einseitig den kurzfristigen Erlöszielen unterzuordnen.
Privatisierungsvorgaben dürfen nicht dazu führen, im In-
teresse privater Investoren die öffentliche Infrastruktur
unter Wert veräußern zu müssen. In Deutschland selbst
lassen sich dafür zahlreiche – letztlich beim einsichtsvol-
len Rückkauf teure – Beispiele aufzählen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Krise und
die bisher dominierende Austeritätspolitik zu einer Ver-
schärfung der sozialen Situation in Griechenland insbe-
sondere zulasten der Menschen mit geringem Einkommen
geführt haben: Lohnsenkungen um fast 40 Prozent, durch-
schnittliche Rentensenkungen um 48 Prozent, drastische
Einkommensverluste der ärmsten Haushalte, eine Steige-
rung der Arbeitslosigkeit auf 27 Prozent, bei Jugendlichen
auf über 50 Prozent und die steigende Zahl der Suizide um
rund 35 Prozent sind Ausdruck dieser dramatischen Ent-
wicklung.
Die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen aller
Euro-Partner begreife ich deshalb als Start für eine neue,
integrierte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der
EU insgesamt.
Sie muss ausgerichtet sein auf die Reduzierung mak-
roökonomischer Ungleichgewichte, insbesondere der
Leistungsbilanzunterschiede, die auf die von Deutsch-
land maßgeblich forcierte Politik der Wettbewerbsfähig-
keit und Austerität zurückgehen. Die zukünftige Wirt-
schaftspolitik der EU, die einen Schwerpunkt auf
gemeinsame Programme zur Bekämpfung von Jugendar-
beitslosigkeit, auf stärkere europäische Kompetenzen
sowie auf eine verbesserte Regulierung der Kapital-
märkte legen muss, ist die entscheidende Voraussetzung
für den Erfolg des heute vorliegenden ESM-Programms.
Die Entscheidung zu einer gemeinsamen, nationale Inte-
ressen ausgleichenden Wirtschafts- und Sozialpolitik der
EU ist auch notwendige Bedingung dafür, eine ökonomi-
sche Spaltung Europas und die drohende wirtschaftliche
Destabilisierung weiterer Europartner zu verhindern. Ich
erwarte ausdrücklich, dass auch die Konservativen ihr
leichtfertiges Kokettieren mit einem Kerneuropa ökono-
mischer Stärke unterlassen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass in der Europäischen
Union und der Euro-Gruppe gegenseitiges Vertrauen
verloren geht und nationale Interessen europaweite Kon-
flikte nicht abzusehenden Ausmaßes auslösen. Zuneh-
mendem Nationalismus trete ich entschieden entgegen.
Bei meiner Entscheidung geht es nicht nur um Griechen-
land – es geht um ein Europa, welches basiert auf Freiheit
und Demokratie, auf Rechtsstaatlichkeit und Menschen-
rechten. In diesem Europa, in dem jeder Mensch die gleiche
Würde hat, wollen wir gemeinsam in Frieden mit unseren
Nachbarn leben.
Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): An
Tagen wie heute mit Entscheidungen wie diesen wird
mir erneut bewusst, welche große Verantwortung wir als
Abgeordnete des Deutschen Bundestags tragen. Ich un-
terstelle den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen,
dass sie sich ihre Entscheidung ähnlich schwer gemacht
haben wie ich. In den vergangenen Tagen habe ich viel
gelesen, diskutiert, hinterfragt und gezweifelt. Am Ende
steht mein Ja zum dritten Hilfspaket. Aber es ist ein „Ja,
aber …“.
Ja, wir brauchen eine starke Europäische Union. Die
Europäische Union bringt uns Frieden, das darf niemals
gering geschätzt werden. Und sie verschafft uns eine
nicht gekannte Freizügigkeit und Wohlstand. Das geht
nicht ohne Solidarität, ohne Anstrengungen, ohne unser
aller Einsatz. Darum ist das Ja auch ein Ja für das grie-
chische Volk, das sowohl unter den Konsequenzen der
vergangenen unfähigen und korrupten griechischen Re-
gierungen als auch unter den Fehlern, die in der Europäi-
schen Union gemacht wurden, leiden muss.
