Protokoll:
18115

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 115

  • date_rangeDatum: 2. Juli 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:05 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/115 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 115. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 I n h a l t : Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11035 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 und 30 . 11036 C Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 11036 C Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Michael Brand, Kerstin Griese, Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe und weiteren Ab- geordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäfts- mäßigen Förderung der Selbsttötung Drucksache 18/5373 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11036 D b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl Lauterbach, Burkhard Lischka und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendi- gung (Suizidhilfegesetz) Drucksache 18/5374 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11037 A c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring, Luise Amtsberg und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung Drucksache 18/5375 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11037 A d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter Beyer, Hubert Hüppe und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung Drucksache 18/5376 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11037 B Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11037 D Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11039 A Peter Hintze (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 11040 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11041 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11043 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11044 B Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11045 B Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11046 B Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11047 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11048 A Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU) . . . 11049 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11049 D Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11050 D Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11051 D Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11052 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . 11053 C Detlef Müller (Chemnitz) (SPD) . . . . . . . . . . 11054 C Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 11055 C Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11056 B Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) . . . . . . . . . . . . 11057 A Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11058 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11059 B Dr. Katarina Barley (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11060 B Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 11061 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11062 B Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11063 B Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversor- gung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) Drucksache 18/5372 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11065 A b) Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwi- ckau), Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Versorgungsqualität und Arbeitsbedin- gungen in den Krankenhäusern verbes- sern – Bedarfsgerechte Personalbemes- sung gesetzlich regeln Drucksache 18/5369 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11065 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Versorgung, gute Ar- beit – Krankenhäuser zukunftsfest ma- chen Drucksache 18/5381 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11065 B Hermann Gröhe, Bundesminister BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11065 B Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11066 C Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11068 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11070 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11070 D Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11072 B Marina Kermer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11073 B Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11074 C Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11076 B Lothar Riebsamen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11077 B Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Medizinische Versorgung für Asyl- suchende und Geduldete diskriminierungs- frei sichern Drucksache 18/5370 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11078 C Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11078 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11079 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11081 D Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11083 A Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11083 C Heiko Schmelzle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11084 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 11086 A Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11087 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 11087 D Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11087 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11089 A Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11090 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11091 B Bettina Müller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11092 C Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll von Nagoya vom 29. Oktober 2010 über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausge- wogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vor- teile zum Übereinkommen über die bio- logische Vielfalt Drucksache 18/5219 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11093 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung wider- rechtlicher Handlungen gegen die Si- cherheit der Seeschifffahrt und zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Be- kämpfung widerrechtlicher Handlun- gen gegen die Sicherheit fester Plattfor- men, die sich auf dem Festlandsockel befinden Drucksache 18/5268 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11093 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über die internationale Zusam- menarbeit zur Durchführung von Sanktionsrecht der Vereinten Nationen und über die internationale Rechtshilfe auf Hoher See sowie zur Änderung see- rechtlicher Vorschriften Drucksache 18/5269 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 A d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 24. Juni 2010 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 III zur Änderung des am 25. und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsab- kommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäi- schen Gemeinschaft und ihren Mit- gliedstaaten Drucksache 18/5271 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 A e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Binnen- schifffahrtsaufgabengesetzes Drucksache 18/5273 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 A f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbrau- cherangelegenheiten und zur Durchfüh- rung der Verordnung über Online- Streitbeilegung in Verbraucherangele- genheiten Drucksache 18/5295 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 B g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes Drucksache 18/5321 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 B h) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Wahl von Betriebsrä- ten erleichtern und die betriebliche In- teressenvertretung sicherstellen Drucksache 18/5327 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 C Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr Drucksache 18/981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 C b) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Netzneu- tralität als Voraussetzung für eine ge- rechte und innovative digitale Gesell- schaft effektiv gesetzlich sichern Drucksache 18/5382 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 C c) Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform der Pflegeausbil- dung auf gesichertes Fundament stellen Drucksache 18/5383 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 D Tagesordnungspunkt 37: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll vom 14. Oktober 2014 zur Ände- rung und Ergänzung des Abkommens vom 7. September 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksachen 18/5172, 18/5403 . . . . . . . . 11095 B b)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208 und 209 zu Petitionen Drucksachen 18/5231, 18/5232, 18/5233, 18/5234, 18/5235, 18/5236, 18/5237, 18/5238 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11095 C Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz gemäß § 93 a Absatz 3 der Ge- schäftsordnung: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Par- laments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 11. Juli 2007 zur Einführung ei- nes europäischen Verfahrens für ge- ringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens – KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13 hier: Einvernehmensherstellung gemäß § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die Zu- sammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angele- genheiten der Europäischen Union Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647, 18/3385, 18/3427, 18/5355, 18/5411 . . . . 11096 B b)–k) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218 und 219 zu Petitionen Drucksachen 18/5389, 18/5390, 18/5391, 18/5392, 18/5393, 18/5394, 18/5395, 18/ 5396, 18/5397, 18/5398 . . . . . . . . . . . . . . 11096 C Kerstin Kassner (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11097 A IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 Tagesordnungspunkt 7: Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöh- nung“ Drucksachen 18/5364, 18/5365 . . . . . . . . . . . 11098 A Sigrid Hupach (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11098 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der CDU/CSU und SPD: Die Sicher- heitslage nach den jüngsten islamistischen Anschlägen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11098 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11099 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 11100 C Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11101 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11102 B Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11104 A Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11105 C Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 11106 C Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11107 C Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11108 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 11110 B Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11111 B Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11112 B Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11113 A Tagesordnungspunkt 8: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohngeld- rechts und zur Änderung des Wohn- raumförderungsgesetzes (WoGRefG) Drucksachen 18/4897 (neu), 18/5324 . . . . 11114 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5328 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11114 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11114 B Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11115 A Yvonne Magwas (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11116 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11118 B Steffen-Claudio Lemme (SPD) . . . . . . . . . . . 11119 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11120 A Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11121 A Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Marcus Weinberg (Hamburg), Christina Schwarzer, Ursula Groden- Kranich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Sönke Rix, Susann Rüthrich, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstel- len Drucksachen 18/3833, 18/4988 . . . . . . . . 11122 B b) Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufarbeitung des sexuellen Kindesmiss- brauchs umfassend sicherstellen Drucksache 18/5106 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11122 C Susann Rüthrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11122 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 11123 D Christina Schwarzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11125 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11126 B Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11127 B Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11128 C Maik Beermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11129 B Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Maria Klein- Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Suizid- prävention verbessern und Menschen in Krisen unterstützen Drucksache 18/5104 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11130 C Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11130 C Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11131 D Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11132 D Helga Kühn-Mengel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11133 D Tino Sorge (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11134 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11135 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 V Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11136 B Dirk Heidenblut (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11137 A Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11138 A Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten Drucksachen 18/4901, 18/5412 . . . . . . . . . . . 11139 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11139 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11140 B Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11141 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11142 D Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11144 A Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11145 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwi- ckau), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen Drucksache 18/5227 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11146 B Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11146 C Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11147 C Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11149 B Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11150 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 11151 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 11153 A Tagesordnungspunkt 13: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neubestim- mung des Bleiberechts und der Auf- enthaltsbeendigung Drucksachen 18/4097, 18/4199, 18/5420 11154 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5421 . . . . . . . . . . . . . . 11154 A b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Verwirklichung des Schutzes von Ehe und Familie im Aufenthalts- recht Drucksache 18/3268 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11154 B Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11154 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 11155 D Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11156 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11157 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11159 A Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11160 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11160 D Namentliche Abstimmungen 11162 A, B, C , 11170 C Ergebnisse . . . . 11162 D, 11165 A, 11167 B, 11172 C Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Sub- ventionen für den Neubau von Atom- kraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraft- werk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen Drucksachen 18/4215, 18/4316, 18/5417 . . . 11170 D Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11171 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11174 B Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11175 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11177 A Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . 11178 B, C Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11181 D, 11184 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 Gesetzes zur Änderung des Bundesminis- tergesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre Drucksachen 18/4630, 18/5419 . . . . . . . . . . . 11178 C Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11178 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11179 D Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) . . . . . . . 11180 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11186 B Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11187 C Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umgang mit Atommüll – Defizite des Ent- wurfs des Nationalen Entsorgungspro- gramms beheben und Konsequenzen aus dem Atommülldesaster ziehen Drucksache 18/5228 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11188 B Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11188 C Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11189 B Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11191 C Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11192 B Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Transparenzinitiative der Europäi- schen Kommission mitgestalten – Be- währte Standards im Handwerk und in den Freien Berufen erhalten Drucksache 18/5217 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11193 D Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Jemen – Militäri- sche Intervention stoppen – Neue Friedens- verhandlungen beginnen Drucksache 18/5380 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11194 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11194 B Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11195 B Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11196 B Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . 11197 B Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medien- kompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden Drucksachen 18/4422, 18/5368 . . . . . . . . . . . 11198 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Tabea Rößner, Kai Gehring, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Empfehlungen der Enquete- Kommission „Internet und digitale Gesell- schaft“ zur digitalen Bildung umsetzen Drucksache 18/5105 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11199 A Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Karl Schiewerling, Jutta Eckenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kerstin Tack, Katja Mast, Dr. Matthias Bartke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Integra- tionsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ers- ten Arbeitsmarkt eröffnen Drucksache 18/5377 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11199 B Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen CDU/ CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glau- bensfreiheit Drucksachen 18/5206, 18/5408 . . . . . . . . . . . 11199 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fischetikettie- rungsgesetzes und des Tiergesundheitsge- setzes Drucksachen 18/4892, 18/5413. . . . . . . . . . . . 11199 C Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Wein- gesetzes Drucksachen 18/4656, 18/4947, 18/5414 . . . 11200 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 VII Tagesordnungspunkt 24: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Häft- lingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes Drucksachen 18/4625, 18/5404 . . . . . . . . 11200 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5410 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11200 B Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas über 2018 hinaus verlän- gern Drucksache 18/5378 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11200 C Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung Drucksache 18/5294 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11200 D Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Pro- tokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen Drucksachen 18/5173, 18/5220, 18/5409 . . . . 11201 A Tagesordnungspunkt 28: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung insbeson- dere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Bürokratieentlastungs- gesetz) Drucksachen 18/4948, 18/5418 . . . . . . . . 11201 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Dieter Janecek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bürokratie gezielt abbauen statt Still- stand manifestieren Drucksachen 18/4693, 18/5418 . . . . . . . . 11201 B Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg als wissenschaftlicher Sachverständiger im Rahmen der Evaluierung der Gefahrenab- wehrbefugnisse nach den §§ 4a, 20j und 20k des Gesetzes über das Bundeskriminal- amt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtge- setz – BKAG) Drucksache 18/5379 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11201 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11202 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11203 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbst- tötung (Tagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . 11203 B Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11203 B Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11204 A Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11205 C Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11206 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11206 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . 11207 B Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11208 C Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11209 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11210 D Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11211 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 11212 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11214 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kersten Steinke, Dr. Dietmar Bartsch, Matthias W. Birkwald, Kerstin Kassner, Cornelia Möhring und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu den Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 215 und 217 zu Petitionen (Drucksachen 18/5394, 18/5396) (Zusatztagesordnungspunkte 4 g und 4 i) . . . 11215 A VIII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Wahl- vorschlag auf Drucksache 18/5365 (Tagesord- nungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11216 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marco Bülow, Dr. Lars Castellucci, Christina Kampmann, Kirsten Lühmann, Andreas Rimkus, Gülistan Yüksel (alle SPD) zur Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungs- punkt 13 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11216 B Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Hilde Mattheis (beide SPD) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Blei- berechts und der Aufenthaltsbeendigung (Ta- gesordnungspunkt 13 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11216 D Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Mindrup und Mechthild Rawert (beide SPD) zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleibe- rechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tages- ordnungspunkt 13 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11217 A Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Neube- stimmung des Bleiberechts und der Aufent- haltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) . 11219 C Bärbel Bas (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11219 C Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . 11220 C Dr. Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . 11220 D Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . 11221 C Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11221 C Stefan Schwartze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11221 D Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11222 B Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11222 B Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11222 D Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) zur Abstim- mung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Auf- enthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) 11223 A Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marco Bülow, Dr. Lars Castellucci, Dr. Ute Finckh-Krämer, Christina Kampmann, Kirsten Lühmann, Andreas Rimkus und Gülistan Yüksel (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE zu der dritten Bera- tung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestim- mung des Bleiberechts und der Aufent- haltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) . 11223 D Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Uwe Beckmeyer, Dr. Karl-Heinz Brunner, Dr. Lars Castellucci, Elvira Drobinski-Weiß, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Ulrike Gottschalck, Ulrich Hampel, Dirk Heidenblut, Gabriela Heinrich, Frank Junge, Ralf Kapschack, Gabriele Katzmarek, Ulrich Kelber, Dr. Bärbel Kofler, Daniela Kolbe, Birgit Kömpel, Christine Lambrecht, Steffen- Claudio Lemme, Hiltrud Lotze, Kirsten Lühmann, Dr. Birgit Malecha-Nissen, Dr. Matthias Miersch, Susanne Mittag, Markus Paschke, Detlev Pilger, Sabine Poschmann, Dr. Simone Raatz, Mechthild Rawert, Gerold Reichenbach, Andreas Rimkus, Susann Rüthrich, Bernd Rützel, Johann Saathoff, Annette Sawade, Dr. Hans- Joachim Schabedoth, Dr. Nina Scheer, Dr. Dorothee Schlegel, Swen Schulz (Spandau), Norbert Spinrath, Svenja Stadler, Kerstin Tack, Michael Thews, Dr. Karin Thissen, Carsten Träger, Gabi Weber und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 11224 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 IX Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) und Josip Juratovic (beide SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfeh- lung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Subventionen für briti- sches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 11225 B Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Hilde Mattheis (beide SPD) zu den namentlichen Abstim- mungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 11226 C Anlage 14 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentli- chen Abstimmungen über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 11227 B Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11227 B Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11228 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD). . . . . . . . . . . . . 11229 A Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11229 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Transparenzinitiative der Euro- päischen Kommission mitgestalten – Bewährte Standards im Handwerk und in den Freien Be- rufen erhalten (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . 11230 B Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . 11230 B Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11231 B Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11232 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11232 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11233 D Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Jemen – Militärische Intervention stoppen – Neue Friedensverhandlungen be- ginnen (Tagesordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . 11234 B Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11234 D Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medien- kompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden – Antrag: Empfehlungen der Enquete-Kom- mission „Internet und digitale Gesell- schaft“ zur digitalen Bildung umsetzen (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- nungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11236 A Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11236 A Sven Volmering (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11237 B Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11238 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . 11239 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11240 B Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Men- schen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 11241 A Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . 11241 B Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11242 A Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11243 A X Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11244 C Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11245 B Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glau- bensfreiheit (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . 11245 D Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11245 D Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11246 C Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . 11248 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11249 B Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes und des Tierge- sundheitsgesetzes (Tagesordnungspunkt 22) . 11250 A Thomas Mahlberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11250 A Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11250 D Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11251 B Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11252 B Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11253 A Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Ände- rung des Weingesetzes (Tagesordnungs- punkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11253 C Kordula Kovac (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11253 C Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11254 C Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11255 B Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11255 C Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11256 B Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes (Tagesord- nungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11257 B Heinrich Zertik (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11257 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . 11258 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11259 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11259 D Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas über 2018 hinaus verlängern (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 11260 A Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11260 A Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11260 D Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11261 D Andreas Rimkus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11262 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . 11263 B Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11263 D Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung (Tagesordnungspunkt 26) 11265 A Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11265 A Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . 11265 D Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11266 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11267 B Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11268 A Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- men vom 25. Januar 1988 über die gegensei- tige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (Tagesordnungs- punkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11269 C Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11269 C Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . 11270 A Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11270 D Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11271 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11272 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 XI Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirt- schaft von Bürokratie (Bürokratieentlas- tungsgesetz) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Bürokratie gezielt abbauen statt Stillstand manifestieren (Tagesordnungspunkte 28 a und b) . . . . . . . . . 11273 A Helmut Nowak (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11273 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . 11274 C Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11275 C Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11276 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11276 D Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestel- lung des Max-Planck-Instituts für ausländi- sches und internationales Strafrecht in Frei- burg als wissenschaftlicher Sachverständiger im Rahmen der Evaluierung der Gefahrenab- wehrbefugnisse nach den §§ 4a, 20j und 20k des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegen- heiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) (Tagesordnungspunkt 29) . . . . . . . . . . . . . . . . 11278 A Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11278 A Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11279 A Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11279 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11280 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11035 (A) (C) (D)(B) 115. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 Beginn: 9.02 Uhr
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    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11203 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.07.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.07.2015 Becker, Dirk SPD 02.07.2015 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 02.07.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.07.2015 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 02.07.2015 Groneberg, Gabriele SPD 02.07.2015 Hagedorn, Bettina SPD 02.07.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 02.07.2015 Ilgen, Matthias SPD 02.07.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 02.07.2015 Kiziltepe, Cansel SPD 02.07.2015 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.07.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 02.07.2015 Neu, Dr. Alexander S. DIE LINKE 02.07.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 02.07.2015 Dr. Steinmeier, Frank- Walter SPD 02.07.2015 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 02.07.2015 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Tagesordnungspunkt 4) Heike Brehmer (CDU/CSU): Gott ist der Schöpfer allen Lebens – dieses Verständnis bildet die Grundlage unseres christlichen Menschenbildes. Dieses Menschen- bild ist die Basis für die Würde und Rechte eines jeden Einzelnen, auch für das Recht auf Leben. Durch den medizinischen Fortschritt und die demo- grafische Entwicklung steigt die Lebenserwartung in un- serer heutigen Gesellschaft stetig an. Das ist eine posi- tive Entwicklung, mit der sich jedoch nicht nur die Hoffnung auf ein langes Leben verbindet – auch die Frage, wie wir mit dem Ende unseres Lebens umgehen, gewinnt immer mehr an Bedeutung. Im Plenum dieses Hohen Hauses befassen wir uns deshalb mit dem wichtigen Thema der Sterbebegleitung. Die Gruppenanträge, die wir heute in erster Lesung bera- ten, befassen sich intensiv mit diesem hochemotionalen Thema und spiegeln die Bandbreite der Diskussion in unserer Gesellschaft wider. Dabei geht es um Menschenwürde, Lebensschutz und das Recht auf Selbstbestimmung. Dies wird im Grup- penantrag meiner Kollegen Thomas Dörflinger und Dr. Patrick Sensburg, den ich persönlich unterstütze, be- sonders deutlich. Laut einer Umfrage des Sozialwissenschaftlichen In- stituts der Evangelischen Kirche in Deutschland sinkt die Zahl derjenigen, die sich für die Möglichkeit eines ärztlich assistierten Suizids aussprechen. Viele Men- schen fürchten sich vor dem Gedanken, vor dem Sterben den medizinischen Möglichkeiten der Lebenserhaltung ausgeliefert zu sein. Der Gesetzentwurf, der am 19. Mai 2015 von Thomas Dörflinger und Dr. Patrick Sensburg vorgestellt wurde, will mithilfe eines neuen § 217 Straf- gesetzbuch die Beihilfe zur Selbsttötung verbieten. Die Gefahr, dass jemand mit dem Leid und der Ver- zweiflung von Menschen sein Geld verdient, ist mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht vereinbar. In Artikel 1 unseres Grundgesetzes ist festgehalten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Diese Schutzwürdigkeit gilt vom Anfang bis zum Ende des Lebens. Sie gehört zu den Kernaufgaben unseres de- mokratischen Gemeinwesens. Deshalb dürfen wir die Möglichkeit, dass das Sterben eines Menschen mit ei- nem Geschäft in Zusammenhang gebracht wird, nicht zulassen. Das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung hängt un- trennbar mit dem Ausbau der Hospiz- und Palliativ- versorgung zusammen. Die Palliativmedizin ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft. Die Beratungsan- gebote in Deutschland sind vielen Menschen bisher noch nicht ausreichend bekannt oder sehr unterschiedlich aus- gebaut. In Zukunft wird es wichtig sein, in den einzelnen Bundesländern die Beratungsangebote und notwendigen Hilfestellungen für die Betroffenen und ihre Angehöri- gen weiter auszubauen. Nur so können wir die Würde des Menschen im Kreise seiner Familie bis zum Lebens- ende schützen und bewahren. Die Abwägung zwischen Werten wie Freiheit, Würde und Selbstbestimmung bewegt sich häufig auf einem Anlagen 11204 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) schmalen Grat zwischen Emotionen und Rechtspre- chung. Der Gruppenantrag von Thomas Dörflinger und Dr. Patrick Sensburg behandelt das Thema Sterbehilfe mit der notwendigen Verantwortung vor Gott und den Menschen und schafft eine wichtige Klarheit im Straf- recht. Jeder Mensch hat das Recht auf ein menschenwürdi- ges Leben und ein ebenso menschenwürdiges Lebens- ende. Wenn wir diesen Grundsatz beherzigen, werden wir den Menschen in unserem Land gemeinsam mit Hospizen, Familie und medizinischem Fachpersonal ein Lebensende in Würde und Geborgenheit bieten können. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Weniger als zwei Monate vor seinem eigenen Tod schrieb Franz Kardinal König, der beliebte Alterzbischof von Wien sowie sei- nerzeit wesentlicher Denker und Lenker des Zweiten Va- tikanischen Konzils, im Januar 2004 in einem Brief an den österreichischen Verfassungskonvent zu Fragen der Sterbehilfe: „Menschen sollen an der Hand eines ande- ren Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen.“ Damit hat Kardinal König jenseits aller juristischen Kategorien sehr griffig und unmissver- ständlich auf den Punkt gebracht, wo die ethische Grenz- linie im Umgang mit dem Sterben für die Gesellschaft liegt. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen ist ein fundamentales Gebot auch im säkularen Verfassungs- staat. Sie zu achten und zu schützen, ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Dessen sollten wir uns sehr deutlich bewusst sein. Es mögen unabhängige Begründungswur- zeln sein – dennoch: In diesem Verständnis sind sich das christliche und das humanistische Menschenbild im Üb- rigen einig. Bei beiden steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt; seine Würde ist es, um die es geht. Natürlich hat der autonome Wunsch des Einzelnen, über sein Leben zu entscheiden, Respekt verdient. Auf die Gesellschaft als Ganzes bezogen ist es indessen ein Indiz des gesellschaftlichen Versagens: Wie ist es um die Würde des Menschen im Sterben bestellt, wenn bei dem Einzelnen der Wunsch entsteht, seinem Leben ein Ende zu setzen? Kardinal König spricht in diesem Zusammenhang von einer „Kultur des Lebens“, um die es gehe und zu der auch eine „Kultur des Sterbens“ gehöre. Dabei for- muliert er so: „Das Leben des Menschen ist mehr als eine beliebige biologische Tatsache unter anderen.“ Auch dessen sollten wir uns als Richtschnur bewusst sein. Das Strafrecht kann dabei zwangsläufig nicht das erste Mittel sein, ethischen Aufträgen an die Gesell- schaft gerecht zu werden. Behutsamkeit, Verständnis für die körperlichen und psychischen Veränderungen, die etwa das Alter mit sich bringt, Sensibilität – alles das kann nicht der Staatsanwalt bescheren. Aber das Straf- recht ist dann gefordert, wenn es darum geht, den beson- deren Schutz der Würde des Menschen durchzusetzen. Gegen Entwicklungen, die dem zuwiderlaufen. Nach einer intensiven Orientierungsdebatte im No- vember des vergangenen Jahres und dem Zusammenfin- den verschiedener Gruppen beraten wir heute in erster Lesung vier unterschiedliche Gesetzentwürfe, die sich mit dem Umgang mit der Suizidbeihilfe und dem „assis- tierten Suizid“ befassen. Ich unterstütze den mit Michael Brand, Kerstin Griese, Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe, Michael Frieser, Dr. Eva Högl, Halina Wawzyniak, Elisabeth Scharfenberg und Dr. Claudia Lücking-Michel gemein- sam eingebrachten Gesetzentwurf, der vorsieht, die ge- schäftsmäßige Suizidbeihilfe – und nur diese – in einem § 217 StGB strafbewehrt zu verbieten. Ich halte diesen Ansatz für richtig und die begrenzte strafrechtliche Er- fassung der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe für einen behutsamen und zurückhaltenden Weg, um mit dem Mit- tel des Strafrechts auf Fehlentwicklungen zu reagieren. So griffig die eingangs zitierte Formel von Kardinal König auch zunächst einmal ist – macht sie doch deut- lich, dass es eine strenge Grenzlinie zwischen Tötung auf Verlangen und Hilfe beim Sterben gibt –, so unscharf ist sie, wenn es um die Selbsttötung geht. Der historische Gesetzgeber des Strafgesetzbuches im 19. Jahrhundert hat sich bewusst – und im Übrigen vor der Geltung eines Grundrechtskataloges – entschieden, den Suizid, den versuchten Suizid und dementsprechend auch Anstiftung und Beihilfe zum Suizid nicht unter Strafe zu stellen. Diese Wertentscheidung des Gesetzge- bers hat nun über 100 Jahre Bestand und wird in der Ge- sellschaft anerkannt. Über eine lange Zeit hat es auch nur wenig Probleme bei der Handhabung gegeben. Lange Zeit bestand hierzu auch kaum ein Anlass. Die Frage nach strafrechtlicher Verantwortung stellte sich im Wesentlichen in Einzelfäl- len mit besonderen Konstellationen, die allesamt Aus- druck innerer Konflikte im zwischenmenschlichen Nah- bereich sind. Davon haben wir uns indessen mittlerweile weit ent- fernt. Aus dem individuellen Konflikt ist durch das Auf- treten von Sterbehilfevereinen die Diskussion um ein Dienstleistungsangebot geworden. Es geht um All-inclu- sive-Pakete in den Tod. Das ist eine Entwicklung, der wir nicht tatenlos zusehen dürfen. Wie der Gesetzentwurf festhält, nehmen auch in Deutschland die Fälle zu, in denen Personen auftreten, deren Anliegen es ist, einer Vielzahl von Menschen in Form einer Dienstleistung eine schnelle und effiziente Möglichkeit für einen Suizid anzubieten. Dies geschieht beispielsweise durch das Verschaffen eines tödlich wir- kenden Mittels und das Anbieten einer Räumlichkeit, in der das Gift durch die suizidwillige Person eingenom- men werden kann. Zu denken ist aber auch an Fälle, in denen von Deutschland aus die Gelegenheit vermittelt wird, im Ausland die für eine Selbsttötung notwendigen Mittel und Räumlichkeiten zu erhalten. Im Vordergrund solcher Handlungen steht dabei nicht ein Beratungsangebot mit primär lebensbejahenden Perspektiven, sondern die ra- sche und sichere Abwicklung des Selbsttötungsent- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11205 (A) (C) (D)(B) schlusses. Diese Entwicklung lässt befürchten, dass die Hilfe zum Suizid als eine normale Dienstleistung ange- sehen wird und sich Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun wür- den. Der Gesetzentwurf, der sich für die Einführung der Strafbarkeit der Förderung der geschäftsmäßigen Suizid- beihilfe einsetzt, wird einerseits dem Respekt vor der in der Vergangenheit nie bestrittenen Grundentscheidung des historischen Gesetzgebers gerecht, der sich gegen eine Strafbarkeit des Suizids und der Teilnahme daran entschieden hatte, und greift andererseits korrigierend ein, um neuen Entwicklungen entgegenzutreten. Damit wird eine behutsame strafrechtliche Korrektur vorge- nommen. Die Grundentscheidung zur Straflosigkeit des Suizids und der Teilnahme daran wird nicht angetastet. Vielmehr wird durch das Abstellen auf die Geschäftsmä- ßigkeit als eigenständigem Tatbestand deutlich gemacht, dass es um die strafrechtliche Bewertung eines eigenen Unwerts geht. In der Geschäftsmäßigkeit der Suizidhilfe liegt der eigenständige Grund für die Strafbarkeit. Ich halte diesen Weg für richtig, auch wenn daraus ein rechtssystematisches Problem erwächst, das der Gesetz- entwurf mit einer Abwägungsentscheidung löst. Die Ge- schäftsmäßigkeit ist ein sogenanntes persönliches Merk- mal im Sinne von § 28 Absatz 1 StGB. Nach dieser Vorschrift verhält es sich aber so, dass ein Teilnehmer – also jemand, der an der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid in irgendeiner Form teilnimmt – selbst nicht das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit erfüllen muss, um unter die Strafbarkeit des § 217 neu StGB zu fallen – als Teilnehmer. Dies kann insbesondere für Angehörige und nahe stehende Personen relevant werden. Hier haben wir abgewogen und sind zu dem Schluss gekommen, dass das Näheverhältnis Vorrang vor straf- rechtlichen Untersuchungen haben sollte. Daher ist für Angehörige und nahestehende Personen ein persönlicher Strafausschließungsgrund in § 217 Absatz 2 StGB nor- miert. Angehörige und nahestehende Personen werden mithin von § 217 StGB nicht erfasst. Auch wir als Parlament haben einen klaren Verfas- sungsauftrag. Es ist auch unsere Aufgabe, die Würde des Menschen zu schützen. Diesem umfassenden Schutzauf- trag müssen wir sorgfältig gerecht werden. Gerade die Regelung von Lebenssachverhalten, die sich mit dem Beginn und dem Ende des Lebens befassen, bedarf dabei einer besonderen Sensibilität. Das sind die Punkte, an denen, um nochmals Kardinal König zu zitieren, „das Leben in besonderer Weise gefährdet, ja ‚zerbrechlich‘ ist, wo die Gefahr droht, dass der Mensch ganz über den Menschen verfügt“. Dort liegt unser besonderer Schutz- auftrag. Dort geht es nicht mehr um den Vorrang der in- dividuellen Selbstbestimmung, sondern um das ethische Fundament einer ganzen Gesellschaft. Folgen wir der Maxime „Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen“. Übersetzen wir diese klare menschliche Grundregel in das juristisch Mögliche! Michaela Noll (CDU/CSU): Heute kommen wir er- neut zusammen, um darüber zu sprechen, wie wir das Thema Sterbebegleitung gesetzlich regeln wollen. Nach einer sehr bedachten Debatte im November des letzten Jahres und sehr intensiven Gesprächen sowohl hier im parlamentarischen Raum als auch bei Veranstaltungen in meinem Wahlkreis habe ich mich dazu entschieden, den Gruppenantrag „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ des Kollegen Michael Brand zu unterstützen. Aus meiner heutigen Sicht ist dieses Gesetzesvorha- ben der richtige Weg und zusammen mit den Vorhaben unseres Bundesgesundheitsministers, Hermann Gröhe, die Hospiz- und Palliativversorgung zu verbessern, ein wichtiger Schritt, um bestmögliche Voraussetzungen für eine menschenwürdige Sterbebegleitung zu schaffen. Dies ist jedoch meine sehr persönliche Sicht, und mir ist bewusst, dass man sich als gesunder Menschen nur schwer in den Gefühlszustand eines Sterbenskranken hi- neinversetzen kann. In den vergangenen Monaten habe ich mich mit vielen Ärzten, Mitarbeitern von Hospizeinrichtungen, Angehö- rigen schwerkranker Menschen und Theologen unterhal- ten. Ich habe Veranstaltungen organisiert, um verunsi- cherten Bürgern die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stellen und Sorgen zu erläutern. Die eine Veranstaltung trug den Titel „Lebenshilfe statt Sterbehilfe“ und die an- dere „Erfülltes Leben – in Würde sterben“. Beide Titel re- gen sehr zum Nachdenken an und sind auch meine An- satzpunkte in dieser Debatte. Sehr deutlich wurde in all diesen Gesprächen, dass das Thema Sterben ein Tabuthema ist und es erschre- ckend viele Menschen gibt, die Angst haben, eines Tages schwerstkrank und einsam sterben zu müssen. Deshalb möchte ich den Schwerpunkt dieser Debatte nicht allein auf ein Für oder Wider hinsichtlich der ärztlichen Sui- zidassistenz legen. Ich bin der Meinung, dass die Angst vor dem sozialen Tod, der Einsamkeit am Lebensende, eine besonders große Aufgabe für unsere Gesellschaft ist. Hier geht es darum, alle Ressourcen zu mobilisieren, damit die Würde des Menschen geschützt ist. Hier darf niemand wegschauen, und wir sind alle gefragt, schwä- cheren und älteren Menschen zu helfen. Ein weiterer wichtiger Punkt in meinen Gesprächen war die große Angst davor, dass ein organisiertes Ange- bot ärztlicher Hilfe beim Suizid ältere und schwächere Menschen in den Tod drängen könnte. Dazu möchte ich heute sagen: Es darf nicht sein, dass wir als Gesetzgeber Türen öffnen, durch die verzweifelte oder schwerkranke Menschen hindurchgehen oder sogar gedrängt werden. Ein Angebot organisierter Suizidassis- tenz könnte Entscheidungen hin zum Suizid fördern. Bei Fachgesprächen auch hier im Bundestag haben wir aber erfahren, dass ein Wunsch nach Suizid durch psycho- logische, medizinische und letztendlich einfühlsame menschliche Hilfe sich wieder in einen Wunsch, zu le- ben, ändern kann. Viele Menschen, die die Absicht ha- ben, sich selbst zu töten, leiden Studien zufolge an De- pressionen. Wenn ein Mensch erfährt, welche konkrete Hilfe er bekommen kann, und sich ernst genommen fühlt 11206 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) in seiner Not und Angst, sind die Aussichten gut, dass er vom Wunsch, zu sterben, Abstand nimmt. Wenn wir nun diese sehr persönlichen Lebenssituatio- nen und die rechtliche Lage in Deutschland verknüpfen, können wir Folgendes festhalten: Regelungsbedarf er- gibt sich bei der organisierten Beihilfe zum Suizid. Es darf keine Sterbehilfevereine und andere organisierte Formen der Förderung der Selbsttötung geben. Ich wünsche mir für unsere Gesellschaft ein mensch- liches Begleiten der Sterbenden statt ein aktives Been- den des Lebens. Deshalb sage ich auch, dass es keine ge- setzlichen Sonderregelungen für Ärzte geben soll. Ich denke, hier sollten wir auf die ethischen Grundsätze ärzt- licher Sterbebegleitung vertrauen. Hier geht es darum, Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod auch mit den Möglichkeiten der Palliativmedizin beizustehen. Eine Sonderregelung für Ärzte birgt für mich die Gefahr, dass ärztlich assistierter Suizid als eine „Behandlungsop- tion“ gesehen werden könnte. Wenn wir hier ansetzen würden, wäre es bis zum Töten auf Verlangen nicht mehr weit. Eine Sonderreglung für Ärzte wäre somit eine Öff- nungsklausel, die wir dann nicht mehr schließen könn- ten. Die Ärzte, mit denen ich in Fachgesprächen hier in Berlin und auch bei mir im Wahlkreis gesprochen habe, sehen es als ihren Grundsatz, dass jeder Mensch das Recht hat, an einer helfenden Hand statt durch eine Hand zu sterben. Auch sie sprechen sich alle für eine weitrei- chende Verbesserung der Palliativ- und Hospizversor- gung aus. Als Schirmherrin des Franziskus-Hospizes Hochdahl in meinem Wahlkreis begleite ich diese wichtige und wertvolle Arbeit schon sehr lange. Ich möchte mich ausdrücklich dafür aussprechen, dass wir einen massiven und raschen Ausbau der palliativmedizinischen und -pfle- gerischen Begleitung von Schwerstkranken und Sterben- den vorantreiben. Besonders wichtig erscheint es mir, dass wir neben den sterbenskranken Menschen auch An- gehörigen, Freunden und Pflegenden mehr Unterstüt- zung zukommen lassen. Niemand soll schwerstkrank, verzweifelt und alleine sterben müssen. Ich hoffe sehr, dass wir durch das Ge- setz, das unser Bundesgesundheitsminister auf den Weg gebracht hat, die professionelle palliative und psychoso- ziale Begleitung sterbender Menschen schnellstmöglich flächendeckend ausbauen können. Ich wünsche mir, dass wir mit unserem Antrag und dem Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung die Möglichkeiten für eine humane Sterbebegleitung aufzei- gen können und so letztlich die Kultur der Lebensbeja- hung fördern. Johannes Selle (CDU/CSU): Wir kommen mit dem Gesetzesvorhaben, bei dem die letzte Lebensphase in den Mittelpunkt gestellt wird, an eine ethische Grenze. Wir tangieren ganz elementare Überzeugungen der ein- zelnen Kollegen. Die unausgesprochene Frage „Bin ich nach dem Tod noch verantwortlich?“ schwingt mit. Deshalb verlaufen die Textvorschläge ja auch nicht entlang von Parteilinien. Als ein zentraler Begriff erweist sich in der Debatte die Selbstbestimmung über das eigene Leben. Das ist ziemlich einsichtig und heißt für mich, jeder sollte nur für sich selbst verantwortlich sein. Ich habe erlebt, wie Menschen kein Wasser und keine Nahrung mehr annah- men, als für sie die Zeit erfüllt war. Für mich bedeutet das ebenfalls, dass ich nicht per Gesetz Handlungen, hier die aktive Hilfe zum Tod, als verantwortlich und unbedenklich bezeichnen möchte, die möglicherweise zu verantworten sind. Wir kommen durch die moderne Medizin in diese Grenzbereiche, aber wir können durch die moderne Medizin auch sicherstel- len, dass Schmerzen verhindert werden können. Mir ge- fällt die Aussage, dass unsere mitmenschliche Verpflich- tung darin besteht, beim Sterben zur Seite zu stehen und nicht zum Sterben zu verhelfen. Bei meinen Besuchen im Hospiz und an Sterbebetten erlebte ich, wie dankbar Nähe angenommen wird und wie schwierig eine zusammenhängende Kommunikation werden kann. Den Hinweis auf die und die Diskussion der Möglichkeit des assistierten Suizids kann ich mir in diesen Situationen nicht vorstellen und empfinde ich als unwürdig. Bei der Zulassung der Beihilfe zum Tod befürchte ich auch ein Aufweichen des Unrechtsbewusstseins und ein schleichendes Ausweiten auf Fälle, die heute wie selbst- verständlich ausgeschlossen werden. Das ist unsere viel- fache menschliche Erfahrung. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Zur ersten Lesung der Gruppenanträge zur Sterbebegleitung möchte ich ei- nige kurze Gedanken skizzieren, die mir für die anste- henden Beratungen wichtig erscheinen. Sterbebegleitung, so der Titel der Debatte, bedeutet Begleitung eines Menschen am Ende seines Lebens. Auch wenn Sterben das Leben beendet, so steht der Ster- beprozess im Leben und ist Teil des Lebens. Wir haben daher eine Entscheidung in Bezug auf uns selbst und un- sere Vorstellung vom Leben zu treffen. Nicht der Tod darf für die Debatte bestimmend sein, sondern die Mo- mente des Lebens in seinen letzten Augenblicken. Zugrunde liegt die Frage: Gibt es rechtliche und ethi- sche Konstanten, die zu allen Phasen des Lebens in sei- nen unterschiedlichen Aspekten gleichermaßen gelten? Die Antwort darauf kann nur lauten, dass es diese Konstante gibt. Es ist die Idee von der unteilbaren Würde des Menschen, aus der sich die aufgeworfene Frage von selbst beantwortet. Der Text unseres Grundgesetzes beginnt mit zwei grundlegenden Wertentscheidungen: einmal in der Prä- ambel. Diese setzt unsere Verfassung in einen verant- wortlichen Bezugsrahmen zu Gott und den Menschen. Die andere Wertentscheidung findet sich in Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Auftrag aller staatlichen Gewalt.“ Dieser Anspruch ist absolut. Nicht in einem religiös zu Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11207 (A) (C) (D)(B) verstehendem Sinne, sondern vielmehr als eine bewusste Orientierung des Verfassungsgebers an Werten, die eine freiheitliche und ethische Ordnung erst gewährleisten, ohne sie aus sich selbst heraus begründen zu können. Der absolute Wert des menschlichen Lebens und un- sere Menschlichkeit werden zu einem immerwährenden und nicht abdingbaren Dogma erhoben, weil wir sonst nicht leben könnten. Der Mensch kann die Begründung für das Menschsein nicht schaffen oder gar definieren. Sie ist einfach gegeben. Weil wir Menschen sind. Daraus erwächst für die staatliche Ordnung die Pflicht, Leben zu schützen. Das gilt aber gleichermaßen für den Einzelnen. Die staatliche Ordnung lebt durch das Handeln der Menschen. Sie ist davon nicht getrennt, sondern ergibt sich erst daraus. Leben mit ethischen und solidarischen Regeln ist das Band, das die Menschen zu- sammenhält. Deswegen trennt dieses Band, wer das Le- ben eines anderen beendet oder dies gezielt fördert. Er stellt sich somit außerhalb des notwendigen und akzepta- blen Grundkonsenses. Der Philosoph Robert Spaemann spricht daher zu Recht von einer „ungeheuerlichen Zu- mutung“, wenn von Menschen verlangt würde, an der Beendigung des Lebens behilflich zu sein. Es würde sich am Ende gegen die Leidenden und somit auch gegen uns selbst richten. Andererseits muss die Frage erlaubt sein, welches Leid und welche Linderung wir den Menschen zumuten dürfen oder gestatten müssen. Von der Erduldung von Leid zu sprechen, fällt leichter, wenn man davon nicht betroffen ist. Es ändert aber nichts an der Realität des Schmerzes. Daher gibt es die Situationen, in denen Le- ben nicht mehr ertragbar erscheint. Darauf muss eine Antwort geben, wer Leben schützen und bewahren möchte. Dies ist die Stunde für richtige und mitfühlende Palliativ- und Hospizmedizin. Die Antwort auf Aspekte des Leids darf nicht in der aktiven Hilfe zum Sterben liegen. Erst recht nicht, wenn diese Hilfe zum Sterben als Teil des Lebens kommerzia- lisiert oder regelmäßig wäre. Dies würde eine ethische Entwicklung aufzeigen, die entgrenzt und kaum zu be- herrschen wäre. Wird ein Aspekt des Lebens zur Dispo- sition gestellt und ihm daher weniger Würde zugeschrie- ben, dann ist es nicht völlig fernliegend, dass auch Menschen in anderen Lebenslagen infrage gestellt oder gar unter Gesichtspunkten der Nützlichkeit betrachtet werden. Diesen Weg wollen und dürfen wir niemals beschrei- ten. Nicht allein aus historischen Gründen oder wegen der konzeptionellen Idee der Würde des Menschen, son- dern auch aus einem einfachen und einleuchtenden Grund: wegen uns selbst. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die Dis- kussion über das Thema „Sterbebegleitung“ in unserer Gesellschaft und bei uns im Bundestag ist von großem Ernst und hohem Verantwortungsbewusstsein geprägt. Begonnen haben wir die Beratungen im Parlament bereits im vergangenen Jahr mit einer sogenannten Orientierungsdebatte. Ich hoffe, dass wir zusammen auf einem guten Weg sind, dieses Thema in einem großen parlamentarischen und gesellschaftlichen Konsens zu entscheiden. Sowohl hier im Deutschen Bundestag als auch in zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen und Diskussionen ist zu spüren, dass der Respekt vor der an- deren Meinung prägend für diese Diskussion ist. Es ist gut, dass wir in dieser Frage einzig und allein unserem Gewissen folgen. Die fraktionsübergreifenden Anträge, die uns heute vorliegen, sind bereits jetzt Aus- druck einer lebendigen Debattenkultur. Was mir Sorge bereitet, ist, dass in den vergangenen Jahren die Aktivität von Vereinen und Einzelpersonen zugenommen hat, die Sterbewilligen Hilfsdienste beim Suizid anbieten. Tödliche Substanzen werden besorgt, Hinweise zur Einnahme gegeben, und gelegentlich sind sogenannte Helfer sogar bei der Selbsttötung zugegen. Einige von ihnen betrachten diese Tat als reine Dienst- leistung, für die eine Rechnung ausgestellt wird. Andere wiederum legen Wert darauf, lediglich ehrenamtlich zu handeln. Bisher ist es in Deutschland nicht eindeutig ge- regelt gewesen, ob sie mit ihrem Handeln gegen gelten- des Recht verstoßen haben oder auch nicht. Das Ziel ei- ner gesetzlichen Regelung zur Sterbebegleitung muss daher sein, einen Rechtsrahmen zu setzen, der in Zu- kunft für Klarheit sorgt. Die Begleitung Sterbender stellt grundsätzliche Fra- gen an jeden von uns selbst. Jeder geht daher mit seinem ganz eigenen Blickwinkel in diese Debatte über die Ster- bebegleitung hinein. Orientierungspunkte können der Glaube und die eigenen religiösen Überzeugungen sein, auch persönliche Erfahrungen, Erlebnisse und Schick- sale. Für Christen, aber auch für Angehörige anderer Re- ligionsgemeinschaften ist das Leben zuallererst ein Ge- schenk Gottes. Der Tod ist eine oft verdrängte Tatsache im Leben. Viele sind unsicher, wie sie mit der Situation des Ster- bens umgehen sollen. Der Abschied von einem geliebten Menschen ist oftmals gerade auch für die Angehörigen und für Freunde eine starke emotionale Belastung. Rein rational betrachtet wissen wir, dass die Geburt, das Le- ben und der Tod untrennbar zu unserem Wesen als Men- schen gehören. Schließlich ist uns die Endlichkeit unse- res eigenen irdischen Daseins mit unserer Geburt vorherbestimmt. Während wir jedoch die Geburt und auch das Leben insgesamt als Geschenk und Glück empfinden, ist unsere letzte Lebensphase oftmals geprägt durch das Gefühl von Unsicherheit und Einsamkeit, von Leid und Schmerz, von Belastung und Hilfsbedürftigkeit. In man- chen Menschen erwächst vor dem Hintergrund der Er- wartungen an einen möglicherweise leidvollen Sterbe- prozess der Wunsch, den Zeitpunkt des eigenen Todes selbst bestimmen zu können. Die Würde des Menschen drücke sich auch in der Selbstbestimmung des Zeitpunk- tes des Todes aus, so eine häufig vorgebrachte Argumen- tation. Ich persönlich kann diese Argumentation nicht teilen. Ich bin der Auffassung, dass sich die Würde des Men- schen im gesellschaftlichen Umgang mit Schwerkran- 11208 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) ken, Alten und Schwachen und in ihrer Sterbebegleitung widerspiegelt. Mein Standpunkt ist, dass jedes Leben von Gott gewollt ist und wir das Leben tatsächlich als Gabe, für die wir Verantwortung tragen, verstehen soll- ten. Es ist deshalb unsere Aufgabe, jedes Leben als Teil unserer Gesellschaft zu betrachten und jeden Menschen mit seinen Begabungen, Fähigkeiten und Schwächen in unsere Gesellschaft zu integrieren. Die Evangelische Kirche in Deutschland, EKD, hat über das Forschungsinstitut Emnid eine bundesweite Studie zum Thema Sterbehilfe in Auftrag gegeben. 61 Prozent der Befragten glauben demnach, dass bei ei- ner Legalisierung der ärztlichen Hilfe zum Freitod Men- schen vermehrt um todbringende Medikamente bitten würden – um Belastungen der Familie zu vermeiden. Das menschliche Leben darf sich jedoch nicht nach seiner Leistung und Nützlichkeit für die Gesellschaft er- messen. Eine Gesellschaft, die nur auf Aktivität und Leistung setzt, wird unmenschlich. Deshalb ist es Auf- gabe einer humanen Gesellschaft, den Menschen die Ängste, Sorgen und Nöte beim Sterben zu nehmen und für sie auch in den schwersten Stunden da zu sein. Es ist als Gesellschaft unsere Aufgabe, den Menschen beizu- stehen und ihnen Trost zu spenden. Es ist unsere gemein- same Aufgabe, die Menschen in der letzten Phase ihres Lebens zu begleiten, ihre Schmerzen zu lindern und ih- nen das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu ge- ben. Als Gesellschaft sollten wir daher lieber darüber nachdenken, wie Menschen würdevoll auf ihrem letzten Weg begleitet werden können, statt ihnen einen schnel- len und selbst herbeigeführten Tod am Lebensende zu ermöglichen. Schwerkranken und alten Menschen darf nicht das Gefühl gegeben werden, eine Last zu sein. Ich lehne daher jede Form der kommerziellen oder ei- ner auf Wiederholung angelegten Sterbehilfe ab. Sterbe- hilfe soll kein Geschäft wie jedes andere auch sein. Ich bin gegen eine Dienstleistungsbranche „Tod“ aus den Gelben Seiten. Ich möchte nicht, dass wir in Deutsch- land in eine Spirale geraten, in der Menschen – insbe- sondere alte Menschen – das Gefühl bekommen, eine Belastung für ihre Angehörigen und die Gesellschaft zu sein, und sich aus diesem Gedanken heraus zu einem schnellen und aktiv herbeigeführten Tod entschließen. Ebenso ist eine zweite Sache wichtig. Wir sollten das Arzt-Patienten-Verhältnis – ein ganz besonderes Vertrau- ensverhältnis – nicht verändern. Wenn ein Patient leidet, ist es Aufgabe des Arztes, ihm die Schmerzen zu neh- men und nicht das Leben. Suizidbeihilfe ist im Regelfall keine ärztliche Aufgabe. Trotz aller Fortschritte in der Palliativmedizin und bester Versorgung wird es dennoch immer Menschen geben, deren letzte Lebensphase nicht ohne Leid verläuft. Diese Fälle machen gerade auch Ärzte betroffen und manchmal auch ratlos. Dennoch müssen wir uns davor hüten, Einzelfälle zum Maßstab allgemeiner Regelungen zu machen. Ich halte es für ein zentrales Anliegen, dass wir eine gute und humane Kultur des Sterbens entwickeln, die nicht von Angst geleitet ist, sondern in der Liebe und Barmherzigkeit Raum gewinnt. Daher brauchen wir zum einen eine qualitativ hochwertige und von menschlicher Hingabe geprägte Pflege. Zum anderen brauchen wir eine Hospiz- und Palliativversorgung, die auch in der al- lerletzten Lebensphase der Menschen die Würde des Einzelnen bewahrt. Eine Hospiz- und Palliativversor- gung, die Schmerzen und nicht das Leben nimmt, die Menschen in den letzten Stunden ihres Lebens nicht al- leinlässt, sondern Begleitung ermöglicht. Deshalb werbe ich dafür, dem Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbst- tötung, der von 210 Abgeordnetenkolleginnen und -kol- legen eingebracht wurde, zuzustimmen. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Bei der Debatte über das Thema Sterbehilfe gibt es kein Richtig oder Falsch. Es gibt keinen Anspruch auf absolute Wahrheit. Das Wertvollste an der Diskussion heute aber ist, dass sie stattfindet. Dass wir über elementare Fragen zwischen Leben und Tod sprechen. Dass wir Parameter abstecken, zwischen juristischen, medizinischen, philosophischen, theologischen, ethischen Fragen. Ruhig, sachlich, nach- denklich, aber nicht ideologisch oder gar parteipolitisch. Unser Grundgesetz gibt es vor: Die Würde des Men- schen ist unantastbar. Daraus leiten wir ab, dass wir ein selbstbestimmtes Leben führen können müssen. Daraus muss sich aber auch ableiten lassen, dass man selbstbe- stimmt sterben darf. Dies jedoch nicht um jeden Preis. Wir dürfen keine Ökonomisierung des Sterbens in Deutschland zulassen, das heißt, ein an den Maßstäben der Wettbewerbsfähig- keit und Gewinnmaximierung orientierter Markt für Suizidbeihilfeleistungen darf nicht entstehen. Deshalb lehne ich persönlich gewerbliche und organisierte Unter- stützung zum Suizid ab. Eine Hilfestellung bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung sollte nur auf der Grundlage ärztlicher Fachkenntnis und in medizinischer Begleitung erfolgen. Nicht sollte die Verantwortung al- lein auf enge Angehörige übertragen werden. Unsere Verantwortung gebietet es, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um kranken Menschen durch die bestmögliche medizinische und menschliche Begleitung ein Ja zum Leben zu ermöglichen. Dazu gehören eine konsequente Inanspruchnahme und Fortentwicklung palliativmedizinischer Möglichkei- ten und ein Ausbau des Hospizwesens. Der medizinische Fortschritt ermöglicht es, dass Menschen besser und län- ger leben können. Dies ist ein großer zivilisatorischer Fortschritt. Zugleich führt die medizinisch ermöglichte Lebensverlängerung zu neuen Herausforderungen in der Behandlung eines krankheitsbedingten Leidens in der Sterbephase. In den Fällen, in denen auch die Palliativ- medizin bei zum sicheren Tod führenden Erkrankungen für den Patienten nicht infrage kommt, leiden schwerst- kranke Menschen oftmals eine große Not. Das körperli- che und psychische Leiden ihrer Patienten stellt auch für die Ärzte eine äußerst belastende Situation dar. Während die Hilfestellung zum Suizid gesetzlich straflos ist, untersagen einige Ärztekammern in Deutsch- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11209 (A) (C) (D)(B) land jede Form der Hilfestellung zur selbstvollzogenen Lebensbeendigung ihrer Patienten. Dies sowie eine in Bezug auf Grenzfälle komplizierte Rechtslage führen zur Rechtsunsicherheit bei Ärzten und Patienten. Men- schen in auswegloser Lage werden hierdurch zusätzlich belastet. Gerade auch durch die zahlreichen Grauberei- che, die es im momentanen Regelungskonstrukt gibt. Derzeit ist es so, dass die 17 Landesärztekammern in Deutschland unterschiedlich in ihrem jeweiligen Stan- desrecht regeln, ob Ärzte ihren Patienten bei der Selbst- tötung assistieren dürfen. Es kann aber nicht sein, dass wir in Deutschland 17 verschiedene Wege zum Sterben haben. Und erst recht möchten wir einem möglichen „Sterbetourismus innerhalb und außerhalb Deutsch- lands“ vorbeugen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auf die Bayeri- sche Landesärztekammer verweisen. In der Berufsord- nung für bayerische Ärzte steht, dass sie Sterbenden un- ter Wahrung ihrer Würde und ihres Willens beizustehen haben. Die Unterstützung von Sterbenden führt also nicht zu einem möglichen Berufsverbot. Auf diese Ge- wissensfreiheit, die bayerische Ärzte genießen, sollen sich alle Ärzte in Deutschland berufen können. Wir haben Regelungen für ein menschenwürdiges Le- ben. Wir benötigen aber auch Normen für ein menschen- würdiges Sterben. Eine solche Regelung, wie ich sie un- ter anderem mit meinen Kollegen Peter Hintze, Katherina Reiche, Dr. Carola Reimann, Professor Dr. Karl Lauterbach und Burkhard Lischka vorgestellt habe, sollte es volljährigen und einsichtsfähigen Men- schen ermöglichen, die freiwillige Hilfe eines Arztes bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung in Anspruch zu nehmen, wenn feststeht, dass eine unheilbare Erkran- kung unumkehrbar zum Tod führt, der Patient objektiv schwer an einer organischen Krankheit leidet, eine um- fassende Beratung des Patienten bezüglich anderer, ins- besondere palliativer Behandlungsmöglichkeiten stattge- funden hat und die ärztliche Diagnose von einem anderen Arzt bestätigt wurde. Bei unserem Entwurf steht also ein umfassendes und lebensbejahendes Gespräch zwischen Patient und Arzt im Mittelpunkt. Die Ermutigung zum Leben sowie eine umfassende Aufklärung über die palliativmedizinischen Möglichkeiten müssen dabei immer Vorrang haben. Al- lein das sichere Wissen, im Falle einer aussichtslosen Lebenssituation auf die Möglichkeit einer ärztlichen Hilfe zur Beendigung ihres Lebens zurückgreifen zu können, hilft schwer leidenden Menschen, von einer tat- sächlichen Inanspruchnahme dieser Möglichkeit abzuse- hen. Aus Sterbehilfe wird somit Lebenshilfe. Auch wenn wir hier über das Ende der menschlichen Existenz sprechen, dürfen wir nie vergessen, dass das Leben unser wertvollstes Geschenk ist. Dr. Eva Högl (SPD): Unser Gruppenentwurf wurde bereits umfänglich vorgestellt; das möchte ich in meinen fünf Minuten Redezeit nicht alles wiederholen. Ich möchte mich auf ein wichtiges Thema konzentrieren: die Rolle der Ärztinnen und Ärzte und des ärztlichen Stan- desrechts. Wir werden mit unserem Entwurf kein Sonderrecht für Ärztinnen und Ärzte schaffen, weder ein Sonderstraf- recht noch einen Sondererlaubnistatbestand. Das hat einen guten Grund: Wir wollen gerade nicht, dass der ärztlich assistierte Suizid ein „normales Be- handlungsangebot“ wird, ein Dienstleistungsangebot, das man am Lebensende als eine von mehreren Optionen wählen kann. Schon gar nicht soll diese Form der Sui- zidbeihilfe eine medizinische Versorgungsleistung mit quasi-staatlichem Gütesiegel werden. Wir wollen durch gesetzliche Regelungen auch kei- nen Rechtsanspruch konstruieren. Das Ende des Lebens sollte unter Einbeziehung der Menschen aus dem Um- feld des Sterbenden, der Ärzte/Ärztinnen und Pflegerin- nen und Pfleger unter ethischen Gesichtspunkten indivi- duell gestaltet werden. Wir wollen nicht, dass alte oder kranke Menschen sich direkt oder indirekt gedrängt fühlen, diesen – dann gesetzlich aufgezeigten – Weg auch gehen zu müssen! Was wir aber auch auf gar keinen Fall wollen, ist die Einschränkung der ärztlichen Behandlungsfreiheit. Ärz- tinnen und Ärzten muss erlaubt bleiben, in individuellen Situationen individuelle Entscheidungen zu treffen. Unser Entwurf ändert nichts an den bisher bestehen- den ärztlichen Möglichkeiten. Die sogenannte passive Sterbehilfe, also die Nichtaufnahme oder der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung im Einklang mit dem Patientenwillen, wird weiterhin straflos möglich sein. Gleiches gilt für die indirekte Sterbehilfe, also die Gabe von schmerzstillenden Medikamenten unter In- kaufnahme einer Lebensverkürzung. Ebenso werden die palliativmedizinischen Möglichkeiten in keiner Weise eingeschränkt. Ärzte sollen eben nur keine geschäftsmäßige Suizid- beihilfe leisten dürfen. Sie sollen die Suizidbeihilfe nicht zum Mittelpunkt ihres Behandlungsangebots machen, sie nicht wiederholt, in der Absicht, die Selbsttötung ei- nes Patienten zu fördern, anbieten. Ärzte sollen als Allererstes und vorrangig Helfer zum Leben sein – nicht Helfer zum Sterben. Das sieht der Großteil der Ärzteschaft übrigens genauso. Sie möchten nicht beim Sterben helfen. Nach einer aktuellen Umfrage des Instituts für Demo- skopie Allensbach können sich nur 37 Prozent aller Ärzte überhaupt vorstellen, die Beihilfe zum Suizid un- ter bestimmten Bedingungen zu leisten. 61 Prozent hin- gegen lehnen die Suizidbeihilfe strikt ab. Bevor wir vorschnell nach Sterbehilfe als Mittel der Wahl rufen, sollten wir uns fragen, warum die Menschen einen Sterbewunsch äußern. Oft geschieht dies aus Ein- samkeit, aus Angst vor dem Alleinsein, aus Angst davor, anderen zur Last zu fallen. Hierfür muss die Gesellschaft jedoch andere Lösun- gen finden als den schnellen, ärztlich verordneten Tod. 11210 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Oft ist es aber auch die Angst vor Krankheit, vor Schmerzen, vor unendlichem Leid. Diese Angst müssen wir den Menschen nehmen. Mit den heute bestehenden Möglichkeiten der Palliativmedizin können Schmerzen gut behandelt werden. In den wenigen Fällen, in denen trotzdem das Leid und die Schmerzen zu groß sind, darf der Arzt nach un- serem Gesetzentwurf auch weiterhin individuelle Ent- scheidungen treffen. Da wollen wir nichts verbieten, nichts einschränken, nicht bestimmen, in welchen Fällen er helfen darf und in welchen nicht, wie beispielsweise der Hintze/Lauterbach/Reimann-Entwurf es vorsieht. Ein großes Problem bereitet an dieser Stelle zugege- benermaßen das ärztliche Standesrecht. Seit 2011 die Musterberufsordnung dahin gehend geändert wurde, dass Ärzte „keine Beihilfe zum Suizid mehr leisten dür- fen“, herrscht standesrechtliches Chaos und ein bundes- weiter Flickenteppich. 10 von 17 Ärztekammern haben diese Regelung in ihre verbindlichen Berufsordnungen aufgenommen. Die anderen Kammern haben die Formulierung gar nicht oder nur in abgeschwächter Form übernommen. Im Ergebnis hängt die Frage, ob ein Arzt Suizidbei- hilfe leisten darf, jetzt davon ab, in welchem Kammer- bezirk er Mitglied ist. Es ist aber in erster Linie an der Ärzteschaft selbst – daher an dieser Stelle auch mein dringender Appell –, dieses Chaos zu beseitigen und eine einheitliche Regelung zu finden. Es wäre gut, wenn sie wieder zu der alten Beschlusslage zurückfänden, dass Ärzte „keine Beihilfe zum Suizid leisten sollen“. So bleibt es dann jedem Arzt überlassen, in Einzelfällen eine Gewissensentscheidung zu treffen. Im Zweifel müssten die Landesgesetzgeber eingreifen und eine – im besten Fall einheitliche – Regelung in ih- ren jeweiligen Kammer- oder Heilberufegesetzen be- schließen. Diese bilden schließlich die Grundlage der ärztlichen Berufsordnungen; hier können verbindliche Vorgaben gemacht werden. Auf gar keinen Fall kann der Bundesgesetzgeber tätig werden. Es liegt ganz einfach nicht in unserem Kompe- tenzbereich. In unserem föderalen System gilt nun mal nach Artikel 70 Grundgesetz die grundsätzliche Gesetz- gebungszuständigkeit der Länder, sofern das Grundge- setz keine gegenteiligen Regelungen trifft. Der Bundesgesetzgeber ist nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 19 Grundgesetz nur für die Zulassung zu ärztli- chen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe zu- ständig, nicht aber für die Berufsausübung. Das obliegt ganz allein den Ländern. Da kommen wir auch nicht weiter mit einer Regelung im BGB oder einem eigenen Gesetz, das berufsständi- sche Regelungen für unzulässig erklären will. In diesem Fall bricht auch Bundesrecht nicht Landesrecht, da nur kompetenzgemäß erlassenes Bundesrecht überhaupt im Konfliktfall die Anwendungshoheit für sich beanspru- chen kann. Daher ist beispielsweise – wenn man es genau nimmt – der Entwurf von Renate Künast gleich in doppelter Hin- sicht eine Mogelpackung. Zum einen steht drauf: „Ge- setz über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“, obwohl mehr strafrechtliche Regelungen drin sind als in allen anderen Entwürfen. Zum anderen kann dieses Ge- setz nichts an den bestehenden standesrechtlichen Rege- lungen ändern. Der Bundesgesetzgeber hat schlicht keine Gesetzgebungskompetenz. Auch der Reimann/Hintze/Lauterbach-Entwurf ver- spricht, was er nicht halten kann: Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte. Auch dieser Entwurf kann kompe- tenzrechtlich gar keine Rechtssicherheit bieten, er schränkt lediglich die ärztlichen Handlungsmöglichkei- ten am Ende des Lebens ein. Wenn wir eine strafrechtliche Regelung treffen, haben wir hierfür die Gesetzgebungskompetenz, und auch das Standesrecht hat sich daran zu halten. Was strafrechtlich verboten ist, kann das Standesrecht nicht erlauben. Um- gekehrt kann das Standesrecht auch grundsätzlich Dinge verbieten, die das Strafrecht erlaubt bzw. nicht verbietet. In diesem Fall bin ich jedoch der Ansicht, dass das aus- nahmslose Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe im ärztli- chen Standesrecht nicht verfassungsgemäß ist. Das hat auch das Verwaltungsgericht Berlin so gese- hen. Bisher hat kein Arzt berufsrechtliche Konsequen- zen davongetragen. Mir ist zumindest kein Fall bekannt. Falls dies doch mal passieren würde und der betreffende Arzt oder die betreffende Ärztin dies bis zum Bundes- verfassungsgericht durchfechten würde, stünden die Chancen gut, dass das BVerfG die Regelung kippt. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir debattieren heute über verschiedene Gruppenanträge zum Thema Sterbebegleitung. Ich selbst habe den Antrag der Gruppe Griese, Brand und andere mit eingereicht. Lassen Sie mich zunächst sagen, dass mir die Arbeit an einem Gruppenantrag viel Spaß bereitet hat. Es ging endlich einmal darum, in der Sache zu streiten und gemeinsame Positionen zu finden. Es war eine Debatte, in der allein das Argument zählte. Ich wünsche mir mehr solcher De- batten. Zum Zeitpunkt der Orientierungsdebatte im Bundes- tag wusste ich noch nicht, welche der Positionen ich un- terstütze. Ich habe also lange überlegt, wie ich mich in dieser Frage positioniere. Jede und jeder von uns hat einen anderen Zugang zum Thema Sterbebegleitung. Mein Zugang ist die personale Autonomie. Ich finde, jede und jeder hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob er bzw. sie weiterleben will – im Übrigen unabhängig vom Vorliegen einer nicht mehr therapierbaren, organischen und zugleich irreversibel tödlich verlaufenden Erkrankung. Das Recht, selbst zu entscheiden, wann der Zeitpunkt zu gehen da ist, setzt aber gerade personale Autonomie voraus. Eine Gesell- schaft trägt dafür Verantwortung, dass diese individuelle personale Autonomie auch gegeben ist. Eine Gesell- schaft, in der die Verwertung von allem und jedem eine herausgehobene Stellung hat, trägt eine besondere Ver- antwortung. In meinen Augen ist diese personale Auto- nomie dann gefährdet, wenn ein gesellschaftlicher Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11211 (A) (C) (D)(B) Druck entsteht, der eine Handlung als „normal“ ansieht. Die „Normalisierung“ einer Dienstleistung der ge- schäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung einer ande- ren Person gefährdet in meinen Augen die personale Au- tonomie. Ich hätte mir gewünscht, dass eine Regelung, mit der eine „Normalisierung“ der Dienstleistung der Förderung der Selbsttötung einer anderen Person durch geschäfts- mäßige Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung der Gelegenheit dazu einhergeht, jenseits des Strafrechts möglich gewesen wäre. Ich habe gedacht, das geht über das Vereins- oder Gewerberecht. Meine Recherchen ha- ben ergeben, dass es nicht geht. Die Vereine, um die es mir vor allem geht, unterfallen aber dem Vereinsrecht. Und das hat glücklicherweise einen hohen Stellenwert. Ein Vereinsverbot kann nach § 3 Absatz 1 Vereinsgesetz eben nur stattfinden, wenn die Zwecke und Tätigkeiten des Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. Deshalb muss – zu mei- nem großen Bedauern – auf das Strafrecht zurückgegrif- fen werden, obwohl ich sonst bei Strafrechtsverschärfun- gen Pickel bekomme und schreiend wegrenne. Für mich ist das vorwiegend geschützte Rechtsgut in dem von mir unterzeichneten Gruppenantrag die personale Autono- mie. Gegen deren Gefährdung richtet sich der vom Ge- setzentwurf vorgeschlagene Straftatbestand vor allem. Es geht mit dem Gesetzentwurf ausdrücklich nur um die Strafbarkeit der Förderung der Selbsttötung einer an- deren Person durch eine geschäftsmäßige Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung der Gelegenheit dazu. Nur eine solche geschäftsmäßige Förderung rechtfertigt einen Straftatbestand, da Strafrecht Ultima Ratio ist und nicht jede gesellschaftlich unerwünschte Handlung unter Strafe gestellt werden soll und darf. Mit dem Gesetzent- wurf soll die Straflosigkeit des eigenverantwortlichen Suizid – und Suizidversuchs –, wie sie im deutschen Strafrecht existiert, nicht infrage gestellt werden. Da das deutsche Strafrecht einen Teilnehmer einer Tat (Gehilfen oder Anstifter) nur bestrafen kann, wenn auch eine straf- bare Haupttat vorliegt, bleibt mit dem Gesetzentwurf auch die Suizidbeihilfe, also die physische oder psychi- sche Hilfeleistung zum eigenständig durchgeführten, freiverantwortlichen Suizid, straffrei. Und das ist gut so. Der Gesetzentwurf – und damit die Strafbarkeit – soll sich allein auf diejenigen beziehen, die einen Suizid ei- ner anderen Person fördern, indem sie geschäftsmäßig dazu Gelegenheit gewähren, verschaffen oder vermit- teln. Der Gesetzentwurf soll sich also an diejenigen rich- ten, die dieses Gewähren, Verschaffen oder Vermitteln von Gelegenheiten zum Suizid wiederholt anbieten und sie zum dauernden und wiederkehrenden Bestandteil ih- rer Tätigkeit machen. Auf eine Gewinnerzielungsabsicht kommt es nicht an. Der Gesetzentwurf soll also nur die- jenigen treffen, die wiederholt und damit dauernd und wiederkehrend äußere Umstände herbeiführen, die ge- eignet sind, den Suizid zu ermöglichen oder wesentlich zu erleichtern. Es geht dabei um Sachen wie die Überlas- sung von Räumlichkeiten oder die Überlassung von Mit- teln zum Suizid (-gewähren) oder die Vermittlung eines konkreten Kontaktes zwischen einer suizidwilligen Per- son und jemandem, der geschäftsmäßig die Gelegenheit zum Suizid einer anderen Person gewährt. Der Gesetz- entwurf soll diejenigen treffen, die all dies mit Absicht, also zweck- und zielgerichtet, tun. Er soll also diejenigen treffen, die wissen, dass sie – wiederholt und als dauern- der und wiederkehrender Bestandteil ihrer Tätigkeit – eine Gelegenheit zum Suizid einer anderen Person an- bieten und dies auch so wollen. Das deutsche Strafrecht ist kompliziert. Da der Ge- setzentwurf diejenigen bestrafen soll, die geschäftsmä- ßig den Suizid einer anderen Person fördern, sind auch diejenigen als Teilnehmer strafbar, die selbst nicht ge- schäftsmäßig handeln. Bei der geschäftsmäßigen Hand- lung handelt es sich um ein sogenanntes besonderes per- sönliches Merkmal (§ 14 Absatz 1 StGB, „Umstand“). Die Strafe für einen solchen Teilnehmer – das sind An- stifter und Gehilfen – ist aber zu mildern (§ 28 Absatz 1 StGB). Das hat – theoretisch – Auswirkungen auf Ange- hörige und nahestehende Personen des Suizidwilligen. Der Gesetzentwurf will diese, soweit sie nicht selbst ge- schäftsmäßig handeln, aber explizit von der Strafbarkeit ausnehmen. Deswegen wollen wir für diese Personen- gruppe einen sogenannten persönlichen Strafausschlie- ßungsgrund schaffen. Diese Personen sind damit dann nicht strafbar. Um es noch deutlicher zu sagen: Der An- gehörige, der eine suizidwillige Person zu jemandem fährt, der geschäftsmäßig Gelegenheiten zum eigenver- antwortlichen Suizid gewährt, verschafft oder vermittelt, ist nicht strafbar. Was Angehörige und nahestehende Personen sind, ist bereits im Gesetz geregelt (§ 11 Ab- satz 1 Nummer 1 StGB) oder in der Kommentarliteratur völlig unstreitig im Hinblick auf andere Straftatbestände, sodass darauf zurückgegriffen werden kann. (§ 35 Ab- satz 1, § 238 Absatz 1 Nummer 4, § 238 Absatz 2 und 3 und § 241 Absatz 1 StGB). Ich glaube, dieser Gesetzentwurf sichert angemessen die personale Autonomie. Deshalb bitte ich um Ihre Zu- stimmung. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Viele von uns befinden sich noch in einem intensiven Meinungsbildungsprozess – oder haben diesen bereits abgeschlossen. Nicht eine Fraktionsmeinung ist gefragt, sondern die eigene. Die eigene Meinung, die sich bildet aus persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Sterben- den und dem Tod sowie aus eigenen Wertvorstellungen. Bei vielen von uns sind diese Wertevorstellungen zusätz- lich religiös geprägt. Hinzu kommen die – widerstreben- den – Erwartungen aus der Gesellschaft. Letztlich geht es insbesondere um die Frage, welche Rolle der Mensch spielen darf – oder auch muss –, wenn es um das Ende eines Lebens geht. Ich selber habe in den letzten sieben Monaten einen intensiven Meinungsbildungsprozess betrieben durch die Lektüre von Fachartikeln und zahlreichen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern, Hospizhelfern, Fachkräf- ten aus der Palliativversorgung, Beratungsstellen sowie Kirchenvertreterinnen und Kirchenvertretern. Dazu habe ich in meinem Wahlkreis zu Gesprächen geladen. Zu vielen Aspekten konnte ich mir eine klare Meinung bil- 11212 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) den. In einigen Fragen bin ich mir nach wie vor unsicher, ob es überhaupt einer gesetzlichen Regelung bedarf und wenn ja, wie diese konkret gefasst werden kann. Inzwischen habe ich mich für einen Gesetzentwurf entschieden, den ich unterschrieben habe. Dieser wurde von Renate Künast und Kai Gehring (Bündnis 90/Grüne) sowie Petra Sitte (Die Linke) ausgearbeitet und wird in- zwischen von Abgeordneten aus drei Fraktionen unter- stützt. Es handelt sich um den Entwurf eines „Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“. Dieser Ge- setzentwurf belässt die Rechtslage im Wesentlichen so, wie sie derzeit ist. Die Hilfe zur Selbsttötung bleibt dem- nach straffrei. Es handelt sich um ein eigenständiges, neues Gesetz und nicht die Änderung eines bestehenden Gesetzes. Zweck dieses Gesetzes ist die Festlegung der Voraussetzungen für die Hilfe zur Selbsttötung. Zu den Inhalten dieses Gesetzes: Die Selbsttötung wie die Hilfe dazu bleiben wie bis- her straffrei. Dem entgegenstehende berufsständische Regelungen der Ärzteschaft werden unwirksam. Wer in organisierter oder geschäftsmäßiger Form (Ärzte) Hilfe zum Suizid leistet, muss vorher ein Bera- tungsgespräch geführt haben. Dabei sind Alternativen zur Selbsttötung zu besprechen. Zwischen dem Bera- tungsgespräch und der Hilfeleistung zum Suizid müssen mindestens 14 Tage vergangen sein. Die gewerbsmäßig (das heißt auf fortlaufende Ge- winnerzielung) ausgerichtete Hilfe zur Selbsttötung ist untersagt und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft. Das Gesetz schafft die Voraussetzung für ein Werbe- verbot für Hilfeleistungen zu Selbsttötungen. Das Gesetz wird alle vier Jahre evaluiert. Weshalb ich diesen Gesetzentwurf unterstütze: Der Suizid ist straffrei und auch die Hilfe dazu. An Ersterem will niemand rütteln. Wie kann etwas straffrei sein, die Hilfe dazu aber nicht? Und ist es nicht so, dass, wenn sich jemand Hilfe holt, sie oder er durch die andere, be- ratende Person vielleicht noch Alternativen aufgezeigt bekommen kann und dadurch vom Vorhaben, aus eige- ner Hand das Leben zu beenden, abgehalten wird? Wer nicht auf Hilfe setzen kann, wird mit größerer Wahr- scheinlichkeit einen einsamen Tod sterben. Und wer nicht auf Hilfe setzen kann, wird mit größerer Wahr- scheinlichkeit eine brutalere Methode wählen, um aus dem Leben zu scheiden. Solche Methoden belasten häu- fig für lange Zeit andere, unfreiwillig beteiligte Men- schen. Man denke an die vielen Suizide auf den Gleisen der Bahn und denke dabei auch daran, welches Leid dies bei den Lokführern auslöst. Ich finde, dass niemand das Recht hat, den Entschluss eines des Lebens überdrüssigen Menschen zu bewerten oder gar zu verurteilen. Es sollten aber alle Wege für Ge- spräche und Beratungen offengehalten werden. Ein Ver- bot der Assistenz würde diese Wege weitgehend ver- schließen. Denn weshalb sollte eine sterbewillige Person einen Arzt aufsuchen, wenn dieser ihm unter keinen Umständen das ersehnte Medikament bereitstellen darf? Das Beratungsgespräch bietet die Chance, dass sich der Betreffende doch noch anders, nämlich für sein Leben, entscheidet. Der Verzicht auf ein Hilfeverbot wirkt damit suizidpräventiv. Es ist gut, dass dies von den Autoren mehrerer Gesetzentwürfe so gesehen wird. Was mir am oben skizzierten Gesetzentwurf gut ge- fällt, ist die Bedenkzeit. Damit wird das Risiko verrin- gert, dass es zu fatalen Kurzschlussentscheidungen kommt. Dem Festhalten am Leben wird ebenso eine Chance eingeräumt, wie der feste Wunsch eines Sterbe- willigen ernst genommen wird. Wichtig ist mir, dass die Ärzteschaft auf Grundlage eines bundesweit einheitlichen Rechtsprinzips arbeitet. Dass einige Standesvertretungen ihren Mitgliedern et- was verbieten, was der Gesetzgeber nicht verboten hat, ist nicht hinnehmbar und führt zu einem kaum durch- schaubaren Flickenteppich an unterschiedlichen Regeln und fördert noch dazu einen Sterbehilfetourismus. Selbstverständlich sind Ärzte ihrem Gewissen unterwor- fen und werden zu nichts gezwungen, was ihrem ethi- schen Gewissen widerspricht. Ich bin nicht mit allem, was der beschriebene Gesetz- entwurf enthält, vollständig einverstanden. So halte ich beispielsweise zur Vermeidung von Missverständnissen eine auch für juristische Laien eindeutige Klarstellung für notwendig, dass die Hilfe zum Freitod unter den ge- nannten Bedingungen ausschließlich für Menschen ge- währt werden darf, die an einer unheilbaren, zum Tode führenden Krankheit leiden. Insoweit hoffe ich, dass sich im Laufe des weiteren Prozesses Abgeordnete für Ände- rungen zusammenfinden und dann auf noch breiterer Grundlage eine Mehrheit zusammenfindet. Und ich hoffe, dass sich im Nachgang Mehrheiten für Verbesse- rungen der Beratungs- und Therapieangebote für Men- schen mit psychischen Erkrankungen finden. Dies fehlt mir gänzlich in der bisherigen Debatte. Das ist fatal. Denn die meisten Suizide werden von Menschen mit psychischen Erkrankungen begangen. Ziel unserer Be- mühungen muss sein, dass weniger Menschen für sich im Suizid die Lösung sehen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir hö- ren heute zweieinhalb Stunden lang Redebeiträge, die al- lesamt für eine Gesetzesänderung hinsichtlich der Ster- behilfe in Deutschland plädieren. Was wir leider nicht hören können, ist die Gegenrede zu sämtlichen dieser Gesetzentwürfe. Und deswegen ist es mir persönlich wichtig, dass Sie diese Rede wenigs- tens lesen können. Denn eines macht jemandem wie mir, die, wenn man den Umfragen Glauben schenken kann, die Mehrheit der Bevölkerung vertritt, Hoffnung: Am Ende müssen alle diese Gesetzentwürfe – und zwar jeder für sich – eine Mehrheit in diesem Parlament finden. Die aktuelle Rechtslage hat zwar leider keinen Für- sprecher in dieser Debatte; sie steht aber dennoch zur Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11213 (A) (C) (D)(B) Abstimmung. Sie alle können sich entscheiden, gegen jeden dieser Gesetzentwürfe zu stimmen, und die Gründe dafür will ich Ihnen hier so knapp wie möglich darlegen: Am kürzesten geht dies beim Entwurf des Kollegen Sensburg und andere. Für diesen Entwurf können Sie stimmen, wenn Sie alle Angehörigen, alle Ärzte und alle sonstigen Helfer, die einem zum Suizid entschlossenen Menschen, aus welchen Gründen auch immer und in welcher Form auch immer, darin unterstützen, diesen Weg zu gehen, hinter Schloss und Riegel bringen wol- len. Dieser Entwurf hat gegenüber allen anderen den Vorteil, dass er in sich konsequent und widerspruchsfrei ist. In diesem Fall brauchen Sie diese Rede auch nicht weiterzulesen. Der Entwurf von Brand, Griese und anderen will die geschäftsmäßige, das heißt jede organisierte Form der Sterbehilfe, unter Strafe stellen. Das bedeutet im Ergeb- nis, dass nur Personen im Einzelfall, wie beispielsweise Angehörige, die Hilfeleistung erbringen dürfen, ohne mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren rechnen zu müssen. Vereine sind ebenso strafbar wie Ärzte, auch wenn die Unterzeichner des Entwurfs das teilweise be- streiten. Jeder Arzt handelt im Hinblick auf seine Patienten immer geschäftsmäßig im Rahmen seiner Berufsaus- übung und würde sich damit immer – und zwar auch schon durch eine ergebnisoffene Beratung – einem straf- rechtlichen Ermittlungsverfahren aussetzen. Der erbwil- lige Neffe dagegen, der seiner reichen Großtante Mut zuspricht, doch endlich diesen letzten Weg zu gehen, wäre nach diesem Entwurf der Einzige, der von jedem Straftatverdacht befreit wäre. Wer also Ärzten und Vereinen jede Tätigkeit im Zu- sammenhang mit Sterbehilfe untersagen will, kann für diesen Entwurf stimmen und kann jetzt aufhören zu le- sen. Als Nächstes hätten wir den Gesetzentwurf mit der Überschrift: „Gesetz über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“ von Künast & Co. Dieser Entwurf enthält leider entgegen der Überschrift zwei neue Straftatbe- stände, womit bereits die erste Widersprüchlichkeit of- fenbar wird. Danach riskiert jeder, der gewerbsmäßige Sterbehilfe leistet, bis zu drei Jahren Gefängnis, ebenso wie jeder, der einem Suizidwilligen ein tödliches Mittel verschafft. Gewerbsmäßig ist alles, was zur Erzielung von regel- mäßigen Einkünften erfolgt. Jede Ärztin und jeder Arzt trifft auf seine Patienten im Rahmen seiner Berufsaus- übung. Diesen Beruf üben Ärzte nicht ehrenamtlich aus, sondern zur Erzielung von Einkünften. Es kommt mithin nicht darauf an, ob für die ergebnisoffene Beratung oder Hilfeleistung für einen Suizidwilligen ein eigener Ge- bührentatbestand abgerechnet werden kann. Auch wenn keine gesonderte Gebühr anfällt, handeln die Ärzte selbstverständlich immer im Rahmen ihrer Berufstätig- keit, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Die weiteren Regelungen in diesem Entwurf, die den ärztlich assistierten Suizid näher regeln, sind daher in sich völlig widersprüchlich. Aus anwaltlicher Sicht kann keinem Arzt empfohlen werden, sich in Anbetracht einer solch widersprüchlichen Rechtslage der Gefahr eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens auszusetzen. Für die nichtärztlichen Sterbehelfer wäre die Lage bei diesem Gesetz noch viel gefährlicher. Sie müssten un- verzüglich einen Arzt hinzuziehen, bevor sie sich auf ein Gespräch mit einem suizidwilligen Patienten einlassen. Alles andere würde den Staatsanwalt auf den Plan rufen. Wenn Sie bis hierhin gelesen haben, lohnt sich der Rest auch noch. Denn ganz zuletzt gibt es den scheinbar liberalen Ge- setzentwurf von Hintze, Reimann und anderen. Danach soll eine Gesetzesänderung im Vierten Buch des BGB – Familienrecht – klarstellen, dass die Ärztekammern ih- ren Mitgliedern die Sterbehilfe unter bestimmten Um- ständen nicht berufsrechtlich untersagen können sollen. Rein formal stellt sich dabei schon das Problem, dass wir als Bundesgesetzgeber leider keine Gesetzgebungs- kompetenz in dem Bereich des ärztlichen Berufsrechts haben. Und selbst wenn wir sie hätten, wäre das BGB si- cherlich nicht der richtige Ort, dieses zu regeln. Aber auch inhaltlich müssen wir feststellen, dass zum einen die Voraussetzungen dieser ärztlichen Sterbehilfe auffallend eng und dabei auch noch unbestimmt gefasst sind. Wer soll denn die „Wahrscheinlichkeit des Todes“ medizinisch feststellen? Zum anderen können wir der Gesetzesbegründung außerdem entnehmen, dass ganz bewusst nur und ausschließlich die Ärzte vor Sanktionen geschützt werden sollen. Die Verfasser dieses Entwurfs wollen ausdrücklich keine Sterbehilfevereine zulassen und stellen implizit in Aussicht, dass ihr Gesetzentwurf doch durchaus mit anderen Entwürfen, die weitere Ver- bote enthalten, kombiniert werden könne. Die Flexibilität ist in der Tat vorhanden. Man müsste entscheiden, ob man diese Restriktionen mittragen will. Wer sich am Ende entscheidet, gegen all diese Ent- würfe zu stimmen, verteidigt damit die aktuelle Rechts- lage, die auch im internationalen Bereich nicht die schlechteste ist. Die Tötung auf Verlangen – aktive Ster- behilfe –, wie sie in Belgien und den Niederlanden teil- weise praktiziert wird, ist und bleibt eine Straftat nach deutschem Recht, und das halte ich auch für richtig. Wer die Grenzen zur Tatherrschaft überschreitet, wie die Ju- risten das nennen, wird wegen eines Tötungsdeliktes zur Verantwortung gezogen. Das erfährt auch gerade der Herr Kusch, der den Anlass für diese ganze Debatte ge- geben hat. Auch das restriktive Arzneimittelrecht verhindert, dass effektive tödliche Mittel in Deutschland unmittelbar verschrieben werden können. Das ist der eigentliche Grund, warum Menschen zum Suizid in die Schweiz reisen. Nicht das Strafrecht macht den Unterschied, son- dern das Arzneimittelrecht. Ich finde es durchaus überle- genswert, ob nicht auch deutsche Ärzte das entspre- chende Mittel nach professioneller Prüfung verschreiben können sollten. Aber das steht hier heute nicht zur De- batte. 11214 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Menschen, die sich, aus welchen Gründen auch im- mer, mit dem Gedanken tragen, ihr Leben selbst zu be- enden, sollten uneingeschränkt Zugang zu ergebnisoffe- ner Beratung und Unterstützung haben. Auf diesem Wege können sie möglicherweise auch wieder von ihrem Vorhaben Abstand nehmen. Ob diese Menschen sich ih- ren Angehörigen oder dem Arzt ihres Vertrauens zuwen- den oder aber einem unabhängigen Sterbehilfeverein, sollte ihre Entscheidung bleiben und nicht vom Gesetz- geber vorgeschrieben werden. Müssten die Ärzte oder Vereine im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit Sorgen haben, sich strafbar zu ma- chen, würde den Betroffenen dieser Weg versperrt und sie würden andere Wege finden – im Zweifel grausamere Wege. Selbst die ärztliche, ergebnisoffene Beratung an sich kann unter den Rechtsbegriff der Beihilfe fallen. Auch die gewerbsmäßige Hilfeleistung muss daher im Sinne der Betroffenen straffrei bleiben. Unseriöse Angebote verhindert man am besten durch Sicherstellung profes- sioneller Angebote und nicht durch die strafrechtliche Ahndung derselben. Deswegen plädiere ich dafür, gegen alle vorgelegten Gesetzentwürfe zu stimmen. Vielen Dank, dass Sie diese Rede bis zum Ende gele- sen haben. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Freiheit ist in unserer Gesellschaft einer der höchsten Werte. Selbstbestimmung, die Möglichkeit, frei ent- scheiden zu können, zwischen Alternativen wählen zu können, ist in nahezu allen Lebensbereichen heute fast selbstverständlich. Unser Grundgesetz hat Entschei- dungsfreiheiten festgelegt, andere wurden von mutigen Frauen und Männern in Parlament und Gesellschaft er- kämpft. Am Ende des Lebens ändert sich das. Wir dürfen nicht frei entscheiden, wann und wie wir sterben wollen. Viele Menschen müssen durch eine manchmal lange Zeit der Qualen und der immer größeren Abhängigkeit bis zum bitteren Ende durchhalten. Für tief religiöse Men- schen mag das richtig sein. Von Menschen, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, kann es als absolut sinnlos empfunden werden. Nach derzeitiger Rechtslage ist die aktive Sterbehilfe unter Strafe gestellt, die passive Sterbehilfe und die Bei- hilfe zum Suizid dagegen nicht. Trotzdem kann es in der Realität für einen sterbewilligen Menschen schwer bis unmöglich sein, Hilfe zu bekommen. Er hat kein ver- brieftes Recht auf die Hilfe, er kann nur darum bitten. Den Weg zu einem Sterbehilfeverein kennt nicht jeder. Der Bundestag will die Beihilfe zum Suizid nun neu regeln. Es gibt vier Gruppenanträge. In der Tendenz geht es aber leider nicht darum, mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen, sondern darum, Sterbehilfe restriktiver zu regeln: Der Antrag der CDU-Politiker Sensburg und Dörflinger will Beihilfe zum Suizid ohne Ausnahme strafrechtlich bewehrt verbieten. Der fraktionsübergreifende Antrag der Gruppe Griese/ Brand/Terpe/Vogler will lediglich „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe unter Strafe stellen – gemeint sind Sterbever- eine. Es stellt sich aber die Frage, ob nicht auch ein Arzt dem Patienten gegenüber grundsätzlich geschäftsmäßig handelt, da er für seine Tätigkeit ja bezahlt wird. Die schon heute ungeklärte Situation eines Arztes, der sei- nem Patienten ein Mittel überlässt, mit dem dieser sich auf eigenen Wunsch töten kann, verschärft sich also. Den Arzt als Helfer, auch beim Wunsch nach Suizid, wollen Hintze und Lauterbach dagegen mit ihrem An- trag rechtlich absichern. Sie wollen den ärztlich assis- tierten Suizid im Bürgerlichen Gesetzbuch verankern und damit die in 10 (von 17) Landesärztekammern be- stehenden Verbotsvorschriften im ärztlichen Standes- recht überwinden. Der Patient kann die Sterbehilfe vom Arzt allerdings nicht fordern; sie unterliegt der Freiwil- ligkeit. Und die Beihilfe zum Suizid ist an strenge Be- dingungen geknüpft. So muss eine unumkehrbar zum Tode führende Krankheit vorliegen. Aus der Opposition – Künast/Gehring/Sitte – kommt der Antrag, für die Beihilfe zum Suizid eindeutige Be- dingungen festzulegen und lediglich die gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung zu verbieten. Auch er wirft die Frage auf, was das Verbot der „gewerbsmäßigen“ Ster- behilfe für den Arzt als Suizidhelfer bedeutet. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages befas- sen sich mit großer Ernsthaftigkeit mit der Thematik Sterbehilfe. Die Anträge spiegeln unterschiedliche Hal- tungen dem Thema Sterben und Tod gegenüber wider. Ich finde mich in keinem der Anträge bisher wieder. Die komplexe Gesamtlage, in der der Deutsche Bundestag zu einer Entscheidung kommen muss, ist mir bewusst. Da ist die Sorge, alte, kranke Menschen könnten subtil zur Inanspruchnahme von Sterbehilfe gedrängt werden. Oder es könnte nach außen so aussehen, dass das Land, das in seiner dunklen Geschichte neben vielen anderen Verbrechen auch Verbrechen im Namen der Euthanasie beging, die Lehre aus diesen Verbrechen anfange zu ver- gessen. Da sind die Ärzte, deren erster Auftrag ist, Le- ben zu erhalten, und die zu nicht unbeträchtlichen Teilen Suizidbeihilfe ablehnen. Und doch steht der Mensch mit seinem Recht auf Selbstbestimmung für mich im Zentrum. Der Mensch, den wir mit unserem politischen Bemühen um beste ge- sellschaftliche Rahmenbedingungen zu einem mündi- gen, selbstbewussten, entscheidungsfähigen Individuum aufwachsen lassen wollen. Das Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens kommt mir in allen Anträgen noch zu kurz. Eine Bedingung für das Recht auf Beihilfe zum Suizid kann für mich nicht das Leiden an einer unwei- gerlich zum Tode führenden Krankheit sein. Wenn Men- schen ihr Dasein für sich als entwürdigend empfinden, weil sie schmerzgequält, entstellt und/oder vollkommen abhängig sind, dann müssen sie das Recht haben, zu ge- hen. Und wenn sie dazu Hilfe benötigen, müssen Sie diese Hilfe bekommen. Mir ist bewusst, wie schwer die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11215 (A) (C) (D)(B) Verhinderung von Missbrauch ist und dass aktive Sterbe- hilfe in unserer Gesellschaft ein Tabu ist. Und doch ist mein Anspruch an uns als den Deutschen Bundestag, dem Menschen an seinem Lebensende Selbstbestim- mung zu ermöglichen. Niemand hat das Recht, zu defi- nieren, was die Würde eines anderen Menschen aus- macht. Das kann jeder Mensch nur für sich selbst. Den Anspruch auf Selbstbestimmung erfüllt keiner der vorliegenden Anträge. Deshalb bin ich zu diesem Zeitpunkt der Debatte der Meinung, es sei besser, keinen der Anträge zu beschließen, um uns die Chance auf eine vielleicht bessere Lösung zu lassen – das mag sich aber bis November noch ändern. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kersten Steinke, Dr. Dietmar Bartsch, Matthias W. Birkwald, Kerstin Kassner, Cornelia Möhring und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu den Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 215 und 217 zu Petitionen (Drucksachen 18/5394, 18/5396) (Zu- satztagesordnungspunkte 4 g und 4 i) Dem ablehnenden Abschluss aller folgenden Petitio- nen können wir nicht zustimmen, da diese Ungerechtig- keiten, die mit der Rentenüberleitung 1991 ins bundes- deutsche Recht entstanden sind, besser heute als nie hätten beseitigt werden sollen. Viele der Betroffenen in den neuen Bundesländern sehen heute genauer, wie an- ders, wie finanziell besser doch Personen mit gleichen Erwerbsbiografien oder ähnlichen Lebenswegen in den alten Bundesländern ihren Lebensabend verbringen kön- nen. Gerade die Geschiedenen hätten eine Lösung benö- tigt. Nach einer oft aufopferungsvollen Lebensphase für die Versorgung der Familie, damit der Mann ungestört seinen beruflichen Aufgaben nachgehen konnte, stehen fast alle ohne Versorgungsausgleich da. In der DDR hat- ten sie über eine Mindestrente einen gewissen Schutz, heute zählt nur, was aus eigener Erwerbstätigkeit an An- sprüchen entstanden ist. Das ist häufig sehr wenig und die – zumeist – Frauen sind auf Grundsicherung im Alter angewiesen – für fast alle eine entwürdigende Situation. Diese Probleme, die sich aus dem Wechsel der Siche- rungssysteme, Renten- und Familienrecht, ergeben, wur- den im Einigungsprozess vollständig übersehen. Es ist unerträglich, dass die Bundesregierung diesen Fakt als Argument dafür nutzt, eine Lösung des Problems nicht anzugehen. Die Professorinnen und Professoren wurden bei der Rentenüberleitung 1991 zwar mit einem gesonderten Gesetz, dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberfüh- rungsgesetz, AAÜG, behandelt, doch das Ergebnis ist unbefriedigend: Sie wurden alle in die gesetzliche Ren- tenversicherung überführt. Als Kronzeuge muss hier der Einigungsvertrag herhalten, der besagt, dass auch diese Versorgung in die GRV zu überführen ist. Vergessen wird immer der nachfolgende Halbsatz, der besagt, dass dabei keine Besserstellung gegenüber vergleichbaren öf- fentlichen Versorgungssystemen erfolgen darf. Dieser Nachsatz war dem Umstand geschuldet, dass das 1. Ren- tenangleichungsgesetz der letzten Volkskammer vom Juni 1990 vorgesehen hatte, dass in einem 2. Anglei- chungsgesetz diese Personengruppe so gestellt werden sollte, als hätten sie über das gesamte Einkommen ent- sprechende Beiträge gezahlt. Das war übrigens bei vie- len der Zusatz- und Sonderversorgungssystemen auch tatsächlich der Fall. Durch die Dynamik des Einigungs- prozesses im Sommer 1990 ist es zu dieser Gesetzge- bung nicht mehr gekommen. Und gerade deshalb hätte dieser Halbsatz des Einigungsvertrages für eine Korrek- tur der Gesetzgebung von 1991 heutzutage wieder auf- gegriffen werden müssen. Die Sammelpetition von rund 75 Tausend Petenten, die sich dagegen wehren, dass bei bestimmten in den Führungsebenen der DDR Beschäftigten bzw. denen, die beim MfS beschäftigt waren, noch immer in die Renten- formel eingegriffen wird, einfach mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts abzutun, zeugt nur von nicht vorhandenem Willen, etwas für diese Betroffenengrup- pen zu tun. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem zi- tierten Urteil von 1999 festgestellt, dass das durch- schnittliche Einkommen der Bevölkerung keinesfalls unterschritten werden darf, was bis dahin mit der Aner- kennung von 70 Prozent geschah. Im Umkehrschluss ließe die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts aber auch zu, höhere Einkommensanteile als den Durch- schnitt für die Rente anzuerkennen. Müssen wir uns denn mit der neuen, derzeit anhängigen Beschwerde wieder erst vom Bundesverfassungsgericht die Richtung zeigen lassen, wie Unrecht zu beseitigen und die Wert- neutralität des Rentenrechts endlich herzustellen ist? Einzig schwierig zu erfüllen ist die Petition, die be- gehrt, die Jahresendprämie auch ohne handfesten Nach- weis anzuerkennen. Das würde den Bundestag als Ge- setzgeber aber nicht daran hindern, endlich dafür zu sorgen, dass auch bei normalen Renten und nicht nur bei solchen, die aus den vormaligen Zusatzversorgungssys- temen entstanden sind, nachweisbare Zahlungen an Jah- resendprämien und sonstigen einmaligen Zulagen, die es bei Polizei, Zoll und Armee gab, als rentenwirksame Leistungen anerkannt werden. Sozial untragbar ist auch, für diejenigen, die verant- wortungsvolle und schwere Tätigkeiten im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR verrichteten, den Vertrauens- schutz nicht zu wahren. Ja, die DDR-Regelung für diese Personen, in der Rente einen Hochwertungsfaktor zu ge- währen, war ein Wechsel auf die Zukunft. Doch was können diese, zumeist Frauen dafür, dass ihr Lebens- abend in einem anderen Rechtssystem stattfindet? Hier eine angemessene Lösung zu suchen, zeugte von Huma- nität unseres Handelns. Warum konnte der Petitionsausschuss nicht dem Geist des zitieren Urteils des Bundessozialgerichts folgen und bei der Altersversorgung der technischen Intelligenz die Instrumentalisierung von Versorgungszusagen zu DDR- Zeiten auch für politische Zwecke korrigieren. Das 11216 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) brächte nur die Anerkennung des damals erzielten Ein- kommens bis zur Beitragsbemessungsgrenze, die vielen der Betroffenen aber eine einigermaßen anständige Rente bringen würde und nicht eine, die nach geltender Rechtslage über fast 20 Jahre – von 1972 bis 1991 – nicht einmal auf einem Entgeltpunkt basiert. Gerade für diejenigen, die derzeit erst in Rente gehen, die folglich nach der Einheit fachlich anerkannt mit Kollegen aus den Altbundesländern gearbeitet haben, ist die derzeitige rentenrechtliche Bewertung der DDR-Zeit demütigend. Generell sollten wir endlich den Schritt gehen und in der DDR gelebtes Leben anerkennen. Mit Nichtstun wird kein sozialer Friede zwischen Ost und West hergestellt werden. 25 Jahre deutsche Einheit wären ein guter Anlass ge- wesen, hier endlich zu handeln. Der negative Abschluss aller Petitionen stellt eine vertane Chance dar. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Wahlvorschlag auf Drucksache 18/5365 (Tagesordnungspunkt 7) Da die Zusammensetzung des Stiftungsrates nicht re- präsentativ für die Gesellschaft ist und beispielsweise die Opposition gar nicht repräsentiert wird, stimme ich mit Nein. Dies ist keine Aussage über die vorgeschlage- nen Personen und Wahlvorschläge. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marco Bülow, Dr. Lars Castellucci, Christina Kampmann, Kirsten Lühmann, Andreas Rimkus, Gülistan Yüksel (alle SPD) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesord- nungspunkt 13 a) Erstens. In den Verhandlungen haben wir ursprüng- lich ebenfalls eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Vor- bild des Bundesrates gefordert. Als Kompromiss mit der Union konnten wir nur einen klarstellenden Duldungs- grund durchsetzen. Wenngleich wir mehr wollten, glau- ben wir, dass auch damit ein Fortschritt erreicht ist: Wir haben eine gesetzliche Klarstellung bewirkt, wonach die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung für Ju- gendliche und Heranwachsende ausdrücklich als Dul- dungsgrund gelten kann. Das gibt Rechtssicherheit. Ar- beitgeber wissen, dass ihr Auszubildender nicht abgeschoben wird, wenn sie einem Geduldeten oder ei- nem Asylbewerber mit offenem Verfahrensausgang ei- nen Ausbildungsvertrag geben. Der junge Asylbewerber oder Geduldete weiß, dass er die Ausbildung sicher be- enden kann. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufenthaltser- laubnis bekommen. Außerdem enthält die Neuregelung keine zwingende Beschränkung auf Personen unter 21, wie es der Ände- rungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/5423) suggeriert. Richtig ist, dass die Norm insbeson- dere auf Personen dieser Altersgruppe zielt. Die Formu- lierung „insbesondere“ und der lediglich klarstellende Charakter der Neuregelung eröffnen aber die Möglich- keit, in atypischen Einzelfällen auch in anderen Fällen einen dringenden persönlichen Grund anzunehmen, der die Duldung begründet. Im Übrigen ist sie auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres anwendbar, wenn die Ausbildung vor dem 21. Lebensjahr begonnen wurde. Zweitens. Der Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/5424) ist auf die Abschaffung des viertägigen Ausreisegewahrsams gerichtet. Wir hät- ten ihn auch lieber vermieden. Aber ohne diesen hätte die Union das Gesetz als Ganzes nicht mitgetragen. Im Rahmen eines Gesamtkompromisses, der auch viele für uns positive Regelungen enthält, haben wir uns bereit er- klärt, die Einführung dieses Rechtsinstituts zu akzeptie- ren. Im Übrigen ist die Behauptung im Antrag nicht zu- treffend, wonach Haft „ohne Vorliegen eines Haftgrun- des verhängt werden können soll“. Auch hier ist es nach § 62 b Absatz 1 Nummer 2 des Entwurfs erforderlich, dass der Ausländer „ein Verhalten gezeigt hat, das er- warten lässt, dass er die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird, indem er fortgesetzt seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten verletzt hat oder über seine Identi- tät oder Staatsangehörigkeit getäuscht hat“. Drittens. Der Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/5424) zielt darauf, das Sprach- erfordernis vor Einreise beim Ehegattennachzug abzu- schaffen. Wir haben auf Drängen der Union bei den Sprachkenntnissen vor Einreise beim Ehegattennachzug die Aufnahme einer Härtefallregelung ins Gesetz akzep- tiert. Wir hätten die Regelung lieber ganz abgeschafft. Das war aber gegenüber der Union erwartungsgemäß nicht durchsetzbar. Zumindest können nun Härten im Einzelfall berücksichtigt werden. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Hilde Mattheis (beide SPD) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendi- gung (Tagesordnungspunkt 13 a) In den Verhandlungen haben wir ursprünglich eben- falls eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Vorbild des Bundesrates gefordert. Als Kompromiss mit der Union konnten wir nur einen klarstellenden Duldungsgrund durchsetzen. Wenngleich wir mehr wollten, glauben wir, dass auch damit ein Fortschritt erreicht ist: Wir haben eine gesetzliche Klarstellung bewirkt, wonach die Auf- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11217 (A) (C) (D)(B) nahme einer qualifizierten Berufsausbildung für Jugend- liche und Heranwachsende ausdrücklich als Duldungs- grund gelten kann. Das gibt Rechtssicherheit. Arbeitgeber wissen, dass ihr Auszubildender nicht abge- schoben wird, wenn sie einem Geduldeten oder einem Asylbewerber mit offenem Verfahrensausgang einen Ausbildungsvertrag geben. Der junge Asylbewerber oder Geduldete weiß, dass er die Ausbildung sicher be- enden kann. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufenthaltser- laubnis bekommen. Außerdem enthält die Neuregelung keine zwingende Beschränkung auf Personen unter 21, wie es der Ände- rungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/5423) suggeriert. Richtig ist, dass die Norm „insbe- sondere“ auf Personen dieser Altersgruppe zielt. Die Formulierung „insbesondere" und der lediglich klarstel- lende Charakter der Neuregelung eröffnen aber die Mög- lichkeit, in atypischen Einzelfällen auch in anderen Fäl- len einen dringenden persönlichen Grund anzunehmen, der die Duldung begründet. Im Übrigen ist sie auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres anwendbar, wenn die Ausbildung vor dem 21. Lebensjahr begonnen wurde. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Mindrup und Mechthild Rawert (beide SPD) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) Die Zahl von Flüchtlingen, die in der europäischen Staatengemeinschaft und in Deutschland Schutz suchen, steigt. Die SPD steht uneingeschränkt zum Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte und den Regelungen des Flüchtlingsschutzes. Wir Sozialdemokratinnen und So- zialdemokraten wollen Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten eine Teilhabe am Leben in unserer Ge- sellschaft ermöglichen, wollen allen Flüchtlingen so früh wie möglich den barrierefreien Zugang zu Arbeit und Beschäftigung, zu Sprachkursen und Bildungsange- boten, einschließlich der beruflichen Bildung, eröffnen. Wir gehen den Weg weiter, der von negativen und de- fizitorientierten Ansätzen wegführt hin zu Wertschät- zung und Anerkennung von gesellschaftlicher Vielfalt und zu den Potenzialen, Chancen und Ressourcen von Einwanderung. Wir wollen eine gesellschaftliche Will- kommenskultur nachhaltig etablieren. Wir wollen das er- neute Entstehen von Rassismus bekämpfen. Vorausset- zung ist, dass die Bevölkerung unseren Weg weiterhin so unterstützt, wie dies derzeit in unzähligen Hilfsangebo- ten und Initiativen aus der Zivilgesellschaft geschieht. Schon im Vorfeld der Mitgliederabstimmung zum Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD 2013 haben wir festgestellt, dass der Koalitionsvertrag viel Licht und viel Schatten enthält – und zwar in nahezu je- dem einzelnen Politikbereich. Dennoch waren und sind wir überzeugt: Die SPD hat hart und gut verhandelt. Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung: Am 2. Juli 2015 haben wir im Deutschen Bundestag den Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthalts- beendigung – Drucksachen 18/4097, 18/4199 – in 2. und 3. Lesung beschlossen. Auch dieser Gesetzentwurf enthält Licht und Schatten, er ist ein „klassischer Kom- promiss“ der Großen Koalition. Ohne Hinnahme von Verschärfung repressiver Maßnahmen der Aufenthalts- beendigung sind die Verbesserungen beim Bleiberecht zu unserem sehr großen Leidwesen nicht durchsetzbar gewesen. Mit diesem Gesetz werden wichtige humanitäre Vor- haben aus dem SPD-Regierungsprogramm und dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Vor allem schaffen wir endlich ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht für lang- jährig Geduldete bei nachhaltiger Integration. Dieses Ziel haben wir zusammen mit vielen gesellschaftlichen Kräften, wie Kirchen, Flüchtlingsorganisationen und den Gewerkschaften, seit Beginn der Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz vor über einem Jahrzehnt kontinu- ierlich verfolgt. Die im Gesetz getroffenen Regelungen zum Bleiberecht werden von Pro Asyl oder dem UNHCR begrüßt. Wir unterstützen die wegweisenden Verbesserungen beim Bleiberecht. Sie tragen dazu bei, den nötigen Para- digmenwechsel zu schaffen, weg vom alten ordnungs- politischen Repressionsdenken hin zu einer Willkom- menskultur, in der geflüchtete Menschen hier bleiben können und sollen. Die durchgesetzten Verbesserungen des Bleiberechts ergänzen insofern die bisherigen Er- folge der SPD: die Abschaffung der Residenzpflicht, die Abschaffung des Sachleistungsprinzips und die Eröff- nung erleichterter Arbeitsaufnahme. Verbesserungen beim Bleiberecht: Einführung einer allgemeinen alters- und stichtagsunab- hängigen Bleiberechtsregelung für langjährige Gedul- dete bei nachhaltiger Integration (neuer §25b). Erweitertes Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche (§25a und §60a). Verbesserungen für Resettlement-Flüchtlinge. Verbesserungen für Opfer von Menschenhandel. Schaffung einer neuen Aufenthaltserlaubnis zur Aner- kennung eines ausländischen Abschlusses. Verfestigung humanitärer Aufenthaltstitel. Nach Angaben von Pro Asyl leben mehr als 75 000 Menschen seit sechs Jahren oder länger ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland. Das sind mehr als 75 000 Menschen, die seit Jahren gezwungen sind, ein Leben auf Abruf zu führen. Eine Rückkehr in ihr Her- kunftsland ist für die allermeisten von ihnen undenkbar, und in Deutschland sind sie nur befristet geduldet. Im- mer wieder droht ihnen die Abschiebung. Sie alle kön- nen ihre Zukunft nicht gestalten, weil sie in Deutschland keine sichere Lebensperspektive haben. 11218 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Bleiberecht bei nachhaltiger Integration: Mit dem er- weiterten Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche schaffen wir eine deutliche Verbesserung. Für junge Flüchtlinge bis zum 21. Lebensjahr genügt nunmehr ein vierjähriger Voraufenthalt. Die SPD hat sich dafür einge- setzt, dass die im Referentenentwurf vorgesehene Alters- grenze bei 27 Jahren bleibt, um auch den 17-jährigen Minderjährigen die Bleiberechtsperspektive nach vier Jahren zu ermöglichen. Dies war mit der CDU/CSU leider nicht möglich. Dafür konnten wir im Laufe der Verhandlungen durchsetzen, dass Ausbildung ausdrück- lich als Duldungsgrund verankert wird. Dies schafft Rechtssicherheit auch für Arbeitgeber und wird zu mehr Ausbildungsstellen für Menschen mit offenem Verfah- rensausgang führen. Voraussetzung für die Bleiberechtsregelung ist für Al- leinstehende ein mindestens achtjähriger Voraufenthalt. Für Eltern minderjähriger Kinder reichen sechs Jahre. Dabei haben wir durchgesetzt, dass die Betroffenen keine volle Lebensunterhaltssicherung nachweisen müs- sen, wie sie im Aufenthaltsrecht sonst üblich ist, sondern nur eine überwiegende. Das betrifft insbesondere An- tragsteller, die im Niedriglohnsektor tätig und auf aufsto- ckende SGB-II-Leistungen angewiesen sind. Auch diese bekommen jetzt eine dauerhafte Perspektive in unserem Land. Ergänzend schaffen wir eine noch günstigere Rege- lung für Jugendliche und Heranwachsende bis zum 21. Lebensjahr. Hier reicht ein vierjähriger Voraufent- halt. Aufenthalt während der Berufsausbildung: Wir haben eine gesetzliche Klarstellung bewirkt, wonach die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung für Jugendliche und Heranwachsende ausdrücklich als Duldungsgrund gelten kann. Das gibt Rechtssicherheit. Arbeitgeber wissen, dass ihre Auszubildenden nicht ab- geschoben werden, wenn sie einem Geduldeten oder Asylsuchenden mit offenem Verfahrensausgang einen Ausbildungsvertrag geben. Die jungen Asylsuchenden und Geduldeten wissen nun, dass sie die Ausbildung si- cher beenden können. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufent- haltserlaubnis bekommen. Resettlement-Verfahren: Es wird, wie auf unser Drän- gen im Koalitionsvertrag verankert, eine Rechtsgrund- lage für das Resettlement-Verfahren geschaffen. Das ist die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus dem Ausland. Sie werden beim Familiennachzug und dem schnelleren Zugang zur Niederlassungserlaub- nis – unbefristetes Aufenthaltsrecht – nach nur drei Jah- ren mit Asylberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gleichgestellt und sind au- ßerdem BAföG-berechtigt. Familiennachzug für subsidiär Geschützte: Subsidiär Geschützte (EU) sind Personen, die von Menschen- rechtsverletzungen bedroht sind, ohne dass ein Diskrimi- nierungsgrund wie bei Asylberechtigung oder Genfer Flüchtlingskonvention vorliegt. Sie unterlagen beim Familiennachzug bisher einer sehr restriktiven Ausnah- meregelung. Nun werden sie Asylberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gleichgestellt. Das ist ein bedeutender menschenrechtli- cher Fortschritt für Zehntausende hier lebende Men- schen. Schutz für Opfer von Menschenhandel: Der Entwurf enthält Verbesserungen für Opfer von Menschenhandel. Die Aufenthaltserlaubnis soll künftig erteilt werden. Zu- vor war dies nur eine Kannregelung, die im reinen Er- messen der Behörde stand. Statt auf sechs Monate soll sie künftig auf ein bis zwei Jahre befristet werden. Fami- liennachzug ist möglich. Es besteht ein erhöhter Auswei- sungsschutz. Bei Verlängerung des Aufenthaltstitels nach einem Strafverfahren besteht Anspruch auf einen Integrationskurs. Dies alles verbessert die Situation der Opfer in erheblichem Umfang. Niederlassungserlaubnis bei humanitären Aufent- haltstiteln: Bei humanitären Aufenthaltstiteln, die nicht Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft nach der Gen- fer Flüchtlingskonvention oder subsidiärer Schutz sind, wird die bisherige Schlechterstellung bei der Niederlas- sungserlaubnis – also dem unbefristeten Aufenthalts- recht – aufgehoben, zum Beispiel für Begünstigte der Bleiberechtsregelung. Die Wartefrist wird von bisher sieben Jahren auf die für andere Titel geltenden fünf Jahre abgesenkt. Anerkennung ausländischer Abschlüsse: Es wird eine neue Aufenthaltserlaubnis zur Durchführung einer Anpassungsqualifizierung zwecks Anerkennung eines ausländischen Abschlusses geschaffen. Neuregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung: Die Verschärfungen der repressiven Maßnahmen zur Aufent- haltsbeendigung machen mir die Zustimmung zum Ge- setzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung sehr schwer. Die Kritik von Flüchtlingsorganisationen, Verbänden und des SPD- Landesverbandes Berlin an diesem Teil des Gesetzes ist berechtigt – obwohl anzuerkennen ist, dass es der SPD- Bundestagsfraktion gelungen ist, im parlamentarischen Verfahren den Repressionscharakter einiger Regelungen zu entschärfen. Neuregelung der Abschiebungshaft: Die Neuregelung der Abschiebungshaft hat viel Kritik erfahren. NGOs und Verbände fürchten eine Ausweitung der Inhaftie- rung. Ich hätte mir eine andere Reglung gewünscht. Allerdings kodifiziert die Neuregelung bisheriges Richterrecht und stellt damit keine Verschärfung der bis- herigen Praxis dar. Einen Automatismus zur Inhaft- nahme gibt es nicht, es muss stets eine Einzelfallprüfung erfolgen. Um hier Verbesserungen für die Geflüchteten zu erreichen, haben wir der CDU/CSU eine erhöhte Dar- legungs- und Begründungslast für die Behörden abge- rungen. Somit soll sichergestellt werden, dass die Inhaft- nahme wegen Fluchtgefahr auch weiterhin nur in Einzelfällen erfolgt. Die schon jetzt als Anhaltspunkt für Fluchtgefahr gewertete Zahlung von Geldbeträgen an Schleuser wurde durch unsere Intervention insofern ge- genüber der geltenden Rechtslage entschärft, als nun- mehr nur „erhebliche“ Geldbeträge in Betracht kommen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11219 (A) (C) (D)(B) Ich vertrete auch weiterhin die Position, dass den Menschen auf der Flucht legale Einreisewege eröffnet werden müssen. Dies sollte in gesonderten Gesetz- gebungsverfahren eingeleitet werden, um die Regelung von Anhaltspunkten der Fluchtgefahr auf diejenigen zu begrenzen, die trotzdem illegale Einreisewege nutzen. Klarstellung bei der Dublin-Haft: Europarechtlich sind wir verpflichtet, Anhaltspunkte für Fluchtgefahr auch für Rücküberstellungen nach der Dublin-III-Ver- ordnung gesetzlich zu bestimmen. Das tun wir mit dem Gesetzentwurf. In diesen Fällen reicht aber keine einfa- che Fluchtgefahr. Der Richter muss eine erhebliche Fluchtgefahr feststellen. Das ist eine besonders hohe Hürde. Diese hohe Hürde war aus dem Regierungsent- wurf nicht unmittelbar ersichtlich. Deshalb haben wir ei- nen klarstellenden Verweis auf die VO aufgenommen, die die Erheblichkeit ausdrücklich benennt. Ausreisegewahrsam: Es wird ein viertägiger Ausrei- segewahrsam geschaffen. Das ist sehr problematisch. In den Verhandlungen mit der Union hat sich leider heraus- gestellt, dass die CDU/CSU ohne diese Regelung das Gesetz als Ganzes nicht mitgetragen hätte. Einreise- und Aufenthaltsverbote: Wir kritisieren die Neueinführung von Einreise- und Aufenthaltsverboten. Der SPD ist es immerhin gelungen, den Anwendungs- bereich der Verbote auf Menschen aus sicheren Her- kunftsstaaten, deren zweiter Asylfolgeantrag abgelehnt wurde, zu begrenzen. Zudem sollen die Verbote bei un- verschuldeten Duldungsgründen nicht verhängt und bei Vorliegen der Voraussetzungen für Bleiberecht oder hu- manitären Aufenthalt aufgehoben werden. Neuordnung des Ausweisungsrechts: Das Auswei- sungsrecht wird neu geregelt. Das war wegen der Recht- sprechung des Europäischen Gerichtshofes für Men- schenrechte, des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes erforderlich. Das Gesetz war längst nicht mehr europarechtskonform. Dabei werden auf Drängen der Union die Ausweisungsgründe teilweise verschärft. Das war ein Zugeständnis aus dem Koalitionsvertrag. Zugleich werden aber Verbesserungen beim Auswei- sungsschutz, unter anderem für Minderjährige und Opfer von Menschenhandel, eingeführt. Zudem ist der Rechts- schutz verbessert: Die Abwägung zwischen Bleibe- und Ausweisungsinteresse ist künftig durch Gerichte in je- dem Einzelfall voll überprüfbar. Auslesen von Datenträgern: Datenträger – insbeson- dere Mobiltelefone und Smartphones – können zur Iden- titätsfeststellung ausgewertet werden, wie es jetzt schon bei Urkunden möglich ist. Diesen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung halten wir für problematisch. Wir haben, um effektiven Datenschutz zu gewährleisten, für eine bereichsspezifische Löschungs- vorschrift für nicht mehr erforderliche Daten gesorgt. Zulassungsfreie Rechtsbeschwerde auch für Behör- den: Bei der Abschiebungshaft wollte die Union die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde der Betroffenen in Abschiebungshaftsachen abschaffen. Wir haben uns ge- gen diese Verschlechterung des Rechtsschutzes gewehrt. Stattdessen haben wir akzeptiert, dass die zulassungs- freie Rechtsbeschwerde auch für die Behörde zugelassen wird. Härtefallregelung für Sprachkenntnisse beim Ehegat- tennachzug: Auf Drängen der Union haben wir bei den Sprachkenntnissen vor Einreise beim Ehegattennachzug die Aufnahme einer Härtefallregelung ins Gesetz akzep- tiert. Wir hätten die Regelung lieber ganz abgeschafft. Das war aber gegenüber der Union erwartungsgemäß nicht durchsetzbar. Zumindest können nun Härten im Einzelfall berücksichtigt werden. Wie bereits ausgeführt, enthält der Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthalts- beendigung viel Licht und viel Schatten. Nach sorg- fältiger Abwägung überwiegen aus unserer Sicht die erreichten Verbesserungen beim Bleiberecht die Ver- schärfungen von repressiven Maßnahmen der Aufent- haltsbeendigung. Deswegen stimmen wir dem Gesetz zu und lehnen die oben genannten Anträge ab. Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Auf- enthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) Bärbel Bas (SPD): Ich werde dem Gesetzentwurf zustimmen, weil mit diesem Gesetz substanzielle Ver- besserungen für die Betroffenen geschaffen werden. Mit einem Bleiberecht für langjährig Geduldete be- gegnen wir der langjährigen Praxis der Kettenduldung. Viele Geduldete bekommen nun endlich eine Perspek- tive in Deutschland. Voraussetzung für die Bleiberechts- regelung ist für Alleinstehende ein mindestens achtjähri- ger Voraufenthalt. Für Eltern minderjähriger Kinder reichen sechs Jahre. Dabei hat die SPD-Bundestagsfrak- tion durchgesetzt, dass die Betroffenen keine volle Le- bensunterhaltssicherung nachweisen müssen, sondern nur eine überwiegende. Das betrifft insbesondere An- tragsteller, die im Niedriglohnsektor tätig und auf aufsto- ckende SGB-II-Leistungen angewiesen sind. Ergänzend schaffen wir eine noch günstigere Regelung für Jugend- liche und Heranwachsende bis zum 21. Lebensjahr. Hier reicht ein vierjähriger Voraufenthalt. Außerdem wird eine Rechtsgrundlage für das Resett- lement-Verfahren geschaffen, um besonders schutzbe- dürftige Flüchtlinge aus dem Ausland aufzunehmen. Sie werden beim Familiennachzug und dem schnelleren Zugang zur Niederlassungserlaubnis – unbefristetes Aufenthaltsrecht – nach nur drei Jahren mit Asylbe- rechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flücht- lingskonvention gleichgestellt und sind außerdem BAföG-berechtigt. Wir geben jungen Asylbewerbern und Geduldeten ebenso wie deren Arbeitgebern Rechtssicherheit. Wir haben eine gesetzliche Klarstellung bewirkt, wonach die 11220 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung für Ju- gendliche und Heranwachsende ausdrücklich als Dul- dungsgrund gelten kann. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Wir stellen subsidiär Schutzberechtigte endlich beim Familiennachzug mit anderen anerkannten Flüchtlingen gleich. Und wir verbessern die aufenthaltsrechtliche Si- tuation für Opfer von Menschenhandel. Wir setzen bei der Inhaftierung in Dublin-Fällen eine europarechtliche Verpflichtung um: Nach der Verord- nung müssen wir Anhaltspunkte für Fluchtgefahr auch für Rücküberstellungen nach der Dublin-III-Verordnung gesetzlich bestimmen. Das tun wir mit dem Gesetzent- wurf. In diesen Fällen reicht aber keine einfache Flucht- gefahr. Der Richter muss eine erhebliche Fluchtgefahr feststellen. Diese besonders hohe Hürde haben wir im Gesetzgebungsverfahren noch einmal ausdrücklich klar- gestellt. Das Ausweisungsrecht wird neu geregelt. Das war wegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts- hofes für Menschenrechte, des Europäischen Gerichts- hofes und des Bundesverwaltungsgerichtes erforderlich. Das Gesetz war längst nicht mehr europarechtskonform. Auf Drängen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurden die Ausweisungsgründe zwar teilweise verschärft. Zu- gleich werden aber Verbesserungen beim Ausweisungs- schutz, unter anderem für Minderjährige und Opfer von Menschenhandel, eingeführt. Zudem ist der Rechts- schutz verbessert: Die Abwägung zwischen Bleibe- und Ausweisungsinteresse ist künftig durch Gerichte in je- dem Einzelfall voll überprüfbar. Auch gibt es keine Ausweitung von Abschiebungs- haft. Die Rechtsgrundlage bleibt unverändert. Mit fünf der sechs Anhaltspunkte – der sechste ist ein Auffangtat- bestand – wird nur das ins Gesetz geschrieben, was die Rechtsprechung seit Jahren urteilt. Das ist keine Aus- weitung gegenüber dem Istzustand für die Betroffenen. Und die Neuregelung nennt nur Anhaltspunkte für Fluchtgefahr. Es gibt keinen Automatismus, jeder Ein- zelfall muss gewürdigt werden. Bei der Abschiebungs- haft wollte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die zu- lassungsfreie Rechtsbeschwerde der Betroffenen in Abschiebungshaftsachen abschaffen. Wir haben uns ge- gen diese Verschlechterung des Rechtsschutzes gewehrt. Stattdessen haben wir akzeptiert, dass die zulassungs- freie Rechtsbeschwerde auch für die Behörde zugelassen wird. Auf Drängen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ha- ben wir bei den Sprachkenntnissen vor Einreise beim Ehegattennachzug die Aufnahme einer Härtefallrege- lung ins Gesetz akzeptiert. Wir hätten die Regelung lie- ber ganz abgeschafft. Das war aber gegenüber der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion erwartungsgemäß nicht durch- setzbar. Zumindest können nun Härten im Einzelfall be- rücksichtigt werden. Auch wenn wir einige Zugeständnisse an den Koali- tionspartner machen mussten, werden mit diesem Ge- setzentwurf humanitäre Verbesserungen eingeführt, die viele Menschenrechtsorganisationen seit Jahren fordern. Daher werde ich dem Gesetzentwurf zustimmen und die Änderungsanträge der Grünen sowie den Entschlie- ßungsantrag der Linken ablehnen. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Die SPD hat eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Vorschlag des Bundesra- tes gefordert. Leider war mit der Union nur ein klarstel- lender Duldungsgrund durchsetzbar. Wenngleich wir auch mehr wollten, bin ich mir sicher, dass auch damit ein großer Fortschritt erreicht ist: Die gesetzliche Klarstellung bewirkt, dass die Auf- nahme einer qualifizierten Berufsausbildung für Jugendli- che und Heranwachsende ausdrücklich als Duldungsgrund gelten kann. Das gibt Rechtssicherheit. Arbeitgeber wis- sen, dass ihr Auszubildender nicht abgeschoben wird, wenn sie einem Geduldeten oder einem Asylbewerber mit offenem Verfahrensausgang einen Ausbildungsver- trag geben. Der junge Asylbewerber oder Geduldete weiß, dass er die Ausbildung sicher beenden kann. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Es wird neu geregelt, dass es keine zwingende Be- schränkung auf unter 21-jährige Personen gibt, wie es der Änderungsantrag suggeriert. Richtig ist, dass die Norm „insbesondere“ auf Personen dieser Altersgruppe zielt. Die Formulierung „insbesondere“ und der lediglich klarstellende Charakter der Neuregelung eröffnen aber die Möglichkeit, in atypischen Einzelfällen auch in an- deren Fällen einen dringenden persönlichen Grund anzu- nehmen, der die Duldung begründet. Es wird klargestellt dass die Regelungen auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres anwendbar sind, wenn die Ausbildung vor dem 21. Lebensjahr begonnen wurde. Das schafft Planungssicherheit. Leider war die Abschaffung des viertägigen Ausreise- gewahrsams, der de facto unbescholtene Menschen in Haft nimmt, mit dem Koalitionspartner nicht durchsetz- bar. Da jedoch dieses Gesetz deutliche Verbesserungen zur augenblicklichen Rechtslage enthält, wäre es für mich unverantwortbar, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern. Dr. Karamba Diaby (SPD): Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen nehme ich für mich das Recht eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 (1) des Grundgesetzes in Anspruch. In Abwägung der getroffenen Verbesserungen und Ver- schärfungen bei der Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung stimme ich dem Gesetz- entwurf der Bundesregierung nicht zu. Den oben ge- nannten Änderungsanträgen stimme ich zu. Erstens. Derzeit sind nach Schätzungen des UNHCR 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist die höchste Zahl, die jemals von UNHCR verzeichnet wurde, und sie wächst weiterhin rasant. In dieser globa- len Flüchtlingskrise sehe ich sowohl die Europäische Union als auch die Bundesrepublik Deutschland in der Verantwortung für eine solidarische und humane Asyl- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11221 (A) (C) (D)(B) politik. Hierzu erachte ich eine Modernisierung des Asylrechts als erforderlich, im Sinne beispielsweise le- galer Wege nach Europa für Asylsuchende und im Sinne einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis in der Euro- päischen Union und der Bundesrepublik Deutschland. Hierzu zählen für mich ebenfalls Maßnahmen wie einen Zweckwechsel für Asylsuchende zu ermöglichen. Als Sozialdemokrat lehne ich grundsätzlich Verschärfungen ab, die einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis entge- genstehen. Zweitens. In folgenden wesentlichen Punkten sehe ich deutliche Verbesserungen für die Rechtsstellung, der in Deutschland lebenden Asylsuchenden und Einwan- dernder: a. Es wird eine neue Möglichkeit geschaffen, zum Zwecke der Anerkennung einer ausländischen Qualifi- kation nach Deutschland einzureisen, für die Dauer von bis zu 18 Monaten. Dies begrüße ich, damit mehr Men- schen den Weg nach Deutschland finden können, um hier zu leben und zu arbeiten. b. Bleiberecht bei nachhaltiger Integration – nach die- sem Prinzip wird eine deutliche Verbesserung für die Menschen geschaffen, die seit vielen Jahren in Dul- dungsketten in Deutschland leben. Sie erhalten nun end- lich Rechtssicherheit und eine Zukunftsperspektive für Leben hier in Deutschland. Insbesondere die Neureglung für Jugendliche ist aus menschenrechtlicher Sicht zu be- grüßen. c. Resettlement-Verfahren – mit der Neuregelung wird das Resettlement-Verfahren endlich endlich gesetz- lich verankert, ein guter Schritt im Sinne einer verant- wortlichen Asylpolitik. Drittens. Hingegen sind folgende Neuregelungen im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Inhaftierung und Ausweisung für mich aus menschenrechtlichen Er- wägungen heraus und aus dem Anspruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zu- stimmungsfähig. Insofern finden die oben genannten Änderungsanträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meine Zustimmung. a. Die Neuregelung der Abschiebungshaft kommt ei- ner Verschärfung gleich. Schätzungsweise weniger als einhundert Menschen befanden sich im letzten Jahr in Ab- schiebungshaft in Deutschland. Davon waren die meisten sogenannte Dublin-Fälle. Nach der Grundsatzentschei- dung des Bundesgerichtshofs, BGH, von Juli 2014 wur- den jedoch die meisten „Dublin-Fälle“ freigelassen. Die Neuregelung sieht für einreisende Asylsuchende neue Haftgründe vor, die es einfacher machen, Menschen zu inhaftieren, die abgeschoben werden sollen. b. Verschärfung des Ausweisungsrechtes: Es werden neue Einreise- und Aufenthaltsverbote geschaffen. Sie sind aus meiner Sicht ebenfalls kritikwürdig. c. Bleibeperspektive bei Berufsausbildung – hier braucht es eine gesetzliche Klarstellung in Form eines neuen § 25 c, damit Jugendlichen in Berufsausbildung und ihren Ausbildern Rechtssicherheit geboten wird. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Aus- bildung beendet, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekom- men. d. Die Familienzusammenführung muss menschen- rechtlich ausgestaltet werden. Insofern lehne ich unter anderem den Sprachnachweis vor Ehegattennachzug ab. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Der Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufent- haltsbeendigung enthält Verbesserungen, für die sich viele Engagierte jahrelang eingesetzt haben. Ich begrüße das ausdrücklich. Insbesondere das stichtagsunabhän- gige Bleiberecht für langjährig Geduldete ist ein wesent- licher Fortschritt. Allerdings enthält das Gesetz auch massive Ver- schlechterungen, vor allem die Neuregelung der Ab- schiebungshaft, das neue Ausreisegewahrsam und neue Einreise- und Aufenthaltsverbote. Ich erkenne an, dass in den parlamentarischen Bera- tungen der Gesetzentwurf der Bundesregierung an verschiedenen Stellen „entschärft“ wurde. Gleichwohl komme ich in der Abwägung von positiven und negati- ven Bestandteilen des nun zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurfs zu dem Ergebnis, dass ich nicht zustim- men kann, weil er den Ansprüchen an ein modernes, pro- blemadäquates und humanes Bleiberecht nicht gerecht wird. Frank Schwabe (SPD): Das vorliegende Gesetz ent- hält für mich nicht nachvollziehbare neue Kriterien für die Abschiebehaft und für den Abschiebegewahrsam. Ich würde gern glauben, dass die Argumente stimmen, dass sich praktisch an der Vollzugspraxis nichts ändern wird, bin davon aber nicht überzeugt. Ich begrüße es sehr, dass mit dem Gesetz zwei neue gesetzliche Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltser- laubnis geschaffen werden: die Anerkennung ausländi- scher Berufsqualifikationen nach § 17 a AufenthG und die Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration. Dies sind gute Gesetzesänderungen, die dazu beitra- gen werden, dass langjährig geduldeten Ausländerinnen und Ausländern ein Bleiberecht erteilt werden kann. Au- ßerdem ermöglicht der Gesetzentwurf es, die berufliche Integration von Ausländerinnen und Ausländern zu för- dern. Da ich jedoch einer Gesetzesänderung nicht zustim- men will, bei der auch nur eine Wahrscheinlichkeit be- steht, dass unschuldige Flüchtlinge zusätzlich in Ab- schiebehaft genommen werden, enthalte ich mich der Stimme. Stefan Schwartze (SPD): Bei der Abstimmung über das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung habe ich mich aus folgenden Gründen enthalten: Ich begrüße sehr, dass mit dem Gesetz zwei neue ge- setzliche Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltser- laubnis geschaffen werden: die Anerkennung ausländi- 11222 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) scher Berufsqualifikationen nach § 17 a AufenthG und die Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration. Dies sind gute Gesetzesänderungen, die dazu beitra- gen werden, dass langjährig geduldeten Ausländerinnen und Ausländern ein Bleiberecht erteilt werden kann. Außerdem ermöglicht es der Gesetzentwurf, die berufli- che Integration von Ausländerinnen und Ausländern zu fördern. Allerdings kann ich die nun gesetzlich verankerten Gründe für eine Abschiebehaft und für den Abschiebe- gewahrsam nicht unterstützen. Insbesondere sehe ich die Gefahr, dass damit der Rechtsschutz der Schutzsuchen- den praktisch erheblich eingeschränkt wird. Die Be- schleunigung der Asylverfahren führt inzwischen dazu, dass bereits innerhalb weniger Wochen eine rechtskräf- tige Entscheidung und sehr häufig eine vollziehbare Abschiebungsentscheidung vorliegt. Eine gründliche rechtliche Prüfung ist praktisch nicht möglich. Die neu formulierten konkreten Anhaltspunkte für eine Abschiebehaft liegen bei den allermeisten Auslän- derinnen und Ausländern vor, insbesondere was die Unterdrückung von Ausweispapieren betrifft. Vielen Ausländern werden während ihrer gefährlichen Reise aus Krisen-, Kriegs- und Hungergebieten die Ausweis- papiere sogar abgenommen. Insofern sind potenziell na- hezu alle vollziehbar abschiebepflichtigen Ausländer von einer Abschiebehaft bedroht. Rainer Spiering (SPD): Dem vorliegenden Gesetz- entwurf kann ich nicht zustimmen und enthalte mich. Trotz der Umsetzung wichtiger, im Rahmen des Koalitionsvertrages mit der SPD vereinbarter Forderun- gen, wie etwa der alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete bei nach- haltiger Integration, kann ich diesen Gesetzentwurf nicht mittragen. Die Verabschiedung des Gesetzes würde eine massive Kriminalisierung der Flüchtlinge verursachen und damit eine Beschneidung des aktuell bestehenden Asylrechts darstellen. Besonders kritisch sehe ich die Regelungen bezüglich minderjähriger Geflüchteter, die Ausweitung von Haft- gründen sowie die starke Diskriminierung von Schutz- suchenden aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaa- ten des Westbalkans. Die deutliche Verschlechterung der weltweiten Menschenrechtslage, insbesondere durch zahlreiche bewaffnete Konflikte in der unmittelbaren eu- ropäischen Umgebung, erfordert von Deutschland ein deutliches Bekenntnis zu einer Asylpolitik, die die Betroffenen im Zentrum sieht. Trotz der humanitären Verbesserungen, die die SPD-Bundestagsfraktion im Gesetzgebungsverfahren durchsetzen konnte, überwie- gen jedoch weiterhin die negativen Auswirkungen des Gesetzes. Sonja Steffen (SPD): Der Deutsche Bundestag stimmt heute über den Gesetzentwurf zur Neubestim- mung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung ab. Bei der Abstimmung habe ich mich aus folgenden Gründen enthalten: Ich begrüße es sehr, dass mit dem Gesetz zwei neue gesetzliche Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltser- laubnis geschaffen werden: die Anerkennung ausländi- scher Berufsqualifikationen nach § 17 a AufenthG und die Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration. Dies sind gute Gesetzesänderungen, die dazu beitra- gen werden, dass langjährig geduldeten Ausländerinnen und Ausländern ein Bleiberecht erteilt werden kann. Au- ßerdem ermöglicht der Gesetzentwurf es, die berufliche Integration von Ausländerinnen und Ausländern zu för- dern. Allerdings kann ich die nun gesetzlich verankerten Gründe für eine Abschiebehaft und für den Abschiebe- gewahrsam nicht unterstützen. Insbesondere sehe ich die Gefahr, dass damit der Rechtsschutz der Schutzsuchen- den praktisch erheblich eingeschränkt wird. Die Be- schleunigung der Asylverfahren führt inzwischen dazu, dass bereits innerhalb weniger Wochen eine rechtskräf- tige Entscheidung und sehr häufig eine vollziehbare Abschiebungsentscheidung vorliegen. Eine gründliche rechtliche Prüfung ist praktisch nicht möglich. Die neu formulierten konkreten Anhaltspunkte für eine Abschiebehaft liegen bei vielen Ausländerinnen und Ausländern vor, insbesondere, was die Unterdrü- ckung von Ausweispapieren betrifft. Manchen Flüchtlin- gen werden während ihrer gefährlichen Reise aus Kri- sen-, Kriegs- und Hungergebieten die Ausweispapiere sogar abgenommen. Insofern sind potenziell nahezu alle vollziehbar abschiebepflichtigen Ausländer von einer Abschiebehaft bedroht. Christoph Strässer (SPD): Das vorliegende Gesetz enthält für mich nicht nachvollziehbare neue Kriterien für die Abschiebehaft und für den Abschiebegewahrsam. Ich würde gern glauben, dass die Argumente stimmen, dass sich praktisch an der Vollzugspraxis nichts ändern wird, bin davon aber nicht überzeugt, obwohl ich unse- rem Berichterstatter, Rüdiger Veit, voll vertraue. Ich begrüße es sehr, dass mit dem Gesetz zwei neue gesetzliche Gründe für die Erteilung einer Aufenthalts- erlaubnis geschaffen werden: die Anerkennung ausländi- scher Berufsqualifikationen nach § 17 a AufenthG und die Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration. Dies sind gute Gesetzesänderungen, die dazu beitra- gen werden, dass langjährig geduldeten Ausländerinnen und Ausländern ein Bleiberecht erteilt werden kann. Außerdem ermöglicht der Gesetzentwurf es, die berufli- che Integration von Ausländerinnen und Ausländern zu fördern. Da ich jedoch einer Gesetzesänderung nicht zustim- men will, bei der auch nur eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass unschuldige Flüchtlinge zusätzlich in Abschiebehaft genommen werden, enthalte ich/mich der Stimme. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11223 (A) (C) (D)(B) Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesord- nungspunkt 13 a) Zu dem Entschließungsantrag und teilweise den Än- derungsanträgen von Bündnis90/Die Grünen ist keine Zustimmung, sondern nur eine Enthaltung möglich. Die vorgeschlagene Aufenthaltsregelung für gedul- dete Jugendliche in Ausbildung wurde vom Bundesrat übernommen und enthält unnötige Ausschlussgründe und Anforderungen (etwa zum Niveau von Deutsch- kenntnissen, ein Bekenntnis zur freiheitlich demokrati- schen Grundordnung, eine unbestimmte Ausschluss- klausel bei Bezügen zu extremistischen oder terroristischen Organisationen und bei fehlender Mitwir- kung bei der eigenen Abschiebung). Die Dauer der Abschiebungshaft von maximal 28 Ta- gen, wie von den Grünen vorgeschlagen, ist eindeutig zu lang, selbst wenn man dies als einen realpolitischen Vor- schlag auf dem Weg zur Abschaffung der Abschiebungs- haft, wie sie Die Linke fordert, versteht, wie es die Grü- nen in der Begründung darlegen. Flüchtlinge sind keine Kriminellen und gehören nicht in Haft. Beim Ausweisungsrecht tragen die Grünen im Ergeb- nis die Verschärfung mit, wonach künftig bereits ab ei- ner einjährigen Freiheitsstrafe von einem schwerwiegen- den Ausweisungsinteresse ausgegangen werden soll. Das ist abzulehnen. Im Entschließungsantrag zu den Integrationskursen gehen die Forderungen zwar in eine richtige Richtung und werden von der Linken weitgehend geteilt, aller- dings wird das derzeitige Integrationskurssystem zu un- kritisch dargestellt, es fehlen insbesondere Feststellun- gen und Forderungen zu Zwangsmitteln und Sanktionen im derzeitigen Integrationskurssystem. So kann der Inte- grationskursbesuch nach geltendem Recht mit Mitteln des Zwangs durchgesetzt werden, Versäumnisse können zu sozial- und aufenthaltsrechtlichen Sanktionen bis hin zur Aufenthaltsbeendigung und zur kompletten Einstel- lung sozialer Unterstützungsleistungen führen. Seit Mitte 2011 wird sogar sanktioniert, wenn Betroffene das geforderte Sprachniveau (B1) nicht erreichen – so lange erhalten sie nur eine auf längstens ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis. Diese soziale Diskriminierung und Integration mit Zwangsmitteln ist abzulehnen und för- dert bzw. fußt auf irrigen und populistischen Vorurteilen, wonach Einwanderinnen und Einwanderer sich angeb- lich nicht integrieren wollen. Im Entschließungsantrag wird verschwiegen, dass die Einführung der Integrationskurse in der rot-grünen Re- gierungszeit im Jahr 2005 zu einer deutlichen Verschlech- terung der ohnehin niedrigen Honorare der Lehrkräfte im Sprachkursbereich führte. Wenn es in der Begründung heißt, dass die grüne Bundestagsfraktion „immer wieder“ Anträge für „adäquate Arbeitsbedingungen im Rahmen von Festanstellungen oder auf der Basis angemessener Honorare“ eingebracht habe, ist dies irreführend: So for- derten die Grünen noch Ende 2011 in einem Antrag – Bundestagsdrucksache 17/7639 – eine Mindestvergü- tung in Höhe von nur 24 Euro die Stunde für Lehrkräfte im Integrationskursbereich und wies dabei ausdrücklich damalige Forderungen der Lehrkräfte bzw. der GEW nach einer Mindestvergütung in Höhe von 30 Euro zu- rück. Die Linke unterstützte hingegen bereits damals eine solche Mindestvergütung in Höhe von 30 Euro; grundsätzlich streben wir jedoch gut bezahlte, sozialver- sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse für die Lehrkräfte an, die eine so wichtige und hochqualifizierte Arbeit leisten. In dem Antrag wird der Eindruck erweckt, als sei das deutsche Integrationskurssystem international Maßstäbe setzend, es besitze „auch im Ausland hohe Anerken- nung“. Dabei gibt es zum Beispiel in Schweden seit 1970 ein kostenloses Sprachkurssystem für Einwande- rinnen und Einwanderer, das an den Vorkenntnissen und dem Bildungsstand der Betroffenen anknüpft und ent- sprechend individuell angepasste Ziele setzt; die Lehr- kräfte erhalten ein angemessenes Gehalt. Im deutschen System wird hingegen im Grundsatz von allen Einwan- derinnen und Einwanderern – ausgenommen werden be- zeichnenderweise zum Beispiel Hochqualifizierte – das- selbe Sprachniveau (B1) gefordert, und ursprünglich mussten auch alle dieses Ziel in derselben Zeit erreichen (600 Stunden). Trotz einiger Verbesserungen in den letz- ten Jahren hinsichtlich eines differenzierteren Kursange- bots bedarf es grundlegender Änderungen am deutschen Integrationskurssystem, wozu die Linke Vorschläge un- terbreiten wird. In der Begründung des Entschließungsantrags heißt es schließlich, dass die Haushaltsmittel für Integrations- kurse „auf Druck“ der grünen Bundestagsfraktion erhöht worden seien. Das ist eine groteske Selbstüberschätzung, die man nicht noch durch Zustimmung nähren sollte. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marco Bülow, Dr. Lars Castellucci, Dr. Ute Finckh-Krämer, Christina Kampmann, Kirsten Lühmann, Andreas Rimkus und Gülistan Yüksel (alle SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion DIE LINKE zu der dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Auf- enthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) Mit dem Antrag der Fraktion Die Linke werden eine „umfassende humanitäre Bleiberechtsregelung, ein wirksames Nachzugsrecht für Familienangehörige, das nicht von Sprach- oder Einkommensnachweisen abhän- 11224 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) gig ist, und eine Beendigung der Abschiebungshaft, statt ihrer Ausweitung“ gefordert. Die erste Forderung erfüllen wir mit dem Gesetzent- wurf in der Fassung der Änderungsanträge der Koali- tion. Voraussetzung für die Bleiberechtsregelung ist für Alleinstehende ein mindestens achtjähriger Voraufent- halt. Für Eltern minderjähriger Kinder reichen sechs Jahre. Dabei haben wir durchgesetzt, dass die Betroffe- nen keine volle Lebensunterhaltssicherung nachweisen müssen, wie sie im Aufenthaltsrecht sonst üblich ist, sondern nur eine überwiegende. Das betrifft insbeson- dere Antragsteller, die im Niedriglohnsektor tätig und auf aufstockende SGB-II-Leistungen angewiesen sind. Auch diese bekommen jetzt eine dauerhafte Perspektive in unserem Land. Ergänzend schaffen wir eine noch günstigere Rege- lung für Jugendliche und Heranwachsende bis zum 21. Lebensjahr. Hier reicht ein vierjähriger Voraufent- halt. Zur Forderung nach einem wirksamen Nachzugsrecht für Familienangehörige, das nicht von Sprach- oder Ein- kommensnachweisen abhängig ist: Auf Drängen der Union haben wir bei den Sprachkenntnissen vor Einreise beim Ehegattennachzug die Aufnahme einer Härtefall- regelung ins Gesetz akzeptiert. Wir hätten die Regelung lieber ganz abgeschafft. Das war aber gegenüber der Union erwartungsgemäß nicht durchsetzbar. Zumindest können nun Härten im Einzelfall berücksichtigt werden. Einen generellen Verzicht auf Einkommensnachweise beim Ehegattennachzug unterstützen wir nicht. Zur Forderung nach einer Beendigung der Abschie- bungshaft statt ihrer Ausweitung: Die SPD-Fraktion setzt sich nicht für eine generelle Abschaffung der Ab- schiebungshaft ein, sondern für ihre Einschränkung. Im Übrigen sagen wir hierzu: Erstens bestand die Rechtsgrundlage – Fluchtgefahr – zuvor und bleibt unverändert. Mit fünf der sechs An- haltspunkte – der sechste ist ein Auffangtatbestand – wird nur das ins Gesetz geschrieben, was die Rechtspre- chung seit Jahren urteilt. Das ist keine Ausweitung ge- genüber dem Istzustand für die Betroffenen. Zweitens gibt die Neuregelung nur Anhaltspunkte für Fluchtgefahr. Es gibt keinen Automatismus, jeder Ein- zelfall muss gewürdigt werden. Drittens haben wir durchgesetzt, dass die schon in der Vergangenheit bestehende Möglichkeit der Inhaftierung, wenn jemand erhebliche Geldbeträge für einen Schleu- ser ausgegeben hat, entschärft wird. Bisher hat die Rechtsprechung dies nur oberflächlich begründet. Wir haben die Darlegungs- und Begründungslast für Behör- den und Gerichte erhöht. So wird der Anwendungs- bereich gegenüber der bisherigen Rechtsprechung einge- engt. Ursprünglich hatten wir in den Verhandlungen eine vollständige Streichung dieser Passage gefordert, konn- ten dies aber nicht durchsetzen. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Uwe Beckmeyer, Dr. Karl- Heinz Brunner, Dr. Lars Castellucci, Elvira Drobinski-Weiß, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Ulrike Gottschalck, Ulrich Hampel, Dirk Heidenblut, Gabriela Heinrich, Frank Junge, Ralf Kapschack, Gabriele Katzmarek, Ulrich Kelber, Dr. Bärbel Kofler, Daniela Kolbe, Birgit Kömpel, Christine Lambrecht, Steffen-Claudio Lemme, Hiltrud Lotze, Kirsten Lühmann, Dr. Birgit Malecha-Nissen, Dr. Matthias Miersch, Susanne Mittag, Markus Paschke, Detlev Pilger, Sabine Poschmann, Dr. Simone Raatz, Mechthild Rawert, Gerold Reichenbach, Andreas Rimkus, Susann Rüthrich, Bernd Rützel, Johann Saathoff, Annette Sawade, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Dr. Nina Scheer, Dr. Dorothee Schlegel, Swen Schulz (Spandau), Norbert Spinrath, Svenja Stadler, Kerstin Tack, Michael Thews, Dr. Karin Thissen, Carsten Träger, Gabi Weber und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu den nament- lichen Abstimmungen über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) Wenn Deutschland nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission zur Genehmigung der Beihilfe für Hinkley Point C klagt, ist darin keine Unterstützung von Atomenergie zu sehen. Genauso liegt in der Ablehnung entsprechender Bundestagsanträge keine Abwendung vom notwendigen Atomausstieg vor. Der Atomausstieg in Deutschland ist für uns unum- kehrbar. Mit der SPD setzen wir uns sowohl national als auch europäisch und international für den Ausstieg aus der Atomenergie, den Umstieg auf erneuerbare Energien sowie für mehr Energieeffizienz ein. Der europäische Atomausstieg ist insofern eine politische Aufgabe, die nicht über einen beihilferechtlichen Klageweg auf den EuGH abgewälzt werden kann und sollte. Im Einzelnen zu den genannten Bundestagsanträgen: Ende 2014 hat die EU-Kommission die nationalen Beihilfen, die die britische Regierung für Hinkley Point C vorsieht, genehmigt. Mit den genannten Anträgen wird Deutschland aufgefordert, gegen die Entscheidung der EU-Kommission beim EuGH zu klagen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11225 (A) (C) (D)(B) Die von der britischen Regierung für Hinkley Point C vorgesehene Förderung ist unbestritten eine Beihilfe. Das EU-Beihilferecht gesteht der EU-Kommission über Artikel 107 AEUV weite Ermessensspielräume für die Genehmigung von Beihilfen zu. Die Beihilfegenehmi- gung der EU-Kommission ist nach Einschätzung der vonseiten der SPD im Rahmen der öffentlichen Anhö- rung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am 17. Juni 2015 benannten Sachverständigen nicht offen- kundig rechtsfehlerhaft. Diese Einschätzung wird auch von der Bundesregierung geteilt. Eine Klage gegen die Entscheidung der EU-Kommis- sion erhielte insbesondere vor diesem Hintergrund eine politische Dimension, zumal hiermit auf die britische Entscheidung über die Ausgestaltung ihres Energiemi- xes eingegangen wird. Nach Artikel 194 AEUV ist es das Recht der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix zu entscheiden. Deutschland hat bei der Förderung erneuer- barer Energien stets – zu Recht – die nationale energie- politische Entscheidungskompetenz betont. Dieser Maßstab sollte auch für den Umgang mit den Energie- politiken anderer Mitgliedstaaten gelten. Mit der Beihil- feentscheidung zu Hinkley Point C hat die EU-Kommis- sion einen weiter gehenden Förderrahmen erlaubt, als sie etwa für erneuerbare Energien in den – für die Mitglied- staaten nicht verbindlichen – Energie-Beihilfeleitlinien vorgesehen sind. Vor diesem Hintergrund und auch, weil sich die EU gemeinsam auf den Ausbau erneuerbarer Energien verständigt hat, muss zukünftig erst recht ein breiterer Handlungsspielraum bei der Gestaltung von Fördersystemen für erneuerbare Energien möglich sein. Klar ist aber auch, dass es eine europäische Förderung für den Neubau von Atomkraftwerken aus öffentlichen Geldern nicht geben darf. In den Beratungen zum Euro- päischen Fonds für strategische Investitionen, EFSI, haben sich zuerst Bundesminister Sigmar Gabriel und dann auch die gesamte Bundesregierung explizit gegen eine Aufnahme der Förderung von Kernkraftwerken aus- gesprochen. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie auch im Rahmen weiterer Diskussionen zu den Einzel- bausteinen der Energieunion eine EU-Förderung oder gar einen europäischen Förderrahmen für Kernkraft- werke entschieden ablehnen wird. Aus diesen Gründen lehnen wir die oben angegebe- nen Anträge ab. Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) und Josip Juratovic (beide SPD) zu den na- mentlichen Abstimmungen über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) Klagen gegen Atomstrom. Klingt gut – ist aber falsch. Greenpeace Energy hat einen Massenbrief entworfen. Wer sich seine Meinung nicht bilden möchte, sondern klicken, nimmt seine Maus in die Hand und in etwa 30 Sekunden wird folgender Text an das Parlament ge- schickt, der von einer selbst geschriebenen Mail nicht unterscheidbar ist: Die EU-Kommission hat im Herbst 2014 staatliche Beihilfen für den britischen Reaktorneubau Hinkley Point C genehmigt. Mit der Veröffentlichung im EU- Amtsblatt ist diese Genehmigung seit Ende April recht- lich verbindlich. Damit darf die britische Regierung das geplante Atomkraftwerk mit Staatsgarantien und einer hohen Ein- speisevergütung fördern. Insgesamt sollen umgerechnet mehr als 20 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern in das Projekt fließen. Die Atomenergie in Europa erhält damit auf Jahrzehnte einen privilegierten Status, der ei- nen freien und fairen Stromhandel auf dem europäischen Energie-Binnenmarkt beschädigt und die erneuerbaren Energien schwächt. Durch den grenzüberschreitenden Stromhandel in der EU hätte ein hochsubventioniertes Hinkley Point C ei- nen direkten und messbaren Einfluss auf den deutschen Strommarkt. Zudem könnte das Beihilfe-Modell für Hinkley Point C Schule machen und für andere, derzeit geplante Reaktorbauten in Polen oder Tschechien über- nommen werden. Dies würde den Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt weiter verzerren. Der Ökostromanbieter Greenpeace Energy, zahlreiche weitere Energiemarkt-Akteure sowie die Staaten Öster- reich und Luxemburg wollen deshalb gegen die Beihil- fen für Hinkley Point C vor Gericht ziehen. Ich halte es für dringend geboten, dass auch die deutsche Bundesre- gierung mit konkreten rechtlichen Schritten gegen über- zogene Subventionen für die riskante und unzeitgemäße Atomtechnologie vorgeht. Ich bitte Sie daher, sich ent- sprechend Ihrer Möglichkeiten als Parlamentarier dafür einzusetzen.