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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/118 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 118. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen: Stabili- tätshilfe zugunsten Griechenlands b) Antrag des Bundesministeriums der Finan- zen: Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages, der Hellenischen Republik Stabilitäts- hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understan- ding zwischen der Hellenischen Repu- blik und dem Europäischen Stabilitäts- mechanismus (ESM) Drucksache 18/5780 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11455 B Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11455 C Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11458 D Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11462 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11464 A Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11465 D Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . 11467 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11468 D Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11469 D Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11470 D Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11472 C Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) 11473 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11474 A Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11475 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11476 A Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11477 A Heinz-Joachim Barchmann (SPD) . . . . . . . . . 11479 A Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11479 D Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11481 C Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11482 D Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11484 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11485 D Namentliche Abstimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 11486 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11487 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11489 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11491 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Stefan Liebich, Thomas Nord, Harald Petzold (Havelland), Richard Pitterle, Kirsten Tackmann, Frank Tempel und Dr. Axel Troost (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstim- mung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundesta- ges, der Hellenischen Republik Stabilitäts- hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- ordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11492 A Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lisa Paus, Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar, Steffi Lemke, Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- chen Abstimmung zu dem Antrag des Bun- desministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages, der Hellenischen Repu- blik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfe- fazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwi- schen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tagesordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . 11492 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Buchholz und Hubertus Zdebel (beide DIE LINKE) zur namentlichen Abstim- mung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundesta- ges, der Hellenischen Republik Stabilitäts- hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- ordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11493 D Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages, der Hellenischen Repu- blik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfe- fazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwi- schen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tagesordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . 11495 A Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11495 B Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11496 A Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11496 A Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11497 B Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11497 C Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11498 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . 11498 C Helmut Heiderich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11499 A Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11499 C Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11500 C Bettina Hornhues (CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11501 B Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11501 C Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11502 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11503 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11504 B Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11504 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11505 B Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11506 B Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11506 C Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11507 A Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11507 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11508 C Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11509 C Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11510 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11510 B Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . 11510 D Kai Whittaker (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . . 11511 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11455 (A) (C) (D)(B) 118. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11491 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Castellucci, Lars SPD 19.08.2015 Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 19.08.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.08.2015 Dr. h. c. Erler, Gernot SPD 19.08.2015 Freitag, Dagmar SPD 19.08.2015 Dr. Freudenstein, Astrid CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter CDU/CSU 19.08.2015 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 19.08.2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 19.08.2015 Groß, Michael SPD 19.08.2015 Gunkel, Wolfgang SPD 19.08.2015 Hartmann (Wackern- heim), Michael SPD 19.08.2015 Hauptmann, Mark CDU/CSU 19.08.2015 Hupach, Sigrid DIE LINKE 19.08.2015 Ilgen, Matthias SPD 19.08.2015 Jung, Andreas CDU/CSU 19.08.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 19.08.2015 Katzmarek, Gabriele SPD 19.08.2015 Kiziltepe, Cansel SPD 19.08.2015 Kolbe, Daniela SPD 19.08.2015 Körber, Carsten CDU/CSU 19.08.2015 Korte, Jan DIE LINKE 19.08.2015 Kunert, Katrin DIE LINKE 19.08.2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 19.08.2015 Dr. Lenz, Andreas CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Lindner, Tobias BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.08.2015 Lips, Patricia CDU/CSU 19.08.2015 Lühmann, Kirsten SPD 19.08.2015 Dr. Miersch, Matthias SPD 19.08.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.08.2015 Müller (Erlangen), Stefan CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 19.08.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 19.08.2015 Dr. Schabedoth, Hans- Joachim SPD 19.08.2015 Schieder, Marianne SPD 19.08.2015 Schipanski, Tankred CDU/CSU 19.08.2015 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 19.08.2015 Stadler, Svenja SPD 19.08.2015 Stauche, Carola CDU/CSU 19.08.2015 Stegemann, Albert CDU/CSU 19.08.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 19.08.2015 Tack, Kerstin SPD 19.08.2015 Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 19.08.2015 Vogler, Kathrin DIE LINKE 19.08.2015 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 19.08.2015 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 19.08.2015 Zypries, Brigitte SPD 19.08.2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 11492 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Stefan Liebich, Thomas Nord, Harald Petzold (Havelland), Richard Pitterle, Kirsten Tackmann, Frank Tempel und Dr. Axel Troost (alle DIE LINKE) zur namentli- chen Abstimmung zu dem Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bun- destages, der Hellenischen Republik Stabilitäts- hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu ge- währen, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tagesordnungs- punkt 1 b) Hiermit erklären wir, dass wir zur vorliegenden Be- schlussfassung mit Enthaltung stimmen. Wir begründen das wie folgt: Die seit gerade einem halben Jahr im Amt befindliche griechische Regierung ist mit den Versprechen angetreten, dass das Land ent- sprechend dem Wunsch der deutlichen Mehrheit der griechischen Bevölkerung in der Euro-Zone bleibt und sich zugleich nicht mehr dem Diktat der „Troika“ beugt, dass die Austeritätspolitik und die daraus resultierende Verelendung der Bevölkerung sowie der Niedergang der Wirtschaft beendet werden. Es war klar, dass sie diese Versprechen gegenüber der eigenen Bevölkerung nur re- alisieren konnte und kann, wenn sie dafür aus anderen europäischen Regierungen oder/und durch eine breite europäische Solidaritätsbewegung Unterstützung be- kommt. Bisher ist diese nicht ausreichend zustande ge- kommen. Trotzdem hat die griechische Regierung auf der europäischen Ebene die Sinnhaftigkeit der neolibera- len und vor allem deutschen Austeritätspolitik infrage gestellt sowie in Griechenland selbst als auch in Europa die soziale Frage wieder in die Debatte gebracht. Das Lager der Befürwortung dieser Politik hat Risse bekom- men. Die Unterstützung der Haltung der griechischen Regierung durch die Mehrheit der griechischen Bevölke- rung durch ein Referendum hat diese Position gestärkt. Zugleich stieß die Regierung Griechenlands an die Grenze ihrer Handlungsspielräume. Die Banken mussten schließen, die Kassen des Landes waren leer, eine Zah- lungsfähigkeit nicht mehr vorhanden, die Wirtschaft und die Gesellschaft standen vor dem allgemeinen Kollaps. Alexis Tsipras musste einen Weg finden, um die Hand- lungsfähigkeit der griechischen Regierung wenigstens teilweise wiederzuerlangen, ohne dabei die Unterstüt- zung der Mehrheit der Bevölkerung zu verlieren. Er hat sich dabei vor dem Hintergrund, dass ein Teil der Gläu- biger, insbesondere der deutschen, die griechische Krise nutzen wollten, um mit der Drohung eines Grexits ein deutsch-dominiertes „Kern-Europa“ durchzusetzen, für den Weg des „Kompromisses“ entschieden, um wenigs- tens Griechenlands Verbleib in der EU und im Euro zu retten. Damit mussten die Grexit-Befürworter dem Druck insbesondere der sozialdemokratischen italieni- schen sowie französischen Regierung nachgeben und die rücksichtslose Durchsetzung ihres Zieles aussetzen, ohne es jedoch tatsächlich aufzugeben. Der Preis, den Griechenland dafür zahlen muss, ist hoch und fand im Memorandum vom Juli 2015 seinen Ausdruck. Es ist ebenso Ausdruck des Kräfteverhältnisses in der Europäi- schen Union wie das hier zur Abstimmung stehende „Hilfspaket“. Aber es ermöglicht eine neue Runde des Widerstandes gegen die Austeritätspolitik in der EU und der Euro-Zone, eines Kampfes für eine solidarische und demokratische Zukunft der Europäischen Union. Wir können das Agieren der Bundesregierung in den Verhandlungen zum neuen Hilfspaket nicht befürworten, denn diese Regierung vertritt heute mit die reaktionärs- ten politischen Positionen in der EU. Teile von ihr stre- ben gar nach einem neoliberalen deutsch-dominierten „Kern-Europa“. Davon ausgehend gibt es gute Gründe zu diesem „Hilfspaket“ Nein zu sagen. Gleichwohl ist die griechische Regierung gegenwär- tig der mit Abstand einzige machtpolitische Aktivposten der Europäischen Linken. Wir begrüßen, dass es ihr ge- lungen ist, die Differenzen zwischen den Gläubigern zu nutzen, um deutsche Pläne für einen Grexit zu durch- kreuzen und sich Chancen – wenn auch begrenzt – für politische Korrekturen der Gläubigerlinien zu erhalten und zu schaffen: Dies sind die Frage des vom IWF ge- forderten Schuldenerlasses, die zwischen IWF, der deut- schen und der griechischen Regierung strittige Ausge- staltung des sogenannten Treuhandfonds, die von der EU-Kommission unterstützte Möglichkeit, reale Mittel für Investitionen in die Wirtschaft zu erhalten und die im sogenannten „Paket“ enthaltene Möglichkeit – neben sehr rigiden sozialen Einschnitten –, auch in einzelnen Bereichen soziale Reformen im Interesse der ärmsten Griechinnen und Griechen durchzuführen. Wir haben Verständnis, wenn andere diese Chancen nicht sehen. Zugleich bestärkt uns die Auseinanderset- zung in der Unionsfraktion darin, dass auch Abgeord- nete der Regierungsfraktionen diese Möglichkeiten se- hen und sie gerade damit ihr Nein begründen. Wir gehen davon aus, dass gerade diese Debatte in der Unionsfrak- tion ein Nachweis dafür ist, dass es Merkel und Schäuble nicht gelungen ist, das ihnen vom Bundestag erteilte Mandat bei den Verhandlungen eins zu eins umzusetzen, dass sich der Kampf der griechischen Seite für die eige- nen Ziele weiter lohnt und dass es der Syriza-Regierung durchaus bei den kommenden Auseinandersetzungen helfen kann, dies auch mit unserem Abstimmungsver- halten deutlich zu machen. Deshalb haben wir uns der Stimme enthalten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lisa Paus, Sylvia Kotting- Uhl, Monika Lazar, Steffi Lemke, Beate Müller- Gemmeke, Corinna Rüffer und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einho- lung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11493 (A) (C) (D)(B) schen Bundestages, der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazili- tät zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- ordnungspunkt 1 b) Mit dem dritten Hilfsprogramm kann das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone vorerst verhindert wer- den. Es wurde aber erneut versäumt, die notwendigen Be- dingungen für eine wirtschaftliche Erholung und nachhal- tige Entwicklung zu schaffen. Es fehlt sowohl an einer konsequenten Investitionsförderung als auch einer garan- tierten Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden. Zu- dem wurde das jetzige Programm nicht auf Augenhöhe verhandelt. Die Maßnahmen wurden der griechischen Re- gierung, die mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Banken erpresst wurde, von außen aufgezwungen. So wird die griechische Demokratie auf absehbare Zeit ent- machtet. Im Ergebnis steht das Land kurz vor Neuwahlen und weiteren Monaten der politischen Instabilität. Ange- sichts dieser zwiespältigen Gesamtbilanz haben wir uns heute im Bundestag enthalten. Wir bedauern sehr, dass die Bundesregierung nicht willens war, einen Kompromiss zu erzielen, der für Griechenland eine belastbare Perspektive schafft und Europa stärkt und die europäische Idee weiter entwickelt. Unrealistische Haushaltsziele und kein Ende der Aus- terität: Es gibt durchaus positive Aspekte im beschlosse- nen Memorandum of Understanding. Dazu gehört der intensivierte Kampf gegen Steuervermeidung, die höhe- ren Steuern für Reeder und die Kürzungen im griechi- schen Verteidigungshaushalt. Zugleich sind darin aber viel zu viele Elemente enthalten, die für eine Fortsetzung des schädlichen Austeritätskurses sorgen werden: bei- spielsweise die Kürzung der Zusatzrenten, die Erhöhung des Renteneintrittsalters und der Mehrwertsteuern auf den Inseln auf 23 Prozent. Unter diesen Umständen scheint der für das Jahr 2018 anvisierte Primärüber- schuss von 3,5 Prozent vollkommen unrealistisch. In je- dem Fall wird durch diese nach wie vor unrealistischen Sparziele ein großer Druck auf dem neu geschaffenen Privatisierungsfonds lasten. Die Erfahrungen mit der deutschen Treuhand zeigen, dass Zeit hierbei die ent- scheidende Komponente ist. Kurzfristiger Handlungs- druck angesichts nach wie vor hoher Einnahmeanforde- rungen wird einen Preisverfall des öffentlichen Eigentums bewirken und verhindert die langfristige Sa- nierung und strategische Neuaufstellung der öffentlichen Infrastruktur gerade in ökologischen Schlüsselsektoren wie Energie und Verkehr. Das ist eine schwere Hypothek für die Zukunft. Mit weiteren Sparmaßnahmen wird die Armut in Griechenland steigen, und es ist auch nicht absehbar, wie eine Mindestsicherung kostenneutral eingeführt werden kann. Zudem enthält das Memorandum of Understan- ding die Forderung, dass in einem Konsultationsprozess die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt über- prüft werden sollen. Schon die Eingriffe in die Tarifauto- nomie in den vergangenen Jahren waren nicht akzepta- bel, und sie widersprechen auch den europäischen Verträgen, der europäischen Grundrechtecharta und sind mit dem europäischen Sozialmodell nicht zu vereinba- ren. Nur mit wirkungsvollen Mindeststandards, Arbeit- nehmerrechten und gelebter Solidarität kann Europa ein soziales und demokratisches Konstrukt bleiben. Ohne Schuldenerleichterung bleibt das Hilfsprogramm eine Fehlkonstruktion: Die griechische Staatsschulden- quote wird nach den Vorhersagen der Troika schon bald die Marke von 200 Prozent übersteigen. Nach heutigem Stand wird auch der Bruttofinanzierungsbedarf des Staa- tes perspektivisch die kritischen Grenzen überschreiten. Griechenland wird nur dauerhaft aus der Krise kommen und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkeh- ren, wenn die Tragfähigkeit der Staatsschulden gesichert wird. Die Strategie von Schäuble und Merkel wird hinge- gen scheitern, wenn die Schuldenlast des Staates weiter die ökonomische Gesundung hemmt. Dass der IWF sich nicht an der Auszahlung der ersten Tranche beteiligt, zeigt, wie groß die Differenzen unter den Gläubigern sind. Eine effektive Umschuldung bleibt in der Schwebe. Da- mit kann aber auch ein Scheitern des Hilfsprogramms weiterhin nicht ausgeschlossen werden. Griechenland wird zur Schuldenkolonie: Das neue Hilfsprogramm ist an massive Eingriffe in die staatliche Souveränität Griechenlands gebunden. Anders als im bisherigen Prozess der europäischen Einigung handelt es sich dabei um einseitige Maßnahmen. So werden die Fortschritte des neuen Programms nicht nur alle drei Monate kontrolliert, Ministerpräsident Tsipras musste sich außerdem dazu verpflichten, alle vorherigen Maß- nahmen seiner Regierung zurückzunehmen, die nicht mit der Troika abgestimmt waren. Darüber hinaus wird der einzurichtende Privatisierungsfonds unter externe Aufsicht gestellt, womit Griechenland faktisch die Kon- trolle über sein öffentliches Eigentum verliert. Dieses Vorgehen schwächt das Vertrauen in Europa und seinen Sinn für Demokratie und Diversität. Das Ergebnis sind Vertrauensverlust in demokratische Strukturen, politi- sche Instabilität und eine brachiale Staatsreform, die Tsipras unter dem ständigen Risiko von Neuwahlen durchsetzen muss. Der Grexit ist und bleibt keine Alternative. Griechen- land ist weiter auf die Solidarität Europas angewiesen, und es wird unsere Aufgabe in Deutschland sein, weiter für diese Solidarität und für ein solidarisches Europa zu werben und die öffentliche Auseinandersetzung darüber mit den nationalkonservativen Kräften zu suchen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Buchholz und Hubertus Zdebel (beide DIE LINKE) zur na- mentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einho- lung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages, der Hellenischen Republik 11494 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazili- tät zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- ordnungspunkt 1 b) Wir stimmen heute gegen den Antrag der Bundesre- gierung und gegen die Vereinbarung mit Griechenland, die an die Kredite gebunden ist. Schäuble, Merkel und Gabriel setzen mit dem dritten Memorandum für Grie- chenland die Politik des brutalen Kürzungsdiktats der ersten beiden Memoranden fort. Gemeinsam mit der EU haben sie die griechische Regierung erpresst, die Verein- barung zu unterschreiben. Dabei hat die EU ihren un- demokratischen und neoliberalen Charakter gezeigt. Die Vereinbarung zwingt die griechische Regierung, die Renten zu kürzen, zahlreiche soziale und demokratische Errungenschaften der Arbeiterbewegung abzuschaffen und öffentliche Unternehmen und Eigentum zu privati- sieren. Die sogenannten Hilfsgelder gehen vor allem in den Schuldendienst, an die Institutionen und an die grie- chischen Banken. Schäuble, Merkel und Gabriel wollen der griechi- schen Bevölkerung nicht helfen. Deutsche und europäi- sche Unternehmen sollen massiv von den Privatisierun- gen und der Entrechtung griechischer Beschäftigter profitieren. So berichtet die FAZ, dass der Verkauf von 14 griechischen Flughäfen zum „Schnäppchen“-Preis von 1,2 Milliarden Euro an die Fraport AG, die sich mehrheitlich im Besitz des Landes Hessen und der Stadt Frankfurt am Main befindet, eine der Bedingungen an Griechenland war. Den Verkauf hatte die Syriza-Regie- rung zunächst gestoppt. Privatisiert werden sollen nun auch Post, Stromnetz und Stromversorgung, die Eisen- bahn, der Athener Flughafen und weitere regionale Flug- häfen, die Wasserversorgung der Regionen Attika und Thessaloniki, die staatlichen Erdöl- und Erdgasunterneh- men, die Häfen