Ja, es gibt ermutigende Zeichen in diesem Memoran-
dum of Understanding. Allen voran, dass die Korruption
und die Steuerhinterziehung bekämpft werden sollen. Es
ist gut, dass die Steuerprivilegien für die Reeder auslau-
fen werden. Und es ist sinnvoll, wenn eine soziale
Grundsicherung geschaffen werden soll, um damit das
Problem der hohen Frühverrentnung anzugehen, oder
wenn es Hilfen für Langzeitarbeitslose geben soll. Wenn
nun tatsächlich eine effizientere Steuerverwaltung auf-
gebaut werden könnte, wäre auch dies ein großer Schritt,
um der Schattenwirtschaft im Land entgegenzutreten
und vor allem endlich die Reichen ihren Teil leisten zu
lassen.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11509
(A) (C)
(D)(B)
Ja, wir können die Folgen eines Grexits nicht abse-
hen. Aber ich glaube, dass ein Grexit für das griechische
Volk, dem vor allem meine Solidarität gilt, zunächst eine
massive Verschlechterung bringen wird. Nur ein Bei-
spiel: Schon jetzt ist die steigende Kindersterblichkeit
ein Alarmsignal. Wie wäre dies, wenn die Preise für die
zu importierenden Medikamente ins Unermessliche stei-
gen? Ein Grexit hätte auch ein politisches Erdbeben in
der EU zur Folge. Was wäre dann in ein paar Jahren zum
Beispiel mit Italien? Wir können die Folgen derzeit nicht
absehen, aber ich ahne, dass ein Grexit keine Alternative
sein kann und sein darf.
Aber: Ob dieses Hilfspaket tatsächlich uns dem Ziel
näher bringen wird, dass Griechenland wieder auf eige-
nen Beinen stehen kann, dahinter steht ein Fragezeichen.
Wieder werden Schulden gemacht, um Altschulden zu
bezahlen. Dass dies langfristig nicht funktionieren kann,
dazu braucht es keine Wirtschaftsprofessoren. Ich bin
mittlerweile der Überzeugung, dass es einen echten
Schuldenschnitt braucht, um Griechenland überhaupt
eine Chance auf Erholung der Wirtschaft und des Staats-
haushaltes zu geben. So kurbeln wir nur immer weiter
den Kreislauf aus Alt- und Neuschulden an. Dem Staat
aber fehlen die notwendigen Gelder für Investitionen,
auch Fördermilliarden aus der EU können so nicht abge-
rufen werden, da die Kofinanzierung nicht steht, nicht
stehen kann. Hinzu kommen Maßnahmen, denen ich
mehr als skeptisch gegenüberstehe. Die teilweise Erhö-
hung der Mehrwehrsteuer, vor allem auf den Inseln, wird
mehrheitlich eher die arme Bevölkerung treffen. Vor al-
lem aber der Tourismus, einer der wichtigsten noch
funktionierenden Wirtschaftszweige, wird darunter lei-
den. Das halte ich nicht für zielführend.
Aber: Die griechische Regierung hat viel Vertrauen
verspielt. Sicherlich hat nicht geholfen, dass manch
schriller griechischer Ton ein nicht minder schrilles
deutsches Echo bekommen hat. Die Finanzminister Va-
roufakis und Schäuble hatten zuzeiten offenbar mehr In-
teresse daran, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen und mit
dem Finger aufeinander zu zeigen, als ernsthaft an Lö-
sungen zu arbeiten. Aber es bleibt ein völlig verständli-
cher Unmut, dass hier Alex Tsipras zwischenzeitlich
sehr hoch gepokert hat. Und auch wenn es ihm jetzt ge-
lungen ist, das griechische Parlament mehrheitlich hinter
sich und das dritte Hilfspaket zu bringen, machen mir
die drohenden Neuwahlen Sorge. Was, wenn hier die ex-
tremen linken und rechten politischen Kräfte noch mehr
an Zulauf bekommen? Mit wem sollen dann die konkre-
ten Maßnahmen, die im Memorandum of Understanding
stehen, umgesetzt werden? Das bereitet mir Sorge.
Aber: Man kann mit der Art und Weise, wie die Bun-
desregierung in die Verhandlung gegangen ist, nicht
zufrieden sein. Mein Ja ist deshalb ein eindeutiges Ja
für die europäische Idee, aber ein Nein gegen Bundes-
kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble. Ohne Rücksprache mit dem Deut-
schen Bundestag wurde in den entscheidenden Verhand-
lungen plötzlich der Grexit ins Spiel gebracht, offenbar
von langer Hand vom Finanzministerium vorbereitet.