“ Soweit der Standardtext, den einige Bürgerinnen und Bürger schicken. Die Aufforderung, die Bundesregierung zu rechtli- chen Schritten gegen diese Genehmigung zu bewegen, klingt gut, denn Investitionen in Atomenergie sind un- verantwortlich. Wir denken an die bittere Erfahrung, dass es auch in Deutschland erst Fukushimas bedurfte, damit die CDU/CSU ihren Wiedereinstieg in die Atom- stromversorgung rückgängig machte. Hoffentlich bedarf es nun nicht für jeden kleinen Erkenntnisschritt eines Fu- kushima. Wir kennen die Risiken und das Problem der Atommülllagerung. Alle Folgekosten eingeschlossen, ist Atomenergie die teuerste Energieerzeugung, die wir kennen – und unver- hältnismäßig viel teurer als erneuerbare, auf der Sonnen- 11226 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) energie basierende Energieversorgung. Deswegen ist es rückwärtsgewandt und falsch, dass Großbritannien und andere EU-Staaten an der Atomenergie festhalten und diese sogar ausbauen wollen. Greenpeace Energy verkennt, dass Hinkley Point C nur vordergründig ein rechtliches Problem ist. Vielmehr handelt es sich um ein politisches Problem, denn wir werden die Atomenergie in Europa nicht beenden, wenn wir die Entscheidung der EU-Kommission über den Weg einer Klage angreifen. Stattdessen brauchen wir eine gesellschaftliche Mehr- heit in ganz Europa für den Atomausstieg, damit jene Parteien, die weiterhin für die Atomkraft eintreten, ihre Mehrheiten verlieren. Das Problem ist also nicht, dass die Europäische Union die staatliche Förderung des Reaktorneubaus ge- nehmigt, sondern dass Großbritannien überhaupt einen Atomreaktor neu bauen und mit Steuergeldern subven- tionieren will. Die Genehmigung durch die EU-Kom- mission erfolgt nach Artikel 194 EUV: Danach hat die Europäische Union keinen Einfluss auf den Energiemix der einzelnen Mitgliedstaaten. Diese rechtliche Rege- lung ist in speziellen Einzelfällen extrem ärgerlich – manchmal aber auch die Rettung der Energiewende in Richtung solarbasierter nicht fossiler Energieversor- gung. Ich denke natürlich an das EEG in Deutschland. Das Energieeinspeisegesetz ist die Basis für eine ökolo- gische Energieversorgung in Deutschland. Würden wir durch eine Klage allerdings erreichen, dass künftig der Energiemix der Entscheidungskompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten entzogen würde – der deutsche Weg wäre extrem gefährdet. Denn Deutschland könnte erneu- erbare Energien durch das Erneuerbare-Energien-Ge- setz nicht „im Alleingang“ fördern – und die Wirtschaft- lichkeit der erneuerbaren Energien unter Beweis stellen. Geht Deutschland diese Möglichkeit verloren, gerät eine technologische Entwicklung in der Energieversor- gung – ohne Atomkraft, ohne fossile Energieträger – un- ter Druck und zukünftig notwendige Technologien wä- ren nicht verfügbar. Technologie und Technik, die genau dann gebraucht werden, wenn England oder Frankreich – hoffentlich ohne ein Fukushima – die Zukunftsfähig- keit der Sonne erkannt haben werden. So schrecklich es ist. Polen und Energie heißt Kohle bzw. Kohlendioxyd. England und Energie heißt Atom- strom und Radioaktivität. Deutschland und Energie heißt Solartechnik, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit. Wenn wir diese Entscheidungskompetenz der einzelnen Mit- gliedstaaten zur Disposition stellen, gefährden wir die ökologische Erneuerung Deutschlands – ohne in anderen Ländern bzw. ganz Europa Kohle- und Atomstrom zu- rückdrängen zu können. Das Ziel von Greenpeace Energy, der Atomausstieg, wird von der gesamten SPD-Fraktion geteilt und unter- stützt – die Klage gegen die Beihilfe anderer Länder ge- fährdet den Einstieg in alternative Technologien. Manchmal ist der Rechtsweg eben doch schlechter als gute Politik. Machen wir gute Politik in Europa. Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Hilde Mattheis (beide SPD) zu den namentli- chen Abstimmungen über die Beschlussempfeh- lung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- gie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) Wenn Deutschland nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission zur Genehmigung der Beihilfe für Hin- kley Point C klagt, ist darin keine Unterstützung von Atomenergie zu sehen. Genauso liegt in der Ablehnung entsprechender Bundestagsanträge keine Abwendung vom notwendigen Atomausstieg vor. Der Atomausstieg in Deutschland ist für uns unum- kehrbar. Mit der SPD setzen wir uns sowohl national als auch europäisch und international für den Ausstieg aus der Atomenergie, den Umstieg auf erneuerbare Energien sowie für mehr Energieeffizienz ein. Der europäische Atomausstieg ist insofern eine politische Aufgabe, die nicht über einen beihilferechtlichen Klageweg auf den EuGH abgewälzt werden kann und sollte. Im Einzelnen zu den genannten Bundestagsanträgen: Ende 2014 hat die EU-Kommission die nationalen Bei- hilfen, die die britische Regierung für Hinkley Point C vorsieht, genehmigt. Mit den genannten Anträgen wird Deutschland aufgefordert, gegen die Entscheidung der EU-Kommission beim EuGH zu klagen. Die von der britischen Regierung für Hinkley Point C vorgesehene Förderung ist unbestritten eine Beihilfe. Das EU-Beihilferecht gesteht der EU-Kommission über Artikel 107 AEUV weite Ermessensspielräume für die Genehmigung von Beihilfen zu. Die Beihilfegenehmi- gung der EU-Kommission ist nach Einschätzung der vonseiten der SPD im Rahmen der öffentlichen Anhö- rung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am 17. Juni 2015 benannten Sachverständigen nicht offen- kundig rechtsfehlerhaft. Diese Einschätzung wird auch von der Bundesregierung geteilt. Eine deutsche Klage gegen die Entscheidung der EU- Kommission erhielte insbesondere vor diesem Hinter- grund eine politische Dimension, zumal hiermit auf die britische Entscheidung über die Ausgestaltung ihres Energiemixes eingegangen wird. Nach Artikel 194 AEUV ist es das Recht der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix zu entscheiden. Deutschland hat bei der För- derung erneuerbarer Energien stets – zu Recht – die na- tionale energiepolitische Entscheidungskompetenz be- tont. Dieser Maßstab sollte auch für den Umgang mit den Energiepolitiken anderer Mitgliedstaaten gelten. Mit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11227 (A) (C) (D)(B) der Beihilfeentscheidung zu Hinkley Point C hat die EU- Kommission einen weiter gehenden Förderrahmen er- laubt, als sie etwa für erneuerbare Energien in den – für die Mitgliedstaaten nichtverbindlichen – Energie-Bei- hilfeleitlinien vorgesehen sind. Vor diesem Hintergrund und auch, weil sich die EU gemeinsam auf den Ausbau erneuerbarer Energien verständigt hat, muss zukünftig erst recht ein breiterer Handlungsspielraum bei der Ge- staltung von Fördersystemen für erneuerbare Energien möglich sein. Klar ist aber auch, dass es eine europäische Förderung für den Neubau von Atomkraftwerken aus öffentlichen Geldern nicht geben darf. In den Beratungen zum Euro- päischen Fonds für strategische Investitionen, EFSI, ha- ben sich zuerst Bundesminister Sigmar Gabriel und dann auch die gesamte Bundesregierung explizit gegen eine Aufnahme der Förderung von Kernkraftwerken ausge- sprochen. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie auch im Rahmen weiterer Diskussionen zu den Einzelbaustei- nen der Energieunion eine EU-Förderung oder gar einen europäischen Förderrahmen für Kernkraftwerke ent- schieden ablehnen wird. Aus diesen Gründen lehnen wir die oben angegebe- nen Anträge ab. Anlage 14 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- schaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) Heike Baehrens (SPD): Die Entscheidung der briti- schen Regierung zum Bau eines neuen Atomkraftwerks am Standort Hinkley Point sowie die Entscheidung der EU-Kommission, die Beihilfen für diesen Bau zu geneh- migen, senden ein falsches Signal aus. Aufgrund der Ge- fahr, die von Atomkraftwerken ausgeht, der nach wie vor ungelösten Entsorgungsfrage und der immens hohen Kosten hat die Atomenergie keine Zukunft mehr. Anstatt sich auf einen europaweiten Atomausstieg zuzubewe- gen, wird bei einer tatsächlichen Realisierung des Pro- jekts Hinkley Point C, welches für eine Laufzeit von 60 Jahren geplant wird, das Atomzeitalter in Europa um viele Jahre verlängert. Viele weitere Jahre, in denen die Menschen in Großbritannien und Europa der Gefahr ei- nes AKW-Unfalls ausgesetzt sind. Viele weitere Jahre, in denen zusätzlicher hochstrahlender Atommüll produ- ziert wird. Unflexible Großkraftwerke wie in Hinkley Point pas- sen auch nicht zur Systemumstellung auf eine Energie- produktion auf Basis erneuerbarer Energien. Der Volati- lität von zum Beispiel Wind- und Sonnenenergie muss mit flexiblen Kraftwerken begegnet werden. Statt den Systemumbau durch die Förderung zukunftsträchtiger Technologien zu unterstützen, müssen die britischen Stromkunden und Steuerzahler mit Milliardensummen eine Technologie fördern, die es in sechs Jahrzehnten nicht geschafft hat, ohne Subventionen so profitabel zu sein, dass sie sich frei am Markt finanzieren lässt. Wäh- rend die Vergütungssätze der erneuerbaren Energien de- gressiv sind, diese also immer günstiger werden, garan- tiert der sogenannte Contract for Difference den Betreibern von Hinkley Point C beispielsweise eine hö- here Vergütung als hierzulande aktuell Strom aus Wind- krafträdern. Dieser über 35 Jahre (!) garantierte Atom- strompreis ist aber nicht degressiv, sondern soll sich inflationsbedingt sogar noch erhöhen. Zudem gibt die britische Regierung dem Betreiberkonsortium eine Kre- ditgarantie über 22 Milliarden Euro und garantiert Aus- fallzahlungen, sollten sich durch politische Entscheidun- gen Rahmenbedingungen für die Atomenergieproduktion verschlechtern. Im Gegensatz zur Förderung der erneuerbaren Ener- gien richtet sich die geplante Unterstützung auch nicht an eine Vielzahl konkurrierender Anbieter, sondern an einen einzigen Betreiber. Diese einseitige Atomenergie- förderung wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach Nach- teile für Erneuerbare-Energien-Anbieter nicht nur in Großbritannien, sondern auch in anderen EU-Ländern haben, vor allem wenn die Stromtrassen zwischen Eng- land und Resteuropa ausgebaut werden. Schließlich kann der in Hinkley Point C produzierte Strom durch die hohe Förderung besonders günstig angeboten werden und sogar bei negativen Marktpreisen Gewinne erzielen. Zu bedenken ist weiterhin, dass andere EU-Länder, die den Bau von Atomkraftwerken planen oder in Erwä- gung ziehen, von der Entscheidung der EU-Kommission eher in ihrem Vorhaben bestärkt als abgeschreckt wer- den. Hinkley Point C kann so zum Präzedenzfall werden. Die beiden weiteren schon im Bau befindlichen AKW- Projekte in Finnland und Frankreich haben aufgrund der Vielzahl der Probleme – zum Beispiel beim Reaktor- druckbehälter im französischen Flamanvilley – der aus- ufernden Kosten und der sich immer weiter nach hinten verschiebenden Inbetriebnahme sicher keinen starken Anreizcharakter. Aufgrund der aufgeführten Argumente und meines langjährigen Engagements gegen Kernenergie bin ich ausdrücklich gegen den Reaktorneubau Hinkley Point C. Daher habe ich Verständnis für die Motivation, die hinter den Anträgen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen steht. Beide wollen damit versuchen, das Projekt doch noch zu verhindern. Allerdings muss an dieser Stelle auch gesagt werden, dass die heutige Ab- stimmung im Deutschen Bundestag nicht über die Reali- sierung oder Nichtrealisierung von Hinkley Point C ent- scheidet. Auch eine Entscheidung für eine Klage ändert nichts an dem Vorhaben. 11228 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Es ist auch nicht eindeutig klar, wie die Aussicht auf Erfolg bei einer Nichtigkeitsklage ist und welche Folgen eine solche Klage für das weitere Handeln der EU be- züglich der deutschen Erneuerbare-Energien-Förderung haben wird. Die Experten der Anhörung im Wirtschafts- ausschuss kamen hier nicht zu einer eindeutigen Mei- nung. Die Kommission hat bei Beihilferechtsfragen schließlich einen großen Ermessensspielraum. Eine Kla- geniederlage würde die Präzedenzwirkung der Kommis- sionsentscheidung noch weiter festigen. Viel wichtiger als den beihilferechtlichen Klageweg gegen ein AKW-Projekt anzustrengen, ist es, sich auf politischer Ebene innerhalb der EU gezielt für einen eu- ropäischen Atomausstieg zu engagieren, das heißt EU- Partner zu überzeugen, dass Atomenergie keine Zukunft hat. Aus diesen Gründen enthalte ich mich bei der Ab- stimmung. Marco Bülow (SPD): Die Entscheidung der briti- schen Regierung zum Bau eines neuen Atomkraftwerks am Standort Hinkley Point sowie die Entscheidung der EU-Kommission, die Beihilfen für diesen Bau zu geneh- migen, senden ein absolut falsches Signal aus. Aufgrund der immensen Gefahr, die von Atomkraftwerken aus- geht, aufgrund der nach wie vor ungelösten Entsor- gungsfrage und aufgrund der immens hohen Kosten hat die Atomenergie keine Zukunft mehr. Anstatt sich auf einen europaweiten Atomausstieg zuzubewegen, wird bei einer tatsächlichen Realisierung des Projekts Hinkley Point C, welches für eine Laufzeit von 60 Jahren geplant wird, das Atomzeitalter in Europa um viele Jahre verlän- gert. Viele weitere Jahre, in denen die Menschen in Großbritannien und Europa der Gefahr eines AKW- Unfalls ausgesetzt sind. Viele weitere Jahre, in denen zu- sätzlicher, hochstrahlender Atommüll produziert wird. Unflexible Großkraftwerke wie die Atomkraftwerke in Hinkley Point passen auch nicht zur Systemumstel- lung auf eine Energieproduktion auf Basis erneuerbarer Energien. Der Volatilität von zum Beispiel Wind- und Sonnenenergie muss mit flexiblen Kraftwerken begegnet werden. Statt den Systemumbau durch die Förderung zu- kunftsträchtiger Technologien zu unterstützen, müssen die britischen Stromkunden und Steuerzahler mit Milli- ardensummen eine Technologie fördern, die es in sechs Jahrzehnten nicht geschafft hat, ohne Subventionen so profitabel zu sein, dass sie sich frei am Markt finanzie- ren lässt. Während die Vergütungssätze der erneuerbaren Energien degressiv sind, diese also immer günstiger werden, garantiert der sogenannte Contract for Diffe- rence den Betreibern von Hinkley Point C beispielsweise eine höhere Vergütung als hierzulande aktuell Strom aus Windkrafträdern. Dieser über 35 Jahre garantierte Atom- strompreis ist aber nicht degressiv, sondern soll sich inflationsbedingt sogar noch erhöhen. Zudem gibt die britische Regierung dem Betreiberkonsortium eine Kreditgarantie über 22 Milliarden Euro und garantiert Ausfallzahlungen, sollten sich durch politische Entschei- dungen Rahmenbedingungen für die Atomenergiepro- duktion verschlechtern. Angesichts des offensichtlich nötigen gigantischen Ausmaßes des Förderpakets für eine solch alte Technologie kann man klar feststellen, dass hier kein Versagen des britischen Strommarkts vor- liegt, sondern ein Technologieversagen. Im Gegensatz zur Förderung der erneuerbaren Ener- gien richtet sich die geplante Unterstützung auch nicht an eine Vielzahl konkurrierender Anbieter, sondern an einen einzigen Betreiber. Diese einseitige Atomenergie- förderung wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach Nach- teile für Erneuerbare-Energien-Anbieter nicht nur in Großbritannien, sondern auch in anderen EU-Ländern haben, vor allem wenn die Stromtrassen zwischen England und Resteuropa ausgebaut werden. Schließlich kann der in Hinkley Point C produzierte Strom durch die hohe Förderung besonders günstig angeboten werden und sogar bei negativen Marktpreisen Gewinne erzielen. Zu bedenken ist weiterhin, dass andere EU-Länder, die den Bau von Atomkraftwerken planen oder in Erwä- gung ziehen, von der Entscheidung der EU-Kommission eher in ihrem Vorhaben bestärkt als abgeschreckt wer- den. Hinkley Point C kann so zum Präzedenzfall werden. Die beiden weiteren schon im Bau befindlichen AKW- Projekte in Finnland und Frankreich haben aufgrund der Vielzahl der Probleme – zum Beispiel beim Reaktor- druckbehälter im französischen Flamanville –, der explodierenden Kosten und der sich immer weiter nach hinten verschiebenden Inbetriebnahme sicher keinen starken Anreizcharakter. Aufgrund der aufgeführten Argumente und meines langjährigen Engagements gegen Atomenergie bin ich ein entschiedener Gegner des Reaktorneubaus Hinkley Point C. Aus meiner Sicht handelt es sich um eine fatale Entscheidung. Daher habe ich Verständnis für die Moti- vation, die hinter den Anträgen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen steht. Beide wollen damit versuchen, das Projekt doch noch zu verhindern. Ich kann daher nicht gegen diese Anträge bzw. für die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie stimmen. Allerdings muss an dieser Stelle auch gesagt werden, dass die heutige Abstimmung im Deut- schen Bundestag nicht über die Realisierung oder Nicht- realisierung von Hinkley Point C entscheidet. Auch eine Entscheidung für eine Klage ändert nichts an dem Vor- haben. Es ist auch nicht eindeutig klar, wie die Aussicht auf Erfolg bei einer Nichtigkeitsklage ist und welche Folgen eine solche Klage für das weitere Handeln der EU be- züglich der deutschen Erneuerbare-Energien-Förderung haben wird. Die Experten der Anhörung im Wirtschafts- ausschuss kamen hier nicht zu einer eindeutigen Meinung. Die Kommission hat bei Beihilferechtsfragen schließlich einen großen Ermessensspielraum. Eine Klageniederlage würde die Präzedenzwirkung der Kom- missionsentscheidung noch weiter festigen. Viel wichtiger als den beihilferechtlichen Klageweg gegen ein AKW-Projekt anzustrengen, ist es, sich auf politischer Ebene innerhalb der EU gezielt für einen europäischen Atomausstieg zu engagieren, das heißt EU-Partner zu überzeugen, dass Atomenergie keine Zu- kunft hat. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11229 (A) (C) (D)(B) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Atomenergie ist der falsche Weg. Subventionen dafür sind rückwärtsge- wandt. Ziel muss ein europäischer Ausstieg aus der Atomenergie sein. Die vorliegenden Anträge fordern aber aus meiner Sicht, gegen geltendes europäisches Recht zu klagen. Der Europäische Gerichtshof ist hierfür der falsche Adressat. Wenn wir gesetzliche Regelungen ändern wollen und müssen, dann ist die gesetzgebende Ebene gefragt, nicht die rechtsprechende Ebene. Ende 2014 hat die EU-Kommission die nationalen Beihilfen genehmigt, die die britische Regierung für Hinkley Point C vorsieht. Deutschland wird in den vor- liegenden Anträgen aufgefordert, gegen die Entschei- dung der EU-Kommission beim EuGH zu klagen. Die von der britischen Regierung für Hinkley Point C vorgesehene Förderung ist eine Beihilfe. Das EU-Beihil- ferecht gesteht der EU-Kommission über Artikel 107 AEUV weite Ermessensspielräume für die Genehmi- gung von Beihilfen zu. Die Beihilfegenehmigung der EU-Kommission ist nach Einschätzung der vonseiten der SPD im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am 17. Juni 2015 benannten Sachverständigen nicht offenkundig rechtsfehlerhaft. Diese Einschätzung wird auch von der Bundesregierung geteilt. Eine Klage gegen die Entscheidung wäre auch mit der Frage über die Ausgestaltung des Energiemixes der Mit- gliedstaaten verbunden. Nach Artikel 194 AEUV ist es das Recht der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix zu entscheiden. Deutschland hat bei der Förderung erneuer- barer Energien stets – zu Recht – die nationale energie- politische Entscheidungskompetenz betont. Dieser Maßstab sollte auch für den Umgang mit den Energie- politiken anderer Mitgliedstaaten gelten. Mit der Beihil- feentscheidung zu Hinkley Point C hat die EU-Kommis- sion einen weitergehenden Förderrahmen erlaubt, als sie etwa für erneuerbare Energien in den – für die Mitglied- staaten nicht verbindlichen – Energie-Beihilfeleitlinien vorgesehen sind. Vor diesem Hintergrund und auch, weil sich die EU gemeinsam auf den Ausbau erneuerbarer Energien verständigt hat, muss zukünftig erst recht ein breiterer Handlungsspielraum bei der Gestaltung von Fördersystemen für erneuerbare Energien möglich sein. Der Atomausstieg in Deutschland ist für mich unum- kehrbar. Mit der SPD setze ich mich sowohl national als auch europäisch und international für den Ausstieg aus der Atomenergie, den Umstieg auf erneuerbare Energien sowie für mehr Energieeffizienz ein. Eine europäische Förderung für den Neubau von Atomkraftwerken aus öf- fentlichen Geldern halte ich für falsch. In den Beratun- gen zum Europäischen Fonds für strategische Investitio- nen, EFSI, haben sich zuerst Bundesminister Sigmar Gabriel und dann auch die gesamte Bundesregierung ge- gen eine Aufnahme der Förderung von Kernkraftwerken ausgesprochen. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie auch im Rahmen weiterer Diskussionen zu den Einzel- bausteinen der Energieunion eine EU-Förderung oder gar einen europäischen Förderrahmen für Kernkraft- werke entschieden ablehnen wird. Der europäische Atomausstieg ist eine politische Aufgabe, die nicht über einen beihilferechtlichen Klageweg auf den EuGH abge- wälzt werden kann und sollte. Deswegen lehne ich die vorliegenden Anträge ab. Ulli Nissen (SPD): Der Atomausstieg in Deutsch- land ist für mich unumkehrbar. Mit der SPD setze ich mich sowohl national als auch europäisch und internatio- nal für den Ausstieg aus der Atomenergie, den Umstieg auf erneuerbare Energien sowie für mehr Energieeffi- zienz ein. Der europäische Atomausstieg ist insofern eine politische Aufgabe, die nicht über einen beihilfe- rechtlichen Klageweg auf den EuGH abgewälzt werden kann und sollte. Ich persönlich halte den Neubau des Atomkraftwer- kes am Standort Hinkley Point für eine falsche Entschei- dung und für ein falsches Signal. Atomenergie hat keine Zukunft mehr. Anstatt sich auf einen europaweiten Atomausstieg zuzubewegen, wird durch den Bau das Atomzeitalter um Jahrzehnte verlängert. Der Deutsche Bundestag entscheidet heute aber nicht über die Realisierung oder Nichtrealisierung von Hink- ley Point C. Auch eine Entscheidung für eine Klage, wie in diesen Anträgen gefordert, ändert nichts an dem Vor- haben der britischen Regierung. Die Beihilfen, um die es geht, trägt ausschließlich der britische Steuerzahler. Es ist auch nicht eindeutig klar, wie die Aussicht auf Erfolg bei einer Nichtigkeitsklage ist und welche Folgen eine solche Klage für das weitere Handeln der EU be- züglich der deutschen Erneuerbare-Energien-Förderung haben wird. Die Kommission hat bei Beihilferechtsfra- gen einen großen Ermessensspielraum. Eine Klagenie- derlage würde die Präzedenzwirkung der Kommissions- entscheidung noch weiter festigen. Wenn Deutschland nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission zur Genehmigung der Beihilfe für Hinkley Point C klagt, ist darin keine Unterstützung von Atomenergie zu sehen. Genauso liegt in der Ablehnung entsprechender Bundes- tagsanträge keine Abwendung vom notwendigen Atom- ausstieg vor. Deshalb stimme ich gegen die Anträge. Viel wichtiger als eine Klage gegen ein AKW-Projekt anzustrengen ist es, sich auf EU-Ebene gezielt für einen europäischen Atomausstieg zu engagieren, das heißt EU-Partner zu überzeugen, dass Atomenergie keine Zu- kunft hat. Zum Hintergrund der genannten Bundestagsanträge: Ende 2014 hat die EU-Kommission die nationalen Beihilfen, die die britische Regierung für Hinkley Point C vorsieht, genehmigt. Mit den genannten Anträ- gen wird Deutschland aufgefordert, gegen die Entschei- dung der EU-Kommission beim EuGH zu klagen. Die von der britischen Regierung für Hinkley Point C vorgesehene Förderung ist unbestritten eine Beihilfe. Das EU-Beihilferecht gesteht der EU-Kommission über Artikel 107 AEUV weite Ermessensspielräume für die Genehmigung von Beihilfen zu. Die Beihilfe-Genehmi- gung der EU-Kommission ist nach Einschätzung der vonseiten der SPD im Rahmen der öffentlichen Anhö- rung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am 11230 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) 17. Juni 2015 benannten Sachverständigen nicht offen- kundig rechtsfehlerhaft. Diese Einschätzung wird auch von der Bundesregierung geteilt. Eine Klage gegen die Entscheidung der EU-Kommis- sion erhielte insbesondere vor diesem Hintergrund eine politische Dimension, zumal hiermit auf die britische Entscheidung über die Ausgestaltung ihres Energiemi- xes eingegangen wird. Nach Artikel 194 AEUV ist es das Recht der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix zu entscheiden. Deutschland hat bei der Förderung erneuer- barer Energien stets – zu Recht – die nationale energie- politische Entscheidungskompetenz betont. Dieser Maßstab sollte auch für den Umgang mit den Energiepo- litiken anderer Mitgliedstaaten gelten. Mit der Beihilfe- entscheidung zu Hinkley Point C hat die EU-Kommis- sion einen weitergehenden Förderrahmen erlaubt, als sie etwa für erneuerbare Energien in den – für die Mitglied- staaten nicht verbindlichen – Energie-Beihilfeleitlinien vorgesehen sind. Vor diesem Hintergrund und auch, weil sich die EU gemeinsam auf den Ausbau erneuerbarer Energien verständigt hat, muss zukünftig erst recht ein breiterer Handlungsspielraum bei der Gestaltung von Fördersystemen für erneuerbare Energien möglich sein. Klar ist aber auch, dass es eine europäische Förderung für den Neubau von Atomkraftwerken aus öffentlichen Geldern nicht geben darf. In den Beratungen zum Euro- päischen Fonds für strategische Investitionen, EFSI, ha- ben sich zuerst Bundesminister Sigmar Gabriel und dann auch die gesamte Bundesregierung explizit gegen eine Aufnahme der Förderung von Kernkraftwerken ausge- sprochen. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie auch im Rahmen weiterer Diskussionen zu den Einzelbaustei- nen der Energie-Union eine EU-Förderung oder gar ei- nen europäischen Förderrahmen für Kernkraftwerke ent- schieden ablehnen wird. Aus diesen Gründen lehne ich die oben angegebenen Anträge ab. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Transparenzinitiative der Europäischen Kommission mitgestalten – Bewährte Standards im Handwerk und in den Freien Berufen erhalten (Tagesordnungspunkt 15) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Die Europäische Kommission hat 2011 einen Vorschlag zur Modernisie- rung der Richtlinie über die Anerkennung von Berufs- qualifikationen vorgelegt. Die Umsetzung in nationales Recht hat bis zum 18. Januar 2016 zu erfolgen. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen diesen Prozess im eigenen Interesse begleiten und natürlich auch die Bundesregierung in den entscheidenden Punkten unter- stützen. Grundsätzlich ist die Absicht der Kommission zu be- grüßen, den Binnenmarkt zu stärken und die Mobilität der Arbeitnehmer zu erleichtern. Aus deutscher Sicht ist gleichzeitig hervorzuheben, dass nur eine gute Qualität der Dienstleistungen den Binnenmarkt und die Innova- tionsstärke Europas wirklich unterstützen kann. Hierbei ist der Verbraucherschutz für den Bürger das entschei- dende Kriterium für die Akzeptanz europäischer Rege- lungen bei den Bürgern. Bei der Erarbeitung des Antrags ist mir sehr bewusst geworden, dass es die zentrale Herausforderung sein wird, das richtige Verhältnis zwischen der Regulierung und Harmonisierung der Märkte zu finden. In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, dass die anerkannt hohe Qualität der deutschen Produkte und Dienstleistun- gen erhalten bleibt. Genau aus diesen Gründen wollen und müssen wir mit Augenmaß den Leistungs- und Qua- litätswettbewerb im deutschen Mittelstand fördern. Nicht nur laut Statistik haben die Freien Berufe eine wichtige ökonomische Bedeutung, die sich auch anhand aktueller Zahlen 2015 weiterhin positiv darstellt: ein Zu- wachs von knapp 3,5 Prozent bei den Selbstständigen; knapp 4,8 Millionen Menschen sind als Selbstständige oder Beschäftigte tätig, darunter – und das ist ein neuer Höchststand – 122 000 Auszubildende; ein erwirtschaf- teter Jahresumsatz von rund 381 Milliarden Euro. Aber Freiberufler sind mehr als Kennziffern. Sie ste- hen als Ärzte, Hebammen, Psychologen, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Ingenieure, Architekten, Journalis- ten, Wissenschaftler und viele weitere Berufssparten für eine Kultur von Unternehmertum, gesellschaftlicher Verantwortung und Leistungsbereitschaft. Vor allem aber sind ihre Dienstleistungen und Produkte ein bei- spielhafter Ausdruck des hohen Standards „Made in Germany“. Damit tragen sie wesentlich zur Wirtschafts- kraft in Deutschland und auch in Europa bei. Niemand in der Union, aber auch bei den freien Beru- fen selbst verschließt sich einer vernünftigen Moderni- sierung, wenn sie das Gemeinwohl im Blick behält. Des- halb müssen wir auch darauf achten, dass nicht an sensiblen Stellen die Weichen falsch gestellt werden. Be- währte Standards im Handwerk und in den Freien Beru- fen müssen in einem zukunftsfesten europäischen Bin- nenmarkt erhalten bleiben. In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, dass wir als nationales Parlament immer wieder betonen, dass die Frage der Reglementierung der Berufe eine au- tonome Entscheidung der Mitgliedstaaten ist. Wenn also in Brüssel Deregulierungspotenziale identifiziert wer- den, gilt es aufzupassen. Unser Credo dabei ist, dass wir auf ein nachhaltiges Wachstum hinwirken und Chancen in einem Wettbewerb um die beste Qualität nutzen. Kon- sequenterweise muss also der Spagat zwischen Förde- rung eines Leistungswettbewerbs auf der einen und Er- halt von Standards auf der anderen Seite bewältigt und hier ein Weg gefunden werden. Besonders relevant für Deutschland ist auch das Thema Fachkräftemangel, unter anderem hervorgerufen durch die demografische Entwicklung. Daher erhält die Mobilität von EU-Bürgern eine besonders starke Bedeu- tung, weil nur so die Bürger ihre Qualifikationschancen gut nutzen können. Für Deutschland ist diese Art von Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11231 (A) (C) (D)(B) Mobilität zentral, weil wir so den Fachkräftemangel et- was kompensieren können. Es darf aber keineswegs ver- gessen werden, dass Deutschland ausgezeichnete Struk- turen der beruflichen Bildung hat. Der Berufszugang – an die Qualifikation gebunden – und die handwerkli- che Ausbildung sind Vorbilder in der EU. Damit möchte ich abschließend den Fokus auf einen – mir sehr wichtigen – Qualitätsstandard lenken: Deutschland hat ausgezeichnete Strukturen in der be- ruflichen Bildung. Der Berufszugang, der bei uns an die Qualifikation und an die handwerkliche Ausbildung ge- bunden ist, ist vorbildlich in der EU. Deshalb müssen wir diese positiven Aspekte betonen, und sie müssen auch mit entsprechenden statistischen Zahlen belegt werden. In diesem Kontext ist zum Beispiel auch die OECD- Studie „Skills Outlook 2015“ zu nennen, die belegt, dass der Anteil 15- bis 29-Jähriger mit höherem Schulab- schluss, die weder in Beschäftigung noch in Ausbildung sind, in Deutschland mit 5,7 Prozent so gering wie in kaum einem anderen OECD-Land ist. Mit unserem Koalitionsantrag und dieser heutigen Diskussion soll verdeutlicht werden, dass die laufende Evaluierung in der EU auf eine Vergleichbarkeit der Be- rufszugangs- und Berufsübergangsreglementierungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten hinauslaufen wird. Es ist unsere zentrale Aufgabe in diesem Prozess, Qualitäts- standards als strukturellen Wettbewerbsvorteil zu begrei- fen und zu bewahren. In diesem Sinne werde ich mich auch in Zukunft für einen selbstbewussten und selbstständigen Mittelstand in Deutschland und in Europa einsetzen. Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Die Freien Berufe und das Handwerk leisten wichtige Beiträge für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft. Sie stehen mit ihrer großen Breite und Vielfalt beruflicher Tätigkeiten für eine Kultur von Unternehmertum und Leistungsbereit- schaft, für Innovation und Wachstum sowie für Arbeits- und Ausbildungsplätze. Allen voran stehen sie jedoch für unsere hohen Qualitätsstandards „Made in Germany“ und sind dadurch zentraler Bestandteil für die Wohlfahrt unseres Landes. Darüber hinaus übernehmen die Freien Berufe und das Handwerk auch eine besondere gesellschaftliche Verantwortung, etwa als Ärzte und Rechtsanwälte oder Ingenieure und Architekten sowie bei handwerklichen Berufen, die es zu bewahren gilt. Durch die hohen Qua- litätsanforderungen schaffen sie das notwendige Ver- trauen für die Verbraucher und sorgen für Sicherheit und Entlastung bei wirtschaftlichen Gefahren. Sie stellen da- mit in besonderer Weise die Ideale des selbstständigen Mittelstands dar. Um diese Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolgs – die Qualität – auch weiterhin auf einem hohen Niveau halten zu können, benötigen die Freien Berufe und das Handwerk qualifiziertes Personal. Sie sind nach der In- dustrie der größte Ausbildungs- und Arbeitgeberbereich und gelten dadurch als tragende Säule unseres Ausbil- dungssystems. Damit wirken die Freien Berufe und das Handwerk maßgeblich an einer geringeren Jugendar- beitslosigkeit sowie einem hohen Bildungsniveau in Deutschland mit. Diese Qualität kann jedoch nur gewährleistet werden, wenn wir die Reglementierung unseres Berufszugangs weiterhin aufrechterhalten. Hierzu zählt auch, das be- währte Instrument der Selbstverwaltung und der Kam- mern zu schützen. Die Ausübung bestimmter besonders verantwortungsvoller und gefahrengeneigter Tätigkei- ten darf nur unter dem Vorbehalt einer fachspezifischen Qualifikation erfolgen. Nicht umsonst gilt das deutsche marktkonforme Regelungssystem als eines der wesentli- chen Grundlagen für unsere überdurchschnittlich gute Wirtschafts- und Beschäftigungslage. Dies bestätigt auch die von der Kommission in Auf- trag gegebene Studie des CSES (Centre for Strategy & Evalution Services): Der Abbau der Berufsreglementie- rung führt nicht zu mehr Wachstum und Beschäftigung. Ganz im Gegenteil, Zulassungsstrukturen können sogar eine positive ökonomische Wirkung hervorrufen. Damit wird die Richtigkeit des Regulierungsansatzes bestätigt. Wir unterstützen, ebenso wie der Bundesrat, eine Evaluierung der Zugangsstrukturen der reglementierten Berufe in der EU und werden diesen Prozess aktiv be- gleiten. Zugleich weisen wir jedoch auch darauf hin, dass – und das betone ich – eine Überprüfung nicht mit Maßnahmen wie einer Deregulierung des Berufszugangs einherzugehen hat. Die Kompetenz zum Erlass von Re- gelungen über den Berufszugang muss bei den einzelnen Mitgliedstaaten selbst liegen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unser System gänzlich infrage gestellt wird. Deshalb begrüße ich es sehr, dass die deutsche Regie- rung in ihrem Schreiben vom 10. März 2015 unsere Positionen unterstreicht. Sie weist zu Recht darauf hin, dass verbindliche Vergütungssätze für Architekten und Ingenieure die hohe Qualität der Dienstleistungen si- chern und zudem auch dem Schutz der Dienstleistungs- empfänger und Verbraucher und damit letztendlich auch dem Gemeinwohl dienen. Diese Aspekte zeigen damit auch deutlich, dass die HOAI einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses – allem voran den Schutz der Verbraucher – darstellt und damit eindeutig die Bedin- gungen des Artikels 15 Absatz 3 b der Dienstleistungs- richtlinie erfüllt. Denken Sie einmal an Ihre Kinder, die in den Kinder- garten oder die Grundschule gehen. Gerade hier sind präzise ausgearbeitete Planungen und qualitativ hoch- wertig ausgeführte Bau- und Ingenieursleistungen von zentraler Bedeutung. Daher sehe ich es als unsere Auf- gabe und Pflicht an, dass diese Qualität und dieser Schutz der Verbraucher gewahrt und entsprechend hono- riert werden müssen. Die Weiterentwicklung unserer Märkte ist ein wichti- ges Gut für die europäische Wirtschaft; sie darf jedoch nicht auf Kosten unserer wertvollen Standards und unse- rer Qualität gehen. „Made in Germany“ ist nicht ohne Grund in der Welt hochbeliebt. Und Deutschland hat 11232 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) nicht ohne Grund aktuell den größten Exportüberschuss auf der Welt. Deshalb muss es auch weiterhin unser Ziel sein, die Freien Berufe und das Handwerk zu unterstützen und die entsprechenden Rahmenbedingungen für unsere hohen Qualitätsstandards zu bewahren. Unser erfolgreicher Mittelstand ist der Wachstumsmotor unserer Marktwirt- schaft. Um dies weiterhin gewährleisten zu können, ist ein wesentlicher Aspekt die Aufrechterhaltung unserer Berufszugangsstruktur. Sabine Poschmann (SPD): Das Thema, über das wir heute reden, ist uns bestens vertraut: Erst vor weni- gen Monaten, im Dezember, haben wir uns an gleicher Stelle mit guten Argumenten für den Erhalt des Meister- briefes im Handwerk starkgemacht. Wir haben deutlich werden lassen, dass wir die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit der EU-Kommission zur Bewertung nationaler Reglementierungen für den Berufszugang un- terstützen. Daran hat sich nichts geändert. Ja, wir möchten vergleichen, welche Berufe in den einzelnen Mitgliedstaaten wie stark reglementiert sind. Ja, wir möchten, dass Hemmnisse so weit wie möglich abgebaut und ausländische Fachkräfte ermuntert wer- den, nach Deutschland zu kommen. Das alles liegt in unserem eigenen Interesse. Was wir allerdings nicht möchten, ist, dass unsere hohen und bewährten Quali- tätsstandards durch neue Regeln aufgeweicht werden und in eine Abwärtsspirale geraten. Das gilt sowohl für das Handwerk als auch für die freien Berufe. Deshalb haben wir heute unseren Antrag vorgelegt. Die EU-Kommission bemängelt, die Freien Berufe in Deutschland seien zu stark reguliert. Konkret geht es um die Honorar- und Gebührenordnungen für Steuerberater, Architekten und Ingenieure. Sie behindern angeblich das Wirtschaftswachstum und würden auslän- dischen Dienstleistern den Zutritt zum deutschen Markt erschweren. Ich glaube, dass die Bundesregierung bei ihren Ver- handlungen viele gute Argumente hat, am bewährten System festzuhalten. Denn es ist richtig und gerechtfer- tigt. Es geht nicht darum, Pfründe für einzelne Berufs- stände zu sichern. Es geht darum, Rechtssicherheit und Transparenz herzustellen, ruinösen Preiswettbewerb zu verhindern und Verbraucher zu schützen. Das dient sowohl dem Freiberufler als auch seinem Kunden. Beiden Seiten bietet die Gebührenordnung eine gute und zuverlässige Orientierung, die zeigt, welchen Wert die Arbeit des Steuerberaters oder des Architekten hat. Ich möchte nicht erleben, wie eine ungeübte Häusle- bauerfamilie mit einem versierten Architekturbüro frei- händig um Preise feilschen muss. Ebenso wenig möchte ich erleben, wie sich ein junger Steuerberater oder Ar- chitekt dem Preisdiktat von Großkunden beugen muss. Damit würde ein Verdrängungswettbewerb in Gang ge- setzt, der große Zusammenschlüsse provoziert. Der ge- wachsenen Landschaft aus kleinteiligen Büros und Pra- xen mit wohnortnaher Versorgung aber fügt er massiven Schaden zu. Wir wollen genau das Gegenteil. Wir wollen Exis- tenzgründungen und Selbstständigkeit fördern. Mit un- serem Antrag machen wir deutlich, welchen Stellenwert ein qualitätsvolles, freiberufliches Engagement in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft hat. Die Selbst- verwaltung der Freien Berufe funktioniert. Es gibt auch keine Rechtsunsicherheit: Dass die HOAI, die Honorar- ordnung für Architekten und Ingenieure, mit EU-Recht vereinbar ist, haben uns bereits 2013 mehrere Gutachten bestätigt. Der Europäische Gerichtshof ist in eine ähnli- che Richtung gegangen. Die SPD wird sich Harmonisierungen zwischen den EU-Staaten nicht verschließen. Aber die Angleichungen müssen notwendig und sinnvoll sein. Und sie müssen dem Gemeinwohl dienen. Leider ist das nicht immer der Fall – ebenso wenig wie die Annahme richtig ist, dass eine Liberalisierung per se nachhaltiges Wachstum auslöst. Zwar hat die Auf- hebung der Meisterpflicht in vielen Handwerksberufen dazu geführt, dass sich die Zahl der zulassungsfreien Be- triebe fast um das Dreifache erhöht hat, auf 232 000. Die Kehrseite des Gründerbooms haben wir aber auch aus- führlich beleuchtet: viele Soloselbstständige mit gerin- ger Wettbewerbsfähigkeit, wenig Personal, kaum Auszu- bildende. Damit ist niemandem gedient. Wir sehen auch keinen Bedarf, Anwalts- und Steuer- beratungskanzleien für Finanzinvestoren, Banken oder Supermarktketten wie in England zu öffnen. Ich möchte mich als Mandant keinem Anwalt anvertrauen, von dem ich nicht weiß, ob er meine Interessen vertritt oder viel- leicht doch die Renditeabsichten seines Mitinhabers. Ich möchte keinem Steuerberater gegenübersitzen, bei dem ich fürchten muss, dass meine vertraulichen Daten auch für seinen Geldgeber von Nutzen sein könnten. Es gibt gute Gründe für das Verbot der Fremdkapital- beteiligung in Deutschland. Wer dieses Verbot aufhebt, legt die Axt an das Vertrauensverhältnis zwischen Man- dant und Anwalt. Mehr noch: Er erschüttert das Ver- trauen in unseren Rechtsstaat – nämlich dann, wenn auch nur der Anschein entsteht, dass die Durchsetzung der Ansprüche eines Mandanten durch einen Konflikt mit dem Investor berührt wird. Rechtsrat darf keinem wirtschaftlichen Diktat unterliegen und zu einer Ware verkommen! Es gibt in Deutschland rund 1,2 Millionen selbststän- dige Freiberufler. Sie beschäftigen 3,3 Millionen Mitar- beiter und erwirtschaften 10,1 Prozent des Bruttoinlands- produkts. Wir alle wissen, dass wir uns künftig noch stärker in Richtung Dienstleistungsgesellschaft orientie- ren werden. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese vielen Selbstständigen ihre Produkte und Leistungen auch weiterhin sach- und fachgerecht und in hoher Qualität erstellen können. Denn sie dienen dem Gemeinwohl. Klaus Ernst (DIE LINKE): Um was geht es in die- sem Antrag der Großen Koalition? Die EU-Kommission will mit Blick auf einen einheitlichen europäischen Bin- nenmarkt die regulierten Berufe unter die Lupe nehmen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11233 (A) (C) (D)(B) Sollte ein Mitgliedstaat eine unverhältnismäßige Regu- lierung beibehalten wollen, droht die Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Union und SPD machen sich deshalb Sorgen um den qualifikations- gebundenen Berufszugang und die handwerkliche Aus- bildung. Das Bekenntnis der Bundesregierung zum bewährten dualen Ausbildungssystem und zu guter Qualifikation ist begrüßenswert. Doch leider scheint sich die Bundesre- gierung bei der Handwerkspolitik darauf zu beschränken, alle halbe Jahre einen Schaufensterantrag ins Plenum ein- zubringen. Das ist zu wenig. Eine viel differenziertere Betrachtung ist notwendig. Denn: Die beste Art, das Handwerk zu schützen, wäre es, bestehende Probleme anzuerkennen und die sich daraus ergebenden Aufgaben anzugehen. Ihre Schaufensteranträge können nicht davon ablen- ken, dass Sie sich erstens seit Jahren weigern, die Hand- werksnovelle von 2004 zu evaluieren. Zweitens reagie- ren Sie nicht auf die immer lauter werdende Kritik an den Handwerkskammern und an der Pflichtmitglied- schaft. Zunächst zur Handwerksnovelle. Kern der damaligen Gesetzesänderungen war es, die Meisterpflicht als Voraussetzung zur selbstständigen Berufsausübung in 53 Gewerken aufzuheben. Das war über die Hälfte der Gewerke. Für diese Bereiche ist nun nicht einmal mehr ein Gesellenbrief notwendig. So braucht heute ein Maler und Lackierer einen Meisterbrief, ein Fliesenleger nicht. Ein Feinwerkmechaniker muss Meister sein, ein Uhrma- cher nicht. Damals forderte die Union in einem Antrag: „... ist für alle Berufe im ersten Abschnitt der Anlage B sowohl die Gesellenprüfung als auch der Leistungsnach- weis ausreichender Ausbilderqualitäten zur Existenz- gründung obligatorisch festzuschreiben“. Sie forderten auch eine Revisionsklausel. Alle sieben Jahre sollte die geltende Liste der Meisterberufe überprüft werden. Nichts davon ist passiert. Nun ähnelt das Ziel der EU-Kommission heute dem Ziel von Rot-Grün damals. Es geht um mehr Wachstum und um mehr Beschäftigung durch Liberalisierung. Was jedoch genau die Ergebnisse der Liberalisierung damals waren, wissen wir nicht. Eine Studie des Volkswirt- schaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen zeigt aber, dass sich weit mehr meisterpflichtige Betriebe fünf Jahre nach Gründung er- folgreich am Markt behauptet haben als zulassungsfreie Betriebe. Im nicht mehr meisterpflichtigen Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerhandwerk sank die Zahl der Gesellen- prüfungen von 1 665 im Jahr 2003 auf 658 im Jahr 2010. Im gleichen Zeitraum gingen die Meisterprüfungen von 557 auf 84 zurück. In anderen Bereichen wiederum mag der Meistervor- behalt gemessen an den beiden Kriterien Gefahrenge- neigtheit und Ausbildungsleistung weniger sinnvoll sein. Oder möglicherweise werden die Ausnahmeregelungen nicht so großzügig angewandt, wie es das Bundesverfas- sungsgericht aufgrund des Eingriffs in die Freiheit der Berufswahl anmahnte. Für all diese offenen Fragen bräuchte es endlich eine gründliche Evaluierung. Nun zum zweiten Punkt: der Selbstverwaltung im Handwerk. Seit Inkrafttreten der Handwerksordnung 1953 fanden in den 53 Handwerkskammern bis auf drei Ausnahmen keine wirklichen Wahlen statt, da es keine konkurrierenden Listen gab. Das ist zugegebenermaßen der Stand von 2012, es dürfte sich jedoch nicht viel geändert haben. Dies steht im Widerspruch zum in der Wahlordnung benannten Regelfall, der von der Zulas- sung von mehreren Wahlvorschlägen und der Durchfüh- rung einer Briefwahl ausgeht. Anstatt sich hier Gedanken zu machen, wie mit dem Problem der nicht stattfindenden Wahlen zur Vollver- sammlung umzugehen ist, sprechen Sie von einer durch die Wahl der Kammervorstände demokratisch legiti- mierten Selbstverwaltung. Das ist peinlich! Gerade durch die Pflichtmitgliedschaft sollten die Handwerkskammern in besonderem Maße demokrati- schen Prinzipien genügen und transparent organisiert sein. Doch es gibt kaum Veröffentlichungspflichten. Und die Beitragsgestaltung sowie der Betätigungsumfang der Kammern sind für viele Pflichtmitglieder nicht nachvoll- ziehbar. Sie als Gesetzgeber sind in der Pflicht, das anzu- gehen. Auch hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss zum Thema Pflichtmitglied- schaft vom Dezember 2001 geschrieben, dass der Ge- setzgeber verpflichtet ist, regelmäßig zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für den Grundrechtseingriff noch vorliegen. Tatsächlich ist dies aber seit 1998 nicht mehr passiert. Zur Rechtfertigung wird allerdings von Kam- mern und Gerichten auf eine vermeintliche „inzidente“ bzw. „konkludente“ Bestätigung durch den Bundestag verwiesen. Das heißt, wenn der Bundestag sich gegen die Pflichtmitgliedschaft hätte aussprechen wollen, hätte er das im Rahmen mit der Beschäftigung mit anderen Anträgen zu den Kammern ja tun können. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit dieser Antrag wie- derum Grundlage für diese angebliche konkludente Be- stätigung sein soll. Ist das der Fall, kann ich nur sagen: Diese impliziten Wege sind ein Unding! Wir brauchen eine echte Überprüfung, ob die Voraussetzungen für den Grundrechtseingriff noch vorliegen. Genauso brauchen wir eine echte Überprüfung der Handwerksnovelle. Zum Schluss möchte ich noch die Erkenntnis der Bundesregierung hervorheben, dass eine „Deregulierung im Handwerk ... nicht zu nachhaltig mehr Wachstum und Beschäftigung“ führt. Ich empfehle Ihnen, diese Er- kenntnis auch auf andere Felder anzuwenden – etwa auf die geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie legen uns hier mal wieder einen Antrag mit dem Credo, es möge alles so bleiben, wie es ist, vor. Für die Große Koalition ist das im Prinzip keine Überra- schung. Allerdings ist es wie so oft: Offenkundige Pro- bleme werden nicht angepackt, sondern schlicht negiert. 11234 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Dass Sie sich an einigen Stellen beim Forderungstext wieder einmal fast eins zu eins an einschlägige Bran- chenzuschriften gehalten haben, ist auch nichts Neues und spricht nach wie vor nicht für Sie und Ihre wirt- schaftspolitische Kompetenz. Ich hatte es bereits in einer früheren Debatte zum Handwerk gesagt: Einfach Kon- zepte aus den Interessenverbänden zu übernehmen, springt zu kurz. Ich sage ganz ausdrücklich: Ja, eine gute und an- spruchsvolle Regulierung von Berufen und Berufsquali- fikationen ist wichtig – für die Qualität erbrachter Leis- tungen und damit auch für den Verbraucherschutz. Aber anders als die Koalition sehe ich durchaus Baustellen, gerade in Bezug auf die Regulierung der im Antrag an- gesprochenen Berufsgruppen: Nehmen Sie den Teilbereich der Freien Berufe. Steu- erberater haben das Recht, Umsatzsteuervoranmeldun- gen für ihre Mandanten zu erstellen und abzugeben. Die- ses Recht haben selbstständige Bilanzbuchhalterinnen und Bilanzbuchhalter nicht. Sie dürfen zwar die Um- sätze in ein Programm buchen, und dieses Programm errechnet dann automatisch die Umsatzsteuervoranmel- dung, aber auf den Knopf zum Abschicken der Voran- meldung an das Finanzamt dürfen die Buchhalter nicht drücken. Diese völlig praxisferne Regelung ist nichts weiter als eine Reglementierung zum Schutz einer Be- rufsgruppe vor Wettbewerb. Und sie bedeutet einen un- nötigen Verwaltungsvorgang, das heißt unnötige Büro- kratie. Weil diese Regelung durch die Digitalisierung schlicht lebensfremd und überholt ist, sehen wir Verbes- serungsbedarf im Sinne eines stärkeren Wettbewerbs, von dem dann auch und gerade die auftraggebenden Un- ternehmen profitieren werden. Nehmen Sie das Handwerk. Zu Recht loben Sie die duale Ausbildung und ihren Beitrag zur guten wirt- schaftlichen Entwicklung in der BRD. Aber dennoch bin ich der Auffassung, dass wir an der Handwerksordnung durchaus feilen können, um eben nicht durch teilweise praxisferne und wettbewerbsfeindliche Regulierung eine noch bessere Entwicklung hin zu mehr Innovationen zu verhindern. Kürzlich musste ein Gericht in Lübeck feststellen, dass eine Tortendesignerin eben keine Handwerkerin ist und deswegen auch keinen Meisterbrief braucht. Treiber der Klage waren unter anderem die örtliche Verwaltung und auch die örtliche Kammer. Damit solche ärgerlichen Vorgänge nicht immer wieder auftreten, kann man zum Beispiel das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz ändern und schlicht den Punkt streichen, wo es um unerlaubte Handwerksausübung geht. Das Handwerksrecht reicht aus, um Zugang und Qualifikation zu den Handwerksbe- rufen zu reglementieren; wir brauchen hier kein Netz und doppelten Boden. Auch sollte man sich einmal an- schauen, ob die Einhaltung der Handwerksordnung nicht einer objektiveren Prüfung unterzogen werden muss, als es jetzt in zum Teil eigeninteressengeleiteter Verantwor- tung geregelt ist. Auch moderne Handwerksleistungen, wie etwa die Installation einer Photovoltaikanlage, finden oft im Graubereich der Handwerksordnung statt, weil rein for- mal verschiedene Handwerksleistungen wie Dachdecke- rei, Elektroinstallation oder weitere als Anforderung an diese Dienstleistung gestellt werden. Die Verschränkung der Gewerke erfordert eine Neuregelung dieser überlap- penden Verantwortungen. Wir brauchen dringend einen Streitbeilegungsmechanismus zwischen den Gewerken, denn die fehlende Abstimmung führt am Ende zu Quali- tätsverlusten der Handwerksleistung und schadet damit dem gesamten Handwerk. An dieser Stelle müssen mehr Klarheit und Rechtssicherheit geschaffen werden. Dies waren nur wenige Beispiele. Sie zeigen: Man muss sich mit neuen Entwicklungen auseinandersetzen und nicht den Stillstand als Fortschritt preisen. Die EU-Kommission hat mittlerweile den ersten Schritt ei- nes Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland eingeleitet, weil sie die Honorarordnung in bestimmten Freien Berufen für EU-rechtswidrig hält. Ich finde in Ih- rem Antrag keine Antwort auf diese Entwicklung. Wir brauchen auch Antworten auf die Frage, wie wir die Dienstleistungsfreiheit in der EU als eine der vier Grundfreiheiten so ausgestalten, dass nationale Stan- dards hoch bleiben und gleichzeitig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb der EU mobiler werden. Wir haben das Problem, dass Inländer teilweise schwie- riger Dienstleistungen erbringen können als Wettbewer- ber aus der EU. Auch hier brauchen wir dringend um- setzbare Lösungen. Es reicht nicht aus, mit schönen Worten den Status quo zu preisen. Als Regierungsfraktion haben Sie die Verantwortung, Antworten auf die wirtschaftspolitischen Fragen des Landes zu erarbeiten. Weil dem aber nicht so ist, können wir Ihrem Antrag einfach nicht folgen; dazu ist er schlicht zu dünn, und wir werden uns enthalten. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Jemen – Militärische Intervention stoppen – Neue Friedensverhand- lungen beginnen (Tagesordnungspunkt 14) Niels Annen (SPD): Die Lage im Jemen ist drama- tisch. Das ärmste Land der arabischen Halbinsel wird seit mehr als 15 Jahren durch Gewalt und Bürgerkrieg erschüttert. Der Krieg im Jemen steht sinnbildlich für ein weiteres Versagen der Politik in der gesamten Region. Von dem kurzen Arabischen Frühling im Jahr 2011/2012, der mit dem Sturz des Langzeitherrschers Saleh endete, ist nichts mehr übrig geblieben. Auf der einen Seite gibt es den innerjemenitischen Machtkampf zwischen dem Norden mit den Huthi-Re- bellen und dem Süden des Landes sowie den Anhängern des Anfang des Jahres ins Exil geflohenen international anerkannten Präsidenten Hadi – der auch nach unserer Auffassung weiterhin der legitime Präsident bleibt – und dem vormaligen Präsidenten Saleh, der nun seine Chance zur Rückkehr sieht. Auf der anderen Seite sind Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11235 (A) (C) (D)(B) die alten Bündnisse und Frontstellungen inzwischen gänzlich überholt. Die neue Gemengelage im Jemen ist reichlich verwirrend: Da kämpft der gestürzte Präsident Saleh mit Teilen der ihm loyal ergebenen Armee an der Seite der Huthis, obwohl er in seiner Zeit der mehr als 30-jährigen Herr- schaft mindestens sechs Kriege gegen sie geführt hat. Gleichzeitig flüchtete sich Präsident Hadi in die Arme der Saudis, die jetzt eine neue Rolle angenommen ha- ben: Sie sind nicht länger die Finanziers, die die Geschi- cke des Landes entscheidend lenken. Sie intervenieren direkt an der Spitze einer aus zehn arabischen Ländern bestehenden Koalition, die mit militärischen Mitteln ver- sucht, den Vormarsch der Huthi-Saleh-Koalition zu stop- pen und Präsident Hadi wieder in sein Amt einzusetzen. Daneben mischen der jemenitische Arm von al-Qaida und andere dschihadistische Gruppen als „dritte Partei“ im Bürgerkrieg mit. Wurden diese in der Vergangenheit noch von Huthis und dem jemenitischen Sicherheitsap- parat gemeinsam bekämpft, so nutzen al-Qaida und Konsorten das jetzt entstandene Machtvakuum und brei- ten sich weiter im Land aus. Eine zusätzliche Destabili- sierung des Jemen und der gesamten arabischen Halbin- sel bedroht nun mehr denn je die Region. Inzwischen muss man im Jemen von einem maßgeb- lich durch Saudi-Arabien geführten Interventionskrieg sprechen. Ein Krieg, der die innere Auseinandersetzung im Jemen weiter verschärft und das Land noch weiter in Anarchie und Chaos stürzt. Das neue saudische Königshaus glaubt offenbar, mit seinem schonungslosen Luftkrieg die Huthis und ihren Verbündeten, Expräsident Saleh, in die Knie zwingen zu können. Nach wochenlangem Bombardement muss man nüch- tern feststellen: Die Strategie hat erkennbar nicht funk- tioniert. Stattdessen wurden in den vergangenen drei Monaten nicht nur militärische Ziele angegriffen. Immer wieder werden auch zivile Ziele mit zahlreichen Opfern bombardiert. Dass dabei wichtige Kulturschätze des Je- men wie Teile der Altstadt Sanaa unwiederbringlich zer- stört werden, ist nicht hinnehmbar. Die humanitäre Lage im Jemen ist katastrophal. Von den rund 24 Millionen Jemeniten sind 80 Prozent auf hu- manitäre Hilfe angewiesen. 10 Prozent der Bevölkerung gelten als mangelernährt. Aktuell wird der humanitäre Zugang zum Jemen zudem durch die See- und Luftblockade der Militäralli- anz massiv eingeschränkt. Gleichzeitig stehen die von Saudi-Arabien angekündigten Mittel in Höhe von 274 Millionen US-Dollar für humanitäre Hilfe weiterhin aus. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit Be- ginn der Luftangriffe 2 800 Todesopfer und rund 13 000 Verwundete zu beklagen. Die UN geht zudem von 1 Million Binnenflüchtlin- gen im Land aus. Zehntausende Jemeniten sind über den Seeweg zum Beispiel nach Dschibuti und Somalia ge- flüchtet. Das muss man sich einmal vorstellen: eine Flucht vom Krieg im Jemen in den „failed state“ Soma- lia! Während die Huthis vom Iran unterstützt werden, wird die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition lo- gistisch und nachrichtendienstlich insbesondere von den USA unterstützt. Doch trotz dieser Unterstützung sowie der Luftangriffe und der Blockade gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass in absehbarer Zukunft ein militä- rischer Sieg einer der beiden Seiten errungen werden könnte. Der Vormarsch der Huthi-Saleh-Einheiten in den Süden des Landes konnte weiterhin nicht gestoppt werden. Welche Strategie verfolgen die Saudis im Jemen? Selbst Militärexperten sind ratlos: Offenbar setzt die neue saudische Führung einzig auf ihre militärische Luftüberlegenheit, auf ihre großen finanziellen Ressour- cen und auf ihr damit angenommenes längeres Durch- haltevermögen. Gleichzeitig folgt Saudi-Arabien dem Narrativ eines Religionskrieges zwischen Sunniten und Schiiten. Das ist wenig überzeugend und birgt zudem die Gefahr, Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten weiter zu vertiefen. Die Huthis sind zwar Saiditen und gehören damit ins religiöse Spektrum des Schiitentums. Gleichwohl sind die Huthis immer ihren eigenen Religionsgebräuchen gefolgt, und dazu gehört insbesondere auch, dass sie mit den Sunniten des Landes nie wirklich aneinandergeraten sind. Denn im Gegensatz zu Saudi-Arabien kennen die Huthis kein militantes und exklusives Eifertum, wie es der wahabitischen Glaubensrichtung leider zu eigen ist. Vielmehr sind die jemenitischen Sunniten und Schiiten in der Vergangenheit gemeinsam zum Gebet in die Moschee gegangen. Auch die These, dass es sich im Jemen um einen Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran handelt, halten Experten für – noch – nicht stichhal- tig. Es drängt sich vielmehr die Vermutung auf, dass das militärische Engagement Saudi-Arabiens im Jemen nicht zuletzt innenpolitisch motiviert und vermeintlichen ira- nischen Expansionsbestrebungen geschuldet ist. Nichts- destoweniger ist auch Iran als wichtiger Akteur in der Region in der Verantwortung. Teheran muss versuchen, Einfluss auf eine friedliche Lösung im Jemen zu neh- men. Die Lage im Jemen kann uns nicht gleichgültig sein. An erster Stelle brauchen wir eine Waffenruhe, um den Menschen im Jemen helfen zu können. Dafür brauchen die Vereinten Nationen uneingeschränkten humanitären Zugang und die entsprechende finanzielle Ausstattung. Insbesondere Saudi-Arabien ist hier in der Pflicht, seine finanzielle Zusage auch einzuhalten. In diesem Krieg gibt es keine militärische Lösung. Es benötigt vielmehr einen politischen Konsens aller betei- ligten Konfliktparteien durch Verhandlungen. Dafür müssen alle Parteien Zugeständnisse machen. Insbeson- 11236 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) dere gilt dabei, die Huthis nicht weiter systematisch poli- tisch, wirtschaftlich und religiös zu marginalisieren. Unser Interesse muss ein stabiler Jemen sein, der al- Qaida nicht als Rückzugsort dient und die Sicherheit an einer der am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt, der Bab al-Mandab, sicherstellt. Eine politische Einigung mit den Huthis wäre daher auch im Interesse aller Golfmonarchien, die nichts mehr als den Zerfall staatlicher Strukturen und instabile Ver- hältnisse fürchten. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medien- kompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden – Antrag: Empfehlungen der Enquete-Kom- mission „Internet und digitale Gesellschaft“ zur digitalen Bildung umsetzen (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- nungspunkt 7) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Schule lebt im Hier und Jetzt, um auf das Morgen vorzubereiten. Das, was wir heute in der Bildungspolitik festlegen und umsetzen, wird gesellschaftlich wie wirtschaftlich in 10 bis 15 Jahren voll zum Tragen kommen, nämlich dann, wenn die heutigen Kinder und Jugendlichen ins Berufs- leben eintreten werden. Und hoffentlich kreativ und ge- staltend tätig sein werden – etwa als Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer ebenso wie als Startup-Unternehmerin oder -Unternehmer. Schule muss also heute auf die Zukunft vorbereiten. Diese Zukunft wird digital sein. Denn das Digitale ist bereits in der Gegenwart elementarer Bestandteil unseres Alltags, Wirtschaftsfaktor und Partizipationsraum. Das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet, DIVSI, untersucht regelmäßig das Nutzungs- verhalten von jungen Menschen in Deutschland und kommt zu dem Schluss: Schon bei den Dreijährigen spielt das Internet eine große Rolle. Jeder zehnte Drei- jährige ist online. Bei den Sechsjährigen geht fast ein Drittel ins Internet, und bei den Achtjährigen sind es be- reits mehr als die Hälfte. Die Internetnutzung und der Umgang mit mobilen Endgeräten starten somit bereits im Kindergartenalter und bestimmen im jungen Erwach- senenalter das Kommunikationsverhalten durchgehend. Die Frage, ob Kinder und Jugendliche häufig online sein sollten, ist in der Praxis damit bereits entschieden. Wenn die Hälfte der Grundschüler in Deutschland doch schon „drin sind“, bei den Jugendlichen bereits 98 Prozent online sind und selbst die, die noch nicht le- sen und schreiben können, schon App-Symbole erken- nen und benutzen, können wir keine Diskussion mehr darüber führen, ob Schülerinnen und Schüler nicht bes- ser ausschließlich analog unterrichtet werden sollen. Wir sind im Jahr 2015 schon mittendrin in der Digita- lisierung, und daher müssen wir jetzt nur noch über das Wie diskutieren. Es gilt zu diskutieren und festzulegen, wie wir Kinder und Heranwachsende am besten auf eine Welt vorbereiten, die digitale Kompetenzen voraussetzt, erstens, weil künftig nicht nur der Computer und Fernse- her, sondern auch der Heizkörper und das Auto online sein werden; zweitens, weil in sozialen Netzwerken oder im Gesundheitssystem kompetenter Dateneinsatz gefragt ist; drittens, weil fast jeder Beruf IT-Kompetenzen vor- aussetzt; viertens, weil die Digitalwirtschaft der Treiber unserer Volkswirtschaft ist. Neben dem Elternhaus sind Schule, Ausbildungsbe- trieb und Universität die wesentlichen Orte, die das Auf- wachsen in der digitalen Welt begleiten und prägen. Da- bei geht es nicht nur um technische Ausstattung mit Tablets, Whiteboards und WLAN, auch wenn die gute Ausgestaltung der digitalen Infrastruktur eine Grundvor- aussetzung ist. Dort müssen die digitalen Kompetenzen vermittelt werden. Damit meine ich, dass erstens Kennt- nisse des Programmierens und der Algorithmen gelehrt werden; zweitens analytisches und vernetztes Denken und Arbeiten vermittelt werden sowie drittens Medien- kompetenz, also die Kompetenz zum verantwortungs- vollen Umgang mit Medien, beigebracht wird. Wir müssen junge Menschen für Risiken sensibilisie- ren, etwa Bewusstsein für Urheberrecht, Datenschutz oder IT-Sicherheit vermitteln, und sie zugleich fitma- chen, die zahlreichen Werkzeuge und Dienste gewinn- bringend zu nutzen. Und es ist eine Frage von Chancen und Teilhabe, dies allen Kindern zu ermöglichen, damit nicht diejenigen abgehängt werden, in deren Elternhaus kein guter und pädagogischer Umgang mit digitalen Medien stattfindet. Die digitale Unterrichtsgestaltung ist in Deutschland noch eine punktuelle Entwicklung. Dabei ist es nicht nur eine Mentalitäts- oder Geldfrage, sondern auch eine Frage der Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern. Selbst die jungen, digitalaffinen Lehrkräfte werden noch nicht strukturiert darin ausgebildet, digitale Medien im Unterricht sinnvoll einzusetzen. Es darf nicht Glückssache sein, ob Kinder, Jugendli- che oder Studenten digitale Bildung in Deutschland erle- ben. Wir müssen zielgerichtet herangehen. Das heißt vor allem, die digitale Infrastruktur für Schulen zu schaffen, die Lehrerinnen und Lehrer dafür zu qualifizieren und kreative Konzepte in unsere Bildungseinrichtungen zu bringen. Wir haben in Deutschland bereits großes Potenzial. Auf dem Kongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu Bildung 2.0 im Juni haben sich viele kreative Köpfe – von Startups im Bildungssektor über Initiativen großer Unternehmen und Verbände – vorgestellt, die sich in der digitalen Bildung einbringen wollen. Hier müssen wir stärker vernetzen und bündeln – das darf nicht im Bil- dungsföderalismus untergehen! Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11237 (A) (C) (D)(B) Es war ein wichtiger Schritt, gemeinsam mit dem Ko- alitionspartner den Antrag „Durch Stärkung der Digita- len Bildung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden“ in den Deutschen Bundestag ein- zubringen. Damit setzt der Bund wichtige Impulse, ent- lässt die Länder und Kommunen aber nicht aus ihrer Verantwortung für ihre Kernaufgabe: Die Länder müs- sen für eine nachhaltige Bildungspolitik sorgen. Ich weiß, dass die Bildungseinrichtungen derzeit mit hohen Ansprüchen konfrontiert werden. Demografie, Mi- gration, Inklusion und vieles mehr erfordern von Lehr- kräften und Schulleitung große Anstrengungen. Aber das Digitale kann nicht warten, bis sich die Bildungspolitik in so manchem Land entwirrt hat. Ob Industrie 4.0, Smart Data oder E-Health – überall werden Digitalkompetenzen gefragt sein. Nur eine strin- gente Integration von digitaler (Aus)Bildung an Schulen, Berufsschulen und Universitäten bringt uns für die Zu- kunft akademische Exzellenz im IT-Bereich, anpackende Unternehmerinnen und Unternehmer, Fachkräfte für die IT-Industrie und mündige Bürger, die sich sicher und souverän im Netz bewegen. Wir brauchen jetzt einen Pakt für digitale Bildung, an dem Politiker aus allen Ebenen – Bund, Land, Kom- mune – sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Wissen- schaft, Wirtschaft und Schule zusammenarbeiten. Wir müssen eine moderne, kreative digitale Bildung in Deutschland etablieren. Ich danke allen, die im Bund, in den Ländern und Kommunen und vor allem in den Bildungseinrichtungen daran arbeiten. Sven Volmering (CDU/CSU): Der Antrag von CDU/CSU und SPD gibt sowohl der Bundesregierung als auch den Ländern sehr konkrete Aufträge und Hand- lungsempfehlungen für die Entwicklung einer Strategie „Digitales Lernen“ auf den Weg. Das Feedback war bei vielen Lehrerverbänden, Professoren, Institutionen und Vereinen ausgesprochen positiv. Alle Experten des Fach- gesprächs zur Digitalen Bildung im Ausschuss haben die richtige Zielsetzung des Antrags gelobt. Wir gehen mit unseren Forderungen über den Koalitionsvertrag hinaus, berücksichtigen die wichtigsten Ergebnisse der Enquete- Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ und leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Digitalen Agenda der Bundesregierung. Die internationale ICILS-Computerstudie, die, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, nicht, wie in Ih- rem Antrag steht, aus dem Jahr 2014, sondern aus dem Jahr 2013 stammt, hat den seit Jahren gefühlt vorhande- nen Nachholbedarf bei der Digitalen Bildung empirisch belegt. Es wird daher Zeit, dass wir den Aufholprozess endlich beginnen! Das Rüstzeug für den Erfolg liegt auf dem Tisch. Jetzt geht es an die Umsetzung. Wir müssen an die Aus- und Fortbildung der Pädagogen heran, es geht um gemeinsame inhaltliche und technische Stan- dards sowie um pädagogisch sinnvolle Konzepte, die in den Bildungsalltag aller Bereiche von der frühkindlichen Bildung bis zur Hochschul- und Weiterbildung integriert werden müssen. Ich spreche sicher auch im Namen mei- ner geschätzten Berichterstatterkollegin Saskia Esken, wenn ich darauf hinweise, dass die Regierungsfraktio- nen sehr genau darauf achten werden, dass Bund und Länder in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich ihre Hausaufgaben erfüllen, damit wir vorankommen. Gleichzeitig habe ich die Hoffnung, dass sich insbe- sondere die Landesregierungen mit Grünen-Beteiligun- gen konstruktiver bei der Entwicklung der Strategie „Digitales Lernen“ einbringen, als dies die grüne Bun- destagsfraktion getan hat. Lieber Herr Mutlu, ich muss es leider so deutlich sagen: Ihr nachgereichter Antrag ist nicht mehr als ein welkes Feigenblatt. Sie haben ge- merkt, dass die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD mit dem Antrag, mit eigenen gut besuchten Workshops und Kongressen das Thema besetzt haben und Sie jetzt im Bundestag zwar nicht persönlich, aber inhaltlich doch sehr nackt sind. Sie haben das Thema verpasst! Sie fordern etwas, was von der Regierung um- gesetzt wird, und setzen im Gegensatz zu uns über den Enquete-Bericht hinaus nicht einen einzigen eigenen in- haltlichen Schwerpunkt. Als ein Beispiel nenne ich die von der CDU/CSU ein- gebrachte und von der SPD unterstützte Idee des Pakts für Digitale Bildung, der die unterschiedlichen Aktivitä- ten von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bündelt. Sie stößt auf großes Interesse. Mehrere Stiftungen stellen bereits Überlegungen an, wie sie Infrastruktur schaffen und Projekte bündeln und koordinieren können, um digi- tale Leerstellen abzubauen. Ich nenne das Stichwort Staatsvertrag, von dem ich glaube, dass es gut ist, dass wir ihn ins Gespräch gebracht haben, damit wir endlich Bewegung in die Diskussion um allgemeingültige tech- nische und inhaltliche Standards bekommen. Der Antrag von CDU/CSU und SPD greift darüber hinaus explizit die wichtigsten Forderungen der Enquete-Kommission auf. Grundsätzlich ist dabei darauf hinzuweisen, dass die Enquete-Kommission auf die Verantwortung der Länder bei der Vermittlung von Medienkompetenz verweist und eben nicht nur den Bund in die Verantwortung nimmt, wie Sie es in Ihrem Antrag tun. Exemplarisch nenne ich drei konkrete Forderungen des Enquete-Berichts, die wir aufgegriffen haben: erstens die Stärkung der digitalen Ausbildung des pädagogischen Personals in allen Bil- dungssektoren, zweitens einheitliche Mindeststandards zur Medienkompetenz, drittens vergleichende Länder- studien zur Digitalen Bildung als Instrument der Bil- dungsforschung. Sie sehen also: Unser Antrag baut sinnvoll auf die En- quete-Kommission auf und geht sogar weiter. Daher werden wir Ihren nachgeschobenen Antrag ablehnen. Ich möchte den Rest meiner Redezeit dazu nutzen, noch kurz einige grundsätzliche Punkte anzusprechen. Unabhängig von den jeweiligen Zusammensetzungen der Regierungen auf Bundes- und Landesebene müssen wir uns bei der Durchsetzung der Strategie „Digitales Lernen“ darüber Gedanken machen, wie wir die Vorrei- ter in den Kommunen und den Schulen stärken und de- ren Unterstützerzahl ausweiten. Ich habe festgestellt, dass an verschiedenen Stellen Kämmerer und Schul- 11238 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) dezernenten auf kommunaler Ebene unabhängig von der Finanzlage die Blockierer sind, wenn es darum geht, in den Bereich der digitalen Bildung zu investieren oder be- stehende Mittel umzuschichten. Deswegen ist es wich- tig, in der Öffentlichkeit ein positives Bild für die digi- tale Bildung zu schaffen. Digitale Endgeräte sind Bestandteil der Lebensrealität. Deshalb müssen wir ihre enormen positiven Möglichkeiten nutzen, aber natürlich genauso über mögliche Risiken informieren. Niemand fordert ernsthaft eine totale Zwangsdigitali- sierung, niemand will die klassischen Kulturtechniken abschaffen. Es geht immer nur um den sinnvollen päda- gogischen Einsatz. Dabei kann man sich sehr gut am Lö- wenzahn-Kultmoderator Peter Lustig orientieren, der das Fernsehen als Medium für seine fantastische Sen- dung genutzt hat, aber jede Sendung auch mit dem Ap- pell „Ausschalten“ beendete. Vor dem Hintergrund, dass es die Zielsetzung unseres Antrags ist, die Gefahr einer dauerhaften digitalen Spaltung zu verhindern und die jungen Menschen auf die beruflichen Herausforderun- gen der Industrie 4.0 vorzubereiten, wäre es fahrlässig, nicht zu handeln und panikmachenden Leuten hinterher- zulaufen, die von der „Lüge der digitalen Bildung“ spre- chen. Deshalb ist der Antrag von CDU/CSU und SPD ein enorm wichtiger Beitrag, da der Deutsche Bundestag mit seiner Verabschiedung nun eine klare Positionierung im Bereich der digitalen Bildung vorgenommen hat, die sich sehen lassen kann. Als zuständiger Berichterstatter bedanke ich mich sehr herzlich bei meiner AG, die mich immer unterstützt hat, bei der Kollegin Saskia Esken und ihrem Team für die konstruktive und menschlich angenehme Zusam- menarbeit, bei Frau Hain und Herrn Mutlu für ihre Kritik und Anregungen, wobei ich der festen Überzeugung bin, dass sie den Antrag in Wahrheit gar nicht mal so schlecht finden, sowie bei meinem Büro, und hier insbesondere bei Frau Klaas für die Unterstützung. Ich freue mich auf die weiteren Debatten zum Thema digitale Bildung und danke für die Aufmerksamkeit. Saskia Esken (SPD): Wir beraten und beschließen heute den Antrag der Koalitionsfraktionen zur Stärkung der sogenannten digitalen Bildung. Ich sage „sogenannte digitale Bildung“, weil wir uns durchaus darüber be- wusst sind, dass Bildung als ein lebensbegleitender Pro- zess der Weltaneignung niemals digital sein kann. Als Buzzword, als Überschrift oder Hashtag in den sozialen Medien hat sich der Kurzbegriff dennoch eingebürgert und ist auch durchaus geeignet, dafür zu stehen, was wir eigentlich meinen: die Bildung in einer digitalisierten Welt. In einem ersten Schritt wollen wir mit diesem Antrag den didaktisch sinnvollen Einsatz digitaler Medien im schulischen Unterricht fördern und damit den Erwerb von Medienkompetenz und informatischer Grundbil- dung. Wir wollen die souveräne Teilhabe aller jungen Menschen an einer digitalisierten Gesellschaft, Wirt- schaft und Arbeitswelt sicherstellen und damit nicht nur auf den Fachkräftebedarf eines grundlegenden wirt- schaftlichen Wandels reagieren. Wir sprechen im Titel dieses Antrags über eine digitale Spaltung der Gesell- schaft, die sich nicht nur zwischen Generationen und Geschlechtern oder entlang eines Stadt-Land-Gefälles zeigt, sondern sich durchaus auch entlang sozialer Her- kunft und Bildungshintergrund entwickelt hat und die es zu überwinden gilt. Mit dem Antrag konkretisieren die Koalitionsfraktio- nen das Vorhaben der Digitalen Agenda der Bundesre- gierung, mit den Bundesländern und weiteren Akteuren des Bildungssystems gemeinsam eine Strategie „Digita- les Lernen“ zu erarbeiten und umzusetzen. Welche Rolle kann der Bund im Zusammenhang mit der schulischen Bildung denn überhaupt spielen? Das müssen wir uns nicht nur von den Vertretern der Oppositionsfraktionen fragen lassen. Nun, genau aus diesem Grund finden Sie im Antrag zwei Bereiche, von denen sich der eine mit den originären Aufgaben des Bundes befasst und der an- dere mit einer Art von Brückenbau für eine solche „ge- meinsame Strategie der Länder und weiterer Akteure“. Klar in die Zuständigkeit des Bundes und gegebenen- falls der europäischen Gesetzgebung fällt dabei die Wei- terentwicklung des Urheberrechts, das noch nicht im Zeitalter der Digitalisierung angekommen ist. Auch durch einen hohen Grad an Komplexität findet das Urhe- berrecht derzeit außerhalb des Bildungssystems zu we- nig und innerhalb des Bildungssystems zu viel Beach- tung. Lehrkräfte agieren beim Umgang mit digitalen Medien mit angezogener Handbremse, und zwar aus Angst vor der Abmahnung. Das müssen wir ändern. Deshalb freut es mich besonders, dass der Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas angekündigt hat, einen diesbezüglichen Gesetzent- wurf zu erarbeiten und dabei gerade die Belange von Bildung und Wissenschaft zu beachten. Im Bereich der beruflichen Bildung ist der Bund handlungsfähig und soll deshalb im Rahmen der verfüg- baren Haushaltsmittel für eine gute und sichere techni- sche Infrastruktur sorgen, die für einen verstärkten Ein- satz digitaler Medien im Unterricht benötigt wird, also beispielsweise ein Internetanschluss mit zukunftsfähiger Bandbreite und ein leistungsfähiges WLAN. Den Einsatz digitaler Medien und Materialien in allen Bildungsbereichen fördern kann der Bund darüber hi- naus, indem er die Entwicklung von offenen Lehr- und Lernmaterialien, sogenannten Open Educational Resour- ces, ermöglicht und dafür sorgt, dass die vorhandenen OER-Materialien besser auffindbar und verfügbar ge- macht werden. Wenn es darum geht, wie die Bundesländer ihre Leh- reraus- und -fortbildung weiterentwickeln und stärken, die Medienkompetenz und informatische Grundbildung in ihren Lehr- und Bildungspläne verankern, welche Infrastruktur Länder und Schulträger bereitstellen und welche Medienbildungskonzepte die Schulen entwickeln und umsetzen: Da kann der Bund nur Impulse geben, Plattformen für Diskussion, Austausch und Kollabora- tion bieten und die Entwicklung im Bereich der Bil- dungsforschung und -berichterstattung begleiten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11239 (A) (C) (D)(B) Im Rahmen der Antragsberatung hat die SPD-Bun- destagsfraktion neben öffentlichen Fachgesprächen in Fraktion und Ausschuss in der vorvergangenen Woche eine Fachtagung veranstaltet. Eine beachtliche Anzahl von Fachleuten aus der gesamten Republik und darüber hinaus waren unserer Einladung gefolgt, sich mit den Chancen und den Herausforderungen einer „Bildung in einer digitalisierten Welt“ im kritisch-positiven Sinne zu beschäftigen. In meiner Einführung zu der Veranstaltung habe ich deutlich gemacht, dass Digitalisierung und Bil- dung in einem wechselseitigen Nutzenverhältnis stehen: Bildung muss zum Gelingen der Digitalisierung und zur Überwindung einer digitalen Spaltung beitragen. Ebenso wichtig ist mir aber auch, was – sozusagen im Gegenzug – die Digitalisierung für die Qualität der Bildung tun kann. Nach Impulsen aus den Ländern, hier von Ties Rabe, dem sozialdemokratischen Schulsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, sowie aus der Wissenschaft, na- mentlich von Richard Heinen vom Learning Lab der Universität Duisburg-Essen und von Professor Dr. Christoph Igel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, haben wir in vier thematischen Workshops den Diskurs gesucht zwischen Theorie und Praxis, aber auch zwischen scheinbar widerstreitenden Konzepten, die zusammengeführt werden müssen, damit die Bildung in einer digitalisierten Welt gelingen kann. Wie schon in den Fachgesprächen, so wurde auch bei unserer Fachtagung deutlich, dass der Zielsetzung und den Ansätzen unseres Antrags viel fachliches Interesse und positives Feedback entgegengebracht werden und dass viele Teilnehmer und weitere Akteure des Bil- dungssystems Interesse an einer Fortführung und Wei- terentwicklung des Dialogs haben. Wir wollen uns wäh- rend der Sommerpause deshalb überlegen, wie wir die Themen unserer Fachtagung, aber sukzessive auch wei- tere Themen zur Diskussion und Vertiefung anbieten können. Die SPD-Bundestagsfraktion will sich in den anste- henden Haushaltsberatungen außerdem dafür starkma- chen, dass ein Anteil der Überschüsse aus dem Etat für das Betreuungsgeld im Bildungs- und Forschungsetat für die Förderung der Digitalisierung im Bildungsbereich genutzt wird. Ab 2016 könnten so jährlich 50 oder 60 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Wir fordern das Bundesministerium für Bildung und Forschung des- halb auf, baldmöglichst einen Investitionsplan über die Verwendung dieser Mittel vorzulegen. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Nein, wir haben keinen eigenen Antrag zu diesem Tagesordnungspunkt dazugelegt wie die Grünen. Ich weiß ja, dass die Grünen etwas von der Sache verstehen, aber was Sie da aufge- schrieben haben, hätten Sie auch bleibenlassen können. Der schadet zwar nicht, aber der nützt auch nichts. Die einfache Forderung, dass die Bundesregierung ihre Ar- beit macht, finde ich wenig prickelnd. Und die Bezug- nahme auf die Internet-Enquete-Kommission auch nicht. Wir haben aus gutem Grunde einen Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzungen eingefordert. Zwar sind wir uns einig, dass die Forderungen und Empfehlungen der Internet-Enquete richtig sind, aber für deren Umset- zung entstehen doch noch ein paar Fragen. Wenn der Bericht dieses Büros mit dem Titel „Bil- dung 4.0“ vorliegt, wollen wir auf dieser Grundlage kon- kretere Vorschläge machen. Manches liegt allerdings jetzt schon auf der Hand, und es ist auch im Arbeitsbe- richt 122 des TAB-Büros aus dem Jahre 2007 schon gut nachzulesen. Zum Beispiel die Frage: Was kostet das alles? Lassen Sie mich bitte zitieren: „Erst wenn die Förderung von Modellprojekten und Pilotvorhaben ausgelaufen ist, Garantien für die techni- sche Ausstattung abgelaufen sind, Ersatzbeschaffungen anstehen oder der Support an externe Dienstleister ver- geben wird, können die tatsächlich und dauerhaft auf die Schulträger zukommenden Kosten realistisch einge- schätzt werden.“ TAB-Arbeitsbericht 122, Zusammen- fassung, Seite 13, Dezember 2007. Und es geht auch darum, wie sich die Lernmittelkos- ten verändern. Dass die Bundesregierung Mittel für die Entwicklung offener Lernmittel eingestellt hat, ist ja löb- lich. Aber man muss sie auch aufs Tablet bekommen. Und bezahlt werden muss das auch. Wenn ein Buch her- unterfällt, hat es vielleicht ein Eselsohr. Wenn ein Tablet herunterfällt, ist es möglicherweise kaputt. Die Kosten für die Ersatzbeschaffung sind deutlich höher. Darum bestehen wir mindestens auf Lernmittelfreiheit. Doch auch die muss jemand bezahlen. Das sind in der Regel die Länder. Das kommt zu den offenen Fragen der technischen Ausstattung von Schulen, der Ausbildung von Lehrkräf- ten, der Einstellung von Administratorinnen usw. alles noch dazu. Es geht auch um die Inhalte und die Veränderung der pädagogischen Arbeitsweise und der Vorbereitung der Schulen, der Eltern, der Öffentlichkeit darauf. Künftig wird mehr als je das alte Sprichwort gelten: Man muss nicht alles wissen; man muss nur wissen, wo es steht. Dann aber stellt sich gleich die Frage: Wie umgehen mit der Informationsflut? Wie auswählen, was wichtig ist? Wie kritische Distanz bewahren? Medienkompetenz nennt man das, und die ist längst zu einer Kulturtechnik geworden, die aber unterschiedlich gut beherrscht wird. Der selbstbewusste und verantwortungsbewusste Um- gang mit persönlichen Daten im Netz, das Netzwerken überhaupt – alles erhält eine andere Dimension als noch vor 10 bis 15 Jahren. Ende offen. Darum brauchen wir möglichst schnell so etwas wie fächerübergreifende – und vielleicht auch bildungspha- senübergreifende – Bildungsstandards für digitales Ler- nen und Medienkompetenz. Lernende warten nicht, bis die Schulen und die Bildungspolitik so weit sind. Profes- sor Esser hat erst gestern im Ausschuss darauf hingewie- sen, dass die Kompetenzen der Jugendlichen oft schon fortgeschrittener sind als die ihrer Lehrkräfte. Wir laufen also Gefahr, unaufhaltsam hinterherzulaufen. Es erweist sich erneut als Problem, dass wir durch die strikte Trennung von Zuständigkeiten zwischen Bund 11240 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) und Ländern in unseren Handlungsmöglichkeiten einge- schränkt sind. Irgendwie wartet immer der eine auf den anderen. So passiert gar nichts oder weniges, und das nur verstreut, oder es muss von zu wenigen Menschen be- wältigt werden. Auf dem Bildungsserver meines Bundeslandes Sach- sen-Anhalt findet sich die Rubrik „Medienberatung“. Dort stehen für 14 Landkreise ganze 10 engagierte Be- ratungskräfte mit unglaublich interessanten Angeboten für Unterricht, Elternabend, Schulhomepage und Dienstberatung zur Verfügung, und ich wage nicht, mir vorzustellen, dass die knapp 900 allgemeinbildenden und 300 berufsbildenden Schulen alle ihr Herz für die digitale Bildung entdecken und auf die 10 Leute zwecks Fortbildung zugreifen. Wir werden diese Mammutaufgabe nicht den Schulen allein, nicht den Kommunen allein und auch nicht den Ländern allein überlassen können. Und schon gar nicht dem Selbstlauf. Nun hat die Koalition ein Instrument entdeckt, mit dem das Kooperationsverbot ein bisschen umgangen werden kann und die Länder genötigt werden sollen, einheitlich und abgestimmt zu handeln: den Länder- staatsvertrag. Einmal abgesehen davon, dass sich der Bund damit wieder aus der Verantwortung stiehlt, ist das ein Instrument, das die Legislative nur zum Abnicken braucht, aber nicht in die Verantwortung nimmt. Insofern ist es alles andere als ein föderales Instrument. Es schränkt demokratische Meinungsbildung und Mitspra- che ein. Es ist aber auch ein untaugliches Instrument, denn was soll es bewirken? Die Implementierung von noch nicht vereinbarten Bildungsstandards? Und wenn sie es nicht tun? Wer soll es wie sanktionieren? Die KMK hat keine Sanktionsmöglichkeiten außer der gegenseiti- gen Nichtanerkennung von Abschlüssen. Das aber pas- siert jetzt schon über die Maßen und völlig inakzeptabel. Und wie wollen Sie denn die technischen Voraussetzun- gen für einen Länderstaatsvertrag schaffen? Ich fürchte, es ist ein stumpfes Schwert, und es riecht nach viel Bü- rokratie. Also erneuern wir die Forderung nach der Aufhebung des Kooperationsverbotes und fordern, dass auch der Bund in einem gemeinsamen Bund-Länder-Programm richtig viel Geld in die Hand nimmt, um die dort ge- meinsam zu vereinbarenden Standards für digitale Bil- dung auch zu finanzieren. Weil in den Anträgen ansonsten wenig Falsches steht, uns aber viel Konkretes fehlt, werden wir uns der Stimme enthalten und kündigen hier schon einen eige- nen, dann hoffentlich weitergehenden Antrag an. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im November 2014 wurde die ICILS-Studie veröffentlicht. In ihr wurde erstmalig der Frage nachgegangen, wie es um die computer- und informationsbezogenen Kompe- tenzen von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangs- stufe 8 bestellt ist. Nicht gut ist es um diese Kompetenzen bestellt, mit den Ergebnissen der ICILS-Studie können wir deshalb auch nicht zufrieden sein. Denn wenn 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler lediglich eine der unteren beiden Kompetenzstufen errei- chen und beispielsweise schon daran scheitern, einen einfachen Link zu öffnen oder in die Suchleiste zu ko- pieren, dann ist etwas faul in der sogenannten Bildungs- republik Deutschland. Insbesondere die digitale Spaltung innerhalb der Schülerschaft ist skandalös. Es ist wie so oft: Es wird vor allem denen gegeben, die schon haben. Bei der digitalen Bildung ist das nicht anders. Das darf so nicht bleiben. Dass Schülerinnen und Schüler in Deutschland den Umgang mit dem Computer hierzulande trotz Schule ler- nen – um mal den Leiter der ICILS-Studie, Wilfried Bos, zu zitieren –, sagt viel aus und sollte nicht nur zum Nachdenken, sondern auch zum Handeln anregen. Es ist deshalb richtig und wichtig, dass sich die Große Koalition endlich in puncto digitaler Bildung und Medi- enkompetenz auf den Weg macht. „Zeit wird’s!“, kann ich da nur sagen. Wenn man sich den Koalitionsantrag aber genau an- schaut, dann muss man leider wieder einmal feststellen: Ihr Antrag greift viel zu kurz, und es ist wie so oft bei Ih- nen: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Gut gemacht wäre nämlich ein Antrag, der die Hand- lungsempfehlungen der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft im Hinblick auf Bildung und Forschung in der Breite umsetzt – von der Kita bis zur Hochschule, von der Schule bis zur Aus- und Weiterbil- dung. Und wenn Sie jetzt sagen, dass Sie sich erst einmal nur auf Schule konzentrieren wollen, und alles andere kommt dann später, dann sage ich Ihnen: Das reicht nicht aus. Von einer Großen Koalition, von der 28 Mit- glieder im Bildungsausschuss sitzen, kann und darf man mehr erwarten. Von einer Großen Koalition, die seit na- hezu zwei Jahren an der Regierung ist, muss man auch mehr erwarten. Und ich sage ihnen auch: Wenn Sie sich in ihrem Antrag auf Schule konzentrieren, dann aber selbst da zahlreiche Handlungsempfehlungen der Enquete-Kom- mission nicht berücksichtigen, dann muss schon die Frage erlaubt sein, warum sie eigentlich Handlungsemp- fehlungen mitbeschließen – im Übrigen, die Handlungs- empfehlungen der Enquete-Kommission sind in diesem Hause einstimmig beschlossen worden –, die Sie dann entweder auf die lange Bank schieben oder überhaupt nicht umsetzen. Denn klar ist doch auch: All das, was Sie uns hier im Plenum unter den Schlagwörtern „Industrie 4.0“, „Digi- tale Technologien“ oder „Digitale Agenda“ verkaufen, all das verkommt doch zur Floskel, wenn junge Men- schen nicht über entsprechende Kompetenzen verfügen und diese in der Bildung nicht konsequent gelehrt und gelernt werden. Digitale Bildung ist mehr als die Aus- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11241 (A) (C) (D)(B) stattung von Schulen mit Whiteboards, Laptops und Ähnlichem. Diesbezüglich hat uns die ICILS-Studie viele Haus- aufgaben in unser bildungspolitisches Hausaufgabenheft geschrieben. Hier einige Stichworte: Aus- und Fortbil- dung der Lehrer und Lehrerinnen, Open Educational Re- sources, Hardwareausstattung, Breitbandzugang, Vernet- zung, Datenschutz usw. usf. Die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommis- sion geben darauf zahlreiche und vor allem sinnvolle und hilfreiche Antworten. Deshalb fordern wir Sie auf, das umzusetzen, was Sie seinerzeit mit uns gemeinsam beschlossen haben. Die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommis- sion Internet und digitale Gesellschaft können die Län- der und Kommunen dabei aber nicht alleine stemmen. Der Bund wird deshalb nicht umhin kommen, mehr Geld für die digitale Bildung in die Hand zu nehmen. Deshalb meine Aufforderung an Sie: Verstecken Sie sich nicht hinter Zuständigkeiten und ihrem heißgelieb- ten, in Wahrheit aber äußerst dümmlichen Kooperations- verbot. Schieben Sie die Verantwortung nicht per Län- derstaatsvertrag auf andere ab, sondern übernehmen Sie selbst Verantwortung. Eine Große Koalition sollte dazu eigentlich in der Lage sein. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Wir haben heute Mittag bereits über Möglichkeiten gesprochen, wie wir die Chancen für schwerbehinderte Menschen am Arbeitsmarkt verbessern könnten. Mit dem vorliegenden Antrag möchten wir einen kleinen, aber umso wichtige- ren Teil dieses Arbeitsmarktes stärken und verbessern: die Integrationsbetriebe. Es gibt zwei maßgebliche Gründe dafür, Integrations- betriebe auf einem Weg zur inklusiven Gesellschaft zu fördern. Der erste Grund ist die Funktion als Arbeitgeber. Inte- grationsfirmen beschäftigen einen sehr hohen Anteil an Menschen mit Behinderung. Mehr als 10 000 behinderte Menschen können so am allgemeinen Arbeitsmarkt teil- haben. Das ist umso wichtiger, weil sich dort in den ver- gangenen Jahren die Beschäftigungschancen von Men- schen mit Behinderung nicht signifikant verbessert haben. Auch aus rechtlicher Sicht ist die Arbeit der Inte- grationsunternehmen als Arbeitgeber wichtig: Sie tragen einen großen Teil dazu bei, dass die UN-Behinderten- rechtskonvention in die Praxis umgesetzt wird – inklusi- ves Arbeiten ist das Tagesgeschäft. Da wir diese Entwicklung ausdrücklich begrüßen, möchten wir die Förderung so verstärken, dass noch mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung in Integrationsbetrieben geschaffen werden können. In den Jahren 2015, 2016 und 2017 sollen dazu jeweils 50 Millionen Euro aus dem Ausgleichsfonds kommen. Neben dieser Kernfunktion als Arbeitgeber von schwerbehinderten Menschen erfüllen Integrations- betriebe aber noch eine andere, mindestens ebenso wich- tige Funktion: Sie sind Vorzeigeprojekte der Inklusion. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen, BAG IF, fasst diese Funktion in ihren Leitsätzen perfekt zusammen: „Unsere Vision ist es, für ein soziales Unternehmer- tum zu werben und dieses so zu verbreitern, dass überall in Deutschland benachteiligte und behinderte Menschen einen für sie passenden und attraktiven Arbeitsplatz er- halten können.“ Integrationsunternehmen zeigen tagtäglich, dass Inklusion im Arbeitsleben möglich ist, und sie beweisen, dass sich wirtschaftlicher Erfolg und die Beschäftigung besonders betroffener Schwerbehinderter nicht aus- schließen. Denn die Firmen müssen sich dem Wettbe- werb des Marktes stellen wie alle anderen Unternehmen auch. Sie schaffen dies nicht mühelos, aber sie schaffen es. Das Geschäft der Integrationsbetriebe zeigt, dass viele Ängste und Befürchtungen von Unternehmern im Hinblick auf die schwerbehinderten Angestellten nicht nötig sind. Mit verlässlichen Nachteilsausgleichen und unterstützenden Rahmenbedingungen kann Politik dafür sorgen, dass viel mehr Menschen und auch Firmen die- sen inklusiven Weg im Arbeitsleben gehen können. Mit den Mitteln aus dem Ausgleichsfonds und der da- mit verbundenen Stärkung der Integrationsbetriebe ist ein erster Schritt gemacht. Das ist aber nur ein Teil unse- rer Planungen für eine bessere Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung. Einen weiteren Teil werden wir mit dem Bundesteil- habegesetz angehen. Hier wollen wir das „Budget für Arbeit“ flächendeckend und bundesweit einführen und gesetzlich verankern. Es hat sich in Modell-Projekten bewährt und gewährleistet mehr Wahlfreiheit und mehr Selbstbestimmung. Menschen mit Behinderung können dann einfacher selbst entscheiden, wo und in welcher Form sie eine bedarfsgerechte Unterstützungsleistung im Arbeitsleben erhalten. Ein anderer Punkt, der zu einer größeren Wahlfreiheit führt, wäre die Zulassung von anderen Leistungsanbie- tern neben den Werkstätten für behinderte Menschen. Im Interesse der beschäftigten Menschen müssen wir aber dafür sorgen, dass die Qualitätsanforderungen an diese Anbieter doch mindestens ähnlich hoch wie die an die bestehenden Werkstätten sind. Klar ist aber auch: Nicht jeder Leistungsberechtigte benötigt die Komplexleis- tung, die in der Werkstatt erbracht wird. Wir werden hier einen Kompromiss finden müssen, der aber die Leis- tungsberechtigten in den Mittelpunkt stellen muss. Sie sehen: In nächster Zeit wird sich in dem Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behin- 11242 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) derung noch viel tun. Mit dem heutigen Antrag wollen wir aber erst einmal die Integrationsunternehmen stär- ken, damit sich möglichst viele Unternehmen an ihnen orientieren können und sich der inklusiven Gesellschaft öffnen. Uwe Schummer (CDU/CSU): Für Menschen mit oder ohne Behinderung ist die Teilhabe am Arbeitsleben sinnstiftend und existenziell zugleich. Jeder möchte für seinen Lebensunterhalt selbstständig sorgen, seine Fä- higkeiten einbringen und einen Beitrag für die Gemein- schaft leisten. Arbeit hat einen hohen Stellenwert in unse- rer Gesellschaft. Die UN-Behindertenrechtskonvention hat dies aufgegriffen und macht dazu eindeutige Vorga- ben. Deutschland als Vertragsstaat muss entsprechende Maßnahmen vorhalten, um das Ziel der vollen Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu erreichen und zu be- wahren. Dazu gehören auch das Recht behinderter Men- schen auf gleichberechtigte Teilhabe und das Recht, ei- nen Beitrag dazu zu leisten, den eigenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. In Deutschland haben wir dafür bereits verschiedene Strategien entwickelt, um dieses Ziel zu verwirklichen. Zum einen gibt es die Werkstätten für behinderte Men- schen. In ihnen arbeiten bundesweit 300 000 Menschen mit Behinderung. Der UN-Fachausschuss sagt, das sei keine echte Teilhabe am Arbeitsleben. Viele Betroffene selbst sehen das ganz anders. Ich möchte an dieser Stelle hervorheben: Wunsch- und Wahlfreiheit sind für die Union maßgebliche Leitlinie. Werkstätten sind ein Son- derweg, den die meisten anderen Länder nicht beschrei- ten. Dennoch leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Teilhabe am Arbeitsleben. Doch sie müssen sich noch sehr viel stärker am ersten Arbeitsmarkt ausrichten, sich flexibler aufstellen und durchlässiger werden. Mit einem „Budget für Arbeit“, das dem Menschen und nicht der Institution Werkstatt folgt, könnte das gelingen. Es wurde bereits erfolgreich in Modellprojekten erprobt und sollte aus Sicht der Union auch bundesweit Schule machen. Ein wichtiges und bekanntes Instrument, das noch großes Potenzial hat, viel mehr Arbeitsplätze abseits von Sonderstrukturen zu verwirklichen, sind die Integra- tionsbetriebe. Als Unternehmen auf dem ersten Arbeits- markt besetzen sie bis zu 40 Prozent ihrer Stellen mit schwerbehinderten Menschen. Bundesweit beschäftigen aktuell rund 800 Integrationsbetriebe über 22 000 Men- schen. Davon haben etwa 10 000 Menschen eine Schwerbehinderung. Seit Einführung der Integrationsbe- triebe mit dem SGB IX im Jahr 2011 konnten über 8 000 sozialversicherungspflichtige, tariflich bzw. ortsüblich entlohnte Arbeitsplätze geschaffen werden. Das liegt vor allem an der erfolgreichen Kooperation von Integra- tionsbetrieben mit Unternehmen direkt vor Ort in der Region. Sie sind als Lotsenboote für echte Inklusion in Arbeit unterwegs und zeigen mit innovativen Konzep- ten, dass Menschen mit Behinderungen alles können, wenn sie die Chance bekommen. Deswegen sind Integrationsbetriebe in sehr vielen Branchen am Markt, ob in der Gastronomie oder Hotel- lerie, im Garten- und Landschaftsbau, in der Industrie- produktion, im Facility Management, im Handel oder im Handwerk. Mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von etwa 23 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind viele von ihnen mittlerweile ein fester Bestandteil des erfolgreichen Mittelstands in Deutschland. Der gesetzliche Auftrag der Integrationsbetriebe lau- tet, schwerbehinderte Menschen mit einer geistigen oder seelischen Behinderung, die eine individuelle arbeitsbe- gleitende Betreuung benötigen, sowie Menschen mit ei- ner schweren Sinnes-, Körper- oder Mehrfachbehinde- rung auszubilden, zu beschäftigen, arbeitsbegleitend zu betreuen und sie auf Arbeitsplätze in anderen Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes vorzubereiten. Aus die- sem Grund bilden sie eine wichtige Brücke für Werk- stattbeschäftigte, die auf den ersten Arbeitsmarkt wech- seln wollen. In Integrationsbetrieben bleiben alle rentenrechtlichen Vorteile weiterhin bestehen. Auch das macht sie für den Sprung raus aus der Werkstatt so at- traktiv. Die Union will das erfolgreiche Konzept der Integra- tionsbetriebe noch erfolgreicher machen. Mit einem Sonderprogramm werden wir in den Jahren 2015 bis 2017 aus den Mitteln des Ausgleichsfonds im Bundesar- beitsministerium insgesamt 150 Millionen Euro in Neu- gründungen sowie in die Weiterentwicklung zu Inklu- sionsunternehmen investieren. Ziel ist, mittelfristig doppelt so viele Integrationsbetriebe wie heute zu haben, die sich dauerhaft am Markt halten können. Dazu reicht nicht nur eine gute Geschäftsidee, dazu müssen auch entsprechende Gelder fließen, um notwendige Investitio- nen in Barrierefreiheit und Lohnzuschüsse zu decken. Zudem sollen Integrationsbetriebe künftig bei der Ver- gabe öffentlicher Aufträge besonders berücksichtigt werden. Das stärkt ihre Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls nachhaltig und langfristig. Darüber hinaus sollen Gesundheitsförderung und Weiterbildung in Integrationsbetrieben eine größere Rolle einnehmen. Schwerbehinderte Menschen sind ne- ben den beruflichen auch weiteren, zusätzlichen Belas- tungen ausgesetzt. Sie haben ein höheres Risiko, krank oder arbeitsunfähig zu werden. Eine betriebliche Ge- sundheitsstrategie in Integrationsbetrieben, in denen überdurchschnittlich viele schwerbehinderte Mitarbeiter angestellt sind, ist aus Sicht der Union nur folgerichtig. Integrationsbetriebe sind auch ein Sprungbrett in an- dere Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes. Regel- mäßige Weiterbildung ist dafür eine zentrale Vorausset- zung. Mehr Angebote für die betreffenden Mitarbeiter sollen ihre Beschäftigungschancen erhöhen. Eine echte Alternative zur Werkstatt sind Integra- tionsunternehmen insbesondere für Menschen mit psy- chischen Erkrankungen. Sie haben es besonders schwer, beruflich wieder Fuß zu fassen, und brauchen individuell angepasste Arbeitszeitmodelle und Strukturen. Dann können sie ihr Können erfolgreich abrufen. Dazu soll auch beitragen, dass Integrationsbetriebe künftig bereits ab 12 Wochenstunden, statt bislang 15 Stunden, soge- nannte begleitende Hilfen am Arbeitsleben bei den Inte- grationsämtern abrufen können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11243 (A) (C) (D)(B) Die meisten Jugendlichen mit Behinderung wechseln nach der Förderschule direkt in eine Werkstatt für behin- derte Menschen und bleiben dort. Diesen Automatismus wollen wir durchbrechen. Auch für sie bieten Integra- tionsunternehmen einen guten Ausbildungsort. Dort können sie neue Fähigkeiten erlernen, ihre Interessen in- dividuell entfalten und sich gleichzeitig neue Beschäfti- gungschancen erarbeiten. Integrationsbetriebe sind schon heute in vielen Regio- nen sehr erfolgreich. Wie jedes Unternehmen brauchen sie Zeit, um sich am Markt behaupten zu können. Sie ha- ben mit ihrem gesetzlichen Auftrag eine besondere He- rausforderung zu meistern: im Wettbewerb mit anderen mittelständischen Betrieben konkurrieren und Teilhabe an Arbeit für schwerbehinderte Menschen organisieren. Das ist ein Spagat, den die Union mit ihrem Sonderpro- gramm künftig erleichtern will. Damit setzen wir ein Zeichen für mehr inklusive Beschäftigung und investie- ren zugleich in das Potenzial und die Fähigkeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Behinde- rung. Kerstin Tack (SPD): Menschen mit Behinderung sollen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können. Das ist nicht nur unser großes Anliegen, son- dern spätestens seitdem wir im Jahr 2009 die UN-Behin- dertenrechtskonvention ratifiziert haben auch unsere Verpflichtung. Die gleichberechtigte Teilhabe am Ar- beitsleben spielt dabei eine besonders wichtige Rolle. Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behin- derung liegt in Deutschland bei 35 Prozent. Nicht nur der EU-Durchschnitt liegt mit 38 Prozent darüber, sondern Länder wie Schweden und Frankreich schaffen sogar mehr als 60 Prozent. Da müssen wir besser wer- den! Denn ein selbstbestimmtes Leben schließt ein, den eigenen Lebensunterhalt mit einer frei gewählten Tätig- keit selbst zu verdienen. Unser Ziel ist darum ein inklusiver Arbeitsmarkt. Das bedeutet: Wir brauchen mehr sozialversicherungspflich- tige Beschäftigungsverhältnisse für Menschen mit Be- hinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Wir brauchen mehr Beschäftigungsverhältnisse, in denen der Fokus darauf liegt, was ein Mensch kann, und nicht, was er nicht kann. Und wir brauchen mehr Beschäftigungsver- hältnisse, in denen Menschen arbeitsbegleitende Unter- stützung erhalten, wenn sie sie gerade brauchen. Genau solche Arbeitsplätze bieten die rund 800 Inte- grationsbetriebe in Deutschland schon jetzt an. Die meist kleinen und mittelständischen Unternehmen beschäfti- gen insgesamt mehr als 22 000 Mitarbeitende. Knapp die Hälfte davon lebt mit einer Schwerbehinderung. Vor allem Menschen mit seelischen und geistigen Behinde- rungen, aber auch Menschen mit schweren Sinnes-, Körper- oder Mehrfachbehinderungen finden dort eine passgenaue Ausbildung oder Beschäftigung – falls nötig, und das ist das Besondere, mit individueller Unterstüt- zung. Gerade für Schulabgängerinnen und -abgänger aus Förderschulen bieten sie auch eine gute Möglichkeit, die leider noch viel zu häufig praktizierte Bildungskette Förderschule – Werkstatt zu durchbrechen. Anstatt dass schwerbehinderte Jugendliche von einem separierenden System in das nächste wechseln, erhalten sie in Integra- tionsbetrieben direkt eine Chance auf dem ersten Ar- beitsmarkt. Darum streben wir mit unserer Initiative auch ein besseres Übergangsmanagement für den Wech- sel von der Schule in Integrationsfirmen an. Zurzeit fördern die Integrationsämter die Integra- tionsbetriebe mit Mitteln der Ausgleichsabgabe. Im Jahr 2013 sind 68 Millionen Euro in den Aufbau und die In- standhaltung von Betrieben geflossen. Sie wurden damit betriebswirtschaftlich beraten, und besonderer Aufwand und außergewöhnliche Belastungen wurden ausgegli- chen. Doch diese Mittel reichen nicht aus. In Integrationsbetrieben leben Menschen mit und ohne Behinderung schon jetzt Tag für Tag vor, wie ein inklusiver Arbeitsmarkt aussehen kann. Diese Erfolgs- geschichte müssen wir aktiv fortschreiben. Es kann darum nicht sein, dass Anträge auf Gründung neuer Inte- grationsbetriebe nicht bearbeitet werden können, weil das Geld dazu fehlt. Darum wollen wir die Integrationsbetriebe mit 150 Millionen Euro aus dem Ausgleichsfonds des Bun- desministeriums für Arbeit und Soziales massiv stärken. Je 50 Millionen Euro sollen in den Jahren 2015, 2016 und 2017 zur Verfügung stehen, um den Ausbau von Integrationsbetrieben zu fördern und so die Anzahl der Arbeitsplätze zu verdoppeln. Aber auch Werkstätten können Integrationsbetriebe gründen und Gesamtkon- zepte zur Stärkung entwickeln, die eine hohe Durchläs- sigkeit zum ersten Arbeitsmarkt gewährleisten. Dass Integrationsbetriebe neben Werkstätten bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zukünftig bevorzugt berücksichtigt werden können, ist eine weitere wichtige Maßnahme, um sie zu stärken. Damit unterstützen wir ihre Wettbewerbsfähigkeit, denn sie müssen im Wettbe- werb mit anderen Unternehmen bestehen. Anders als diese anderen Unternehmen beschäftigen sie aber eine hohe Anzahl von besonders betroffenen schwerbehin- derten Menschen und müssen rentabel wirtschaften. Das ist ein Drahtseilakt, den die Integrationsbetriebe seit Jah- ren respektabel meistern. Mit der neuen Regelung zur Vergabe wollen wir jetzt die Bedingungen dafür verbes- sern. Vor dem Hintergrund, dass das Modell der Integra- tionsbetriebe sich bewährt hat, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um es fortzuentwickeln. Darum wollen wir mehr Menschen die Möglichkeit geben, in Integrations- betrieben zu arbeiten und von dem Konzept zu profitie- ren. Wir wissen, dass Menschen, die schon lange Zeit arbeitslos sind, die Wiedereingliederung in den Arbeits- markt oft besonders schwer fällt. Auf langzeitarbeitslose Menschen mit Schwerbehinderungen trifft das noch ein- mal in besonderem Maße zu. Wir wissen, dass leider viele Langzeitarbeitslose bei der Arbeitssuche auf Vermittlungshemmnisse und Vor- behalte stoßen, die zeigen, wie wichtig ein inklusiver Arbeitsmarkt für die gesamte Gesellschaft ist. Auch 11244 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) viele langzeitarbeitslose Menschen finden in Integra- tionsbetrieben Arbeitsbedingungen und Unterstützungs- angebote vor, die ihnen den Wiedereinstieg in die Ar- beitswelt erleichtern können. Ich finde es darum richtig und nicht zuletzt im Sinne der Idee von Inklusion, dass wir die Integrationsbetriebe zukünftig auch für die Ziel- gruppe der Langzeitarbeitslosen öffnen wollen. Dabei muss jedoch klar sein, dass Langzeitarbeitslose mit und ohne Schwerbehinderung auch weiterhin durch die Ein- gliederungsmittel der Bundesagentur für Arbeit geför- dert werden. Ich freue mich über diese Initiative, denn wir schaffen für mehr Menschen die Gelegenheit, den eigenen Le- bensunterhalt mit einer frei gewählten Tätigkeit selbst zu verdienen. Damit gehen wir einen großen Schritt in Richtung inklusiver Arbeitsmarkt – auch wenn außer Frage steht, dass wir auf diesem Weg noch viele weitere Schritte zu gehen haben. Und natürlich haben wir auch noch viel mehr vor: Im Zuge des Bundesteilhabegesetzes wollen wir das Budget für Arbeit bundesweit einführen. In Nordrhein- Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hamburg und Niedersach- sen gibt es schon sehr gute Erfahrungen damit, und es ist ein vielversprechendes Instrument, um personenzen- trierte Arbeitsplätze in Unternehmen zu fördern. Klar ist auch, dass wir flexible Übergänge zwischen den Werkstätten für behinderte Menschen und dem ers- ten Arbeitsmarkt brauchen, damit mehr Werkstattbe- schäftigte sich dazu entscheiden, die Werkstatt zu verlas- sen. Dazu gehören vor allem klare Regelungen zum Rückkehrrecht. Diejenigen, die den Mut und den Willen aufbringen, auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln, brauchen die Sicherheit, in die Werkstatt zurückkommen zu dürfen, falls sie das möchten. Außerdem müssen wir bei Unternehmen mehr für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen wer- ben. Wir müssen Förderinstrumente verbessern und mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern darüber ins Ge- spräch kommen. Denn natürlich zählen sie zu den wich- tigsten Akteurinnen und Akteuren auf unserem Weg zum inklusiven Arbeitsmarkt. Viele von ihnen setzen sich be- reits für dieses Ziel ein. Aber viel zu viele tun es noch nicht. Es gibt noch immer 37 500 Unternehmen, die die Beschäftigungsquote erfüllen müssten, aber gar keine schwerbehinderten Mitarbeitenden haben. Es sei dahingestellt, ob der Grund dafür Unwissenheit oder Unwille ist. In jedem Fall müssen wir sie darüber informieren, was es bedeutet – und vor allem, was es nicht bedeutet –, Menschen mit Behinderung einzustel- len. Hier gibt es bereits gute Programme wie das Projekt „Wirtschaft inklusiv“, auf denen wir aufbauen können. Ein inklusiver Arbeitsmarkt mit tatsächlicher Wahl- freiheit ist erst dann gegeben, wenn jede Wahl zur Arbeitsaufnahme auch ermöglicht werden kann. Zu die- ser Wahlfreiheit gehören für Menschen mit Schwerbe- hinderungen Arbeitsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, zu denen auch Integrationsbetriebe zäh- len, genauso wie Arbeitsmöglichkeiten in geschützten Werkstätten oder Außenarbeitsplätze. Mit unserem Antrag kommen wir einen wichtigen Schritt weiter auf dem inklusiven Arbeitsmarkt. Katrin Werner (DIE LINKE): Vor wenigen Minuten diskutierten wir den Antrag der Linken „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen“. Dabei wurde wieder einmal ganz deutlich: Bei der Umsetzung der UN-Behin- dertenrechtskonvention fehlt nach wie vor die Men- schenrechtsperspektive! Der UN-Menschenrechtsausschuss über die Rechte von Menschen mit Behinderung ist besorgt über die Son- derarbeitswelten in Deutschland. Er kritisiert die Dop- pelstruktur und finanziellen Fehlanreize, die Inklusion verhindern. Deutschland ist das Land in Westeuropa mit dem am stärksten ausgeprägten Sondersystem. Aber was bedeuten der Regierung die Empfehlungen des UN-Fachausschusses? Seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskon- vention vor über sechs Jahren hat sich bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an Arbeit und Be- schäftigung am ersten Arbeitsmarkt nicht viel getan. Im Gegenteil: ihre Arbeitslosenzahlen steigen entgegen dem allgemeinen Trend weiter an und die Zahl der Menschen, die auf Sonderwege geschickt werden, nimmt zu. Und jetzt sagen Sie uns bitte nicht wieder, wie schon beim letzten Mal, die Empfehlungen aus Genf würden sich auf den Staatenbericht von 2011 beziehen und seien quasi veraltet. Denn das sind sie nicht! Sie beziehen sich auf die Prüfung diesen Jahres und sind somit brandaktu- ell! Ja, Menschen mit Behinderung sind nach wie vor überdurchschnittlich oft arbeitslos, und das meist sehr lange. Ihre Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch wie die nicht behinderter Menschen. Sie werden nach wie vor ganz klar diskriminiert, sei es durch fehlende Unterstüt- zung oder weil Arbeitsplätze nicht barrierefrei sind. Menschen mit Behinderung haben immer noch oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Hinzu kommt die mangelnde Sensibilisierung vieler Arbeitgeber und Arbeitgeberin- nen für ihre Kompetenz. Viele junge Menschen mit Be- hinderungen sind ausgezeichnet ausgebildet. Vor Ar- beitslosigkeit schützt sie aber auch eine gute Ausbildung nicht. Und dennoch, meine Damen und Herren der Koali- tion, Ihr Antrag greift viel zu kurz und kommt auch reichlich spät! Ehrlich gesagt, er ist ein wenig „Show“. Sie wollen zwar einerseits Integrationsunternehmen in Inklusions- unternehmen umbenennen, aber bei der Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention halten sie eisern und stur an dem Begriff der Integration fest. Warum ersetzen sie ihn nicht auch dort endlich durch Inklusion? Die bereits rund 800 existierenden Integrationsunter- nehmen sind einfach nicht genug, da geben wir Ihnen Recht! Aber wieso beschränken Sie sich dann auf 150 Millionen Euro in den kommenden drei Jahren? Wa- rum ergreifen Sie nicht mehr aus der Schatztruhe des Ausgleichsfonds des BMAS? Und wie wollen Sie denn Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11245 (A) (C) (D)(B) noch in diesem Jahr die Integrationsunternehmen mit 50 Millionen entlasten? Wenn Sie Integrationsunterneh- men für langzeitarbeitslose Menschen öffnen, was ge- schieht mit den dort arbeitenden Menschen mit Behinde- rung? Eine Förderung der Integrationsbetriebe allein reicht nicht aus. Wir brauchen eine strukturelle und schritt- weise Umgestaltung des gesamten Werkstattsystems. Integrationsfirmen sind für einen inklusiven Arbeits- markt fundamental wichtig. Sie tragen wegweisend zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben von Men- schen mit Behinderungen bei. Wir müssen sie wesentlich stärken. Deshalb wollen wir, die Linke, bei der Umstrukturie- rung des derzeitigen Arbeitsmarktes für Menschen mit Behinderung vor allem Dreierlei: Wir wollen erstens Integrationsbetriebe nicht nur durch eine bevorzugte Vergabe bei öffentlichen Aufträ- gen fördern, sondern zusätzlich durch Investitionsförde- rungen und Steuerentlastungen in der Gründungsphase langfristig unterstützen. Wir wollen zweitens ein Budget für Arbeit, das es jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeit- nehmerin erlaubt, ihren Arbeitsplatz frei zu wählen. Wir wollen drittens eine unabhängige verpflichtende Beratung durch Menschen mit Behinderung, die Men- schen bei der Ausübung ihres Wunsch- und Wahlrechts bezüglich Arbeit mit zahlreichen Alternativen unter- stützt. Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde in Deutschland mit ihrem Inkrafttreten geltendes Recht. Dieses Recht gilt es jetzt endlich auch in Bezug auf ei- nen inklusiven Arbeitsmarkt umzusetzen. Menschen mit Behinderung müssen endlich mit entsprechender Unter- stützung am allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein. Liebe Regierungsmitglieder, krempeln Sie die Ärmel hoch und erfüllen Sie ihre Hausaufgaben aus Genf. Setzen Sie die Empfehlungen aus Genf und somit Menschenrechte endlich auch bei uns um. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe es heute Nachmittag schon einmal gesagt: Ich freue mich, dass nun endlich auch von den Koalitionsfraktio- nen ein konkreter Vorschlag vorliegt, um die Chancen behinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt zu verbes- sern. Ich habe mich bereits heute Nachmittag ausführlich zum Thema geäußert, aus diesem Grund möchte ich nur mit einigen wenigen Sätzen auf den vorliegenden Antrag eingehen. Den Fokus auf die Integrationsbetriebe zu legen, ist eine gute Entscheidung: Sie bieten bereits jetzt vielen schwerbehinderten Menschen tariflich bzw. ortsüblich entlohnte Arbeitsplätze. Leider scheitern Neugründun- gen immer wieder daran, dass in den Ländern nicht aus- reichend Geld zur Verfügung steht. Aus diesem Grund freue ich mich, dass hier vorgeschlagen wird, aus Bun- desmitteln Gelder zur Verfügung zu stellen. Ich möchte aber auf zwei Aspekte hinweisen, die wir unbedingt im Auge behalten müssen: Zum einen spre- chen Sie in Ihrem Antrag von „Anschubfinanzierung“. Nach meiner Kenntnis ist es gegenwärtig ein großes Pro- blem, die Arbeitsplätze in Integrationsfirmen auf Dauer zu finanzieren. Wenn es also um die dauerhafte Beglei- tung und die Finanzierung von Lohnkostenzuschüssen geht, auf die sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auch verlassen können. Wenn wir die Integrationsfirmen als Alternative zur Werkstatt für behinderte Menschen ernsthaft stärken möchten, dann muss es auch hier Ver- lässlichkeit geben. Nun soll hier eine schöne Summe für Integrationsbetriebe zur Verfügung gestellt werden, und es wäre doch sinnvoll, dass die Betriebe das Geld auch so verwenden können, wie es zur Unterstützung der ent- sprechenden behinderten Menschen vor Ort sinnvoll ist. Den zweiten Punkt möchte ich hier als Anstoß in die Runde geben: Wir wissen, dass es große Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt, was die Förderung von Integrationsfirmen angeht. Wenn sich der Bund jetzt finanziell für die Integrationsfirmen engagiert, sollten wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir sicherstel- len können, dass sich in der Folge kein Land aus der Ver- antwortung zurückzieht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für diesen Aufschlag und freue mich auf die weitere parla- mentarische Beratung. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bericht der Bundesre- gierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glaubensfreiheit (Tagesordnungspunkt 21) Erika Steinbach (CDU/CSU): Wir beraten heute ab- schließend über den von CDU/CSU, SPD und Grünen gemeinsam vorgelegten Antrag „Bericht der Bundesre- gierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glau- bensfreiheit“. Zu Beginn meiner Rede will ich mich aus- drücklich bei unserem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder bedanken, der sich seit vielen Jahren mit großem Nachdruck für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit engagiert. Lieber Volker, mit deinem unermüdlichen Einsatz hast du das Feld bestellt, auf dem wir nun auch mit diesem Antrag aussäen können. Franz Josef Jung hat den Antrag gemeinsam mit den Beauftragten für Kirchen und Religionsgemeinschaften unseres Koalitionspartners und der Grünen „auf die Schienen gesetzt“. Auch dafür danke ich ausdrücklich. Die Religion drückt die tiefste Sehnsucht des Men- schen aus. Sie bestimmt seine Weltanschauung und re- gelt die Beziehung zu den anderen. Letztlich gibt sie die Antwort auf die Frage nach dem wahren Lebenssinn im persönlichen und im sozialen Bereich. Die Religionsfrei- heit bildet daher das Herz der Menschenrechte. 11246 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Deshalb muss jeder Mensch seine Religion frei leben können. Für uns in Deutschland und in Europa ist dieser Satz selbstverständlich. In vielen anderen Teilen der Welt gilt dies aber nicht. Die Zahl der religiösen Aus- einandersetzungen steigt. Religiös motivierter Hass ist weltweit zu einer der größten Bedrohungen des Friedens geworden – und das nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, wo der Terror des „Islamischen Staates“ auch im- mer mehr Muslime bedroht. Religionsfreiheit ist eng verwoben mit anderen Frei- heitsrechten. Wo es keine Religionsfreiheit gibt, da gibt es keine Freiheit. Die Debatte über die Mohammed- Karikaturen hat die direkte Verbindung der Religions- freiheit mit der Meinungs- und Pressefreiheit mehr als deutlich gemacht. Darüber hinaus haben viele Minder- heitenkonflikte auch eine religiöse Dimension. Auch hier gilt: ohne Religionsfreiheit kein Minderheiten- schutz. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist die Reli- gions- und Glaubensfreiheit seit langem ein wichtiges Anliegen, das sie aus dem C in ihrem Namen, dem Be- kenntnis zum Christentum, herleitet. Die Hilfe für reli- giöse Minderheiten auf der ganzen Welt gehört in den Kontext ihrer wertegebundenen Außenpolitik. Wertege- bundene Außenpolitik darf nicht nur ein Lippenbekennt- nis sein. Sie muss ihren Ausdruck in der praktischen Politik finden. Bereits in der vergangenen Wahlperiode verabschiedete der Bundestag auf Initiative der Unions- fraktion einen Koalitionsantrag zur Religionsfreiheit. Es freut mich sehr, dass wir nun mit dem vorliegenden in- terfraktionellen Antrag gemeinsam die nächsten Schritte auf diesem Weg gehen können. Neu ist, dass die Bundesregierung in unserem Antrag dazu aufgefordert wird, bis Mitte nächsten Jahres erst- malig einen Bericht vorzulegen, in dem der Stand der Religions- und Glaubensfreiheit in den Staaten weltweit beschrieben wird. Dabei muss die Regierung auch ihre politischen Bemühungen vorstellen, die sie zur Förde- rung dieses Menschenrechts unternimmt. Damit folgen wir dem Beispiel der USA. Dort muss das State Depart- ment sogar jährlich berichten. Ich wünsche mir sehr, dass wir – aufbauend auf diesen zunächst einmaligen Bericht – mittelfristig ebenfalls einen regelmäßigen Be- richtsrhythmus erreichen werden. So wäre zum Beispiel ein zweijähriger Rhythmus – immer im Wechsel mit dem Menschenrechtsbericht der Bundesregierung – denkbar. In unserem Antrag machen wir sehr deutlich, dass wir keine Religion oder Glaubensgemeinschaft besonders begünstigen wollen. Für unser eigenes Land heißt das, dass in der Bundesrepublik Deutschland jeder im Rah- men unserer Gesetze seinen Glauben frei leben kann. Das bedeutet zum Beispiel, dass alle Religionsgemein- schaften ihre Gottes- und Gebetshäuser bauen dürfen. Das bedeutet aber auch, dass das, was bei uns erlaubt ist, zum Beispiel in der Türkei oder anderen mehrheitlich muslimischem Ländern möglich sein sollte. In diesem Zusammenhang muss allerdings auch ganz klar sein, dass die mittelalterlichen Regeln der Scharia nicht mit unserem Grundgesetz und den freiheitlichen Werten der Europäischen Union kompatibel sind. Der Bericht wird sicherlich dazu beitragen, die doch manch- mal sehr emotional geführten Debatten in diesem Be- reich zu versachlichen. Die deutsche Außenpolitik kann viel für die Reli- gionsfreiheit und religiöse Toleranz erreichen. Kaum ein Land dieser Welt wird es gerne hören, wenn Missstände auf diesem Gebiet offen angesprochen werden. Gegen den islamistischen Terror, wie er jüngst Tunesien und Frankreich erschüttert hat, hilft aber keine Diplomatie. Hier können wir nur die Kräfte unterstützen, die gegen diese Barbarei Widerstand leisten. Grundsätzlich muss ein neuer Geist der religiösen Toleranz in dieser Welt einziehen. Das Eintreten für die Religionsfreiheit ist ein Einsatz für den Frieden. Der in unserem gemeinsamen Antrag geforderte Bericht zur weltweiten Situation der Religions- und Glaubensfrei- heit kann in diesem Kontext ein deutscher Beitrag sein. Die erste Lesung und die Ausschussberatungen haben gezeigt, dass es in allen Fraktionen des Deutschen Bun- destages eine breite Unterstützung für unser Vorhaben gibt. Deshalb würde ich mich auch heute in der abschlie- ßenden Abstimmung über Ihre Zustimmung freuen. Frank Schwabe (SPD): Zurzeit ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime. Weltweit sind die Muslime dazu aufgerufen, von Sonnenaufgang bis Sonnenunter- gang auf Essen und Trinken zu verzichten. Der Ramadan hat einen hohen Stellenwert für gläubige Muslime. In China unternimmt die Zentralregierung dieser Tage den Versuch, diese äußeren Symbole muslimischer Reli- giosität zu unterdrücken, unsichtbar zu machen. In eini- gen Landkreisen in der Provinz Xinjiang, deren Bevöl- kerung knapp zur Hälfte aus dem Volk der muslimischen Uiguren besteht, verbieten Parteimitglieder und Beamte das Fasten. Uigurische Beamte müssen schwören, die Fastenzeit zu boykottieren und nicht an Gott zu glauben und nicht an religiösen Aktivitäten teilzunehmen. Han- chinesische Kollegen sind aufgefordert, darauf zu ach- ten, ob die Beamten mittags wirklich etwas essen. In den Schulen sollen Lehrer Schülern Wasser geben mit der Aufforderung, es öffentlich zu trinken. In der Öffentlich- keit wird vermehrt für Restaurantbesuche und vor allem auch für den Genuss von Alkohol geworben. All diese Aktionen stellen eine Verletzung des Rechts auf Glau- bens- und Religionsfreiheit dar. Leider ist die Situation der Uiguren in China nur ein Beispiel. In den letzten Jahren steigt die Zahl der Men- schen, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, der Ausübung ihrer Religion oder aufgrund eines Wechsels ihrer Religionszugehörigkeit Opfer von Diskriminie- rung, Unterdrückung, Verfolgung und erheblicher Repressionen werden, stetig. Diese Menschen werden verhaftet, misshandelt, vertrieben. Vielfach müssen sie sogar um Leib und Leben fürchten. Der Fall der Uiguren in der chinesischen Region Xin- jiang reiht sich in eine endlose Liste der Verletzungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit ein. Dies zeigt der Bericht zur internationalen Lage der Religions- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11247 (A) (C) (D)(B) freiheit, den die US-Regierung seit einigen Jahren veröf- fentlicht: Dort wird von über 400 schiitischen Muslimen und 80 Christen berichtet, die in Pakistan von Milizen getötet wurden. In Ägypten sind Schiiten und Christen weiterhin vielfach gewalttätigen Angriffen ausgesetzt. Im Iran werden religiöse Gruppierungen, die nicht dem schiitischen Islam angehören, von Beamten und den so- genannten Gotteswächtern schikaniert und bedroht – so auch die Bahai. In Bangladesch wurden, angefacht durch politische Unruhen, Hindus und andere ethnische Grup- pierungen belästigt und ebenfalls Opfer physischer An- griffe. In Sri Lanka zerstörten gewaltbereite nationalisti- sche Buddhisten Moscheen und Kirchen, ohne dass Sicherheitskräfte eingriffen. Uns allen sind auch die Gräueltaten des „Islamischen Staates“ vor Augen, der in großen Teilen Syriens und des Irak in quasistaatlicher Funktion herrscht. IS-Anhänger versklaven Jesiden, Christen, aber auch schiitische Muslime, verkaufen Frauen und Kinder und töten viele Andersgläubige auf brutalste Weise. Wir sollten den Blick allerdings nicht nur auf die isla- misch geprägten Länder des Nahen und Mittleren Ostens oder auf den asiatischen Kontinent richten. Auch hier bei uns in Europa werden Menschen aufgrund ihrer Reli- gionszugehörigkeit mit Skepsis beäugt, ausgegrenzt. Dies belegen Phänomene wie Pegida, antisemitische oder antiislamische Äußerungen in Internetforen und in der Öffentlichkeit sowie die Kontroversen um den Bau von Synagogen, Moscheen und anderen Gotteshäusern „fremder“ Religionen. In den letzten Jahren lässt sich eine Renaissance der Religion feststellen. In einer zunehmend globalisierten Welt suchen viele Menschen im Glauben und im Zuge- hörigkeitsgefühl zu einer Glaubensgemeinschaft Sinn und Sicherheit. Ein Trend, der sich auf allen Kontinenten beobachten lässt, seien es die evangelikalen Bewegun- gen in den USA, in Lateinamerika oder in Afrika, die Strahlkraft des Islam oder aber die Wiederentdeckung und Stärkung der orthodoxen Kirche in Russland. Zunehmende Religiosität und eine wachsende Bedeu- tung von religiösen Faktoren in Politik und Gesellschaft führen, wie die genannten Beispiele zeigen, jedoch nicht automatisch zu mehr Verständigung und Frieden. Im Ge- genteil: Sie lösen Spannungen aus in der Gesellschaft, Spannungen, die zu Einschränkungen des Rechts auf Religions- und Meinungsfreiheit und somit de facto zur Einschränkung von Menschenrechten führen. Diese kön- nen, wie wiederum durch die Fallbeispiele deutlich wird, durch zivilgesellschaftliche Akteure, aber auch durch staatliche Stellen geschehen. Häufig sind religiöse Minderheiten die Leidtragenden, aber auch die Mehr- heitsreligionen können betroffen sein. Oft geht es nur vordergründig um Religion; politische, soziale und wirt- schaftliche Motive spielen eine ebenso große Rolle. Zur Bewältigung der Konflikte bedarf es daher oftmals einer tiefergehenden Analyse. Die SPD-Fraktion verfolgt mit großer Sorge die welt- weite Verfolgung von religiösen Minderheiten und setzt sich mit all ihren Möglichkeiten für den Schutz der Reli- gions- und Glaubensfreiheit ein. Dabei unterscheiden wir nicht nach Religionen, Weltanschauungen oder nach der Zahl der Anhängerschaft. Die weltweite Achtung und der Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit muss eine vordringliche Aufgabe der internationalen Gemeinschaft sein. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind längst vorhanden, denn Religi- ons- und Glaubensfreiheit sind in internationalen und regionalen Menschenrechtskonventionen sowie in natio- nalen Verfassungen verankert: in Artikel 18 der Allge- meinen Erklärung der Menschenrechte, in Artikel 18 des UN-Zivilpakts, in Artikel 9 der Europäischen Men- schenrechtskonvention, EMRK, in Artikel 10 der Grund- rechtecharta der EU, in Artikel 12 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention und in Artikel 8 der Banjul Charta. Religionsfreiheit ist ein universales Recht, keine Frage der Toleranz. 166 Staaten haben den UN-Zivilpakt ratifiziert und erkennen damit verbindlich den folgenden Artikel 18 an: (1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Ge- wissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht um- fasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltan- schauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschau- ung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öf- fentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu be- kunden. (2) Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltan- schauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde. (3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschau- ung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgese- henen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.“ Religions- und Glaubensfreiheit ist eine Ausprägung der Menschenwürde. Sie bezieht sich auf den einzelnen Menschen und sein Recht, eine Religion oder eine Welt- anschauung zu haben oder anzunehmen. Er kann sie auch wechseln oder einen atheistischen Standpunkt ein- nehmen. Diese Entscheidungen zu treffen ist seine indi- viduelle Freiheit. Positive Religionsfreiheit bedeutet, dass ein Mensch in allen seinen religiösen oder weltan- schaulichen Aktivitäten Schutz genießt, negative Reli- gionsfreiheit bedeutet, dass er zu keiner Religion oder Weltanschauung und den damit verbundenen Aktivitäten gezwungen werden darf. Positive und negative Reli- gionsfreiheit sind zwei Seiten ein und derselben Me- daille. Für alle den Menschenrechten verpflichteten Staaten, Gesellschaften und Religionsgemeinschaften ist es eine große Herausforderung, wirksam gegen die politische Instrumentalisierung von Religion und für den Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit einzutreten, sowohl im Innern als auch in den internationalen Beziehungen. In Europa ist Religionsfreiheit besser umgesetzt als in anderen Regionen der Welt. Deshalb haben die europäi- 11248 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) schen Staaten eine besondere Vorbildfunktion und Ver- antwortung für den inter- und intrareligiösen Dialog und für ein tolerantes Zusammenleben von Menschen unter- schiedlicher Religionszugehörigkeit. Der für das nächste Jahr geplante Bericht über die weltweite Lage der Religions- und Glaubensfreiheit ist eine gute Basis zur intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik und wird die Arbeit in den Ausschüssen und im Bundestag unterstützen. Hervorzuheben ist, dass dieser Bericht nicht nur die Verletzungen des Rechts auf Religionsfreiheit aufzeigen, sondern auch auf die Maß- nahmen der Bundesregierung eingehen wird, die diese zum Schutz der betroffenen religiösen Gruppen sowie zur Verbesserung der menschenrechtlichen Lage in den jeweiligen Ländern getroffen hat. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. Christine Buchholz (DIE LINKE): Heute stimmen wir über einen Antrag ab, der die Bundesregierung auf- fordert, bis zum 30. Juni 2016 einen Bericht über den Stand der Religionsfreiheit weltweit vorzulegen. Die Linke wird diesem Antrag zustimmen. Zwei Aspekte möchte ich in der Debatte besonders hervorheben: Wenn es um Religionsfreiheit geht, sollten wir zuerst vor der eigenen Haustür kehren. Das betrifft die Situa- tion sowohl in der Bundesrepublik als auch in der EU. Zum anderen will ich hervorheben, dass viele Kon- flikte, die religiös bemäntelt werden, in aller Regel im Kern politische und soziale Auseinandersetzungen dar- stellen. Das Eintreten für Religionsfreiheit darf im Übri- gen nicht für eine Außenpolitik instrumentalisiert wer- den, die diese Konflikte nicht löst, sondern befördert. Zum ersten Punkt: Wie steht es um die Religionsfrei- heit in Deutschland und Europa? Dazu zählt nicht nur das formale Recht auf Ausübung der Religion der eige- nen Wahl. Es muss auch ein Klima herrschen, in dem alle Menschen ohne Angst sich zu ihrem Glauben beken- nen können. Dies ist nicht der Fall. Es herrscht ein Klima der Feindseligkeit gegen Muslime in vielen europäischen Ländern. Dies wurde jüngst durch eine Umfrage des US- Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center be- stätigt, wonach 56 Prozent der Bevölkerungen in den sechs größten EU-Ländern negativ gegenüber Muslimen eingestellt seien. Die Folgen dieser feindseligen Haltung gegenüber dem Islam sind dramatisch. So jährte sich gestern zum sechsten Mal der Mord an Marwa al-Schirbini, die im Dresdner Landgericht vor den Augen ihres Kindes und ihres Mannes von einem Rassisten niedergestochen wurde. Die damalige Bundesregierung hat mehrere Tage gebraucht, bevor sie sich überhaupt zu diesem Verbre- chen geäußert hat. Zurückhaltung bei der Verteidigung von Muslimen gibt jenen Rückenwind, die mit dem Hass gegen Mus- lime Menschen mobilisieren. Pegida konnte so Tausende in Dresden mobilisieren. Viele Politiker stellten sich ge- gen Pegida. Nur die wenigsten sprachen aus, was diese Bewegung antrieb: Rassismus gegen Muslime. Pegida ist nur der sichtbare Ausdruck für ein verbrei- tetes Problem. Moscheen wurden in den vergangen Jah- ren zu Dutzenden Ziele rassistischer Anschläge. Es gab wiederholt Proteste gegen den Bau von Moscheen. In ei- nigen Orten versuchen kommunale Verwaltungen über Bauvorschriften und andere bürokratische Tricks, den Bau von Moscheen in zentraler Lage zu verhindern. Solange Muslime, Juden und andere religiöse Min- derheiten nicht Gotteshäuser nach ihren Vorstellungen bauen oder angstfrei besuchen können, ist die Religions- freiheit bei uns nicht für alle garantiert. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März darf Lehrerinnen nicht mehr pauschal verboten werden, an Schulen das Kopftuch zu tragen. Dies ist ein Schritt nach vorn. Denn das Kopftuchverbot ist nichts anderes als ein Akt der Unterdrückung einer religiösen Minderheit. Doch wir erleben weiterhin tagtäglich die Diskriminierung von muslimischen Frauen, die Kopf- tuch tragen. Einer der Gründe sind Äußerungen und Schriften be- kannter Politiker, nicht zuletzt der Sozialdemokraten Sarrazin und Buschkowsky. In dem Bezirksamt von Ber- lin-Neukölln, dort, wo Buschkowsky Bürgermeister war, bewarb sich die kopftuchtragende Muslima Betül Ulu- soy als Rechtsreferendarin. Sie musste erleben, wie eine telefonische Zusage zurückgezogen wurde, nachdem sie dort persönlich vorstellig wurde. Das ist Diskriminie- rung und widerspricht geltendem Recht. Leider ist diese Erfahrung kein Einzelfall. Häufig wird mit dem Finger auf andere Länder ge- zeigt, wenn es darum geht, religiöse Diskriminierung an- zuprangern. Doch wie verhält sich die deutsche Aus- landsvertretung in dem Land gegenüber diesem Phänomen? Die Ahmadiyya-Gemeinde wird in Pakistan verfolgt, ihre Eheschließungen werden in Pakistan nicht anerkannt. Wenn nach Deutschland ausgewanderte Mit- glieder der Ahmadiyya-Gemeinde Ehegatten oder -gat- tinnen im Zuge der Familienzusammenführung nachho- len wollen, bekommen sie Probleme. Oft müssen sie erleben, dass sich die Deutsche Botschaft in Pakistan die Position der pakistanischen Behörden zu eigen macht und die Eheschließungen nicht anerkennt. Wer weltweit glaubwürdig für Religionsfreiheit ein- treten möchte, darf nicht gleichzeitig diskriminierende Standards bei der Vergabe von Visa und Aufenthaltsbe- rechtigungen übernehmen. Hier gibt es Handlungsbe- darf. Herr Kauder setzt sich besonders für die Religions- freiheit von Christinnen und Christen ein, zum Beispiel in Ägypten. Ich bin auch für die Religionsfreiheit der Koptischen Gemeinde in Ägypten. Wer aber die Rechte der Kopten hochhält und dann dem ägyptischen Diktator el-Sisi den roten Teppich in Berlin ausrollt, der predigt eine Doppelmoral. Unter Präsident el-Sisi wurden rund 1 500 Todesurteile gegenüber Muslimbrüdern und ande- ren Oppositionellen verhängt. Man kann sehr wohl die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11249 (A) (C) (D)(B) Rechte der Kopten verteidigen, ohne sich vor den Karren el-Sisis spannen zu lassen. Nicht nur el-Sisi, auch das saudische Regime wird ho- fiert – obgleich in dem Land auf die Ausübung der christlichen Religion die Todesstrafe steht. Offenbar trägt der Vorsatz einer „wertegeleiteten“ Außenpolitik nur so weit, wie die „Werte“ nicht mit wirtschaftlichen oder strategischen Interessen kollidieren. Das ist leider die Realität. Die Redner der Union haben in der ersten Lesung die- ses Antrages auf die Verbrechen des sogenannten „Isla- mischen Staates“ verwiesen. Der IS mordet, versklavt und vergewaltigt im Namen der Religion Christen und Jesiden. Das ist richtig. Allerdings ist es falsch, den Ein- druck zu erwecken, es handele sich beim Krieg im Irak um einen Krieg zwischen Christentum und Islam. Ers- tens sind es in der Mehrzahl Muslime, die unter dem IS leiden. Zum anderen werden vonseiten der radikal-schii- tischen Milizen Verbrechen begangen, die jenen des IS gleichen. Doch diese Milizen sind es, auf die sich das mit der westlichen Allianz verbündete Regime in Bag- dad stützt. Die Religion dient nicht nur dem IS, sondern beiden Seiten als Vorwand, um Ortschaften zu plündern, Gefangene hinzurichten und Bevölkerungen zu vertrei- ben. Wir sind gespannt auf den Bericht der Bundesregie- rung zur Religionsfreiheit. Und wir sind gespannt, wie sie das eigene Agieren in der Frage bilanzieren wird. Es geht um die Stärkung der Religionsfreiheit und aller an- deren Menschenrechte. Hierzulande und weltweit. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Religiöse Intoleranz ist weltweit auf dem Vormarsch. Menschen werden aufgrund ihrer Religion in vielen Tei- len der Welt diskriminiert, schikaniert, gefoltert und ge- tötet. Mit barbarischem Eifer verfolgen extremistische Gruppierungen wie ISIS Andersgläubige – ob gemäßigte Muslime, Jesiden oder Christen. Die Terroranschläge am vergangenen Freitag mit insgesamt mehr als 65 Toten haben uns diese grausame Realität wieder einmal vor Augen geführt. In Lyon hinterließ der Attentäter eine IS-Flagge und auch zu dem Anschlag auf Touristinnen an einem Strand in Tunesien bekannte sich die Terror- miliz. Der saudi-arabische Ableger des IS zeigte sich verantwortlich für die Bombe in einer Moschee in Ku- wait. Christenverfolgung ist ein besorgniserregendes Pro- blem, in Syrien sind derzeit 200 000 Assyrer auf der Flucht, auch die Drusen werden von ISIS bedroht. Der „Weltverfolgungsindex 2015“ des christlichen Hilfs- werks Open Doors zeigt mit Blick auf verfolgte Christin- nen und Christen einen wichtigen Ausschnitt der religiö- sen Verfolgung. Aber die Realität ist komplexer als das: Heiner Bielefeldt umschreibt es treffend: „Religionsfrei- heit ist ein universelles Menschenrecht, das Menschen in all ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit schützt“. Er ist UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltan- schauungsfreiheit. Glauben als Menschenrecht beinhal- tet also nicht nur das Recht, sich einen Glauben zu bil- den, sondern auch das Recht, ihn zu wechseln oder überhaupt nicht an eine Religion zu glauben. Auch Muslime sind sehr häufig Opfer religiöser Ver- folgung, nicht nur, aber gerade auch durch Islamisten. Im Irak und Syrien werden neben den Jesiden auch Schiiten und kritische Sunniten vom IS verfolgt. In In- dien kommt es mit dem Hindu-Nationalismus immer wieder zu Gewalt gegenüber religiösen Minderheiten. In Myanmar gehen buddhistische Mönche gegen Muslime vor, auch in Sri Lanka wird Gewalt im Namen des Bud- dhismus verübt. In den Südstaaten der USA sind in den letzten Wochen zahlreiche sogenannte Black Churches angezündet worden von Tätern, deren krudes rassisti- sches „Ku-Klux-Klan“-Weltbild sich auf die christliche Lehre berufen will. In vielen Teilen der Welt werden au- ßerdem immer wieder Atheisten verfolgt. Zur Religionsfreiheit gehört auch die negative Reli- gionsfreiheit. Das heißt, die Freiheit, religiöse Riten und Äußerungsformen nicht vollziehen zu müssen. Aber im- mer wieder werden religiöse Argumente missbraucht, um Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen, so am vergangenen Wochenende in Istanbul. Die friedlich De- monstrierenden von Istanbul Gay Pride wurden mit Knüppeln, Tränengas, Wasserwerfern und sogar Plastik- geschossen vertrieben. Ihr Protest wurde als „unverein- bar mit dem Ramadan“ denunziert. Dieser Missbrauch der Religion als Legitimation für Gewalt ist inakzeptabel und besonders alarmierend. Die Demonstrierenden ver- dienen unsere volle Solidarität. Alle diese Vorfälle zeigen, dass wir endlich eine ehrli- che und sachliche Debatte brauchen, sowohl über die Verfolgung im Namen des Glaubens als auch über die Verfolgung von Gläubigen. Hierbei kommt es darauf an, Zusammenhänge zwischen Gewalt und Religion nicht zu vereinfachen. Es ist wichtig, dass wir ein Bild davon be- kommen, wo Menschen überall auf der Welt aufgrund ihres Glaubens verfolgt und diskriminiert werden. Der von uns gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen einge- forderte Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glaubensfreiheit kann dieses Bild zeichnen. Er kann die Debatte um Religionsfreiheit schärfen und auf sachlicher Ebene voranbringen. Es geht uns um eine präzise Berichterstattung zur weltweiten Lage der Verfolgung von religiösen Minderheiten. Der Bericht muss dann aber auch Konsequenzen für unsere eigene Politik haben. Unsere Aufmerksamkeit muss allen Schwachen, allen Opfern religiöser Verfol- gung gelten. Denn dort, wo religiöse Gemeinschaften sich unterdrückt und benachteiligt fühlen, lassen sie sich für politische Zwecke mobilisieren. Außenpolitik muss den respektvollen Umgang der Religionsgemeinschaften untereinander fördern. Die Bundesregierung muss deut- liche Kritik an der Diskriminierung aller religiösen Min- derheiten in allen Teilen der Welt üben. Saudi-Arabien kann dann nicht mehr immer wieder als Partner bezeich- net werden, wenn die Regierung bereits den Besitz einer Bibel mit dem Tod bestraft und religiös-dogmatische, gewaltbereite salafistische Gruppierungen weltweit un- terstützt. 11250 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Religionsfreiheit ist ein zentrales Menschenrecht, und wir dürfen eines nicht vergessen: Sie muss der gleichen freiheitsrechtlichen Logik folgen wie die Meinungsfrei- heit. Es geht darum, dass Menschen ihre Religion gemäß ihrer persönlichen Überzeugung gleichberechtigt und frei leben können. Dazu gehört auch, dass man religiös provozieren darf. Zum demokratischen Rechtsstaat muss gehören, diese Provokationen auszuhalten – egal ob von Monty Python oder „Charlie Hebdo“. Der Graben ver- läuft nicht zwischen Religionen, sondern zwischen De- mokraten und den Feinden der Demokratie. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Fischetikettierungsgesetzes und des Tiergesundheitsgesetzes (Tagesordnungspunkt 22) Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Gerade mal vor zwei Tagen kam eine Meldung des Statistischen Bundes- amtes, dass die Erzeugung in deutschen Aquakulturbe- trieben im Jahr 2014 gegenüber dem Vorjahr um 3,0 Pro- zent gestiegen ist. Immer mehr Fisch, der auf unserem Teller landet, kommt aus der Zucht. In absehbarer Zeit werden wir wohl mehr Fisch aus Aquakulturen als aus dem Fang verspeisen. Im Hinblick auf die Überfischung und zum Schutz der Ökosysteme ist diese Entwicklung zu begrüßen. Bei der Nutzung der Wachstumspotenziale der Aquakultur ist jedoch darauf zu achten, dass dies nachhaltig und tierschutzgerecht erfolgt. Der Appetit auf Aquakultur- und Fischereiprodukte wächst weltweit seit dem Jahr 2004 kontinuierlich. Fisch ist nicht nur ein wichtiger Teil der menschlichen Ernäh- rung, sondern auch ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. Alleine in der deutschen Fischwirtschaft betrug der Umsatz im Jahr 2014 rund 2 Milliarden Euro. Für die nächsten Jahre werden der Branche stabile Umsätze pro- gnostiziert. Die Fischwirtschaft hat nicht nur unseren Fischhunger zu stillen und dabei auf die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen zu achten. Mit der heute zur Beratung stehenden Änderung des Fischetikettierungsgesetzes wird die Fischwirtschaft ver- pflichtet, noch mehr Transparenz über die Herkunft und die Produktionsmethoden ihrer Produkte herzustellen. Die Überführung der neuen, ergänzenden EU-Vorschrif- ten zur Verbraucherinformation in nationales Recht ist eine Eins-zu-eins-Umsetzung und stärkt das Vertrauen der Konsumenten, was wir als CDU/CSU-Bundestags- fraktion äußerst begrüßen. Dank der neuen Kennzeich- nungsvorschriften wird sich jeder Verbraucher informie- ren können, in welchem Untergebiet genau und mit welchen Fanggeräten der Fisch gewonnen wurde. Auch bei Binnenfischerei- und Aquakulturerzeugnis- sen muss künftig ihre Herkunft angegeben werden. So kann jeder beim Kauf verstärkt Nachhaltigkeitsaspekte in Erwägung ziehen und den Schutz unserer natürlichen Ressourcen fördern. Das entspricht unserem Leitbild ei- nes mündigen Verbrauchers, der auf der Grundlage klarer Angaben sein Kaufverhalten steuern und dadurch Verantwortung übernehmen kann. Die Stärkung der Verbraucherinformation rechtfertigt geringfügig höhere Kosten, die der Wirtschaft durch die erweiterte Etikettie- rung ihrer Erzeugnisse entstehen sowie den eher unbe- deutenden Mehraufwand für die Verwaltung. Mit keinerlei Kosten verbunden ist wiederum die Änderung des Tiergesundheitsgesetzes, die heute ebenso in der zweiten und dritten Lesung beraten wird. Mit die- ser Änderung wird eine Regelungslücke geschlossen, um bestimmte Verordnungsregelungen mit einem Bußgeld zu bewehren. Dies ist wichtig, damit im Falle einer virulenten Tierseuche Zuwiderhandlungen gegen entsprechende Verbote als Ordnungswidrigkeit geahndet werden können. Ferner wollen wir mit einem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen dem Friedrich-Loeffler-Institut, das als Bundesforschungsinstitut für die Tiergesundheit zu- ständig ist, eine Veröffentlichung von Testergebnissen ermöglichen. Die Ermächtigung sieht vor, dass das Insti- tut die im Rahmen seiner Tätigkeit als Referenzlabor ge- wonnenen Erkenntnisse veröffentlichen kann, soweit dies einer Gefahrenabwehr oder einer Risikovorbeugung dient. Bei der Entscheidung über die Veröffentlichung hat das Friedrich-Loeffler-Institut die Belange der Be- troffenen zu beachten und ihnen Rechnung zu tragen. Eine Veröffentlichung personenbezogener Daten ist aus- geschlossen. Mit diesem Vorschlag verbessern wir die Rechtslage im Sinne der Tiergesundheit. Für meine Fraktion und mich persönlich ist die Stärkung der Tiergesundheit ein wichtiger Auftrag und hohe Verantwortung, die sich aus dem Staatsziel Tierschutz ergeben. Zum Schluss möchte ich um breite Unterstützung für die Änderung des Tiergesundheitsgesetzes und des Fischetikettierungsgesetzes werben. Denn mit diesen Änderungen stärken wir den Verbraucher und sein Recht auf verständliche und umfassende Information, fördern das Verbrauchervertrauen in die Fischerei- und Aquakul- turprodukte, machen die Fischerzeugung nachhaltiger und schützen die Gesundheit unserer Mitgeschöpfe. Alois Rainer (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Fischetikettierungsge- setzes und des Tiergesundheitsgesetzes vollziehen wir die Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Ge- meinschaft durch die Verordnung 1379/2013 vom 29. Dezember 2013. Damit gehen wir auf die gemeinsame Marktorganisa- tion für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur ein mit dem Ziel, den Verbraucherinnen und Verbrau- chern weiterführende, klare und verständliche Informa- tionen verfügbar zu machen. Die Gesetzesänderung berücksichtigt in Artikel 1 die erweiterten Verbraucherinformationen des Unionsrechts, die bei der Etikettierung nach diesem Gesetz in Zukunft zusätzlich berücksichtigt werden müssen. Unverändert davon bleiben in dem Entwurf die Bestimmungen hin- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11251 (A) (C) (D)(B) sichtlich der Aufgaben der zuständigen Behörden sowie die Bußgeldvorschriften. So ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung weiterhin für die Über- wachung der Einhaltung der Rechtsakte der EU außer- halb der verbindlichen Anlandeorte zuständig. Demnach müssen sowohl für die Gebiete des Nordostatlantiks, die FAO-Fanggebiete, in denen die deutsche Flotte überwiegend fischt, als auch für das Fanggebiet im Mittelmeer und im Schwarzen Meer, dif- ferenzierte Angaben über die Herkunft der Fischereipro- dukte, mit Angabe über das Untergebiet oder über den Bereich des Fischens, gemacht werden. Die Änderungen in Artikel 2 bezüglich des Tier- schutzgesetztes dienen vorrangig der Schließung einer Lücke bei den Ordnungswidrigkeiten. Zum derzeitigen Zeitpunkt sieht das Tiergesundheits- gesetz keine ausreichende Bußgeldbewehrung bestimm- ter Verordnungsregelungen vor, die Verbote des innerge- meinschaftlichen Verbringens, der Einfuhr oder der Ausfuhr von Tieren, Teilen von Tieren oder tierischen Erzeugnissen zum Inhalt haben. Zum Beispiel bei hoch- ansteckenden Tierseuchen, wie etwa der Schweinepest, wäre bei Zuwiderhandlungen gegen entsprechende Ver- bote eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit derzeit nicht möglich. Mit der nun vorliegenden Änderung soll die derzeit bestehende Bewehrungslücke im Tiergesundheitsgesetz geschlossen werden. Dazu bedarf es sowohl einer Ände- rung der Bußgeldvorschrift in § 32 des Tiergesundheits- gesetzes als auch einer Neufassung des § 14 Absatz 1 des Tiergesundheitsgesetzes. Ferner wollen wir mit einem Änderungsantrag sicher- stellen, dass das Friedrich-Loeffler-Institut, FLI, er- mächtigt wird, die im Rahmen der Wahrnehmung seiner Aufgaben als Referenzlabor gewonnenen Testergebnisse bei Vorliegen einer Gefahr oder eines Risikos für die Tiergesundheit zu veröffentlichen, soweit die Veröffent- lichung der gewonnenen Erkenntnisse, einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden produktbezoge- nen Angaben, einer Gefahrenabwehr oder Risikovorbeu- gung dienlich erscheint. Insgesamt ist festzuhalten, dass mit den geschaffenen Kennzeichnungsänderungen im Fischetikettierungsge- setz die Verbraucherinnen und Verbraucher künftig mehr über die Herkunft und die Produktionsmethoden von Fischerei- und Aquakulturprodukten erfahren werden. Außerdem wird mit der Änderung im Tiergesundheitsge- setz die bestehende Bewehrungslücke geschlossen und damit die Durchsetzung von Verboten beim Auftreten hochansteckender Tierseuchen verbessert. Johann Saathoff (SPD): Fisch ist gesund und wir sollten alle mehr Fisch essen. Das ist keine Neuigkeit. Aber alle, die es bislang nicht wussten, können auch die aktuelle Zeitschrift der Stiftung Warentest lesen. Da steht drin, dass sich die Omega-3-Fettsäuren sehr positiv auf das Gehör auswirken können. Leider war der Pro- Kopf-Fischverbrauch der Deutschen in den vergangenen Jahren leicht rückläufig. Zwischen 13 und 14 Kilo- gramm verzehrt der durchschnittliche Deutsche pro Jahr. In der Liste der meistverzehrten Arten steht dabei der Alaska-Seelachs an erster Stelle, gefolgt von Lachs und Hering. Der Pangasius hat in den vergangenen Jahren wieder Marktanteil verloren. Auch unter gesundheitli- chen Gesichtspunkten ist das von Vorteil, denn er enthält vergleichsweise wenig Omega-3-Fettsäuren. Und damit sind wir bei der gesunden Ernährung. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in dieser Woche eine große Veranstaltung zum Thema „Gute Ernährung“ durchgeführt. Allein die große Zahl der Teilnehmer hat deutlich gemacht, dass die Ernährung ein Kernthema für uns alle sein muss, da es darum geht, was die Menschen essen und wie Lebensmittel erzeugt werden. Es geht aber auch darum – und damit komme ich zu unserem heutigen Thema –, wie Menschen, die bei ihrem Einkauf auf die nachhaltige Produktion der Lebensmittel achten, erkennen, dass die Lebensmittel, in diesem Fall der Fisch, nachhaltig produziert oder gefangen wurden. Der uns heute vorliegende Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes stellt nicht nur die einfache Umsetzung von EU-Recht dar, er ist viel- mehr auch durch die deutliche Kennzeichnung ein gro- ßer Zugewinn für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für eine noch nachhaltigere Fischereiwirtschaft. Die Verbraucherpräferenzen haben sich, was die Kon- sumentscheidung angeht, in den letzten Jahren stark ver- ändert. Heutzutage hat der Verbraucher eine viel größere Auswahl, welchen Fisch er essen möchte. Denn Fisch wird weltweit gefangen, erzeugt, gehandelt und trans- portiert. Nicht umsonst stand Frau Aigner nach dem Un- glück in Fukushima am Frankfurter Flughafen und kon- trollierte dort öffentlichkeitswirksam den ankommenden Fisch. Ein Großteil der Fischimporte nach Deutschland kommt nämlich per Flugzeug. Die neue Gemeinsame Marktordnung, auf der die heutige Gesetzesvorlage basiert, ist Teil des Verord- nungspaketes zur Reform der Gemeinsamen Fischerei- politik, die bekanntlich im Jahr 2013 unter der griechi- schen Kommissarin Maria Damanaki novelliert wurde. Mit der Reform wurden einige Pflöcke für eine deutlich nachhaltigere Fischerei in europäischen Gewässern und darüber hinaus eingeschlagen. Die Fangquoten werden nach dem MSY-Ansatz, dem maximalen nachhaltigen Dauerertrag, festgelegt und gefangener Fisch, für den man keine Quote hat, sogenannter Beifang, darf zukünf- tig nicht mehr über Bord geworfen werden. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass sich die Situation der Bestände der einzelnen Fischarten sehr un- terschiedlich darstellen. Dabei müssen wir uns vor Au- gen führen, dass die Fischerei die einzelnen Fischarten deutlich detaillierter betrachtet als der gemeine Verbrau- cher. Im Nordostatlantik gibt es allein 13 Kabeljaube- stände, und der Bestand in der Barentssee ist zehnmal so groß wie die anderen Bestände zusammen. Die kleineren Bestände sind teilweise in schlechtem Zustand; man kann also über den Zustand des Kabeljaus keine pau- schale Aussage treffen. 11252 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Mit der Gesetzesänderung wollen wir den Verbrau- chern an der Theke und an der Tiefkühltruhe die Mög- lichkeit geben, auf diese differenzierte Situation der Be- stände zu reagieren. Die derzeitige Einteilung in „FAO- Fischereigebiete“, der Nordostatlantik ist die FAO 27, wird als zu grobes Raster angesehen und daher durch die Aufteilung in sogenannte Untergebiete und Bereiche weiter gestaffelt. Diese kleinräumigere Einteilung er- möglicht eine weitaus genauere Herkunftsbestimmung. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist es zum ei- nen eine anspruchsvolle Aufgabe, diese Informationen zu akquirieren. Andererseits geben die Angabe des ge- nauen Fanggebiets und des Fanggeräts noch keine Aus- kunft über die Bestandssituation. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Kom- biniert mit den detaillierten Informationen von Fischbe- stände-Online ist es den Menschen möglich, Fisch sehr zielgerichtet zu kaufen. Ich möchte alle Menschen ermu- tigen, sich beim oder vielleicht schon vor dem nächsten Fischeinkauf einmal dort schlauzumachen getreu dem Motto: „Watt de Buur neet kennt, dat frett he neet!“. Das Thünen-Institut hat auf Fischbestände-Online in den letzten fünf Jahren umfangreiche Informationen über die Fischbestände des Nordostatlantiks zusammengestellt, und diese werden auch laufend aktualisiert. Mit der Gesetzesänderung wird neben der genaueren Fanggebietskennzeichnung auch eine Kennzeichnung des Fanggeräts umgesetzt. Dabei wird zunächst nach ak- tiven und passiven Fanggeräten unterschieden und diese dann noch weiter gruppiert. Auch zu den einzelnen Fanggeräten kann man sich auf Fischbestände-Online sehr genau informieren. Der Kunde kann bei seiner Kaufentscheidung also viele neue Elemente berücksichtigen. Unsere Aufgabe war und ist es nun, die Verbraucherinnen und Verbrau- cher dazu zu ermutigen, von diesem Informationsange- bot Gebrauch zu machen. Also, meine Damen und Her- ren, besuchen Sie Fischbestände-Online. Am Rande sei mir noch eine Bemerkung erlaubt: Ich würde mich im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, die sich dafür interessieren, welche Nahrungsmittel sie hin- sichtlich der Art der Nahrungsmittelproduktion und de- ren Verarbeitung und der Transportwege kaufen, freuen, wenn diese neue Form der Transparenz für die Verbrau- cherinnen und Verbraucher vom Fisch auch auf andere landwirtschaftliche Produkte – insbesondere Fleisch – übergehen könnte. Die Argumentation, das ginge vom Verfahrensablauf schlicht nicht, ist mit diesem Gesetz spätestens widerlegt. In diesem Sinne schließe ich für heute, in der Hoff- nung, dass das Thema Fischerei, dass hier leider viel zu oft zu kurz kommt, in naher Zukunft noch weitergehend an dieser Stelle behandelt wird. Karin Binder (DIE LINKE): Fisch ist wertvoller Be- standteil einer ausgewogenen Ernährung. Ein bis zwei Fischmahlzeiten pro Woche empfiehlt die Deutsche Ge- sellschaft für Ernährung. Gleichzeitig sind die Meere von Überfischung und umweltschädlichen Fangmetho- den bedroht. Auch Zuchtfisch aus der Teichwirtschaft oder den Aquakulturen in offenen Gewässern belastet das Ökosystem. So wird für die Aufzucht von Forellen Fischmehl und Fischöl verwandt, das aus gefangenem Meeresfisch stammt. Für 1 Kilo Zuchtfisch müssen oft 5 Kilo Wildfang als Futter herhalten, was wiederum die Meeresumwelt bedroht. Damit uns nicht der Appetit vergeht, müssen wir also genau wissen, was auf dem Teller landet. Fisch muss als Teil einer ausgewogenen Ernährung aus bestandserhal- tender und umweltschonender Fischerei stammen. Der hier vorliegende Entwurf zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Verbraucherinnen und Verbrau- cher erfahren künftig genauer, woher der Fangfisch oder die Erzeugnisse aus Aquakulturen stammen. Sie werden zudem über die Fangmethoden, beispielsweise „Schleppnetz“ oder „Treibnetz“ informiert. Das war überfällig! Hilfreich beim Fischkauf ist auch das MSC-Logo. Es wird von einer gemeinnützigen Organisation vergeben und zeichnet Meeresfisch aus, der aus umweltverträgli- cher und bestandsschonender Fischerei stammt. Der Lebensmitteleinzelhandel setzt zunehmend auf MSC- Fisch, was zu begrüßen ist. Allerdings ist die Menge an Fisch aus nachhaltiger Fischerei begrenzt, und wir müs- sen aufpassen, dass die bisher strengen Regeln der MSC- Zertifizierung nicht auf Druck des Handels aufgeweicht werden, bloß um die fangbare Menge zu erhöhen. Das wäre dann krasse Verbrauchertäuschung, und das Logo würde seine Glaubwürdigkeit verlieren. Wir werden uns auch mehr mit dem rasanten Zu- wachs an Zuchtfisch auseinandersetzen müssen. Nicht einmal jeder zehnte Lachs stammt heute aus dem Meer. Ganz überwiegend kommt er aus riesigen Fischfarmen. Das sind schwimmende Käfiganlagen vor den Küsten, die jeweils bis zu 50 000 Lachse aufnehmen. Schon wird mit gentechnisch veränderten Lachsen experimentiert, um noch schneller noch größere Zuchtfische mit noch größerem Profit zu bekommen. Gelangt dieser Genlachs durch schadhafte Maschen ins freie Meer, besteht die Gefahr, dass er ganze Ökosysteme verändert. Wir lehnen solche Experimente deshalb ab! Die industrielle Zucht erfordert zudem den Einsatz von Medikamenten und Tierfutter, das mit zum Teil krebserregenden Chemikalien belastet ist. Gerade ges- tern sprachen wir im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft über schädliche Zusätze in Fischmehl. Der möglicherweise Erbgut schädigende und krebserre- gende Konservierungsstoff Ethoxyquin, der als Pflan- zenschutzmittel bereits 2011 verboten wurde, gelangt über die Fütterung von Zuchtlachs mit Fischmehl in die menschliche Nahrungskette und in die Muttermilch. Wir brauchen also auch für diese Form der Massentierhal- tung strenge Vorgaben für den Verbraucherschutz. Kritisch sehen wir die Einschränkung des Friedrich- Loeffler-Instituts, FLI, durch das Gesetz bei der Veröf- fentlichung bestimmter Forschungsergebnisse. Wenn „bei der Entscheidung über die Veröffentlichung den Be- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11253 (A) (C) (D)(B) langen der Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen ist“, kann das auch bedeuten, dass damit unbequeme Wahrheiten und unangenehme Veröffentlichungen unter- bunden werden können. Hier muss die Bundesregierung im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher un- bedingt für juristische Klarheit und die notwendige Transparenz sorgen. Fisch ist wertvoller Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung. Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu sor- gen, dass es auch so bleibt. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir diskutieren hier heute einen Gesetzentwurf zur Fischetikettierung. Die Reform der Gemeinsamen Euro- päischen Fischereipolitik, GFP, wurde nach dreißig Jah- ren endlich auf den Weg gebracht. Jetzt setzen wir schrittweise auf nationaler Ebene die EU-Beschlüsse in nationales Recht um. Wir begrüßen die Reform im Grundsatz, da sie ver- sucht, Fischbestände langfristig nachhaltig zu bewirt- schaften. Die Fischerei weltweit kann mit Schauer- geschichten aufwarten: Bestände sind erschöpft und überfischt, regionalen Fischern in Asien oder Afrika wird durch industrielle Fischerei die Lebensgrundlage genommen, Fische werden nach dem Fang tonnenweise über Bord gekippt, weil die Ausbeute nicht genügend Geld auf dem Markt einbringt, und durch „höherwer- tige“ Fänge ersetzt – um nur einige Beispiele zu nennen. Es ist ja schön, dass Sie jetzt auch national regeln, dass auf den Fischverpackungen neben vielen anderen Dingen auch die Fanggerätekategorie angegeben werden muss. Haben Sie sich schon einmal Fischverpackungen genauer angesehen? Auf vielen Fischverpackungen steht bereits eine große Liste an Angaben – freiwillig oder verpflichtend. Wirklich vergleichbar sind die Verpa- ckungen jedoch häufig nicht. Meist steht auf den Pa- ckungen ein Mischmasch aus verpflichtenden und frei- willigen Angaben. Bei den wenigsten – rund 5 Prozent nach Ermittlungen von Greenpeace – kann man die ge- samte Fang- und Lieferkette nachvollziehen. Es stehen dort meist Informationen zu Fischart, Fangart, Fanggebiet usw. Dies macht es in vielen Fällen für den Verbraucher nicht wirklich einfacher. Der Kunde muss inzwischen ja schon fast Fischereiexperte sein, um die Angaben auf den Verpackungen verstehen zu können. Ehrlich, nachvollziehbar und transparent wäre die not- wendige Lösung. Hier müsste die Bundesregierung ansetzen: Statt im- mer mehr Angaben auf den Fischverpackungen zu plat- zieren, müssten diese Angaben übersichtlicher gestaltet werden, etwa mit dem Fanggebiet auf einer Landkarte. Ein Beispiel: Eine Kennzeichnung des Fanggebiets FAO 27 lässt den Kunden nicht sofort nachvollziehen, wo der Fisch gefangen wurde, und schon gar nicht, ob in diesem Fanggebiet die gekaufte Fischart bereits am Limit ist. Wir sind generell für mehr Kennzeichnung und vor allem Kontrolle der Lebensmittel. Die Konsumenten müssen verlässlich nachvollziehen können, woher das Produkt stammt und welchen weiteren Weg es nach dem Fang noch genommen hat. Diese Kennzeichnung muss auch für Informationen auf den Fischverpackungen gel- ten. Und das Ganze muss verständlich, nachvollziehbar und transparent sein. Nur dann macht eine ausführliche Kennzeichnung auch Sinn. Bessern Sie also in diesem Sinne das Gesetz nach. So geht es zwar in die richtige Richtung, greift aber viele wichtige Punkte für die Verbraucherinnen und Verbrau- cher nicht ausreichend auf. Wir werden daher mit Ent- haltung stimmen. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes (Tagesord- nungspunkt 23) Kordula Kovac (CDU/CSU): Wir wollen heute er- neut über eine Novellierung des Weingesetzes beraten und beschließen. Wein in Deutschland hat eine lange Tradition. Dass Tradition aber nichts mit altmodisch zu tun hat, durfte ich in meiner Heimat erfahren. Gerade in diesem Jahr wurden dort die badischen Winzer von CreatiWi aus Sasbachwalden als beste Jungwinzerverei- nigung ausgezeichnet. Für diese jungen Menschen ist Tradition vor allem der eigene Anspruch an qualitativ hochwertige Produkte und gelebte Winzerleidenschaft. Es ist unsere Aufgabe als Bundestagsabgeordnete, Vorgaben aus Brüssel so umzusetzen, dass wir den euro- päischen Wünschen entsprechen und gleichzeitig unsere traditionsreiche deutsche Weinbaukultur schützen. Das überarbeitete Genehmigungssystem für Neuanpflanzun- gen von Weinreben in der Novelle des Weingesetzes ist notwendig geworden, um auf ein Überangebot des Marktes reagieren zu können. Das neue Genehmigungsverfahren betrifft vor allem Neuanpflanzungen, die nun unter besonderen Vorausset- zungen in ganz Deutschland zu ermöglichen sind. Waren die Verhandlungen auf Grundlage der EU-Vorlagen bei den vorangegangenen Abstimmungen doch immer rela- tiv harmonisch, so haben wir diesmal mehr Diskussions- bedarf gehabt. Auf den Punkt gebracht: Eine solche Gesetzesände- rung ruft vor Ort bei den Betroffenen immer Unsicher- heiten hervor. Dass es zudem nie einfach ist, es allen recht zu machen, zeigt sich auch bei diesem Thema. Denn sowohl im Bundesrat als auch hier im Hohen Hause wurde die Debatte kontroverser geführt, als man es in der Vergangenheit gewohnt war. Zu verschieden waren die Positionen der betroffenen Bundesländer und ihrer Abgeordneten. Ganz deutlich: Ein Bundesgesetz zu verabschieden, das die einheitliche Grundlage für Bundesländer mit sol- 11254 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) chen grundverschiedenen Voraussetzungen in der Sache beinhalten soll, erweist sich per se als äußerst schwierig. Lebhaft zu ging es bei dem Wert der zur Verfügung stehenden Genehmigungen für Neuanpflanzungen für die Jahre 2016 und 2017: Von 1 Prozent bis 0,1 Prozent gab es die verschiedensten Forderungen seitens der Bun- desländer, der Berufsverbände, aber auch innerhalb der Kollegen über die Fraktionsgrenzen hinweg. Dies sorgte vor allem bei unseren Winzern für Unsicherheit. Deshalb war und ist es wichtig, dass wir uns auf einen Wert von 0,3 Prozent verständigen konnten. Gleichzeitig haben wir dem Wunsch der Länder mit kleineren Anbauregionen Rechnung getragen. Für diese soll es eine Sonderregelung geben, die einen aus betriebswirtschaftlichen und ver- waltungstechnischen Gründen notwendigen Mindestan- teil an den Neupflanzungen bis zu 5 Hektar sichern soll. Politik ist immer eine Abwägung von Interessen und deshalb oft verbunden mit der Findung von Kompromis- sen. Mit der neuen Regelung ist uns, denke ich, ein guter und gerechter Interessenausgleich zwischen kleinen und großen Anbaugebieten gelungen. So trägt diese Lösung der sensiblen Marktlage Rechnung. Niemand will, dass der deutsche Wein als Discountprodukt unter Wert ge- handelt wird. Die Zulassung neuer Anpflanzungen muss sich an den langfristigen Entwicklungen der Märkte orientieren. Kurzfristige Ansätze sind hier keine Lösung. Ein vorläu- figer Wert von 0,3 Prozent ist ein guter Kompromiss. Ei- nerseits wird beachtet, dass das Angebot auf Kosten des Preises nicht zu sehr steigen darf. Andererseits wird ge- währleistet, dass je nach Bedarf und Marktanteil eine Steigerung der Anbaufläche generell möglich ist. Als Prioritätskriterien haben wir verankert, dass vor- rangig zu bescheidende Anträge mit einer Beantragung von Flächen in der Steillage berücksichtigt werden. Diese Stellungen stehen für unsere geschlossenen Kul- turlandschaften, die unsere deutsche Weinbautradition so besonders machen und daher schützenswert sind. Einen zweiten großen, wenn auch eher bürokrati- schen, Punkt galt es zu klären. Die Zulassungsmodalitä- ten – ob ein- oder zweistufig, war die Frage – wollen wir praxisnah, aber natürlich auch unter Berücksichtigung der Bundes- und Länderkompetenzen umsetzen. Die Union spricht sich für ein einstufiges Verwaltungsver- fahren zur Beantragung und Genehmigung von Neuan- pflanzungen aus. Dies entlastet sowohl Antragsteller als auch Landesverwaltungen. Damit haben wir eine gute Lösung gefunden; denn ich will, dass sich unsere Winzer dem europäischen Wettbewerb weiter auf höchstem Ni- veau stellen können. Hierfür benötigen sie verlässliche Partner in der Poli- tik. Wenn die Auswirkungen der heutigen Beschlüsse erst in mehreren Jahren bewertet werden können, kön- nen wir so dementsprechend flexibel reagieren. Gerade deshalb halte ich es für enorm wichtig, dass wir die Möglichkeit einer Nachjustierung mit eingeplant haben, wenn uns in zwei Jahren der Bericht der Bundesregie- rung zu den Auswirkungen dieses Gesetzes vorliegen wird. Sowohl im Parlamentarischen Weinforum als auch im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft haben wir über dieses Gesetz ausgiebig diskutiert. Wir wissen, dass einige Länder, welche noch Nachholbedarf im Weinbau sehen, sich größere Anbauflächen für Neuanpflanzungen gewünscht hätten. Ich persönlich bin froh und auch den Kollegen Berichterstatter aller anderen Fraktionen dank- bar, dass sie alle diesen Kompromiss mittragen. Mit dieser Novelle wollen wir dafür sorgen, den Weinbau in ganz Deutschland in Zukunft weiter konkur- renzfähig zu gestalten – im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Winzerinnen und Winzer. Dafür bitte ich Sie alle um Ihre Zustimmung. Mehr als 400 Jahre vor Christus sagte Euripides einst: „Wo der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens.“ Gustav Herzog (SPD): Seit mehr als 20 Jahren ist die Weinbaupolitik in Deutschland auf Qualität statt Menge ausgerichtet. Wir haben nur begrenzt geeignete Fläche für den Qualitätsanbau. Wir haben einen eher zu- rückgehenden Weinkonsum, und trotz der Exporterfolge und der Wettbewerbsfähigkeit unserer Weinwirtschaft gibt es keinen Anlass für eine gewollte stetige Mengen- steigerung. Die EU-Politik ist widersprüchlich: Bei der vorletzten Reform gab es Rodungsprämie und, statt rektifiziertes Traubenmostkonzentrat oder Destillation, Geld für Mar- keting und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit im Wingert, Weinkeller und der Vinothek. Dann die EU-Entscheidung für Flächenausweitung. In Mainzer Weingipfeln haben Weinwirtschaft, Bund und Länder immer wieder einmütig ihre Position gegen- über der Europäischen Union bekräftigt. Trotzdem hat die EU unser strengstes Wiederbepflanzungsregime kas- siert und uns eine Flächenausweitung aufgezwungen. Mit der 9. Änderung des Weingesetzes gehen wir an die Umsetzung. Strittig war vor allem eins: die Größe des Flächenzuwachses. Im Regierungsentwurf war eine Begrenzung der Neuanbaufläche von jährlich 0,5 Pro- zent vorgesehen. Das war für die kleinen Weinanbaulän- der zu wenig und für die großen viel zu viel. Wir dürfen aber nicht vergessen: 3 000 Hektar Wie- derbepflanzungsrechte im Bestand sind eine Aufforde- rung zur Vorsicht. Zurückgehender Konsum und Export könnten die Erzeugerpreise gefährden. Das wollen wir nicht riskieren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich deshalb immer für einen behutsamen Start bei den Neuanpflanzungen in den kommenden Jahren 2016 und 2017 ausgesprochen. Dem stimmten auch die wichtigsten deutschen Weinbau- länder und der Deutsche Weinbauverband, DWV, zu. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion eine Begren- zung auf 0,3 Prozent pro Jahr gefordert. Das sind immer- hin 300 Hektar in ganz Deutschland. Bei einem maxima- len Ertrag von 200 Hektolitern Wein pro Hektar sind das 6 Millionen Liter Wein. Eine spürbare Steigerung bei ei- nem durchschnittlichen Konsum von rund 24 Litern pro Kopf und Jahr in Deutschland. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11255 (A) (C) (D)(B) Deshalb haben wir uns in allen Fraktionen – die einen gut, die anderen weniger gut – und in Absprache mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirt- schaft auf einen Kompromiss geeinigt. Dieser sieht eine Begrenzung von 0,3 Prozent pro Jahr und eine Sonderre- gelung für alle Anbauländer vor. Diese haben vorab je- weils 5 Hektar ihres Gebiets für Neuanpflanzungen re- serviert. Begrüßt wird von der SPD-Bundestagsfraktion die eindeutige Priorisierung der Steillage bei Neuanpflan- zungen. Das einzigartige Kulturgut prägt die Landschaft in vielen Weinanbaugebieten, wie zum Beispiel an der Mosel. Ebenfalls gibt es Änderungen im Genehmigungsver- fahren für Neuanpflanzungen. Winzer stellen nun nur noch einen Antrag bei der Bundesanstalt für Landwirt- schaft und Ernährung, BLE, und nicht, wie zunächst vor- gesehen, noch zusätzlich bei der zuständigen Landesbe- hörde. Um Anfang 2017 auf empirischer Grundlage weiter über eine Begrenzung ab 2018 entscheiden zu können, fordert die SPD von der Bundesregierung einen Bericht über die Auswirkungen der Wieder- und Neuanpflanzun- gen auf den deutschen Weinbau und die Handhabung des Genehmigungsverfahrens. Mit unserer Entschließung wollen wir die Bundesre- gierung unterstützen, die europäische Weinbaupolitik wieder auf den Weg eines qualitätsorientierten nachhalti- gen Weinbaus zu bringen. Die Einstimmigkeit bei der Abstimmung gestern im Ausschuss zeigt, dass wir mit dem Gesetzentwurf auf dem richtigen Weg sind. Wir ha- ben es geschafft, die Wünsche der Anbauländer zu be- rücksichtigen. Für die SPD ist wichtig, dass nach den Differenzen um die Anpflanzungsquote wieder die Gemeinsamkeit der Weinanbaugebiete und der Bundestagsfraktionen ge- funden wird. Roland Claus (DIE LINKE): Ich freue mich, dass wir auch diesmal wieder – altem Brauch folgend – in Sa- chen Weingesetz so lange verhandelt haben, bis ein ein- vernehmlicher Kompromiss zustande gekommen ist. Dafür möchte ich mich bei der Mitberichterstatterin und den Mitberichterstattern wie auch bei den Mitgliedern im Parlamentarischen Weinforum herzlich bedanken. Als Vertreter der beiden ostdeutschen Weinbauregio- nen Saale/Unstrut in Sachsen-Anhalt und Thüringen so- wie Meißen an der Elbe in Sachsen habe ich mich zu- nächst – das will ich hier nicht verhehlen – für eine Zuwachsmöglichkeit von 0,5 Prozent, gleich 500 Hektar, der Rebfläche eingesetzt. In Sachsen gab es gar ein Inte- resse an 1 Prozent. Nun haben wir uns auf 0,3 Prozent geeinigt, und das ergibt eine akzeptable Balance zwi- schen dem für die jeweiligen Weinbaugebiete aufge- schlüsselten Wachstum und der Verhinderung eines dro- henden Überangebots an Wein. Besonders wichtig für die beiden ostdeutschen Weinbaugebiete ist die mit dem Änderungsantrag gefestigte Priorisierung des Weinan- baus in der Steillage, denn fast aller Weinanbau dort fin- det in der Steillage statt. Wir unterstützen daher nach- drücklich eine Politik, die diese Form des Weinanbaus als Teil einer besonderen Kulturlandschaft für schützens- wert hält und ein Abwandern des Anbaus von der Steil- lage in die Flachlage zu verhindern sucht. Angesichts der guten Erfahrungen, die wir mit dem engagierten Aushandeln günstiger Bedingungen für den Weinanbau gemacht haben, schlagen wir Linken vor, diese auch einmal auf andere Kulturlandschaften und Agrarprodukte zu übertragen, zum Beispiel auf die Milch und auf die Landschaften, in denen sie produziert wird. Zum Wein zurück: Wir Linken haben – ich habe vor vielen Jahren an dieser Stelle schon einmal Bezug darauf genommen – einen Ahnherrn, der sich auch in der kom- plexen Problematik des Weinanbaus und des Weingenus- ses bestens auskannte: Friedrich Engels. Er erinnerte im Februar 1876 in einem Zeitungsartikel daran, dass ernst- liche und besonders erfolgreiche Aufstände nur in Wein- ländern oder in solchen deutschen Staaten vorkamen, die sich durch Zölle vor den verheerenden Wirkungen des preußischen Kartoffelschnapses geschützt hatten. Lassen Sie uns also den Weinanbau auch weiter be- fördern. Und vielleicht macht ja die gemeinsame Suche nach einvernehmlichen Lösungen im Parlament noch Schule. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Weinbau ist gerade für ländliche Regionen ein bedeuten- der Wirtschaftszweig. Der hochqualitative Wein aus Deutschland wird mittlerweile weltweit geschätzt und erzielt Preise, von denen unsere Winzerinnen und Win- zer leben können. Der Weinbau ist längst auch bedeuten- der Tourismusfaktor: Seit Jahren erfreut sich der Wein- tourismus wachsender Beliebtheit. Besucherinnen und Besucher schätzen die Kulturlandschaften mit ihren Weinbergen, Steilterrassen und Trockenmauern und ge- nießen die besondere Lebensqualität, die wir mit Wein verbinden. Die Qualität des Weins ist also der entschei- dende Faktor für die regionale Wertschöpfung durch Weinbau. Für uns gilt also der einfache Grundsatz: Klasse statt Masse. Diesem Grundsatz sind wir in der Weinpolitik ver- pflichtet. Wir verfolgen das gemeinsame Ziel, die Quali- tät des Weins aus Deutschland zu fördern. Es gilt, die Weinpreise stabil zu halten, um unseren Winzerinnen und Winzern im Wettbewerb den Rücken stärken. So können wir attraktive Arbeitsplätze in den Regionen er- halten und auch die prägende Kulturlandschaft schützen. Heute geht es um eine Frage, die die Weinbauregio- nen seit langem beschäftigt. Der europaweite Anbau- stopp für Reben wird durch die EU-Kommission zum 1. Januar 2016 abgeschafft. Die Rebfläche darf jährlich um 1 Prozent ausgeweitet werden, wenn wir nicht bun- desweit eine strengere Regelung finden. Diese Entschei- dung hat große Bedeutung für betroffene Weinbauregio- nen, die eine starke Ausweitung der Rebflächen und damit einen Preisverfall für die Winzerinnen und Winzer befürchten. 11256 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Vorneweg: Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Wir haben es geschafft, uns – wie in der Weinpolitik üb- lich – auf einen gemeinsamen Weg zu einigen, der der Wichtigkeit dieser Entscheidung gerecht wird. Wir ha- ben uns interfraktionell auf eine Beschränkung der Neu- bepflanzungen auf 0,3 Prozent geeinigt. Aber – und das richtet sich besonders an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion – das hätten wir auch leichter haben können. Denn vor diesem guten Kompromiss ha- ben wir einige Extrarunden zurücklegen müssen: 0,3 oder 0,5 Prozent? Ein- oder zweistufiges Verwaltungs- verfahren? Lange schien hier die Position der Koali- tionsfraktionen nicht ganz eindeutig zu sein. Aber was lange währt, wird endlich gut. Denn das Endergebnis ist ganz in unserem Sinne. Von Beginn an hatten wir neben den 0,3 Prozent zur Be- schränkung der Neubepflanzungen auch ganz praktisch eine Entlastung der Winzerinnen und Winzer gefordert. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah ein zweistufiges Verfahren vor. Die Winzerinnen und Winzer hätten also einen Antrag bei einer Landesbehörde und einen beim Bund stellen müssen – für ein und denselben Vorgang! Für uns bedeutet Entlastung eben auch: Weniger büro- kratische Anforderungen für diejenigen, die den guten Wein anbauen und produzieren. Hier waren die Koali- tionsfraktionen wenig gesprächsbereit. Umso überrasch- ter waren wir, als im letzten Änderungsantrag das einstu- fige Verfahren auf einmal aufgetaucht ist. Das begrüßen wir sehr! Denn das einstufige Verfahren bei der BLE vermeidet doppelten Aufwand – auch übrigens aufseiten der Verwaltungen der weinbauenden Bundesländer. Ich bin mir sicher, dass wir auch weiterhin politisch immer wieder auf den gemeinsamen Weg in der Wein- politik zurückfinden. Das Wichtigste ist jetzt ein starkes gemeinsames Signal in diese Richtung aus dem Bundes- tag. Denn wir müssen den Winzerinnen und Winzern die Sorge nehmen, die Preise könnten verfallen. Ein behut- samer Einstieg in das neue Genehmigungssystem ist vor diesem Hintergrund richtig. Daher begrüßen wir auch die gemeinsame Entschließung zur Evaluation in zwei Jahren und den Auftrag, besonders die Steillagen zu schützen. Denn alle Weinpolitikerinnen und Weinpoliti- ker hier im Bundestag wollen eine ungehemmte Auswei- tung der Rebflächen verhindern, wollen die Kulturland- schaften schützen, wirtschaftliche Potenziale heben und die Winzerinnen und Winzer stärken. Peter Bleser, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Die zur Entscheidung anstehende Änderung des Weingesetzes hat die betroffenen Winzer und Winzerinnen, aber auch die interessierten Landes- und Bundesverwaltungen und nicht zuletzt auch die Agrarpolitiker dieses Hohen Hau- ses intensiv beschäftigt. Ich freue mich, dass es nach lan- gen Diskussionen, in die sich auch Herr Bundesminister Schmidt noch einmal persönlich eingebracht hat, gelun- gen ist, eine sachgerechte Entscheidung zu finden, die aller Voraussicht nach auch so vom Bundesrat akzeptiert wird. Letztlich ist es im Sinne aller Beteiligten, dass bald Klarheit über Inhalt und Verfahren bei der Umsetzung des EU-Genehmigungssystems für Rebpflanzungen zum 1. Januar 2016 herrscht. Es geht vor allem darum, die hohe Qualität des deutschen Weinbaus zu sichern und dabei ein moderates, nachhaltiges Wachstum des Wein- marktes zu ermöglichen. Deutscher Wein wird bei unse- ren Verbrauchern, aber auch im Ausland immer belieb- ter. Darauf sollten unsere Erzeuger reagieren können. Eile ist geboten, um sicherzustellen, dass – entspre- chend dem EU-Recht – alte Wiederanpflanzungsrechte ab dem 15. September 2015 in Genehmigungen umge- wandelt werden können. Deshalb ist es sehr gut, wenn es zu einem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens vor der Sommerpause kommt. Aus Zeitgründen möchte ich nur die zentralen Punkte des Gesetzentwurfs erläutern: Erstens. Obergrenze bei Neuanpflanzungen. Nach dem Entwurf werden in den ersten beiden Jahren, das heißt 2016 und 2017, 0,5 Prozent der deutschen Rebflä- che für Neuanpflanzungen vorgesehen. Der Ernährungs- ausschuss empfiehlt nun, die Obergrenze auf 0,3 Prozent für zwei Jahre abzusenken, um so der Sorge, dass ein zu starkes Anwachsen der Weinanbaufläche zu Marktstö- rungen führt, Rechnung zu tragen. Diese Sorgen werden insbesondere im größten Weinanbauland Rheinland- Pfalz artikuliert. Die vom Ernährungsausschuss eben- falls empfohlene Sonderregelung soll sicherstellen, dass in jedem Flächenland zumindest 5 Hektar Neuanpflan- zungen genehmigt werden können. Dies ist Vorausset- zung dafür, dass kleinere Anbaugebiete wie zum Bei- spiel Sachsen oder Saale-Unstrut am Ende nicht leer ausgehen. Es wird sich zeigen, ob, wann und inwieweit die Obergrenze von 0,3 Prozent in den kommenden Jahren verändert werden muss. Ich versichere Ihnen, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Marktsituation genau beobachten wird. Zweitens. Prioritätskriterien. In dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass Neuanpflanzungsanträge in der Steillage gegenüber Anträgen in der Flachlage bevorzugt werden. Weitere Kriterien sollen derzeit nicht festgelegt werden. Auch hier sind aber Anpassungen in der Zu- kunft möglich, wenn dies aufgrund der Praxis der ersten beiden Jahre mit dem neuen Genehmigungssystem ange- zeigt ist. Eine Verlagerung des Anbaus aus der Steillage in die Flachlage kann zwar nicht völlig unterbunden, aber doch erschwert werden. In dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass Antragsteller, die bei ihrem Antrag angeben, dass die Neuanpflanzung in der Steillage erfolgt, sich ver- pflichten müssen, die betroffene Fläche innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nicht zu roden oder wieder zu bepflanzen. Für den Fall, dass gar keine Anpflanzung erfolgt, wird dies mit einer Strafe belegt. Unabhängig davon wird sich die Bundesregierung weiterhin dafür einsetzen, dass die EU-rechtlichen Regelungen in Zu- kunft so ausgestaltet werden, dass der – auch kulturell – bedeutsame Steillagenweinbau erhalten bleibt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11257 (A) (C) (D)(B) Drittens. Zuständigkeit für das Verfahren bei Neuan- pflanzungen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Ar- beitslast zwischen Bund und Ländern verteilt wird – „ge- stuftes Verfahren“). Der Ernährungsausschuss fordert nun in Übereinstimmung mit dem Bundesrat und der ge- samten Weinwirtschaft, dass ausschließlich die Bundes- anstalt für Landwirtschaft und Ernährung, BLE, für das Genehmigungsverfahren bei Neuanpflanzungen zustän- dig sein soll. Dies hat den Vorteil einer unbürokratischen Regelung, da nun nur noch ein Antrag zu stellen ist. Ich verhehle nicht, dass die Bundesregierung das ge- stufte Verfahren für das bessere hält. Die Feststellung, ob nun eine beantragte Neuanpflanzungsfläche wirklich in der Steillage liegt oder nicht, kann besser von den orts- nahen Landesbehörden getroffen werden. Im Übrigen sind ja grundsätzlich auch die Länder für die Durchfüh- rung agrarrechtlicher Regelungen in Deutschland zu- ständig. Letztlich kann sich die Bundesregierung aber nicht davor verschließen, dass eine Einigung mit dem Bundes- rat ohne ein Zugeständnis in dieser Frage wohl kaum zu erreichen ist. Bleibt also noch der Appell an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Helfen Sie mit, die zur Um- setzung nun erforderlichen Stellen für die BLE im Rah- men des parlamentarischen Verfahrens zur Haushaltsauf- stellung 2016 zu schaffen. Ohne diese zusätzlichen Stellen ist die BLE nicht in der Lage, diese zusätzlichen Arbeiten zu leisten. Abschließend bitte ich Sie um Zustimmung zu dem aus Sicht der Bundesregierung ausgewogenen Gesetz- entwurf nach Maßgabe der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes (Tagesordnungspunkt 24) Heinrich Zertik (CDU/CSU): Wir beraten heute ab- schließend das Häftlingshilfegesetz, HHG. Dieses Ge- setz wurde 1955 mit der Absicht eingeführt, Menschen für ihr furchtbares Kriegsfolgeschicksal zu entschädi- gen, welches sie schuldlos und wehrlos den kommunisti- schen, sozialistischen oder stalinistischen Regimen aus- geliefert hatte. Davon betroffen waren Menschen, die aus politischen Gründen nach dem Zweiten Weltkrieg inhaftiert oder deportiert wurden, weil sie bei der Errich- tung der kommunistischen Systeme in Osteuropa unbe- quem oder hinderlich waren. Das ist sehr milde ausge- drückt. Dahinter verbirgt sich unermessliches Leid, welches Hunderttausende von Familien erlitten haben. Mit Geld ist das eigentlich gar nicht wiedergutzuma- chen. Es ist fast 75 Jahre her, dass Wolgadeutsche nach Si- birien, an den Ural oder nach Kasachstan – so wie es auch meine Familie erlebt hat – deportiert wurden. Ru- mäniendeutsche wurden noch 1951 aus den Grenzgebie- ten Rumäniens und Ex-Jugoslawiens in die Baragan- steppe deportiert. Von ihnen sind heute noch einige Tausend übrig, die diese schrecklichen Ereignisse am ei- genen Leib erfahren haben. Im Erlass des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 heißt es: „… hat das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR es für notwendig befun- den, die gesamte deutsche Bevölkerung, die in den Wolga-Rayons ansässig ist, in andere Rayons umzusie- deln, und zwar derart, dass den Umzusiedelnden Land zugeteilt und bei der Einrichtung in den neuen Rayons staatliche Unterstützung gewährt werden soll. Für die Ansiedlung sind die an Ackerland reichen Rayons der Gebiete Nowosibirsk und Omsk, der Region Altaj, Ka- sachstans und weitere benachbarte Gegenden zugewie- sen worden. Im Zusammenhang damit ist das Staatliche Verteidigungskomitee angewiesen worden, die Umsied- lung aller Wolgadeutschen und die Zuweisung von Grundstücken und Nutzland an die umzusiedelnden Wolgadeutschen in den neuen Rayons unverzüglich in Angriff zu nehmen. Der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR gez. M. Kalinin Der Sekretär des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR gez. A. Gorkin Moskau, Kreml, 28. August 1941“ Was hier als sachliches, scheinbar gut organisiertes Unterfangen beschrieben wird, hat sich oftmals in einer Hauruckaktion innerhalb weniger Stunden abgespielt. Mitten in der Nacht wurden Familien mit Kindern aus ihren Betten gerissen, angewiesen, einige Sachen zu pa- cken, und dann auf Viehwaggons verladen. Manche konnten nur das mitnehmen, was sie auf dem Leib trugen. Was in dem Erlass als Ackerland in Aussicht gestellt wurde, entpuppte sich in Wirklichkeit als eine unwirtliche, menschenfeindliche Steppe, der ein landwirtschaftlicher Ertrag mühsam abgetrotzt werden musste. Kann man das finanziell wiedergutmachen? Durch das Häftlingshilfegesetz von 1955 hat die damalige Bun- desregierung versucht, die Notlage der auch als Zivilde- portierte bezeichneten Deutschen östlich der Oder/ Neiße-Grenze zu lindern. Das Häftlingshilfegesetz galt zunächst für ehemalige Sowjetzonenhäftlinge, die als Klassenfeinde hingestellt wurden, und Deutsche aus den ehemaligen Ostgebieten gleichermaßen. Für ehemalige DDR-Häftlinge wurde 1990 das Strafrechtliche Rehabi- litierungsgesetz geschaffen und somit eine Unterschei- dung getroffen, die zum Teil als ungerecht empfunden wurde, weil sie ein Leid gegen das andere stellt. Das Häftlingshilfegesetz, über welches wir heute sprechen, soll ausdrücklich der Linderung einer Notlage dienen. 95 Prozent der 5 000 Anträge, die im Jahr ge- stellt werden, werden von Russlanddeutschen und von Rumäniendeutschen gestellt, die von den eingangs ge- 11258 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) schilderten Deportationen betroffen waren. Die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge, StepH, prüft, bear- beitet und bewilligt die Anträge, und in der Regel wer- den etwa 500 Euro pro Jahr und Antragsteller ausge- zahlt. Nur etwa 15 Prozent dieser Anträge sind Erstanträge. Bei den anderen handelt es sich um Wieder- holungsanträge, die jedes Jahr wieder gestellt werden. Die Bundesregierung hat jetzt ein Gesetz vorgelegt, mit dem die jährlichen Unterstützungsleistungen durch eine abschließende Einmalzahlung beendet werden sol- len. Die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge hatte darauf hingewiesen, dass die Unterstützungsleistung nicht als effektive Hilfe von den betagten Berechtigten empfunden würde. Mir ist bewusst, dass nicht alle dies so sehen. Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland macht da- rauf aufmerksam, dass „eine kontinuierliche, wenn auch nur jährliche Leistung wichtiger als eine Einmalzuwen- dung“ sei, weil dadurch die ohnehin meist kleinen Ren- ten oder Grundsicherungszuwendungen dauerhaft aufge- stockt würden. Da die meisten Antragsteller jedoch inzwischen ein hohes Alter erreicht haben, scheint es mir sinnvoll zu sein, ihnen mit einer Einmalzahlung einen größeren fi- nanziellen Spielraum zu verschaffen und ihnen die mühselige jährliche Antragstellung zu ersparen. Da die Zahlung weder auf die Rente noch auf mögliche Grund- sicherungsleistungen angerechnet wird, steht der Betrag in vollem Umfang zur Verfügung. Im Jahr 2016 sollen in den Bundeshaushalt einmalig 13,5 Millionen Euro, davon 11,5 Millionen zusätzlich, eingestellt werden. Es wird damit angestrebt, jedem Antragsteller, dessen Antrag positiv beschieden wurde, einmalig etwa 3 000 Euro auszuzahlen. Das entspricht in etwa dem Betrag, der vormals über einen Zeitraum von sechs Jahren von der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge gewährt wurde. Das Gesetz sieht die Einführung eines Stichtages in § 18 Häftlingshilfegesetz, HHG, vor, sodass Anträge auf eine Unterstützungsleistung bei der Stiftung für politi- sche Häftlinge faktisch noch bis zum 30. Juni 2016 ge- stellt werden können. An den Voraussetzungen für eine positive Bescheidung der Anträge ändert sich nichts. Der Gesetzgeber führt weiterhin einige Neuerungen ein, die das bürokratische Verfahren erleichtern sollen. Demnach kann der Stiftungsrat zukünftig die Entscheidung über die Anträge teilweise auf den Vorsitzenden des Vorstan- des oder dessen Stellvertreter übertragen. Dies bezieht sich in erster Linie auf die Wiederholungsanträge und er- leichtert das Verwaltungsverfahren. Unberührt von den gesetzlichen Änderungen bleibt die Tatsache, dass nach wie vor kein Rechtsanspruch auf die Förderung nach § 18 HHG besteht. Begünstigte sind die ehemaligen politischen Häftlinge und Deportierten, die zu der sogenannten Erlebnisgeneration zählen und deren Geschichte und deren Schicksal allerhöchsten Respekt verdienen. Mein Anliegen ist es, dass diese schrecklichen Kriegsfolgenschicksale nicht vergessen und die ge- schichtlichen Ereignisse aufgearbeitet und der Öffent- lichkeit zugänglich gemacht werden. Ein wesentlicher Ort des Erinnerns wird die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung sein. Die Regierungsparteien von CDU/ CSU und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag 2005 zu dieser Stiftung bekannt. Sie ist im Deutschen Histori- schen Museum angesiedelt und wird seit 2008 durch den Bund gefördert. Ihre Aufgabe besteht darin, als ein „Ort lebendigen Gedächtnisses“ zu wirken, und zwar in enger Abstimmung mit der oben beschriebenen Erlebnisgene- ration, durch Einbeziehung von Einzelschicksalen und biografischen Erzählungen. Damit erhalten die histori- schen Fakten auch für die jüngere Generation ein Ge- sicht. Ich werde mich auch weiterhin dafür einsetzen und dafür werben, dass es bundesweit Orte des Erinnerns, der Aufklärung und der Kommunikation gibt, um gegen das Vergessen zu wirken. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Erlittenes Un- recht lässt sich nicht finanziell entschädigen. Darüber sind wir uns hier im Haus einig. Von Deutschland ausge- hend ist allerdings vor mehr als 70 Jahren unsägliches Unrecht über Europa und die Welt ausgebreitet worden. Wie kann ermessen werden, wie groß das Leid war und welche Schäden es im Leben des Einzelnen hinterlassen hat? Leid ist individuell. Es wird individuell erlebt und hinterlässt tiefe Spuren im Leben der Menschen. Wir als Bundestagsabgeordnete können das in der Tiefe kaum ermessen. Was wir aber können und müssen, ist, Verant- wortung zu übernehmen. In der Vergangenheit wurden zahlreiche Gesetze er- lassen, um eine moralische und finanzielle Wiedergut- machung für die Opfer von Unrechtssystemen zu leisten. In der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft waren es vor allen Dingen die Opfer des Nationalsozialismus, die im Blickpunkt einer Entschädigung standen. 1952 wurde das Luxemburger Abkommen zwischen der Bundesre- publik, Israel und der Jewish Claims Conference be- schlossen, das eine erste wichtige Wegmarke setzte. Ihm folgten weitere Gesetze und Abkommen wie das wich- tige 1956 erlassene Bundesgesetz zur Entschädigung für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Auch weitere Jahrzehnte später wurden Gesetze erlassen, die den Anspruch der Wiedergutmachung in sich trugen. 1998 wurden Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege aufgehoben, und erst vor kurzem haben wir das Gesetz für den Bezug von Renten aus „Ghettobeschäftigungen“ für Menschen mit Wohnsitz in Polen verbessert. Jede Maßnahme, die durch staatliches Unrecht erlittenes Leid mindert und die Situation der Menschen verbessert, ist auch Jahre später noch richtig und zu begrüßen. Auch das vorliegende Gesetz ist von diesem Gedan- ken getragen. 1955 wurde das Häftlingshilfegesetz erlas- sen. Es richtet sich an Menschen, die in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone oder in den ehemaligen deutschen Ostgebieten aus politischen Gründen rechts- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11259 (A) (C) (D)(B) staatswidrig in Gewahrsam genommen wurden. Es ist ein schweres Schicksal, das diese Menschen erleiden mussten, und es war richtig, ihnen bereits in den 50er- Jahren diese Unterstützungsleistungen zuteil werden zu lassen. Seither können sie Leistungen in Höhe von rund 500 Euro im Jahr erhalten. Die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge mit Sitz in Bonn übernimmt seit 1970 die Ausreichung der Mittel. Gut 60 Jahre nach Inkraftsetzung des Häftlingshilfegesetzes strebt die Bun- desregierung an, das Verfahren zu ändern. Die Antrag- steller sind inzwischen zumeist hochbetagt, und die Be- lastung, die mit der jährlichen Antragstellung verbunden ist, halte ich für unverhältnismäßig. Darum hat nun die Bundesregierung eine Regelung vorgeschlagen, die das Verfahren deutlich erleichtert. Die jährliche Leistung soll in eine Einmalzahlung umgewandelt werden. Das heißt, dass anstelle der bisher jährlich neu zu beantra- genden rund 500 Euro einmalig die sechsfache Summe, nämlich rund 3 000 Euro, als Abschlusssumme geleistet wird. Für die Anspruchsberechtigten ist das mit deutlich weniger Aufwand und einer höheren finanziellen Leistung verbunden. Dabei wird angestrebt, dass die Menschen von dieser hohen Einmalzahlung stärker pro- fitieren als von den geringeren Jahresbeträgen. Im Bun- deshaushalt werden für diese Maßnahme zusätzlich rund 11,3 Millionen Euro veranschlagt, und ich freue mich, dass es gelungen ist, diese nicht unbeträchtliche Summe für die Umsetzung des Gesetzesvorhabens bereitzustel- len. Ich halte es für eine gute Entscheidung, das Häft- lingshilfegesetz in dieser Weise zu verändern und zum Abschluss zu bringen. Auch 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg tragen wir Verantwortung. Verantwortung für Unrecht und Leid, das im Namen oder infolge deutscher Unrechts- regime begangen wurde. Es ist Ausdruck einer mündi- gen demokratischen Gesellschaft, sich dieser Verantwor- tung immer aufs Neue zu stellen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung be- antragt eine Änderung des Häftlingshilfegesetzes. Bisher müssen die Berechtigten jedes Jahr einen Antrag auf Beihilfe stellen, die aber nur 500 Euro beträgt. Diese Regelung soll jetzt ersetzt werden durch eine einmalige Zahlung von 3 000 Euro. Das Gesetz steht jenen Personen offen, die nach der Befreiung vom Faschismus von den Sowjetbehörden zu Unrecht in Gewahrsam genommen worden waren. Ge- genwärtig handelt es sich bei den meisten der rund 5 000 Antragsteller um Russlanddeutsche bzw. um Rumänien- deutsche, die in die Sowjetunion verschleppt worden waren. Es liegt auf der Hand, dass eine Beihilfe, die ge- rade einmal 500 Euro pro Jahr umfasst, von den Betrof- fenen kaum als wirksame Unterstützung wahrgenommen wird. Von daher ist es zu begrüßen, dass ihnen die all- jährliche Auseinandersetzung mit dem Antragsformular erspart wird und sie stattdessen eine Zahlung von 3 000 Euro erhalten. Problematisch ist aus unserer Sicht aber, dass diese Summe als „Abschlusszahlung“ bezeichnet wird. Ob sich das für die Betroffenen unterm Strich lohnt, hängt damit von ihrer Lebenserwartung ab. Wenn man der Auffassung ist, dass die Beihilfe an sich legitim und notwendig ist, warum lässt man sie dann auslaufen? Dazu hat die Bundesregierung keine Begründung gelie- fert. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auf einen grund- sätzlichen Mangel dieser Regelung hinzuweisen. Natür- lich hat es beim Vormarsch der Roten Armee auch Ex- zesse und unrechtmäßige Inhaftierungen gegeben. Dass die Betroffenen heute eine, wenn auch bescheidene, Hilfe erhalten, ist völlig in Ordnung. Bemerkenswert ist aber, dass das nur für Deutsche gilt, die Opfer der Roten Armee wurden. Menschen, die rechtswidrigem Verhal- ten der Wehrmacht oder der Waffen-SS zum Opfer fie- len, wie etwa die Einwohner der griechischen Ortschaft Distomo, in der die Nazibesatzer ein Massaker verübten, haben bis heute nicht einen Cent an Entschädigung be- kommen. Als Webfehler des Gesetzes sehen wir auch den Aus- schluss von Personen, die den sozialistischen Regierun- gen Osteuropas „Vorschub geleistet“ haben. Das ist eine absolute Gummiformulierung. Während altgediente Na- zis nur ausgeschlossen werden, sofern ihnen hieb- und stichfest Verbrechen nachweisbar sind, sind etwa Kom- munisten, die sich für den Aufbau und den Erhalt der DDR eingesetzt haben, von einem prinzipiellen Aus- schluss bedroht. Das spiegelt sehr deutlich den antikom- munistischen Geist der 1950er-Jahre in der BRD, als dieses Gesetz entstanden ist. Die Linke wird sich aus den genannten Gründen ent- halten. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im vorliegenden Antrag stellt die Bundesregierung fest, dass knapp 70 Jahre nach Beendigung des Zweiten Welt- krieges die Empfänger von Unterstützungsleistungen nach dem Häftlingshilfegesetz, HHG, im Durchschnitt über 80 Jahre alt sind. 95 Prozent dieser Antragsteller er- halten nach Angabe der Bundesregierung gemäß den Ar- beitsanweisungen der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge, StepH, eine Unterstützungsleistung in Höhe von 500 Euro pro Jahr. Nach Schilderung der StepH wird eine Unterstützungsleistung in dieser Höhe aller- dings nicht als effektive Hilfe wahrgenommen. Den hochbetagten Antragstellern sei es deshalb nicht mehr zuzumuten, jedes Jahr erneut diese relativ geringe Leis- tung zu beantragen. Der Vorschlag der Bundesregierung ist deshalb, durch die Änderung des HHG die jährliche Unterstützungsleis- tung an ehemalige politische Häftlinge ab 2016 durch eine Einmalzahlung zu ersetzen, für die der Bund einma- lig 13,5 Millionen Euro – davon 11,5 Millionen Euro zu- sätzlich – bereitstellen wird. Durch diese zusätzlichen fi- nanziellen Mittel wird die Einmalzahlung deutlich höher ausfallen als die bisher jährlich gezahlte Unterstützungs- leistung. Wir begrüßen den großzügigen Ansatz, dass An- spruchsberechtigte vorab für sechs Jahre den ihnen zuste- henden Entschädigungs- bzw. Anerkennungsbetrag auf 11260 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) einmal bekommen. Darin sehe ich keinen Grund für eine Ablehnung. Insgesamt hätten wir uns aber eine konse- quentere Entscheidung, auch mit Blick auf andere Opfergruppen, erhofft und hätten eine höhere Zahlung begrüßt, weshalb wir uns heute enthalten werden. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas über 2018 hinaus ver- längern (Tagesordnungspunkt 25) Steffen Bilger (CDU/CSU): Alternative Antriebe sind eine gute, sinnvolle und notwendige Alternative zu herkömmlichem Sprit auf Erdölbasis. Um unseren Um- welt- und Klimabeitrag im Verkehrsbereich zu erbrin- gen, müssen wir dafür sorgen, dass auf Deutschlands Straßen weniger CO2 und andere Schadstoffe ausgesto- ßen werden. Auch die Lärmemissionen müssen sinken, und nicht zuletzt sollten wir unsere Abhängigkeit von Ölimporten verringern. Dafür muss der Verbrauch von Diesel und Benzin abnehmen. Die sinnvollste Variante ist dabei der Elektroantrieb. Er ist leise, stößt lokal keine Emissionen aus, kann mit regenerativ erzeugter Energie betrieben werden und unterstützt die Weg-vom-Öl- Strategie. Da aber E-Fahrzeuge – seien sie batteriebetrie- ben oder durch Wasserstoff angetrieben – noch nicht für alle Anwendungen nutzbar sind, benötigen wir andere Antriebsmöglichkeiten. Dazu gehören Erd-und Flüssig- gas. Gasbetriebene Fahrzeuge ermöglichen umwelt- so- wie klimafreundlichere Mobilität. Um die Gasmobilität voranzutreiben, wurde schon vor Jahren mit wichtigen Maßnahmen begonnen. Das Tankstellennetz wurde fast flächendeckend ausgebaut und die Steuerermäßigung eingeführt. Zusammen mit den Fahrzeugherstellern entstand dadurch ein Markt für die Kunden. Denn nur wenn auch bei dieser Technik das klassische Henne-Ei-Problem gelöst ist, kommen wir bei der notwendigen Verbreitung voran. Die Hersteller müs- sen Fahrzeuge oder Umrüstmöglichkeiten anbieten, die Tankstelleninfrastruktur muss angemessen ausgebaut und der Preis des Gases attraktiv sein. Auf die ersten bei- den Bedürfnisse hat der Staat wenige Einwirkungsmög- lichkeiten, auf letzteres umso mehr. Experten sagen des- halb, dass ohne die eingeführte Steuerermäßigung Erd- und Flüssiggas für Autos nur noch schwer verkäuflich wäre. Daher brauchen wir diese Form der Förderung. Das Bundesfinanzministerium macht sich nun sinn- vollerweise intensiv Gedanken darüber, wie sich die Mindereinnahmen durch Steuerzugeständnisse bei den alternativen Kraftstoffen in Zukunft auf den Bundes- haushalt auswirken werden. Hierzu wird gerade ein Gutachten erarbeitet. Es ist verständlich, dass erst nach Abschluss des Gutachtens über die weitere Steuerermä- ßigung bei der Gasmobilität Schlussfolgerungen gezo- gen werden sollten. Vor allem steht eben die Frage im Raum, ob es sie geben wird und, wenn ja, wie eine mög- liche Degression der Steuerermäßigung aussehen und bis wann diese komplett abgeschmolzen sein wird. Auch deshalb ist es gut, dass vertieft und in einem breiteren Ansatz über alternative Antriebe geforscht wird. Zu Recht wird von der Politik Verlässlichkeit einge- fordert. Es kann schließlich nicht sein, dass Rahmen- bedingung von heute auf morgen zum Schaden von Wirtschaft und Bevölkerung geändert werden. Gelegent- lich gibt es gute Gründe dafür, es sollte aber die Aus- nahme bleiben. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, dass spätestens im kommenden Frühjahr die Bundes- regierung einen Gesetzentwurf zur Steuerermäßigung vorlegt, bei dem dann jeder weiß, woran er ist. Potenzielle Käufer, Hersteller und Tankstellenbetrei- ber brauchen aber schon jetzt ein Signal, ob die Steuer- ermäßigung auch über 2018 hinaus tatsächlich bleiben wird. Autos werden gekauft und über Jahre genutzt. Wenn eine Gas-Tankstelle überholt bzw. erneuert wer- den muss, benötigt der Betreiber Sicherheit, ob er weiter in diese Technologie investieren sollte, und die Herstel- ler – obwohl sie natürlich international anbieten – sind ebenfalls daran interessiert, wie sich der Markt in Deutschland aufgrund der steuerlichen Rahmenbedin- gungen entwickeln könnte. Überhaupt sollte es unser Anspruch im Autoland Deutschland sein, dass wir bei al- len Formen der Mobilität der Zukunft in Forschung, Pro- duktion und Anwendung vorne mit dabei sind. Aus diesen Gründen haben sich die Koalitionsfraktio- nen von CDU/CSU und SPD entschlossen, diesen An- trag in den Deutschen Bundestag einzubringen. Er for- dert die Bundesregierung auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen. Dort heißt es: „Die bis Ende 2018 befristete Energiesteuerermäßigung für klimaschonendes Autogas und Erdgas wollen wir verlängern.“ Auch im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz des Bundeswirtschafts- ministeriums wird die Verlängerung der steuerlichen Begünstigung von Erd- und Flüssiggas über das Jahr 2018 als Maßnahme gelistet. Mit diesem Antrag machen wir deutlich, dass der Bund auch weiterhin die Gasmobi- lität fördern wird. Alle Beteiligten können sich darauf verlassen und entsprechend planen. Wir stehen zur Gas- mobilität und wünschen uns ihren Erfolg! Danken möchte ich als Verkehrspolitiker an dieser Stelle allen Beteiligten aus der Koalition. Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter. Meine Kollegen aus den Bereichen Finanzen, Verkehr, Umwelt und Wirtschaft der Koalitionsfraktionen haben den Entstehungsprozess konstruktiv begleitet, und auch das zuständige Bundes- finanzministerium hat seinen Beitrag geleistet. Nun freue ich mich auf die weiteren Beratungen und bitte um breite Zustimmung. Norbert Schindler (CDU/CSU): Mit dem vorlie- genden Antrag der Koalitionsfraktionen wird die Bun- desregierung aufgefordert, auch in Zukunft das im Ver- kehrssektor verwendete komprimierte und verflüssigte Erdgas, CNG/LNG, und Flüssiggas, LPG, mit einem ver- günstigten Mineralöl-(Energiesteuer-)satz zu belegen. Ziel dieser Maßnahme ist es, die derzeitige Konkurrenz- fähigkeit der mit CNG und LPG betriebenen Kfz mit den Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11261 (A) (C) (D)(B) konventionell betriebenen (Otto- und Dieselmotoren) beizubehalten. Die Gründe für diesen Vorstoß mit dem heutigen An- trag sind vielschichtig; ich möchte hier einige heraus- greifen: Für das Gelingen der Energiewende und das Errei- chen der Klimaziele sind nicht nur Treibhausgasminde- rungen im Bereich der Energieerzeugung – wie gestern von der Großen Koalition beschlossen – notwendig, son- dern gerade auch im Verkehrssektor, der für circa 17 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland (159 Millionen Tonnen) verantwortlich ist. Durch die Zunahme des Individual- und Güterverkehrs in Deutsch- land werden sich diese Emissionen in Zukunft mit kon- ventionellen Kraftstoffen nicht reduzieren lassen. Des- halb brauchen wir im Verkehrssektor einen Energiemix, zu dem eben auch verflüssigte Gase für Verbrennungs- motoren gehören. Die Beibehaltung der Steuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas für einen zu definierenden Zeitraum soll Motivation für Innovationen in diesem Bereich sein. So entfallen heute zwar nur circa 0,3 Prozent des Energieverbrauchs des Verkehrssektors auf Erdgas (circa 100 000 Pkw), das eine deutlichere THG-Minderung aufzuweisen hat als LPG; jedoch ist der mögliche mittel- fristige Marktanteil auf das 12- bis 15-Fache prognosti- ziert. Ein derartiger Zuwachs könnte zu einer signifikan- ten Reduzierung der Emissionen um circa 1 Million Tonnen pro Jahr führen. Gerade die jetzt anlaufende Herstellung von Methan mittels der Power-to-Gas-Technologie oder die Beimi- schung von Biogas als erneuerbare Energieträger ma- chen den Erdgaseinsatz noch vorteilhafter. Da die Pro- duktion jedoch derzeit noch deutlich teurer ist als die Fragmentierung von Erdölprodukten, muss ein deutli- cher steuerlicher Abstand beibehalten bleiben. Erdgas gilt auch als alternativer Kraftstoff für den Ziel- und Quellverkehr, für den Elektrofahrzeuge auf- grund der Reichweite nicht eingesetzt werden können. Darüber hinaus wird auch der Einsatz von Erdgas als Al- ternative zu Diesel im Straßentransport im Rahmen der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie, MKS, der Bundesre- gierung vorbereitet. Die entsprechende Initiative Erdgas- mobilität muss durch Beibehaltung von günstigen Steu- ersätzen flankiert werden. Neben dem Lkw-Bereich, in dem der Einsatz von gas- betriebenen Fahrzeugen erst anläuft, kann schon auf langjährige Erfahrungen bei Bussen zurückgeblickt wer- den. Auch hier sind (Bio-)Erdgasfahrzeuge eine gute Al- ternative insbesondere für die Innenstädte, da die direk- ten Abgasemissionen deutlich niedriger sind als bei Dieselfahrzeugen und zudem Feinstaubemissionen nicht mittels teurer Technik bekämpft werden müssen, da sie nahezu vollständig ausbleiben. Mit der geforderten Verstetigung der Steuerminde- rung für den Einsatz von Erd- und Flüssiggas in Fahr- zeugen vermeiden wir eine Erosion des Gastankstellen- netzes. Durch den Teufelskreis wenige Fahrzeuge (Kunden), wenig Umsatz, hohe Wartungs- und Instand- haltungskosten, Abbau der Kapazitäten, weniger Fahr- zeuge ist für viele Unternehmen das Betreiben der Gas- tankstellen unattraktiv geworden. Auch das möchten wir mit dieser Initiative stoppen, und wir hoffen, dass die Tankstellenbetreiber dies als Signal für einen Ausbau des Netzes werten. Nicht zuletzt wollen wir die in- und ausländischen Kfz-Hersteller hiermit motivieren, mehr Fahrzeug- varianten mit Gasbetrieb herzustellen und zu vertreiben. Wird die Flotte attraktiver, ist auch der Anreiz zum Er- werb eines Fahrzeugs mit Gastank – trotz Mehrkosten in der Beschaffung – vorteilhaft, da die Gesamtkosten im Lebenszyklus des Kfz, TCO – Total Cost of Ownership, durchaus mit konventionell betriebenen Fahrzeugen konkurrenzfähig sind. Nach den Erfolgen eines deutschen Premiumherstel- lers mit erdgasbetriebenen Fahrzeugen kündigten wei- tere an, dieses Segment ebenfalls bedienen zu wollen. Und auch die Importeure ziehen nach. Ich kann nur sa- gen: Weiter so! Das Potenzial der Energieträger CNG und LPG, zu ei- ner nachhaltigen Energieversorgung im Straßenverkehr beizutragen, ist noch lange nicht ausgeschöpft. Gerade hinsichtlich der Dekarbonisierung im Verkehrssektor ist der Einsatz dieser Energieträger auch mittelfristig not- wendig und muss schnellstmöglich auf den Straßentrans- port ausgeweitet werden. Die größtmögliche Reduzie- rung der Treibhausgas- und Schadstoffemissionen kann in diesem Sektor erfolgen, wenn erneuerbare Energien bei der Herstellung dieser Energieträger Verwendung finden. Die Vorteilhaftigkeit insbesondere von (Bio-)Erdgas wird nur noch von Biokraftstoffen übertroffen, die direkt oder als Beimischung zu Benzin oder Diesel in Verbren- nungsmotoren eingesetzt werden. Auch hier ist eine hö- here Beimischungsquote durchaus denkbar, zum Bei- spiel die Erhöhung auf E 20 (20 Prozent Bioethanol im Benzin) als weiterer Baustein, um die nationalen Klima- ziele auch im Verkehrssektor zu erreichen. Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen, die Ener- giesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas – gegebe- nenfalls differenziert – über 2018 hinaus zu verlängern, haben wir heute die steuerpolitische Richtung vorgege- ben. Die Umsetzung wird im Frühjahr nächsten Jahres erfolgen, nachdem das Ergebnis des Forschungsvorha- bens zur Entwicklung der Energiesteuereinnahmen im Kraftstoffsektor ausgewertet worden ist. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir eine Rege- lung mit Augenmaß erhalten, mit der alle Beteiligten gut leben können. Dabei werde ich weder das nationale Kli- maziel noch das Ziel der Haushaltsneutralität aus den Augen verlieren. Christian Petry (SPD): Heute beraten wir einen An- trag der Koalitionsfraktionen zur Verlängerung der be- stehenden Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüs- siggas. Bevor ich auf inhaltliche Details zu sprechen komme, möchte ich den Antrag und seine Ziele gerne in einen größeren Kontext setzen. Im Koalitionsvertrag ha- 11262 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) ben sich CDU/CSU und SPD auf eine massive Reduzie- rung der Treibhausgasemissionen verständigt. Bis zum Jahr 2020 wollen wir im Zuge der Energiewende die Emissionen national um 40 Prozent senken – ein ambi- tioniertes Ziel. Im letzten Jahr konnten in vielen treib- hausgasemittierenden Sektoren Erfolge erzielt werden. Die aktuellen Emissionsdaten des Umweltbundesam- tes zeigen einen grundsätzlich positiven Trend bei den Treibhausgasemissionen: Seit drei Jahren sind die Emis- sionen wieder rückläufig. Das ist erfreulich und vor- nehmlich den strukturellen Veränderungen in der Ener- giewirtschaft geschuldet. Ganz anders sieht es dagegen im Verkehrssektor mit einer unterdurchschnittlichen Per- formance aus. Die Emissionen sind hier im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 3 Prozent gestiegen, sie ma- chen aktuell insgesamt 17 Prozent der deutschen Treib- hausgasemissionen aus. Der Hauptgrund für die gesteigerte Verkehrsleistung im privaten und gewerblichen Bereich ist dabei volks- wirtschaftlich durchaus positiv zu sehen: konstantes Wirtschaftswachstum, das von niedrigen Kraftstoffprei- sen befeuert wird. Umweltverträgliche Kraftstoffe konn- ten sich zwar teilweise im Markt etablieren, der überwäl- tigende Großteil der Energieträger im Verkehrssektor wird jedoch aus Mineralölen gewonnen. Dieser kurze Exkurs zeigt: Die Energiewende kann nur dann gelingen, wenn es auch im Verkehrsbereich zu einem Umdenken kommt, ein Umdenken hin zur ver- mehrten Nutzung regenerativer Kraftstoffe und hin zu verstärktem Forschen an alternativen Antriebstechnolo- gien. Die Energiewende verstehe ich dabei als eine ge- samtwirtschaftliche Herausforderung, die viele Wirt- schaftszweige vor große Veränderungen stellt. Hier muss die Politik mit zielgenauer und differenzierter Unterstüt- zung diesen Veränderungsprozess begleiten. Ich bin überzeugt: Das Gießkannenprinzip sollte nicht das Mit- tel der Wahl sein. Daher gilt es, jede politische Entschei- dung zugunsten einer Technologie oder eines Kraftstof- fes vorab sorgsam abzuwägen. Ich komme damit zum Kern des vorliegenden An- trags. In Deutschland sind bis Ende 2018 Erd- und Flüs- siggas energiesteuerlich begünstigt. Beide Kraftstoffe konnten sich in den vergangenen Jahren mit Erfolg im Markt etablieren. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU/CSU daher darauf verständigt, diese Begünsti- gung auch über 2018 hinaus zu verlängern. Die konkrete Ausgestaltung dieser Verlängerung gilt es nun in den kommenden Monaten zu definieren. In diesem Zusam- menhang hat das Bundesfinanzministerium ein umfang- reiches Forschungsvorhaben ausgeschrieben, das die Entwicklungen der Energiesteuereinnahmen im Kraft- stoffsektor zum Gegenstand hat. Ich denke, dass neben dem reinen Zahlenwerk auch eine Blaupause vonnöten ist, die für Erd- und Flüssiggas einen Weg in die Wettbe- werbsfähigkeit mit anderen Kraftstoffen ohne steuerli- che Vergünstigungen aufzeigt. Neben diesen zentralen Überlegungen zur mittelfristi- gen Marktetablierung von Erd- und Flüssiggas stellt der vorliegende Antrag somit zunächst sicher, dass die Bun- desregierung bis zum Frühjahr 2016 einen konkreten Vorschlag zur Verlängerung der angesprochenen Steuer- begünstigungen macht. Ich glaube, dass dies ein richti- ges Signal für die weitere Unterstützung umweltscho- nender Kraftstoffe ist. Die kommenden Monate müssen jetzt genutzt werden, um die Details der zukünftigen steuerlichen Vergünstigung für Erd- und Flüssiggas zu formulieren. Dabei fordern wir von der Bundesregierung auch ein, dass sie nichtsteuerliche Möglichkeiten zur besseren Etablierung dieser beiden Kraftstoffe aufzeigt. Andreas Rimkus (SPD): Es ist sehr wichtig, dass wir es geschafft haben, diesen Antrag noch vor der Som- merpause auf den parlamentarischen Weg zu bringen. Denn in der Tat soll er ein wichtiges Signal an die Indus- trie, aber auch an die Nutzerinnen und Nutzer sein, dass wir zur Technologie des Gasantriebs stehen und ihn als wichtigen Bestandteil der Energiewende im Verkehr be- greifen. Dies ist als Aufforderung zu betrachten, sich of- fen den bereits etablierten ökologischen Antriebsformen zuzuwenden und selbst einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Transformation zu umweltfreundlicher Mobili- tät gelingt. Mit den UN-Mitgliedstaaten hat sich auch die Bun- desrepublik auf klare Zielvorgaben verständigt, zu denen Deutschland seinen Beitrag leisten muss. Deshalb hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, die Treib- hausgasemissionen maßgeblich zu senken. Bis 2050 wollen wir 80 bis 95 Prozent CO2-Emissionen gegen- über 1990 reduzieren, bis 2020 immerhin schon 40 Pro- zent. Diese Zahlen gehen einem leicht von den Lippen, doch ihre Umsetzung wird nicht von alleine kommen, sondern bedarf unserer tatkräftigen Unterstützung. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Verkehrsleistung stetig zunimmt, wie auch die Verkehrsverflechtungspro- gnose zeigt. Insbesondere im Straßengüterverkehr wird ein Anstieg der Verkehrsleistung um 39 Prozent pro- gnostiziert, was den dringenden Handlungsbedarf sicht- bar macht. So müssen wir auch im Verkehrsressort kurz- und mittelfristig deutlichere Fortschritte machen. Hier haben wir mit LNG einen Kraftstoff, der besonders im Straßengüterverkehr bei der Reduzierung von Emissio- nen helfen kann. Damit uns die Abkehr von den klassischen Kraftstof- fen Diesel und Benzin gelingt und wir einen Paradig- menwechsel im Verkehrssektor hinbekommen, müssen wir uns ehrlich anstrengen. Es braucht Ideen, Innovatio- nen und Konzepte. Erste Schritte sind wir mit dem Na- tionalen Aktionsplan Energieeffizienz von Sigmar Gabriel und dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 aus dem Hause von Barbara Hendricks gegangen. Dort wurden Gesamtkonzepte vorgelegt, die deutlich über 100 Maßnahmen beinhalten. Unsere Aufgabe ist nun, diese in die Tat umzusetzen. Ergänzend dazu haben wir aber auch bereits im Koalitionsvertrag Maßnahmen ver- abredet. Einen wesentlichen Baustein dieser Maßnah- men bildet ebendiese Verlängerung der Steuervergünsti- gung für Erd- und Flüssiggas. Mit dem vorliegenden Antrag bekräftigen wir dieses Bekenntnis noch einmal und machen deutlich, dass wir auch im Verkehrssektor zu unseren ökologischen Zielen stehen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11263 (A) (C) (D)(B) Um diese zu erreichen, müssen wir allerdings ran. Dies gelingt uns mit der Förderung von Gastechnologie, aber auch mit weiteren Antriebsformen, wie Elektroan- trieben mit Akku und Brennstoffzelle, Power-to-Gas und Biokraftstoffen der zweiten Generation. Deshalb stehen auch ich und meine Fraktion hinter alternativen An- triebstechnologien. Auch die EU-Kommission erkennt diesen Ansatz und berücksichtigt in der Richtlinie zum Ausbau von Lade- und Tankinfrastruktur alternativer Antriebe (Clean Power for Transport) sowohl Wasserstoff und Strom als auch Gas. Ausdrücklich werden hier auch Anforderungen für den Ausbau von LNG-Tankinfrastruktur für die Schiff- fahrt definiert. Auch hier bietet Flüssiggas eine ökologi- sche Alternative zu den klassischen Brennstoffen. Die Zukunft wird uns vor die Aufgabe stellen, nicht nur aus Umweltschutzgründen die Energiewende im Verkehr zum Erfolg zu führen, sondern auch aufgrund der Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger. Viele Men- schen drängen in die Städte, wo sich der Verkehr staut. Wir stehen vor der Herausforderung, auf der einen Seite den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen gerecht zu werden und auf der anderen Seite Probleme wie die Feinstaubbelastung in den Innenstädten zu reduzieren. Auch dazu kann der Treibstoff Gas seinen Beitrag leis- ten. Wie ich bereits an dieser Stelle im Plenum deutlich gemacht habe, ist mein Credo: Technologieoffenheit. Lassen Sie uns doch die Nutzerinnen und Nutzer ent- scheiden, wo die Reise hingehen soll. All die genannten Technologien bieten noch erhebliches Innovationspoten- zial. Gute Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich diese Potenziale ideal heben lassen, sehe ich als meine und unsere gemeinsame Aufgabe. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Wir sprechen heute hier über einen Antrag der Koalitionsfraktionen zur Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas. Die Steuerermäßigung soll über 2018 hinaus verlängert werden. Begründet wird dies mit Klimaschutz und der Dekarbonisierung des Verkehrssektors. Es ist ja schön, dass das Wort Dekarbonisierung nun auch von der Bun- deskanzlerin und CDU-Vorsitzenden in Elmau in den Mund genommen wurde. Aber mit schönen Worten ist es beim Klimaschutz lei- der nicht getan. Wenn es um Taten geht, dann sieht man die schwache Willenskraft der Koalition wie gerade heute bei den Ergebnissen des Spitzentreffens zur Ener- gie. Wirklich wirksame Instrumente zum Klimaschutz haben bei der Koalition wenig Chancen, wie man am heute gescheiterten Klimabeitrag für Kohlekraftwerke wunderbar sehen kann. Dekarbonisierung – Sie von der Koalition müssen erst noch lernen, wie man das buchsta- biert. Auch im Verkehrsbereich. Grundsätzlich sagen wir als Linke, dass es zwar nicht falsch ist, über eine solche Steuerermäßigung Anreize zu geben, um den Marktan- teil von erdgasbetriebenen Fahrzeugen zu erhöhen. Wenn ich mir allerdings Ihre Begründung ansehe, meine ich, Sie hätten hier nicht so einen klimapolitisch klingen- den großen Aufwasch zu machen brauchen. Für einen Beitrag des Verkehrssektors zum Aufhalten der Klimaer- wärmung würde ich mir ambitioniertere Anträge aus den Reihen der Koalition wünschen. Im Verkehr wird etwa ein Fünftel der deutschen CO2- Emissionen ausgestoßen – Tendenz steigend. Da sind noch nicht einmal die anteiligen Emissionen aus dem in- ternationalen Flugverkehr eingerechnet. Insbesondere der Straßenverkehr wächst, auf den über 95 Prozent der Verkehrsemissionen entfallen. Höhere Wachstumsraten als im Straßenverkehr sind allein im Flugverkehr zu ver- zeichnen, wo endlich die umweltschädliche Steuerbe- freiung bei Kerosin aufgegeben werden müsste. Ich will aber beim Straßenverkehr bleiben: Hierzu- lande fahren die Leute immer leistungsstärkere Autos und haben eine Vorliebe für große Schüsseln: SUVs sind beliebt. Die Klimaschutzwirkung von effizienterer Tech- nik wird durch immer höhere PS-Zahlen leider ausgehe- belt. In Deutschland stieg die durchschnittliche Motor- leistung von Neufahrzeugen von 123 PS im Jahr 2005 auf 137 PS im Jahr 2013. Das ist Gift für das Klima, denn dies führte zu zusätzlichen 9,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen – allein wegen PS-stärkerer Motoren. Allein der Autoverkehr ist in der EU für 12 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Wir haben jetzt zwar CO2-Grenzwerte für Pkw, aber da wurde ja die Bundesregierung in Brüssel sehr aktiv, um die deutsche Automobilindustrie vor zu strengen Auflagen zu schüt- zen. Nachdem sie strengere CO2-Grenzwerte nicht ver- hindern konnte, setzt Angela Merkel sich jetzt für soge- nannte Supercredits ein, besondere Boni, mit denen die Firmen verkaufte Elektrofahrzeuge in ihrer Flotte gleich mehrfach anrechnen – und sich damit auf dem Papier CO2-ärmer rechnen, als sie es tatsächlich sind. Klima- politischer Unsinn. Ein weiteres Problem ist, dass die CO2-Werte der Hersteller kaum mit der Realität übereinstimmen. Hier gibt es eine riesige Diskrepanz, die man in den Griff be- kommen muss. Beim Elektroauto greift der Rebound-Effekt, weil es hauptsächlich als Zweit- und Drittwagen zum Einsatz kommt. Im Verkehrsbereich muss es zu einem Umden- ken kommen, wenn man für das Klima etwas erreichen will: neue Verkehrskonzepte mit einem starken ÖPNV und kurzen Wegen, mehr Güterverkehr auf die Schiene. Deswegen kann die Koalition hier lange Begründun- gen schreiben, wie sie über Erdgassteuererleichterungen das Klima schützen will; wenn es darauf ankommt, be- dient sie eher die Interessen der Automobilindustrie als die Interessen des Klimas. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für die deutsche Klimapolitik stellt der Verkehrssektor eine enorme Herausforderung dar. Der vorliegende Antrag zur Verlängerung der Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas beginnt hier mit einer treffenden Ana- lyse. Es ist richtig, dass das stetig steigende Verkehrsauf- kommen im Güter- und Personenverkehr und eine fast 11264 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) vollständige Abhängigkeit von Mineralölprodukten es erschweren, die Treibhausgase in diesem Sektor zu redu- zieren. Allerdings: Der zweite Teil des Antrags erweckt den Eindruck, als wenn alle Klimaschutzprobleme im Ver- kehrssektor mit einer Verlängerung der Energiesteuerer- mäßigung für Erd- und Flüssiggas gelöst wären. Dies ist jedoch ganz sicher nicht der Fall. Mit dem vorliegenden Antrag verfestigt sich der Ein- druck, dass die Koalitionsfraktionen die wirklich wichti- gen Schwerpunkte in der Verkehrspolitik nicht angehen wollen. Stattdessen schreiben sie einen Showantrag, in dem sie das Finanzministerium auffordern, etwas zu tun, was es ohnehin plant, nämlich ein Gutachten zur Zu- kunft der Energiesteuer im Verkehrsbereich vorzulegen und die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verlängerung der Steuerermäßigungen für Erd- und Flüssiggas umzu- setzen. Der Titel des Antrags und die Tatsache, dass die Koalitionsfraktionen eine Sofortabstimmung über den Antrag fordern, macht es umso deutlicher, dass es ihnen nicht um eine sorgfältige Beratung geht, wie man die Klimaziele im Verkehr tatsächlich erreichen kann, son- dern lediglich um die schlichte Botschaft, dass die Sub- vention von Erd- und Flüssiggas fortgesetzt wird. Um im Verkehrssektor die CO2-Einsparungsziele zu erreichen, muss auf mehreren Feldern deutlich umge- steuert werden. Der Fuß- und Radverkehr, aber auch Busse und Bahnen müssen im Vergleich zum Auto eine sehr viel bedeutendere Rolle spielen. Massive öffentli- che Investitionen in einen einfachen, komfortablen und gut ausgebauten öffentlichen Personenverkehr wären hier das Mittel der Wahl. Von der Bundesregierung ist hier leider kaum etwas zu sehen. Im Gegenteil: Noch im- mer bangen die Länder, ob sie in den nächsten Jahren ih- ren Nahverkehr aufrechterhalten können, weil der Bund mit seiner Zusage für weitere Regionalisierungsmittel zögert. Die beste Maßnahme für eine effektive Klimaschutz- politik wurde von der Bundesregierung auf EU-Ebene ausgebremst. Leider hat sich die Kanzlerin in Brüssel er- folgreich dafür eingesetzt, dass die Autobauer nur lasche Vorgaben dafür bekommen, wie sparsam ihre Autos sein müssen. Eine weitere Stellschraube, um die großen Herausfor- derungen im Verkehrssektor anzupacken, ist mehr Kos- tenwahrheit im Verkehrssektor. Wer auf die 10-Millar- den-Euro-Subventionen für den Luftverkehr oder die fortdauernde Subventionierung von schweren Dienstwa- gen schaut, der erkennt, dass es einen neuen Anlauf für eine ökologische Finanzreform braucht. Auch im inter- nationalen Vergleich hinkt Deutschland hier hinterher. Der Anteil der Umweltsteuern an den Gesamtsteuerein- nahmen ist in Deutschland seit 2003 um ganze 4 Pro- zentpunkte, von 13 auf 9 Prozent, gesunken. Die OECD weist darauf hin, dass die Einnahmen aus Umweltsteu- ern in Deutschland mittlerweile unter dem Durchschnitt der 34 OECD-Staaten liegen, und empfiehlt, dass Steu- ervergünstigungen für umweltschädliche Aktivitäten ab- geschafft und Mehreinnahmen durch wirkungsvollere Umweltsteuern erzielt werden. Solche sinnvollen Initiativen aus den Reihen der Ko- alitionsfraktionen gibt es aber leider nicht. Stattdessen dominierte eine komplett sinnfreie Pkw-Ausländermaut die verkehrspolitische Agenda der Koalition, die unge- fähr null Effekt auf die CO2-Emissionen im Autoverkehr haben wird. Worum geht es bei der Verlängerung der Energiesteu- erermäßigung im Detail? Erd- und Flüssiggas werden heute mit 13,90 Euro pro Megawattstunde besteuert. Der reguläre Steuersatz beträgt 31,80 Euro. Zum Vergleich: Rechnet man die Litersteuersätze beim Benzin in Mega- wattstunden um, beträgt der Steuersatz 73,20 Euro, beim Diesel sind es 46,90 Euro. Daran erkennt man zweierlei: Erstens. Die hier zur Diskussion stehenden Steuerermäßigungen für Erdgas und Flüssiggas sind gemessen an den derzeitigen Steuer- sätzen für Diesel und Benzin sehr weitgehend. Zweitens sieht man, dass die regulären Steuersätze unsystematisch ausgestaltet sind. Sie sind historisch gewachsen, orien- tieren sich aber nicht an einer klima- oder verkehrspoliti- schen Fragestellung. Vor diesem Hintergrund ist es ausdrücklich zu begrü- ßen, dass das Finanzministerium die Studie zur Zukunft der Energiebesteuerung in Auftrag gegeben hat. Darin sollte nicht nur untersucht werden, wie sich alternative Antriebe auf die Steuerbasis auswirken, sondern auch, welche Effekte die dauerhafte Subventionierung des Diesels auf Steuereinnahmen und den Verkehrssektor hat. Bevor im Bundestag über die Verlängerung der Steuerermäßigungen für Flüssig- und Erdgas abge- stimmt wird, sollte die Studie des Finanzministeriums sorgfältig ausgewertet werden. Denn es gilt zu klären, inwieweit diese im Koalitionsvertrag vereinbarte Steuer- ermäßigung das passende Instrument ist, um dem Klima- schutz im Verkehr einen ordentlichen Schub zu verlei- hen. Unbestritten ist, dass insbesondere Neuwagen mit Erdgasantrieb im Vergleich mit ihren Schwestermodel- len sehr gute Umwelteigenschaften ausweisen. So sto- ßen Erdgasautos bis zu einem Viertel weniger CO2 aus als vergleichbare Benzinmodelle und belegen seit Jahren Spitzenplätze in der VCD-Auto-Umweltliste. Dennoch gilt es zunächst zu erörtern, ob eine schlichte Fortführung der Energiesteuerermäßigungen für Erd- und Flüssiggas tatsächlich der richtige Weg ist. Fragen, die dabei zu klären sind, wären etwa: Sind die derzeitigen üppigen Ermäßigungen in dieser Höhe aus klimapolitischer Sicht zu rechtfertigen? Sind auch Moto- ren auf Basis von Flüssiggas eine Brückentechnologie, die massive Steuervorteile rechtfertigt? Und sollte die nun anstehende Novelle nicht schon jetzt dafür genutzt werden, um mit einer schrittweisen Erhöhung der Steu- ersätze die Antriebstechnologien an den Wettbewerb mit Benzin- und Dieselantrieben heranzuführen? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11265 (A) (C) (D)(B) Letztlich muss die Subventionierung von Erdgas und Flüssiggas auch vor dem Hintergrund alternativer Regu- lierungsinstrumente betrachtet werden – etwa inwieweit die Marktdurchdringung mit effizienten Antriebstechno- logien vor allem durch ehrgeizige und technologieneut- rale Verbrauchsgrenzwerte auf EU-Ebene forciert wer- den sollte anstatt mit einer Subventionierung bestimmter Kraftstoffarten. Um dieser Entscheidung nicht vorzu- greifen, enthält sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem vorliegenden Antrag. Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuor- ganisation der Zollverwaltung (Tagesordnungs- punkt 26) Uwe Feiler (CDU/CSU): Wir beraten heute über ein Gesetz zur Neuorganisation der Zollverwaltung. Mit die- sem hat die Bundesregierung ein schlüssiges und konse- quentes Konzept vorgelegt, um unsere Zollbehörde noch effektiver und effizienter zu machen. Der Zoll hat bereits 2007 eine erfolgreiche Strukturreform auf der Ortsebene durchlaufen und steht gut da. Jetzt ist es an der Zeit, die Ergebnisse dieser Reform zu sichern und konsequent zu Ende zu bringen. Zentraler Bestandteil der Reform ist die Bildung der Generalzolldirektion in Bonn. Diese wird die bisherigen Bundesfinanzdirektionen bündeln, sodass die gesamte Kompetenz der Zollverwaltung mit Zuständigkeit für das ganze Bundesgebiet dort zusammengefasst wird. Die allgemeine Verwaltung und die IT werden zentral bei der Generalzolldirektion angesiedelt. Durch kürzere Ent- scheidungswege und klarere Zuständigkeiten wird die Verwaltung optimiert. Auch die Zusammenarbeit in Eu- ropa kann dann noch besser koordiniert werden. So kann der Zoll seine in den letzten Jahren gewachsenen und auch in Zukunft wachsenden Aufgaben noch besser er- füllen. Dabei wird aber nicht alles umgeworfen. Zum Bei- spiel wird die mit maritimen Fragen erfahrene Bundesfi- nanzdirektion Hamburg zu einer Außenstelle der Gene- ralzolldirektion. Die Verwaltung wird reformiert, die Spezialisten in Hamburg sind nun aber sogar für die ma- ritimen Fragen des Zolls in ganz Deutschland zuständig, sodass der Zoll in Gänze und die Ansprechpartner in der maritimen Wirtschaft von der Kompetenz der Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter profitieren. Auch das Zollkriminalamt wird in die neue Behörde eingegliedert, bleibt aber als eigenständige etablierte Si- cherheitsbehörde erhalten. Entlastet von allgemeinen Verwaltungsaufgaben kann es noch besser wirken und sich auf seine originären Zuständigkeiten konzentrieren. Gleichzeitig bleibt die bewährte Ortsstruktur erhalten. Der Zoll wird weiterhin – und in Zukunft sogar ver- stärkt – in der Fläche aktiv und sichtbar sein. Dafür ste- hen die 43 Hauptzollämter und acht Zollfahndungsäm- ter. Überhaupt wird die gesamte Umstellung geordnet und überlegt verlaufen. Sie wurde mit den Personalver- tretungen und Gewerkschaften gemeinsam diskutiert, und es wurden verbindliche Verabredungen getroffen. Alle Dienststellen bleiben erhalten, sogar größtenteils an den bisherigen Orten. Umzüge sind freiwillig. Änderun- gen wird es vor allem in der Abteilung III des BMF ge- ben. Das Ergebnis wird eine bessere Zollverwaltung ohne Nachteile für die Mitarbeiter sein. Damit sorgen wir dafür, dass auch in Zukunft unser Zoll seine vielfältigen Aufgaben zur Sicherung der staat- lichen Einnahmen und der Sicherheit der Menschen er- füllen kann. Vor allem die Überprüfung des gesetzlichen Mindestlohns und die von den Ländern übernommene Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer haben eine große gesellschaftliche Bedeutung und die Behörde vor neue Aufgaben gestellt. Die angegebenen Kosten der Zollreform beinhalten nicht nur die IT-Umstellung und Anmietung neuer Räumlichkeiten, sondern auch die Modernisierung der Kommunikationsausstattung der Zollliegenschaften. Auch in der Ausrüstung wird der Zoll somit besser auf- gestellt. Wenn man sich den vorliegenden Gesetzesvorschlag der Bundesregierung anschaut, muss man feststellen, dass wir hier eine durchdachte, konsequente und sinn- volle Reform vorliegen haben. Unser Zoll wird damit für seine wichtigen und auch in Zukunft weiter wachsenden Aufgaben gerüstet. Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Fast jeder erwachsene Bürger kennt ihn: den Zoll; aber nur wenige kennen das wirkliche Maß seiner Bedeutung. Die Zollverwaltung ist eine Großbehörde und hat ungefähr 39 000 Mitarbeiter. Diese sichern nationale und europäische Einnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe, vor allem im Bereich der Verbrauchsteuern. Für das Jahr 2014 waren das ungefähr 130 Milliarden Euro. Zu den Kernaufgaben des Zolls gehören die Unterbindung illegalen Handels und der Schutz der Bevölkerung durch die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Ich nenne an dieser Stelle nur einmal exemplarisch den Schmuggel von ver- brauchsteuerpflichtigen Waren wie Zigaretten und Alko- hol, Drogen-, Waffenschmuggel, Markenpiraterie, Geld- wäsche, Artenschutz – Handel mit geschützten Tier- und Pflanzenarten –, Einfuhr verbotener Arznei- und Le- bensmittel und vieles andere mehr. Vor der Öffnung der Grenzen in Europa – Stichwort: Schengen-Raum – hatten zumindest diejenigen, die ins Ausland fuhren, im Regelfall unmittelbaren Kontakt mit den Grenzbeamten des Zolls. Das ging auch mir als Ab- geordnete aus einer Grenzregion zu den Niederlanden häufig so. Mit dem Wegfall der Grenzkontrollen wurde der Zoll für viele Bürger weniger erfahrbar und unsicht- barer. Aufgabenspektrum und Bedeutung des Zolls aber sind seitdem nicht weniger geworden – ganz im Gegen- teil, sie haben sogar zugenommen. 11266 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Ich nenne hier die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die seit 2004 vom Zoll übernommen wurde, die jüngst hin- zugekommene Übernahme der Verwaltung der Kraft- fahrzeugsteuer von den Ländern und die Kontrolle des gerade von der Bundesregierung beschlossenen gesetzli- chen Mindestlohns. Um den wachsenden Aufgaben ge- recht werden zu können, hat die Regierung jetzt eine umfassendere Neuorganisation der Zollverwaltung be- schlossen, die wir heute erstmalig im Bundestag einbrin- gen und in den kommenden Wochen und Monaten in den Gremien beraten werden. Wesentliches Element der Reform ist die Schaffung einer Generalzolldirektion als zentrale Oberbehörde in Bonn. In diese werden die fünf Bundesfinanzdirektionen und die Bereiche aus dem Finanzministerium, die nicht der Gesetzgebung dienen, überführt. Das Zollkriminal- amt bleibt als Generaldirektion als eigenständige Abtei- lung bestehen. Die neue Einheit Generalzolldirektion wird unmittelbar dem Bundesfinanzministerium unter- stellt. Die Reform will bestehende Strukturen effizienter ge- stalten und verschlanken; sie will Hierarchieebenen ab- bauen. Leitbild der Regierung war der Erhalt des Zolls als Einheit von Finanzverwaltung und Vollzug. Die meisten Verbände, denen der Gesetzentwurf zur Konsul- tation vorab übersandt wurde, unterstützen diesen An- satz im Grundsatz. Ich will aber nicht verschweigen, dass die Gewerk- schaft der Polizei, GdP, eine davon abweichende Meinung vertritt. Die GdP lehnt eine Integration des Zollkriminalamtes als eigenständigen Teil der General- direktion ab. Empfohlen wird die Trennung von Verwal- tungs- und Polizeiaufgaben. Kontroll-, Fahndungs-, und Ermittlungsaufgaben sollten nach Vorstellung der GdP in einer von drei eigenständigen „Säulen“ unter dem Dach des Zollkriminalamts gebündelt werden. Laut GdP-Vorschlag würden die FKS und die Kontrolldienste Teil des ZKAs. Das Zollkriminalamt soll dann entweder direkt dem Bundesfinanzminister oder demselben mittel- bar mit einer dazwischengeschalteten Generaldirektion unterstehen. Die GdP erhofft sich von der Zusammen- führung „polizeilicher“ Aufgaben eine Stärkung der polizeilichen und eine bessere Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden der Landes- und Bundespolizeibe- hörden. Die Abschaffung der Mittelbehörden dagegen wird ausnahmslos von allen Verbänden unterstützt. Ausdrück- lich begrüße ich den Ansatz der Regierung, kein Perso- nal abzubauen. Stellen, die durch Neu- und Umorganisa- tion der Verwaltungsstrukturen an der einen Stelle frei werden, entfallen nicht, sondern werden dorthin verla- gert, wo sie im Zuge der Neuorganisation benötigt werden. Es steht außer Frage, dass der Zoll heute und zu- künftig jede Fachkraft benötigt. Der demografische Wandel wird auch am Zoll nicht spurlos vorbeigehen. Personalgewinnung bleibt ein zentrales Thema – nicht der Abbau! Die Herausforderungen sind und bleiben groß: Ich erinnere an die 1 600 zusätzlichen Stellen für die Mindestlohnkontrolle, für die Personal gewonnen und ausgebildet werden muss. Der Zoll bleibt auch in der Fläche in vollem Umfang präsent. Kein Standort wird geschlossen. Das gilt für die ehemaligen Bundesfinanzdirektionen ebenso wie für die 43 Hauptzollämter und die acht Zollfahndungsämter. Die Fachkompetenz vor Ort und in der Fläche kann so erhalten werden. Ich halte den vorliegenden Entwurf für eine gute Dis- kussionsgrundlage. In den nächsten Wochen haben wir alle Zeit, um intensiv darüber nachzudenken, um dann nach der Sommerpause vertieft in die Sachdebatte einzu- steigen. Frank Tempel (DIE LINKE): Die Linke hat in der vergangenen Wahlperiode einen Antrag zur Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei als Wirtschafts- und Finanz- ermittlungsbehörde eingebracht. Unser Ansatz war es, die Bundeszollverwaltung zu einer selbstständigen, ori- ginär polizeilich ausgerichteten Behörde umzuwandeln. Mit der Bündelung der Ermittlungs-, Fahndungs- und Kontrolleinheiten des Zolls unter eine einheitliche Füh- rung und Fachaufsicht sollte ein Effizienzschub bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Geldwäsche, der Außenwirtschaftskriminalität, des Sub- ventionsbetrugs und des organisierten Schmuggels er- reicht werden. Die Bundesregierung hat ebenfalls die Notwendigkeit einer Strukturreform der Zollverwaltung erkannt, aber einen anderen – unserer Meinung nach viel zu zaghaften – Ansatz gewählt, die bestehenden Pro- bleme anzugehen. Die aufgeblähten sechs Mittelbehör- den sollen abgeschafft und eine effizientere Struktur durch die Bildung einer Generalzolldirektion als Oberbe- hörde mit neun Direktionen geschaffen werden. Das Zoll- kriminalamt und das Bildungs- und Wissenschaftszent- rum der Bundesfinanzverwaltung sollen innerhalb der Generalzolldirektion als funktionale Einheit erhalten bleiben. Es stellt sich die Frage, ob ein einheitliches und stra- tegisch ausgerichtetes Zusammenwirken aller Kontroll-, Fahndungs- und Ermittlungskräfte erreicht werden kann, wenn sich die operative Steuerung der vollzugspolizeili- chen Kontroll-, Fahndungs- und Ermittlungsdienste auf vier Direktionen, die Streifen- und Kontrolldienste sich auf drei verschiedene Direktionen und die Fahndungs- und Ermittlungsdienste auf zwei Direktionen verteilen. Die Führungskräfte der Mittelebene waren bisher zum Großteil leitende Finanzbeamte ohne Erfahrungen be- züglich der Führung eher polizeilich ausgerichteten Er- mittlungseinheiten. Es ist zu befürchten, dass sich dieser Umstand in den Direktionen wiederfindet. Das grund- hafte Problem der Zollverwaltung, dass die Ermittlungs- einheiten als Anhängsel der Finanzverwaltung behandelt werden, würde sich strukturell und personell fortsetzen. Neben der zweifelhaften Grundrichtung der Reform sieht die Linke schon jetzt Probleme bei der Umsetzung. Der nötige Kulturwandel einer bisher stark hierarchisch geleiteten Behörde hin zu mehr Entscheidungsbefugnis und Eigenverantwortung an die örtlichen Strukturen wird extrem schwierig. Ohne diesen Wandel ist aber auch diese begrenzte Reform zum Scheitern verurteilt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11267 (A) (C) (D)(B) Die Gewerkschaften, vom DGB über die Gewerk- schaft der Polizei – GdP – bis hin zur Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft – BDZ – fordern für die Be- schäftigten ein transparentes Herangehen an den Umbau des Zolls. Wegfallende Tätigkeiten und Aufgabenumver- teilungen werden mit Dienstpostenverschiebungen ein- hergehen. Frühzeitige Information über Veränderungen ermöglichen den Betroffenen frühzeitige individuelle Planungen zum Beispiel zum Wohnungswechsel oder notwendige Weiterbildungen. Das abschreckende Bei- spiel der Reform der Bundespolizei muss den Verant- wortlichen eine Warnung sein, die Reform nicht auf dem Rücken der Beschäftigten durchzudrücken. Dort hatte sich der Zustand zunehmender Aufgabenverdichtung ständig verschärft. Bei der Zollverwaltung sieht es seit Jahren ähnlich aus. Die bislang erfolgte mangelnde Be- teiligung der Beschäftigten und Personalvertretungen und die knapp bemessene Zeitschiene der Umsetzung bis zum 1. Januar 2016 lässt hingegen Schlechtes ahnen. Ein Umbauprozess ist ohne das Engagement der Beschäftig- ten aber nicht zu bewerkstelligen. Die Linke wird diesen Prozess beobachten und parlamentarisch begleiten. Die Gewerkschaft der Polizei, GdP, weist in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf berechtigterweise darauf hin, dass mit der Zuordnung des Zollkriminalam- tes und seiner nachgeordneten Zollfahndungsämter unter die Generalzolldirektion die Befugnisse nach dem Zoll- fahndungsdienstgesetz, ZFdG, auf die Generalzolldirek- tion übergehen werden. Damit sind bei der Generaldi- rektion tiefgehende Befugnisse beim Eingriff in die Persönlichkeitsrechte gebündelt, die im Übrigen weit über polizeiliche Eingriffsrechte hinausgehen. Zu nen- nen sind etwa umfangreiche Zugriffsmöglichkeiten auf Datenbanken, präventive Abhörmöglichkeiten und weit- gehende Befugnisse zum Führen von verdeckten Ermitt- lern. Diese neue Qualität der institutionellen Machtfülle in einer Behörde von 7 000 Beschäftigten bedarf einer viel schärferen gesetzlichen Regelung der innerbehördli- chen Zuständigkeiten und datenschutzrechtlicher Be- stimmungen, als dies im vorliegenden Gesetzentwurf vorhanden ist. Es bedarf auch einer neuen Qualität de- mokratischer Kontrolle. Die jetzige Arbeitsweise des Gremiums nach § 23 c Absatz 8 des Zollfahndungs- dienstgesetzes wird dem nicht gerecht. Bloße Berichter- stattungen ohne Kontrollmöglichkeiten vor Ort, das Recht der Akteneinsicht und Vorladungsrechte sind nicht ausreichend. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch wenn die Zollverwaltung in der Öffentlichkeit nicht be- sonders im Vordergrund steht, erfüllt sie doch eine wich- tige Rolle für die Funktion unseres Gemeinwesens. Zu nennen ist die Überwachung des mit unserer Unterstüt- zung eingeführten gesetzlichen Mindestlohns, die Be- kämpfung des Schwarzmarktes und der illegalen Be- schäftigung sowie die Erhebung und Verwaltung der Kfz-Steuer und der Verbrauchsteuern. Besonders wichtig ist die Zollverwaltung für die Be- kämpfung organisierter Wirtschafts- und Finanzkrimina- lität, insbesondere der Steuerhinterziehung. Die Metho- den der organisierten Kriminalität werden von Jahr zu Jahr raffinierter, und damit erweitert sich auch das Auf- gabenspektrum des Zolls kontinuierlich. Es ist daher richtig und wichtig, den zunehmend komplexer werden- den Aufgaben mit einer effektiven und effizienten Struk- tur der Zollverwaltung Rechnung zu tragen – aber auch für eine ausreichend dicke Personaldecke zu sorgen. Dass es hier deutlichen Verbesserungsbedarf gibt, sieht man etwa, wenn es darum geht, Steuerhinterzie- hung zu verhindern. Zwar leistet der Zoll hier wertvolle Arbeit. Dennoch gehen dem Staat nach Schätzungen der Finanzämter aufgrund von Umsatzsteuerbetrug jährlich mehrere Milliarden an Steuereinnahmen verloren. Zu nennen sind hier vor allem die sogenannten Umsatzsteu- erkarusselle. Der Finanzminister möchte sein Ziel der Effektivität und Effizienz mit der Einrichtung einer Generalzolldi- rektion als Oberbehörde erreichen, in der die bisherigen Aufgaben der fünf Bundesfinanzdirektionen sowie des Zollkriminalamts zusammengeführt werden. Die Ver- schlankung besteht darin, dass die bisherigen Mittelebe- nen wegfallen, an örtlichen Zollämtern aber festgehalten wird. Insbesondere vor dem Hintergrund des Problems Steuerhinterziehung begrüßen wir das Ziel, die Zoll- verwaltung zu stärken. Das Ziel einer effektiven und effizienten neuen Organisation, wie es der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt, wird auch von uns Grünen grundsätzlich unterstützt. Inwieweit genau diese neue Organisationsstruktur ef- fektiver und effizienter sein wird, muss sich noch zeigen. Das Gesetz allein überzeugt da noch nicht. Vielleicht kann die Anhörung da noch weiterhelfen. Denn auch die derzeitige Struktur mit den fünf Bundesfinanzdirektio- nen wurde seinerzeit mit der gleichen oder ähnlichen Be- gründung eingeführt. Wir fordern daher eine regelmä- ßige Überprüfung der im Zusammenhang mit der Neuorganisation vorgenommenen Änderungen hinsicht- lich ihrer Effizienz und Effektivität. Schwer nachzuvollziehen ist, auf welche Analyse der alten Struktur sich Finanzminister Schäuble im vorlie- genden Gesetzentwurf bezieht. Beschäftigte und deren Interessenvertretungen wurden offensichtlich dabei kaum berücksichtigt. Ohne eine umfassende Analyse der Ist-Situation wird eine Bewertung von Effizienz- und Effektivitätssteigerungen, die auf die Neuorganisation zurückzuführen sind, jedoch schwierig. Die ganze Strukturreform wird auf jeden Fall verpuf- fen, wenn die Personalausstattung nicht aufgabenad- äquat ist. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit kontrolliert zum Beispiel seit diesem Jahr den flächendeckenden Mindestlohn – ein Mammutprojekt für den Zoll. Auf Anfrage stellte sich heraus, dass es sich bei den von der Bundesregierung angekündigten 1 600 neuen Stellen für Finanzkontrolle Schwarzarbeit um leere Versprechungen handelt. Diese sollen bis zum Jahr 2019 geschaffen werden. Tatsächlich blieb bei dieser Rechnung unbe- rücksichtigt, dass 3 Prozent des Personals pro Jahr altersbedingt oder aus anderen Gründen ausscheidet. Realistisch kann mit etwa 160 Neueinstellungen im Jahr gerechnet werden. Das ist zu wenig, um die Überlastung abzumildern. Zudem kommt die Hilfe zu spät. 11268 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Darüber hinaus hat der Zoll im letzten Jahr zusätzlich die Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer von den Ländern übernommen. Hier konnte man bereits erkennen, dass der Zoll stellenweise völlig überlastet ist. Es kam zu feh- lerhaften Steuerbescheiden, da es an Personal fehlte. Zu- mindest der zusätzliche Personalbedarf im Rahmen der Einführung der PKW-Maut scheint sich glücklicher- weise erledigt zu haben. Die Umsiedlung der Abteilung III des BMF, zustän- dig für Zoll und Verbrauchsteuern, von Bonn nach Ber- lin ist überfällig. Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese als einzige Abteilung nicht in Berlin angesiedelt war. Genauso bleibt die Frage offen, nach welchen Kriterien die Entscheidung für den Standort der Oberbe- hörde getroffen wurde. Auch das wird sich vielleicht im Rahmen der Anhörung klären. Abschließend lässt sich festhalten, dass wir einer sinnvollen Neuorganisation der Zollverwaltung nicht im Wege stehen werden. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Der Zoll stellt seine Leis- tungsfähigkeit seit Jahrzehnten erfolgreich unter Beweis als Einnahmeverwaltung des Bundes, als Ansprechpart- ner und für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger so- wie als Partner der Wirtschaft. Sein Aufgabenspektrum ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Zuletzt hat der Zoll die Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer von den Ländern und die Überprüfung des gesetzlichen Mindest- lohns übernommen. Der vom Bundeskabinett am 6. Mai 2015 beschlos- sene Gesetzentwurf zur Neuorganisation der Zollverwal- tung schafft die Rahmenbedingungen, unter denen die Zollverwaltung ihre künftigen Aufgaben weiter erfolg- reich und mit hoher Effizienz erfüllen kann. Die Erfah- rungen bisheriger Reformschritte werden genutzt, um die Strukturen der Zollverwaltung auch für die Zukunft optimal zukunftsorientiert zu gestalten. Mit den zu betei- ligenden Verbänden und Gewerkschaften gab es im Vor- feld der parlamentarischen Beratungen einen breiten Konsens. Wesentliches Element der Neuorganisation der Zoll- verwaltung ist die Einrichtung einer Generalzolldirek- tion als neue Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn zum 1. Januar 2016. In der Generalzolldirektion werden die Aufgaben der bisherigen Mittelbehörden der Zollverwaltung sowie die nicht zum unmittelbaren ministeriellen Kernbereich gehörenden Aufgaben der Zoll- und Verbrauchsteuer- abteilung des Bundesministeriums der Finanzen zu- sammengeführt. Hierzu werden die derzeit fünf Bundes- finanzdirektionen sowie das Zollkriminalamt in die Generalzolldirektion integriert. Die Generalzolldirektion soll aus neun Direktionen bestehen, einschließlich des Zollkriminalamtes und des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfi- nanzverwaltung. Das Zollkriminalamt bleibt dabei – innerhalb der Ge- neralzolldirektion – als funktionale Einheit mit seiner gesetzlich normierten Stellung im Verbund der bundes- deutschen Sicherheitsbehörden erhalten. Das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bun- desfinanzverwaltung wird als Einheit ebenfalls organisa- torisch in die Struktur der Generalzolldirektion einge- gliedert. Die besondere Stellung des Fachbereichs Finanzen als integraler Bestandteil der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung bleibt dabei unbe- rührt. Die Standorte der bisherigen Mittelbehörden – Ham- burg, Potsdam, Köln, Neustadt an der Weinstraße und Nürnberg – sowie des Zollkriminalamtes – Köln – und des Bildungs- und Wissenschaftszentrums – Münster – bleiben bestehen. Sie sind Dienstsitze der Generalzolldi- rektion – neben dem Hauptdienstsitz in Bonn. Der Generalzolldirektion werden rund 7 000 Beschäf- tigte angehören. Mit der Einrichtung der Generaldirektion geht kein Stellenabbau bei der Zollverwaltung einher. Die durch Synergien zu erzielenden Effizienzgewinne sollen viel- mehr der Ortsebene zugutekommen. Bereits kurzfristig lässt sich eine Rendite von rund 90 Dienstposten auf- grund der konsequenten Zentralisierung der Verwal- tungssteuerung realisieren. In einzelnen Bereichen konnte darüber hinaus bereits Potenzial zur weiteren Ab- schichtung von Aufgaben auf die Ortsebene identifiziert werden – zum Beispiel Aufhebung von Zustimmungs- und Genehmigungsvorbehalten, Sachbearbeitung im Marktordnungsbereich, Zulassung von Steuerbürgen. Angestrebt wird mittelfristig eine Effizienzrendite von weiteren gut 300 Dienstposten. Die Leitung der Generalzolldirektion soll mit B 9 – politisches Amt –, die Stellvertretung mit B 7 bewertet werden. Die Direktionspräsidenten sind mit B 6 bewertet – analog zu den Präsidenten der bisherigen Mittelbehör- den. Die neu zu schaffenden Leitungsdienstposten sind im Haushaltsvoranschlag für die Zollverwaltung stellen- wirtschaftlich kompensiert. Die Ortsebene der Zollverwaltung mit ihren 43 Hauptzollämtern, acht Zollfahndungsämtern und 271 Zollämtern bleibt den Bürgerinnen und Bürgern, den Wirtschaftsbeteiligten und den Länderverwaltungen als kompetenter Ansprech- und Kooperationspartner voll- ständig erhalten. Die Präsenz der Zollverwaltung in der Fläche soll künftig durch die erwähnten Effizienzge- winne noch weiter gestärkt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält die zur Um- setzung der skizzierten Neuorganisation notwendigen Änderungen von Bundesgesetzen und Rechtsverordnun- gen. Das sind im Wesentlichen: Änderungen im Finanz- verwaltungsgesetz zur Einrichtung der Generalzolldirek- tion sowie zur Auflösung und Integration der behördlichen Mittelebene der Zollverwaltung in die Ge- neralzolldirektion; Änderungen des Bundesbeamten- und des Bundesbesoldungsgesetzes; Änderungen von Fachgesetzen – Zollfahndungsdienstgesetz, Abgaben- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11269 (A) (C) (D)(B) ordnung, Marktordnungsgesetz und Außenwirtschafts- gesetz; Anpassungen sonstigen Bundesrechts. Die Verwaltungsstrukturen der Länder werden durch das Gesetz nicht berührt. Das Gesetz betrifft ausschließ- lich die Bundesverwaltung. Im Vorfeld der für den 10. Juli 2015 vorgesehenen ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Bundesrat haben der federführende Finanzausschuss, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Ausschuss für Kul- turfragen am 26. Juni 2015 jeweils die Empfehlung aus- gesprochen, keine Einwendungen gegen den Gesetzent- wurf zu erheben. Auf Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg sprach sich der mitberatende Wirtschaftsausschuss für eine differenziertere Stellungnahme des Bundesrates aus. Die Empfehlung des Wirtschaftsausschusses zielt im Wesentlichen auf den Fortbestand des Dienstleis- tungsangebots der Zollverwaltung in der Fläche und auf eine gute Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsbeteilig- ten ab. Zusammenfassend ist festzustellen: Die Präsenz der Zollverwaltung in der Fläche ist und bleibt gewährleis- tet. Die Ortsebene der Zollverwaltung wird – wie ausge- führt – nicht berührt. Durch die Beibehaltung der Stand- orte der bisherigen Mittelbehörden sowie des Zollkriminalamtes bleiben zudem regionale Kompetenz und Erfahrung auf Ebene der Generalzolldirektion erhal- ten. Ich bin daher überzeugt, dass auch in der neuen Struktur der bislang sehr gute Dialog mit der Wirtschaft und das gemeinsame Streben nach praxisorientierten Lö- sungen weiterhin fortgesetzt und ausgebaut wird. Das Gesetz hat keine negativen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte. Dem Bund entsteht im Finanz- planungszeitraum, bis 2019, ein einmaliger Umstel- lungsaufwand von rund 28 Millionen Euro. Der Erfül- lungsaufwand entsteht im Wesentlichen durch die Anpassung zahlreicher IT-Verfahren und die Ausstattung der Liegenschaften im gesamten Bundesgebiet mit ge- eigneter Kommunikationstechnik. Parallel zur Einrichtung der Generalzolldirektion wird die bisherige Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung des Bundesministeriums der Finanzen auf ihren ministe- riellen Kernbereich reduziert und schrittweise bis Ende 2019 nach Berlin umziehen. Als verwaltungsinterne Maßnahme des BMF ist der Umzug nicht Gegenstand des Gesetzentwurfs zur Neuorganisation der Zollverwal- tung. Die Vorteile der Neuorganisation liegen auf der Hand: Wir erhalten Bewährtes und entwickeln es in einem neuen organisatorischen Rahmen fort, der das Arbeiten hinsichtlich Effizienz und Effektivität optimiert. Kurze Entscheidungswege gewährleisten schnelles und zielge- richtetes Verwaltungshandeln bei der Lösung der fachli- chen Aufgaben. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit der Einrichtung der Generalzolldirektion als Kernstück der Neuorganisation die Erfolgsgeschichte der Zollverwal- tung fortschreiben werden. Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (Tagesordnungs- punkt 27) Uwe Feiler (CDU/CSU): Heute beraten und be- schließen wir in zweiter und dritter Lesung zu einem Thema, dessen Umsetzung ein großer Fortschritt für den Vollzug der Besteuerung in einer globalisierten Finanzwelt darstellt. 51 Staaten haben sich im Oktober letzten Jahres auf Initiative von Bundesfinanzminister Schäuble in Berlin darauf verständigt, zukünftig durch einen gemeinsamen Informationsaustausch in Steuersachen die Zusammen- arbeit zu intensivieren und Schlupflöcher zu schließen. Sie knüpft damit an den Foreign Account Tax Compliance Act, FATCA, mit den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Übereinkommen zur Amtshilfe in Steuersachen von 1988 an. Diese Vereinbarung stellt aber auch sicher, dass Ungleichbehandlungen und Doppelbesteuerungen vermieden werden. Von daher ist dieser Gesetzentwurf das Resultat zwischen dem Erfordernis, dass kein Steu- erpflichtiger seiner Verantwortung durch Steuerhinter- ziehung und Vermeidung ausweichen kann, und dem Bekenntnis der teilnehmenden Staaten, dass die Besteue- rung nach feststehenden Regeln erfolgt. Die im Titel die- ses Gesetzes enthaltene Jahreszahl 1988 macht aber auch deutlich, dass dringender Handlungsbedarf bestand, um die Vereinbarung den Erfordernissen der heutigen Zeit anzupassen. Gleichzeitig galt es sicherzustellen, dass mit den Möglichkeiten der automatisierten Übertragung von Steuerdaten auch dem Datenschutz zur Sicherstellung des Steuergeheimnisses besondere Bedeutung zukommt. Dies wird durch die Vereinbarung sichergestellt, dass die Staaten nur dann Informationen erteilen sollen, wenn dies im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht steht. In dem Gesetz ist deshalb sehr detailliert festgelegt, wel- che Übermittlungspflichten bestehen und wie die Fi- nanzinstitute die Daten entsprechend aufzubereiten ha- ben. Aber auch auf das Bundeszentralamt für Steuern kommen Aufgaben zu. Da aus guten Gründen die Über- mittlung nicht zwischen den Finanzinstituten direkt er- folgt, sondern über staatliche Institutionen, die einer be- sonderen Aufsicht unterliegen, abgewickelt wird, sind zum einen die Datensätze an die teilnehmenden Staaten zu übermitteln und zum anderen die ankommenden Datensätze anzunehmen und an die Landesfinanzver- waltungen weiterzuleiten, die Daten für 15 Jahre zu speichern – die Löschung ist sicherzustellen – und die Melde- und Sorgfaltspflichten der Finanzinstitute zu überprüfen. Das Übereinkommen umfasst deshalb auch 11270 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) die Durchführung gleichzeitiger Steuerprüfungen sowie die Teilnahme deutscher Finanzbeamter an Steuerprü- fungen im Ausland. Mit dem heutigen Beschluss wird sichergestellt, dass die Ende 2014 getroffenen Vereinbarungen in der EU- Amtshilferichtlinie in nationales Recht übertragen wer- den und zum 30. Juni 2017 der Austausch der Steuer- daten ab dem Jahr 2016 erfolgen kann. Nur mit dieser Vorlaufzeit ist es den Finanzinstituten und Behörden möglich, entsprechende Vorbereitungen für die Umset- zung zu treffen. Nicht verschweigen will ich, dass für die Wirtschaft, aber auch für unsere Finanzverwaltung auch finanzielle Mehrbelastungen bestehen. In diesem Fall halte ich das jedoch für gut investiertes Geld, da die Maßnahmen maßgeblich zur Steuergerechtigkeit beitragen und si- cherstellen, dass niemand nur aufgrund besonderer Kenntnisse im Bereich der Steuergestaltung über Aus- landskonten bevorteilt wird. Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz gehen wir wieder ei- nen weiteren Schritt zu einer vollständigen Erfassung steuerlicher Sachverhalte im internationalen Bereich. Im Herbst 2014 fand eine Konferenz mit Vertretern von 50 Staaten statt, auf der mit der Unterzeichnung glo- baler Standards ein wichtiges Signal gesetzt wurde. Diese Vereinbarung basiert auf dem Übereinkommen zur gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen aus dem Jahr 1988 sowie dem Abkommen „Foreign Account Tax Compliance Act“ mit den USA. Laut dieser Vereinba- rung vom 24. Oktober 2014 ergibt sich für die deutschen Steuerbehörden die Verpflichtung, Namen, Anschrift, Steueridentifikationsnummer, Kontonummern etc. an die anderen Vertragsstaaten zu übermitteln. Die Steuerbe- hörden der Vertragsstaaten werden ab 2017 die entschei- denden und notwendigen Daten von im Staat ansässigen Finanzdienstleistern und Banken erhalten und diese ein- mal jährlich austauschen. Mit diesem heute zu verabschiedenden Gesetz setzen wir das Abkommen bzw. die EU-Richtlinie in nationales Recht um. Damit wird ein einheitlicher Rechtsrahmen für die Amtshilfe in Steuersachen geschaffen. Neben dem Informationsaustausch werden auch die gleichzeitige Steuerprüfung und die Teilnahme an Steu- erprüfungen im Ausland geregelt. Dies alles verfolgt letztendlich das Ziel einer ordnungsgemäßen und umfas- senden Ermittlung der Steuerpflicht und damit auch der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerver- meidung. Die Steuerpflichtigen werden aber damit auch bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt, insbesondere im Hinblick auf ein einheitliches ordnungsgemäßes rechtli- ches Verfahren für Steuersachen in allen Vertragsstaaten sowie im Hinblick auf den Schutz vor Ungleichbehand- lung und Doppelbesteuerung. Mit dem Gesetz wird das Bundesfinanzministerium auch ermächtigt, Änderungen und Ergänzungen der in Anlage A zum Übereinkommen aufgeführten Steuern durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesra- tes vorzunehmen. Die Steuerpflichtigen müssen in die- sem Zusammenhang auch hinsichtlich ihrer personenbe- zogenen Daten geschützt bleiben. Hierzu wird eine entsprechende Erklärung zur Wahrung des Datenschut- zes abgegeben werden. Wesentlich ist aber auch, dass durch die ausdrückli- che Nennung der Schutzbestimmungen nach Artikel 22 Absatz 1 des Abkommens der Bezug zu deutschen und europäischen Grund- und Menschenrechtsstandards hergestellt wird. Damit wird jedwede Nutzung von Steuerdaten in Strafverfahren ausgeschlossen, die zu ei- ner Verletzung der grundgesetzlich garantierten Men- schenrechte führen könnte. Mit diesem Gesetz gehen wir einen großen Schritt nach vorne zu einer größeren Steuergerechtigkeit. Es wird in Zukunft nicht mehr so leicht sein, Steuern zu hinterziehen oder zu vermeiden, indem man sich auslän- discher Banken und Finanzdienstleister bedient. Natürlich gibt es immer noch vielfältige Gestaltungs- möglichkeiten, um die Steuerlast so gering wie möglich zu halten. Große internationale Konzerne machen uns das ebenso vor wie erfolgreiche Fernsehmoderatoren, die sich von im Ausland liegenden eigenen Produktions- firmen anstellen lassen, um hohe Gewinne aus ihren ei- genen Auftritten im deutschen Fernsehen in niedrigbe- steuerte Nachbarländer zu verschieben. Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen, mich heute beim Bundesfinanzminister und seinen Mitarbei- tern ausdrücklich zu bedanken, dass ein weiterer wichti- ger Schritt zur umfassenden Erfassung steuerlicher Sach- verhalte im Ausland gemacht wurde. Dieses Gesetz ist vernünftig und notwendig, und des- halb bitte ich um Ihre Zustimmung. Andreas Schwarz (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf legen wir die Basis für eine konsequente Weiterentwicklung der gegenseitigen Amtshilfe in Steu- ersachen. Endlich werden die von uns unterzeichneten Abkommen zum Datenaustausch in Steuersachen auch in nationales Recht umgesetzt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass den Steuerbehörden mit dieser Ratifizierung in Zukunft deutlich bessere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, Steuerkriminalität noch wirksamer zu bekämpfen. Die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs wird den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung erheblich verbessern. Diese verstärkte internationale Zusammen- arbeit vor allem auch in Steuersachen liegt im Interesse unseres Landes und unserer Bürgerinnen und Bürger. Es ist gerecht, wenn wir Steuerbetrug noch härter be- kämpfen, weil jeder und jede seinen gerechten Anteil an der Finanzierung des Staates leisten muss. Wenn das nicht der Fall ist, gerät die Finanzierung des Staates in Schieflage. Das können wir nicht länger hinnehmen, und deshalb handeln wir. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11271 (A) (C) (D)(B) Ich kann mich noch sehr gut an die Debatte über das deutsch-schweizerische Steuerabkommen vor drei Jahren erinnern. Damals hat Rot-Grün im Bundesrat dieses Ab- kommen zu Fall gebracht. Einer der Hauptgründe: Das deutsch-schweizerische Steuerabkommen hätte Steuer- hinterzieher geschützt und somit quasi eine Legalisie- rung von Steuerkriminalität bei fortbestehender Anony- mität bedeutet. Es war inakzeptabel, dass Steuerbetrüger in die Anonymität hätten abtauchen bzw. sich weiter in ihr ver- stecken können – und das auch noch legalisiert durch dieses Abkommen! Wir hätten als Bundesrepublik über- haupt keine Handhabe beispielsweise gegenüber der Schweiz gehabt, um an Informationen zu deutschen Staatsbürgern mit Vermögen in der Schweiz zu gelan- gen. Wer sich der Steuerpflicht und damit der Solidarität dem Staat und seinen Bürgern gegenüber entzieht, der darf dafür weder belohnt noch nachträglich geschützt werden! Die damalige Ablehnung des Steuerabkommens war eine weise Entscheidung, wie sich nicht nur im Nach- hinein herausstellt. Mit der Aufdeckung prominenter Fälle von Steuerhin- terziehung und dem Ankauf von Steuer-CDs aus dem Ausland ist in den letzten Jahren nämlich zweierlei er- reicht worden: Erstens. Es hat unzweifelhaft dazu geführt, dass sich immer mehr Steuerflüchtlinge selbst angezeigt und den Steuerbehörden offenbart haben. Zweitens. Wir haben das Institut der strafbefreienden Selbstanzeige im vergangenen Jahr erheblich verschärft und dafür gesorgt, dass sich Steuerbetrug nicht mehr lohnt. Nationale Gesetzgebung gegen Steuerhinterziehung ist unverzichtbar, um effektiv gegen Steuervermeidung und -betrug vorzugehen. Genauso klar ist aber auch, dass wir letzten Endes nur erfolgreich sein werden, wenn wir das Problem global angehen. Mit anderen Worten: Ohne eine verstärkte internationale Zusammenarbeit kommen wir hier nicht weiter. Und hier hat sich seit der Ablehnung des deutsch- schweizerischen Steuerabkommens viel getan. Wer hätte es für möglich gehalten, dass Abkommen mit Staaten verabredet werden konnten, die einem verstärkten inter- nationalen Datenaustausch, sagen wir mal, von jeher eher skeptisch gegenüberstanden? Es ist nicht hoch genug einzuschätzen, dass es gelun- gen ist, auch befreundete Länder wie zum Beispiel die Schweiz und Liechtenstein mit ins Boot zu holen, um mit ihnen gemeinsam im Kampf gegen Steuerhinterzie- hung voranzukommen. Das alles hätte vor drei Jahren kaum jemand für möglich gehalten. Wenn der automatische Datenaustausch nach dem Common Reporting Standard, CRS, der OECD jetzt endlich nationaler und internationaler Standard wird, wird dies zusätzlichen Druck auf Steuersünder auslösen und sich hoffentlich positiv auf deren Steuermoral aus- wirken. Dafür spricht die SPD-Bundestagsfraktion allen Beteiligten ihren besonderen Dank aus. Der Gesetzentwurf bietet gleichzeitig auch praktische Verbesserungen für Steuerpflichtige, nämlich Schutz vor Ungleichbehandlung und Doppelbesteuerung. Freuen dürfen sich übrigens auch diejenigen, die seit jeher dem Ankauf von Steuer-CDs ablehnend gegenüberstehen, denn je konkreter der Datenaustausch zwischen den Staaten geregelt ist, desto überflüssiger wird irgendwann auch der Ankauf dieser CDs. Ich komme zum Schluss. Die Amtshilfe der Staaten untereinander ist unverzichtbar, um Steuerbetrug und Steuervermeidung wirksam zu bekämpfen. Hier kom- men wir mit diesem Gesetzentwurf einen großen Schritt voran. Richard Pitterle (DIE LINKE): Die Regierungsko- alition wird wieder einmal den heutigen Tag zum guten Tag erklären. Nicht wegen des heute sonnigen Wetters, sondern weil sie versucht, uns weiszumachen, dass hier große Schritte bei der Bekämpfung von Steuerhinterzie- hung und Steuervermeidung gemacht würden. Der vor- liegende Gesetzentwurf hat aber gerade einmal Symbol- charakter, mehr nicht! Ich kann Ihnen deshalb schon jetzt verraten, dass die Linke sich der Stimme enthalten wird. Aber nun zum Inhalt. Mit dem Gesetz wird dem Übereinkommen über gegenseitige Amtshilfe in Steuer- sachen zugestimmt. Dieses bereits im Jahr 1988 erarbei- tete Übereinkommen soll der Bekämpfung von Steuer- hinterziehung und Steuervermeidung dienen. Es beinhaltet Regelungen zum Informationsaustausch zwi- schen den jeweiligen Steuerbehörden, zu gleichzeitigen Steuerprüfungen sowie zu Teilnahmen an Steuerprüfun- gen im Ausland. Durch diese Zusammenarbeit der Be- hörden soll also den schwarzen Schafen, die ihr Geld auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im Aus- land verstecken, das Leben schwer gemacht werden. Das hört sich so weit ja ganz nett an, aber bei genaue- rem Hinsehen ist das leider wieder einmal nur heiße Luft. Es wird kaum etwas Verbindliches festgeschrieben; das meiste ist optional oder kann durch Vorbehalte durch die einzelnen Staaten umgangen werden. Das Überein- kommen mag zwar 1988 wegweisend gewesen sein; heute ist es das jedoch definitiv nicht mehr. Das Ende letzten Jahres unterzeichnete Abkommen über den auto- matischen Informationsaustausch in Steuersachen ist da bereits ein ganzes Stück weiter, obwohl auch das immer noch Schlupflöcher für Steuervermeidung lässt. Ich will Ihnen ja zugestehen, meine Damen und Her- ren von der Bundesregierung, dass es immer schwierig ist, bei internationalen Abkommen alle Interessen unter einen Hut zu bringen. Aber gerade deshalb müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn Sie es mit der Be- kämpfung von Steuervermeidung und Steuerhinterzie- hung wirklich ernst meinen, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, beginnen Sie vor der eigenen Haustür, und lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir den 11272 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) schwarzen Schafen schon hierzulande, auf nationaler Ebene, das Leben schwer machen. Es gibt diverse Maß- nahmen, die wir längst hätten umsetzen können. Die Behörden sind chronisch unterbesetzt, und die Bundesländer agieren beim Steuervollzug uneinheitlich. Die Linke fordert deswegen schon seit langem mehr Per- sonal und eine stärkere Zuständigkeit des Bundes beim Steuervollzug hin zu einer Bundessteuerverwaltung samt einer Bundesfinanzpolizei. Hier hat die Große Koalition bisher nichts zustande gebracht. Oder nehmen wir den Bereich der Unternehmensteu- ern: Hier blocken Sie alles ab, meine Damen und Herren von Union und SPD, was es Unternehmen erschweren würde, ihre Gewinne durch Schlupflöcher im Steuersys- tem ins Ausland zu schleusen. Erst kürzlich haben Sie einen Antrag der Linken zur Beseitigung von Konzern- privilegien bei der Bilanzveröffentlichung abgelehnt, ob- wohl wir dort dringend mehr Transparenz brauchen. Und auch das Country-by-Country-Reporting, welches Un- ternehmen dazu zwingen würde, offenzulegen, welche Umsätze sie in welchem Land erzielen, lehnen Sie ab. Dabei hatten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, im Wahlkampf sogar noch damit geworben. Mit solchen Gesetzen wie dem vorliegenden, die letztlich lediglich Symbolcharakter haben, ändern wir kaum etwas. Um den internationalen Kampf gegen Steu- ervermeidung und Steuerhinterziehung wirklich voran- zubringen, müssen wir erst einmal unsere eigenen Haus- aufgaben machen und auf innerstaatlicher Ebene mit gutem Beispiel vorangehen. Die Linke steht dafür in je- dem Fall bereit. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir bekommen heute ein Gesetz zur Abstim- mung vorgelegt, das ein fast 30 Jahre altes internationa- les Übereinkommen zur Amtshilfe in Steuersachen in nationales Recht umsetzt. Diese Amtshilfe umfasst In- formationsaustausch, gleichzeitige Steuerprüfungen und die Teilnahme an Steuerprüfungen im Ausland. Dies sind wichtige Instrumente zur Bekämpfung von Steuer- hinterziehung und Steuervermeidung. Gleichzeitig dient das Gesetz als völkerrechtliche Grundlage für den auto- matischen Informationsaustausch, den wir Grüne seit vielen Jahren fordern. Wir werden diesem Gesetz daher zustimmen. Nun preisen die Koalitionsfraktionen diesen Schritt beim Kampf gegen Steuerhinterziehung. Hier müssen wir jedoch genauer hinsehen: Wir stellen fest, dass die Bundesregierung die Ratifizierung dieses Abkommens um viele Jahre verschleppt hat. Das Abkommen von 1988 hat die Bundesregierung 2008 unterzeichnet. Im Jahr 2010 gab es ein Änderungsprotokoll zur Verbesse- rung des Abkommens, dies hat die Bundesregierung 2011 unterzeichnet. Beide Dokumente werden aber erst jetzt, im Jahr 2015, ratifiziert und können somit auch erst jetzt in Kraft treten. Das macht deutlich, dass die Bun- desregierung international dem Kampf gegen Steuerhin- terziehung eher die kalte Schulter gezeigt hat. Sie hat dem Thema in der Vergangenheit offenbar keine Priori- tät beigemessen. Deutschland kann so kein Vorbild bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -gestal- tung sein, was ich sehr bedauere. Es liegt sogar nahe, dass bestimmte Instrumente der gegenseitigen Amtshilfe für Deutschland versperrt geblieben sind, da das Ab- kommen bisher de facto nicht genutzt werden konnte. Der internationale Prozess in Sachen Informations- tausch ist mittlerweile viel weiter fortgeschritten. Ende Oktober letzten Jahres unterzeichneten rund 50 Länder einen Standard zum globalen automatischen Informa- tionsaustausch – ein großer Durchbruch. Denn bisher wurden nur auf Anfrage Informationen ausgetauscht, was Steuerhinterziehung nicht effektiv verhindern kann. Die Bundesregierung wurde vom Saulus zum Paulus – einige Jahre zuvor wollte sie mit der Schweiz noch ein anonymes Abgeltungsteuer-Abkommen vereinbaren. Dies hätte nach Meinung vieler Experten den internatio- nalen Prozess zu einem automatischen Informationsaus- tausch um Jahre zurückgeworfen. Ich bin froh, dass die rot-grünen Länder im Bundesrat dieses unsägliche Deutsch-Schweizer Steuerabkommen damals stoppen konnten. Als nächster Schritt steht nun die Umsetzung des automatischen Informationsaustausches in Deutsch- land an. Die Referentenentwürfe liegen bereits vor. Dies werden wir aufmerksam und intensiv begleiten. So entscheidend der automatische Informationsaus- tausch für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung ist, für die Eindämmung der Steuer- gestaltung multinationaler Unternehmen brauchen wir noch ein weiteres Instrument: Transparenz. Es waren erst die Berichte in der Öffentlichkeit und eben nicht die Initiativen der nationalen Gesetzgeber, die die Steuerge- staltung international agierender Unternehmen sichtbar gemacht haben. Dabei geht es nicht nur um die Einnah- meverluste von einzelnen Staaten, sondern es geht vor allem auch um die Wettbewerbsverzerrung zwischen einzelnen Ländern und um die Wettbewerbsverzerrung zwischen national und international tätigen Unterneh- men. Ein geordneter Wettbewerb, die Schaffung eines „level playing field“ ist die Voraussetzung für die wirt- schaftliche Leistungsfähigkeit, und genau diese zu för- dern, ist der Auftrag der Regierung. Auf europäischer Ebene konnten zumindest für Ban- ken und rohstoffextrahierende Industrien länderbezo- gene Offenlegungspflichten vereinbart werden, und na- tionale – auch der deutsche – Gesetzgeber mussten diese Offenlegungspflichten in ihr Recht umsetzen. Um aber Steuergestaltung der Konzerne auch in anderen Bran- chen transparent zu machen und entsprechende Gegen- maßnahmen nicht nur einzuleiten, sondern vor allem in ihrer Wirksamkeit zu überwachen, brauchen wir länder- bezogene Offenlegungspflichten für alle Branchen. Und dies ist möglich, wie Berichtspflichten in anderen Län- dern beweisen. Selbstverständlich wird man dabei be- achten müssen, mit Augenmaß vorzugehen und kleine und mittlere Unternehmen auszunehmen bzw. nicht übermäßig zu belasten. Ich appelliere an die Regierungsfraktionen: Lassen Sie uns nicht nur den Austausch von Finanzverwaltun- gen verbessern, sondern Transparenz schaffen bei der Steuergestaltung multinationaler Unternehmen! Denn Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11273 (A) (C) (D)(B) um die Wirksamkeit der entsprechenden nationalen Steuergesetzgebung überwachen zu können, brauchen wir Transparenz in Form eines öffentlichen Country-by- Country-Reportings. Hier muss die Bundesregierung ihre Verweigerungshaltung endlich aufgeben. Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung ins- besondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Bürokratieentlastungsge- setz) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Bürokratie gezielt abbauen statt Stillstand manifestieren (Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b) Helmut Nowak (CDU/CSU): Diese Koalition hat es sich zum Ziel gesetzt, unsere Wirtschaft und Bevölke- rung von Bürokratie und Bürokratiekosten zu entlasten. Hierzu wurden bereits am 11. Dezember 2014 Eck- punkte für eine Bürokratieentlastungsstrategie von der Bundesregierung beschlossen. Diese Strategie wird nun im Verlaufe dieser Wahlperiode Schritt für Schritt umge- setzt. Es ist insbesondere die Absicht, vor allem für klei- nere und mittlere Unternehmen eine spürbare Absen- kung der bürokratischen Hürden zu realisieren. Vornehmlich Existenzgründer müssen unserer Ansicht nach deutlich von zahlreichen Aufzeichnungs-, Berichts- und Aufbewahrungspflichten sowie steuerlichen Anzei- gepflichten entlastet werden, wenn wir vor allem auch die Gründungsdynamik in Deutschland verbessern wol- len. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität ist es wichtig, die Markteintrittsbarrieren nicht bereits auf- grund staatlicher Regelungsdichte für junge Unterneh- merinnen und Unternehmer zu erhöhen und so Men- schen davon abzuhalten, sich eine selbstständige Existenz aufzubauen. Wir müssen auch in Zukunft alles daransetzen, Unternehmertum und unternehmerische Selbstständigkeit in Deutschland zu fördern; denn jede Neugründung schafft erfahrungsgemäß durchschnittlich vier bis fünf Arbeitsplätze. Schaut man sich jüngst ver- öffentlichte Zahlen zu der Entwicklung der Existenz- gründungen in Deutschland an, so muss man ernüch- ternd feststellen, dass die Zahl der Gründungen von 572 500 im Jahr 2004 auf 309 900 im Jahr 2014 zurück- gegangen ist. Natürlich ist dies eine Entwicklung, die auch auf die derzeitige Stärke unserer Wirtschaft und auf die dementsprechende Attraktivität abhängiger Beschäf- tigung zurückzuführen ist. Diese Attraktivität steigt al- lerdings umso mehr, als selbstständige Arbeit und Unter- nehmertum durch eine immer mehr um sich greifende Regelungsdichte unattraktiv werden. Unternehmer wol- len etwas unternehmen und nicht verwalten. Als Gesetzgeber haben wir dementsprechend die Auf- gabe, die Bedingungen für Unternehmertum so optimal zu gestalten, dass möglichst viele Menschen in diesem Land sich selbst und andere durch ihre Selbstständigkeit beschäftigen. Insbesondere unnötige oder nicht nach- vollziehbare bürokratische Regelungen behindern dies zunehmend. Dem Bürokratieabbau kommt daher eine durchaus sehr wichtige Rolle zu: Auf der einen Seite be- nötigen wir selbstverständlich eine leistungsfähige, transparente und auch serviceorientierte Verwaltung für das Funktionieren unseres Gemeinwesens. Allerdings muss hier gelten: So viel Verwaltung und damit Bürokra- tie wie nötig, aber auch so wenig wie möglich! Bürokratie darf sich nicht verselbstständigen und da- mit zum Selbstzweck werden. Wir müssen uns daher fra- gen, ob beispielsweise wirklich alle Daten benötigt wer- den, die Firmen und Selbstständige regelmäßig zu übermitteln haben. Vielfach wird man zu dem Schluss kommen, dass auf viele verzichtet werden kann, weil keine zusätzlich relevanten Informationen zu erwarten sind. Genau hier setzt auch der heute von uns zu beschlie- ßende Entwurf eines Bürokratieentlastungsgesetzes an. Es handelt sich zunächst im Wesentlichen um rasch um- setzbare Maßnahmen, die insbesondere auf kleine und mittelständische Unternehmen sowie Selbstständige ab- zielen. Erstmals werden wir etwa Existenzgründer von Meldepflichten zur Umweltstatistik befreien; durch die Anhebung der Grenzwerte für Buchführungs- und Auf- bewahrungspflichten im Handelsgesetzbuch und in der Abgabenordnung von 500 000 Euro auf 600 000 Euro sowie eine Anhebung der Meldeschwellen in der Intra- handelsstatistik von 500 000 Euro auf 800 000 Euro werden deutlich mehr und insbesondere kleinere Firmen als bisher profitieren. Gerade hier sind Entlastungen not- wendig und auch effektiv, und daher freue ich mich be- sonders, dass für diesen Kreis spürbare Entlastungen vorgenommen werden. Auch durch die Reduzierung be- stimmter Mitteilungspflichten über den Kirchensteuer- abzug reduzieren wir unnötige Bürokratie erheblich. Das Entlastungsvolumen dieses Gesetzes beträgt insgesamt immerhin circa 750 Millionen Euro pro Jahr. Einen weiteren wichtigen Schritt in die richtige Rich- tung geht die Bundesregierung auch mit der Einführung der „One in, one out“-Regelung; man könnte auch sa- gen: Es ist die erstmalige Einführung einer Bürokra- tiebremse. Ein Verfahren, das bereits in einigen europäi- schen Ländern existiert oder sich in der Einführungsphase befindet: Frankreich, Spanien, Li- tauen und Portugal haben die „One in, one out“-Regel schon übernommen. Großbritannien will sogar für jedes neue Gesetz zwei alte abschaffen. Kern dieser „One in, one out“-Regelung ist, in gleichem Maße gesetzgeberi- sche Belastungen dauerhaft abzubauen, wie durch neue Regelungsvorhaben zusätzliche Belastungen entstehen, ohne politisch gewollte Maßnahmen zu behindern. Bereits vorgestern, zum 1. Juli 2015, wurde mit der Bilanzierung begonnen. Die Ergebnisse werden ab 2016 jährlich veröffentlicht. Aufpassen müssen wir allerdings hier, dass wir die jetzige Regelungsdichte nun nicht ze- mentieren, sondern vielmehr auch in Zukunft verstärkt an einer Reduzierung bürokratischer Altlasten arbeiten. Auch Umgehungen der „One in, one out“-Regelung bei- 11274 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) spielsweise durch untergesetzliche Normierungen stellen eine Versuchung dar, der nicht nachgegeben werden darf. Festzuhalten ist, dass die Einführung einer solchen Selbstverpflichtung der Regierung, die Bürokratie nicht noch weiter anwachsen zu lassen, einen wirklichen Mei- lenstein darstellt. Dieser klare Mentalitätswechsel nahm seinen Anfang mit der Gründung des Nationalen Nor- menkontrollrates 2006. Seitdem hat der NKR unter Füh- rung von Herrn Dr. Ludewig diesen Prozess mit hoher Kompetenz und Engagement begleitet und hat daher un- seren Respekt und Dank verdient. Über die quantitative Kostenerfassung zur Zeit des Kabinettsbeschlusses hinaus wäre es meines Erachtens erforderlich, dass ein möglicher zusätzlicher Erfüllungs- aufwand, der durch das parlamentarische Verfahren ver- ursacht wird, rechtzeitig benannt wird. Erst hierdurch wäre der tatsächliche Aufwand eines Gesetzes sichtbar, der womöglich durch zusätzliche Forderungen in der parlamentarischen Befassung die von der Bundesregie- rung ursprünglich genannten Kosten deutlich überstei- gen könnte. Dadurch ist es bei späterer Überprüfung möglich, auf den wirklichen Erfüllungsaufwand eines Gesetzes Bezug zu nehmen. Das Bürokratieentlastungsgesetz kann nur als ein ers- ter Schritt auf dem Weg zum Abbau unnötiger bürokrati- scher Lasten angesehen werden. Weitere Anstrengungen im Hinblick auf eine Verschlankung und Vereinfachung für mehr Entbürokratisierung und Wettbewerbsfähigkeit sind auch in den kommenden Wochen und Monaten not- wendig. Dies ist eine für die Zukunft ständig erforderli- che Aufgabe für Regierungen und Parlamentarier. Entbürokratisierung gilt im Übrigen nicht nur für die Wirtschaft, sondern genauso für viele Lebenslagen in unserem privaten Alltag. Im Vordergrund muss bei- spielsweise eine bessere Vernetzung von Behörden un- tereinander stehen, sodass etwa Unternehmen Daten nicht mehrmals abgeben müssen und somit bei Melde- pflichten deutlich und effektiv entlastet werden. Wir dür- fen dabei auch nicht übersehen, dass nahezu alle Spit- zenverbände der deutschen Wirtschaft vehement Reformen in diesem Bereich anmahnen. Hierzu gehören beispielsweise die Rücknahme der sogenannten Vorfäl- ligkeit und eine Verringerung der Anforderungen an Aufbewahrungspflichten und vieles mehr. Ganz eindeu- tig möchte ich mich in diesem Zusammenhang auch noch einmal für eine Anhebung des Schwellenwertes für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter aussprechen. Eine Anpassung ist nach über einem hal- ben Jahrhundert dringend geboten. Bei einer signifikanten Erhöhung, etwa auf 1 000 Euro, und einer gleichzeitigen und vollständigen Abschaffung der Poolabschreibung wäre dies nicht nur ein deutliches Signal für alle Unternehmen in Deutschland, sondern es würde auch den Verwaltungsaufwand für die Wirtschaft und insbesondere für den Mittelstand erheblich reduzie- ren. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dieses Ziel, ne- ben anderem Wichtigen, bereits in diesem Herbst ge- meinsam angehen können, wenn wir uns mit dem Abbau bürokratischer Belastungen aus finanzieller und steuerli- cher Perspektive beschäftigen. Denn die hohe Dichte an bürokratischen Regelungen und der damit verbundene Kostenaufwand stellen eine zunehmend größer wer- dende Herausforderung an die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb dar. Zusammenfassend können wir feststellen, dass das uns von der Bundesregierung vorgelegte Bürokratieent- lastungsgesetz als ein erster Aufschlag zu einer umfas- senden Überprüfung und Reduzierung bürokratischer Hemmnisse unserer Volkswirtschaft zu verstehen ist. Viele der Maßnahmen können bereits 2016 umgesetzt werden und reduzieren die tagtägliche Belastung in vie- len, besonders kleinen und mittelständischen Unterneh- men. Wir sind hier auf dem richtigen Weg, und daher bitte ich um Ihre Zustimmung. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Bürokratie be- deutet die Herrschaft von Regeln und festgelegten Ver- fahren. Eine solche Vorherrschaft behindert Menschen und Unternehmen in ihrer Entwicklung. Wichtige Res- sourcen werden durch die Einhaltung bürokratischer Re- geln gebunden und stehen nicht mehr für Innovationen und Wachstum zur Verfügung. Wir müssen deshalb das Dickicht bürokratischer Regeln und Vorgaben immer wieder durchforsten und möglichst durchgreifend lich- ten. Bürokratieabbau ist eine Daueraufgabe. Heute befasse ich mich mit den steuerrechtlichen Ver- einfachungen. Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz he- ben wir die Grenzbeträge für Buchführungs- und Auf- zeichnungspflichten im Handelsgesetzbuch und in der Abgabenordnung an. Wir stellen damit sicher, dass kleine Unternehmen weiterhin von Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten befreit bleiben. Wir erhöhen die Grenze für die Lohnsteuerpauscha- lierung für kurzfristig Beschäftigte. Die Verdienstgrenze für die Pauschalierung steigt von 62 Euro auf 68 Euro pro Arbeitstag. Damit können Arbeitgeber auch nach Einführung des Mindestlohns (8,50 Euro, acht Arbeits- stunden) weiterhin kurzfristig Aushilfen beschäftigen und die Lohnsteuer pauschal erheben. Die jährliche Informationspflicht aller Kirchensteuer- abzugsverpflichteten, dass ein Abruf des Religionsmerk- mals beim Bundeszentralamt für Steuern erfolgt und dass ein Widerspruchsrecht zum Abruf des Kunden be- steht, ersetzen wir durch eine einmalige und gezielte individuelle Information während des Bestehens der Geschäftsbeziehung. Dies erspart vielen kleinen Kapital- gesellschaften und Genossenschaften, die eben auch zu den Kirchensteuerabzugsverpflichteten gehören, über- flüssige Meldungen ohne praktischen Nutzen. Schließlich vereinfachen wir das Faktorverfahren. Durch das Faktorverfahren werden bei jedem Ehegatten oder Lebenspartner steuerentlastende Vorschriften, wie der Grundfreibetrag oder die Wirkung des Splittingver- fahrens, beim Lohnsteuerabzug berücksichtigt. Das Fak- torverfahren führt damit zu einer Lohnsteuerbelastung, die recht nahe an der endgültigen Steuerbelastung liegt. Leider standen bisher hohe bürokratische Hürden einer Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11275 (A) (C) (D)(B) größeren Verbreitung des Faktorverfahrens im Wege. Bisher mussten die Ehegatten oder Lebenspartner jähr- lich einen gemeinsamen Antrag auf den Faktor beim Fi- nanzamt stellen. Um das Faktorverfahren attraktiver zu machen, muss dieser Antrag künftig nur noch alle zwei Jahre gestellt werden. Ein zentrales Anliegen der Wirtschafts- und Finanz- politiker der SPD, die Anhebung des Schwellenwertes für die Sofortabschreibung von geringwertigen Wirt- schaftsgütern, konnte dagegen noch nicht umgesetzt werden. Angesichts der unbestrittenen Notwendigkeit der Anhebung der GWG-Grenze ist dies nur schwer hin- nehmbar, geschweige denn zu verstehen. Die Grenze liegt seit 1962 bei 410 Euro. Von einer Anhebung wür- den nach Schätzung des DIHK wenigstens 3 Millionen Unternehmen profitieren. Eine Anhebung der Grenze hätte mehrere Vereinfachungseffekte: Die nicht buchführungspflichtigen Unternehmen, also Gewerbetreibende mit einem Gewinn bis nunmehr 60 000 Euro jährlich bzw. einem Umsatz bis maximal 600 000 Euro, und Freiberufler könnten bei den Auf- zeichnungspflichten entlastet werden. Eine Ermittlung der Nutzungsdauer könnte nach der Anhebung des Schwellenwertes für eine viel größere Anzahl von Wirtschaftsgütern entfallen. Ein Anlagenverzeichnis bräuchte in diesen Fällen nicht mehr geführt zu werden. Die höhere GWG-Grenze würde auch eine Vielzahl an Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung über Nutzungsdauer und etwaige Aktivierungspflicht von Wirtschaftsgütern vermeiden. In die Betrachtung müssen natürlich auch die Steuer- ausfälle durch die höheren Abschreibungen in den ersten Jahren einbezogen werden. Diese fallen durchaus ins Gewicht. Auf die zunächst höheren Abschreibungen fol- gen dann aber niedrigere Abschreibungen in den Folge- jahren. Angesichts der überfälligen Bürokratieentlastung und der zu erwartenden Investitionsimpulse halte ich diese Haushaltsbelastungen aber für gut investiertes Geld. Der Einsicht in die Notwendigkeit einer Erhöhung der GWG-Grenze können sich natürlich auch die Wirt- schafts- und Finanzpolitiker der Union nicht entziehen. Dennoch konnten sie bisher nicht über ihren Schatten springen. Eine höhere GWG-Grenze soll es erst später, wahrscheinlich im Rahmen eines unter der Federführung des Bundesfinanzministeriums eingebrachten Gesetzge- bungsvorhabens, geben. Nicht, dass Sie nun denken, Partei- und Ressortinteressen würde offensichtlich der Vorzug vor der ökonomischen Vernunft gegeben. All den enttäuschten Mittelständlern versichere ich aber, dass sich die Wirtschafts- und Finanzpolitiker der SPD weiterhin für eine Anhebung der GWG-Grenze einset- zen werden. Nun kommt die sitzungsfreie Zeit, und wir sind selte- ner in Berlin; die meisten von uns sind in dieser Zeit zwei oder drei Wochen im Urlaub. Ich wünsche allen ei- nen schönen Urlaub und gute Erholung. Das gilt beson- ders für all jene, die sich hier im Hintergrund um alles kümmern und ohne die ein demokratisches Parlament überhaupt nicht arbeitsfähig wäre. Andrea Wicklein (SPD): Heute beschließen wir das Bürokratieentlastungsgesetz und reduzieren den Erfül- lungsaufwand der Wirtschaft um circa 744 Millionen Euro jährlich. Mit diesem Gesetz werden wir die Schwellenwerte für Buchführungs- und Aufzeichnungs- pflichten sowie für Meldepflichten für Existenzgründer und junge Unternehmen anheben und den Aufwand für rund 150 000 Unternehmen reduzieren. Wir werden den Lohnsteuerabzug für Ehegatten bzw. Lebenspartner ver- einfachen und die Pauschalierungsgrenze für kurzfristig Beschäftigte anheben. Und wir werden die Mitteilungs- pflichten für Kirchensteuerabzugsverpflichtete deutlich reduzieren. Die Öffentliche Anhörung zum Bürokratieentlas- tungsgesetz hat einmal mehr gezeigt, dass die Regie- rungskoalition auf dem richtigen Weg ist. Für die fünf Spitzenverbände der deutschen gewerblichen Wirtschaft sind bürokratische Lasten eines der maßgeblichen Hin- dernisse für mehr Wettbewerb und Innovationen. Alle Expertinnen und Experten, ob vom Deutschen Gewerk- schaftsbund, vom Industrie- und Handelskammertag oder vom Bundesverband der Deutschen Industrie, ha- ben bestätigt, dass überflüssige Bürokratie und bessere Rechtssetzung ganz zentrale Themen sind. Neben den im Gesetz verankerten Entlastungs- maßnahmen hat die Bundesregierung weitere Schritte beschlossen, die in unterschiedlichen Gesetzgebungs- verfahren wie dem Bundesstatistikgesetz, dem Vergabe- gesetz oder bei der Novellierung der Energiestatistik umgesetzt werden. Bereits seit 1. Juli ist die „One in, one out“-Regelung in Kraft, die die Bundesregierung verpflichtet, durch neue Regelungen für die Wirtschaft entstehende Belas- tungen an anderer Stelle abzubauen. Das baut Druck in den Ressorts auf, die eigene Regelungsdichte kritisch zu beobachten. Ich bin sehr gespannt, wie die Bundesregie- rung damit umgeht. Ich finde, wir haben mit dieser sogenannten „One in, one out“-Regelung einen guten Weg eingeschlagen, der allerdings nicht dazu führen darf, dass wir uns auf dem erreichten Stand ausruhen. Ich möchte auf einen Punkt des Antrags der Fraktion der Grünen besonders eingehen, und zwar auf Ihren Vorschlag, den Nationalen Normenkontrollrat unabhän- giger von der Bundesregierung zu machen. Hierbei schließe ich mich der kritischen Bewertung des DGB an, der das bei der Expertenanhörung abgelehnt hat. Auch aus meiner Sicht ist eine Veränderung der derzeitigen Praxis in diesem Zusammenhang nicht notwendig. Die Aufgaben und die Stellung des NKR sind im NKR- Gesetz klar und eindeutig geregelt. Der NKR hat danach die Aufgabe, die Bundesregie- rung bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen auf den Ge- bieten des Bürokratieabbaus und der besseren Rechtsset- zung zu unterstützen. Er prüft den Erfüllungsaufwand neuer Regelungen für Bürgerinnen und Bürger, Wirt- 11276 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) schaft und öffentliche Verwaltung auf ihre Nachvollzieh- barkeit und Methodengerechtigkeit. Aber die Ziele und Zwecke der Regelungen hat er nicht zu prüfen. Das ist Sache des Gesetzgebers. Ich finde, diese Aufgabenbeschreibung des NKR hat sich bewährt. Auch aus diesem Grund lehnt die SPD- Fraktion den Antrag der Grünen ab. Bereits bei der Einbringung des Gesetzes und auch bei der Anhörung wurde deutlich, dass der Vorstoß der SPD-Fraktion, den Schwellenwert bei der Sofortab- schreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter deutlich an- zuheben, breite Zustimmung findet. Leider ist es uns bis zum heutigen Tag trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, unseren Koalitionspartner davon zu überzeu- gen, die Höhersetzung des Schwellenwertes mit diesem Gesetz auf den Weg zu bringen. Das bedaure ich sehr. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht bei der Anpassung der Schwellenwerte weiterhin einen dringenden, längst überfälligen Handlungsbedarf. Es ist nun wirklich nicht mehr zu rechtfertigen, dass seit 1965 – also seit nunmehr 50 Jahren – der Schwellenwert bei 410 Euro netto liegt. Allein inflationsbereinigt müsste der Wert heute bereits bei rund 1 200 Euro liegen. Die SPD-Fraktion bleibt deshalb dabei, dass wir eine deutliche Anhebung der Schwellenwerte für die sofor- tige Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter brauchen. Das wäre sowohl ein steuerliches Vereinfa- chungsprogramm als auch gleichzeitig ein enormer In- vestitionsanreiz für die Unternehmen. Ich bin dennoch froh, dass wir heute mit dem vorlie- genden Gesetzentwurf vor allem die Mittelständler und Existenzgründer von überflüssiger Bürokratie entlasten. Michael Schlecht (DIE LINKE): Es ist bemerkens- wert, mit welcher Geschwindigkeit dieses Gesetz hier durch das Parlament gebracht wird. Bemerkenswert ist auch, dass das wichtigste Vorhaben der Bundesregierung zum Bürokratieabbau zwar im Quasivorwort des Geset- zes auftaucht, aber gar nicht im Gesetz selbst steht, son- dern das Kabinett dieses nur als untergesetzliche Rege- lung umgesetzt hat, welche gestern, also zum 1. Juli, in Kraft getreten ist. Es geht um die sogennante „One in, one out“-Regelung, nach der bei einer zusätzlichen büro- kratischen Belastung eine zwingende Entlastung für Un- ternehmen vorzusehen ist. Es kann nicht sein, dass unter Umgehung des Parla- ments eine so weitreichende Norm geschaffen wird. Mit der „One in, one out“-Regelung entscheidet nicht mehr die Sach- und Fachpolitik über Sinnhaftigkeit von ge- setzlichen Regelungen, sondern entscheidend ist, dass die Kostenbelastung der Unternehmen nicht erhöht wird. Man muss davon ausgehen, dass etwa die Einführung des Equal-pay-Grundsatzes für die Leiharbeit, das Ent- geltgleichheitsgesetz oder die Revision der Arbeitsstät- tenverordnung damit wohl beerdigt sind. Denn sinnvoll gemacht würden sie zu mehr Erfüllungsaufwand für die Unternehmen führen. Da es kaum eine Möglichkeit zur Kompensation gibt, wird mit der „One in, one out“-Re- gelung das Ende jeglicher Reformpolitik in der Arbeits- welt durch die Regierung faktisch verkündet. Hätte es diese Regelung bereits vor der Einführung des Mindestlohnes gegeben, dann wäre er wahrschein- lich nicht eingeführt worden. Denn der Erfüllungsauf- wand wurde auf etwa 9,6 Milliarden Euro geschätzt, Ausgleich fast unmöglich. Die Bundesregierung will mit diesem Gesetz gerade kleinen und mittleren Unternehmen helfen. Die Absicht ist löblich. Aber sie kommt über ein paar Verzierungen nicht hinaus. Auch noch so viele gestrichene Vorschriften bringen keine neuen Aufträge für kleine und mittelständische Unternehmen. Tun Sie was für die Binnennachfrage! Le- gen Sie ein groß dimensioniertes Zukunftsinvestitions- programm von 100 Milliarden Euro jährlich auf! Dann bekommen auch viele kleine und mittlere Unternehmen wieder ihre Aufträge. Wir bleiben dabei: Sorgen Sie endlich dafür, dass Löhne in Deutschland wieder steigen können. Gegen- über dem Jahr 2000 gibt es noch eine Lohnlücke von mindestens 14 Prozent. Die muss geschlossen werden. Dann können viele auch wieder ihre Handwerker bezah- len. Die größte Entlastung mit geschätzt 500 Millionen Euro schafft das Gesetz, indem in Zukunft eine ordentli- che Buchführung erst ab einem Umsatz von 600 000 Euro gegenüber heute von 500 000 Euro gefordert wird. Das finde ich abstrus. Jeder Unternehmer mit mindestens 500 000 Euro Umsatz macht schon als ordentlicher Kaufmann eine Rechnungslegung mit Bilanz und Ge- winn- und Verlustrechnung. Und wer es nicht freiwillig macht, sollte ruhig dazu angehalten werden. Schon aus Fürsorgepflicht! Bürokratieabbau ist sinnvoll, wenn er im Interesse der Menschen ist. Bürokratieabbau mit ein paar Verzierun- gen, der zum Stopp staatlicher Reformpolitik führt, leh- nen wir jedoch ab. Und in Richtung der Grünen will ich noch sagen, dass wir die von Ihnen in Ihrem Antrag geforderten Maßnah- men mehrheitlich durchaus für sinnvoll erachten; doch Ihre grundsätzlich positive Haltung zur „One in, one out“-Regelung, die sich in Ihrem Antrag widerspiegelt, können wir nicht nachvollziehen. Auch für sinnvolle ökologische Regelungen werden durch die „One in, one out“-Regelung Sperren hochgezogen. Wir sind sehr ge- spannt, wo Sie da den Erfüllungsaufwand kompensieren wollen. Ein bisschen mehr Ökologie gegen ein bisschen weniger Beschäftigtenschutz? Daher können wir uns bei Ihrem Antrag auch nur enthalten. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Diese Debatte heute ist eine der groteskesten und, ich finde, auch unbefriedigendsten, die ich bisher in meiner Zeit im Bundestag erlebt habe. Ich will erklären, warum. Bis auf die Fraktion Die Linke sind wir uns im Prin- zip einig, dass der Bürokratieabbau ein wichtiges, für Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11277 (A) (C) (D)(B) kleine und mittlere Unternehmen fast zentrales Thema ist. Die Bundesregierung in Person von Minister Gabriel sagt das auch selber. Aus dieser Erkenntnis ist bei der Koalition der vorliegende Entwurf des Bürokratieentlas- tungsgesetzes entstanden. Dieser greift richtige Punkte auf und regelt diese neu im Sinne eines Abbaus von Bürokratie. So weit, so gut. Aber: Diesem Gesetzent- wurf muss und kann unmittelbar und heute deutlich mehr Substanz hinzugefügt werden. Dazu haben wir ei- nen eigenen Antrag eingebracht und an einer zentralen Stelle, zu den geringwertigen Wirtschaftsgütern, einen Änderungsantrag gestellt. Wir wollen die Sofortab- schreibungsgrenze für diese GWG von aktuell 410 Euro auf 1 000 Euro anheben und die sogenannte Pool- abschreibung abschaffen. Genau hier komme ich zu dem Punkt, der mich so stört. Lesen Sie das Protokoll der ersten – übrigens in der Kernzeit gehaltenen – Debatte. Nahezu jeder Redner der Koalition hat uns an dem zentralen Punkt der Erhöhung dieser GWG-Grenze zugestimmt. Je nach neuer Grenze, hat der DIHK berechnet, würde so circa 300 Millionen Euro Bürokratieentlastung möglich werden. Für eine kleine Maßnahme eine sehr große und positive Wirkung, die vor allem Selbstständigen und kleinen und mittleren Unternehmen helfen würde. Zudem würde die Anhe- bung der Abschreibungsgrenze von geringwertigen Wirtschaftsgütern zusätzliche Liquidität gerade für kleine und mittlere Unternehmen zur Verfügung stellen – ein weiteres starkes Argument für diese Maßnahme. Lesen Sie das Protokoll der Anhörung, die meine Fraktion erst durchsetzen musste, womit sie einen Be- schluss des Gesetzentwurfes ohne weitere Debatte, wie von der Koalition erwünscht, verhindert hat. Die Koali- tion hat das Thema GWG rauf und runter abgefragt, im- mer mit der Erkenntnis: Es spricht sehr viel für und fast nichts gegen eine Erhöhung der Abschreibungsgrenze für GWG. Die Koalition hat sogar ihren unsinnigen Plan fallengelassen, direkt nach der Anhörung den Gesetzent- wurf im Ausschuss beschließen zu lassen. So bestand zumindest die Möglichkeit, Ergebnisse aus der Anhö- rung zu prüfen, zu bewerten und in den Gesetzentwurf aufzunehmen. Leider heißt das bei der Großen Koalition, dass wir einfach ein bisschen länger warten müssen, bis dann ohne weitere Änderung dieser richtige, aber in den Maßnahmen ausbaubare Gesetzentwurf beschlossen werden soll. Übrigens auch das erst auf Antrag der Grü- nen mit einer Debatte. Aber die Koalition kann die Tagesordnung festlegen, und so ist diese Debatte für 2.45 Uhr anberaumt worden – mitten in der Nacht. Die Koalition weiß, dass ihr Gesetzentwurf ganz nett, das Gesetzgebungsverfahren aber eine Katastrophe war und ist. Im Handelsblatt war zu lesen, dass die Union der SPD die Erhöhung der GWG-Grenze nicht gönnt und man lieber auf einen Gesetzentwurf von Minister Schäuble wartet. Ich sage dazu ganz klar: Diese groß- koalitionäre Kleingeistigkeit geht voll auf Kosten insbe- sondere kleiner und mittlerer Unternehmen. Und es gibt noch einen anderen Grund: Wie den Ein- lassungen von einzelnen Unionsabgeordneten zu entneh- men war, haben die Haushälter in der Union immer noch das Sagen. Das bedeutet, dass der Unterschied von Liquidität und Einnahmen zwar zur Kenntnis genommen wird, aber dennoch einfach negiert wird. Die schwarze Null wird zum Mantra gegen Bürger und gegen die Wirt- schaft. Damit werden alle Verlautbarungen der Großen Koalition zur Bedeutung von kleinen und mittleren Un- ternehmen und des Mittelstandes zur reinen Sonntags- rede. Die Union muss nebenbei erklären, was der Mehrwert eines Schäuble-Gesetzes gegenüber einem Gabriel- Gesetz ist. Die betroffenen Unternehmen, auf deren Rücken Sie dieses unwürdige Schauspiel abliefern, wer- den diese Erklärung sehr genau notieren. Aber es gibt ja noch viele andere Baustellen, die wir auch in unserem Antrag aufzeigen, für die Sie aber nicht die Courage haben. Genau jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, Anmeldung und Abführung von Sozialversi- cherungsbeiträgen wieder zusammenzuführen. Die So- zialkassen sind gefüllt und könnten ohne Verwerfungen diese Maßnahme mittragen. Die bürokratische Entlas- tung wäre enorm. Nehmen Sie das Beispiel Umsatzsteuer: Diese für Unternehmen wohl arbeitsintensivste Steuer muss end- lich vereinfacht werden, sei es durch weniger Ausnah- men à la Ermäßigung für Rennpferde nein, aber für Holzrückpferde ja. Und Unternehmen brauchen hier mehr Rechtssicherheit, die sie durch eine rechtsverbind- liche Auskunft auch bekommen könnten. Nehmen Sie das Beispiel verbessertes E-Government: Mit einer Anerkennung und wirklichen Umsetzung von elektronisch gespeicherten Rechnungen könnte das Thema „Zehn Jahre Aufbewahrungspflicht für steuerlich relevante Unterlagen“ kurzfristig erledigt werden. Bei Umsetzung einer reinen elektronischen Archivierung wäre eine Bürokratiekostensenkung deutlich über 1 Mil- liarde Euro zu erwarten; so versichern es zumindest be- troffene Unternehmen. Und stärken Sie den Normenkontrollrat. Wir brau- chen eine unabhängige Institution, die sich Regierungs- handeln genau anschaut, damit bürokratische Monster wie die Dobrindt-Maut schon im Gesetzgebungsprozess gestoppt werden können und vorhandene bürokratische Prozesse wie die bereits erwähnte vorgezogene Abfüh- rung der Sozialversicherungsbeiträge wieder korrigiert werden können. Sie sehen, es gibt noch viel Bürokratie abzubauen. Lassen Sie das nicht an Ihren Kindergartenstreitereien in der Koalition scheitern, und erfüllen Sie den eigenen Anspruch. Springen Sie über die Hürden der Kameralis- tik, und bewerten Sie endlich die Situation aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft. Legen Sie mehr als diesen Gesetzentwurf vor, damit klar wird, dass der Abbau von Bürokratie wirklich eines Ihrer zentralen Themen und kein PR-Gag ist. Ich würde mich freuen, wenn Sie doch noch unsere Vorschläge und Anregungen annähmen. 11278 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Herstellung des Ein- vernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Max-Planck-Instituts für auslän- disches und internationales Strafrecht in Frei- burg als wissenschaftlicher Sachverständiger im Rahmen der Evaluierung der Gefahrenab- wehrbefugnisse nach den §§ 4 a, 20 j und 20 k des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Län- der in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) (Tages- ordnungspunkt 29) Clemens Binninger (CDU/CSU): Der Deutsche Bundestag hat durch eine Verfassungsänderung dem Bund die Aufgabe übertragen, Gefahren des internatio- nalen Terrorismus abzuwehren. Um dieser wichtigen Aufgabe nachzukommen, haben wir die Befugnisse des Bundeskriminalamtes erweitert. Es hat erstmals in seiner Geschichte präventive Befugnisse zur Gefahrenabwehr erhalten. Diese präventiven Befugnisse waren bis dahin den Polizeibehörden der Länder vorbehalten. Viele Re- gelungen fanden sich bereits in den Polizeigesetzen der Länder und hatten sich daher über Jahrzehnte bewährt. Andere Regelungen waren neu und müssen nun evaluiert werden, nachdem man erste Erfahrungen mit ihnen sam- meln konnte. Weil sich Terroristen zunehmend moderner Technik und des Internets als Kommunikationsmittel bedienen, müssen auch die Ermittlungsbehörden mit der techni- schen Entwicklung Schritt halten. Deshalb haben wir dem Bundeskriminalamt mit dem Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus auch das neue Ermittlungsinstrument der Onlinedurchsuchung an die Hand gegeben. Zudem haben wir eine neue Rechts- grundlage für die sogenannte Rasterfahndung geschaf- fen. Ich bin davon überzeugt, dass dies die richtige Entscheidung war, weil das Bundeskriminalamt diese Ermittlungsinstrumente angesichts der Bedrohungslage benötigt. Genau das wird auch die anstehende Evalua- tion belegen. Als wir hier im Deutschen Bundestag das neue BKA- Gesetz verabschiedeten, standen wir noch unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten. Hinzu kamen die Anschläge von Madrid 2004 und London 2005. Sie machten uns auf brutale Weise deutlich, dass die Gefährdungslage auch hier in Europa ernst ist. Und das gilt auch jetzt noch. Während wir heute im Deutschen Bundestag über die Evaluation des BKA-Gesetzes beraten, stehen wir unter dem Eindruck der schrecklichen Anschläge von Brüssel, Paris und – erst vor einer Woche – Lyon und Sousse. Hinzu kommt das Wissen, dass mehrere Tausend euro- päische Staatsangehörige in den Reihen des sogenannten „Islamischen Staates“ kämpfen und jederzeit nach Eu- ropa zurückkehren können. Wir sind deshalb heute mehr denn je auf unsere Sicherheitsbehörden und ihre Arbeit angewiesen. Zugleich sind wir gefordert, die Wirksam- keit der bestehenden Ermittlungsinstrumente kritisch zu prüfen. Auch dem dient die angestrebte Evaluation des BKA-Gesetzes. Ich erinnere mich aber auch ganz lebhaft an die laut- starke Kritik an dem BKA-Gesetz, die uns damals wäh- rend der Beratungen aus den Reihen der Opposition ent- gegenschlug. Von unseren Sicherheitsbehörden wurde ein Zerrbild gezeichnet, das nichts mit der Realität zu tun hatte und hat. Es wurde in der Öffentlichkeit der Ein- druck erweckt, dass der Bundesinnenminister am liebs- ten jeden einzelnen Computer in Deutschland per On- linedurchsuchung überwachen möchte. Das Wort „Überwachungsstaat“ machte die Runde. Solche Be- fürchtungen und Mutmaßungen über unsere Sicherheits- behörden haben sich wieder einmal als falsch herausge- stellt. Denn das Bundeskriminalamt setzt seine neuen Befugnisse mit Augenmaß und Verstand ein. Das wird auch die Evaluation durch unabhängige Dritte belegen, über die wir heute debattieren. Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz aus gutem Grund mit einer Evaluationsklausel versehen, damit die neuen Regelungen nach einer angemessenen Zeitspanne überprüft werden. Eine solche Rückkopplung ist wich- tig, damit wir als Gesetzgeber unsere eigene Arbeit kri- tisch bewerten können. Die Evaluation soll das Max- Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg durchführen. Das Institut soll prü- fen, ob die neuen gesetzlichen Regelungen effektiv um- gesetzt wurden und ihren Zweck erfüllen. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob die neuen Regelungen uner- wünschte Nebenwirkungen entfaltet haben oder sich die ursprünglichen Rahmenbedingungen geändert haben. Mithilfe des wissenschaftlichen Sachverstands des Max- Planck-Instituts werden wir die Folgen des Gesetzes in der Retrospektive abschätzen und seine Wirkung bewer- ten können. Das ist sinnvoll und notwendig. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf eingehen, dass in der kommenden Woche die mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über das BKA-Gesetz ansteht. Ich bin mir sicher, dass unser Ge- setz auch dort Bestand haben wird. Wir haben uns im Gesetzgebungsverfahren ausführlich mit der Rechtspre- chung des Bundesverfassungsgerichts auseinanderge- setzt und insbesondere auch die jüngsten Entscheidun- gen zum Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung berücksichtigt. Deshalb haben wir ins- besondere den Einsatz des Ermittlungsinstruments der Onlinedurchsuchung an sehr hohe Hürden geknüpft. Un- ser Gesetz entspricht Punkt für Punkt den Vorgaben, die wir dafür aus Karlsruhe erhalten haben. Es wird deshalb auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben. Alle Experten bestätigen, dass die Gefährdungslage nach wie vor ernst ist. Wir sollten deshalb nicht zur Hys- terie neigen, aber wir sollten tun, was wir tun können. Genau so verfahren wir, Schritt für Schritt und mit Be- dacht. Wenn wir aber Misstrauen gegen unsere Sicher- heitsbehörden schüren und ihnen den Missbrauch ihrer Befugnisse unterstellen, macht das weder unser Land si- cherer noch unsere Freiheit größer. Die Menschen beim Bundeskriminalamt und den anderen Sicherheitsbehör- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11279 (A) (C) (D)(B) den verdienen unser Vertrauen, denn sie schützen die Menschen in unserem Land. Uli Grötsch (SPD): Mit dem heutigen Antrag gibt der Deutsche Bundestag sein Einverständnis, dass das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationa- les Strafrecht als Sachverständiger bestellt wird, um be- stimmte Gefahrenabwehrbefugnisse des Bundeskrimi- nalamtes zu evaluieren. Es geht um das BKA-Gesetz zur Abwehr von Gefah- ren des internationalen Terrorismus, das vor fünf Jahren in Kraft getreten ist. Das BKA ist seitdem bei der Terro- rismusbekämpfung nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch für die Gefahrenabwehr zuständig. Dafür sind dem BKA polizeiliche Befugnisse wie die Raster- fahndung und die Onlinedurchsuchung übertragen wor- den, die in dieser Form neu waren. Aus diesem Grund ist eine wissenschaftliche Überprüfung im damaligen Ge- setzgebungsverfahren ganz bewusst verankert worden. Die Gefahrenabwehr beim BKA anzusiedeln, war zweifelsohne erforderlich. Aber einzelne Befugnisse wie die Onlinedurchsuchung sind nicht unumstritten. Des- halb ist es gut, dass wir die Auswirkung dessen nun nach einer angemessenen Zeit einer wissenschaftlichen Über- prüfung unterziehen. Klar ist dabei: Eine solche Untersuchung muss natür- lich von unabhängiger Seite erfolgen. Klar ist auch: Nicht das gesamte BKA-Gesetz wird auf den Kopf ge- stellt, sondern der Fokus liegt auf den genannten neuen Befugnissen. Ich denke, es besteht kein Zweifel, dass das Max- Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht für diese Aufgabe bestens geeignet ist. Das In- stitut bündelt wissenschaftliche Expertise zu Strafrecht und Kriminologie in einem Haus und ist parteiübergrei- fend anerkannt. Zuletzt hat das MPI den Gesetzgeber zum Beispiel bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Terrorismusfinanzierung sehr fundiert beraten. Und die Wissenschaftler haben sich selbstverständlich nicht ge- scheut, rechtliche Bedenken offen vorzutragen. Über den Inhalt des heutigen Antrages der Regie- rungskoalition kann also kaum gestritten werden. Ich möchte die Gelegenheit daher auch gerne nutzen, um über einige Mythen des BKA-Gesetzes aufzuklären. Bei der Verabschiedung des Gesetzes hieß es, das BKA erhalte im Antiterrorkampf vollkommen ungerechtfer- tigte Kompetenzen und es entstehe ein Art „deutsches FBI“. Hierzu möchte ich in Erinnerung rufen, dass bei Instrumenten wie der Onlinedurchsuchung oder der Rasterfahndung ein klarer Richtervorbehalt im Gesetz steht. Zudem wird stets der Datenschutzbeauftragte des BKA hinzugezogen. Zum Vergleich: In vielen Polizeige- setzen in den Ländern ist der Richtervorbehalt nicht so klar geregelt wie im BKA-Gesetz. Und Instrumente wie die Rasterfahndung gab es in den Ländern bereits viele Jahre zuvor. Nein, das BKA ist durch das Gesetz kein „deutsches FBI“ geworden. Dazu haben wir in Deutschland ganz bewusst gar nicht die personellen und finanziellen Mittel bereitgestellt. Außerdem haben wir in Deutschland un- sere bewährte föderale und eben nicht eine zentral orga- nisierte Sicherheitsstruktur. Aber klar ist auch: Der Bekämpfung von Terrorismus in einer immer stärker vernetzten Gesellschaft sind die einzelnen Landeskriminalämter alleine nicht gewachsen. Deshalb kann kaum jemand ernsthaft bestreiten, dass wir eine gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern brauchen und dass dafür einige Kompetenzen in den letzten Jahren an Bundesbehörden wie das BKA übertra- gen werden mussten. Natürlich kann an einigen Stellen Verbesserungs- bedarf bestehen. Unsere Gesetze zur inneren Sicherheit sollten stets kritisch hinterfragt werden. Das ist genau der Grund, warum das MPI das BKA-Gesetz genau prü- fen soll. Ich denke, dies können wir besten Gewissens heute hier beschließen. Zu einer guten rechtsstaatlichen Überprüfung gehört nicht zuletzt auch der Weg zum Bundesverfassungsge- richt, der damals von einigen Kritikern eingeschlagen wurde. Hier ist, wie wir alle wissen, bald mit einem Urteil zu rechnen, und das haben wir als Parlamentarier natürlich im Blick. Sowohl bei der wissenschaftlichen als auch bei der ju- ristischen Überprüfung bin ich schon gespannt auf die Ergebnisse. Und ich freue mich schon, auf dieser Grund- lage gemeinsam mit allen Fraktionen sachlich über mög- liche Verbesserungen zu diskutieren. Frank Tempel (DIE LINKE): Diese Evaluation der Gefahrenabwehrbefugnisse des BKA ist schon lange überfällig. Nach dem Wortlaut des Änderungsgesetzes sollte die Evaluation fünf Jahre nach Inkrafttreten vorge- nommen werden; das wäre Ende 2013 gewesen, selbst bei großzügiger Auslegung Ende 2014. Ausweislich des Zeitplans wird sie nun Mitte 2016 vorliegen. Vor einem halben Jahr wurde das Angebot des Max-Planck-Insti- tuts vom BMI befürwortet, und das Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag hätte schon lange hergestellt werden können. Die Koalition hat nun kurz vor Sitzungsbeginn den Antrag eingebracht, der jetzt auch noch zur Sofortab- stimmung steht. Für die Opposition besteht keine Mög- lichkeit, noch Änderungen einzubringen. Beim Antrag zur Evaluation der Sicherheitsgesetze durch das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer Anfang dieser Legislatur gab es noch die Möglichkeit für die Opposition, Stellungnahmen abzugeben. Die par- lamentarischen Sitten verfallen zusehends! Hätte die Evaluation fristgerecht vorgelegen, hätte sie außerdem auch in die Entscheidungsfindung des Bun- desverfassungsgerichtes, BVerfG, zur nächste Woche verhandelten Klage einfließen können. Diese Chance ist nun vertan; ein Jahr wird das BVerfG mit seiner Ent- scheidung sicherlich nicht warten wollen. Sehr geehrte Kollegen von der Koalition, der Ansatz für die Evaluation greift viel zu kurz. Hier stehen zwei 11280 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifende Befugnisse zur Bewertung. Es handelt sich dabei um die Rasterfahndung, also den Abruf von Datensätzen aus verschiedenen Datenbe- ständen und deren Zusammenführung, sowie um den verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme. Bei beiden bestehen Zweifel, ob sie überhaupt erforder- lich und geeignet sind. Sie stehen aber in einer Reihe von weiteren Befugnissen nach § 20 a bis § 20 x des Bundeskriminalamtsgesetzes, BKAG. Es bringt daher nichts, nur bei einzelnen Befugnissen zu prüfen, ob dort die Regelungen zum Schutz des Kernbereiches privater Lebensgestaltung ausreichend und effektiv sind. Die Ge- samtheit sich ergänzender Überwachungsmaßnahmen erzeugt die Gefahr, zum Objekt staatlicher Ausforschung zu werden. Auch das müsste Gegenstand einer Evaluation sein. Völlig außerhalb dieser Evaluation steht zudem, dass die Befugnisse des BKA durch die tiefe Vernetzung und den Erkenntnisaustausch mit den Landeskriminalämtern und den Geheimdiensten eine Eingriffstiefe haben oder gewinnen können, die für die Bürgerinnen und Bürger allein aus dem Gesetzestext nicht ersichtlich ist. Die Befugnisse zur Übermittlung von Daten, nach Ansicht des BVerfG ein eigener Grundrechtseingriff, sind schon von vornherein verfassungsrechtlich unzurei- chend. Die Übermittlung an ausländische Stellen ist nicht besonders geregelt, was angesichts jüngster Ent- wicklungen sehr zu denken gibt. Ebenfalls nicht über- prüft wird die Eilfallregelung bei den Befugnissen. Der Großen Koalition war es wichtiger, das Gesetz für das BKA praktisch handhabbar zu machen, als Vorkehrun- gen für einen effektiven Rechtsschutz zu schaffen. Bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen ist nur durch den Richtervorbehalt ein effektiver Rechtsschutz sicherzu- stellen. Doch gerade der wird im vermeintlichen Eilfall ausgehebelt! Die Erweiterung der Befugnisse des BKA weit in das Vorfeld konkreter Straftaten lässt die Abgrenzung zu den Nachrichtendiensten verschwimmen. Das an sich ist schon problematisch. Wenn man das aber macht, dann muss neben die richterliche Kontrolle auch, wie üblich bei nachrichtendienstlichen Befugnissen, eine parlamen- tarische Kontrolle treten. Eine Evaluation durch externen Sachverstand, selbst wenn es sich um das renommierte Max-Planck-Institut für ausländisches und internationa- les Strafrecht handelt, der im Wesentlichen auf die An- gaben aus den befugnisnutzenden Behörden angewiesen ist, kann eine effektive parlamentarisch-politische Kon- trolle nicht ersetzen. Das Evaluationsdesign an sich ist das bislang beste im Bereich der Evaluation von Sicherheitsgesetzen in der Bundesrepublik. Es werden auch Normen in den Blick genommen, die zur Bewertung der „Eingriffstiefe und Eingriffsbreite“ herangezogen werden müssen. Das Evaluationsdesign nimmt auch in den Blick, dass im Bereich der Terrorismusbekämpfung zwischen Ge- fahrenabwehr und Strafverfolgung keine scharfe Trenn- linie besteht und Maßnahmen der Gefahrenabwehr un- mittelbar zu Maßnahmen der Strafverfolgung führen können. Unverständlich ist es, wenn die Bieter selbst davon ausgehen, dass bisher keine Anwendung der Befugnisse im präventiven Bereich stattgefunden habe. Die Unter- suchung wird sich also somit auf Fälle beziehen müssen, bei denen solche Maßnahmen gegebenenfalls diskutiert und vorbereitet wurden. Gegenstand sind auch die Probleme, die aus der „Übernahmebefugnis“ des BKA in Fällen von interna- tionalem Terrorismus nach § 4 a bestehen, insbesondere zur doch weiterhin möglichen Mehrfacherhebung von Daten, zu den Benachrichtigungsregeln und zur Über- nahme von Fällen durch die Länder. In diesem Zusam- menhang soll dann geklärt werden, wie der Begriff des „internationalen Terrorismus“ in der Praxis überhaupt angewendet wird. In der Anhörung zum Gesetz war be- reits die unpräzise Begrifflichkeit kritisiert worden. Weiterhin soll geprüft werden, ob bei der Rasterfahn- dung und dem verdeckten Eingriff in informationstech- nische Systeme die bisher nicht vorhandene Eilkompe- tenz des BKA geschaffen werden sollte. Die Linke fordert eindringlich, dass im Gegensatz zur oft geübten Regierungspraxis der Evaluationsbericht dem Parlament vollständig vorgelegt wird. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir stimmen dem Antrag der Koalition zu, das Max-Planck- Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, hier insbesondere die Herren Professoren Hans-Jörg Albrecht und Ralf Poscher, als Sachverstän- dige für die Unterstützung der Evaluation des BKA-Ge- setzes zu bestellen. Die Gefahrenabwehrbefugnisse des BKA sind ja nicht mehr ganz neu. Dem Bundeskriminal- amt als Polizei wurde mit der Novelle des BKA-Geset- zes geheimdienstähnliche Befugnisse weit im Gefahren- vorfeld gegeben. Deshalb ist es richtig und es ist auch überfällig, dass diese Befugnisse nun endlich evaluiert werden. Schließ- lich sollte der Bericht schon seit zwei Jahren vorliegen. Ach ja, nur nebenbei: Wo bleibt eigentlich der Evalu- ierungsbericht zum Terrorismusbekämpfungsgesetz? Der ist auch längst fällig. Gut ist es auch, sehr gut sogar, dass wir mit dem An- gebot des MPI – vielleicht erstmals – ein Konzept für die Evaluierung eines Sicherheitsgesetzes aufgrund einer gesetzlichen Evaluierungsklausel auf dem Tisch haben, das eine adäquate Auseinandersetzung mit dem schwie- rigen Thema verspricht. Mit dem Evaluierungsbericht wird uns als Gesetzgeber die Expertise an die Hand ge- geben, die wir brauchen, um entscheiden zu können, ob die untersuchten Vorschriften zur Terrorismusbekämp- fung, zur Rasterfahndung und zur Onlinedurchsuchung den Grundrechten entsprechen, ob sie tatsächlich mehr Sicherheit bringen oder vielleicht doch mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen. Deshalb bin ich wirklich froh, dass alle Fraktionen es mitgetragen haben, dass der Innenausschuss des Deut- schen Bundestages die Evaluierungsprozesse kritisch be- gleitet. Damit am Ende des Prozesses nicht – auch das hat es schon gegeben – eine Werbebroschüre für das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11281 (A) (C) (D)(B) Bundesministerium des Innern als Auftraggeber steht, sondern ein aussagekräftiger Evaluierungsbericht. Und Sie sind dem Antrag von uns Grünen und dem Wortlaut der Evaluierungsklausel gefolgt, die Bestellung des wis- senschaftlichen Sachverständigen im Plenum öffentlich zu debattieren. Beides ist nötig, damit wir in dem schwierigen Feld der inneren Sicherheit unserer Pflicht nachkommen, die Anwendung der von uns erlassenen Gesetze im Verhältnis zu den Grundrechten immer und immer wieder zu beobachten und gegebenenfalls nach- zubessern. Aber obwohl ich froh bin, dass das BKA-Gesetz nun endlich evaluiert wird, habe ich auch ein paar Zweifel. Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2008 – gegen die Stimmen meiner Fraktion und gegen den Rat einer Reihe von hochkompetenten Sachverständigen – das BKA-Ge- setz in der jetzt geltenden Fassung erlassen. Jetzt, sieben Jahre danach, hat die Praxis gezeigt, dass die von den Sachverständigen angeführten Bedenken berechtigt wa- ren. Der Chaos Computer Club hat aufgedeckt, dass der Staatstrojaner mehr konnte, als er verfassungsrechtlich darf, und nun bestellen wir einen der besonders kriti- schen Sachverständigen von damals zum wissenschaftli- chen Sachverständigen für die Evaluation. Und wie Sie wissen, wird am kommenden Dienstag in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht über die Ver- fassungsbeschwerden meiner Abgeordnetenkollegen Wieland, Ströbele, Terpe, Roth, Nachtwei, Trittin, Müller, Künast und Beck verhandelt, die sich durch die- ses weitreichende und unbestimmte BKA-Gesetz in ih- ren Grundrechten verletzt sehen. Also müssen wir wie- der einmal das Bundesverfassungsgericht mit einem Sicherheitsgesetz beschäftigen, das der Deutsche Bun- destag wider besseres Wissen erlassen hat. So war es beim Antiterrordateigesetz, und so wird es auch – das prophezeie ich Ihnen – bei der Novelle des Bundesver- fassungsschutzgesetzes sein, welches Sie, liebe Kolle- ginnen und Kollegen der Großen Koalition, morgen ver- abschieden wollen. Das ist nicht richtig so. Das ist populistische Politik ohne Sicherheitsgewinn, aber dafür zulasten der Grund- rechte. Zudem bin ich mir nicht ganz sicher, ob das, was das MPI zu Recht für eine grundrechtsorientierte Evaluie- rung für nötig hält, so auch durchgeführt werden kann. Ob das alles funktioniert, liegt maßgeblich am auftrag- gebenden Ministerium und an der Mitarbeit der Sicher- heitsbehörden. Wenn das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter den umfassenden Einblick in das Fallmaterial verweigern oder es an Dokumentationen fehlt, wird eine sinnvolle Evaluation nicht möglich sein. Es geht hier um heimliche Überwachungsmaßnahmen und Datenanalysen. Von deren Praxis wissen wir kaum etwas – eben weil sie heimlich sind. Die Evaluation steht und fällt daher damit, dass die Evaluatoren umfassenden Einblick bekommen und dass die Praxis auch dokumen- tiert wurde. Wir Grüne werden nicht nur den Erlass neuer Sicher- heitsgesetze, sondern auch diesen Evaluierungsprozess kritisch begleiten und genau darauf achten, dass die Grundrechte nicht für einen zweifelhaften Sicherheitsge- winn ausgehöhlt werden. Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 115. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Sterbebegleitung TOP 5 Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung TOP 12 Medizinische Versorgung für Asylsuchende TOP 36, ZP 3 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 37, ZP 4 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 7 Wahl „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ZP 5 Aktuelle Stunde zur Sicherheitslage nach islamistischen Anschlägen TOP 8 Wohngeldrecht und Wohnraumförderung TOP 9 Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch TOP 10 Suizidprävention TOP 11 Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten TOP 16 Arbeit für Menschen mit Behinderungen TOP 13 Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung TOP 18 Subventionen für Atomkraftwerke in der EU ZP 6 Karenzzeit für Regierungsmitglieder TOP 20 Umgang mit Atommüll TOP 15 Standards in Handwerk und Freien Berufen TOP 14 Jemen TOP 17, ZP 7 Digitale Bildung und Medienkompetenz TOP 19 Förderung von Integrationsbetrieben TOP 21 Weltweite Lage der Religions- und Glaubensfreiheit TOP 22 Fischetikettierungs- und Tiergesundheitsgesetz TOP 23 Weingesetz TOP 24 Häftlingshilfegesetz, Bundesvertriebenengesetz TOP 25 Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas TOP 26 Neuorganisation der Zollverwaltung TOP 27 Übereinkommen über Amtshilfe in Steuersachen TOP 28 Bürokratieentlastungsgesetz TOP 29 Sachverständiger für Gefahrenabwehrbefugnisse Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811500000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle

herzlich zu unserer Plenarsitzung.
Es gibt einige interfraktionelle Vereinbarungen zur

Erweiterung unserer Tagesordnung. Ich verweise auf
die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte, bei de-
nen von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit
erforderlich, abgewichen werden soll:
ZP 1 Vereinbarte Debatte

zur Situation nach dem Auslaufen des
Finanzhilfeprogramms für Griechenland

ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
DIE LINKE:
Rolle des Bundes beim Tarifkonflikt bei der
Deutschen Post AG

(ZP 1 und ZP 2 siehe 114. Sitzung)


ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten
Verfahren

(Ergänzung zu TOP 36)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Rekrutierung Minderjähriger in die
Bundeswehr
Drucksache 18/981
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Renate
Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Netzneutralität als Voraussetzung für eine
gerechte und innovative digitale Gesellschaft
effektiv gesetzlich sichern
Drucksache 18/5382
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss Digitale Agenda (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Federführung strittig

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Reform der Pflegeausbildung auf gesichertes
Fundament stellen
Drucksache 18/5383
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache

(Ergänzung zu TOP 37)


a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss) gemäß § 93a Absatz 3
der Geschäftsordnung
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007
des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines euro-
päischen Verfahrens für geringfügige Forde-
rungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/
2006 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einfüh-
rung eines Europäischen Mahnverfahrens
KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13
hier: Einvernehmensherstellung gemäß § 8 Ab-
satz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit
von Bundesregierung und Deutschem Bundes-
tag in Angelegenheiten der Europäischen Union

Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647, 18/3385,
18/3427, 18/5355, 18/5411





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 210 zu Petitionen

Drucksache 18/5389

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 211 zu Petitionen

Drucksache 18/5390

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 212 zu Petitionen

Drucksache 18/5391

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 213 zu Petitionen

Drucksache 18/5392

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 214 zu Petitionen

Drucksache 18/5393

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 215 zu Petitionen

Drucksache 18/5394

h) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 216 zu Petitionen

Drucksache 18/5395

i) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 217 zu Petitionen

Drucksache 18/5396

j) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 218 zu Petitionen

Drucksache 18/5397

k) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 219 zu Petitionen

Drucksache 18/5398

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:

Die Sicherheitslage nach den jüngsten isla-
mistischen Anschlägen
ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Bundesministergesetzes
und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse
der Parlamentarischen Staatssekretäre

Drucksache 18/4630

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


Drucksache 18/5419

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Tabea Rößner, Kai Gehring, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Empfehlungen der Enquete-Kommission „In-
ternet und digitale Gesellschaft“ zur digitalen
Bildung umsetzen

Drucksache 18/5105

Die Tagesordnungspunkte 6 – hier geht es um die Be-
ratung von Vorlagen zum Thema „Altersarmut Ost“
– und 30 – hier geht es um Vorlagen zum Thema „Fra-
cking in Deutschland“ – sollen abgesetzt werden.

Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkte-
liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.

Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkte-
liste aufmerksam:

Der am 17. Juni 2015 (111. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Haus-
haltsausschuss (8. Ausschuss) zur Mitberatung über-
wiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Hospiz- und Palliativver-

(Hospizund Palliativgesetz – HPG)


Drucksache 18/5170
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Veränderungen ein-
verstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann
haben wir das so beschlossen.

Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 4 auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Michael Brand, Kerstin Griese, Kathrin Vogler,
Dr. Harald Terpe und weiteren Abgeordneten
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung
der Selbsttötung

Drucksache 18/5373
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Peter
Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl
Lauterbach, Burkhard Lischka und weiteren Ab-
geordneten eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Regelung der ärztlich begleiteten
Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz)


Drucksache 18/5374
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring,
Luise Amtsberg und weiteren Abgeordneten ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung

Drucksache 18/5375
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

d) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter
Beyer, Hubert Hüppe und weiteren Abgeordne-
ten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbst-
tötung

Drucksache 18/5376
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Tages-
ordnungspunkt setzen wir die Arbeit an einem der si-
cherlich anspruchsvollsten und zugleich schwierigsten
Gesetzgebungsprojekte dieser Legislaturperiode fort. Im
November vergangenen Jahres haben wir uns in einer
vierstündigen Orientierungsdebatte mit der Frage ausei-
nandergesetzt, wie der Staat seine unaufgebbare Ver-
pflichtung zum Schutz des Lebens und zum Schutz der
Menschenwürde auch und gerade gegenüber dem ster-
benden Menschen wahrnehmen kann. Daraus sind die
vier Gesetzentwürfe entstanden, in deren Beratung wir
heute eintreten.

Die Antworten auf diese Frage kann nur jeder Abge-
ordnete für sich selber finden. Die Fraktionen haben
daher wie die Bundesregierung von vornherein darauf
verzichtet, eigene Gesetzentwürfe vorzulegen, und es
stattdessen jedem einzelnen, jeder einzelnen Abgeordne-
ten überlassen, fraktionsübergreifend seine eigene Posi-
tion zu formulieren und dafür jeweils Unterstützung zu
gewinnen.

Ich trage das insbesondere auch für unsere Besuche-
rinnen und Besucher und die Zuhörer bei den elektroni-
schen Medien vor, weil sich daraus ein etwas unüblicher
Debattenablauf ergibt. Die Aufteilung der nach der inter-
fraktionellen Vereinbarung vorgesehenen Debattenzeit
von 120 Minuten soll sich im Wesentlichen nach dem
Stärkeverhältnis der Anzahl der Unterzeichner der je-
weiligen vier Gesetzentwürfe richten. Das ist, wie Sie
alle wissen, eine Abweichung von unserem sonstigen
Verfahren, die aber diesem Thema und der geschilderten
Entstehung dieser Gesetzentwürfe Rechnung trägt.

Die vier von mir zu Beginn genannten Gesetzent-
würfe haben genügend Unterstützung gefunden, um
nach unserer Geschäftsordnung heute in erster Lesung
beraten werden zu können. An diese heutige Debatte
wird sich eine intensive Befassung in den Ausschüssen
anschließen, bevor wir dann im Herbst dieses Jahres
werden entscheiden müssen, ob und gegebenenfalls wel-
che Ergänzungen oder Korrekturen der geltenden
Rechtslage erfolgen sollen.

Ich will ergänzend darauf hinweisen, dass es die Ver-
einbarung gibt, dass die Reden der Kolleginnen und Kol-
legen, deren Redewunsch im Rahmen dieser zwei Stun-
den nicht berücksichtigt werden kann, in einem einer
Redezeit von fünf Minuten entsprechenden Umfang zu
Protokoll gegeben werden können. Ich vermute, dass Sie
auch mit dieser Vereinbarung einverstanden sind. – Das
ist offensichtlich der Fall. Dann verfahren wir so.1)

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort als
erstem Redner dem Kollegen Michael Brand.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1811500100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

haben in der Orientierungsdebatte im November des
letzten Jahres und danach eine würdige Debatte um Ster-
bebegleitung, um die Würde des Lebens auch an seinem
Ende geführt. Die gesellschaftliche Erörterung des The-
mas Sterben haben wir dadurch ein gutes Stück aus der
Tabuzone holen können. Auch was die Debatte unter uns
Abgeordneten angeht, bin ich sehr froh und möchte
heute dafür danken, dass wir gerade auch bei unter-
schiedlichen Haltungen den Respekt voreinander ge-
pflegt haben.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


1) Anlage 2





Michael Brand


(A) (C)



(D)(B)

Schon weit vor der Debatte vom letzten November
haben wir in einer Gruppe von Abgeordneten aus allen
Fraktionen immer wieder die Frage erörtert: Wie können
wir erreichen, dass starker Schutz und die gute Beglei-
tung am Ende des Lebens auch miteinander harmonie-
ren? Wir suchten dabei von Anfang an die richtige Mi-
schung aus menschlichen und medizinischen Antworten,
nämlich bestehend aus einer deutlichen Stärkung der
Palliativ- und Hospizversorgung, guter Pflege und Aus-
bildung sowie vor allem menschlicher Zuwendung für
die Menschen in Not, für die Sterbenden.

Unser Leitsatz war und ist: Sterbende sollten an der
Hand und nicht durch die Hand eines Mitmenschen ster-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Es ist ein tiefer Respekt vor der Einzigartigkeit und der
Würde eines jeden Menschen, der zu dem Gesetzentwurf
geführt hat, den wir Ihnen heute vorschlagen. Dabei ist
wichtig: Angehörige und nahestehende Personen behal-
ten den Status wie bisher; wir wollen hier keine Ver-
schärfung. Das gilt auch für Ärzte. Wir schützen mit un-
serem Gesetz das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt
und Patient auch in der finalen Phase; denn wir wissen:
Das Strafrecht kann auch gar nicht jeden Einzelfall lö-
sen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt!)


Wir wollen lediglich die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe
von Vereinen oder Einzelpersonen – die auf Wiederho-
lung angelegt ist – verbieten, nicht mehr, aber auch nicht
weniger. Unser Ansatz ist ein Weg der Mitte: Wir wollen
weder weitreichende neue Strafbarkeiten wie ein Total-
verbot noch die Öffnung hin zum ärztlich assistierten
Suizid oder gar mehr. Die inzwischen über 210 Abge-
ordneten, die unseren Ansatz unterstützen, wollen auch
einen Weg der Mitte: maßvoll, sensibel, ohne auf der ei-
nen oder auf der anderen Seite zu weit zu gehen.

Wir wollen die Risiken vermeiden, die wir in Nach-
barländern entdeckt haben. Die enorme, steigende Zahl
der Todesursache Suizidbeihilfe oder gar Töten auf Ver-
langen in einigen Nachbarländern gibt Anlass zur Sorge
auch mit Blick auf die Ausweitung von Suizidbeihilfe in
Deutschland.

Nach eingehender Analyse haben wir uns auf nur
zwei Dinge konzentriert:

Erstens soll das geschäftsmäßige Angebot von Sui-
zidbeihilfe unter Strafe gestellt und damit eine Rege-
lungslücke geschlossen werden, die inzwischen offen
ausgenutzt wird. Als die Regelung von Suizid im Jahre
1871 eingeführt wurde, konnte von geschäftsmäßig ar-
beitenden Sterbehilfevereinen oder Einzelpersonen nie-
mand etwas wissen.

Das Zweite, auf das wir geachtet haben: Wir wollen
keine Öffnung zum ärztlich assistierten Suizid, sondern
stattdessen einen Ausbau der Hilfen, und zwar flächen-
deckend. Wir wissen um die großartigen Möglichkeiten
moderner palliativer Medizin, und wir wissen um die se-
gensreiche Wirkung der Hospizbewegung. Hier sind sich
alle Gruppen im Deutschen Bundestag einig: Wir wollen
diese Hilfen verstärken, und wir zollen allen ehrenamtli-
chen und hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern unseren allergrößten Respekt.


(Beifall im ganzen Hause)


Für uns sind es zwei Seiten ein und derselben Medaille:
Wir wollen helfen, und wir wollen schützen.

Dabei ist darauf zu achten, dass es keine falschen
Kompromisse gibt. Wir wollen – wie die große Mehrheit
der Ärzteschaft – auf keinen Fall, dass Beihilfe zum Sui-
zid zu einer regulären Option ärztlichen Handelns wird.
Das aber droht, wenn wir diese Tür öffnen. Wird diese
Tür einen Spalt breit geöffnet, ist der Fuß erst einmal
drin, dann wird die Tür immer weiter geöffnet; das zeigt
die traurige Entwicklung in Nachbarländern, die auch
mit engen Kriterien begonnen haben. Die Kriterien – sie
halten einfach nicht, sie werden aufgeweicht. Wir wissen
inzwischen: Auch bei Sterbehilfe schafft Angebot Nach-
frage. Viele Tausend sterben so inzwischen jedes Jahr in
Belgien, in den Niederlanden und auch in der Schweiz.
Jüngstes Beispiel – und wohl nicht das Ende der Ent-
wicklung – ist ein Fall aus Belgien, bei dem einer an-
sonsten völlig gesunden 24-Jährigen wegen ihres Suizid-
wunsches von Ärzten aktive Hilfe beim Suizid
angeboten wurde. Laut dem dort auch so genannten
Euthanasiegesetz ist das in Belgien erlaubt, wenn sich
ein Mensch – ich will das zitieren – „in einer medizi-
nisch aussichtslosen Lage befindet und auf ein anhalten-
des, unerträgliches körperliches oder psychisches Leid
zurückblickt“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so ist
das mit den sogenannten „engen Kriterien“, die weit
dehnbare Begriffe wie „unerträglich“ beinhalten: Auch
vermeintlich enge Kriterien halten nicht, sie werden im-
mer weiter gedehnt.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir wollen solch eine Entwicklung nicht. Wir wollen
vielmehr die Selbstbestimmung von Menschen in Not
schützen und eben keine Entwicklung, die Menschen mit
ihrer Not und ihrer Last alleine lässt; das kann niemand
wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Sterbende
begleitet: Ich bin mit einem durch ein jahrzehntelanges
Krebsleiden schwer gezeichneten Vater aufgewachsen.
Wir haben es uns mit diesem Gesetzentwurf nicht ein-
fach gemacht – weil es hier keine einfachen Antworten
gibt. Aber eines haben wir getan: Wir wollen die schlei-
chende Ausweitung eines geschäftsmäßigen Umgangs
mit dem Sterben eindämmen. Verzweifelten Menschen
sollte man die Verzweiflung nehmen, nicht das Leben.
Wir wollen die Würde bewahren, wir wollen schützen
und helfen. Helfen Sie uns dabei!

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811500200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)







(C)



(D)(B)


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1811500300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn wir über ein Leben in Würde und ein
Sterben in Würde sprechen, dann muss uns klar sein,
dass wir zuallererst Hilfe für die Menschen brauchen,
die von Leid, Schmerzen und Einsamkeit betroffen sind.
Wir brauchen bessere Informationen und eine Aufklä-
rung über Behandlungsmöglichkeiten und auch über das
Recht auf Abbruch von Therapien. Daneben brauchen
wir Wissen über die besonders wichtige Bedeutung von
Patientenverfügungen und einen Ausbau der Hospizar-
beit und der Palliativmedizin. Es ist sehr gut, dass wir
uns hierüber alle einig sind.

Heute sprechen wir darüber, was rechtlich geändert
werden muss. Mit unserem Gruppen-Gesetzentwurf
wollen wir die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förde-
rung der Selbsttötung. Ich stimme meinem Kollegen
Michael Brand zu: Wir schlagen einen Weg der Mitte
vor. Das garantiert unser Gesetzentwurf. Er sagt ein kla-
res Nein zu Vereinen und Einzelpersonen, die wiederholt
und als Geschäft Sterbehilfe betreiben. Gleichzeitig si-
chert unser Gesetzentwurf, dass die bestehenden ärztli-
chen Behandlungsmöglichkeiten erhalten bleiben, und
das ist uns sehr wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Die Deutsche PalliativStiftung, der Deutsche Hospiz-
und PalliativVerband, die Deutsche Stiftung Patienten-
schutz und viele Menschen, die in Hospizen und in der
ambulanten und stationären Palliativversorgung arbei-
ten, haben uns bei diesem Gesetzentwurf beraten und
unterstützt. Herzlichen Dank dafür.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir so we-
nig wie möglich und nur so viel wie nötig ändern wollen.

Wir wollen deshalb nur so wenig wie möglich ändern,
weil wir in Deutschland gute gesetzliche Grundlagen ha-
ben. Unser Gesetzentwurf garantiert, dass es so bleibt.
Der Suizid und damit auch die Beihilfe zum Suizid blei-
ben straffrei. Das zu ändern, wie es im Gesetzentwurf
Sensburg vorgeschlagen wird, wäre falsch.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Auf der anderen Seite ist es richtig, dass die Tötung auf
Verlangen, also die aktive Sterbehilfe, wie bisher straf-
bar bleibt.

Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Der ärztliche
Freiraum, den es heute gibt und der sicher ist, soll erhal-
ten bleiben; denn die Ärztinnen und Ärzte müssen in
schwierigen ethischen Situation individuell helfen und
entscheiden können, und das geht auch heute schon.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Auch heute sind die passive Sterbehilfe, die indirekte
Sterbehilfe und auch die palliative Sedierung schon er-
laubt, weil es die Absicht der Ärztinnen und Ärzte ist,
Schmerzen zu lindern. Unser Gesetzentwurf schafft kein
Sonderrecht für Ärzte. Sie werden weder kriminalisiert,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist gut!)


noch sollen sie besondere Rechte erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir formulieren ausdrücklich, dass die Absicht der
Förderung der Selbsttötung, also das Ziel des Todes, vor-
liegen muss, damit eine Handlung strafbar ist. Ich sage
es noch einmal ganz konkret: Der Onkologe auf der
Krebsstation, die Ärztin auf der Palliativstation und die
ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter in der Hospizar-
beit machen sich nach diesem Gesetzentwurf nicht straf-
bar. Ihre Absicht ist die Linderung von Leid und
Schmerzen, auch wenn es, wie bei der palliativen Sedie-
rung, sein kann, dass das Leben in manchen Fällen ver-
kürzt wird. Aber der Tod ist eben nicht das Ziel und die
Absicht, und damit bleibt dies nicht strafbar.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Was meinen wir damit, dass wir nur so viel wie nötig
ändern? Unser Gesetzentwurf bewirkt, dass die Tätigkeit
sogenannter Sterbehilfevereine oder von Einzelperso-
nen, die geschäftsmäßig, also wiederholt und als Haupt-
zweck ihrer Tätigkeit, die Selbsttötung von Menschen
fördern und vermitteln, unter Strafe gestellt wird. Ganz
klar ist: Wir wollen kein Geschäft mit dem Tod, wir wol-
len keine Normalisierung des assistierten Suizids, der
quasi als Dienstleistung unter bestimmten Bedingungen
abrufbar ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben die Sorge, dass dann, wenn das Normalität
wäre, der Druck auf Menschen in verzweifelten Situatio-
nen steigen würde und dass aus der Angst, jemandem
zur Last zu fallen, zu schnell der Wunsch nach dem Tod
entstünde, obwohl doch eigentlich Hilfe möglich wäre.
Die Entwicklung in anderen Ländern Europas zeigt, dass
das passiert. Wir wollen keine Hilfe zum Sterben, son-
dern wir wollen Hilfe beim Sterben.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


In Deutschland betreibt ein sogenannter Sterbehilfe-
verein den assistierten Suizid. Er bietet ihn nicht nur
schwerkranken Menschen, sondern auch lebensmüden
und psychisch kranken Menschen an, was ich für beson-
ders verwerflich halte. Man bekommt bei „Sterbehilfe
Deutschland“ die Suizidbegleitung, wie es in der Sat-
zung heißt, besonders zügig, wenn man 7 000 Euro be-
zahlt. Für 2 000 Euro muss man ein Jahr warten und für
200 Euro jährlich mindestens drei Jahre. Dieses Ge-
schäft mit dem Tod halte ich für ethisch nicht tragbar.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Die Tätigkeit solcher Vereine muss unterbunden werden –
übrigens auch dann, wenn sie kein Geld damit verdie-
nen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Recht auf ein
würdiges und selbstbestimmtes Ende des Lebens ist al-
len Menschen wichtig. Die Achtung vor dem Leben
– auch vor dem leidenden, dem schwerkranken und dem

(A)






Kerstin Griese


(A) (C)



(D)(B)

behinderten Leben – gehört zur Selbstbestimmung dazu.
Ich möchte in einer sorgenden und solidarischen Gesell-
schaft leben und alt werden, in der die Antwort auf Ein-
samkeit, Leid und Not nicht der assistierte Suizid im
Angebot, sondern Hilfe, Betreuung und eine sehr gute
Palliativversorgung ist. Zu einer humanen Gesellschaft
gehört das Sterben in Würde und nicht die Dienstleis-
tung „Suizid auf Abruf“ nach bestimmten Bedingungen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wenn man, wie das in einem anderen Gesetzentwurf
gefordert wird, im BGB Bedingungen festschreibt, nach
denen der Arzt Hilfe zum Suizid leisten soll, würde da-
mit keine Rechtssicherheit geschaffen; das will ich aus-
drücklich sagen. Erstens. Ärzte haben schon heute viele
Möglichkeiten, beim Suizid zu helfen. Es ist noch nie
ein Arzt für das, was er in diesem Zusammenhang getan
hat, belangt worden. Außerdem bleibt es eine Gewis-
sensentscheidung des Arztes, und zwar im Dialog mit
dem Patienten und nur mit seinem Einverständnis. Zwei-
tens. Die Auflistung von Bedingungen im BGB, nach
denen der Arzt Beihilfe zum Suizid leisten soll, würde
eine ethische Normverschiebung bedeuten, die wir nicht
wollen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811500400

Frau Kollegin.


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1811500500

Wir stellen uns mit unserem Gesetzentwurf einer ge-

sellschaftlichen Normalisierung und einer Ausweitung
des assistierten Suizids entgegen und bitten dafür um
Ihre Unterstützung.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811500600

Das Wort erhält nun der Kollege Peter Hintze.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811500700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Seit 150 Jahren, seit dem deutschen
Kaiserreich, ist die Hilfe zum Suizid straflos. Dieser
Grundsatz muss auch in einem demokratischen Rechts-
staat des 21. Jahrhunderts weiter gelten.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Nicht Staatsanwälte gehören ans Krankenbett, sondern
liebende Angehörige und vertrauensvoll zugewandte
Ärzte. Das Recht des leidenden Menschen, zu entschei-
den, ob er die Qual seines Todeskampfes noch ertragen
kann, muss unser Maßstab sein.

Mir erzählte gestern ein Kameramann spontan von ei-
nem Bekannten, dessen Gesicht von einem Tumor zer-
fressen war. Im Rahmen der Palliativmedizin war nichts
mehr zu machen. In seiner Verzweiflung sprang dieser
Mensch aus dem Krankenhausfenster. Er starb durch den
Aufprall. – Wir wollen nicht, dass sich ein verzweifelter
Todkranker aus dem Fenster stürzen muss, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Die große Mehrheit der Bevölkerung und die große
Mehrheit der Strafrechtswissenschaft lehnen eine Straf-
verschärfung ab. Der Bundestag sollte der Anwalt der
Menschen, der Anwalt der Bürger sein.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ein Wort zum Mitte-Gesetzentwurf – so nennt er sich
selbst – der Kollegen Brand und Griese. Darin heißt es,
es gehe lediglich um ein Verbot der geschäftsmäßigen
Suizidhilfe. Was aber ist „geschäftsmäßige Suizidhilfe“?
Geschäftsmäßige Suizidhilfe ist wiederholte Suizidhilfe.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Auf Wiederholung angelegt!)


Das heißt, ein Arzt, der einmal bei einem Suizid gehol-
fen hat und gefragt wird, ob er das vielleicht noch einmal
tun würde, macht sich schon strafbar.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Das ist doch gar nicht wahr!)


Wenn er es zweimal macht, macht er sich schon strafbar.


(Kerstin Griese [SPD]: Nein!)


Wer das nicht glaubt, der schaue bitte in den Gesetzent-
wurf der Kollegen Brand und Griese auf Seite 21. Das
steht dort in der Begründung; das haben Sie selber net-
terweise dort geschrieben.

Der Begriff „geschäftsmäßig“ ist im deutschen Recht
klar definiert. Er bedeutet „wiederholte Tätigkeit“.


(Kerstin Griese [SPD]: Auf Wiederholung angelegt!)


Wer könnte wiederholt tätig werden? Die Menschen, die
Sterbende begleiten, also Palliativmediziner, die sich um
die Linderung von Schmerzen bemühen, Onkologen, die
sich um die Heilung einer Krebserkrankung kümmern.
Wollen wir sie vor die Wahl stellen, ob sie, wenn sie ein-
mal in ihrem Leben einem Menschen geholfen haben, zu
sterben, dies noch ein zweites Mal tun würden, oder sol-
len sie unter die Strafandrohung im Brand/Griese-Ge-
setzentwurf fallen, der es ihnen verbieten würde? Das
wollen wir nicht.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Das zerstört das Arzt-Patienten-Verhältnis. Unsere
Ärzte stehen den Patienten bei. Sie versuchen, sie zu hei-
len. Sie versuchen, Schmerzen zu lindern. Sie machen
alles in ihrer Macht Stehende, um Menschen ein Leben
und ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Die Ärzte
verdienen unser Vertrauen und keine neuen Strafvor-
schriften, die sie verunsichern, liebe Kolleginnen und
Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Die Bevölkerung hat es nicht verdient, dass man sie
mit Angstparolen





Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)


(Kerstin Griese [SPD]: Genau! Das machen Sie!)


von einem großen gesellschaftlichen Druck, der dadurch
entstehen würde, und einer Tendenz, die die Menschen
dazu treiben würde, verschreckt. Nein, die Menschen
wollen selbstbestimmt leben; das ist der Kern der Men-
schenwürde. Sie wollen auch in der schlimmsten Phase
ihres Lebens, im Sterbeprozess, entscheiden, ob sie die-
ses Sterben ertragen oder ob sie den Arzt bitten können,
ihnen zu helfen, friedlich zu entschlafen, was jeder
Mensch will. Die Selbstbestimmung ist der Kern der
Menschenwürde. Sie gilt gerade auch am Ende des Le-
bens.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns geht es um die
Situationen, in denen die Palliativmedizin an ihre Gren-
zen stößt. Sie sind selten, aber es gibt sie, und dann sind
sie besonders bedrängend. Es geht in diesen Fällen nicht
um das Ob des Sterbens, sondern um das Wie des Ster-
bens: qualvoll oder friedlich? Dabei gilt für mich: Lei-
den ist immer sinnlos. Leiden müssen wir abwenden.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Unsere Regelung sieht vor, dass todkranke und
schwer leidende Menschen ihren Arzt des Vertrauens um
eine freiwillige Hilfe zum friedlichen Entschlafen bitten
dürfen, wenn sie umfassend über alle palliativen Mög-
lichkeiten beraten worden sind und ein anderer Arzt
diese Diagnose bestätigt hat. Damit wollen wir Ärzten
für ihre Gewissensentscheidung eine sichere Grundlage
geben, und durch diese Vorschrift im Bürgerlichen Ge-
setzbuch wollen wir sicherstellen, dass sie keine standes-
rechtlichen Sanktionen erdulden müssen. In manchen
Ländern in Deutschland müssen sie das schon heute
nicht, zum Beispiel im liberalen Bayern, was sehr erfreu-
lich ist. Das, was in Bayern gilt, soll in ganz Deutschland
gelten, nämlich dass der Arzt das Recht auf diese Gewis-
sensentscheidung hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Zwei zentrale Gebote tragen unsere Werteordnung:
das Gebot der Menschenwürde und das Gebot der
Nächstenliebe. Diese Gebote nehmen uns in die Pflicht,
todkranken Menschen beizustehen und vorm Leiden zu
bewahren.

Die Alternative heute ist klar: Bevormundung durch
Strafandrohung oder Selbstbestimmung als Kern der
Menschenwürde auch am Lebensende. Unser Gesetzent-
wurf steht für den Schutz der Gewissensentscheidung
von Ärzten, die todkranken Patienten dabei helfen wol-
len, friedlich zu entschlafen. Ich bitte Sie sehr um Unter-
stützung für unseren Gesetzentwurf.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811500800

Renate Künast ist die nächste Rednerin.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811500900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren, auch die,

die zuschauen oder oben sitzen! Ich glaube, es geht um
ein Thema, das sehr viele Menschen bewegt. Ich denke,
viele von uns haben es persönlich in vielen Gesprächen
in der letzten Zeit – auch wegen unserer Debatte – erlebt,
dass einen Menschen ansprechen und Veranstaltungen
zu dem Thema übervoll sind. Alle fragen sich: Was ist
ein würdiges Ende für mich selbst? Alle fragen sich oder
erleben bei Freundinnen, Freunden, Ehepartnern und Fa-
milienangehörigen, wie ein würdiges Ende aussehen
kann. Auch bei Krebskranken zum Beispiel ist die Frage
immer wieder präsent.

Mir haben sehr viele Leute gesagt, dass es nicht aus-
reicht und ihnen nicht hilft, zu wissen, dass es eine gute
Palliativmedizin gibt, weil auch die irgendwann an ihre
Grenzen kommt, abgesehen davon, dass die Palliativver-
sorgung in Deutschland noch lange nicht überall glei-
chermaßen gut ist.

Mir ist aber auch aufgefallen, wie viele Leute einen
ansprechen und sagen: Das entscheiden wir selber und
nicht ihr als Deutscher Bundestag.


(Kerstin Griese [SPD]: Das können sie auch selber!)


Viele Leute sagen: Das sollt nicht ihr regeln; wir machen
das selbstverantwortlich. Wir leben selbstverantwortlich,
und wir entscheiden selbst und im Gespräch mit unseren
Angehörigen über die letzten Tage, Wochen und Monate
unseres Lebens.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Deshalb fragen sich viele, was wir hier eigentlich für
Debatten führen. Ich glaube, dass wir als Deutscher Bun-
destag uns in dieser Debatte nicht nur über Gefahren Ge-
danken machen müssen – das müssen wir immer –, son-
dern auch darüber, was uns selbst als Motiv in der
Debatte treibt. Ich habe es an dieser Stelle schon einmal
gesagt: Wir sollen nicht das im Strafgesetzbuch regeln,
was wir selbst für richtig oder falsch halten, für uns sel-
ber und unsere Entscheidung, sondern wir sollen das re-
geln, was ein Gesetzgeber unserer Meinung nach tun
darf.

Wenn wir zu viel regeln und zu viel einschränken,
nehmen wir den Menschen die Möglichkeit der Aus-
übung ihrer Selbstbestimmung am Lebensende, weil wir
ihr Umfeld kriminalisieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Nikolaus Schneider, der ehemalige Ratsvorsitzende
der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat für sich
selber eine Entscheidung getroffen. Er meint: Suizid
geht nicht. Und er würde auch keinen anderen fragen.
Aber die Erkrankung seiner Frau hat, fand ich, eine
spannende Differenzierung gebracht, indem er gesagt
hat: Mir steht es nicht zu, und ich habe deshalb wider
meine eigene moralische Kategorie meiner Frau gesagt:
Ich fahre dich dort hin oder helfe dir, wenn du das ernst-





Renate Künast


(C)



(D)(B)

haft von mir erbittest. – Ich finde, diese Haltung müssen
wir als Bundestag ebenfalls einnehmen. Wir dürfen die
Türen nicht dort schließen, wo sie bereits heutzutage of-
fen sind und wo es Chancen gibt. Herr Brand, Sie haben
gesagt: Keine Tür aufmachen. – Falsch, Herr Brand! Die
Tür ist bereits offen. Aber wir als Deutscher Bundestag
dürfen die Tür nicht dort zuschlagen, wo Menschen eine
Beratung und ein Gespräch wollen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Mich hat beeindruckt, wie viele Menschen – dazu gehört
auch Hans Küng, ein gläubiger Mensch und überzeugter
Christ – das ebenfalls sagen. Es gibt aber auch Phasen
am Ende eines Lebens, in denen man sich anders ent-
scheiden könnte.

Was ist unsere Aufgabe? Ich glaube, unsere Aufgabe
ist, nicht das Strafgesetzbuch zu ändern, sondern Bera-
tung und Hilfe anzubieten und Suizidprävention zu be-
treiben. Aber warum tun wir das dann nicht, Frau
Griese? Warum stellen wir in den Kern unserer Bemü-
hungen nicht Suizidprävention, eine andere Palliativ-
medizin und Hilfe für Menschen in bestimmten Lebens-
situationen und schauen dann in ein paar Jahren, ob es
überhaupt eine Notwendigkeit gibt, das, was seit 1871
im deutschen Strafgesetzbuch gilt, zu ändern? Ich ver-
stehe den in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehenen Ablauf
nicht.

Ich glaube, Menschen brauchen keine Regeln, die in
Paragrafen gegossen sind und ihrem Umfeld Probleme
bereiten, selbst dem behandelnden Arzt. Ein Onkologe
beispielsweise, der in diesem Zusammenhang auf Wie-
derholung angelegte Handlungen begeht, muss gemäß
den anderen Gesetzentwürfen mit Nein antworten, weil
er sich sonst dem Vorwurf der geschäftsmäßigen Förde-
rung der Selbsttötung aussetzt. Schauen Sie sich Ihre
Definition von „geschäftsmäßiger Förderung“ an. Man
kann sogar ein Geschäft machen, ohne dass Geld fließt.
„Geschäftsmäßig“ bedeutet nach Ihrem Gesetzentwurf,
dass sich ein Arzt strafbar macht, wenn er es dreimal ge-
macht hat; da hat der Kollege Hintze recht.

Was die Menschen brauchen, sind Offenheit und Be-
ratung. In meinem ersten Leben war ich Sozialarbeiterin.
Spätestens seit dieser Zeit weiß ich: Eine gute Beratung
setzt Offenheit voraus. Ein Arzt darf deshalb nicht als
Erstes sagen müssen: Nein, das mache ich nicht. – Viel-
mehr muss er sagen dürfen: Schauen wir einmal, ob wir
dorthin kommen; ich schließe es nicht aus. – Oder der
Arzt könnte antworten: Versuchen wir es mit bestimmten
Mitteln; reden wir später erneut darüber. – Nach meiner
Meinung ließe sich mit einer solchen Offenheit viel
mehr Suizidprävention betreiben. Lassen wir die betref-
fenden Menschen doch nicht allein, auch wenn wir in re-
ligiöser Hinsicht anderer Auffassung sind.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Ich glaube, dass Sie auch den Ärzten an dieser Stelle
keinen Gefallen tun. Nach meiner Auffassung enthält
das geltende Strafgesetzbuch eine gute Regelung, weil
sie – anders als im Gesetzwurf Hintze – keine Engfüh-
rung bei Definition und Prognose vornimmt. Auch Men-
schen, die unter einer schweren Krankheit leiden, die
laut Prognose in den nächsten Wochen und Monaten
nicht zwingend zum Tod führen wird, müssen die Mög-
lichkeit einer ordentlichen Beratung haben. Wir müssen
uns selbst bei Menschen, die Suizid begehen wollen, mit
der Frage auseinandersetzen, wie sie das in Würde tun
können. Auch das liegt nach meiner Auffassung in unse-
rer Verantwortung. Mich erschrecken die Bilder von
Menschen, die sich – das haben auch schon Prominente
getan – vor den Zug werfen. Ich halte das für unwürdig.
Mich trifft emotional ebenfalls, wenn ich sehe, wie viele
Lokomotivführer nach einem solchen Vorfall psychisch
völlig fertig sind und aus dem Berufsleben ausscheiden
müssen. Wir haben auch Verantwortung für diejenigen,
die erwachsen sind und entschlossen sind, Suizid zu be-
gehen. Das sollten die Betreffenden in Würde tun kön-
nen, ohne andere zu belasten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Ich meine, dass es keine Strafbarkeitslücke gibt. Das
Strafrecht, dessen Regelungen seit rund 140 Jahren be-
stehen, muss Ultima Ratio sein. Wir dürfen das nicht für
andere bindend regeln. Wir dürfen nicht unsere eigene
Überzeugung zur Grundlage unserer Entscheidungen
machen; denn das Grundgesetz sieht nicht vor, dass un-
ser aller Entscheidung umgesetzt wird, sondern, dass das
Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen res-
pektiert wird, sowohl im Leben als auch im Sterben.

Nach all diesen Überlegungen sage ich Ihnen: Unser
Gesetzentwurf ist der Entwurf von Maß und Mitte. Un-
ser Gesetzentwurf orientiert sich am stärksten an der gel-
tenden Rechtslage. Die Selbsttötung soll weiterhin straf-
los bleiben, genauso wie die Hilfe dazu.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Wir setzen nicht auf Regeln, die beschränken. Wir
schreiben nicht vor, dass es eine Prognose geben muss,
wonach man in wenigen Wochen nach schwerem Leiden
und unter großen Schmerzen stirbt. Unser Kriterium
bringt das zum Ausdruck, was im Grundgesetz verankert
ist, nämlich dass Hilfe bei freiverantwortlicher Selbsttö-
tung zulässig ist. Was ist Freiverantwortlichkeit? Juristen
verstehen das so: Es heißt Volljährigkeit, und es heißt,
dass man nicht psychisch erkrankt ist, also seinen Willen
wirklich frei äußern kann. Das sind die Kriterien. Wenn
diese erfüllt sind, ist eine Beihilfe straffrei.

Wir nehmen in unserem Gesetzentwurf auch eine
Sorge auf, die manche äußern, nämlich die Sorge, dass
Menschen mit Beratung und Beihilfe Geld verdienen
wollen, was ein neues Motiv in die Angelegenheit ein-
führen würde. Deshalb haben wir nach langen Überle-
gungen gesagt, dass gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttö-
tung bestraft werden soll. Gewerbsmäßig heißt nach
juristischer Definition: Wer in der Absicht, sich selber
oder einem Dritten eine fortlaufende Einnahmequelle

(A)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen
will, der handelt gewerbsmäßig. Wer in dieser Absicht
handelt und Beihilfe leistet, der macht sich strafbar. Ich
glaube, dass wir genug getan haben, um diese Sorge aus-
zudrücken und eine kleine Mauer zu bauen. Damit das
finanzielle Interesse nicht als Eigeninteresse in die Bera-
tung hineinspielt, wollen wir da eine Sperre setzen.

Ansonsten fordern wir in unserem Entwurf – damit ist
er, wie ich glaube, am nächsten an der Realität –, dass es
detaillierte Pflichten zur Beratung und Dokumentation
gibt. Es geht uns um transparente Beratung. Diejenigen,
die schon heute eine gute Beratung anbieten, arbeiten
bereits transparent. So sollen zum Beispiel zwischen den
beiden Beratungen 14 Tage liegen, damit man wirklich
sieht, ob jemand freiverantwortlich und aus freier Ent-
scheidung handelt oder ob er oder sie aus einem Augen-
blick der Trauer heraus gehandelt hat, der ihn oder sie zu
der Entscheidung bewegt hat.

Ich glaube, mit diesen beiden Regeln, nämlich einer
klaren Dokumentationspflicht und den Beratungskrite-
rien sowie dem Verhindern, dass jemand Geld damit ver-
dient, haben wir an dem, was 140 Jahre im Strafgesetz-
buch gegolten hat, genug geändert. Auf der anderen
Seite sind wir der im Grundgesetz verankerten Selbstbe-
stimmung gerecht geworden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Menschen in großer Not ist nicht geholfen, wenn wir
mit lauter Paragrafen die Möglichkeiten, ihnen zu hel-
fen, eingrenzen, sondern denen ist damit geholfen, wenn
wir ihnen eine Hand reichen. Sie brauchen mehr Für-
sorge und nicht mehr Strafrechtsparagrafen. Sie brau-
chen die Verlässlichkeit, dass sie Fürsorge, Unterstüt-
zung und Kontakte erhalten. Sie müssen sich darauf
verlassen können, dass sie dann, wenn sie es nicht mehr
aushalten, Hilfe bekommen und nicht in die Schweiz
fahren müssen. Von Belgien und Holland wollen wir gar
nicht reden; darüber diskutiert hier keiner. Ich finde, dass
ein Mensch das Recht hat, am Ende, wenn er oder sie
meint, es nicht mehr aushalten zu können, professionelle
Hilfe zu bekommen. Dessen muss er sich gewiss sein.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811501000

Frau Kollegin.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811501100

Ich glaube, dass wir ethisch verpflichtet sind, den

Menschen diese Tür nicht vor der Nase zuzuschlagen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811501200

Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Sensburg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1811501300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir debattieren heute darüber, ob ein Dritter
einem Selbstmordwilligen bei seiner Tat Hilfe leisten
soll, Hilfe leisten darf. Ich glaube, alle Gruppen haben es
sich nicht leicht gemacht und haben nach bestem Gewis-
sen bei der Formulierung ihrer Gesetzentwürfe gehan-
delt.

Unsere Gruppe hat einen Entwurf zur heutigen De-
batte gestellt, mit dem die Suizidassistenz verboten wer-
den soll. Ich glaube, es ist ein kluger Entwurf. Gerade ist
gesagt worden, dass sich der Bundestag zum Anwalt der
Menschen machen muss. Ich glaube, lieber Peter Hintze,
dass er sich insbesondere zum Anwalt der Schwachen
machen muss.

Wir sind mit dieser Regelung nicht alleine, wenn der
Gesetzentwurf angenommen würde. In vielen anderen
europäischen Ländern ist die Suizidassistenz verboten;
in Österreich, in Italien, in Finnland, in Spanien, in
Polen und in England haben wir vergleichbare Regelun-
gen. Es ist also keine Sonderregelung. Wir haben uns bei
unserem Vorschlag sehr an der österreichischen Rege-
lung orientiert.

Wir sind auch gar nicht weit von dem, was die Men-
schen denken, entfernt. Eine Umfrage von Infratest
dimap hat ergeben, dass 93 Prozent der Bürgerinnen und
Bürger der Auffassung sind, dass es verboten sei, jeman-
dem zu helfen, einen Selbstmord zu begehen. Unser Ge-
setzentwurf spiegelt also das wider, was die Mehrheit
der Bürgerinnen und Bürger denkt. Warum denkt sie
das? Weil sie in dieser Handlung einen eigenen Unwert-
gehalt sieht. Denn es ist keine, wie oft gesagt wird, hu-
manitäre Tat, einem Menschen dabei zu helfen, sich um-
zubringen. Es ist eine humanitäre Tat, ihm in einer
schweren Lebenslage zur Seite zu stehen. Es ist nicht,
wie es gerade gesagt worden ist, humanitär, dabei zu hel-
fen, den im Kopf vorhandenen Selbstmordwunsch um-
zusetzen; humanitär ist vielmehr, einem Menschen in
Gesprächen zu helfen und ihn dazu zu bewegen, sich
nicht umzubringen. Wenn jemand in der letzten Lebens-
phase ist – mit Leid, auch mit Schmerz –, dann ist es
eine humanitäre Tat, ihm beizustehen, vielleicht wo-
chen-, monatelang am Bett zu bleiben und diese Phase
gemeinsam zu durchleiden. Eine Alternative dazu ist es
nicht, den schnellen Tod durch ein Sterbemittel zu er-
möglichen, indem man es zur Verfügung stellt. Das ist
der Ansatz des Gesetzentwurfs unserer Gruppe.

Wir wissen, dass die Stärkung der Palliativmedizin
der richtige Ansatz ist, dass die Ermöglichung von
Schmerzmitteln eine Hilfe bietet, auch dann, wenn sie
Leben verkürzt. All das soll auch nach dem Gesetzent-
wurf unserer Gruppe weiter möglich sein. Denn in der
letzten Lebensphase – mit Leid und Schmerz – wollen
diejenigen, die sagen: „Ich will so nicht mehr leben“, in
der Regel einen schnellen und einen schmerzfreien Tod.
Deswegen werden sie im Zweifel nach dem Arzt fragen.

Wir haben es gerade bei den Ausführungen vom Kol-
legen Michael Brand gehört: Sobald wir als Gesetzgeber
eine Öffnung regeln, sobald wir Fallkonstellationen zu
berücksichtigen versuchen, sobald wir versuchen,





Dr. Patrick Sensburg


(A)



(D)(B)

Krankheiten oder bestimmte Lebenssituationen im Ge-
setz abzubilden, öffnen wir eine Tür, die den Einzelfäl-
len nicht gerecht wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir glauben, dass wir nur mit einem Verbot grundsätz-
lich Klarheit schaffen können. Ansonsten werden wir er-
leben, wie es in dieser Debatte schon der Fall war, dass
wir darüber streiten, was der einzelne Gesetzentwurf ei-
gentlich meint. Es ging ja damit los, dass sich gegensei-
tig vorgeworfen wurde: Ihr meint dieses; ihr habt diese
Fälle im Kopf. Ihr meint jenes. – Das wird der Lebens-
wirklichkeit nicht gerecht.

Ich glaube, dass wir mit unserem Gesetzentwurf eine
klare Wertentscheidung treffen – das wird vom Gesetz-
geber verlangt: eine klare Wertentscheidung –, indem
wir in besonderen Ausnahmefällen, wo schweres Leiden
besteht, wo keine Heilungsmöglichkeit mehr vorliegt
und wo auch Schmerztherapien nicht helfen – wir reden
von sehr wenigen Fällen in Deutschland, wo wir im Ver-
gleich zu vielen anderen Ländern dieser Welt eine exzel-
lente Medizin haben –, wo tatsächlich Suizidassistenz in
der Verantwortung der beteiligten Personen geleistet
wird, nicht zu einer Strafbarkeit kommen, weil hier
– wenn diese Fälle vorliegen, aber auch bitte nur dann –
ein Schuldausschließungsgrund vorliegt. Ich wünsche
mir, dass wir in diesen wenigen Ausnahmefällen, denen
wir alle, glaube ich, sehr nahe sind, kein Verbot, keine
Strafbarkeit vorsehen sollten. Wir sollten hieraus aber
keine allgemeine Regelung ableiten, weil wir sonst da-
hin kommen, dass auch Personen, die kerngesund sind,
dafür infrage kommen, Suizidassistenz zu erhalten. Das
möchte ich nicht, und darum bitte ich, sich mit unserem
Gesetzentwurf näher zu beschäftigen.

Danke schön.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811501400

Kathrin Vogler ist die nächste Rednerin.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811501500

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wir, alle bisherigen Rednerinnen und
Redner, die die verschiedenen Gesetzentwürfe vorge-
stellt haben, sind uns in einem einig: Wir alle wollen
nicht, dass mit dem Sterbewunsch von Menschen ein
Geschäft gemacht wird. Das ist bisher in allen Reden
zum Ausdruck gebracht worden. Worin wir uns aber
nicht mehr einig sind, ist, wie dies am besten geregelt
werden kann.

Man kann es sich in der Frage, wie man mit Men-
schen umgehen soll, die sich das Leben nehmen wollen,
natürlich einfach machen, indem man sagt: Ich glaube,
dass das Leben von Gott kommt und der Mensch kein
Recht hat, es selbst zu beenden. Deshalb darf auch nie-
mand dabei helfen. – Ich teile diese Vorstellung aus-
drücklich nicht. In einer pluralen Gesellschaft wie unse-
rer kann das meines Erachtens auch nicht Grundlage der
Gesetzgebung sein. Gerade weil ich nicht an ein Leben
nach dem Tod glaube, bin ich der Auffassung, dass jeder
Mensch in seiner Einmaligkeit einen besonderen und
universellen Wert hat. Jeder Mensch ist sein Leben wert,
ganz gleich, ob jung oder alt, arm oder reich, stark oder
gebrechlich, mit oder ohne Handicap. Die Aufgabe einer
humanistischen Politik muss daher sein, diesen Wert des
Menschen auch gegen die Zumutungen einer Leistungs-
und Nützlichkeitsgesellschaft wie der unseren zu vertei-
digen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die selbsternannten Sterbehelfer, die einzeln oder im
Verein gezielt Menschen anbieten, ihnen bei der Selbst-
tötung zu helfen, sind meines Erachtens Ausdruck einer
Ideologie, die nur allzu gut in unsere kapitalistische Ge-
sellschaft passt. Sie wollen den Tod optimieren, indem
sie ihn effizient und technisch perfekt zu einer jederzeit
verfügbaren Dienstleistung machen. Dafür werben sie.
Ich halte dies für unmenschlich und zynisch, für ein bö-
ses Spiel mit den ganz realen Nöten und Ängsten von
Menschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der geschäfts-
mäßigen Förderung von Suizid ist geeignet, dieses zyni-
sche Geschäftsmodell zu unterbinden, ohne dabei den
Suizid selbst oder die Beteiligung daran grundsätzlich
oder für bestimmte Personen unter Strafe zu stellen. Um
es noch einmal klar zu sagen: Niemandem wird verbo-
ten, Menschen beim Suizid zu unterstützen – außer den-
jenigen, die dies systematisch und wiederholt, eben ge-
schäftsmäßig, tun. Der Gesetzentwurf unterscheidet
hierbei auch nicht zwischen Ärztinnen und Ärzten einer-
seits und anderen Personen andererseits. Das bedeutet:
Auch eine Ärztin könnte in einem Einzelfall einem
schwer leidenden Patienten, dem sie anders nicht zu hel-
fen weiß, die Mittel zu seiner Selbsttötung verschaffen,
unter Umständen, sofern sie es nicht von vornherein da-
rauf angelegt hat, auch ein zweites Mal. Allerdings
dürfte sie diesen Akt nicht zu einem regelmäßigen Be-
standteil ihrer Tätigkeit machen. Einen Facharzt für Le-
bensbeendigung wird es mit diesem Gesetzentwurf nicht
geben, und das finde ich auch richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wird auch nicht in jedem Behandlungszimmer ein
Staatsanwalt aufmarschieren und die Gespräche belau-
schen, die Menschen in existenzieller Not mit ihren Ärz-
tinnen und Ärzten, mit Pflegekräften, Angehörigen,
Freundinnen und Freunden führen. Die Vereine könnten
selbstverständlich weiter beraten, informieren und auf-
klären. Auch Nikolaus Schneider könnte nach seinem
Gewissen und dem Wunsch seiner Frau weiter handeln.
Unser Gesetzentwurf ist also geeignet, die Selbstbestim-

(C)






Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)

mung der Menschen und das Recht auf Leben gleicher-
maßen zu schützen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zum Schluss noch eine persönliche
Bemerkung machen. Ich verstehe gut, wenn sich Men-
schen vor dem Verlust der Selbstständigkeit fürchten.
Ich kann das nachvollziehen. Als ich vor 18 Jahren
meine MS-Diagnose bekam, konnte ich nicht ahnen,
dass ich heute hier vor Ihnen stehen kann, dass ich noch
laufen kann, dass ich noch sehen kann, dass ich mich an-
ziehen kann und dass ich mein Butterbrot selbst schmie-
ren kann. Ich habe Glück gehabt. Doch es könnte ebenso
gut anders sein, und in der Situation würde ich nicht
wollen, dass mir die Gesellschaft einerseits ganz einfa-
chen Zugang zum Suizid anbietet, während sie für mich
andererseits riesige Hürden errichtet, wenn es darum
geht, das Leben mit Leben zu füllen. Das fängt an bei
den niedrigen Erwerbsminderungsrenten, geht weiter bei
den unzureichenden Leistungen der Pflegekasse und en-
det noch lange nicht an den Treppenstufen vor meiner
Stammkneipe. In der ganzen Debatte habe ich immer
wieder gehört, dass ein Leben mit Krankheit, Behinde-
rung oder mit Bedarf an persönlicher Assistenz als un-
würdig empfunden wird.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt so nicht!)


Verzeihung, aber das kann ich so nicht stehen lassen.
Würde hängt doch nicht davon ab, ob man noch allein
auf die Toilette gehen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, egal welchen Ge-
setzentwurf Sie bevorzugen – ich möchte Sie einfach da-
rum bitten, diesen Gedanken mitzunehmen und in der
weiteren Debatte zu berücksichtigen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811501600

Carola Reimann ist die nächste Rednerin.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1811501700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der
Orientierungsdebatte im November sind einige Monate
vergangen, Monate, in denen wir Gelegenheit zu Veran-
staltungen und vielen Gesprächen hatten. Diese Gesprä-
che haben für mich bestätigt, was Umfragen schon lange
und immer wieder zeigen: Die Menschen wollen nicht,
dass der Staat mit neuen Verboten in den sensiblen Be-
reich zwischen Leben und Tod eingreift. Wer ein Leben
lang für sich selbst entscheidet, möchte auch in der wohl
schwersten Phase, am Lebensende, selbst entscheiden.
Die Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen,
wie viel Leid und wie viel Kontrollverlust sie ertragen
müssen. Sie wollen, dass wir ihre Bedürfnisse und die
ihrer Angehörigen in den Mittelpunkt dieser Debatte
stellen. Diesem Wunsch entsprechen wir mit unserem
Gesetzentwurf.

Wir verzichten als einzige Gesetzesinitiative auf eine
Verschärfung des Strafrechts. Wir lehnen jeden Eingriff
in das Strafrecht kategorisch ab. Wir sehen aber schon
gesetzgeberischen Klarstellungsbedarf. Denn obwohl
die Suizidbeihilfe bislang in Deutschland straflos ist, un-
tersagt das ärztliche Standesrecht in 10 der 17 Landes-
ärztekammern die Beihilfe zum Suizid. Dieser Flicken-
teppich an widersprüchlichen Regelungen führt dazu,
dass zum Beispiel in Essen etwas anderes gilt als in
Bochum. Es braucht keine große Fantasie, um sich vor-
stellen zu können, dass ein solches Regelungschaos bei
Ärzten, aber erst recht bei Patientinnen und Patienten
Unsicherheit auslöst. Deshalb, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sehen wir eine zivilrechtliche Regelung vor,
die Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte schaffen
wird. Mit der Erlaubnis der Suizidbeihilfe für Ärzte be-
enden wir das Regelungschaos der Berufsordnung und
geben eine klare Botschaft an alle Betroffenen:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Niemand muss ins Ausland fahren. Niemand muss sich
an medizinische Laien oder selbsternannte Sterbehelfer
wenden. – Wir ermöglichen, dass sich Menschen in gro-
ßer Not ihrem Arzt anvertrauen können, weil er den Pa-
tienten gut kennt und fachlich am besten informieren
kann. Damit schaden wir Sterbehilfevereinen mehr als
mit Strafrechtsparagrafen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir entziehen diesen Vereinen die Existenzgrundlage,
indem wir professionelle Hilfe und Beratung durch ihren
Arzt rechtssicher machen.

Wir haben ganz bewusst das Arzt-Patienten-Verhält-
nis ins Zentrum unseres Gesetzentwurfs gestellt und
nicht die Aktivitäten einer überschaubaren Zahl von
selbsternannten Sterbehelfern. Dafür gibt es gute
Gründe. Seit Jahren gibt es immer wieder Anläufe und
neue Versuche, mit strafrechtlichen Verboten gegen Ster-
behilfevereine vorzugehen. Sie sind auch deshalb alle
gescheitert, weil die unerwünschten Nebenwirkungen
solcher Verbote gravierend sind. Die kritischen Fragen
von damals müssen wir uns auch heute stellen: Rechtfer-
tigen die Aktivitäten weniger Sterbehelfer einen Eingriff
ins Strafrecht, der Auswirkungen auf die Arbeit einer
viel größeren Zahl von Ärzten hat? Geben wir, um Ster-
behilfevereine zu unterbinden, den seit 150 Jahren be-
währten Grundsatz auf, dass der Suizid und auch die
Beihilfe zum Suizid straflos sind? Und nehmen wir billi-





Dr. Carola Reimann


(A) (C)



(D)(B)

gend in Kauf, dass wegen Kusch und Co. künftig allen
Ärzten, die Hilfe zum Suizid leisten, staatsanwaltschaft-
liche Ermittlungen drohen? – Ich finde, Kolleginnen und
Kollegen, hier schaden die Nebenwirkungen mehr, als
die Hauptwirkung nutzt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Folge ist immer ein Risiko für Ärzte, die regelmäßig
in einem solchen Grenzbereich arbeiten.

Gesetzliche Regelungen im Strafrecht lösen keine
Probleme, sie schaffen zusätzliche. Sie gefährden das
vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis und führen
dazu, dass Sterbenskranke in ihrer Not ins Ausland ge-
hen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen einen anderen Weg gehen. Wir wollen das
Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient stärken,
damit Menschen in existenzieller Not fachlich fundierte
Hilfe und Information bekommen. Dazu gehören auch
die Möglichkeiten der Palliativmedizin.

Kolleginnen und Kollegen, nicht selten führt die Ge-
wissheit, sich in einer aussichtslosen Situation an seinen
Arzt wenden zu können, dazu, dass Menschen von ei-
nem Suizidwunsch letztlich Abstand nehmen. Ich bin
der festen Überzeugung: Suizidprävention gelingt nicht
mit dem Strafrecht. Suizidprävention gelingt nur in ei-
nem rechtssicheren Raum, in dem das vertrauensvolle
Gespräch zwischen Arzt und Patient möglich ist.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Ist es doch!)


Diesen rechtssicheren Raum wollen wir mit unserem
Gesetzentwurf schaffen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811501800

Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Sitte.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811501900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie kann

es, wenn es um Leben, Sterben und Tod geht, Gewisshei-
ten geben? Diese Frage stellt sich insbesondere in einer
pluralen Gesellschaft wie der unseren. Welcher ethi-
schen Vorstellung, welchen Sinnwelten wir auch nach-
hängen: Immer wollen wir darauf vertrauen, diese auch
leben zu können, sei es, dass wir Leben, Sterben und Tod
als von welchem Gott auch immer gegeben oder genom-
men ansehen, sei es, dass wir selbstbestimmte, konfes-
sionell ungebundene Entscheidungen auch in solch exis-
tenziellen Fragen anstreben.

Für unsere Diskussion bedeutet dies konkret: Wer
Hilfe zur Selbsttötung ohnehin ablehnt, bedarf eines Ver-
botes durch den Gesetzgeber nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)


Wer aber Suizidassistenz nicht ausschließt, dem soll sie
nicht genommen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei ist Suizidassistenz zunächst nur eine Möglichkeit,
die noch lange nicht den Vollzug einschließt. Der
Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der sich vor dem
Endstadium seines Hirntumors erschoss, hat geschrie-
ben:

… ich wollte ja nicht sterben, zu keinem Zeitpunkt,
und ich will es auch jetzt nicht. Aber die Gewiss-
heit, es selbst in der Hand zu haben, war von
Anfang an notwendiger Bestandteil meiner Psycho-
hygiene. … es am Ende auch zu tun, ist noch eine
ganz andere Frage. … Ich muss wissen, dass ich
Herr im eigenen Haus bin. Weiter nichts.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn eine Gesellschaft wie unsere nicht müde wird,
individuelle Verantwortung in der Lebensgestaltung und
in der Lebensführung zu betonen, wieso soll diese beim
Sterben aufhören? Über sein Sterben, über seinen Tod
frei entscheiden zu können, ist doch Ergebnis eines emo-
tional schweren, schmerzhaften Abwägungsprozesses.
In diesem spielen lange Zeit die Alternativen die weitaus
größere Rolle, weil man sich eben das Nichtsein gar
nicht vorstellen kann.

Mit wem spricht man über diese Alternativen? Mit
der Ärztin, den Angehörigen, Freunden, gegebenenfalls
auch mit dem Pfarrer, auf jeden Fall aber mit Menschen,
zu denen man eine enge Bindung und Vertrauen hat bzw.
haben kann. Aber gerade diese Menschen – ich habe das
immer wieder in Gesprächen erlebt – fühlen sich von
den Ratsuchenden bisweilen heillos überfordert. Sie sind
von Mitgefühl überwältigt oder eben auch ganz konkret
durch die Organisation des Pflegealltags völlig überlas-
tet. Bis auf Hospiz- und Palliativmediziner hat die Mehr-
zahl der Ärzte, auch nach ihrer eigenen Auskunft, gar
keine hinreichende Erfahrung im Umgang mit Wün-
schen nach Sterbehilfe. Umgekehrt möchten Ratsu-
chende ihre Angehörigen, Freunde oder eben auch ihren
Arzt nicht mit ihren Gefühlen und Problemen belasten.
Manche ertragen das dabei mitschwingende Mitleid
auch gar nicht. Deshalb brauchen wir eine kompetente
dritte Seite für die Beratung aller Beteiligten und Betrof-
fenen. Deshalb soll Beihilfe zum Freitod nicht nur Ein-
zelpersonen, sondern weiterhin auch Vereinen gestattet
werden, solange sie uneigennützig und ergebnisoffen be-
raten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn es ist völlig klar: Wer auf einen Eigennutz, gar auf
einen finanziellen Profit bei der Suizidassistenz aus ist,





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)

wird kaum unabhängig und ergebnisoffen beraten. Zu-
mindest darüber dürfte es hier in diesem Haus größte Ei-
nigkeit geben.

Auf der Basis der Regeln und Anforderungen für
Sterbehilfeorganisationen, die wir in unserem Gesetzent-
wurf vorschlagen, sollte es doch möglich sein, organi-
sierter Beratung zu vertrauen. Renate Künast hat die Kri-
terien vorhin bereits erläutert.

„Ich verlange Ehrfurcht gegenüber Sterbewilligen“,
hat Wolfgang Herrndorf uns aufgegeben. Diese Ehr-
furcht umfasst den Respekt vor dem ganz persönlichen
Begriff von Würde sowie vor Freiheit und Selbstbestim-
mung am Lebensende. Sie bedeutet auch, den Sterbe-
wunsch der Menschen ernst zu nehmen. Nur wenn das
getan wird, lassen sich mit diesen Menschen Alternati-
ven zur Vermeidung der Selbsttötung glaubhaft bereden.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811502000

Thomas Dörflinger ist der nächste Redner.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1811502100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will eine
Vorbemerkung machen, weil ein Thema von vielen Red-
nerinnen und Rednern heute Morgen angeklungen ist
und diese Debatte sicher auch noch durchzieht und ein
Kernstück der Diskussion sein muss. Es ist ein Punkt, an
dem sich viele von uns – wahrscheinlich die allermeisten –
einig sind, dass das, was der Deutsche Bundestag in der
letzten Sitzungswoche debattiert hat, nämlich Rahmen-
bedingungen für Palliativmedizin und Hospizbewegun-
gen zu schaffen, von vielen als ein erster Schritt begrif-
fen wurde, dem weitere folgen müssen. Das bildet die
Rahmenbedingungen für das ab, was wir heute unter
dem Thema Suizidbeihilfe diskutieren.

Diese Debatte ist deswegen spannend, weil sie für
viele von uns nicht nur durch eigene Erfahrungen ge-
prägt ist, sondern auch durch die hohe Verantwortung,
die jeder und jede von uns spürt, wenn es darum geht, in
der Gesetzgebung unterschiedliche Rechtsgüter gegenei-
nander abwägen zu müssen. Heute sind es zwei, die glei-
chermaßen Verfassungsrang haben: auf der einen Seite
das Recht auf die freie Selbstbestimmung des Einzelnen,
auf der anderen Seite das Leben. Für mich ist das Leben
das höchste Gut, das die Verfassung zu schützen hat,
weil es die Voraussetzung ist, damit sich alle anderen
Güter entfalten können. Es ist zwar theoretisch vorstell-
bar, dass es ein Leben ohne freie Selbstbestimmung gibt.
Wünschenswert – darin sind wir uns wohl einig – ist dies
nicht, auch wenn es theoretisch vorstellbar ist. Die freie
Willensbestimmung ohne Leben – darin sind wir uns
ebenso einig – ist definitiv ausgeschlossen. Deswegen,
glaube ich, ist das höchste Parlament in Deutschland
auch in der Verpflichtung, bei Abwägung von Rechtsgü-
tern, die Verfassungsrang haben, dem Leben gegenüber
anderen Rechtsgütern, die Verfassungsrang haben, Prio-
rität einzuräumen und dementsprechend zu handeln.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist das Bild bemüht worden, dass der Gesetzent-
wurf, den Patrick Sensburg, Hubert Hüppe, Peter Beyer
und ich und andere vorgelegt haben, sozusagen den
Staatsanwalt an das Krankenbett bzw. an das Pflegebett
bemühe. Das ist zugegebenermaßen ein plastisches Bild,
aber wohl ein virtuelles. Wenn diese Gefahr ernsthaft be-
stünde, dann müssten wir derlei in praxi aus Österreich,
aus Italien, aus Spanien, aus Großbritannien, wo die
Rechtslage heute so ist, wie wir sie fordern, eigentlich
kennen. Mir sind derlei Beispiele nicht bekannt. Deswe-
gen halte ich diese Diskussion für weitgehend virtuell.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will einen Punkt aufgreifen, den Michael Brand
zu Beginn dieser Debatte eingeführt hat, weil mich die-
ser Punkt nachdenklich gemacht hat und weil wir, Herr
Kollege Brand, uns in diesem Punkt sehr einig sind. Ich
habe schon aus geografischen Gründen vor vielen Jahren
den Beginn einer Diskussion zu einem Thema in der
Schweiz verfolgt, das wir heute auf der Tagesordnung
haben. Ich habe es insbesondere auch vor dem Aspekt
verfolgt: Wie reagieren diejenigen, die sich unseren Par-
teifamilien zugehörig oder verwandt fühlen, in dieser
Frage? Wie agieren sie politisch? Mich hat seinerzeit die
Sorge umgetrieben, dass das, was dort in wohlmeinender
Absicht diskutiert worden ist und letztlich auf den Weg
gebracht worden ist, denjenigen, die das auf den Weg ge-
bracht haben, möglicherweise wieder auf die Füße fallen
könnte. Wenn ich heute Bilanz ziehe, dann ist genau das
eingetreten. Die Niederlande und Belgien haben ähnli-
che Erfahrungen gemacht. Ich will vermeiden helfen,
dass wir ähnliche Erfahrung in Deutschland machen.
Deswegen werbe ich dafür, dass der Gesetzgeber an die-
ser Stelle eine möglichst eindeutige Regelung trifft, da-
mit die Tür zu bleibt.

Und ich sage aus unserer Sicht, aus der Sicht von
Patrick Sensburg und mir: Damit die Tür zu bleibt, ist
eine Regelung im Strafgesetzbuch mit einem neuen
§ 217 notwendig, der freilich – das gebe ich zu, und das
räume ich ein; es ist uns auch wichtig – die Möglichkei-
ten, die das Strafgesetzbuch heute schon bietet, etwa
dass man Sterbende straffrei in den Tod begleiten kann,
unberührt lässt. Daran soll sich nichts ändern. Es ist uns
sehr wichtig, dass da kein Widerspruch entsteht, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will mit einer persönlichen Bemerkung schließen,
die vielleicht viele von uns in dieser oder in ähnlicher
Weise schon gemacht haben. Wenn Sie Menschen be-
gegnen, die sich in einer krankheitsbedingt schwierigen
Phase befinden, durch die sie gelegentlich auch mit dem
eigenen Tod konfrontiert werden, dann haben Sie sicher-
lich beispielsweise bei Besuchen genauso wie ich schon
die Einschätzung gehört: Ja, wenn es denn bald zu Ende
wäre! – Das ist die temporäre Einschätzung, eine mo-
mentane Stimmung. Sie haben vielleicht auch die Erfah-





Thomas Dörflinger


(A) (C)



(D)(B)

rung gemacht, dass, wenn der Besuch dann zu Ende war,
diese Einschätzung, es möge bald zu Ende gehen, vom
Tisch war und man sich gefreut hat, den einen oder die
andere wiederzusehen und daraus ein bisschen neuen
Lebensmut zu schöpfen. Deswegen sage ich zum
Schluss: Wenn bei einem krankheitsbedingt mit dem Tod
Konfrontierten diese Einschätzung eintritt: „Ach, möge
es bald zu Ende sein!“, dann ist insbesondere der Gesetz-
geber in der Verpflichtung, nicht das Fläschchen zu rei-
chen, sondern Hilfe anzubieten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811502200

Nächster Redner ist der Kollege Harald Terpe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)



Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811502300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Vielen von uns
ist spätestens in den Diskussionen der vergangenen Mo-
nate bewusst geworden, dass in Erwartung des Lebens-
endes, des Sterbens gar, Krankheit und Schmerz, Ein-
samkeit und das Gefühl, zur Last zu fallen, oder auch nur
die Furcht davor von jedem von uns Besitz ergreifen
können. Derartige existenzielle Krisen machen die Be-
troffenen unsicher und anfällig, umso mehr, wenn es um
Leben und Tod geht. Viel spricht deshalb dafür, dass sich
der Freiheitsgrad von Entscheidungen verschiebt, der
Wille sehr volatil und die Selbstbestimmung bedroht ist.

Vor diesem Hintergrund haben wir die Notwendigkeit
gesehen, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttö-
tung strafrechtlich zu unterbinden und somit Fremdbe-
stimmung vorzubeugen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Unsere Mitmenschen sollen sich gerade nicht genötigt
fühlen, eine derartige geschäftsmäßig organisierte Bei-
hilfe zur Selbsttötung quasi im Gewand einer normalen
Dienstleistung als vermeintlich einfache Lösung aller
Probleme in Anspruch zu nehmen.

Ich betone: Die Dualität von Freiheit und Verantwor-
tung in unserer Gesellschaft gebietet mir, organisierte
Suizidbeihilfe nicht als soziale Normalität billigend in
Kauf zu nehmen, sodass der Suizid zu einer Handlungs-
option wird, die gleichberechtigt neben anderen steht.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Das gilt auch und besonders für den ärztlich assistier-
ten Suizid. Wir machen in unserem Gesetzentwurf kei-
nen Unterschied zwischen Ärzten und Nichtärzten. Wir
wollen kein Sonderrecht für die Ärzte beim Suizid, we-
der besondere Verbote noch besondere Vorrechte. Der
assistierte Suizid ist für mich keine ärztliche Aufgabe
und sollte es meiner Ansicht nach auch nicht werden,
und das gerade wegen der besonderen Vertrauensstel-
lung, die Ärzte genießen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ich bin der Meinung, das verhindert eine Auseinander-
setzung, ein Gespräch über den Suizid. Ärzte sollten da-
her rechtlich genauso behandelt werden wie alle anderen
Staatsbürger – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Um in diesem Zusammenhang noch ein Missver-
ständnis aufzuklären: Es wird immer unterstellt, unser
Gesetzentwurf greife in die Arbeit von Ärztinnen und
Ärzten auf onkologischen und Palliativstationen ein
– ich kann mich an Redebeiträge erinnern, in denen das
besonders schrill vorgetragen worden ist –, aber das ist
falsch. Gerade diese ärztliche Berufsgruppe hat ein an-
deres Selbstverständnis und auch ein anderes Behand-
lungsziel, nämlich Sterbenden zu helfen, Schmerzen und
Angst zu lindern, Menschen das Sterben zu erleichtern.
Hilfe beim Suizid ist nicht Ziel oder regelmäßiger Mit-
telpunkt ihrer Tätigkeit. Sie bleiben deshalb auch nach
unserem Gesetzentwurf straflos.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich bitte auch darum, in den öffentlichen Diskussionen
nicht immer wieder zu behaupten, dass anschließend der
Staatsanwalt in die Palliativstationen und in die Hospize
Einzug hält, weil wir im Gesetz irgendeine Lücke lassen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Eine wichtige Frage ist: Bleibt nun die Selbstbestim-
mung auf der Strecke? Mitnichten. Auch wenn es oft an-
ders suggeriert wird: Unser Gesetzentwurf ändert nichts
an der Tatsache, dass der Suizid in Deutschland straflos
ist; das soll so bleiben. Und er ändert nichts daran, dass
Menschen, die einem anderen in einer existenziellen
Krise – hier geht es um individuelles Erleben, indivi-
duelles Vertrauen und individuelle Verantwortungsüber-
nahme – beim Suizid helfen, in der Regel straflos blei-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Unser Gesetzentwurf schränkt die Entscheidungsfrei-
heit des Einzelnen nicht ein – im Gegensatz beispiels-
weise zum Gesetzentwurf des Kollegen Hintze und
anderer, die bezüglich des ärztlich assistierten Suizids
genau festlegen wollen, wann ein Mensch ihn in
Anspruch nehmen darf und wann nicht, an der ungere-
gelten Wirkung von Sterbehilfevereinen offenbar aber
keinen Anstoß nehmen. Ich sage voraus: Hier werden
sich Allianzen bilden; denn es gibt offensichtlich viele
Kolleginnen und Kollegen, die an der ungeregelten Wir-
kung von Sterbehilfevereinen nichts ändern wollen.

Bei der anstehenden parlamentarischen Auseinander-
setzung sollten wir daher genau hinschauen: Wir sollten
Menschen, die leiden, Hilfe anbieten – durch Stärkung
der Palliativmedizin, der Hospizbewegung und der
Pflege. Wir haben bereits entsprechende Gesetzesvorha-
ben auf den Weg gebracht.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811502400

Herr Kollege.


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811502500

Wir sollten Menschen am Ende ihres Lebens das Ster-

ben erleichtern, das Sterben seinen Lauf nehmen lassen.





Dr. Harald Terpe


(A) (C)



(D)(B)

Aber wir sollten nicht einer vermeintlich einfachen Lö-
sung das Wort reden.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811502600

Das Wort erhält nun die Kollegin Katherina Reiche.


Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1811502700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Beihilfe zum Suizid ist seit 1871 straffrei, und wenn der
Suizid straflos ist, dann muss auch die Beihilfe zum Sui-
zid straflos sein, so die rechtssystematische Logik seit
der damaligen Zeit bis heute. Diese Regelung hat sich
als lebensklug und als menschlich bewährt.

Unsere Rechtsordnung geht von der Selbstbestim-
mung des Menschen aus. Welches Maß an Leid ein
Mensch erdulden kann, das kann nur er selbst bestim-
men. Patienten können Therapien ablehnen. Patienten
können sich lebensnotwendigen Operationen entziehen.
Niemand kann zur Medikamenteneinnahme gezwungen
werden. Aber wenn es um die letzten Stunden und Tage
geht, also darum, wie lange ein Mensch noch Leid zu er-
tragen imstande ist und was er für sich selbst als würde-
voll empfindet, da soll der Staat mit dem schärfsten
Schwert, das er hat, dem Strafrecht, zuschlagen? Ich
finde das grundlegend falsch. Das wäre quasi eine
Rechtspflicht zum Erleiden von Qualen.

Auch der Versuch, zwischen gewerbsmäßiger und
ärztlicher Suizidbeihilfe zu unterscheiden, führt in die
Irre. Sehr geschätzter Kollege Terpe und auch andere
Vorredner der Gruppe, da unterscheiden wir uns tatsäch-
lich. Wie Sie haben auch wir mit Ärzten, mit Strafrechts-
lehrern, mit Verfassungsrechtlern gesprochen, und nicht
wir, sondern diese weisen uns auf den Umstand hin, dass
einem Staatsanwalt gar nichts anderes übrig bliebe als zu
ermitteln, zum Beispiel in onkologischen Praxen, wo na-
turgemäß mehr Patienten sind, die den Kampf zwischen
Leben und Tod in ihrer letzten Phase führen, als in Pra-
xen anderer Fachrichtungen.

Mit der Patientenverfügung haben wir das Selbstbe-
stimmungsrecht der Patienten gestärkt. Wir haben das
Selbstbestimmungsrecht gestärkt, weil dies ein elemen-
tarer Wunsch der Menschen ist. Die Segnungen der mo-
dernen Medizin haben dazu geführt, dass früher unheil-
bare Krankheiten heute heilbar sind. Sie haben dazu
geführt, dass Leid und Schmerzen viel besser zu ertragen
sind und dass Patienten dank hervorragender Palliativ-
medizin bis in ihre letzten Stunden gut begleitet sind.
Aber es gibt Fälle, da kann weder die Palliativmedizin
noch irgendeine andere Fachrichtung mehr etwas aus-
richten. Es gibt Fälle, wo der Patient nicht mehr kann,
wo er auch nicht mehr will, wo er sich auch selbst nicht
mehr ertragen kann, wo er selbst seinen Zustand als un-
würdig empfindet. Frau Kollegin Vogler, das ist absolut
individuell, und das wird keiner von uns für einen ande-
ren bestimmen können.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Dem würde ich auch nicht widersprechen!)

Welcher Zeitpunkt das ist, kann nur er für sich entschei-
den, und hier hat der Staat Abstand zu wahren. Wo es um
die innersten Bereiche des Menschen geht, da hat das
Strafrecht zu schweigen. Ich fürchte, dass wir ungewollt
mit diesen Anträgen diese Schwelle überschreiten. Hier
setzt unser Antrag an.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Von den 17 Landesärztekammern in Deutschland
verbieten 10 standesrechtlich die ärztliche Beihilfe zum
Suizid. Das Berufsrecht verbietet also etwas, wozu das
Strafrecht explizit schweigt. Das verunsichert Ärzte, das
verunsichert Patienten, und das führt dazu, dass in dieser
wichtigen Frage – wie will ich sterben? – weniger Raum
da ist und sich Patienten in ihrer Not an obskure Sterbe-
vereine wenden – für viel Geld – oder den Weg des ein-
samen Freitods gehen.

Wir wollen das ändern. Wir wollen, dass jeder Arzt,
egal wo er praktiziert, in Berlin, in Bochum oder in
München, dasselbe Standesrecht hat. Wir wollen ihm die
Möglichkeit geben, mit seinem Patienten eine verant-
wortungsvolle Gewissensentscheidung zu treffen. Wie
der Arzt sich entscheidet, kann wiederum nur er allein
bestimmen. Auch hier soll der Grundsatz der Freiwillig-
keit gelten. Trifft ein Arzt diese Gewissensentscheidung,
dann wollen wir ihn vor möglichen berufsrechtlichen
Sanktionen bewahren. Wir wollen, dass das, was unser
Strafrecht gestattet, auch in der ärztlichen Berufsaus-
übung gestattet ist. Ich möchte, dass sich ein Patient, der
einen langen Leidensweg hat, an seinen Arzt und eben
nicht an diese Vereine wendet und nicht in die Schweiz
reisen muss. Ich bin überzeugt, wenn wir das Arzt-Pa-
tienten-Verhältnis auch in solchen extremen Phasen an
der Schwelle von Leben und Tod stärken, dann entzie-
hen wir den Sterbevereinen die Grundlage ihres Wir-
kens. Ärzte und Patienten wünschen sich, dass wir ihnen
vertrauen. Ich finde, sie haben dieses Vertrauen verdient.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811502800

Kai Gehring erhält nun das Wort.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811502900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Sterben gehört zum
Leben dazu. Gleichwohl ist der Tod eines der letzten Ta-
bus in unserer Gesellschaft. Viele sind im Umgang mit
Sterbenden und mit Trauernden extrem unsicher. Ent-
tabuisierung und eine neue Kultur der Sorge und Zuwen-
dung halte ich für elementar. Eine humane Gesellschaft
braucht Empathie; denn nichts ist schrecklicher, als ei-
nen geliebten Menschen zu verlieren.

Ich war 19, als mein Vater durch einen Verkehrs-
rowdy ums Leben kam. Im April hätten wir seinen
65. Geburtstag gefeiert. Ich war 13 und 21, als meine
Großeltern nach schwerer Krankheit auf der Intensivsta-





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)

tion starben. Ich war 32, als die engste Freundin unserer
kleinen Familie im Hospiz nach vielen Monaten ihrem
Krebsleiden erlag. Ich sage das, um Bewusstsein zu
schärfen: Lebens-, Pflege- und Sterbeerfahrung sind
keine Frage des Alters. Aus diesen Erfahrungen heraus
rate ich allen, die Angst vor absoluter Fremdbestimmung
im Sterben haben, zu einer Patientenverfügung, am bes-
ten kombiniert mit einer Vorsorgevollmacht, und dazu,
mit Ihren Nahestehendsten intensiv darüber zu sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Warum habe ich diesen Gesetzentwurf mit Renate
Künast und Petra Sitte erarbeitet? Für mich ist der ein-
zelne Mensch Souverän des eigenen Lebens. Jeder hat
seine ganz persönliche Definition von Würde und Auto-
nomie, die von uns Gesetzgebern unbedingt zu respek-
tieren ist. In der existenziellsten aller Fragen sollte sich
der Staat zurückhalten. Daraus folgt für mich, das Spek-
trum der letzten Hilfe beim frei verantwortlichen Suizid
weitestgehend so zu erhalten, wie es ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Angehörigen, Nahestehenden, Ärzten und Sterbehelfern
soll also Beihilfe erlaubt sein.

Die Betroffenen selbst sollen entscheiden dürfen,
wem sie sich anvertrauen, wen sie notfalls um letzte
Hilfe bitten. Die Sterbewilligen gehören in den Mittel-
punkt der Debatte. Sie benötigen Fürsorge, einen Strauß
helfender Hände und ergebnisoffene Beratung. Daraus
kann auch eine Entscheidung zum Weiterleben erwach-
sen. Verbote oder Kriminalisierung der Helfer helfen
Menschen in allergrößter Not nicht, sondern verschärfen
ihre Lebenskrise und das Risiko brutaler Affekt- und
Verzweiflungssuizide. Daher lassen Sie uns das Spek-
trum letzter Hilfe erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Ärzte brauchen Rechtssicherheit. Sie sollen assistie-
ren dürfen, nicht müssen. Es gibt schreckliche Situatio-
nen, da kann die humanste Hilfe, die noch zur Verfügung
steht, die Hilfe zum Sterben sein. Für Ärzte sind Sanktio-
nen dann unzumutbar. Für Sterbewillige ist unzumutbar,
dass ihr Wohnort darüber entscheidet, ob ihrem vertrau-
ten Arzt Beihilfe zum Suizid durch eine regionale Ärzte-
kammer untersagt ist oder nicht. Das Arzt-Patienten-
Verhältnis basiert in besonderem Maße auf Vertrauen.
Dem sollten wir Rechnung tragen. Dammbruchthesen
glaube ich hier nicht.

Für Sterbehilfevereine setzt unser Gesetzentwurf
klare Regeln. Gewerbsmäßigkeit, also Gewinnstreben,
schließen wir aus. Mit Hilfe zur Selbsttötung darf kein
Profit gemacht werden. Wir sagen Ja zu Vereinen, aber
nicht als Einnahmequelle und nur mit klaren Transpa-
renzregeln und Dokumentationspflichten.

Warum? Letzte Hilfe auf Familienmitglieder oder na-
hestehende Einzelpersonen zu begrenzen, ist zu restrik-
tiv und zu eng gedacht. Heutige Sozialstrukturen sind
wesentlich vielfältiger: Es gibt immer mehr Menschen in
unserem Land, die gar keine Angehörigen haben. Nicht
alle Familien haben das notwendige Vertrauensverhält-
nis. Manche Sterbewillige wollen engste Verwandte
nicht belasten, sondern bewusst mit einem Arzt oder
Sterbehelfer über ihren Assistenzwunsch sprechen. Ih-
nen das zu verwehren, halte ich für inhuman.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Wer keine Angehörigen hat oder sie nicht um letzte
Hilfe bitten möchte, darf nicht allein gelassen werden.
Die Möglichkeit letzter Hilfe muss für alle bestehen.
Niemandem helfen eine Romantisierung von Familien
und eine Verteufelung von Sterbehelfern – beides halte
ich für falsch. Denn die Realität ist komplexer, unsere
Gesellschaft ohnehin.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Eigene Erfahrungen, die eigene Religion oder Welt-
anschauung sollten wir als Gesetzgeber für diese so viel-
fältige, weltanschaulich pluralistische, multireligiöse
und auch zunehmend atheistische Gesellschaft bei dieser
schwerwiegenden ethischen Frage nicht absolut stellen.

Ich sage auch: Als alternde Gesellschaft brauchen wir
eine Vision, wie wir als Hochbetagte zusammen leben
wollen. Es braucht echte Pflege- und Gesundheitsrefor-
men, mehr Hospize, Palliativversorgung, Suizidpräven-
tion und eine Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung.

Unser Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit
der Hilfe zur Selbsttötung sichert Sterbewilligen ein
Höchstmaß an Selbstbestimmung und Rechtssicherheit.
Er liegt am nächsten an der bisher bestehenden Rechts-
lage und an der gesellschaftlichen Mehrheit. Er gilt als
liberalster Entwurf, liberalisiert aber nichts, sondern re-
gelt realitätsnah. Unser gemeinsamer Anspruch sollte
sein, die Selbstbestimmung, also Menschenwürde des
Einzelnen, auch beim frei verantworteten Suizid zu
schützen. Dafür werbe ich um Ihre Unterstützung.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811503000

Hubert Hüppe erhält nun das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1811503100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich unter-

stütze den Gesetzentwurf der Kollegen Sensburg und
Dörflinger, weil ich die Beihilfe zur Patientenselbst-
tötung nicht als Therapieoption akzeptieren will. Ich
möchte nicht, dass ein Patient, der auf die Solidarität der
Gesellschaft angewiesen ist, erklären muss, warum er
sich nicht für die einfache, alle entlastende Selbsttötung
entscheidet. Deswegen sehe ich in der Beihilfe zur





Hubert Hüppe


(A) (C)



(D)(B)

Selbsttötung keinen Akt der Nächstenliebe. Vielmehr
muss es darum gehen, den Menschen beim Sterben zu
helfen, ihnen Trost zuzusprechen und Hilfe zu leisten.

Wenn wir die Ärzte in dieses Geschehen hineinholen,
dann wird es gefährlich. Bisher stand der Arzt für die
Solidarität der Gesellschaft. Der Patient wusste, dass der
Arzt ihn nicht töten darf und dieser noch nicht einmal
auf die Tötung oder die Selbsttötung des Patienten spe-
kulieren darf. Das, meine Damen und Herren, soll aus
meiner Sicht auch so bleiben.

Unser Gesetzentwurf ist ja häufig, auch heute schon,
kritisiert worden. Aber lassen Sie mich auch ein paar
Dinge über den Gesetzentwurf der Kollegen Reimann,
Hintze und Lauterbach sagen. Dieser Gesetzentwurf will
nichts verbieten. Er will keine Sterbehilfevereine verbie-
ten. Er will auch nicht verbieten, dass man dafür Geld
nimmt. Er will noch nicht einmal verbieten, dass psy-
chisch Kranken bei ihrer Selbsttötung geholfen wird. Im
Grunde will er alles erlauben, und er will darüber hinaus
noch mehr. Er will nämlich das ärztliche Standesrecht
knacken, und das, obwohl die Ärzte 2011 mit großer
Mehrheit, mit Dreiviertelmehrheit, beschlossen haben,
dass die Beihilfe zur Tötung von Patienten nicht zum
ärztlichen Handwerk gehören darf, und das mit Recht.

Dieser Gesetzentwurf – das macht mich nachdenklich –
spricht in der Begründung immer wieder von Ekel. Drei-
mal wird dort von Ekel gesprochen, auch heute wieder,
und es werden extreme Fälle aufgezählt: Ekel vor sich
selbst, vor Entstellungen, vor üblen Gerüchen. Meine
Damen und Herren, wie sollen Menschen, die aufgrund
einer Lähmung zum Beispiel inkontinent sind, solche
Entscheidungen über „lebenswert“ oder „lebensunwert“
verstehen? Ich sehe das als gefährlich an.

Auf Seite 2 dieses Gesetzentwurfs steht ein für mich
erschreckender Satz – ich zitiere –:

Das körperliche und psychische Leiden ihrer Pa-
tienten stellt auch für das medizinische Personal
eine äußerst belastende Situation dar.

Das ist keine unschuldige Feststellung einer reinen Tat-
sache. Das wird von vielen als Begründung verstanden
werden, die ärztliche Suizidbeihilfe müsse auch deshalb
legalisiert werden, um das medizinische Personal zu ent-
lasten. Das kann ich so nicht akzeptieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Bitte?)


Meine Damen und Herren, laut diesem Gesetzentwurf
muss der Patient nicht, wie es hier immer behauptet
wird, in der Sterbephase sein, sondern er muss nur eine
Diagnose bekommen, die nicht sicher – auch das steht da
nicht drin –, sondern wahrscheinlich zum Tod führt. Es
kann aber noch Jahre dauern, bis der Tod eintritt. Stellen
Sie sich vor, Sie bekommen eine tödliche Prognose, ob-
wohl Sie noch gar keine Anzeichen haben. Stellen Sie
sich vor, Sie wissen plötzlich, dass Sie Chorea Hunting-
ton bekommen, weil festgestellt wurde, dass dieses Gen
bei Ihnen mutiert ist. Gerade in einer solchen Situation
sind Sie äußerst gefährdet. Wenn dann die Selbsttötung
als Angebot gemacht und gesellschaftlich akzeptiert
wird, dann wird es schwierig. Das wollen wir verhin-
dern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das Angebot macht doch gar keiner!)


– Ich habe Sie ja gar nicht gemeint, Frau Künast; Ihr Ge-
setzentwurf geht ja gar nicht so weit wie der der Kolle-
gen Hintze und Reimann. Lassen Sie mich also ausspre-
chen. Ich habe Sie auch aussprechen lassen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann bleiben Sie aber sachlich!)


Meine Damen und Herren, es ist eben nicht so, dass
der langjährige Arzt diese Tat dann vornehmen kann;
denn die meisten Ärzte lehnen es ab. Das heißt, es müs-
sen andere Ärzte sein. Es wird auch nicht gefordert, dass
ein Psychiater prüft, ob eine Depression vorliegt, son-
dern man geht davon aus, dass der Sterbearzt, der Arzt,
der beim Sterben helfen wird, gleichzeitig auch die psy-
chische Diagnose stellen kann. Das halte ich für in vie-
len Fällen unmöglich.

Meine Damen und Herren, zum Schluss ein Zitat von
Christoph Wilhelm Hufeland, der Anfang des 19. Jahr-
hunderts Erster Arzt in der Charité war. Er sagte:

Der Arzt … darf nichts anderes tun als Leben erhal-
ten, ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Wert
habe oder nicht, dies geht ihn nichts an. Und maßt
er sich einmal an, diese Rücksicht in sein Geschäft
mit aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar,
und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im
Staate.

Dem wollen wir vorbeugen, und deswegen möchten wir,
dass wir die Hilfe vor die Tötung des Patienten setzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811503200

Das Wort erhält nun der Kollege Michael Frieser.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)



Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1811503300

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben es in dieser Debatte bisher ge-
schafft, nicht nur mit dem notwendigen sittlichen Ernst,
der dem Thema angemessen ist, sondern auch mit dem
richtigen Tonfall miteinander zu reden. Wir sollten ver-
suchen, diese Schwelle nicht zu überschreiten, und trotz-
dem unterschiedliche Argumente austauschen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir sind uns in diesem Hause meistens einig, dass die
drohende gesellschaftliche Veränderung – die es durch
das aggressive Auftreten von Sterbehilfevereinen, aber
auch von Einzelpersonen gibt – unser Tätigwerden erfor-
dert. Zusehen ist keine Option mehr; denn am Ende wür-
den wir in einer Gesellschaft landen, in der dann ältere





Michael Frieser


(A) (C)



(D)(B)

und kranke Menschen, die ihr Leiden als Last empfin-
den, das Gefühl hätten, es gäbe eine gesellschaftliche
Akzeptanz bzw. eine gesellschaftliche Norm, zu sagen:
Ja, auch der Tod auf Bestellung steht mir zur Verfügung;
dann lasse ich mich davon überzeugen. – Das wäre eine
Gesellschaft, in der ich, der Kollege Brand, die Kollegin
Griese und sehr viele andere aus allen Fraktionen dieses
Hauses nicht leben wollen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Dazu bedarf es aber einigen Tätigwerdens. Dabei geht
es darum, dass wir sagen: Ja, die Beihilfe zur Selbsttö-
tung soll vor allem deshalb straffrei bleiben, weil die
Selbsttötung in diesem Land straffrei ist. – Dann wird
der Jurist zu dem Ergebnis kommen, dass auch die Bei-
hilfe zur Selbsttötung straffrei bleiben muss.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Das sollte sich unter keinen Umständen ändern.

Deshalb bitte ich auch, mit dieser Legendenbildung
aufzuhören. Wir wollen nur die geschäftsmäßige Bei-
hilfe zur Selbsttötung verhindern. Dabei geht es darum,
dass das auf einige Dauer, auf Wiederholung angelegt
ist. Aber nicht um die Wiederholung allein geht es, son-
dern um das Organisiertsein, um die Tatsache, dass je-
mand willentlich seine Absicht darauf richtet, zu sagen:
Ich will Menschen dahin schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Das bedeutet, dass wir auch immer wieder deutlich
machen müssen: Es geht ohne Gewinnerzielung, und es
geht mit Gewinnerzielung. Es hat in diesem Land nichts
mit Geld zu tun, dass der Tod auf Bestellung keine
Selbstverständlichkeit werden soll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich will mit einem weiteren Gerücht aufräumen. Wir
wollen keine Lex Ärzte. Warum? Die Ärzte bitten uns
inständig: Legt uns das Problem, dass wir die Meister
des Todes sein sollen, nicht vor die Schwelle. Bitte legt
uns das Problem dieser Gesellschaft nicht vor die Tür.
Wir wollen nicht die Einzigen sein, die darüber befinden
sollen und müssen.

Ein weiterer Punkt ist ganz wichtig: Der Palliativme-
diziner handelt nicht mit dem Tod, er handelt mit dem
Ende des Lebens. Das ist ein ganz wesentlicher Unter-
schied.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Deshalb stellt sich die Frage der Rechtssicherheit nicht.

Wir haben in diesem Haus leider auch Anträge auf
dem Tisch liegen, die aktiver Sterbehilfe das Wort reden.
Das ist der fundamentale Unterschied. Deshalb sind die
Entscheidungen bzw. die Anträge tatsächlich nicht ver-
gleichbar und nicht vereinbar, sondern sie schließen sich
aus. Man muss deutlich sagen: Wer einem Arzt einen
Katalog an die Hand gibt, anhand dessen er abhaken
muss, wann er aktiv Sterbehilfe leisten darf und wann
nicht, der befindet sich tatsächlich in Kollision mit unse-
rer Verfassung. Denn der Mediziner muss dann etwas
entscheiden, was er nicht entscheiden soll. Er muss dann
nämlich über die Frage entscheiden: Was ist lebenswer-
tes und was ist lebensunwertes Leben? – Davor sollten
wir auf jeden Fall Achtung haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb gibt es diese Unvereinbarkeit. Deshalb müssen
wir uns als Kollegen tatsächlich entscheiden.

Ich erlaube mir einen Hinweis auf den Kollegen
Hintze bzw. auf etwas, was natürlich auch nicht geht:
Der Entwurf, der hier auf dem Tisch liegt, geht schon
sehr weit, viel weiter als alles andere, was wir hier disku-
tieren. In diesem Entwurf wird nicht einmal die Frage
der Gewerbsmäßigkeit der Selbsttötungshilfe in diesem
Land zum Thema gemacht. Das öffnet keine Tür, son-
dern ein Scheunentor. Deshalb, glaube ich, wäre eine ge-
sellschaftliche Veränderung durchaus zu befürchten.

Es geht am Ende auch juristisch um die Frage: Mit
welcher Einstellung nähert sich der Arzt dem Patienten,
nähert sich der Nahestehende seinem sterbenden Mit-
menschen? Es geht immer darum: Will ich in der Ab-
sicht, das Leiden zu lindern, handeln, oder will ich in der
Absicht handeln, das Leben zu beenden? Das ist die De-
markationslinie, das ist die Grenzlinie, die wir in dieser
Diskussion nicht überschreiten dürfen. Deshalb bitten
wir – der Kollege Brand, die Kollegin Griese und alle
anderen aus den Fraktionen – darum, unseren Vorschlag
zu unterstützen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811503400

Das Wort erhält nun der Kollege Karl Lauterbach.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1811503500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich will zunächst einmal daran erinnern, was
überhaupt das Hauptproblem ist, was wir mit dieser De-
batte lösen wollen: Das Hauptproblem ist, dass viele
Menschen Angst haben vor dem Sterben. Sie haben
nicht Angst vor dem Tod, sondern sie haben Angst vor
dem Sterben.

Das ist ein ganz anderes Problem als beispielsweise
der Ausbau der Palliativmedizin oder der Hospizversor-
gung. Es gibt Menschen, denen mit den Mitteln der Pal-
liativmedizin leider nicht geholfen werden kann – das
sind wenige; aber es gibt sie –, und es gibt zum Zweiten
Menschen, die die Angebote der Hospizmedizin und der
Palliativmedizin ganz klar verstehen, die sich gut infor-
miert haben und die trotzdem selbst ihren Tod, der be-
vorsteht, in dieser Form nicht erleben wollen, weil sie
ihn nicht als würdevoll empfinden. Sie empfinden ihn
nicht als würdevoll – nicht andere –, sie wollen so, wie
es auf sie zukommt, nicht sterben; diese Menschen gibt
es. Das Problem, das wir lösen wollen, ist: Was bieten
wir diesen Menschen an? Nichts? Bieten wir etwas an,





Dr. Karl Lauterbach


(A) (C)



(D)(B)

was wir bisher nicht angeboten haben, oder belassen wir
es bei dem, was angeboten wird? Darum geht es. Es geht
nicht um Sterbehilfevereine allein.

Ich komme sehr viel zusammen mit Menschen, die
sich mit dem eigenen Tod beschäftigen; zum Beispiel im
Wahlkreis, aber auch anderswo wenden sich Leute an
mich, Krebskranke und dergleichen. Ich werde oft da-
rauf angesprochen: Was macht ihr bei der Sterbehilfe?
Was wird dort passieren? Welche Möglichkeiten habe
ich? Welche Möglichkeiten hat meine Mutter? – Ich bin
noch nie darauf angesprochen worden: Was passiert mit
Herrn Arnold oder mit Herrn Kusch? Das wissen diese
Menschen gar nicht, das interessiert niemanden. Hier
sind viele im Raum, die machen ein Gesetz gegen Herrn
Arnold und Herrn Kusch. Das ist aber nicht richtig. Wir
müssen ein Gesetz für viele Menschen machen und nicht
gegen ganz wenige.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Michael Frieser [CDU/CSU]: Wir wollen ein Gesetz für das Leben!)


Ich möchte klar darauf hinweisen: Es ist nicht so, wie
hier gesagt wird, dass der Gesetzentwurf Brand/Griese
ein „Gesetzentwurf der Mitte“ ist. Er ist es nicht. Sie
mögen es darstellen, wie Sie wollen – er ist es schlicht
nicht. Oft ist es so: Gut gemeint ist nicht gut gemacht.


(Lachen des Abg. Michael Frieser [CDU/ CSU])


Dieser Gesetzentwurf wird darauf hinauslaufen, dass
Ärzte Sterbehilfe nicht mehr leisten. Ich fange mit mir
selbst an: Ich bin Mitglied in einer Kammer, die für den
Fall, dass ich das machen würde, mit dem Entzug der
Approbation droht. Das ist die Ärztekammer Nordrhein;
da bin ich registriert. Da würde ich vielleicht noch sa-
gen: Okay, das riskiere ich, ich brauche die Approbation
nicht unbedingt, und es ist auch noch so: Es wird nicht
durchgezogen. Vielleicht komme ich damit durch. –
Aber wenn mir möglicherweise drei Jahre Haft drohen?
Wenn mir unterstellt wird, das wäre auf Wiederholung
angelegt?


(Michael Brand [CDU/CSU]: Das wird nicht unterstellt!)


Dann warte ich doch nicht auf den Freispruch nach einer
langen Ermittlung, sondern ziehe die Konsequenz: Das
mache ich schlicht nicht. – Ich kenne keinen ärztlichen
Kollegen, wirklich nicht – und ich kenne viele, die sich
mit dem Thema beschäftigen –, der noch bereit wäre,
Sterbehilfe zu leisten, wenn der „Gesetzentwurf der
Mitte“ Griese/Högl/Brand durchkäme. Das wird – ma-
chen wir uns doch nichts vor! – einfach niemand ma-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Bitte stellen Sie sich doch nicht dumm! Es ist doch jetzt
schon, wo lediglich die Approbation entzogen werden
könnte, so: Es macht niemand. Die Ärzte tun es doch
jetzt schon nicht. Wenn neben dem Entzug der Approba-
tion dann auch noch strafrechtliche Verfolgung droht,
macht das niemand.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811503600

Herr Kollege Lauterbach, lassen Sie eine Frage der

Kollegin Wawzyniak zu?


Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1811503700

Sehr gerne.


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811503800

Herr Kollege Lauterbach, Sie haben gerade gesagt,

Sie würden als Arzt, wenn drei Jahre Haft drohen, keine
Suizidbeihilfe mehr leisten. Würden Sie zur Kenntnis
nehmen wollen, dass in dem sogenannten Gesetzentwurf
der Mitte steht, dass eine Strafbarkeit nur besteht, wenn
man in der Absicht handelt, geschäftsmäßig ein auf
Dauer angelegtes Angebot zur Suizidbeihilfe zu ma-
chen? Ich gehe davon aus, dass Sie nicht mit der Absicht
handeln würden, eine auf Dauer angelegte Suizidbeihilfe
zu leisten.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1811503900

Vielen Dank für die Frage. – Ich will aus Ihrem Ge-

setzentwurf zitieren und unterstelle, dass Sie diesen Ge-
setzentwurf unterstützen – ich lese vor –:

Grundsätzlich reicht hierfür ein erst- und einmali-
ges Angebot nicht. Anders verhält es sich aber,
wenn das erstmalige Angebot den Beginn einer auf
Fortsetzung angelegten Tätigkeit darstellt …


(Michael Brand [CDU/CSU]: Richtig zitiert!)


Nachdem die erstmalige Tätigkeit von mir erfolgt
wäre, würden die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen
beginnen, ob ich beabsichtige, diese Tätigkeit fortzuset-
zen. Diese staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen begin-
nen dann übrigens völlig zu Recht; dagegen habe ich
nichts einzuwenden. Ich lege es aber doch nicht darauf
an,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Auf Wiederholung angelegt! Eindeutig!)


dass ich erst freigesprochen werde, nachdem festgestellt
worden ist, dass ich es nicht wiederholt machen will.
Spätestens beim zweiten Fall würde ich es doch nicht
mehr machen. Hätte ich einen Freischuss und würde es
dann nie mehr machen?


(Michael Brand [CDU/CSU]: Nein! Ist doch Quatsch!)


Würde ich mir von meinen Patienten einen aussuchen,
bei dem ich den Freischuss verwenden würde? Spätes-
tens beim dritten Mal würde doch ermittelt werden. Das
will doch niemand.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch alles nicht wahr, was Sie behaupten!)


– Ich spreche hier wirklich aus der Praxis. Das macht in
der Praxis niemand. – Auch jetzt wird der Entzug der
Approbation ja nur angedroht. Er wird ja nicht vollzo-
gen, und trotzdem macht es niemand.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Sie wissen es doch besser, Herr Lauterbach!)






Dr. Karl Lauterbach


(A) (C)



(D)(B)

Ich sage, worauf dieser Gesetzentwurf hinausläuft.
Dieser Gesetzentwurf läuft darauf hinaus, dass die Men-
schen zur Sterbehilfe in die Länder ziehen müssen, die
Sie, Herr Brand, hier angeklagt haben, nämlich in die
Niederlande, nach Belgien und in die Schweiz. Darauf
läuft der Gesetzentwurf hinaus.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie wissen es doch besser! Das steht bei uns doch gar nicht drin!)


Aus meiner Sicht müssen wir ein Angebot schaffen.
Es ist auch nicht richtig, dass wir zwischen unwertem
und wertem Leben unterscheiden, wie es Kollege Hüppe
dargestellt hat; das ist abwegig. Es geht darum, dass wir
die Approbation der Ärzte und deren Rechtssicherheit in
Bezug auf das Strafrecht sicherstellen wollen, wenn es
um schwerkranke Menschen geht, deren Krankheit zum
Tod führt. Wenn es um Menschen geht, die nicht vom
Tod bedroht werden, die also nicht sterbenskrank sind,
dann können aus unserer Sicht die Kammern frei bestim-
men, ob demjenigen, der lebenssatt, aber nicht vom Tod
bedroht ist, ein Arzt helfen kann oder nicht.

Es bleibt aber immer erlaubt, Herr Frieser. Sie haben
gesagt, es würde von uns geregelt, wer dürfe und wer
nicht. Nach dem Strafrecht bleibt es immer erlaubt. Ich
hatte den Eindruck, dass Sie den Gesetzentwurf nicht
komplett gelesen haben.


(Michael Frieser [CDU/CSU]: Zweimal, bis ich ihn verstanden hatte! Das war schwer genug! – Michael Brand [CDU/CSU]: So sollte man nicht diskutieren! Das fällt aus dem Rahmen!)


Das Strafrecht kommt nie zum Tragen. Es bleibt immer
erlaubt. Wir wollen aber eine zusätzliche Rechtssicher-
heit im Sinne einer berufsrechtlichen Rechtssicherheit,
wenn es um Menschen geht, die nicht vom Tod bedroht
sind.

Ich komme zum Schluss. Das hat auch nichts mit der
Palliativmedizin zu tun, Herr Brand. Die Länder, bei de-
nen Sie die problematischen Umstände zu Recht bekla-
gen – die Niederlande, Belgien und die Schweiz –, konn-
ten das Problem, dass es dort immer stärker verlangt
wurde, nicht durch die Palliativmedizin lösen. Sie alle
haben eine stärker ausgebaute Palliativmedizin als wir.
Das können wir nur leisten, indem wir bereit sind, die
Einstellung zum Alter und zum Tod zu verändern.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Sagen Sie mal etwas zum Kriterienkatalog in der Schweiz und in Belgien!)


Von daher bitte ich, unseren Gesetzentwurf zu unter-
stützen. Sonst überreagieren wir auf einen kleinen Klub
von fragwürdigen Menschen, gegenüber denen ich selbst
auch keine Sympathie empfinde. Wir müssen hier aber
für die Menschen, die verzweifelt sind, ein Angebot
schaffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811504000

Detlef Müller ist der nächste Redner.


Detlef Müller (SPD):
Rede ID: ID1811504100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Eine Gewissens-
entscheidung zu treffen, ist schon schwer genug. Noch
schwerer aber ist es, eine Gewissensentscheidung zu
treffen, ohne zu Lebzeiten herausfinden zu können, ob
sie richtig war.

Leben, Würde und Gesundheit sind des Menschen
höchste Güter. Das Grundgesetz misst ihnen deshalb ent-
sprechende Bedeutung bei. Aber ich unterstütze den vor-
liegenden Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit
der Hilfe zur Selbsttötung, weil dem Recht auf Leben
auch ein Recht auf menschenwürdiges Sterben ent-
spricht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn sich ein Mensch tatsächlich dazu entschieden
hat, freiwillig aus dem Leben zu gehen, dann tut er das
nicht leichtfertig, sondern er hat damit die schwerste
Entscheidung getroffen, die ein Mensch überhaupt tref-
fen kann. Wenn aber ein Mensch selbstbestimmt und in
freier Entscheidung beschlossen hat, seinem Leben ein
Ende zu setzen, wenn wir alles getan haben, um ihm
Heilungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wenn wir ihn bera-
ten und wenn wir versucht haben, in ihm doch noch Le-
bensmut zu wecken, dürfen wir uns danach einfach von
ihm abwenden und ihn bei seinem Vorhaben alleine las-
sen? Ich glaube, nein.

Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er die
Selbsttötung im moralischen, religiösen oder weltan-
schaulichen Sinne als erlaubt oder verwerflich betrach-
tet. Solange aber der Staat dem Menschen die Verfügung
über sein eigenes Leben überlässt, halte ich es aus einer
humanistischen und mitmenschlichen Sichtweise für ge-
boten, einen verzweifelten und am Leben verzweifeln-
den Menschen im Sterben nicht alleine zu lassen.

Es geht nicht darum, einem Menschen die Entschei-
dung darüber zu erleichtern, ob er sich das Leben neh-
men soll. Es geht darum, ihm zu erlauben, sich auf dem
schwersten seiner Wege begleiten oder eben auch helfen
zu lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht darum, ihm in seiner letzten Stunde menschliche
Zuwendung zu zeigen. Das heißt aber nicht, dass die
Rechtsordnung dabei den Schutz des Lebens außer Acht
lassen darf. Ganz im Gegenteil: Wenn eine solche Hilfe
möglich sein soll, dann darf sie nur unter strenger Auf-
sicht des Staates möglich sein, indem Beratungspflichten
und Kontrollmöglichkeiten eingeführt werden.





Detlef Müller (Chemnitz)



(A) (C)



(D)(B)

So wie es unsere Pflicht ist, kranken Menschen den
Weg zur Heilung zu zeigen, so ist es auch unsere Pflicht,
zu versuchen, einem zum Äußersten entschlossenen
Menschen wieder den Weg zu Optimismus und Lebens-
mut zu weisen. Zugleich muss aber selbstverständlich
ausgeschlossen werden, dass Menschen mit der Beihilfe
zum Suizid Geld verdienen. Für Familienangehörige, na-
hestehende Personen und Ärzte, aber auch entspre-
chende Vereine entsteht dadurch ein sicherer, aber auch
ein streng einschränkender Rechtsrahmen.

Um es in dieser emotional geführten Debatte noch
einmal deutlich zu sagen: Mit dem vorliegenden Gesetz-
entwurf soll Sterbehilfe nicht erleichtert werden. Ganz
im Gegenteil: Die bestehende Rechtslage im Strafrecht
soll beibehalten werden, nach der Beihilfe zum Suizid
straflos bleibt. Darüber hinaus aber schaffen wir einen
gesicherten Rechtsrahmen, damit Missbrauch vorge-
beugt wird und nicht diejenigen bestraft werden, die Lei-
denden ehrlich, aufrichtig und uneigennützig helfen wol-
len.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb schlagen wir den Entwurf eines Gesetzes
über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung vor. Auf-
grund strenger Regeln wird damit der Wunsch nach ei-
nem menschenwürdigen Sterben respektiert, aber wer-
den auch enge Grenzen gezogen. Hilfe zur Selbsttötung
darf nur dann geleistet werden, wenn der sterbewillige
Mensch den Wunsch zur Selbsttötung frei verantwort-
lich gefasst und geäußert hat. Gewerbsmäßige Hilfe zur
Selbsttötung und gewerbsmäßige Förderung der Selbst-
tötung sind danach verboten und strafbar. Ärzten und so-
genannten Sterbehilfevereinen wird bei ihrer Tätigkeit
ein klarer Rechtsrahmen gegeben. Es werden Beratungs-
und Dokumentationspflichten eingeführt. Pflichtverlet-
zungen werden selbstverständlich strafrechtlich geahn-
det.

Das Strafrecht hat seit über 140 Jahren die Hilfe zur
Selbsttötung nicht verboten. Dabei ist es nicht zu gravie-
renden Fehlentwicklungen gekommen. Wir wollen, dass
diese Rechtslage erhalten bleibt. Zugleich aber stärken
wir die Rechtssicherheit für die, die Hilfe leisten, und
sanktionieren diejenigen, die aus dem Leid anderer Ka-
pital schlagen wollen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle aber eines deutlich
betonen, obwohl es hoffentlich nicht betont werden
muss: In diesem Hohen Hause macht sich bei diesem
ethisch so schwierigen Thema keine Abgeordnete und
kein Abgeordneter die Entscheidung leicht. Ich achte
und respektiere die Meinungen meiner Kolleginnen und
Kollegen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen oder
Wertvorstellungen zu anderen Lösungswegen kommen.
Wir alle wissen, dass uns menschliches Leben und Men-
schenwürde die höchsten Güter sind. Durch unterschied-
liche Sichtweisen und Vorstellungen nähern wir uns dem
Problem aber von verschiedenen Seiten, manchmal auch
emotional und leidenschaftlich. Lassen Sie uns dabei
aber das gemeinsame Fundament, auf dem wir stehen,
nicht vergessen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen
Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811504200

Johannes Singhammer ist der nächste Redner.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811504300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tod ist der
größte Feind der Menschheit, und kein Gesetz kann ihn
besiegen. Das Sterben allerdings kann der Mensch be-
einflussen oder gar gestalten und die Würde der letzten
Lebensphase gesetzlich schützen.

900 000 Menschen werden in diesem Jahr – so sagt
die Statistik – in Deutschland sterben, und keiner von
uns weiß, wann ihm die letzte Stunde schlägt. Aber eines
wissen wir: Die Menschen sind angesichts des nahenden
Todes in einer Phase der größten Schwäche und brau-
chen deshalb besonderen Schutz und liebevolle Beglei-
tung.

Der Deutsche Bundestag führt eine anspruchsvolle
Debatte, mit unterschiedlichen Lösungsvorschlägen,
aber mit einer großen Ernsthaftigkeit. Ich möchte für den
Gesetzesvorschlag werben, welcher die geschäftsmäßige
Förderung der Selbsttötung verbietet. Leben bedeutet
Selbstbestimmung und Autonomie. Der Tod ist das Ende
jeglicher Selbstbestimmung und Autonomie. Die Phase
vor dem Tod heißt abnehmende Autonomie bzw. Auto-
nomieverlust.

Wie wir bei schwindender Selbstbestimmung die
Würde bewahren, das ist der Kern der heutigen Debatte.
Ich sage: Sterben ist höchstpersönlich und eignet sich
keinesfalls zum Alltagsgeschäft. Die Möglichkeit des
Sterbens, auf Bestellung gar, unter welchen wie auch im-
mer engen Voraussetzungen ist wenig geeignet, die
schwindende Selbstbestimmung zu verwirklichen; sie
birgt vielmehr eine Gefahr: die Gefahr, einen Erwar-
tungsdruck wachsen zu lassen, auch wenn er überhaupt
nicht gewollt ist. Nützlichkeitserwägungen für eine
Rechtfertigung des Lebens darf es aber zu keinem Zeit-
punkt geben.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Eine ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung ist keine Lö-
sung. Wir alle kennen die älteste Formel eines Standes-
rechts: Das ist der immer wieder beschworene hippokra-
tische Eid der Ärzte, vor fast 3 000 Jahren erstmals
gesprochen. Er ist eindeutig, klar und unmissverständ-
lich und lautet: Ich werde niemandem ein tödlich wir-
kendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen. –
Das ist die Grundlage jedes ärztlichen Standesrechts in
Deutschland.

Ärzten mit einer gesetzlichen Norm die Beihilfe zur
Selbsttötung zu eröffnen, wäre, denke ich, sehr proble-
matisch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

Denn allen eng gefassten Voraussetzungen und Bera-
tungspflichten zum Trotz würde eine solche Norm das
Verhältnis Arzt/Patient grundsätzlich ändern, und zwar
im Kernbereich des Vertrauensverhältnisses.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ärzte wollen aber Leben erhalten, die Gesundheit
schützen und möglichst wiederherstellen, Leiden lindern
sowie Sterbenden Beistand leisten. Deshalb sollen Ärzte
nicht Hilfe zu einem gesteuerten Sterben leisten, sondern
Menschen im Sterben begleiten.

Wir wollen, dass sich für Angehörige an der gegen-
wärtigen Rechtslage nichts ändert. Wir schlagen einen
neuen § 217 Absatz 2 des Strafgesetzbuches vor, nach
dem straffrei bleiben soll, wer Angehöriger ist. Das be-
deutet aber unter keinen Umständen, dass es eine Art Er-
mächtigung für Angehörige wäre, bei einer Selbsttötung
mitzuwirken. Nein, es soll auch keine Grauzone geschaf-
fen werden. Vielmehr wird ein Verantwortungsbereich
beschrieben, der sich mit seinen unterschiedlichsten,
nicht vorhersehbaren Lebenssachverhalten einer kasuis-
tischen Paragrafenregelung entzieht. Gesetze zu schmie-
den, bei denen die Wahrscheinlichkeit gering ist, in der
Praxis umgesetzt zu werden, macht wenig Sinn.

Das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid
und der umfassende Aufbau einer Palliativ- und Hospiz-
versorgung gehören untrennbar zusammen; darüber sind
wir uns einig. Der Schutz des menschlichen Lebens vom
Anfang bis zum Ende muss Vorrang vor jeder Art Nütz-
lichkeits- oder Geschäftsdenken haben. Keiner von uns
weiß, wie er sterben wird. Wir alle hoffen, das Lebens-
ende geborgen, aufgefangen und schmerzfrei zu erleben.
Das wollen wir mit unserem Gesetz unterstützen. Als
Christ sage ich für mich persönlich: Ich bete für ein gnä-
diges Ende.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811504400

Arnold Vaatz erhält nun das Wort.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1811504500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Johannes, ich möchte deinen Gedanken aufgreifen. Wir
befassen uns heute mit einer Regelung, deren Qualität
sich nicht danach bemisst, ob sie in philosophischen Sa-
lons oder in juristischen Seminaren Bestand hat. Viel-
mehr muss sie sich am Kranken- bzw. Totenbett bewäh-
ren; das ist der Auftrag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wie wollen wir beurteilen, wie sich eine solche Rege-
lung in den letzten Momenten des Lebens eines Men-
schen auswirkt? Wir können hier nicht allgemeine Maß-
stäbe anlegen. Ich fordere daher jeden und jede hier auf,
sich vorzustellen, dass er oder sie nach langem Siechtum
oder nach der Prognose, dass nur noch wenige Tage bis
zum Tod verbleiben, im Bett liegt, hilflos ist und nach
langem Überlegen entscheidet: Ich möchte nicht qual-
voll ersticken. Ich möchte mir nicht nachts die Schläu-
che aus den Adern herausreißen, in der Hoffnung, dass
die Nachtschwester das nicht bemerkt. Vielmehr möchte
ich einen leichten, absehbaren Tod, wenn es möglich ist. –
In einer solchen Situation befinden sich die Betreffen-
den. Nicht ein Dritter hat sie dazu überredet, sich den
Suizid zu wünschen. Vielmehr ist das ihre eigene Ent-
scheidung.

Heute geht es darum, ob wir eine gesetzliche Lage
schaffen, die ausschließlich dazu dient, Menschen, die
die letzten Tage ihres Lebens vor sich haben, vor der Er-
füllung ihres letzten Willens zu schützen, ihnen ihren
letzten Willen zu verwehren. Ich bin der entschiedenen
Ansicht, dass ich, wenn ich in eine solche Situation
käme, niemals akzeptieren würde, dass ein Arzt zu mir
sagt: Ich sehe zwar ein, dass du nicht mehr lange zu le-
ben hast und eine qualvolle Zeit vor dir liegt, und kann
auch nachempfinden, dass du dir einen schnellen und
leichten Tod wünschst. Aber ich kann dir das nicht ge-
währen, weil ich nicht hundertprozentig sicher bin, ob
ich am Ende nicht belangt werde. Außerdem habe ich
Familie. Deinetwegen kann ich nicht meine gesamte
berufliche Karriere riskieren. – Wir haben hier Ärzte
gehört. Der eine sagte, dass die Situation gemäß dem
Gesetzentwurf Brand rechtssicher ist. Der Kollege
Lauterbach hat genau das bestritten. Ganz offensichtlich
ist man unterschiedlicher Meinung. Demzufolge kann
ich als Nichtjurist nicht sagen, wie die Ärzteschaft da-
rauf allgemein reagiert. Aber ich bin entschieden dage-
gen, dass mir aus Karrieregründen die Erfüllung meines
allerletzten Wunsches verwehrt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich betrachte es als ein zentrales Recht des mündigen
Menschen, dass er auch in einem solchen Moment selbst
entscheiden kann, wie es mit ihm in einer solchen klar
umrissenen Situation weitergeht.

Gleichzeitig rede ich aber nicht denen das Wort, die
sagen, dass wir prinzipiell niemals Menschen vor sich
selbst schützen müssen. Das müssen wir in manchen
Fällen tun. Wir halten Kinder zurück, damit sie nicht
über die Straße rennen und überfahren werden. Wir müs-
sen etwas dafür tun, dass momentane Kränkungen, psy-
chische Belastungen oder heilbare psychische Krankhei-
ten nicht zum Selbstmord führen. Dafür sollten wir alles
tun. Aber ich halte es für eine Grenzüberschreitung,
wenn der Gesetzgeber für so aussichtslose Situationen
wie die eben beschriebenen ein Gesetz schafft, das aus-
schließlich dazu dient, Menschen in ihren letzten Sekun-
den die Erfüllung ihres letzten, wohlüberlegten Willens
zu verweigern. Demzufolge bitte ich um Zustimmung zu
dem Antrag Hintze.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811504600

Ulla Schmidt ist die nächste Rednerin.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Michael Frieser [CDU/CSU])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811504700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die heu-
tige Debatte aufmerksam verfolgt. Ich hatte nicht den
Eindruck, dass ein Einziger dabei war, der nicht bereit
wäre, Menschen auch in den letzten, schwersten Stun-
den, Tagen und Wochen zur Seite zu stehen. Ich hatte
vielmehr den Eindruck, dass jenseits aller Differenzen
hier doch Einigkeit darüber besteht, dass es am Ende des
Lebens um die Würde des Einzelnen geht und dass diese
Würde nicht nur aufgrund von Artikel 1 unseres Grund-
gesetzes, sondern auch deswegen, weil sie Kernbestand-
teil einer humanen Gesellschaft ist, nicht verhandelbar
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Deswegen glaube ich, dass neben der Wahrung der Au-
tonomie und der Selbstbestimmung für uns alle gelten
muss, dass am Lebensende die Vermutungsregel „Pro
Leben“ steht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade deswegen müssen die Angebote ausgebaut wer-
den.

Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, ich gehöre zu
denen, die unendlich viele Palliativstationen besucht ha-
ben und in vielen Hospizen waren. Ich bin selbst in der
Hospizbewegung aktiv und habe mit vielen Palliativme-
dizinern und -medizinerinnen gesprochen. Vielleicht
sollte man manchmal zur Kenntnis nehmen, was heute
schon alles in Deutschland möglich ist und was an Hilfe
geleistet wird,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


und zwar von Ärztinnen und Ärzten, die nicht im Karrie-
redenken verhaftet sind, sondern die alles dafür tun, um
in Zusammenarbeit mit dafür ausgebildeten Pflegekräf-
ten und Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen den
Menschen zu helfen. Ich verweise auf die Angebote, die
wir geschaffen haben, wobei ich aber auch weiß, dass sie
noch nicht flächendeckend vorhanden sind. Aber da, wo
diese Angebote bestehen, werden sie von den betroffe-
nen Menschen und ihren Angehörigen als enorme Hilfe
in den letzten schweren Stunden empfunden. Daran
muss weiter gearbeitet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Es gibt drei Gründe, warum ich für den Entwurf
Griese/Brand bin.

Der erste Grund ist: Mir ist bewusst, dass es so etwas
wie Rechtssicherheit in diesen Fragen nicht geben kann.
Ich bin davon überzeugt: Es gibt Dinge zwischen Him-
mel und Erde, die wird kein Gesetzgeber bis zur letzten
Gewissheit rechtssicher regeln können.


(Michael Brand [CDU/CSU]: So ist es!)


Aber was wir brauchen, ist Rechtssicherheit für die Ärz-
tinnen und Ärzte, wenn sie sich für den Patienten ent-
scheiden. Solidarität mit den Patienten, Kollege Hüppe,
bedeutet doch nicht nur, dass ich alles tue, um ihn am
Leben zu erhalten, sondern sie bedeutet auch die Beglei-
tung im schweren Sterbeprozess. Das geht bis zu dem
Punkt, dass man zum Beispiel die autonome Ent-
scheidung von ALS-Kranken, das Beatmungsgerät ab-
zustellen – wobei die Patienten wissen, dass damit der
Sterbeprozess eingeleitet wird –, akzeptiert. Ebenso
muss akzeptiert werden, dass der Patient oder die Patien-
tin selbst entscheiden kann, wie er oder sie den Sterbe-
prozess gestalten will, schlafend oder aktiv bis zum letz-
ten Atemzug.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Deshalb glaube ich, dass der Gesetzentwurf, der all das
zulässt, was heute möglich ist, und in diesem Bereich
nichts regelt, der richtige ist.


(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Aber das tut er nicht!)


Der zweite Grund ist: Eine so verstandene Sterbebe-
gleitung ist für mich immer eine Frage eines karitativen
Aktes, und deshalb kann es keine gewerbsmäßige, auf
Wiederholung angelegte Arbeit von Sterbevereinen und
organisierten Sterbehelfern geben. Der Unterschied be-
steht in dem, was ich eben beschrieben habe: Was Ärzte
für die Patienten heute tun, ist, die Behandlung auf die
Linderung von Schmerzen unter Inkaufnahme des Todes
auszurichten. Dabei soll allerdings der Tod nicht explizit
herbeigeführt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Für uns geht es darum, wirklich zu beraten und darüber
aufzuklären, was möglich ist. Diejenigen, die schnelle
Hilfe versprechen, stellen hingegen lediglich ein Suizid-
mittel bereit.

Der dritte und letzte Grund ist – Herr Präsident, wenn
Sie gestatten –: Wir in Deutschland können diese Dis-
kussionen nicht führen, ohne unsere Vergangenheit im
Auge zu behalten. Ich will nicht alles in einen Topf wer-
fen. Das eine war eine organisierte kollektive Euthana-
sie, die staatlich verordnet war. Wir hingegen reden hier





Ulla Schmidt (Aachen)



(A) (C)



(D)(B)

über Patientenautonomie und Selbstbestimmung bis zum
letzten Atemzug.


(Michael Brand [CDU/CSU]: So ist es!)


Aber wir müssen bei diesen Fragen immer auch mitbe-
denken, dass Menschen mit Behinderung schon in Sorge
sind, wenn Kriterien dafür beschrieben werden, wann
vielleicht gestattet ist, ein Leben zu Ende zu führen oder
nicht. Wir müssen da sehr sensibel und sehr vorsichtig
sein.


(Kerstin Griese [SPD]: Ja!)


Ich glaube, dass wir uns bei der in unserem Land im-
mer wieder geführten Debatte darüber, welches Leben
lebenswert ist oder nicht, stets bewusst sein müssen, dass
diese Debatte häufig von Menschen bestimmt wird, die
gar nicht in entsprechenden Situationen sind, während
Menschen in solchen Situationen ihr Leben als lebens-
wert empfinden. Deshalb: So wenig Regeln wie mög-
lich. Wir sollten das Ganze in dem gesellschaftlichen
Klima belassen, das wir kennen. Aber wir sollten verbie-
ten, dass aus Sterbehilfe eine Dienstleistung wird. Eine
Dienstleistung zum Töten darf es in unserem Land nicht
geben.

Danke schön.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811504800

Burkhard Lischka ist der nächste Redner.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1811504900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der

heutigen Debatte ist sehr viel über Würde gesprochen
worden. Das ist auch gut so. „Die Würde des Menschen
ist unantastbar“ – das ist der erste und der allerwichtigste
Satz unseres Grundgesetzes. Ein Leben in Würde, aber
auch ein Sterben in Würde: Würde bleibt Würde, bis
zum letzten Atemzug.

Nur, wie sieht eigentlich ein würdiges Sterben aus?
Dazu gibt es – übrigens nicht nur hier im Haus – ganz
unterschiedliche und, wie ich finde, auch sehr persönli-
che Antworten. Für die einen besteht ein würdiges Ster-
ben darin, dass der Körper selbst und nicht der Mensch
den Todeszeitpunkt vorgibt. Für die anderen gehört zu
ihrer Würde, dass sie als Todkranke selbst entscheiden
können, ob und wann sie ihr Leben beenden, wenn sie
ihr Leid als unerträglich empfinden. Das ist ein unauf-
lösbarer Konflikt, der da sichtbar wird. Ich finde, dass in
einer freien Gesellschaft beide Ansichten ihren Platz ha-
ben müssen.

Wie ein würdiges Lebensende auszusehen hat, das
sollte Politik nicht allen Menschen vorschreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kerstin Griese [SPD]: Tut ja auch keiner!)


Das ist und bleibt eine höchstpersönliche Entscheidung,
manchmal auch ein sehr schmerzhaftes Ringen zwischen
Patienten, Familienangehörigen und Ärzten darüber, was
Menschlichkeit gebietet. Der Gesetzgeber sollte das den
Betroffenen nicht abnehmen und es, wie ich finde, erst
recht nicht mit der Drohung des Strafrechts vorgeben.


(Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


Das ist eine der Kernbotschaften des Gesetzentwurfs,
den ich mit den Kollegen Hintze, Reimann, Lauterbach
und anderen hier heute einbringe. Das Strafrecht ist das
untauglichste Mittel, Todkranken vorzuschreiben, wie
sie zu sterben haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb verzichten wir auch bewusst auf jede strafrecht-
liche Regelung. Der Staatsanwalt hat am Sterbebett
nichts zu suchen.

Eine zweite Kernbotschaft senden wir mit unserem
Gesetzentwurf heute aus: Schützt eine mitfühlende ärzt-
liche Gewissensentscheidung, wenn Menschen dem Tod
ins Auge blicken, wenn sie ihr Leid – trotz aller Bemü-
hungen – nicht mehr ertragen können, wenn Palliativme-
dizin Schmerzen zwar lindern, aber nicht aus der Welt
schaffen kann?

Ich fühle mich übrigens all denjenigen durchaus ver-
bunden, die zumindest kommerziellen Sterbehilfeverei-
nen einen Riegel vorschieben wollen, weil Missbrauch,
finanzielle Abzocke und schlechte Beratung an der
Schwelle zum Tod nichts zu suchen haben. Nur, ich habe
eine Befürchtung: dass manche hier auf die Sterbehilfe-
vereine zielen, aber dabei auch die Ärzte treffen.


(Kerstin Griese [SPD]: Tun wir aber nicht!)


Wer nämlich den ärztlich assistierten Suizid auf die Fälle
beschränken will, bei denen ein Wiederholungsfall aus-
geschlossen ist, der schickt Staatsanwälte an das Sterbe-
bett, ob er das will oder nicht;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Michael Brand [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


denn in jedem Fall eines ärztlich assistierten Suizids


(Michael Brand [CDU/CSU]: Das stimmt einfach nicht!)


muss der Staatsanwalt doch als Erstes feststellen: Ist das
eigentlich der erste Fall? Dann muss er feststellen: Ist ei-
gentlich eine Wiederholung ausgeschlossen, oder hat der
Arzt das auf Wiederholung angelegt? Deswegen muss er
den Arzt vernehmen und muss auch die Hinterbliebenen
vernehmen zu der Frage, was der Arzt ihnen möglicher-
weise gesagt hat. Im Hinblick auf den Absatz 2 dieser
Regelung muss er möglicherweise durch eine Sichtung
der Patienten- und Behandlungsakten noch feststellen,





Burkhard Lischka


(A) (C)



(D)(B)

wie nahe sich eigentlich Arzt und Patient gestanden ha-
ben.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein!)


Kein Arzt in Deutschland wird sich der Gefahr solcher
staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen aussetzen, meine
Damen und Herren!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb ist meine große Befürchtung: Wenn sich kein
Arzt mehr finden wird, dann treiben wir die Menschen in
einer existenziellen Notlage genau dahin, wo wir sie
nicht haben wollen, nämlich in die Illegalität oder in das
Ausland. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
finde, eine humane Gesellschaft muss in Situationen, in
denen Atemnot, Angst, Schmerzen und Qualen nicht
mehr beherrschbar sind,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Palliativmedizin!)


auch die Kraft aufbringen, sterben zu lassen. Und diese
Kraft wünsche ich mir für das weitere Gesetzgebungs-
verfahren.

Recht herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811505000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Göring-

Eckardt.


(Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU])



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sprechen in der Debatte, hier im Parlament und in der
Gesellschaft, über den assistierten Freitod. Wir reden da-
bei über Freiheit, über Selbstbestimmung, über Eigen-
verantwortung, über Würde am Lebensende. Das tun wir
alle. Wir reden über das Ende des Lebens, wissend, dass
es kommen wird – unvermeidlich. Wir reden über den
Tod und meinen doch eigentlich das Sterben. Wir führen
diese Debatte vor allem, weil Menschen in Deutschland
Angst vor dem Sterben haben. Sie haben Angst vor
Schmerzen, Angst vor dem Verlust von Selbstbestim-
mung und Autonomie, Angst vor dem Verlust der Fähig-
keit, ihr Leben in Würde zu leben. Und das verstehe ich
zutiefst.

Wir reden über den Tod, aber wir meinen eigentlich
das Leben. Wir meinen ein Leben, das von Krankheit
und Leid gekennzeichnet ist, von dem wir wissen, dass
es bald zu Ende gehen wird, ein Leben, das bei manchem
betroffenen Menschen Zweifel aufkommen lässt, ob es
denn noch lebenswert sei, ob es denn noch als lebens-
wert betrachtet wird. Aber gibt es das, ein Leben, das
nicht mehr lebenswert ist? Krankheit, Behinderung, Leid
können die Würde des Lebens nicht relativieren. Das Le-
ben verliert seine Würde nicht, und auch der sterbende
Mensch verliert seine Würde nicht.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])


Dennoch gibt es das, was wir „lebensmüde“ nennen.
Die Gründe sind vielfältig – wir kennen sie aus vielen
Umfragen –: die Angst vor Einsamkeit und Isolation, die
Sorge, ins Heim zu müssen, die Sorge, auf Hilfe ange-
wiesen zu sein und sich dafür zu schämen. All das ken-
nen wir, auch wenn diese Sorgen, wie die Umfragen be-
legen, vor allem Menschen im gesunden Alter zwischen
40 und 60 Jahren umtreiben.

Viele von uns, vielleicht alle, diskutieren hier mit sehr
persönlichem Hintergrund, mit eigenen Fragen, mit eige-
nen Erlebnissen. Ich finde, es tut uns im Parlament gut
bei all den Auseinandersetzungen, die wir sonst führen,
Leben und Erleben auch der anderen in den Blick zu
nehmen. Meine Mutter ist bei einem Unfall umgekom-
men, als ich 17 war. Ich hätte sie gerne länger gehabt
und sie gepflegt. Stattdessen musste ich damals entschei-
den, dass die Geräte abgeschaltet werden. Dieses Per-
sönliche verstellt uns aber zugleich womöglich auch den
Blick auf das Ganze. Wir entscheiden eben nicht für uns
alleine, die wir reflektiert, informiert, orientiert sind; je-
denfalls hoffen wir das. Wir sind hier Gesetzgeber und
müssen daher diejenigen ganz besonders in den Blick
nehmen, die auf Schutz und auf Hilfe angewiesen sind,
die Schwächsten nämlich.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Deshalb und nicht mit Blick auf einen einzigen Kolle-
gen oder eine einzige Kollegin hier im Saal frage ich:
Welche Einschränkungen ist diese Gesellschaft eigent-
lich bereit zu akzeptieren und welche nicht? Wo ziehen
wir die Linie? Ich sorge mich um eine Gesellschaft, die
irgendwann akzeptiert, vielleicht sogar erwartet, dass
alte, kranke oder pflegebedürftige Menschen ihrem Le-
ben ein Ende setzen. Ich sorge mich um eine Gesell-
schaft mit unlauteren Sterbeerwartungen. Denn Men-
schen, die mit einer solchen Erwartung konfrontiert
werden, direkt oder indirekt, mit Worten, mit Blicken,
mit Beispielen von anderen, handeln nicht mehr selbst-
bestimmt. Sie sind fremdbestimmt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der LINKEN sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Kritiker führen ja an, dass für solche Entwicklungen
bereits heute Hinweise zu finden sein müssten. Es ist je-
doch ein Unterschied, ob einzelne Menschen in einer in-
dividuellen tragischen Ausnahmesituation handeln oder
ob der assistierte Suizid einen Anschein gesellschaftli-
cher Normalität, einen Anschein von Dienstleistung in
sich trägt. Ich jedenfalls kann keinem Vorhaben zustim-
men, das in der Konsequenz den Respekt vor dem Leben
in allen Facetten, Unvollkommenheiten, in Versehrtheit
und Verzweiflung auch nur schwächt. Der assistierte
Suizid darf deshalb kein organisiertes und schon gar kein
gewerbsmäßiges Angebot werden.





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Wir schulden den Menschen Würde, Selbstbestim-
mung, Hilfe und Unterstützung, auch im Tod. Wir schul-
den es den Menschen, dass sie auch in der letzten Phase
des Lebens Zuwendung erfahren, und dürfen zugleich
nicht von ihnen verlangen, einen qualvollen Weg in Wi-
derwillen zu beschreiten. Der Gesetzgeber sollte deswe-
gen unterstützende Handlungen beim Freitod nicht kri-
minalisieren. Deswegen trägt auch das Argument, dass
die Ärzte es nicht dürften, nicht. Er darf sie aber eben
auch in keiner Weise wie eine Dienstleistung legitimie-
ren. Deswegen geht der Gesetzentwurf der Mitte, den
Kerstin Griese, Herr Brand und andere erarbeitet haben,
genau in diese Richtung: nicht kriminalisieren, aber auch
nicht als Dienstleistung legitimieren.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


In unserer Debatte über den assistierten Suizid müs-
sen wir bedenken, dass es weitergeht. Wir leben in einer
Gesellschaft, die immer mehr verlernt, über Leben,
Krankheit und Tod zu sprechen. Stattdessen wird schon
16-Jährigen suggeriert, sie könnten ihren Körper opera-
tiv optimieren. Und von 60-Jährigen wird fortwährende
vollständige Leistungsfähigkeit erwartet. Schönheit und
Makellosigkeit werden zu Götzen einer Welt, in der im-
mer alles möglich, regelbar, erreichbar, selbstbestimmt
sein soll. Der Tod, das Sterben, die Grenzen, die das Le-
ben hat, werden verdrängt ins Unsichtbare und Unei-
gentliche.

Man kann Grenzen, Leid und Tod aber weder unge-
schehen noch ungesehen machen. Ohne Bewusstsein für
den Tod kann es keinen Respekt für das Leben geben.
Einer solchen Entwicklung sollten und wollen – ich
glaube, da sind wir uns einig – wir keinen Vorschub leis-
ten. Unsere Aufgabe ist es, Hilfe im Sterben zu ermögli-
chen und zu verbessern. Die Angebote der Palliativme-
dizin müssen ausgebaut werden und die Hospizarbeit,
auch die ehrenamtliche, gestärkt werden. Zudem brau-
chen wir die Suizidprävention. Sie muss weiter gestärkt
werden. Es gibt jedes Jahr mehr als 10 000 Suizide. Über
90 Prozent werden von psychisch Kranken vorgenom-
men. Wir als Fraktion haben dazu einen Antrag vorge-
legt. Wir müssen aber auch die Pflege in den Heimen
weiter verbessern.

Zum Schluss. Meine Bitte bleibt: Lassen Sie uns ge-
nau das nicht immer nur pflichtschuldig sagen nach dem
Motto „Ja, ja, wir müssen“. Auch wir sind nämlich ver-
mutlich eines Tages selbst diejenigen, die ihre Selbstbe-
stimmung und Würde bewahren wollen, auch wenn wir
viel an Autonomie verloren haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811505100

Die Kollegin Dr. Katarina Barley spricht als Nächste.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Katarina Barley (SPD):
Rede ID: ID1811505200

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerin-

nen und Zuhörer! Ich bin ausgesprochen froh über diese
Debatte – auch darüber, wie sie abläuft –, weil sie, wie
ich glaube, zeigt, dass das Thema wirklich reflektiert
wird und wir alle uns unsere tiefen moralischen und ethi-
schen Gedanken über diese Frage machen. Sie führt
auch dazu, dass Sterben und Tod wieder ein bisschen
mehr in den Mittelpunkt rücken; denn wir neigen dazu,
die damit zusammenhängenden Fragen eher auszublen-
den.