von Piräus und Thessaloniki sowie zehn regionale Häfen, die Autobahn und zahlreiche Immobi- lien. Darüber hinaus soll ein Privatisierungsfonds für weitere Betriebe und Immobilien unter Aufsicht der EU eingerichtet werden. Selbst unter der Voraussetzung von massiver Privati- sierung und Wirtschaftswachstum rechnet die Troika damit, dass sich die Schuldenlast Griechenlands stark er- höht. Statt des dritten Kürzungsdiktats fordern wir einen Schuldenschnitt für Griechenland. Unser Nein ist ein in- ternationalistisches Nein aus Solidarität zum Widerstand gegen das Kürzungsdiktat in Griechenland und ganz Eu- ropa. Diejenigen aus den Regierungsparteien, die heute mit Nein stimmen, befürworten im Gegensatz zur Linken das Kürzungsdiktat und die Erpressung der Bundesregie- rung gegenüber der griechischen Bevölkerung. Sie schü- ren chauvinistische Ressentiments unter anderem mit der Falschdarstellung, „die Deutschen“ würden für „die Griechen“ zahlen. Der deutsche Staat profitiert finanziell von der Krise Griechenlands, denn er muss inzwischen lediglich extrem niedrige Zinsen für deutsche Staatsan- leihen zahlen, in die sich Kapitalanleger flüchten, Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, IWH, schätzt, dass seit der Krise der deutsche Staatshaushalt dadurch um gut 100 Milliarden Euro entlastet worden sei. Dies seien mehr als die rund 90 Milliarden Euro, die Griechenland Deutschland direkt und indirekt schulde. Die vorliegende Vereinbarung lässt der griechischen Regierung keinen finanziellen Spielraum und ist ein Angriff auf die Demokratie. Wie schon bei den ersten beiden „Rettungspaketen“ wird die Demokratie durch die Kontrolle der Troika ersetzt. Die Vereinbarungen werden wie bisher vierteljährlich von der Troika über- prüft und erst dann werden Gelder ausgezahlt. Die Regierung wurde verpflichtet, bestimmte jährliche Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Dafür sind zusätzli- che Kürzungen vereinbart und laut Troika für das Jahr 2018 wahrscheinlich. Nur wenn Griechenland bereits Ei- gentum im Wert von 25 Milliarden Euro privatisiert hat, darf es von den weiteren Erlösen die Hälfte behalten. Die andere Hälfte geht in den Schuldendienst. Die Syriza-Regierung muss sechs der von ihr einge- führten Gesetze zurücknehmen und kann Gesetze zukünftig nur mit Einverständnis der Troika beschließen. Errungenschaften der Arbeiterbewegung sollen abge- schafft werden. Die Gesetzgebung zu Massenentlassun- gen, Streiks und Tarifverhandlungen darf die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation, zwar prüfen, aber die Gesetze werden in Übereinstimmung mit der Troika ge- macht, und: Eine Rückkehr zum früheren kollektiven Tarifrecht, die die Syriza-Regierung versprochen und in den Verhandlungen gefordert hatte, ist ausdrücklich ausgeschlossen. Selbst das Urteil des griechischen Verfassungsgerichts wird umgangen. Es erklärte die Rentenkürzungen des Memorandums von 2012 für ver- fassungswidrig. Nun soll es „gleichwertige Maßnah- men“ geben, die ihre Auswirkungen „vollständig aus- gleichen“. Von den Maßnahmen, die die neue griechische Regie- rung im ersten Halbjahr ihrer Amtszeit auf den Weg gebracht hat, bleiben unter anderem das Armutsbekämp- fungsprogramm in Höhe von 200 Millionen Euro, die Wiedereinrichtung der staatlichen Fernsehanstalt ERT, die Wiedereinstellung einiger Angestellter im öffentli- chen Dienst, darunter der Reinigungskräfte im Finanz- ministerium, sowie ein kleinerer Teil der Steueranhebun- gen für höhere Einkommen. Das zeigt, dass der jahrelange Widerstand der entlas- senen Putzfrauen des Finanzministeriums und der Be- schäftigten der staatlichen Fernsehanstalt ERT sowie die breite Solidarität mit ihren Kämpfen der einzige Weg sind, der Troika etwas entgegenzusetzen. Der Kampf gegen die Privatisierungen und das Kürzungsdiktat in Griechenland wird weitergehen. In dem Referendum vom 5. Juli 2015 haben 61 Prozent der Wählerinnen und Wähler zum Kürzungsdiktat der Troika mit Oxi, Nein, abgestimmt. Besonders stark war die Ablehnung unter jungen Menschen, Arbeitslosen, Arbeiterinnen und Ar- beitern und Angestellten. Die Gewerkschaft der Beschäftigten der staatlichen Häfen hat bereits im Juni angekündigt, gegen die Privati- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11495 (A) (C) (D)(B) sierung zu kämpfen. Bei der Abstimmung im griechi- schen Parlament am 15. Juli organisierte die Gewerk- schaft des öffentlichen Dienstes einen 24-stündigen Generalstreik gegen das dritte Memorandum. In den Sommerferien streikten die griechischen Eisenbahnerin- nen und Eisenbahner und Fluglotsen gegen die Privati- sierungspläne. Die kommunalen Angestellten von Thessaloniki verhinderten zum wiederholten Mal die Privatisierung der Stadtreinigung. Beschäftigte von Museen, unter anderem die Angestellten der Akropolis, legten die Arbeit aus Protest gegen ausbleibende Lohn- zahlungen nieder. Unsere Solidarität gilt dem Widerstand gegen das Kürzungsdiktat in Griechenland, deshalb stimmen wir heute mit Nein zum Antrag des Bundesfinanzministe- riums. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Ein- holung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages, der Hellenischen Re- publik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhil- fefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwi- schen der Hellenischen Republik und dem Eu- ropäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Ta- gesordnungspunkt 1 b) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem An- trag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einho- lung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages, der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understan- ding zwischen der Hellenischen Republik und dem Eu- ropäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, nicht zustim- men. Gegenstand des Antrages ist es, der Hellenischen Re- publik nach dem ESM-Vertrag Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren. Die Maßgaben des ESM-Vertrages werden nicht erfüllt. Zum einen ist im Antrag die Summe des Finanzbedarfs – „wird nach Schätzung der vier Institutionen 86 Milliarden Euro be- tragen“ – nicht genau bestimmt. Insbesondere hinsicht- lich der veranschlagten 50 Milliarden Euro Privatisie- rungserlöse gilt offensichtlich weiterhin das Prinzip Hoffnung. Des Weiteren ist selbst aus der Begründung zum An- trag erkennbar, dass die wesentlichen Bedingungen, nach denen Mittel aus dem ESM-Vertrag gewährt wer- den können, wie Schuldentragfähigkeit und Systemrele- vanz, nicht erfüllt werden. Eine weitere Bedingung war bisher immer, dass sich der IWF direkt an den Hilfspake- ten beteiligt. Dies ist für das dritte Hilfspaket nicht ge- währleistet. Hier werden also früher verbindlich getrof- fene Regeln und Vereinbarungen nicht eingehalten bzw. „kreativ uminterpretiert“. Das schafft ebenso wenig Vertrauen wie der Zick- zackkurs der griechischen Regierung, ihre verbalen Ent- gleisungen und die grundsätzliche Abneigung gegen die Reformforderungen. Die Umsetzung der Auflagen mag jetzt zumindest in einigen Bereichen vom griechischen Parlament in Gesetzesform gebracht sein, aber umge- setzt sind sie deshalb noch lange nicht. Papier ist gedul- dig. Neuwahlen stehen an. Das griechische Verfassungs- gericht hat schon einmal die Umsetzung von Reformen gekippt, und hochrangige Vertreter der griechischen Re- gierung sagen offen, dass sie jetzt erst einmal zustim- men, um das Geld zu bekommen und es dann nach eige- nem Dafürhalten umzuverteilen. Unabhängig von der Vertrauenswürdigkeit und der Reformwilligkeit der griechischen Regierung liegt eine weitere Kritik in dem viel zu geringen Anteil des Finanz- paketes, der für Investitionen als Voraussetzung für die Schaffung von Arbeitsplätzen vorgesehen ist. Mit gegen Krisen gerichteten Konjunkturprogrammen haben wir in Deutschland gute Erfahrungen gemacht. Griechenland ist so hoch verschuldet, dass es weder in 32,5, noch in 60 oder 100 Jahren diese hohen Schul- den zurückzahlen kann, da nicht zu erwarten ist, dass das Land innerhalb kürzester Zeit wirtschaftlich auf die Beine kommt oder gar exorbitantes Wachstum verzeich- nen kann. Wir müssen also unsere heutige Entscheidung nicht nur vor unseren Bürgern als heutigen europäischen Steuerzahlern verantworten, sondern auch noch vor un- seren Kindern und Enkelkindern, möglicherweise noch vor unseren Urenkeln. Das Land wird einen deutlichen Schuldenschnitt brauchen. Das sagt auch der IWF. Für einen realen Schuldenschnitt mit Zins- und Tilgungsfreiheit oder Streckung der Laufzeiten ist der Spielraum, laut Bundes- finanzminister Schäuble, sehr begrenzt. Allerdings passt ein solcher nominaler Schulden- schnitt nicht in die europäischen Verträge, jedenfalls noch nicht. Ich gehe davon aus, dass im Oktober, wenn der IWF erneut die Schuldenlasttragfähigkeit prüfen und über seine Beteiligung am Griechenlandhilfsprogramm entscheiden wird, es dann entweder eine wiederum sehr „kreative“ Begründung geben wird, wie wir dennoch ei- nen Schuldenschnitt organisieren, oder wir führen das ESM-Programm erstmals ohne die Beteiligung des IWF weiter. Das ist ebenfalls eine Verletzung der Regeln, die wir uns erst vor kurzem bei der Inkraftsetzung des ESM selbst gegeben haben. Problematisch bleibt in diesem Zusammenhang wei- terhin die Verflechtung mit der EZB, die den Umfang der Notkredite an Griechenland aufstockt, die ihrerseits aus den Rettungsschirmen gespeist werden. Das ist der Beweis, dass die EZB nunmehr verbotene Staatsfinan- zierung leistet. Damit hat auch dort ein Tabubruch statt- gefunden. Europa entfernt sich damit immer mehr von einer Wertegemeinschaft im Sinne einer Rechtsgemeinschaft, ein Paradigmenwechsel von dem Primat des Rechts hin 11496 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) zum Primat der Politik hat stattgefunden – alles ist im- mer und jederzeit verhandel- und austauschbar. Wir sind nicht nur auf dem Weg zu einer Haftungs-, Transfer- und Schuldenunion, wir sind mitten drin in der Spirale. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Radialkräfte das ganze Konstrukt der Währungsunion zersprengen. Klaus Brähmig (CDU/CSU): Hiermit zeige ich an, dass ich in der Kontinuität meiner letzten Abstimmung gegen die Aufnahme von Verhandlungen eines dritten Hilfspakets für Griechenland auch dem Verhandlungser- gebnis nicht zustimmen kann. Grund hierfür ist unter an- derem die bis zum heutigen Tage fehlende Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds, IWF, in die Fortset- zung der Griechenland-Hilfe. Diese war immer eine Grundvoraussetzung für deutsche Hilfsleistungen. Die Forderung des IWF nach einem Schuldenerlass für Grie- chenland widerspricht dem sogenannten Bail-out-Ver- bot. Die jetzt zu erwartende Zinsstreckung bis in das Jahr 2075 ist nur eine juristische Spitzfindigkeit, die sämtliche Probleme auf künftige Generationen abwälzt. Hinzu kommt, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass die zur Umsetzung wichtiger Reformmaßnahmen notwendige effiziente Verwaltung in Griechenland auch nur ansatzweise vorhanden ist. In der Abwägung aller Argumente werde ich dem Antrag nicht zustimmen. Michael Brand (CDU/CSU): Seit dem Beginn der Griechenland-Hilfe hat sich vieles verändert, manches zum Besseren, anderes hat sich verschlechtert. Vieles in den Annahmen zum ersten und zweiten Hilfspaket hat sich bei Überprüfung als nicht richtig erwiesen. Auch dies muss der Offenheit wegen festgestellt werden. In der Bilanz ist festzuhalten: Nachdem die griechische Regierung unter dem linken Ministerpräsidenten Tsipras zunächst versucht hat, die Erfolge der Vorgängerregierung durch unverantwortliche Ausgaben im Staatshaushalt und Rücknahme der in ihren ersten Schritten sogar erfolgrei- chen Konsolidierung zunichte zu machen, musste Tsipras eine Kehrtwende um 180 Grad vornehmen. Zum ersten Mal seit langer Zeit sind einzigartige Strukturreformen von Griechenland akzeptiert worden, die dem Nationalstaat von der internationalen Gemein- schaft zur Bedingung für weitere Hilfen gemacht wur- den. Viele dieser Maßnahmen sind bereits vom griechi- schen Parlament verabschiedet worden und werden nun in Kraft gesetzt. Diese Strukturreformen sind zwingend erforderlich, um Griechenland über eine lange Frist wie- der zurück in den Kreis nicht völlig verschuldeter Staa- ten zu führen. Ohne die harte Haltung insbesondere des deutschen Finanzministers Schäuble und auch den Druck aus dem Deutschen Bundestag wäre dies auf eu- ropäischer Ebene nicht erreicht worden. Allerdings gilt auch hier: Deutschland steht hier nicht gegen Griechenland, und Deutschland wird sich in Eu- ropa auch nicht isolieren. Es ist das nationale Interesse unseres Landes, dass Europa stark ist, weil dies zum Wohle der Menschen in unserem Lande in politischer, wirtschaftlicher und auch kultureller Hinsicht stark bei- trägt. Es ist auch in unserem nationalen Interesse, dass wir uns nicht mit wichtigen europäischen Partnern bei der Lösung eines schweren europäischen Problems überwer- fen. Deutschland kann seine Position einbringen, zäh und hart für sie kämpfen, wird aber am Ende sich einem europäischen Kompromiss nicht verwehren können, wenn wir als stärkstes Land in Europa nicht die Axt an die europäische Einheit anlegen wollen. Und in einer im- mer stärker globalisierten Welt werden wir dieses einige Europa in den kommenden Jahrzehnten noch sehr häufig dringend brauchen. Das qualitativ neue Griechenland-Paket wird wiede- rum mit auch deutschen Steuergeldern abgesichert. Dies offen anzusprechen, gehört zur Ehrlichkeit dazu, es führt kein Weg daran vorbei. Zur Ehrlichkeit gehört auch, da- rauf hinzuweisen, dass es jenseits des Griechenland-Pro- blems auch zur europäischen Wahrheit gehört, dass die Kompromisse auf der europäischen Ebene schon in der Vergangenheit meistens auch Geld gekostet haben. Zum ersten Mal allerdings ist bei der letzten Einigung zu Griechenland ein Maß an strukturellen Anforderun- gen an einen Nationalstaat zur Änderung seines Staates gestellt worden, wie dies vor einem Jahr völlig unvor- stellbar gewesen wäre. Diese von uns in Europa und un- seren griechischen EU-Partnern lange geforderten struk- turellen Änderungen im griechischen Staatswesen sind die Grundvoraussetzung dafür, dass Griechenland in ei- ner stärker von Wettbewerb geprägten Welt seine ver- diente Chance erhält. Das bezieht sich auf Finanzverwal- tung, Kampf gegen Korruption und Steuerprivilegien, Reform eines völlig verrückten Frühverrentungssystems, Einführung einer soliden und vor allem finanzierbaren sozialen Grundsicherung, einer effizienten Verwaltung und vieles andere mehr. Die aktuelle Hilfe in Höhe von insgesamt 86 Milliar- den Euro, von denen mehr als die Hälfte an europäische Gläubiger zurückfließt, die Frage der sogenannten Schul- dentragfähigkeit, die erwartete Beteiligung des IWF – über den der IWF entsprechend seiner internen Regeln erst im Oktober entscheidet – sind wichtig, und die Um- setzung wird erstmals penibel und zeitnah überprüft. Es gilt, dass es Geld nur gibt gegen Gegenleistung. Die Gegenleistung sind strukturellere Reformen, und es geht um nichts weniger als um die grundlegende Moder- nisierung eines Staates, der bislang europäischen Stan- dards noch nicht genügt und daher erhebliche Probleme in der Wirtschaft, im Staatswesen und im Ergebnis für die gesamte Bevölkerung hat. Niemand in Deutschland oder darüber hinaus, der politisch bei Verstand ist, will Griechenland aus der Eu- ropäischen Union hinauswerfen. Dazu ist die strategi- sche Lage der Europäischen Union in dieser Region, auch in unmittelbarer Nachbarschaft zur Türkei und im Wettbewerb um Einfluss, zum Beispiel durch Russland, zu ernst. Ob Griechenland entscheidet, den Weg der steinigen Reformen innerhalb der Euro-Zone zu gehen oder zu ei- nem bestimmten Zeitpunkt lieber außerhalb der Euro- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11497 (A) (C) (D)(B) Zone, aber innerhalb der Europäischen Union gehen will, kann im August 2015 niemand beantworten. Was aber im August 2015 beantwortet werden kann, ist die Frage auf eine Risikoabwägung: Ist es riskanter, den erreichten Kompromiss auf der europäischen Ebene platzen zu lassen, als wichtigstes Land der Europäischen Union, oder den erreichten Kompromiss mit einer um- strittenen Regierung – die miserabel begonnen hat, viel Vertrauen zerstört hatte und dennoch am Ende in den letzten Wochen die europäischen Konditionen akzeptiert hat und konstruktiv am Ergebnis mitgewirkt hat – mit der notwendigen Vorsicht und der nun eingebauten Kon- trolle mit zu tragen? Meine Antwort ist aus der deutschen wie aus der eu- ropäischen Sicht: Dieser neuen Qualität an europäischer Vereinbarung muss man den Mut haben, zuzustimmen. Es wäre nicht zu verantworten, diese historische Chance auf einen Neuanfang nicht zu nutzen. Das tue ich auch gegen erwartete, teils massive Kritik von denjenigen, die einfach nur die mathematische Auf- rechnung machen, ohne die politischen und später auch wirtschaftlichen Folgekosten für Europa und unser Land mit zu bedenken. Europa ist für Deutschland oft kompliziert, komplex, ärgerlich – aber es ist für das Wohl unseres Landes völlig unverzichtbar. Die aktuellen Herausforderungen, von Flüchtlingszustrom, Bedrohung durch IS-Terrorismus bis zu anderen Fragen, machen jeden Tag deutlich: Eu- ropa muss zusammenhalten, und es kann die immensen Herausforderungen nur gemeinsam bestehen. Dazu gibt es in der Tat keine gute Alternative. Unser Wohlstand, unsere Sicherheit und letztlich auch die Stabilität und der Frieden unseres Landes, auch für unsere Kinder und für uns, liegen in diesem Europa. Damit zu spielen, ist nicht meine Art. Wir werden noch länger mit Problemen zu tun haben, die größer sind als die Krise Griechenlands, in der Eu- ropa viel Steuergeld und politisch viel Lehrgeld bezahlt hat und dabei in einer weiteren großen Krise auch neue Erkenntnisse und eine neue politische Qualität gewon- nen hat, die uns bei anderen Projekten und Schwierigkei- ten zunutze kommen wird. Michael Donth (CDU/CSU): Griechenland soll mit Unterstützung des ESM die Chance erhalten, als Volks- wirtschaft und Staat aus eigener Kraft zu bestehen. Dies war zuvor bereits mit zwei anderen Programmen ver- sucht worden. Für den Erfolg braucht es, mehr noch als finanzielle Unterstützung, den Willen und ernsthafte Schritte in Griechenland, um Staat, Wirtschaft und Ge- sellschaft zu reformieren, zukunftsfähig zu machen. Dies kann nicht durch die Partner geschehen, dies kann nur durch Griechenland selbst geschehen. An die- ser Einsicht mangelte es seither. In den vergangenen vier Wochen haben die griechi- sche Regierung und das griechische Parlament zu mei- nem Erstaunen Vereinbarungen mit den Verhandlungs- partnern getroffen, die deutlich über das hinausgehen, was die griechische Seite bislang bereit war einzugehen. Ein Großteil davon wurde bereits vom Parlament in Ge- setzen umgesetzt, bevor das Programm neu gestartet wurde. Dies ist nicht zuletzt der engagierten und konse- quenten Verhandlungsführung von Bundesfinanzminis- ter Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verdanken. Dennoch sind aus meiner Sicht weitere Schritte der griechischen Seite notwendig, um das in den vergange- nen Monaten zerstörte Vertrauen wieder herzustellen. Deswegen ist es richtig, dass die nun vorgesehenen Mit- tel in Tranchen freigegeben werden und regelmäßige Überprüfungen durch die Troika stattfinden, ob und wie die Zusagen auch eingehalten und vor allem umgesetzt werden. Daran beteiligt sich auch weiterhin der IWF. Alle anderen europäischen Regierungen bzw. Parla- mente, auch die von Spanien und Portugal, tragen diese Vorschläge mit und haben positiv entschieden. Ich sehe sehr wohl das Risiko, dass die Rettung der griechischen Volkswirtschaft immer noch schiefgehen kann. Anderer- seits erkenne ich Chancen im vorgelegten Paket. Deshalb komme ich trotz der Bedenken für mich zu dem Ergebnis, dass ich heute mit Ja stimme. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Erstmals seit dem Amtsantritt des griechischen Premierministers Alexis Tsipras ist eine deutliche Reformbereitschaft in der griechischen Regierung zu erkennen. So wurden Steu- erprivilegien zurückgenommen, Reformen im Gesund- heits- und Rentensystem auf den Weg gebracht und Maßnahmen ergriffen, um den Bankensektor grundle- gend zu modernisieren. Zudem gibt es nun konkrete sub- stanzielle Privatisierungsschritte. Damit besteht eine realistische Chance, an die Reformanstrengungen anzu- knüpfen, die im vergangenen Jahr 2014 bereits erste Früchte getragen haben. Diese Chancen gilt es zu wah- ren. Ob die Reformbereitschaft ausreichen wird, um Grie- chenland auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen, kann jedoch heute nicht verlässlich eingeschätzt werden. Viele Maßnahmen stehen erst in den kommen- den Wochen und Monaten zur Umsetzung an. Für die Zustimmung zum dritten Hilfsprogramm sind für mich folgende Maßgaben entscheidend: – Die Auszahlung der einzelnen Kredittranchen ist klar an den Reformfortschritt in Griechenland geknüpft. Die Bundesregierung muss im ESM der Auszahlung von Tranchen zustimmen. Ich erwarte, dass die Bun- desregierung ihre Zustimmung verweigert, wenn Griechenland seine Reformzusagen nicht einhält. – Der IWF hat seine grundsätzliche Bereitschaft zu weiteren Griechenland-Hilfen erklärt, falls die Schul- dentragfähigkeit gewährleistet wird. Zudem hat er an zwei Stellen Verschärfungen der Reformmaßnahmen in Griechenland verlangt. Dies betrifft zum einen die Rentenreform und andere Maßnahmen zur Verbesse- rung der Haushaltslage, zum anderen die Wiederher- stellung des Vertrauens in den Bankensektor. Der 11498 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) ESM muss diese Forderungen zum Bestandteil der Bedingungen für die Auszahlung von Tranchen des Hilfsprogramms machen. – Ein Schuldenschnitt innerhalb der Euro-Zone kommt für mich weiterhin nicht infrage. – Strukturreformen bleiben der Dreh- und Angelpunkt für wirtschaftlichen Erfolg und finanzielle Stabilisie- rung. Nur ein reformwilliges Griechenland darf auf unsere Unterstützung rechnen. Angesichts der erheblichen Mittel, die nach Griechen- land fließen, ist ein konsequentes Monitoring des Re- formprozesses unerlässlich. Daher kommt es entschei- dend darauf an, dass auch der Deutsche Bundestag in den kommenden Jahren den Reformprozess intensiv be- obachtet und hierzu in geeigneter Weise Informationen einholt. Berichte vonseiten der Bundesregierung, der Eu- ropäischen Kommission und des ESM gehören für mich ebenso dazu wie unmittelbare Unterrichtungen in Grie- chenland vor Ort. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich werde einem zu- stimmenden Beschluss zu einer Stabilitätshilfe auf Drucksache 18/5780 nicht zustimmen. Begründung: Nach zwei gescheiterten Rettungsversu- chen für Griechenland, die im Wesentlichen alte Schul- den mit neuen Krediten tilgten, wird ein drittes Pro- gramm nach der gleichen Methode nicht erfolgreicher sein können. Weniger als ein Viertel sollen für Investiti- onshilfen zur Verfügung stehen, der Großteil geht sofort wieder an internationale Gläubiger zurück. In Wirklich- keit ist das ein Gläubigerschutzprogramm. Hier zeigt sich sehr klar das Grundproblem des Euro. Eine gemeinsame Währung erfordert eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das bedeutet einen Fi- nanzausgleich ohne Rückzahlungspflicht, wie er zwi- schen deutschen Bundesländern besteht. Das müssen wir unserer Bevölkerung dann aber offen sagen! Solange der Euro ein Währungsverbund wirtschafts- autonomer Mitgliedstaaten bleibt, muss die Möglichkeit bestehen, große ökonomische Unterschiede auch mit- hilfe des zeitweisen Umstiegs auf eine Regionalwährung zu überbrücken. Mit dem traditionellen Mittel der Währungskorrektur kann Griechenland seine Überschuldung abbauen und anschießend mit einem neuen Ausgangswert wieder in den Euro einsteigen. Deshalb unterstütze ich den Vorschlag für eine beglei- tete Unterbrechung der Euro-Zugehörigkeit. Während dieser Zeit stehen Griechenland alle Investitionspro- gramme und sozialen Gemeinschaftshilfen der EU offen. Sie kommen der griechischen Bevölkerung und ihrer Volkswirtschaft im Gegensatz zu den bisherigen Um- schuldungsprogrammen tatsächlich und unmittelbar zu- gute. Das aktuelle Programm ist auch deswegen auf Sand gebaut, weil die erwarteten Privatisierungserlöse mit Notverkäufen nicht zu erzielen sind. Schon beim zwei- ten Hilfsprogramm wurden 50 Milliarden Euro aus Pri- vatisierungen angesetzt, eingegangen sind aber nur 2,6 Milliarden Euro! Ich kann auch nicht akzeptieren, dass nach wie vor die Privatisierung des Trinkwassers verlangt wird, die wir in Deutschland strikt ablehnen. Wir brauchen eine Richtungsentscheidung über den Charakter der Europäischen Union und eine wirksame Einbindung der Finanzmärkte über die Finanztransak- tionsteuer. Letztlich haben die aufgeblähten Schulden- stände ihre Ursache im überbordenden Finanzsektor, der inzwischen das 90-fache Volumen der Realwirtschaft er- reicht hat. Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Den vorlie- genden Vertragsentwürfen für ein drittes Hilfspaket für Griechenland stimme ich nicht zu. Es ist mir wichtig, zu betonen, dass mit dieser Ablehnung keine Kritik an der Haltung der Bundesregierung oder der Kanzlerin einher- geht. Auch halte ich die Systematik der Stabilisierungs- politik innerhalb der Euro-Zone grundsätzlich für sinn- voll und geeignet. Beispielhaft seien hier die positiven Effekte in Portugal, Irland und Spanien genannt. Auch Zypern befindet sich, ausweislich der jüngsten Pro- grammüberprüfung, auf einem guten Weg. Vielmehr verweise ich an dieser Stelle auf meine per- sönlichen Erklärungen vom 27. Februar 2015 und 17. Juli 2015 und mein darin festgestelltes mangelndes Vertrauen in den Willen der griechischen Regierung, die mit den internationalen Partnern vereinbarten Reformen so umzusetzen. Seit Tagen verdichten sich ferner die Hinweise, dass in wenigen Wochen Neuwahlen in Griechenland abge- halten werden sollen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Reformanstrengungen während des Wahlkampfes vollständig zum Erliegen kommen. Mit diesen Ankündi- gungen vonseiten des regierenden Parteienbündnisses Syriza werden die sehr ambitionierten Zeit- und Reform- pläne bereits heute wieder infrage gestellt. Ein weiterer Punkt bestimmt meine ablehnende Hal- tung. Insbesondere die Umsetzung des Griechenland-II- Pakets verdeutlichte, dass die Überführung von Parla- mentsbeschlüssen in konkretes Verwaltungshandeln häu- fig an der mangelnden Funktionsfähigkeit staatlicher Strukturen in Griechenland scheitert oder zumindest ver- langsamt wird. Mit der sogenannten Task-Force für Griechenland unterbreitete die EU-Kommission bereits im Juli 2011 ein umfassendes und zielgerichtetes Unter- stützungsangebot an staatliche Stellen in Griechenland. Ziel war es, den Behörden vor Ort technische Hilfe bei der Reform der öffentlichen Verwaltung zukommen zu lassen. Leider wurde dieses Angebot zu selten angenom- men und aufgegriffen. Insofern ist es zwar zu begrüßen, dass im nunmehr dritten Memorandum of Understanding der Stärkung und Straffung von Behörden ein höheres Gewicht gege- ben wird. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind jedoch aus meiner Sicht nicht ausreichend, um eine effektive Umsetzung der so dringend notwendigen Reformen zu gewährleisten. Diese wiederum sind notwendig, um die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11499 (A) (C) (D)(B) in der Schuldentragfähigkeitsanalyse angenommenen Wachstumszahlen des Primärüberschusses im Staats- haushalt zu erreichen. Helmut Heiderich (CDU/CSU): Die von den Mitar- beitern der Europäischen Kommission, von EZB, IWF und ESM verfassten Unterlagen sind nicht nur zum Teil widersprüchlich, sondern wiederholen viele Maßnah- men, die schon in den letzten Jahren erfüllt werden soll- ten. Zudem verpflichten sie zu einer langen Phase von weiteren Zahlungen beziehungsweise zur Stundung von Schulden zugunsten Griechenlands, ohne dass die Be- dingungen des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 oder die Bedingungen des IWF erfüllt sind. Die beim Euro-Summit am 12. Juli 2015 getroffene Feststellung, dass neue ESM-Zahlungen nur erfolgen dürfen, „sofern alle in diesem Dokument aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind“, ist nachweislich nicht er- reicht. Das bestätigt auch der Bericht der EU-Kommis- sion vom 14. August 2015. Weiterhin wird vielfach von der Rekapitalisierung der Banken als zentralem Element gesprochen. Dabei wer- den erstmals Banken als nicht lebensfähig bezeichnet. Bisher wurde von der europäischen Bankenaufsicht im- mer erklärt, dass alle griechischen Banken den Stresstest bestanden hätten. Zudem ist inhaltlich bisher in keiner Weise erkennbar, wie diese Rekapitalisierung konkret stattfinden soll. Daten dazu sollen erst ab September be- kannt gegeben werden. Mit den heutigen Beschlüssen ist zudem klar, dass weitere Schuldenerleichterungen bzw. ESM-Zahlungen folgen werden. Dies wird insbesondere vom IWF betont, weil nach dessen Sicht die Gesamtverschuldung Griechenlands über 200 Prozent steigen wird, auch wenn alle vorge- schlagenen Maßnahmen ausgeführt werden. Sollte die griechische Regierung Neuwahlen ausru- fen, sind wohl viele der für September, Oktober und Jah- resende 2015 vorgesehenen zentralen Forderungen nicht mehr rechtzeitig erfüllbar, was weitere Abweichungen verursachen wird. Aus ökonomischer Bewertung, wegen der fehlenden Faktendarstellungen und der enthaltenden Widersprü- che ist das vorgelegte MoU nicht überzeugend und damit aus dieser Sicht nicht zustimmungsfähig. Allerdings ist dies kein Votum gegen Bundeskanz- lerin Dr. Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, die in zähen Verhandlungen immer wieder intensiv arbeiten, um die gesamte Euro-Gruppe zu überzeugen und um den Euro langfristig zukunftsfä- hig zu halten. Die gerade von vielen Medien betriebenen Aktionen, die Abstimmung über das MoU zu einem Vertrauensvo- tum für die Bundeskanzlerin zu machen, weise ich strikt zurück. Hier geht es um eine Sachentscheidung und nichts an- deres. Unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat wei- terhin mein vollstes Vertrauen. Christian Hirte (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun- desfinanzministeriums, der weitere Kredite für Grie- chenland vorsieht, stimme ich zu. Ein drittes Mal innerhalb weniger Jahre stimmt der Deutsche Bundestag über Kredite für Griechenland ab. Auch wenn sich die Abstimmung formal einreiht in die Debatten seit 2010, haben sich die Rahmenbedingungen, innerhalb derer wir diskutieren, grundlegend gewandelt. Die in Rede stehenden Kredite in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro bis 2018 sind nicht kleinzureden. Dennoch gilt es, den genauen Zweck der Gelder im Blick zu behalten. 54,1 Milliarden Euro stehen für den Schuldendienst bereit, dienen also lediglich zur Ablö- sung alter Kredite. Jeder Staat, auch die Bundesrepublik tut dies regelmäßig. Weitere 25 Milliarden Euro sind für die Rekapitalisierung der Banken bestimmt. Damit soll genau das verhindert werden, was die Lage in den ver- gangenen Wochen so dramatisch machte – die Schlie- ßung von Banken. Anders als von manchem vorgetra- gen, werden also nicht einfach Banken gerettet, sondern es wird die Grundlage dafür geschaffen, dass der Zah- lungsverkehr für jedermann weiter möglich ist. Griechenland hat sich in den vergangenen Jahren an- ders entwickelt als alle anderen Länder, welche die Hilfe der europäischen Partner in Anspruch nehmen mussten. Der vereinbarte Reformweg wurde nie so umgesetzt, wie er vereinbart war, viele eingeleitete Reformen wurden unter der derzeitigen Regierung sogar zurückgenommen. Es gibt daher allen Grund, bei Griechenland im Allge- meinen, aber vor allem der links-rechts-radikalen Regie- rung Tsipras auch weiterhin skeptisch zu bleiben. Wenn die Regierung und auch die Bevölkerung Griechenlands nicht bereit sind, dauerhaft grundsätzlich diesen harten Reformweg zu beschreiten, wird das Land nicht auf die Beine kommen – nicht mit Krediten, auch nicht mit ei- nem Grexit. Ich verstehe daher die Kollegen, die den Glauben an die Zuverlässigkeit griechischer Zusagen vollends verloren haben. Dennoch zeigen aus meiner Sicht die jüngsten Reformbeschlüsse, dass auch eine ideologisch getriebene Regierung sich nicht ewig den Realitäten verweigern kann. Tatsächlich jedoch geht es längst um mehr als die bloße Frage nach dem Umgang mit Griechenland. Bei allen Schwierigkeiten und auch Enttäuschungen, die wir mit der griechischen Regierung erlebt haben, geht es um mehr. Es geht um den Zusammenhalt Europas. Es geht um den Zusammenhalt in einer Welt, in der Konflikte um uns herum bestehen. Wir brauchen einander, und wir brauchen gegenseitiges Vertrauen und Kompromissfä- higkeit. Wir brauchen Partnerschaft und Kooperation in Europa, auch und insbesondere mit Frankreich und Ita- lien. All dies möchte ich nicht opfern, nur weil die ak- tuelle griechische Regierung nicht vertrauenswürdig ist. 11500 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Wir haben heute eine viel größere Verantwortung, als nur stur nach Athen zu schauen. Europa ist von vielen Seiten unter Druck, die gesamte Weltlage viel konfuser als noch vor drei oder vier Jahren. In dieser Situation ei- nen Riss in Europa zu riskieren, hielte ich für fahrlässig. Wem wäre denn geholfen, wenn wir Griechenland jetzt pleitegehen lassen würden und damit am Rand Europas endgültig das völlige Chaos in der Flüchtlingsfrage aus- brechen würde? Wir stimmen nicht allein über Geld für Athen ab, sondern darüber, ob wir Europa auch unter schmerzhaften Kompromissen zusammenhalten können. Es geht auch darum, ob sich in Europa unter unseren Partnern Mehrheiten für das wirtschaftliche und fis- kalische „Modell Deutschland“ oder für das „Modell Frankreich“ finden. In diesem Sinn sind wir gerade in den letzten sechs bis zwölf Monaten große Schritte vo- rangekommen. Die Verhandlungsführung von Bundes- kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble war dafür die Grundlage. Sie haben ihren vom Bundestag erteilten Auftrag so ausgeführt, dass die Interessen Deutschlands bestmöglich gewahrt wurden und zugleich das übergeordnete Interesse einer europäischen Verständigung möglich wurde. Sie haben, im besten Sinn, Staatskunst bewiesen. Wir stehen heute tatsächlich an einem Scheideweg in Europa. Wir müssen Fragen nach Vertiefung oder Ab- schwächung des Integrationskurses stellen, wir müssen über Bereitschaft, aber auch Grenzen von Solidarität und Transfers reden, wir müssen über unser gemeinsames Außenverhältnis diskutieren, etwa in Bezug auf Russ- land oder auch die offenen Flüchtlingsfragen. Wir müs- sen teils stark widerstreitende Grundüberzeugungen in West- und Ost- sowie Nord- und Südeuropa so zusam- menbinden, dass weiterhin ein gemeinsamer europäi- scher Weg möglich bleibt. Diese schwierigen Fragen ha- ben das Potenzial, den Zusammenhalt Europas auch aufs Spiel zu setzen. Deutschland ist im wahrsten Wortsinn bei all dem in einer Mittellage. Dies, unsere wirtschaftli- che Stärke, aber auch unsere Geschichte bringen uns in die zentrale Schlüsselposition. Deshalb bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir nicht diejenigen sein dürfen, die diesen Zusammenhalt aufkündigen. Ein kurz- fristiger Jubel über ein Ende weiterer Kredite, etwa durch einen Grexit, würde langfristig niemandem helfen. Meine Zustimmung für ein drittes Hilfspaket ist deshalb das Ergebnis einer nüchternen Abwägung, das ein schwieriger Weg einem anderen Weg vorzuziehen ist, dessen Ende ich als völlig ungewiss und derzeit höchst riskant einschätze. In der Vergangenheit habe ich mehrmals im Deut- schen Bundestag Hilfsprogrammen nicht zugestimmt, etwa auch im Jahr 2011 bei der Abstimmung über Kredite und Bürgschaften für Portugal. Nicht ohne Demut muss ich heute feststellen, dass meine damalige Einschätzung eines Besseren belehrt wurde – zum Wohle Portugals und zum Wohle Europas. Der grund- sätzliche Mechanismus aus Krediten, harten Reformen und regelmäßiger Kontrolle durch die Gläubiger hat sich dort wie in Spanien oder Irland als praktikabel und er- folgreich erwiesen. Bei aller Abwägung geht es letzlich gar nicht mehr darum, was das genau Richtige ist, das einzig Wahre, sondern darum, eine vertretbare Lösung zu unterstützen, die unsere Regierung unter Verhandlungsleitung von Wolfgang Schäuble und Angela Merkel dem Bundestag zur Abstimmung vorlegt. Ich habe insoweit größtes Ver- trauen, dass das erzielte Verhandlungsergebnis in der ak- tuellen Situation den für Deutschland in der Summe bestmöglichen Kompromiss darstellt. Ein Kompromiss, der allen Seiten viel abverlangt. Ein Kompromiss, der der Preis sein mag für manche Fehler der Vergangenheit. Ein Kompromiss, der mir in einer Zeit großer internatio- naler Verwerfungen erfolgversprechender erscheint als das einseitige alleinige Beharren auf eigene Interessen. Mit meiner Zustimmung unterstütze ich daher auch den notwendigen weiteren Reformprozess in Europa. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Griechenland und seine Regierung unter Ministerpräsident Tsipras haben sich seit der Aufnahme der Verhandlungen im Juli dieses Jahres mit der Umsetzung eines Teils der sogenannten Prior Actions deutlich auf die Euro-Gruppe und insbe- sondere auch auf Deutschlands Vorstellungen von einer erfolgreichen Politik und Verwaltung zu bewegt. Jedoch sind im jetzt vorliegenden Memorandum of Understanding gerade zentrale Punkte bisher nicht er- füllt bzw. lediglich durch noch nicht in der Praxis er- probte Gesetze oder gar nur durch Absichtserklärungen vorbereitet worden; die tatsächliche Umsetzung kann da- mit – auch durchaus der kurzen Zeitspanne geschuldet – gerade nicht überprüft werden. Zu diesen zentralen Punkten gehören insbesondere: – Verabschiedung des neuen Haushalts 2016 (Oktober 2015) – Anpassung der Umsatzbesteuerung (März 2016) – Reform der Vermögensteuer (Januar 2017) – Reform des Öffentlichen Beschaffungswesens (Sep- tember 2015) – Rentenreform (Oktober 2015 mit Wirkung zum Ja- nuar 2016) – Arbeitsmarktreformen (zunächst zurückgestellt) – Schaffung eines Privatisierungsfonds (im Oktober 2015 soll zunächst nur eine „Arbeitsgruppe“ einge- setzt werden) Die Möglichkeit der Überprüfung ist aber nach mei- nem Verständnis essenzieller Bestandteil der aus dem Grundgesetz folgenden haushaltspolitischen Verantwor- tung des Deutschen Bundestages, wie sie im ESM-Fi- nanzierungsgesetz, ESMFinG, niedergelegt ist: So sollen Abgeordnete gerade nicht „ins Blaue hinein“ entschei- den, sondern in Kenntnis aller Umstände. Letzteres ist hier gerade nicht der Fall, sondern es wird – zumindest für die erste Tranche – ein Freibrief gegeben, was ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Die darin liegende Prüfung der „Konditionalität“ ist insbesondere deshalb erforderlich, weil Mittel aus dem letzten Ret- tungspaket zwar als „Sanktion“ verfallen sind, nunmehr Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11501 (A) (C) (D)(B) aber gleichwohl als Teilbetrag in das in der Diskussion stehende neue Rettungspaket eingestellt wurden. Zudem ist für mich bisher nicht erkennbar, wie die griechische Rentenreform nunmehr in Einklang mit grie- chischem Verfassungsrecht gebracht werden kann, nach- dem die ursprünglich schon einmal verabschiedete Reform in diesem Punkt vom griechischen Verfassungs- gericht (Συμβούλιο της Επικρατείας) für verfassungs- widrig erklärt worden war. Auch hat sich meine Einschätzung zur Schuldentrag- fähigkeit Griechenlands nicht geändert. Wie auch der In- ternationale Währungsfonds, IWF, in seiner letzten Stel- lungnahme ausgeführt hat, bin auch ich nicht der Ansicht, dass durch das geplante Rettungspaket eine Schuldentragfähigkeit hergestellt werden kann. Viel- mehr bedarf es, was der IWF selbst auch zur Bedingung für seine Teilnahme an einem Rettungspaket macht, an- derer Maßnahmen, die dann offen und vorbehaltlos dis- kutiert werden müssen. Insbesondere ist es fraglich, ob die bisher geplanten Laufzeitverlängerungen und Stundungen von Zinszah- lungen ausreichen werden. Vielmehr müsste hier ernst- haft und ehrlich über einen echten Schuldenschnitt nach- gedacht werden – und damit auch über ein Staaten- Insolvenzverfahren, das den Ablauf einer Restrukturie- rung sowohl für den betroffenen Staat als auch für des- sen Gläubiger vorhersehbar macht. Zudem hat sich an meiner rechtlichen Einschätzung der Voraussetzungen eines ESM-Hilfspakets nichts ge- ändert. Auch zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich keine Ge- fahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt oder seiner Mitglieder. Ich verweise hier auf meine persönliche Erklärung vom 17. Juli 2015. In jedem Fall möchte ich jedoch herausstellen, dass mir die möglichen Folgen meiner Entscheidung – sollte sie von der Mehrheit des Deutschen Bundestages mitge- tragen werden – bewusst sind. So würde ein Nein zu dem jetzigen Hilfspaket zunächst eine weitere Brücken- finanzierung nach sich ziehen – zu der den Mitgliedern des Deutschen Bundestages auch bereits ein Vertragsent- wurf zugeleitet wurde. Damit wäre eine Beschlussfas- sung zum Beispiel im Oktober 2015 zu einem Zeitpunkt möglich, zu dem schon ein deutlich größerer Teil an Maßnahmen in Griechenland umgesetzt sein soll und da- mit überprüfbar wäre. Zudem wäre dann eine Beschluss- fassung zusammen mit dem IWF möglich. Bettina Hornhues (CDU/CSU): Nach reichlicher Ab- wägung der Sachverhalte möchte ich mein Abstimmungs- verhalten zum heutigen Antrag (Drucksache 18/5780) des Bundesministers der Finanzen erläutern. Ich habe in den vergangenen Monaten stark an dem Erfolg weiterer Griechenland-Hilfen und der Koopera- tions- und Reformbereitschaft der Griechen gezweifelt. Bereits im Februar habe ich der technischen Verlänge- rung des zweiten Hilfspaketes nur mit den größten Be- denken zugestimmt. Ich verweise an dieser Stelle auf meine persönliche Erklärung vom 27. Februar 2015 (Plenarprotokoll 18/89). Ich werde einem dritten Hilfspaket nach eingehendem Studium der vom Bundesfinanzministerium zur Verfü- gung gestellten Unterlagen die Zustimmung erteilen, da auf der Basis der deutlich veränderten Kooperationsbe- reitschaft der hellenischen Regierung in den Verhand- lungen der vergangenen Wochen umfangreiche Struk- turreformen und ein Privatisierungsfonds auf den Weg gebracht werden konnten. Die Auszahlung des Rettungs- paketes findet in kleineren Tranchen statt, und diese wer- den nur ausgezahlt, wenn die vereinbarten Reformen auch umgesetzt werden. In dem Bewusstsein, dass der Erfolg dieses Hilfsprogramms vor allem von der Regie- rung Griechenlands abhängt, ist es aber meiner Auffas- sung nach die richtige Entscheidung, um der Stabilisie- rung der Währungsunion zu dienen. Andrej Hunko (Die Linke): Ich habe bei der heutigen Abstimmung im Bundestag über ein drittes Kreditpro- gramm für Griechenland mit Nein gestimmt. Die folgen- den Gründe haben mich dazu bewogen: 1. Der Charakter des fälschlicherweise als „Hilfspro- gramm“ bezeichneten Kürzungsdiktats bleibt falsch. Die im Memorandum of Understanding festgehaltenen Be- dingungen werden die Krise nicht lösen, sondern weiter verschärfen. Sie sind wirtschaftlich kontraproduktiv, weil die Er- höhung von Verbrauchssteuern wie der Mehrwertsteuer, weitere Rentenkürzungen und ausbleibende Investitio- nen, jede Möglichkeit zur wirtschaftlichen Erholung massiv einschränken. Sie zwingen die Regierung, ein gigantisches Privati- sierungsprogramm umzusetzen und profitable öffentli- che Unternehmen zu Ramschpreisen zu verkaufen. Sie sind sozial verheerend, weil sie die Kosten der Krise weitgehend auf Beschäftigte, Arbeitslose und Rentnerinnen und Rentner abwälzen – wenn auch die Syriza-Regierung Zugeständnisse zur sozialen Abfede- rung erkämpfen konnte. 