Dieses nahezu erpresserische Verhalten in einem Ringen
um einen für beide Seiten tragfähigen Kompromiss halte
ich nicht nur für kontraproduktiv, sondern auch noch für
politisch unanständig.
Bei allem Für und Wider, das ich in dieser Erklärung
nur ansatzweise andeuten kann, bleibt es schlussendlich
bei meinem „Ja, aber …“. Es ist dies eine der schwie-
rigsten politischen Entscheidungen, die ich als Abgeord-
nete je zu treffen hatte. Und ich sehe meine Verantwor-
tung gegenüber den deutschen und den europäischen
Bürgerinnen und Bürgern. Sie wiegt schwer. Ich hoffe,
dass ich ihr in der Rückschau gerecht geworden bin.
Dr. Nina Scheer (SPD): Den Griechenland-Hilfen
stimme ich zu, da eine Ablehnung für Griechenland eine
humanitäre Katastrophe zur Folge hätte und damit auch
für Europa dauerhaft schädlich wäre. Ich halte allerdings
wesentliche Teile des Hilfsprogramms für verfehlt:
Wenn einem notleidenden Staat durch Privatisierungs-
verpflichtungen Einnahmemöglichkeiten genommen
werden, ist das kontraproduktiv.
So halte ich etwa die Liberalisierung des Stromnetz-
betreibers ADMIE, die als bevorzugte Variante im
Memorandum of Understanding hervorgehoben wird,
für falsch. Die zugleich als mögliche Alternative vor-
gesehene Eigentumsentflechtung zwischen Netz und
Stromerzeugung, bei der die Stromnetze aber in öffentli-
cher Hand bleiben, ist unter den zeitlichen Vorgaben – in
diesem Fall der Privatisierung des Stromnetzes bis Okto-
ber 2015 – nicht zu realisieren und somit für Griechen-
land kein reeller Handlungsspielraum. Mit dieser fakti-
schen Privatisierungsvorgabe für das Stromnetz bleiben
wichtige Fragen außer Acht: Welche privaten Akteure
werden bei welchen Renditevorgaben in das griechische
Stromnetz investieren, um es für die Zukunft fit zu ma-
chen? Ist Privatisierung mit Blick auf die Langfristigkeit
von Netzinvestitionen nicht die volkswirtschaftlich teu-
rere Option?
Im Zuge des notwendigen Energiewendeumbaus des
Stromversorgungssystems haben sich in den letzten
Jahren in Europa insbesondere die Übertragungsnetz-
betreiber aus Dänemark (Energinet.dk), Irland (EirGrid),
Norwegen (Statnett), Niederlande (TenneT) und auch
Schweden (Svenska Kraftnät) bezogen auf die jeweils
inländischen Entwicklungen als starke und zugleich vor-
anschreitende Player erwiesen. Alle diese Netzbetreiber
sind zu 100 Prozent im Staatsbesitz.
Griechenland braucht neben dem Aufbau einer soli-
den Verwaltungsstruktur Schuldenerleichterungen und
Konjunkturprogramme. Andernfalls besteht die Gefahr,
dass Griechenland seine Schulden dauerhaft nicht tragen
kann. Anders als die vorangegangenen Griechenland-
Hilfsprogramme enthält das jetzige Programm richtige
Ansätze, etwa zum Aufbau einer Sozialversicherung.
Zugleich dürfen zeitliche Vorgaben nicht bedeuten, dass
entsprechende Maßnahmen nicht wahrgenommen wer-
den.
Zur weiteren inhaltlichen Positionierung verweise ich
auf meine persönliche Erklärung vom 17. Juli 2015.
11510 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015
(A) (C)
(D)(B)
Jana Schimke (CDU/CSU): Die Verhandlungen der
vergangenen Wochen mit der griechischen Regierung
über weitere Hilfen der Euro-Länder waren nicht leicht.
Deshalb möchte ich dem durch Bundeskanzlerin Angela
Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
erzielten Verhandlungsergebnis meinen Respekt aus-
sprechen. Die Vielzahl der vereinbarten Reformen zeigt
auf, was die Grundlagen eines annähernd funktionieren-
den Staates sind.