Auch wir werden sterben – alle von uns –, und nie-
mand von uns weiß, wie ihn dieses Schicksal ereilen
wird. Wir alle wollen in Würde sterben. Aber was
Würde bedeutet, das definiert eben jeder für sich selbst.
Das ist auch gut und richtig so. Daher ist es wichtig, zu
betonen: Niemand hat das Recht, das Leben eines ande-
ren, in welcher Form auch immer es sich gestaltet, als
nicht würdig, als nicht lebenswert zu bezeichnen. Zu-
gleich steht es, wie ich finde, auch niemandem an, einem
anderen Menschen, der sein Leben, das er lebt, als nicht
mehr lebenswert und unwürdig empfindet, zu sagen: Das
ist es nicht. Wir übernehmen diese Wertung für dich. –
Deswegen ist es wichtig, dass wir den Ausbau der Hos-
piz- und Palliativversorgung weiter vorantreiben. Ich bin
sehr froh, dass wir in diesem Hause derzeit dafür sorgen.
Aber wir müssen uns auch Gedanken über diejenigen
machen, denen das nicht hilft, entweder weil die Pallia-
tivversorgung an ihre Grenzen gerät oder weil Schmerz
einfach nicht das tatsächliche und grundlegende existen-
zielle Problem ist, das der eine oder andere Mensch hat.

Menschen haben in diesem Land das Recht, ihr Leben
zu beenden, so sehr wir bedauern, dass sie das tun. Die-
jenigen, die ihnen dabei helfen, bleiben straffrei. Auch
das ist gut und richtig so. Aber wie ist die aktuelle Lage?
Am Ende eines Lebens, wenn ich sterbenskrank bin,
dann kann ich meinen Partner, meinen Nachbarn oder
meine Freunde bitten, mir dabei zu helfen, mein Leben
zu beenden; aber einen kann ich nicht bitten: meinen
Arzt. Ich halte diese Situation für fast absurd. Das ver-
bietet nicht das Strafrecht, aber das ärztliche Standes-
recht verbietet das. Nun kann man sagen: Na ja, es wird
ja nicht umgesetzt. – Ich habe vor kurzem mit dem Bi-
schof von Trier, wo ich lebe, über Sterbehilfe diskutiert
und habe das dabei scherzhaft die „katholische Lösung“
genannt. Wir haben also Regelungen, aber gehen davon
aus, dass sie keiner anwendet. Ich glaube, dass das für
einen Gesetzgeber keine sehr befriedigende Lösung sein
kann. Ich bin froh, dass wir als Gesetzgeber uns dieser
Frage jetzt stellen; denn wir brauchen Rechtssicherheit
für die Ärztinnen und Ärzte. Wir können nicht zulassen,
dass über ihnen das Damoklesschwert von Sanktionen
bis hin zum Entzug der Approbation schwebt.

Wenn Hilfe zum Suizid in Anspruch genommen wird,
dann sollten es meiner Meinung nach gerade die Ärzte
sein, zu denen die Menschen gehen können.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Die wollen das doch selbst nicht!)


Warum? Sie kennen in der Regel die Patientinnen und
Patienten gut und lange, kennen ihre Leidensgeschichte
und können mit ihnen darüber sprechen, was auf sie zu-
kommt. Sie können sie auch beraten, welche Alternati-
ven es gibt,





Dr. Katarina Barley


(A) (C)



(D)(B)


(Michael Brand [CDU/CSU]: Die Ärzte wehren sich doch selbst!)


zum Beispiel Hospiz, Palliativmedizin; all das ist schon
zur Sprache gekommen. Ich glaube – auch das muss man
einfach einmal beim Namen nennen –, wenn es denn tat-
sächlich zur Hilfe beim Suizid kommt, dann sind diese
auch die Menschen, die das am ehesten leisten können.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen
Satz hervorheben, den das Nationale Suizidpräventions-
programm enthält. Darin wird hervorgehoben, dass ins-
besondere ältere Menschen allein aufgrund der Vorstel-
lung, im Falle zu großen Leidens mit ärztlicher Hilfe
Suizid begehen zu können, stabilisiert werden und nicht
nach diesem Ausweg greifen. Allein das Wissen darum,
dass ich zu meinem Arzt gehen und Hilfe bekommen
kann, hilft also schon vielen.

Ich wage einmal einen Vergleich, der natürlich extrem
hinkt: Die Art, wie diese Debatte geführt wird, erinnert
aber mich manchmal an die Debatte zum Schwanger-
schaftsabbruch.


(Kerstin Griese [SPD]: Der Vergleich passt überhaupt nicht!)


Wir wollen das nicht. Wir wollen den Effekt nicht. Wir
wollen nicht, dass Menschen das tun. Aber trotz aller
Beratung und trotz aller Unterstützung wird es Men-
schen geben, die das tun. Und diesen Menschen müssen
wir Unterstützung gewähren. Wir dürfen sie nicht allein-
lassen, sonst werden die Tragödien umso größer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus meinem persönli-
chen Umfeld. Ich habe gerade von der Veranstaltung mit
dem Trierer Bischof gesprochen. Wenige Tage später er-
reichte mich der Anruf einer guten Bekannten. Sie sagte,
ihre Schwester, die Krebs im Endstadium hat, bereits
zwei Suizidversuche hinter sich hatte und nun in der ge-
schlossenen Psychiatrie war, hat sich an genau diesem
Tag, als die Veranstaltung war, eine Plastiktüte über den
Kopf gezogen. Als sie gefunden wurde, hatte sie irrepa-
rable Hirnschäden. Ich habe mich gefragt: Was wäre pas-
siert, wenn die Frau die Möglichkeit gehabt hätte, ihren
Arzt um Unterstützung zu bitten?

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811505300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Claudia Lücking-

Michel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1811505400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ein gutes Ergebnis hat die-
ses Gesetzgebungsverfahren auf jeden Fall schon ge-
bracht: Wir reden über Tod und Sterben. Dieses schwie-
rige Thema war in den letzten Wochen und Monaten
Gegenstand zahlreicher Erörterungen, politischer Veran-
staltungen und privater Gespräche. Immer wieder wur-
den dabei Stimmen laut, die fordern, dass die Entschei-
dung über den eigenen Tod zur Selbstbestimmung und
Autonomie jedes Menschen gehören müsse und der Ge-
setzgeber bzw. die Politik sich da bitte herauszuhalten
habe. Es wird dann etwa so formuliert: Letztlich sterben
wir alle alleine, also sollten wir auch selbst entscheiden
können, wie wir sterben. Wie antworte ich darauf? Auto-
nomie über alles?

Natürlich gilt: Niemals darf ein Mensch zum bloßen
Objekt fremder Interessen herabgewürdigt und durch sie
fremdbestimmt werden. Freie Selbstbestimmung ist ein
hohes Gut und unmittelbarer Ausfluss der Würde des
Menschen. Dies ist für mich ein wesentlicher Bestandteil
auch und gerade des christlichen Menschenbildes. Aber
gleichzeitig hat unsere Selbstbestimmung Grenzen, und
der Anspruch darauf unterliegt in mancher Hinsicht auch
einer Selbsttäuschung. Denn niemand ist eine Insel. Kei-
ner lebt für sich allein. Jeder von uns ist von Anfang bis
Ende, von der Geburt bis zum Tod auf andere angewie-
sen und wird – Autonomie hin oder her – durch sein so-
ziales Umfeld bestimmt.

Wo spricht man dann wirklich autonom? Wo ent-
scheidet unser Selbst? Und umgekehrt: Jede selbstbe-
stimmte Entscheidung eines Menschen hat Auswirkun-
gen auf seine Mitmenschen und beeinflusst unweigerlich
deren Lebensführung und deren Lebensschicksal. Jede
Entscheidung muss deshalb auch in ihrer Wirkung auf
andere nach bestem Wissen und Gewissen verantwortet
werden. Menschliche Autonomie wäre missverstanden,
wenn man sie mit Beliebigkeit oder gar Bindungslosig-
keit gleichsetzte.

Meine Damen und Herren, was heißt das für unser
Thema heute Morgen? Nicht nur sterbenskranke und lei-
dende Menschen, auch manche, denen es noch durchaus
gut geht, die aber Angst vor einem späteren Kontrollver-
lust haben, äußern immer häufiger einen Sterbewunsch.
Dabei fordern sie für sich ein Maß an Selbstbestimmung,
das es auch zu anderen Zeiten im Leben so nicht gibt.
Am Lebensende kommt es erst recht vor, dass man Kon-
trolle abgeben muss.

Schmerz, Leid, Ekel bekommt die Palliativmedizin
dabei heute schon viel besser in den Griff, als viele von
uns es erwarten. Mir macht Hoffnung, wenn Palliativme-
diziner berichten, dass sie die allermeisten Todeskandi-
daten von der Chance des Weiterlebens überzeugen
konnten. Trotzdem wäre es sicher vermessen, zu be-
haupten, dass alles Leid aus dem Leben und seinem
Ende verbannt werden kann. Vieles bekommen wir mit
Medikamenten in den Griff, doch die Konfrontation mit
unserem Ende kann uns niemand abnehmen.

Meine Damen und Herren, sterben muss jeder von
uns alleine. Das stimmt. Aber als Gesellschaft, als Ge-
setzgeber sind wir mit dafür verantwortlich, unter wel-
chen Bedingungen Menschen sterben: alleine oder liebe-
voll versorgt, schwer leidend oder palliativmedizinisch
behandelt; vor allem aber in der Gewissheit, dass wir als





Dr. Claudia Lücking-Michel


(A) (C)



(D)(B)

Gesellschaft keine Kosten und Mühen für sie scheuen
und sie nicht unter Druck gesetzt werden, sich für eine
Selbsttötung zu entscheiden.

Das eine ist die Freiheit, sich selbst für die Selbsttö-
tung zu entscheiden. Die kann und will ich niemandem
nehmen, und das wollen wir auch mit unserem Gesetz-
entwurf nicht ändern. Das andere ist die Erwartung, dass
es in unserer Gesellschaft legalisierte Beihilfeangebote
hinsichtlich der Erfüllung dieses Wunsches geben sollte.
Wenn Beihilfe zum Suizid bei uns erst mal zum Stan-
dardrepertoire gehört, muss ich mich entscheiden; dann
bin ich nicht mehr frei, mich nicht zu dieser Option zu
verhalten. Wenn rechts und links von mir Menschen re-
gelmäßig auf so ein Angebot zugreifen, muss ich mich
selbst ganz anders rechtfertigen, wenn ich es für mich
ausschließe. So eine Situation möchte ich für unser Land
und unsere Gesellschaft verhindern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aus diesem Grund habe ich mich an der Erarbeitung
des Gesetzentwurfes beteiligt, der organisierte, genauer:
geschäftsmäßige Formen von Suizidbeihilfe unter Strafe
stellt. Wir wollen nicht, dass Menschen sich selbst als
Last empfinden und sich unter Druck gesetzt fühlen, sich
aus dem Weg zu räumen. Wir haben uns vielmehr von
der Aussage leiten lassen: Eine Gesellschaft mit mensch-
lichem Gesicht muss Menschen in Not einen menschli-
chen Ausweg anbieten, keinen technischen. Ich bitte
deshalb um Ihre Unterstützung für den Gesetzentwurf
Brand und Griese.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811505500

Der Kollege René Röspel spricht als Nächster.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1811505600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich glaube, es herrscht große Einigkeit im Hause
und in der Gesellschaft, dass Sterben und Sterbende ei-
nen würdigen Platz in unserer Gesellschaft haben müs-
sen. Deswegen ist es gut, dass sich in den letzten Jahren
viele für eine Verbesserung der Palliativmedizin und
Hospizarbeit eingesetzt haben. Denn Hospize sind ein
solcher Platz zum Sterben. In Hospizen werden Men-
schen beim Sterben, in den Tod hinein, würdig begleitet.
Aber in Hospizen ist es nicht Aufgabe und auch nicht
Zielsetzung oder Absicht, den Tod herbeizuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Insofern, lieber Kollege Burkhard Lischka, wird der
Staatsanwalt nach unserem Entwurf nicht am Sterbebett
stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Uneinigkeit besteht sicherlich in zwei Punkten, zum
einen bei der Frage: Wie geht die Gesellschaft, wie ge-
hen wir mit den Personen und Vereinen um, die es sich
zur Aufgabe gemacht haben, deren Ziel und Absicht es
ist, durch Deutschland zu reisen, um Menschen dabei zu
helfen, sich selbst zu töten? Ich finde, dass solche Ver-
eine diese Gesellschaft nicht besser machen, und ich
finde auch nicht, dass sie Probleme der einzelnen Men-
schen lösen, sondern ich finde, dass sie es schlimmer
machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Wir wollen mit dem Gesetzentwurf Brand und Griese
genau das verbieten.

Ein zweiter Punkt der Uneinigkeit ist die Rolle der
Ärztin oder des Arztes bei der Beihilfe zum Suizid. Nun
hat eine Gruppe um den Kollegen Hintze herum den
Vorschlag gemacht, einen Kriterienkatalog in das Bür-
gerliche Gesetzbuch einzubauen. Wer demnach an einer
unheilbaren Erkrankung leidet, die unumkehrbar zum
Tod führt, kann Beihilfe zum Suizid durch den Arzt be-
kommen.

Überall da – das ist zumindest meine Erfahrung –, wo
man einen Katalog schafft und Ansprüche formuliert,
wird es mehr Menschen geben, die sagen: Genau diese
Ansprüche, diese Kriterien erfülle ich, und da ich unheil-
bar erkrankt bin und meine Krankheit – wie übrigens das
Leben auch – unumkehrbar zum Tod führt, erwarte ich
von dir, Arzt oder Ärztin, dass du mir jetzt auch zum
Tode verhilfst. – Ich glaube, auch das ist nicht der rich-
tige Weg. Er würde dazu führen, dass die Kriterien wei-
ter geöffnet werden, weil andere berechtigterweise fra-
gen werden: Aber ist meine Erkrankung denn nicht
unheilbar? Warum werde ich denn nicht in die Lage ver-
setzt, von meinem Arzt verlangen zu dürfen, auch umge-
bracht zu werden? – Ich finde, das hat mit Selbstbestim-
mung nichts zu tun.


(Zuruf des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD])


Rechtssystematisch wird es noch spannender, lieber
Karl; denn dieser Abschnitt soll in § 1921 a Bürgerliches
Gesetzbuch eingefügt werden. Wenn man im Bürgerli-
chen Gesetzbuch einige Seiten vorblättert, dann findet
man § 1901 a, in dem die Patientenverfügung geregelt
wird. Derselbe, der jetzt als Einwilligungsfähiger nur die
Hilfe von seinem Arzt in Anspruch nehmen darf, wenn
er unheilbar erkrankt ist, findet aber, wenn er eine Pa-
tientenverfügung für den Fall ausfüllt, dass er selbst
nicht mehr entscheiden kann, die Möglichkeit, sein Le-
ben unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)

beenden zu lassen. Ich finde, man muss erst einmal er-
klären, wie das zusammengebracht werden soll. Das ist
für mich das Zeichen dafür, dass ein solcher Vorschlag
auch im Bürgerlichen Gesetzbuch keinen Bestand haben
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich sehe das Bemühen, das hinter dem Gesetzentwurf
steht, und die Hoffnung, dass dadurch die Arbeit von
Sterbehilfevereinen vielleicht eingedämmt oder sogar
überflüssig wird. Aber meine Einschätzung ist: Das Ge-
genteil wird erreicht; denn so wird doch erst eine Markt-
lücke geschaffen für Vereine, die Menschen zu beraten,
wie sie den Kriterienkatalog des neuen § 1921 a Bürger-
liches Gesetzbuch erfüllen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN)


Die Sterbehilfevereine werden Konjunktur haben.

Der Gesetzentwurf Brand/Griese, den ich unterstütze,
geht einen anderen Weg, eigentlich den heute üblichen
Weg. Wir sagen: Wenn es um die Beihilfe eines Arztes
oder einer Ärztin zur Selbsttötung geht – in einer
schwierigen Situation, in einer Grenzsituation zwischen
Leben und Tod, zwischen Recht, Selbstbestimmung und
Barmherzigkeit –, dann gibt es keine bessere Instanz als
das Gewissen des einzelnen Arztes. Da geht es nicht um
das Strafgesetzbuch oder um das BGB, sondern um das,
was ein Mensch an Fachwissen, an Erfahrung, an Barm-
herzigkeit, an Mitgefühl angesammelt hat, um einschät-
zen zu können, was der richtige Weg ist. Ärzte sind täg-
lich mit solchen Situationen konfrontiert. Sie müssen
über das Ende von Leben entscheiden, sie müssen loslas-
sen und am Ende vielleicht sagen: Ja, jetzt ist der Zeit-
punkt gekommen, an dem ich Hilfe gebe, damit ein an-
derer sich selbst vielleicht umbringen kann.

Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Da geht es
nicht um das Strafgesetzbuch. Unser Vorschlag ist freier,
offener und selbstbestimmter als die anderen Vorschläge.
Wer unsere Haltung unterstützen will, der muss den Ge-
setzentwurf von Brand und Griese unterstützen. Um
diese Unterstützung bitte ich.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811505700

Abschließender Redner in dieser ersten Lesung ist der

Kollege Rudolf Henke.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1811505800

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte anschließend an
das, was Herr Röspel gerade gesagt hat, nur einen der
existierenden Sterbehilfevereine in Erinnerung bringen.
Der Verein „Sterbehilfe Deutschland“ von Roger Kusch
hat eine Übersicht über seine Tätigkeiten gegeben. Der
Verein berichtet, dass im Jahr 2011 26 Personen Sterbe-
hilfe, besser gesagt: Suizidassistenz, in Anspruch ge-
nommen haben. Sechs dieser Suizidenten waren körper-
lich gesund, nur sechs weitere Personen litten überhaupt
an einer tödlichen Krankheit, bei neun Personen ist der
Suizid ohne jede Diskussion über Alternativen vollzogen
worden. – Das alles geht aus den Dokumentationen des
Vereins hervor. Ich meine, dass man solchen Geschäften,
ob sie nun kommerziell oder im Gewand eines Vereins,
der Mitgliedsbeiträge nimmt, betrieben werden, und sol-
chen Usancen ein Ende bereiten muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Ich möchte zweitens ein paar Worte dazu sagen, was
heute alles möglich ist. Ich habe 1980 nach meinem
Staatsexamen begonnen, als Arzt zu arbeiten. Viele der
Fragen, die man sich damals gestellt hat, sind heute ge-
klärt. Die Patientenverfügung ist rechtlich verankert. Es
gibt heute Richtlinien der Bundesärztekammer über die
Möglichkeit eines Zielwechsels in der Therapie. Wenn
eine kurative Behandlung nicht mehr möglich ist, dann
ist es möglich, auf eine palliative Therapie umzustellen.
Es ist möglich, auf Therapiemaßnahmen, die keinen
Sinn machen, zu verzichten. Das alles war damals, als
ich in den Beruf gekommen bin, noch nicht so. Deswe-
gen kann man den Menschen heute sagen: Niemand
muss eine Therapie erdulden – Strahlentherapie, Opera-
tion, Chemotherapie; was auch immer –, die er selber ab-
lehnt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Eine Behandlung durch Ärzte, die nicht vom Einver-
ständnis einer informierten Patientin bzw. eines infor-
mierten Patienten getragen ist, ist Körperverletzung und
nicht zulässig. Damit haben wir ein starkes Mittel in der
Hand, damit Leute nicht zum Objekt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Sterben lassen ist möglich, und Therapien am Lebens-
ende sind möglich. Selbstverständlich kann der Arzt,
wenn er sich um Schmerzstillung und Beseitigung von
Angst kümmert oder etwas gegen die Luftnot tut, im
Einklang mit dem Betreffenden Nebenwirkungen in
Kauf nehmen, wie das bei jeder anderen Behandlung der
Fall ist. Auch bei Operationen oder Chemotherapien
kann es zu Nebenwirkungen kommen. Das ist gar kein
rechtliches Problem. Das wird auch bei Umsetzung des
Gesetzentwurfs Brand/Griese kein rechtliches Problem
werden.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: So ist es!)






Rudolf Henke


(A) (C)



(D)(B)

Im Dezember 2014 hat der Deutsche Ethikrat eine
Ad-hoc-Empfehlung vorgelegt. Er macht darin deutlich:

Eine Suizidbeihilfe, die keine individuelle Hilfe in
tragischen Ausnahmesituationen, sondern eine Art
Normalfall wäre, etwa im Sinne eines wählbaren
Regelangebots von Ärzten oder im Sinne der
Dienstleistung eines Vereins, wäre geeignet, den
gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben zu
schwächen.

Das ist doch der Punkt. Es ist viel von der Verunsiche-
rung der Ärzte die Rede gewesen. Ich sehe den Grund
dafür nicht; aber ich sehe in manchem, was diskutiert
wird, den Grund für eine Verunsicherung der Alten, der
Schwachen, der Kranken. Denn sie fragen sich, ob sie
unter uns noch willkommen, geachtet, geliebt sind, ob
wir uns ihnen überhaupt zuwenden wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen meine ich: Man kann argumentieren, dass
man die Vereine weiterhin erlauben möchte, weil die
Ärzte verunsichert würden, und man kann den Gesetz-
entwurf von Brand und Griese deshalb ablehnen. Aber
ich finde, man kann – darum geht es in einem Entwurf,
über den hier auch diskutiert wird – ärztlich begleitete
Lebensbeendigung nicht als ein Standardangebot ins
Bürgerliche Gesetzbuch einführen, lieber Peter Hintze.

Lieber Herr Lauterbach, als Mitglied der Ärztekam-
mer Nordrhein wissen Sie doch genau, was aus einem
solchen Standardangebot resultieren wird: Sie werden
eine Zweitmeinung brauchen, Sie werden Qualitätssi-
cherung brauchen, Sie werden eine Gebührenordnung
brauchen, Sie werden ein Fortbildungsangebot und Fort-
bildungspunkte brauchen, Sie werden Forschungspro-
jekte brauchen. Das alles wird Gegenstand des Medizin-
betriebs, wie wir ihn überall kennen; und das möchte ich
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Bravo!)


Damit würde eine Grenze überschritten. Ich zitiere
aus dem Formulierungsvorschlag für eine Änderung des
BGB in diesem Gesetzentwurf:

Die Entscheidung über den Zeitpunkt, die Art und
den Vollzug seiner Lebensbeendigung trifft der Pa-
tient.

– Autonomie! –

Der Vollzug der Lebensbeendigung durch den Pa-
tienten erfolgt unter medizinischer Begleitung.

Was heißt das denn? Der Arzt bleibt dabei. Was heißt
das denn, wenn das Mittel nicht wirkt? Was heißt das
denn, wenn der Betreffende erbricht? Was heißt das
denn, wenn er Krämpfe bekommt? Was heißt das denn,
wenn er den Erfolg des Suizids nicht erreicht? Dann
wird doch der Arzt unter dieser Bedingung – „Der Voll-
zug … durch den Patienten erfolgt unter medizinischer
Begleitung“ – zu einem notwendigen Erfolgsgaranten
der Suizidabsicht.


(Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU])


Damit wird hier die Grenze zur Tötung auf Verlangen
überschritten. Das macht die Tür auf für die Tötung auf
Verlangen;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


denn das verlangen die Menschen dann mit Recht von
den Ärzten, die das einleiten. Da kann man nicht ein
Fläschchen hinstellen und sagen: Okay, dieses Fläsch-
chen steht jetzt da, und im Weiteren kümmere ich mich
nicht mehr darum. – Das ist nicht das, was die Menschen
in einer solchen Situation erwarten. Deswegen sollten
wir das, glaube ich, nicht so regeln, wie das in diesem
Gesetzentwurf vorgeschlagen wird.

Meine Schlussbemerkung: Ich glaube, die Qualität
der Versorgung und die Qualität der Hilfe hängen nicht
davon ab, ob genügend Giftbecher gereicht werden, son-
dern davon, ob es genügend Menschen gibt, die es als
Freunde, als Ehrenamtler bei Sterbenden aushalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie hängt davon ab, ob wir es Angehörigen ermöglichen,
eine aktive Rolle in dem Teil des Lebens ihrer Lieben zu
spielen, den wir das Sterben nennen. Sie hängt auch da-
von ab, ob wir genügend qualifizierte und motivierte
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäu-
sern, in den Arztpraxen und in den Pflegeheimen haben.

Lassen Sie uns in der Debatte über das Pflegestär-
kungsgesetz, über die Palliativversorgung und über Hos-
pize daran arbeiten. Dann kommen wir im Deutschen
Bundestag, glaube ich, mit dem Verbot der Sterbehilfe-
vereine, mit dem Verzicht auf weitere gesetzliche Rege-
lungen, mit dem Verzicht auf eine Bestimmung, die ein
Regelangebot schafft, und mit einer Stärkung der Hos-
pizbewegung und der Palliativversorgung zu einer guten
Lösung.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811505900

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 18/5373, 18/5374, 18/5375
und 18/5376 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu sehe ich keine ande-
ren Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.





Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Reform der Strukturen der

(Krankenhausstrukturgesetz – KHSG)


Drucksache 18/5372
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Versorgungsqualität und Arbeitsbedingungen
in den Krankenhäusern verbessern – Be-
darfsgerechte Personalbemessung gesetzlich
regeln

Drucksache 18/5369
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria
Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gute Versorgung, gute Arbeit – Krankenhäu-
ser zukunftsfest machen

Drucksache 18/5381
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Einen Wi-
derspruch höre ich nicht. Dann ist dies so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem dem
Bundesminister Hermann Gröhe das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1811506000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Die rund 2 000 Krankenhäuser in unserem Land mit ih-
ren gut 1,2 Millionen Beschäftigten leisten mit über
18 Millionen Behandlungen im Jahr einen herausragen-
den Beitrag für die Gesundheitsversorgung. Mit der Re-
form, die wir heute auf den Weg bringen, werden wir ei-
nen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dies angesichts
eines sich immer mehr beschleunigenden medizinischen
und medizinisch-technischen Fortschritts und angesichts
der demografischen Entwicklung für die Zukunft sicher-
zustellen. Diese Sicherstellung ist eine gemeinsame Auf-
gabe des Bundes und der Länder. Deswegen haben wir
diese Reform bis hinein in den Gesetzentwurf gemein-
sam in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe intensiv erar-
beitet. Ich möchte auch an dieser Stelle den beteiligten
Bundesländern für die überaus vertrauensvolle Zusam-
menarbeit ausdrücklich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


So wie wir dieses Gesetzgebungsverfahren partner-
schaftlich eingeleitet haben, so wollen wir es auch ab-
schließen. Deswegen erwähne ich auch hier, dass wir
seitens der Koalition gegenüber den Ländern zugesagt
haben, vor der zweiten und dritten Lesung noch einmal
über die Fassung, die dann hier zur Schlussabstimmung
kommt, intensiv miteinander zu sprechen.

Mit unserer Krankenhausreform machen wir unsere
Krankenhäuser fit für die Zukunft. Wir verbessern die
finanzielle Ausstattung und sichern eine gut erreichbare
Krankenhausmedizin gerade in der Grund- und Regel-
versorgung. Wir stärken die Qualitätsorientierung in der
Krankenhausplanung und Vergütung. Wir stärken die
Pflege im Krankenhaus, gerade die Stationspflege. Denn
gute Pflege ist unverzichtbar für den Behandlungserfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir unterstützen die Länder bei einer Weiterentwick-
lung der Krankenhauslandschaft mit Planungsinstrumen-
ten und einem Strukturfonds. Wir verbessern die finan-
zielle Ausstattung und sichern gut erreichbare
Krankenhausmedizin. Wenn es nach einem Unfall oder
bei einem Schlaganfall schnell gehen muss, ist gute Er-
reichbarkeit ein Kriterium für gute Qualität. Wir stärken
deswegen die Grund- und Regelversorgung beispiels-
weise durch eine verbesserte Notfallvergütung, durch
eine bessere Berücksichtigung der Kostenentwicklung
bei der Fallpauschalenkalkulation und durch Verbesse-
rungen bei der Mengensteuerung. Wir verbessern
schließlich den Sicherstellungszuschlag, wenn es darum
geht, die Existenz eines Krankenhauses, das für die Ver-
sorgung einer Region notwendig ist, abzusichern.

Ich weiß, dass die Regelungen zu den zukünftigen Fi-
nanzierungsmechanismen manche Sorge ausgelöst ha-
ben: die Sorge der Krankenkassen, dass zu viel Geld
fließt, die Sorge der Krankenhäuser, dass zu wenig Geld
fließt. Ich denke, wir werden im Rahmen des Gesetzge-
bungsverfahrens Gelegenheit haben, in intensiven Ge-
sprächen manche – auch manch übertriebene – Sorge
auszuräumen und gegebenenfalls auch Veränderungen
vorzunehmen, wenn sie unserem Ziel einer angemesse-
nen Finanzierung, aber auch des Setzens von Anreizen
für eine zukunftsfähige Strukturweiterentwicklung die-
nen. Wir stärken die Qualitätsorientierung. Besonders
hohe Qualität soll zusätzlich vergütet werden, durch Zu-
schläge oder im Rahmen von Qualitätsverträgen. Das
heißt aber auch, unzureichende Qualität muss Abschläge





Bundesminister Hermann Gröhe


(A) (C)



(D)(B)

oder auch krankenhausplanerische Konsequenzen zur
Folge haben.

Mit der Einführung des Ziels der patientengerechten
sowie qualitativ hochwertigen Versorgung in der Kran-
kenhausplanung stärken wir die Möglichkeit der Länder,
eine qualitätsorientierte Weiterentwicklung der Kran-
kenhauslandschaft vorzunehmen. Ich setze darauf, dass
diese neuen Instrumente mutig genutzt werden.

Dabei geht es vor allen Dingen um eine kluge Ar-
beitsteilung zwischen gut erreichbarer Grund- und Re-
gelversorgung und einer Spezialisierung für hochkom-
plexe Behandlungsabläufe bei seltenen Erkrankungen,
eine Arbeit, die nicht zuletzt die Spitzenmedizin in unse-
ren Universitätskliniken leistet. Dafür werden wir in Zu-
kunft den Zentren die Mehrleistung bzw. die besondere
Leistung angemessen vergüten. Ich erwähne in diesem
Zusammenhang, dass wir bereits im Versorgungsstär-
kungsgesetz durch die Neuregelung bei den Hochschul-
ambulanzen diese besondere Bedeutung der Spitzenme-
dizin unserer Hochschulkliniken ausdrücklich gewürdigt
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen
und stärken die Pflege, vor allem die Stationspflege. Un-
sere Pflegekräfte leisten eine für den Behandlungserfolg
unverzichtbare Arbeit; dafür danke ich ihnen. Sie leisten
eine Arbeit, die oftmals unter schwierigen Bedingungen
stattfindet. Wir ergreifen Schritte, diese Situation zu ver-
bessern. Bereits von 2009 bis 2011 gab es ein Pflegestel-
lenförderprogramm. Nun wird ein weiteres derartiges
Programm einen nächsten Schritt gehen.

Mir liegt aber auch daran, deutlich zu machen, dass
wir ebenfalls verabredet haben, eine Expertenkommis-
sion einzuberufen, in der Expertinnen und Experten aus
Praxis, Wissenschaft und Selbstverwaltung diskutieren
und Vorschläge machen werden, ob durch das Fallpau-
schalensystem oder durch ausdifferenzierte Zusatzent-
gelte der erhöhte Pflegebedarf, beispielsweise von de-
menziell erkrankten, pflegebedürftigen oder behinderten
Patientinnen und Patienten, aber auch der allgemeine
Pflegebedarf in Krankenhäusern sachgerecht abgebildet
werden kann. Ich beabsichtige, die Mitglieder dieser
Kommission alsbald zu berufen, damit diese Kommis-
sion unmittelbar nach der Sommerpause ihre Arbeit auf-
nehmen kann.

Notwendig für zukunftssichere und gute Kranken-
hausmedizin sind ausreichende Investitionen in unsere
Krankenhäuser. Dazu haben sich die Bundesländer in
den Eckpunkten der Bund-Länder-Arbeitsgruppe aus-
drücklich bekannt. Ich erwarte, dass diesem Bekenntnis
Taten folgen. Denn wenn über Behandlungsentgelte In-
vestitionsmittel erwirtschaftet werden müssen, weil
diese nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung ge-
stellt werden, dann geht das nicht zuletzt zulasten der
Pflege. Dies darf nicht sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir unterstützen zugleich
die Länder bei der Aufgabe, durch Investitionen sicher-
zustellen, dass sich unsere Versorgungslandschaft klug
weiterentwickelt. So werden wir den Ländern mit einem
Strukturfonds zum Zweck der Verbesserung der Versor-
gungsstruktur, durch den Abbau von Überkapazitäten,
aber auch durch die Umwandlung von Krankenhäusern
in nicht akutstationäre lokale Versorgungseinrichtungen
bei dieser Arbeit unter die Arme greifen.

Ich erwähne in diesem Zusammenhang ausdrücklich
auch das kommunale Förderprogramm mit einem Volu-
men von 3,5 Milliarden Euro, das als ersten Förder-
zweck Investitionen in Krankenhäuser vorsieht. Das
heißt, wir erwarten entsprechende Aktivitäten der Län-
der. Wir unterstützen sie dabei. Wir zeigen: Wir stehen
gemeinsam in der Verantwortung für eine gute Weiter-
entwicklung der Krankenhauslandschaft in Deutschland.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811506100

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege

Harald Weinberg.

(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811506200

Vielen Dank! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt
draußen vor der Tür gerade in diesen Minuten eine De-
monstration im Rahmen des Streiks für eine höhere Per-
sonalbemessung an der Charité unter dem Motto „Mehr
von uns ist gut für alle“. Ich glaube, das ist das Motto,
das wir insgesamt für die Krankenhäuser brauchen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Protest richtet sich auch dagegen, dass die Politik
das Problem des Personalnotstands in den deutschen
Krankenhäusern seit Jahren ignoriert und auch mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf eher aussitzt als angeht.

Der Gesetzentwurf selbst stößt ohnehin bei nahezu al-
len Beteiligten unisono auf große Ablehnung. Das
betrifft die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Lan-
deskrankenhausgesellschaften, den Verband der Kran-
kenhausdirektoren Deutschlands, den Verband der
leitenden Krankenhausärzte Deutschlands, die Pflege-
verbände, die Gewerkschaften Verdi und Marburger
Bund, die Sozial- und Patientenverbände, den Deutschen
Städtetag, die Bundesärztekammer, die Deutsche Stif-
tung Patientenschutz usw. usf. Einzig die Kassen zeigen
sich erfreut, weil sie sich mehr Einfluss auf die Kranken-
hausplanung und die Krankenhauskosten erhoffen. Alle
anderen lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Der Haupt-
grund: Er löst die Probleme nicht, sondern er verschärft
sie.


(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Man kann den Eindruck bekommen, es gebe hier zwei
Realitäten der Situation in den Krankenhäusern. Die eine
betrifft die Welt der Zahlen, der Dokumentationen, der





Harald Weinberg


(A) (C)



(D)(B)

Case-Mix-Punkte, der Grenzverweildauern, der Men-
genentwicklung, der Evaluationen und der Umsatzrendi-
ten. Hier knüpft der Gesetzentwurf offenbar an. Das
Gesetz wird den Datenkranz demnächst um Qualitäts-
indikatoren und andere Kennzahlen erweitern.

Die andere Wirklichkeit betrifft die realen Zustände
auf den Stationen. Dabei geht es um die Relation von
Pflegekräften – das ist in der Nachtschicht meist nur eine
Pflegekraft – zu Patienten. Ich nenne die Stichwörter
Minutenpflege, Arbeitshetze, permanente Überforde-
rung, steigendes Risiko von und Angst vor Fehlern, Aus-
lassen von eigentlich notwendigen Pflegemaßnahmen
– zum Beispiel von Umlagern –, Einspringen aus der
Freizeit, zeitraubende Dokumentationspflichten, Über-
nahme von pflegefernen, teilweise ärztlichen Tätigkei-
ten, ständige Arbeitsverdichtung, Burnout usw. usf. Da-
raus resultierend gibt es Überlastanzeigen ohne Ende,
eine Flucht aus dem Beruf oder doch zumindest in die
Teilzeit, um den Druck zu kompensieren.

Was die Ursachen anbelangt, nenne ich nackte Zah-
len: Von 1991 bis 2013 stieg die Zahl der Behandlungs-
fälle in den Krankenhäusern um 29 Prozent – also um
fast ein Drittel – auf fast 19 Millionen im Jahr. Im glei-
chen Zeitraum sank die Zahl der Vollzeitpflegekräfte um
3 Prozent. Jeder neue Fall bedeutet für eine Pflegekraft:
Aufnahme in das Krankenhaus, Vorbereitung auf den
Eingriff, Pflege nach der OP und Entlassungsprozedur.
Bei einer durchschnittlich auf rund sieben Tage gesunke-
nen Verweildauer sagt die Bettenauslastung so gut wie
nichts mehr aus.


(Beifall bei der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Der Durchlauf hat sich enorm beschleunigt und bei we-
niger Pflegepersonal die Arbeit enorm verdichtet.

Ich komme zu den Hintergründen. Durch die Strei-
chung des Versorgungszuschlags und die Ablösung des
Mehrleistungsabschlags durch den Fixkostendegres-
sionsabschlag streichen Sie Mittel und verschärfen den
Kostendruck weiter. Die Krankenhäuser selber rechnen
mit wenigstens 500 Millionen Euro pro Jahr, die ihnen
dadurch entzogen werden.

Sie legen außerdem fest, dass die Bundesländer in den
nächsten Jahren ihre Zuschüsse für die Krankenhausin-
vestitionen auf dem niedrigsten Niveau der letzten
40 Jahre festschreiben, die Krankenhäuser also dauerhaft
so wenig Investitionsmittel erhalten wie noch nie. Kran-
kenhäuser müssen aber investieren, damit sie in dem
politisch gewollten Wettbewerb untereinander überleben
können. Dazu nehmen sie in der Regel das Geld, das für
den Betrieb bzw. das Personal gedacht ist, und finanzie-
ren davon neue Großgeräte oder bauen um. Unter den
Bedingungen der Fallpauschalen entsteht dabei nicht nur
der Zwang, am Personal zu sparen, sondern auch mög-
lichst lukrative Prozeduren an möglichst jüngeren und
gesünderen Patienten vorzunehmen.

Dazu kommt jetzt neuerdings die Qualitätsvergütung
ins Spiel. Nicht nur die Menge, sondern auch die Quali-
tät soll in Zukunft bestimmen, wieviel Umsatz ein Kran-
kenhaus macht. Aus unserer Sicht wollen Sie damit de
facto noch einmal den Wettbewerbsturbo einlegen. Die
Qualitätsdiskussion selbst ist da nur ein Vorwand. Sie
wollen nicht die Qualität in den Krankenhäusern verbes-
sern, sondern Sie wollen – das sagen Sie auch mehr oder
minder unverblümt – Krankenhäuser mit schlechter
Qualität, denen die Mittel gekürzt werden, aus dem
Markt herausbringen.

Ich habe noch nie gehört, dass man mit Mittelkürzun-
gen die Qualität verbessern kann.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Man kann damit aber erreichen, dass Krankenhäuser ge-
schlossen werden und eine Ausdünnung der Kranken-
hauslandschaft vorgenommen wird. Dazu passt auch die
Abwrackprämie für Krankenhäuser, beschönigend „Struk-
turfonds“ genannt. Insgesamt 1 Milliarde Euro sollen für
die Schließung von Krankenhäusern und die Umwand-
lung in Pflegeheime und anderes bereitstehen, im Übri-
gen auch noch mittels einer sachfremden Finanzierung:
indem Sie 0,5 Milliarden Euro aus den Versichertenbei-
trägen des Gesundheitsfonds nehmen.

Schlecht ist Ihr Gesetz sogar dort, wo Sie vorgeben,
etwas Gutes zu tun: beim Pflegestellenförderprogramm.
Die Gewerkschaft Verdi geht bei ihrem Personalcheck
davon aus, dass in den deutschen Krankenhäusern
70 000 Pflegekräfte fehlen. Sie wollen 6 000 bis 6 500
Stellen fördern, und das auch erst ab 2018. Das ist ein
Faktor 10 weniger, als man bräuchte, um die Not der
Krankenhäuser abzuwenden. Umgerechnet entspricht
das drei Stellen pro Krankenhaus. Sie merken, durch ein
solches Programm wird keine Stärkung der Pflege er-
reicht.

Das sage übrigens nicht nur ich, das sagt zum Beispiel
auch der Patientenbeauftragte der Bayerischen Staatsre-
gierung, der Landtagsabgeordnete Imhof von der CSU,


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Aha!)

politisch unverdächtig, ein Linker zu sein. Ich zitiere:

Ein Gesetz, das jedem Krankenhaus in Deutschland
Mittel für höchstens drei zusätzliche Pflegekräfte
bereitstellt, ist ungeeignet, die wachsende Belas-
tung des Pflegepersonals in den Krankenhäusern
langfristig zu verringern.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist im Jahr 2018 ein Tropfen auf den heißen
Stein und in den nächsten 2 Jahren wird überhaupt
keine Personalmehrung für den Patienten feststell-
bar sein. Die Fördersumme muss drastisch erhöht
werden, um tatsächlich mehr Pflegekräfte ans Bett
des Patienten zu bekommen.


(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem führte er aus – Zitat –:

Den Krankenhäusern werden ab … 2017 bundes-
weit 500 Mio. Euro gestrichen. Und ab 2018 kön-
nen sie 330 Mio. Euro Fördermittel erhalten. Das
heißt, die Krankenhäuser finanzieren ihr Förderpro-
gramm selbst! Das ist absurd und dient nicht dem
Wohl des Patienten!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)






Harald Weinberg


(A) (C)



(D)(B)

Recht hat er, mit Sicherheit. Die CSU-Abgeordneten in
diesem Haus sollten sich das Urteil ihres Parteikollegen
sehr zu Herzen nehmen.

Es ist ein Irrweg, in der Krankenhauspolitik mit im-
mer mehr Markt die Probleme zu beseitigen, die durch
die Einführung des Marktes erst entstanden sind.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Deswegen waren die DDR-Krankenhäuser auch so gut: Sie waren staatlich!)


Wir von der Linken fordern einen Neustart in der
Krankenhauspolitik:


(Beifall bei der LINKEN)


Erstens müssen die Länder mehr investieren und sich
das auch leisten können. Dafür muss man die Steuerpoli-
tik ändern. Mit diesem Geld wollen wir die Kranken-
hausplanung wiederbeleben, die momentan aus Geld-
mangel fast nicht mehr stattfindet, und wir wollen sie
dann auch so ausrichten, dass sie übersektoral stattfindet.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens müssen wir weg vom Fallpauschalensys-
tem, weil es falsche Anreize setzt.

Drittens brauchen wir mehr Personal. Das geht am
besten über eine gesetzliche Personalbemessung.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb bringen wir heute parallel einen Antrag ein zur
Einführung einer gesetzlichen Personalbemessung, die
sich am Bedarf ausrichtet. Damit würde sich wirklich die
Versorgungsqualität verbessern.

Kurz: Bei uns steht nicht die weitere Kommerzialisie-
rung der Krankenhäuser, sondern die gute Versorgung
der Patientinnen und Patienten sowie gute Arbeitsbedin-
gungen für die Beschäftigten im Mittelpunkt.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb unterstützen wir auch den Streik an der
Charité.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Kolleginnen und Kollegen streiken nicht für mehr
Geld, sondern für ausreichend viele Pflegekräfte auf den
Stationen. Nach elf Tagen Streik ist jetzt eine Rahmen-
vereinbarung geschaffen worden, die ganz offensichtlich
in diese Richtung geht. Das ist dringend notwendig;
denn damit würden die Behandlungsqualität verbessert,
die Behandlungsergebnisse verbessert und die Sterblich-
keit verringert. Ich hoffe und bin überzeugt, dass sich
auch die Beschäftigten anderer Krankenhäuser einen sol-
chen Arbeitskampf als Beispiel nehmen und für mehr
Personal kämpfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Abschließend: Wir teilen die breite Kritik an diesem
Gesetzentwurf. Ich hoffe, es wird noch Änderungen zum
Guten geben; denn schlechter geht es kaum.


(Hilde Mattheis [SPD]: Ach!)

Alles in allem kann ich mir aber nicht vorstellen, dass
sich die Grundrichtung noch ändern wird – so wirksam
ist das Struck’sche Gesetz leider doch nicht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811506300

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr. Karl

Lauterbach.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1811506400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Bevor ich mit meiner Rede beginne, zunächst
einmal kurz die üblichen, fast schon dazugehörenden
Korrekturen an den Äußerungen des Kollegen von der
Linkspartei. Ich wünschte, wir könnten uns das ersparen
und sofort zum Thema kommen; aber es ist offenbar
nicht anders möglich.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ehrt uns auch ein bisschen!)


Zum einen ist es, anders als gesagt wurde, nicht so, dass
wir die Investitionsmittel der Länder, die zu knapp sind
– da sind wir uns ja alle einig –, festschreiben. So ist es
einfach nicht. Wir sagen, dass mindestens so viel bezahlt
werden muss, damit man die Mittel aus dem Struktur-
fonds – die 500 Millionen Euro – nutzen kann.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Es ist doch klar, dass es unter dem Diktat der Schuldenbremse nicht mehr wird!)


Somit – ich übersetze es jetzt für jeden, der es nicht ver-
standen hat – ist es sozusagen eine Mindestauflage, die
man erfüllen muss. Dadurch verhindern wir, dass durch
die Mittel des Strukturfonds die ohnehin zu geringen In-
vestitionsmittel der Länder noch reduziert werden. Da-
rum geht es. Das war die erste wichtige Korrektur.

Die zweite Korrektur ist, dass es nicht sofort Ab-
schläge geben wird. Die Krankenhäuser, die am Anfang
nachweislich Qualitätsprobleme haben und damit die Pa-
tienten gefährden – die Patienten kamen in Ihrem Vor-
trag so gut wie nicht vor –,


(Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])


müssen im ersten Jahr noch keine Abschläge hinneh-
men, sondern erst im Jahr danach. Sie erhalten erst ein-
mal die Möglichkeit, ihre Qualität zu verbessern. Zu-
schläge gibt es aber sofort. Das ist ein sehr wichtiger
Unterschied. Bei guter Qualität gibt es also sofort Zu-
schläge, Abschläge gibt es nur, wenn sich auch nach
dem ersten Jahr nichts verändert.

Die dritte Korrektur. Wir haben hier von Ihrer Unter-
stützung des Streiks gehört. Sie hätten aber noch erwäh-
nen müssen, dass die Einigung, die in der letzten Nacht
erfolgt ist – es wurde eine Rahmenvereinbarung ge-
schlossen –, eine gute Einigung in unserem gemeinsa-





Dr. Karl Lauterbach


(A) (C)



(D)(B)

men Sinne gewesen ist und dass nicht nur Sie, sondern
auch wir diesen Streik unterstützt haben.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das macht es ja nicht besser!)


– Das macht es schon besser. – Das ist ein gutes Ergeb-
nis noch bevor die Verbesserungen durch das Gesetz er-
folgen. Von daher war Ihre Rede aus meiner Sicht am
Thema vorbei.


(Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


– Es ist aber wichtig, das hier richtigzustellen.

Unser Gesetzentwurf, den wir hier vorlegen, hat im
Prinzip zwei Schwerpunkte:

Zum einen geht es um mehr Pflege, also um das Pfle-
geförderprogramm. Über die Höhe kann man streiten;
das ist ganz klar. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass
ich mir hier eine weitere Aufstockung gut vorstellen
könnte. Wir sind ja auch noch in den Verhandlungen.
Würdigen Sie aber doch erst einmal 660 Millionen Euro
an zusätzlichen Ausgaben. Das muss man doch anerken-
nen. Das ist in der heutigen Zeit doch nicht leicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zum anderen geht es um mehr Qualität. Die Qualität
wird bei der Vergütung einzelner Krankenhäuser und bei
der Landeskrankenhausplanung berücksichtigt. Bei der
Landeskrankenhausplanung durfte sie bisher nicht be-
rücksichtigt werden, obwohl dies hochsinnvoll gewesen
wäre. Dort konnte alles berücksichtigt werden, nur nicht
die Qualität. Dieser Fehler wird jetzt endlich beseitigt.
Das neue Institut für Qualitätssicherung und Transpa-
renz im Gesundheitswesen schafft dafür Daten, womit
die Leistungen verglichen werden können.

Es ist doch sinnvoll, dass wir Krankenhausinfektio-
nen vermeiden. Wie soll ich das denn machen, wenn ich
die Qualität der Häuser nicht vergleiche und die Hono-
rierung nicht danach ausrichte?

Bei bestimmten Leistungen, die zu selten erbracht
werden, kann es zu schweren Komplikationen kommen.
Dann steigt das Risiko des Patienten, daran zu sterben,
deutlich an. Ein Beispiel ist der Eingriff beim Bauch-
speicheldrüsenkrebs. Das ist eine sehr komplizierte Ope-
ration mit einer hohen Sterblichkeit, wenn sie nicht so
oft erfolgt. Sie erwähnen mit keinem Wort, dass wir hier
eine rechtssichere Mindestmengenregelung vorsehen,
wodurch der Patient vor diesen Komplikationen ge-
schützt wird.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ich hatte nur acht Minuten! Das ist das Problem!)


Das ist doch eine sinnvolle Schlagrichtung unseres Ge-
setzentwurfes. Mehr Pflege, bessere Qualität: Die Hono-
rierung soll in diese Richtung ausgerichtet werden. Hier
machen wir eine Menge.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Beim Betrachten der Krankenhausstruktur richten Sie
den Blick schwerpunktmäßig auf das Tonnageprinzip,
nach dem Motto: Jedes aufgestellte Bett und jedes zu-
sätzliche Krankenhaus ist erst einmal gut, weil das ein
Arbeitsplatz ist. Das ist aber doch nicht die richtige
Denkweise für unser Gesundheitssystem. Das kann doch
nicht richtig sein. Bereits jetzt stehen zwischen 30 und
40 Prozent der Krankenhausbetten leer. Wir können
doch kein Interesse an teuren, leeren Krankenhausbetten
haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dieses System macht doch keinen Sinn. Machen wir uns
doch nichts vor.

Im europäischen Vergleich haben wir zum Beispiel zu
wenige Einrichtungen, die teilstationär palliativ arbeiten,
in denen man also zeitweise behandelt werden kann –
ambulant und stationär. Die Struktur ist nicht flexibel ge-
nug. Sie sagen aber: Jedes Krankenhaus muss am Netz
bleiben. Wir wollen das Tonnageprinzip durchsetzen.
Ein Krankenhaus, das da ist, ist gut, egal wie gut die
Qualität ist. Ob es gebraucht wird oder nicht und ob dort
Menschen leben oder nicht, ist egal. Ein Bett, das dort
steht, ist gut. Ob es voll ist oder leer, ist egal.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Quatsch!)


Das ist nicht die richtige Denkweise. Die Planung
muss sich am medizinischen Bedarf orientieren, und es
darf keine ideologische Betten- und Häuserkapazitäts-
planung geben. Das ist nicht mehr zeitgemäß und passt
nicht zu dem, was wir brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zum Abschluss. Für gleiche Fälle wurden
bislang von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche
Zahlungen geleistet. Wir haben die Konvergenz dieser
Bezahlung beschleunigt, sodass dort mehr Gerechtigkeit
aufkommt. Es kann nämlich nicht angehen, dass die
Leistungen von Bundesland zu Bundesland unterschied-
lich bezahlt werden. Das bringen wir zusammen. Wir
stärken die Palliativmedizin deutlich, was in der Diskus-
sion zur Sterbehilfe vorhin als wichtiges Problem er-
kannt worden ist.

Wir reduzieren auch nicht die Zuschläge für Kranken-
häuser, wenn Gelder zum Aufbau der Palliativmedizin
genutzt werden. Das Gleiche gilt auch für neue Leistun-
gen. Wenn eine neue medizinische Leistung in den Be-
darfsplan aufgenommen wird, dann gibt es dafür keine
Abschläge bei den Zuschlägen. Das sind alles kleine,
aber sinnvolle Schritte in die richtige Richtung. Von da-
her stimmt es schon: Es gibt nichts, was man nicht noch
verbessern könnte. Aber ich glaube, dass wir insgesamt
gemeinsam einen wichtigen Schritt in Richtung einer
besseren Qualität und einer besseren Pflegeversorgung
in unseren Krankenhäusern gehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811506500

Der Kollege Dr. Harald Terpe spricht jetzt für Bünd-

nis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811506600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, uns eint die Einschätzung, dass Krankenhäuser
ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Bestandteil der
Daseinsvorsorge in unserem Gesundheitswesen sind;
denn von kleinen Eingriffen bis hin zu aufwendigen
Transplantationen, von der Geburtshilfe bis hin zur pal-
liativen Begleitung Sterbender leisten die Beschäftigten
dort jeden Tag Dienst am Menschen, und das sehr ver-
antwortungsvoll.


(Beifall im ganzen Hause)


Der Einschätzung, dass wir das im weltweiten Vergleich
auf einem sehr hohen Qualitätsniveau tun, kann man
sich nicht verschließen.

Dennoch ist sowohl für die Patientinnen und Patien-
ten als auch für die Beschäftigten im Krankenhaus spür-
bar, dass es erheblichen Reformbedarf gibt. Die Arbeits-
belastung, insbesondere die der Pflegekräfte, steigt.
Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger sehen
sich aufgrund von Arbeitsverdichtung und Zeitdruck oft-
mals nicht mehr in der Lage, so auf die Patienten einzu-
gehen, wie sie es gerne tun würden. Notwendige Investi-
tionen werden von den Ländern auf die lange Bank
geschoben. Kliniken finanzieren das momentan gezwun-
genermaßen aus den Mitteln für die laufenden Betriebs-
kosten; Geld, das dann woanders fehlt, insbesondere im
Zusammenhang mit der beschriebenen Arbeitsbelastung
und Arbeitsverdichtung.

Zudem gibt es weiterhin Brüche zwischen ambulanter
und stationärer Versorgung, weil die Krankenhauspla-
nung der Länder nicht gemeinsam mit der Bedarfspla-
nung im niedergelassenen Bereich gemacht wird. Über-
haupt ist das mit der Bedarfsplanung so eine Sache: Der
Kollege Karl Lauterbach, den ich sehr schätze, hat eben
gesagt: Wir brauchen an sich in der Versorgung eine ver-
stärkte Orientierung am Bedarf.


(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Genau!)


Das führt mich zu der Tatsache, dass es regional teil-
weise erhebliche Überkapazitäten gibt und dass dies zu
der prekären Lage aller Krankenhäuser beiträgt. Man
muss es einfach einmal so sagen: Wenn in einer Region
ein Krankenhaus mehr vorhanden ist und es dadurch zu
Überkapazitäten kommt, dann geht es allen Krankenhäu-
sern schlecht, egal ob sich dadurch der Wettbewerb er-
höht. Da kann man machen, was man will. Hier müssten
die Akzente anders gesetzt werden, um eine solche Si-
tuation zu beseitigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wenn die Bundesregierung nun eine Krankenhausre-
form in Angriff nimmt, dann sollte sie, so könnte man
meinen, diese großen Baustellen angehen. Doch weit ge-
fehlt! Im Gesetzentwurf finden sich weder Vorschläge
zur Investitionsfinanzierung noch Ansätze bzw. nur ge-
ringe Ansätze zu einer besseren sektorenübergreifenden
Planung. Das muss in Zukunft stärker forciert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich muss auch sagen: Die Ansätze zur Verbesserung
der Situation in der Pflege bleiben so zahm, dass sie
kaum etwas verändern werden. Mit anderen Worten: Mit
dem Pflegestellenprogramm wird der Pflegenotstand
nicht einmal annähernd beseitigt.


(Beifall der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das spiegelt sich auch in der Auseinandersetzung wider:
Der Kollege Lauterbach hat erkannt bzw. kann sich gut
vorstellen, dass eine Aufstockung der Mittel für das
Pflegestellenprogramm sinnvoll ist.

Kürzlich konnten wir in der FAZ lesen, dass die CSU
von diesen Plänen nichts hält, aber im Gegenzug eine
Finanzspritze für die Notfallambulanzen fordert. Meiner
Meinung nach muss man beides machen. Es steht – dazu
finden sich in dem Gesetzentwurf wenig Anstöße –


(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Verhandeln wir gerade!)


eine Reform der Notfallversorgung an. Diese Reform
muss in Angriff genommen werden. Wir brauchen für
beides Geld.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Also: Wir fordern Sie auf, die Investitionsfinanzie-
rung endlich grundsätzlich anzugehen. Ich verweise in
diesem Zusammenhang auf unseren Antrag, den wir
2007 vorgelegt haben. Er könnte die Grundlage dafür
sein, aber wir verschließen uns auch nicht anderen mög-
lichen Regelungsmechanismen. Denn es geht um erheb-
lich viel Geld für die Krankenhäuser.

Ich hoffe, dass wir im parlamentarischen Verfahren
noch ein deutliches Stück weiterkommen, um dem von
Ihnen vorgeschlagenen Krankenhausreformpaket, das ei-
nige Ansätze enthält, die man weiterführen könnte, einen
erheblichen Schub zu verleihen. Ich stelle sehr gern
meine Erfahrung in den Dienst eines solchen Schubes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811506700

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein,

CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD])



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1811506800

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der

Kollege Terpe hat recht, wenn er sagt, dass uns alle das
Ringen um eine flächendeckende stationäre und zuneh-
mend auch im ambulanten Bereich wichtige Kranken-
hausversorgung eint. Diese Versorgung muss natürlich
wirtschaftlich und insbesondere auch finanzierbar sein.
Das heißt aber nicht, Herr Kollege Weinberg, dass man
es sich so leicht machen kann wie Sie mit der Aussage,
wir würden Personal nur als Kostenfaktor sehen. Wir
alle sehen ganz deutlich, was die Pflegerinnen und Pfle-
ger und die Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern





Dr. Georg Nüßlein


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unter der Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung jeden
Tag und jede Stunde leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Es stimmt aber auch, dass die Personalkosten zwei
Drittel der Kosten ausmachen. In dem Gesetzentwurf
geht es auch darum, wie man genau diese zwei Drittel
der Kosten finanziert. Die GKV hat bei den Kranken-
häusern einen Kostenblock von 68 Milliarden Euro. Das
ist der größte Ausgabenblock, der ein Drittel der Ge-
samtausgaben ausmacht. Dieser Ausgabenblock ist in
den letzten sieben Jahren um 15 Milliarden Euro, das
heißt um fast 30 Prozent, gestiegen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das muss so sein!)


Das zeigt, wie notwendig es ist, sich darüber Gedanken
zu machen, wie man auf der einen Seite die Versorgung
verbessert, auf der anderen Seite aber auch sicherstellt,
dass die gute Versorgung finanzierbar bleibt.

Wir haben dazu mit den Ländern verhandelt – und
zwar gut verhandelt; darin hat der Minister sicher recht –,
in einer sehr kooperativen Art und Weise. Der Bundes-
gesundheitsminister hat – das möchte ich unterstreichen –
die Verhandlungsergebnisse präzise und gut in einen Ge-
setzentwurf umgesetzt. Auch das muss man deutlich sa-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb ärgert es mich, dass der eine oder andere aus
den Reihen der Länder, der an den Verhandlungen teilge-
nommen hat, sich nicht mehr präzise erinnern kann, wo-
für er am Schluss gestimmt hat.

Ich verstehe, dass wir darüber diskutieren wollen, und
es ist auch Fakt, dass wir tatsächlich im parlamentari-
schen Verfahren in der Koalition gemeinsam das eine
oder andere verbessern und verändern wollen.


(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das gilt insbesondere für Bayern!)


Aber man muss auch deutlich sagen, dass man hinter
dem steht, was jetzt auf dem Tisch liegt.

Wir wollen die Qualität verbessern. Die Qualitätszu-
schläge und -abschläge in der Praxis umzusetzen, ist ein
Riesenanspruch. Dabei darf eines nicht passieren, näm-
lich dass das Ganze letztlich zu mehr Bürokratieaufwand
und Dokumentationspflichten führt. Das ist ganz ent-
scheidend. Darauf kommt es an.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem
Zusammenhang auch die Rolle des MDK ansprechen.
Mittlerweile gibt es seitens der Krankenhäuser gegen-
über dem MDK eine sehr emotionale Haltung, manch-
mal nicht ganz unbegründet aufgrund der Erfahrungen,
die man damit gemacht hat.

Wir sollten uns im parlamentarischen Verfahren ganz
präzise überlegen, ob wir angesichts der Emotionalität,
die im Raum steht, Gefahr laufen möchten, das, was wir
umsetzen wollen, nämlich mehr Qualität im Kranken-
hausbereich, zu gefährden. Wir müssen an dieser Stelle
darüber nachdenken, ob das die richtige Institution für
die Prüfung der Qualität ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne ausreichende Pflege gibt es keine Qualität!)


Wir wollen die Versorgung im ländlichen Raum si-
cherstellen. Das ist ein Kernanliegen. Deshalb sehen wir
Sicherstellungszuschläge vor, die erstmals diesen Na-
men verdienen. Sie kommen nicht nur auf den Inseln
zum Tragen, wie das bisher der Fall war. Vielmehr sollen
damit Leistungen, die sonst nicht wohnortnah anzubie-
ten sind, wie der Name schon sagt, sichergestellt wer-
den. Auch das bitte ich entsprechend zu würdigen.

Wir stärken die finanziellen Grundlagen. Der Bundes-
rat fordert, die doppelte Degression auch bei den Zu-
satzentgelten komplett abzuschaffen. Darüber kann man
natürlich diskutieren. Ich tue mich aber schwer, diese
Forderung zu befürworten, wenn gleichzeitig der Versor-
gungszuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro, der sei-
nerzeit eingeführt wurde, um die Auswirkungen der dop-
pelten Degression abzumildern, beibehalten werden soll.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Wählerberuhigungstrostpflaster!)


Das ist inkonsequent und nur schwer vermittelbar. Das
sage ich insbesondere an die Adresse der Bayerischen
Staatsregierung, die das fordert.

Wir werden in den Beratungen sicherlich an der einen
oder anderen Stelle nachjustieren. Die ambulante Not-
fallversorgung wurde bereits angesprochen. Hier geht es
nicht nur um mehr Geld, sondern auch um die Frage, wie
sichergestellt werden kann, dass das Geld dort ankommt,
wo die Leistungen erbracht werden, und dass keine zu-
sätzlichen Anreize für eine noch stärkere Verschiebung
durch die Ärzteschaft in Richtung ambulante Dienste der
Krankenhäuser gesetzt werden. Wir müssen darüber
nachdenken, wie sich das miteinander vereinbaren lässt.
Das sollte uns aber gelingen.

Wir steuern die Mengenentwicklung; das ist kompli-
ziert genug. Wenn Mengenverlagerungen strukturbe-
dingt stattfinden, zum Beispiel dadurch, dass Kranken-
häuser geschlossen werden, dann darf das nach
Auffassung einiger nicht zu Fixkostendegressionsab-
schlägen führen. Auch darüber lässt sich sicherlich dis-
kutieren. Aber Fakt ist, dass auch solche Mengenverla-
gerungen in der betriebswirtschaftlichen Realität zu
einer Fixkostendegression führen. In den weiteren Bera-
tungen müssen wir gründlich prüfen, ob die Instrumente
zur Mengensteuerung, die wir verändert haben, in der
kumulativen Wirkung zu starke finanzielle Begrenzun-
gen auslösen. Mich irritiert, dass uns einerseits vorgehal-
ten wird, wir kürzten die Budgets um 1 Milliarde Euro
– das ist der Ansatz auf der Krankenhausseite –, und
dass uns andererseits die Krankenkassen sagen, wir wür-
den für Mehrausgaben in Höhe von 5 Milliarden Euro
sorgen. Was denn nun? Aus meiner Sicht passt das nicht
zusammen. Das kann so nicht richtig sein.





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



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Das Pflegestellenförderprogramm ist ein wichtiger
und entscheidender Bestandteil des Gesetzes. Herr Kol-
lege Lauterbach, natürlich kann man darüber diskutie-
ren, wie sich dieses Programm ausweiten lässt.


(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man auch mit mir diskutieren!)


Aber die Realität sieht folgendermaßen aus: Laut BA
gibt es 7 400 offene Stellen im Pflegebereich, denen ge-
rade einmal 5 800 Arbeitsuchende mit geeigneter Quali-
fikation gegenüberstehen. Ein frei werdender Arbeits-
platz in diesem Bereich bleibt im Schnitt mehr als vier
Monate unbesetzt.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die Arbeitsbedingungen besser würden, wäre es anders!)


Nur das Programm auszuweiten, ohne dass man weiß, ob
es genügend Bewerber gibt, ist zu wenig. Das muss ich
in aller Klarheit sagen, bei aller Sympathie, die ich an
dieser Stelle habe.


(Beifall des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU])


Abschließend möchte ich noch etwas zum Struktur-
fonds sagen. Wir wollen Überkapazitäten abbauen, aber
unter finanzieller Beteiligung der Länder; denn die Län-
der sind bei den Investitionskosten in der Pflicht und
müssen das auch bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811506900

Sehr geschätzter Herr Kollege Nüßlein, denken Sie an

die Redezeit.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1811507000

Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident. – Da-

her können die Länder nicht lamentieren, dass wir fest-
gelegt haben, dass in Zukunft die Länder ihre durch-
schnittlichen Haushaltsansätze der letzten drei Jahre
fortschreiben müssen. Natürlich müssen die Länder das
tun. Nun sind einige Länder, die in Wahlkampfzeiten
ihre Investitionen hoch- und danach heruntergefahren
haben, der Meinung, dass sie bei diesem Fonds zu kurz
kommen. Dazu kann ich nur sagen: Man sollte sich in
Zukunft gut überlegen, wie man sich in Wahlkämpfen zu
verhalten hat.

In diesem Sinne: Auf gute Beratungen. Vielen herzli-
chen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811507100

Als Nächste spricht die Kollegin Elisabeth

Scharfenberg für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister Gröhe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Damen und Herren! Ihr Krankenhausstrukturge-
setz hat einen beeindruckenden Umfang. Ich denke, es
geht ein bisschen nach dem Motto: Viel hilft viel. Aber
auf die wesentlichen Fragen geben Sie uns trotzdem
keine Antworten. Darüber täuschen auch Hunderte von
Seiten nicht hinweg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich meine hier ganz besonders den Personalmangel in
den Krankenhäusern. Seit Jahren spitzt sich doch die
Lage immer weiter zu. Jetzt zeigen die Pflegekräfte die
Zähne. Am Mittwoch letzter Woche haben Beschäftigte
von Kliniken bundesweit im Rahmen der Verdi-Aktion
„162 000 für 162 000“ auf die unhaltbaren Zustände hin-
gewiesen. Die Zahl 162 000 steht für die fehlenden Pfle-
gekräfte in unserem Land.

Hier in Berlin hat das Personal der Charité gestreikt.
Jetzt hat man sich geeinigt – das wurde eben gesagt –,
aber damit ist die Kuh doch nicht vom Eis. Das ist doch
ein ganz deutliches Alarmzeichen dafür, dass in deut-
schen Kliniken ganz gewaltig etwas schiefläuft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will noch eine Zahl nennen, um das zu verdeutli-
chen. Zwischen 1996 und 2012 wurden rund 11 Prozent
der Vollzeitstellen in der Krankenhauspflege abgebaut.
11 Prozent, meine Damen und Herren! Niemand hier
wird doch ernsthaft behaupten wollen, dass es bis zum
Jahr 1996 11 Prozent zu viele Pflegekräfte in den deut-
schen Kliniken gab. Es hat ein massiver Personalabbau
stattgefunden, und von diesem Personalabbau haben sich
die Kliniken bis heute nicht erholt.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: So ist das!)


Seit der Aussetzung der sogenannten Pflege-Perso-
nalregelung, PPR, gibt es keinen Mechanismus mehr,
der Kosteneinsparungen zulasten der Pflege wirksam
verhindert. Es gibt keinen Mechanismus mehr, der auch
nur irgendwie ermittelt, wie viele Pflegekräfte eigentlich
gebraucht werden. Auch die Fallpauschalen, die DRGs,
leisten das nicht. In der aktuellen Form haben die DRGs
dazu geführt, dass die Krankenhäuser die wirtschaftlich
attraktiven ärztlichen Leistungen mehr im Fokus haben.
Das geht zulasten anderer Bereiche, insbesondere zulas-
ten der Pflege.

Dennoch habe ich bei Ihrem Gesetzentwurf das Ge-
fühl, dass Sie diese beunruhigende Entwicklung über-
haupt nicht realisieren. Ja, Sie legen ein Pflegestellenför-
derprogramm auf, und, ja, das musste von den Ländern
sehr mühsam in dieses Gesetz hineinverhandelt werden.


(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Nein! Wir haben das verhandelt! Wir wollten das alle!)


Das Pflegestellenförderprogramm ist gut und richtig, um
etwas Zeit zu gewinnen und damit das Thema Personal-
not nicht in Vergessenheit gerät. Aber auf Dauer ist das
viel zu wenig. Bei diesem Programm reden wir von 1 bis
1,5 Stellen pro Haus. Das ist ein Tropfen auf den heißen
Stein. Der ist sofort verdampft.





Elisabeth Scharfenberg


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(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Sie wollen außerdem eine Expertenkommission ein-
berufen. Diese Expertenkommission soll bis Ende 2017
prüfen, ob der Pflegebedarf in den DRGs sachgerecht
abgebildet wird. Wenn nötig, soll die Kommission Vor-
schläge machen. Was, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wollen Sie denn noch prüfen? Wir haben doch kein Wis-
sensdefizit. Was uns fehlt, ist die Umsetzung. Sie schie-
ben die notwendigen Reformen einfach nur weiter vor
sich her.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Wir brauchen jetzt die Entwicklung von verbindli-
chen Instrumenten zur Personalbemessung, und wir
brauchen das schnell. Der Personalbedarf muss sich da-
bei aus dem tatsächlichen Pflegebedarf ableiten. Als
Sofortmaßnahme sollten Sie ein Pflegepersonalstellen-
programm auflegen, das sich mindestens an der Größen-
ordnung der früheren Pflege-Personalregelung orientiert.
Für die mittel- bis langfristige Perspektive könnten wir
uns die Entwicklung einer Pflegepauschale gut vorstel-
len.

Dann gibt es auch noch die psychiatrischen und psy-
chosomatischen Einrichtungen. Auch hier haben wir
eine ganz große Baustelle. Die Psychiatrie-Personalver-
ordnung fällt ab 2019 weg. Was danach kommt, ist total
unsicher. Sie müssen da jetzt endlich verlässliche Grund-
lagen schaffen. Da ist leider Fehlanzeige in Ihrem Ge-
setz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Lieber Herr Gröhe, liebe Kolleginnen und Kollegen,
eine hochwertige und zugewandte Versorgung hängt vor
allem von ausreichendem und gut ausgebildetem Perso-
nal ab. Die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebe-
reich brauchen jetzt ein starkes Signal, das Signal näm-
lich, dass Sie die notwendigen Reformen wirklich
angehen. Warme Worte, Ankündigungen und Kommis-
sionen reichen nicht aus.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811507200

Die Kollegin Marina Kermer spricht jetzt für die

SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marina Kermer (SPD):
Rede ID: ID1811507300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns allen
ist klar, dass bei einer Veränderung von Strukturen zahl-
reiche widerstrebende Interessen auszugleichen sind.
Der Entwurf des Krankenhausstrukturgesetzes liegt jetzt
auf dem Tisch, ein Entwurf basierend auf den Ergebnis-
sen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe und den Beratun-
gen von Experten. Allen Beteiligten möchte ich an die-
ser Stelle ein großes Dankeschön sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Kaum ein anderes Thema betrifft so viele Menschen
so elementar wie die Gesundheitsversorgung. Die Pa-
tientinnen und Patienten haben ein Anrecht auf beste
Versorgung und höchste Qualität der Behandlung. Sie
brauchen Vertrauen in die Fähigkeit der Ärztinnen und
Ärzte und die Fürsorge der Pflegerinnen und Pfleger.
Und: Gesundheit muss bezahlbar bleiben. Denn: Es sind
vor allem Beitragsmittel, die das Gesundheitssystem tra-
gen, Beitragsgelder, die mit Augenmaß und Sachver-
stand zu verwalten sind, Beitragsgelder, um die von vie-
len Beteiligten gerungen wird, in erster Linie von
Krankenkassen, Krankenhäusern und Ärztevertretungen.
Aber die Planungshoheit haben unsere Länder. Sie tra-
gen die Verantwortung und entscheiden, welches Kran-
kenhaus wo im Land mit welchem medizinischen
Schwerpunkt sein soll.

Viele Länder haben in den vergangenen Jahren die In-
vestitionen deutlich zurückgefahren. Die Klagen der
Krankenhäuser sind berechtigt. Deshalb hätte auch ich
mir von den Ländern konkretere Zusagen über ihre zu-
künftigen Investitionen gewünscht. Aber wir wissen,
dass die finanzielle Lage in den Ländern schwierig ist.
Uns bleibt nicht die Zeit. Wir müssen jetzt vorausschau-
end handeln. Deshalb wollen wir mit dem Krankenhaus-
strukturgesetz neue, vielfältige, zeitgemäße Gestaltungs-
möglichkeiten eröffnen.

Ja, es ist ein lauter Wettkampf um die Interessen.
Zwei Gruppen stehen überwiegend eher leise im Ab-
seits: Das sind die Patientinnen und die Patienten und
die Pflegerinnen und Pfleger. Das dürfen wir nicht zulas-
sen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb erheben wir die Stimme und treten ihnen als
Politiker mit diesem Gesetzentwurf an die Seite. Wir
wollen die Patientenrechte durch mehr Transparenz und
Qualität stärken, und wir wollen endlich die Situation
der Pflegekräfte verbessern. Mit 660 Millionen Euro
können Kliniken mehr Personal einstellen, und zwar
speziell für die Pflege am Bett; denn genau da brauchen
wir Pflegepersonal.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wenn wir über Geld reden, das investiert werden soll,
sollten wir nicht aus den Augen verlieren: Die GKV ver-
zeichnete im Jahr 2014 insgesamt circa 194 Milliarden
Euro Ausgaben für Leistungen der Gesundheitsversor-
ger, davon 33 Prozent für Krankenhausbehandlungen. Es
fließt viel Geld. Trotzdem sind die Krankenhäuser von





Marina Kermer


(A) (C)



(D)(B)

Zahlungsunfähigkeit bedroht. Es ist eine Unwucht im
System.

Der vorliegende Entwurf ist ein Meilenstein auf dem
Weg zu zukunftsfähigen Strukturen, ein Paradigmen-
wechsel hin zu einer qualitätsorientierten Planung; und
das ist nötig. Die Menschen in unserem Land werden
immer älter – ein gutes Zeichen. Denn: Ein langes Leben
bei guter Gesundheit, wer wünscht sich das nicht? Der
Blick auf morgen zeigt: Es steigen die Gesundheitskos-
ten für die Menschen im Alter. Seit Jahrzehnten haben
wir einen Geburtenrückgang. Junge Menschen ziehen
mehr und mehr in Ballungszentren. Unsere ländlichen
Regionen dünnen aus. Die Gesundheitskosten steigen
bei immer weniger Beitragszahlern. Ist es da nicht illu-
sorisch, zu glauben, wir könnten langfristig die gleiche
Dichte an medizinischer Versorgung wie heute sicher-
stellen? Dazu fehlt uns auf Dauer nicht nur das Geld; uns
fehlen vor allem die Menschen, die dort arbeiten. Des-
halb werden wir langfristig vor allem Kapazitäten bün-
deln und neue Strukturen schaffen müssen. Qualität soll
einheitlich definiert, gemessen und gesichert sein. Erfolg
soll honoriert werden, weniger gute Leistungen gerade
nicht.

Ich verstehe auch so manche Aufregung nicht. Quali-
tätsmanagement ist nicht neu. Es wird bereits in den
Krankenhäusern gelebt, leider nicht überall und nicht
vergleichbar. Aber ohne Qualitätsmanagement wird es in
Zukunft nicht gehen. Damit wollen wir das Patienten-
recht stärken, entscheiden zu können, welcher Klinik
man vertraut. Krankenhäuser mit dauerhaft schlechter
Qualität werden nicht bestehen können. Sie bekommen
die Chance, ihre Mängel wirksam abzustellen.

Bereits heute gibt es Mindestmengenvorgaben bei
planbaren Eingriffen. Oder wollen wir beispielsweise ein
wertvolles Spenderorgan und damit ein noch wertvolle-
res Menschenleben riskieren, weil Ärztinnen und Ärzte
keine ausreichende Praxis haben können? Da tun wir uns
und den Ärzten keinen Gefallen. Deshalb wollen wir die
Einhaltung der Mindestmengen sanktionieren.

Auch gibt es einen Zusammenhang zwischen Qualität
und Anzahl der Pflegekräfte. Heute haben wir ein Ver-
hältnis von zwei Pflegekräften zu einem Mediziner. Die
Pflegekräfte stehen am Rand ihrer Leistungsfähigkeit.
Ich habe mit vielen Personalvertretungen gesprochen.
Ich weiß, dass Pflegerinnen und Pfleger zum Teil ganz
aus dem Beruf ausscheiden, weil sie die Belastung nicht
mehr aushalten oder Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf nicht möglich ist. Meine Damen und Herren, diese
ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erschei-
nen nicht in einer Statistik der Bundesagentur, weil sie in
andere Branchen wechseln. Aus diesem Grund wollen
wir als SPD-Bundestagsfraktion in den Verhandlungen
erreichen und erkämpfen, das Pflegestellenförderpro-
gramm zu erweitern, die Mittel zu verdoppeln, also auf
1,3 Milliarden Euro aufzustocken.

Wir wollen nicht nur kurzfristig Personalknappheit
beseitigen; Herr Bundesminister Gröhe sagte es bereits.
Wir werden eine Expertenkommission einsetzen, die
tragfähige Lösungen finden soll, als Anschlusssicherung
nach diesen drei Jahren. Deshalb mein Appell: Langfris-
tig müssen wir Personalstandards festlegen, um zum
Beispiel für sensible Stationen eine Mindestzahl von
Pflegekräften pro Patienten zu sichern.

Ich komme zum Schluss. Mit dem Krankenhausstruk-
turgesetz kann es gelingen, die Qualität durch mehr Pfle-
gepersonal zu erhöhen, die Arbeitssituation und damit
das Image für die Pflegekräfte auf Dauer zu verbessern
und gute Pflege am Bett und damit Patientenzufrieden-
heit zu sichern. Wir alle tragen Verantwortung, unser
Gesundheitssystem zukunftssicher zu gestalten: für uns,
unsere Kinder und Enkelkinder. Das wird ohne finan-
zierbare und effiziente Strukturen nicht funktionieren.
Ich lade Sie alle ein, uns auf diesem Weg zu begleiten,
mit konstruktiven Diskussionen und Argumenten; aber,
meine Damen und Herren, stehen bleiben werden wir
nicht.

Danke.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811507400

Der Kollege Jens Spahn spricht jetzt für die CDU/

CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1811507500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Krankenhäuser in Deutschland – der Kollege Terpe hat
gerade schon darauf hingewiesen – sind das Rückgrat
der medizinischen Versorgung. Sie sind die einzige Insti-
tution, die 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche,
365 Tage im Jahr für die medizinische Versorgung der
Bevölkerung zur Verfügung steht, im Notfall, aber auch
für die Regelversorgung. Ich glaube, niemand geht wirk-
lich gern ins Krankenhaus, aber jeder ist froh, dass eines
in der Nähe erreichbar ist, wenn er eines braucht.

Zugleich sind Krankenhäuser in vielen kleineren, mit-
telgroßen, aber zum Teil auch sehr großen Städten oft-
mals der größte Arbeitgeber. Es geht um viele Hundert
Beschäftigte vor Ort. Es geht im Übrigen auch um große
Gebäude und Liegenschaften. Deswegen ist die Diskus-
sion der Frage: „Was passiert in Zukunft mit dem Kran-
kenhaus vor Ort?“, eine, die natürlich mit vielen Emotio-
nen besetzt ist. Krankenhauspolitik, Versorgung mit
Krankenhäusern, das ist eines der Kernthemen der Ge-
sundheitspolitik in Deutschland, und deswegen ist es
gut, dass wir uns in den nächsten Monaten Zeit nehmen,
intensiv genau darüber zu sprechen, liebe Kolleginnen
und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu möchte ich drei grundsätzlichere Bemerkungen
machen:

Zum einen: Wie ist es mit der finanziellen Situation?
Jeder dritte Euro, den wir im Gesundheitswesen ausge-
ben, geht in die Krankenhausversorgung. Das ist also der
Bereich, in dem mit Abstand am meisten Geld eingesetzt
wird. In den Jahren von 2008 bis 2014 sind die Ausga-





Jens Spahn


(A) (C)



(D)(B)

ben der gesetzlichen Krankenversicherung für Kranken-
häuser um 30 Prozent gestiegen. In gut sechs Jahren sind
die Ausgaben um 30 Prozent gestiegen. Ohne dass wir
ein Gesetz ändern, steigen die Ausgaben für die deut-
schen Krankenhäuser in etwa um 2,5 Milliarden Euro
pro Jahr. Durch das Gesetz, das wir jetzt diskutieren,
werden sie in den nächsten fünf Jahren noch einmal um
gut 5 Milliarden Euro steigen. Da von Kürzungen zu re-
den und davon, dass zu wenig Geld da ist, lieber Herr
Weinberg, das ist, ehrlich gesagt, ein Verkennen der Rea-
lität.

Diese Zahlen machen im Übrigen eines deutlich: In
dieser Debatte geht es im Kern nicht nur um immer mehr
Geld; es geht um die Bereitschaft, Strukturen zu verän-
dern, und genau darüber müssen wir mehr als bisher re-
den, wenn es um die Krankenhäuser in Deutschland
geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das bringt mich zu einem zweiten Punkt. Manchmal
hat man ja den Eindruck, es bestehe die Gefahr einer
schlechten Versorgung und Erreichbarkeit. 50 Prozent
der Deutschen erreichen innerhalb von 20 Minuten min-
destens drei grundversorgende Krankenhäuser. Innerhalb
von 30 Minuten erreichen 50 Prozent der Deutschen acht
grundversorgende Krankenhäuser in ihrer Nähe. Über
96 Prozent der Deutschen erreichen innerhalb von
25 Minuten mindestens ein Krankenhaus. Das Hauptpro-
blem – das macht ein Blick auf die Zahlen deutlich – ha-
ben insbesondere die kleinen Häuser, wenn es um die
Fragen geht: Wie hoch ist die Belegung? Wie viele Pa-
tienten kommen im Jahr? Anders, als man denken
könnte, besteht das Hauptproblem nicht bei Häusern auf
dem Land. Tatsächlich sind es zu 75 Prozent kleine Häu-
ser ohne Spezialisierung in den Ballungsräumen, die es
finanziell am schwersten haben und um Patienten kämp-
fen müssen, weil eigentlich zu wenige kommen. Wir
müssen uns in dieser Debatte endlich ehrlich machen:
Wir haben in den Ballungsräumen zu viele kleine Häu-
ser, die alles machen wollen und immer mehr Patienten
brauchen. Da liegt ein Teil des Problems. So ehrlich
muss man diese Debatte endlich führen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Genau da wollen wir mit dem Strukturfonds ansetzen.
Eine Frage ist ja, was mit diesen Häusern passiert. Ich
habe bereits gesagt: Da geht es um Gebäude und um Ar-
beitsplätze. Dieser Strukturfonds soll den Übergang er-
möglichen. Ich würde mir wünschen, dass seine Mittel
insbesondere in diesen Bereichen eingesetzt werden, um
Häuser aus der Akutversorgung herauszunehmen, sodass
sie etwas völlig anderes in der medizinischen Versor-
gung entwickeln können. Hier sollte beim Strukturfonds
ein Schwerpunkt gesetzt werden. Er ist tatsächlich etwas
völlig Neues, weil wir erstmalig seit vielen Jahrzehnten
Krankenkassengelder einsetzen, um indirekt Kranken-
hausplanung zu befördern. Insofern ist das ein wichtiger
Schritt nach vorne.

Einen weiteren Aspekt will ich ansprechen, nämlich
den der Qualität. Wir legen im Moment einen sehr star-
ken Fokus auf die Ergebnisqualität, also auf die Fragen:
Wie gut ist am Ende die Hüfte, das Knie, der Rücken
operiert worden? Wie geht es dem Patienten nach einem
Monat, nach sechs Monaten? Was ist tatsächlich pas-
siert? Es ist auch richtig, hierauf einen Schwerpunkt zu
setzen. Aber wir müssen noch stärker als bisher erst ein-
mal auf die Indikationsqualität schauen. Was nützt es
mir, wenn ich qualitativ super operiert worden bin, aber
unnötig? Es ist im Interesse der Patienten, dass wir auch
hier auf die Qualität achten und schauen, wo wir unnö-
tige Operationen vermeiden können, die zum Teil ge-
macht werden, weil sie Geld bringen, die zum Teil aber
auch gemacht werden, weil man die Behandlungsalter-
nativen nicht genug in den Blick nimmt. Es gibt Bei-
spiele, wonach 80 Prozent der Rückenoperationen, die
geplant waren, vermieden werden konnten, weil durch
eine konventionelle Behandlung, durch entsprechende
Physiotherapie und anderes mehr, der Patient schmerz-
frei und im Grunde behandlungsfrei wurde. Wir müssen
den Fokus stärker auf die Fragen legen: Warum wird ei-
gentlich wie viel in Deutschland operiert? Warum wird
regional unterschiedlich operiert? Genau darüber wollen
wir in den nächsten Wochen und Monaten reden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bezüglich der Qualität gibt es ein zweites Thema; da-
bei geht es um die Versorgung in der Fläche und die
Frage, wer was macht. Schauen Sie sich einmal die Zah-
len der Patienten an, die mit einem Schlaganfall oder ei-
nem Herzinfarkt in die Notfallaufnahme kommen. Es
gibt Krankenhäuser in Deutschland, in die im Schnitt
nicht einmal ein Patient pro Woche mit einem Schlagan-
fall eingeliefert wird. Dort sind entsprechende Experten
nicht vorhanden. Wenn Sie in die Statistik schauen, dann
stellen Sie fest, dass in diesen Häusern die Sterblich-
keitsrate viel höher ist. Als Schlaganfallpatient ist das
Risiko, in einem Krankenhaus, das pro Woche weniger
als einen Schlaganfallpatienten hat, an diesem Schlagan-
fall zu sterben, deutlich höher. Auch diese Debatte müs-
sen wir endlich ehrlich und transparent führen. Wir müs-
sen darüber reden, dass es manchmal Sinn macht, die
Dinge zusammenzuführen; dafür muss man vielleicht et-
was weitere Wege in Kauf nehmen, erhält dafür aber
eine deutlich höhere Qualität in der Versorgung der Pa-
tienten. Wenn wir das in den Mittelpunkt stellen und
nicht so demagogisch, wie Sie es hier gerade gemacht
haben, über Qualität reden würden, dann würde sehr klar
werden, dass das In-den-Mittelpunkt-Stellen von Quali-
tät, wie wir es jetzt vorhaben, vor allem den Patienten
dienen soll, gerade auch im ländlichen Raum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das heißt im Kern – darüber ist dann auch zu reden –:
Wir haben zu viele kleine Häuser vor allem in den Bal-
lungsräumen, zu viele Häuser, die versuchen, alles zu
machen. Auch das ist ein Problem: Jeder will sich spe-
zialisieren. Jeder will Darmzentrum sein oder eine
Onkologie haben. Gleichzeitig gibt es den Drang, jeden-
falls in bestimmten Regionen, schneller zu operieren, als
es vielleicht nötig ist. Gleichzeitig gibt es aufgrund des
Drucks – da kommen wir zur Frage der Pflege – einen





Jens Spahn


(A) (C)



(D)(B)

Abbau von Personal. Und wir haben die Situation, dass
die Länder, die für die Investitionen zuständig sind,
diese nicht leisten, und die Häuser, weil sie natürlich in
eine gute Versorgung, in einen neuen OP-Saal, in neue
Möglichkeiten investieren müssen, gezwungen sind, das
Geld, das eigentlich für die Ärzte und für die Pfleger
vorgesehen ist, für Investitionen einzusetzen.

Es geht nicht nur um mehr Geld – das muss in dieser
Debatte endlich deutlich werden –, sondern auch darum,
die strukturellen Probleme in den Mittelpunkt zu rücken
und zu lösen. Das ist am Ende auch das entscheidende
Element, um das Pflegeproblem zu lösen. Einfach nur
mehr Stellen, einfach nur mehr Geld lösen das Kernpro-
blem nicht. Deswegen wollen wir im Zusammenhang
mit diesem Gesetz über strukturelle Veränderungen in all
diesen Fragen reden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend, Herr Präsident, möchte ich sagen: Ich
freue mich, dass mit diesem Gesetzentwurf ein gutes Er-
gebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorliegt, auf des-
sen Basis wir über Strukturveränderungen reden können.
Ich wünsche mir dazu intensive Debatten, auch in den
Ausschüssen im Deutschen Bundestag. Sie wissen: Ich
werde an diesen Debatten wahrscheinlich in den nächs-
ten Wochen und Monaten nicht mehr so intensiv teilneh-
men. Das ist meine letzte gesundheitspolitische Rede
– vorerst jedenfalls – nach zwölfeinhalb Jahren, in denen
ich mich mit Gesundheitspolitik beschäftigen durfte. Es
waren spannende Jahre. Es waren Jahre, in denen es vor
allem um Dinge ging, die die Menschen sehr interessie-
ren. Aber mindestens so sehr freue ich mich auf meine
neuen Aufgaben.

Ihnen danke ich für die Zusammenarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811507600

Herr Kollege Spahn, ich darf Ihnen von dieser Stelle

herzlich danken. Sie haben in der Gesundheitspolitik
tiefe Fußspuren hinterlassen. Vielen Dank dafür. – Jetzt
spricht der Kollege Edgar Franke für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1811507700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nicht nur hier in Berlin, sondern auch in jeder Lokalzei-
tung können wir verfolgen, wie in Menschenketten für
mehr Klinikpersonal, für eine bessere Finanzierung der
Krankenhäuser vor Ort gekämpft wird. Aber so einfach
– Herr Spahn hat es eben angedeutet –, wie es sich einige
machen, ist es nicht. Krankenhäuser werden von zwei
Ebenen, also dual, finanziert. Für die Sicherstellung der
Versorgung, das heißt für die Finanzierung von Investi-
tionen, sind die Länder zuständig, die Betriebsausgaben
werden dagegen durch Fallpauschalen bzw. Pflegesätze
gedeckt und letztlich von den Krankenkassen gezahlt.
Die Länderfinanzierung ist unzureichend; das wissen wir
alle. 2 Milliarden Euro an Investitionen müssen jedes
Jahr aus den Betriebsausgaben finanziert werden. Das ist
– Herr Spahn, das ist richtig – nicht einfach für die Kran-
kenhäuser.

Dieses Spannungsverhältnis werden wir nicht grund-
legend auflösen, aber wir werden mit diesem Gesetz die
strukturellen Probleme angehen. In dem Eckpunktepa-
pier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe haben sich die Län-
der verpflichtet, die Investitionsmittel in notwendigem
Umfang bereitzustellen. Frau Scharfenberg, auch eine
Vertreterin der Grünen, nämlich Barbara Steffens, war
Mitglied dieser Bund-Länder-Arbeitsgruppe; das nur
noch einmal zur Erinnerung.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hat das hineinverhandelt!)


Wir geben den Ländern starke Instrumente an die
Hand, um die Krankenhauslandschaft neu zu strukturie-
ren. Denn das Problem ist nicht nur allein die Ökonomi-
sierung durch die Fallpauschalen, sondern das Problem
ist, dass in vielen Ländern und auch in vielen Kommu-
nen – ich war ja lange Kommunalpolitiker – oftmals die
politische Kraft fehlt, stationäre Überkapazitäten umzu-
strukturieren. Auch das muss man einmal sagen dürfen.

Die Qualität spielt jetzt bei der Krankenhausplanung
eine ganz andere Rolle als bisher. Es ist gut, dass der
G-BA dafür klare bundeseinheitliche Maßstäbe entwirft.
Gute Krankenhäuser sollen Zuschläge erhalten. Das ist
vernünftig; das ist gut. Ich sage allerdings auch, Herr
Minister: Ob Abschläge bei schlechter Qualität justizia-
bel sind, wird sich noch zeigen müssen. Da bin ich eher
skeptisch.

Bessere Qualität – auch das ist schon angesprochen
worden – wird durch das Pflegestellenförderprogramm
erreicht. Wir wissen alle um die Arbeitsverdichtung bei
den Pflegekräften. Mit dem Pflegestellenförderpro-
gramm – Ulla Schmidt hatte ja einmal ein Programm in
gleicher Höhe aufgelegt – werden 660 Millionen Euro
für neue Stellen im Bereich der Pflege zur Verfügung
stehen. Das Programm ist vor allen Dingen zielgenau,
weil mit dem Geld nicht das undichte Krankenhausdach
repariert werden kann, sondern das Geld für eine bessere
Pflege am Bett eingesetzt werden soll.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem wollen
wir, dass gute Pflege in den Fallpauschalen abgebildet
wird, damit gute Pflege besser bezahlt wird. Ich glaube,
das ist ein wichtiger Punkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden aber auch strukturelle Probleme lösen, in-
dem wir die Krankenhäuser, die für die flächendeckende
Versorgung auf dem Land dringend notwendig sind, fi-
nanziell stärken. Viele Ärzte verlassen die kleinen Kran-
kenhäuser und gehen in die Ballungszentren. Das ist ein
wichtiges Instrument dieses Gesetzes, liebe Kolleginnen
und Kollegen.





Dr. Edgar Franke


(A) (C)



(D)(B)

Auch mit dem Strukturfonds können wir vieles ma-
chen. Wir können vor allen Dingen Anreize schaffen,
Überkapazitäten abzubauen. Wir können des Weiteren
versuchen, ein Krankenhaus im Ballungszentrum mit ei-
ner schlechten Qualität in ein Gesundheits- und Pflege-
zentrum oder ein Hospiz umzuwidmen; denn die brau-
chen wir dringend. Insofern wird der Strukturfonds dazu
führen, dass wir die Versorgung verbessern. Es ist gut
angelegtes Geld, weil es nachhaltig investiert wird, liebe
Kolleginnen und Kollegen.

Es wird immer behauptet, Krankenhäuser würden we-
niger Geld als zuvor erhalten. Herr Weinberg, das
stimmt einfach nicht. Ganz im Gegenteil: Es wird mehr
Geld in die Hand genommen, um die Krankenhäuser zu
unterstützen. Im Jahr 2016 sind es 600 Millionen Euro,
über 1 Milliarde Euro im Jahr 2017 und 1,4 Milliarden
Euro im Jahr 2018, dabei ist das Geld aus dem Versor-
gungsstärkungsgesetz noch nicht einmal hinzugerechnet.
Also: Es gibt nicht weniger Geld, sondern mehr Geld für
die Krankenhäuser.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Da wir das Geld nicht mit der Gießkanne verteilen,
sondern uns am Maßstab der Qualität orientieren, ist das
kein pauschales Geldausgeben. Herr Spahn hat vorhin
gesagt: Wir haben in letzter Zeit 30 Prozent mehr ausge-
geben. Das sind von 2008 bis 2014 in absoluten Zahlen
15 Milliarden Euro, die wir in dieser Zeit mehr ausgege-
ben haben. Deswegen muss man wirklich sagen: Es
stimmt einfach nicht – man kann es nicht oft genug wie-
derholen –, dass wir weniger Geld ausgeben. Auf der
Grundlage dieses Gesetzes geben wir den Krankenhäu-
sern mehr Geld, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Mit diesem Gesetz schaffen wir bessere Rahmenbe-
dingungen für Qualität. Wir Sozialdemokraten werden
ganz besonders darauf achten, dass das auch wirklich ge-
lingt. Wenn wir dafür noch an der einen oder anderen ge-
setzlichen Stellschraube – wenn wir in diesem Bild blei-
ben wollen – drehen müssen, dann werden wir das auch
machen, vielleicht müssen wir dazu bei einem Finanz-
staatssekretär nachfragen; denn Krankenhäuser zu finan-
zieren, ist auf jeden Fall eine wichtige gesellschaftliche
Aufgabe der Daseinsvorsorge. Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten werden immer zu den Krankenhäu-
sern stehen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811507800

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-

punkt ist der Kollege Lothar Riebsamen für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Lothar Riebsamen (CDU):
Rede ID: ID1811507900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wie es bei abschließenden Rednern oft der Fall ist: Zu
diesem Gesetzentwurf ist schon vieles gesagt worden.
Deswegen möchte ich nur einige wenige Punkte vertie-
fen und vielleicht das eine oder andere korrigieren, was
in den Raum gestellt wurde.

Es ist durchaus richtig, dass der Budgetanteil des
Pflegepersonals – noch vor zehn Jahren war er der
größte Budgetanteil im Krankenhaus – heute nicht mehr
der größte Anteil ist. Es gibt Gründe dafür, warum der
ärztliche Bereich heute vor dem Pflegedienst steht. Aber
das heißt nicht, dass das, was wir jetzt mit dem Pflege-
programm machen, nicht zu Verbesserungen führt. Es
wird die Probleme nicht lösen, wie es gesagt wurde – das
stimmt –, aber es wird sie lindern.

Frau Scharfenberg, die Zahl von 1,5 Stellen pro Kran-
kenhaus, die Sie genannt haben, ist so nicht richtig.
Wenn Sie die Summe, die mit diesem Gesetz zur Verfü-
gung gestellt wird, durch die Zahl der Krankenhäuser di-
vidieren – unterstellt 60 000 Euro je Pflegekraft –, dann
kommen sie auf 5 500 Stellen. Dabei dürfen wir die
psychiatrischen Krankenhäuser nicht mitrechnen; denn
es geht ausschließlich um die somatischen Krankenhäu-
ser. Dann kommen Sie auf 3,5 bis 4 Stellen pro Kranken-
haus. Das ist mehr als das Doppelte der Zahl, die Sie ge-
nannt haben. Ich sage aber noch einmal: Die Probleme
werden nicht gelöst, aber sie werden angegangen. Es
wird vor allem darauf ankommen, diese 3,5 Stellen bei
einem 200-, 300-Betten-Haus vernünftig einzusetzen. Es
geht darum, die Attraktivität des Pflegeberufs zu stärken.
Das kann man mit diesem Geld machen.

Bei der Erhöhung der Attraktivität des Pflegeberufs
geht es insbesondere darum, mehr Stellen für Auszubil-
dende, Krankenpflegeschülerinnen und -schüler und die-
jenigen zu schaffen, die die Praxisausbildung und -anlei-
tung am Bett durchführen. Es ist einfach notwendig und
muss möglich sein, dass die Praxisanleiter die Zeit ha-
ben, sich ihren Schülerinnen und Schülern zu widmen,
damit diese auf der einen Seite etwas lernen und auf der
anderen Seite sehen, dass es sinnvoll ist, was sie da ma-
chen, dass sie einen guten und richtigen Beruf gewählt
haben und man sie nicht auf die Station schickt, ohne
dass sie die nötigen Anleitungen dafür erhalten haben.
Ich würde sehr dafür werben, das Geld genau für diese
Stellen einzusetzen und es nicht mit der Gießkanne in ei-
nem Großkrankenhaus zu verteilen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Edgar Franke [SPD])


Dann käme natürlich nicht allzu viel dabei herum.

Als zweiten Punkt möchte ich das Thema der doppel-
ten Degression ansprechen. Wir alle haben über Jahre
hinweg an Podiumsdiskussionen teilgenommen und ha-
ben mit den Krankenhausgesellschaften auf Landes-
ebene und Bundesebene über dieses Thema diskutiert
– es war das Thema Nummer eins –: Abschaffung der
doppelten Degression bei den Krankenhäusern, die keine
Mehrmengen erbracht haben. Diese Krankenhäuser
mussten bisher akzeptieren, dass der Landesbasisfall-
wert gesenkt wird, sie in Mithaftung für die Mehrmen-
gen anderer Krankenhäuser genommen werden. Genau
dies schaffen wir mit diesem Gesetz ab. Natürlich ist
jetzt die Folge, dass diejenigen Krankenhäuser, die
Mehrmengen erbringen, alleine dafür geradestehen müs-





Lothar Riebsamen


(A) (C)



(D)(B)

sen; das ist richtig. An dieser Stelle muss man sagen:
Wenn dort berechtigterweise notwendige Mehrmengen
erbracht werden, dann müssen diese Mehrmengen natür-
lich den Krankenhäusern vergütet werden. Es kann ja
nicht sein, dass man in Zukunft Mehrmengen, die not-
wendig sind, nicht mehr auskömmlich finanziert. Es
muss bei den Mehrmengen um die Istfälle gehen und
nicht um die hypothetischen Fälle. Da müssen wir in die-
sem Gesetzgebungsverfahren sicherlich ein Stück weit
nacharbeiten.

Einige Sätze zum Thema Strukturen. Jens Spahn hat
eindrucksvoll dargelegt, wie die Situation in Deutsch-
land aussieht. Kollege Harald Terpe hat mir gerade am
Platz gesagt: Jetzt sei mal mutig und sage auch hier an
dieser Stelle, was du sonst in den Podiumsdiskussionen
sagst! – Ich will das gerne machen. Wir müssen akzep-
tieren, dass die Länder nur noch 50 Prozent der Investi-
tionskosten erbringen. Wir müssen hinnehmen – es ist
nun mal so –, dass die verbleibenden 50 Prozent aus den
laufenden Entgelten entnommen werden. Daran wird
sich vermutlich nichts ändern. Wo sollen die Länder das
Geld hernehmen? Ich sehe keinen anderen Weg und
weiß nicht, woher die Mittel kommen sollen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Steuermittel!)


Also nehmen wir die Situation einfach so, wie sie ist,
und machen uns darüber Gedanken


(Mechthild Rawert [SPD]: Nein!)


– nicht bei diesem Gesetz, aber vielleicht bei einem Fol-
gegesetz –, wie wir den Status quo legalisieren können.
In einem Punkt unterscheiden wir uns vielleicht doch:
Wenn wir dies tun, dann kann es natürlich nur um die be-
darfsnotwendigen Krankenhäuser gehen – sonst hätte
das ja zur Folge, dass wir auch wieder mit der Gieß-
kanne Mittel verteilen und Strukturen zementieren, die
wir so nicht haben wollen –, dafür werbe ich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das wird auch dazu führen, dass die Strukturen in unse-
rem Land verbessert werden. Im Übrigen ist unser Vergü-
tungssystem darauf ausgerichtet, dass wir wirtschaftliche
Krankenhäuser haben, nicht Grund- und Regelversorger,
die in 100-Betten-Häusern vor sich hin arbeiten; das gibt
das Vergütungssystem überhaupt nicht her. Schon des-
wegen ist es notwendig, dass wir an dieser Stelle einen
deutlichen Schritt weiterkommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1811508000

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/5372, 18/5369 und 18/5381 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Weil sich kein Widerspruch erhebt, gehe ich
davon aus, dass Sie alle einverstanden sind. Dann sind
diese Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion DIE LINKE

Medizinische Versorgung für Asylsuchende
und Geduldete diskriminierungsfrei sichern
Drucksache 18/5370
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Wider-
spruch gibt es dagegen keinen. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Harald Weinberg für die Fraktion Die
Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU])



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811508100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Menschen fliehen zu uns, weil weite Teile ihres Landes
durch Krieg zerstört wurden wie in Syrien oder ihr Le-
ben durch Bürgerkriege und Stammesfehden bedroht ist
wie in Westafrika. Sie entkommen politischer Verfol-
gung in repressiven Regimen wie in Eritrea. Meistens
haben sie eine gefährliche Reise hinter sich. Das sind
Frauen, Männer, Familien, Kinder und Jugendliche –
Menschen, die in ihrer Heimat nicht mehr leben können.
Oft sind sie schwerst traumatisiert nach Folterungen,
Massenvergewaltigungen, Gewalt und Hunger. Sie ha-
ben ein Anrecht auf eine menschenwürdige Behandlung.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU])


Daher haben wir den vorliegenden Antrag eingebracht,
wonach Flüchtlingen die gleiche gesundheitliche Versor-
gung zustehen soll wie gesetzlich Krankenversicherten.

Bisher erhalten Flüchtlinge nur Leistungen bei akuten
Krankheiten, Schmerzzuständen sowie bei Schwanger-
schaft, und auch das nur, nachdem sie auf dem Sozialamt
vorgesprochen, den dortigen Mitarbeiter von der Not-
wendigkeit einer Behandlung überzeugt und einen Be-
handlungsschein erhalten haben. Wir wollen das ändern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn die Leistungen in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung sind nach § 12 Sozialgesetzbuch V gesetzlich
auf das Notwendige beschränkt. Weniger als das Not-
wendige verletzt das Recht auf Gesundheitsversorgung.





Harald Weinberg


(A) (C)



(D)(B)

Daher wollen wir, dass jeder Flüchtling eine Gesund-
heitskarte erhalten und sämtliche notwendigen Leis-
tungen bekommen soll, ohne zuvor zum Sozialamt zu
müssen. Für uns ist das eine klare Sache; denn die not-
wendige gesundheitliche Versorgung betrifft die
menschliche Existenz und ist damit ein ganz wesentli-
ches soziales Menschenrecht und eine internationale
Verpflichtung der Bundesrepublik.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich hoffe, dass die Argumente, die in der Vergangen-
heit gegen diesen Vorschlag geäußert wurden, dieses
Mal nicht wieder Anwendung finden. Bei diesen Argu-
menten ging es meist um Abschreckung; ich erinnere an
das Wort von der „Zuwanderung in unsere Sozialsys-
teme“. Nach unserer Ansicht sind das alles Argumente,
die nicht greifen dürfen, weil die Praxis der Notfallver-
sorgung einen zigtausendfachen systematischen Verstoß
gegen soziale Menschenrechte in Deutschland darstellt.
Das muss aufhören. Menschenrechte haben immer Vor-
rang vor falschen migrationspolitischen Erwägungen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Einschränkung der Gesundheitsversorgung auf
Akutleistungen ist auch sachlich nicht haltbar, weil sie
weite Interpretationsspielräume eröffnet und damit
Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten verursacht. Zum
Beispiel sind chronische Krankheiten grundsätzlich aus-
geschlossen. Dennoch muss ein Diabetiker natürlich In-
sulin erhalten. Es wäre unverantwortlich, den Leistungs-
ausschluss für chronische Krankheiten ernst zu nehmen
und zu warten, bis ein diabetischer Schock eingetreten
ist, um dann die akute Krankheit zu therapieren. Ver-
gleichbare Probleme gibt es auch mit anderen chroni-
schen Krankheiten.

Nach den bisherigen Erfahrungen in Bremen und
Hamburg würde der einfache Zugang zu Gesundheits-
leistungen wenig kosten und spart auch noch Geld. In
Bremen gibt es einen Vertrag mit der AOK, wonach
heute schon dort lebende Asylsuchende eine Gesund-
heitskarte bekommen. Dennoch kostet diese Lösung das
Land Bremen nicht mehr Geld als zuvor. Das liegt größ-
tenteils daran, dass die Verwaltungskosten, die im Zu-
sammenhang mit einer Genehmigung der Anträge auf
Gesundheitsleistungen beim Sozialamt entstehen, ersatz-
los entfallen können. Für die Gesundheitskarte zahlt die
Stadt einen pauschalen Beitrag an die Krankenkasse.
Hinzu kommt, dass Flüchtlinge aufgrund der bisher ho-
hen Schwellen nicht zum Arzt gehen und Krankheiten
verschleppen. Das macht die Behandlungen schlussend-
lich teurer. Da ist es günstiger, ihnen die Gesundheits-
karte zur Verfügung zu stellen. Auch die Bekämpfung
von Infektionskrankheiten, beispielsweise durch Imp-
fungen, findet derzeit zu wenig statt, obwohl darauf auch
nach heutiger Gesetzeslage schon ein Rechtsanspruch
besteht.

Das alles sind gute Gründe, die für eine Gesundheits-
karte für Flüchtlinge sprechen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich bin Realist genug, um zu wissen, dass die Ko-
alition unserem Antrag voraussichtlich nicht zustimmen
wird. Nach dem Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt
habe ich aber die Hoffnung, dass die Bundesregierung
den Ländern die Durchführung des Bremer Modells im-
merhin leichter machen will und dass sich damit nach
Jahren der Stagnation etwas bewegt.


(Beifall bei der LINKEN)


Das wäre zwar eine Verbesserung, aber das reicht nicht
aus.

Ich bitte Sie, bundesweit verpflichtend eine Gesund-
heitskarte für alle in allen Bundesländern einzuführen


(Beifall bei der LINKEN)


und den Leistungsanspruch auf das Niveau der gesetzli-
chen Krankenversicherung anzugleichen. Ganz wichtig
wäre es auch, eine Lösung für die Hunderttausende ille-
gal in Deutschland lebenden Menschen ohne Melde-
adresse zu finden; denn diese Menschen haben zwar qua
Gesetz einen Leistungsanspruch, aber die Arztpraxen
und Krankenhäuser bleiben regelmäßig auf den Kosten
sitzen.

Wenn Sie das alles regeln, liebe Koalition, dann hat
unser Antrag trotz Ablehnung etwas Gutes bewirkt, und
das wäre ja schön.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811508200

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1811508300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! In der Regel muss sich ein Asylbe-
werber heute für einen Arzttermin beim örtlichen Sozial-
amt einen Berechtigungsschein holen. Das ist, zugege-
ben, mit einem bürokratischen Aufwand verbunden, und
auch ich werde in meinem Wahlkreis darauf angespro-
chen.

Der Antrag der Linken scheint daher zunächst nach-
vollziehbar zu sein. Sie fordern, dass stattdessen alle
Asylbewerber eine elektronische Gesundheitskarte


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre Menschenwürde!)


und nach drei Monaten den vollen Zugang zum deut-
schen Gesundheitssystem erhalten sollen.

Gerne will ich Ihnen erklären, warum ich sowohl die
Gesundheitskarte für Asylbewerber als auch die Gleich-
stellung nach drei Monaten ablehne. Dazu hole ich ein
bisschen aus.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Schläge! – Maria Klein Andrea Lindholz Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich gespannt!)





(A) (C)


(D)(B)


Wir stehen heute vor gewaltigen migrationspolitischen
Herausforderungen. Die Vereinten Nationen meldeten
kürzlich die unvorstellbare Zahl von weltweit 60 Millio-
nen Flüchtlingen. Das ist die größte Flüchtlingskrise al-
ler Zeiten. Die langfristigen Folgen dieser globalen Ka-
tastrophe sind kaum absehbar. Dieses Thema wird uns
daher noch über Jahre beschäftigen. Deswegen müssen
wir unser Asylsystem und unsere Leistungen so gestal-
ten, dass nur die wirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge
schnell integriert werden. Abgelehnte Asylbewerber hin-
gegen müssen zügig und konsequent zurückgeführt wer-
den; denn viele deutsche Kommunen haben heute schon
die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht.

Die Bundesregierung tut viel, um die Kommunen zu
entlasten: Die Soforthilfen des Bundes wurden in diesem
Jahr auf 1 Milliarde Euro verdoppelt. Ab 2016 wird sich
der Bund dauerhaft an den Asylkosten der Länder betei-
ligen. Um die Verfahren zu beschleunigen, wurden beim
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 1 400 neue
Stellen geschaffen; weitere 1 000 Stellen sind für 2016
eingeplant. Mit dem Gesetzentwurf zum Bleiberecht und
zur Aufenthaltsbeendigung, den wir heute hier verab-
schieden wollen, sorgen wir dafür, dass die Ausreise-
pflicht künftig schneller durchgesetzt werden kann.

Jetzt sind aber auch die Länder gefordert. Wir brau-
chen mehr Erstaufnahmeeinrichtungen, damit aussichts-
lose Asylbewerber gar nicht erst auf die Kommunen
verteilt werden. Außerdem müssen die Länder ihre Aus-
länderbehörden und ihre Gerichte besser ausstatten, da-
mit dort in den Asylverfahren nicht der nächste Fla-
schenhals entsteht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutschland hilft den Flüchtlingen wie kaum ein an-
deres Land in der EU. Jeder dritte Asylantrag wird heute
in Deutschland gestellt. Der Grund dafür ist ganz ein-
fach, er ist relativ simpel: Gemeinsam mit Schweden
sind wir das attraktivste Zielland innerhalb Europas.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und ein großes Land!)


Wir haben erst im letzten Jahr die Residenzpflicht und
die Vorrangprüfung für Asylbewerber und Geduldete ge-
lockert und den Arbeitsmarktzugang schon nach drei
Monaten ermöglicht.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das war eine supergute Entscheidung!)


Seit Jahren steigt die Zahl der Asylanträge in Deutsch-
land extrem an. Im Jahr 2008 wurden 28 000 Anträge re-
gistriert.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt alles für was ein Argument? Das habe ich nicht verstanden!)


In diesem Jahr erwarten wir 450 000 Anträge. Damit hat
sich die Zahl der Asylanträge in den letzten Jahren um
fast 1 600 Prozent erhöht. Sie erreicht damit ein neues
Rekordhoch.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können wir auch trotzdem anständig behandeln!)


Im Schnitt werden bei zwei von drei Asylanträgen
keine Schutzgründe festgestellt. Die Hälfte der Asylbe-
werber kommt aus den Westbalkan-Staaten. Ihre An-
träge werden quasi alle abgelehnt; denn diese Menschen
suchen bei uns Arbeit. Das ist verständlich – sie kom-
men zu uns, weil Deutschland Sicherheit, Wohlstand und
Zukunft verspricht –, aber das rechtfertigt bei uns keinen
Flüchtlingsschutz.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie noch zur Sache, zur medizinischen Versorgung?)


Asyl dient ausschließlich dem Schutz vor Verfolgung
und nicht der Anwerbung von Fachkräften oder als Mit-
tel gegen Armut.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Standardrede hatten Sie schon mal, oder nicht? Da müssen Sie mal was Neues schreiben!)


Um unsere Kommunen zu entlasten, müssen wir die
große Zahl der aussichtslosen Asylanträge reduzieren.
Wir brauchen daher ein klares Asylrecht, das Fehlan-
reize vermeidet und in ärmeren Weltregionen keine fal-
schen Hoffnungen weckt.

Wenn man Ihrem Antrag folgen würde und bundes-
weit eine Gesundheitskarte einführen und jedem Asylbe-
werber den vollen Zugang zum deutschen Gesundheits-
system schon nach drei Monaten ermöglichen würde,
dann würden die sowieso schon extrem hohen Asylzah-
len weiter ansteigen, und zwar in erheblichem Umfang.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist eine stark diffamierende These!)


Die flächendeckende Einführung einer Gesundheitskarte
wäre eine Einladung für jeden, sich in Deutschland um-
sonst behandeln zu lassen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch perfide! Die Leute krank lassen, um den Pull-Effekt zu vermeiden! Dazu hat Ihnen Karlsruhe schon beim Asylbewerberleistungsgesetz das Richtige ins Stammbuch geschrieben!)


Eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flücht-
linge aus dem Jahr 2013 mit dem Titel „Warum Deutsch-
land?“ belegt, dass bereits heute die medizinische Ver-
sorgung von Asylbewerbern in Deutschland zu den
wesentlichen Anreizen gehört, um hier Asyl zu beantra-
gen. Sie können es gerne nachlesen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Erzählen Sie mir nie wieder was vom demografischen Wandel!)


Asylbewerber werden heute schon umfassend medizi-
nisch versorgt.





Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Streichen Sie das C aus Ihrem Parteinamen, und setzen Sie sich!)


Unmittelbar nach der Ankunft erhalten sie eine Kurzun-
tersuchung. Die ausführliche Untersuchung gemäß § 62
Asylverfahrensgesetz muss spätestens nach drei Tagen
erfolgen. In Bayern zum Beispiel wird in den Erstauf-
nahmeeinrichtungen die medizinische Versorgung aller
Asylbewerber auf niedrigschwelliger Basis sicherge-
stellt.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Auf niedrigschwelliger Basis!)


Sie werden mit dem Nötigsten versorgt. Im akuten Not-
fall steht auch das System der Notfallversorgung zur
Verfügung.

Heute schon erhalten Asylbewerber spätestens nach
15 Monaten Aufenthalt eine medizinische Hilfe ähnlich
der von Sozialhilfeempfängern. Ab diesem Zeitpunkt er-
halten sie auch eine elektronische Gesundheitskarte.
Diese Frist von 15 Monaten hat einen guten Grund.
Grundsätzlich soll es nämlich eine umfassende gesund-
heitliche Versorgung nur für anerkannte Flüchtlinge ge-
ben oder für diejenigen, die sich seit 15 Monaten in
Deutschland aufhalten und diese Dauer nicht rechtsmiss-
bräuchlich selbst verursacht haben. Ein Blick in das Ge-
setz, in diesem Falle das Asylbewerberleistungsgesetz,
erleichtert, wie ich so oft sage, die Rechtsfindung. Da
steht das nämlich drin.

Der bayerische Finanzminister erwartet, dass für die
Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber in
Bayern bis Ende 2016 rund 3 Milliarden Euro fällig wer-
den. Das ist mehr als der Landesetat von Wirtschaft, Ge-
sundheit und Umwelt zusammen. Eine Gesundheitskarte
mit dem Leistungsumfang, wie Sie ihn im Prinzip von
Beginn an fordern, würde diese Kosten natürlich weiter
in die Höhe treiben. Und: Sie riskieren mit Ihrem Vor-
schlag auch die öffentliche Zustimmung zu unserem
Asylsystem. Angesichts von 450 000 – 450 000! – An-
trägen in diesem Jahr, eines stetig steigenden Migra-
tionsdrucks und auch der aktuellen Situation im deut-
schen Gesundheitssystem lässt sich eine solche massive
Leistungsausweitung unserer Bevölkerung nicht vermit-
teln.

Bund und Länder haben sich beim Flüchtlingsgipfel
am 18. Juni darauf geeinigt, dass die Länder selbst ent-
scheiden, ob sie die Abrechnung der Arztkosten für
Asylsuchende im bisherigen eingeschränkten Leistungs-
umfang auf die gesetzlichen Krankenkassen übertragen
wollen. Bayern hat sich aus gutem Grund dagegen aus-
gesprochen. Derzeit gibt es dieses Modell nur in Bremen
und in Hamburg. Die Signalwirkung der Stadtstaaten ist
vergleichsweise überschaubar. Wenn aber auch ein gro-
ßes Land wie Nordrhein-Westfalen die Gesundheits-
karte, wie von Ihnen gefordert oder auch nur wie jetzt
möglich, einführt, dann würde das ganz falsche Anreize
schaffen, die sich auf das gesamte Bundesgebiet auswir-
ken.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viele Kommunen in NRW wollen das!)


Ich warne ausdrücklich davor. Auch wenn das jetzige
System bürokratischer ist: Es hat seinen Zweck. Wir
können die Kommunen nur dauerhaft entlasten, wenn
wir den Fokus der Flüchtlingspolitik auf die Herkunfts-
und die Transitländer richten und dort die Fluchtursa-
chen bekämpfen. Ständig neue Forderungen an den
Bund nach noch mehr Hilfen für Asylbewerber sind un-
verantwortlich.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bei solch schlimmen Sätzen klatscht noch nicht mal die Union!)


Letztendlich erhöhen auch solche Anreize wie die Ge-
sundheitskarte nur den Migrationsdruck. Wir müssen bei
unseren Leistungen ganz klar zwischen Asylbewerbern
und anerkannten Flüchtlingen unterscheiden. Unser
Asylrecht soll nur die Schutzbedürftigen schützen. Ihr
Antrag geht in die falsche Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Wir stimmen Ihnen eindeutig nicht zu! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Christlich war mal!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811508400

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grü-
nen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich muss sagen: Die Vorrednerin hat eigent-
lich mehr als deutlich gemacht, woran bisher eine men-
schenwürdige gesundheitliche Versorgung in Deutsch-
land gescheitert ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Als jemand, der aus einer Gegend kommt, die sehr
christlich geprägt ist, muss ich auch sagen, dass es mir
ein bisschen die Sprache verschlagen hat, hier eine sol-
che Positionierung zu hören, bei der der Mensch, der
Flüchtling an und für sich nicht vorkommt. Dass jemand
in solch einer menschenverachtenden Art und Weise
über die gesundheitliche Versorgung spricht, habe ich
selten gehört. Das muss man einmal vorwegsagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist auch bezeichnend, dass die Union als ersten Red-
ner nicht einen gesundheitspolitischen Sprecher oder
eine gesundheitspolitische Sprecherin gesandt, sondern
lieber ihre grundsätzlich restriktive Flüchtlingspolitik
deutlich gemacht hat.


(Zuruf von der LINKEN: Peinlich!)






Maria Klein-Schmeink


(A) (C)



(D)(B)

Worüber reden wir? Wir reden darüber, dass auch
Deutschland grundsätzlich menschenrechtliche Ver-
pflichtungen eingegangen ist. Zu diesen Menschenrech-
ten gehört nach dem Schutz zuallererst die Gewährung
von gesundheitlicher Versorgung, wenn der Bedarf da
ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Form der Verpflichtung haben Sie in keiner Weise
auch nur angesprochen.

Wer muss Ihnen eigentlich noch ins Gebetbuch
schreiben, was alles fehlt? Der Ärztetag hat in diesem
Jahr erneut deutlich gemacht, dass die restriktiven Vor-
gaben des Asylbewerberleistungsgesetzes zu Mangel-
versorgung, Chronifizierung und einer insgesamt
schlechten gesundheitlichen Versorgung führen, die uns
oft sogar noch teurer kommt, weil die Flüchtlinge und
betroffenen Erkrankten am Ende stationär versorgt wer-
den müssen;


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wenn es doch der Abschottung dient!)


das ist ein Zustand, den man nicht hinnehmen kann.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen ins
Stammbuch geschrieben: Das Menschenrecht ist aus mi-
grationspolitischen Erwägungen nicht zu relativieren. –
Das muss hier gelten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Kommen wir einmal zu den einzelnen Fragen, die
hier eine Rolle spielen. Wo haben wir denn überall eine
Unterversorgung? Wir haben sie im Bereich der Reha,
der Prävention, der Kuren, bei notwendigen Anschluss-
behandlungen, beispielsweise nach einer Krebsbehand-
lung, aber auch dort, wo es um ganz schlichte Fragen
geht, zum Beispiel bei der Kariesversorgung von Kin-
dern. Nur die Behandlung einer festgestellten Karies
wird heute bezahlt, aber nicht das Anrecht auf Präven-
tion. Meine Damen und Herren, dass es so etwas heute
noch gibt, kann doch nicht wahr sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Von daher ist die Forderung der Linken ganz richtig; wir
haben sie auch schon in vielen anderen Anträgen bekräf-
tigt.

Wir führen eine Diskussion, an der sich deutlich zeigt,
dass die Bevölkerung, die Bundesländer und die Kom-
munen in ganz vielen Regionen weiter sind als Sie. Sie
alle fordern die Einführung der Gesundheitskarte, und
zwar auch deshalb, um den Ablauf der Versorgung ver-
nünftiger zu gestalten, nämlich so, dass man eben nicht
erst zum Sozialamt rennen muss, um einen Antrag auf
eine notwendige Behandlung zu stellen.


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Da geht es um Entlastung, um Geld und um nichts anderes!)

Dadurch würden alle gewinnen. Wir würden eine unter
menschenrechtlichen Gesichtspunkten ordentliche Ver-
sorgung gewährleisten, wir würden dafür sorgen, dass
die Kommunen entlastet werden, und wir würden gleich-
zeitig zum Bürokratieabbau beitragen. Dieses Geld
könnten wir sehr, sehr gut in eine bessere Versorgung in-
vestieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Maria Michalk [CDU/ CSU]: Das können sie ja jetzt schon machen!)


Wir haben es mit einem Versagen des Gesundheitsmi-
nisteriums auf ganzer Linie zu tun, weil es längst, seit
November letzten Jahres, die Verpflichtung gibt, eine
Regelung zu schaffen, die es den Ländern ermöglicht,
die Gesundheitskarte, wenn sie es denn wollen – das ist
ja bisher an der CSU gescheitert –,


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das wird auch weiterhin so bleiben!)


einzuführen. Eine solche Regelung liegt über sechs Mo-
nate später immer noch nicht vor. Im Gegenteil: Sie wird
beim zweiten Flüchtlingsgipfel wieder einmal zum Ver-
handlungspfund gemacht. Ich finde das schäbig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ein weiteres Trauerspiel: Wie sieht es mit der Finan-
zierung der Traumazentren, der Zentren für Menschen,
die Folter erlebt haben und traumatisiert sind, aus? Auch
da ist ein Scheitern auf ganzer Linie festzustellen. Von
den 21 Zentren, die auf Mittel der EU angewiesen sind
und Anträge auf Weiterfinanzierung gestellt haben, ha-
ben bisher nur 12 überhaupt Aussicht auf Erfolg. Die
psychosoziale Versorgung von Flüchtlingen mit
schwersten Traumata ist nicht gesichert; sie findet auf
Spendenbasis statt. Auch da müssen wir eine Lösung
finden.

Wir müssen auch eine Lösung für all diejenigen fin-
den, die mehr als 15 Monate hier sind und Anspruch auf
eine Regelversorgung haben; denn sie ist auf die beson-
deren Bedarfe der Flüchtlinge gar nicht ausgerichtet.
Auch da muss das Gesundheitsministerium endlich tätig
werden und dafür sorgen, dass das Regelsystem auf
diese neue Aufgabe ausgerichtet wird. Das muss passie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich hoffe sehr, dass wir in dieser Hinsicht bis Herbst
ordentlich Dampf machen können. Die Bevölkerung,
meine Damen und Herren, ist sehr viel weiter hinsicht-
lich Hilfsbereitschaft und Willkommenskultur. Sie kann
all diese Dinge nicht verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811508500

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Hilde Mattheis, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1811508600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,

das ist in der Tat eine schlimme und schwierige Entwick-
lung: Immer mehr Menschen suchen in unserem Land
Schutz vor Krieg, Gewalt und Verfolgung. Sie nehmen
enorme Strapazen auf sich, um für sich und ihre Kinder
bzw. ihre Familien eine sichere Zukunft zu ermöglichen
– auch wir würden das tun –, ja, um überhaupt eine Zu-
kunft zu haben.

Allein im Monat Mai wurden fast 26 000 Asylanträge
in Deutschland gestellt. Wir meinen, es ist unsere huma-
nitäre Pflicht, Schutzbedürftige aufzunehmen und gut zu
versorgen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht der Riss durch die Koalition!)


Daher ist das, was die Kollegin Lindholz formuliert hat,
nicht die Grundmusik unseres Ansatzes.


(Beifall bei der SPD)


Vielmehr sind die Unterstützung und in der Tat auch die
gute Versorgung unser Anliegen. Viele Flüchtlinge benö-
tigen eine gute gesundheitliche Versorgung. Sie haben
grausame Erfahrungen in ihren Herkunftsländern und
während ihrer Flucht gemacht. Das wirkt sich auf Seele
und Körper aus. Es besteht dringende Notwendigkeit,
schnell und niedrigschwellig zu helfen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Wer mit Flüchtlingen – wie es vielleicht viele von uns
tun – in direktem Kontakt steht, der sieht und weiß das.
Und er weiß um die Notwendigkeit, dass da wirklich
dringend etwas in die Wege geleitet werden muss. Ich
glaube, es ist unser aller Ansatz, mit den Ländern und
den Kommunen zusammen dafür zu sorgen, dass sich
bei der Erstaufnahme sowie in den Folgeunterkünften
die Situation wirklich verbessert.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Denn eines ist auch klar: Das, was Flüchtlinge, Asylsu-
chende erlebt haben, sollte dazu führen, dass sie best-
mögliche Unterstützung und Begleitung bzw. ärztliche
Versorgung bekommen. Deshalb distanziere ich mich
ausdrücklich von der Begleitmusik der Kollegin
Lindholz. Darum darf es uns hier nicht gehen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811508700

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Klein-Schmeink?


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1811508800

Ja, gerne.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Mattheis, stimmen Sie mit mir überein, dass es
durchaus helfen würde und besser wäre, wenn wir die
Einschränkungen aus den §§ 4 und 6 des Asylbewerber-
leistungsgesetzes – danach ist nur eine Mindestgesund-
heitsversorgung vorgesehen – abschaffen – das wäre
doch genau in Ihrem Sinne – und eine Überführung in
die Leistungsgewährungen nach den GKV-Finanzie-
rungsgesetzen vornehmen würden, die ja auch nur die
notwendige, wirtschaftliche und zweckmäßige Behand-
lung vorsehen?


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1811508900

Ja, wir sind da – das wissen Sie, werte Kollegin

Klein-Schmeink – mit dem Inkrafttreten der Novelle des
Asylbewerberleistungsgesetzes zum 1. März schon auf
einem guten Weg gewesen. Dabei ging es um die Ver-
kürzung des Zeitraums für den Bezug von Grundleistun-
gen bei den Gesundheitsleistungen von 48 auf 15 Mo-
nate.

Ich komme zum zweiten Punkt, der ja – das unter-
schreibe ich sofort – auch Ihre zentrale Forderung ist,
nämlich zur Einführung der Gesundheitskarte. Dabei
geht es darum, dass de facto diese beschränkten Zugänge
abgeschafft werden. Von daher, Frau Klein-Schmeink,
würde ich mich sehr freuen, wenn wir hier im Parlament
alle miteinander das Ziel verfolgen würden, genau da
Unterstützung zu leisten, wo Menschen in verzweifelten
Situationen zu uns kommen und hoffen, dass es ihnen
bei uns besser geht. Es sollte möglich sein, dass diese
hochtraumatisierten Kinder, Frauen und Männer Zugang
zu guter Versorgung haben.

Deshalb bin ich überzeugt, dass wir nicht nur mit der
Entlastung jetzt – damit wäre, glaube ich, die Frage be-
antwortet –, nicht nur mit dem Vorziehen der Leistungen
auf 2015 zur Entlastung der Kommunen, sondern auch
mit einer strukturell dauerhaften Förderung ab 2016 die
Länder und die Kommunen in die Lage versetzen, nicht
nur für die Unterkünfte besser zu sorgen, sondern auch
für die gesundheitliche Versorgung.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Es geht dabei nicht nur um die ärztliche Versorgung,
sondern insbesondere auch um die psychotherapeutische
Versorgung.

Frau Klein-Schmeink, Sie haben das Problem der Fi-
nanzierung der Behandlungszentren für Folteropfer an-
gesprochen. Ja, auch das sind Barrieren, die wir über-
winden müssen. Auch in meiner Stadt, in Ulm, gibt es
ein Behandlungszentrum für Folteropfer. Ich weiß, um
welche Schicksale es da geht und wie schwierig die Ver-
sorgung ist. Ich glaube auch, dass wir da zusammen mit
den Ländern und den Kommunen – es müssen allerdings
auch die Krankenversicherungen mitspielen – einen gu-
ten Weg finden; denn es handelt sich um Einzelschick-
sale, die uns nicht nur sehr berühren, sondern bei denen
wir alle wissen, dass so etwas ein Leben lang prägt.





Hilde Mattheis


(A) (C)



(D)(B)

Von daher lassen Sie mich einfach festhalten: Wir
sind nicht nur, was die finanzielle Unterstützung anbe-
langt, auf einem guten Weg; wir werden im Herbst auch
Richtlinien zur Einführung der Gesundheitskarte nach
dem Bremer Modell bekommen. Bei der Übertragbarkeit
des Modells – es gibt ja schon Vertragsverhandlungen,
sowohl in Baden-Württemberg als auch in Nordrhein-
Westfalen – von Ländern wie Bremen und Hamburg, die
damit seit vielen Jahren gute Erfahrungen gemacht ha-
ben, geht es nicht darum, Leistungen in irgendeiner
Weise zu kontrollieren, sondern um verwaltungstechni-
sche Vereinfachungen. Das ist wichtig, um die Zugänge
niedrigschwellig zu gestalten. Städte wie Münster – das
müssten Sie ja wissen – haben eine Vereinbarung hinbe-
kommen,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir haben die noch nicht!)


nach meiner Kenntnis auch andere Städte. Dort gibt es
schon genau dieses Bremer Modell.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eben nicht! Alles stockt!)


Wir brauchen jetzt schlicht und ergreifend eine Richtli-
nie, damit dies auch in Flächenländern möglich wird.


(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Dafür zu werben, ist unser Anliegen; dafür treten wir
ein.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Aufgabe ist es, das Gesetz so zu machen, dass das möglich wird! Wir sind keine Werbeagentur, sondern der Gesetzgeber!)


Ich bin der Überzeugung, dass wir, was die psycho-
therapeutische Versorgung anbelangt, auch wichtige
Bausteine setzen können; denn klar ist – da greife ich
einfach noch einmal die scharfen Töne in der Debatte
auf –: Wir sind eines der wirtschaftlich stärksten Länder.
Wir haben heute einen gesundheitspolitischen Vormittag
erlebt, wo es immer darum ging, Solidarität mit den
Schwächsten in unserer Gesellschaft zu üben. Da waren
wir uns – egal ob es um Palliativmedizin oder Hospize
geht – in allen Bereichen einig. Ich wünsche mir sehr,
dass wir diese Einigkeit auch bei diesem Thema nicht
verlieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde ich mir auch sehr wünschen!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811509000

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Heiko Schmelzle, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heiko Schmelzle (CDU):
Rede ID: ID1811509100

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Gäste! Nach dem Zweiten
Weltkrieg wurde die Familie meines Vaters auf grau-
same Weise aus dem Sudetenland vertrieben. Auch die
Familie meiner Mutter flüchtete aus der Heimat, um in
Frieden und Freiheit noch einmal ganz von vorne anzu-
fangen. Das Trauma der Flucht und der Verlust der Hei-
mat sind bis heute eine nicht verheilte Narbe auf unserer
Familienseele, auch wenn meine Familie zum Glück
eine neue Heimat in Ostfriesland gefunden hat.

Jeder Flüchtling hat eine eigene Leidensgeschichte
und sein ganz persönliches Schicksal. Insofern möchte
ich von diesem Rednerpult im Deutschen Bundestag aus
allen Flüchtlingen, die in Deutschland Zuflucht vor Ter-
ror, religiöser und politischer Verfolgung suchen, mein
tief empfundenes Mitgefühl ausdrücken: Seien Sie uns
in Deutschland herzlich willkommen!


(Beifall im ganzen Hause)


Derzeit befinden sich weltweit ungefähr 60 Millionen
Menschen auf der Flucht. Das ist die höchste Zahl an
Flüchtlingen, die das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen jemals verzeichnet hat. Gestiegene Flücht-
lingszahlen sind auch in Deutschland zu erkennen. Gab
es 2008 22 085 Erstanträge auf Asyl, waren es 2014
202 834. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind
rund 110 000 Asylanträge gestellt worden, sodass die
Asylbewerberzahl für 2015 auf über 350 000 steigen
könnte. Das stellt unser Land und unsere Sozialversiche-
rungssysteme vor ganz neue Herausforderungen.

Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Frak-
tion Die Linke, zeichnet jedoch ein verzerrtes Bild der
Realitäten in unserem Land.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?)


Ihre Behauptung, Asylbewerbern werde die Möglichkeit
auf ein menschenwürdiges Leben in unserer Mitte ver-
sagt, weise ich entschieden zurück. Die Realität sieht an-
ders aus. Syrischen Flüchtlingen zum Beispiel wird in
Deutschland im Rahmen des Möglichen zügig Asyl
gewährt. Selbst der Familiennachzug wird großzügig ge-
handhabt. Wir wollen das Leben der Betroffenen erleich-
tern und ihnen Schutz bieten. Seit Beginn des Terrors
durch den „Islamischen Staat“ haben wir mehr als
120 000 syrische Flüchtlinge bei uns aufgenommen –
mehr als jedes andere EU-Land.

Von den in den ersten vier Monaten dieses Jahres in
Deutschland angekommenen rund 110 000 Asylbewer-
bern stammten allerdings über die Hälfte vom Balkan.
Über 57 000 stammten aus Serbien, Bosnien-Herzego-
wina, Mazedonien, dem Kosovo und Albanien. Während
die überwiegende Zahl der syrischen Flüchtlinge aner-
kannt wird, tendieren die Anerkennungszahlen insbeson-
dere bei den Bewerbern aus Serbien, Bosnien-Herzego-
wina und Mazedonien fast gegen null. Die Menschen aus
diesen Ländern mögen sich aus nachvollziehbaren Grün-
den auf den Weg nach Deutschland aufgemacht haben;
diese stellen aber regelmäßig keinen Asylgrund dar.





Heiko Schmelzle


(A) (C)



(D)(B)

Das deutsche Asylrecht hat durch Artikel 16 a Grund-
gesetz Verfassungsrang. Es ist das einzige Grundrecht,
welches nur Ausländern zusteht, und zwar dann, wenn
sie politisch verfolgt werden. Asyl gewähren wir aus un-
serer Grundüberzeugung. Das Asylrecht darf aber kein
Schlupfloch für illegale Einwanderung oder die illegale
Ausnutzung unserer Sozialsysteme sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesundheitliche Versorgung gewähren wir jedem Schutzbedürftigen! Das steht in unseren Grundrechten!)


Wer wie Sie, meine Damen und Herren von der Frak-
tion Die Linke, die Behauptung aufstellt, die derzeitigen
Regelungen im Asylbewerberleistungsgesetz würden re-
gelmäßig zu – ich zitiere – „Verzögerungen der Behand-
lung führen und dazu, dass selbst unaufschiebbare Be-
handlungen unter Gefahr für Leib und Leben verschleppt
werden“,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist die Realität!)


der setzt sich nicht sachlich mit Art und Umfang einer
angemessenen medizinischen Versorgung für Asylbe-
werber auseinander.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleis-
tungsgesetz können in Deutschland nach 15 Monaten die
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung voll-
umfänglich in Anspruch nehmen. Bis dahin besteht ein
Anspruch auf medizinische Versorgung regelhaft nur bei
akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei
Schwangerschaft und Mutterschaft. Im Falle einer
akuten Notfallbehandlung im Krankenhaus oder bei
Zahnärzten können Ärzte und Krankenhausträger unter
den im Gesetz genannten Voraussetzungen ihren Auf-
wendungsersatzanspruch gegenüber dem jeweiligen
Leistungsträger – sprich: der GKV – geltend machen.

Die Erfüllung Ihrer Forderung, allen nach dem Asyl-
bewerberleistungsgesetz Berechtigten den Zugang zu
sämtlichen Leistungen der gesetzlichen Krankenversi-
cherung zu gewähren und ihnen damit die Mitgliedschaft
in der GKV zu geben, würde unseren Anstrengungen,
die Zuwanderung aus sicheren Drittstaaten zu reduzie-
ren, entgegenwirken. Vor allem aber würde das die Soli-
dargemeinschaft der gesetzlichen Krankenkassen wahr-
lich überfordern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist Abschreckungslogik! Das hat doch mit Menschenwürde nichts zu tun!)


Die Große Koalition hat sich für einen Weg der Ver-
nunft entschieden.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie noch nicht einmal wissen, worüber Sie reden, scheinen Sie das ja nicht beurteilen zu können!)

Wir haben im März dieses Jahres die Bezugsdauer von
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von
bislang 48 Monaten auf 15 Monate unter Berücksichti-
gung des tatsächlichen Aufenthalts im Bundesgebiet re-
duziert. Damit können die Leistungsberechtigten nach
15 Monaten die Leistungen der gesetzlichen Kranken-
versicherung vollumfänglich nutzen. Ich finde, da sind
wir einen gewaltigen Schritt gegangen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und ist die Regelversorgung darauf eingestellt? Das muss jetzt mal in die Wege geleitet werden!)


Um die dafür erforderliche schnellere Bescheidung der
Asylanträge erreichen zu können und somit für die An-
tragsteller schneller Rechtssicherheit zu schaffen, haben
wir das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit
1 400 zusätzlichen Stellen ausgestattet und werden wir
2016 weitere 1 000 Stellen schaffen.

Wer hingegen wie Sie den nach dem Asylbewerber-
leistungsgesetz Berechtigten von Anfang an den Zugang
zur gesetzlichen Krankenversicherung eröffnen möchte,
schafft eine Situation, in der es künftig attraktiv sein
würde, in Deutschland trotz offenkundiger Aussichts-
losigkeit Asyl zu beantragen, um Versorgungsleistungen
im Rahmen der GKV in Anspruch zu nehmen.

Ein weiterer nicht nachvollziehbarer Punkt in Ihrem
Antrag ist die Behauptung, die von Ihnen geforderte so-
fortige reguläre Pflichtmitgliedschaft – ich zitiere –
„würde bedeuten, dass sie Vorversicherungszeiten für
eine spätere freiwillige Mitgliedschaft in der GKV er-
werben können“. Dabei handelt es sich doch um ein völ-
lig konstruiertes Beispiel. Ihr Beispiel setzt nämlich vo-
raus, dass der anerkannte Asylbewerber unmittelbar
nach seiner Anerkennung ein Unternehmen oder ein
Gewerbe gründet und sich dann für eine freiwillige
Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung
entscheidet.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch das kann vorkommen! Sie wollen doch, dass die Menschen arbeiten!)


Nur für diesen einen denkbaren Fall bräuchte er die Vor-
versicherungszeiten. Ich denke, wir alle wissen, dass
dies ein konstruierter Fall ist.

Meine Damen und Herren, viele Menschen in
Deutschland versuchen im Ehrenamt, aber auch in den
zuständigen Ministerien, Ämtern und Behörden alles,
um das Flüchtlingsleid zu lindern.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Sie lassen sie alleine! – Gegenruf der Abg. Maria Michalk [CDU/ CSU]: Das ist doch nicht wahr! Das wissen Sie auch!)


All diesen Menschen gilt heute mein aufrichtiger Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer hätte noch vor wenigen Jahren eine Asylbewer-
berzahl von 350 000 oder sogar darüber vorhersehen
können? Neue Herausforderungen bedürfen auch zeitge-





Heiko Schmelzle


(A) (C)



(D)(B)

mäßer Lösungen. Durch die rasant gestiegene Asylbe-
werberzahl müssen die Erkenntnisse von gestern an die
Realität angepasst werden. Eine Öffnung sämtlicher
Leistungen der GKV für jeden, der nach Deutschland
kommt, ist aus meiner Sicht durch die Sozialgemein-
schaft nicht tragbar. Aber ich sage auch: Jeder, der hier-
herkommt und eine sofortige Behandlung braucht, weil
er in Not ist, wird diese Hilfe in jedem Krankenhaus und
bei jedem Arzt bekommen. Es wird dann auch ein Weg
gefunden werden, diese Leistung zu vergüten.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal Ihr eigenes Asylbewerberleistungsgesetz!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811509200

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Ulla Jelpke,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811509300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin

Lindholz und Herr Schmelzle, ich muss schon sagen:
Die Szenarien, die Sie hier aufbauen, sind an Zynismus
kaum noch zu übertreffen.


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wieso? Das sind Fakten, einfach Fakten!)


Es gibt nicht den falschen und den richtigen Flüchtling,
den illegalen und den legalen.


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Doch! Das ist ganz klar geregelt!)


Jeder Mensch hat nach der Genfer Flüchtlingskonven-
tion und nach internationalem Recht das Recht, hier
Anträge auf Asyl zu stellen. Diese müssen fair geprüft
werden. Das ist ganz klar.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Das wird doch geprüft!)


Sie haben recht: Es kommen viele Flüchtlinge zu uns.
Aber ich sage noch einmal: Kein Mensch flieht ohne
Not, ohne Grund. Die Gründe der Flucht müssen auch
weiterhin geprüft werden.


(Beifall bei der LINKEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Was machen Sie mit den zwei Dritteln unberechtigter Asylanträge? – Dr. Roy Kühne [CDU/CSU]: Gehen Sie mal in die Kommunen!)


Frau Lindholz, ich frage mich wirklich, ob die Würde
des Menschen, die im Grundgesetz verankert ist, bei Ih-
nen für alle Menschen gilt oder nur für die Deutschen.
Diese Frage muss man wirklich einmal stellen.

Hier und heute geht es um ein ganz ernstes Problem.
Nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-
Aufnahmerichtlinie sind Flüchtlinge, insbesondere die
besonders schutzbedürftigen, angemessen medizinisch
zu versorgen.


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Werden sie auch, Frau Jelpke!)


Ich möchte das Problem gerne an einer Gruppe deutlich
machen, nämlich an den Frauen. Sie tun immer so, als ob
hier alles in Ordnung wäre.


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Es ist auch alles in Ordnung!)


– Nein, das ist keineswegs so. – Die Aufnahmerichtlinie
sichert gerade Frauen, schwangeren Frauen, Minderjäh-
rigen und anderen


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Die bekommen alles!)


ganz besonderen Schutz zu, den sie in den Flüchtlings-
unterkünften und -lagern häufig nicht finden.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir haben keine Flüchtlingslager! Nehmen Sie das zurück!)


Für diese Frauen ist es – das sage ich ganz deutlich –
eine außerordentlich große psychische und körperliche
Belastung, überhaupt auf die Flucht zu gehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!)


Sie benötigen neben einer adäquaten Unterbringung
auch eine angemessene medizinische Versorgung.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will zwei Beispiele anführen, von denen der Berli-
ner Flüchtlingsrat berichtet hat. In Hannover wurde eine
Asylbewerberin mit einem vier Wochen alten Frühgebo-
renen mit Atembeschwerden an der Pforte eines Kran-
kenhauses abgewiesen.


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist nicht erlaubt! Sie wissen ganz genau, dass das rechtlich nicht zulässig ist!)


Der Grund: Die Mutter hatte keinen Krankenschein für
das Kind.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann auch jedem anderen passieren!)


Eine Stunde später starb das Kind. – Ich könnte Ihnen
reihenweise solche Fälle nennen. Wenn Sie die Gesund-
heitskarte einführen würden, könnten diese Menschen
sofort ins Krankenhaus gehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Lindholz, Sie sind nicht einmal in der Lage, zuzu-
hören.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Weil das ein falsches Beispiel ist!)


Vorhin ist nämlich berichtet worden, dass die Verwal-
tungskosten sogar sinken würden. Aber das wollen Sie





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

gar nicht, weil es Ihnen mehr um Abschreckungspolitik
geht als um eine menschenwürdige Behandlung.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Wir haben ein Umsetzungsproblem, kein rechtliches!)


Ein zweites Beispiel aus der Stellungnahme des
Flüchtlingsrats: Einer geflüchteten Frau wurde keine
Psychotherapie zugestanden. Der Grund: Sie war schon
sechs Jahre hier, als sie erstmalig über ihre Vergewalti-
gung im Herkunftsland und die Gewalt, die sie erlitten
hatte, sprach. Wir alle wissen, dass Frauen häufig erst
sehr spät darüber sprechen können, wenn sie Leid und
Traumatisierung hinter sich haben. Gerade deswegen
muss hier nachgearbeitet werden. Eine medizinische
Versorgung darf nicht nach dem Asylbewerberleistungs-
gesetz erfolgen, das wir sowieso immer abschaffen woll-
ten. Es ist unerträglich, die Versorgung nur als Nothilfe
durchzuführen.


(Ute Bertram [CDU/CSU]: Wir haben es deutlich verbessert! Wir haben es nicht abgeschafft!)


Selbst Ansprüche der Asylsuchenden und Gedulde-
ten, die ihnen nach dem Gesetz unstrittig zustehen, kön-
nen oft nicht ohne fremde Hilfe durchgesetzt werden.
Unzureichende Sprachkenntnisse zum Beispiel hindern
sie daran, sich selbstständig zu informieren oder sich bei
den Behörden oder Ärzten zu verständigen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811509400

Frau Kollegin, ein kurzer Blick auf die Uhr.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Ja! Die vier Minuten kommen mir sehr lang vor!)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811509500

Ja, ich komme gleich zum Schluss.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811509600

Da müssten Sie eigentlich schon sein.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811509700

Diese Angst und, vor allen Dingen bei Frauen, die

Scham, zu einer Beratung zu gehen, bitte ich zu berück-
sichtigen.

Zum Schluss möchte ich noch eines deutlich sagen:
Die Gesundheitskarte von Anbeginn – das ist Menschen-
würde. Das fordern wir, und dafür werden wir weiter
kämpfen;


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


denn es geht nicht an, dass man so unmenschlich ist und
Menschen erst nach 15 Monaten Aufenthalt hier eine ge-
sundheitliche Versorgung in vollem Umfang zukommen
lassen will.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ute Bertram [CDU/CSU]: Das hat doch nichts mit Unmenschlichkeit zu tun! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Frau Jelpke, erzählen Sie doch nicht so ein Zeug!)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811509800

Es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention des

Abgeordneten Henke.


Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1811509900

Ich bedanke mich zunächst für die Möglichkeit einer

Kurzintervention.
Ich will nicht die Frage aufwerfen, ob es zweckmäßig

ist, auf der Ebene der Kommunen anzustreben, dass die
Krankenkassen Gesundheitskarten ausgeben, die dann
von den Kommunen zu refinanzieren sind, und zwar so-
wohl was die Leistungsfinanzierung angeht als auch den
damit verbundenen Overhead. Aber wir haben hier zwei
unterschiedliche Versorgungswege. Beide Versorgungs-
wege dienen dazu, Menschen mit gesundheitlichen Pro-
blemen medizinisch zu versorgen. Das eine ist der Weg
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das andere ist
der Weg über das System der gesetzlichen Krankenkas-
sen. Dass man jetzt mit Begriffen wie Unmenschlichkeit,
Zynismus und Menschenfeindlichkeit die Stimmung
aufheizt, obwohl es zwei unterschiedliche Versorgungs-
wege gibt, finde ich nicht in Ordnung. Ich möchte Frau
Jelpke fragen, ob sie glaubt, durch diese Wortwahl einer
konstruktiven Lösung in diesem Punkt zu dienen?


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811510000

Mögen Sie darauf antworten, Frau Jelpke? – Bitte

schön.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811510100

Herr Kollege, nicht ich, sondern Ihre Fraktion hat den

scharfen Ton in der heutigen Debatte angeschlagen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich weiß natürlich auch, dass ein Krankenhaus rechts-

widrig handelt, wenn es ein leidendes, krankes Kind ab-
weist. Aber ich finde, dass Sie durch die Stimmung, die
Sie machen, indem Sie ständig Angst vor Flüchtlingen
schüren, und das Horrorszenario, das Sie hier entwerfen,
Wasser auf die Mühlen von Strömungen wie Pegida gie-
ßen, die inzwischen Flüchtlinge in diesem Land sogar
angreifen. Setzen Sie sich mit dem Thema solidarisch
auseinander, wenn es notwendig ist, und hören Sie mit
dieser Hetze gegen Flüchtlinge auf! Dann haben wir eine
andere Debatte.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811510200

Den Ausdruck „Hetze gegen Flüchtlinge“ weise ich

zurück. Das hat hier niemand gemacht.
Nun fahren wir in der Debatte fort. Mechthild Rawert

hat als Nächste das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1811510300

Nach dem Verlauf der bisherigen Diskussion ändere

ich den vorgesehenen Beginn meiner Rede und möchte





Mechthild Rawert


(A) (C)



(D)(B)

die Gesundheitspolitiker und -politikerinnen an den Be-
richt der Bundesregierung über die gesundheitliche Ver-
sorgung von Flüchtlingen erinnern. Wir haben diesen
Bericht am 29. Juni dieses Jahres erhalten; das ist also
noch nicht so lange her. Mündlich vorgetragen wurde er
schon am 10. Juni. Dieser Bericht informiert uns über
die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen nach
der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Er
spricht die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und
Folteropfer, die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie
im Hinblick auf die medizinische und psychologische
Versorgung Schutzbedürftiger und einen Konsens an, auf
den ich in meiner Rede noch zu sprechen kommen
werde. Ich kann nur sagen: Die Gesundheitspolitik ist
deutlich weiter, als es die heutige Einführung in das
Thema vermuten lässt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die medizinische Versorgung der gesamten Bevölke-
rung ist eine Verpflichtung für Gesellschaft und Staat.
Der Zugang dazu ist ein Menschenrecht. Wir stehen hier
als Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht. Es ist
schon gesagt worden: Deutschland zeigt hohe Bereit-
schaft, Menschen nach einer Flucht vor Terror, Krieg
und Verfolgung aufzunehmen und sie hier willkommen
zu heißen. Dafür bin ich dankbar. Diese Willkommens-
kultur wird von den Flüchtlingen auch anerkannt. Das
weiß jeder, der in seinem Wahlkreis Kontakt zu den Be-
wohnerinnen und Bewohnern von Aufnahme- und Über-
gangswohnheimen pflegt. Die Bürgerinnen und Bürger,
die wir für eine aktive Kooperation und ein aktives En-
gagement im Kontext der Willkommenskultur zu gewin-
nen versuchen, würden es nicht verstehen, wenn wir un-
sere Diskussion so beenden würden, als gäbe es ein
Gesundheitswesen für Menschen erster Klasse und ein
Gesundheitswesen für Menschen zweiter Klasse, also
ein total ungleiches Gesundheitswesen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Rawert, so ist es leider!)


Das wollen die Bürgerinnen und Bürger nicht. Sie wol-
len einen barrierefreien Zugang zur Gesundheitsversor-
gung. Ihr Maßstab sind dabei die weitestgehend gleichen
Gesundheitsleistungen wie bei gesetzlich Krankenversi-
cherten.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die Asylbewerber?)


Denjenigen, die sich damit noch nicht befasst haben,
sage ich: Stellen Sie sich vor, dass Sie krank sind, dass
Sie akute Schmerzen haben und sich schlapp fühlen. Sie
können aber nicht einfach zu einem Arzt gehen; denn Sie
müssen als Erstes eine Behörde aufsuchen. Abgesehen
davon, dass Sie in einem Wartesaal zusammen mit vielen
anderen erkrankten Menschen sitzen müssen, und zwar
in der Regel ziemlich lange, entscheidet dann ein Ver-
waltungsmensch, ob Sie einen Behandlungsschein be-
kommen oder nicht. Der Erhalt eines Behandlungs-
scheins ist die Voraussetzung dafür, dass Sie überhaupt
zu einem Arzt oder einer Ärztin gehen dürfen.

Ich bleibe immer noch im Bild: Wenn Sie Glück ha-
ben, sitzen Sie dann mit Ihren akuten Schmerzen in einer
Praxis und warten. Von zusätzlichen Problemen wie
Sprachbarrieren, die bei einer Behörde und den Ärzten
eine Rolle spielen, möchte ich jetzt gar nicht reden. –
Das verstehen die Bürgerinnen und Bürger nicht. Des-
wegen ist das, was im Kontext der Änderung des Asyl-
bewerberleistungsgesetzes gemacht worden ist, ein ers-
ter, aber auch guter Schritt. Davon wollen wir
keineswegs wieder abgehen.

Des Weiteren werden wir die rechtlichen Vorausset-
zungen für die Gesundheitskarte schaffen. Ich möchte
aus einem Blatt zitieren. Die Überschrift lautet:

Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regie-
rungschefinnen und Regierungschefs der Länder
am 18. Juni 2015.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Mechthild, jetzt wird es spannend!)


Hier wird unter 2.9 Folgendes gesagt:
Bund und Länder sehen in der Übertragung der Ab-
rechnung der ärztlichen Behandlung für Asylsu-
chende auf die gesetzlichen Krankenversicherungs-
träger als Dienstleister eine Möglichkeit, die
gesundheitliche Versorgung von Asylbewerbern zu
erleichtern und die Kommunen hinsichtlich des
Verwaltungsaufwandes zu entlasten.

Dann geht es weiter. Der Auftrag ist, dass bis zum
Herbst – –


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Die Leistungen sollen sich wie bisher im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes bewegen“! Genau das ist das Problem!)


– Es gibt sogar noch einen Satz dazwischen. Maria, ich
bin jetzt dran. Du kannst gleich reden.


(Heiterkeit)

Die Aufgaben für die Bundes-, Kommunal- und Län-

derebene bestehen jetzt darin, hieraus ein Konzept zu er-
arbeiten; denn das ist Konsens zwischen Bund und Län-
dern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sagen Sie mir, ob Ihre Partei daran beteiligt ist. Darauf
wäre ich sehr neugierig.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber kein Ruhmesblatt, was da steht!)


Dieses Paket wird dazu dienen – das ist vorhin zu Recht
gesagt worden –, Verwaltungskosten einzusparen. Wir
haben dadurch aber auch mehr Möglichkeiten, im Ge-
sundheitsbereich zu agieren.

Ich will noch eines sagen: Ich möchte hier gerne eine
bundeseinheitliche Linie haben. So froh ich bin, dass wir
diese Gesundheitskarte in Bremen und in Hamburg
schon haben – für Thüringen ist sie geplant –, so möchte
ich doch nicht, dass die Bundesländer einem Flickentep-
pich gleichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Mechthild Rawert


(A) (C)



(D)(B)

Es soll vielmehr eine bundeseinheitliche Regelung gel-
ten. So verstehe ich auch die Herausforderung, vor die
uns unsere gemeinsame Bundeskanzlerin gestellt hat.

Über die verschiedensten Hilfen, die seitens des Bun-
des, der Länder und der Kommunen schon geleistet wor-
den sind, ist schon etwas gesagt worden.

Ich schließe schlicht und ergreifend damit: Wir brau-
chen eine gesamtgesellschaftliche Solidarität, um zu hel-
fen. Die Bürgerinnen und Bürger verstehen nicht, wenn
der „Umweg“ krankmacht, anstatt zur Gesundung beizu-
tragen. Es heißt schließlich Gesundheitssystem und nicht
Krankheitssystem.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811510400

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811510500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen

Sie mich zunächst auf den Beginn der Debatte und die
Rede von Frau Lindholz von der DU/SU-Fraktion zu-
rückkommen. Das C haben Sie sich mit Ihrer Rede heute
selber aberkannt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: So ein Quatsch! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Blödmann sondergleichen!)


Ihnen ist sicher die Geschichte vom barmherzigen Sama-
riter bekannt, in der geschildert wird, wie jemand krank
auf der Straße liegt. Ihre Rede symbolisierte den Priester,
der an dem Patienten vorbeigegangen ist, und nicht den
barmherzigen Samariter. Ich halte es für einen Skandal,
was Sie hier erzählt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Man kann doch nicht die gesundheitliche Versorgung
von Flüchtlingen instrumentalisieren, um Flüchtlinge
von der Flucht nach Deutschland abzuschrecken.


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit!)


Das ist perfide.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Darum geht es überhaupt nicht!)


Ich weiß, dass Sie in der CDU/CSU-Fraktion aus Prinzip
keine Bundesverfassungsgerichtsurteile lesen. Aber
diese Logik hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht bei
der Entscheidung zum Existenzminimum beim Asylbe-
werberleistungsgesetz bereits um die Ohren geschlagen.
Damals ging es nicht um die Gesundheitsversorgung –
das war nicht Gegenstand des Verfahrens –; aber Karls-
ruhe hat Ihnen klipp und klar gesagt: Die Menschen-
würde ist migrationspolitisch nicht relativierbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das können Sie im Urteil nachlesen. Das lässt sich präzi-
ser nicht formulieren. Was, bitte schön, gehört zu einer
menschenwürdigen Versorgung, wenn man krank ist?
Dass man die gesundheitliche Versorgung bekommt, die
in unserem Land üblich und möglich ist – nicht weniger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Insofern haben Sie sich auch selber ein bisschen in
die Tasche gelogen, Frau Rawert – ich weiß ja, Sie mei-
nen es eigentlich gut –; denn die Vereinbarung der Mi-
nisterpräsidentenkonferenz besagt eben, das Leistungs-
spektrum solle auf die Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz beschränkt werden. Damit
gelten die in § 4 und § 6 des Asylbewerberleistungsge-
setzes verankerten Einschränkungen der gesundheitli-
chen Leistungen für die ersten 15 Monate Aufenthalt in
Deutschland einfach weiter. Das halte ich für inakzepta-
bel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist ein Rückfall hinter die Vereinbarung vom No-
vember letzten Jahres im Bundesrat. Da hieß es noch:

Dabei prüft der Bund gemeinsam mit den Ländern,
wie es den interessierten Flächenländern ermöglicht
wird, die Gesundheitskarte für Asylbewerber einzu-
führen, mit dem Ziel, dem Deutschen Bundestag ei-
nen entsprechenden Gesetzentwurf zuzuleiten.

Wo ist denn dieser Gesetzentwurf?


(Beifall der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Mechthild Rawert [SPD]: Keine Panik! Er wird kommen! – Zuruf von der CDU/CSU: Wir waren beschäftigt!)


– Ja, Sie waren mit dem Innenministerium beschäftigt;
ich weiß. Sie waren mit Themen wie Ausreisegewahr-
sam, neuen Fluchtgründen, Wiedereinreisesperren und
dergleichen beschäftigt, und vor lauter Abschotterei sind
Sie zu Ihren Hausaufgaben nicht gekommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Es geht aber nicht nur darum, dass Sie da den Bundes-
rat beschissen haben. Es geht auch darum, dass Sie euro-
päisches Recht nicht umsetzen. Es gibt eine Richtlinie
des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Nor-
men für die Aufnahme von Personen, die internationalen
Schutz beantragen. Danach muss der Mitgliedstaat – Ar-
tikel 19 Absatz 2 – „Antragstellern mit besonderen Be-
dürfnissen bei der Aufnahme die erforderliche medizini-
sche oder sonstige Hilfe“ – in Klammern: auch
Psychotherapien bei traumatisierten Personen – „ein-





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

schließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psycho-
logischen Betreuung“ gewährleisten.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811510600

Herr Kollege Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811510700

Lassen Sie mich das noch kurz ausführen; dann bin

ich am Ende meiner Rede.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811510800

Sagen wir einmal so: Ihre Redezeit im Plenum ist

schon länger zu Ende. Aber wenn Sie versprechen, den
Satz kurz zu machen, dann erlaube ich es.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811510900

Manchmal erleichtert ja auch ein Blick in die Richtli-

nie die Rechtsfindung:


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Herr Beck, Sie sind schon zwei Minuten drüber! Ich habe auf die Uhr geschaut!)