2. Die Kredite in Höhe von 86 Milliarden Euro, für die Deutschland mit 27 Prozent haftet, fließen erneut zum Großteil in den Finanzsektor und können nicht zur Überwindung der Wirtschaftskrise eingesetzt werden. Durch das wirtschaftlich verheerende Kürzungs- und Privatisierungsdiktat steigt die Wahrscheinlichkeit wei- ter, dass die Schulden nicht zurückgezahlt werden kön- nen. 3. Zwar sind im Vergleich zu den früheren Memoran- den einige wenige positive Veränderungen festzustellen wie beispielsweise die Absichtserklärung, eine Gesund- heits-Grundversorgung für alle einzurichten – auch für nicht Versicherte. Dass diese Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, ist angesichts der Kürzungsvorgaben im Memorandum jedoch extrem schwierig. 4. Das Zustandekommen des Griechenlandpakets ent- spricht einem Diktat und ist undemokratisch. In einer beispiellosen Erpressung haben die EU-Institutionen im Verbund mit der deutschen Bundesregierung die griechi- sche Regierung zur Kapitulation gezwungen. Diese 11502 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Politik widerspricht zutiefst meinen Überzeugungen, weshalb ich sie hier, im Parlament der Erpresser, nur ablehnen kann. Ich mache hingegen keine Aussage darüber, wie ich mich in Griechenland, im Parlament der Erpressten, verhalten würde. Dies ist allein Sache der griechischen Abgeordneten. 5. Griechenland braucht unsere Hilfe, und ich bin ohne Umschweife dafür, diese solidarisch zu gewähren. Das heute zur Abstimmung stehende Paket ist jedoch ein weiterer Rettungsring aus Blei. Unter diesen Bedingun- gen kann ich nur mit Nein stimmen. Thomas Jurk (SPD): Das nun vorliegende Memo- randum of Understanding, MoU, für ein dreijähriges ESM-Programm zur Unterstützung Griechenlands ist keine ausreichende Grundlage für die dringend notwen- dige Stärkung der griechischen Wirtschaft und setzt unrealistische Ziele, welche sich schon bald als nicht umsetzbar erweisen werden. Dies wird maßgeblich dazu beitragen, den Zusammenhalt in Europa weiter zu unter- graben. Bei der geplanten Unterstützung für Griechenland handelt es sich im Wesentlichen um eine Fortführung bzw. Anpassung der Bedingungen der seit 2010 laufen- den Hilfsprogramme. Das Ergebnis dieser bisherigen Hilfe kann nach mehr als fünf Jahren nur als desaströs bezeichnet werden: Das griechische BIP und die Real- löhne sind seit 2010 um rund 20 Prozent zurückgegan- gen. Die Binnennachfrage ist in diesem Zeitraum um knapp 30 Prozent gesunken. Auch die gesamtwirtschaft- liche Investitionsquote ist von 2010 bis heute von 17 auf 11 Prozent gefallen. Die Staatsschuldenquote Griechen- lands lag 2010 bei 145 Prozent des BIP und wird im kommenden Jahr – trotz eines Schuldenschnitts im Jahr 2012 – bei rund 200 Prozent des BIP liegen. Die Arbeits- losenquote hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt und liegt bei mehr als 25 Prozent. Die Armut ist in Griechen- land inzwischen zum Alltag vieler Menschen geworden. Ursache des Scheiterns der bisherigen Hilfspro- gramme für Griechenland ist in erster Linie nicht die mangelhafte Umsetzung von Reformen (siehe „Reform Responsiveness Score“ 2007 bis 2014 der OECD in „Going for Growth“ 2015), sondern das Außerachtlassen grundlegender ökonomischer Zusammenhänge, insbe- sondere hinsichtlich der Auswirkungen der Hilfspro- gramme auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Dies wird mit dem nun vorliegenden MoU leider nicht korrigiert. So sollen beispielsweise im Rentensys- tem im kommenden Jahr Leistungen im Umfang von 1 Prozent des BIP eingespart werden, was entsprechende negative Auswirkungen auf Kaufkraft und Binnennach- frage haben wird. Auch die im MoU aufgeführten Maßnahmen zur Förderung von Investitionen oder zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit bleiben weit hinter dem dringend Notwendigen zurück. So stehen zur Unterstützung Griechenlands in der laufenden EU-För- derperiode von 2014 bis 2020 etwa 35 Milliarden Euro an EU-Mitteln zur Verfügung. Dies sind zunächst einmal 3 Milliarden Euro weniger als in der vorausgegangenen Förderperiode 2007 bis 2013. Zusätzlich stehen nun le- diglich die im MoU in Aussicht gestellten, von Grie- chenland nicht abgerufenen Mittel der EU-Programme 2007 bis 2013 in Höhe von gut 5 Milliarden Euro zur Verfügung. Hinzu kommt, dass nach dem MoU die grie- chischen Haushaltsüberschüsse bis zum Erreichen des vereinbarten Primärüberschussziels, und bei Überschrei- ten des vereinbarten Primärüberschussziels teilweise, zur Schuldensenkung verwendet werden müssen. Diese Mittel stehen also nicht für Investitionen und Konsum zur Verfügung, was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage schwächen wird. Nennenswerte Wachstumsimpulse für die griechische Wirtschaft werden so auch mit dem neuen MoU nicht gesetzt, was ein Scheitern beim Errei- chen der mittelfristigen Wachstumsziele und damit auch der Ziele bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen zur Folge haben wird. Die Wachstumsziele sind ohnehin viel zu ambitio- niert. So wird in der aktuellen Schuldentragfähigkeits- analyse der europäischen Institutionen im Basisszenario für Griechenland von einem langfristigen Wachstum des realen BIP von 1,75 Prozent ausgegangen. Auf welchen Annahmen dieses Basisszenario beruht, wird in dieser Schuldentragfähigkeitsanalyse offengelassen. Demge- genüber geht der IWF davon aus, dass das langfristige Wachstum des realen BIP 0,8 Prozent erreichen wird, wenn die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote von aktuell 11 Prozent bis 2019 auf 19 Prozent des BIP stei- gen, die Arbeitsmarktpartizipation den höchsten Wert in der Euro-Zone erreichen, die Arbeitslosigkeit auf das Niveau Deutschlands fallen und die Steigerungsrate der totalen Faktorproduktivität das durchschnittliche Niveau in der Euro-Zone seit 1980 erreichen würde (siehe „IMF Country Report“ No. 15/165). Es ist aus meiner Sicht abwegig, zu erwarten, dass Griechenland diese Voraus- setzungen für ein nachhaltiges Wachstum erfüllen kann. Deshalb können die von den europäischen Institutionen vorgegebenen Wachstumsziele und damit auch die Haushaltsziele nicht erreicht werden. Der IWF hat es zunächst abgelehnt, sich an einem weiteren Hilfsprogramm für Griechenland zu beteiligen und dies mit der nicht gegebenen Schuldentragfähigkeit begründet. Laut IWF würde der Bruttofinanzierungs- bedarf Griechenlands deutlich über dem als sicher geltenden Schwellenwert von 15 Prozent liegen und langfristig weiter ansteigen. Auch wenn die aktuelle Schuldentragfähigkeitsanalyse der europäischen Institu- tionen in dieser Frage unkonkret bleibt, wird diese Einschätzung hier doch im Wesentlichen bestätigt. Um die Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten, werden von den europäischen Institutionen deshalb schuldensen- kende Maßnahmen vorgeschlagen. Diese Maßnahmen müssten nach meiner Einschätzung einen erheblichen Umfang haben und würden damit die Glaubwürdigkeit des fundamentalen europäischen Grundsatzes, nicht für die Verbindlichkeiten anderer Staaten einzutreten, in Zweifel ziehen. Nicht angesprochen werden in der ak- tuellen Analyse darüber hinaus die erheblichen Risiken für die Schuldentragfähigkeit: So wird im MoU darge- legt, dass in Zukunft möglicherweise zusätzliche Maß- nahmen zur Abwicklung notleidender Kredite im Ban- kensektor erforderlich sind. Für mich bleibt außerdem Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11503 (A) (C) (D)(B) höchst zweifelhaft, dass die Privatisierungserlöse im ge- planten Umfang von knapp 14 Milliarden Euro bis 2022 und weiterer 50 Milliarden Euro im neuen Privatisie- rungsfonds während der Laufzeit des neuen Darlehens erzielt werden, da in den vergangenen fünf Jahren tat- sächlich nur rund 3 Milliarden Euro Einnahmen aus Pri- vatisierungen erlöst wurden. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Schuldentragfähigkeit bei objekti- ver Betrachtung nicht gegeben ist. Ganz unabhängig von den unrealistischen Zielen des ESM-Programms hinsichtlich Wirtschaftswachstum, Haushaltsüberschüssen und Schuldentragfähigkeit ist auch die Erwartung, dass Griechenland die im MoU im Einzelnen genannten Bedingungen vollständig und frist- gerecht erfüllen wird, wenig überzeugend. So hat das Referendum vom 5. Juli 2015 in Griechenland deutlich gezeigt, dass die griechische Bevölkerung mehrheitlich eine Fortsetzung der gescheiterten „Rettungspolitik“ ab- lehnt. Diese Ablehnung wird zweifellos von der griechi- schen Regierung geteilt, deren Vertreter dies mehrfach öffentlich zum Ausdruck gebracht haben. Stärker wiegt jedoch, dass die im MoU genannten Maßnahmen von Griechenland – selbst bei gutem Willen aller Beteilig- ten – bei sachlicher Betrachtung kaum umgesetzt wer- den können. So sind im MoU – neben den circa 50 Vor- abmaßnahmen, die bis heute noch nicht vollständig umgesetzt wurden – über 50 weitere Maßnahmen aufge- führt, die bis September bzw. Oktober 2015 (das heißt innerhalb weniger Tage bzw. Wochen) umgesetzt wer- den müssen. Darunter sind beispielsweise umfassende Reformen der Tarifordnung für die öffentliche Verwal- tung, des Rentensystems, der Einkommensteuer sowie des Steuerverfahrensrechts, die Geltendmachung und Beitreibung von Rückforderungen im Gesundheitssys- tem oder die Veröffentlichung der seit über drei Monaten säumigen Steuer- und Sozialabgabenschuldner. Selbst in einem Staat mit funktionierender öffentlicher Verwal- tung würde die Umsetzung jeder einzelnen dieser Maßnahmen mehr Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb ist – auch unter Berücksichtigung der technischen Hilfe – nicht davon auszugehen, dass Griechenland dies vollum- fänglich wird leisten können. Unzweifelhaft ist es notwendig, dass Griechenland eine effiziente Staatsverwaltung bekommt, ein funktio- nierendes Rechtssystem geschaffen und die Korruption bekämpft wird. Auch die Einführung einer sozialen Grundsicherung und eine bessere Gesundheitsversor- gung der Bevölkerung sind dringend erforderlich. Ich begrüße auch ausdrücklich die dafür vorgesehene techni- sche Hilfe der EU. Trotzdem wird dies nach meiner Ansicht nicht ausreichen, um Griechenland wieder auf einen dauerhaften Wachstumspfad zu führen, welcher die Rückzahlung der gewährten Hilfen ermöglicht. Zur Stärkung der griechischen Wirtschaft wäre zusätzlich eine große solidarische Anstrengung aller Mitgliedstaa- ten der Europäischen Union unerlässlich. Einer – wenn auch modifizierten – Fortsetzung der bisherigen europäi- schen „Rettungspolitik“ kann ich deshalb nicht zustim- men. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Positivste vorneweg: Mit dem dritten Hilfsprogramm wird Griechenland für drei Jahre aus den Negativschlag- zeilen kommen. Die bisher erreichten Reformen können weitergeführt werden, und die europäische Idee hat wie- der etwas Zeit, an Stärke zu gewinnen. Für drei Jahre werden die an der europäischen Idee zweifelnden CDU/ CSU-Abweichler ihre Grexit-Diskussion einstellen müs- sen. Finanzminister Schäuble, der noch immer für den Grexit ist, musste eine schwere Niederlage einstecken. Das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone wurde gegen seinen Willen vorerst verhindert. Eine langfristige Lösung stellen die Abmachungen aber nicht dar. Wieder einmal wurde es versäumt, die Weichen für die nachhaltige Erholung des Landes zu stellen. Es fehlt sowohl an einer konsequenten Investi- tionsförderung – dafür sind keine ausreichenden Mittel vorhanden – als auch einer garantierten Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden. Griechenland kann die Schulden nicht völlig zurückzahlen. Deshalb wird es ein viertes Kreditprogramm in drei Jahren geben. Die Chance, dieses zu verhindern, wurde durch Merkels und Schäubles Weigerung, einen wirksamen Schuldenschnitt durchzuführen, vertan. Angesichts dieser zwiespältigen Gesamtbilanz habe ich mich heute im Bundestag enthalten. Ich bedauere sehr, dass die Bundesregierung nicht daran interessiert war, einen Kompromiss zu erzielen, zu dem ich als über- zeugter Europäer mit gutem Gewissen Ja sagen kann. Unrealistische Haushaltsziele und kein Ende der Aus- terität: Es gibt durchaus ein paar positive Aspekte im be- schlossenen Memorandum of Understanding. Dazu ge- hören strukturelle Veränderungen im Steuerbereich, die den Kampf gegen Steuervermeidung maßgeblich verbes- sern werden. Es wird höhere Steuern für Reeder und Kürzungen im griechischen Verteidigungshaushalt ge- ben. Es sind aber auch viele Elemente enthalten, die für eine Fortsetzung des schädlichen Austeritätskurses sor- gen werden: beispielsweise die Kürzung der Zusatzren- ten, die Erhöhung des Renteneintrittalters (in einem Land mit einer Arbeitslosigkeit von über 25 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von etwa 60 Prozent) und der Mehrwertsteuer. Unter diesen Umständen scheint der für das Jahr 2018 anvisierte Primärüberschuss von 3,5 Prozent vollkommen unrealistisch – welches Land hat denn tatsächlich einen solch hohen Primärüber- schuss, und warum sollte ausgerechnet Griechenland diesen erreichen? Die unrealistischen Sparziele werden großen Druck auf den neu geschaffenen Privatisierungsfonds ausüben. Die Erfahrungen mit der deutschen Treuhand zeigen, dass der Zeitfaktor hierbei die entscheidende Kompo- nente ist. Kurzfristiger Handlungsdruck angesichts nach wie vor hoher Einnahmeanforderungen wird einen Preisverfall des öffentlichen Eigentums bewirken und verhindert die langfristige Sanierung und strategische Neuaufstellung der öffentlichen Infrastruktur gerade in ökologischen Schlüsselsektoren wie Energie und Ver- kehr – eine schwere Hypothek für die Zukunft. 11504 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Ohne Schuldenerleichterung bleibt das Hilfsprogramm eine Fehlkonstruktion: Die griechische Staatsschulden- quote wird steigen und die Marke von 200 Prozent über- steigen. Auch der Finanzierungsbedarf öffentlicher Gü- ter hat längst die kritischen Grenzen überschritten und stellt einen dauerhaften Hinderungsgrund für eine nach- haltige Entwicklung in Griechenland dar. Das ist auch ein Grund, warum Griechenland die gesamten Schulden nicht begleichen können wird. Die Tragfähigkeit der Staatsschulden muss aber gesichert sein, damit Grie- chenland wieder zu einem sich selbst tragenden Wirt- schafts- und Sozialsystem kommen kann. Die Strategie von Schäuble und Merkel wird deshalb scheitern, da die- ses Programm die Schuldenlast des Staates erhöht und letztlich eine ökonomische und soziale Gesundung ver- hindert. Das bestätigt auch der IWF, der sich nicht an der Auszahlung der ersten Tranche beteiligt. Das zeigt aber auch, wie groß die Differenzen unter den Gläubigern sind. Angela Merkel hat längst erkannt, dass Griechen- land eine effektive Umschuldung benötigt, verschiebt die Umsetzung dieser Erkenntnis allerdings in die Zu- kunft und vergeudet damit wieder wichtige Zeit und er- höht damit das Risiko des Scheiterns. Damit verteuert sie in jedem Fall die Hilfsanforderungen Griechenlands. Im schlimmsten Fall könnte die Verweigerungshaltung Merkels ein Scheitern des Hilfsprogramms bedeuten. Die europäische Idee darf nicht begraben werden: Der Grexit ist und bleibt keine Alternative. Das Land wird weiter auf die Solidarität Europas angewiesen sein. Aber auch umgekehrt gilt: Wenn Griechenland scheitert, wird dies enormen Schaden für die europäische Idee bewir- ken. Kein Land Europas profitiert mehr von Europa als Deutschland. Es liegt also auch in unserem Interesse, die europäische Idee zu verteidigen und dafür zu sorgen, dass Europa demokratischer und solidarischer wird. Die Flüchtlingsdramatik in Griechenland zeigt uns, wie we- nig Europa wirklicher Solidarität verpflichtet ist. In Deutschland müssen wir weiter die öffentliche Aus- einandersetzung mit den nationalkonservativen Kräften suchen, ihre Ideologie zurückdrängen und die europäi- sche Idee stärken. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Nach gewissenhafter Abwägung sämtlicher Aspekte stimme ich dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zu, Griechenland im Rahmen eines dritten Reformprogramms weitere Un- terstützung im Gegenzug für umfassende und überprüf- bare Reformen zu gewähren. Ausschlaggebend für meine Zustimmung waren folgende Aspekte: Die in meiner Erklärung vom 17. Juli 2015 formulier- ten Forderungen sehe ich als erfüllt an. Das Programm dient der Stabilität der Euro-Zone, dem inneren Zusam- menhalt der Europäischen Union und der Wiederherstel- lung von Solidität und Wettbewerbsfähigkeit in Grie- chenland. Die Reformziele wurden im Gegensatz zu den bisherigen Programmen inhaltlich wesentlich detaillier- ter fixiert und mit zusätzlichen Fristen versehen. Re- formfortschritte können künftig besser überprüft und konsequenter durchgesetzt werden. Das Grundprinzip unserer Stabilisierungspolitik – Solidarität für Reformen – wurde maßgeblich gestärkt. Unkonditio- nierte Hilfe lehne ich weiterhin strikt ab. Die Euro- Gruppe hat ausdrücklich betont, dass sie das Engage- ment des IWF für unabdingbar erachtet. Die offenen Forderungen des IWF können im Rahmen des vorliegen- den Programms erfüllt und somit die Mitwirkung des IWF sichergestellt werden. Der Wille aller beteiligten Parteien, die Mitwirkung des IWF sicherzustellen, ist ge- geben. Die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister haben hart verhandelt und ein Ergebnis erzielt, dem letztendlich alle 19 Euro-Finanzminister zugestimmt ha- ben. Ich vertraue diesem Kompromiss, da er keine un- konditionierte Hilfe verspricht, sondern an klare und überprüfbare Reformvorgaben gekoppelt ist. Die letzte Tranche aus dem zweiten Programm wurde mangels Re- formfortschritten zurückgehalten. Diese Konsequenz er- warte ich auch von dem neuen Programm. Griechenland ist reformierbar, sofern der politische Wille dazu besteht. Schon die ersten beiden Programme hatten trotz ihrer Unzulänglichkeiten für Reformerfolge gesorgt. 2014 verzeichnete Athen einen signifikanten Haushaltsüberschuss vor Schulden, ein erstes, leichtes Absinken der Arbeitslosigkeit und ein spürbares Wirt- schaftswachstum. Mit ihrem irrationalen Vorgehen hat die neue griechische Regierung viele dieser Erfolge zu- nichtegemacht. Das neue Programm bietet nun die Chance, auf den Reformpfad zurückzukehren. Als neue Abgeordnete bin ich bereit, diese Chance letztmalig zu gewähren. Als deutsche Abgeordnete sind wir vor allem dem deutschen Steuerzahler verpflichtet und müssen da- her den Reformwillen der Griechen einfordern und die Fortschritte in den zuständigen Gremien konsequent überwachen. Ich sehe keine bessere Alternative zu diesem neuen Reformprogramm. Ein unkoordiniertes Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone würde ebenfalls be- trächtliche Kosten verursachen. Europa darf es nicht zu- lassen, dass ein geopolitisch so bedeutender EU-Staat derartig destabilisiert wird. Griechenland hat aufgrund seiner geografischen Lage beim Schutz der EU-Außen- grenzen, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise und als NATO-Partner zahlreiche wichtige Funktionen zu er- füllen, für die es in jedem Fall gesamteuropäische Unter- stützung benötigt. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone bleibt für mich aber weiterhin eine Op- tion, sofern der nun gezeigte Reformwille nachlässt. Alle beteiligten Institutionen sind aufgefordert, sich auf diese Eventualität gewissenhaft und umsichtig vorzubereiten. Hilde Mattheis (SPD): Meine Zustimmung zur Sta- bilitätshilfe zugunsten Griechenlands – Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages, der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinba- rung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabi- litätsmechanismus, ESM –, ist ein Votum für den Zu- sammenhalt Europas und gegen eine unkontrollierte In- solvenz Griechenlands. Es ist gleichzeitig gerichtet gegen jeden Versuch, Griechenland aus dem Euro-Raum Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11505 (A) (C) (D)(B) – oder der EU – zu drängen. Derartige Vorschläge halte ich für politisch und wirtschaftlich schädlich für die EU und unser Land. Dazu stelle ich allerdings fest: 1. Die Austeritätspolitik ist gescheitert. Sie hat keine ökonomische Wende auslösen können, sondern vielmehr die wirtschaftliche Situation der griechischen Unter- und Mittelschichten verschlechtert. Statt diesen Weg weiter zu verfolgen, muss ein anderer, hin zu einem nachhalti- gen, solidarischen Wirtschaften und einer Erneuerung des Staates beschritten werden. Wir müssen uns auch in Zukunft entschieden dafür einsetzen, Griechenland in der europäischen Familie und der Gemeinschaftswäh- rung zu halten. Europa muss deutlich machen, dass in Krisenzeiten kein Land zurückgelassen werden darf. Die vom IWF geforderte Entschuldung Griechenlands kann dabei nicht ausgeschlossen werden. 2. Griechenland benötigt ein Investitionsprogramm, um die ökonomische Wende zu schaffen. Aus eigener Kraft kann Griechenland nur schwer eine wirtschaftliche Trendwende erzielen. Ein gezieltes Zukunftsinvestiti- onsprogramm, das mittels EU-Investitionsfonds und der Mobilisierung privaten Kapitals angeschoben wird, ist dazu erforderlich. Durch die Investition in Zukunfts- branchen kann auch ein Beitrag zur Binnennachfrage ge- leistet werden. 3. Um die notwendigen Reformen umzusetzen, braucht Griechenland einen modernen und handlungs- fähigen Staat. Statt vorgegebener Entlassungsquoten für öffentliche Bedienstete und erzwungenem Ausver- kauf der öffentlichen Infrastruktur müssen Rechts- und Sozialstaatlichkeit gestärkt werden. Die griechische Regierung hat hierbei umfassende Reformen angekün- digt. Griechenland benötigt dabei jedoch von der euro- päischen Gemeinschaft konkrete Unterstützung sowie ausreichend Zeit und Spielraum, um diese rechtsstaatli- chen und sozialen Vorhaben zum Wohle des Landes und der gesamten europäischen Gemeinschaft umzuset- zen. Das erzielte Verhandlungsergebnis ist unstrittig ein enormes Austeritätspaket, das dem Land drastische Ein- schnitte abverlangt. Der Verkauf von 14 Regionalflughä- fen an den deutschen Flughafenbetreiber Fraport macht den Ausverkauf des Landes deutlich. Allerdings hat sich Griechenland damit in dieser Situation eine Perspektive erkämpft. Die griechische Regierung muss dabei unter- stützt werden. Außerdem muss die in der Erklärung er- hobene Forderung von Christine Lagarde, Geschäftsfüh- rende Direktorin des IWF, nach Schuldenerleichterung aufgegriffen werden. Der Grexit ist und bleibt keine Al- ternative. Um die Hoffnung auf eine wirtschaftliche und soziale Trendwende zu untermauern, braucht Griechen- land die europäische Solidarität. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Erstens. In der Ab- stimmung vom 17. Juli 2015 habe ich mich der Stimme enthalten, da ich zum einen die Verhandlungsführung der Bundeskanzlerin und insbesondere des Bundes- finanzministers weiterhin unterstützen wollte, anderer- seits aber zum damaligen Zeitpunkt und auf Basis des seinerzeit gegebenen Kenntnisstands nach einer schwie- rigen Abwägung meine Zustimmung nicht erteilen konnte, „grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Artikel 16 ESM-Vertrag zu ge- währen“. Es bestehen sicherlich auch weiterhin begründete Zweifel, ob die im ESM-Vertrag vorgesehenen grund- sätzlichen Voraussetzungen für einen Einsatz von ESM- Darlehen überhaupt gegeben sind – insbesondere eine Gefährdung der Finanzstabilität der Euro-Zone als Gan- zes lag und liegt nach meiner Einschätzung nicht vor. Unabhängig davon habe ich die nunmehr vorliegende Vereinbarung im Einzelnen geprüft. Dabei habe ich ins- besondere auch die fachlichen Einschätzungen berück- sichtigt, die das Bundesministerium der Finanzen vor der Sitzung der Euro-Gruppe am 14. August 2015 abge- geben hat. Zweitens. Bereits bei der Verlängerung des zweiten Rettungspakets im Februar 2015 fiel es mehr als schwer, noch Vertrauen in die Ernsthaftigkeit und Verlässlichkeit der griechischen Regierung aufzubringen, die von ihr gemachten Zusagen und eingegangenen Verpflichtungen auch tatsächlich einzuhalten. Das Verhalten der griechischen Regierung bis Mitte Juli 2015 hat die schlimmsten Befürchtungen in dieser Hinsicht zunächst leider mehr als bestätigt. Ich nehme zur Kenntnis, dass Regierung und Parlament in Grie- chenland sich nunmehr zu einem ambitionierten und not- wendigen Reformprogramm verpflichtet haben. Dies ist zweifelsohne ein großer Verhandlungserfolg der Bun- deskanzlerin und des Bundesfinanzministers. Ob diese Verpflichtungen aber über mögliche Neu- wahlen im Herbst 2015 hinaus tatsächlich Bestand haben und die zugesagten Reformen nachhaltig und wirksam umgesetzt werden, daran bestehen allerdings weiterhin durchaus erhebliche Zweifel. Dies betrifft insbesondere auch die Frage der Erbringung der notwendigen Eigen- mittel für die Bankenrekapitalisierung und den Abbau der öffentlichen Verschuldung im Rahmen des vorgese- henen Privatisierungsfonds. Drittens. Selbst wenn die im Programm vereinbarten Reformen nunmehr erfolgreich umgesetzt werden, kann ich zum heutigen Zeitpunkt eine glaubwürdige Perspek- tive zur Wiedererlangung von Schuldentragfähigkeit und Kapitalmarktzugang Griechenlands in einem überschau- baren Zeitraum nicht erkennen. Nach Auffassung des IWF – Country Report vom 14. Juli 2015 – bestehen nur drei Optionen, um Schul- dentragfähigkeit und Kapitalmarktzugang Griechenlands wiederherzustellen: ein umfangreicher Schuldenver- zicht der europäischen Gläubiger vorab, der Einstieg in dauerhafte fiskalische Transferzahlungen innerhalb der Euro-Zone oder der weitgehende Verzicht auf Schulden- dienst für einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren auf alle bisherigen und die jetzt neu zu gewährenden Darlehen. Wenn derartige Maßnahmen unabweisbar notwendig würden, könnte dies den faktischen Einstieg in eine dau- 11506 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) erhafte Transferunion bedeuten, was nach meiner Ein- schätzung mit dem Maastricht-Vertrag und damit einem weiteren Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone nicht vereinbar wäre. Viertens. Eine weitere Beteiligung des IWF ist aus meiner Sicht für eine erfolgreiche Umsetzung des Re- formprogramms dringend notwendig. Der IWF hat sei- nerseits Schuldenerleichterungen in offenbar signifikan- tem Umfang zur notwendigen Voraussetzung für seine weitere Beteiligung am Hilfsprogramm für Griechenland erklärt. Die geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, hat auch nach dem Beschluss der Euro-Gruppe am 14. August 2015 dazu wie folgt festgestellt: „How- ever, I remain firmly of the view that Greece’s debt has become unsustainable and that Greece cannot restore debt sustainability solely through actions on its own. Thus, it is equally critical for medium and long-term debt sustainability that Greece’s European partners make concrete commitments in the context of the first review of the ESM program to provide significant debt relief, well beyond what has been considered so far.“ Es besteht weitgehend Einigkeit, dass eine weitere Beteiligung des IWF unverzichtbar ist. Darüber soll je- doch nunmehr erst im Oktober 2015 konkret entschieden werden. Ich empfinde es als problematisch, dass der Deutsche Bundestag heute bereits dem Gesamtpro- gramm zustimmen soll, bevor ausreichende Klarheit da- rüber besteht, ob und unter welchen Bedingungen sich der IWF tatsächlich substanziell an diesem neuen Pro- gramm beteiligen wird. Fünftens. Ich erkenne die erfolgreichen Bemühungen der Bundesregierung ausdrücklich an und würde es au- ßerordentlich begrüßen, wenn auf dieser Grundlage künftig die mit der Vereinbarung angestrebten Ziele in vollem Umfang erreicht würden und sich meine heute bestehenden Bedenken damit rückblickend als unbe- gründet erweisen. In einer Gesamtbeurteilung sehe ich mich aber zum heutigen Zeitpunkt und auf dem heutigen Kenntnisstand aus den genannten Gründen nicht in der Lage, dem vor- liegenden Antrag uneingeschränkt zuzustimmen – auch wenn ich mich nur schweren Herzens in einer wichtigen Frage von der Mehrheit meiner Fraktion entferne, werde ich mich daher heute erneut der Stimme enthalten. Florian Oßner (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun- desministeriums der Finanzen am 19. August 2015 stimme ich unter sieben Voraussetzungen zu, dass: erstens der Internationale Währungsfonds, IWF, auch nach den Neuverhandlungen im Oktober 2015 an den Fi- nanzhilfen an die Hellenische Republik Griechenland in überwachender und finanzieller Form eingebunden wird sowie aktiv mitwirkt; zweitens die bereits eingeleiteten Reformmaßnah- men weiter umgesetzt werden – zusätzlich zu den bereits beschlossenen Steuerreformen durch das griechische Parlament muss eine funktionsfähige Steuerverwaltung sowie Unabhängigkeit der griechischen Statistikbehörde vollständig sichergestellt und eine tragfähige Insolvenz- ordnung ausgearbeitet werden –; drittens ein Privatisierungsfonds weiter vorangetrie- ben wird – griechisches Staatsvermögen muss in einen unabhängigen Fonds transferiert werden, der die Vermö- genswerte durch Privatisierung monetarisiert (siehe auch Memorandum of Understanding) –; viertens die griechische Regierung die Liberalisie- rung in zahlreichen Branchen vorantreibt, den Arbeits- markt flexibler gestaltet und mehr Wettbewerb im Ener- giesektor etabliert – ein weiterer Reformschritt ist die Modernisierung der Verwaltung sowie die Erreichung höherer wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit –; fünftens ein nominaler Schuldenschnitt nicht reali- siert wird; sechstens es nur Solidarität gegen Solidität und Ver- lässlichkeit geben kann; siebtens die sogenannte Troika den Reformprozess vor Ort überwacht, womit ein transparentes Monitoring implementiert wird. Ulrich Petzold (CDU/CSU): In den vergangenen vier Wochen hat die Bundesregierung gemeinsam mit anderen europäischen Partnern der amtierenden griechi- schen Regierung aus Links- und Rechtspopulisten um- fangreiche Zusagen zur Umgestaltung der desolaten Staatsverwaltung in Griechenland abgerungen, die in ei- nem Memorandum of Understanding vereinbart sind. Im Gegenzug dazu wird Griechenland zum 20. August die- ses Jahres eine erste Sub-Tranche von 13 Milliarden Euro einer Gesamtfinanzhilfe von 86 Milliarden Euro ausgezahlt. Selbstverständlich berücksichtigen die in dem Memo- randum of Understanding getroffenen Vereinbarungen wesentliche Bedenken gerade auch des Deutschen Bundestages, sodass man der deutschen Verhandlungs- führung ausdrücklich dafür danken kann, doch wird hier letztendlich eine griechische Zusage zumindest in der Sub-Tranche gegen eine konkrete, beträchtliche Zahlung getauscht. Leider mussten wir in diesem Jahr bei genau der Regierung, der wir jetzt die Zahlung leisten, feststellen, dass Zusagen nicht allzu viel wert waren. Selbstver- ständlich kann man dagegenhalten, dass das griechische Parlament in seiner Sitzung vom 13./14. August ein Maßnahmenpaket verabschiedet hat, das die Forderun- gen des Memorandum of Understanding aufgreift. Be- denken muss man jedoch dabei, dass ein Maßnahmenpa- ket keine gesetzliche Regelung und schon gar keine verwaltungsmäßige Umsetzung darstellt. Gerade bei der Umsetzung europäischer Vorgaben haben sich in der Vergangenheit und insbesondere bei der existierenden Regierung umfangreiche Defizite gezeigt, sodass sich für mich die Situation so darstellt, dass wir als Europa in der Hoffnung auf die Umsetzung eines guten Verhand- lungsergebnisses erneut eine Vorauszahlung leisten. Besondere Bedenken entstehen bei mir dadurch, dass sich aufgrund der fehlenden Regierungsmehrheit für das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11507 (A) (C) (D)(B) umzusetzende Reformpaket eine Neuwahl mit absolut unberechenbarem Ausgang konkret abzeichnet und es fraglich ist, woran sich eine neue Regierung gebunden fühlt. Da ich gerade auch die Bemühungen der deutschen Verhandlungsführung achte und das Ergebnis der Ver- handlungen im Memorandum of Understanding als für alle Seiten akzeptabel anerkenne, jedoch persönlich kein Zutrauen zur Umsetzung der getroffenen Vereinbarun- gen durch Griechenland habe, werde ich mich der Stimme enthalten. Alois Rainer (CDU/CSU): Nach sorgfältiger Überle- gung und gewissenhafter Abwägung stimme ich dem Antrag des Bundesfinanzministeriums zu, Griechenland im Rahmen eines dritten Reformprogramms auf Grund- lage des Memorandum of Understanding zu unterstüt- zen. Grundlage für meine Zustimmung waren insbeson- dere folgende Aspekte: Zunächst hat Griechenland bereits vor Aufnahme der Verhandlungen im Juli zuvor zurückgestellte Reformen umgesetzt. Dazu zählen eine systematischere Erhebung und Erhöhung der Mehrwertsteuer, Maßnahmen für ein nachhaltigeres Rentensystem, die Unabhängigkeit der Statistikbehörde, die vollständige Umsetzung des Euro- päischen Fiskalvertrages, eine effizientere Zivilprozess- ordnung zur Verkürzung überlanger Verfahren und die vollständige Umsetzung der europäischen Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken. Mit der Umsetzung der vereinbarten Reformagenda im Memorandum of Unterstanding soll die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wiederhergestellt, die Finanz- stabilität gesichert, für Wachstum und Wettbewerbs- fähigkeit gesorgt werden. Für mich ist hierbei sehr wichtig, dass weitere Aus- zahlungen an erfolgreich umgesetzte Reformen geknüpft werden. Deshalb ist es richtig, dass weiterhin regel- mäßige Programmüberprüfungen vorgesehen sind und die Hilfskredite nur in Tranchen und unabhängig von diesen Überprüfungen ausgezahlt werden. Denn nicht alle Reformen wurden unumkehrbar umgesetzt. Weiter ist unabdingbar, dass der Internationale Wäh- rungsfonds, IWF, mit seiner besonderen Expertise, wie Schulden abgebaut und die Wettbewerbsfähigkeit der Länder durch Strukturreformen nachhaltig verbessert werden kann, weiter an Bord bleibt. Die griechische Regierung hat einen Wandel vollzo- gen. Von einer anfangs ablehnenden Zusammenarbeit ist man zwischenzeitlich zu konstruktiven Gesprächen ge- kommen. Der Erfolg und die Nachhaltigkeit eines dritten Programms hängen zuallererst jedoch an der Reform- bereitschaft der Griechen selbst. Mit der geänderten Haltung der griechischen Regierung und der Umsetzung der Reformen kann es Griechenland nun schaffen, die gesteckten Ziele zu erreichen. Wie ich schon in meiner Erklärung vom 17. Juli schrieb, galt für mich immer das Prinzip: Solidarität nur gegen Solidität, und wenn die griechische Regierung be- reit ist, die harten Reformen umzusetzen, dann ist es nur folgerichtig, den nächsten Schritt zu gehen. Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme der Vereinba- rung über ein ESM-Programm für die Hellenische Repu- blik zu. Ich stimme zu, weil die Mehrheit der deutschen als auch der griechischen Bürgerinnen und Bürger ein Aus- scheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungsraum ablehnt und gemeinsam für eine gerechte europäische Sozial- und Wirtschaftspolitik, für eine europäische Inte- gration und ein Europa des Friedens, der Freiheit und der Demokratie eintritt. Außerdem hat Deutschland Europa und damit auch Griechenland in vielerlei Hinsicht un- endlich viel zu verdanken. Ich begrüße sehr, dass nach der Zustimmung des Deut- schen Bundestags zur Aufnahme von Verhandlungen am 17. Juli 2015 zügig Gespräche und Vereinbarungen er- reicht werden konnten. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass mit der Umsetzung des ESM-Programms ein drohendes Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungs- raum verhindert werden kann. Dies ist insbesondere das Verdienst der SPD sowie der sozialdemokratisch und so- zialistisch regierten Mitglieder der Euro-Gruppe, die sich stets gegen ein – auch zeitweises – Ausscheiden Grie- chenlands verwahrt haben. Das vorliegende ESM-Programm ist in vielerlei Hin- sicht besser als frühere Programme. Von besonderer Be- deutung sind dabei die in Aussicht gestellten Schuldener- leichterungen für die Hellenische Republik und die notwendige Lockerung der Konsolidierungsziele. Diese Einsicht ist der Tatsache geschuldet, dass angesichts des hohen Schuldenstands und der kritischen ökonomischen Lage Griechenlands nicht alle notwendigen Ziele – Kon- solidierung und Schuldenabbau, nachhaltige Strukturre- formen und Impulse für neues Wachstum – gleichzeitig erreicht werden können. Das zur Abstimmung stehende ESM-Programm erlaubt durch Anpassung der Haushalts- ziele an die gegebenen Möglichkeiten Griechenlands die Konzentration auf Strukturreformen und Wachstumsim- pulse. Umfangreiche und effektive Strukturreformen sind unausweichlich, um einen funktionierenden Sozialstaat und eine Daseinsvorsorge für alle in Griechenland si- cherzustellen, um die öffentliche Verwaltung effektiver und transparenter zu machen und Korruption zu be- kämpfen und den Kampf gegen Steuerhinterziehung – auch durch wirksame strafrechtliche Bestimmungen – zu stärken. Nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa ist die Bekämpfung von Steuerbetrug eine wich- tige gemeinsame Aufgabe. Ich betone deshalb auch die Bedeutung der weiteren Kooperation mit dem Internatio- nalen Währungsfonds, IWF, der – mit und auch ohne weitere finanzielle Beteiligung – bei der fachlich und so- zial angemessenen Definition der Reformschritte mit- wirken soll. Die griechische Wirtschaft ist auf eine nachhaltige Wachstumsstrategie angewiesen, die durch ein umfang- 11508 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) reiches EU-Investitionsprogramm angeschoben werden muss. Für eine Wiederbelebung privater Investitionen in Griechenland ist es umso wichtiger, dass die Unsicher- heit über den Verbleib der Hellenischen Republik im Euro-Währungsraum vom Tisch ist. Ich bin auch davon überzeugt, dass sich Ausstiegsszenarien Einzelner zu Mitgliedern des derzeitigen Euro-Währungsraumes in Zukunft nicht wiederholen werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Europäische Union einen unverzichtbaren Beitrag zu Frieden, Völ- kerverständigung und gegenseitiger Solidarität leistet. Die Gemeinschaftswährung ist Ausdruck dieser europäi- schen Integration und von großer ökonomischer Bedeu- tung für sämtliche Mitgliedstaaten des gemeinsamen Währungsraums und der Europäischen Union insgesamt. Die Menschen in Europa stehen zum Euro – auch die Menschen in Griechenland und in Deutschland. Mit großer Sorge verfolge ich die soziale Situation in Griechenland – die hohe Arbeitslosigkeit, die weit verbrei- tete Armut und die unzureichende medizinische Versor- gung der Menschen. Die durch konstruktive Verhandlungen der griechischen Regierung und der Finanzminister der an- deren Euro-Mitgliedstaaten zügig erreichten Vereinbarun- gen sollen nun der dramatischen sozialen Lage abhelfen. Europa insgesamt muss sich daran messen lassen, dass Eu- ropäerinnen und Europäer nicht in sozialem Elend leben müssen. Umso wichtiger ist es, bei der Umsetzung der Struk- turreformen soziale und ökonomische Erfordernisse ge- meinsam zu betrachten. Da soziale Gerechtigkeit maß- geblich von öffentlicher Infrastruktur abhängt, appelliere ich nachdrücklich, im Rahmen der verabredeten Privati- sierungsvorgaben die Handlungsfähigkeit der Helleni- schen Republik im Bereich der Daseinsvorsorge nicht einseitig den kurzfristigen Erlöszielen unterzuordnen. Privatisierungsvorgaben dürfen nicht dazu führen, im In- teresse privater Investoren die öffentliche Infrastruktur unter Wert veräußern zu müssen. In Deutschland selbst lassen sich dafür zahlreiche – letztlich beim einsichtsvol- len Rückkauf teure – Beispiele aufzählen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Krise und die bisher dominierende Austeritätspolitik zu einer Ver- schärfung der sozialen Situation in Griechenland insbe- sondere zulasten der Menschen mit geringem Einkommen geführt haben: Lohnsenkungen um fast 40 Prozent, durch- schnittliche Rentensenkungen um 48 Prozent, drastische Einkommensverluste der ärmsten Haushalte, eine Steige- rung der Arbeitslosigkeit auf 27 Prozent, bei Jugendlichen auf über 50 Prozent und die steigende Zahl der Suizide um rund 35 Prozent sind Ausdruck dieser dramatischen Ent- wicklung. Die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen aller Euro-Partner begreife ich deshalb als Start für eine neue, integrierte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der EU insgesamt. Sie muss ausgerichtet sein auf die Reduzierung mak- roökonomischer Ungleichgewichte, insbesondere der Leistungsbilanzunterschiede, die auf die von Deutsch- land maßgeblich forcierte Politik der Wettbewerbsfähig- keit und Austerität zurückgehen. Die zukünftige Wirt- schaftspolitik der EU, die einen Schwerpunkt auf gemeinsame Programme zur Bekämpfung von Jugendar- beitslosigkeit, auf stärkere europäische Kompetenzen sowie auf eine verbesserte Regulierung der Kapital- märkte legen muss, ist die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des heute vorliegenden ESM-Programms. Die Entscheidung zu einer gemeinsamen, nationale Inte- ressen ausgleichenden Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU ist auch notwendige Bedingung dafür, eine ökonomi- sche Spaltung Europas und die drohende wirtschaftliche Destabilisierung weiterer Europartner zu verhindern. Ich erwarte ausdrücklich, dass auch die Konservativen ihr leichtfertiges Kokettieren mit einem Kerneuropa ökono- mischer Stärke unterlassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass in der Europäischen Union und der Euro-Gruppe gegenseitiges Vertrauen verloren geht und nationale Interessen europaweite Kon- flikte nicht abzusehenden Ausmaßes auslösen. Zuneh- mendem Nationalismus trete ich entschieden entgegen. Bei meiner Entscheidung geht es nicht nur um Griechen- land – es geht um ein Europa, welches basiert auf Freiheit und Demokratie, auf Rechtsstaatlichkeit und Menschen- rechten. In diesem Europa, in dem jeder Mensch die gleiche Würde hat, wollen wir gemeinsam in Frieden mit unseren Nachbarn leben. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): An Tagen wie heute mit Entscheidungen wie diesen wird mir erneut bewusst, welche große Verantwortung wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestags tragen. Ich un- terstelle den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, dass sie sich ihre Entscheidung ähnlich schwer gemacht haben wie ich. In den vergangenen Tagen habe ich viel gelesen, diskutiert, hinterfragt und gezweifelt. Am Ende steht mein Ja zum dritten Hilfspaket. Aber es ist ein „Ja, aber …“. Ja, wir brauchen eine starke Europäische Union. Die Europäische Union bringt uns Frieden, das darf niemals gering geschätzt werden. Und sie verschafft uns eine nicht gekannte Freizügigkeit und Wohlstand. Das geht nicht ohne Solidarität, ohne Anstrengungen, ohne unser aller Einsatz. Darum ist das Ja auch ein Ja für das grie- chische Volk, das sowohl unter den Konsequenzen der vergangenen unfähigen und korrupten griechischen Re- gierungen als auch unter den Fehlern, die in der Europäi- schen Union gemacht wurden, leiden muss. Ja, es gibt ermutigende Zeichen in diesem Memoran- dum of Understanding. Allen voran, dass die Korruption und die Steuerhinterziehung bekämpft werden sollen. Es ist gut, dass die Steuerprivilegien für die Reeder auslau- fen werden. Und es ist sinnvoll, wenn eine soziale Grundsicherung geschaffen werden soll, um damit das Problem der hohen Frühverrentnung anzugehen, oder wenn es Hilfen für Langzeitarbeitslose geben soll. Wenn nun tatsächlich eine effizientere Steuerverwaltung auf- gebaut werden könnte, wäre auch dies ein großer Schritt, um der Schattenwirtschaft im Land entgegenzutreten und vor allem endlich die Reichen ihren Teil leisten zu lassen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11509 (A) (C) (D)(B) Ja, wir können die Folgen eines Grexits nicht abse- hen. Aber ich glaube, dass ein Grexit für das griechische Volk, dem vor allem meine Solidarität gilt, zunächst eine massive Verschlechterung bringen wird. Nur ein Bei- spiel: Schon jetzt ist die steigende Kindersterblichkeit ein Alarmsignal. Wie wäre dies, wenn die Preise für die zu importierenden Medikamente ins Unermessliche stei- gen? Ein Grexit hätte auch ein politisches Erdbeben in der EU zur Folge. Was wäre dann in ein paar Jahren zum Beispiel mit Italien? Wir können die Folgen derzeit nicht absehen, aber ich ahne, dass ein Grexit keine Alternative sein kann und sein darf. Aber: Ob dieses Hilfspaket tatsächlich uns dem Ziel näher bringen wird, dass Griechenland wieder auf eige- nen Beinen stehen kann, dahinter steht ein Fragezeichen. Wieder werden Schulden gemacht, um Altschulden zu bezahlen. Dass dies langfristig nicht funktionieren kann, dazu braucht es keine Wirtschaftsprofessoren. Ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass es einen echten Schuldenschnitt braucht, um Griechenland überhaupt eine Chance auf Erholung der Wirtschaft und des Staats- haushaltes zu geben. So kurbeln wir nur immer weiter den Kreislauf aus Alt- und Neuschulden an. Dem Staat aber fehlen die notwendigen Gelder für Investitionen, auch Fördermilliarden aus der EU können so nicht abge- rufen werden, da die Kofinanzierung nicht steht, nicht stehen kann. Hinzu kommen Maßnahmen, denen ich mehr als skeptisch gegenüberstehe. Die teilweise Erhö- hung der Mehrwehrsteuer, vor allem auf den Inseln, wird mehrheitlich eher die arme Bevölkerung treffen. Vor al- lem aber der Tourismus, einer der wichtigsten noch funktionierenden Wirtschaftszweige, wird darunter lei- den. Das halte ich nicht für zielführend. Aber: Die griechische Regierung hat viel Vertrauen verspielt. Sicherlich hat nicht geholfen, dass manch schriller griechischer Ton ein nicht minder schrilles deutsches Echo bekommen hat. Die Finanzminister Va- roufakis und Schäuble hatten zuzeiten offenbar mehr In- teresse daran, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen und mit dem Finger aufeinander zu zeigen, als ernsthaft an Lö- sungen zu arbeiten. Aber es bleibt ein völlig verständli- cher Unmut, dass hier Alex Tsipras zwischenzeitlich sehr hoch gepokert hat. Und auch wenn es ihm jetzt ge- lungen ist, das griechische Parlament mehrheitlich hinter sich und das dritte Hilfspaket zu bringen, machen mir die drohenden Neuwahlen Sorge. Was, wenn hier die ex- tremen linken und rechten politischen Kräfte noch mehr an Zulauf bekommen? Mit wem sollen dann die konkre- ten Maßnahmen, die im Memorandum of Understanding stehen, umgesetzt werden? Das bereitet mir Sorge. Aber: Man kann mit der Art und Weise, wie die Bun- desregierung in die Verhandlung gegangen ist, nicht zufrieden sein. Mein Ja ist deshalb ein eindeutiges Ja für die europäische Idee, aber ein Nein gegen Bundes- kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Ohne Rücksprache mit dem Deut- schen Bundestag wurde in den entscheidenden Verhand- lungen plötzlich der Grexit ins Spiel gebracht, offenbar von langer Hand vom Finanzministerium vorbereitet. Dieses nahezu erpresserische Verhalten in einem Ringen um einen für beide Seiten tragfähigen Kompromiss halte ich nicht nur für kontraproduktiv, sondern auch noch für politisch unanständig. Bei allem Für und Wider, das ich in dieser Erklärung nur ansatzweise andeuten kann, bleibt es schlussendlich bei meinem „Ja, aber …“. Es ist dies eine der schwie- rigsten politischen Entscheidungen, die ich als Abgeord- nete je zu treffen hatte. Und ich sehe meine Verantwor- tung gegenüber den deutschen und den europäischen Bürgerinnen und Bürgern. Sie wiegt schwer. Ich hoffe, dass ich ihr in der Rückschau gerecht geworden bin. Dr. Nina Scheer (SPD): Den Griechenland-Hilfen stimme ich zu, da eine Ablehnung für Griechenland eine humanitäre Katastrophe zur Folge hätte und damit auch für Europa dauerhaft schädlich wäre. Ich halte allerdings wesentliche Teile des Hilfsprogramms für verfehlt: Wenn einem notleidenden Staat durch Privatisierungs- verpflichtungen Einnahmemöglichkeiten genommen werden, ist das kontraproduktiv. So halte ich etwa die Liberalisierung des Stromnetz- betreibers ADMIE, die als bevorzugte Variante im Memorandum of Understanding hervorgehoben wird, für falsch. Die zugleich als mögliche Alternative vor- gesehene Eigentumsentflechtung zwischen Netz und Stromerzeugung, bei der die Stromnetze aber in öffentli- cher Hand bleiben, ist unter den zeitlichen Vorgaben – in diesem Fall der Privatisierung des Stromnetzes bis Okto- ber 2015 – nicht zu realisieren und somit für Griechen- land kein reeller Handlungsspielraum. Mit dieser fakti- schen Privatisierungsvorgabe für das Stromnetz bleiben wichtige Fragen außer Acht: Welche privaten Akteure werden bei welchen Renditevorgaben in das griechische Stromnetz investieren, um es für die Zukunft fit zu ma- chen? Ist Privatisierung mit Blick auf die Langfristigkeit von Netzinvestitionen nicht die volkswirtschaftlich teu- rere Option? Im Zuge des notwendigen Energiewendeumbaus des Stromversorgungssystems haben sich in den letzten Jahren in Europa insbesondere die Übertragungsnetz- betreiber aus Dänemark (Energinet.dk), Irland (EirGrid), Norwegen (Statnett), Niederlande (TenneT) und auch Schweden (Svenska Kraftnät) bezogen auf die jeweils inländischen Entwicklungen als starke und zugleich vor- anschreitende Player erwiesen. Alle diese Netzbetreiber sind zu 100 Prozent im Staatsbesitz. Griechenland braucht neben dem Aufbau einer soli- den Verwaltungsstruktur Schuldenerleichterungen und Konjunkturprogramme. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Griechenland seine Schulden dauerhaft nicht tragen kann. Anders als die vorangegangenen Griechenland- Hilfsprogramme enthält das jetzige Programm richtige Ansätze, etwa zum Aufbau einer Sozialversicherung. Zugleich dürfen zeitliche Vorgaben nicht bedeuten, dass entsprechende Maßnahmen nicht wahrgenommen wer- den. Zur weiteren inhaltlichen Positionierung verweise ich auf meine persönliche Erklärung vom 17. Juli 2015. 11510 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 (A) (C) (D)(B) Jana Schimke (CDU/CSU): Die Verhandlungen der vergangenen Wochen mit der griechischen Regierung über weitere Hilfen der Euro-Länder waren nicht leicht. Deshalb möchte ich dem durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erzielten Verhandlungsergebnis meinen Respekt aus- sprechen. Die Vielzahl der vereinbarten Reformen zeigt auf, was die Grundlagen eines annähernd funktionieren- den Staates sind. Bereits bei der vergangenen Abstimmung über die Erteilung eines Verhandlungsmandates hatte ich große Bedenken. So galt es, den herben Vertrauensverlust zwi- schen der griechischen Regierung und den Euro-Ländern wiederherzustellen. In der Hoffnung, dass dies gelingt, hatte ich einem Verhandlungsmandat zugestimmt. Doch trotz der positiven Verhandlungsergebnisse hat sich mei- ner Ansicht nach bis heute nichts an der bisherigen Lage geändert, und die politische Lage Griechenlands ist noch instabiler geworden. So ist die aktuelle griechische Re- gierung im Begriff, sich zu spalten und aufzulösen. Wei- terhin ist davon auszugehen, dass es noch in diesem Jahr zu Neuwahlen in Griechenland kommt, deren Ausgang ungewiss ist. Niemand kann derzeit sagen, ob die heute beschlosse- nen Reformen auch nach den Wahlen tatsächlich umge- setzt werden. Den politischen Willensbekundungen fehlt es nach wie vor an messbaren Ergebnissen und einer Schuldentragfähigkeit. Deshalb untersagt der Internatio- nale Währungsfonds, IWF, auch weiterhin seine Beteili- gung an den Hilfen, welche für eine aussichtsreiche Unterstützungspolitik jedoch unabdingbar sind. Weiterhin fehlt es an einer glaubwürdigen Strategie und der Bereitschaft, den Umgang mit Schuldenländern in der Europäischen Währungsunion zu regeln. Dabei ist es an der Zeit, die Konstruktionsfehler der Währungs- union einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und klare Regeln für den Umgang mit Schuldenländern zu entwickeln. Europa bleibt nur dann stark, wenn jedes Mitglieds- land die Verantwortung für sein eigenes Handeln über- nimmt und wir nicht auf eine Schuldenunion zusteuern. Dies würde dazu führen, dass die Menschen und damit auch die Steuerzahler den Glauben an das europäische Projekt verlieren. Unter diesen Umständen ein neues Hilfsprogramm zu starten, kann ich nicht verantworten und werde deshalb mit Nein stimmen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist heute das dritte „Rettungspaket“ für Grie- chenland. Die beiden ersten sind kläglich gescheitert. Sie haben den wirtschaftlichen Aufschwung nicht gebracht. Die soziale Situation im Land und die Wirtschaftslage sind nicht besser als vorher, sondern dramatisch schlech- ter geworden, zum Verzweifeln. Die Sparzwänge hatten verheerende Folgen. Und die Schulden sind enorm ge- wachsen auf weit über 300 Milliarden Euro. Die Wahr- heit, die in der deutschen Regierung keiner hören will, ist: Der griechische Staat wird die Schulden nie zurück- zahlen können. Ich stimme zum dritten Rettungspaket wieder mit Nein. Denn wie sollen die neuen Kredite in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro und neue Sparzwänge mit Hunderten von Auflagen, die in mehr als 30 Seiten des Memoran- dums aufgelistet sind, nun Rettung bringen? Die bisher aufgezwungene restriktive Sparpolitik wird in keinem Punkt korrigiert. Ganz im Gegenteil: Kleinere Verbesse- rungen durch die neue Regierung werden nun „korri- giert“. Die Kredite zusätzlicher Finanzhilfe für Grie- chenland aus dem ESM werden die wirtschaftliche und soziale Lage im Land nicht verbessern. Denn sie dürfen ausschließlich für die Bedienung der bisherigen Schul- den und die Sanierung der Banken eingesetzt werden. So sind von der ersten Tranche von 26 Milliarden Euro 16 Milliarden für Rückzahlungen und 10 Milliarden für Rekapitalisierung und Abwicklung von Banken vorgese- hen, insgesamt können es bis zu 25 Milliarden sein. Von der Gesamtsumme der Kredite bis zu 86 Milliarden ge- hen 54,1 Milliarden in den Schuldendienst, 7 Milliarden in den Abbau von Zahlungsrückständen und 7,6 Milliar- den in den Aufbau von Reserven. Der Rest reicht nicht mal für die Gebühren und Zinsen der neuen Kredite. Die Gesamtschuldenlast aber wird erheblich höher. Im Memorandum sind zwar hehre Ziele für die Regie- rung formuliert, wie die „Notwendigkeit sozialer Gerech- tigkeit und Fairness innerhalb der und zwischen den Gene- rationen“, sowie die „Schaffung von 50 000 Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose“, aber die ESM-Finanzhilfen dür- fen dafür nicht eingesetzt werden. 50 000 Arbeitsplätze sollen es kurzfristig sein, gar Arbeitsbeschaffungsmaß- nahmen für 150 000 Arbeitslose bis März 2016. Nur, da- für und für die ebenfalls im Memorandum angekündigte Einführung garantierter Mindesteinkommen sowie den Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle – auch un- versicherte Personen – sind die Gelder aus den Krediten nicht da, auch nicht für die Verbesserung der katastro- phalen Lage der Flüchtlinge im Land. Die neuen Kredite helfen nur den „Institutionen“, also den Gläubigern, und das auch nur, solange das neue Geld reicht. Sie helfen nicht bei der Finanzierung der dringend notwendigen In- vestitionen in Griechenland. Immer neue Kredite und Schulden sind der verhäng- nisvoll falsche Weg, wie spätestens nach dem Scheitern der bisherigen Rettungsschirme deutlich geworden ist. Ein deutlicher Schuldenschnitt und ein mehrjähriges Moratorium bei der Bedienung der Restschulden, ver- bunden mit einem gezielten Investitionsprogramm für Wirtschaft, Infrastruktur und die sozialen Sicherungssys- teme für Griechenland, sind unverzichtbar. Sie sind auch vertretbar, schließlich hat Deutschland circa 100 Milliar- den Euro an den niedrigen Zinsen für die eigenen Schul- den seit der Griechenland-Krise gespart, Das wäre der richtige Weg – humaner und solidarischer. Deshalb stimme ich dem Antrag der Bundesregierung nicht zu. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Bei der heutigen namentlichen Abstimmung zum Antrag des Bundes- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11511 (A) (C) (D)(B) ministeriums der Finanzen „Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands“ werde ich nach reiflicher Überlegung zustimmen. Zur Abstimmung steht ein hartes und ambitioniertes Reformpaket mit einem strengen Kontrollmechanismus. Damit ist das grundlegende Prinzip – Hilfe nur gegen Reformen – eingehalten. Die Auszahlung erfolgt – so wie in der letzten Stimmerklärung von mir gefordert – erneut nur in einzelnen Tranchen und nur dann, wenn Griechenland die geforderten Reformvorhaben erfolg- reich umsetzt. Griechenland hat sich stark bewegt und bereits wich- tige Reformen beschlossen. Nun kommen weitere harte Einschnitte auf das Land zu: Die Strukturreformen, die die Vorgängerregierungen immer wieder versprochen, aber nicht umgesetzt haben, sollen nun endlich durchge- führt werden, etwa die Abschaffung von Frührenten, Reformen auf dem Arbeitsmarkt oder Privatisierungen. Zudem soll der Kampf gegen Korruption und Steuerhin- terziehung verschärft werden. Die griechische Regierung hat einen weiten Weg zu- rückgelegt und – ausgehend von der Ablehnung jegli- cher Zusammenarbeit – endlich erkannt, dass es den Euro nicht zum Nulltarif gibt, sondern nur, wenn man die gemeinsamen Regeln innerhalb der Euro-Gruppe einhält. Dies liegt nicht zuletzt an der harten Verhand- lungslinie unseres Finanzministers Dr. Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Entscheidend für mich war ebenso, dass die EU auch bei einer Staatspleite Griechenlands zahlen müsste, und zwar in Form von humanitären Hilfen, die nicht in Form von Krediten, sondern direkt fließen würden. Allerdings hätte die EU dann nicht die Möglichkeit, die Auszahlung an die Verabschiedung von Reformvorhaben zu knüpfen. Hilfe darf es aber nur gegen Reformen in Griechenland geben. Es kommt jetzt darauf an, dass Griechenland auf die- sem Weg bleibt und weiterhin liefert. Das wird von den Institutionen in engen Zeitabständen überprüft, und die Auszahlung der einzelnen Tranchen erfolgt nur dann, wenn Griechenland die geforderten Reformvorhaben weiterhin erfolgreich umsetzt. Vor diesem Hintergrund habe ich heute dem Hilfspro- gramm zugestimmt. Kai Whittaker (CDU/CSU): Der Deutsche Bundes- tag soll bei seiner heutigen Abstimmung über ein drittes Hilfspaket für Griechenland entscheiden. Im Vorfeld dieser Abstimmung hat der Deutsche Bundestag der Bundesregierung mit seinem Votum vom 17. Juli 2015 das Mandat erteilt, mit Griechenland über Finanzhilfen in Verhandlungen zu treten. Folgende Punkte sind anzumerken: 1. Mit der Erklärung des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 ist es gelungen, die Konditionalität von Kredithil- fen gegen Reformen einstimmig in der Euro-Gruppe durchzusetzen. Dies findet sich auch in der Erklärung der Euro-Gruppe vom 14. August 2015 wieder. Dabei wird das Reformprogramm nach wie vor von der Euro- päischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, dem ESM und dem IWF beaufsichtigt und kontrolliert. Damit gibt es keine Sonderbehandlung für Griechen- land, sondern Griechenland wird wie alle vorherigen Programmländer behandelt. 2. Mit der Erklärung der Euro-Gruppe vom 14. Au- gust 2015 ist ein detailliertes Reformprogramm erarbei- tet worden. Dieses Programm hat zum Ziel, den maroden Bankensektor zu reformieren, die Staatseinnahmen zu erhöhen, Ausgaben zu senken, die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zu steigern und eine effi- ziente Staatsverwaltung aufzubauen. Damit haben wir eine realistische Aufgabenbeschreibung für die griechi- sche Regierung und gleichzeitig eine sehr engmaschige, permanente Kontrolle in den nächsten drei Jahren. 3. Seit dem 15. Juli 2015 hat das griechische Parla- ment mit großer Mehrheit alle wesentlichen vereinbarten Maßnahmenpakete verabschiedet, die als Vorbedingung für ein drittes Hilfspaket gefordert waren. Mit der erfolg- reichen Abstimmung im Parlament hat die griechische Regierung das innenpolitische Mandat für den entspre- chenden Reformkurs erteilt bekommen. Bemerkenswert ist dabei, dass sich eine überparteiliche Mehrheit für die Maßnahmen ausgesprochen hat. Damit scheint die grie- chische Regierung sich endlich zum Prinzip der Konditi- onalität zu bekennen. Dies muss ich anerkennen. Selbstverständlich bleiben nach wie vor Zweifel über den eingeschlagenen Weg. Das Vertrauen, das die grie- chische Regierung in den letzten Monaten zerstört hat, lässt sich nicht ohne Weiteres durch einige Beschlüsse oder Absichtsbekundungen in wenigen Wochen wieder aufbauen. Nun sind Taten gefordert. Zweifel bleiben auch über die zukünftige Rolle des IWF. Für mich ist klar, das es keinen Schuldenschnitt für ein Land innerhalb der Euro-Zone geben kann und dass gleichzeitig der IWF weiterhin als Kreditgeber im Boot bleiben muss. Aus heutiger Sicht ist nicht klar, wie ein Engagement des IWF aussehen wird und unter welchen Bedingungen es erfolgen kann. Dies erfüllt mich mit großer Sorge. Dennoch bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, diese letzte Chance der griechischen Regierung zu ge- ben. Durch die harten Verhandlungen der deutschen Bundesregierung ist es gelungen, dass die von uns im- mer geforderte Konditionalität, das heißt europäische Hilfe gegen Reformen, durchgesetzt wurde. Es wäre aus deutscher Sicht unverantwortlich, wenn wir nun trotz unseres Verhandlungserfolgs Griechenland nicht helfen würden, obwohl alle wesentlichen Bedingungen Deutschlands vonseiten Griechenlands akzeptiert wor- den sind. Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 118. Sitzung Inhaltsverzeichnis Tagesordnungspunkt 1 Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Klaus-Peter Willsch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Zahlen – das ist der letzte Satz, Herr Präsident – wer-