Bereits bei der vergangenen Abstimmung über die
Erteilung eines Verhandlungsmandates hatte ich große
Bedenken. So galt es, den herben Vertrauensverlust zwi-
schen der griechischen Regierung und den Euro-Ländern
wiederherzustellen. In der Hoffnung, dass dies gelingt,
hatte ich einem Verhandlungsmandat zugestimmt. Doch
trotz der positiven Verhandlungsergebnisse hat sich mei-
ner Ansicht nach bis heute nichts an der bisherigen Lage
geändert, und die politische Lage Griechenlands ist noch
instabiler geworden. So ist die aktuelle griechische Re-
gierung im Begriff, sich zu spalten und aufzulösen. Wei-
terhin ist davon auszugehen, dass es noch in diesem Jahr
zu Neuwahlen in Griechenland kommt, deren Ausgang
ungewiss ist.
Niemand kann derzeit sagen, ob die heute beschlosse-
nen Reformen auch nach den Wahlen tatsächlich umge-
setzt werden. Den politischen Willensbekundungen fehlt
es nach wie vor an messbaren Ergebnissen und einer
Schuldentragfähigkeit. Deshalb untersagt der Internatio-
nale Währungsfonds, IWF, auch weiterhin seine Beteili-
gung an den Hilfen, welche für eine aussichtsreiche
Unterstützungspolitik jedoch unabdingbar sind.
Weiterhin fehlt es an einer glaubwürdigen Strategie
und der Bereitschaft, den Umgang mit Schuldenländern
in der Europäischen Währungsunion zu regeln. Dabei ist
es an der Zeit, die Konstruktionsfehler der Währungs-
union einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und
klare Regeln für den Umgang mit Schuldenländern zu
entwickeln.
Europa bleibt nur dann stark, wenn jedes Mitglieds-
land die Verantwortung für sein eigenes Handeln über-
nimmt und wir nicht auf eine Schuldenunion zusteuern.
Dies würde dazu führen, dass die Menschen und damit
auch die Steuerzahler den Glauben an das europäische
Projekt verlieren.
Unter diesen Umständen ein neues Hilfsprogramm zu
starten, kann ich nicht verantworten und werde deshalb
mit Nein stimmen.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das ist heute das dritte „Rettungspaket“ für Grie-
chenland. Die beiden ersten sind kläglich gescheitert. Sie
haben den wirtschaftlichen Aufschwung nicht gebracht.
Die soziale Situation im Land und die Wirtschaftslage
sind nicht besser als vorher, sondern dramatisch schlech-
ter geworden, zum Verzweifeln. Die Sparzwänge hatten
verheerende Folgen. Und die Schulden sind enorm ge-
wachsen auf weit über 300 Milliarden Euro. Die Wahr-
heit, die in der deutschen Regierung keiner hören will,
ist: Der griechische Staat wird die Schulden nie zurück-
zahlen können.
Ich stimme zum dritten Rettungspaket wieder mit
Nein.
Denn wie sollen die neuen Kredite in Höhe von bis zu
86 Milliarden Euro und neue Sparzwänge mit Hunderten
von Auflagen, die in mehr als 30 Seiten des Memoran-
dums aufgelistet sind, nun Rettung bringen? Die bisher
aufgezwungene restriktive Sparpolitik wird in keinem
Punkt korrigiert. Ganz im Gegenteil: Kleinere Verbesse-
rungen durch die neue Regierung werden nun „korri-
giert“. Die Kredite zusätzlicher Finanzhilfe für Grie-
chenland aus dem ESM werden die wirtschaftliche und
soziale Lage im Land nicht verbessern. Denn sie dürfen
ausschließlich für die Bedienung der bisherigen Schul-
den und die Sanierung der Banken eingesetzt werden. So
sind von der ersten Tranche von 26 Milliarden Euro
16 Milliarden für Rückzahlungen und 10 Milliarden für
Rekapitalisierung und Abwicklung von Banken vorgese-
hen, insgesamt können es bis zu 25 Milliarden sein. Von
der Gesamtsumme der Kredite bis zu 86 Milliarden ge-
hen 54,1 Milliarden in den Schuldendienst, 7 Milliarden
in den Abbau von Zahlungsrückständen und 7,6 Milliar-
den in den Aufbau von Reserven. Der Rest reicht nicht
mal für die Gebühren und Zinsen der neuen Kredite. Die
Gesamtschuldenlast aber wird erheblich höher.