Das betrifft Minderjährige, unbegleitete Minderjährige,
Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerzie-
hende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Men-
schenhandels, Personen mit schweren körperlichen Er-
krankungen, Personen mit psychischen Störungen.

Nichts davon ist umgesetzt. Die Umsetzungsfrist en-
det im Juli dieses Jahres. Es gibt keinen Referentenent-
wurf. Es gibt keinen Gesetzentwurf. Die humanitären
Aufgaben lassen Sie einfach liegen. Gleichzeitig schwa-
dronieren Sie lieber davon, dass eine schlechte gesund-
heitliche Versorgung bei der Abschottung hilfreich ist.
Ich finde, diese Logik ist perfide und einer christlichen
Partei auf jeden Fall nicht angemessen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unwürdig!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811511000

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dr. Roy Kühne, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Roy Kühne (CDU):
Rede ID: ID1811511100

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zu-
schauer! Sie sehen mich ein bisschen erschüttert ange-
sichts dessen, wie dieses Thema hier behandelt wird, ein
Thema, das in meinen Augen nicht mit dieser Dramatur-
gie und in dieser kleinkarierten Art und Weise diskutiert
werden sollte.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wer hat denn das hineingebracht? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie mal Frau Lindholz nicht ans Rednerpult geschickt!)

Sie vergessen nach meiner Meinung völlig den Respekt
vor der Sachlage. Es geht Ihnen anscheinend mehr um
die Aufmerksamkeit der Presse.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Nein! Uns geht es um die Flüchtlinge!)


Ich sage ganz offen: Ich bin völlig enttäuscht. Frau
Jelpke, Sie haben hier in typischer Art zitiert. Es werden
kleine Fakten dargestellt, aber nicht bis zum Ende. Es
wird nicht der gesamte Umstand berichtet, was in der
Klinik „Auf der Bult“ passiert ist. Damit zeichnen Sie
ein Bild, das verwirrt. Ich glaube, Sie wissen gar nicht,
dass es so zu Missverständnissen kommt. – Die Klinik
hatte das Kind nicht abgelehnt. Es kam ein Notfall da-
zwischen. Man hat die Mutter gebeten, kurz zu warten.
Sie sprach kein Deutsch. Sie sprach radebrechend Eng-
lisch; eine Afrikanerin. Sie hat die Klinik verlassen. Es
gab ein Missverständnis. Danach zu sagen: „Dieses Ge-
setz greift nicht, und diese Klinik hat das Kind abge-
lehnt“, ist in meinen Augen ein ganz schwerer Vorwurf,
den Sie den fleißigen Mitarbeitern dieser Kinderklinik
weiß Gott nicht machen sollten. Das gehört sich nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Michalk [CDU/CSU]: Schlechtes Beispiel!)


Ich will auch gleich die Kanzlerin zitieren, weil im-
mer gesagt wird: der Einstieg der CDU. – Völliger
Quatsch! Es ist ganz klar gesagt worden – ich zitiere –:
Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und
Regierungschefs der Länder stimmen darin überein, dass
die steigende Zahl von Asylsuchenden und Flüchtlingen
Bund, Länder und Kommunen vor erhebliche Heraus-
forderungen stellt. Sie betonen, dass es einer gesamt-
staatlichen Anstrengung bedarf, um eine angemessene,
menschenwürdige Unterbringung und Versorgung der
Asylsuchenden und Flüchtlinge zu gewährleisten,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie die ganzen Seiten noch einmal vorlesen?)


schnelle Asylverfahren zu ermöglichen und die Integra-
tion von Flüchtlingen mit einer Bleibeperspektive zu
verbessern. – Meine Damen und Herren, das ist doch ein
Fakt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das waren jetzt schöne Worte! Haben Sie verstanden, was Sie vorgelesen haben?)


Wie geht es weiter? Es gibt Initiativen von wirklich
sehr respektablen CDU-Mitgliedern, CSU-Mitgliedern
in den Gemeinden. Da führe ich auch meine Gemeinde
Dassel, meine Gemeinde Kreiensen an, wo es hervorra-
gende Initiativen gibt. Das können Sie doch nicht ein-
fach in den Sand treten – dagegen wehre ich mich auch
persönlich – und sagen: Es passiert nichts bei der CDU. –
Nein, wir tun was.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden heute über die medizinische Versorgung für Asylsuchende und nicht über Initiativen in Dassel!)


– Ich bin gleich bei Ihnen; keine Sorge.





Dr. Roy Kühne


(A) (C)



(D)(B)

Ich glaube, darüber sind wir uns einig: Deutschland
steht dazu, Zuwanderungsland zu sein. Deutschland
steht dazu, den Menschen, die aus ihren Heimatländern
fliehen, die vertrieben wurden, solidarisch Schutz zu ge-
währen, sogar mehr zu tun, als ihnen nur Schutz zu ge-
währen, sie nämlich auch zu unterstützen, was ihre
weitere Entwicklung, was ihre Gesundheit angeht, eine
Versorgung zu gewährleisten, die sie in dieser Art und
Weise in den Heimatländern teilweise nie bekommen
hätten – Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wollen Sie die gesundheitliche Versorgung aus den Flüchtlingslagern nach Deutschland tragen?)


– Ich bin noch nicht fertig.

Die aktuellen Flüchtlingsströme aus den Krisenregio-
nen steigen. Das bringt Herausforderungen für unsere
Gesellschaft. Die sind nicht einfach zu bewältigen. Wir
müssen uns natürlich damit befassen. Wir müssen die
Rahmenbedingungen schaffen und können nicht einfach
nur sagen: So, jetzt mal alle los!


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811511200

Herr Kollege, die Kollegin Frau Klein-Schmeink

möchte eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulas-
sen, oder wollen Sie weitersprechen?


Dr. Roy Kühne (CDU):
Rede ID: ID1811511300

Frau Klein-Schmeink, kommen Sie.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mutig!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811511400

Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kühne, Sie haben noch einmal betont, wie weit-
reichend auch in Ihrer Heimatstadt und in Ihrem Wahl-
kreis die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und die
Unterstützungsbereitschaft sind. Ist es da nicht auch not-
wendig, dass wir diesen Menschen zeigen, dass wir bei
der gesundheitlichen Versorgung, die ein ganz grundle-
gendes Recht ist – da ist auch unsere Fürsorgepflicht ge-
fragt –, nicht mit zweierlei Maß messen? Müsste man
nicht dafür Sorge tragen, dass die gesundheitliche Ver-
sorgung nicht auf ein Mindestmaß reduziert wird, wie es
das Asylbewerberleistungsgesetz bisher leider vorsieht,
und die Gesundheitskarte so einführen, dass das Leis-
tungsspektrum der GKV abgedeckt wird? Es ist ja ge-
setzlich fest vorgegeben – das wiederhole ich –, dass die
GKV an gesundheitlicher Versorgung nur das zur Verfü-
gung stellt, was notwendig, zweckmäßig und wirtschaft-
lich ist. Wo, bitte schön, machen wir sonst den Schnitt?
Was ist denn dann das, was den Asylbewerbern nicht zu-
steht? Wie wollen Sie das so definieren, dass man nicht
nur im Akutfall eine Behandlung bekommt?


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Wollen Sie das Sozialsystem plündern und dann kritisieren, dass die Zusatzbeiträge steigen? Das steigert die Zusatzbeiträge!)


Wäre das nicht ein weitreichendes Zeichen auch in Ihre
Mitgliedschaft hinein?

Ich jedenfalls kann für Münster feststellen, dass wir
uns im Rat der Stadt über alle Fraktionen hinweg dafür
ausgesprochen haben, dass die Gesundheitskarte einge-
führt werden soll. Ist das nicht genau das richtige Zei-
chen, das wir eigentlich brauchten, und müssten Sie da
nicht umdenken?


Dr. Roy Kühne (CDU):
Rede ID: ID1811511500

Vielen Dank für die Frage. – Da muss ich Ihnen leider

widersprechen, ganz einfach unter dem Aspekt: Die
Menschen vor Ort – das erlebe ich in den Gesprächen,
auch in den Krankenhäusern – respektieren es, wenn
notwendige Maßnahmen bezahlt werden. Wenn wir
schon bei § 4 Asylbewerberleistungsgesetz sind, dann
zitiere ich daraus einfach einmal:

Zur Behandlung akuter Erkrankungen und
Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche
und zahnärztliche Behandlung einschließlich der
Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!)


sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder
zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfol-
gen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Eine
Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies
im Einzelfall aus medizinischen Gründen unauf-
schiebbar ist.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Und was ist mit Chronikern?)


Ich denke, der Steuerzahler, alle Menschen haben ein
Anrecht darauf, dass wir verantwortungsvoll mit dem
Geld umgehen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es
diverse Beispiele dafür gibt, dass der eine oder andere
Fakt ausgenutzt wird. Ich möchte nicht ein Pauschaltor
öffnen, weil wir dann – dazu sind wir im Gesundheits-
ausschuss alle verpflichtet – logischerweise über Zusatz-
beiträge reden müssten. Das Türchen ist weiß Gott nicht
so offen. Im Moment konsolidieren wir das Ganze. Wir
haben ein gutes Gesundheitssystem. Aber es darf nicht
ausgenutzt werden. Es muss belastbar sein. Es soll etwas
für die Menschen, für alle, die unter Not leiden, sein,
aber es darf nicht missbraucht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich hatte bereits gesagt, dass das Asylbewerberleis-
tungsgesetz die Kriterien festlegt. Die Kriterien sind ein-
deutig. Damit kann man eigentlich arbeiten. Damit kön-
nen die Kommunen arbeiten. Das sorgt für Sicherheit.
Das Asylbewerberleistungsgesetz soll ja einen Zeitraum
überbrücken. Es soll bis zur Feststellung des Status quo
klar angesagt werden, was möglich ist und was nicht.
Dieser eingeschränkte Zugang stellt weiß Gott nicht, wie
es im Antrag der Linken formuliert ist, eine Gefahr für
Leben und Leib – es fehlt nur noch die Seele – dar. Bei
der Gefährdung von Leib und Seele sind Schmerzen ein





Dr. Roy Kühne


(A) (C)



(D)(B)

ganz hoher Indikator. Wenn tatsächlich Leib und Seele
bedroht sind, dann ist jede Art von medizinischer Leis-
tung angebracht. Wir als Große Koalition stehen dahin-
ter, dass jeder Mensch, dessen Gesundheit bedroht ist
– es wird ja sogar weiter formuliert –, die notwendige
medizinische Leistung bekommt. Die vorhin genannten
Attribute – Mütter, werdende Mütter, Wöchnerinnen –
sind absoluter Unsinn; denn in § 4 Absatz 2 des Asylbe-
werberleistungsgesetzes ist geregelt:

Werdenden Müttern und Wöchnerinnen sind ärztli-
che und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebam-
menhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu ge-
währen.

Da gibt es für mich kein Missverständnis, nicht einmal
ein Deutungsproblem. Von daher kann ich Ihre Kritik
nur zurückweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es wurde bereits mehrmals gesagt – und wir haben
Beispiele aus der Geschichte –, dass ein übermäßiges
Angebot oftmals einen übermäßigen Anreiz darstellt. Es
ist statistisch nachweisbar, dass zunehmend Asylanträge
genau aus diesen Gründen auflanden. Hier müssen wir
gucken, dass der deutsche Steuerzahler, die Kommunen
und auch die Mitarbeiter in den Kommunen nicht mehr
belastet werden als nötig. Meiner Meinung nach haben
die Kommunen momentan sehr viel zu tun. Sie sind in
einem fleißigen Prozess, müssen diese ganze Aufgabe
bewältigen. Wenn Sie mit den Kolleginnen und Kollegen
vor Ort sprechen, dann stellen Sie fest, dass die am Limit
sind. Sie geben ihr Bestes. Insofern sollten wir da nicht
noch unnötig reinhauen, indem wir einen übermäßigen
Anreiz schaffen, sodass die Einwanderungsflut unnötig
aufwächst.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird immer schlimmer!)


Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Thema Ent-
bürokratisierung sagen. Die Gesundheitskarte in Bremen
– hier gebe ich Ihnen recht, Frau Rawert – ist eine Mög-
lichkeit, das Ganze zu entbürokratisieren. Es ist ein
Werkzeug, das momentan genutzt werden kann. Es ist
freiwillig. Ich denke, dass wir diesbezüglich einen guten
Schritt getan haben, um die Kommunen zu entlasten, um
auch ein direktes Abrechnungssystem zu schaffen. Letzt-
endlich geht es doch um die Menschen, die wir willkom-
men heißen. Es geht überhaupt nicht um Dramaturgie,
sondern wir möchten den Menschen helfen, die bei uns
berechtigterweise zu Hause sein wollen, die krank sind,
die ein gesundheitliches Problem haben. Denen wollen
wir helfen, bis sie wieder gesund sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811511600

Als letzter Rednerin in der Aussprache erteile ich das

Wort der Abgeordneten Bettina Müller, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Bettina Müller (SPD):
Rede ID: ID1811511700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unter-
kunft und Betreuung von Flüchtlingen und deren ge-
sundheitliche Versorgung stellt die Kreise und Kommu-
nen vor große Herausforderungen – das ist schon
angeklungen –, sowohl organisatorisch als auch verwal-
tungstechnisch und vor allem natürlich auch finanziell.
Nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz obliegt die Si-
cherstellung der Versorgung im Krankheitsfall sowie der
Versorgungsleistungen und Impfungen den zuständigen
Behörden, also den Ländern bzw. den mit der Unterbrin-
gung betrauten Kreisen und Kommunen.

Alle Kolleginnen und Kollegen hier im Hause wissen
aus eigener Anschauung in ihren Wahlkreisen, was das
konkret bedeutet, nämlich völlig überlastete Sozial- und
Gesundheitsämter, die Behandlungsbescheinigungen
ausstellen und Anträge bearbeiten müssen, einfache Ver-
waltungsmitarbeiter, die zwischen notwendigen und auf-
schiebbaren Behandlungen sowie chronifizierten und
akuten gesundheitlichen Beschwerden zu unterscheiden
haben. Das ist eine belastende und unwürdige Situation,
sowohl für die Flüchtlinge, die sowieso nur notfallmäßig
behandelt werden, als auch für die kommunale Verwal-
tung und ihre Mitarbeiter, die hier unter Zeitdruck und
Überlastung medizinische Entscheidungen mit zum Teil
erheblichen Auswirkungen auf das Leben der ohnehin
schon traumatisierten Menschen zu treffen haben.

Hier werden die geplante und hoffentlich bald umge-
setzte Einführung einer speziellen Gesundheitskarte,
über deren Leistungsspektrum noch zu diskutieren sein
wird, und in der Folge die Abrechnung der Gesundheits-
kosten über die gesetzlichen Krankenversicherungsträ-
ger dann zu einer deutlichen Entlastung führen,


(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie aber noch nicht umgesetzt!)


und zwar nicht nur in Bezug auf die Verwaltungskosten
der Kommunen, sondern auch für die Mitarbeiter der
Kommunalverwaltungen. Mit der Karte liefe das Verfah-
ren künftig über die Krankenversicherungsträger und die
Ärzte, die für solche Entscheidungen ja prädestiniert
sind, weil sie für sie ja tägliche Praxis sind. Denn die ei-
gentliche Diskriminierung besteht ja darin, dass Asylsu-
chende die Behandlung bei einem Sozialamt beantragen
müssen und diese Bewilligung ein Verwaltungsakt ist.
Das medizinisch Notwendige, Akutbehandlungen, un-
aufschiebbare Operationen werden vorgenommen, aber
diskriminierend ist vor allem das Verfahren. Deshalb
würde die Gesundheitskarte, wie gesagt, eine deutliche
Verwaltungsvereinfachung und damit auch – das ist mir
als Kommunalpolitikerin wichtig – eine deutliche finan-
zielle Entlastung für die Kommunen bringen. Zusammen
mit den bereits erfolgten Entlastungen – ich nenne hier
nur die 1 Milliarde Euro Soforthilfe des Bundes für
2015, die Übernahme der Impfkosten für Kinder und Ju-
gendliche, die Entlastungen bei den Kosten der Unter-
kunft nach SGB II – ergibt das eine substanzielle Unter-
stützung der Kreise und Kommunen.

Weitere Hilfen für 2016 werden im Herbst – das ist
schon angeklungen – zwischen Bund und Ländern ver-
einbart werden. Ich sage an dieser Stelle aber auch deut-





Bettina Müller


(A) (C)



(D)(B)

lich: Ich wünsche mir in diesem Zusammenhang, dass
das Geld des Bundes dann tatsächlich auch eins zu eins
da ankommt, wo es gebraucht wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wenn einzelne Länder bei der Weiterleitung der Mittel
an die Kommunen – bei mir in Hessen geht es da immer-
hin um 37 Millionen Euro – die Hand aufhalten, dann
geht auch das letztlich zulasten der Asylsuchenden und
ihrer medizinischen Versorgung. Auch das ist Diskrimi-
nierung, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Zu dieser Versorgung – auch darauf möchte ich noch

kurz eingehen, weil im Antrag der Linken nicht viel
dazu steht – gehört auch die psychotherapeutische Be-
handlung, gerade für Flüchtlinge mit ihren oft traumati-
schen Erlebnissen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Diese Behandlung ist wegen der sprachlichen Hürden,
den notwendigen Dolmetschern und den ohnehin kom-
plizierten Versorgungsstrukturen im psychotherapeuti-
schen Bereich besonders schwer zu organisieren,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Genau!)


vor allem in Regionen außerhalb von Ballungszentren.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da warte ich auf Lösungen!)

Hier müssen wir gemeinsam nach tragfähigen und sinn-
vollen Lösungen suchen, wie wir den Betroffenen in Zu-
kunft besser helfen können.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der beste Weg,
Flüchtlingen und Asylbewerbern eine vollumfängliche
gesundheitliche Versorgung zu ermöglichen, liegt ein-
deutig auch in der Erleichterung der Arbeitsaufnahme.
Für mich bedeutet Solidarität mit Flüchtlingen, sie so
schnell wie möglich in die Solidargemeinschaft der Ver-
sicherten zu holen. Flüchtlinge erhalten dann nicht nur
den vollen Leistungsumfang der GKV für sich und ihre
mitversicherten Angehörigen, sondern sie zahlen dafür
auch wie andere Arbeitnehmer aus ihrem Arbeitsentgelt in
die Sozialversicherung ein. Gesellschaftliche Teilhabe, In-
tegration in den Arbeitsmarkt und Integration in die So-
zialversicherungssysteme müssen doch das Ziel einer ge-
lungenen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik sein.


(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Da sind wir uns einig!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811511800

Das war an sich ein gutes Schlusswort, zumal die Re-

dezeit schon überschritten ist.


Bettina Müller (SPD):
Rede ID: ID1811511900

Okay. – Wir haben hier mit der Änderung der Be-

schäftigungsverordnung und der Vorrangprüfung usw. ja
schon einiges geleistet. Die Asylbewerber und Gedulde-
ten müssen sich seitdem bei der Arbeitsuche nicht mehr
hinter den deutschen Arbeitnehmern und anderen EU-
Bürgern anstellen. In dieser Woche wurden erneut Re-
kordzahlen für den Arbeitsmarkt vermeldet.

Vor diesem erfreulichen Hintergrund, Kolleginnen
und Kollegen, sollten wir wirklich noch einmal darüber
nachdenken, inwieweit wir hier zusätzliche Erleichte-
rungen für die Arbeitsaufnahme und damit auch eine
Aufnahme der Flüchtlinge in die Solidargemeinschaft,
wie eben dargestellt, schaffen können. Auch bei der
Beschleunigung der Asylverfahren müssen wir besser
werden. Hier liegt der Schlüssel, um anerkannte Asyl-
bewerber über die Arbeitsaufnahme in die reguläre
Gesundheitsversorgung zu bekommen. Das muss unser
gemeinsames Ziel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811512000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5370 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 h sowie
die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf:

36 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll von Nagoya vom 29. Okto-
ber 2010 über den Zugang zu genetischen
Ressourcen und die ausgewogene und ge-
rechte Aufteilung der sich aus ihrer Nut-
zung ergebenden Vorteile zum Überein-
kommen über die biologische Vielfalt

Drucksache 18/5219
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum
Übereinkommen vom 10. März 1988 zur
Bekämpfung widerrechtlicher Handlun-
gen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt
und zu dem Protokoll vom 14. Oktober
2005 zum Protokoll vom 10. März 1988
zur Bekämpfung widerrechtlicher Hand-
lungen gegen die Sicherheit fester Plattfor-
men, die sich auf dem Festlandsockel be-
finden

Drucksache 18/5268
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die internationale Zusammenarbeit zur
Durchführung von Sanktionsrecht der
Vereinten Nationen und über die interna-
tionale Rechtshilfe auf Hoher See sowie
zur Änderung seerechtlicher Vorschriften

Drucksache 18/5269
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Än-
derung des am 25. und 30. April 2007 un-
terzeichneten Luftverkehrsabkommens
zwischen den Vereinigten Staaten von
Amerika und der Europäischen Gemein-
schaft und ihren Mitgliedstaaten

Drucksache 18/5271
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Binnenschiff-
fahrtsaufgabengesetzes

Drucksache 18/5273
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie über alternative
Streitbeilegung in Verbraucherangelegen-
heiten und zur Durchführung der Verord-
nung über Online-Streitbeilegung in Ver-
braucherangelegenheiten

Drucksache 18/5295
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Verpflichtungen nach dem
Nagoya-Protokoll und zur Durchführung
der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie
zur Änderung des Patentgesetzes

Drucksache 18/5321
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Die Wahl von Betriebsräten erleichtern
und die betriebliche Interessenvertretung
sicherstellen
Drucksache 18/5327
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Rekrutierung Minderjähriger in die
Bundeswehr
Drucksache 18/981
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner,
Renate Künast, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Netzneutralität als Voraussetzung für eine
gerechte und innovative digitale Gesell-
schaft effektiv gesetzlich sichern
Drucksache 18/5382
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss Digitale Agenda (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Federführung strittig

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-
Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Reform der Pflegeausbildung auf gesi-
chertes Fundament stellen
Drucksache 18/5383
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-
sungen: Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 h sowie





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Zusatzpunkte 3 a und 3 c. Interfraktionell wird vorge-
schlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist. Das ist der Zusatzpunkt 3 b. In-
terfraktionell wird Überweisung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5382
mit dem Titel „Netzneutralität als Voraussetzung für eine
gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv
gesetzlich sichern“ an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der
CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim
Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim
Ausschuss Digitale Agenda.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die
die Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda
wünscht. Wer stimmt dem Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Dann ist der Überweisungs-
vorschlag abgelehnt mit den Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, die
Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Ener-
gie wünschen. Wer stimmt diesem Überweisungsvor-
schlag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU- und SPD-Fraktion angenommen worden ge-
gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 37 a bis
37 i und den Zusatzpunkten 4 a bis 4 k. Es handelt sich
um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine
Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 37 a:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
14. Oktober 2014 zur Änderung und Ergän-
zung des Abkommens vom 7. September 1999
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Republik Usbekistan zur Vermei-
dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen und vom Ver-
mögen

Drucksache 18/5172

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/5403

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/5403, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5172 an-
zunehmen.

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 37 b bis 37 i.

Tagesordnungspunkt 37 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 202 zu Petitionen
Drucksache 18/5231

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 202 einstim-
mig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 203 zu Petitionen
Drucksache 18/5232

Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Die
Sammelübersicht 203 ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 204 zu Petitionen
Drucksache 18/5233

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist
die Sammelübersicht 204 angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 205 zu Petitionen
Drucksache 18/5234

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Dann ist die Sammelübersicht 205 einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 206 zu Petitionen
Drucksache 18/5235





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist das mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 207 zu Petitionen
Drucksache 18/5236

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Das ist mit den Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 208 zu Petitionen
Drucksache 18/5237

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Angenommen gegen die Stimmen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke und Zustimmung der Fraktion der CDU/CSU
und der SPD-Fraktion.

Tagesordnungspunkt 37 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 209 zu Petitionen
Drucksache 18/5238

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Das ist angenommen worden mit den Stim-
men der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 a:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss) gemäß § 93a Absatz 3
der Geschäftsordnung

zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007
des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines euro-
päischen Verfahrens für geringfügige Forde-
rungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/
2006 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einfüh-
rung eines Europäischen Mahnverfahrens
KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13
hier: Einvernehmensherstellung gemäß § 8
Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenar-
beit von Bundesregierung und Deutschem
Bundestag in Angelegenheiten der Europäi-
schen Union

Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647,
18/3385, 18/3427, 18/5355, 18/5411

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/5411, eine Entschließung anzu-
nehmen und das Einvernehmen gemäß § 8 Absatz 4 EU-
ZBBG nicht herzustellen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer enthält sich? – Wer stimmt
dagegen? – Keiner. Dann ist die Beschlussempfehlung
einstimmig, mit den Stimmen aller Fraktionen, ange-
nommen.

Wir kommen wieder zu Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses, Zusatzpunkte 4 b bis 4 k.

Zusatzpunkt 4 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 210 zu Petitionen

Drucksache 18/5389

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist das einstimmig so angenommen.

Zusatzpunkt 4 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 211 zu Petitionen

Drucksache 18/5390

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist auch die Sammelübersicht 211 ein-
stimmig angenommen.

Zusatzpunkt 4 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 212 zu Petitionen

Drucksache 18/5391

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist das gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und Zustimmung von CDU/CSU-Fraktion und
SPD-Fraktion angenommen.

Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 213 zu Petitionen

Drucksache 18/5392

Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammelüber-
sicht kommen, erteile ich das Wort der Kollegin Kerstin
Kassner als Berichterstatterin des Petitionsausschusses.
– Bitte schön.






(A) (C)



(D)(B)


Kerstin Kassner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811512100

Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Namens des Petitionsausschusses möchte
ich Sie über einen besonderen Umstand informieren. Zur
Beschlussempfehlung 1 der Sammelübersicht 213 gibt
es ein besonderes Votum: Es kommt nicht so oft vor – es
ist in diesem Jahr erst das zweite Mal –, dass der Petiti-
onsausschuss über alle Fraktionen hinweg, also einstim-
mig, das Votum „zur Erwägung“ abgibt. Ich möchte Sie
kurz informieren, was sich hinter dieser Petition ver-
birgt, und Sie dafür gewinnen, uns zu unterstützen, da-
mit wir mit unserem Votum tatsächlich Erfolg haben.

Es geht um die Beschädigtenversorgung nach dem
Soldatenversorgungsgesetz. Es geht darum – Sie haben
es vielleicht noch in Erinnerung –, dass 1999 gesund-
heitliche Schädigungen vieler ehemaliger Soldaten der
Bundeswehr und der NVA durch Radarstrahlung vermel-
det wurden. Daraufhin wurde eine Expertenkommission
eingesetzt. Diese hat bewertet, welche gesundheitlichen
Schädigungen als Folgen der Radarstrahlung anerkannt
werden sollten. Es handelt sich dabei um so schwere Er-
krankungen wie Krebs, chronische lymphatische Leukä-
mie und Katarakt, eine Trübung der Augenlinse.

Nun bittet der Petent, der uns geschrieben hat, darum,
dass andere Krankheiten ebenfalls anerkannt werden.
Sie wissen, bei verschiedenen Menschen können sehr
unterschiedliche Gesundheitsschädigungen auftreten,
und es ist in der Tat so, dass es weitere strahlenbedingte
Erkrankungen gegeben hat; es sind auch bereits viele
nachgewiesen. Aber bis jetzt muss jeder Erkrankte tat-
sächlich für den Einzelfall nachweisen, dass auch die an-
dere Erkrankung durch die Strahlen verursacht wurde.

Wir erinnern uns: Das Ganze ging bis 1975. Es geht
hier um Menschen, die schon älter sind und deren Fami-
lien schon über Jahre belastet wurden. Da ist ein solcher
Nachweis dann doch sehr schwierig. Deshalb haben wir
uns im Petitionsausschuss übereinstimmend dafür ent-
schieden, dass wir das Bundesministerium der Verteidi-
gung bitten, sich dieses Sachverhalts anzunehmen und
im Interesse der Betroffenen eine bessere und schnellere
Versorgung zu ermöglichen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das möchten wir dem Ministerium mit auf den Weg ge-
ben; ich weiß nicht, ob jemand vom Ministerium anwe-
send ist.

Auch Sie alle hier haben die Möglichkeit, nachzufra-
gen. So können Sie mithelfen, das Anliegen bekannt zu
machen. Wir möchten gerne, dass den Betroffenen die
entsprechende Behandlung möglichst schnell, unkompli-
ziert und unbürokratisch zuteilwird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811512200

Herzlichen Dank. Ich denke, die Nachricht wird das

zuständige Ministerium erreichen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über Sammelüber-
sicht 213, zu der eben gesprochen wurde, auf Drucksa-
che 18/5392. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 213 ist mit
den Stimmen aller Fraktionen des Hauses angenommen.

Zusatzpunkt 4 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 214 zu Petitionen

Drucksache 18/5393

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 214 ist gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der
übrigen Fraktionen des Hauses, CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen, angenommen.

Zusatzpunkt 4 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 215 zu Petitionen

Drucksache 18/5394

Hierzu liegt eine schriftliche Erklärung gemäß § 31
der Geschäftsordnung vor.

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Sammelübersicht 215 ist mit den
Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.

Zusatzpunkt 4 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 216 zu Petitionen

Drucksache 18/5395

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 216 ist mit den Stim-
men der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion ge-
gen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 4 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 217 zu Petitionen

Drucksache 18/5396

Auch hier liegt eine schriftliche Erklärung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung vor.

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 217 ist mit den Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 4 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 218 zu Petitionen

Drucksache 18/5397

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Sammelübersicht 218 ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 4 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 219 zu Petitionen
Drucksache 18/5398

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Sammelübersicht 219 ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der
„Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“
Drucksachen 18/5364, 18/5365

Auch hier liegt eine schriftliche Erklärung nach § 31
der Geschäftsordnung vor.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien hat bereits die Wahlvorschläge der Bundesregie-
rung, des Bundes der Vertriebenen, der evangelischen
Kirche, der katholischen Kirche und des Zentralrats der
Juden in Deutschland übermittelt. Dazu liegt Ihnen eine
Unterrichtung auf Drucksache 18/5365 vor.

Bevor wir zur abschließenden Wahl aller Mitglieder
des Stiftungsrates kommen, müssen wir zunächst die
vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder
und Stellvertreter für die Wahl in den Stiftungsrat benen-
nen. Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5364 vor. Wer
stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag ist mit
den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Da-
mit sind die vom Deutschen Bundestag vorzuschlagen-
den Mitglieder und Stellvertreter für die Wahl in den
Stiftungsrat bestimmt.

Somit können wir nun über den Gesamtvorschlag
über die Mitglieder des Stiftungsrates auf Drucksache
18/5365 einschließlich des soeben angenommenen
Wahlvorschlags des Deutschen Bundestages abstimmen.
Der Gesamtvorschlag kann nur als Ganzes angenommen
oder abgelehnt werden. Wer stimmt für den Gesamtvor-
schlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesamtvorschlag ist angenommen mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen. Die Mitglieder und Stellvertreter des
Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöh-
nung“ sind damit gewählt.

Frau Abgeordnete Hupach möchte eine mündliche
Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben. –
Bitte schön.


Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811512300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich stimme beiden vorliegenden Vorschlägen
für die Wahl der Mitglieder und Stellvertreterinnen und
Stellvertreter des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht,
Vertreibung, Versöhnung“ nach eingehender Prüfung
nicht zu.

Die Gründe dafür sind formaler Art und beziehen sich
auf zwei Aspekte:

Zum einen halte ich ein Wahlverfahren für undemo-
kratisch, das mir nur die Entscheidung über einen Ge-
samtwahlvorschlag lässt, um ein so wichtiges Gremium
wie den Stiftungsrat der „Stiftung Flucht, Vertreibung,
Versöhnung“ zu besetzen. Meines Wissens gibt es bei
keinem anderen Gremium, über dessen Besetzung hier
im Bundestag abgestimmt wird, ein vergleichbares
Wahlverfahren. Bei einem Gesamtvorschlag wie bei der
Unterrichtung mit der Drucksachennummer 18/5365
kommt der Wille des Parlaments nur ungenügend und
verfälscht zum Ausdruck. So bin ich gezwungen, entwe-
der mit Ja der Übermacht des Bundes der Vertriebenen
im Stiftungsrat zuzustimmen oder mit einem Nein zu-
gleich die von der evangelischen Kirche, der katholi-
schen Kirche oder dem Zentralrat der Juden benannten
Vertreterinnen und Vertreter abzulehnen.

Zum anderen bin ich davon überzeugt, dass an einem
erinnerungspolitisch so wichtigen Gremium wie diesem
Stiftungsrat alle im Bundestag vertretenen Fraktionen
beteiligt werden sollten.


(Beifall bei der LINKEN)

Gerade hier verbietet es sich, die Oppositionsfraktionen
auszuschließen. Daher lehne ich auch den Wahlvor-
schlag mit der Drucksachennummer 18/5364 ab. Die
Stiftung braucht eine breite gesellschaftliche Basis, um
ihrem Stiftungszweck gerecht zu werden.

Aus den eben genannten Gründen stimme ich diesen
Wahlvorschlägen nicht zu. 62 weitere Mitglieder meiner
Fraktion schließen sich dieser Erklärung an.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811512400

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Die Sicherheitslage nach den jüngsten isla-
mistischen Anschlägen





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe als ersten Redner für die Bundesregierung
Herrn Bundesminister Dr. Thomas de Maizière auf.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
letzte Freitag war ein bitterer Tag. Innerhalb von weni-
gen Stunden wurden wir Zeugen von drei terroristischen
Anschlägen.

In Kuwait gab es einen Selbstmordanschlag auf eine
schiitische Moschee mit 26 Toten und über 200 Verletz-
ten, die nichts weiter getan hatten, als zu beten. Die Ter-
rorgruppe IS hat sich zu dieser Tat bekannt.

In Frankreich, in einem kleinen Ort bei Lyon, hat ein
Täter seinen Kollegen getötet, enthauptet, und den Kopf
öffentlich ausgestellt. Anschließend hat er versucht, eine
Explosion auf einem Fabrikgelände für Gaserzeugnisse
herbeizuführen. Die genauen Hintergründe sind noch un-
klar.

Im tunesischen Sousse hat ein Terrorist mit einem
Sturmgewehr, das man üblicherweise Kalaschnikow
nennt, und mit selbst gebastelten Handgranaten das Feuer
auf wehrlose Touristen am Strand eröffnet. Bei seinem
Gang ins Hotel hat er weitere Menschen umgebracht. Spä-
ter wurde er durch Sicherheitskräfte erschossen. In Tune-
sien haben wir 38 Tote zu beklagen, mindestens
30 Verletzte, darunter zwei tote deutsche Staatsbürger
und eine Schwerverletzte. Vor allem Bürgerinnen und
Bürger von Großbritannien sind schwer betroffen.

Am Montag haben wir gemeinsam an diesem Strand
gestanden: der tunesische Innenminister, die britische In-
nenministerin, der französische Innenminister und ich.
Wir sind den Weg des Attentäters, wenn Sie so wollen,
gegangen. Anschließend haben wir gemeinsam der tune-
sischen Öffentlichkeit gesagt – ich wiederhole es hier –:
Wir sind dort gewesen, um mit den Angehörigen zu trau-
ern, gleich welcher Nation auch immer sie angehören.
Wir sind dort gewesen, um unsere Solidarität mit dieser
jungen Demokratie zu bekunden, die so verletzlich ist,
wie wir gesehen haben. Wir sind dort gemeinsam gewe-
sen, um unsere Solidarität zu bekunden, um zu sagen:
Wir sind gemeinsam bedroht, wir stehen gemeinsam für
unsere Werte, und wir sind der Überzeugung, dass die
Freiheit auf Dauer stärker ist als jeder Terrorismus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte all denen in Tunesien und auch hier dan-
ken, die geholfen haben. Die deutschen Touristen, die
dort geblieben sind, haben mir gesagt, dass sie deswegen
dort geblieben sind, weil die tunesischen Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter in dem Hotel ihnen so großartig ge-
holfen haben. Sie wollten sie nicht im Stich lassen. Auch
die Mitarbeiter des Reiseveranstalters TUI haben vor-
züglich gearbeitet. Es ist, glaube ich, einen Dank wert,
wenn man sieht, wie Menschen nach einem solchen
schrecklichen Anschlag bereit und imstande sind, ande-
ren zu helfen. Das hat mich jedenfalls sehr beeindruckt.


(Beifall im ganzen Hause)


Die Ermittlungen dauern an. Die Tunesier haben zu-
gestanden, erlaubt, dass wir dort ein Ermittlungsteam
des BKA haben, das sehr eng in die Ermittlungsarbeit
einbezogen ist. Es gibt noch keine Klarheit über die Hin-
tergründe der Tat. Wir wissen auch nicht, ob das, was an
diesem Freitag stattgefunden hat, eine Serie war. Wir ha-
ben jedenfalls in allen Fällen ein Bekennerverhalten des
sogenannten „Islamischen Staates“.

Eines zeigen die drei Terroranschläge jedenfalls deut-
lich: Der internationale Terrorismus ist eine globale Be-
drohung für das friedliche Zusammenleben, für junge
Demokratien ebenso wie für uns in Europa, für Muslime,
für Christen und für Juden gleichermaßen. 2014 wurden
über 33 000 Menschen Opfer des internationalen Terro-
rismus. Dafür sind alleine vier Einrichtungen verant-
wortlich: IS, Boko Haram, Taliban und al-Qaida. Wir
haben unterschiedliche Tatbegehungen: Einzeltäter, ko-
ordinierte Gruppen, Kleinstgruppen. Wir haben unter-
schiedliche Ziele: politische Ziele, Menschen, die Ur-
laub machen, die beten, die arbeiten. Es gibt viele
Erklärungen. Ich habe mich natürlich, wie Sie alle auch,
viel mit diesen Fragen beschäftigt. Aber letztlich bleibt
mir unverständlich, woher dieser Hass kommt, durch
den man imstande ist, Menschen zu töten, die unschuldig
sind, die arbeiten, die sich erholen und die beten.

Auch Deutschland ist im Zielgebiet des internationa-
len Terrorismus. Wir haben – so nennen wir es – eine
ernstzunehmende Bedrohungsgefahr auch in Deutsch-
land. Das wissen wir. Wir arbeiten daran, dass es nicht
zu Anschlägen kommt. Wir haben oft Glück gehabt. Un-
sere Sicherheitskräfte haben oft gut gehandelt. Wir wa-
ren oft auf Hinweise von ausländischen Nachrichten-
diensten angewiesen, gerade auch der amerikanischen
Nachrichtendienste.

Wir haben viel gemacht. Wir haben entsprechende
Gesetze erlassen oder auf den Weg gebracht. Weniges
von dem, was noch zu tun ist, ist umstritten. Wir haben
die Ausstattung der Polizisten verbessert. Wir haben das
Personal erhöht und sind dabei, es weiter zu erhöhen. All
das ist auf gutem Weg. Wir haben so viele Ermittlungs-
verfahren wie noch nie zuvor. Polizei und Staatsanwalt-
schaften arbeiten gut zusammen.

Zugleich aber ist die Zahl der Gefährder, also der
Menschen, von denen wir nicht ausschließen können
oder annehmen müssen, dass sie gegebenenfalls einen
terroristischen Anschlag begehen, ebenfalls so hoch wie
noch nie zuvor: über 300. Die Zahl der sogenannten
Ausreiser, also der Menschen, die aus Deutschland stam-
men oder aus Deutschland kommen und sich dort an
Kämpfen beteiligen, ist ebenfalls so hoch wie noch nie
zuvor: etwa 700. Es tröstet mich nicht, dass diese Zahl in
anderen Staaten noch höher ist. Aus Tunesien sind es
vielleicht 3 000, 4 000 oder 5 000. Aus kleinen Ländern
wie Belgien oder den Niederlanden liegt diese Zahl be-
zogen auf die Bevölkerung auch deutlich höher. Es ist so
– so bitter diese Aussage ist –: Wir hatten Sorge, dass





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)

Terrorismus nach Deutschland importiert wird. Im Mo-
ment exportieren wir den Terrorismus aus einer freiheit-
lichen Demokratie wie Deutschland.

Wir haben viel gemacht, und wir werden weiter viel
tun. Wir sind erfolgreich. Aber nicht sehr erfolgreich
sind wir bei dem Durchbrechen der Prozesse der Radika-
lisierung mitten unter uns. Ich rede über Menschen, die
in unsere Schulen gegangen sind, in unsere Vereine, in
unsere Moscheen, die aus unseren Elternhäusern kom-
men und in unseren Bekanntenkreisen sind. Sie lassen
sich für einen unbeschreiblichen Hass radikalisieren. Es
gibt dafür viele Erklärungen. Ich habe diese Woche mit
den tollen Frauen und Männern gesprochen, die in die-
sem Zusammenhang Beratungsarbeit machen. Man kann
den Hut nicht tief genug vor dieser Arbeit ziehen.

Vor allen Dingen befriedigt mich nicht die Antwort
auf die Frage, warum wir nicht so erfolgreich sind, die-
sen Kreislauf der Radikalisierung zu durchbrechen. Das
ist – weil gleich darüber diskutiert wird – auch eine
Geldfrage, aber nicht nur eine Geldfrage. Wir sind auch
nicht achtsam genug im Umgang miteinander, weil wir
es zulassen, es nicht erkennen, es zu spät erkennen oder
uns schämen, es zu sagen, dass Menschen sich verändern
und radikalisieren. Wir müssen in unserer Gesellschaft,
auch aus vielerlei anderen Gründen, achtsamer im Um-
gang miteinander werden, also bei dem, was mitten unter
uns passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren, wie gerne würde ich als
Innenminister hier stehen und Ihnen und der Öffentlich-
keit sagen: Wir sind gut aufgestellt. Wir haben die Ge-
setze gemacht, auch wenn manches umstritten ist. Die
Polizei arbeitet gut. Es wird keinen Terroranschlag in
Deutschland geben. – Das kann ich nicht, und das werde
ich nicht tun; das wäre unverantwortlich. Auch wir kön-
nen betroffen sein; auch wir können getroffen werden.
Aber was ich für alle Mitarbeiter der Sicherheitsbehör-
den in Bund und Ländern sagen kann, ist: Wir sind gut
aufgestellt. Wir sind wachsam. Wir sind wehrhaft. Wir
tun das uns Mögliche, damit ein Terroranschlag in
Deutschland unterbleibt.

Dafür brauchen wir natürlich politischen Streit. Wir
brauchen aber auch ein großes Maß an Konsens in die-
sem Land, dass dies eine Herausforderung ist, der wir
möglichst gemeinsam begegnen sollten. Wir brauchen
auch einen Konsens darüber – und den gibt es hoffent-
lich –, dass eines nicht geschehen darf – das Wort „Ter-
ror“ kommt aus dem Lateinischen und heißt „Furcht“
und „Schrecken“ –: dass alleine durch Drohungen oder
auch nach Taten die Furcht in Deutschland siegt. Das
darf nicht sein.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811512500

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten

Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811512600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Minister, natürlich können wir nicht ausschließen, dass
es auch in Deutschland zu Anschlägen kommt, wobei
zum Glück zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhalts-
punkte dafür vorliegen.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: „Keine Anhaltspunkte“? Wovon träumen Sie denn nachts?)


Doch Sie haben eben erwähnt, was vor allen Dingen in
den letzten Wochen und Tagen geschehen ist. In Frank-
reich zum Beispiel massakrierte ein Islamist seinen Chef
und posierte hinterher mit dessen abgeschlagenem Kopf
für ein Foto. In Tunesien erschoss ein Attentäter 38 Ur-
lauber am Strand. In Kuwait starben Dutzende Betende
bei einem Anschlag vor einer schiitischen Moschee. Im
Jemen wurden zahlreiche Schiiten von einer Autobombe
getötet. In der kurdischen Stadt Kobane massakrierten
aus der Türkei eingedrungene Schlächter des sogenann-
ten „Islamischen Staates“ über 200 Zivilisten. Erst ges-
tern starben in Ägypten wieder über 100 Menschen bei
Feuergefechten zwischen IS-Kämpfern und der Polizei.

Diese Aufzählung macht vor allem eines deutlich:
Die meisten Opfer des sogenannten islamischen Terrors
sind selbst Muslime. Es sind die Menschen im Nahen
Osten, die heute den größten Blutzoll zahlen müssen.
Deswegen kann es keine Frage sein: Wachsamkeit ist ge-
boten, auch in Europa. Aber, Herr Minister, ich glaube,
man muss versuchen, auch die Ursachen des Hasses zu
thematisieren.

Meine Damen und Herren, diese Woche jährt sich die
Ausrufung des IS-Kalifats im Irak und in Syrien. Doch
das Terrorkalifat ist nicht vom Himmel gefallen. Der Bo-
den dafür wurde durch den völkerrechtswidrigen Krieg
gegen den Irak bereitet.

Mit jüngst bekannt gewordenen Geheimpapieren des
Pentagons wird bewiesen: Schon 2012 rechneten die
USA mit der Gründung eines solchen Kalifats im Nor-
den Syriens. Ein solcher Dschihadisten-Staat sei jedoch
im Interesse der eigenen Verbündeten, um die syrische
Regierung zu schwächen – so heißt es in diesem Papier.
Im Klartext bedeutet das: Der Aufstieg des IS wurde se-
henden Auges von den USA und ihren Verbündeten
nicht nur hingenommen, er wurde sogar maßgeblich von
diesen befördert.

Der wichtigste Geburtshelfer des IS-Terrorkalifats ist
ohne Zweifel die Türkei. Die AKP-Regierung hielt ihre
Grenze nach Syrien für Zehntausende von Dschihadisten
aus aller Welt offen. Sie stellte ihnen Trainingscamps
und Krankenhäuser zur Verfügung, wo sie zusammenge-
flickt wurden. Sie lieferte ihnen tonnenweise Waffen und
Material. Türkische Medien haben diese Tatsachen viel-
fach nachweisen können, und trotzdem will die Bundes-





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

regierung das einfach nicht wahrhaben. Sie rühmt sich
der Sicherheitszusammenarbeit mit der Türkei.

Herr Minister, ich fordere Sie auf: Reden Sie endlich
Klartext mit Erdogan, damit die Türkei ihre Grenzen für
die Dschihadisten dichtmacht und sie stattdessen für den
Wiederaufbau von Kobane öffnet. Das wäre eine nach-
haltige Terrorbekämpfung.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die Golfstaaten, insbeson-
dere Saudi-Arabien, gehören zu den Hauptsponsoren des
religiös motivierten Terrors gegen vermeintlich Ungläu-
bige. Doch die Bundesregierung versucht, uns diesen Pa-
ten des Terrors als Partner in der Terrorbekämpfung zu
verkaufen. Das ist doch absurd. Diese Kuschelei mit den
saudischen Henkern muss endlich ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, von Afghanistan bis
Syrien gilt: Die westliche Politik selbst hat diese terroris-
tischen Monster gefüttert, die jetzt drohen, ihre Kinder
als Schläferzellen nach Europa zu schicken. Das bedeu-
tet: Alle Maßnahmen gegen den islamistischen Terroris-
mus in Deutschland werden ins Leere laufen, solange
Gelder fließen und die Hintermänner im Nahen Osten
weiter freie Hand erhalten.

Diese Kriege in der Region werden noch immer mit
Waffenlieferungen angeheizt. Egal, wer die Empfänger
sind: Am Ende landen diese Waffen immer wieder bei
den entschlossensten und brutalsten Gruppierungen wie
dem sogenannten „Islamischer Staat“ und al-Qaida. Das
hat die Geschichte oft genug gezeigt. Um nicht weiter Öl
ins Feuer zu gießen, müssen alle Löcher gestopft wer-
den, durch die Rüstungsgüter in diese Region fließen,
egal von welchem Land aus.

Die Konsequenz kann unseres Erachtens nur lauten:
Schluss mit allen Waffenlieferungen in den Nahen Os-
ten! Setzen Sie endlich das Rüstungsexportverbot durch!
Denn ich denke, wenn man die Löcher stopft, hat man
auch eine Chance. So wird weiter aufgerüstet und weiter
gekämpft.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811512700

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Rolf Mützenich, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1811512800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es war ein Tag des Schreckens, der Verzweif-
lung und letztlich auch der Verunsicherung nicht nur in
den betroffenen Ländern, sondern auch hier. Deswegen
möchte ich auch ganz bewusst im Anschluss an Ihre
Rede, liebe Frau Kollegin, davor warnen, in der Öffent-
lichkeit einfache Antworten zu präsentieren. Es gibt
nicht die einfachen Antworten auf die Herausforderun-
gen. Ich finde, wir tun gut daran, auch zu überlegen, wa-
rum aus Deutschland – das wird nicht durch Saudi-Ara-
bien und viele andere gefördert – letztlich so viele
Menschen zum IS und zu al-Qaida gehen, um dort zu
kämpfen. Deswegen wäre es, glaube ich, gut, wenn von
diesem Pult aus nicht nach einfachen Antworten gesucht
wird oder sie sozusagen ausgesprochen werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deswegen sage ich: Es sind feige Morde. Wir trauern
mit den Hinterbliebenen, deren Familien und Freunden.

In der Tat – es ist gut, dass der Innenminister hier
auch darauf hingewiesen hat –, wir können keine abso-
lute Sicherheit in Deutschland erklären; aber wir tun
letztlich alles dafür. Deswegen muss natürlich auch die
Außenpolitik darauf reagieren. Ich würde gerne einige
Argumente auch dafür finden.

Sie haben, Herr Innenminister, zu Recht darauf hinge-
wiesen: Der Attentäter in Tunesien hat nicht nur auf die
Touristen geschossen, sondern er hat ganz bewusst – mir
fallen leider keine anderen Worte ein – auf das Herz der
tunesischen Wirtschaft geschossen, indem er genau auf
das gezielt hat, worauf 30 Prozent der Berufstätigen in
Tunesien letztlich angewiesen sind: auf den Tourismus.
Umso beeindruckender war, was wir in den letzten Stun-
den und Tagen gehört haben: dass am Attentatsort offen-
sichtlich insbesondere Zivilisten, Tunesierinnen und Tu-
nesier, versucht haben, den Attentäter zu stoppen. Das
zeigt, wie verzweifelt auch die tunesische Gesellschaft
auf diese terroristischen Herausforderungen reagiert.

Umso mehr müssen wir versuchen, uns in die Lage
Tunesiens zu versetzen: Tunesien liegt in unmittelbarer
Nachbarschaft zu Libyen, einem aktuellen Bürgerkriegs-
herd, und zu Algerien, einem Land, in dem jahrelang ein
Bürgerkrieg gewütet hat. Trotzdem hat sich Tunesien in
der Vergangenheit bereit erklärt, Flüchtlinge aus Libyen
aufzunehmen. Sie sind immer noch da, und die Men-
schen tragen die Last: eine hohe Arbeitslosigkeit von
insgesamt 16 Prozent und eine Jugendarbeitslosigkeit
zwischen 30 und 50 Prozent. Es wurde gesagt:
3 000 junge Menschen aus Tunesien sind offensichtlich
zum IS gegangen, um dort zu kämpfen.

Trotzdem versucht dieses Land, eine Demokratie zu
bauen und damit letztlich Vorbild und Vorreiter in der
arabischen Welt zu sein. Dies zeigt, dass trotz aller Ver-
heerungen Länder aus der arabischen Welt in der Lage
sein können, eine Gesellschaft zu bauen, die zu Besse-
rem in der Lage ist. Ich finde, es gehört an diesen Ort, in
den Deutschen Bundestag, dass wir uns bei dieser Ge-
sellschaft, bei den Menschen Tunesiens ganz herzlich
bedanken mit Respekt und Empathie.


(Beifall im ganzen Hause)


Wenn ich sage: „Wir müssen natürlich über die au-
ßenpolitischen Herausforderungen sprechen“, will ich
auf der anderen Seite auch durchaus sagen: Eben weil
dort versucht wird, eine Demokratie, eine Zivilgesell-
schaft zu bauen, ist es ein deutlicher Hinweis, dass auch
eine Partei, die sich muslimisch nennt, bereit gewesen





Dr. Rolf Mützenich


(A) (C)



(D)(B)

ist, auf die politische Macht in Tunis zu verzichten nach
der Wahlniederlage, die sie erlitten hat. Ich glaube, dass
das stilbildend sein kann und Vorbild sein sollte für an-
dere arabische Länder oder Länder, in denen der politi-
sche Islam zurzeit in der Regierung ist.

Deswegen sage ich noch einmal: Ja, Herr Innenminis-
ter, es ist richtig, dass die Bundesregierung die tunesi-
schen Sicherheitskräfte unterstützt. Es kommt letztlich
darauf an, dass die Demokratie gesichert wird. Aber Si-
cherheit heißt mehr: Sicherheit heißt Rechtsstaatlichkeit,
heißt Unabhängigkeit der Justiz und heißt Gewissenhaf-
tigkeit von Polizei und Militär. Wir wissen, dass die Um-
brüche in der arabischen Welt von Tunesien ausgegan-
gen sind. Da war der junge Tunesier, der sich verbrannt
hat; er wollte ein deutliches Zeichen gegen die Korrup-
tion bei der Polizei setzen. Deswegen ist es umso wichti-
ger, dass die Sicherheitskräfte nicht nur gestärkt werden,
sondern sie sich in der Praxis auch anders verhalten.

Aus diesem Grunde haben wir Projekte in Tunesien
unterstützt, auch viele Entwicklungshilfeprojekte.
Frank-Walter Steinmeier ist für die Bundesregierung oft
in dem Land gewesen. Es war gut, dass die Europäische
Union in der EU-Nachbarschaftspolitik bei Tunesien ei-
nen Schwerpunkt gesetzt hat. Darin müssen wir Frau
Mogherini stärken. Es wäre gut, wenn dieses Land eine
ständige Aufmerksamkeit bekäme und eine europäische
Außenpolitik sich gerade auch in Tunesien wiederfände.
Deswegen treten wir dafür ein, über eine präventive,
über eine politische Aussagekraft in diesem Zusammen-
hang die EU-Komponente Tunesiens stärker deutlich zu
machen. Es war ein richtiges Partnerland. Deswegen
glaube ich, die Menschen haben es allemal verdient, dass
wir nicht nur heute über sie sprechen, sondern in Zu-
kunft auch.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811512900

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grü-
nen. Bitte.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-
gen! In der letzten Woche sind in Tunesien 38 Menschen
gestorben, darunter, soweit wir wissen, zwei Deutsche.
Wir denken an die Angehörigen der Opfer. Wir denken
auch – Herr Mützenich, ich bin Ihnen dankbar für Ihre
Ausführungen – an das Land, das so sehr von den Ein-
nahmen aus dem Tourismus abhängig ist. Wir denken
auch daran, dass dort Stabilität und die Überwindung des
Terrors und der Angst ganz zentral sind.

Heute reden wir über den Anschlag von Sousse, der
bewusst den Tourismus und damit das Land Tunesien an
einer empfindlichen Stelle treffen sollte. Gestern traf es
70 Menschen auf dem Sinai und letzte Woche das afgha-
nische Parlament. In der vorletzten Woche tötete ein
Bonner Islamist im Irak elf Menschen. Es vergeht keine
Woche mehr ohne Terrormeldungen. Das ist furchtbar
und bedrohlich, und, ja, das macht Angst. Ich teile die
Auffassung all derjenigen, die hier gesagt haben, dass es
darauf keine einfachen Antworten gibt. Es gibt darüber
bestimmt parlamentarischen Streit, aber ich finde, es
sollte hier keine billige parteipolitische Münze geben.

Herr Strobl, deswegen will ich Sie ansprechen; Sie re-
den in der Debatte heute ja nicht. Der Innenminister hat
deutlich gemacht, dass die Freiheit stärker als jeder Ter-
rorismus sein muss. Wir alle haben nach dem Anschlag
auf Charlie Hebdo zusammengestanden und hier über
die wichtigen und richtigen Wege zur Bekämpfung des
Terrorismus gestritten.

Ausgerechnet den Grünen vorzuwerfen, dass wir den
Terrorismus und die Bedrohung, die daraus entsteht,
nicht ernst nehmen würden, kann ich Ihnen nicht durch-
gehen lassen, Herr Strobl. Das ist völlig absurd, gerade
in dieser Debatte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was beschwert Sie denn? Sagen Sie doch einmal konkret, was Sie beschwert! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Er hat doch gar nichts gesagt!)


– Sie haben das in der letzten Woche gemacht.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Konkretisieren Sie das bitte einmal!)


Ich will Ihnen das ausdrücklich sagen, nicht nur, weil
wir diese Debatte im Innenausschuss angemeldet und
auf die Tagesordnung gesetzt haben, sondern weil wir
das sehr bewusst und – dieses Gefühl habe ich manch-
mal – an manchen Stellen vielleicht auch noch differen-
zierter als Sie betrachten.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal konkret, was Sie beschwert! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das weiß sie nicht! – Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kann selbst entscheiden, was sie in den fünf Minuten sagt!)


Selbstverständlich ist ein Anschlag jederzeit möglich,
und selbstverständlich war viel Glück dabei, dass es bei
islamistischen Anschlägen in Deutschland bisher nur
zwei Tote gab.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Irgendwie bellen da die getroffenen Hunde!)


Ich glaube, wir brauchen mehr Antworten, als in der Ver-
gangenheit gegeben wurden.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ganz genau wissen Sie nicht, um was es geht! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Man hat es Ihnen aufgeschrieben!)






Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Ich rede erstens darüber, dass es nichts hilft, wenn wir
mit immer mehr Überwachung von immer mehr Men-
schen weitermachen.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wie wollen Sie die Islamisten denn überwachen, wenn nicht so?)


Ich glaube auch nicht, dass es hilft, wenn wir mit schär-
feren Gesetzen weitermachen.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nach dem, was man hier hört, glaube ich, der Vorwurf war ganz berechtigt!)


Das ist der Automatismus nach jedem Anschlag: Zuerst
kommt die Vorratsdatenspeicherung, Sie erweitern den
gigantischen Heuhaufen und versuchen, eine Nadel zu
finden, die immer weniger zu sehen ist, und am Schluss
– das ist der inhaltliche Punkt – fehlen das Personal und
die Mittel für die Überwachung islamistischer Zellen in
Deutschland. Durch diese besteht aber eine wirkliche
Gefahr. Wir haben das in Dinslaken und an anderen Stel-
len auch erlebt. Ich glaube, dass sich die Verschärfungs-
logik längst abgenutzt hat.

Schauen wir einmal nach Baden-Württemberg. Was
ist da nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo passiert?


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das sind die ganz klassischen linken Muster!)


– Nein, das ist kein linkes Muster, Herr Strobl.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Doch, natürlich!)


– Nein, das ist kein linkes Muster.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: An allem mäkeln Sie herum!)


Ich bin fest davon überzeugt – hierin bin ich mir mit dem
Herrn Innenminister vollkommen einig –, dass es um die
Freiheit geht


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Aber alle Maßnahmen, die wir durchführen, um die Freiheit zu schützen, lehnen Sie ab! Oder Sie mäkeln daran herum!)


und dass wir uns von terroristischen Anschlägen nicht
die Freiheit nehmen lassen dürfen, sondern genau dahin
gucken müssen, wo wir Anlass haben hinzuschauen,
nämlich in Richtung der Bedrohung.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Genau darum geht es: das zu tun!)


Wir dürfen nicht versuchen, ein ganzes Volk unter Ver-
dacht zu stellen. Das ist der Punkt, Herr Strobl. An die-
ser Stelle versagen Sie, und zwar Sie ganz besonders.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie haben überhaupt keine eigene Vorstellung, aber mäkeln an allem herum! Das ist ziemlich trostlos! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU] gewandt: Warum reden Sie eigentlich nicht?)


Deswegen sage ich: Schauen wir einmal genau hin,
was in Ihrem Heimatland nach dem Anschlag auf
Charlie Hebdo gemacht worden ist, Herr Strobl – Sie
können ja einmal kurz zuhören; wenn Sie die ganze Zeit
sprechen, dann können Sie gar nichts hören –:

Als Erstes gab es mehr Personalstellen bei der Polizei.
Das gibt Sicherheit und war richtig.

Zweitens. Die Zahl der Staatsschutzermittler wurde
ausgebaut.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Nachdem man sie vorher abgebaut hatte!)


Das bietet Sicherheit, und Sie werden nicht bestreiten,
dass das richtig war, um genau zu schauen, welche Mög-
lichkeiten es gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann gab es noch etwas Drittes. Wenn Sie das alles
für linke Lyrik halten, dann können wir gerne darüber
diskutieren. Das Dritte war nämlich, dass Geld in Prä-
vention investiert worden ist, dass es mehr islamischen
Religionsunterricht geben soll, um religiösen Analpha-
betismus zu verhindern. Das ist doch ganz wichtig; denn
dort, wo wir den Terrorismus an der Wurzel packen kön-
nen, dort, wo wir die jungen Menschen für die Demokra-
tie gewinnen können, dort müssen wir ansetzen. Deswe-
gen glaube ich, dass wir bei der Frage der Prävention
noch sehr viel Handlungsbedarf haben: in den Haftan-
stalten, in den Schulen. Es geht um die Integration.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir machen auch bei der Prävention was, aber halt nicht nur Prävention!)


– Ich habe Ihnen gerade gesagt, Herr Strobl: Machen Sie
es sich nicht so einfach, und machen Sie es nicht so bil-
lig. Ich habe Ihnen gerade erzählt, dass es um Polizei
und um Staatsschutz geht, und dann, dass es auch um
Prävention geht,


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Machen wir ja!)


dass es um Schulen geht, dass es um Haftanstalten geht.


(Zurufe von der CDU/CSU)


Schließlich geht es darum, dass wir es schaffen, in
dieser Gesellschaft gemeinsam zu leben, damit junge
Menschen hier ihre Perspektive sehen und die Demokra-
tie wollen und sie auch verteidigen. Das geschieht nur,
wenn wir sie nicht vorverurteilen,


(Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/ CSU])


sondern wenn wir sie auf den Weg der Demokratie mit-
nehmen.

Vielen Dank.





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811513000

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Wolfgang

Bosbach von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1811513100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sowohl der Bundesinnenminister als auch der Kollege
Mützenich haben sehr kluge, sehr ernste Reden gehalten,
die dem Tagesordnungspunkt gerecht werden. Ich be-
dauere es sehr, dass es Frau Göring-Eckardt und der Kol-
legin Jelpke nicht gelungen ist, daran anzuknüpfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herrn Strobl ist es nicht gelungen!)


Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben gerade
wörtlich gesagt, billige parteipolitische Münze sollten
wir nicht wählen. Anschließend haben Sie ein ganzes
Münzkabinett ausgepackt und über dem Kollegen
Thomas Strobl ausgeschüttet.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht zugehört, was der gesagt hat? – Zuruf des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])


Es gehört sich einfach nicht, dass Sie ohne die Nennung
des Zitats, auf das Sie sich beziehen – das haben wir üb-
rigens auch mit dem Kollegen Dr. von Notz im Innen-
ausschuss erlebt –, den Kollegen Strobl in aller Öffent-
lichkeit und in der Sache zu Unrecht so angreifen, wie
Sie das getan haben. Das gehört sich nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Kollegin Jelpke, es kam, was kommen musste:
Wer ist schuld am islamistisch motivierten Terrorismus?


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir!)


Die Amerikaner und die Deutschen. Als Geburtsstunde
des internationalen Terrorismus gilt der 20. November
1979. Damals haben 500 radikale Islamisten in Mekka
Geiseln genommen. Die Geiselnahme endete mit
300 Todesopfern. Mit dem Satz, dass die Mehrzahl der
Opfer des internationalen, islamistisch motivierten Ter-
rors Muslime sind, haben Sie recht. Aber dass die Gei-
selnahme in Mekka von 1979 die Folge des Irakkrieges
ist, der 2003 begonnen hat, ist grober Unfug. Dieser ge-
hört nicht in eine solche Debatte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hat sie ja auch nicht gesagt!)


Die Taliban haben von 1996 bis 2001 in Afghanistan
ein fürchterliches Terrorregime etabliert. Das kann über-
haupt nichts mit dem von Ihnen erwähnten Irakkrieg zu
tun haben. Das war lange davor.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber schon etwas mit den USA! Wer hat denn die Taliban gefördert?)


Sie hassen uns nicht für das, was wir tun. Sie hassen
uns für das, was wir sind. Sie hassen uns für das, wofür
wir stehen: für Toleranz, für Glaubensfreiheit und dafür,
dass wir den Menschen nicht vorschreiben wollen, wel-
che religiöse Überzeugung sie haben sollen.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wer hat denn die Taliban gefördert?)


– Frau Jelpke, hätten Sie bloß Ihrer eigenen Rede ver-
nünftig zugehört. Dann hätten Sie selber verstanden,
dass das, was Sie sagen, nicht stimmen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es wird doch mit diesen Zwischenrufen nicht besser. Sie
müssten doch eigentlich merken, dass es im Kern der
Auseinandersetzung nicht um eine Auseinandersetzung
zwischen dem Abendland und dem Morgenland oder
den Muslimen und den Christen geht, sondern es im
Kern um eine radikale religiöse Ideologie geht, deren
Anhänger frei von jeder Toleranz gegenüber Anders-
gläubigen sind und uns, der freien Welt, ihren Willen mit
Waffengewalt aufzwingen wollen. Das ist eine Heraus-
forderung, vor der wir alle stehen. Es wäre wirklich
schön, wenn es darüber keinen parteipolitischen Streit
geben müsste.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Uli Grötsch [SPD])


Wir haben – der Bundesinnenminister hat vorhin zu
Recht darauf hingewiesen – bei den notwendigen An-
strengungen im Antiterrorkampf immer Maß und Mitte
gehalten. Das gilt für Rot-Grün nach 2001, und das gilt
auch für die Große Koalition, die jetzt seit fast zwei Jah-
ren im Amt ist.


(Beifall des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU])


Wir wollen aber nicht Freiheit und Sicherheit gegen-
einander ausspielen. Freiheit und Sicherheit sind zwei
Seiten ein und derselben Medaille. Wenn der demokrati-
sche Rechtsstaat für sich das Gewaltmonopol reklamiert,
dann übernehmen wir damit auch die Verpflichtung, un-
ser Land, die Bürgerinnen und Bürger so gut, wie wir
dies können, vor Angriffen aller Art und insbesondere
vor dem Terror zu schützen. Es ist selbstverständlich,
dass wir diese Aufgabe haben, und wir werden sie wahr-
nehmen, ohne dass wir Freiheit und Demokratie in unse-
rem Land opfern oder auch nur zur Disposition stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben im eigenen Land mit dem Terror bittere Er-
fahrungen gemacht: mit der Roten Armee Fraktion in
den 70er- und 80er-Jahren. Auch damals haben wir nicht
die Demokratie aufs Spiel gesetzt.


(Zuruf von der Linken: Ach nee!)






Wolfgang Bosbach


(A) (C)



(D)(B)

Ich blicke jetzt einmal nach links.


(Zuruf von der Linken: Das war klar!)


Am meisten lachen musste ich bei dem Satz „Wir sind
auf dem Weg in den Überwachungsstaat“. Wir haben
doch vor 25 Jahren einen Überwachungsstaat abge-
schafft. Wir kämen gar nicht auf die Idee, heute einen
neuen zu etablieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Eva Högl [SPD] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hören Sie sich eigentlich selbst zu?)


Wir haben auch in den 70er- und 80er-Jahren beim
Kampf gegen den Terrorismus der RAF Maß und Mitte
gehalten. Und, Frau Göring-Eckardt, das tun wir auch in
diesen Tagen


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir werden alle abgehört!)


in der Auseinandersetzung zum Thema Vorratsdaten-
speicherung und Mindestspeicherfristen.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist das!)


Die Vorratsdatenspeicherung ist kein Patentrezept im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Kein ver-
nunftbegabter Mensch kommt auf die Idee, zu sagen:
Wenn wir Mindestspeicherfristen haben, kann es keine
terroristischen Anschläge mehr geben. Das sagt doch
niemand.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist ein Ermittlungsinstrument zur Aufklärung terroris-
tischer Netzwerke.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ein wichtiges!)


Wir haben es heute mit Selbstmordattentaten zu tun.
Wenn ein fürchterlicher Anschlag verübt wurde und der
Attentäter dabei selbst ums Leben gekommen ist, dann
ist der Fall doch nicht aufgeklärt, dann beginnt erst die
Ermittlungsarbeit, dann wollen wir wissen, mit wem er
kommuniziert hat, woher er die Waffen und Sprengmit-
tel hatte und ob er ein Einzeltäter oder Teil einer Gruppe
ist. Der internationale Terror ist hochkonspirativ und
hochkommunikativ, und die retrograde Auswertung der
Telekommunikationsverbindungsdaten kann uns helfen,
Strukturen von Tätergruppen aufzuklären und damit
auch zukünftige Anschläge zu verhindern, nicht mehr
und nicht weniger.

Dass wir darüber streiten, liegt in der Natur der Sa-
che.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811513200

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1811513300

Ich bin sofort fertig. – Darüber, dass das ein grund-

rechtssensibler Eingriff ist, gibt es keine Debatte. Aber
ich hoffe, dass wir die Debatte mit dem notwendigen
Ernst führen und uns vor allen Dingen in wichtigen Fra-
gen, in denen wir uns alle einig sein müssten, nicht zer-
legen. Das Publikum erwartet von uns, dass wir, wenn es
um die Existenz des Landes geht, zusammenhalten und
keinen parteipolitischen Streit austragen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811513400

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Thomas

Lutze von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811513500

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau

Präsidentin! Herr Bosbach, ich versuche, bei den letzten
beiden Sätzen Ihrer Rede anzuschließen. Der feige An-
schlag in der tunesischen Ferienanlage hat dieses Land
hart getroffen. Heute gedenken wir vor allen Dingen der
zahlreichen Opfer.

Für Tunesien ist der Tourismus ein wichtiger Wirt-
schaftsfaktor, vielleicht sogar der wichtigste. Es war
kein Zufall, dass sich die Verbrecher des sogenannten IS
gerade dieses Ziel ausgesucht haben. Sie wollten an ei-
ner ganz entscheidenden Stelle diejenigen treffen, die
Tunesien in den letzten Jahren in eine positive Richtung
geführt haben. Sie wollten eine Regierung treffen, die
demokratisch gewählt wurde. Sie wollten eine Gesell-
schaft treffen, in der Demokratie, Menschlichkeit und
Weltoffenheit keine Fremdworte sind. Auch die fort-
schrittliche Verfassung in Tunesien ist diesen Leuten ein
Dorn im Auge. Die entstandene Situation ist sehr
schwierig, und – das ist richtig – es gibt dafür keine ein-
fachen Lösungen. Entscheidend ist aber, dass die Verbre-
cher des sogenannten IS mit ihrem Terror nicht durch-
kommen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Schmidt [Berlin] [SPD])


Tunesien ist zu einem großen Teil vom Tourismus ab-
hängig, der seitdem wieder stark rückläufig ist. Sicher
war auch vor dem letzten Anschlag der Tourismus in Tu-
nesien noch nicht wieder dort, wo er einige Jahre zuvor
bereits war. Aber die Richtung stimmte, und es gab An-
lass zur Hoffnung. Der aktuelle Anschlag wird die Krise
des Tourismussektors in Tunesien erneut verschärfen.

Die Islamisten haben in vielen arabischen Ländern
auch deshalb Zulauf, weil sie gezielt für ihre menschen-
verachtende Ideologie werben und werben können. In
Syrien zum Beispiel verteilen Islamisten Lebensmittel
an die Bevölkerung, die sich vom Westen im Stich gelas-
sen fühlt. Wo Menschen hingegen versuchen, die Isla-
misten loszuwerden, zerstören diese Verbrecher die wirt-
schaftliche Existenz vieler Menschen. Rund eine halbe
Million Tunesier lebt direkt vom Tourismus. Aktuelle
Schätzungen der tunesischen Regierung besagen, dass
der Anschlag im laufenden Jahr wirtschaftliche Einbu-
ßen in Höhe von rund 450 Millionen Euro nach sich zie-
hen wird – allein in diesem Jahr!





Thomas Lutze


(A) (C)



(D)(B)

Das alles geht auch uns etwas an. Wir müssen den Ur-
lauberinnen und Urlaubern erklären, ob sie in Tunesien
Urlaub machen können oder nicht. Wenn uns bei dieser
Frage nicht schnell eine Lösung einfällt, dann hätten die
IS-Verbrecher ihr menschenverachtendes Ziel erreicht.
Aus diesem Grund bin ich den Koalitionsfraktionen
dankbar, dass wir heute eine Aktuelle Stunde dazu auf
der Tagesordnung haben.

Allerdings hätte ich mir als Mitglied des Tourismus-
ausschusses sehr gewünscht, dass dieser Ausschuss am
gestrigen Mittwoch den Bericht der Bundesregierung zur
Lage in Tunesien nicht einfach ohne Debatte zur Kennt-
nis genommen hätte. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
diese Form der Sprachlosigkeit war keine Sternstunde
unseres Parlaments.


(Beifall bei der LINKEN)


Deutsche Tourismusunternehmen wie TUI, die auch
Anteilseignerin der betroffenen spanischen Hotelkette
RIU ist, haben auf vorbildliche Art und Weise unbüro-
kratisch geholfen: Vorzeitige Rückflüge wurden organi-
siert, Urlauber konnten ihre gebuchte Reise kostenlos
umbuchen oder stornieren, Reisende und Hotelmitarbei-
ter wurden durch extra eingeflogene Therapeuten be-
treut. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu bestand nicht,
weil keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vorlag
und auch nicht vorliegt. Dafür sind wir der TUI und auch
den anderen Reiseveranstaltern, die in Tunesien aktiv
sind, sehr dankbar.

Wir sollten bei der aktuell anstehenden Reform der
Pauschalreiserichtlinie deshalb noch einmal ganz genau
darauf schauen, ob wir tatsächlich alle Optionen bedacht
haben. Reiseverkehrsrechtsregelungen und vor allen
Dingen die Neufassung des Reisevertragsgesetzes müs-
sen in Abwägung der Interessen der Urlauberinnen und
Urlauber sowie der Reiseveranstalter sehr sorgfältig aus-
gearbeitet werden. Kulanz ist gut, lässt sich aber nur
schwer in einen Rechtsrahmen fassen. Die Sicherheit der
Reisenden steht an oberster Stelle. Abstriche daran sind
nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine den Sicherheitsstandards entsprechende Ur-
laubsplanung kann aber nur dann gewährleistet werden,
wenn nicht durch Wettbewerbsverzerrungen eine Quali-
tätsabwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Die Krise in Tu-
nesien offenbart die großen Qualitätsunterschiede in der
Kundenbetreuung und dem Krisenmanagement zwi-
schen professionellen Reiseveranstaltern und sogenann-
ten Vermittlern. Reisevermittler oder Onlinebörsen ha-
ben keine Gästebetreuung vor Ort und auch kein
Krisenmanagement im Ernstfall. Sie entsenden weder
Betreuungsteams, noch bieten sie vergleichbare Kulanz
bei Umbuchungen. Sie sparen beim Verbraucherschutz
und werden seit 2012 in Deutschland auch noch steuer-
lich bevorzugt. Das ist der falsche Weg, liebe Kollegin-
nen und Kollegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dem Terrorismus muss – darin sind wir uns, glaube
ich, im Haus einig – der Nährboden entzogen werden.
Dazu gehört, dass auch die Menschen in Tunesien eine
Perspektive jenseits von Hungerlöhnen und Jugendar-
beitslosigkeit haben müssen. Die politischen Freiheiten
sind die eine Seite der Medaille; das ist sehr begrüßens-
wert. Soziale Sicherheit und Wohlstand sind die andere
Seite. Das ist letztendlich auch eine sicherheitspolitische
Frage. Darüber hinaus müssen wir Tunesien noch inten-
siver dabei helfen, dass die real vorhandenen Sicher-
heitsdefizite vor Ort schnell abgebaut werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811513600

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Matthias

Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811513700

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten

Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lutze, Sie ha-
ben dadurch, dass Sie den Schwerpunkt wieder auf Tu-
nesien und den Tourismus gelegt haben, die Emotionen
ein bisschen heruntergekühlt. Dafür gebührt Ihnen Dank.
Ich glaube, es ist dem Thema angemessen, wenn wir da-
rüber wieder ein bisschen sachlicher reden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Herr Kollege Lutze, ich möchte insofern an Sie anknüp-
fen, als dass ich Tunesien zum Gegenstand meiner Rede
mache. Aber, Herr Minister, ich möchte eher darlegen,
was wir auf bilateraler Ebene für Tunesien tun können;
darauf komme ich gleich zu sprechen.

Lassen Sie mich zunächst einmal bitte den Angehöri-
gen der Opfer mein Mitgefühl ausdrücken. Zugleich
möchte ich den mitunter Schwerverletzten gute und voll-
ständige Genesung wünschen. Ich denke, so viel Zeit
sollte sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt eine weitere Bemerkung, die ich vorausschi-
cken möchte. Ich möchte mich bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Bundesregierung sehr herzlich be-
danken, namentlich bei denen im Auswärtigen Amt und
im BMI, bei dem Ermittlerteam des BKA und beim Kri-
senstab; denn diese haben hervorragende Arbeit geleis-
tet. Es ging sehr schwer los. Sie konnten dabei nicht auf
die Uhr schauen, private Termine mussten sie erst ein-
mal hintanstellen. Sie hatten eine schwierige Aufgabe zu
lösen, und sie haben dabei Hervorragendes geleistet.
Herr Minister, bitte tragen Sie diesen Dank weiter an die
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der Westen war das Anschlagsziel. Das haben auch
die Redner vor mir schon festgestellt. Es gibt auch ein





Matthias Schmidt (Berlin)



(A) (C)



(D)(B)

Bekennerschreiben. Ob es seriös ist, wissen wir nicht,
aber der Tathergang macht ja deutlich, dass der Westen
das Ziel ist.

Die Lage in Tunesien ist von meinen Vorrednern auch
schon beschrieben worden. Wir haben fünf nordafrikani-
sche Mittelmeeranrainer. Von Westen nach Osten sind
das Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten.
Diese fünf Länder verbinden wir mit dem Arabischen
Frühling. Seit 2011 hat sich aber nur Tunesien verstärkt
auf den Weg zu einer Demokratie gemacht und hat es ge-
schafft, eine neue Verfassung zu verabschieden. Tune-
sien hat gewählte Repräsentanten, eine Gewaltenteilung
und in der Verfassung sogar das Gebot der Gleichstel-
lung von Mann und Frau. Aus unserer Sicht ist das vor-
bildlich für die arabische Welt.

Ich will die Probleme in Tunesien nicht kleinreden;
ich will aber zumindest deutlich machen, dass es sehr
unterstützenswert ist, was sich dort abspielt. Die Frage,
die ich mir stelle, ist: Was können wir jetzt innenpoli-
tisch tun, um die Lage dort zu verbessern, zu stabilisie-
ren? Dafür sollten wir zunächst einmal eine Bestands-
aufnahme dessen machen, was wir schon in Tunesien
machen. Das ist nämlich einiges. Es gibt eine deutsch-tu-
nesische Transformationspartnerschaft. Bundespolizei,
BKA, Verfassungsschutz und auch die Fachhochschule
des Bundes, die heute natürlich Hochschule des Bundes
heißt, sind da mit einbezogen. Alle diese Institutionen
entsenden Experten, die vor Ort tätig sind und dort den
demokratischen Prozess stärken. Es gibt Polizeiunter-
stützung auf allen Ebenen, auf der EU-Ebene, auf der
Bundesebene und auch auf der Ebene der Länder. Ein
neues Abkommen – Herr Minister, wir haben im Innen-
ausschuss darüber gesprochen – steht unmittelbar bevor.

Ich finde, in dieser neuen Situation müssen wir das al-
les jetzt rasch auf den Prüfstand stellen, aber nicht in
dem Sinne, dass wir die Maßnahmen an sich infrage stel-
len oder Kürzungen vornehmen wollen, sondern in dem
Sinne, dass wir uns fragen, in welcher Form wir diese
Maßnahmen sinnvollerweise ergänzen können; denn bis-
her besteht das, was wir bilateral tun, aus eher harten
Maßnahmen. Es geht um die Grenzsicherung – es gibt
eine lange Meergrenze und eine Landgrenze zu Libyen –,
es geht um Erkennungsdienst, es geht um Dokumenten-
prüfer, Zolleinsätze, und nun bekommen wir den zu-
sätzlichen Schwerpunkt der Terrorismusbekämpfung.
Aber wir sollten, wie ich finde, diesen harten Maßnah-
men mit zusätzlichen weichen Maßnahmen mehr Kraft
verleihen.

Es sollte unser gemeinsames Ziel sein, die Demokra-
tisierung in Tunesien zu stärken – beim Aufbau des
Rechtsstaats, bei der Berufsbildung, bei Wahlen und bei
der Bekämpfung von Korruption. Die Hochschule des
Bundes wurde bereits als Player genannt. Dann bietet
sich doch auch an, dass die Universitäten in Deutschland
überlegen, welche Art der Partnerschaft sie vor Ort zur
Stärkung eingehen könnten.


(Beifall bei der SPD)


Die Bundeszentrale für politische Bildung genauso wie
die Landeszentralen könnten darüber nachdenken, zu
unterstützen, ebenso die Handwerkskammern. Auf die-
sem Weg werden wir Sie, Herr Minister, immer sehr
gerne unterstützen.

Lassen Sie mich als Letztes sagen: Ich danke Ihnen
ausdrücklich für Ihre Reise nach Sousse am vergangenen
Montag. Sie haben damit nicht nur ein Zeichen der Soli-
darität mit Tunesien gesetzt, sondern Sie haben auch ein
entschlossenes Zeichen gegen den Terror gesetzt.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811513800

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Thorsten

Hoffmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Hoffmann (CDU):
Rede ID: ID1811513900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Morgen beginnt die Sommerpause. Viele von
uns fahren in dieser Zeit mit ihren Familien in den Ur-
laub. Sie vielleicht auch? Jeder dritte Jahresurlaub der
Deutschen führt ans Mittelmeer. Die Freiheit, zu reisen,
sich zu erholen, neue Kulturen kennenzulernen, ist für
uns normal.

Der vergangene Freitag hat jedoch gezeigt: Freiheit
ist nie selbstverständlich. Sie muss immer wieder aufs
Neue verteidigt werden. Am vergangenen Freitag hat ein
Attentäter in Tunesien 39 Menschen brutal ermordet.
Weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt:
Menschen, die voller Freude auf Erholung und Freizeit
nach Tunesien gereist waren, aber auch Menschen, die
im Hotel arbeiteten oder ganz zufällig Opfer wurden –
Urlauber und Einheimische, Christen und Muslime, de-
ren Leben jäh zerstört wurde. Hier wird deutlich: Terror
kennt keine Nationalität oder Religion. Dies zeigt auch
ein weiterer Terrorakt am 26. Juni: In Kuwait verübten
Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine Moschee.
26 Menschen sind tot, 227 verletzt. Sie waren zusam-
mengekommen, um gemeinsam zu beten. Alle waren
Muslime.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es nach dem
Anschlag vom März wieder Tunesien getroffen hat, hat
einen Grund: In diesem Land begann der Arabische
Frühling. Kein arabisches Land hat sich seitdem stärker
in Richtung Freiheit bewegt. Der Tourismus ist dabei die
Achillesferse, die die Verbrecher treffen wollten. Wir
werden es nicht zulassen, dass der Terror dieses Land in
die Knie zwingt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])


Aus diesem Grund bin ich sehr dankbar, dass unser In-
nenminister diese Woche Tunesien besucht hat. Lieber
Herr Minister, hiermit haben Sie ein wichtiges Zeichen
gesetzt: Wir stehen geschlossen an der Seite der Men-
schen in Tunesien.





Thorsten Hoffmann (Dortmund)



(A) (C)



(D)(B)

Die Anschläge der letzten Wochen zeigen, wie zer-
brechlich Frieden und Freiheit sind, auch in Deutsch-
land. Am Montag hat das Innenministerium den Verfas-
sungsschutzbericht 2014 veröffentlicht. Bis Januar 2015
sind mehr als 600 Islamisten aus Deutschland in Rich-
tung Syrien und Irak ausgereist, und die Zahlen steigen
weiter: Heute sind es bereits rund 700 Kämpfer. Sie ha-
ben in Ausbildungslagern das Töten trainiert. Viele sind
bereits zu Mördern geworden. Etwa ein Drittel der aus-
gereisten Personen ist inzwischen, zumindest zeitweise,
wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Diese Men-
schen haben ein gefestigtes radikales Weltbild. Wir müs-
sen von einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft ausge-
hen. Sie stellen ein enormes Sicherheitsrisiko für unser
Land dar, und mit jedem Rückkehrer steigt die An-
schlagsgefahr. Wie real diese Gefahr ist, hat sich leider
bereits in Paris gezeigt. Der Anschlag auf „Charlie
Hebdo“ war die Tat eines Rückkehrers. Auch wir in
Deutschland müssen jederzeit mit einem Terroranschlag
rechnen.

Dazu kommen die, die sich hierzulande radikalisie-
ren. Der Verfassungsschutzbericht nennt mehr als 7 500
Salafisten in Deutschland, und die Tendenz ist steigend.
Gerade junge Menschen werden über soziale Medien
zielgerichtet angesprochen. Hier müssen wir die Präven-
tion erheblich verstärken. Anmerken möchte ich auch:
Es sind auch immer häufiger Frauen, die angesprochen
werden. Es ist unsere Aufgabe, jungen Menschen unsere
Werte überzeugend zu vermitteln. Daran sollten wir alle
arbeiten.

Unter dem Deckmantel einer kostenlosen Koranver-
teilung sind die Islamisten immer öfter in unseren Innen-
städten präsent. Gemeinsam mit meinem Essener Kolle-
gen Matthias Hauer habe ich beschlossen, dies nicht
mehr hinzunehmen. Wo immer die Salafisten in meiner
Heimatstadt Dortmund auftauchen, bin ich präsent und
verteile unser Grundgesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Werte verdienen Mut. Wir dürfen selbstbewusst
zu ihnen stehen. Ich möchte alle Kolleginnen und Kolle-
gen auffordern, es uns gleichzutun.

Anders als die Menschen in Tunesien leben wir in ei-
nem gefestigten Staatswesen. Wir dürfen unseren Si-
cherheitsbehörden dankbar sein; sie arbeiten intensiv
daran, Anschläge abzuwehren und zu verhindern. Pla-
nungen zur Aus- und Rückreise von Islamisten können
oft frühzeitig erkannt und sogar verhindert werden. Da-
mit sie diese Arbeit optimal leisten können, bedarf es je-
doch eines ausreichenden Werkzeugkastens und einer
Vielzahl von Ermittlungsmöglichkeiten.


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Nur so können unsere Sicherheitsbehörden die schwere
Bedrohung abwehren, die der internationale Terrorismus
mit sich bringt. Ein ganz wichtiges Werkzeug ist dabei
die Vorratsdatenspeicherung. Ich freue mich besonders
darüber, dass sich die SPD auf ihrem Parteikonvent auch
dafür ausgesprochen hat. Herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt komme ich zum Schluss: Denken wir daran: Die
Freiheit ist zerbrechlich. Sie muss geschützt werden.
Stellen wir uns dem Extremismus als selbstbewusste De-
mokraten entgegen!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811514000

Vielen Dank. – Da dies die erste Rede des Kollegen

Hoffmann war: Herzlichen Glückwunsch zur ersten
Rede!


(Beifall)


Als nächste Rednerin hat die Kollegin Irene Mihalic
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811514100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Wir alle sind immer noch schockiert
über die jüngsten Terroranschläge in Frankreich, in Tu-
nesien, aber auch in Kuwait, im Jemen und jetzt auch in
Ägypten. Wir fühlen und trauern mit den Angehörigen
der vielen Todesopfer und Verletzten. Wir müssen
selbstverständlich alles in unserer Macht Stehende tun,
um der konstant hohen Terrorgefahr auch hierzulande
mit rechtsstaatlichen Mitteln wirksam zu begegnen.

In diesem Zusammenhang ist es meiner Ansicht nach
allerdings wenig hilfreich, wenn Bundeskanzlerin
Merkel unmittelbar nach den Anschlägen vom Freitag
quasi aus der Hüfte den Versuch macht, die Ereignisse
auf ihre Weise zu analysieren. Wie kann man mit so we-
nig Faktenwissen die Anschläge mit einem – so wörtlich –
„Einsickern von IS-Terroristen“ begründen? Wie kann
man überhaupt, ohne Details zu haben, davon sprechen,
dass der Anschlag von Menschen verübt wurde, die
nicht schon längst dort lebten, in Frankreich und in Tu-
nesien? Wie kann man dann bitte zu der Schlussfolge-
rung kommen, zu der Frau Merkel kam? Ich zitiere eine
Reuters-Meldung vom Tag der Anschläge:

Wir wissen, dass wir gerade mit Blick auf die Mi-
grationspolitik aufpassen müssen, dass nicht isla-
mistische Kämpfer eindringen in die EU.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich! Das ist ja auch richtig!)


Diese Vermischung der Terrorgefahr mit der Flücht-
lingspolitik – das will ich Ihnen einmal sagen – ist nicht
nur fachlich völlig falsch, sondern auch brandgefährlich,
liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da liegen Sie aber so was von daneben! Das ist ja von Ahnungslosigkeit geprägt!)






Irene Mihalic


(A) (C)



(D)(B)

Wir alle müssen sehr aufpassen, dass wir mit unserer
Wortwahl nicht denen eine scheinbare Legitimation ver-
schaffen, die Flüchtlinge bedrohen und Asylunterkünfte
anzünden.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist ja unterirdisch!)


Genau deshalb – das sage ich Ihnen, Herr Strobl, da Sie
sich bei Gelegenheit auch mal an innenpolitischen De-
batten beteiligen –


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wo ist eigentlich der Sprücheklopfer von Notz heute? Der klopft nämlich sonst solche Sprüche! – Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der sitzt im Untersuchungsausschuss!)


war das Attentat vom 26. Juni der absolut falsche An-
lass, eine parteipolitische Debatte anzuzetteln.

Da Sie, Herr Strobl, ja vorhin darum gebeten haben,
dass wir sagen, auf welches Zitat wir uns beziehen, helfe
ich Ihnen jetzt einmal auf die Sprünge.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hoi! Jetzt aber!)


Das Zitat war:

Es ist bezeichnend, dass zu den schrecklichen An-
schlägen in Sousse und Lyon kein Wort von den
Grünen und den Linken zu hören ist.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie haben, was die Sicherheit der Menschen in
Deutschland angeht, offenbar nichts zu sagen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit so etwas! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Da hat der Kollege Strobl recht!)


Herr Strobl, allein der Respekt vor den Opfern und ih-
ren Familien verbietet es,


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ojemine!)


diese Debatte für durchsichtige parteipolitische Manöver
zu nutzen, wie Sie es getan haben. Das gehört sich ein-
fach nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das hat der Sprücheklopfer von Notz schon versucht! Wo ist der denn heute?)


– Jetzt regen Sie sich mal nicht so auf, Herr Strobl! Ihr
kleines Manöver war durchsichtig. Es ist aufgeflogen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Überhaupt nicht aufgeflogen! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Getroffene Hunde bellen! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, Sie bellen die ganze Zeit schon!)


Leben Sie damit! Tragen Sie es mit Fassung!
Im Gegensatz zu Ihnen reden wir erst, wenn wir tat-
sächlich etwas zu sagen haben, nämlich dann, wenn die
Fakten auf dem Tisch liegen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das merkt man tatsächlich, ja!)


Wir sind jetzt einen Schritt weiter, nachdem wir die De-
batte im Innenausschuss haben aufsetzen lassen. So kön-
nen wir – Stand heute – sagen, dass es ganz anders war,
als die Kanzlerin es am Freitag mal eben auf die
Schnelle analysiert hat. Nicht reisende IS-Kämpfer wa-
ren das Problem, sondern zumindest in Frankreich und
Tunesien waren es Menschen aus der Mitte der Gesell-
schaft,


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben wir die Schlaumeier bei den Grünen! – Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist selbst unter Ihrem Niveau, Herr Strobl, was Sie hier von sich geben!)


Menschen, die dort schon länger lebten, die dort zur
Schule gegangen sind, die soziale Kontakte hatten.

Dieser Analyse müssen wir uns auch hier in Deutsch-
land stellen. Die Terrorgefahr entspringt hier aus unserer
Gesellschaft, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Und von außen!)


Doch genau das ignorieren Sie, meine Damen und Her-
ren auch von der Bundesregierung, konsequent.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Haben Sie eigentlich dem Innenminister zugehört?)


Sie kümmern sich ausschließlich um reisende Täter, und
das auch noch mit unbrauchbaren Maßnahmen wie dem
Personalausweis für Terroristen.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist völlig falsch!)


Da muss man doch nur einmal das Muster der Anschläge
zu dieser Maßnahme ins Verhältnis setzen. Wenn man
das täte, würde man feststellen: Da ist nichts, was ir-
gendwie geholfen hätte, diese Anschläge zu verhindern.

Das, was wirklich etwas bringen würde – das verkün-
den Sie hier in Reden; das packen Sie aber nicht an –,
das wäre Prävention. Das wäre ein Thema – also von
wegen: Ich habe nicht zugehört. Ich habe sehr gut zuge-
hört.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Offensichtlich nicht! Schauen Sie mal, was in Hessen gemacht wurde in den Gefängnissen!)


Aber leider folgt daraus keine Maßnahme.

Schon heute gibt es viele Ansätze, das Problem der
Radikalisierung von Menschen an der Wurzel zu pa-
cken: in Familien, in den Schulen, in den Religionsge-
meinschaften. Herr de Maizière, Sie haben selbst gesagt,
dass man vor dieser wichtigen Arbeit den Hut ziehen





Irene Mihalic


(A) (C)



(D)(B)

muss. Das teile ich ausdrücklich. Doch diese Arbeit
bleibt ein Flickenteppich, wenn keine vernünftige Ver-
netzung, wenn keine Koordinierung stattfindet. Wir
brauchen endlich eine nationale Präventionsstrategie,
um diese wichtigen Ansätze und diese wertvolle Arbeit
zu bündeln und auch finanziell verlässlich zu gestalten.
Das wäre Ihre Aufgabe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie sich bis
heute nicht darum kümmern.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wie bitte?)


Denn da tun Sie nicht alles, um den Terror zu verhin-
dern. Vielleicht ist es Ihnen zu kompliziert.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist platt!)


Vielleicht ist Ihnen auch der mediale Ertrag zu gering.
Über die Gründe kann ich offen gestanden nur spekulie-
ren. Leider vergessen Sie dabei eines: Die Bürgerinnen
und Bürger erwarten zu Recht, dass Sie die Terrorgefahr
nicht nur in Worten, sondern eben auch in Taten ernst
nehmen.

Nehmen Sie den Auftrag endlich an, hören Sie auf mit
Symbolpolitik, und lassen Sie bitte diese parteipolitische
Spiegelfechterei auf dem Rücken von Anschlagsopfern!

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Was machen Sie denn? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811514200

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Roderich

Kiesewetter von der CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD])



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1811514300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sinn einer
Aktuellen Stunde ist es doch, aufzuzeigen, dass der
Deutsche Bundestag übergreifend bestimmte Themen
behandelt und damit deutlich macht, dass es nicht alleine
innenpolitische, außenpolitische, entwicklungspoliti-
sche oder verteidigungspolitische Handlungsmöglich-
keiten gibt. Ich bin deshalb dem Innenminister und auch
dem Kollegen Mützenich, aber auch Herrn Hoffmann
sehr dankbar für die sehr sachliche und ruhige Art, wie
sie dieses Thema angehen. Das steht uns als Bundestag
auch gut an. Ich bin heute im Gegensatz zu sonstigen
Debatten – das mag ich sagen – wirklich enttäuscht von
der polarisierenden Art und Weise, mit der die Grünen
versuchen, Kapital aus diesem ernsten Thema zu schla-
gen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD] – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich war im
Januar mit Außenminister Steinmeier im Bardo-Museum
und begeistert von der Ausstellung mit Werken von
Macke, Kandinsky und anderen, und ich war im April
nach den Anschlägen vom 18. März zum stillen Geden-
ken in diesem Museum. Wir alle wissen, dass die Radi-
kalisierung, die auch in Europa stattfindet, die Grenzen
zwischen Innen- und Außenpolitik aufhebt. Das Signal
dieser Aktuellen Stunde ist auch, dass wir enger koope-
rieren müssen. Etliche Vorrednerinnen und Vorredner
haben das auch sehr deutlich gesagt.

Was macht mir Sorgen? Junge Menschen lassen sich
aufgrund von Perspektivlosigkeit radikalisieren, reisen
beispielsweise nach Syrien, kommen traumatisiert zu-
rück, umgeben sich mit einem Heldennimbus und versu-
chen, weitere junge Menschen zu rekrutieren und in den
Terror zu ziehen. Allein hieran zeigt sich, wie wichtig es
ist, dass Innen- und Außenpolitik kooperieren.

Drei Trends machen mir Sorge:

Erstens. Ursprünglich eigentlich lokale Rivalitäten
bedienen sich zunehmend der Ideologie des internationa-
len Islamismus, Beispiel Libyen.

Zweitens. Zerfallende Staaten, auch Staaten, die be-
reits in gewisser Weise ihre Souveränität verloren haben,
bieten keine Perspektiven für ihre Jugend und müssen
mit viel Aufwand wieder stabilisiert werden. Ich blicke
hier auch auf den Kosovo, wo wir mit sehr viel Aufwand
versuchen, die Radikalisierung zu verhindern.

Der dritte Trend rückt Europa in den Fokus. Der fran-
zösische Islamwissenschaftler Kepel hat bereits vor
15 Jahren davor gewarnt, was sich möglicherweise in
Europa auswirken kann, weil, wie es vorhin sehr richtig
gesagt wurde, unsere Lebensweise im Fokus ist. Unsere
Lebensweise wird nicht akzeptiert: Toleranz, Meinungs-
freiheit, gute Regierungsführung, Bekämpfung organi-
sierter Kriminalität.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen
aber auch Lösungen aufzeigen. Mit Blick auf die Per-
spektivlosigkeit möchte ich sehr deutlich machen, dass
wir die fragilen Staaten besser unterstützen müssen. Hier
möchte ich das Beispiel Tunesien anführen. Deutschland
hat seine Entwicklungshilfe für Tunesien vervierfacht,
und zwar von 37 Millionen Euro auf 150 Millionen
Euro. Aber wir geben nicht nur Geld. Auch 160 Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter der GIZ, der Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit, wirken mit. Der Interna-
tionale Währungsfonds bietet 1,8 Milliarden Euro Struk-
turhilfen in Zusammenarbeit mit der OSZE, den Verein-
ten Nationen und der Europäischen Investitionsbank.
Hier zeigt sich, wie wichtig ein vernetzter, ein verzahn-
ter Einsatz ist, und wie wichtig es ist, dass wir bewusst
die Länder, die in den Fokus des Terrorismus geraten, zu
stabilisieren versuchen.

Der gegenwärtige Aufwuchs an Terrorismus, glaube
ich, zeigt: Wir müssen uns besser informieren über lo-





Roderich Kiesewetter


(A) (C)



(D)(B)

kale Gefährdungen, über Eigenheiten bestimmter Regio-
nen, um unsere Ertüchtigungsinitiativen noch besser und
glaubwürdiger unterstützen zu können.

Wir Europäer haben einen sehr toleranten Islam auf
dem Balkan, der sich über Jahrhunderte entwickelt hat
und der unter dem Balkankrieg vor knapp 25 Jahren ge-
litten hat. Heute wird aufgrund der schwierigen Staat-
lichkeit in dieser Region versucht, Anhänger für den
Wahhabismus und Salafismus zu werben. Wir sollten al-
les tun, um diesen toleranten europäischen Islam zu stüt-
zen, ihn zu unserem Islam zu machen, der die Werte
Europas von Toleranz, Völkerverständigung und Aus-
söhnung teilt. Dazu gehört, dass wir wirtschaftliche Per-
spektiven bieten. Die militärische Ausstattungshilfe, die
wir in manchen Bereichen leisten, dient der Sicherheit.
Aber ihr muss die Entwicklungshilfe folgen. Deshalb
brauchen wir Entwicklungszusammenarbeit, Aufbau-
hilfe, Strukturhilfen, Ausbildungshilfen und gezielt Vi-
saerleichterungen für Berufsgruppen, die eine Perspek-
tive in unserer Gesellschaft haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hoffe,
dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen zu einem
moderaten Ton zurückfinden. Wir sind hier nicht im
Landtagswahlkampf,


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Ihrem Landesvorsitzenden!)


sondern wir sind ganz ernsthaft dabei, Lösungen zu fin-
den.


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem müssen Sie das mal sagen!)


Ich bin unserem Innenpolitiker Thomas Strobl außerge-
wöhnlich dankbar,


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass er hier den Landtagswahlkampf eröffnet, oder was?)


dass es ihm gelungen ist, den Blick unserer Innenpoliti-
ker für die Notwendigkeit außen- und entwicklungspoli-
tischer Maßnahmen zu schärfen, nicht zuletzt in unserer
gestrigen fraktionsoffenen Sitzung zur Flüchtlingsfrage.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811514400

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Gabriela

Heinrich von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Gabriela Heinrich (SPD):
Rede ID: ID1811514500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Diese Ak-
tuelle Stunde hat eine schreckliche Aktualität: letzte Wo-
che Anschläge in Frankreich, Kuwait und Tunesien, am
Montag und gestern in Ägypten. Wir sprechen hier von
insgesamt 156 Menschen, die innerhalb der letzten Wo-
che in diesen Ländern ermordet wurden. Als Vorsitzende
der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten liegt mir Tu-
nesien besonders am Herzen, was natürlich die Relevanz
der anderen furchtbaren Anschläge nicht mindern soll.
Noch im Februar hat die Parlamentariergruppe Tunesien
besucht. Wir waren unter anderem in Sousse und auch
im Bardo-Museum. Vor den Anschlägen waren beide
Orte friedlich und lebendig. Jetzt ist ihr Name mit Terror
und Angst verbunden.

Wie die meisten von Ihnen empfinde ich Trauer und
Wut; denn wir haben dort Menschen getroffen, die voller
Hoffnung an einer besseren, demokratisch geprägten Zu-
kunft Tunesiens mitarbeiten wollen. Das Land ist voll
von Engagement für diese Zukunft. Die Tunesier und
Tunesierinnen setzen auf Vernunft und Kompromissbe-
reitschaft. Diese Bemühungen sind es, die Terrorismus
und Fanatismus zunichtemachen wollen.

Die Frage, warum meist junge Menschen zu Terroris-
ten werden, warum sie in den Kampf ziehen – die De-
batte hat es gezeigt –, beschäftigt uns alle. Die Ursachen
sind vielfältig. Sie sind nicht nur in der Perspektivlosig-
keit, sondern auch in der Gewaltfaszination und dem Ge-
fühl, sich für eine vermeintlich gerechte Sache zu op-
fern, zu suchen. Und es gibt als neues Phänomen die
Unauffälligen, die äußerlich modern und liberal auftre-
ten. Sie fallen nicht durch Hassreden auf, und ihr Umfeld
reagiert völlig verstört, wenn sie zu Mördern geworden
sind. Zu Ihnen gehörte der Attentäter von Sousse.

In den deutschen Nachrichten wird bereits spekuliert,
ob Tunesien jetzt nicht wieder zu einem Staat werden
wird, der die Freiheitsrechte erheblich einschränkt. Es
werden Stimmen gesucht, die angeblich den starken
Mann fordern und die Demokratie ablehnen. Manchmal
scheint es mir so, als ob das kleine Land in Nordafrika
mit seiner modernen, demokratischen Verfassung inmit-
ten einer Region, in der schwere Konflikte und Gewalt
zum Alltag gehören, doch gar nicht erfolgreich sein
kann.

Ich habe mich gestern mit dem tunesischen Botschaf-
ter getroffen. Er erzählte mir, dass selbstverständlich So-
fortmaßnahmen ergriffen werden. Im Rahmen eines
Sicherheitskonzepts werden Hotels, Strände, archäologi-
sche Stätten und andere Touristenziele geschützt. Und es
wurden 80 Moscheen geschlossen, die erkennbar zu ra-
dikalen Netzwerken zählen.

Alle jetzt ergriffenen Maßnahmen – und das ist das
Besondere an Tunesien – werden öffentlich debattiert
und von der Opposition und der Zivilgesellschaft mitge-
tragen. Und das funktioniert auch nur deshalb, weil es
dort eine starke Zivilgesellschaft gibt. Tunesien setzt auf
die Unterstützung Europas – auf die der Innenminister –,
aber auch auf die Unterstützung, die mit der Transforma-
tionspartnerschaft verbunden ist. Meine Damen und
Herren, gerade die starke Zivilgesellschaft ist es, die uns
so viele Hebel bietet, das Land zu unterstützen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])






Gabriela Heinrich


(A) (C)



(D)(B)

Wir beraten Tunesien beim Aufbau des Rechtsstaats,
bei guter Regierungsführung, Dezentralisierung und
Medienfreiheit. Wir unterstützen das Land bereits im
Bereich der beruflichen Bildung. Die Sonderinitiative
„Stabilisierung und Entwicklung Nordafrika-Nahost“
versucht unter anderem, die politische Partizipation zu
steigern und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen.
Das alles darf nicht weniger werden, sondern wir müs-
sen diese Partnerschaft noch weiter ausbauen, auch im
Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung des Lan-
des.

Während meiner Reisen habe ich mich vom unbeding-
ten Willen der Tunesierinnen und Tunesier überzeugt, De-
mokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaft voran-
zubringen. Sie brauchen jetzt unsere Solidarität, wie sie
auch von denen bereits gezeigt wurde, die nach dem An-
schlag an verschiedenen Stränden gegen den Terror de-
monstrierten – darunter viele Touristen.

Ausdrücklich bedanken möchte ich mich beim Innen-
minister für den schnellen Besuch und die Hilfsangebote
und ebenso bei Außenminister Frank-Walter Steinmeier
für seine Bemühungen, die Libyer an einen Tisch zu
bringen; denn die Konflikte und die Waffen in Libyen
stellen auch für Tunesien eine ständige Bedrohung dar.
Wir können nur hoffen, dass auch dieses Land bereit ist,
die Konflikte zu beenden und eine nationale Einheitsre-
gierung zu bilden, so wie es die Tunesier vorgemacht ha-
ben. Hier liegt ein wichtiger Schlüssel bei der Stabilisie-
rung der gesamten Region.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811514600

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Jürgen

Klimke von der CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1811514700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt, dass
die jüngsten Anschläge in Tunesien, in Kuwait, in
Frankreich und auch gestern in Ägypten uns nicht nur
betroffen machen müssen, sondern dass sie uns auch vor
ganz große Herausforderungen stellen, die nicht nur in-
nenpolitischer, sondern auch außenpolitischer Art sind.

Die Anschläge stehen in Verbindung mit dem soge-
nannten „Islamischen Staat“, dessen Protagonisten – an-
ders als bei al-Qaida – nicht nur morden, sondern brutal
für einen Staat in ihrem Sinne kämpfen. Der IS speist
sich neben Einzeltätern aus Instabilität und Konflikten.
Es sind Failed States, in denen der IS Entwurzelte an
sich binden und Kämpfer für seine ideologischen Ziele
begeistern kann. Deshalb ist es für unser außenpoliti-
sches Handeln entscheidend, Instabilität zu vermeiden
und Stabilität wiederherzustellen.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir als Europäische
Union immer die richtigen Konzepte haben und ob wir
uns ausreichend engagieren. Das muss man einmal
selbstkritisch sagen. So müssen wir zum Beispiel da-
rüber nachdenken, ob wir es wirklich dauerhaft hinneh-
men können, dass der IS im libyischen Machtvakuum
immer mächtiger wird. Denn die Instabilität Libyens er-
weist sich als Fanal für die gesamte Region. Das gilt im
Übrigen auch für die Flüchtlingsfrage.

Instabilität droht auch andernorts, zum Beispiel in
vielen Staaten Afrikas, auch in einigen Balkanstaaten
– Kollege Kiesewetter hat es angesprochen –, bei denen
wir eigentlich angenommen hatten, dass ihr friedlicher
Weg in die europäische Integration vorgezeichnet ist. Es
liegen jedoch neue Erkenntnisse vor, dass der IS den
Balkan als Einfallstor in die EU nutzt.

Meine Damen und Herren, wir müssen auch erken-
nen, dass eine mögliche Instabilität Griechenlands
– wenn auch wegen anderer Fragen, nämlich in der
Folge eines potenziellen Ausscheidens aus dem Euro
oder auch aus der EU – gravierende Folgen für Südost-
europa haben und dort Instabilität verursachen könnte.
Andererseits wäre die stabilisierende Rolle der Türkei,
die Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat
und dem IS militärisch Einhalt gebieten kann, gefährdet,
wenn es zu keiner Regierungsbildung käme und wieder
Neuwahlen notwendig wären. Damit könnte auch dort
Instabilität entstehen.

Meine Damen und Herren, wir Europäer können uns
angesichts der Bedrohung durch den IS – wie bei der
Grundsatzfrage hinsichtlich der Flüchtlinge – nicht in
eine Zuschauerrolle begeben. Wir müssen bereit sein,
einzugreifen und das zu tun, was erforderlich ist. Wir
dürfen uns dabei nicht auf die Vereinigten Staaten ver-
lassen. Wir müssen vielmehr eigene Strategien zur Ge-
währleistung von Stabilität entwickeln, mit denen wir
Krisen vor unserer Haustür verhindern, fragile Staaten
stabilisieren und Bürgerkriege bekämpfen können.
Deutschland könnte sich hier bei der Erarbeitung einer
Roadmap für die Region, aber auch bei der Etablierung
multilateraler Sicherheitsstrukturen im arabischen Um-
feld der EU einbringen.

Lassen Sie mich einige Sätze zu Tunesien sagen; denn
das Land – es wurde mehrfach unterstrichen – ist ein
Hoffnungsträger nach dem Arabischen Frühling. Ziel der
Anschläge war es, das Land zu schwächen und auch da-
durch zu destabilisieren, dass die Reisenden ausbleiben.
Deshalb ist es wichtig, Tunesien den Rücken zu stärken.
Es war genau die richtige Antwort, dass die Innenminis-
ter der betroffenen Staaten an den Strand von Sousse ge-
kommen sind, Arm in Arm beieinanderstanden – trau-
ernd, aber auch den Morden trotzend – und zusammen
Stärke gezeigt haben.

Es war auch richtig, dass Bundeskanzlerin Merkel vor
wenigen Wochen den tunesischen Präsidenten als Gast
zum G-7-Gipfel eingeladen hat. Der erfolgreiche Weg
Tunesiens in die Demokratie ist eine Angelegenheit von
uns allen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Tunesien
scheitert. Das war auch die Botschaft dieser Einladung.
Insofern war es völlig richtig, sie auszusprechen.





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)

Natürlich muss man mit den betroffenen Staaten in
Sicherheitsfragen kooperieren. Deutschland unterstützt
ja die Weiterbildung der Sicherheitskräfte in Tunesien.
Wir sollten aber auch im zivilgesellschaftlichen Bereich
zusammenarbeiten, Austausch und Partnerschaften för-
dern, um das gegenseitige Verständnis zu stärken. Das
gilt nicht nur für Tunesien.

Meine Damen und Herren, der Terrorismus zielt da-
rauf, Ziele psychologisch zu erreichen, die man im di-
rekten Kampf nicht erreichen kann. Ein wirksames Mit-
tel im Kampf gegen den Terrorismus besteht darin,
diesen Kreislauf zu durchbrechen, rational zu sein und
manchmal vielleicht auch etwas stur zu sein, nach dem
Motto: Jetzt erst recht! – Lassen Sie uns jetzt erst recht
für offene, demokratische Gesellschaften überall auf der
Welt kämpfen!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811514800

Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Aktuellen

Stunde hat Marian Wendt von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1811514900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren Kollegen! „Das nächste große Schlachtfeld ist
Europa“ – so titelte Die Welt vor drei Tagen. Von
Schlachtfeldern haben wir in Europa meiner Meinung
nach mehr als genug. Doch leider ist die Befürchtung,
dass Europa zum Schlachtfeld religiös motivierter Terro-
risten werden könnte, überhaupt nicht irrational. Die
letzten Monate und Jahre haben gezeigt, dass Menschen,
denen unsere Freiheit nicht gefällt, aktiv sind und ihre
Schandtaten hier ausüben.

Streng genommen ist Europa schon lange mittendrin.
Auch wenn es in Deutschland Gott sei Dank noch keinen
großen Anschlag gab, so ist auch hier der islamistische
Terrorismus präsent. Die Attentäter des 11. September
lebten unter uns in Hamburg, und nur dank der guten po-
lizeilichen und nachrichtendienstlichen Arbeit konnten
terroristische Gruppen in Deutschland rechtzeitig ermit-
telt werden. Die Bilder des Bonner Rollkoffers und von
der Sauerland-Gruppe sind uns noch allen im Gedächt-
nis.

Religiöser Extremismus ist für uns in Deutschland ein
relativ neues Phänomen, das unsere pluralistische und
freiheitliche Gesellschaft vor große Herausforderungen
stellt. Das besonders hohe Gewaltpotenzial des islamisti-
schen Extremismus zeigt, wie akut die Bedrohungslage
ist.

In dieser Woche wurde der Verfassungsschutzbericht
2014 veröffentlicht. Danach leben allein in Deutschland
43 000 Personen, die zur islamistischen Szene gezählt
werden. Das sind doppelt so viele Personen wie in der
links- und rechtsextremistischen Szene zusammen. Wir
sehen also: Es gibt ein großes Problem, das wir entschie-
den bekämpfen müssen.

Aber ich muss auch feststellen: Die Muslime in
Deutschland und auch weltweit leben grundsätzlich
friedlich. In Bezug auf Wertvorstellungen und Lebensart
überwiegen bei Christen und Muslimen die Gemeinsam-
keiten. Kürzlich, zu Beginn des Ramadan, gab es unzäh-
lige Veranstaltungen zum gemeinsamen Fastenbrechen,
an denen viele Kolleginnen und Kollegen teilnahmen.
Aber auch gemeinsame Weihnachtsfeiern sind in unse-
rem Land üblich geworden.

Jedoch gibt es die wenigen, deren extreme, radikale
und fundamentalistische Lesart des Koran Gewalt und
Menschenrechtsverletzungen verherrlicht und schließ-
lich den Terror hervorbringt. Der Islam wird von Fanati-
kern instrumentalisiert. Er wird missbraucht, um christli-
ches Leben in Nahost zu vernichten. Die Verfolgung von
Christen im Irak und in Syrien ist ein trauriges Beispiel
dafür. Der Islam wird missbraucht, um Menschen zu
schlachten und um aus Hass zu morden. Hier hört reli-
giöse Toleranz auf. Hier hört die Toleranz unseres
Rechtsstaates auf.

Aus meiner Sicht sind die Vertreter des moderaten
Islam als unsere Partner und Mitmenschen besonders ge-
fordert. Sie finden bei den Islamisten eher Gehör, und sie
haben die kulturelle Kompetenz, ihr Gegenüber besser
zu verstehen. Daher sind sie der beste Partner für die so
wichtige Präventionsarbeit gegen Radikalisierung; da-
rüber haben wir bereits mehrfach gesprochen.

Ich fordere hier und jetzt die Vertreter des moderaten,
freiheitlichen Islam auf, ein klares Bekenntnis zu unserer
freiheitlich demokratischen Grundordnung abzulegen.
Es ist nicht zu viel verlangt, dass diejenigen Muslime,
die fest auf dem Boden der Verfassung stehen, dies als
deutliches Signal nach innen senden:


(Beifall bei der CDU/CSU)


in die Umma, in die islamische Ökumene und in die
Moscheegemeinden hinein; denn ihr Signal hat dort, wo
es darauf ankommt, Gewicht.

Die innerislamische Debatte kann sich insbesondere
durch Vorbilder entwickeln, die sich für Humanität ohne
Vorbehalte, für Friedfertigkeit und Toleranz starkma-
chen. Diese Werte teilen wir. Ohne Muslime, die Fanati-
kern die Stirn bieten, werden wir dem islamistischen
Terror in unserem Land nicht Herr werden.

Allen polizeilichen und nachrichtendienstlichen Maß-
nahmen, die ich für wichtig und richtig halte, zum Trotz:
Es geht nicht um ein „Wir und die“, das Christen und
Muslime trennt, sondern es geht um ein Bündnis von
freiheitsliebenden Menschen, das den Feinden der Frei-
heit gemeinsam gegenübersteht. Dies sage ich aus wich-
tigen Abwägungsgründen; denn wir können an der
Schraube polizeilicher und nachrichtendienstlicher Maß-
nahmen nur bis zu einem gewissen Grad drehen. Wenn
Freiheit und Sicherheit aus dem Gleichgewicht geraten,
dann haben wir ein Problem. Daher brauchen wir einen
Mix aus mehr Aufklärungs- und Präventionsarbeit. Aber
wenn dies nicht mehr hilft und wir in den Bereich der





Marian Wendt


(A) (C)



(D)(B)

polizeilichen Gefahrenabwehr kommen, dann brauchen
wir alle rechtsstaatlichen Polizeimaßnahmen, natürlich
auch die Verkehrsdatenspeicherung, weitere nachrich-
tendienstliche Maßnahmen und die Wohnraumüberwa-
chung, um der islamistischen Bedrohung Herr zu wer-
den.

Zum Schluss der Debatte möchte ich zusammenfas-
sen: Die aktuelle Lage in Bezug auf den islamistischen
Terror stellt uns vor neue Herausforderungen. Aber ich
denke – und das haben alle Kolleginnen und Kollegen
heute deutlich gemacht –: Gemeinsam stehen wir auch
überparteilich zusammen, um den Terror, der unsere
Freiheit bedroht, zu bekämpfen. Vor diesem Gebäude hat
ein bedeutender Mann, Ernst Reuter, gesagt: Wir wählen
die Freiheit. – Darum muss es uns auch weiterhin gehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811515000

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aktuelle

Stunde.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Reform des Wohngeldrechts und zur
Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes

(WoGRefG)


Drucksache 18/4897 (neu)


Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-
aktorsicherheit (16. Ausschuss)


Drucksache 18/5324

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/5328

Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD sowie je ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Als erste Rednerin hat für die Bundesregierung die
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sechs Jahre lang ist das Wohngeld nicht verändert wor-
den. In dieser Zeit – das erleben wir alle – sind die Mie-
ten in vielen Regionen deutlich gestiegen. Ich finde, es
ist höchste Zeit, das Wohngeld zu verbessern. Damit
greifen wir den Menschen, deren Einkommen nicht so
hoch ist, ein Stück weit unter die Arme. Wir sorgen da-
für, dass auch für sie das Wohnen bezahlbar bleibt. Dafür
haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen einge-
setzt. Ich bin sehr froh, wenn uns dies nun gelingt.

Das Wohngeld ist ein Bauteil unserer Politik, die da-
rauf abzielt, das Wohnen in Deutschland bezahlbar zu
halten. Für diese Politik setzen wir viele Hebel an. Wir
wollen auch, dass in Deutschland wieder mehr gebaut
wird, vor allem auch im Bereich des sozialen Wohnungs-
baus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen, dass wieder mehr Menschen Wohngeld
bekommen und dass die Wohngeldhaushalte mehr
Wohngeld erhalten. Seit der letzten Wohngeldreform im
Jahr 2009 sind die Bruttokaltmieten und die warmen
Nebenkosten deutlich gestiegen, also die Bruttowarm-
mieten insgesamt angestiegen. Wir wollen die Tabellen-
werte an die Einkommens- und Mietenentwicklung an-
passen und erhöhen sie um durchschnittlich 39 Prozent.
Davon profitieren alle Wohngeldhaushalte, unabhängig
von ihrem Wohnort und dem Mietenniveau.

Sie alle wissen: In einigen Regionen sind die Mieten
deutlich gestiegen und in anderen nicht. Deshalb passen
wir die Miethöchstbeträge an die regional unterschiedli-
chen Mietentwicklungen an. Rund 870 000 einkom-
mensschwache Haushalte werden von der Wohngeld-
reform profitieren. Rund 324 000 Haushalte werden
erstmals oder erneut einen Anspruch auf Wohngeld ha-
ben. Darunter werden etwa 90 000 Haushalte sein, die
von der Grundsicherung ins Wohngeld wechseln kön-
nen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hinter diesen Zahlen stehen Hunderttausende Men-
schen, die lange auf die Wohngelderhöhung gewartet
haben. Wir haben diese Erhöhung versprochen, und wir
halten gemeinsam Wort.

Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurden viele
weitere Punkte erörtert. Dazu zählen die Klimakompo-
nente, die Heizkostenkomponente und eine Dynamisie-
rung. Lassen Sie mich kurz darauf eingehen:

Wir wollen, dass sich möglichst viele Haushalte ener-
getisch sanierte Wohnungen leisten können. Einige
haben kritisiert, dass keine eigenständige Heizkosten-
komponente enthalten ist. Es ist allerdings so: Ob die
Heizkosten, wie 2009, durch eine Heizkostenkompo-
nente oder, wie im vorliegenden Gesetzentwurf, bei den
Tabellenwerten berücksichtigt werden, hat auf die Höhe
des Wohngeldes in den meisten Fällen keinen Einfluss.

Lassen Sie mich schließlich noch etwas zur Dynami-
sierung sagen – ich habe mich dazu schon in der Regie-
rungsbefragung im März geäußert –: Eine Dynamisie-
rung des Wohngeldes ist unter sozialen Gesichtspunkten
natürlich wünschenswert. Selbstverständlich kenne ich
aber auch die Position des Bundesfinanzministers.





Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks


(A) (C)



(D)(B)

Das Wohngeld ist ein sozialpolitisches Instrument.
Wir stärken die Position von Menschen mit niedrigem
Einkommen auf dem Wohnungsmarkt. In diesem Zu-
sammenhang ist der Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD für mich sehr gut nach-
vollziehbar und auch wirklich gut. Er sieht vor, das
Wohngeld alle zwei Jahre zu überprüfen, erstmals zum
30. Juni 2017, und damit früher als noch im Gesetzent-
wurf vorgesehen eine Evaluierung vorzunehmen.

Mein Ziel ist es – ich denke, das werden wir gemein-
sam schaffen –, dass die Wohngeldverbesserung am
1. Januar des nächsten Jahres in Kraft tritt. Wir alle wis-
sen, dass viele Menschen dringend darauf angewiesen
sind. Wir sollten sie nicht länger warten lassen, sondern
dieses gute Gesetz gemeinsam verabschieden. Ich bitte
um Ihre Zustimmung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811515100

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Heidrun

Bluhm von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811515200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Die Zahl der Sozialwohnungen in
Deutschland geht immer weiter zurück. Wir haben aus
verschiedenen Studien bereits zur Kenntnis genommen,
dass insgesamt 4 Millionen Sozialwohnungen in
Deutschland fehlen. In Wachstumsregionen und in
Hochschulstädten ist Wohnen für viele Menschen mitt-
lerweile unbezahlbar geworden. Das Lohnniveau kann
mit der Steigerung der Mietpreise nicht mithalten. Das
ist der Alltag vieler Mieterinnen und Mieter bei uns im
Land. Aber das ist auch die Ausgangslage für uns im
Parlament, an der wir die vorgelegte Wohngeldnovelle
messen müssen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der uns vor-
gelegt wurde, ist ein dicker Roman. Wir haben ein auf-
wendiges Verfahren von Referentenentwurf, Regierungs-
entwurf, erster Lesung im Parlament, Expertenanhörung
und Beratung in den Ausschüssen bis zur zweiten und
dritten Lesung heute hier hinter uns gebracht. Man
könnte vermuten, dass jetzt alles gut wird, vor allem
auch vor dem Hintergrund dessen, was die Ministerin
hier eben vorgetragen hat. Man könnte glauben, das ist
ein großer Wurf. Aber weit gefehlt.

Die Bundesregierung nimmt lediglich zur Kenntnis,
dass eine Wohngeldreform im Allgemeinen begrüßt wird
und diese auch dringend gebraucht wird. In der Anhö-
rung zum Beispiel war schnell klar, dass die Sachver-
ständigen nicht als Claqueure zu uns gekommen sind.
Vielmehr hatten sie ernsthafte Kritik und viele kluge Än-
derungsvorschläge im Gepäck. Nichts davon, aber auch
gar nichts davon hat die Bundesregierung zur Kenntnis
genommen; wahrscheinlich konnte sie es wegen Herrn
Schäuble nicht in den Gesetzentwurf einarbeiten.
Der vorgelegte Entschließungsantrag der Koalition
zeigt noch einmal die Ignoranz und die Lebensferne, die
an den Tag gelegt werden. Dabei sollte man an dieser
Stelle für die Bürgerinnen und Bürger, die davon betrof-
fen sind, tatsächlich ernsthaft etwas zum Positiven än-
dern. Dem Anspruch, dass mit dieser Wohngeldreform
die Durchmischung von Wohnquartieren erhalten bleibt
und der Ghettobildung vorgebeugt wird, wird diese No-
velle jedenfalls nicht gerecht. Auch den Anspruch der
vollen Wahlfreiheit bezüglich der eigenen Wohnung
kann diese Novelle aus meiner Sicht in keiner Weise um-
setzen.

Frau Hendricks sagte eben: Wir wollen, dass die
Haushalte wieder mehr Wohngeld erhalten. Ja, sie be-
kommen, wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, si-
cherlich mehr Geld, aber es wird ja nur aufgeholt, was
schon seit sieben Jahren wegen dieser Diskrepanzen
zwischen Lohnentwicklung und Mietentwicklung abge-
spart worden ist. Das ist aus meiner Sicht Augenwische-
rei. Diese Augenwischerei wird die Linke ablehnen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Entschließungsantrag der Grünen geht aus unse-
rer Sicht deutlich über den Entschließungsantrag der Re-
gierungsfraktionen hinaus. In vielen Punkten könnten
wir dem zustimmen. Aber leider, Herr Kühn, bleiben
auch Sie mit Ihrem Entschließungsantrag im bestehen-
den Denkschema der bisherigen Wohngeldpolitik hän-
gen. Deshalb werden wir uns enthalten.

Das ganze System der Wohngeldleistung hat einen
grundlegenden Konstruktionsfehler: Es schaut nicht
nach vorn, es schaut nicht in die Zukunft, sondern es re-
pariert nachträglich und notdürftig die schlimmsten
Schäden der vergangenen sieben Jahre. Die Überprüfung
des Wohngeldes in bedarfsgerechten Abständen – was
auch immer das sein soll – sichert eben nicht, dass des-
sen Leistungsfähigkeit erhalten bleibt, sondern besten-
falls – so wie mit der aktuellen Reform vorgeschlagen –,
dass die bereits eingetretenen Wirkungsverluste ledig-
lich für kurze Zeit wieder ausgeglichen werden.

Das gegenwärtige Wohngeldsystem ist nicht geeignet,
der ständig größer werdenden Lücke zwischen steigen-
den Wohnkosten und dem niedrigen Einkommen der
wohngeldberechtigten Menschen wirkungsvoll, dauer-
haft und vor allem vorbeugend entgegenzuwirken. Wir
brauchen aber ein Wohngeld, das die klaffende Lücke
zwischen realem Einkommen und Mietsteigerungen
wirklich schließt. Genau das schlagen wir mit unserem
Entschließungsantrag vor.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Ausgangsprämissen unserer Vorschläge sind:

Erstens. Menschen mit Anspruch auf Wohngeld sol-
len unter Berücksichtigung angemessener Wohnungs-
größe und -ausstattung nicht mehr als 30 Prozent ihres
Haushaltsnettoeinkommens für Wohnkosten ausgeben
müssen. Das wäre eine wirkliche Dynamisierung.


(Beifall bei der LINKEN)






Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)

Die Linke will, dass Haushalte nach Abzug der Miete
am Anfang des Monats auch noch Geld haben, um mit
den Kindern in den Zoo oder ins Kino gehen oder auch
einmal mit der Oma einen Kaffee trinken zu können.

Zweitens. Der Wohngeldanspruch muss sich aus der
tatsächlich zu zahlenden Bruttowarmmiete ableiten. Die
Linke will, dass alles, was im Zusammenhang mit dem
Wohnen bezahlt werden muss, auch Grundlage der
Wohngeldberechnung wird. Denn steigende Kosten für
Energie und öffentliche Abgaben führen auch zu spürba-
ren Mehrkosten für Mieterinnen und Mieter, und das
Jahr für Jahr.

Drittens. Der Höchstbetrag des Wohngeldes muss
sich aus der ortsüblichen Vergleichsmiete bzw. dem
Mietspiegel der jeweiligen Gemeinde ableiten. Die
Linke will, dass alle Mieterinnen und Mieter wirkliche
Wahlfreiheit bekommen, wo sie wohnen, in allen Stadt-
teilen und bei allen Anbietern von Wohnraum. Nur so
verhindern wir wirklich Segregation und Ghettoisierung.


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens. Die Einkommensgrenze für den Wohngeld-
anspruch und die zu berücksichtigende Wohnungsgröße
sollen sich an den Bemessungsgrenzen für Wohngeldbe-
rechtigungsscheine nach dem Wohnraumförderungsge-
setz orientieren. Die Linke will, dass die regionalen Un-
terschiede auf dem Wohnungsmarkt in der gesamten
Republik tatsächlich berücksichtigt werden. Nur so kann
sichergestellt werden, dass jederzeit die finanziellen Mit-
tel zur Verfügung stehen, um das Wohngeld künftig be-
darfsgerecht, dauerhaft und auskömmlich auszustatten.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811515300

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811515400

Ich komme zum Schluss. – Die Linke will also eine

wirkliche Reform des Wohngeldes, eine Reform für alle
Bürgerinnen und Bürger, um das Grundrecht auf ange-
messene Wohnung überall zu gewährleisten. Um das zu
untersetzen, –


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811515500

Nein.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811515600

– werden wir demnächst mit Ihnen über das Thema

Gemeinnützigkeit diskutieren.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811515700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die Zeit

ein bisschen im Auge zu behalten. Wir haben noch eine
sehr, sehr lange Tagesordnung und viele namentliche
Abstimmungen. Deshalb bitte ich Sie wirklich, die Zeit
im Auge zu behalten.

(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Entschuldigung!)


Als nächste Rednerin hat Yvonne Magwas von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Yvonne Magwas (CDU):
Rede ID: ID1811515800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte schließen
wir die Novelle zum Wohngeldgesetz erfolgreich ab. Da-
mit setzen wir ein weiteres Vorhaben des Koalitionsver-
trages um. Das Leistungsniveau des Wohngeldes wird
angehoben. Einkommensschwache Haushalte werden
damit auch angesichts der zunehmenden regionalen Eng-
pässe auf dem Wohnungsmarkt sowie der steigenden
Mieten und Heizkosten schnell, wirkungsvoll und treff-
sicher entlastet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Insbesondere Bürger mit niedrigem Einkommen und
niedrigen Renten sowie kurzfristig Arbeitslose profitie-
ren von unserer Reform. Damit schaffen wir auch eine
schnelle Verbesserung für diejenigen, die fortan wieder
Wohngeld beziehen können oder einen höheren Wohn-
geldanspruch haben.

Ich denke, es ist uns gelungen, den ordentlichen Ge-
setzentwurf der Bundesregierung in den parlamentari-
schen Beratungen der letzten Wochen abzurunden. So-
wohl die Anregungen des Bundesrates als auch die
Erkenntnisse aus der Anhörung der Experten konnten
aufgegriffen werden. Zusätzlich haben wir die Baustel-
len für die Zukunft in unserem Entschließungsantrag
festgehalten. Damit nehmen wir auch die weitere Ent-
wicklung im Wohngeldbereich in unser Blickfeld. Un-
sere wohnungspolitische Perspektive ist aber insgesamt
weiter zu fassen.

Mit dem vor einem Jahr gegründeten Bündnis für be-
zahlbares Wohnen und Bauen soll ein ganzes Maßnah-
menpaket zur Stabilisierung der Lage auf dem Woh-
nungsmarkt erarbeitet werden. Nach nun zwölf Monaten
warten wir mit Spannung auf den angekündigten Zwi-
schenbericht. Sie kennen mein Credo: Bauen, bauen,
bauen! Der Blick auf die Zahlen bestätigt es nämlich täg-
lich: Wir sind noch weit weg von den Wohnungsbauzah-
len, die für einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt erfor-
derlich sind. Die konkreten Vorschläge des Bündnisses
müssen geeignet sein, genau diese Lücke zu schließen.
Wer eine neue Wohnung braucht, sollte sie auch in einer
vertretbaren Zeit finden können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein kleiner Vorgeschmack auf das Maßnahmenpaket
ist hoffentlich das neue Förderprogramm für nachhalti-
ges Wohnen für Studierende und Auszubildende. Archi-
tektonische, bauliche und technische Innovationen
sollen helfen, die Lage auf diesem Segment des Woh-
nungsmarktes zu verbessern. Gerade auch mit Blick auf





Yvonne Magwas


(A) (C)



(D)(B)

den Zuzug von Studierenden und Auszubildenden ist
dies dringend geboten. Mit insgesamt 120 Millionen
Euro können viele Modellvorhaben gefördert werden,
und das Problem kann mittelfristig gelöst werden.

Meine Damen und Herren, ich sage ganz bewusst:
Wir brauchen insgesamt mehr Investitionen in den Woh-
nungsmarkt. Auch wollen wir uns nichts vormachen:
Die öffentliche Hand oder die öffentlichen Unternehmen
allein sind damit hoffnungslos überfordert. Wir brauchen
also auch wirksame Anreize für zusätzliche private In-
vestitionen in den Wohnungsmarkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Vor diesem Hintergrund warne ich vor der gegenwär-
tig vielerorts aufkommenden Stimmungsmache gegen
private Vermieter oder die Wohnungswirtschaft im All-
gemeinen. Sicher, es gibt vereinzelt schwarze Schafe,


(Ulli Nissen [SPD]: Leider viel zu viele!)


aber diese kritikwürdigen Einzelfälle rechtfertigen noch
lange keine Verallgemeinerung und schon gar keinen ge-
setzgeberischen Aktionismus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun zurück zum Wohngeld. Das Wohngeld ist eines
der wichtigsten Werkzeuge der sozialen Wohnungspoli-
tik in Deutschland. Es hat sich bewährt und wird von den
Bürgern als echte Hilfe geschätzt. Neben der Mietpreis-
bremse und dem angesprochenen Bündnis ist die Erhö-
hung des Wohngeldes ein weiterer wichtiger Schritt der
Koalition, das Wohnen in Deutschland bezahlbar zu ma-
chen.

Bereits heute beziehen knapp 700 000 Haushalte ei-
nen Wohngeldzuschuss. Der Zuschuss entlastet sie bei
der Miete oder den Aufwendungen für Wohneigentum.
Das Wohngeld sorgt dafür, dass die bezugsberechtigten
Haushalte trotz eines geringen Einkommens ihre Kos-
tenbelastung durch die Miete deutlich senken können. Es
hilft, steigende Mieten auszugleichen, ohne die ge-
wohnte Umgebung durch Wegzug in günstigere Quar-
tiere verlassen zu müssen. Damit schützen wir auch die
Quartiere vor Gentrifizierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Wohngeld ist effizient und treffsicher. Es ist auf
den individuellen Bedarf eines Haushaltes ausgerichtet.
Auch regionale Faktoren wie das unterschiedliche Miet-
niveau werden berücksichtigt. Wegen der steigenden
Mieten und Einkommen muss das Wohngeld in Abstän-
den nachjustiert werden. Seit der Einführung des Geset-
zes wurde es aus diesem Grund in der Vergangenheit
mehrfach novelliert, zuletzt im Jahr 2009. Mit der dies-
jährigen Erhöhung werden künftig rund 870 000 Haus-
halte zusätzlich Wohngeldleistungen erhalten können.
90 000 Haushalte werden durch die Wohngeldreform
künftig, statt Leistungen aus der Grundsicherung zu be-
ziehen, wieder in den Wohngeldbezug wechseln.

Mit der Reform werden auch die Kommunen entlas-
tet. Für sie macht es nämlich einen großen Unterschied,
ob jemand Wohngeld oder Grundsicherung bezieht. Die
Grundsicherung muss die Kommune stemmen, während
das Wohngeld aus den Mitteln von Bund und Ländern
finanziert wird. Wenn 90 000 Haushalte wieder Wohn-
geld statt Grundsicherung beantragen können, dann ent-
lasten wir damit auch die Haushalte der Kommunen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Wohngeld hat eine bessere strukturelle Anreiz-
wirkung als die Grundsicherung. Höheres Einkommen
bei Wohngeldbezug führt automatisch zu einem höheren
Nettoeinkommen für den Haushalt. Wer ein zusätzliches
Einkommen von 10 Euro bezieht, der verliert im Gegen-
zug nur circa 3 Euro Wohngeld. Damit setzt das Wohn-
geld bessere Anreize zur Einkommenssteigerung als das
Grundsicherungssystem. Das, meine Damen und Herren,
ist ein weiterer Grund, warum die uns heute vorliegende
Novelle so wichtig ist.

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit hat eine Anhörung von Sachverständi-
gen zum Gesetzentwurf durchgeführt. Dort haben alle
Sachverständigen unisono die Reform des Wohngeldge-
setzes begrüßt. Natürlich haben wir mit den Experten
auch darüber beraten, wie wir das Wohngeld auch in Zu-
kunft leistungsfähig halten können. Wir werden gesetz-
lich verankern, dass das Wohngeld alle zwei Jahre über-
prüft wird.


(Ulli Nissen [SPD]: Das war schon ein harter Kampf!)


Das bleibt kein interner Prozess, meine Damen und Her-
ren; vielmehr muss die Bundesregierung die Prüfergeb-
nisse dem Deutschen Bundestag und damit der Öffent-
lichkeit vorlegen.


(Ulli Nissen [SPD]: Sehr gut!)


Die Prüfung betrifft die Höchstbeträge für Mieten, die
Mietenstufen und die Höhe des Wohngeldes. Dabei ist
der bundesdurchschnittlichen und der regionalen Ent-
wicklung der Wohnkosten sowie der Veränderung der
Einkommensverhältnisse und der Lebenshaltungskosten
Rechnung zu tragen. Diese aufgezählten Bedarfsfakto-
ren verändern sich ständig und sind regional unter-
schiedlich. Wir wollen das Wohngeld in seiner Leis-
tungsfähigkeit und Effizienz erhalten und einer jährlich
abnehmenden Leistungswirkung sinnvoll begegnen.
Ohne Anpassung würden wie bislang zahlreiche Haus-
halte durch Einkommenssteigerungen aus dem Wohn-
geldbezug herauswachsen. Andere Haushalte wechseln
in die Grundsicherung oder Hartz IV. Der damit verbun-
dene bürokratische Aufwand – sowohl für die Kommu-
nen als auch für die Betroffenen – ist sinnlos und hilft
niemandem.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir möchten eine präzise
Überprüfung und eine möglichst umfassende Informa-
tion über die Lage am Wohnungsmarkt. Die Berechnung
des Wohngeldes bezieht, wie gesagt, viele unterschiedli-
che Einflüsse mit ein, zum Beispiel die Mietenhöhe, die
Einkommensentwicklung und die regionalen Faktoren.





Yvonne Magwas


(A) (C)



(D)(B)

Das sich daraus ergebende Bild fällt für Deutschland
sehr heterogen aus. Für die Berechnung brauchen wir
daher dringend einen fundierten Wohngeld- und Mieten-
bericht der Bundesregierung. Dafür wollen wir auch die
Bundesländer mehr in die Verantwortung nehmen. Das
macht Sinn; denn die Länder sind seit 2007 für Woh-
nungsbaumaßnahmen wie den sozialen Wohnungsbau
oder, ganz neu, für die Ausweisung von Gebieten, in de-
nen die Mietpreisbremse gilt, zuständig. Zentraler Be-
standteil wird dabei sicherlich der freiwillige Bericht der
Länder gegenüber dem Bund sein. In diesem Bericht
wollen die Länder den Bund regelmäßig über die Wohn-
raumförderung und den Einsatz der Entflechtungsmittel
zur Finanzierung von Maßnahmen des Wohnungsbaus
informieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe unseren
Entschließungsantrag bereits erwähnt. Wir wollen ergeb-
nisoffen prüfen, ob es einen cleveren, einen intelligenten
Mechanismus gibt, der das leidliche immer wiederkeh-
rende Herauswachsen bzw. Herausfallen aus dem Wohn-
geldbezug und Hineinfallen in die Grundsicherung
stoppt. Ich bin sehr optimistisch, dass wir den Drehtür-
effekt gut in den Griff bekommen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Abschließend möchte ich allen Beteiligten herzlich
für die wirklich sehr gute und konstruktive Zusammen-
arbeit in den letzten Wochen danken.


(Ulli Nissen [SPD]: Kann ich zurückgeben!)


Sowohl die Führungs- und Fachebene des BMUB als
auch die Länderministerien als auch die Mitglieder der
Koalitionsfraktionen haben gute Arbeit geleistet. Dem
Gesetzentwurf kann damit mit gutem Gewissen zuge-
stimmt werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811515900

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Christian

Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutsch-
land ist nicht alles gut, Frau Magwas: Die Mieten explo-
dieren weiterhin, Häuser werden luxussaniert, bezahlba-
rer Wohnraum ist in vielen Städten knapp und längst zur
Ware und zum Spekulationsobjekt geworden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Deshalb handeln wir ja!)


Durch Gentrifizierung werden ganze Bevölkerungs-
schichten an den Rand der Städte gedrückt. Ich finde, da-
mit muss endlich Schluss sein in Deutschland!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wohnen ist ein elementares Grundbedürfnis, und je-
der hat ein Recht auf bezahlbaren Wohnraum. Hier
wurde bereits eine Gesamtstrategie der Bundesregierung
vorgestellt. Zu so einer Gesamtstrategie, die Frau
Hendricks erwähnt hat, gehört aus meiner Sicht ein so-
zial-ökologisches Mietrecht. Ich finde, davon sind wir
noch weit entfernt. Wir warten auf die Modernisierungs-
umlage, die Sie ja auch reformieren wollen.

Einen gemeinwohlorientierten sozialen Wohnungs-
bau, der sich wirklich an gemeinnützigen Kriterien
orientiert, kann ich in Deutschland in vielen Bereichen
nicht erkennen, eher einen hochpreisigen Eigentums-
wohnungsbau. Ich kann auch nicht erkennen, dass Sie
mit dieser Reform das Wohngeld wirklich nach vorne
bringen. Ich finde, mit dieser Wohngeldreform, die Sie
uns heute hier vorlegen, haben Sie eine große Chance
vertan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Sie hätten hier zeigen können, wie Sie Klimaschutz
und Wohnen und wie Sie soziale Gerechtigkeit und
Wohnen zusammenbringen wollen. Diese Novelle trägt
aber leider nicht die Handschrift derjenigen, die heute
hier gesprochen haben. Frau Hendricks hat das ja auch
freimütig zugegeben. Sie trägt halt die Handschrift von
Wolfgang Schäuble und den Haushältern der Großen
Koalition mit ihren Rotstiften, die zum wiederholten
Male – wie auch bei der Liegenschaftspolitik – beim
Wohngeld eine vernünftige und gute Wohnungspolitik
verhindert haben.

Es gab ja die gemeinsame Anhörung der Sachverstän-
digen. Frau Magwas, alle Sachverständigen haben natür-
lich gesagt, es sei gut, dass jetzt endlich einmal etwas
passiert.


(Yvonne Magwas [CDU/CSU]: Ja, genau!)


Sie haben aber auch gesagt, dass der Gesetzentwurf zum
Wohngeld, den Sie vorlegen, sehr große Fehler hat. Das
haben sowohl der Deutsche Städtetag, der Deutsche
Caritasverband, der Deutsche Mieterbund, die Woh-
nungswirtschaft als auch das Institut der deutschen Wirt-
schaft gesagt. Es gibt nämlich drei grundlegende Ele-
mente, die in Ihrer Wohngeldreform fehlen:

Erstens, die Dynamisierung. Sie stellen den Drehtür-
effekt nicht ab. Sie haben selbst noch einmal beschrie-
ben, welche Probleme sich daraus aus sozialpolitischer
Perspektive für die Kommunen ergeben, haben es aber
nicht geschafft, in dieser Novelle eine Antwort darauf zu
geben. Das ist eine vertane Chance.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland Claus [DIE LINKE])


Frau Magwas, Sie haben nun gesagt, diese Anregun-
gen seien aufgenommen worden und es solle in bedarfs-
gerechten Abständen überprüft werden. Ich sage Ihnen:
Nach der Überprüfung in zwei Jahren wird man erst ein-
mal sagen, dass alles in Ordnung ist, weil das Wohngeld





Christian Kühn (Tübingen)



(A) (C)



(D)(B)

gestiegen ist. In vier Jahren wird man wieder überprüfen
und feststellen, dass das Wohngeld sinkt und dass man
ein Problem mit dem Drehtüreffekt hat. 2021 wird es
dann die nächste Novelle zum Wohngeld geben. Das ist
viel zu spät. Bis 2021 können die Menschen in unseren
Städten, die auf Wohngeld angewiesen sind, eben nicht
warten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens, die Heizkostenkomponente. In Ihrer Be-
gründung zum Gesetzentwurf schreiben Sie, dass die
Preise für Strom, Gas und Brennstoffe von 2009 bis
2014 um 17 Prozent gestiegen sind, und sie werden auch
in den nächsten Jahren steigen. Durch Ihre Novelle wer-
den aber auch diese Heizkosten nicht dynamisiert. Da-
durch werden viele Menschen kein Wohngeld mehr
erhalten. Sie tun also auch nichts für den Heizkostenzu-
schuss, den man auch einmal ohne eine Wohngeld-
novelle anpassen könnte. Es ist ein Fehler, dass der
Heizkostenzuschuss in dieser Wohngeldnovelle nicht
enthalten ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Ich finde, der größte Fehler, den Sie machen,
ist die fehlende Klimakomponente. Hier liegt ein Instru-
ment dafür vor, den Klimaschutz und das Wohnen mitei-
nander zu verbinden. Mit diesem Instrument könnte man
es sozial schwachen Mieterinnen und Mietern in
Deutschland ermöglichen, in gut sanierten Wohnungen
zu leben. Ich finde, es ist eine Farce, dass Sie dieses In-
strument nicht nutzen, in Ihren Entschließungsantrag
jetzt aber wieder schreiben, dass Sie das überprüfen wol-
len.

Sie haben in den NAPE hineingeschrieben, dass Sie
es überprüfen wollen, Sie schreiben jetzt hier hinein,
dass Sie es überprüfen wollen, und Sie werden irgend-
wann bestimmt noch einmal beschließen, dass Sie es
überprüfen wollen. Ich will aber nicht, dass Sie es über-
prüfen, sondern dass Sie es einführen. Ich finde, hier
vertun Sie eine große Chance für den Klimaschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ihr Entschließungsantrag enthält drei Prüfaufträge.
Ich finde, das ist an symbolischer Symbolpolitik fast
nicht mehr zu überbieten. Die Menschen in Deutschland
erwarten von Ihnen, dass Sie eine zukunftsfeste Wohn-
geldreform durchführen. Das tun Sie hiermit nicht. Ich
finde, Sie haben eine Chance vertan. Das ist nicht nur für
die Mieterinnen und Mieter in Deutschland, sondern
auch für all jene schade, die darauf hoffen, dass wir auf
den Wohnungsmärkten eine Wende hinbekommen. Das
tun Sie mit dieser Politik, die Sie uns hier gerade vorge-
legt und vorgestellt haben, leider nicht.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811516000

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Steffen-

Claudio Lemme von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Steffen-Claudio Lemme (SPD):
Rede ID: ID1811516100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In der Debatte über die Wohngeldreform spre-
chen wir viel über Zahlen. 870 000 ist beispielsweise die
Anzahl der Haushalte, die von der längst überfälligen
Anpassung des Wohngeldes an die Mieten- und Einkom-
mensentwicklung profitieren werden. 27 000 davon sind
Haushalte von Alleinerziehenden, 320 000 von ihnen er-
halten wieder oder zum ersten Mal Wohngeld, und
90 000 werden nicht mehr länger auf die Sozialhilfe an-
gewiesen sein. Als Haushaltspolitiker füge ich noch
zwei letzte Zahlen an: 730 Millionen Euro stellt der
Bund im kommenden Jahr für das Wohngeld bereit, ein
Plus von 100 Millionen Euro gegenüber dem Finanz-
plan.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt möchte ich keine Zahlen mehr nennen; denn ei-
gentlich müsste die Debatte unter der Überschrift „Arm
trotz Arbeit“ stehen. Schließlich reden wir vor allem
über berufstätige Bürgerinnen und Bürger, die trotz Ar-
beit zu wenig verdienen, um sich eine vernünftige Woh-
nung leisten zu können, oder die aus ihrem gewohnten
Umfeld in Randgebiete verdrängt werden. Wir reden
über ältere Menschen, die ein langes, hartes Arbeitsleben
hinter sich gebracht haben und mit einer Rente auskom-
men müssen, die ihnen nach Abzug der Miete kaum
noch etwas zum Leben übrig lässt. Und wir reden über
Familien, deren Einkommen nicht ausreicht, um ihr be-
scheidenes Eigenheim weiter zu finanzieren. Bei der
Wohngeldreform, die wir Sozialdemokraten jetzt nach
sieben Jahren Durststrecke auf den Weg bringen, geht es
um Unterstützung für ein menschenwürdiges Leben.


(Beifall bei der SPD)


Diese Wohngeldreform kann nur ein erster Schritt
sein. Selbstverständlich dürfen wir bis zur nächsten Re-
form keine weiteren sieben Jahre vergehen lassen; ein
viel zu langer Zeitraum, in dem zahlreiche Menschen die
Unterstützung wieder verlieren. Deshalb sollen die Mie-
tenstufen und die Wohngeldhöhe künftig nicht mehr alle
vier, sondern alle zwei Jahre überprüft werden. Außer-
dem haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht,
mit dem Bund und Länder zur Prüfung einer Klimakom-
ponente im Wohngeld aufgefordert werden.


(Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht prüfen, einfach machen!)


Das Leben in energetisch saniertem Wohnraum darf
aufgrund der höheren Kaltmieten nicht nur Besserver-
dienenden vorbehalten sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit der Berücksichtigung einer Klimakomponente beim
Wohngeld könnten wir Investitionen in die Energieeffi-





Steffen-Claudio Lemme


(A) (C)



(D)(B)

zienz befördern, unseren nationalen CO2-Minderungs-
zielen näherkommen und die soziale Durchmischung in
den Wohnquartieren stärken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr regiert doch! Macht es doch einfach!)


Wir müssen dem Effekt entgegentreten, dass zahlreiche
Geringverdiener schon nach kürzester Zeit aus dem Be-
zug von Wohngeld in die Grundsicherung zurückfallen.
Deshalb wollen wir, dass Modelle für eine automatische
Anpassung des Wohngeldes untersucht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anhebung des
Wohngeldes ist wie der gesetzliche Mindestlohn oder die
Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Entlastungsbe-
trages für Alleinerziehende notwendig, um Armut trotz
Arbeit zu bekämpfen. Ich hoffe, die Bürgerinnen und
Bürger wissen, welche Fraktion den Vorschlag zur Ent-
lastung in den Deutschen Bundestag eingebracht hat.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811516200

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Anja

Weisgerber von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1811516300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Heute ist erneut ein guter Tag für Mieterinnen
und Mieter in Deutschland. Wir beschließen heute wich-
tige Leistungsverbesserungen beim Wohngeld. Etwa
870 000 Haushalte werden davon profitieren.

Die Koalition ist sich der Herausforderung durch die
ansteigenden Mieten, vor allen Dingen in den Ballungs-
gebieten, durchaus bewusst. Deswegen haben wir im
Koalitionsvertrag den wohnungspolitischen Dreiklang
beschlossen: Investitionstätigkeit stärken – das ist ganz
wichtig –, sozialen Wohnungsbau wiederbeleben und
dies durch Änderungen im Mietrecht politisch flankie-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Wohngeldreform leistet einen wichtigen Beitrag
dazu, dass Wohnen bezahlbar bleibt. Das Wohngeld
wirkt zielsicher und orientiert sich am individuellen Be-
darf der Haushalte sowie den regional unterschiedlichen
Mietmärkten. Das Wohngeld ist eine vorverlagerte So-
zialleistung und ein wichtiger Baustein, damit sich ein-
kommensschwache Familien bezahlbares Wohnen leis-
ten können und in ihren angestammten Wohnvierteln
wohnen bleiben können.

Aber das Wohngeld ist wie die Mietpreisbremse nur
ein Bestandteil einer Gesamtstrategie. Entscheidend ist,
dass es ausreichend bezahlbaren Wohnraum gibt. Daran
fehlt es teilweise in einigen Ländern Deutschlands.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder
die Frage der sozialen Wohnraumförderung aufgewor-
fen. Diese liegt in der Zuständigkeit der Länder. Die
Länder werden der Verantwortung aber höchst unter-
schiedlich gerecht. Bayern zum Beispiel nutzt die Kom-
pensationsmittel vollumfänglich für soziale Wohnraum-
förderung. In anderen Ländern sieht es jedoch anders
aus.

Unser Wunsch ist, dass alle Länder ihrer Verantwor-
tung gerecht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden in die regelmäßige Evaluation des Wohngel-
des durch den Wohn- und Mietenbericht auch die Be-
richte der Länder stärker einbeziehen, gerade weil wir
regional sehr unterschiedliche Wohnungsmärkte haben.
Dafür sind die Berichte über die Wohnraumförderung
und auch die Daten über die Gebiete, in denen die Län-
der im Zuge der Mietpreisbremse einen angespannten
Wohnungsmarkt ausgewiesen haben, sehr wichtig. Wir
brauchen diese Daten und Berichte der Länder auch, um
bewerten zu können, ob die Gelder des Bundes tatsäch-
lich für die Wohnraumförderung eingesetzt werden. Das
werden wir einfordern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zudem werden wir das Wohngeld künftig alle zwei
Jahre überprüfen, um zeitnah auch auf Veränderungen
reagieren zu können. Auch dafür werden wir die Daten,
die in ganz Deutschland evaluiert werden, heranziehen.

Neben dem Gesetzentwurf gibt es einen Entschlie-
ßungsantrag, der auch zur Weiterentwicklung des Wohn-
geldes beitragen soll. Ein Thema, das mich als Klima-
politikerin dabei besonders interessiert, ist sehr wichtig.
Zurzeit richtet sich die Berechnung des Wohngeldes
nach der Bruttokaltmiete. Dabei gibt es die Problematik,
dass die Kaltmiete nach der energetischen Sanierung oft
sehr hoch ist, sodass einkommensschwache Haushalte,
die Wohngeld beziehen, bei der Anmietung von energe-
tisch sanierten Wohnungen benachteiligt sind. Deswegen
müssen wir darauf reagieren.

Ja, Herr Kühn, es ist im Klimaaktionsprogramm 2020
enthalten, dass wir das Wohngeld um die Klimakompo-
nente erweitern, und wir wollen dies auch. Aber wir wol-
len es richtig machen. Dafür brauchen wir den richtigen
Weg.

Wir müssen Experten und auch die Länder miteinbe-
ziehen und das Ganze mit allen Beteiligten ausverhan-
deln. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung
finden. Denn sie ist wichtig, um auch einen Beitrag zur
Energieeffizienz leisten zu können. Wir müssen die Ein-
sparpotenziale im Gebäudebereich nutzen, um unsere
Klimaziele zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Ge-
setzentwurf und dem Entschließungsantrag haben wir





Dr. Anja Weisgerber


(A) (C)



(D)(B)

unserer Meinung nach ein gutes Paket geschnürt. Die ge-
samte Koalition – sprich: Union und SPD zusammen –
hat dieses Paket auf den Weg gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, dass wir damit alle gemeinsam für unsere
Haushalte gute Leistungsverbesserungen in dem Be-
reich, in dem sie notwendig sind, hinbekommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811516400

Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte

hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1811516500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
es schon gehört: Sie sind eine großzügige Präsidentin,
was die Redezeit angeht. Ich werde mich aber beeilen,
damit wir rechtzeitig fertig werden.

Frau Weisgerber, wir bzw. NRW und Bayern werden
noch richtig gute Freunde. Wir geben beide die Förder-
mittel für die soziale Wohnraumförderung zweckgebun-
den aus.

Wir haben ein großes Ziel: Wir brauchen mehr sozia-
len Wohnraum und mehr soziale Wohnraumförderung.
Deswegen müssen wir mit Blick auf die wachsenden
Anforderungen in den Regionen dafür sorgen, dass wir
noch mehr Geld, aber zweckgebunden, in die soziale
Wohnraumförderung einspeisen.


(Beifall bei der SPD)


Ich hoffe, dass Sie uns dabei unterstützen werden und
wir einen gemeinsamen Weg gehen.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Bei Herrn Schäuble durchsetzen!)


Frau Bluhm, ich bin von Ihren Reden sonst immer be-
geistert. Aber heute haben Sie gesagt, wir hätten das,
was in finanzieller Hinsicht bisher nicht erfolgt ist, nicht
einmal aufgeholt; die Menschen seien aus dem Wohn-
geld herausgefallen; es sei kein großer Wurf. Ich bin
froh, dass so viele Menschen – fast 900 000 – wieder da-
von profitieren. 300 000 sind neu hinzugekommen. Das
ist ein großer Gewinn für uns und vor allen Dingen für
die Menschen.

Wir kennen die Zahlen genau. Wie der Kollege
Steffen-Claudio Lemme gerade geschildert hat, gehen
9 Prozent der Menschen in Hartz-IV-Haushalten arbei-
ten. Diese können zwar ihren Lebensunterhalt finanzie-
ren, nicht aber das Wohnen. Das müssen wir ändern; da
haben Sie recht. Deswegen haben wir einen sehr intelli-
genten Entschließungsantrag auf den Weg gebracht. Ich
bin sehr froh, dass unser Haushälter gesprochen hat. Wir
sind sehr sicher, dass wir in zwei Jahren – wir haben ei-
nen entsprechenden Prüfauftrag auf den Weg gebracht –
eine Dynamisierung vornehmen und ein Klimawohngeld
einführen können. Ich bin sicher, dass wir auf einem sehr
guten Weg sind, insbesondere mit der Ministerin und
dem Bündnis für das Wohnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich gespannt, ob Sie das machen!)


Herr Kühn, viele Dinge brauchen vielleicht eine län-
gere Beratungszeit. Wir haben das Bündnis nicht be-
gründet, weil wir schon alles wussten. Vielmehr wollen
wir alle Akteure auf dem Wohnungsmarkt und insbeson-
dere die Fachleute einbinden und punktgenaue und be-
darfsgerechte Lösungen finden. Ich bin der Ministerin
sehr dankbar, dass sie für September die ersten Ergeb-
nisse angekündigt hat. Ich hoffe, dass wir daraus gute
Entscheidungen ableiten werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin der Ministerin auch sehr dankbar, dass sie das
Wohngeld in seiner sozialen Funktion stärkt. Wir stärken
das Wohngeld als vorgelagertes Sicherungssystem. Vor
uns liegen aber noch viele Aufgaben. Das Wohngeld al-
lein kann nicht die sozialpolitischen Probleme lösen, wie
zu geringe Einkommen und zu geringe Renten, aber es
kann ein Instrument unter vielen sein.

Ich will noch zwei Sachverhalte ansprechen, die viel-
leicht in den nächsten Monaten wichtig werden. Wir
müssen die Modernisierungsumlage reformieren. Ich
hoffe, dass Heiko Maas im Dezember einen guten Ge-
setzentwurf vorlegen wird. Ein weiteres großes Thema
ist – dann höre ich auf, damit ich einigermaßen in der
Zeit bin – die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.
Wir sind als Bund in der Vorbildfunktion. Ich hoffe, dass
wir Lösungen finden werden, insbesondere in den Bal-
lungsregionen.

Herzlichen Dank. Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ankündigen, auch liefern!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811516600

Vielen Dank, auch dafür, dass wir noch gut in der Zeit

liegen. – Damit kein Missverständnis bei den Kollegen
entsteht: Die Präsidentin ist großzügig, wenn wir keinen
gedrängten Zeitplan haben. Heute haben wir aber einen
gedrängten Zeitplan. Deshalb kann und werde ich heute
nicht so großzügig sein. Ich bitte die Kollegen, selber die
Zeit im Auge zu behalten; denn unsere Tagesordnung ist
sehr lang.

Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Reform des Wohngeldrechts und zur Änderung des
Wohnraumförderungsgesetzes. Der Ausschuss für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5324,





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/4897 (neu) in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit den Stim-
men der Koalition bei Enthaltung der Opposition ange-
nommen worden.