    den das nicht einmal mehr unsere Kinder, sondern deren
    Kinder und Enkel. Über 2 Billionen Euro an Schulden
    haben diese Menschen abzutragen, und jetzt packen wir
    noch Schulden anderer drauf. Das ist den nachfolgenden
    Generationen gegenüber unverantwortlich. Sagen Sie
    bitte Nein.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Letzter Redner in der Aussprache ist der Kollege

Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt!)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Eckhardt Rehberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

    stimmen heute nicht über den kommenden Wahlkampf
    in Griechenland oder darüber ab, ob sich Herr Tsipras
    der Vertrauensfrage stellt.


    (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])


    Wir stimmen heute über einen Antrag der Bundesregie-
    rung mit neun Anlagen ab. Ich finde, das, was in den
    letzten Tagen vereinbart worden ist und was in diesem
    Antrag steht, verdient Respekt.

    Ich gebe für mich ganz ehrlich zu: In dem Zeitraum
    Ende Juni/Anfang Juli, in dem die griechische Regie-
    rung das Volk aufhetzte, in einem Referendum Nein zu
    Reformen zu sagen, und das Volk mit Nein stimmte, gab
    es für mich zwei entscheidende Momente. Zum einen
    waren das die Folgen in Form von Bankenschließungen
    und Kapitalverkehrskontrollen. Zum anderen war es die
    Tatsache – da widerspreche ich den Grünen ganz aus-
    drücklich in ihrem Antrag, das war kein historischer
    Fehler –, in einer Debatte zu beleuchten, was für Grie-
    chenland ein genereller Grexit oder ein zeitweiliger
    Grexit bedeutet hätte.