Im Memorandum sind zwar hehre Ziele für die Regie-
rung formuliert, wie die „Notwendigkeit sozialer Gerech-
tigkeit und Fairness innerhalb der und zwischen den Gene-
rationen“, sowie die „Schaffung von 50 000 Arbeitsplätzen
für Langzeitarbeitslose“, aber die ESM-Finanzhilfen dür-
fen dafür nicht eingesetzt werden. 50 000 Arbeitsplätze
sollen es kurzfristig sein, gar Arbeitsbeschaffungsmaß-
nahmen für 150 000 Arbeitslose bis März 2016. Nur, da-
für und für die ebenfalls im Memorandum angekündigte
Einführung garantierter Mindesteinkommen sowie den
Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle – auch un-
versicherte Personen – sind die Gelder aus den Krediten
nicht da, auch nicht für die Verbesserung der katastro-
phalen Lage der Flüchtlinge im Land. Die neuen Kredite
helfen nur den „Institutionen“, also den Gläubigern, und
das auch nur, solange das neue Geld reicht. Sie helfen
nicht bei der Finanzierung der dringend notwendigen In-
vestitionen in Griechenland.
Immer neue Kredite und Schulden sind der verhäng-
nisvoll falsche Weg, wie spätestens nach dem Scheitern
der bisherigen Rettungsschirme deutlich geworden ist.
Ein deutlicher Schuldenschnitt und ein mehrjähriges
Moratorium bei der Bedienung der Restschulden, ver-
bunden mit einem gezielten Investitionsprogramm für
Wirtschaft, Infrastruktur und die sozialen Sicherungssys-
teme für Griechenland, sind unverzichtbar. Sie sind auch
vertretbar, schließlich hat Deutschland circa 100 Milliar-
den Euro an den niedrigen Zinsen für die eigenen Schul-
den seit der Griechenland-Krise gespart, Das wäre der
richtige Weg – humaner und solidarischer. Deshalb
stimme ich dem Antrag der Bundesregierung nicht zu.
Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Bei der heutigen
namentlichen Abstimmung zum Antrag des Bundes-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11511
(A) (C)
(D)(B)
ministeriums der Finanzen „Stabilitätshilfe zugunsten
Griechenlands“ werde ich nach reiflicher Überlegung
zustimmen.
Zur Abstimmung steht ein hartes und ambitioniertes
Reformpaket mit einem strengen Kontrollmechanismus.
Damit ist das grundlegende Prinzip – Hilfe nur gegen
Reformen – eingehalten. Die Auszahlung erfolgt – so
wie in der letzten Stimmerklärung von mir gefordert –
erneut nur in einzelnen Tranchen und nur dann, wenn
Griechenland die geforderten Reformvorhaben erfolg-
reich umsetzt.
Griechenland hat sich stark bewegt und bereits wich-
tige Reformen beschlossen. Nun kommen weitere harte
Einschnitte auf das Land zu: Die Strukturreformen, die
die Vorgängerregierungen immer wieder versprochen,
aber nicht umgesetzt haben, sollen nun endlich durchge-
führt werden, etwa die Abschaffung von Frührenten,
Reformen auf dem Arbeitsmarkt oder Privatisierungen.
Zudem soll der Kampf gegen Korruption und Steuerhin-
terziehung verschärft werden.
Die griechische Regierung hat einen weiten Weg zu-
rückgelegt und – ausgehend von der Ablehnung jegli-
cher Zusammenarbeit – endlich erkannt, dass es den
Euro nicht zum Nulltarif gibt, sondern nur, wenn man
die gemeinsamen Regeln innerhalb der Euro-Gruppe
einhält. Dies liegt nicht zuletzt an der harten Verhand-
lungslinie unseres Finanzministers Dr. Wolfgang
Schäuble und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
Entscheidend für mich war ebenso, dass die EU auch
bei einer Staatspleite Griechenlands zahlen müsste, und
zwar in Form von humanitären Hilfen, die nicht in Form
von Krediten, sondern direkt fließen würden. Allerdings
hätte die EU dann nicht die Möglichkeit, die Auszahlung
an die Verabschiedung von Reformvorhaben zu knüpfen.
Hilfe darf es aber nur gegen Reformen in Griechenland
geben.
Es kommt jetzt darauf an, dass Griechenland auf die-
sem Weg bleibt und weiterhin liefert. Das wird von den
Institutionen in engen Zeitabständen überprüft, und die
Auszahlung der einzelnen Tranchen erfolgt nur dann,
wenn Griechenland die geforderten Reformvorhaben
weiterhin erfolgreich umsetzt.