Ich komme zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Niemand.
Wer enthält sich? – Die Opposition. Damit ist der Ge-
setzentwurf in der dritten Lesung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen
worden.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Zuerst stimmen wir über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 18/5400 ab. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen worden. Es gab keine Enthaltung.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5401.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser
Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei
Zustimmung durch die Fraktion Die Linke und Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt
worden.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/5402. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mit
den Stimmen der Koalition bei Zustimmung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt worden.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieser Ta-
gesordnungspunkt abgeschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg

(Hamburg), Christina Schwarzer, Ursula

Groden-Kranich, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Sönke Rix, Susann Rüthrich, Petra Crone, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Aufarbeitung von sexuellem Kindesmiss-
brauch sicherstellen

Drucksachen 18/3833, 18/4988
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole
Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE sowie der Abgeordneten Katja
Dörner, Dr. Franziska Brantner, Kai Gehring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs
umfassend sicherstellen

Drucksache 18/5106

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile als erster Red-
nerin Frau Susann Rüthrich von der SPD-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Susann Rüthrich (SPD):
Rede ID: ID1811516700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste, ganz besonders lieber Herr
Rörig! Liebe Gäste vom Betroffenenrat! Liebes Team
von Herrn Rörig!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute ist es endlich so weit. Wir beschließen die Ein-
richtung der Kommission zur Aufarbeitung des sexuel-
len Missbrauchs von Kindern. Wir alle waren entsetzt,
als vor fünf Jahren die Fälle endlich öffentlich wahrge-
nommen wurden. In Schulen, in Heimen, in Kirchen und
leider in viel mehr Einrichtungen wurden Kinder und Ju-
gendliche über viele Jahre hinweg Opfer sexueller Ge-
walt. Sie wurden damit alleine gelassen, keiner hat ihnen
zugehört, und keiner hat geholfen. Der Brief, in dem sich
der Leiter einer dieser Einrichtungen bei den Betroffe-
nen entschuldigte, löste einen Sturm der Entrüstung aus.
Dieser Sturm wäre viel früher nötig gewesen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es meldeten sich immer mehr Betroffene. Sie alle hät-
ten viel früher ernst genommen werden müssen. Ihnen
hätte viel früher geholfen werden müssen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute arbeitet der Unabhängige Beauftragte für Fra-
gen des sexuellen Missbrauchs, Herr Rörig. Er und sein
Team machen einen bewundernswerten Job. Danke da-
für.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Susann Rüthrich


(A) (C)



(D)(B)

Dass diese Arbeit gemacht werden kann, ist auch ein
Bekenntnis der Bundesregierung und unseres Hauses.
Wir stellen uns dem Thema. Wir wollen es wissen. Wir
wollen, dass es nie wieder möglich ist, dass Kindern und
Jugendlichen solcher Schaden angetan wird. Wir wollen
und werden die Ergebnisse des Runden Tisches umset-
zen. So haben wir im letzten Jahr, wie vom Runden
Tisch gefordert, das Strafrecht geändert und verschärft.
Vor einigen Monaten hat sich der Betroffenenrat konsti-
tuiert und seine Arbeit aufgenommen.

Jetzt fehlt noch die Aufarbeitungskommission. Be-
troffene werden dort berichten, was geschah, ihr Leid
wird anerkannt und gesehen. Wir werden wissen, wie es
dazu kommen konnte, welche Strukturen und welche
Bedingungen es möglich gemacht haben, dass Kindern
und Jugendlichen jahrelang keine Hilfe geleistet wurde.
Dann wird es auch besser gelingen, die Kinder zu schüt-
zen, die jetzt, heute und morgen bei uns leben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eines ist mir auch noch wichtig: Die Empörung rich-
tete sich auf einige Schulen und einige Institutionen.
Sexuelle Gewalt an Kindern findet aber an sehr vielen
Stellen statt. So wird die Kommission alle Bereiche in
den Blick nehmen, auch sexuelle Gewalt, die Kindern in
Einrichtungen der Behindertenhilfe angetan wird, auch
sexuelle Gewalt im privaten Bereich.

Wenn wir den Beschluss heute so fällen, ist aber un-
sere Arbeit bei weitem noch nicht getan. Die Bundes-
regierung, so besagt es der Antrag, soll unterstützen. Das
muss aber auch der Bundestag tun. Was heißt das
konkret? Zum einen braucht es zügig Klarheit über die
Finanzen und Ressourcen, die zur Verfügung stehen
werden. Wir reden von 3 Millionen Euro im Jahr. Es
braucht das klare Bekenntnis, spätestens im Herbst, dass
das Geld zur Verfügung steht. Danach kann die Kom-
mission gefunden, benannt und eingesetzt werden.

In Ihrem Antrag, liebe Grüne, liebe Linke, sprechen
Sie davon, dass das Geld, das dafür nötig ist, nicht nur
aus dem Etat des Familienministeriums kommen soll. In
dem Antragstext fordern Sie die Aufstockung des Etats
des Familienministeriums um Mittel in ebendieser Höhe.
Das ist etwas verwirrend formuliert. Ich denke, ich weiß,
wie Sie das meinen. Meine Forderung wäre trotzdem
eine andere: dass die Haushalte aller Ministerien, die mit
diesem Thema in Berührung stehen, mitbezahlen und die
entsprechenden Haushaltstitel in der nötigen Höhe ver-
anschlagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn damit bekennen auch sie sich zu ihrem Teil der
Aufarbeitung und sind dabei, wenn es um das Mitma-
chen und das Umsetzen geht. Das Ganze ist nämlich
weiter eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Folglich
sollten alle Ministerien an ihrer Erfüllung mit Geld, mit
Ressourcen, mit Know-how, mit inhaltlicher Expertise
und natürlich durch volle Kooperation mitwirken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit muss
schnell losgehen können; denn sie ist bis 2019 begrenzt,
dem Ende der Amtszeit des jetzigen Unabhängigen Be-
auftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmiss-
brauchs.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das ist doch ein Fehler!)


Der Antrag der Linken und der Grünen fordert, dass
die Laufzeit der Kommission zur Aufarbeitung von Fäl-
len sexuellen Missbrauchs an Kindern nicht befristet
wird. Auch da verstehe ich das Ansinnen; aber diese
Forderung überzeugt mich nicht. Ich erwarte von dieser
Kommission eine konzentrierte Arbeit, in der es Zwi-
schenberichte und 2019 einen Abschlussbericht gibt.
Diese Ergebnisse dürfen dann natürlich nicht einfach nur
zur Kenntnis genommen werden. Damit muss dann et-
was passieren. Dazu braucht es jemanden, der die Um-
setzung begleitet, einfordert und dabei berät. Das wird,
so hoffe und erwarte ich es, der Unabhängige Beauf-
tragte zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs sein.
Ihn, sein Team und den Betroffenenrat brauchen wir auf
Dauer und unbefristet.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Ich wünsche der Aufarbeitungskommission jetzt gu-
tes Gelingen. Ich erwarte deren Ergebnisse gespannt. Ich
und alle, die in unserer Fraktion und, wie ich denke, hier
im ganzen Haus gebraucht werden, um zu diesem Gelin-
gen beizutragen, stehen bereit – versprochen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811516800

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Norbert

Müller von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811516900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf
den Tribünen! Die Koalition hat sich seit der ersten Le-
sung des Antrages auf Sicherstellung der Aufarbeitung
von sexuellem Kindesmissbrauch leider nicht bewegt.
Die berechtigten Forderungen und Kritiken aus den Ver-
bänden, vom Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbei-
tung des sexuellen Missbrauchs und die Hinweise der
gemeinsam agierenden Opposition aus Grünen und Lin-
ken wurden von Ihnen schlicht ignoriert. Mit dem hier
vorliegenden Antrag schaffen Sie einen zahnlosen Tiger.
Das Traurige ist: Das wissen Sie auch. Es wurde Ihnen
oft genug gesagt.

Sie bleiben weit unter Ihren Möglichkeiten. Da Sie
sich guten Argumenten verweigern, lässt das den
Schluss zu, dass Sie keine vollumfassende Aufklärung
wollen, jedenfalls keine, die besonders auffällt, und das
müssen Sie am Ende auch verantworten.


(Christina Schwarzer [CDU/CSU]: Das ist eine Frechheit!)






Norbert Müller (Potsdam)



(A) (C)



(D)(B)

Ich erkläre Ihnen gern noch einmal, warum Sie mit
diesem Antrag einen Fehler begehen und warum Linke
und Grüne einen eigenen gemeinsamen Antrag einbrin-
gen mussten. Aufklärung sexuellen Kindesmissbrauchs
erfordert Überparteilichkeit und Unabhängigkeit, und
hierfür bedarf es einer gesetzlichen Grundlage.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Organisationen, in denen sich Täterinnen und Täter
– es waren überwiegend Täter – manchmal über Jahr-
zehnte ungehindert bewegen konnten, stoßen bei der
Aufklärung von innen heraus selbst bei bestem Willen
– auch das haben wir erlebt – schnell an ihre Grenzen.
Sie neigen zu Verzögerungen und zu Vertuschungen.
Das haben wir bei den Kirchen gesehen, die mehrere
Anläufe gebraucht haben – nicht nur in Deutschland –,
oder bei der Odenwaldschule. Aufklärung muss ab ei-
nem bestimmten Härtegrad unabhängig geschehen, und
das geht eben nur von außen.

Die Koalition hat die Kooperationsangebote von Lin-
ken und Grünen ausgeschlagen – wir haben sie im Fe-
bruar nochmals unterbreitet – und damit die Chance ver-
tan, eine parteiübergreifende Position zusammen mit
dem Unabhängigen Beauftragten zu suchen und zu fin-
den. Wir bedauern das. Wir wollen den Aufklärern der
Kommission echte Ermittlungsinstrumente an die Hand
geben: Akteneinsicht und das Recht zur Vorladung von
Zeugen. Wir sehen, dass Täter in betroffenen Organisa-
tionen sich der internen Anhörung in der Vergangenheit
verweigert haben. Wenn die Aufarbeitungskommission
klare Ermittlungskompetenzen bekäme – das geht nur
mit einer gesetzlichen Grundlage –, könnten sich Zeugen
nicht mehr so leicht entziehen.

Der CDU/CSU und der SPD geht es um eine billige
Variante der Aufklärung – billig im doppelten Wortsinn:
Es soll möglichst wenig kosten – das merken wir jetzt
bei dem Verschiebebahnhof in der Frage, von welchem
Ministerium wie viel Geld kommt; stattdessen sollten
Sie nach einem halben Jahr der Diskussion darüber, wie
die finanziellen Grundlagen sichergestellt werden sollen,
endlich einen konkreten Vorschlag auf den Tisch legen –,
und die Ergebnisse sollen auch bitte nicht zu unbequem
werden. Eine Aufarbeitungskommission muss aber un-
bequem sein, auch wenn uns das in Einzelfällen mögli-
cherweise nicht gefällt.


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür darf auf keinen Fall Zeit- und Legitimations-
druck aufgebaut werden, gerade dann, wenn der Politik
nahestehende Institutionen betroffen sind. Deshalb ist es
erforderlich, die Aufarbeitungskommission auf eine ge-
setzliche Grundlage zu stellen und sie unbefristet arbei-
ten zu lassen. Ich begrüße den Vorschlag, auch die Amts-
zeit des Unabhängigen Beauftragten nicht irgendwann
zu beenden, nach einem Bericht, sondern die Institution
unbefristet arbeiten zu lassen. Das ist, finde ich, eine
gute Idee. Aber warum sollte man ausgerechnet die Auf-
arbeitungskommission, Kollegin Rüthrich, befristen?
Dafür gibt es überhaupt keinen sachlichen Grund.
Aufklärung geht nur umfassend. Hierfür ist eine zu-
sätzliche, langfristige und angemessene Finanzierung
vonnöten. Klar ist auch: Das Thema darf bei den anste-
henden Haushaltsverhandlungen nicht der schwarzen
Null untergeordnet werden. Hier darf es kein Geschacher
um die eine oder andere Million geben.

Den Umgang der Koalition mit uns Linken, aber auch
mit den Grünen und dem Unabhängigen Beauftragten
halte ich für einen unfreundlichen und unkollegialen
Akt. Uns wurde an einem Mittwochabend im Januar ein
substanzloser Antrag vorgelegt, der schon kurz darauf
im Plenum verhandelt wurde. Das mag im parlamentari-
schen Verfahren völlig üblich sein – das machen alle
Fraktionen im Parlament; das ist nicht ungewöhnlich –,
aber bei dem gemeinsam formulierten Willen, sexuellen
Missbrauch aufzuklären und Missbrauchsstrukturen in
der Gesellschaft aufzudecken – dieser Wille ist im Ja-
nuar von allen Rednern formuliert worden –, ist es völlig
unangemessen, so ein eigenbrötlerisches Vorgehen
durchzuziehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Da gibt es halt unterschiedliche Auffassungen!)


Ich halte das insbesondere gegenüber den Opfern für ei-
nen Affront.

Eigentlich wäre es angemessen, diesen dünnen An-
trag aus den genannten Gründen abzulehnen. Aber das
werden wir aus Respekt vor den Opfern und aus Respekt
vor der herausragenden Arbeit von Herrn Rörig und sei-
nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – ich finde es üb-
rigens sehr gut, dass sie auch heute wieder hier sind –
nicht machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich da-
rüber im Klaren sein, dass die heutige Debatte von einer
breiten interessierten Öffentlichkeit aus engagierten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Pädagogin-
nen und Pädagogen und vor allen Dingen von Opfern se-
xuellen Missbrauchs verfolgt wird. Sie sollten sich be-
wusst machen, dass diese Menschen zur Kenntnis
nehmen, dass der hier von der Koalition vorgelegte An-
trag, dieser Beschluss, einen bitteren Beigeschmack ver-
ursacht.

Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass der
erklärte Wille zur Aufklärung – ich habe es auszuführen
versucht – nicht so umfassend ernst gemeint ist, wie wir
uns das gewünscht hätten. Also überzeugen Sie uns vom
Gegenteil! Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen, damit
der Schleier des Verschweigens und Vergessens von se-
xuellem Kindesmissbrauch sich nicht wieder ausbreitet.
Vielleicht versuchen Sie es in Zukunft wieder, wie in der
Vergangenheit bereits geübt, fraktionsübergreifend im
Deutschen Bundestag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1811517000

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Christina

Schwarzer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Christina Schwarzer (CDU):
Rede ID: ID1811517100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Müller, ich
glaube, das Einzige, was hier unangemessen war, war
Ihre Rede heute.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Uns zu unterstellen, wir wollten keine Aufarbeitung,
oder die Idee zu formulieren, uns könnten eventuelle Er-
gebnisse nicht gefallen, das grenzt beinahe schon an
Frechheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!)


Als wir das heutige Thema am 30. Januar dieses Jah-
res, nämlich dem fünften Jahrestag der Aufdeckung der
Vorfälle am Canisius-Kolleg – die Kollegin Rüthrich hat
das schon erwähnt –, in erster Lesung beraten haben,
habe ich meinen Beitrag mit der dringenden Bitte been-
det, dass die Debatte um die Aufarbeitung von sexuel-
lem Missbrauch nicht verstummen darf, damit der Mut
der Opfer von sexuellem Missbrauch nicht umsonst war.
Dazu können wir und müssen wir alle beitragen.

Mit der heutigen Verabschiedung des Antrags wird
die Aufarbeitung, auch der Frage nach dem Warum, wei-
ter fortgesetzt. Wir alle tragen nämlich dazu bei, dass un-
sere Gesellschaft über das Thema „Sexueller Miss-
brauch“ spricht. Immer nur dann, wenn wir laut sagen
und deutlich machen, dass derartige Abscheulichkeiten
in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, schaffen wir
ein Klima, in dem Täter sehen müssen, dass die Men-
schen in unserem Land ihre Taten weder verstehen noch
akzeptieren. Vor allem aber – das ist noch viel wichtiger –
schaffen wir ein Klima, in dem sich Opfer trauen kön-
nen, zu sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Gesellschaft muss den Opfern gegenüber si-
cherstellen, dass sie sich öffnen können, ohne Angst vor
Bagatellisierung, Ausgrenzung oder Unglaube. Wir
müssen zuhören und vor allen Dingen verstehen. Auch
deswegen ist die Einrichtung einer unabhängigen Kom-
mission zur systematischen und umfassenden Aufarbei-
tung so wichtig. Wir als Gesellschaft setzen damit ein
wichtiges Signal: Ja, wir wollen zuhören. Wir wollen
verstehen. Wir müssen helfen und vor allen Dingen auf-
arbeiten.

Die Kommission soll eine besondere Aufmerksam-
keit auf die Anhörung von Betroffenen legen und Ursa-
chen identifizieren, die Missbrauch in der Vergangenheit
möglich gemacht haben. Ziel ist es, eine breite politische
und gesellschaftliche Debatte anzustoßen, Fehler der
Vergangenheit zu benennen und damit zum verbesserten
Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexueller Ge-
walt beizutragen.

Nicht vergessen dürfen wir, dass die Aufarbeitungs-
kommission auch in den Institutionen helfen kann, in de-
nen junge Menschen Opfer schlimmster Verbrechen
wurden.

Ich weiß um die Kritik an einigen Institutionen, die
mit Beschönigung oder Vertuschung auf Vorfälle in ih-
ren Einrichtungen reagiert haben. Beispielhaft möchte
ich heute die Aufarbeitung von sexuellem Kindesmiss-
brauch in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen in der
DDR benennen. Es ist mittlerweile unbestritten, dass
beispielsweise im geschlossenen Jugendwerkhof in Tor-
gau körperliche Züchtigungen, Einzelzellenarrest, aber
auch sexuelle Kindesmisshandlungen zum Alltag gehör-
ten. Viele davon haben zu Selbstmordversuchen geführt
und natürlich auch seelische Schäden hinterlassen.
Sexueller Kindesmissbrauch war Teil eines erniedrigen-
den, demütigenden und menschenverachtenden Erzie-
hungsregimes in den Heimen der DDR. Auch wenn wir
Schmerz und Leiden nicht ungeschehen machen können,
ist es trotzdem wichtig, heute noch darüber zu sprechen.
Es ist wichtig, dies hier heute auch ausgesprochen zu ha-
ben, um deutlich zu machen, dass wir uns daran erinnern
und eine schonungslose Aufarbeitung anstreben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Ziel lautet entsprechend: Es darf in Institutionen
kein Netz von Mitwissern und Wegschauern mehr ge-
ben, die diese schrecklichen Verbrechen in ihrem Aus-
maß stützen und möglicherweise sogar noch ermögli-
chen. Damit müssen wir sensibel umgehen; denn gerade
bei Menschen, die diese Verbrechen vermuten oder ei-
nen Verdacht haben, besteht viel Unsicherheit.

Aber es gibt unter den betroffenen Institutionen auch
positive Beispiele, Institutionen, die eine Aufarbeitung
bereits begonnen haben. Das müssen wir sehen und posi-
tiv herausstellen. Diese Einrichtungen sehen, was manch
andere vielleicht noch erkennen müssen: dass die Kom-
mission viel Positives für sie leistet. Sie kann ihnen eine
Hilfe sein, Fälle aus der Vergangenheit aufzuarbeiten
und so möglicherweise künftiges Leid zu verhindern.
Dieses Ziel müssen sich die Institutionen aber auch
selbst setzen. Die Aufarbeitungskommission kann und
wird den Weg dorthin natürlich unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bei aller Euphorie über die Einsetzung der Aufarbei-
tungskommission dürfen wir eines nicht vergessen: Se-
xuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wird
es vermutlich immer geben, auch jetzt, in diesem Mo-
ment. Das seelische Leid und möglicherweise auch kör-
perliche Schäden bei einem Missbrauch begleiten sie das
ganze Leben lang.

Die Aufarbeitungskommission ist jedoch nur ein Bau-
stein von ganz vielen Bausteinen. Um nur einige zu nen-
nen: der Betroffenenrat – er wurde heute schon genannt –,





Christina Schwarzer


(A) (C)



(D)(B)

Opferinitiativen, Präventionsnetzwerke wie beispiels-
weise „Kein Täter werden“ hier an der Berliner Charité.
Aber auch die vor einigen Monaten in diesem Hause be-
schlossene Verschärfung des Strafrechtes gehört ohne je-
den Zweifel in diese Liste, in diesem Zusammenhang
vor allem die Verlängerung der Verjährungsfristen; wir
sprachen in diesem Hause sehr oft darüber. Oft dauert es
Jahre oder Jahrzehnte, bis die Opfer über das Erlebte
sprechen können. Dieser Mut darf dann nicht ins juristi-
sche Nirvana führen. Ebenso wichtig zu nennen ist der
Fonds Sexueller Missbrauch. Das ist übrigens ein gutes
Stichwort. Nicht ganz so viele Bundesländer haben bis-
her in den Topf eingezahlt. Ich finde, alle Kollegen in
diesem Hause sind verpflichtet, in ihren Bundesländern
klarzumachen, dass da noch die eine oder andere Million
fehlt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Bayern hat!)


– Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben in der
Tat schon eingezahlt.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das könnte man lobend erwähnen!)


Man kann sich natürlich immer ein bisschen mehr
wünschen: ein bisschen mehr Beteiligung, ein bisschen
mehr Geld, aber eben auch ein bisschen mehr Zeit. Das
wird ja auch in Ihrem Antrag deutlich. Ich schlage Ihnen
Folgendes vor: Lassen Sie uns heute gemeinsam den Be-
schluss zur Einsetzung der Kommission fassen. Es wäre
ein großartiges Signal, auch an die Verbände. Gemein-
sam sollten wir dann die Arbeit der Kommission wie
auch die gesellschaftliche Debatte weiter begleiten. Die
Arbeit der Kommission sollte zwar an die Amtszeit von
Herrn Rörig gekoppelt werden, aber ich bin mir sicher,
dass seine Arbeit 2019 nicht beendet sein wird. Sie wird
fortbestehen, weil eben die Aufgaben der Aufarbeitungs-
kommission vermutlich und leider nie beendet sein wer-
den.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811517200

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Katja Dörner,

Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811517300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Und natürlich auch: Lie-
ber Herr Rörig und Team auf der Tribüne! Zunächst ein-
mal möchte ich sagen, dass ich froh bin, dass wir die
Aufarbeitungskommission heute, so kurz vor der Som-
merpause, doch noch auf den Weg bringen, wenn auch
auf den letzten Drücker. Ich will auch daran erinnern,
dass wir ursprünglich sehr wohl einen ambitionierteren
Zeitplan für die Einsetzung der Kommission hatten. Der
Antrag der Koalitionsfraktionen stammt vom 27. Januar
2015. Er ist also ein gutes halbes Jahr alt. Wir müssen
festhalten, dass es bis heute zu viele Verzögerungen ge-
geben hat, vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die
Regierungsfraktionen ja an keiner Stelle bewegt haben
und auch nicht mit uns als Opposition ins Gespräch ge-
kommen sind. Ich möchte noch einmal sagen, dass ich
das sehr bedauere.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt ist es ohne Frage an uns, dem Unabhängigen Be-
auftragten vollen Rückenwind für die Einrichtung der
Kommission zu geben. Ich will an dieser Stelle auch sa-
gen: Wir werden dem Antrag der Koalitionsfraktionen
zustimmen, obwohl dieser Antrag die Zustimmung ei-
gentlich nicht verdient hat. Warum machen wir das trotz-
dem? Wir finden es sehr wichtig, dass es ein klares und
auch interfraktionelles Signal gibt, mit dem wir als Deut-
scher Bundestag zum Ausdruck bringen: Ja, wir wollen
diese Aufarbeitungskommission, und wir stehen hinter
der Arbeit, die diese Kommission leistet. – Ich finde,
dieses Signal sollte von der heutigen Debatte ausgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs ist eine ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe; das kann man nicht oft
genug sagen. Ich finde, das drückt sich auch in der Ein-
richtung der Aufarbeitungskommission als einem ganz
wichtigen Baustein aus. Wir haben aber gemeinsam mit
den Linken einen Antrag eingebracht, den wir heute
auch zur direkten Abstimmung stellen, weil wir für eine
Aufarbeitungskommission plädieren, die stärkere Rechte
hat.

Zum einen – das ist schon gesagt worden – wollen wir
keine zeitliche Befristung der Kommission. Wenn wir
davon ausgehen, dass die Kommission tatsächlich erst
2016 ihre Arbeit aufnimmt und die Laufzeit der Kom-
mission an das Amt des Unabhängigen Beauftragten ge-
koppelt ist, dann sehen wir: Das sind gerade einmal
knappe drei Jahre. Wir können uns eigentlich nur sehr
schwer vorstellen, wie eine so umfassende und notwen-
dige Arbeit seitens der Kommission in einer so kurzen
Zeitspanne erledigt werden soll.


(Beifall der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zum anderen sprechen wir uns für eine gesetzliche
Grundlage für die Arbeit der Kommission aus. Ich will
meinen Blick einmal nach Irland schweifen lassen. Die
Erfahrungen mit der irischen Aufarbeitungskommission
zeigen, wie wichtig eine gesetzliche Grundlage ist. Die
irische Aufarbeitungskommission hatte nämlich genau
das, was wir in unserem Antrag einfordern: Sie hatte die
Befugnisse eines Gerichts. Sie konnte Zeugen vorladen,
Akteneinsicht beantragen und damit die Strukturen und
Mechanismen identifizieren, die sexuellen Missbrauch
ermöglicht haben und ermöglichen. Wir befürchten, dass
die notwendige Aufarbeitung durch unsere Kommission
nicht vollumfänglich stattfinden kann, weil sie mit zu
schwachen Rechten ausgestattet ist.

Ich möchte noch sagen: Alle hier haben zu Recht über
den Mut der Opfer gesprochen, über das erlittene Leid
zu sprechen. Wir hätten uns gewünscht, dass die Regie-
rungsfraktionen den Mut aufbringen, hier eine Aufarbei-





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)

tungskommission mit wirklich starken Rechten einzuset-
zen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir fordern in un-
serem Antrag auch, eine langfristige Finanzierungs-
grundlage für die Kommission zu schaffen, und insbe-
sondere, hierfür den Etat des Bundesfamilienministeriums
aufzustocken. Frau Rüthrich, ich fand es eine gewisse
Spitzfindigkeit, zu sagen: Alle Ministerien sollen bezah-
len. – Das wäre natürlich eine Variante, die auch wir un-
terstützen würden. Uns geht es darum: Es kann nicht
sein, dass – überspitzt gesagt – die heutigen Kinder und
Jugendlichen dafür bezahlen sollen, dass die Aufarbei-
tung vergangenen Missbrauchs geleistet werden kann. –
Das ist der Punkt, den wir machen wollen. Das ist bei al-
len anderen Initiativen dieser Art in den letzten Jahren
gelungen. Wir hoffen sehr, dass in den Haushaltsver-
handlungen deutlich gemacht werden kann, dass der
Bundestag weiter zu einem solchen Prinzip steht. Ich
finde es auch sehr ärgerlich, dass wir zum heutigen Zeit-
punkt immer noch keine Klarheit über die Finanzierung
haben. Das finde ich sehr schade. Es wäre angemessen,
darüber heute Klarheit zu erhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte aber auch noch etwas Positives hervorhe-
ben, und zwar, dass weiterhin 35 Millionen Euro zur Er-
forschung der Thematik des sexuellen Missbrauchs zur
Verfügung stehen. Auch das war sehr lange nicht klar.
Vorletzte Woche hat zur Frage der Forschung ein Hea-
ring beim Unabhängigen Beauftragten stattgefunden. In
diesem Hearing ist deutlich geworden, dass es trotz der
Anstrengungen, die nach den Vorschlägen der Arbeits-
gruppen des Runden Tisches unternommen wurden,
noch erheblichen Forschungsbedarf gibt und dass wir
insbesondere eine bessere Vernetzung von Praxis und
Forschung brauchen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir bringen heute
die Einrichtung der Kommission auf den Weg. Das ist
ein sehr guter Schritt. Es darf uns aber keineswegs aus
der Verantwortung entlassen, in der nächsten Zeit wei-
tere konkrete Schritte zur Bekämpfung des sexuellen
Missbrauchs von Kindern zu tun.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811517400

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Dr. Silke Launert.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1811517500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das
Canisius-Kolleg, die Odenwaldschule, Kloster Ettal –
immer wieder muss die Öffentlichkeit mit Entsetzen
feststellen, dass sexueller Kindesmissbrauch keine
Randerscheinung in unserer Gesellschaft ist. Tatsächlich
geschieht er mitten unter uns: in Schulen, in Kindergär-
ten, in Sportvereinen, in Kinderheimen, ja, und sogar in-
nerhalb der Familie.

Als ehemalige Staatsanwältin kann ich Ihnen erzäh-
len, dass ich während meiner Tätigkeit mit Schrecken
feststellen musste, wie viele Fälle sexuellen Kindesmiss-
brauchs es in einem überschaubaren geografischen
Raum gibt. Dabei ist es so, dass die meisten Taten gar
nicht Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht bekannt
werden.

Seit ich im Bundestag bin und für dieses Thema zu-
ständig bin, haben mir ganz viele Menschen aus meiner
Umgebung, aus meinem Bekanntenkreis von ihren Er-
fahrungen mit sexuellem Missbrauch erzählt – von eige-
nen Erfahrungen oder Erfahrungen von Angehörigen.
Seitdem weiß ich: Das ist ja fast ein Massenphänomen.
Es ist uns lange Zeit nicht so bewusst gewesen. Überall
kann es passieren, jederzeit, in allen gesellschaftlichen
Schichten – viel häufiger, als wir denken, häufig über
Jahrzehnte. Weil keiner das Schweigen bricht, wird es
fortgesetzt und das Grauen nimmt kein Ende. Wenn Sie
sich die Täter anschauen, die diese sexuellen Neigungen
haben und die sie auch ausleben, so stellen Sie fest: Die
machen es nicht nur einmal im Leben und nicht nur bei
einem Kind; denn wenn das Kind älter ist, kommt das
nächste dran.

Nach Bekanntwerden der Fälle in den letzten Jahren
hat sich einiges getan. Zahlreiche Einzelmaßnahmen
wurden ergriffen, und Initiativen wurden gestartet zur
Stärkung der Rechte der Opfer, zur Verbesserung der
Prävention, zur Erforschung dessen, wie es überhaupt zu
sexuellem Missbrauch kommen kann. Doch all das ist
noch nicht genug. Wir wissen: Die Täter, die diese Nei-
gung haben, wollen diese häufig wieder ausleben. Es ist
völlig klar, dass es weiter dazu kommen kann. Was kön-
nen wir tun? Jeder muss im Rahmen seiner Möglichkei-
ten das machen, was er leisten kann. Niemand darf weg-
schauen, niemand darf vertuschen, und niemand sollte
verdrängen. Das gilt für Organisationen, Institutionen
und sonstige Einrichtungen.

Ansprechen möchte ich in diesem Zusammenhang ei-
nen Fall, der mich erst vor einigen Wochen erschüttert
hat. In der Presse war zu lesen, dass UN-Blauhelmsolda-
ten sexuellen Kindesmissbrauch verübt haben: in der
Zentralafrikanischen Republik und in Haiti. Offenbar
wurden Informationen nicht richtig weitergegeben. Of-
fenbar wurde darauf nicht angemessen reagiert, selbst
da. Deshalb ist es wichtig, dass man in diesem Bereich
klare Kante zeigt und dass die Null-Toleranz-Politik
nicht nur auf dem Papier steht, sondern dass man sie um-
setzt, sich Maßnahmen vornimmt und diese ernsthaft
und aktiv umsetzt.

Es ist auch wichtig, dass diese Fälle immer wieder in
die Öffentlichkeit kommen. Hier sind die Journalisten,
die Eltern und auch die Schulleiter gefragt. Sie müssen
den Mut haben, das anzusprechen, selbst wenn die ei-
gene Schule betroffen ist.





Dr. Silke Launert


(A) (C)



(D)(B)

Ferner ist natürlich die Politik gefordert. Der Gesetz-
geber muss überall da tätig werden, wo es für ihn einen
Weg gibt.

Ich spreche zunächst das Strafrecht an. Die Straftatbe-
stände müssen so formuliert sein, dass sich keine Straf-
barkeitslücken auftun, es keine Grauzonen gibt, die
Strafe angemessen ist und den Strafverfolgungsbehörden
geeignete Ermittlungsmethoden zur Verfügung stehen.

Wir haben die Bekämpfung der Kinderpornografie
schon angesprochen. Nur ein Punkt: Die Höchststrafe
von drei Jahren – bei Diebstahl liegt sie bei fünf Jahren –
halte ich immer noch für zu niedrig. In der Praxis wer-
den Kinderpornografieverfahren sehr häufig gegen
Geldauflage eingestellt. Ich sage nur: Edathy lässt grü-
ßen. Jeder wird verstehen, dass dieses Vorgehen – viel-
leicht abgesehen vom Fall Edathy, weil inzwischen jeder
diese Person kennt – nicht wirklich geeignet ist, um des
Problems Herr zu werden. Eigentlich müsste es da eine
kurze Mindestfreiheitsstrafe geben, eine kurze Freiheits-
strafe auf Bewährung mit der Auflage einer Therapie –
nicht weil ich glaube, dass man die sexuelle Neigung
wegtherapieren kann, sondern weil ein Druck bestehen
muss, den Umgang mit dieser Neigung zu lernen.

Cybergrooming ist das nächste Thema, bei dem wir
versuchen, nachzuarbeiten. Wenn sich ein Polizist im In-
ternet als Kind ausgibt und da ein Täter ist, der sexuelle
Handlungen vornehmen will und zu diesem Zwecke
Kontakt zu dem vermeintlichen Kind aufnimmt, dann ist
das nicht strafbar. Also, ganz ehrlich: Das finde ich abso-
lut unverständlich. Ich freue mich, dass wir auch darüber
in der Koalition weiter reden.

Natürlich muss das Opfer den Mut haben, über das
ihm angetane Leid zu sprechen; das haben wir jetzt
schon ganz oft gehört. Genau da setzt die Aufarbeitungs-
kommission an: Ihm wird ein Raum gegeben, in dem es
sich aussprechen kann. Man möchte von diesen Erfah-
rungen lernen. Ich möchte mich – wie all meine Vorred-
ner – bei den Opfern bedanken, die den Mut und die
Kraft haben, das zu offenbaren und zum Beispiel ein lan-
ges Strafverfahren durchzuhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bedeutung der Aufarbeitung darf nie unterschätzt
werden.

Lassen Sie mich – ich sehe, meine Redezeit läuft
langsam ab – noch eines sagen: Es geht nicht nur darum,
Geld in Institutionen zu stecken, sondern auch darum,
dort Geld zu investieren, wo es Hilfe vor Ort gibt. Das
ist ganz wichtig. Wir haben in Hof eine Einrichtung, die
gerade um ihre Finanzierung kämpft: die Schutzhöhle.
Wir müssen nicht nur die Institutionen unterstützen, son-
dern auch diejenigen, die vor Ort die Arbeit leisten. Ihre
Hilfe ist entscheidend, wenn es darum geht, ob die Opfer
mit dem erfahrenen Leid leben und es irgendwie verar-
beiten können. Ein Opfer hat mir einmal gesagt: Sexuel-
ler Missbrauch ist ein Sterben auf Raten.
Lassen Sie uns gemeinsam die richtigen Schritte tun.
Die Aufarbeitungskommission ist der erste Schritt, aber
es folgen hoffentlich noch viele weitere.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811517600

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist

Kerstin Tack, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1811517700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut,
dass wir dieses Thema immer wieder in den Fokus neh-
men, gerade und insbesondere, wenn es um Einrichtun-
gen der Kinder- und Jugendhilfe geht, um Kinder, die
zum Schutz vor Gewalt im Elternhaus in die Obhut staat-
lich kontrollierter Einrichtungen gegeben wurden und in
diesen Einrichtungen unendliches Leid, seelischen Tod
und seelische Grausamkeit erfahren.

Es ist gut und richtig, dass der Deutsche Bundestag
schon vor mehreren Jahren dazu hinreichend wichtige
Beschlüsse getroffen hat: die Einrichtung des Runden
Tisches, verschiedene Maßnahmen, die Einrichtung der
Fonds zur – man kann nicht von „Entschädigung“ spre-
chen, aber ein bisschen ist es das auch – Anerkennung
des Leides dieser Kinder. Aber, meine sehr geehrten Da-
men und Herren, der Runde Tisch und auch die Fonds,
die eingerichtet wurden – gespeist vom Bund, von den
Ländern und den Kirchen –, haben leider die Kinder, die
in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder
aber in stationären psychiatrischen Einrichtungen Miss-
brauch erlebt haben, nicht in den Blick genommen. Auch
in diesen Einrichtungen sind unendliches Leid, Gewalt
und Missbrauch geschehen – genauso wie in den Ein-
richtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Der Deutsche
Bundestag hat deshalb schon im Jahre 2011 interfraktio-
nell beschlossen, dass auch diese Zielgruppe in die Auf-
arbeitung, in die Aktivitäten miteinbezogen werden soll.

Leider ist es bis heute nicht gelungen, auch für die
Opfer von sexuellem Missbrauch in Einrichtungen der
Behindertenhilfe und in stationären psychiatrischen Ein-
richtungen einen Fonds einzurichten, der die Anerken-
nung des Leidens dieser Kinder, die heute erwachsene
Menschen sind, zum Ziel hat. Das, meine sehr geehrten
Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
beschämend.

Der Deutsche Bundestag hat in den diesjährigen
Haushalt Mittel für den Fonds eingestellt. Die Kirchen
haben sich bereit erklärt, der Drittelung entsprechend ih-
ren Beitrag zu leisten. Allerdings haben sich die Länder
bisher nicht durchringen können, gemeinschaftlich in
diesen Fonds einzuzahlen.


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Bis auf Bayern!)






Kerstin Tack


(A) (C)



(D)(B)

Ich möchte hervorheben, dass Bayern – sehr vorbildlich –
schon sehr früh seine Bereitschaft erklärt hat, in den
Fonds einzuzahlen.


(Beifall der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])


Dafür gilt Bayern unser aller Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mittlerweile haben viele Länder erkannt, dass man sich
der Verantwortung, die sich daraus ergibt, dass man die
Aufsicht über diese Einrichtungen hatte, nicht entziehen
kann. Trotzdem wir haben heute immer noch keinen
Fonds für diese Zielgruppe.

Ich bin mir sicher, dass wir uns heute, wie schon
2011, über die Grenzen aller Fraktionen hinweg einig
sind, dass es nicht nur wichtig ist, dass die Aufarbei-
tungskommission diese Zielgruppe in den Blick nimmt,
sondern dass es genauso wichtig ist, dass auch für diesen
Personenkreis ein Entschädigungsfonds auf den Weg ge-
bracht wird. Wir sollten in einem gemeinsamen Appell
in Richtung der Länder unsere Erwartungshaltung hin-
sichtlich einer Beteiligung am Fonds und der Über-
nahme von Verantwortung für diesen Personenkreis for-
mulieren; denn auch diese Opfer haben es verdient.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811517800

Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Maik Beermann, CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Maik Beermann (CDU):
Rede ID: ID1811517900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kinder brau-
chen Wurzeln und Flügel – so hat es einmal Johann
Wolfgang von Goethe formuliert. In poetischer Art und
Weise hat er darauf verwiesen, dass Kinder Geborgen-
heit und Zuwendung brauchen, um sich zu verwurzeln,
aber auch Förderung und Unterstützung, um langsam,
aber sicher in ein eigenständiges, selbstbestimmtes Le-
ben zu entfliegen, in dem sie sich schließlich in ihre
Gesellschaft integrieren und am Alltag teilhaben. Miss-
brauchten Kindern wurde all dies genommen: Geborgen-
heit, das Gefühl von Schutz, vor allem aber auch Ver-
trauen, Vertrauen in die Menschen, die ihnen den Weg in
die Zukunft bereiten sollten, ob es nun Eltern sind oder
Mitarbeiter öffentlicher Einrichtungen.

Bis heute ist sexuelle Gewalt an Kindern und Jugend-
lichen in Deutschland nicht eingedämmt. Im Jahr 2014
wurden in Deutschland 14 191 Kinder Opfer von sexuel-
lem Missbrauch. Diese Zahl hat mich persönlich sehr ge-
schockt; von der Dunkelziffer, die wahrscheinlich noch
viel höher liegt, möchte ich gar nicht reden. Das zeigt,
dass die Debatte über das Thema Missbrauch von Kin-
dern endlich gelebter Teil unseres Alltags werden muss.
Wir brauchen in Deutschland dringend eine breite ge-
sellschaftliche Debatte zum Thema Kindesmissbrauch in
Schulen, in Kirchengemeinden und in Vereinen. Diese
Orte müssen sichere Orte sein, und Gott sei Dank sind
sie dies zum überwiegenden Teil auch.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir uns für die Einrich-
tung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission ein-
setzen und an dieser wichtigen Stelle Lernerfahrung in
politisches Handeln umsetzen werden. Was die Finanzie-
rung betrifft, liebe Frau Kollegin Rüthrich, bin ich aller-
dings der Meinung, dass das Haus, das bei diesem
Thema die Federführung hat, auch die Zeche zahlen
muss,


(Ulli Nissen [SPD]: „Zeche zahlen“ ist wohl nicht der richtige Begriff!)


und das ist nun einmal das Haus von Frau Schwesig, der
Familienministerin.


(Ulli Nissen [SPD]: „Zeche zahlen“ ist nicht der richtige Begriff! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Eine zentrale Forderung aus den Jahren 2010 und
2011, die von Betroffenen angesprochen wurde, wird da-
mit aufgegriffen. Ich hoffe, dass die künftige unabhän-
gige Aufarbeitungskommission zu einer viel breiteren
politischen und gesellschaftlichen Debatte beitragen
wird. Obwohl die Kommission zunächst nur zeitlich be-
fristet arbeitet – bis Anfang 2019 –, wird sie viel errei-
chen. Sie wird Strukturen identifizieren, die Missbrauch
ermöglichen und begünstigen. Sie wird Fehler der Ver-
gangenheit benennen und das Leid der Missbrauchsopfer
sichtbar machen. Sie wird vorhandene Aufarbeitungsbe-
richte auswerten, auch die aus den Kirchen, und
Forschungsaufträge vergeben, um bestehende Erkennt-
nislücken zu schließen. Auch die Aufarbeitung von se-
xuellem Kindesmissbrauch in Kinderheimen und Ju-
gendwerkhöfen der ehemaligen DDR stellt eine wichtige
Dimension unseres Koalitionsantrags dar; meine Kolle-
gin Christina Schwarzer hat darauf hingewiesen. Für
mich ist ein wichtiger und entscheidender Punkt, dass
von sexueller Gewalt in der Kindheit Betroffene ange-
hört werden sollen. Ich hoffe, dass diese Anhörung zur
Anerkennung des erlittenen Unrechts beitragen wird.

Solange es nicht gelingt, sexuelle Gewalt einzudäm-
men und unsere Kinder bestmöglich zu schützen, ist
Missbrauch eine Schande und ein Skandal in und für un-
sere Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als junger Vater möchte ich, dass nicht nur für meine
kleine Tochter, sondern für alle Kinder zum Beispiel die
Schule oder der Verein sichere Orte sind, an denen sich
unsere Kinder außerhalb der Familie geborgen fühlen.
Ich möchte, dass Kinder nicht ihrer Flügel und Wurzeln
beraubt werden, indem sie sich dem Risiko eines Miss-
brauchs aussetzen, ob im privaten oder im öffentlichen
Bereich. Ich möchte, dass Schulen, dass alle Einrichtun-
gen und Organisationen, denen Kinder anvertraut sind,





Maik Beermann


(A) (C)



(D)(B)

verstärkt in Prävention investieren, in institutionelle,
aber auch in pädagogische Prävention. Dazu müssen
auch unsere Länder und die Kommunen einen Beitrag
leisten.

Es gibt längst neue Formen sexueller Gewalt, die zum
Beispiel durch digitale Medien in die Kinderzimmer
drängen. Immer noch bieten wir Kindern nicht den mög-
lichen Schutz und die mögliche Hilfe, auch nicht dort,
wo Handlungsmöglichkeiten bestehen und bekannt sind.
Auf neue Entwicklungen wird oft viel zu spät reagiert.

Lassen Sie mich abschließend noch einen Satz sagen,
den Bundespräsident Gauck aus meiner Sicht eindring-
lich und sehr stark formuliert hat:

Genauso wie wir heute alles daransetzen müssen,
Missbrauch keinen Raum zu geben, genauso ent-
schlossen müssen wir die Untaten der Vergangen-
heit

– und Fehler –

zum Thema unserer Gegenwart machen.

In diesem Sinne wünsche ich dem Unabhängigen Be-
auftragten, Herrn Johannes-Wilhelm Rörig, und seinem
Team für seine wichtige und engagierte Arbeit alles er-
denklich Gute.


(Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD])


Ich bitte um Zustimmung zu dem Koalitionsantrag. Frau
Kollegin Dörner, ich bin mir sicher, dass Sie Ihre Zu-
stimmung zu diesem Antrag nicht bereuen werden.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811518000

Vielen Dank. – Damit schließen wir die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu
dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
mit dem Titel „Aufarbeitung von sexuellem Kindesmiss-
brauch sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4988, den An-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 18/3833 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men.

Wir stimmen jetzt ab über den Antrag der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
18/5106 mit dem Titel „Aufarbeitung des sexuellen Kin-
desmissbrauchs umfassend sicherstellen“. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU-
und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche,
Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Suizidprävention verbessern und Menschen
in Krisen unterstützen

Drucksache 18/5104
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin zu diesem
Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Maria Klein-
Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Wir haben heute Morgen zweieinhalb Stunden
eine Debatte über die Sterbehilfe geführt und auch da-
rüber, wie wir und ob wir gesetzliche Maßnahmen er-
greifen wollen. Ich glaube, es war heute Morgen eine
durchaus sehr gute Debatte, eine sehr differenzierte De-
batte, die auch deutlich gemacht hat: Es gibt Gemein-
samkeiten über alle Fraktionen hinweg, und es gibt ethi-
sche Grundhaltungen, die nicht einfach nach Lagern
verteilt sind, sondern die sich tatsächlich nach ethischen
Vorstellungen sortieren.


(Beifall der Abg. Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich glaube, das ist nicht nur etwas, das von außen als
Sternstunde des Parlaments wahrgenommen wird; viel-
mehr zeigt das auch, dass es Themen gibt, die wir grund-
sätzlicher angehen müssen und bei denen wir vor allen
Dingen unsere gemeinsame Verantwortung in den Blick
nehmen und nicht die Unterschiede. Ich hoffe, dass wir
mit dem Thema der Suizidprävention in ähnlicher Weise
umgehen können, dass wir also sehr genau schauen: Was
sind die Vorschläge, und wie können wir sie in unserer
parlamentarischen Arbeit aufnehmen? Das vorweg zur
heutigen Debatte.

Schauen wir uns die Zahlen an. Wir haben im Jahr
10 000 Suizide, die statistisch erfasst werden; wir haben
weitere 100 000 versuchte Suizide. Das sind enorme
Größenordnungen. 10 000 Tote durch Suizid – das sind
mehr als doppelt so viele wie beispielsweise durch Ver-
kehrsunfälle. Wir müssen uns klarmachen, dass sich täg-
lich zwei Jugendliche das Leben nehmen und 20 es täg-
lich versuchen, dass von den 10 000 Menschen ungefähr





Maria Klein-Schmeink


(A) (C)



(D)(B)

ein Drittel über 65 Jahre alt ist. Sie geben als Grund an –
das ist der Bezug zu heute Morgen –: Angst vor Einsam-
keit, Angst vor chronischen schwerwiegenden Erkran-
kungen, Angst vor Hilfsbedürftigkeit und Angst vor
Pflegebedürftigkeit. Ich meine, all das muss Appell da-
für sein, dass wir alles tun, was wir können, um präven-
tiv die Hilfeleistung, die Unterstützung zu geben, die uns
als Gesellschaft möglich ist. Dazu wollen wir mit diesem
Antrag beitragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir beanspruchen an dieser Stelle nicht, ein vollstän-
diges Werk vorzulegen; vielmehr haben wir uns die
Mühe gemacht, aus den verschiedensten Bereichen An-
regungen aufzunehmen, insbesondere auch des Nationa-
len Suizidpräventionsprogramms für Deutschland, das
zahlreiche Anregungen gegeben hat und dies auch schon
seit 2002 tut. Aber man muss auch sagen: Obwohl bun-
desweit 90 Institutionen, auch die Bundesregierung, da-
ran teilhaben, diskutieren wir die Ergebnisse hier im
Bundestag so gut wie nie. Ich meine, das sollte sich auch
im Kontext der verschiedenen ethischen Debatten, die
wir gerade führen, ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn es darum geht, was wir tun, dann müssen wir
zuallererst in den Blick nehmen, dass circa 65 bis
90 Prozent – wir wissen es nicht genau – aller Versuche
im Kontext einer psychischen Erkrankung oder zumin-
dest einer psychischen Krisenlage zu verorten sind. Das
ist ein klarer Hinweis darauf, dass man durch geeignete
frühzeitige Hilfestellung erreichen könnte, dass zumin-
dest ein Teil dieser Suizide vermieden wird, vor allen
Dingen dort, wo eine ausweglose Situation vorliegt, eine
psychische Gemengelage, eine Zuspitzung, vielleicht
auch eine Einengung des denkbar Möglichen für den Be-
treffenden selber. Dies könnte durch eine frühzeitige
Hilfestellung verändert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Von daher ist es sehr wichtig, dass wir neben dem, was
wir im Gesundheitssystem vorzuhalten haben, niedrig-
schwellige Hilfen – etwa die Angebote der Telefon-
seelsorge, etlicher ehrenamtlicher Krisenhilfen und an-
derer, eher psychologischer, manchmal auch anonymer
Hilfsdienste – ausbauen. Das darf nicht der Zufälligkeit
von durch Spenden organisierten Initiativen überlassen
bleiben. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass gerade
diese niedrigschwelligen Angebote überall vor Ort zu-
gänglich sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem müssen wir die Angebote der psychologi-
schen, psychotherapeutischen und psychiatrischen Kri-
senhilfe so zugänglich machen, dass diese Menschen sie
auch wahrnehmen, dass sie sich nicht aus Furcht vor ei-
ner Psychiatrisierung, einer Zwangseinweisung und all
dem, was in diesem Kontext im Raume steht, anders ent-
scheiden, sondern diese Hilfen selbstverständlich anneh-
men, und das frühzeitig. Es ist ganz klar: Die langen
Wartezeiten, die wir in diesen Bereichen bisher haben,
sind alles andere als das richtige Angebot.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich haben wir mit dem Versorgungsstärkungs-
gesetz Änderungen vorgenommen. Aber sie werden
nicht ausreichen, weil insbesondere die ambulanten Kri-
senangebote fehlen. Da werden wir nachlegen müssen.
Ich wäre sehr froh, wenn wir im Herbst dieses Jahres
eine entsprechende Debatte führen würden, um an genau
dieser Stelle nachzusteuern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kommen wir zur Unterstützung von Angehörigen.
Auch sie sind nicht nur auf psychologische Unterstüt-
zung, sondern in großem Umfang auch auf alltagsnahe
Hilfen, auf Ansprechpartner, auf Menschen, die in ähnli-
chen Situationen waren, angewiesen. Es geht also um
das gesamte Geflecht, das wir gerade im Bereich der eh-
renamtlichen Arbeit häufig vorfinden und das auch für
sie sehr leicht und niedrigschwellig zur Verfügung ste-
hen sollte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Als Letztes zum Bereich der Prävention. Auch hier
muss gelten, das in Angriff zu nehmen, was wir tun kön-
nen, um zum Beispiel spontane Suizidentschlüsse
schwieriger zu machen. Wir wissen aus der Forschung,
dass leicht zugängliche Waffen, leicht zugängliche
Medikamente, leicht zugängliche Brücken, auch Eisen-
bahnbrücken, dazu herausfordern, in einer Kurzschluss-
handlung aufgesucht und genutzt zu werden. Gleich-
zeitig weiß man: Wenn es diese Möglichkeiten eines
spontanen Suizids nicht gäbe, würde dieser Suizid wahr-
scheinlich nicht ausgeführt werden, insbesondere dann
nicht, wenn geeignete Anlaufstellen oder Gesprächs-
möglichkeiten da wären.

In diesem Sinne wünsche ich mir, dass über die vielen
Vorschläge, die wir an dieser Stelle gemacht haben, eine
konstruktive Debatte geführt wird, wir im Herbst dieses
Jahres eine Anhörung durchführen und dann in die ent-
sprechenden Verfahren eintreten.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Birgit Wöllert [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811518100

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Reiner Meier,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reiner Meier (CSU):
Rede ID: ID1811518200

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jeder Suizid ist eine große Tragödie, eine, die jedes Jahr
rund 10 000 Menschen in unserem Land betrifft. Wie
viel Leid für Partner, Familie, Freunde aus einer Selbst-
tötung unmittelbar folgt, können wir nur erahnen. Die
Motive sind höchst individuell; sie lassen sich nicht pau-





Reiner Meier


(A) (C)



(D)(B)

schal einordnen. Unerkannte Depressionen und Kurz-
schlusshandlungen oder jahrzehntelange Traumata kön-
nen im Nachhinein oft nur vermutet werden. Es ist
deshalb außerordentlich wichtig, dass wir versuchen,
wenigstens jene Menschen zu erreichen, die von einer
Selbsttötung noch abgebracht werden können.

Im Versorgungsstärkungsgesetz haben wir verankert,
dass Patienten schneller einen Termin beim Psychothera-
peuten bekommen. Dadurch erhalten die Betroffenen
prompt die Hilfe, die sie brauchen. Ebenso verbessern
wir durch den Auftrag zur Bedarfsplanung und die er-
weiterten Verordnungsmöglichkeiten für Psychothera-
peuten die flächendeckende Versorgung ganz erheblich.
Aber auch die würdige Versorgung von Kranken am
Lebensende hat für uns höchste Priorität. Deshalb schaf-
fen wir mit dem Hospiz- und Palliativgesetz für unheil-
bar Kranke bessere Perspektiven für ein lebenswertes
Leben. An dieser Stelle darf ich den Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen für die konstruktiven Gesprä-
che zu diesem Thema danken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu dieser Debatte gehört aber auch, dass wir uns die
Grenzen der Suizidprävention bewusst machen. Wir wis-
sen, dass eine Selbsttötung oft auf einem ganzen Bündel
von Faktoren beruht. Dem heute vorliegenden Antrag
liegt aber die Auffassung zugrunde, wir könnten spon-
tane Suizide durch punktuelle Maßnahmen zum Beispiel
im Bau- oder Waffenrecht verhindern. Meine Damen
und Herren, das glaube ich nicht. Wenn der Entschluss
zur Selbsttötung erst einmal gereift ist, ist es reine Illu-
sion, zu glauben, wir könnten alle potenziellen Mittel
und Wege beseitigen.

In manchen Fällen, wie etwa beim Zugang zu Beruhi-
gungs- und Schmerzmitteln, sind pauschale Verbote so-
gar außerordentlich problematisch. Vor drei Jahren hat
die Bundesregierung die Apothekenbetriebsordnung und
das Betäubungsmittelrecht novelliert. Damit können
Ärzte schwerstkranken Patienten ihre Medikamente un-
bürokratisch überlassen. Für diese Patienten ist das eine
wesentliche Entlastung und eine deutliche Verbesserung
der Lebensqualität. An dieser Stelle wieder einen Schritt
zurück zu mehr Bürokratie zu gehen, halte ich ausdrück-
lich für falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch ausdrücklich nicht!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten
die heutige Debatte nicht führen, ohne an die engagier-
ten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beratungs-
einrichtungen für Suizidprävention zu denken. Sie leis-
ten täglich nicht nur eine höchst verantwortungsvolle,
sondern auch eine persönlich schwierige und belastende
Arbeit für ihre Mitmenschen. Dafür gebührt ihnen,
glaube ich, der höchste Respekt dieses Hauses.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der vorliegende Antrag beleuchtet in der Tat ein
schwieriges Thema. Erst heute früh haben wir uns einge-
hend mit den Fragen der Sterbehilfe auseinandergesetzt.
Dabei wurde eines klar: Wir alle tun uns schwer, die
Grenze zwischen Suizid und selbstbestimmtem Tod zu
definieren. Für uns als Union ist das Leben der höchste
Wert, und deshalb sollte auch stets ein lebenswertes Le-
ben angestrebt werden. Dazu müssen wir den Menschen
gute Perspektiven anbieten, wohl wissend, dass unsere
Möglichkeiten, Suizide zu verhindern, leider immer be-
grenzt sein werden.

Der Antrag enthält einige gute Ansätze, etwa bei der
psychotherapeutischen Versorgung oder bei der Sterbe-
begleitung. Vieles davon haben wir schon umgesetzt, an-
deres setzen wir gerade um. In seiner Summe wird der
Antrag diesem komplexen Thema jedoch nicht gerecht.

Sicherlich werden sich einige Zuschauer von der heu-
tigen Debatte besonders angesprochen fühlen. Ihnen
möchte ich zurufen: Es gibt Hilfe! Bundesweit stehen
Ihnen zahlreiche Beratungsstellen zur Verfügung. Sie er-
reichen die Telefonseelsorge sogar rund um die Uhr. Die
Nummer lautet: 0800/1110111. Bitte nutzen Sie dieses
Angebot!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811518300

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Birgit Wöllert,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Wöllert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811518400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! „Suizidprävention verbessern
und Menschen in Krisen unterstützen“, so lautet der Titel
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich
bin zunächst über den Begriff „Suizidprävention“ gestol-
pert und habe ihn erst einmal für mich aufgelöst, weil
hier ein so emotionales Thema hinter einem so sperri-
gen, bürokratischen Wort versteckt ist. Eigentlich ist
doch die Frage – wenn ich das für mich übersetze –: Wie
verhindern wir, dass in Deutschland jährlich rund 10 000
Menschen die Freude am oder den Mut zum Leben ver-
lieren? Das ist der zentrale Punkt, mit dem, hoffe ich,
wir alle uns in der Beratung auseinandersetzen wollen.
Ich glaube, wir sind es den Menschen, den Angehörigen,
den Freunden und dem Umfeld, schuldig, dass wir uns
damit auseinandersetzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Selbsttötung bzw. Suizid ist ein weltweites Thema; es
ist kein Thema, das nur uns in Deutschland beschäftigt.
In diesem Jahr jährt sich der Welttag der Suizidpräven-
tion, den die Weltgesundheitsorganisation ins Leben rief,
zum zwölften Mal. Im vorigen Jahr gab es den ersten
Bericht dazu. Danach sind es jährlich 800 000 Men-
schen, die durch Selbsttötung sterben. Die WHO ruft uns
alle auf, das Thema nicht länger zu tabuisieren. Ich





Birgit Wöllert


(A) (C)



(D)(B)

denke, schon das ist ein wichtiger Beitrag, den wir leis-
ten.

Wenn dieses Thema in die Öffentlichkeit kommt,
dann immer anhand prominenter und eher elitärer Bei-
spiele;


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das hat doch nichts mit Eliten zu tun! Das ist Blödsinn!)


betroffen sind aber viel mehr Menschen, die in anderen,
schlechteren Lebensverhältnissen leben. Ich gehe nur
einmal von den Gefahren durch Depressionen aus. Wenn
aus Daten der AOK hervorgeht, dass bei den Langzeit-
arbeitslosen die Anzahl der Menschen mit psychischen
Erkrankungen jährlich ansteigt – sie lag im Jahr 2011 bei
über 40 Prozent –, dann ist auch die Bekämpfung der
Langzeitarbeitslosigkeit ein Mittel der Prävention in den
Lebenswelten zur Bekämpfung von Selbsttötung. Auch
das sollten wir nicht aus den Augen verlieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe mir im Zusammenhang mit der heutigen
Diskussion einige Aussagen von Wissenschaftlern ange-
schaut und bin bei den Recherchen auf sehr interessante
Berichte, Dokumentationen, Vorlesungen usw. gestoßen,
unter anderem auf Material von Professor Dr. Manfred
Wolfersdorf. Da fand ich eine sehr interessante Defini-
tion, was man unter Suizidalität versteht. Er beschreibt
das als ein zutiefst menschliches Geschehen und Erle-
ben, das in seiner Komplexität nie vollständig verstehbar
sein wird. Alle Erklärungsmodelle psychopathologi-
scher, psychodynamischer, biologischer und/oder sozia-
ler oder spiritueller Art seien von begrenzter Art mit dem
Respekt vor dem nicht aufdeckbaren Geheimnis des
Suizides. Das bedeutet aber nicht: Man kann sowieso
nichts tun. – Im Gegenteil, es erfordert die bestmögliche,
ernsthafte Annäherung an Verstehen und Verhüten suizi-
dalen Verhaltens. So habe ich auch den Antrag verstan-
den. Vielleicht sollten wir das als gemeinsame Aufgabe
annehmen.

Ich bin der festen Überzeugung – da weiß ich auch
meine Fraktion hinter mir –, dass mit dem Verhüten von
Selbsttötungen auch die Einsicht einhergehen muss, dass
es sich hier um eine komplexe Aufgabe der ganzen Ge-
sellschaft handelt: Gesundheitswesen, Schulen, Justiz,
Wirtschaft und vor allem auch die Medien tragen eine
große Verantwortung. Hier müssen wir koordiniert und
gemeinsam unser Handeln absprechen.


(Beifall bei der LINKEN)


Selbsttötungen haben viel mit den persönlichen
Lebensbedingungen zu tun; ich hatte schon ein Beispiel
genannt. Die WHO weist nach, dass die Suizidrate der
unter 65-Jährigen mit jedem Prozentpunkt mehr an
Arbeitslosigkeit um 0,8 Prozentpunkte steigt. Auch hier
haben wir insgesamt etwas zu leisten. Das ist auch eine
Aufgabe der Wirtschaft.

Wir brauchen natürlich mehr Beratungsangebote,
mehr Weiterbildung, mehr Psychotherapie und mehr
Forschung; das alles ist richtig. Was wir aber auch drin-
gend brauchen, ist eine gesellschaftliche Wirklichkeit,
die die Menschen nicht nach ihrer wirtschaftlichen Ver-
wertbarkeit einsortiert, sondern so akzeptiert, wie sie
sind, mit all ihren Schwächen und Stärken. Wir brauchen
eine Kultur der Anerkennung jedes Menschen, der in un-
serem Land lebt.

Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir brauchen drin-
gend – das haben wir in den letzten Gesetzen nämlich
nicht geleistet – auch eine Stärkung des öffentlichen Ge-
sundheitsdienstes mit seinen sozialpsychiatrischen Bera-
tungsstellen. Ich weiß aus meiner Region, dass dort nicht
immer genügend Psychiater und Fachärztinnen und
Fachärzte zur Verfügung stehen, um die Arbeit im erfor-
derlichen Umfang aufrechtzuerhalten.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811518500

Frau Kollegin Wöllert, Sie müssen jetzt wirklich zum

Schluss kommen.


Birgit Wöllert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811518600

Entschuldigung. Ich danke Ihnen. – Ich hoffe, dass

Sie den Antrag heute mit überweisen, sodass wir zu die-
sem Thema gemeinsam – auch mit den Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD – in der Diskussion bleiben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811518700

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Helga Kühn-

Mengel, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Helga Kühn-Mengel (SPD):
Rede ID: ID1811518800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Herr Meier,
nur um das zu erklären: Wir haben vorhin ein bisschen
gelächelt, aber nicht über Ihren Beitrag, sondern weil wir
gedacht haben, dass Sie dann notfalls alleine abstimmen
müssen.

Es ist ein wichtiges Thema, ein tabuisiertes und in je-
dem Fall trauriges Thema, mit dem wir uns heute befas-
sen. Wie hoffnungslos muss sich jemand fühlen, dass er
wirklich keinen anderen Weg sieht, als sich das Leben zu
nehmen. Es gibt kaum etwas Belastenderes für die Fami-
lie, die Freunde und die Partner. Die WHO sagt, dass
mindestens sechs weitere Menschen von einem Suizid
betroffen sind.

Ich will den Zahlen, die genannt wurden, nur noch
wenige hinzufügen. Der Suizid ist die zweithäufigste To-
desursache bei den Jugendlichen; die Zahl der Suizidver-
suche ist bei den jungen Frauen und Männern am höchs-
ten. Die Suizide im Alter, die ganz vielfältige Ursachen
haben, sind schon erwähnt worden. Mindestens 100 000
Suizidversuche pro Jahr werden von Menschen began-
gen, die das Versorgungssystem genutzt haben. Deshalb
fragt man sich natürlich, welche Symptome, Hinweise
und Hilferufe nicht gesehen, wahrgenommen oder rich-
tig eingeordnet worden sind.





Helga Kühn-Mengel


(A) (C)



(D)(B)

Ihr Antrag behandelt ein wichtiges Thema, hat aber
auch einige Schwächen. Die in dem Antrag enthaltenen
Forderungen an den Bund sind zum Beispiel größtenteils
falsch adressiert. Über Einzelforderungen muss man si-
cherlich diskutieren. Die Bezugnahme auf das Flugzeug-
unglück ist hier, wie ich glaube, zweifelhaft, und viele
Punkte sind einfach Ländersache. Ich will Beispiele da-
für nennen: Die Aufklärung an den Schulen und der
öffentliche Gesundheitsdienst, den wir so dringend brau-
chen, sind Ländersache. Das gilt ebenso für die kultur-
sensible Beratung von Migranten und Migrantinnen, die
Sie nennen. Das alles liegt in der Zuständigkeit der Län-
der und Kommunen. Wir alle müssen uns vor Ort in der
Region für mehr Beratung starkmachen.

Es gibt auch wirklich gute Ansätze dafür. Ich nenne ein
Beispiel aus Freiburg, nämlich [U 25] Freiburg. Bei die-
sem Arbeitskreis erfolgt die Beratung über den E-Mail-
Verkehr; darüber werden viele wirklich gut erreicht. Des
Weiteren hat das Land Nordrhein-Westfalen zusammen
mit der Stadt Köln eine Anlaufstelle für lesbische Mäd-
chen zwischen 15 und 23 Jahren eingerichtet, um zu ver-
hindern, dass sich Mädchen in dieser Altersgruppe auf
der Suche nach Gespräch und Identität das Leben neh-
men.

Der Verweis auf das Flugzeugunglück ist, wie ich
finde, an dieser Stelle fachlich nicht gerechtfertigt und
stellt eher eine Diskriminierung depressiver Menschen
dar.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir auch so im Antrag stehen!)


So ist es auch in den Medien dargestellt worden. Ich
glaube, dass es sich eher um eine Amoktat handelt und
dass das wenig bis gar nichts mit den 10 000 Suiziden
pro Jahr zu tun hat.

Richtig ist – da stimmen wir Ihnen zu –, dass Berufs-
verbote oder Einschränkungen der Schweigepflicht
überhaupt nicht helfen, sondern nur geeignete Hilfen et-
was bringen. Nicht schweigen, sondern reden – das hilft,
um Lösungsmöglichkeiten zu finden; denn ganz über-
wiegend ist der Suizid Ausdruck einer psychischen Krise
– das haben Sie gesagt, Frau Klein-Schmeink – oder ei-
ner psychischen Erkrankung. Er ist nur zu einem kleinen
Teil Ergebnis einer souveränen Entscheidung.

Sie fordern 1 Million Euro für Aufklärungskampag-
nen. Hier muss man kritisch fragen: Wie ist die Wirkung
einer solchen Maßnahme? Ich nenne hier nur das Stich-
wort „Nachahmungseffekt“. Unerwähnt bleibt auch,
dass der Bund viele Jahre lang effektiv Maßnahmen zur
Suizidprävention gefördert hat. Die Frau Präsidentin hat
in ihrer Zeit als Ministerin gemeinsam mit Frau
Bulmahn in der Forschung jahrelang einen Schwerpunkt
auf das Thema Suizidprävention gelegt und Kompetenz-
zentren zum Thema Depression gefördert. Da ist viel
passiert. Manche dieser Maßnahmen werden auch heute
noch gefördert, etwa das Nationale Suizidpräventions-
programm. Auch die APK, die vor kurzem eine Tagung
zu diesem Thema abgehalten hat, wird noch gefördert.
Was Sie gar nicht erwähnen, sind die letzten Gesetze,
die wir zu diesem Thema gemacht haben: das Versor-
gungsstrukturgesetz – dazu wird der Kollege Heidenblut
noch etwas sagen –, die Einrichtung der Akutsprech-
stunde, die Disease-Management-Programme, ein
schnellerer Zugang zu Ärzten; all das ist ganz wichtig.
Im Rahmen des Präventionsgesetzes gibt es jetzt die
Möglichkeit, Langzeitarbeitslosen entsprechende Ange-
bote zu machen. Es gibt mehr Geld für Prävention in den
Lebenswelten. Es gibt auch mehr Geld für Projekte ge-
rade für junge Leute. Aber auch für ältere Menschen gibt
es verstärkt Präventionsempfehlungen der Ärzte und
mehr Selbsthilfeförderung. Insgesamt gibt es mehr Mög-
lichkeiten für Interventionen und auch mehr Möglichkei-
ten, zu erkennen, zu handeln und zu vernetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811518900

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Tino Sorge, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1811519000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Maler
Vincent van Gogh, der ehemalige Fußballnationaltor-
wart Robert Enke, der Gentleman-Playboy und spätere
Kunstsammler Gunter Sachs, der Schauspieler Robin
Williams, der Sänger der Band Nirwana, Kurt Cobain –
diese Menschen hatten vermutlich nicht viele Gemein-
samkeiten; aber eines verbindet sie, nämlich dass sie ih-
rem Leben selbst ein Ende gesetzt haben. In ihrer Ver-
zweiflung war der Tod offenbar der einzige Ausweg, die
einzige Erlösung, um ihrem Leid zu entgehen.

Genauso vielfältig wie die persönlichen Gründe, wa-
rum sich Menschen das Leben nehmen, ist die Art und
Weise, wie dieser Entschluss letztendlich umgesetzt
wird. Deshalb, Frau Klein-Schmeink, finde ich es ein
bisschen enttäuschend, dass Sie in Ihrem Antrag den
Eindruck erwecken, als gäbe es punktuelle Maßnahmen,
um Suizide generell zu vermeiden.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sollten Sie ihn mal lesen!)


– Ich habe ihn sehr genau gelesen. Sie haben im Grunde
gemacht, was Sie häufig in Ihren Anträgen machen: Es
gibt ein buntes Potpourri von Forderungen aus allen
möglichen Bereichen. Das reicht von Menschen mit Mi-
grationshintergrund über Mitarbeiter im Strafvollzug bis
hin zu bauordnungsrechtlichen Vorgaben; es ist alles
drin. Immer soll es mehr geben; aber es werden keine
konkreten Lösungsvorschläge genannt.

Wir sind uns alle einig, dass wir Menschen in Krisen,
die suizidale Gedanken haben und sich umbringen
möchten, weil sie – aus welchen Gründen auch immer –
ihr Leben nicht mehr lebenswert finden, helfen und ih-





Tino Sorge


(A) (C)



(D)(B)

nen Angebote machen müssen, um zu verhindern, dass
es dazu kommt. Dazu gehört auch, dass wir die Thema-
tik in der Öffentlichkeit konkret behandeln und das
Thema enttabuisieren – denn leider ist es ein Tabuthema –,
indem wir darüber sprechen. Insofern ist es gut, dass wir
heute eine Debatte zu diesem Thema führen. Aber ich
finde es schade, dass Sie suggerieren, die Bundesregie-
rung und wir als Politiker würden überhaupt nichts ma-
chen.

Es ist die Aufgabe der Bundeszentrale für gesundheit-
liche Aufklärung, Gesundheitsförderung und Prävention
auf Bundesebene zusammen mit allen Trägern, den Län-
dern, den Kommunen, den Sozialversicherungsträgern
und den freien Trägern, zu organisieren. Das gibt es be-
reits. Ich gebe Ihnen völlig recht, Frau Wöllert, dass Prä-
vention und Gesundheitsförderung viel stärker ins ge-
sellschaftliche Bewusstsein rücken müssen. Darin sind
wir uns alle einig. Hier gehen wir in dieselbe Richtung.
Ich hatte selbst vor einiger Zeit in meinem Wahlkreis die
Möglichkeit, einen Einblick in die gute Arbeit der Bun-
deszentrale zu bekommen. Ich habe damals mit Marlene
Mortler die Jugendfilmtage eröffnet. In diesem Rahmen
ging es um Drogen-, Alkohol- und Nikotinmissbrauch.
Das zeigt, dass wir in der Politik auf einem guten Weg
sind.

Das Nationale Suizidpräventionsprogramm, mit dem
die Suizidprävention unterstützt wird, ist bereits ange-
sprochen worden. Das Bundesgesundheitsministerium
ist, wie Sie wissen, seit der Einführung 2002 fachlich
und finanziell eng damit vernetzt.

Die Wichtigkeit des Themas zeigt sich auch an den
vielen Projekten, die in diesem Bereich durchgeführt
werden und die – das muss auch einmal gesagt werden –
zu einer deutlichen Reduzierung der Suizidzahlen ge-
führt haben. Aber das alles verschweigen Sie in Ihrem
Antrag. Darin findet sich kein einziges Wort dazu.

Konkret an die Fraktion der Grünen gerichtet möchte
ich noch eines sagen: Ich finde es ein bisschen zynisch,
wenn Sie in Ihrem Antrag alle möglichen Punkte auffüh-
ren, aber kein einziges Wort darüber verlieren, dass Sie
tagtäglich der Legalisierung von Drogen, nämlich von
Cannabis, das Wort reden.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach du liebe Zeit!)


Dazu habe ich in Ihrem Antrag nichts gefunden. Aber
bevor Sie jetzt wieder sagen, dass es keinen Zusammen-
hang, keine Korrelation mit unserem Thema gibt, sollten
Sie sich mit den wissenschaftlichen Studien befassen. Es
gibt eine tolle Studie – „toll“ in Anführungszeichen –,
die ESPAD-Studie. Für das European School Survey
Project on Alcohol and Other Drugs wurden 45 000 Ju-
gendliche befragt. Die Studie hat gezeigt, dass es durch
den Konsum von Cannabis eine signifikante Erhöhung
des Suizidrisikos gegeben hat.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann suchen Sie mal die Studien zu Suizid und Alkoholismus heraus! Die sind natürlich noch sehr viel deutlicher!)

Weil Sie jetzt vielleicht sagen, dass das nichts mitei-
nander zu tun hat, habe ich noch eine Studie herausge-
sucht. Ein neuseeländisches und australisches For-
schungsteam hat über 30 Jahre 1 265 Menschen, die im
neuseeländischen Christchurch geboren wurden, wieder-
holt untersucht und mit ihnen geredet. Dabei ging es aus-
schließlich um den Konsum von Cannabis. Ich will nicht
weiter darauf eingehen; aber als Fazit ist festgestellt
worden, dass häufiger Cannabiskonsum die Wahrschein-
lichkeit von Suizidgedanken und auch das Suizidrisiko
erhöht. Auch das sollten Sie in Ihre Anträge mit aufneh-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811519100

Herr Kollege Sorge, da Sie gerade eine Redepause

machen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Scharfenberg?


Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1811519200

Ja, natürlich. Sehr gerne.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811519300

Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Kollege Sorge, danke, dass Sie die
Zwischenfrage zulassen. – Ich bin, ehrlich gesagt, fast ein
bisschen bestürzt über Ihre Ausführungen; denn es geht
um belegte Zahlen. Wir sprechen nicht über fiktive Zah-
len. Es gibt hier 100 000 Suizidversuche und 10 000 voll-
endete Suizide pro Jahr. Wir machen in unserem Antrag
Vorschläge, wie man dem vorgreifen und Menschen un-
terstützen kann, damit es gar nicht erst zu den Versuchen
kommt. Ich finde es fast ein bisschen armselig, dass Sie
uns aufzählen, was es alles gibt. Das, was es gibt, verhin-
dert derzeit nicht 100 000 Versuche und 10 000 vollendete
Suizide.

Ich kann Ihnen nur empfehlen, mit dem Verein AGUS
– Angehörige um Suizid – Kontakt aufzunehmen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Telefonseelsorge!)


Besuchen Sie einmal die Jahrestagung, und hören Sie
sich das Leid der Angehörigen und die Lebensgeschich-
ten an, die dahinterstecken. Danach sollten Sie noch ein-
mal über ein solches Programm nachdenken oder da-
rüber, was Sie hier von sich gegeben haben. Ich finde
das, wie gesagt, ein bisschen armselig und bitte Sie,
doch etwas konstruktiver an das Thema heranzugehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1811519400

Liebe Frau Kollegen Scharfenberg, wenn Sie mir ge-

nau zugehört hätten, hätten Sie gemerkt, dass ich das gar
nicht in Abrede gestellt habe. Ich habe vielmehr gesagt,
dass die Zahlen stimmen. Darüber sind wir nicht uneins;





Tino Sorge


(A) (C)



(D)(B)

da gibt es gar keinen Dissens. Ich habe lediglich gesagt,
dass Sie in Ihren Anträgen die Thematik gegebenenfalls
ein bisschen ganzheitlicher betrachten sollten.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war sehr ganzheitlich!)


Ich kann Ihnen konkrete Beispiele nennen. Beispiels-
weise fordern Sie in Ihrem Antrag die Bundesregierung
auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Schwer-
punkt auf eine Gesundheitsförderung in den Alltagswel-
ten legt. Wir haben doch über das Präventionsgesetz dis-
kutiert. Im Grunde haben wir genau das gemacht, was
Sie fordern. Das Präventionsgesetz unterstützt Präven-
tionsarbeit in den Lebenswelten. Sie haben konstruktiv
mitdiskutiert. Nun stellen Sie sich aber hierhin und tun
so, als wäre in diesem Bereich nichts passiert. Wie Sie
wissen, geben wir in diesem Bereich 500 Millionen Euro
mehr aus. 500 Millionen Euro! Das ist kein Pappenstiel.

Da Sie sagen, Eigenlob stinkt, habe ich ein Zitat der
Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Suizidprä-
vention, Frau Professor Barbara Schneider, herausge-
sucht. Sie hat in einem Schreiben an Bundesminister
Gröhe das Präventionsgesetz ausdrücklich gelobt. Ich zi-
tiere:

Das Präventionsgesetz für Deutschland stimmt
ganz besonders mit seinem fundamentalen An-
spruch, die Prävention in der Breite der Gesell-
schaft zu etablieren, mit dem Anliegen und den
jahrzehntelangen Bestrebungen der Suizidpräven-
tion durch die Deutsche Gesellschaft für Suizidprä-
vention überein.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811519500

Herr Kollege Sorge, gestatten Sie noch eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Schulz-Asche?


Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1811519600

Selbstverständlich.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Was ist denn nur los?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811519700

Er macht sie alle sehr aufgeregt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin überhaupt nicht aufgeregt. – Da Sie gerade das
Präventionsgesetz, das das Haus vor zwei Wochen ver-
abschiedet hat, erwähnt haben, möchte ich Sie fragen, ob
es nicht ein berechtigtes Anliegen ist, wenn ein neues
Gesetz verabschiedet werden soll, in einem Antrag da-
rauf zu drängen, dass beachtet wird, dass die Suizidprä-
vention eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, und
dieser Aspekt besonders berücksichtigt wird. Es ist kein
Beispiel für das Versagen eines Antrags, sondern ein
Zeichen dafür, wie ganzheitlich unser Antrag ist, wenn
gefordert wird, auch solche Aspekte aufzugreifen und in
neuen Gesetzen positiv zu berücksichtigen. Deswegen
lautet meine Frage: Stimmen Sie mir zu, dass es notwen-
dig ist, das Präventionsgesetz gesamtgesellschaftlich mit
Inhalt zu füllen, und zwar auch im Bereich der Suizid-
prävention?


Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1811519800

Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass es schon ein

Erfolg ist, dass wir das Präventionsgesetz verabschiedet
haben. Ich finde es aber schade, dass Sie damals die
Chance nicht genutzt haben, dem Gesetz, das wir erst
vor kurzem beschlossen haben, zuzustimmen. Gerade
bei Ihrem Ansatz hätte ich mir gewünscht, dass Sie ge-
sagt hätten: Es ist super, dass wir ein Präventionsgesetz
machen; das unterstützen wir als Grüne. – Aber Sie sa-
gen einfach: Nein, das gefällt uns nicht. Der eine Punkt
ist nicht richtig. An anderer Stelle könnte mehr getan
werden. Also stimmen wir gar nicht zu. – Das finde ich
nicht gut. Wenn selbst Experten wie Frau Schneider, die
ich eben zitiert habe, sagen, dass in diesem Bereich viel
passiert ist, dann können Sie doch nicht so tun, als wäre
überhaupt nichts geschehen. Es gehört zur Fairness dazu,
dass Sie zugeben, dass wir durchaus etwas getan haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich fahre mit meinen Ausführungen zu Ihrem Antrag
fort. Ich habe ihn mir genau durchgelesen. Es ist interes-
sant, zu sehen, wie Sie bestimmte Sachverhalte auf sehr
unterschiedliche Weise begründen. So sagen Sie zum
Beispiel, im Bereich der Heil- und Gesundheitsberufe
müsse mehr getan werden, wohl wissend, dass wir uns
mitten in der Diskussion darüber befinden und eine Re-
form des Medizinstudiums vornehmen wollen. Die
Bund-Länder-Verhandlungen laufen.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch widersprüchlich, was Sie erzählen! Sie haben doch gerade Ganzheitlichkeit gefordert, und jetzt werfen Sie uns vor, dass es ganzheitlich ist!)


– Ja, genau das ist der Punkt. Aber es ist schade, dass Sie
laufende Verhandlungen ignorieren und parlamentari-
sche Verfahren offensichtlich nicht zur Kenntnis neh-
men.

Sie haben die Palliativversorgung angesprochen. Das
ständige Wiederholen der Aussage, dass bereits laufende
Maßnahmen umgesetzt werden müssten, bringt uns nicht
weiter, sondern hält uns nur auf.

Ganz besonders interessant finde ich Ihre Forderung
nach Änderung der baurechtlichen Vorgaben. Sie fordern
die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass die
Bundesländer ihre baurechtlichen Vorgaben dahin ge-
hend überprüfen, inwieweit baurechtliche Regelungen
zur Suizidprävention berücksichtigt werden können. Als
Jurist finde ich das sehr interessant. Da das Baurecht in
die Kompetenz der Länder fällt, habe ich mir das Bau-
ordnungsrecht der jeweiligen Bundesländer angeschaut,
insbesondere der Bundesländer, in denen Sie als Grüne
mitregieren, zum Beispiel das Baurecht von Baden-
Württemberg, wo Sie als Grüne den Ministerpräsidenten
stellen. Trotz intensiver Suche habe ich keine entspre-
chende Regelung gefunden. Das gilt auch für NRW, Nie-





Tino Sorge


(A) (C)



(D)(B)

dersachsen, Rheinland-Pfalz und Bremen. Ich habe
nichts gefunden. Wenn Sie so etwas wollen, dann kön-
nen Sie das in den Bundesländern, in denen Sie regieren,
schnell umsetzen. Aber dort machen Sie nichts. Stattdes-
sen stellen Sie sich hier hin und werfen uns vor, nichts zu
machen, und fordern uns auf, entsprechende Maßnah-
men umzusetzen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht gerade darum, die verschiedenen Ebenen zusammenzuführen!)


Lassen Sie uns konstruktiv darüber sprechen. Wir ha-
ben Ihren Antrag zur Kenntnis genommen. Wir werden
darüber diskutieren. Aber seien Sie auch konstruktiv,
und loben Sie uns einmal, wenn wir etwas umsetzen.
Das tut nicht weh.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einfach, Sie wollen keine Suizidprävention!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811519900

Herzlichen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dirk Heidenblut (SPD):
Rede ID: ID1811520000

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte erst
einmal – und das ganz ehrlich – Danke für den Antrag
sagen. Danke auch dafür, dass wir gerade heute darüber
sprechen können; denn im Grunde genommen greifen
Sie sozusagen den dritten Aspekt eines Themenfeldes
auf. Wir haben mit diesem Themenfeld nicht heute be-
gonnen; denn das Hospiz- und Palliativgesetz, wenn ich
das einmal als ersten Aspekt bezeichnen darf – das will
ich aber gar nicht werten –, haben wir schon vorher in
die Diskussion eingebracht. Heute Morgen ist ganz häu-
fig angesprochen worden, dass wir gerade bei der Frage
der Suizidprävention noch einmal hinschauen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Insofern danke ich durchaus dafür. Vor diesem Hinter-
grund kann ich Ihnen sicher sagen: Wir werden das kon-
struktiv diskutieren.

Etwas anders als der Kollege Sorge bin ich auch
dankbar, dass Sie die Vorhaben der Bundesregierung
– ich bleibe bei dem Bereich der Psychiatrie; sehen Sie
mir das bitte nach – aufgegriffen haben und Sie mir inso-
fern die Gelegenheit geben, das, was im Zusammenhang
mit dem Versorgungsstärkungsgesetz schon passiert ist
und was sich fast wortgleich zumindest in Teilen in Ihrer
Begründung wiederfindet, aufzugreifen. Es ist nämlich
genau das, was wir machen wollen und tatsächlich tun
und was im Hinblick auf Suizidprävention wirken wird.
Ich gebe Ihnen völlig recht – das haben wir sogar
schon im Koalitionsvertrag festgestellt –: Lange Warte-
zeiten im Bereich der Psychotherapie von drei, vier oder
mehr Monaten – damit ist nicht nur derjenige, der Sui-
zidgedanken hat, gemeint, sondern es geht schon um den
Erstaufschlag von Patienten in entsprechenden Einrich-
tungen – können natürlich nicht sein. Aber wir haben mit
dem Versorgungsstärkungsgesetz die Bedarfsplanung,
wie Sie sie in der Begründung vorsehen, zur Überarbei-
tung in Auftrag gegeben, und zwar kleinräumig, sodass
genau in den Regionen, in denen wir Probleme haben
– wir haben nicht in allen Regionen Probleme, es gibt
auch anders aufgestellte Regionen –, der Zugang besser
möglich wird, weil wir dort über mehr Angebote der
Psychotherapie verfügen.


(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt fehlt noch die ortsnahe Versorgung!)


Ich bin froh, dass unsere Anträge schon zum 10. Juni
vorlagen, als Ihr Antrag gestellt wurde. Wir haben auch
die Sprechstunde schon vorgesehen, die Sie in Ihrem
Antrag ansprechen; denn auch das ist bereits Teil der
Vorgaben, die wir zur Überarbeitung der Psychothera-
pie-Richtlinie machen, weil eine Akutsprechstunde, eine
Sprechstunde, in die man sofort gehen kann, natürlich
ganz wichtig ist. Ich bin mir ganz sicher, dass das alles
Maßnahmen sind, die im Bereich der Suizidprävention
wirken werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An denen müssen wir weiterarbeiten, wenn die Ergeb-
nisse vorliegen. Aber das muss jetzt erarbeitet werden.

Ich will aber nicht verhehlen, dass in Ihrem Antrag
eine Reihe von Punkten ist – auch da bleibe ich bei der
Psychiatrie –, die ich als eine sehr interessante Ergän-
zung empfinde. Ich will als einen Aspekt den Bereich
der aufsuchenden Psychotherapie ansprechen, den Sie
gerade für die Seniorinnen und Senioren vorsehen. Das
halte ich durchaus für eine Frage, über die man ganz si-
cher diskutieren muss.


(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dass wir bei der Frage der Vernetzung ganz sicher
– da sind wir wieder an dem Punkt, an dem wir uns fra-
gen, um wen es sich eigentlich handelt – noch dringen-
den Nachholbedarf haben – Stichwort Gemeindepsychi-
atrie –, haben wir schon bei der Diskussion über PEPP
angesprochen.


(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben auch schon den Punkt Depression aufge-
griffen. Ich verweise auf das strukturierte Behandlungs-
programm. Ich glaube, das gab es noch nie, dass sich so
etwas in einem Koalitionsvertrag wiedergefunden hat
und dann auch gleich in ein Gesetz gegossen worden ist.
Wir haben uns also auch mit dem Bereich Depression
befasst, und das ist ganz sicher ein Bereich, auf den wir
noch einmal genauer schauen müssen.





Dirk Heidenblut


(A) (C)



(D)(B)

Wir werden darüber diskutieren, wir werden auch
über das, was Sie angesprochen haben, diskutieren. Wir
werden uns mit der Sache ausführlich beschäftigen. Bei
aller Diskussion, die wir hier hatten: Die Verhinderung
von Suizidversuchen und damit letztendlich die Verhin-
derung von Suiziden, das Schaffen von Möglichkeiten,
damit sich Menschen bei uns, wenn sie solche Gedanken
haben, schnell und unproblematisch Hilfe beschaffen
können, ist ein ganz zentraler Punkt. Ich glaube, wir soll-
ten da weiter am Ball bleiben. Ich freue mich auf die
weiteren Diskussionen und bedanke mich für die Auf-
merksamkeit.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811520100

Das Wort hat jetzt Rudolf Henke, CDU/CSU-Frak-

tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1811520200

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man sieht an der Dis-
kussion, wie unterschiedlich der gleiche Text ausgelegt
und interpretiert werden kann. Aber nachdem wir heute
Morgen zu dieser Thematik, wenn auch mit unterschied-
lichen Positionierungen, vier fraktionsübergreifende Ini-
tiativen diskutiert haben, fragt man sich natürlich ein
ganz klein bisschen – ich finde, das ist nicht total illegi-
tim –: Woran liegt es, dass sich eine Fraktion am Nach-
mittag, statt eine fraktionsübergreifende Initiative zu ent-
wickeln, auf die Fahnen schreiben will: „Wir sind
diejenigen, die die Suizidprävention verbessern und
Menschen in Krisen unterstützen wollen, und die ande-
ren fertigen wir damit ab – jedenfalls wenn sie uns ein
bisschen kritisch begegnen –, sie hätten daran kein Inte-
resse“?


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das konnten Sie meiner Rede nicht entnehmen!)


– Doch, verehrte Frau Klein-Schmeink. – Diese Frage
muss auch zu Zeiten eines Münsteraner Oberbürger-
meisterwahlkampfes gestattet sein. Ich bitte sehr um
Verständnis dafür, dass das in meiner Wahrnehmung
nicht komplett zum heutigen Vormittag passt.

Aber sei es, wie es sei. Ich finde, eine zweite Bemer-
kung ist viel wichtiger. Wir fangen nicht beim Punkt null
an. Ich will daran erinnern, dass wir Anfang der 1980er-
Jahre fast 19 000 erfolgreiche Suizide im Jahr in
Deutschland hatten. Wir hatten Anfang der 1990er-Jahre
round about 14 000 erfolgreiche Suizide im Jahr in
Deutschland. Wir hatten Anfang des neuen Jahrtausends,
also Anfang der 2000er-Jahre, rund 11 000 Suizide im
Jahr in Deutschland, und in diesem Jahrzehnt pendelt
diese Zahl um die 10 000. Es ist also nicht so, als wäre
da nichts geschehen, als wäre niemand da gewesen, der
versucht hätte, die Hand zu reichen und die Selbsttötung
einzudämmen. Es ist auch ein Erfolg, dass das Durch-
schnittsalter, in dem Selbsttötungen eintreten, von 53,2
Jahren 1998 inzwischen auf 56,9 Jahre gestiegen ist. Ich
finde, das muss man auch deswegen sagen, weil sonst
der Eindruck vermittelt wird, als würden all die Men-
schen, die sich in der Hilfe engagieren, praktisch frucht-
los und erfolglos arbeiten, und das ist nicht der Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dennoch gilt: Jeder Suizidversuch ist einer zu viel,
und insbesondere ist jeder erfolgreiche Suizid einer zu
viel. Wenn man dem begegnen will, muss man sich ein
bisschen mit der Frage auseinandersetzen: Wo ist das
Ganze denn insbesondere eine Herausforderung? Wenn
man die Daten analysiert, zeigt sich, dass insbesondere
der Suizid im hohen Alter in einer Einsamkeitssituation
und in einer Situation psychischer Krankheit der Suizid
ist, der besonders häufig Ansatzpunkte für Hilfe auf-
weist. Es ist so, dass der häufigste Ort des Suizids nicht
die Brücke ist, nicht das Gleis ist, sondern die häusliche
Umgebung. Die häufigste Art und Weise des Suizids ist,
sich zu erhängen. Das gilt insbesondere für die alten
Männer.

Insofern muss man an diesem Punkt die Frage stellen,
ob die Art, wie wir über Alter reden – das schlägt auch
die Brücke zur Debatte heute Morgen –, wie wir mit der
Bedeutung eines Menschen, der in die Jahre kommt, um-
gehen, nicht mit einer gesellschaftlichen Aufgabe ein-
hergeht, die Rollen ganz anders zu interpretieren. Ich
glaube, dass wir an dieser Stelle individuell erreichen
müssen, dass die Not, die einer hat, erkannt wird und
dass Entlastung geschaffen wird; das ist Ziel und Auf-
gabe von Suizidprävention. Es ist aber auch Aufgabe
von Suizidprävention, über das hohe Lebensalter anders
zu sprechen und Menschen das Gefühl zu nehmen, sie
seien nutzlos, nicht gebraucht und von niemandem mehr
angesehen.

Ich glaube, an dieser Stelle gibt es auch eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe, die wir in den gesamten De-
batten über den demografischen Wandel auch themati-
sieren;


(Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU])


aber wir sind noch nicht so weit vorgedrungen, wie wir
es tun müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So wie wir über junge Menschen wissen, dass ihre
psychische Gesundheit durch Resilienz stabiler wird und
dass wir eine Resilienzförderung als einen Teil der Ge-
sundheitsförderung betreiben müssen, so gilt, glaube ich,
auch, den älteren Menschen widerstandsfähiger gegen
die Krisen zu machen, die ihn im Leben treffen. Machen
wir uns nichts vor: Das Leben ist kein Ort, keine Situa-
tion, in der die Politik den Menschen versprechen kann:
Ihr seid von allen Lebenskrisen verschont. Freunde ster-
ben. Ehepartner sterben. Lebensentwürfe gehen zu
Bruch. Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Men-
schen verlieren ihre Gesundheit. Menschen verlieren
ihre Wohnung. Menschen verlieren jeden, der sie an-
sieht, jedes Ansehen. Auf den Mitmenschen in einer sol-





Rudolf Henke


(A) (C)



(D)(B)

chen Situation zuzugehen, das ist eine Aufgabe, die wir
nicht hier im Bundestag werden lösen können; die wer-
den wir nur dadurch lösen können, dass wir davon spre-
chen, dass jeder einen braucht, der bereit ist, ihm zu be-
gegnen. Das ist, glaube ich, die Botschaft, die man
formulieren muss.

Wenn es dann gelingt, diejenigen, die in den Hilfesys-
temen tätig sind, dadurch zu stärken, dass man besser
untersucht, besser erforscht, welche Formen von Sui-
zidalität im Einzelnen unter welchen Bedingungen am
besten verhütet werden können, dann hat man auch der
Prävention, glaube ich, sehr aufgeholfen. Das sollten wir
möglichst gemeinsam entwickeln. Dazu bedarf es ei-
gentlich keiner profilierenden Anträge. Aber der Antrag
ist jetzt da. Gut, dass er da ist. Nehmen wir ihn zum An-
lass, ihn dann im Ausschuss zu diskutieren! Dann wer-
den wir sehen, ob wir zu einer gemeinsamen Beschluss-
fassung gelangen oder nicht.

Ich bedanke mich für das Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811520300

Vielen Dank. – Wir sind damit am Schluss der De-

batte angelangt.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5104 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuordnung des Rechts über das In-
verkehrbringen, die Rücknahme und die
umweltverträgliche Entsorgung von Elektro-
und Elektronikgeräten

Drucksache 18/4901

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-
aktorsicherheit (16. Ausschuss)


Drucksache 18/5412

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundes-
ministerin Dr. Barbara Hendricks.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ressourcenschutz und ein sparsamer Umgang mit Res-
sourcen sind in einer Welt mit über 7 Milliarden Men-
schen, mit wachsendem Konsum und wachsendem
Wohlstand unerlässlich. Wir müssen die Ressourcen ver-
antwortungsvoll nutzen, und das gelingt am besten, in-
dem sie nicht einfach verbraucht und entsorgt, sondern
indem sie zurückgewonnen und wieder genutzt werden.
Die gewaltigen Mengen von Elektro- und Elektronik-
altgeräten sollen deshalb nicht unsere Müllberge vergrö-
ßern, sondern gerade unter Ressourcenschutzaspekten
genutzt werden.

Es geht dabei vor allem um die Rückgewinnung von
umweltrelevanten Metallen aus diesen Geräten. Deshalb
haben wir eine Novelle des Elektro- und Elektronikgerä-
tegesetzes vorgelegt. Ziel des Gesetzes ist es, die Effi-
zienz der bestehenden Erfassungs- und Entsorgungs-
strukturen weiter zu steigern, um einen größeren Anteil
wertvoller Metalle aus den Altgeräten zurückzugewin-
nen, den illegalen Export von Altgeräten ins Ausland zu
unterbinden oder mindestens zu minimieren und um so
dann die schädlichen Auswirkungen der Entsorgung von
Elektro- und Elektronikaltgeräten insgesamt weiter zu
verringern.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben in Deutschland bei der Rücknahme und
Entsorgung von Elektro- und Elektronikaltgeräten eine
geteilte Produktverantwortung. Diese geteilte Verant-
wortung ist ein Erfolgsmodell und soll mit dem Gesetz
weiterentwickelt werden, um den Vorgaben der EU mit
Blick auf die Sammlung und das Recycling zu entspre-
chen und um die Ressourceneffizienz unserer Wirtschaft
insgesamt zu verbessern.

Wir wollen erreichen, dass weniger Altgeräte im
Restmüll landen. Dabei sind vor allem die Bürgerinnen
und Bürger gefragt. Es ist allerdings unsere Aufgabe, für
Rahmenbedingungen zu sorgen, die den Verbraucherin-
nen und Verbrauchern eine einfache und unkomplizierte
Rückgabe von Altgeräten ermöglichen. Dafür wird ein
dichtes Netz an Sammelstellen gebraucht. Das bringt
den Handel mit seiner räumlichen Nähe zu den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern ins Blickfeld.

Der Gesetzentwurf sieht daher eine Rücknahme-
pflicht für Elektro- und Elektronikaltgeräte durch große
Handelsgeschäfte und durch Internetvertreiber unter be-
stimmten Bedingungen vor. Wenn es uns gelingt, durch
ein einfacheres Rücknahmesystem größere Mengen an
Elektro- und Elektronikaltgeräten in die ordnungsge-
mäße Entsorgung zu bekommen, dann ist das auch ein
entscheidender Beitrag, um die illegale Verbringung von
Altgeräten ins Ausland, insbesondere auf den afrika-
nischen Kontinent, einzudämmen. Dieses Ziel wird
entsprechend den europäischen Vorgaben auch dadurch
umgesetzt, dass wir Mindestanforderungen an die Ver-
bringung festlegen und die Beweislast umkehren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor dem Hinter-
grund der Diskussionen in den vergangenen Wochen
möchte ich gerne noch auf zwei Punkte eingehen.

Der Gesetzentwurf fällt mit Blick auf die Vorberei-
tung zur Wiederverwendung nicht hinter den Status quo
zurück. Es wird zukünftig möglich sein, Elektro- und





Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks


(A) (C)



(D)(B)

Elektronikaltgeräte bereits vor dem Transport auf die
Möglichkeit zur Vorbereitung der Wiederverwendung zu
prüfen und damit möglichen weiteren Beschädigungen
vorzubeugen. Die Möglichkeit der Wiederverwendung
steht auch hinter den Regelungen zur Entnahme von Bat-
terien und Akkumulatoren, die nicht vom Altgerät um-
schlossen sind.

Bei allem Verständnis für weitergehende Forderungen
zur Entnehmbarkeit von Batterien und Akkumulatoren:
Solche weitergehenden Anforderungen können aus bin-
nenmarktrechtlichen Gründen nicht getroffen werden.
Diese sind auf EU-Ebene in der Ökodesign-Richtlinie
festzulegen. Das sieht auch die WEEE-Richtlinie aus-
drücklich vor. Hier sollten wir alle gemeinsam Anstren-
gungen unternehmen, um entsprechende Diskussionen
auf der EU-Ebene noch mehr als bisher anzustoßen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Materie ist na-
türlich vielschichtig. In einzelnen Bereichen bestehen
auch hier Zielkonflikte. Das hat nicht zuletzt die öffentli-
che Anhörung im Umweltausschuss des Deutschen Bun-
destages am 17. Juni ergeben. Die Bundesregierung hat
in ihrem Entwurf die vielen Vorschläge abgewogen und,
wie ich meine, einen ausgewogenen Kompromiss vorge-
legt.

Durch die Maßgabebeschlüsse des Umweltausschus-
ses wird zudem sichergestellt, dass weitere wichtige
Punkte im Gesetz adressiert werden können. Das gilt
zum Beispiel für die Berücksichtigung gefahrgutrechtli-
cher Anforderungen oder auch für Anforderungen an
den Schutz personenbezogener Daten bei der Vorberei-
tung zur Wiederverwendung von Altgeräten. Gerade
auch hinsichtlich dieser Ergänzungen möchte ich mich
für die konstruktive Befassung in den Ausschüssen be-
danken. Ich bitte um Ihre Zustimmung zum Gesetzent-
wurf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811520400

Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat Herr

Kollege Ralph Lenkert das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811520500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-

legen! Liebe Koalitionäre, echt Wahnsinn, fast zwei
Jahre haben Sie am neuen Gesetz für Elektroaltgeräte
herumgemurkst.


(Zuruf von der SPD: Gemurkst?)


Das ist, wie treffend, Schrott.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie schwadronieren über die Produktverantwortung der
Hersteller und benachteiligen eiskalt die Kommunen.
Nun müssen die Kommunen auf Wertstoffhöfen Altge-
räte annehmen und in getrennten Behältern sortieren, ei-
nen für Fernseher und Radios, einen für Waschmaschi-
nen und Geschirrspüler, einen für Kühlschränke, einen
für Handys und Wasserkocher, einen für Photovoltaik-
module. Und das alles sollen die kommunalen Abfallbe-
triebe für die privaten Entsorger erledigen – kostenlos.
Warum lassen Sie die Bürgerinnen und Bürger über die
Müllgebühren diese Kosten tragen und nicht die Pro-
duktverantwortlichen, die Privaten?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit alten Elektrogeräten wird bei den derzeitigen
Rohstoffpreisen viel Geld verdient. Die Linke will, dass
dieses Geld dann auch den öffentlichen Abfallbetrieben
zufällt; denn damit könnten Müllgebühren sinken.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich wundere mich sehr, dass Sie von SPD und Union ge-
gen niedrigere Müllgebühren sind und die Gewinne lie-
ber privaten Konzernen zuschanzen. Obwohl: eigentlich
typisch für Sie!


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Schauen wir doch einmal, ob diese Gesetzesänderung
wenigstens der Umwelt hilft. Klares Nein! Nichts findet
sich zur längeren garantierten Nutzungszeit von Geräten,
wie es die Linken und die Grünen fordern, beispiels-
weise für Waschmaschinen, die mindestens fünf Jahre
halten, für Drucker, die auch nach 10 000 Blatt noch dru-
cken. Das wäre toll für die Umwelt, gut für unser aller
Geldbeutel, aber eben schlecht für die Umsätze der Kon-
zerne. Deshalb hat die Koalition diese garantierten Nut-
zungszeiten verhindert. Das ist wiederum typisch für
Sie.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja! Das ist traurig!)


Sie von Union und SPD setzen noch einen drauf. Ich
zitiere aus dem Gesetz den Abschnitt zu den Erfassungs-
quoten:

… soll jährlich eine Mindesterfassungsquote von
45 Prozent gemessen an dem Gesamtgewicht der
erfassten Altgeräte im Verhältnis zum Durch-
schnittsgewicht der Elektro- und Elektronikgeräte,
die in den drei Vorjahren in den Verkehr gebracht
wurden, erreicht werden.

Haben Sie es verstanden? Beispielhaft bedeutet dies
für meine Heimatstadt Jena: Wenn im Jahr 2015 2 200
Waschmaschinen verkauft werden, im Jahr 2016 dann
2 400 und 2017 wieder 2 200, dann müssten nach die-
sem Gesetz in Jena im Jahr 2018 insgesamt 2 970
Waschmaschinen entsorgt werden. Laufen die Wasch-
maschinen jedoch länger als zwei Jahre, gibt es für die
Stadt und auch für die Hersteller keine Chance, das Ge-
setz einzuhalten. Die armen Hersteller müssen also Ge-
räte bauen, die schnell entsorgt werden, sonst verfehlen
sie die Quote. Diese Quotenregelung ist gut für die Um-
sätze, schlecht für die Umwelt, einfach Schwachsinn.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor allem aber darf es keine Doppel- und Mehrfach-
strukturen bei der Entsorgung von Elektroaltgeräten ge-
ben. Diese wären bürokratische, ineffiziente Monster
wie die dualen Systeme bei den Verpackungen. Die dua-





Ralph Lenkert


(A) (C)



(D)(B)

len Systeme brauchen rund 500 Millionen Euro pro Jahr
allein für ihre Bürokratie, aber sie setzen nur rund
400 Millionen Euro pro Jahr für das Sammeln und Ver-
werten der Verpackungen ein. Und dann schafft die
Koalition mit diesem Gesetz ein neues duales System-
monster im Elektrogerätebereich! Das ist knallharte
Lobbyarbeit für Konzerne, und da machen wir Linken
nicht mit.


(Beifall bei der LINKEN)


Entgegen Ihren häufigen Vermutungen hat die Linke
Lösungen für ein Elektroaltgerätegesetz, die ich hiermit
anbiete: Erstens. Die Verantwortung für Erfassung und
Verwertung von Elektroaltgeräten muss den öffentlich-
rechtlichen Entsorgern übertragen werden. Zweitens.
Die Hersteller müssen längere Nutzungszeiten für ihre
Geräte garantieren. Drittens. Die Inverkehrbringer von
Geräten müssen für das Sammeln und Entsorgen der Alt-
geräte eine Entsorgungsabgabe zahlen. Viertens. Statt
starrer Quoten führen wir eine Pfandpflicht für alle Elek-
trogeräte ein. Fünftens. Die Gewinne aus Wiederver-
wendung und Recycling werden zur Senkung der Müll-
gebühren verwendet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Union,
fragen Sie doch einmal Ihre Bürgermeisterinnen und
Landräte, ob sie gern die Müllgebühren senken würden.
Ich sage Ihnen voraus: Mit diesem Gesetz und den da-
durch hervorgerufenen Müllgebührensteigerungen wer-
den Sie wenig Verständnis bei Ihren Kolleginnen und
Kollegen im Lande erreichen. Das können Sie jetzt noch
ändern. Schließen Sie sich einfach unseren Vorschlägen
und dem Entschließungsantrag der Grünen an! Verab-
schieden wir gemeinsam ein besseres Elektroaltgeräte-
gesetz!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811520600

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Thomas

Gebhart, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Thomas Gebhart (CDU):
Rede ID: ID1811520700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Große Mengen von Elektro- und Elektronikge-
räten werden jedes Jahr in unserem Land verkauft – wir
reden hier über eine Größenordnung von rund 1,6 Mil-
lionen Tonnen –, und es stellt sich die Frage: Was ge-
schieht mit diesen alten Geräten, die nicht mehr ge-
braucht werden, die kaputt sind, nicht mehr repariert
werden? Diese werden heute zu einem guten Teil gesam-
melt und recycelt. Aber zur Wahrheit gehört eben auch:
Da ist noch viel Luft nach oben. Ein großer Teil dieser
Geräte landet nach wie vor in der Restmülltonne, und ein
Teil des Elektroschrotts verschwindet im Ausland. Dies
wollen wir ändern, und wir werden es ändern mit diesem
Gesetz, das heute zur Abstimmung vorliegt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was sind die Ziele unseres Gesetzes? Wir wollen,
dass möglichst viele alte Elektrogeräte zurückgegeben
werden. Wir wollen, dass möglichst viele davon recycelt
werden. Wir wollen, dass die Schadstoffe nicht in die
Umwelt gelangen. Wir wollen, dass wertvolle Rohstoffe
zurückgewonnen werden. Kupfer, Aluminium und
Kunststoffe – um nur ein paar Beispiele zu nennen –
müssen in den Kreislauf zurück. Das macht umweltpoli-
tisch Sinn. Das macht wirtschaftspolitisch Sinn, und
zwar gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutsch-
land.

Technologisch ist bereits heute eine ganze Menge
möglich. Die deutschen Unternehmen haben moderne
Recyclingtechnologien entwickelt. Ich selbst habe mir
vor kurzem eine solche Anlage angesehen. Es ist absolut
faszinierend, wenn man einmal sieht, wie alte Fernseh-
geräte, Toaster und vieles andere in Einzelteile zerlegt
werden und die Rohstoffe herausgeholt werden. Ich bin
mir sicher: Dieses Gesetz wird einen Schub geben zu
noch mehr technologischer Innovation. Wir werden die
deutsche Vorreiterrolle in diesem Bereich stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Unser Ziel ist es also, die Kreisläufe auch im Bereich
der Elektrogeräte besser zu schließen. Wir wollen dieses
Ziel in einer Art und Weise erreichen, die es dem Bürger
möglichst einfach macht. Wir wollen das Gesetz ver-
braucherfreundlich machen. Es ist in dieser Legislatur-
periode eines der wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben
im Bereich der Kreislaufwirtschaft. Wir setzen europäi-
sche Vorgaben um, und wir setzen unseren Koalitions-
vertrag um.

Was sieht dieses Gesetz ganz konkret vor? Ich will
drei aus unserer Sicht besonders wichtige Punkte nen-
nen:

Erster Kernpunkt, Rücknahmepflicht des Handels.
Wir wissen: Bereits heute nehmen viele Geschäfte
– kleine wie große – kundenfreundlich freiwillig alte
Geräte zurück. Künftig wird es eine Rücknahmepflicht
in großen Geschäften mit einer Verkaufsfläche von mehr
als 400 Quadratmetern geben. Kauft also jemand ein
neues Gerät, kann er im Gegenzug sein altes Gerät zu-
rückgeben. Kleine Altgeräte mit weniger als 25 Zenti-
metern Kantenlänge müssen auch dann zurückgenom-
men werden, wenn kein neues Gerät gekauft wird. Diese
Rücknahmepflicht gilt auch für Händler, die über das In-
ternet verkaufen. Dadurch vermeiden wir, dass Wettbe-
werbsnachteile für den stationären Handel entstehen.
Ausgenommen von dieser Rücknahmepflicht sind kleine
und mittelständische Geschäfte mit weniger als
400 Quadratmetern Verkaufsfläche. Diese wollen wir
nicht überfordern. Selbstverständlich können sie auch
weiterhin freiwillig zurücknehmen.

Ungeachtet der Rücknahmepflichten des Handels
bleiben die bewährten Erfassungs- und Entsorgungs-
strukturen bei den kommunalen Einrichtungen erhalten.
Sie werden verbessert. Der Bürger erhält also eine zu-
sätzliche Möglichkeit, seine Geräte zurückzugeben.





Dr. Thomas Gebhart


(A) (C)



(D)(B)

Zweiter Kernpunkt. Die Vorgaben, wie viel Prozent
der anfallenden Altgeräte erfasst werden müssen, wer-
den erhöht: zunächst auf 45 Prozent, später dann auf
65 Prozent. Neben dieser Erfassungsquote werden auch
die Recyclingquoten erhöht, das heißt, mehr Geräte wer-
den recycelt.

Dritter Kernpunkt. Wir dämmen illegale Exporte von
Elektroschrott ein. Bisher mussten die Behörden nach-
weisen, dass es sich um Elektroschrott handelt. Jetzt gibt
es eine Beweislastumkehr: Will jemand Elektrogeräte
ausführen, muss er künftig nachweisen, dass die Geräte
noch funktionieren, dass es sich also nicht um Abfälle
handelt.

Das, meine Damen und Herren, ist uns wichtig, weil
es nicht hinnehmbar ist, dass unsere ausgedienten Fern-
seher, Mikrowellengeräte und Teile von Kühlschränken
in großen Mengen auf den Müllhalden in Ghana oder in
anderen Ländern Afrikas landen. Es ist nicht hinnehm-
bar, dass unsere Abfälle dort erhebliche Probleme verur-
sachen, und zwar für Mensch und Umwelt. Das dürfen
wir nicht zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das sind drei Kernpunkte, die uns wichtig sind. Die
Grünen haben in einem Änderungsantrag gefordert, dass
Geräte so zu gestalten sind, dass Batterien ausgetauscht
werden können. Ich will ausdrücklich sagen: Diese Ziel-
richtung ist nicht falsch. Das Problem ist aber, dass wir
eine solche Regelung nur europäisch erlassen können.
Wir können es rein national nicht. Darüber gehen Sie in
Ihrem grünen Antrag einfach hinweg.

Die europäische Vorgabe, die wir umsetzen müssen,
sieht unter anderem vor, dass die Kategorien für Elektro-
geräte ab dem Jahr 2018 neu eingeteilt werden. Meine
Damen und Herren, das verursacht erheblichen bürokra-
tischen Aufwand ohne erkennbaren Nutzen. Ich kann
keinen Mehrwert dieser Regelung erkennen; das muss in
diesem Zusammenhang kritisch angesprochen werden.
Ich halte diese EU-Regelung für mehr als fragwürdig.
Wir haben dies kritisiert, und wir werden dies weiter the-
matisieren.

Wir haben im parlamentarischen Gesetzgebungsver-
fahren sehr gründlich über die verschiedenen Punkte de-
battiert. Wir haben eine Sachverständigenanhörung
durchgeführt. Wir haben gemeinsam mit dem Koali-
tionspartner wichtige Punkte durchgesetzt. Ich will nur
vier kurz ansprechen:

Erster Punkt. Die Anforderungen an die Erstbehand-
lung von Altgeräten – das ist mit Blick auf die Qualität
des Recyclings wichtig – werden nun festgeschrieben.

Zweiter Punkt. Die Kommunen werden bei den Mit-
teilungspflichten deutlich entlastet. Dies war Teil unse-
res Änderungsantrages und liegt damit heute ebenfalls
zur Abstimmung vor.

Dritter Punkt. Es wurde auch in der Anhörung mehr-
fach zu Recht darauf hingewiesen, dass Geräte mit be-
stimmten Batterien von anderen Geräten getrennt wer-
den müssen, die keine Batterien haben, und zwar wegen
der Brandrisiken. Daher ist nun vorgesehen, dass es für
diese Geräte eigene Behältnisse gibt.

Vierter Punkt, Stichwort: Mobiltelefone. Inzwischen
liegen in Deutschland mehr als 100 Millionen alte Han-
dys in den Schubladen. Die Frage ist: Warum geben die
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land die alten Geräte
nicht zurück? Ich vermute, dass das wesentlich damit zu-
sammenhängt, dass es schlicht und ergreifend die Sorge
gibt, dass die Daten auf den Handys in falsche Hände ge-
raten könnten. Also ist für uns die Konsequenz: Wenn
diese Geräte wiederverwendet werden können oder sol-
len, dann ist der Schutz personenbezogener Daten von
allergrößter Relevanz. Deshalb haben wir jetzt Anforde-
rungen an den Datenschutz verankert. Wir legen großen
Wert darauf, dass die Daten nicht in falsche Hände gera-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, kurzum: Dieses Gesetz
bringt uns im Hinblick auf unser Ziel, die Kreisläufe
besser zu schließen, Ressourcen zu schonen und Abfälle
verstärkt als Rohstoffquelle zu nutzen, effektiv weiter.
Deshalb bitte ich Sie heute um Ihre Zustimmung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811520800

Vielen Dank. – Als Nächster hat der Kollege Peter

Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811520900

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Wir sprechen heute über etwas, was
jeder von uns ständig mit sich herumschleppt: Elektro-
schrott, Handys, Fernseher, Kühlschränke, Laptops.


(Heiterkeit)


– Na gut, Kühlschränke schleppen wir nicht mit uns he-
rum, aber wir haben sie auch.


(Heiterkeit)


Warum reden wir heute darüber? Es gibt immer mehr
Elektronik um uns herum, immer mehr Müll. Wir haben
die Mengen gehört: 600 000 Tonnen allein in Deutsch-
land, weltweit schätzungsweise 40 Millionen Tonnen.
Kollege Gebhart hat es gerade angesprochen: Laut
BITKOM liegen 100 Millionen Althandys in unseren
Schubladen. Das heißt, wir haben es mit einem Problem
von ausreichender Relevanz zu tun.

Warum ist Recycling dabei so ein wichtiger Aspekt?
In Handys und all den anderen Geräten finden sich wert-
volle Metalle wie Gold oder Silber. In einer Tonne Elek-
troschrott findet sich beispielsweise sehr viel mehr Gold,
als man in einer entsprechenden Menge Erz finden
würde. Insofern ist es durchaus ein interessantes Thema.

Die Rohstoffe werden in der Regel nicht bei uns ab-
gebaut und gewonnen, sondern in China, Südamerika





Peter Meiwald


(A) (C)



(D)(B)

und Afrika, zum Teil mit verheerenden Umweltauswir-
kungen. Die Minenarbeiter leiden darunter, die sozialen
Kosten sind viel zu hoch. Es gibt Menschen, die sagen:
Mit den ersten Bäumen, die gefällt werden, beginnt die
Kultur. Mit den letzten Bäumen, die gefällt werden, en-
det sie. – Wenn man in manche Minengebiete fährt, dann
könnte man glauben, die Kultur wäre da schon zum Er-
liegen gekommen.

Insofern sollten wir – das besagt ja auch der Gesetz-
entwurf – sparsam mit den Rohstoffen umgehen und die
Geräte möglichst lange nutzen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist ja richtig, dass die Inhaltsstoffe zurückgewonnen
werden sollen, wenn die Geräte kaputt sind und nicht
mehr repariert werden können. Doch in dem Gesetzent-
wurf gehen Sie nicht weit genug. Es muss doch auch da-
rum gehen: Wie können wir die Geräte vernünftig desig-
nen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grüne sind überzeugt, dass wir nicht erst beim
Schrott anfangen sollten, sondern mit Ökodesign und
Produktverantwortung, also viel früher. Der vorliegende
Gesetzentwurf regelt hier zu wenig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Batterien und Akkus austauschen zu können, ist wichtig,
auch wenn es manchmal nicht einfach ist, das rechtlich
umzusetzen. In der Anhörung wurde immer wieder ein
zentraler Punkt betont: Die Ressourcen sind knapp, und
es kommt darauf an, dass wir die Produkte länger nutzen
können, als manche Akkus halten.

Warum gehen Sie die Herausforderung nicht an? Im-
mer nur darüber zu schimpfen, dass Geräte zu schnell
kaputtgehen – eine Statistik des Umweltbundesamtes hat
bestätigt, dass die Elektrogeräte immer kürzer genutzt
werden –, das bringt nichts. Es hilft nicht, wenn man das
nur deklamiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vielmehr müssen wir Ansprüche an die Hersteller for-
mulieren.

Qualität fällt nicht einfach vom Himmel, Produktde-
sign entsteht nicht einfach so, und geplante Obsoleszenz
können wir nicht länger negieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Geräte, in denen Sollbruchstellen eingebaut werden, da-
mit sie schneller kaputtgehen – das nervt nicht nur die
Nutzer, die unnötige Kosten und Ärger damit haben,
sondern das führt auch zu einer Wegwerfgesellschaft, die
wir Grüne so nicht wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Wir auch nicht!)

– Ja, schön. Genau deshalb, Frau Nissen, haben wir im
Umweltausschuss konkrete Änderungsvorschläge vorge-
legt. Wir haben die Erkenntnisse aus den Anhörungen
aufgenommen, um den Gesetzentwurf zu verbessern, da-
mit wir vielleicht doch noch zustimmen können.

Lassen Sie mich einige Aspekte nennen. Erstens. Bat-
terien sollen auswechselbar sein. Zweitens. Geräte, die
noch funktionieren, sollen aussortiert werden können,
sodass sie weiter genutzt werden können, und das nicht
nur beim Einsammeln, sondern das muss an allen Stellen
des Prozesses funktionieren. Respektieren Sie endlich
die EU-Abfallhierarchie, die genau das vorschreibt:
Weiterverwendung und weitere Nutzung gehen vor Re-
cycling.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Der dritte Aspekt – Kollege Gebhart hat es angesprochen –:
Onlinehandel und Discounter sollen einbezogen werden.
Das ist im vorliegenden Gesetzentwurf mitnichten der
Fall. Wer weist denn einem Onlinehändler nach, dass er
400 Quadratmeter Verkaufsfläche hat? Warum bietet
man den großen Discountern, die viel Elektroschrott auf
den Markt bringen, der nicht darauf ausgelegt ist, mög-
lichst lange zu halten, immer wieder Schlupflöcher, um
die Regelungen des Gesetzes zu umgehen? Das muss
nicht sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Ausschuss haben Sie alle unsere Vorschläge abge-
lehnt. Das ist für uns ein Skandal. Das führt dazu, dass
wir Ihrem Gesetzentwurf so nicht zustimmen können.
Denn er führt zu einem Weiter-so. Er führt zu Ver-
schwendung und dazu, dass Geräte viel zu schnell und in
immer kürzerer Zeit kaputtgehen. Das ist das Gegenteil
von nachhaltig. Das fördert weiterhin die Ausbeutung
der planetaren Ressourcen. Wir leben längst über unsere
Verhältnisse. Das geht zulasten der Ärmsten und nach-
folgender Generationen.

Die Regierung verpasst wieder einmal eine Chance,
etwas gegen Verschwendung und für besseren Umwelt-
schutz zu tun. Warum haben Sie nicht den Mut, durch
ein Handypfand einen echten wirtschaftlichen Anreiz zu
schaffen, ausgesonderte Geräte einzusammeln?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein einfaches Prinzip. Wir wissen aus anderen
Bereichen, dass es funktioniert. Warum tun Sie es nicht?

Unsere Vorschläge finden sich in unserem vorliegen-
den Entschließungsantrag wieder. Geben Sie sich einen
Ruck, und stimmen Sie dieser Entschließung zu – Kol-
lege Lenkert hat es auch schon empfohlen –; denn um-
weltpolitisch sind diese Maßnahmen unverzichtbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eine Bemerkung noch zum Schluss. Dafür, dass Sie
diesen Gesetzentwurf mit anderthalb Jahren Verspätung
vorlegen, ist er erschreckend dünn. Er setzt letztlich nur
das um, was die EU vor anderthalb Jahren sowieso
schon vorgeschrieben hat. Da können wir in Deutsch-





Peter Meiwald


(A) (C)



(D)(B)

land angesichts unserer technologischen Möglichkeiten
und der politischen Maßnahmen, die wir ergreifen könn-
ten, deutlich mehr.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811521000

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt

Michael Thews.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michael Thews (SPD):
Rede ID: ID1811521100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! In der letzten Woche führte ich ein Gespräch mit ei-
ner jungen Studentin, die sich für das Thema Abfall inte-
ressierte. In dem Gespräch habe ich sie irgendwann
gefragt, wohin sie denn ihre alten Elektrogeräte, zum
Beispiel ihren Föhn oder ihren Wasserkocher, bringt,
wenn sie kaputtgehen. Sie ahnte schon, dass das eine
Fangfrage ist, und zögerte etwas. Irgendwann sagte sie:
Die gebe ich dem „Klüngelskerl“, der bei uns den Elek-
troschrott einsammelt. Der fährt bei uns durch die Sied-
lung und nimmt so ziemlich alles. – Diese kurze Unter-
haltung hat mir zweierlei deutlich vor Augen geführt:
Zum einen ist es wichtig und richtig, dass wir die Entsor-
gung der Elektroaltgeräte verbraucherfreundlicher und
vor allen Dingen auch ortsnäher organisieren, und zum
anderen: Wir müssen noch einiges an Aufklärungsarbeit
leisten.

Diese Studentin ist sicherlich nicht die einzige, die
keine Lust hat, wegen einer elektrischen Zahnbürste
oder wegen eines alten Handys zum Wertstoffhof zu fah-
ren, oder auch gar nicht weiß, dass die Geräte dort hinge-
hören.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Viele werfen ihre alten Elektrogeräte einfach in die
graue Tonne, geben sie bei einem freundlichen Sammler
ab oder lassen sie gleich zu Hause.

Auf Basis dieses Gesetzes können die Bürgerinnen
und Bürger ihre Elektrogeräte dort zur Entsorgung zu-
rückgeben, wo sie sie gekauft haben, nämlich im
Handel; auch der Onlinehandel wird in die Pflicht ge-
nommen. Natürlich ist es auch weiterhin möglich, beim
Wertstoffhof seine Geräte zurückzugeben. Ich meine,
das ist ein guter Schritt.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin der festen Überzeugung, dass wir parallel
dazu dringend Aufklärungsarbeit leisten müssen. Die
Bürgerinnen und Bürger brauchen einfach mehr Infor-
mationen über die Abfalltrennung im Allgemeinen und
über die Entsorgung von Elektroschrott im Besonderen.
Viele wissen schlicht nicht, wohin sie ihr altes Handy,
ihre Sparlampe oder ihren Toaster bringen sollen. Viele
wissen auch nicht, wie der Weg ihres alten Fernsehers
aussieht, wenn sie ihn einem freundlichen Händler – die
finden Sie teilweise vor den Wertstoffhöfen – in die
Hand drücken. Dieser Weg hat Folgen. Die sollten wir
uns einmal ansehen.

In Deutschland haben wir hervorragende Recycling-
anlagen mit einem sehr hohen technischen Standard und
strenge Emissionswerte. Das ist aber nicht überall auf
der Welt so. Als Entwicklungsminister Gerd Müller im
Frühjahr dieses Jahres bei einem Besuch in Afrika den
Export des giftigen Elektroschrotts anprangerte, kam
eine der größten Elektromülldeponien der Welt am
Rande von Accra, in Ghana, wieder einmal in den Fo-
kus. Hier versuchen hauptsächlich Kinder und Jugend-
liche, die im Elektroschrott enthaltenen wertvollen Roh-
stoffe zu gewinnen, indem sie die Plastikummantelung
von Kupferkabeln oder die Plastikgehäuse der Geräte
durch offenes Feuer zum Schmelzen oder zum Brennen
bringen. Dadurch können Dioxine entstehen, und es ge-
langen andere Umweltgifte wie Arsen und Quecksilber
in den Boden und in das Wasser – mit verheerenden Fol-
gen für die Menschen vor Ort. Viele der dort unsach-
gemäß deponierten oder recycelten Geräte sind illegale
Exporte aus Europa, auch aus Deutschland. Defekte Ge-
räte werden als noch funktionstüchtig deklariert und
nach Asien oder Afrika verschifft. Dies wird nach dieser
Novelle, mit der die Umkehr der Beweislast verbunden
ist, schwieriger. Ich meine, das ist ein wichtiger Schritt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im parlamentarischen Verfahren haben wir auch eine
Veränderung zugunsten des Datenschutzes aufgenom-
men; sie wurde hier schon kurz angesprochen. In einer
Verordnung zur Regelung der Anforderungen an die
Vorbereitung zur Wiederverwendung – die Wiederver-
wendung ist ein wichtiger Schritt zur Abfallvermeidung –
soll der Schutz der personenbezogenen Daten berück-
sichtigt werden. Jetzt fragen Sie vielleicht: Warum ist
das überhaupt nötig? Mittlerweile gibt es immer mehr
Geräte, die unsere Daten speichern. Das kann die Uhr
sein, das kann das Handy sein, das kann aber auch die
Festplatte sein. Vielleicht zögert der eine oder andere,
seine Geräte zur Entsorgung zu geben, weil er nicht si-
cher sein kann, dass diese Daten vor einer Wiederver-
wendung vollständig gelöscht werden. Ich finde, auch
dies ist ein richtiger Schritt, den wir mit diesem Gesetz-
entwurf unternehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich nehme ich die Kritik der Opposition zur
Kenntnis. Ich bin aber trotzdem der Meinung, dass wir
mit diesem Gesetz einen vernünftigen Schritt hin zu ei-
ner geschlossenen Kreislaufwirtschaft unternehmen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei den Mitarbeitern
des Ministeriums und bei den Kolleginnen und Kollegen
von der CDU recht herzlich für die konstruktive Zusam-
menarbeit bedanken. Ich denke, gerade in der letzten
Sitzungswoche vor der Sommerpause kann man das hier
ruhig einmal sagen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811521200

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1811521300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Schätzungen zufolge – wir haben es von
vielen Rednern schon gehört – landen jedes Jahr 150 000
Tonnen Elektrokleingeräte, zum Beispiel Handys oder
Bügeleisen, im Restmüll und schließlich in der Müllver-
brennung. Betrachtet man alle Elektrogeräte, sind es so-
gar 500 000 Tonnen.

Deshalb ist es gut, dass die Europäische Union den
Anstoß gegeben hat. Die EU-Richtlinie über Elektro-
und Elektronikaltgeräte wurde überarbeitet. Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir diese Richtlinie
um und entwickeln das bestehende sogenannte Elektro-
gesetz weiter.

Ich kann mich an die Diskussionen über die Richtlinie
während meiner Zeit als Europaabgeordnete erinnern. Es
war immer unser Ziel, die Sammelquote zu erhöhen. Es
ist nicht nur wichtig, dass wir die wertvollen Rohstoffe
zurückgewinnen, sondern auch, dass wir verhindern,
dass Schadstoffe in die Umwelt gelangen. Deswegen ist
es richtig, dass auch der Handel seinen Beitrag zur Errei-
chung der Ziele leistet. Aber ich begrüße ebenfalls, dass
kleine Strukturen und eben auch die Belange der mittel-
ständischen Unternehmen dabei berücksichtigt werden
und ihren Umständen Rechnung getragen wird. Nicht je-
der Dorfladen um die Ecke hat die Fläche für die Rück-
nahme von großen Geräten wie zum Beispiel Wasch-
maschinen oder Spülmaschinen. Geschäfte mit einer
Verkaufsfläche von über 400 Quadratmetern müssen die
Altgeräte beim Kauf vergleichbarer Neugeräte zurück-
nehmen. Bei Kleingeräten mit einer Kantenlänge bis zu
25 Zentimeter gibt es eine Rücknahmeverpflichtung
ohne den Neukauf. Bislang erfolgt diese Rücknahme
eher auf freiwilliger Basis. Es ist ein wichtiger Fort-
schritt, dass dies jetzt auch gesetzlich geregelt ist.

Ich halte es gerade in der heutigen Zeit für richtig,
dass der Onlinehandel einbezogen wird. Die Rücknah-
mestellen müssen auch beim Onlinehandel in zumut-
barer Entfernung eingerichtet werden. Da kann man zum
Beispiel auf die Paketdienste zurückgreifen.

Daneben ist ebenfalls gut, dass der Elektroschrott wie
bislang bei den kommunalen Sammelstellen abgegeben
werden kann. Der Verbraucher hat damit eine Reihe von
Möglichkeiten, aus denen er wählen kann. Das verein-
facht letztendlich die Handhabung für den Verbraucher
und trägt vielleicht dazu bei, dass die Recyclingquoten
noch weiter steigen und mehr Geräte in die Wiederver-
wertung kommen.

Einige Kommunen haben bereits praxistaugliche Lö-
sungen mit Beispielcharakter. Zum Beispiel gibt es in
meinem Heimatland Bayern in München und auch in
Augsburg flächendeckend einbruchsichere Container.
Durch diese wird verhindert, dass Geräte illegal entwen-
det werden. Hier spielt natürlich der Datenschutz eine
Rolle; er wurde bereits angesprochen. Auf Elektrogerä-
ten sind oft auch persönliche Daten enthalten, die viel-
leicht in falsche Hände geraten können. Der Aspekt des
Datenschutzes ist ganz wichtig.

Ich finde es gut – es gab einen entsprechenden Antrag
Bayerns im Bundesrat –, dass wir das im Gesetz-
gebungsverfahren aufgenommen haben und dass jetzt
verhindert wird, dass diese Geräte in unberechtigte
Hände gelangen. Um zu verhindern, dass Unberechtigte
Zugriff auf diese Daten haben, sieht das Gesetz vor, dass
diejenigen, die Elektroschrott behandeln, ein Zertifikat
erwerben müssen. Damit wird nachgewiesen, dass der
Behandler Vorkehrungen getroffen hat, um die Bestim-
mungen des Datenschutzes einzuhalten. Das ist in mei-
nen Augen wirklich sehr gut umgesetzt worden.

Rohstoffe und Sekundärrohstoffe sind etwas sehr
Wertvolles, gerade auch für Deutschland, weil wir we-
nige eigene Rohstoffe haben. Deswegen ist es richtig,
dass wir die Beweislastumkehr für die Exporteure einge-
führt haben. Der Exporteur muss belegen, dass Geräte
nicht gebrauchsfähig sind. Damit verhindern wir das
illegale Verbringen von Rohstoffen und das Ausschlach-
ten dieser Geräte.

Zu guter Letzt möchte ich noch auf die Produktver-
antwortung eingehen. Bei all den Diskussionen dürfen
wir nicht vergessen, dass Deutschland schon jetzt die
EU-Zielvorgaben sehr gut erfüllt. Auch bei der Pro-
duktverantwortung sind wir weltweit führend.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist nämlich so, dass die Hersteller schon jetzt eine
Stiftung, die Stiftung Elektro-Altgeräte Register, gegrün-
det haben. Hersteller holen schon heute Altgeräte analog
zum Marktanteil bei den Sammelstellen ab. Damit sor-
gen sie schon jetzt für eine umweltgerechte Entsorgung
und auch für eine Verwertung der Rohstoffe.

Von diesem Gedanken haben wir uns inspirieren las-
sen und haben die Produktverantwortung, die wir inhalt-
lich sehr gut finden, in das Eckpunktepapier zum Wert-
stoffgesetz aufgenommen. Durch diese Ausweitung der
Produktverantwortung setzen wir den Anreiz für den
Hersteller, gut rezyklierbare Produkte zu verwenden.
Schon beim Herstellungsprozess wird diese Produkt-
verantwortung dann wahrgenommen, bzw. es wird der
Anreiz dafür gesetzt. Ich denke, damit fördern wir die
stoffliche Verwertung noch weiter, auch gegenüber der
thermischen Verwertung, weil die stoffliche Verwertung
uns da wirklich sehr voranbringt.

Abschließend möchte ich sagen: Das Elektrogesetz ist
ein wichtiger Baustein zum Schließen von Stoffkreisläu-
fen und zur Verbesserung der stofflichen Verwertung,
und es sorgt dafür, dass wertvolle Rohstoffe in der Wert-
schöpfungskette verbleiben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811521400

Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che angekommen.

Wir stimmen ab über den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung
des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme
und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro-
und Elektronikgeräten. Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5412,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/4901 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ge-
setzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis an-
genommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/5422. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Werner, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion DIE LINKE

Gute Arbeit für Menschen mit Behinderun-
gen

Drucksache 18/5227
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, jetzt ihre
Plätze einzunehmen und die zu führenden Gespräche au-
ßerhalb des Sitzungssaals zu führen.

Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Katrin
Werner, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Katrin Werner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811521500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Im Koalitionsvertrag steht:

Wir wollen die Integration von Menschen mit Be-
hinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt beglei-
ten und so die Beschäftigungssituation nachhaltig
verbessern.

Man könnte denken: Wo ein Wille, da auch ein Weg.
Leider weit gefehlt: Von einem offenen, inklusiven und
für Menschen mit Behinderung zugänglichen Arbeits-
markt, wie ihn die UN-Behindertenrechtskonvention im
Artikel 27 fordert, sind wir meilenweit entfernt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Fakten sind aus unserer Sicht alarmierend: Im Ja-
nuar 2015 waren 187 000 schwerbehinderte Menschen
als arbeitslos gemeldet. Ihre Arbeitslosenquote ist mit
14 Prozent mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine.
Die Arbeitslosenzahlen von Menschen mit Behinderung
nehmen seit Jahren zu, und der Umfang der Beschäfti-
gung in Sonderwelten wie Werkstätten steigt an. Sie
können vom angeblichen Aufschwung des Arbeitsmark-
tes nicht profitieren. Sie bleiben einfach Bittsteller vor
vernagelten Türen. Etwa 300 000 Menschen befinden
sich derzeit in einer Werkstatt. Ihr durchschnittlicher
Lohn liegt bei 180 Euro, und das oft bei einem Achtstun-
dentag. Das ist diskriminierend und viel zu wenig fürs
Leben.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Alle Menschen haben das Recht auf ein selbstbe-
stimmtes Leben. Sie haben das Recht, durch tarifliche
Entlohnung ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren.
Es reicht nicht aus, nur das System zu öffnen. Wir müs-
sen auch bereit sein, Sonderstrukturen abzubauen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die schrittweise Umstrukturierung und damit die Ab-
schaffung der Werkstätten, wie sie auch der UN-Fach-
ausschuss zur Überprüfung der Umsetzung der Behin-
dertenrechtskonvention in Deutschland empfiehlt, ist ein
wesentlicher Schritt in die richtige Richtung.

Wir brauchen eine Gesellschaft, in der jeder Mensch
das Recht hat, seine Arbeit frei zu wählen. Wir brauchen
sofort ausreichend akzeptable Alternativen für Men-
schen, die nicht in einer Werkstatt arbeiten wollen. Und
wir brauchen eine unabhängige Beratung von Betroffe-
nen genauso wie ein Budget für Arbeit als gesetzlichen
Leistungsanspruch.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der UN-Fachausschuss empfiehlt, speziell die Beschäf-
tigungsmöglichkeiten für Frauen mit Behinderungen in
Deutschland auszubauen.

Was die vielen Vorurteile gegenüber Menschen mit
Behinderung betrifft: Auch hier brauchen wir einen





Katrin Werner


(A) (C)



(D)(B)

Bewusstseinswandel aller Akteure. Viele Arbeitgeberin-
nen und Arbeitgeber zahlen lieber noch die gesetzliche
Ausgleichsabgabe von monatlich bis zu 290 Euro, als
Menschen mit Behinderung einzustellen. Umgekehrt
sind jeder vierten Arbeitgeberin bzw. jedem vierten Ar-
beitgeber die finanziellen Fördermöglichkeiten unbe-
kannt. Das ist nicht mehr hinzunehmen und muss drin-
gend geändert werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weit über die Hälfte aller Unternehmen erfüllt nicht die
festgeschriebene Beschäftigungsquote für Menschen mit
Behinderung.

Meine Damen und Herren, die derzeitige gesetzlich
vorgeschriebene Quote von 5 Prozent Menschen mit Be-
hinderung unter den Beschäftigten ist viel zu gering. Wir
finden, die Quote muss endlich auf 6 Prozent – besser
sogar noch mehr – angehoben werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Warum drücken sich immer noch so viele Arbeitgeber
und Arbeitgeberinnen davor, Menschen mit Behinde-
rung einzustellen? Weil Sie die Ausgleichsabgabe
einfach aus ihrer Portokasse bezahlen können. Die Aus-
gleichsabgabe ist so deutlich anzuheben, dass Arbeitge-
ber und Arbeitgeberinnen die Beschäftigungspflicht
nicht mehr umgehen. Im Gegenzug müssen Unterneh-
men, die die Beschäftigungspflicht mehr als erfüllen,
steuerlich begünstigt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Menschen mit Behinderung sind für den Arbeitsmarkt
oft eine große Bereicherung. Das zeigen uns die inklusiv
arbeitenden Unternehmen. Mehr als Dreiviertel der Un-
ternehmerinnen und Unternehmer sehen gar keinen Leis-
tungsunterschied zwischen Berufstätigen mit und ohne
Behinderungen. Nicht selten ist ihre Fachkompetenz und
Qualifikation höher als die der Kollegen.

Finden Menschen mit Behinderung einen Arbeits-
platz, so stellen sich ihnen weitere Hürden in den Weg.
Fast die Hälfte aller Arbeitsplätze von Beschäftigten mit
Behinderungen ist nicht barrierefrei. Das darf einfach
nicht mehr sein.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Arbeitsplätze müssen generell barrierefrei sein. Barriere-
freiheit darf nicht erst hergestellt werden, wenn ein
Mensch mit Behinderung beschäftigt wird. Barrierefreie
Arbeitsplätze sind für uns alle gut. Braucht ein Mensch
für seine Arbeit persönliche Assistenz, so muss er sie na-
türlich erhalten.

Um die Selbstvertretung der Beschäftigten in den
Werkstätten zu stärken, sind Mitbestimmungsrechte für
Werkstatträte als Sofortmaßnahme einzuführen. Die
Schwerbehindertenvertretung mahnt schon seit einigen
Jahren die Ausweitung und Verbesserung ihrer Mitbe-
stimmungsrechte an.
Menschen, egal ob mit Behinderungen oder ohne, ha-
ben nach Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte ein Recht auf Arbeit und nicht nur ein
Recht auf eine arbeitsähnliche Beschäftigung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle haben ein Recht auf eine freie Berufswahl, ge-
rechte und gute Arbeitsbedingungen sowie das Recht auf
gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Dieses Menschenrecht
muss endlich für alle Menschen umgesetzt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ich
bin ganz sicher, dass ich den meisten von Ihnen aus dem
Herzen gesprochen habe. Deshalb dürfte es für Sie ein
Leichtes sein, unserem Antrag zuzustimmen. Tun Sie es
einfach!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811521600

Das Wort hat der Kollege Uwe Schummer für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1811521700

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren!

Auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten heute 1,3 Millio-
nen anerkannt schwerbehinderte Menschen. 260 000 we-
sentlich behinderte Menschen arbeiten in den sogenann-
ten betreuten Werkstätten. Das heißt, die größte Zahl
schwerbehinderter Menschen arbeitet auf dem ersten Ar-
beitsmarkt. Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg
hat 2014 in einem Arbeitsmarktbericht festgestellt: Die
Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem
ersten Arbeitsmarkt steigt seit Jahren kontinuierlich. –
Das ist die gute Nachricht. Sie hat aber auch festgestellt,
dass aufgrund der Demografie, also deswegen, weil wir
alle älter werden und damit natürlich auch Mobilitäts-
beeinträchtigungen oder andere Beeinträchtigungen
bekommen, auch die Zahl der schwerbehinderten
Menschen stetig steigt. Deshalb nimmt eben die Arbeits-
losigkeit nicht in entsprechendem Maße ab. Von daher
ist das ein Thema, das wir miteinander bearbeiten müs-
sen.

Die Idee der Linken ist aber wieder einmal: Abgaben
erheben, Bußgelder verhängen, sozusagen mit der Peit-
sche kommen und zu etwas zwingen. Das ist klassisch:
Sie wollen zwingen, Sie wollen nicht überzeugen.


(Corinna Rüffer NEN)


Sie betonen die Defizite, Sie wollen nicht die Potenziale
und die Chancen der Menschen, die wir vertreten, in den
Mittelpunkt stellen. Die UN-Behindertenrechtskonven-
tion schaut dagegen auf die Potenziale der Menschen.
Damit können wir jedes Unternehmen überzeugen, dass
es wertvoll ist, behinderte Menschen einzustellen. Wer





Uwe Schummer


(A) (C)



(D)(B)

dies überzeugend vertritt, der muss nicht zwingen. Mit
Handschellen kann man keinen überzeugen, nur mit Ar-
gumenten. Das sind die Themen, die wir nach vorne
bringen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Handschellen“? Freiwillig funktioniert doch nicht!)


Unternehmen, die das Potenzial der Menschen, die wir
hier miteinander vertreten, nicht nutzen, behindern ihren
eigenen Erfolg; das muss die Botschaft sein, die wir ge-
meinsam in die Arbeitswelt, in die Wirtschaft tragen.

Es gibt ein Gutachten von Dr. Hans-Günther Ritz – es
ist kein Unionsgutachten, Ritz ist vielmehr Sozialdemo-
krat – im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem
Juni 2015. In diesem Gutachten der Friedrich-Ebert-Stif-
tung wird uns ins Stammbuch geschrieben: Bußgeldof-
fensiven oder die Erhöhung der Ausgleichsabgabe sind
nicht zielführend. Die Erfahrung seit Absenkung der Be-
schäftigungspflicht von 6 auf 5 Prozent in 2001 – damals
Rot-Grün – zeigt, dass die Arbeitgeber offener für
Beschäftigte mit Behinderungen geworden sind. Ziel-
führender seien bessere Arbeitsbedingungen, Humani-
sierung der Arbeitswelt und eine Aufwertung der
Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben und
Verwaltungen. – Das sind die Wege, die uns empfohlen
werden, und daran arbeiten wir auch laut Koalitionsver-
trag.

Ich war mit meinem geschätzten Kollegen Uwe
Lagosky in Salzgitter bei VW. Dieses VW-Werk hat eine
Produktionslinie für einen Lkw-Motor aufgebaut, in der
ein Drittel der in dieser Produktionslinie Beschäftigten an-
erkannt schwerbehindert sind, ein Drittel über 50 Jahre
sind, also ältere Arbeitnehmer sind, und ein Drittel unter
50 Jahre sind. Man hat den jeweiligen Arbeitsplatz so
gestaltet, dass er sich über einen Mikrochip – der Hebe-
kran, die Werkzeuge – den Menschen individuell an-
passt, was Entlastung für den Einzelnen bringt, sodass
auch ältere und schwerbehinderte Menschen weiter in
der Produktion beschäftigt werden können.

Die Konsequenz einer solchen kreativen Umgestal-
tung der Arbeitswelt ist, dass letztendlich die Zahl der
Frühverrentungen zurückgeht, dass weniger Fehlzeiten
durch Krankheiten entstehen und eine längere Beschäfti-
gungsdauer bei einer höheren Produktivität möglich
wird. Das heißt: Mit Schwerbehindertenvertretungen,
wie in diesem Fall bei VW, individuell eine Humanisie-
rung der Arbeitswelt zu betreiben, rechnet sich auch
ökonomisch. Soziale Kompetenz entfaltet somit eine
produktive Kraft in den Unternehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist also möglich, mit den Schwerbehindertenver-
tretungen eine Kampagne, eine Aktion zu entwickeln,
durch die die Entwicklung eingedämmt wird, dass den
stärksten Zugang in den betreuten Werkstätten psychisch
erkrankte Arbeitnehmer bilden, die vom ersten Arbeits-
markt kommen. Es gibt unterschiedliche Ursachen, die
dazu geführt haben, dass sie psychisch erkrankt sind.
Von daher brauchen wir in den Unternehmen und Ver-
waltungen Frühwarnsysteme. Die betriebliche Gesund-
heitsprävention muss ausgebaut werden. Wichtig ist
auch ein Eingliederungsmanagement nach langen bzw.
chronischen Erkrankungen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen auch an die Ursachen herangehen! Eine Antistressverordnung wäre etwas!)


Diese soziale Kompetenz in den Unternehmen müssen
wir stärken. Diese haben in der Tat die Schwerbehinder-
tenvertretungen. Das entlastet dann auch die Unterneh-
men und die Sozialkassen.

Voraussetzung ist aber, dass wir auch dem Wunsch
der Schwerbehindertenvertretungen folgen, die uns sa-
gen: Wenn ihr uns stärken wollt, dann müsst ihr uns Zeit
geben. Das ist entscheidend für uns. Wir brauchen mehr
Zeit, damit die individuelle Beratung der einzelnen Mit-
beschäftigten nach Maßgabe der Sozialgesetzbücher
auch erfolgen kann. Gebt uns mehr Zeit, sorgt für mehr
Freistellungen und leistet auch mehr Unterstützung im
Bereich der Verwaltungsbürokratie, damit wir all das
leisten können, was in den Unternehmen aufgrund der
Demografie weiter auf uns zukommt.

Wir werden auch weiterhin Werkstätten benötigen.
Das Schlimmste, was wir den Menschen, die jetzt in den
Werkstätten sind, antun könnten, wäre, die Werkstätten
dichtzumachen, alle rauszuschicken und zu gucken, was
passiert. Wir müssen stattdessen Prozesse anschieben,
damit sich auch hinsichtlich der Werkstätten Wahlfrei-
heit entwickeln kann. Keiner wird in eine Werkstatt ge-
zwungen, aber auch keiner wird aus einer Werkstatt hin-
ausgetrieben, vielmehr müssen die Werkstätten Optionen
schaffen. Wir brauchen in den Werkstätten eine Durch-
lässigkeit, und wir müssen darauf drängen – das schreibt
das Sozialgesetzbuch ja auch vor –, dass von den Werk-
stätten stärker die Vermittlung in den und die Begleitung
auf dem ersten Arbeitsmarkt wahrgenommen wird.

Wir brauchen auch virtuelle Werkstätten, die mit den
Unternehmen vor Ort direkt zusammenarbeiten, und wir
brauchen jenes Budget für Arbeit, über das wir ja im
Rahmen der Verhandlungen über das Teilhabegesetz
miteinander sprechen.

Entscheidende Elemente beinhaltet für mich auch das,
was heute durch die Koalition hier eingebracht werden
wird.

Integrationsfirmen sollen als Lotsenboote fungieren.
Bundesweit sind 800 Integrationsunternehmen auf dem
ersten Arbeitsmarkt. Sie zeigen, wie mit innovativen
Konzepten in Bezug auf den Arbeitsablauf und die Ar-
beitszeit das Potenzial von Menschen mit Behinderung
auf dem ersten Arbeitsmarkt genutzt werden kann.

Wir haben ein Sonderprogramm im Umfang von
150 Millionen Euro gestartet, mit dem mehr Integra-
tionsunternehmen unterstützt und durch eine verstärkte
Gesundheits- und Weiterbildungsförderung zu Inklu-
sionsunternehmen qualitativ weiterentwickelt werden
sollen. Zugleich wollen wir die Zahl der Integrationsun-
ternehmen in den nächsten Jahren verdoppeln. Auch das





Uwe Schummer


(A) (C)



(D)(B)

wird mit dem Finanzierungsansatz des Sonderpro-
gramms möglich sein. Einige Bundesländer – beispiels-
weise Nordrhein-Westfalen; wir hatten da ein Gespräch
mit der Lebenshilfe NRW – haben mir heute schon zuge-
sichert, dass das Bundesprogramm durch Landesmittel
weiter aufgestockt wird. Das kann in jedem Bundesland
passieren, sodass es insgesamt zu einer Hebelwirkung
bei den Integrationsunternehmen auf dem ersten Arbeits-
markt kommt.

Wir wollen die Integrationsunternehmen auch zu ei-
nem Ausbildungsort für Förderschüler entwickeln, damit
Förderschüler eben nicht in die Werkstätten kommen,
sondern in den Integrationsunternehmen qualifiziert
werden können.

Die Linken haben einen netten Schaufensterantrag
vorgelegt, der ein Sammelsurium enthält. Was wir als
Koalition miteinander vereinbaren, ist aber solides poli-
tisches Handwerk.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Werner [DIE LINKE]: Was Sie sagen, ist Wischiwaschi!)


– Ich habe doch gesagt, der Antrag ist nett. Wir wol-
len aber eben solides Handwerk. – Wir werden also
heute die Beratung über das Sonderprogramm für Integ-
rationsunternehmen starten,


(Katrin Werner [DIE LINKE]: Das ist ja wohl auch ein Show-Antrag!)


und im Laufe dieses Jahres werden wir das Recht der
Schwerbehindertenvertretungen stärken. Auch das ist im
Koalitionsvertrag vereinbart. Anfang nächsten Jahres
werden wir dann über das Bundesteilhabegesetz mitei-
nander verhandeln, in dem all diese Themen, die von mir
eben benannt wurden, noch einmal aufgeführt und um-
gesetzt werden. Es geht uns um solides Handwerk, und
ich denke, dass wir hier gut miteinander arbeiten wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811521800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Corinna Rüffer das Wort.


Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811521900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Schummer, ich
habe Ihnen vorhin versprochen, dass ich heute nicht so
viel schimpfen will wie sonst immer, und wenn ich et-
was versprochen habe, dann halte ich mich daran auch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


– Ich freue mich besonders über den Applaus der
SPD, will aber trotzdem ganz kurz etwas kommentieren.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Aber jetzt nicht die Zusage wieder brechen!)

Sie haben wie immer ganz viel Richtiges gesagt, Herr
Schummer, und Sie sind ein sehr geschätzter Kollege.
Ich glaube aber, dass Sie das mit der Freiwilligkeit noch
einmal überdenken müssen, weil es viel Zeit gab, die Ar-
beitgeber dazu zu bringen, auf der Basis von Freiwillig-
keit


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Und Überzeugung!)


– und Überzeugung – mehr zu leisten.

Wir haben über ganz lange Zeiträume hinweg immer
Überzeugungsarbeit geleistet, nicht zuletzt auch Sie,
Herr Schummer. Aber man muss sagen: Das Ergebnis ist
schon ein bisschen traurig. Schwerbehinderte Menschen,
die in Unternehmen arbeiten, sind sehr häufig diejeni-
gen, die in Unternehmen alt und krank geworden sind;
das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Immer nur zu
denken, dass alles über Freiwilligkeit läuft, kann ich mir
beim besten Willen nicht vorstellen.

Die Humanisierung der Arbeitswelt ist natürlich ein
gemeinsames Thema; unser Ziel ist der inklusive Ar-
beitsmarkt. Aber auch da haben wir noch ein ganzes
Stück Arbeit vor uns.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir stehen nämlich vor der großen Aufgabe, in Deutsch-
land endlich einen inklusiven Arbeitsmarkt zu schaffen.
Das bedeutet natürlich, dass wir den Arbeitsmarkt so ge-
stalten müssen, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer die Möglichkeit haben, eine Arbeit zu finden,
und zwar nicht nur irgendeine Arbeit, sondern tatsäch-
lich gute Arbeit. Gute Arbeit heißt, dass man davon le-
ben kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


– Ich finde, da kann man ruhig klatschen. Dass die Linke
an dieser Stelle klatscht, hatte ich erwartet. –


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So weit ist es schon!)


Davon sind wir aber weit entfernt. Ganz besondere Pro-
bleme haben gerade Menschen mit Behinderung auf dem
Arbeitsmarkt. Ihre Chancen sind deutlich schlechter als
die von Menschen ohne Behinderung; das haben wir
mehrfach gehört. Ich finde, das haben Sie von den Lin-
ken in Ihrem Antrag richtig ausgeführt. Dafür will ich
Ihnen ausdrücklich danken.

Was also – das ist der eigentliche Punkt – ist jetzt zu
tun? Wir haben im April – einige von Ihnen waren da –
in Genf deutliche Hinweise bekommen: Der Fachaus-
schuss der Vereinten Nationen, der dafür zuständig ist,
die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in
Deutschland zu überprüfen, hat klare Worte gefunden.
Deutschland muss systematisch – das ist wichtig – daran
arbeiten, dass Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Ar-
beitsmarkt barrierefreier werden. Die Vereinten Natio-
nen fordern uns außerdem ganz deutlich auf, Werkstätten
für behinderte Menschen in Deutschland schrittweise ab-
zubauen. Anstatt diese Aufgaben mit Energie anzuge-





Corinna Rüffer


(A) (C)



(D)(B)

hen, stecken wir noch immer ganz tief in einer Diskus-
sion darüber, ob Werkstätten für behinderte Menschen
nicht schon heute Bestandteil des inklusiven Arbeits-
marktes wären. Das ist natürlich mitnichten der Fall.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das haben Ex-
pertinnen und Experten aus zahlreichen Ländern auf der
Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrags – das muss
man sich einmal klarmachen – herausgefunden. Sie ha-
ben Deutschland beurteilt und kritisiert. Sie haben Hin-
weise darauf gegeben, wie wir in Zukunft vorgehen soll-
ten. Es wird manchmal so getan – das ist aber nicht so –,
als ob diese Hinweise von irgendjemandem gekommen
wären und wir jetzt darüber nachdenken könnten, ob uns
das passt oder nicht. Wir haben die UN-Behinderten-
rechtskonvention ratifiziert. Jetzt sind wir natürlich zur
Umsetzung verpflichtet. Ich meine, wir sollten das ge-
meinsam angehen, und zwar so, dass die Menschen, die
jetzt in Werkstätten arbeiten, am Ende nicht schlechter
dastehen als heute. Das ist ein wichtiger Punkt; da haben
wir, glaube ich, eine hohe Übereinstimmung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und die entsprechenden Möglichkeiten haben wir noch
lange nicht ausgeschöpft.

Zum Thema barrierefreie Arbeitsplätze möchte ich
ganz kurz etwas sagen: Was ist eigentlich – das habe ich
mich heute Nachmittag gefragt – aus der neuen Arbeits-
stättenverordnung geworden? Ich wäre Ihnen schon
dankbar, wenn sich da irgendwann einmal etwas bewe-
gen würde; denn das ist ein wichtiger Baustein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
ich hatte ja versprochen: Ich will mich heute nicht nur
beschweren. Sie haben ebenfalls einen Antrag zum
Thema Integrationsbetriebe vorgelegt. Wir werden heute
nicht mehr darüber diskutieren können, weil die Reden
zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll gegeben
werden. Wen das Thema interessiert, der kann die Reden
aber nachlesen. Genau wie der Linksfraktion möchte ich
auch Ihnen ausdrücklich meinen Dank für diese Initia-
tive aussprechen. Ich bitte Sie: Bleiben Sie dran! Es ist
nämlich gut und richtig und wichtig, dass wir in diesem
Land endlich etwas für Integrationsbetriebe tun. Das ist
aber natürlich nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu ei-
nem inklusiven Arbeitsmarkt.

Was ist zum Beispiel mit dem Budget für Arbeit? Was
ist mit den Schwerbehindertenvertretungen? Wie kann
die Bundesagentur für Arbeit Menschen mit Behinde-
rungen noch besser fördern und unterstützen, als das
heute der Fall ist? Was ist mit den Menschen, die einen
besonders hohen Unterstützungsbedarf haben und be-
sonders schutzbedürftig sind? Was sind unsere Angebote
an diese Menschen, damit sie wirklich am Arbeitsleben
teilhaben können? Ich sage es einmal so: Seitdem ich
dem Bundestag angehöre, habe ich viele schöne Reden
gehört. Es wäre schön, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn wir diesen Worten jetzt nach und nach auch Taten
folgen lassen würden. Wir brauchen ein gut gemachtes
flächendeckendes Budget für Arbeit –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811522000

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.


Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811522100

– genau –, deutlich gestärkte Schwerbehindertenver-

tretungen, Angebote für Menschen mit höherem Unter-
stützungsbedarf und vieles mehr. Ich kürze das ab.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811522200

Sie haben alle Chancen, das nachher zum nächsten

Punkt zu Protokoll zu geben. Sie müssen jetzt zum Punkt
kommen.


Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811522300

Ja, ich komme zum Punkt. – Wir gehen jetzt alle in

die Sommerpause, in die sitzungsfreie Zeit. Ich hoffe,
dass wir im September wieder da anknüpfen, wo wir
heute aufgehört haben. Denn viele Menschen draußen
warten darauf, dass sich endlich etwas tut.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811522400

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1811522500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Allein der Umstand,
dass wir heute zwei Tagesordnungspunkte zum Thema
„Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung“ haben
– einer wurde von der Koalition und einer von Teilen der
Opposition aufgesetzt –, zeigt, dass das Thema im Deut-
schen Bundestag angekommen ist, dass es wichtig ist
und auch Anforderungen mit sich bringt.

Ja, der inklusive Arbeitsmarkt – darin sind wir uns
alle einig – ist ein Ziel, das wir nicht nur im Zuge der
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ver-
wirklichen müssen, sondern auch deshalb, weil eine
humane Gesellschaft eine inklusive ist. Das ist nicht nur
für die Menschen mit Behinderung wichtig, sondern für
alle.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass das Thema heute zweimal auf der Tagesordnung
steht, haben wir dem Antrag der Linken und unserem
Antrag zu verdanken. Ich möchte mich dafür ganz herz-
lich bedanken. Denn die Zielrichtung Ihres Antrags
zeigt, dass wir uns im Bundestag an vielen Stellen, wenn
auch nicht in allen Punkten, darüber einig sind, welche
Anforderungen wir stellen müssen.





Kerstin Tack


(A) (C)



(D)(B)

Natürlich möchte niemand jemanden mit Zwang in
den allgemeinen Arbeitsmarkt hineindrängen. Schließ-
lich möchte auch niemand von uns selber, wenn er eine
Behinderung hat, ein aufgezwungenes Arbeitsverhältnis
eingehen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Aber mit der Ausgleichsabgabe alleine erreichen wir
dieses Ziel nicht. Deswegen ist es gut, dass die Bundesre-
gierung neben der Möglichkeit der Zwangsabgabe auch
mit der Wirtschaft gemeinsam mehrere Initiativen in
Gang gesetzt hat, um eines der größten Probleme anzu-
gehen, nämlich die fehlende Kenntnis von Unternehmen
über ihre Möglichkeiten im Hinblick auf Unterstüt-
zungsformen, Begleitung, Assistenz und Kostenzuschüs-
sen zum Lohn und anderem. Ich halte das für richtig;
denn Unternehmen, die keine Menschen mit Behinde-
rungen beschäftigen, verhalten sich in der Regel nicht
aus Boshaftigkeit so, sondern viel häufiger aus Unkennt-
nis über die Möglichkeiten der Unterstützung. Deshalb
ist es ein wesentlicher Punkt, uns zu fragen, wie wir ge-
nau diese Unterstützung und Beratung gewährleisten
können, bevor wir den Unternehmen vorschreiben, dass
sie sich an der Gesamtaufgabe „inklusiver Arbeitsmarkt“
beteiligen müssen, indem sie jemanden einstellen bzw.
eine Abgabe zahlen. Ich hoffe, dass das Wirkung zeigt.