    Es ist meine feste Überzeugung: Wenn in den letzten
    Wochen und Monaten von Angela Merkel und Wolfgang
    Schäuble, von der Bundesregierung insgesamt, nicht so
    hart verhandelt worden wäre, hätten wir nicht das vorlie-
    gende Ergebnis zur Abstimmung. Das ist an dieser Stelle
    meine feste Überzeugung.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Lieber Kollege Willsch, an der Grexit-Debatte stört
    mich eins: Sie beschreiben nicht die Folgen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Griechenland bleibt in der Europäischen Union. Grie-
    chenland bleibt im Schengen-Raum. Griechenland bleibt
    in der NATO.
    Ein Kollege hat gestern in der Arbeitsgruppe Haus-
    halt den Vorschlag gemacht, die Konditionen, die wir im
    dritten Hilfspaket mit Griechenland vereinbart haben,
    mit Entwicklungsländern zu vereinbaren. Eine Konditio-
    nierung bei Entwicklungshilfe: Das wäre aus meiner
    Sicht dann auch die Alternative für Griechenland gewe-
    sen. Mich stört an der Debatte, dass man nur ganz einsei-
    tig Haare in der Suppe findet und Situationen beschreibt,
    ohne auch darauf hinzuweisen, wo dieser Weg hinführen
    würde. Das stört mich ganz erheblich, liebe Kolleginnen
    und Kollegen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Den Grünen will ich eines sagen: Sie sprechen davon,
    dass Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Wolfgang
    Schäuble die Axt an die Grundwerte in Europa gelegt
    haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Verständ-
    nis von Solidarität in Europa ist, dass sie auch immer mit
    eigener Verantwortung verbunden ist. Mein Verständnis
    von Hilfe ist Hilfe zur Selbsthilfe, und mein Verständnis
    von Europa ist, dass nicht einer die Regeln bestimmt,
    wenn man sich in Europa Regeln gibt, sondern dass die
    Regeln, die alle vereinbart haben, auch von allen einzu-
    halten sind. Das ist mein Verständnis von Europa.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Hier hat die griechische Regierung einen Weg zurück-
    legen müssen. Wer sich die Mühe macht, einen Blick in
    die Anlage 3 a zu werfen, sieht, dass die Maßnahmen
    48 bis 56 – Kollege Poß, Sie nicken – jetzt unter dem
    Druck der Quadriga vom griechischen Parlament zu-
    rückgenommen werden. Das betrifft die Steueramnestie
    für Reiche. Es geht auch zum Beispiel darum, dass die
    hellenische Tourismusorganisation keine Grundsteuern
    zahlen muss, und um die überzogenen Subventionen für
    Kleinerwerbslandwirte und Nebenerwerbslandwirte in
    Griechenland. Man musste erst Druck aufbauen, liebe
    Kollegin Lötzsch, bis Syriza das zurückgenommen hat,
    was sie fehlerhaft im Februar und März beschlossen ha-
    ben. Das haben sie nicht von alleine gemacht.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Kollege Hofreiter, Sie sind gegen Ausgabenkürzun-
    gen. Das verstehe ich nicht. Sie sind dagegen, dass in
    den beiden kommenden Jahren im griechischen Militär-
    haushalt eine halbe Milliarde Euro eingespart wird. Ich
    bin dafür, dass da gekürzt wird. Wo denn sonst? Wo
    sonst soll bei einer Armee von 175 000 Mann gekürzt
    werden?


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Ich bin aber auch genauso dafür – das will ich ganz
    klar und deutlich sagen –, dass im öffentlichen Dienst
    die Mindestrenten eingefroren werden. Ich will Ihnen
    auch sagen, warum: weil die Renten in Griechenland,
    und zwar die Renten im privaten Sektor und die Klien-
    telrenten, die über Jahre von Pasok, ND und wem auch
    immer im öffentlichen Dienst ausgereicht worden sind,

    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11485

    Eckhardt Rehberg


    (A) (C)



    (D)(B)

    ganz weit auseinandergehen. Wir haben auch eine Ver-
    antwortung gegenüber den Letten, den Esten, den Litau-
    ern, den Slowenen und den Slowaken, die deutlich nied-
    rigere Mindesteinkommen und ein deutlich niedrigeres
    Sozialniveau haben. Deswegen ist es richtig, auch bei
    den Klientelrenten in Griechenland einen Stopp für die
    nächsten Jahre vorzusehen, liebe Kolleginnen und Kol-
    legen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Im Memorandum of Understanding sind 58 Maßnah-
    men mit 200 konkreten Terminen vorgesehen, von denen
    – das halte ich für sehr bemerkenswert – vier Fünftel
    heute schon zumindest im Parlament beschlossen, wenn
    auch noch nicht umgesetzt worden sind.

    Die entscheidende und härteste Bewährungsprobe in
    den nächsten Wochen und Monaten wird übrigens die
    Umsetzung sein. Deswegen stimme ich dem Kollegen
    Thomas Oppermann zu, dass es richtig ist, dass wir
    heute nicht über die Verlängerung von Kreditlaufzeiten
    und Schuldenerleichterungen reden – ein Haircut ist
    überhaupt nicht möglich –, sondern dass wir das erst
    dann in den Blick nehmen, wenn die griechische Regie-
    rung gezeigt hat, dass sie das, was vereinbart worden ist,
    nicht nur im Parlament beschließen lässt, sondern es
    auch administrativ umsetzt. Es hilft überhaupt nichts, die
    Erhöhung der Mehrwertsteuern für die kleinen Inseln um
    30 Prozent zu beschließen. Das Entscheidende ist nicht
    der Beschluss im Parlament, sondern dass die Steuern
    auch eingenommen werden. Denn nur dann können sie
    in den griechischen Haushalt fließen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Das ist aus meiner Sicht das, was Tsipras und die grie-
    chische Regierung jetzt leisten müssen.

    Lieber Johannes Kahrs, dieses Hilfspaket war kein
    Selbstläufer, und dieses Hilfspaket wird bis 2018 auch
    kein Selbstläufer sein. Ich persönlich würde mich sehr
    freuen, wenn wir zu Beginn des kommenden Jahres,
    ähnlich wie nach einer gewissen Zeit im Falle von Spa-
    nien, Irland, Portugal und Zypern, im Haushaltsaus-
    schuss die MoUs, die Reviews, zur Kenntnis nehmen
    können und keine Stellungnahme abgeben, weil in dem
    Fall die Quadriga attestiert, dass das, was beschlossen
    wurde, in Griechenland auch umgesetzt wird.

    Wenn Sie sich das Memorandum of Understanding in
    seiner ganzen Breite anschauen, dann sehen Sie, dass
    hiermit eine Basis gelegt worden ist. Hier hat aus meiner
    Sicht die Europäische Kommission eine große Verant-
    wortung, nicht nur politisch zu agieren, sondern auch
    echte technische Hilfe vor Ort zu leisten, und zwar in
    den verschiedensten Bereichen. Dann ist eine Chance
    gegeben, dass in Griechenland ein moderner, wettbe-
    werbsfähiger Staat entsteht.

    Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir ist relativ wurscht,
    welche Partei am Ruder ist. Für mich ist von Interesse,
    dass das umgesetzt wird, was mit den europäischen In-
    stitutionen vereinbart worden ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Schauen wir uns an, was in den letzten sechs, sieben
    Monaten gelaufen ist. Griechenland war 2010 pleite,
    weil die Griechen völlig über ihre Verhältnisse gelebt ha-
    ben. Griechenland hatte ein Haushaltsdefizit von 15 Pro-
    zent, im Jahre 2010 eine Schuldenquote von 150 Pro-
    zent. Griechenland war Schritt für Schritt auf dem Weg
    zur Besserung. Der Direktor des ESM hat das im Mai in
    beeindruckender Weise hier bei uns dargestellt. Grie-
    chenland war auf dem Weg der Besserung, und auch im
    dritten und vierten Quartal 2014 war Licht am Ende des
    Tunnels.

    Ich bin ähnlich wie du, Johannes, der Meinung, dass
    der unselige Finanzminister Varoufakis ruhig Motorrad
    fahren oder in seinem Häuschen seine Zeit verbringen
    soll. Das soll mir recht sein. Da können die Bunten in
    Europa schreiben, was sie wollen; das stört mich nicht.
    Ich hoffe, dass in Griechenland jetzt wirklich Verantwor-
    tung von der griechischen Regierung wahrgenommen
    wird und dass sie in erster Linie an die zurückliegenden
    Wochen und Monate denkt und begreift, was es heißt,
    wenn Banken schließen müssen und Kapitalverkehrs-
    kontrollen eingeführt werden müssen. Das Entschei-
    dende ist, dass dieses Paket jetzt in Griechenland ver-
    antwortungsvoll umgesetzt wird. Meine persönliche
    Überzeugung ist, dass man dann auch in Griechenland
    Wachstum und Beschäftigung schaffen kann.

    Ein Abschlusswort, Herr Kollege Gysi. Ich gebe Ih-
    nen einen guten Rat. Ich beziehe mich auf die 35 Milliar-
    den Euro, die Griechenland von der Europäischen Union
    bekommt. Entweder wir zahlen nur 5 Prozent, oder die
    5 Prozent werden von der Europäischen Investitions-
    bank übernommen. Was Sie zu den Investitionen in
    Griechenland erzählt haben, ist der größte sachliche Un-
    fug, den ich je im Deutschen Bundestag gehört habe.

    Herzlichen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)