Vor diesem Hintergrund habe ich heute dem Hilfspro-
gramm zugestimmt.
Kai Whittaker (CDU/CSU): Der Deutsche Bundes-
tag soll bei seiner heutigen Abstimmung über ein drittes
Hilfspaket für Griechenland entscheiden. Im Vorfeld
dieser Abstimmung hat der Deutsche Bundestag der
Bundesregierung mit seinem Votum vom 17. Juli 2015
das Mandat erteilt, mit Griechenland über Finanzhilfen
in Verhandlungen zu treten.
Folgende Punkte sind anzumerken:
1. Mit der Erklärung des Euro-Gipfels vom 12. Juli
2015 ist es gelungen, die Konditionalität von Kredithil-
fen gegen Reformen einstimmig in der Euro-Gruppe
durchzusetzen. Dies findet sich auch in der Erklärung
der Euro-Gruppe vom 14. August 2015 wieder. Dabei
wird das Reformprogramm nach wie vor von der Euro-
päischen Kommission, der Europäischen Zentralbank,
dem ESM und dem IWF beaufsichtigt und kontrolliert.
Damit gibt es keine Sonderbehandlung für Griechen-
land, sondern Griechenland wird wie alle vorherigen
Programmländer behandelt.
2. Mit der Erklärung der Euro-Gruppe vom 14. Au-
gust 2015 ist ein detailliertes Reformprogramm erarbei-
tet worden. Dieses Programm hat zum Ziel, den maroden
Bankensektor zu reformieren, die Staatseinnahmen zu
erhöhen, Ausgaben zu senken, die Wettbewerbsfähigkeit
der griechischen Wirtschaft zu steigern und eine effi-
ziente Staatsverwaltung aufzubauen. Damit haben wir
eine realistische Aufgabenbeschreibung für die griechi-
sche Regierung und gleichzeitig eine sehr engmaschige,
permanente Kontrolle in den nächsten drei Jahren.
3. Seit dem 15. Juli 2015 hat das griechische Parla-
ment mit großer Mehrheit alle wesentlichen vereinbarten
Maßnahmenpakete verabschiedet, die als Vorbedingung
für ein drittes Hilfspaket gefordert waren. Mit der erfolg-
reichen Abstimmung im Parlament hat die griechische
Regierung das innenpolitische Mandat für den entspre-
chenden Reformkurs erteilt bekommen. Bemerkenswert
ist dabei, dass sich eine überparteiliche Mehrheit für die
Maßnahmen ausgesprochen hat. Damit scheint die grie-
chische Regierung sich endlich zum Prinzip der Konditi-
onalität zu bekennen. Dies muss ich anerkennen.
Selbstverständlich bleiben nach wie vor Zweifel über
den eingeschlagenen Weg. Das Vertrauen, das die grie-
chische Regierung in den letzten Monaten zerstört hat,
lässt sich nicht ohne Weiteres durch einige Beschlüsse
oder Absichtsbekundungen in wenigen Wochen wieder
aufbauen. Nun sind Taten gefordert.
Zweifel bleiben auch über die zukünftige Rolle des
IWF. Für mich ist klar, das es keinen Schuldenschnitt für
ein Land innerhalb der Euro-Zone geben kann und dass
gleichzeitig der IWF weiterhin als Kreditgeber im Boot
bleiben muss. Aus heutiger Sicht ist nicht klar, wie ein
Engagement des IWF aussehen wird und unter welchen
Bedingungen es erfolgen kann. Dies erfüllt mich mit
großer Sorge.
Dennoch bin ich für mich zu dem Schluss gekommen,
diese letzte Chance der griechischen Regierung zu ge-
ben. Durch die harten Verhandlungen der deutschen
Bundesregierung ist es gelungen, dass die von uns im-
mer geforderte Konditionalität, das heißt europäische
Hilfe gegen Reformen, durchgesetzt wurde. Es wäre aus
deutscher Sicht unverantwortlich, wenn wir nun trotz
unseres Verhandlungserfolgs Griechenland nicht helfen
würden, obwohl alle wesentlichen Bedingungen
Deutschlands vonseiten Griechenlands akzeptiert wor-
den sind.
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118. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
Tagesordnungspunkt 1 Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands
Anlagen