Nichtsdestotrotz setzen wir, glaube ich, gerade was
die Integrationsbetriebe angeht, mit dem von uns ein-
gebrachten Antrag, über den wir ja nun nicht mehr dis-
kutieren, ein ganz wichtiges Zeichen. Denn die Integra-
tionsbetriebe, die bis zu 50 Prozent Menschen mit
Schwerbehinderung in ihren Reihen haben, sind Be-
triebe des allgemeinen Arbeitsmarktes und gehören da-
mit zum ersten Arbeitsmarkt. Trotzdem bieten sie noch
einen gewissen Schonraum mit der Möglichkeit, sich zu
qualifizieren und weiterzubilden. Deshalb ist es richtig,
genau diese Möglichkeit der Beschäftigung auf dem all-
gemeinen Arbeitsmarkt für Menschen anzubieten, die
sich gemäß ihrem Wahlrecht eigentlich wünschen, nicht
in einer Werkstatt beschäftigt zu werden, sich aber
gleichwohl den manchmal sehr extremen Anforderungen
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch nicht gewach-
sen fühlen. Genau diese Lücke schließt die Idee der Inte-
grationsfirmen. Wir freuen uns sehr, dass wir mit den
heute beantragten 150 Millionen Euro dafür sorgen kön-
nen, dass all die Anträge, die in den Integrationsämtern
vorliegen, bearbeitet werden können und eine entspre-
chende Unterstützung ermöglicht wird.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU] und Katrin Werner [DIE LINKE])


Wir wissen natürlich auch, dass das nicht alles sein
kann. Vieles wird im Bundesteilhabegesetz geregelt wer-
den. Dazu werden uns noch im Herbst konzeptionelle
Vorlagen erreichen. Wir haben uns aber auch vorgenom-
men – der Kollege Schummer hat das bereits angekün-
digt –, noch in diesem Jahr die Betriebsräte in den Werk-
stätten für behinderte Menschen zu stärken. Diese
Betriebsräte sollen genauso die Möglichkeit haben, mit-
zubestimmen und sich im Unternehmen einzubringen.
Wir werden zudem Frauenbeauftragte in den Werkstät-
ten für behinderte Menschen flächendeckend etablieren.
Das ist gut und richtig, weil insbesondere Frauen – auch
in den Werkstätten – Gewalt ausgesetzt sind. Deshalb ist
es wichtig, ihnen eine eigene Ansprechperson an die
Seite zu stellen. Wir freuen uns sehr, dass wir uns einig
sind, dass das flächendeckend in den Werkstätten umge-
setzt werden soll.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei der Stärkung der Schwerbehindertenvertretung
– auch dazu wird uns noch in diesem Jahr ein Gesetzent-
wurf ereilen – geht es uns insbesondere darum, Freistel-
lungen, die Fort- und Weiterbildungen, aber auch die
Mitbestimmung zu stärken. Wir nehmen wahr, dass es
überall dort, wo Schwerbehindertenvertretungen in den
Betrieben Betriebs- und Personalräte unterstützen, bes-
ser gelingt, inklusive Arbeitsplätze zu schaffen, als in al-
len anderen Bereichen. Deshalb ist es so wichtig, dass
wir diesen Vertretungen die Rolle einräumen, die sie be-
nötigen, um die Schaffung eines inklusiven Arbeits-
markt innerhalb der gesamten Unternehmensstruktur vo-
ranzutreiben.

Wir freuen uns, dass wir all das noch in diesem Jahr
beraten werden. Wie Sie sehen, Frau Rüffer, fangen wir
heute an. So wie es aussieht, werden wir in den Sit-
zungswochen nach der Sommerpause hinreichend Gele-
genheit haben, weiter über den inklusiven Arbeitsmarkt
zu diskutieren. Das freut uns alle sehr. Hier sind wir uns
einig im Ziel.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Katrin Werner [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811522600

Das Wort hat die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1811522700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Meine Damen und Herren! Ob man Arbeit als Last
oder als Freude empfindet, das ist sehr unterschiedlich
und hängt sehr stark von persönlichen Erfahrungen ab.
Eines aber – so meine ich – verbindet behinderte und
nicht behinderte Menschen, Manager und Hilfsarbeiter:
Wir alle haben eine Vorstellung von unserem Traumbe-
ruf. Er soll uns soziale Kontakte, Anerkennung und ein
anständiges Einkommen verschaffen und meistens Freude
machen. Das ist der Anspruch, den wir alle zu Recht an
die Arbeit haben. Es ist klar, dass Menschen mit Behin-
derung an der Verwirklichung ihrer beruflichen Träume
genauso interessiert sind wie Menschen ohne Behinde-
rung. Der Knackpunkt ist – über diesen Punkt diskutie-
ren wir nun –, dass die Ausgangslage für Menschen mit
Handicap ungleich schwieriger ist.





Dr. Astrid Freudenstein


(A) (C)



(D)(B)

In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linken, schreiben Sie, dass derzeit 10 000 schwerbehin-
derte Menschen mehr arbeitslos seien als noch 2010.
Das ist auch richtig. Aber damit diese Zahl richtig einge-
ordnet werden kann – der Kollege Schummer hat schon
darauf hingewiesen –, muss man auch erwähnen, dass im
gleichen Zeitraum die Gesamtzahl der schwerbehinder-
ten Menschen in Deutschland um mehr als eine halbe
Million gestiegen ist und dass heute auch mehr als
100 000 schwerbehinderte Menschen mehr beschäftigt
sind als noch vor fünf Jahren. Das zeigt einerseits eine
ganz ordentliche Entwicklung, zeigt aber andererseits,
dass es noch viel zu tun gibt, und natürlich auch, dass
Menschen mit Behinderung nicht so am Aufschwung
teilhaben wie Nichtbehinderte.

Wie also verbessern wir die Teilhabe von Menschen
mit Behinderung am Arbeitsleben? Diese Frage beschäf-
tigt uns schon sehr lange, und wir haben sie in der Koali-
tionsvereinbarung auch ganz weit oben auf die politische
Agenda gesetzt.

Parlamente, Ministerien, Kommunen, Behinderten-
verbände und Betroffene beschäftigen sich seit gut ei-
nem Jahr verstärkt mit dieser Frage. Wir haben mittler-
weile auch Antworten darauf bekommen. Einige kann
man in den langen Protokollen der AG Bundesteilhabe-
gesetz des BMAS nachlesen. Andere Antworten bekom-
men wir einfach bei den Begegnungen in unseren Wahl-
kreisen.

Sicher müssen wir zunächst einmal den Blick dafür
schärfen, was der Einzelne eigentlich kann, was er mit-
bringt, was er einbringen kann, was er für ein Unterneh-
men leisten kann. Das ist tatsächlich ein gewisser Para-
digmenwechsel. Viel mehr als bisher müssen wir die
Stärken der Menschen beurteilen und dürfen nicht nach
dem schauen, was sie nicht können.

Darüber hinaus präsentieren Sie nun in Ihrem Antrag
eine ganze Reihe von Ideen, wie man die Situation der
Betroffenen verbessern kann. Ich fange jetzt einmal bei
dem Guten in Ihrem Antrag an: beim Budget für Arbeit,
das Sie vorschlagen. Das ist in der Tat ein erfolgreiches
Modellprojekt. Es spielt auch in unseren Planungen für
ein Bundesteilhabegesetz eine wichtige Rolle. Ich bin
auch überzeugt davon, dass dieses Budget für Arbeit viel
mehr Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt ermöglichen
kann.

Das Gleiche gilt für Ihre Ausführungen zu den Inte-
grationsunternehmen, über die wir heute nicht mehr dis-
kutieren.


(Katrin Werner [DIE LINKE]: Schade!)


Aber auch wir wollen sie stärken. Wir haben dazu einen
Antrag. Die Idee, sie gerade in der Gründungsphase
mehr zu fördern, finde ich gut. Ich finde auch gut, sie
mehr als bisher als Ausbildungsbetriebe zu gewinnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin auch ganz bei Ihnen, wenn Sie schreiben, dass
es einen Aufklärungsbedarf für Unternehmen gibt, was
die Fördermöglichkeiten angeht. Es stimmt: Viel zu
viele Unternehmen in Deutschland beschäftigen noch
immer gar keinen Schwerbehinderten. Dafür gibt es ein-
mal mehr, einmal weniger plausible Gründe.

Der Kündigungsschutz und der Zusatzurlaub sind
zwei Punkte, die oft genannt werden. Sie sind für die Be-
troffenen ganz wichtige Elemente, aber sie sind eben
auch für Unternehmer oft ein Hemmschuh mehr, einen
Menschen mit Behinderung einzustellen. Ich bin aber
auch sicher, dass man, wenn man mehr aufklären würde,
den einen oder anderen oder auch viele davon überzeu-
gen könnte, einen Menschen mit Behinderung einzustel-
len.

Es gibt aber dann schon auch eine Reihe von Punkten
in Ihrem Antrag, die ich für falsch und sogar kontrapro-
duktiv halte. Sie fordern die Anhebung der Beschäfti-
gungsquote auf 6 Prozent, und Sie fordern eine deutliche
Erhöhung der Ausgleichsabgabe. Beide Maßnahmen
tragen sicher nicht zu mehr Offenheit und Verständnis
der Unternehmerschaft für unser Anliegen bei. Ich bin
überzeugt davon, dass die inklusive Arbeitswelt nur
dann funktionieren kann, wenn wir alle gemeinsam an
einem Strang ziehen, wenn Unternehmen und Beschäf-
tigte aus voller Überzeugung Ja zum Miteinander von
Behinderten und Nichtbehinderten sagen. Wenn wir ir-
gendwann einmal gar keine Beschäftigungsquoten und
gar keine Ausgleichsabgaben mehr brauchen, dann sind
wir tatsächlich in der inklusiven Arbeitswelt angekom-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich halte nichts von zusätzlichen Zwängen und höhe-
ren Abgaben für die Unternehmen. Ich glaube, es ist,
ohne Unternehmer mit Kindern gleichsetzen zu wollen,
ein bisschen wie in der Kindererziehung: Positive
Anreize bewirken viel mehr als Strafen. Wir müssen auf-
klären, informieren, Bürokratie abbauen und Unterstüt-
zung anbieten. Schauen Sie sich doch die positiven
Beispiele an, die es schon gibt, zum Beispiel den Ak-
tionsplan eines großen deutschen Softwareherstellers.
Diese Entwicklungen gab es sicher nicht wegen der Aus-
gleichsabgabe. Ich bin ganz sicher, dass wir einen Be-
wusstseinswandel nur dann hinbekommen, wenn wir zu-
sammenarbeiten.

Eines ist mir tatsächlich ein persönliches Anliegen.
Ich habe es hier schon öfter gesagt: Hören Sie bitte mit
dieser diskriminierenden Sonderweltenrhetorik auf. Was
meinen Sie eigentlich, wie sich die fast 300 000 Men-
schen in den Werkstätten fühlen, wenn sie sich immer
wieder anhören müssen, dass ihre Welt nicht zum Rest
der Welt gehört?


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Viele von diesen Menschen haben sich durchaus
selbstbestimmt und selbstbewusst für diesen geschützten
Raum entschieden. Zur Teilhabe an der Gesellschaft und
am Arbeitsleben gehört es wirklich auch, Respekt und
Wertschätzung füreinander und für jeden Weg zu haben.
Ich glaube, wir sollten für Wahlfreiheit sorgen und si-





Dr. Astrid Freudenstein


(A) (C)



(D)(B)

cherstellen, dass jeder den Weg gehen kann, den er für
sich als richtig empfindet.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811522800

Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1811522900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen!

Menschen mit und ohne Behinderung sollen zusam-
men spielen, lernen, leben, arbeiten und wohnen.

So haben wir das gemeinsam mit der CDU und der CSU
im Koalitionsvertrag fest verankert. Wir wollen ja auch
alle gemeinsam eine inklusive Gesellschaft. Natürlich
spielt dabei auch – das ist ja klar – der inklusive Arbeits-
markt eine Rolle.

Wir reden über den Antrag der Linken „Gute Arbeit
für Menschen mit Behinderungen“. Wir diskutieren – ich
muss einmal sagen, die Kollegen haben sich wirklich
sehr viel Mühe gegeben – 9 Einzelpunkte und – ich habe
einmal nachgezählt – 42 Unterpunkte. Sie haben das also
sehr detailliert aufgeführt. Viele Punkte davon sind gut
und richtig. Dennoch beschreibt dieser Antrag immer
wieder auch nur einen Ausschnitt von dem, was wirklich
nötig ist.

Oben auf der Besuchertribüne sitzen ja viele junge
Leute. Wer in der Kindertagesstätte, in der Schule und in
einer gemeinsamen Berufsausbildung Menschen mit und
ohne Behinderung schätzen gelernt hat, mit dem brau-
chen wir nicht mehr darüber zu diskutieren, ob es Ar-
beitsplätze für Menschen mit Behinderung in allen Be-
trieben geben muss.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich denke, viele von euch dort oben auf der Besuchertri-
büne erleben das schon. Aber leider ist das natürlich
noch Zukunftsmusik. Da wollen wir aber hin.

Schauen wir uns einmal an, wie es jetzt eigentlich
aussieht. Der Weg in den – in Anführungsstrichen – „ei-
genen“ Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung
wird heute leider schon früh eingeschlagen. In den
Förderschulen ist die Werkstattkarriere meist schon vor-
programmiert. Daran wollten wir doch etwas ändern.
Diesen Automatismus wollten wir doch durchbrechen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir brauchen ein Gesamtkonzept, und wir brauchen
gesellschaftliche Akzeptanz; das ist überhaupt keine
Frage. Wir müssen das, was uns in der UN-Behinderten-
rechtskonvention aufgetragen ist, natürlich mit Leben
füllen. Menschen mit Behinderung brauchen keine
Fürsorge – so haben wir lange gedacht –; Menschen mit
Behinderung brauchen Unterstützung, um selbstbe-
stimmt leben zu können.

Seit Beginn dieser Legislaturperiode arbeiten die
Koalitionsfraktionen ganz konzentriert am Bundesteilha-
begesetz. Die Linken haben in ihrem Antrag viele The-
men aufgegriffen, die wir mit dem Bundesteilhabegesetz
regeln werden. Aber wir wollen natürlich nicht, dass das
geschieht, was 2013 in Großbritannien passiert ist: Mit
einem Federstrich – in Klammern: weil es den Briten zu
teuer war – hat man die Werkstätten für Behinderte ge-
schlossen. Anfang 2015 hatte die Hälfte der dort Be-
schäftigten noch immer keine neue Arbeit gefunden. Das
ist natürlich ein großer Fehler. Die Leute sagen zu Recht:
Das kann nicht sein. Das war der beste Arbeitsplatz, den
ich bisher hatte. – So hat es jedenfalls Jerry Nelson, der
zuständige Gewerkschafter, beschrieben.

Für andere in Großbritannien war die Werkstattschlie-
ßung das Beste, was ihnen überhaupt passieren konnte.
Zum Beispiel hat Tony Hammett eine feste Arbeit be-
kommen; er arbeitet jetzt in einem Pub. Er sagt: Es gibt
mir Würde, mein Geld selber zu verdienen. – Dazu sage
ich einmal: Das ist toll.

Was will ich mit diesen beiden Beispielen sagen?
Ganz einfach: Es gibt nicht den einen Weg. Immer
wieder wird auch hier im Haus über die Zukunft der
Werkstätten diskutiert. Was wir in der Zukunft vor allem
brauchen, sind andere Werkstätten. In Deutschland gibt
es zum Beispiel nur 5 Prozent Außenarbeitsplätze. In
Schweden, das uns immer wieder vorgehalten wird
– man sagt, in Schweden sei alles besser –, gibt es
90 Prozent Außenarbeitsplätze.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ist das nicht auch ein bisschen Inklusion?

Ich will einmal ein Beispiel aus meinem Betreuungs-
wahlkreis nennen. In der Lutherstadt Wittenberg war ich
vor drei oder vier Wochen in einer integrativen Kinder-
tagesstätte. Da kamen mir aus der Werkstatt geistig be-
hinderte Mitarbeiter entgegen. Sie hatten dort einen
Außenarbeitsplatz, etwa in der Küche, zur Unterstützung
des Hausmeisters oder im hauswirtschaftlichen Bereich.
Das ist doch ein Weg auf den ersten Arbeitsmarkt, mög-
licherweise. Ich würde für individuelle Lösungen sorgen
wollen. Ich würde sagen: Auch eine Werkstatt für Behin-
derte hat bei einem Wunsch- und Wahlrecht, wenn es um
Arbeit und Selbstbestimmung geht, ihre Berechtigung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen den Weg
aus der Werkstatt heraus öffnen. Aber die Frage ist doch:
Warum nehmen so wenige Menschen das überhaupt in
Anspruch? Das ist kein Wunder. Jeder, der aus einer
Werkstatt für Behinderte hinausgeht, auf den ersten
Arbeitsmarkt geht und es nicht schafft, verliert seinen
Rentenanspruch und auch die Chance, in die Werkstatt
zurückzukehren. Deshalb machen das so wenige. Daran
müssen wir etwas ändern, und auch das werden wir im
Bundesteilhabegesetz regeln.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811523000

Kollegin Wolff.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1811523100

Ich habe schon gesehen: Es leuchtet. Ich komme auch

zu meinem letzten Satz. – Ich freue mich wirklich auf
die Diskussion. Ich lade die Opposition ein, an dieser
großen Aufgabe mitzuarbeiten, und bitte darum, dass die
vielen Einzelanträge dann lieber zurückgezogen werden.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811523200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5227 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Neubestimmung des Blei-
berechts und der Aufenthaltsbeendigung

Drucksachen 18/4097, 18/4199

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4. Ausschuss)


Drucksache 18/5420


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/5421

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Özcan
Mutlu, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
wirklichung des Schutzes von Ehe und
Familie im Aufenthaltsrecht

Drucksache 18/3268
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
vier Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über drei Än-
derungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und über den Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke werden wir später namentlich abstimmen. Wir
werden also zu diesem Tagesordnungspunkt vier na-
mentliche Abstimmungen durchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-
minister des Innern, Dr. Thomas de Maizière.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Tatsache von vier namentlichen Abstimmungen
zeigt: Es ist ein umstrittenes Gesetz, und es ist ein wich-
tiges Gesetz, das wir heute beraten und über das wir
heute abstimmen.

Dieses Gesetz hat zwei Botschaften: Gut integrierte
Ausländer erhalten ein dauerhaftes Bleiberecht bei uns.
Das betrifft Zehntausende von Menschen in Deutsch-
land. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere
Seite der Medaille ist: Nicht schutzbedürftige Ausländer
müssen schneller in ihre Heimatländer zurückkehren.
Beides gehört zusammen. Die aktuelle Situation zeigt,
wie dringend wir diese gesetzlichen Regelungen brau-
chen, und zwar beide.

Meine Damen und Herren, viele Tausend Menschen
kommen in diesen Tagen zu uns nach Deutschland. Sie
suchen Schutz vor politischer Verfolgung. Sie kommen
aus Krisengebieten. Oft suchen sie aber auch, verständ-
lich vielleicht, eine bessere wirtschaftliche Perspektive
für sich persönlich. Die Bereitschaft der Bevölkerung,
schutzbedürftigen Flüchtlingen mit Hilfsbereitschaft zu
begegnen, ist hoch. Ich danke auch heute noch einmal al-
len Bürgerinnen und Bürgern herzlich, die sich hierbei
großzügig und großmütig engagieren, im Ehrenamt und
hauptamtlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Bereitschaft gilt es zu erhalten.

Ebenso erhalten müssen wir aber auch unsere tatsäch-
liche Aufnahmefähigkeit. Deshalb brauchen wir drin-
gend schnellere Verfahren, eine schnellere Integration
für diejenigen, die positiv anerkannt sind oder sonst
Schutz verdienen. Wir brauchen aber genauso nach dem
schnelleren Verfahren für die, die abgelehnt worden sind
und keine Bleibeperspektive haben, eine konsequentere
Rückkehrpolitik. Es muss klar unterschieden werden
zwischen jenen, die Anspruch auf Schutz haben, und je-
nen, die diesen Anspruch nicht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist fast wörtlich die gemeinsame Position der
Bundesregierung und aller Bundesländer – Herr Beck
und Frau Roth, auch der baden-württembergische Minis-
terpräsident hat dieser Formulierung zugestimmt –, und
das ist die gemeinsame Position aller kommunalen Spit-
zenverbände. Es muss unterschieden werden zwischen





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)

denen, die Schutz verdienen, und denen, die keinen
Schutz verdienen.

Wer unter keinem Aspekt für ein Bleiberecht in Be-
tracht kommt, der muss unser Land wieder verlassen.
Diese Ausreisepflicht wollen wir mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf wirkungsvoller als bisher durchsetzen.
Lassen Sie mich nur ein Beispiel dazu sagen: Es ist nicht
zu viel verlangt, dass ein Mensch, der in Deutschland
Schutz haben will, ehrlich angibt, wie er heißt und aus
welchem Land er kommt. Wenn der Ausländer seine
Identität verschleiert, dann soll das kein Bonus für das
Asylverfahren sein, sondern in Zukunft sollen dann die
Handys, die Datenträger dieses Menschen ausgelesen
werden, damit wir feststellen, wer er ist und woher er
kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun wird gleich sicher viel über die Abschiebehaft
gesprochen. In der Kürze der Zeit ist es natürlich nicht
möglich, darüber lange zu diskutieren.


(Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich will im Grundsatz nur eines sagen: Mit den Regelun-
gen zu den Haftgründen für die Abschiebehaft, die in
diesem Gesetzentwurf stehen, ist keine Verschärfung ge-
genüber dem bisherigen Zustand verbunden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es ist vielmehr so, dass die bisherige Rechtsgrundlage
für Abschiebehaft in Deutschland problematisch ist. Wir
müssen nach europäischem Recht diese Haftgründe defi-
nieren. Der BGH hat gesagt: Ihr dürft keine Abschiebe-
haft machen, wenn ihr dafür nicht in einem Gesetz die
Regelungen festschreibt.


(Burkhard Lischka [SPD]: So ist es! Das ist eine Verbesserung!)


Jetzt schreiben wir diese Regelungen ins Gesetz in Um-
setzung des EU-Rechts, und trotzdem sagen Sie, die Ab-
schiebehaft werde verschärft. Das ist Unsinn, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kurz zu der zweiten Botschaft, die genauso wichtig
ist. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir
zum ersten Mal ein dauerhaftes stichtagsunabhängiges
Bleiberecht für Menschen, die auch ohne regulären Auf-
enthaltsstatus besondere Integrationsleistungen in
Deutschland erbracht haben: die gut integriert sind, die
Deutsch können, die ihren Lebensunterhalt sichern und
die nicht in besonderer Weise straffällig in Erscheinung
getreten sind. Diesen Menschen eröffnen wir ein dauer-
haftes Bleiberecht. Wir sagen ihnen: Wie immer ihr her-
gekommen seid, ihr seid gut integriert, ihr gehört zu uns,
ihr bleibt hier, ihr seid hier herzlich willkommen.

Mit Blick auf diejenigen, die eine Ausbildung machen
– das war eine lange Debatte –, schaffen wir mit der
Regelung in § 60 a des Aufenthaltsgesetzes Klarheit
über die Ausbildung von jungen Geduldeten mit Bleibe-
perspektive. Wir stellen klar, dass diese jungen Men-
schen in Deutschland eine Ausbildung beginnen und zu
Ende führen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wer eine betriebliche Ausbildung erfolgreich abschließt,
der kann dauerhaft ein Aufenthaltsrecht erhalten. Unsere
Ausbildungsbetriebe – das war eine wichtige Forderung –
erhalten damit die für sie so wichtige Planungssicher-
heit.

Meine Damen und Herren, beide Seiten des Gesetz-
entwurfs, Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung, gehö-
ren zusammen. Es kann nicht richtig sein, dass Ausreise-
pflichtige, bei denen es keinen humanitären Grund gibt,
dass sie in Deutschland bleiben, allein deshalb hier blei-
ben, weil unsere Regeln so kompliziert sind, weil nie-
mand mehr durchblickt, was eigentlich gilt. Da macht
sich der Rechtsstaat lächerlich. Genauso ist es richtig,
dass wir denjenigen, die Jahre hier sind, von denen wir
wissen, dass sie unser Land sowieso nicht mehr verlas-
sen, die sich zu unserem Land bekennen und ihren Le-
bensunterhalt sichern, sagen: Ihr bleibt hier. Beide Seiten
gehören zusammen.

In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811523300

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811523400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heu-

tige Beratung dieses Gesetzentwurfs wird hier wirklich
im zeitlichen Schweinsgalopp durchgezogen. Ich finde,
das ist das beschämendste Gesetz seit der faktischen Ab-
schaffung des Asylrechts.


(Burkhard Lischka [SPD]: Was?)


Es ist wirklich ein Skandal!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich vorab gleich klarstellen: Ja, der Ge-
setzentwurf der Bundesregierung enthält einige Verbes-
serungen, zum Beispiel die gesetzliche Verankerung des
Resettlement-Verfahrens für Flüchtlinge und die Schaf-
fung einer gesetzlichen Bleiberechtsregelung. Die Ver-
besserungen gehen allerdings bei weitem nicht weit ge-
nug, und sie gelten nicht für alle Flüchtlinge
gleichermaßen. Die Bleiberechtsregelung greift wesent-
lich zu kurz. Insbesondere Jugendliche sind hier benach-
teiligt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will hier ganz deutlich sagen: Wenn die außerpar-
lamentarischen Bewegungen – die Flüchtlingsorganisa-
tionen, die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände – nicht so





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

lange für ein Bleiberecht gekämpft hätten, hätten wir
nicht einmal das im Gesetz gehabt. Man kann ihnen nur
dankbar sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun zur Kritik. Dass auch dieses Gesetz von richtigen
und falschen Flüchtlingen ausgeht – wie wir eben wieder
gehört haben –, Herr Minister, ist beschämend und
brandgefährlich.

Erstens sollen sogenannte nicht schutzwürdige
Flüchtlinge direkt aus den Auffanglagern wieder abge-
schoben werden. Das wird vor allem Flüchtlinge vom
Westbalkan treffen. Mit dieser offensichtlichen Ausgren-
zung einer ganzen Flüchtlingsgruppe wird massiv gegen
Grundsätze einer humanitären Flüchtlingspolitik versto-
ßen.

Zweitens wird über diese Flüchtlinge zusätzlich ein
Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt, wenn ihr
Asylantrag abgelehnt wird. Sie werden also dafür be-
straft, dass sie von einem Grundrecht Gebrauch machen
wollen. Das ist völlig inakzeptabel.

Drittens – das ist mit Abstand der größte Skandal –
enthält das Gesetz uferlose Regelungen zur Abschiebe-
haft. Inhaftiert werden kann künftig etwa, wer aus einem
anderen EU-Land hierherkommt, ohne den Abschluss
des dort laufenden Asylverfahrens abgewartet zu haben,
also sämtliche sogenannte Dublin-Flüchtlinge, wer keine
Ausweispapiere mehr besitzt oder wer einen Schleuser
bezahlt hat.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Diese Verhaltensweisen sind für Flüchtlinge oft unver-
meidlich. Ihre Politik der Abschottung der EU zwingt
Flüchtlinge, sich an Schleuser zu wenden. Jemanden
deswegen einzusperren, ist politisch und moralisch eine
regelrechte Schweinerei. Flucht ist kein Verbrechen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit diesen Verschärfungen kann nahezu jeder Flücht-
ling inhaftiert werden, und das in einer Zeit, in der ras-
sistische Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte zunehmen
und Flüchtlinge mehr denn je auf unsere Solidarität an-
gewiesen sind. Wir wollen eine Öffnung des Aufent-
halts- und Asylrechts mit Rechten für alle Flüchtlinge.
Das bedeutet eine umfassende humanitäre Bleiberechts-
regelung.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811523500

Kollegin Jelpke, ich habe die Uhr angehalten. Gestat-

ten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Kolbe?
Das wird nicht auf Ihre Redezeit angerechnet.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811523600

Lassen Sie mich trotzdem zum Ende noch meinen

Satz sagen. – Das bedeutet ein wirksames und umfassen-
des Nachzugsrecht für Familien. Wir wollen das Dublin-
System abschaffen. Ich will hier deutlich sagen: Der Ge-
setzentwurf geizt bei Verbesserungen, und er ist in sei-
nen Verschärfungen maßlos. Ich finde, es ist ein un-
glaublicher Skandal und beschämend, dass die SPD-
Fraktion hier mitmacht.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811523700

Das war ein schlichtes Missverständnis. Ihre Redezeit

wäre noch länger geworden, wenn Sie sich auf die Frage
der Kollegin Kolbe eingelassen hätten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, es langt, wenn zweimal „Skandal“ gesagt wird! Dann ist gut!)


– Kollege Kauder, Sie haben mich eben auch mit Ihren
Beifallsbekundungen verwirrt. Mal sehen, wie das wei-
tergeht. – Das Wort hat jetzt der Kollege Rüdiger Veit für
die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1811523800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ulla Jelpke, wenn man deinen Worten zugehört hat,
dann muss man bei dem Protest, der im Moment im
Raum steht oder gerade eben vor dem Haus stattfindet,
den Eindruck haben: Er macht sich an einer völlig veral-
teten Gesetzesfassung bzw. an einem völlig veralteten
Entwurf fest.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will einmal klar sagen: Zu dem allerersten Ent-
wurf – Herr Minister, ich bitte um Vergebung – habe ich
– der Kollege Stephan Mayer und andere werden sich er-
innern – auch nur drei Worte des Kommentars gesagt,
nämlich: Was soll das? In der Zwischenzeit ist aber aus
dem, was im Kabinett verabschiedet worden ist, was wir
mit der Union jetzt ausgehandelt haben und was heute
Gesetz werden soll, etwas ganz anderes geworden.

Lassen Sie mich zu dem Protest noch eines an dieser
Stelle sagen: Die, die uns vorhalten, dass viel zu viele
Menschen ihr Leben riskieren müssen, um nach Europa
zu kommen, haben recht – damit jedenfalls. Ich finde so-
gar: Es ist ein Skandal, ein wirklicher Skandal, dass es
Europa bei aller Solidarität, die sonst immer bei Finanz-
hilfen apostrophiert wird, nicht schafft, für gerade ein-
mal 40 000 Flüchtlinge eine angemessene gerechte Ver-
teilung in ganz Europa hinzubekommen, obwohl sich
auch der Innenminister darum sehr bemüht hat.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Uns aber ansonsten vorzuwerfen, wir wollten die
Menschen massenhaft einsperren, geht rein faktisch an
der Sache völlig vorbei. Wer sich einmal die Mühe
macht, nachzuvollziehen, wie viele Abschiebehaftplätze
in Deutschland existieren, der wird feststellen: Diese





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)

sind in letzter Zeit stark abgebaut worden. Vielleicht ha-
ben wir gerade einmal 500 bis 600 in ganz Deutschland.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die werden auf Halde gehalten!)


Wenn jetzt diese Plätze – theoretisch unterstellt, sie
wären alle frei – wirklich konsequent besetzt würden
durch die, die zurzeit nach dem Dublin-Verfahren aus
Nachbarstaaten zu uns kommen, dann würde die Kapazi-
tät der freien Plätze in Abschiebehaftanstalten gerade
einmal einen halben Tag reichen. Das ist die Relation.
Wir sind im Gegenteil bemüht, in ganz Deutschland
menschenwürdige Unterbringungen für diejenigen Men-
schen zu schaffen, die jetzt in großer Zahl zu uns kom-
men. Wir sind schon froh, wenn wir feste Baulichkeiten
statt Zelte anbieten können. Wer wollte auf einen so ver-
rückten Gedanken kommen, zu sagen: „Jetzt brauchen
wir noch massenhaft Auffanglager oder Abschiebehaft-
anstalten“?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausreisegewahrsamsanstalten!)


Das geht völlig an der Sache vorbei. Das unterstellt uns
falsche Absichten, und das gibt der Gesetzentwurf nicht
her.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will auf den Kritikpunkt bezüglich der Fluchtge-
fahr eingehen. Die Anhaltspunkte, die im Gesetzentwurf
genannt werden, waren früher in der deutschen Recht-
sprechung die Regel, um Fluchtgefahr zu begründen.
Alle Tatbestände, die genannt sind, sind früher in der
Rechtsprechung anerkannt worden. Insoweit ändert sich
für die Betroffenen nichts, gar nichts. Es wird deswegen
kein Einziger mehr in Haft kommen – eher weniger. Das
kann ich leider aus Zeitgründen nicht weiter ausführen.

Was die Dublin-Fälle angeht, müssen Sie bitte beach-
ten: Der BGH hat in seiner Entscheidung im Juni 2014
nicht etwa gesagt, dass eine Abschiebehaft in Dublin-
Fällen generell unzulässig ist. Er hat nur gesagt: In Fäl-
len des § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 Aufenthaltsge-
setz ist sie unzulässig, weil Deutschland noch keine ge-
naue Definition der Fluchtgründe im Einzelnen geliefert
hat. – Das tragen wir jetzt nach. Wenn wir uns europa-
rechtskonform verhalten wollen, dann müssen wir das
tun, sonst können wir uns, was den Vergleich mit ande-
ren europäischen Ländern angeht, auf europäischer
Ebene nicht mehr sehen lassen. Stichwort auch hier: So-
lidarität.

Das ist neu, aber nicht im Vergleich zu früheren Zei-
ten, sondern nur im Lichte der seit Anfang 2014 gelten-
den neuen Dublin-III-Verordnung und der Rechtspre-
chung des BGH, der gesagt hat, dass wir etwas machen
müssen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811523900

Kollege Veit, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung der Kollegin Dağdelen?


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1811524000

Gerne.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811524100

Herr Kollege Veit, Sie haben so getan, als wenn die-

ses Gesetzespaket nur noch Verbesserungen für Betrof-
fene enthielte. Sie haben das so begründet, dass man
dem Europarecht damit Genüge tun will. Die SPD hat in
ihrem Wahlprogramm versprochen – der SPD-Vorsit-
zende war im Wahlkampf 2013 Klinken putzen bei den
türkischen Migrantenorganisationen –, die Sprachnach-
weise beim Ehegattennachzug aufzuheben, wenn man in
die Regierung kommt.

Es gab 2014 ein Urteil des EuGH, das Dogan-Urteil.
Der Europäische Gerichtshof hat geurteilt, dass Sprach-
nachweise beim Ehegattennachzug europarechtswidrig
sind, weil sie im Falle von türkischen Staatsangehörigen
gegen Assoziationsrecht verstoßen. Daraufhin gab es
erst einmal eine Ansage des Auswärtigen Amts – ein
SPD-Minister steht diesem Ministerium vor –, dass das
Urteil umgesetzt wird und dass man die Sprachnach-
weise aufheben möchte. Es gab inzwischen auch andere
Urteile. Am 9. Juli wird der Europäische Gerichtshof
noch einmal urteilen. Da wird geprüft, ob Sprachnach-
weise im Rahmen des Ehegattennachzugs auch gegen
die Familienzusammenführungsrichtlinie verstoßen.

Meine Frage: Wenn Sie doch europarechtskonforme
Gesetze vorlegen wollen, warum heben Sie dann nicht
endlich die europarechtswidrige, schändliche Regelung
auf, den Ehegattennachzug mit der Voraussetzung eines
Sprachnachweises zu verknüpfen, damit die Schikane
gegen Eheleute ein Ende hat?


(Beifall bei der LINKEN)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1811524200

Liebe Sevim Dağdelen, in der Bewertung sind wir uns

völlig einig. Wir als SPD hätten diese Regelung gerne
gänzlich aufgehoben. Das war mit der Union nicht zu
machen.

Stichwort: europarechtskonform, ja oder nein? Ich
verfüge nicht über prophetische Gaben. Der EuGH wird
am 9. Juli genau darüber eine Entscheidung treffen


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Hat er schon!)


und uns dann sagen, ob diese Regelung insgesamt euro-
parechtskonform ist – ja oder nein –, und, wenn ja, even-
tuell auch in Verbindung mit einer Härtefallklausel, wie
wir sie jetzt ins Gesetz hineingeschrieben haben.

Wie gesagt: Wir haben das nicht gerne gemacht, wir
hätten es gern anders gehabt; aber ein politischer Kom-
promiss auch in der Frage setzt nun einmal wechselseiti-
ges Nachgeben voraus. Deswegen steht das jetzt so drin.

Ich würde gerne in meinen Ausführungen fortfahren
und versuchen, Ihnen in der Kürze der Zeit darzulegen,
was sich alles mit dem Gesetz zum Positiven verändert:
Bleiberecht für langjährig Geduldete, für Jugendliche
sogar nach vier Jahren. Vor allen Dingen – die meisten
beachten es vielleicht nicht hinreichend –: Wir verzich-
ten auf die vollständige Sicherung des Lebensunterhal-
tes. Das ist allein schon für die 20 000 Menschen extrem
wichtig, die nach der alten Regelung zwar zunächst eine





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)

Aufenthaltserlaubnis bekommen haben, welche aber
nicht verlängert werden konnte, weil sie ihren Lebensun-
terhalt nicht sichern konnten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage in Richtung der Grünen: Es wäre uns in der
Tat lieber gewesen, Volker Beck, für Jugendliche in der
Berufsausbildung im Gesetz nicht nur eine Duldung vor-
zusehen, sondern eine Aufenthaltserlaubnis.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Duldung jetzt schon geht!)


Aber auch da war nicht mehr machbar. Jedenfalls ist es
ein Fortschritt in Sachen Rechtssicherheit, sowohl für
die Auszubildenden als auch für die Handwerksmeister,
ihre Ausbilder.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist uns gelungen, eine Regelung für das sogenannte
Resettlement-Verfahren, also die Aufnahme von Flücht-
lingen hier bei uns, ins Gesetz hineinzuschreiben und
dabei ausdrücklich klarzustellen, dass die Betroffenen,
wenn sie denn hier sind und eine Aufenthaltserlaubnis
bekommen, ihre Familien nachholen können. Auch das
ist lange nicht selbstverständlich gewesen und betrifft
auch in der Zukunft sehr viele Menschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Weiterhin: Auch subsidiär Geschützte – ich kann jetzt
nicht im Einzelnen ausführen, wer zu dieser Gruppe ge-
hört, aber es waren im letzten Jahr immerhin 5 000 Men-
schen – bekommen jetzt die Möglichkeit, ihre Familien
nachzuholen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nächster Punkt. Wir sehen einen verbesserten Status
für Opfer von Menschenhandel vor.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mit den Opfern von Menschenhandel ist doch eine Katastrophe!)


Wir haben schließlich einen neuen Aufenthaltstitel für
Personen geschaffen, die hier bei uns in Deutschland zu-
sätzliche Qualifikationen erwerben, damit im Ausland
erworbene berufliche Qualifikationen anerkannt werden
können.

Das sind nur einige wenige Punkte, die eindeutig auf
der Habenseite zu verbuchen sind, Regelungen, die ganz
viele Menschen – gerade bei der Bleiberechtsregelung
sind es Zigtausende – begünstigen und ihnen auch für
die nächsten Jahre Sicherheit geben. Das ist gut für diese
Menschen, das ist gut für unsere Gesellschaft, die mit
der Mitwirkung dieser Menschen in jeder Weise rechnen
kann. Die Betroffenen haben bisher nur aus dem Koffer
gelebt. Von daher ist das ein echter Fortschritt.

Meine Damen und Herren, ich habe am Anfang ge-
sagt: Für einen Teil der Überlegungen der Demonstran-
ten habe ich Verständnis. – Das ist auch der Grund,
warum der Tag der Verabschiedung dieses Gesetzes
nicht nur als Feiertag angesehen werden kann. Das ist
sozusagen der Wermutstropfen. Ich würde aber gerne
feststellen, dass jetzt mit der zweiten und dritten Lesung
vieles von dem, was insbesondere Pro Asyl und zahlrei-
che andere Nichtregierungsorganisationen, die sich um
das Wohl von Flüchtlingen kümmern, seit Jahren – um
nicht zu sagen: seit Jahrzehnten – von uns verlangt und
erwartet haben, Gesetz wird. Das ist eigentlich auch ein
Grund zur Freude und eben nicht nur zum Demonstrie-
ren, ausgehend von falschen Voraussetzungen.

Ich sage in der zusammenfassenden Bewertung
höchstpersönlich für mich: Wenn richtig wäre, liebe
Ulla, liebe Sevim und andere, die uns das vielleicht vor-
halten, dass das, was wir uns heute anschicken zu be-
schließen, die schlimmste Verschärfung des Asylrechtes
seit dem Asylkompromiss ist, dann würde ich spätestens
an dem Tag, an dem Sie, meine sehr verehrten Damen
und Herren, mir das nachgewiesen haben, in Rente ge-
hen. Dann wäre ich mein Geld nicht wert.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gefährlich! – Auf der Tribüne wird ein Transparent entrollt)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811524300

Ich bitte zunächst darum, die notwendige Ordnung

herzustellen. – Bei der Gelegenheit möchte ich darauf
hinweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie
schon im Saale sind: Ich habe mich vergewissert, dass
wir für alle Kolleginnen und Kollegen hier im Saal eine
Sitzgelegenheit haben. Unsere Debatte dauert noch neun
Minuten.


(Unruhe)


Damit ich dem nächsten Redner das Wort erteilen kann,
bitte ich alle, die schon im Saal sind, erst einmal Platz zu
nehmen. Sollten Sie in Ihren interfraktionellen Ge-
sprächsgruppen weiter zusammenbleiben wollen, aber in
Ihrer Fraktion keinen Platz finden, gewähren die anderen
Fraktionen Ihnen bestimmt die Möglichkeit, bei ihnen
Platz zu nehmen. – Es betrübt mich, dass auch die Frak-
tion Die Linke mir nicht folgt. Das gilt auch für die
Unionsfraktion. – Ich werde die Debatte nicht weiterfüh-
ren, bevor wir nicht die notwendige Aufmerksamkeit für
die nächsten zwei Redner haben.


(Anhaltende Unruhe)


– Das gilt auch für die Fraktion Die Linke, das sage ich
ausdrücklich. Es geht hier nicht weiter, bevor Sie nicht
sitzen. – Auch bei der SPD gibt es noch Bedarf, Plätze
zu finden. Vielleicht können Sie Ihren Kollegen behilf-
lich sein?


(Zuruf von der SPD: Die können nur stehen!)


– Ja, wenn sie nur stehen würden und nicht noch laut Ge-
spräche führen würden, dann wäre das in Ordnung.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Können wir nicht weitermachen?)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

– Kollege Grund, wir machen dann weiter, wenn die not-
wendige Aufmerksamkeit hergestellt ist. Wir hören auch
noch dem Redner der Grünen bzw. der Rednerin der
Union zu.

Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811524400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit die-

sem Gesetzentwurf bleibt im Aufenthaltsgesetz kein
Stein auf dem anderen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Oje!)


Es hat schon Gründe, dass wir in diesem Hohen Hause
nach 20 Uhr über den vorliegenden Gesetzentwurf dis-
kutieren. Es hat auch Gründe, dass sowohl der Bundes-
innenminister als auch du, lieber Rüdiger Veit, kaum et-
was zum Inhalt des Gesetzentwurfes gesagt haben. Das
hätte ich auch so gemacht, wenn ich den hätte vertreten
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen des Abg. Burkhard Lischka [SPD])


Natürlich ist es richtig, dass die Bleiberechtsregelung
ein Fortschritt ist,


(Rüdiger Veit [SPD]: Dafür haben wir gekämpft!)


aber sie ist löchrig, und sie fällt hinter die Vorschläge des
Bundesrates zurück. Die überfällige Bleiberechtsrege-
lung wurde von der SPD teuer erkauft: allerlei Haft,
viele Grundrechtseingriffe und mögliche Rückschritte
für Geduldete in der Ausbildung. Haarsträubend ist der
vorliegende Gesetzentwurf insbesondere in drei Punk-
ten. Wir fordern Sie daher auf, Ihren falschen Weg im
Rahmen von namentlichen Abstimmungen zu korrigie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Lieber Rüdiger Veit, du hast gesagt, wenn jugendliche
Asylbewerber in Ausbildung kommen, dann werde
künftig eine Duldung ausgesprochen; das sei ein Fort-
schritt.


(Rüdiger Veit [SPD]: Ja!)


Ich zitiere deinen Innenminister aus Nordrhein-Westfa-
len:

Die Bundesregierung stellte klar, dass die Auf-
nahme einer Berufsausbildung zu den dringenden
persönlichen Gründen zählt und eine Duldung da-
her bereits nach geltender Rechtslage erteilt werden
kann.


(Rüdiger Veit [SPD]: Aber nicht überall!)


Mit diesem Gesetzentwurf – das ist die einzige Ände-
rung – sorgt ihr für mehr rechtliche Unsicherheit für
Auszubildende, die mit über 21 Jahren eine Ausbildung
aufnehmen. Hier droht eine Verschlechterung.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


Wir wollen: Den Geduldeten, die eine Ausbildung be-
ginnen, ist für die Zeit der Ausbildung eine Aufenthalts-
erlaubnis zu erteilen,


(Burkhard Lischka [SPD]: Das ist nie zur Anwendung gekommen! Das ist Blödsinn!)


damit sowohl die auszubildenden Flüchtlinge als auch
die Handwerksbetriebe, die sie zur Ausbildung anstellen,
Rechtssicherheit haben.


(Zuruf des Abg. Burkhard Lischka [SPD])


– Jetzt habe überwiegend ich das Wort, Herr Kollege
Lischka. – Die Handwerksbetriebe sollen nicht andert-
halb Jahre in jemanden investieren, der dann plötzlich
weg ist, ohne Abschluss, ohne dass er die Ausbildung
beenden konnte. Das, was Sie hier machen, ist einfach
lebensfremd.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das widerspricht auch den Forderungen der Wirtschafts-
verbände. Seien Sie human und wirtschaftsfreundlich.
Sie hätten die Chance dazu, indem Sie diese falsche Re-
gelung korrigieren.

Zweiter Punkt – Kollegin Dağdelen hat das schon an-
gesprochen –: Beim Ehegattennachzug bestehen Sie
weiter auf die unsinnigen Sprachtests.


(Rüdiger Veit [SPD]: Wir eben nicht! Das habe ich gesagt!)


Der Schutz von Ehe und Familie kann nicht unter
Sprachvorbehalt stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist ein hohes Gut. Deshalb bringen wir heute hier ei-
nen Gesetzentwurf zur Verwirklichung des besonderen
Schutzes von Ehe und Familie – auch für Menschen
ohne deutsche Staatsangehörigkeit – ein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Grundgesetz steht nicht: Schutz von Ehe und Familie
nur für Deutsche. Das muss für alle gleichermaßen gel-
ten.


(Rüdiger Veit [SPD]: Ich habe etwas dazu gesagt!)


Der Sprachtest ist doch Unsinn sondergleichen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Das ist richtig!)


Deutsch lernt man am besten in Deutschland


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD])






Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

und nicht im Ausland, auf dem Land, wo es keine
Sprachschule gibt.

Sie setzen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
einfach nicht um. Konsequent nehmen Sie das Urteil
nicht zur Kenntnis.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Steinmeier!)


Das ist, wie ich finde, wirklich ein Skandal. Das Ganze
ist doch sowieso schon ein Flickenteppich, weil wir mit
den einzelnen Ländern verschiedene Abkommen ge-
schlossen haben. Wir behandeln die Menschen unter-
schiedlich, je nachdem, wo sie herkommen.

Die Änderungen beim Bleiberecht, die von Rüdiger
Veit so hoch gelobt werden, werden mit einer Verschär-
fung der Abschiebehaft erkauft.


(Burkhard Lischka [SPD]: Es wird nichts verschärft! Wo wird denn da was verschärft? – Daniela Kolbe [SPD]: Jetzt mal konkret!)


Indem Sie die rechtlichen Gründe schärfer formulieren,
führen Sie eine völlig neue Hintertür ein, nämlich den
Ausreisegewahrsam. Haft ohne jeden Haftgrund – das ist
so etwas von europarechtswidrig! Wir werden heute im
Wege einer namentlichen Abstimmung das Abstim-
mungsverhalten festhalten, damit wir genau wissen, wer
zugestimmt hat, wenn der EuGH oder das Verfassungs-
gericht sagt, dass das so nicht geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811524500

Kollege Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811524600

Darf ich noch einen Gedanken ansprechen?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811524700

Wenn Sie dem Kollegen Veit gestatten, eine Frage zu

stellen oder eine Bemerkung zu machen, dann haben Sie
die Chance dazu.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811524800

Ja.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1811524900

Lieber Kollege Volker Beck, ist dir und anderen bei

dieser Kritik am Ausreisegewahrsam, der maximal vier
Tage dauert und in der Tat neu ins Gesetz geschrieben
wird, vielleicht entgangen, dass wir im gleichen Atem-
zug die sogenannte kleine Sicherungshaft, die bis zu
14 Tage dauern kann, abgeschafft haben?


(Burkhard Lischka [SPD]: Genau!)


Willst du der Feststellung widersprechen, dass das im
Sinne der Betroffenen eine echte Verbesserung ist, näm-
lich zumindest zehn Tage weniger?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811525000

Nein. Gegen diesen Ausreisegewahrsam, so wie er

ausgestaltet ist, können die Betroffenen keinen Rechts-
behelf einlegen. Das, was da stattfindet, läuft im rechts-
staatlichen Niemandsland ab.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier Tage ohne Haftprüfung!)


Man kann Leute nicht ohne Haftgrund einsperren, auch
nicht vier Tage. Das sind keine Straftäter!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Herr de Maizière, wir sind uns einig – ich sage das,
damit hier kein Popanz aufgebaut wird; Rüdiger, bleib
ruhig stehen, denn dann habe ich noch ein bisschen mehr
Zeit –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811525100

Sie müssen zum Ende kommen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811525200

– dass Menschen, die hier keinen Schutzanspruch ha-

ben und nicht als Arbeitsmigranten kommen, das Land
verlassen müssen. Dafür kann man aber doch nicht auf
rechtsstaatswidrige Mittel zurückgreifen. Dabei bleiben
wir.

Dieses Gesetz ist am Ende für viele Menschen eine
Katastrophe. Für einige wird es eine Verbesserung
geben; aber damit wird das Unrecht, das dadurch
geschieht, nicht aufgewogen. Denen, denen Unrecht ge-
schieht, geschieht Unrecht, und das darf man nicht hin-
nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811525300

Das Wort hat die Kollegin Andrea Lindholz für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1811525400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Es steht völlig außer Frage, dass wir
Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, Asyl
in Deutschland gewähren und sie zügig und bestmöglich
versorgen und integrieren.

Wir brauchen ein verlässliches Asylrecht, um wirk-
lich schutzbedürftigen Flüchtlingen schnell helfen zu
können. Aktuell werden allerdings bei zwei Dritteln aller
Asylbewerber keine Schutzgründe festgestellt. Am
31. Dezember 2014 standen rund 154 000 ausreise-
pflichtige Personen im Ausländerzentralregister. Im ge-
samten Jahresverlauf 2014 wurden bundesweit nur
knapp 11 000 Abschiebungen und circa 13 000 freiwil-
lige Ausreisen verzeichnet. Diese Diskrepanz zeigt, dass
unser Asylrecht nicht konsequent umgesetzt wurde.

Viele Menschen leben seit Jahren ohne gesicherten
Aufenthaltsstatus bei uns. Der vorliegende Gesetzent-





Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

wurf soll diese Schieflage im deutschen Asylrecht korri-
gieren. Ausländer, die schon lange ohne gesicherten
Aufenthaltsstatus bei uns leben und sich nachweislich
gut integriert haben, sollen nun ein gesichertes Bleibe-
recht erhalten. Das ist auch richtig so.

Gleichzeitig werden aber Ausweisungshindernisse
beseitigt. Die veraltete dreistufige Kann-Soll-Muss-Re-
gelung im Ausweisungsrecht wird abgeschafft. Künftig
sollen Behörden und Verwaltungsgerichte in jedem Ein-
zelfall zwischen individuellen Bleibeinteressen und öf-
fentlichen Ausweisungsinteressen abwägen, die im Ge-
setzentwurf klar definiert wurden.

Mit den neuen Einreise- und Aufenthaltssperren soll
Asylmissbrauch vorgebeugt werden. Personen, die
mehrfach unbegründete Asylanträge gestellt haben, kön-
nen für den gesamten Schengen-Raum gesperrt werden.

Unter den zehn Hauptherkunftsländern befinden sich
seit Jahren fünf Balkanstaaten, obwohl die Asylbewer-
ber aus diesen Ländern zu quasi 100 Prozent abgelehnt
werden. Diese Menschen suchen – das geben sie in den
Anhörungen im Wesentlichen so an – bei uns Arbeit.
Das ist verständlich, aber für sie gibt es legale Wege, wie
zum Beispiel die Einwanderung über einen der 70 Man-
gelberufe in Deutschland. Asyl – auch wenn das manch
einer nicht hören will – dient dem Schutz vor Verfolgung
und eben nicht der Anwerbung von Fachkräften und
auch nicht der Bekämpfung von Armut.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Außerdem schließen wir eine Regelungslücke im
deutschen Recht. Der BGH hat uns ausdrücklich ange-
mahnt, dass es im deutschen Recht an klaren Kriterien
für die sogenannte Dublin-Haft fehlt. Die Abschiebehaft
steht künftig unter Richtervorbehalt. Entlang ganz klar
definierter Indizien, die zusammen die Annahme von
Fluchtgefahr begründen können, muss ein Richter diese
in jedem Einzelfall prüfen und auch die Verhältnismä-
ßigkeit der Haft feststellen. Es ist damit auch keine Ver-
schärfung vorgenommen worden.

Tatsächlich Schutzbedürftige, vor allem Flüchtlinge
aus Neuansiedlungsprogrammen und Jugendliche, wer-
den aufenthaltsrechtlich deutlich besser gestellt. Wir
schaffen einen neuen Aufenthaltstitel, um durch nach-
trägliche Bildungsmaßnahmen in Deutschland die Aner-
kennung von ausländischen Qualifikationen zu erleich-
tern. Natürlich hilft die Klarstellung in § 60 a
Aufenthaltsgesetz, lieber Herr Beck, dass die Betriebe in
Zukunft Rechtssicherheit erhalten. Jugendliche, die vor
dem 21. Lebensjahr eine Ausbildung begonnen haben,
können sie definitiv in Deutschland abschließen, wenn
die Länder entsprechende Regelungen umsetzen. Das
werden sie auch tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es liegt weiterhin im Ermessen der Ausländerbehörde,
die Duldung für eine Ausbildung erstmalig für ein Jahr
zu erteilen. Wenn die Ausbildung ordnungsgemäß absol-
viert wird, muss die Duldung jedes Jahr verlängert wer-
den. Wir schaffen damit deutschlandweit eine einheitli-
che Regelung.
In diesem Jahr werden insgesamt 450 000 Asylbewer-
ber erwartet. Das entspricht einem Anstieg von über
1 600 Prozent innerhalb der letzten acht Jahre. Ange-
sichts dieses gewaltigen Anstieges ist es für die öffentli-
che Akzeptanz unseres Asylsystems von entscheidender
Bedeutung, dass wir neben einer verbesserten Bleibe-
rechtsregelung, neben schnellerer und unbürokratischer
Hilfe für Kriegsflüchtlinge und andere schutzberechtigte
Asylbewerber auch dafür sorgen, dass die vielen aus-
sichtslosen Asylbewerber von der illegalen Einreise ab-
gehalten oder zügig zurückgeführt werden.

Wenn wir in diesen Tagen Kritik an unseren neuen
Regelungen zu hören bekommen, wie auch heute hier,
dann möchte ich den bisherigen UNHCR-Vertreter in
Deutschland, den niederländischen Diplomaten Hans ten
Feld, zitieren, der zu Recht eine europäische Asylpolitik
angemahnt hat, uns aber gleichzeitig einen solidarischen
und verantwortlichen Umgang mit Flüchtlingen beschei-
nigt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist zwar auch eine europäische Aufgabe. Aber er hat
den Deutschen eines bescheinigt – das hat er wörtlich
gesagt; dieses Zitat möchte ich zum Schluss bringen –:

Nicht nur in Europa und nicht nur als Frage von
Grenzkontrollen. Sondern auch damit, wie man vor
Ort

– denn auch das wird oft nicht berücksichtigt –

oder in Nachbarländern helfen kann. Das sind
wichtige Schritte, wichtige Signale, die da von
Deutschland ausgehen.

Insofern stellt der heutige Gesetzentwurf, den wir zur
Abstimmung stellen, einen weiteren Baustein im Rah-
men unserer Gesamtschau der Asyl- und Entwicklungs-
politik dar. Wir sind auf einem richtigen Weg. Ich bitte
Sie heute um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811525500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthalts-
beendigung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/5420, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen
18/4097 und 18/4199 in der Ausschussfassung anzuneh-
men.

Hierzu liegen vier Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstim-
men.

Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/5425. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abge-
lehnt.

Bevor wir jetzt zu den drei Änderungsanträgen kom-
men, zu denen namentliche Abstimmung verlangt
wurde, möchte ich darauf hinweisen, dass die Sitzung
bis zum Vorliegen der Ergebnisse unterbrochen wird. Im
Anschluss daran werden wir einfache Abstimmungen
und eine weitere namentliche Abstimmung durchführen.

Wir stimmen nun über die drei Änderungsanträge ab,
zu denen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentli-
che Abstimmung verlangt hat.

Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/5423. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am vorge-
sehenen Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die erste
namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf
Drucksache 18/5423.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir un-
terbrechen nicht jetzt, sondern wenn diese Abstimmung
abgeschlossen ist, führen wir sofort die zweite namentli-
che Abstimmung durch. Zurzeit sind wir noch bei der
ersten.

Ich bitte darum, den Kolleginnen und Kollegen, die
noch nicht abgestimmt haben, dies zu ermöglichen, in-
dem die Gänge frei gemacht werden bzw. sich diejeni-
gen, die abgestimmt haben, wieder in die Reihen der
Fraktionen begeben.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine
Stimme zur ersten namentlichen Abstimmung noch nicht
abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die
Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.

Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5424. Sind
alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem
Platz? – Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die
zweite namentliche Abstimmung über den Änderungs-
antrag auf Drucksache 18/5424.

Gibt es ein Mitglied des Hauses, welches seine
Stimme zur zweiten namentlichen Abstimmung noch
nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.1)

Schließlich kommen wir zu dem Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5426.
Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am Platz? –
Das ist der Fall. Ich eröffne die dritte namentliche Ab-
stimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache
18/5426.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme zur dritten namentlichen Abstimmung noch
nicht abgegeben hat?

Ich wiederhole die Frage: Gibt es noch ein Mitglied
des Hauses, welches sich gehindert fühlte, seine Stimme
zur dritten namentlichen Abstimmung abzugeben? – Das
ist nicht der Fall.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen.2)

Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen
Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 20.32 bis 20.40 Uhr)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811525600

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene

Sitzung ist wieder eröffnet.

Zuallererst kommen wir natürlich zu den Ergebnis-
sen der namentlichen Abstimmungen. Ich bitte Sie,
die Sicht für das Präsidium ein wenig freizumachen,
weil wir vor der nächsten namentlichen Abstimmung
noch über einen Gesetzentwurf abstimmen. Wir wollen
natürlich die Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei fest-
stellen.

Ich komme zu dem von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnis der ersten namentli-
chen Abstimmung: abgegebene Stimmen 592. Mit Ja ha-
ben 58 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein
haben 474 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, 60 Kol-
leginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit ist
der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen abgelehnt.

1) Ergebnis Seite 11165 A
2) Ergebnis Seite 11167 B
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592;
davon

ja: 58
nein: 474
enthalten: 60

Ja

SPD

Dr. Karamba Diaby
Susann Rüthrich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller

(Braunschweig)


Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Enthalten

SPD

Stefan Schwartze
Sonja Steffen

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(B)

Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Wir kommen zum zweiten Änderungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen und zu dem von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung: abgegebene Stim-
men 592. Mit Ja haben 119 Kolleginnen und Kollegen
gestimmt, mit Nein 470, 3 haben sich enthalten. Auch
dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592;
davon

ja: 119
nein: 470
enthalten: 3

Ja

SPD

Dr. Karamba Diaby
Dr. Ute Finckh-Krämer
Hilde Mattheis
Frank Schwabe
Christoph Strässer

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Enthalten

SPD
Susann Rüthrich
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
Damit kommen wir zum dritten Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zu dem von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung: abgegebene Stim-
men 589. Mit Ja haben 118 Kolleginnen und Kollegen
gestimmt, mit Nein 468, und 3 haben sich enthalten.
Auch dieser Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 590;

davon

ja: 119

nein: 468

enthalten: 3

Ja

SPD

Dr. Karamba Diaby
Dr. Ute Finckh-Krämer
Hilde Mattheis
Susann Rüthrich
Christoph Strässer
DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuzj
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Enthalten

SPD

Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Sonja Steffen





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/4097
und 18/4199. Mir liegen dazu mehrere Erklärungen nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor. Entsprechend unse-
ren Regeln nehmen wir diese Erklärungen zu Protokoll.1)

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen damit zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bin gespannt, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, wie Sie das jetzt entsprechend un-
seren Regeln bewerkstelligen wollen, wenn Sie in den
Gängen stehen bleiben. Ich bitte nämlich diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Ich gestehe, ich bin mit Blick auf einige Fraktionen ver-
wirrt. Wer stimmt dagegen? – Also, ich mache darauf
aufmerksam: Jeder und jede kann nur einmal votieren.
Wer jetzt steht, stimmt gegen den Gesetzentwurf, um das
deutlich zu sagen. Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist in dritter Lesung angenommen. Nach dem, was
wir hier vorn feststellen konnten, ist die Annahme mit
den Stimmen der überwiegenden Anzahl der Kollegin-
nen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-
Fraktion erfolgt und die Ablehnung mit der überwiegen-
den Anzahl der abgegebenen Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bei ei-
nigen Kollegen kann ich nur feststellen: Entweder sie
haben sich an allen drei Möglichkeiten beteiligt, oder sie
wollten demonstrieren, dass sie an dieser Abstimmung
nicht teilgenommen haben. Ich bitte, das in Zukunft zu
berücksichtigen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge und beginnen mit dem Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/5428.2) Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Darf ich erfahren, wie die Fraktion Die
Linke votiert? Hier gab es eben ein sehr unterschiedli-
ches Abstimmungsverhalten. – Ich frage noch einmal:
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abge-
lehnt.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/5427. Die Fraktion Die
Linke verlangt namentliche Abstimmung.3)

Ich bitte Sie aus gegebenem Anlass, auf Ihre Stimm-
karten zu schauen und sich zu vergewissern, dass die
Stimmkarte Ihren Namen trägt.

1) Anlagen 5 bis 8
2) Anlage 9
3) Anlage 10
Außerdem möchte ich Sie daran erinnern, dass wir zu
dem folgenden Tagesordnungspunkt 18 – Subventionen
für Atomkraftwerke in der EU – in circa 25 Minuten
zwei weitere namentliche Abstimmungen durchführen
müssen.

Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer die
vorgesehenen Plätze eingenommen? – Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung über den Entschließungsan-
trag der Fraktion Die Linke.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine
Stimme zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke noch nicht ab-
geben konnte? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe da-
mit die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.4)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/3268 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich bitte, möglichst zügig die notwendige Ordnung
herzustellen – auch rund um die Regierungsbank –, da-
mit ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen
kann. Auch die nächste Rednerin ist nicht erfreut über
Konkurrenz neben dem Rednerpult.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Völlig richtig! Sorgen Sie mal für Ordnung!)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus
Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Aktiv gegen Subventionen für den Neubau
von Atomkraftwerken in der EU

– zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Subventionen für britisches Atomkraft-
werk Hinkley Point C stoppen und rechtli-
che Schritte einlegen

Drucksachen 18/4215, 18/4316, 18/5417

Über die Beschlussempfehlung zu beiden Anträgen
werden wir später namentlich abstimmen. Damit wir das
tun können, werden wir zuerst eine Debatte führen. Des-
wegen lautet meine dringende Bitte an die Herren Staats-
sekretäre und Staatsminister, uns das nun auch zu er-
möglichen.

4) Ergebnis Seite 11172 C





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1811525700

Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen

und Kollegen! Wir haben heute darüber zu entscheiden,
ob sich die Bundesregierung mittels Klage gegen eine
Entscheidung der EU-Kommission wenden soll. Diese
Entscheidung betrifft die Genehmigung einer Beihilfe
vonseiten der Briten zugunsten des Neubaus des recht
großen Atomkraftwerks Hinkley Point C. Ich möchte an
dieser Stelle vorweg betonen, dass die Beihilfe vonseiten
der Briten gewährt würde. Es handelt sich also nicht um
europäisches Geld, sondern ausschließlich um eine briti-
sche Entscheidung.

Der Förderrahmen, den die Briten für Hinkley Point C
vorsehen, ist ziemlich üppig ausgestaltet. Er umfasst drei
wesentliche Säulen: eine Vergütung, die auf 35 Jahre an-
gelegt ist, Garantien und einen Inflationsausgleich sowie
eine Versteinerung der Förderbedingungen. Selbst wenn
irgendwann politisch anders entschieden würde, will der
britische Staat heutzutage sicherstellen, dass die Förder-
bedingungen aufrechterhalten werden. Damit handelt es
sich zweifellos um eine Beihilfe. Bei der Bewertung der
Anträge, mit denen die Bundesrepublik aufgefordert
werden soll, gegen diese Beihilfeentscheidung zu kla-
gen, ist unbestritten, dass es sich um eine Beihilfe han-
delt.

Ich möchte ganz deutlich sagen: Für mich ist eben-
falls unbestritten, dass es sich hier um ein unverantwort-
liches Projekt der Briten handelt.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich erinnere an die Erfahrungen mit Tschernobyl und Fu-
kushima. Wir wissen, dass die Atomenergie absolut un-
rentabel und teurer ist als erneuerbare Energien und dass
die Endlagerfrage weltweit nicht gelöst ist. Es ist eine
Hochrisikotechnologie. Insofern halte ich es für richtig
und den einzig wahren Weg, für den sich Deutschland
entschieden hat, nämlich einen ganz klaren Ausstieg aus
der Atomenergie zu wählen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun stellt sich aber die Frage, worauf sich diese
Klage gründet. Die Klage wäre dann gerechtfertigt,
wenn es sich um eine zweifelsohne rechtswidrige Beihil-
feentscheidung, also um eine offensichtlich rechtsfehler-
hafte Beihilfeentscheidung handeln würde. Das europäi-
sche Recht sieht für wettbewerbliche Verzerrungen, die
hier auch zu erwarten sind, einen weiten Ermessensspiel-
raum vor. Die Kommission hat einen weiten Ermessens-
spielraum, wenn sie zu bewerten hat, ob Wettbewerbs-
und Handelsverzerrungen als beihilferechtswidrig einzu-
stufen sind.
Nach der Prüfung, die wir hier vorgenommen haben –
auch vonseiten der Bundesregierung wird das so einge-
schätzt –, liegt eine solche offenkundig rechtsfehlerhafte
Beihilfeentscheidung nicht vor. Ich möchte aber dazu sa-
gen, dass, wenn man sich die Begründung anschaut, na-
türlich schon auffällt, dass es unterschiedliche Argumen-
tationen und Bewertungen auch im Verhältnis zu den
erneuerbaren Energien gibt. Man kann ganz deutlich er-
kennen, dass bei erneuerbaren Energien vonseiten der
Kommission bisher – etwa in Gestalt der EU-Beihilfe-
leitlinien – restriktivere Förderrahmen als opportun be-
zeichnet wurden als jetzt im Rahmen der Beihilfeent-
scheidung bezüglich Hinkley Point C.

Aber auch daraus muss man nicht zwingend folgern,
dass diese Entscheidung nun offensichtlich rechtsfehler-
haft ist, sondern man kann auch zu dem Schluss kom-
men, dass dieser Gestaltungsrahmen, den die Kommis-
sion jetzt für Hinkley Point C ansetzt, zulässig ist. Aber
dann muss er natürlich auch zulässig für erneuerbare
Energien sein. Genau an dieser Stelle beginnt die Frage
politisch zu werden. Es ist die Frage, ob die Kommission
bei einer Entscheidung, die einen sehr weiten Gestal-
tungsspielraum für eine wettbewerblich eingreifende
Maßnahme eines Staates vorsieht, vonseiten eines ande-
ren Staates angehalten werden soll, dem jeweiligen Mit-
gliedstaat auf die Finger zu hauen und zu sagen: „Das ist
ein zu weiter Beihilfebegriff, das muss restriktiver ge-
handhabt werden“, oder ob ein Staat sagt: „Nein, wir
nehmen das zur Kenntnis; hier ist ein weiterer Gestal-
tungsspielraum in Anspruch genommen worden, aber
das muss bitteschön zukünftig auch für erneuerbare
Energien gelten.“


(Beifall bei der SPD)


Ich plädiere dafür, genau dies zum Maßstab zu neh-
men und die deutschen Bemühungen, auch in Europa auf
einen Atomausstieg hinzuwirken, zu verstärken. Das ist
dringend erforderlich. Wir brauchen dringend den euro-
päischen Atomausstieg. Das muss auch zum Maßstab
genommen werden, wenn es um die Bewertung der er-
neuerbaren Energien geht. Hier darf nicht vonseiten der
Europäischen Kommission mit zweierlei Maß gemessen
werden. Diese Entscheidung der Europäischen Kommis-
sion bedeutet für mich eindeutig, dass hiermit ein neuer
Rechtsrahmen und neue Bewertungskriterien für erneu-
erbare Energien gesetzt wurden.

Noch zu erwähnen ist, was allerdings nicht beihilfe-
rechtlich relevant ist, aber eben in diesen Kontext der
politischen Entscheidung passt, den ich gerade erwähnt
habe, dass diese Entscheidung, die die Briten gefällt ha-
ben, eine Entscheidung ist, die den nationalen Energie-
mix betrifft. Auch Deutschland hat immer sehr großen
Wert darauf gelegt, dass man frei in der Entscheidung
ist, den nationalen Energiemix zu gestalten.

Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union besagt, dass die Gestaltung des na-
tionalen Energiemixes in der Gestaltungshoheit der je-
weiligen Mitgliedstaaten liegt. Deutschland hat sich im-
mer darauf berufen, auch wenn es um den Förderrahmen
für erneuerbare Energien ging, dass diese Gestaltung das
Recht der Mitgliedstaaten ist. Ich möchte auch daran fest-
halten und finde es richtig, dass wir diesen Artikel 194 ha-





Dr. Nina Scheer


(A) (C)



(B)

ben und dass das das Recht der Mitgliedstaaten ist. An-
ders wäre es nicht möglich gewesen, dass Deutschland
in der Energiewende eine solch herausragende Pionier-
rolle eingenommen hat.


(Beifall bei der SPD)


Was daraus folgt, habe ich schon vorangestellt. Ich
meine, wir müssen auch aufgrund dieser Entscheidung
dringend darauf hinwirken, dass europäisch ein Atom-
ausstieg erfolgt und dass irgendwann eine politische Ent-
scheidung in Richtung Atomausstieg getroffen wird.
Deutschland hat sich hier auch schon positioniert. Bun-
desminister Sigmar Gabriel hat klar gesagt: Es soll keine
Förderungen von Atomenergie mit europäischen öffent-
lichen Geldern geben, auch nicht im Rahmen der Euro-
päischen Energieunion. Diese Aussage ist ganz klar.
Insofern ist es unsere Aufgabe, einerseits auf den euro-
päischen Atomausstieg hinzuarbeiten und andererseits
die Maßgaben für die Förderung erneuerbarer Energien
zu schaffen.
Abschließend – mein letzter Satz –: Wenn Deutsch-
land nicht klagt, heißt das eben nicht, dass wir diese Ent-
scheidung der Briten für gut halten. Ich habe erläutert,
was diese Nichtklageerhebung zu bedeuten hat. Ich
möchte hier noch einmal darauf hinweisen: Wir brau-
chen einen europäischen Atomausstieg.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811525800

Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Redner auf-

rufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stim-
men 593. Mit Ja haben gestimmt 115, mit Nein haben
gestimmt 477, Enthaltungen 1.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 593;
davon

ja: 114
nein: 478
enthalten: 1

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Enthalten

SPD

Susann Rüthrich
Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Zdebel,
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811525900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Es ist schon angesprochen worden: Die EU-
Kommission hat im Oktober vergangenen Jahres mit Zu-
stimmung des deutschen EU-Kommissars Oettinger ei-
nen unsäglichen Beschluss gefasst;


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


denn dieser Beschluss macht den Weg dafür frei, dass
die britische Regierung den Neubau von zwei Atomreak-
toren in Hinkley Point mit einem Rundum-sorglos-Paket
in Milliardenhöhe aus Subventionen und mit Strompreis-
garantien fördern darf.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist ein skandalöser Beschluss, der nicht nur die briti-
schen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler teuer zu ste-
hen kommen wird.

Die Regierungen von Österreich und Luxemburg wer-
den mit einer Klage gegen diesen Beschluss vorgehen,
ebenso hiesige Ökostromunternehmen und Stadtwerke.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Außerdem haben inzwischen über 160 000 Bürgerinnen
und Bürger Beschwerde gegen diesen Beschluss einge-
legt. Und was tut die deutsche Bundesregierung? Sie
kneift.





Hubertus Zdebel


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


Deswegen wollen wir Linken mit unserem Antrag errei-
chen, dass die Bundesregierung mit allen rechtlichen
und politisch möglichen Maßnahmen dafür sorgt, dass
der Beschluss der EU-Kommission zu Hinkley Point da-
hin kommt, wo er hingehört, nämlich in den Mülleimer.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hintergrund der Kommissionsentscheidung zu Hink-
ley Point ist der Euratom-Vertrag; das darf nicht verges-
sen werden. Das zeigt: Dieses Schlupfloch muss endlich
geschlossen werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Euratom-Vertrag dient nur der Atomlobby, die ihre
wirtschaftlichen Interessen auf Kosten der Steuerzahle-
rinnen und Steuerzahler durchboxen will.

Abgesehen davon ist die Begründung der Kommis-
sionsentscheidung – das haben auch Sachverständige bei
der Anhörung im Wirtschaftsausschuss herausgearbeitet –
in Sachen europäisches Beihilferecht abenteuerlich:


(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Gefälligkeitsgutachten!)


Erstens liegt entgegen der Behauptung der EU-Kom-
mission bei der Atomenergie kein Marktversagen vor.
Kein einziges Atomkraftwerk wäre je gebaut worden,
wenn es nicht schon immer massive staatliche Unterstüt-
zung gegeben hätte. Rechtsanwältin Cornelia Ziehm hat
bei der Anhörung treffend formuliert, nicht der Markt
habe versagt, sondern nach 60 Jahren Atomkraft könne
man ja wohl nur davon sprechen, die Technologie habe
versagt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens – das entkräftet ein bisschen die Argumen-
tation von Frau Scheer – sind im Gegensatz zu den er-
neuerbaren Energien, für die ein Ausbauziel von 27 Pro-
zent bis 2020 verfolgt wird, nirgends gemeinsame
europäische AKW-Ausbauziele definiert worden. Das
gibt der Euratom-Vertrag definitiv überhaupt nicht her.
Der EU-Beschluss muss aber ebenfalls vom Tisch, weil
er als Türöffner auch für andere EU-Staaten Modell ste-
hen wird: Sechs Staaten in der EU, darunter Polen und
Tschechien, stehen bereits in den Startlöchern und über-
legen, ähnlich wie Großbritannien vorzugehen. Darum:
Der Beschluss der EU-Kommission muss gekippt wer-
den.


(Beifall bei der LINKEN)


Atomausstieg in Deutschland und Atomsubventionie-
rung in Europa passen nicht zusammen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Noch eines: Nach dem kraftvollen Nein von Sigmar
Gabriel – das ist immerhin der SPD-Parteivorsitzende
und Ihr gemeinsamer Wirtschafts- und Energieminister,
sehr verehrte Damen und Herren und Abgeordnete –


(Michael Donth [CDU/CSU]: Auch Ihrer!)


zu Atomsubventionen in Europa ist es nun an unserer
bundesdeutschen Regierung, endlich etwas zu tun: Ge-
ben wir ihr in der Abstimmung über die Anträge von uns
Linken und von den Grünen den Auftrag, alles politisch
und rechtlich Mögliche zu tun, damit der Beschluss der
EU-Kommission zu Fall kommt und der Atomausstieg
in Europa weitergeht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811526000

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Jens Koeppen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1811526100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Oppositionsanträge empfehlen dem Deutschen Bun-
destag, gegen den Beschluss von Großbritannien, Atom-
kraftwerke zu bauen, zu klagen. Ich empfehle Ihnen,
vom Ende her zu denken; denn dieser Schuss kann nach
hinten losgehen. Ich denke, es ist nicht zulässig. Ich
denke auch, es ist eine Sackgasse, und es ist ein Bume-
rang. Ich werde Ihnen auch erklären, warum das aus
meiner Sicht so ist.

Die Gestaltung der Energiepolitik, etwa der Energie-
wende, liegt in der nationalen Entscheidungshoheit jedes
Mitgliedstaats der Europäischen Union. Genau diese
Entscheidungshoheit erlaubt es Deutschland, zu sagen:
Wir steigen aus der Kernenergieerzeugung aus. – Frau
Dr. Scheer, das ist eine Bewertung. Ich will jetzt gar
nicht bewerten, ob das gut oder schlecht ist. Aber Sie ha-
ben es gemacht.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es auch gemacht!)


Das ist in Ordnung. – Wir steigen allerdings nur aus der
Kernenergieerzeugung aus; nutzen werden wir die Kern-
energie noch einige Jahre oder Jahrzehnte, weil wir die
Lücke schließen müssen. – Das dazu.

Durch die souveräne Entscheidung für diesen Mix in
Deutschland ist es möglich, in das Zeitalter der erneuer-
baren Energien zu kommen. Dieser Weg wird von vielen
Nachbarn interessiert, aber auch sehr kritisch beäugt;
denn sie wissen nicht, was da passiert. Wird es gelingen?
Wird es nicht gelingen?

Natürlich, Frau Kotting-Uhl – Sie werden es nachher
sagen; Sie haben es im Ausschuss gesagt –: Jeder Ver-
gleich zu den erneuerbaren Energien hinkt. – Jeder Ver-
gleich hinkt. Ich will mich trotzdem auf die erneuerbaren
Energien bei uns konzentrieren, um danach wieder zu
Hinkley Point C zu kommen.





Jens Koeppen


(A) (C)



(D)(B)

Wir setzen auf erneuerbare Energien, und wir geben
auch eine starke staatliche Förderung dafür; das ist unbe-
stritten. Wir haben eine Einspeisevergütung über
20 Jahre. Das ist eine starke Subventionierung. Wir ha-
ben einen Einspeisevorrang für die erneuerbaren Ener-
gien. Das ist auch eine starke staatliche Subventionie-
rung. Wir haben sogar eine Vergütung für nicht
abgegebene Leistung. Wenn Energie abgeregelt werden
muss, weil es zu viel Energie gibt, weil sie nicht ver-
braucht wird, wird trotzdem bezahlt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit neuestem haben wir das auch für Kohlekraftwerke!)


Das ist etwas, Herr Krischer, was man natürlich beach-
ten muss. Die Briten oder andere könnten sagen: Das ist
ein Markteingriff. Dagegen könnten wir klagen. – Des-
wegen müssen wir vorsichtig sein, und deswegen müs-
sen wir vom Ende her denken.


(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben ungefähr 195 Gigawatt installierte Netto-
Nennleistung. Davon sind 45 Prozent – das sind 90 Gi-
gawatt – aus erneuerbaren Energien. Diese werden na-
türlich in den europaweit gekoppelten Stromspotmarkt
integriert. Das reduziert – da sind wir beieinander – den
Börsenstrompreis, und das hat eine direkte Auswirkung
auf die Märkte. Jetzt fragen andere: Ist das zulässig? Ist
das nicht ein Eingriff? Können wir dagegen nicht kla-
gen? – Deswegen warne ich davor, solche Schritte zu ge-
hen.

Wer gegen Großbritannien und den Mix dort klagt,
läuft natürlich Gefahr, dass gegen die 90 Gigawatt ge-
klagt wird. Nur zum Vergleich: Hinkley Point C wird,
wenn es fertig ist, 3,3 Gigawatt produzieren. Das sind
circa 3,3 Prozent von den 90 Gigawatt installierter
Netto-Nennleistung. Jetzt ist die Frage: Wo ist der Markt-
effekt größer, bei den 90 Gigawatt oder bei den 3,3 Giga-
watt? – Deswegen riskieren wir mit einer Klage, die Sie
in den beiden Anträgen fordern, europäische Sympa-
thien. Es ist, ganz klar, ein ideologisch geführter Kampf.
Wir werden da Widerstand ernten.

Was macht Großbritannien? Sie wissen, dass Großbri-
tannien ein sehr ehrgeiziges Klimaschutzziel hat; das ist
unbestritten. Bis zum Jahr 2050 will Großbritannien
80 Prozent CO2 einsparen. Welchen Weg geht man dort?
Man substituiert mit Hinkley Point C alte Kernenergie-
kraftwerke. Man hat Offshoreprojekte, bei denen die
Megawattstunde 188 Euro kosten wird bzw. entspre-
chend subventioniert wird. Dagegen wollen Sie übrigens
nicht klagen. Das ist auch bemerkenswert. Das ist um
70 Prozent höher als in Deutschland. Außerdem hat
Großbritannien die CCS-Technologie angewandt, um
die CO2-Emissionen aus Kohle, Gas und Industrie zu
senken. Das sind Wege, die Großbritannien festlegen
kann, und zwar ganz allein, ohne dass in irgendeiner Art
und Weise geklagt wird. Jetzt können Sie und auch die
Sachverständigen doch nicht sagen: Das ist ein Rundum-
sorglos-Paket. – Das ist nicht in Ordnung.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 35 Jahre Freistellung von Entsorgungskosten, von Inflationskosten!)


Wir sagen: Das geht so nicht. Denn viele in Europa sa-
gen: Das EEG ist ein Rundum-sorglos-Paket. – Und das
wollen wir natürlich vermeiden.

Der Weg von Großbritannien ist in der Tat nicht unser
Weg; Frau Dr. Scheer, Sie haben es gesagt. Es ist aber
die Frage: Sind wir gute Europäer, wenn wir andere Län-
der, Partner, befreundete Länder mit Klagen überziehen
für eine Sache, dessen alleinige Gestaltungshoheit in den
Mitgliedstaaten liegt? Ich glaube, das ist der falsche
Weg.

Was die Souveränität angeht, werden Sie ja wieder
damit kommen, dass das europäisch gelöst werden muss,
Frau Kotting-Uhl. Das haben Sie ja bereits im Ausschuss
gesagt. Was wäre denn, wenn eine europäische Lösung
so aussähe, dass durch irgendeinen Kommissar festge-
legt wird, dass ein Mix aus 30 Prozent Erneuerbaren,
30 Prozent Kernenergie und 30 Prozent Kohle zu instal-
lieren ist? Wäre das der bessere Weg, oder ist es doch
besser, dass die Souveränität bei den Mitgliedstaaten
liegt?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal was von europäischen Zielen gehört?)


– Ich sagte doch gerade: Wenn es festgelegt würde, dann
müssten wir die Kernenergie weiterführen und dürften
die Reaktoren nicht abschalten. Ist das dann der bessere
Weg? Ich denke, nein. Deswegen gehen wir diesen Weg
nicht mit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einen Quatsch habe ich noch gar nicht gehört! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht so!)


Was wir machen müssen, ist, für unseren Weg zu wer-
ben. Das können Sie ja nicht, Herr Krischer; Sie krei-
schen ja nur herum. Wir müssen für unseren Weg wer-
ben. Wir müssen zeigen, dass er erfolgreich ist. Noch ist
er ja nicht erfolgreich. Noch sind wir ja auf dem Weg.
Was wir machen müssen, ist: Wir müssen zeigen, dass es
funktioniert. Denn Lösungen sind immer besser als Kla-
gen,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wird es nicht funktionieren!)


schon gar unter Freunden.

Deswegen: Es bleibt dabei, dass Europa eine Werte-
gemeinschaft ist, bei der natürlich die Mitgliedstaaten
untereinander im Wettbewerb stehen. Wir müssen zei-
gen, dass wir den Wettbewerb gewinnen, dass wir das
bessere Konzept haben. Das ist die richtige Lösung. Kla-
gen ist aus meiner Sicht eine Sackgasse. Es kann ein Bu-
merang sein, der schmerzhaft zurückkommen kann. Des-
wegen sage ich: Werfen wir ihn erst gar nicht! Daher
sind Ihre beiden Anträge abzulehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811526200

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Sylvia Kotting-

Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811526300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Minister Gabriel war ja einigermaßen pikiert, als Oliver
Krischer ihn als „Abrissbirne der Energiewende“ be-
zeichnet hat.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist auch nicht schön!)


Aber in diesen Tagen verdient er sich diesen Namen end-
gültig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Gestern lässt er sich die Kohleabgabe aus der Hand
schlagen, und heute lehnt er ab, gegen die Subventionie-
rung von Atomstrom zu klagen. Und Sie alle machen
mit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und mit welchen Argumenten? Die Klage sei nicht be-
sonders aussichtsreich, haben Sie im Ausschuss gesagt.
Wer hat Ihnen das denn eingeredet? Und selbst wenn:
Wenn einem etwas wichtig ist, dann kämpft man dafür,
dann kämpft man das durch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der Kampf gegen die Atomkraft in Deutschland war
auch mal nicht besonders aussichtsreich. Wo wären wir
denn heute in Deutschland, wenn wir Grüne uns deswe-
gen damals vom Acker gemacht hätten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihr schändlichstes Argument aber ist die angebliche
Analogie zum EEG. Wenn diese Sorge einige aus der Er-
neuerbaren-Branche umtreibt, dann kann ich das noch
halbwegs verstehen. Deren Pflicht ist es nicht, sich mit
Details des europäischen Wettbewerbsrechts und mit
Beihilfegenehmigungen auseinanderzusetzen. Aber Ihre
Pflicht wäre, klarzumachen, dass diese Analogie nicht
besteht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das europäische Recht gilt für alle!)


Es ist ein Unterschied, ob ich eine junge, nicht markt-
gängige Technologie subventioniere oder eine 60 Jahre
alte, die sich heute nicht mehr rechnet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und es ist ein Unterschied, ob wie beim Ökostrom eine
20-jährige Einspeisevergütung garantiert wird oder ob
wie bei Hinkley Point ein – so muss man es nennen –
Rundum-sorglos-Paket aus Kreditgarantien, subventio-
nierten Betriebskosten, Inflationsausgleich und Entschä-
digungsansprüchen geschnürt wird. So ist ein Atomaus-
stieg in Großbritannien auch gleich ausgeschlossen.
Das Marktversagen, auf das sich die Kommission be-
ruft – das hat die Anhörung des Bundestages deutlich er-
geben –, reduziert sich auf die Nichtfinanzierbarkeit von
Atomkraftwerken.

Nachdem wir heute wissen, was Atomkraft kostet,
leistet sich das kein Investor mehr. Nach der Argumenta-
tion der Kommission, die Sie sich zu eigen machen,
müsste jede überholte Technologie subventioniert wer-
den. Wir wären heute noch in der Postkutsche unter-
wegs, weil wir die Postkutsche gegen jede Innovation im
Verkehrsbereich hätten subventionieren müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aus Artikel 40 des Euratom-Vertrags leitet die Kom-
mission ein gemeinschaftliches Interesse der EU an Hin-
kley Point her. Ende der 50er-Jahre wäre das noch rich-
tig gewesen. Artikel 40 enthält auch die Verpflichtung zu
sogenannten hinweisenden Nuklearprogrammen, die in
regelmäßigen Abständen erarbeitet werden müssen. Im
letzten hinweisenden Programm von 2007/2008 steht:
„Wichtig ist, dass in der EU in Kernenergieprojekte
keine staatlichen Beihilfen fließen.“ Der Verweis auf
Euratom ist also nicht nur einigermaßen aus der Zeit ge-
fallen, er ist auch noch falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!)


Herr Koeppen, ein Unterschied ist auch, ob es festge-
schriebene Ziele gibt oder nicht. Wir haben heute ge-
meinschaftlich festgelegte Ziele in der EU zum Ausbau
der Erneuerbaren, aber nicht mehr zur Atomkraft. Neh-
men Sie das doch mal zur Kenntnis!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrlich gemeinte
Bekenntnisse brauchen manchmal auch Taten, nicht nur
Worte. Das Bekenntnis zur Energiewende ist schön, da-
von allein kommt sie aber nicht. Das Bekenntnis zum
Einsatz gegen Atomkraft auf europäischer Ebene ist
auch schön, verpufft aber vor der Realität der Zeiten-
wende, die das Muster Hinkley Point in der EU einläutet.
Das Analyseinstitut Energy Brainpool hat dargelegt,
welche Effekte der subventionierte Atomstrom an der
Börse haben wird und was das in der Folge für EEG und
Energiewende bedeutet. Das kann niemand in diesem
Haus wollen, dessen Bekenntnis zur Energiewende ernst
gemeint ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811526400

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit. Das wäre

nämlich auch schön.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Das sind gefühlte zehn Minuten!)







(A) (C)



(D)(B)


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811526500

Ich denke an die Zeit. – Mein letzter Appell: Wenn

die Bundesregierung gegen diese rückwärtsgewandte
Subvention von Atomstrom nicht klagt, macht sie sich
mitschuldig an der Bedrohung der Erneuerbaren-Bran-
che und schafft einen neuen Bremsklotz für die Energie-
wende. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, können der
Bundesregierung heute Ihren Auftrag mitgeben. Ent-
scheiden Sie sich richtig!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Redundant!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811526600

Vielen Dank. – Das war die letzte Rednerin zu diesem

Tagesordnungspunkt.

Deshalb kommen wir nun zu den Abstimmungen zu
Tagesordnungspunkt 18. Ich weise Sie darauf hin, dass
wir jetzt zwei namentliche Abstimmungen durchführen
und dass zu diesen Abstimmungen mehrere Erklärungen
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen.1)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/5417.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/4215 mit dem Titel
„Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atom-
kraftwerken in der EU“. Wir stimmen über Buchstabe a
der Schlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die
Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-
men. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist
der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über Buch-
stabe a der Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht ab-
gegeben hat? – Hier vorne sind die Urnen frei. Oben
rechts herrscht ein großes Gedränge. Kommen Sie doch
bitte zur Mitte; dann geht es schneller.

Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass an
den Urnen hier vorne keiner ist.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der CDU/CSU bleibt man immer bei derselben Urne! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe noch zwei Leute aus dem PUA! Die kommen gerade angerannt!)


Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses Ihre Stimme
abgegeben? – Ich sehe, das ist der Fall.

Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.2)

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/5417 empfiehlt der Ausschuss für Wirt-
schaft und Energie die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4316

1) Anlagen 11 bis 14
2) Ergebnis Seite 11181 D
mit dem Titel „Subventionen für britisches Atomkraft-
werk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte
einlegen“. Wir stimmen nun über Buchstabe b der Be-
schlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen namentlich ab.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an
den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich er-
öffne die Abstimmung über Buchstabe b der Beschluss-
empfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das
seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe nie-
manden mehr. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, auszuzäh-
len. Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen
werden Ihnen später bekannt gegeben.3)

Jetzt bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die
Plätze wieder einzunehmen.

Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Bundesministergesetzes
und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse
der Parlamentarischen Staatssekretäre
Drucksache 18/4630
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


Drucksache 18/5419
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für

die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich bitte noch einmal die Kolleginnen und Kollegen,
jetzt die Plätze einzunehmen und die Gespräche außer-
halb des Plenarsaals zu führen.

Dann eröffne ich jetzt die Aussprache. Das Wort für
die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatsse-
kretär Dr. Günter Krings.


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1811526700


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zu vorgerückter Stunde diskutieren wir heute ei-
nen Gesetzentwurf, der das Ende einer zehnjährigen
Debatte über die Notwendigkeit verbindlicher Regeln
für den Wechsel von Regierungsmitgliedern, auch Parla-
mentarischen Staatssekretären, in die Wirtschaft mar-
kiert.

Die vorliegende Karenzzeitregelung schafft ein trans-
parentes Verfahren, indem eine Anzeigeverpflichtung
für Mitglieder der Bundesregierung und Staatssekretäre
eingeführt wird, wenn sie eine Beschäftigung außerhalb
des öffentlichen Dienstes aufnehmen möchten. Die be-

3) Ergebnis Seite 11184 A





Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings


(A) (C)



(D)(B)

absichtigte Beschäftigung kann untersagt werden, wenn
dadurch öffentliche Interessen beeinträchtigt werden.

Die Karenzzeitregelung – das ist der Kern – schützt
das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der
Bundesregierung. Bereits der bloße Anschein einer vor-
eingenommenen Amtsführung mit Blick auf spätere
Karriereaussichten soll ebenso wie die spätere private
Verwertung von Amtswissen verhindert werden.

Der Gesetzentwurf ist übrigens von seiner Einbrin-
gung in das parlamentarische Verfahren bis zum heuti-
gen Stand weitgehend unverändert geblieben. Selbst der
Änderungsantrag der Grünen beinhaltet aus meiner Sicht
keine substanzielle, große Änderung, auch wenn Sie sich
– das gebe ich zu – Mühe gegeben haben.


(Heiterkeit des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD])


Wir haben eine Anhörung erlebt, bei der es viel Zustim-
mung seitens der Experten gab. Natürlich gibt es im
Detail immer Verbesserungsvorschläge und Ideen; aber
die Anhörung hat wirklich gezeigt: Das ist ein Gesetz-
entwurf, der ordentlich vorbereitet worden ist und die
richtigen Eckpunkte umfasst. Ich will sie in Stichworten
nennen:

Amtierende und ehemalige Mitglieder der Bundes-
regierung unterliegen in den ersten 18 Monaten nach
Ende ihrer Amtszeit einer Anzeigepflicht in Bezug auf
Beschäftigungen außerhalb des öffentlichen Dienstes.
Auch eine Rückkehr in eine vor dem Regierungsamt
ausgeübte Berufstätigkeit ist davon umfasst. Es ist also
durchaus eine weitgehende Regelung.

Die Regelung gilt entsprechend – ich habe es eben ge-
sagt – für die Parlamentarischen Staatssekretärinnen und
Staatssekretäre und schließt natürlich auch die Bundes-
kanzlerin ein.

Wenn eine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen
vorliegt – die Gesetzesvorlage ist an dieser Stelle be-
wusst weit gefasst –, kann die Bundesregierung die Aus-
übung der Folgetätigkeit untersagen. Eine Beeinträchti-
gung öffentlicher Interessen ist insbesondere dann
anzunehmen, wenn ein inhaltlicher Zusammenhang zwi-
schen der angestrebten Beschäftigung und dem ausgeüb-
ten Amt besteht. Die Dauer der Untersagung soll in der
Regel ein Jahr betragen. Sie kann in Ausnahmefällen
auch darunter liegen; in Fällen einer schweren Beein-
trächtigung öffentlicher Interessen kann sie auch auf ei-
nen Zeitraum von bis zu 18 Monaten ausgedehnt wer-
den.

Diese Kannregelung lässt aus unserer Sicht ausrei-
chenden Spielraum, um eine im Einzelfall angemessene
Entscheidung zu treffen, die zum Beispiel die Länge von
Amtszeiten berücksichtigt oder auch das Maß der Ent-
scheidungs- und Einflussmöglichkeiten im Amt, die
etwa zwischen Bundesministern und Parlamentarischen
Staatssekretären durchaus unterschiedlich sind. Die Bun-
desregierung orientiert sich damit an bestehenden Regel-
werken wie dem Verhaltenskodex der EU-Kommission,
der ebenfalls eine bis zu 18-monatige Karenzzeit für aus-
scheidende Kommissionsmitglieder vorsieht.
Die Transparenz des Verfahrens wird umfassend si-
chergestellt. Vor einer Entscheidung der Bundesregie-
rung wird diese durch ein beratendes unabhängiges Gre-
mium unterstützt, welches in jedem Einzelfall eine
Entscheidungsempfehlung unterbreitet. Das Gremium,
das unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes ein-
gesetzt werden soll, setzt sich aus drei Persönlichkeiten
zusammen, die über eine ausgewiesene politische Erfah-
rung an der Spitze gesellschaftlicher oder staatlicher In-
stitutionen verfügen und die maßgeblichen Fälle daher
gut beurteilen können. Nachdem eine Entscheidung
durch die Bundesregierung getroffen worden ist, soll
diese zusammen mit der Empfehlung des beratenden
Gremiums veröffentlicht werden. Jedermann kann den
Entscheidungsprozess und nicht nur das Entscheidungs-
ergebnis damit vollumfänglich nachvollziehen.

Diese Regelungen ermöglichen eine verantwortungs-
bewusste Einzelfallprüfung. Schematische Fristvorgaben
im Sinne einer stets einzuhaltenden, verpflichtenden
Sperrzeit sind dabei wenig hilfreich – das kam in der
Anhörung auch sehr deutlich zum Ausdruck –; denn sie
lassen außer Acht, worum es bei der Karenzzeitregelung
im Kern geht, nämlich um das Ergebnis einer angemes-
senen Abwägung zwischen dem Berufsausübungsinte-
resse des Einzelnen und dem Interesse der Allgemeinheit
an der Integrität des Regierungshandelns. Der Gesetz-
entwurf der Bundesregierung setzt deshalb auf eine fle-
xible, ausfüllungsfähige Rahmenregelung und einen
transparenten Entscheidungsprozess.

Würden wir politischen Entscheidungsträgern nach
ihrem Ausscheiden aus dem Amt die Rückkehr in den al-
ten Beruf oder die Aufnahme einer neuen Beschäftigung
für zu lange Zeit verwehren, so ließen wir außer Acht,
dass politische Ämter Aufgabenübertragungen auf Zeit
sind – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Genau das
tun wir nicht. Die Karenzzeitregelung ist Ausdruck einer
klugen und verantwortungsbewussten Abwägungsent-
scheidung. Wir können sie Ihnen zur Annahme empfeh-
len.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811526800

Herzlichen Dank. – Nächste Rednerin ist Halina

Wawzyniak, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811526900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Es gibt zwei gute Nachrichten. Die erste
ist: Wir streiten einmal nicht darüber, ob ein Gesetzent-
wurf, der von der Großen Koalition vorgelegt wird, ver-
fassungsgemäß ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die zweite gute Nachricht ist, dass jetzt eine gesetzliche
Regelung zu Karenzzeiten vorliegt; da war ja auch ein-
mal etwas anderes im Gespräch. – Das sind die guten
Nachrichten. Die schlechte Nachricht ist, dass der vorlie-





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)

gende Gesetzentwurf einige Mängel aufweist, weswegen
wir ihm nicht zustimmen können.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


Ich will jetzt keine Grundsatzdebatte über dieses
Thema aufmachen. Die Position meiner Fraktion ist be-
kannt. Wir haben uns für eine Karenzzeitregelung einge-
setzt, die sich an der Dauer des Anspruchs auf Über-
gangsgeld und an der ressortmäßigen Zuständigkeit
orientiert. Sie haben einen anderen Weg gewählt; das ist
auch völlig okay. Sie hätten dann aber in Ihrer Logik
konsequent sein müssen. Das haben Sie aus unserer
Sicht nicht gemacht; denn Sie haben sich dafür entschie-
den, dass im Falle der Beeinträchtigung öffentlicher In-
teressen die Karenzzeit im Regelfall 12 Monate, im Aus-
nahmefall 18 Monate betragen soll. Ich weiß immer
noch nicht – außer dass Sie auf die EU-Kommission Be-
zug nehmen –, welche sachlichen Gründe für diese Zeit-
räume sprechen. Aber das ist jetzt nicht mein Thema.

Ich will auf ein anderes Problem aufmerksam ma-
chen. Wenn Sie konsequent gewesen wären, hätten Sie
die Mindestdauer des Übergangsgeldes an die Länge der
Karenzzeit anpassen müssen; denn mit der jetzt vorgese-
henen Regelung laufen Sie Gefahr, etwas zu ermögli-
chen, was Sie wahrscheinlich gar nicht wollen. Stellen
Sie sich einmal vor, in der Bundesregierung wäre das
Klima so wundervoll, dass ein Minister nach acht Mona-
ten sagt: Mir reicht es. – Das ist bei Ihnen natürlich abso-
lut unvorstellbar. Ich weiß das; aber nehmen wir das ein-
mal an.


(Burkhard Lischka [SPD]: Wenn es am schönsten ist, soll man gehen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr ehemaliger Parteivorsitzender war so einer! Er hieß Lafontaine!)


Dann würde dieser Minister nach der jetzigen Regelung
8 Monate Übergangsgeld bekommen. Wenn dieser
Minister sich nun einen Job sucht, der garantiert zu einer
Karenzzeit führt, dann bekommt er nach der von Ihnen
vorgeschlagenen Regelung 12 oder 18 Monate Über-
gangsgeld. Ich glaube, das entspricht nicht Ihrer Logik.
Das haben Sie sicher nicht gewollt. Diese Logik ist aber
in Ihrem Gesetzentwurf angelegt, und das finden wir
falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Der zweite Punkt, den wir kritisieren, betrifft das be-
ratende Gremium. Wir kritisieren nicht das beratende
Gremium an sich. Das kann man machen; das ist völlig
okay. Es ist auch okay, dass es von unabhängigen Sach-
verständigen besetzt wird. Aber wir haben das Problem,
dass dieses sachverständige Gremium zunächst eine
nichtöffentliche Empfehlung abgibt und die Bundesre-
gierung dann entscheidet, ob sie dieser Empfehlung
folgt. Dieses sachverständige Gremium wird auf Vor-
schlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten er-
nannt. Wir finden, da es in diesem Gesetzentwurf um
Staatssekretäre und Minister geht, wäre es klug gewesen,
den Fraktionen entweder ein Vorschlagsrecht zu gewäh-
ren – nicht bezogen auf Parlamentarierinnen und Parla-
mentarier, sondern bezogen auf unabhängige Sachver-
ständige; nicht, dass wir uns da falsch verstehen – oder
den Bundestag die Sachverständigen wählen zu lassen.
Das haben Sie nicht gemacht. Das finden wir traurig. In-
sofern können wir Ihrem Gesetzentwurf, obwohl es gut
ist, dass es eine gesetzliche Regelung geben soll, nicht
zustimmen.

Ich habe 46 Sekunden Redezeit gespart. Vielleicht
kann ich die irgendjemandem aus meiner Fraktion
schenken.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811527000

Die dürfen nicht mehr reden. – Nächster Redner ist

Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Mahmut Özdemir (SPD):
Rede ID: ID1811527100

Die Kollegin Wawzyniak ist zu freundlich zu mir. Die

46 Sekunden nehme ich selbstverständlich dankend an.


(Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Eine Tafel Kinderschokolade!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811527200

Noch entscheide ich das.


Mahmut Özdemir (SPD):
Rede ID: ID1811527300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der vorliegende Gesetzentwurf ist aus zwei Überlegun-
gen heraus entstanden: Erstens galt es, Transparenz bei
der Durchlässigkeit zwischen Politik und Wirtschaft her-
zustellen. Zweitens waren wir bestrebt, Vorwürfe gegen
betroffene Regierungsmitglieder auszuräumen, man
stelle die persönliche Karriere in der Rangfolge über das
Gemeinwohl.

Der Grundgedanke dieses Gesetzentwurfs musste bis
heute auf eine politische Mehrheit in diesem Haus war-
ten. Von Oppositionsanträgen vermeintlich befeuert, dis-
kutierten wir über die Karenzzeiten zwischen Regie-
rungsamt und privatwirtschaftlicher Folgetätigkeit,
manchmal um der Sache willen, zuweilen aber wohl
auch nur, weil gerade wieder irgendein Regierungsmit-
glied kurz vor dem Sprung in die Wirtschaft stand. Nicht
aus jedem Wechsel wurde ein Skandal; aber in der Öf-
fentlichkeit entstand stets der Eindruck, dass vielleicht
doch eine unzulässige Vermengung von Interessen zwi-
schen der Regierungstätigkeit und der neuen, angestreb-
ten Tätigkeit bestand. Damit wurde zumindest unbe-
wusst das Vorurteil bedient, Politik sei käuflich,
Entscheidungen seien von der Wirtschaft beeinflusst und
unsere Demokratie sei nicht mehr Herr der Gesetzge-
bung. So konnten sich alle Fraktionen, die bereits Regie-
rungsverantwortung übernommen hatten, in der Debatte
gegenseitig mit Namen von Regierungsmitgliedern be-
werfen, die unmittelbar im Anschluss an das Regie-
rungsamt privatwirtschaftlich tätig geworden sind, um
schlicht ihren Lebensunterhalt weiter zu bestreiten.

Laut Definition ist jede Tätigkeit, die zur Schaffung
und zur Erhaltung der Lebensgrundlage dauerhaft dient,





Mahmut Özdemir (Duisburg)



(A) (C)



(D)(B)

ein Beruf. Das ist ein Begriff, der durch Artikel 12
Grundgesetz geschützt ist. Indem wir ein Regierungs-
mitglied, das Amt und Person nicht unmittelbar trennen
kann, mit einer Sperrfrist belegen, schränken wir diese
Berufsfreiheit erheblich ein. Dies geschieht, unabhängig
davon, ob eine Sperrfrist angeordnet wird oder nicht, im
Ausnahmefall für einen Zeitraum von maximal 18 Mo-
naten, weil innerhalb dieses Zeitraums die Anzeige-
pflicht besteht. Minimal und faktisch geschieht dies
wiederum für den Zeitraum von einem Monat, weil hier-
durch die Entscheidungshoheit der Bundesregierung als
Kollegialorgan geschützt wird. Die Berufsausübungs-
freiheit schränken wir bewusst ein, um einerseits die In-
tegrität der Bundesregierung sowie das Ansehen der
Politik zu schützen und andererseits Ruhe und Ordnung
in das Verfahren bei unmittelbaren Anschlusstätigkeiten
von Regierungsmitgliedern zu bringen.

Letzteres Ziel wird erheblich dadurch erreicht, dass
laut dem zu beschließenden Gesetzentwurf die Entschei-
dung durch ein beratendes Gremium vorbereitet und
sachlich unabhängig geprüft wird. Das betroffene Regie-
rungsmitglied muss nach der Anzeige bei der Bundes-
regierung auch diesem Gremium, das mit Persönlichkei-
ten besetzt wird, die in Justiz, Verwaltung, Gesellschaft,
Wirtschaft hervorgehobene Positionen bekleidet haben,
alle entscheidungsrelevanten Tatsachen anzeigen. So ist
die Bundesregierung selbst in der Lage, aufgrund dieser
unabhängigen Vorbereitung die Entscheidung zu treffen,
ob durch den Wechsel möglicherweise Interessenkon-
flikte bestehen, die aus einer Nähe des Regierungsres-
sorts zu der angestrebten Tätigkeit herrühren, oder ob
man wegen des Kabinettprinzips generalpräventiv dem
Eindruck von Interessenkonflikten vorbeugen soll. Eben
hierfür ist der Zeitraum von faktisch einem Monat über
im Regelfall 12 Monate bis hin zu 18 Monaten in beson-
deren Fällen geeignet, die Einzelfallprüfung zeitlich ein-
zusortieren. Auf diese Art wird der Interessenkonflikt
sachlich und zeitlich konkret individuell für das betrof-
fene Regierungsmitglied gelöst.

So weit muss es jedoch gar nicht kommen; denn al-
lein die Einführung einer Anzeigepflicht ist für sich ge-
nommen geeignet, eine abschreckende Wirkung zu ent-
falten. Aber auch diesen Eingriff galt es verhältnismäßig
zu gestalten. Im Gesetzentwurf wurde dies mit einer An-
zeigefrist von einem Monat gelöst, die von dem beab-
sichtigten Beginn der Tätigkeit an zurückgerechnet wird.
So ersparen wir den Betroffenen die Rechtsunsicherheit
im vorvertraglichen Stadium und eine zu diesem Zeit-
punkt möglicherweise auch kontraproduktive Öffent-
lichkeit. Das Gesetz soll nämlich kein Misstrauen säen
und nicht vorsorglich jedem Wechsel ein Geschmäckle
beifügen, sondern eine die Rechte des Einzelnen wah-
rende Prüfung ermöglichen und Vertrauen schaffen
durch Offenheit gegenüber dem beratenden Gremium
und Öffentlichkeit der Entscheidung der Bundesregie-
rung, ob und wie lange eine Sperrfrist für eine dem Re-
gierungsamt folgende Berufsausübung angeordnet wird.

In der Sachverständigenanhörung vom 15. Juni haben
wir einige Kritikpunkte beleuchtet und mit dem Ände-
rungsantrag der Regierungsfraktionen, wie dargestellt,
auf den Mangel des einstweiligen Verbots reagiert. Die
Kritik der Sachverständigen, dass die Regierung als Be-
troffene selbst entscheidet, sodass die oder der heute zur
Entscheidung Berufene morgen der Entscheidung auch
unterliegen kann, haben wir sorgsam abgewogen. Einer-
seits könnte diese Entscheidung von persönlichen oder
parteilichen Loyalitäten oder aufgrund irgendwelcher
Animositäten beeinflusst sein. Andererseits – das war
das ausschlaggebende Argument – kann nur die Regie-
rung selbst in der Lage sein, zuverlässig über einen Inte-
ressenkonflikt zu urteilen; denn der Schutz der Vertrau-
lichkeit des Kernbereichs der Bundesregierung ist
ebenfalls Schutzzweck dieses Gesetzes.

Den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen haben wir aufgrund der Maßstäbe, die ich so-
eben an die Rechtfertigung angelegt habe, bereits ges-
tern im Innenausschuss abgelehnt. Die Dauer der Ka-
renzzeiten in diesem feingliedrig zeitlich abgestimmten
Rahmen ohne gesetzgeberische Ermessensleitung der
Bundesregierung zu übergeben, wäre aus unserer Sicht
verantwortungslos.

Evaluierungen – das ist die zweite Forderung in dem
besagten Änderungsantrag – sind aus meiner Sicht eine
beliebte Modeerscheinung. Eine Evaluierung ist jedoch
völlig unnötig; denn der gesamte hier aufgezeigte Ent-
scheidungsprozess ist neben dem zweistufigen Verfahren
von vorbereitender Entscheidung durch das Beratungs-
gremium und bindende Entscheidung der Bundesregie-
rung letzten Endes vor dem Bundesverwaltungsgericht
der richterlichen Kontrolle zugänglich.

Zusammenfassend: Dieser Gesetzentwurf schützt zu-
verlässig und generalpräventiv Kenntnisse und Entschei-
dungsnetzwerke des Regierungsamtes, die auf Kosten
des Steuerzahlers erworben worden sind, und verhindert
zugleich, dass sie zu einem wirtschaftlichen Gut werden.
Betroffene Regierungsmitglieder werden mit einer Un-
bedenklichkeitsbescheinigung ausgestattet, die ange-
strebte Tätigkeit über jeden Zweifel erhaben und frei von
Vorwürfen anzutreten, oder werden, wenn notwendig,
öffentlich mit einer Sperrfrist belegt, gegen die der
Rechtsweg offensteht. Mit anderen Worten: Für die Inte-
grität und Vertraulichkeit der Politik ist heute ein sehr
guter Tag. Ich bitte in zweiter und dritter Lesung um ent-
sprechende Zustimmung.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und
schließe mit einem herzlichen Glückauf. Ich habe noch
zehn Sekunden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811527400

Vielen Dank. – Bevor ich nun der Kollegin Britta

Haßelmann das Wort erteile, möchte ich Ihnen die von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten
Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt
geben.

Zunächst das Ergebnis der Abstimmung zu Tagesord-
nungspunkt 18 a, Beschlussempfehlung zum Antrag der
Fraktion Die Linke: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja
haben gestimmt 470, mit Nein haben gestimmt 114, Ent-
haltungen 2.





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 584;
davon

ja: 469
nein: 113
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Nein

SPD

Klaus Mindrup

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(B)

Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Heike Baehrens
Marco Bülow
Ergebnis der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 18 b,
Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen: abgegebene Stimmen 583. Mit Ja ha-
ben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 115, Ent-
haltungen 2.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 583;
davon

ja: 466
nein: 115
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Nein

CDU/CSU

Josef Göppel
Hans-Georg von der Marwitz

SPD

Klaus Mindrup

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Heike Baehrens
Marco Bülow
Jetzt hat die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811527500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Zuschauer-
tribüne! In der Tat: Heute endlich debattieren und be-
schließen wir ein Gesetz zur Karenzzeit. Für diejenigen,
die davon noch nie gehört haben: Seit zehn Jahren wird
im Deutschen Bundestag über eine gesetzliche Regelung
zur Karenzzeit diskutiert; es wurde gestritten und blo-
ckiert, aber heute wird sie endlich beschlossen. Darüber
ist meine Fraktion sehr, sehr froh;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn wir waren diejenigen, die vor zehn Jahren das erste
Mal eine parlamentarische Initiative dazu eingebracht
haben. Wir haben damals gesagt: Im Interesse der betrof-
fenen Regierungsmitglieder und im Interesse der Wirt-
schaft, in die man nach einem Mandat auf Zeit vielleicht
wechselt, ist es richtig und notwendig, eine Karenzzeit
festzulegen und sie gesetzlich zu verankern, damit ver-
hindert wird, dass es in jedem Einzelfall, in dem ein Re-
gierungsmitglied in die Wirtschaft wechselt, zu Diskus-
sionen und zum Teil zu berechtigter öffentlicher Kritik
im Hinblick auf mögliche Interessenkollisionen kommt.
Wir wollten, dass der Deutsche Bundestag für sich und
die Regierung endlich klare Regelungen trifft. Deshalb
sind wir als Fraktion sehr froh, dass wir heute endlich
eine solche Regelung beschließen.





Britta Haßelmann


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das kann man allerdings nicht tun, ohne den vielen
NGOs, die sich in diesem Bereich seit zehn Jahren und
länger engagieren, ein großes Dankeschön dafür zu sa-
gen, dass sie bei der Sache geblieben sind und uns im
Parlament immer wieder mit den entsprechenden Fragen
konfrontiert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu gehören Transparency International, Transparency
International Deutschland, LobbyControl, abgeordneten
watch.de und Campact. Sie haben allesamt immer
wieder gesagt: Lasst euch doch nicht von Fall zu Fall
hetzen, was öffentlich ein schlechtes Bild von Politike-
rinnen und Politikern erzeugt, sondern schafft endlich
eine gesetzliche Karenzzeit. – Insofern ist heute ein gu-
ter Tag. Deshalb wird auch meine Fraktion zustimmen.

Wir haben allerdings einen Änderungsantrag einge-
bracht, den Sie, Herr Krings, schon angesprochen haben.
Damit möchten wir Ihnen die Möglichkeit geben, aus ei-
nem Dilemma herauszukommen. Sie sagen nämlich,
dass die Untersagung in der Regel für ein Jahr gilt; wenn
öffentliche Interessen schwer beeinträchtigt sind, wollen
Sie eine Karenzzeit von 18 Monaten. Wir halten es für
verzichtbar, an dieser Stelle zu differenzieren. Denn
diese Unterscheidung wird zu erheblichen Diskussionen
führen, auch bei der Bewertung des jeweiligen Einzelfal-
les, weil die Frage: „Wann ist das öffentliche Interesse
beeinträchtigt, und wann ist es schwer beeinträchtigt?“,
immer wieder zu Diskussionen darüber führen wird, wa-
rum für den einen eine Karenzzeit von 12 und für den
anderen eine Karenzzeit von 18 Monaten gilt. Wir schla-
gen Ihnen vor, es wie die EU zu machen, und zu sagen:
Die Karenzzeit beträgt 18 Monate. – Dort gibt es Erfah-
rungen, dort wurde das praktiziert. Diese Regelung soll-
ten wir übernehmen. Das ist der erste Punkt unseres Än-
derungsantrags.

Zum zweiten Aspekt. Herr Özdemir – da unterschei-
den wir uns von Ihnen –, die Evaluierung eines Gesetzes,
für das wir so lange gebraucht haben, erachten wir nicht
als Modeerscheinung. Es kann sein, dass es Fehlerquel-
len gibt. Diese könnte man sich nach Ablauf von zwei
Jahren, also in der 19. Legislaturperiode, ansehen und
dann sagen: Wir müssen da vielleicht etwas korrigieren.

Diese beiden Punkte sind Inhalt unseres Änderungs-
antrags. Er ist sehr vernünftig. Ich werbe noch einmal
dafür, ihm zu folgen. Der Einführung einer gesetzlichen
Karenzzeit werden wir aber, wie gesagt, zustimmen.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen:
Heute geht jemand aus unserer PGF-Abteilung, also aus
der Abteilung der Parlamentarischen Geschäftsführer, in
den wohlverdienten Ruhestand. Das sind die Menschen,
die da am Fernseher sitzen, die ganze Zeit für uns zur
Verfügung stehen und uns beraten. Jürgen Wachsmuth,
mach es gut! Vielen Dank für deine Arbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811527600

Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Helmut Brandt, CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1811527700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist eigentlich wohltuend, wenn man zu so
später Stunde bei einem Gesetzentwurf, dessen Ausar-
beitung man begleitet hat, feststellen kann, dass mit ihm
dem Grunde nach alle mehr oder weniger einverstanden
sind. Auch ich bin zufrieden, jetzt hier feststellen zu
können, dass wir diesen Gesetzentwurf heute in zweiter
und dritter Lesung beschließen werden.

Es war sicherlich – da gebe ich Frau Haßelmann
durchaus recht – oft ein Ärgernis, dass, wenn Mitglieder
der Regierung in ein privatwirtschaftliches Amt wech-
selten, dies, wie es heute gerne gemacht wird, skandali-
siert wurde. Das war oft überflüssig und unbegründet.
Wir hoffen, dass mit diesem Gesetz mehr Sachlichkeit
eintritt, obwohl ich da meine Zweifel habe.

Die Bundesregierung hat diesen Entwurf erstellt. Wir
haben ihn durch einen Änderungsantrag in einem Punkt
noch leicht modifiziert, wie der Kollege Özdemir bereits
dargestellt hat. Ich will zum Schluss noch einmal ganz
kurz skizzieren, worum es ging. Zum einen ging es um
den grundsätzlich legitimen Anspruch der Betroffenen,
dass ihr Wechsel in einen anderen Beruf gewährleistet
wird. Natürlich ging es auch darum, Transparenz zu
schaffen, um keine öffentliche Kritik aufkommen zu las-
sen. Es ging auch um den Anspruch der Bundesregie-
rung auf Wahrung ihres Ansehens. Der Gesetzentwurf
der Bundesregierung wird diesen Anforderungen durch-
aus gerecht.

Ich muss es ganz klar sagen: In Bezug auf ein Berufs-
ausübungsverbot eine starre Regelung von 18 Monaten
einzuführen, halte ich für den falschen Weg. Die Regie-
rung muss die Möglichkeit haben, zu differenzieren. Es
muss eine maximale Zeit geben; die ist nach unserer
Auffassung mit 18 Monaten reichlich bemessen. Es
muss aber auch die Möglichkeit geben, in geeigneten
Fällen ein, wenn man so will, Berufsverbot von weniger
als 18 Monaten zu verhängen.

Es gab eine Sachverständigenanhörung dazu. Man
muss klar feststellen: Alle Sachverständigen haben den
Gesetzentwurf im Grunde genommen gelobt. Keiner hat
gesagt, dass er das Ziel verfehlt oder erhebliche Mängel
hat. Natürlich hatte der eine oder andere Sachverstän-
dige Anregungen. Eine Anregung haben wir aufgenom-
men. Ich halte sie auch für sehr gut. Die Regierung
muss, wie Herr Özdemir bereits dargestellt hat, wenn die
Anzeige eines Regierungsmitgliedes kommt, wechseln
zu wollen, einen Monat Zeit haben, um die Entscheidung
vorzubereiten, ob dem Wechsel zugestimmt werden
kann oder eine Karenzzeit verhängt werden muss. Ich
bin von daher der Auffassung, dass wir hier einen sehr
ausgewogenen Entwurf zur Abstimmung stellen.

Ganz zum Schluss noch zur Frage der Evaluierung.
Wir werden es hier mit einer sehr begrenzten Zahl an





Helmut Brandt


(A) (C)



(D)(B)

Fällen zu tun haben; das hat die Vergangenheit gezeigt.
Es muss die Frage gestellt werden: Wenn nicht wir als
Bundestag, wer soll dann einschätzen können, ob die
Abwägungen, die im Einzelfall von dem Sachverständi-
gengremium und der Regierung getroffen worden sind,
nachvollziehbar und richtig waren? Nur dann, wenn wir
feststellen, dass da Mängel bestehen, würde sich eine
Änderung aufdrängen. Dann wäre der Bundestag meines
Erachtens gefordert, nachzujustieren und an dem Gesetz
vielleicht noch etwas zu ändern. Wir brauchen aber beim
besten Willen keine Klausel im Gesetz, die das zwin-
gend vorschreibt.

Ich bitte um Ihre Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811527800

Vielen Dank. – Dann schließe ich die Aussprache.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung des Bundesministergesetzes und des
Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentari-
schen Staatssekretäre. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5419,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 16/4630 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5429 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einiger Abgeord-
neter der Fraktion Die Linke und ansonsten Enthaltung
der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Ent-
haltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Umgang mit Atommüll – Defizite des Ent-
wurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms
beheben und Konsequenzen aus dem Atom-
mülldesaster ziehen

Drucksache 18/5228
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält Hubertus
Zdebel, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811527900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Schade, dass kein Vertreter des Umweltministeriums
mehr da ist bei dieser Diskussion um ein Thema, das ins-
besondere Ministerin Hendricks, aber auch Minister
Gabriel, der ja für Wirtschaft und Energie zuständig ist,
umtreibt.

Ich komme zum Thema. Eher unfreiwillig, nämlich
zur Umsetzung einer EU-Richtlinie, hat das Umweltmi-
nisterium unter dem harmlosen Titel „Nationales Entsor-
gungsprogramm“, abgekürzt: NaPro, endlich einen Ent-
wurf vorgelegt, wie der künftige Umgang mit allen
Arten von Atommüll bis hin zur vermeintlichen Endla-
gerung aussehen soll. Der Entwurf ist an und für sich
ziemlich enttäuschend; denn die vorhandenen Probleme
und ungelösten Fragen im Umgang mit den radioaktiven
Abfällen werden darin weitgehend ausgeblendet. Das
kritisieren wir; deshalb haben wir unseren Antrag vorge-
legt.


(Beifall bei der LINKEN)


Bestehende Probleme mit leckenden Atommüllfäs-
sern kommen ebenso wenig vor wie Brennelementezwi-
schenlager wie Brunsbüttel ohne Genehmigung. Die
zeitlichen Prognosen des NaPro für die Errichtung eines
Abfalllagers für hochradioaktive Abfälle sind unrealis-
tisch; das zeigen auch die bisherigen Diskussionen in der
Endlagerkommission des Deutschen Bundestages nach-
drücklich. Auf die befristeten Genehmigungen für die
zentralen Zwischenlager in Gorleben, bis 2034, und
Ahaus, bis 2036, und darauf, welche Konsequenzen
diese Befristungen nach sich ziehen, geht das Programm
gar nicht ein.

Wir greifen mit unserem Antrag eine Vielzahl der
Probleme auf, die auch von Antiatominitiativen und
Umweltverbänden als Einspruch gegen das NaPro vor-
gebracht worden sind. 70 000 solcher Einsprüche hat es
gegeben. Wir fordern, dass endlich Konsequenzen aus
dem Atommülldesaster gezogen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Eher unfreiwillig macht der Entwurf aber auch klar –
und bestätigt uns Linke –: Der Umgang mit dem Atom-
müll muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die
vom Bundestag im Rahmen des Standortauswahlgeset-
zes eingesetzte Atommüllkommission bekommt durch
diesen Entwurf im Grunde einen umfassenden Neuauf-
trag auf den Tisch. Lassen Sie mich als Beispiel anfüh-





Hubertus Zdebel


(A) (C)



(D)(B)

ren: Das BMUB stellt fest – und das halte ich für einen
ehrlichen Schritt –, dass es etwa 300 000 Kubikmeter
leicht- und mittelradioaktiven Atommüll aus der Asse
und aus der Urananreicherung in Gronau geben kann,
der bislang in den Planungen nicht enthalten war. Er soll
– so steht es in dem NaPro-Entwurf – entweder im
Schacht Konrad oder aber gemeinsam mit den hochra-
dioaktiven Abfällen in einem noch zu findenden Endla-
ger versenkt werden.

Dies wird ausdrücklich unter den Vorbehalt der Be-
fassung durch die Endlagerkommission gestellt. Damit
wird deren Auftrag de facto erweitert; denn bisher ist die
Kommission nur für den hochradioaktiven Atommüll
zuständig. Aus meiner Sicht und aus Sicht meiner Frak-
tion zeigt das NaPro damit auch, dass Konsequenzen mit
Blick auf das von uns abgelehnte Standortauswahlgesetz
und die Kommission diskutiert und gezogen werden
müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das gilt ganz besonders, wenn der angestrebte gesell-
schaftliche Konsens bei der Atommülllagerung als Ziel
erreicht werden soll.

Mit unserem Antrag wollen wir dafür sorgen, dass es
endlich mehr Ehrlichkeit beim Umgang mit den radioak-
tiven Abfällen gibt. Deswegen fordern wir Linken eine
umfangreiche Überarbeitung des Entwurfs des Nationa-
len Entsorgungsprogramms, die den gesamten vorhande-
nen und den künftig anfallenden Atommüll einbezieht
und die vorhandenen Probleme tatsächlich beschreibt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe einige konkrete Punkte schon erwähnt. Weitere
finden Sie in unserem Antrag.

Außerdem fordern wir ein definitives Exportverbot
für Atommüll und Konsequenzen aus dem Brunsbüttel-
Urteil, was die Zwischenlagerung angeht.


(Beifall bei der LINKEN)


Für Schacht Konrad fordern wir einen Neustart, genauso
wie in Sachen Gorleben. Kommt es hier nicht zu einem
Alternativenvergleich, dann muss das Projekt unserer
Meinung nach aufgegeben werden.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811528000

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Steffen Kanitz,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Steffen Kanitz (CDU):
Rede ID: ID1811528100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Zdebel, wenn man Sie so hört, dann stellt man, glaube
ich, fest, dass es Ihnen weniger um das Nationale Entsor-
gungsprogramm und den Entwurf geht, den die Bundes-
regierung hier vorgelegt hat, sondern vielmehr um eine
umfassende Bewertung sämtlicher Diskussionen, die wir
im Moment in der Endlagerkommission führen. Ich
finde, da gehören sie auch hin; dort sollten wir sie füh-
ren. Man kann sie auch jetzt, um 22 Uhr, noch führen,
aber ich glaube, das wird der Bedeutung der Thematik
nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Bun-
desregierung ist es mit dem Nationalen Entsorgungs-
programm erstmalig gelungen, eine umfassende Road-
map für die nukleare Entsorgung vorzulegen. Das hat
– das muss man auch hier an dieser Stelle noch einmal
sagen – weder der Umweltminister Trittin noch der Um-
weltminister Gabriel geschafft. Diese Bundesregierung
hat es hinbekommen. Insofern ein ausdrückliches Lob
und Anerkennung dafür. Herzlichen Dank, dass Sie das
hinbekommen haben.

Ich kann dieses Lob aber leider nicht uneingeschränkt
auch für den Umgang mit Castoren aussprechen. Ich
glaube, es ist völlig richtig, dass das BMUB bei der
Frage, wie wir mit den ausstehenden Castortransporten
umgehen, tätig wird – auch initiativ. Ich bitte nur
dringend darum, dass es zu einer Abstimmung mit den
Ländern kommt und wir dieses Schwarze-Peter-Spiel
beenden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt nur ein Land, das da Probleme macht! Ein einziges!)


Der Antrag der Linken ist in jeder Hinsicht ein Rück-
schritt. Sie alle versuchen gemeinsam, diesen sehr
wichtigen Punkt der Atommülllagerung auf den Sankt-
Nimmerleins-Tag zu verschieben und das Erreichte
schlechtzureden. Ich will einmal einige Punkte aus dem
Antrag sehr konkret durchgehen.

Erstens. Sie sprechen den Schacht Konrad an und for-
dern die Beendigung dieses bereits genehmigten Endla-
gers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Sie
wissen, dass Schacht Konrad mit erheblichen Konserva-
tivitäten geplant wurde. Der Präsident des BfS hat im
Umweltausschuss noch einmal sehr deutlich gesagt, dass
Schacht Konrad auch unter heutigen Rahmenbedingun-
gen absolut sicher ist und dass er insofern auch daran
festhält.


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Deswegen funktioniert es ja auch nicht!)


Schacht Konrad, Herr Kollege Zdebel, ist die Achil-
lesferse beim Rückbau der Kernkraftwerke. Kommt
Schacht Konrad nicht, dann müssen Sie den Bürgern vor
Ort sehr konkret erklären, warum die Zwischenlager zu
De-facto-Endlagern werden. Mir ist das aber schon rela-
tiv klar: Wenn man keinen Bürgermeister in einer der
Gemeinden vor Ort stellt, dann juckt einen das offenbar
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie erwecken in Ihrem Antrag den Eindruck, als hätte
sich die Abfallmenge schlagartig verdoppelt. Das geis-
terte auch mehrmals durch die Medien. Ich will das noch
einmal ganz klar von uns weisen. Spätestens seit der Lex





Steffen Kanitz


(A) (C)



(D)(B)

Asse, spätestens seit April 2013, ist völlig klar, wie groß
die Abfallmenge wird. Wir haben damals gemeinschaft-
lich die Rückholung der Abfälle aus der Asse vereinbart,
sodass wir insofern mindestens mit den zusätzlichen
300 000 Kubikmetern umgehen müssen. Um das hier
aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion ganz deutlich zu sa-
gen: Wir wollen keine Erweiterung des Schachtes
Konrad durch die Hintertür. Ich glaube, es ist völlig rich-
tig, dass wir in der Endlagerkommission darüber spre-
chen, wie wir mit diesem Müll umgehen. Wir müssen
schon darüber diskutieren, ob es richtig ist, diesen Müll
in einem Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe zu
lagern. Aber in jedem Fall brauchen wir ein transparen-
tes und vernünftiges Verfahren, das objektiv und nach-
prüfbar ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein zweiter Punkt, der immer wieder angesprochen
wird, ist der der zeitlichen Abläufe. Da geistern viele
Zahlen durch die Gegend, die man ein bisschen gerade-
rücken muss. Wir unterscheiden in der Endlagerkommis-
sion zwischen der Such-, der Errichtungs-, der Inbetrieb-
nahme- und auch der Verschlussphase. Das, was wir als
aktuelle Politiker in der Endlagerkommission, die dafür
verantwortlich sind, beeinflussen können, ist der Zeit-
punkt der Inbetriebnahme, den wir im Moment einiger-
maßen verlässlich auf 2050 quantifizieren können. Alles
andere, etwa die Frage, wie lange die Einlagerungsphase
dauert, wie lange das Monitoring dauert, wie lange wir
über die Offenhaltungs- und Rückholungsoption spre-
chen, ist eine andere Sache. Es ist nicht Sache dieser Ge-
neration, das zu bewerten. Aber ich finde, es ist unsere
Verantwortung, das zu tun, was wir im Moment beein-
flussen können. Das ist der schnellstmögliche Bau des
Endlagers für hochradioaktive Abfallstoffe.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, den Sie in
Ihrem Antrag haben, Herr Kollege Zdebel. Das ist das
Thema Freimessung. Sie nutzen den Begriff in Ihrem
Antrag sehr konkret, um damit Ängste in der Bevölke-
rung zu schüren. Dieser Begriff ist zugegebenermaßen
sehr unglücklich gewählt. Aber ich möchte schon die
Gelegenheit nutzen, um mit dem einen oder anderen
Mythos aufzuräumen, etwa mit dem Mythos, dass durch
Beimischen von Schutt zulässige Messwerte erreicht
werden.

Ich zitiere dazu die Strahlenschutzverordnung, in der
es sehr klar heißt:

Die Voraussetzungen für die Freigabe dürfen nicht
zielgerichtet durch Vermischen oder Verdünnen
herbeigeführt, veranlasst oder ermöglicht werden.

Um es ganz deutlich zu sagen: Oberflächlich konta-
miniertes Material wird gereinigt. Die entstehenden Ab-
fälle kommen ins Endlager. Alles andere, beispielsweise
bis zu 90 Prozent des werthaltigen Betons, wird recycelt
und wiederverwertet. Es entsteht dabei lediglich 3 Pro-
zent strahlender Abfall. Ich finde, man muss aufhören,
bei den Menschen vor Ort Stimmung zu machen, um so
die Lagerung von Bauschutt in Deponien zu verhindern.
Ein Beispiel dafür ist das Kernkraftwerk Stade.
Ich möchte, um das ein bisschen einzuordnen, bei den
Freigabewerten auf einen Punkt hinweisen. Der Bau-
schutt, der auf die Deponien kommt, darf eine maximale
Strahlendosis von 10 Mikrosievert per annum haben.
Wenn Sie, Herr Kollege Zdebel, zum Shoppen nach New
York fliegen,


(Heiterkeit bei der LINKEN – Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Wann mache ich das denn?)


dann sind Sie einer Strahlenbelastung zwischen 32 und
75 Mikrosievert ausgesetzt,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht der nie! Der fliegt höchstens nach Moskau!)


das heißt dem Drei- bis Siebenfachen dessen, was Sie in
einem ganzen Jahr an einer Deponie abbekommen
dürfen. Wir sollten das also richtig einordnen, um wieder
zu einer sachlichen Diskussion zu kommen. Ich finde,
wir sollten das positiv sehen: Deutschland hat im Be-
reich des Rückbaus eine absolute Vorreiterrolle, die wir
gemeinsam ausbauen sollten. Wir sollten daher nicht im-
mer nur zurückschauen, sondern vielmehr nach vorne
schauen und die positiven Dinge sehen.

Sie haben das Brunsbütteler Urteil angesprochen. Um
auch da mit einem Gerücht aufzuräumen: Das Gericht
hat keine Sicherheitsdefizite festgestellt, sondern dem
Zwischenlager die Betriebsgenehmigung entzogen, weil
sicherheitsrelevante Unterlagen nicht zur Verfügung ge-
stellt werden konnten. Das ist ein signifikanter Unter-
schied. Um das an dieser Stelle einmal festzuhalten: Das
Zwischenlager ist sicher. Das Justizministerium und das
Innenministerium arbeiten im Moment an einer Antwort
auf die Frage, wie man zukünftig mit solchen Unterlagen
umgehen kann. Sehr plastisch beschrieben: Keiner von
Ihnen würde den Bauplan des Tresors offenlegen, wenn
die Panzerknacker schon vor der Tür stehen.

In einem weiteren Punkt sprechen Sie das Exportver-
bot an, dem man durchaus viel abgewinnen kann; das
will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber Sie haben einen
ganz wichtigen Punkt vergessen. Sie haben vergessen,
dass wir im Bereich der Medizin durchaus darauf ange-
wiesen sind, Kernbrennstoffe von außerhalb zu bekom-
men.

Ich nenne ein konkretes Beispiel, den FRM II in
München. Der Forschungsreaktor FRM II in München
produziert mithilfe der Kernenergie Kontrastmittel für
die Krebsdiagnostik und die Tumortherapie. Allein in
Deutschland sprechen wir von 60 000 Behandlungen pro
Woche, 3 Millionen im Jahr. Der Kernbrennstoff für
diesen Reaktor kommt aus dem Ausland. Der Grundsatz
der Nichtverbreitungspolitik, dem wir uns verpflichtet
fühlen, besagt, dass wir in der Lage sein müssen, den
Kernbrennstoff an dieser Stelle zurückzuführen. Die
Radioisotopen müssen just in time produziert werden.
Wir können sie also nicht von irgendwoher aus dem
Ausland beziehen. Ab 2018 wird es weltweit nur noch
drei Reaktoren geben, die diese Radioisotope herstellen
können. Deswegen ist es mein Wunsch und meine drin-
gende Bitte, dass wir, wenn wir über das Thema Export-





Steffen Kanitz


(A) (C)



(D)(B)

verbote diskutieren, dafür sorgen, dass wir im Bereich
der nuklearen Medizin zum Wohl der Patientinnen und
Patienten in Deutschland weiterhin eine Vorreiterrolle
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD])


Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der immer
wieder diskutiert wird, und zwar die Kosten. Wir sind
uneingeschränkt für das Verursacherprinzip. Der Kos-
tenrahmen – das ist der Punkt, der ein bisschen missver-
ständlich ist – wird von uns in der Endlagerkommission
ganz maßgeblich determiniert, weil er davon abhängig
ist, wie viele Standorte wir oberirdisch und unterirdisch
erkunden. Deshalb ist die Frage, ob das, was an Rück-
stellungen gebildet wurde, reicht, zum jetzigen Zeit-
punkt noch nicht abschließend zu beurteilen. Die Sicher-
heit hat für uns absoluten Vorrang. Das ist völlig klar.
Das heißt aber nicht, dass wir Wirtschaftlichkeitsaspekte
außer Acht lassen können; wir müssen vielmehr den
Grundsatz der Wirtschaftlichkeit wahren.

Wenn wir alle das Interesse haben, dass das Verursa-
cherprinzip durchgesetzt wird, dann müssen wir uns am
Ende auch fragen: Was ist verhältnismäßig, um ein End-
lager zu finden? Ich glaube, wir müssen eine ganze
Menge gemeinschaftlich tun, aber wir dürfen nicht so
blauäugig sein, zu glauben, alles würde bezahlt, unab-
hängig davon, was die Politik entscheidet.

Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen: die
Bürgerbeteiligung. Herr Kollege Zdebel, ich vertrete na-
türlich andere Wählerinnen und Wähler, als Sie das tun,
aber auch die 42 Prozent der CDU- und CSU-Wählerin-
nen und -Wähler haben einen Anspruch darauf, dass ihre
Meinung in Endlagerfragen Berücksichtigung findet,
auch wenn sie vielleicht nicht so laut zur Schau gestellt
werden wie andere. In Endlagerfragen setzt sich aber
nicht derjenige durch, der am lautesten schreit; es geht
vielmehr darum, dass wir eine möglichst breite gesell-
schaftliche Akzeptanz schaffen.

Gorleben wird von Ihnen immer wieder genannt. Das
ist völlig klar. Das muss ich sagen: Wer eine objektive
und wissenschaftsbasierte Endlagersuche möchte, der
muss auch damit leben, dass wir am Ende des Verfahrens
der Endlagerkommission einen Kriterienkatalog defi-
niert haben, anhand dessen sich jeder Standort, auch
Gorleben, messen lassen muss. Wenn sich dann ergibt,
dass der Standort ungeeignet ist, wird er aus dem Verfah-
ren fliegen. Das ist wie besprochen, aber wir werden das
nicht im Vorfeld machen.

Zusammengefasst, Herr Kollege Zdebel, bedeutet der
Antrag der Linken einen Rückschritt in der Endlager-
frage. Er bedeutet einen Stillstand beim Rückbau, und er
bedeutet die Beendigung der medizinischen Nuklearfor-
schung. Insofern werden Sie sich nicht wundern, wenn
wir einen solch rückschrittlichen Antrag nicht unterstüt-
zen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811528200

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Sylvia Kotting-

Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811528300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Hubertus Zdebel, ich gebe einigen eurer Forde-
rungen absolut recht, zum Beispiel dass die Rückstellun-
gen der AKW-Betreiber für Rückbau und Endlagerung
in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt werden
müssen. Das ist völlig klar und richtig. Aber zu dieser
Thematik gibt es schon einen eigenen Antrag von uns
und auch einen von euch, die im Verfahren sind und be-
reits zu einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss geführt
haben. Andere Forderungen teile ich nur teilweise, man-
che auch gar nicht, oder ich teile die Einschätzung der
Fakten nicht, wie zum Beispiel beim Entzug der Be-
triebsgenehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel.

Meine wirkliche Kritik an dem Antrag ist aber, dass
er nicht in die Zeit passt. Wir haben vor einem Jahr eine
Kommission zur Lagerung hochradioaktiver Abfälle ein-
gesetzt. Diese Kommission arbeitet, und sie arbeitet ein-
gedenk der wirklich schwierigen Grundbedingungen
ziemlich gut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gibt erste Ergebnisse und Erfolge.

Das NaPro, Hubertus, steht ausdrücklich unter dem
Vorbehalt der Entscheidung der Kommission. Wir haben
den Auftrag, uns damit zu befassen.


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Das habe ich doch gesagt!)


– Ja, aber es ist richtig, dass das so ist.

Ihr werft in eurem Antrag zum größten Teil Fragen
auf, die der Bundestag der Kommission überantwortet
hat, in der wir beide Mitglieder sind. Deshalb verstehe
ich diesen Antrag nicht. Was macht es für einen Sinn,
jetzt in einem Oppositionsantrag eine Entscheidung zu
fordern, wann das Eingangslager für das zukünftige
Endlager errichtet werden soll, wenn wir genau solche
Fragen mit guten Argumentationen im Konsens in der
Kommission lösen können?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich halte eure Forderung, das nicht mit der ersten
Teilerrichtungsgenehmigung zu koppeln, für völlig rich-
tig. Aber wenn ihr das im Bundestag in einem Globalan-
trag zur Abstimmung stellt, wird es abgelehnt. In der
Kommission dagegen hat diese vernünftige Forderung
gute Aussichten, weil den Mitgliedern inzwischen
bewusst ist, dass eine solche Frage elementar mit der
Problematik Vertrauensaufbau zu tun hat. Bei einem
Endlagerstandort auch nur den Eindruck zu erwecken,
vor der Genehmigung würden bereits Fakten geschaffen,
würde alle Glaubwürdigkeit eines noch so sorgfältigen,
transparenten und partizipativen Verfahrens zunichtema-
chen.





Sylvia Kotting-Uhl


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sehe auch keinen Sinn darin, dem Bundestag in
seinen bekannten Mehrheiten jetzt ein Exportverbot für
abgebrannte Brennelemente aus Forschungsreaktoren
zur Abstimmung vorzulegen. Diese Gesetzesänderung
kann nur in der Kommission erreicht werden, weil wir
dort den Gesamtzusammenhang zwischen der Glaub-
würdigkeit der Entwicklung eines Verfahrens zur Endla-
gersuche für hochradioaktiven Atommüll und dem
gleichzeitigen Export hochradioaktiven Mülls zum Bei-
spiel aus dem Forschungszentrum Jülich diskutieren.

Ich finde es – ich muss das sagen – extrem schade,
dass die Fraktion Die Linke nicht sieht oder nicht sehen
will, welche Chance in der Kommission liegt,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


in der sich festgefahrene Haltungen lockern und Positio-
nierungen in breiter Mehrheit möglich sind, die sich in
eurer und in unserer Fraktion vor drei Jahren noch nie-
mand hätte vorstellen können. Ja, eine solche Kommis-
sion muss den Geist des Kompromisses atmen. Anders
kommt sie nicht zu Ergebnissen. Ich bin politisch auch
eher mit der Fahne auf der Barrikade sozialisiert. Aber,
liebe Freunde von der Linken, alles hat seinen Ort und
seine Zeit. Wir haben mit dem Standortauswahlgesetz,
das wir auftragsgemäß evaluieren und verändern, die
historische Chance, einen Umgang mit Atommüll zu
entwickeln, der in unserer Gesellschaft keine weiteren
Wunden schlägt. Der Ort dafür ist die Kommission. Die
Zeit ist jetzt.

In der Kommission erlebe ich den Kollegen Hubertus
Zdebel als einen kritischen, skeptischen und konstrukti-
ven Mitwirkenden. Der vorliegende Antrag bringt in der
Sache aber nichts. Er vertieft Gräben, wo wir derzeit
Brücken bauen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deshalb in aller Freundschaft: Man kann Anträge vor
der Abstimmung auch zurückziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811528400

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die

Kollegin Hiltrud Lotze das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1811528500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Antrag greift eine wichtige Frage auf, nämlich die
Frage nach dem Umgang mit Atommüll, zieht aber zum
Teil falsche Konsequenzen; dazu sage ich später noch et-
was.
Erst am vergangenen Samstag wurde das erste Atom-
kraftwerk nach dem neuen, endgültigen Atomausstieg
abgeschaltet. Wie der Zufall es will, liegt es in Bayern.
Es ist das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. Das macht
die Frage nach dem Umgang mit dem Atommüll mehr
als tagesaktuell.


(Beifall bei der SPD)


Wir alle wissen, dass wir in dieser so wichtigen Frage
sehr viel weiter sein könnten, wenn nicht in der letzten
Legislaturperiode von 2009 bis 2013 der Atomausstieg
von der Union rückgängig gemacht worden wäre.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist Unsinn!)


Das waren in der Tat verlorene Jahre.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir steigen früher aus als Rot-Grün!)


Umso wichtiger ist, dass wir jetzt konsequent vorange-
hen und die Fehler der vergangenen Jahrzehnte nicht
wiederholen.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen ist die Arbeit der Endlagerkommission – das
hat die Kollegin Kotting-Uhl schon gesagt – so grundle-
gend und entscheidend.

Die Folgen des geradezu fahrlässigen Umgangs mit
der Atomkraft sind uns gegenwärtig, zum Beispiel in
Form der 26 Castoren, die noch aus dem Ausland zu-
rückkommen. Es kann doch nicht sein – das muss ich an
dieser Stelle einfach sagen –, dass sich diejenigen, die
jahrzehntelang die Atomkraft befürwortet haben und be-
sonders viel Atomstrom und damit auch Atommüll er-
zeugt haben, der Verantwortung in dieser Frage verwei-
gern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/ CSU]: Wie ist das mit Niedersachsen? Die verweigern sich auch!)


– Zu Niedersachsen komme ich gleich noch, was Sie si-
cherlich nicht verwundern wird.

Das ist unverständlich, zumal wenn dort mit dem Ge-
danken gespielt wird, weiterhin auf diese Hochrisiko-
technologie zu setzen, weil Leitungen oder Windräder
das Panorama verschandeln könnten.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das tun sie auch!)


Ich komme aus dem Wahlkreis, in dem Gorleben
liegt. Mich hat es – genauso wie die meisten Menschen
im Wendland – sprachlos gemacht, als ich gehört und
gelesen habe, dass Bayern es strikt ablehnt, die auch mit
bayerischem Atommüll befüllten Castoren zurückzuneh-
men, und das mit der Begründung, man könne das der
Bevölkerung nicht zumuten.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ein Unsinn! Völliger Quatsch!)


Das war harter Tobak.





Hiltrud Lotze


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde es schade, welche Wertschätzung für die Men-
schen außerhalb Bayerns damit zum Ausdruck kommt.

Ich lade Sie alle, insbesondere die Kolleginnen und
Kollegen von der CSU, in das Wendland nach Gorleben
ein.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Da war ich schon!)


– Wunderbar! Kommen Sie noch einmal. – Dort stehen
in einem oberirdischen Zwischenlager 113 Castoren. Ich
vermittle sehr gerne direkt am Zwischenlager einen Aus-
tausch mit der Bevölkerung und den örtlichen Kommu-
nalpolitikern. Sagen Sie einfach Bescheid. Dann bereite
ich alles Notwendige vor.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Ich darf Sie bitten, vielleicht auch gleich die Unionsbür-
germeister aus Baden-Württemberg mitzubringen, die
jetzt in das gleiche Horn stoßen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Umweltministerin Hendricks hat absolut richtig ent-
schieden, als sie festgelegt hat, dass auch Bayern einige
Castoren übernehmen muss.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei muss es auch bleiben!)


– Genau, dabei muss es auch bleiben. – Es handelt sich
im Übrigen auch nur um die bescheidene Zahl von sechs
bis neun Castoren. Herr Kanitz, die Länder hatten lange
genug Zeit, sich freiwillig dazu zu äußern. Das war auch
Grundlage der gesetzlichen Entscheidung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insofern war es richtig, an dieser Stelle jetzt eine klare
Regelung zu treffen.

Nach dem Nationalen Entsorgungsprogramm, das im
Übrigen fristgerecht vorgelegt worden ist, hat die Bun-
desregierung einen Plan aufgezeigt, wie sie in Zukunft
verfahren wird. Sie hat eine offene und ehrliche Be-
standsaufnahme des vorhandenen und noch anfallenden
Mülls gemacht, und sie hat gesagt, wie wir vorgehen
wollen, und vor allen Dingen, dass wir den Ergebnissen
der Endlagerkommission nicht vorgreifen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich mache jetzt einmal mit Blick auf die Uhr ein biss-
chen schneller.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie können auch aufhören!)


– Das tue ich nicht, tut mir leid. – Der Antrag der Linken
weist noch auf ein anderes Problem hin, auch wenn er da
falsche Konsequenzen zieht. Auch das ist eben schon an-
gesprochen worden. Es geht um die Kosten für Rückbau
und Endlagerung und um die Frage, wie sicher diese
sind. Es ist gut, dass Minister Gabriel in dieser Sache die
Initiative ergriffen hat. Sie alle wissen: Es gibt eine Stu-
die, die auf Schwachpunkte hingewiesen hat. Dazu hat
es in der letzten Nacht eine Verständigung in der Koali-
tion gegeben. Die Verantwortung bleibt bei den Unter-
nehmen, die den Atomstrom produzieren. Es wird keine
Verkleinerung des Haftungsvermögens erfolgen. Es gibt
Stresstests für die Unternehmen, mit denen die Sicher-
heit der Rückstellungen geprüft wird. In einer Kommis-
sion soll die Frage geklärt werden, auf welchem Weg die
Absicherung der finanziellen Verantwortung für Rück-
bau, Stilllegung und Endlagerung am besten erfolgen
kann. Für die SPD sage ich hier noch einmal ganz deut-
lich: Wir werden keine Lösung akzeptieren, die da lau-
tet: Gewinne privatisieren, Verluste – in diesem Fall Fol-
gekosten – sozialisieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man einfach den Empfehlungen des Gutachtens folgen!)


– Ja.

Was den vorliegenden Antrag angeht, so können wir
diesen nicht unterstützen, unter anderem deswegen – da-
rauf hat Frau Kotting-Uhl schon hingewiesen –, weil
diesem mindestens ein grundsätzlicher Denkfehler zu-
grunde liegt. Sie fordern nämlich, dass der Auftrag der
Endlagerkommission dem Nationalen Entsorgungspro-
gramm angepasst werden muss. Genau umgekehrt wird
ein Schuh daraus; denn es besteht beim NaPro ein Revi-
sionsvorbehalt. Das Nationale Aktionsprogramm zur
Entsorgung des Atommülls steht völlig zu Recht unter
Vorbehalt der Ergebnisse der Endlagerkommission; denn
es sollen nicht schon wieder Fakten geschaffen werden,
bevor es einen breiten Diskurs gegeben hat.

Unser Fazit: Der Antrag enthält einige richtige An-
sätze. Die Konsequenzen, die daraus gezogen werden,
sind jedoch zum großen Teil falsch.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811528600

Vielen Dank. – Die Aussprache ist beendet.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5228 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Transparenzinitiative der Europäischen
Kommission mitgestalten – Bewährte Stan-
dards im Handwerk und in den Freien Beru-
fen erhalten

Drucksache 18/5217





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden1). –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 18/5217. Die Fraktionen
der CDU/CSU und SPD wünschen Abstimmung in der
Sache, die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen wünschen Überweisung an den Ausschuss für
Wirtschaft und Energie. Wir stimmen nach ständiger
Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüber-
weisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die be-
antragte Überweisung? – Die Antragsteller. Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag auf Überwei-
sung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge-
gen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen abgelehnt.

Wir kommen daher zur Abstimmung über den Antrag
auf Drucksache 18/5217. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthal-
tung der Oppositionsfraktionen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Jemen – Militärische Intervention stoppen –
Neue Friedensverhandlungen beginnen

Drucksache 18/5380
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811528700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jemen

war schon immer ein armes Land; es ist das ärmste Land
der Arabischen Liga. Dennoch gab es im Jemen immer
Hoffnung. Es ist gerade vier Jahre her, dass Hunderttau-
sende von Menschen friedlich auf die Straße gegangen
sind und sich Scharfschützen entgegengestellt haben – in
der Hoffnung auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden.

Was ist heute? Just am heutigen Tag hat die UN fest-
gestellt, dass Jemen in die höchste Notstandskategorie
gehört. Damit ist Jemen in derselben Kategorie wie Irak
und Syrien.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Südsudan! – Agnieszka 1)

Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und
Südsudan!)

Hunger herrscht vor, Krankheiten grassieren. Fast
1,5 Millionen Menschen im Land sind Vertriebene. Man
muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Es gibt eine
Flüchtlingswelle aus dem Jemen nach Somalia, weil So-
malia für die Menschen sicherer als der Jemen selbst ge-
worden ist. In Dschibuti gibt es einen Aufnahmestopp
für jemenitische Flüchtlinge. Fabriken werden zerstört.
Es gibt keine einzige Molkerei mehr in dem Land. Es
gibt keine Zementfabrik mehr. Es gibt nicht einmal mehr
ein Fußballstadion. Es gibt viele Berichte über gezielte
Bombardements von Tankstellen und Kinderspielplät-
zen. Heute ist der 99. Tag des Massenbombardements
der Koalition um Saudi-Arabien in diesem Land. Hier-
durch werden NGO-Büros getroffen. Hierdurch werden
Flüchtlingslager der Vereinten Nationen getroffen. Hier-
durch wird Weltkulturerbe zerstört.

Worum geht es denn? Eigentlich geht es um eine in-
nenpolitische Auseinandersetzung. Eigentlich geht es
um Ressourcenverteilung. Eigentlich geht es um Macht-
verteilung. Eigentlich geht es darum, dass in den letzten
zehn Jahren sechsmal Massaker an den Huthis verübt
worden sind. Eigentlich geht es darum, dass die Huthis
sehr große Angst bekommen haben, weil die sunnitische
Militanz immer stärker geworden ist. Es war nicht legi-
tim von den Huthis, einen gewählten Präsidenten abzu-
setzen. Es ist kontraproduktiv, wie sich der Iran in den
Konflikt einmischt. Es ist zerstörerisch, wie der ehema-
lige Präsident und Diktator Salih die Huthis unterstützt.
Nichts davon rechtfertigt, dass Saudi-Arabien den Jemen
zurzeit – seit 99 Tagen – in die Steinzeit bombt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wer sich wundert, dass die Genfer Gespräche und
Verhandlungen gescheitert sind, muss sich auch einmal
vergegenwärtigen, dass Saudi-Arabien nicht einmal be-
reit war, während dieser Verhandlungen von vier oder
fünf Tagen nicht zu bomben. Unter Bomben kann man
nicht über Frieden verhandeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was ist aber mit Deutschland? Die Position der Bun-
desregierung kam vor 97 Tagen in einem lapidar geäu-
ßerten Statement des Herrn Außenministers zum Aus-
druck, er habe „Verständnis für das Vorgehen Saudi-
Arabiens“. Dann kam zwei Monate nichts, ein eiskaltes
Schweigen, eine dröhnende Stille dieser Bundesregie-
rung, die einfach nicht bereit war, sich zu äußern. Wo-
chenlang war der UN-Generalsekretär ohne Hilfe
Deutschlands mit seiner Forderung nach einem Waffen-
stillstand. Das ist schlicht skandalös.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


So verhält sich ausgerechnet Deutschland, ein Land,
das im Jemen eine Vermittlungsrolle spielen kann, ein
Land, das dort jahrelang, jahrzehntelang Entwicklungs-
zusammenarbeit geleistet hat. Man muss sich einmal





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)

vorstellen: Unsere Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
haben jahrzehntelang für den Wiederaufbau eines Lan-
des mitbezahlt, das gerade von Saudi-Arabien zerstört
wird, und die Antwort der Bundesregierung ist monate-
lang: Wir haben nun einmal Verständnis dafür. – Das ist
schlicht nicht hinnehmbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist auch nicht hinnehmbar, dass die Saudis zurzeit
Tag für Tag Boxen nehmen, lizenzierte deutsche G3-
Waffen hineinstecken und diese Boxen über Gebieten
abwerfen, die von al-Qaida regiert werden. Es ist nicht
hinnehmbar, dass die Bundesregierung nicht einmal
kommentiert, dass es jetzt Berichte darüber gibt, dass
aus Deutschland immer noch Bauteile für Bomben hin-
gebracht werden.

Meine Damen und Herren, wir haben es im Falle
Ägyptens erlebt. Vier Jahre nach Beginn des Arabischen
Frühlings hat die Bundesregierung beschlossen: Im Na-
hen Osten geht es nur noch um Stabilität. – Stabilität ist
in diesem Fall nur noch Friedhofsruhe. Wir reden über
eine Grabesruhe für den früh verstorbenen Aufbruch der
Bundesregierung in eine neue Rolle Deutschlands in der
Welt. Das, was im Jemen passiert, ist mehr als nur ein
Skandal; es ist ein massives Verbrechen, und es tut sich
niemand einen Gefallen, dabei zu schweigen, wie es die
Bundesregierung monatelang gemacht hat. Es ist
höchste Zeit, dass Deutschland, dass die Europäer end-
lich die Stimme erheben und nicht die ganze Zeit so tun,
als wäre Saudi-Arabien ein – Zitat – Stabilitätsanker. Es
gibt im Sand keinen Anker, der hält.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811528800

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1811528900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus und glücklicher-
weise auch in der internationalen Staatengemeinschaft
darüber einig, dass im Jemen ein Konflikt auf dem Rü-
cken einer gebeutelten Bevölkerung ausgetragen wird.
Es ist in der Tat ein Konflikt, bei dem auf der einen Seite
der ehemalige Präsident Salih, der zurück in dieses Amt
strebt, sowie große Teile der Militärtruppen und -ver-
bände und die Huthi-Rebellen stehen, und auf der ande-
ren Seite der ins Exil geflohene Präsident Hadi und ver-
bliebene Regierungstruppen.

Das, was in diesem kleinen Land im Süden der Arabi-
schen Halbinsel angerichtet wird, ist eine unglaubliche
humanitäre Katastrophe.


(Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Etwa vier Fünftel der Bevölkerung sind auf unmittelbare
Nothilfe angewiesen. 10 Prozent der Bevölkerung haben
Mangelernährung. Viele Millionen Menschen haben
keinen Zugang zu sicheren und sauberen Trinkwasser-
quellen. Kindersoldaten werden eingesetzt. Die Zahlen
sind schockierend: 3 000 Tote, 13 000 Verletzte, 1 Mil-
lion Binnenflüchtlinge. Es ist eine humanitäre Katastro-
phe, und es ist klar, dass wir uns in dieser Angelegenheit
schon allein wegen dieser humanitären Katastrophe rüh-
ren müssen.

Aber es gibt darüber hinaus auch noch ein eigenes In-
teresse, weil nämlich die Flüchtlingsströme – es ist ge-
schildert worden; die Menschen fliehen gar nach Soma-
lia – mittelfristig auch nach Europa kommen werden.
Wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen,
dann ist der Jemen ein klassisches Beispiel dafür, dass
wir uns engagieren müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sehen, wie im Jemen Staatlichkeit und Stabilität
verloren gehen. Dann entsteht ein Machtvakuum, in dem
internationaler Terrorismus gedeihen kann, und das tut
er dort. Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel bei-
spielsweise hat bereits zwei Provinzen unter seiner
Kontrolle. Der „Islamische Staat“ versucht, einen Keil
zwischen den schiitischen und den sunnitischen Bevöl-
kerungsteil zu treiben, das auszunutzen, das zu schüren
und damit seine eigene Agenda zu verfolgen.

Vor diesem Hintergrund könnte man wirklich den
Eindruck haben, dass dieses Knäuel aus verwirrten und
verwirrenden Beziehungen kaum aufzulösen ist. Trotz-
dem glaube ich, lieber Herr Nouripour, dass es durchaus
Ansätze gibt, an denen man sehen kann, dass es möglich
sein kann, diesen Konflikt zu lösen.

Zum einen ist das die Tatsache, dass es in der Tat kein
Religionskonflikt zwischen Sunniten und Schiiten ist. Es
ist eigentlich auch kein Stellvertreterkrieg der Regional-
mächte Saudi-Arabien und Iran. Es besteht bei beiden
die Gefahr, dass es sich dazu entwickelt.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Saudis sind doch da mit drin!)


Aber es sind vor allen Dingen Machtspiele im Land, und
es geht vor allen Dingen um ökonomische Frustration
und Benachteiligung von Minderheiten und Bevölke-
rungsgruppen. Es ist also vor allen Dingen ein jemeniti-
sches Problem, das man tatsächlich im Land lösen kann.
Das gibt letztlich Hoffnung.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt gar kein Land mehr!)


Auch wenn die Gespräche in Genf ergebnislos abge-
brochen worden sind, spürt man, glaube ich, im Land
und in der Region, dass es ein Bewusstsein dafür gibt,
dass diese Gespräche wieder aufgenommen werden
müssen, weil letztlich jede Seite zu schwach ist, ihre ei-
gene Politik, ihr Blatt zum Guten zu wenden. Das gilt für
die Huthi-Rebellen, die ein überdehntes Gebiet haben,
die von IS angegriffen werden und nicht in der Lage
sind, die Bevölkerung zu versorgen. Allein mit den Luft-





Thorsten Frei


(A) (C)



(D)(B)

schlägen der Saudis wird Präsident Hadi auch nicht in
den Jemen zurückkehren können. Vor diesem Hinter-
grund muss es ein allgemeines Interesse geben, zu einer
Lösung zu kommen. Es ist ja tatsächlich so, dass die
Huthis beispielsweise der Einsetzung der Übergangsre-
gierung unter Hadi zugestimmt haben. Und auch die
Nachbarschaft kann helfen; ich denke etwa an den Golf-
kooperationsrat, an die Aktionen der Nachbarn, an das
Engagement des Oman, mit denen derzeit wieder Ge-
spräche stattfinden.

Es gibt ein Interesse in der Region für Stabilität und
Sicherheit, weil klar ist, dass das Ganze nicht auf den Je-
men begrenzt bleiben würde. Vor diesem Hintergrund
bin ich optimistisch, dass es gelingt, die UN-Resolution
2216 zu implementieren. Wenn es gelingt, einen Waffen-
stillstand unter UN-Aufsicht zu erreichen, wenn es ge-
lingt, dass sich die Huthis aus den größeren Städten des
Jemen zurückziehen, Hadi in den Jemen zurückgehen
kann


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Saudis aufhören, zu bomben! Sagen Sie doch einen einzigen Satz zu den Saudis, einen!)


– auch das –, dann gibt es die Chance, dass man den na-
tionalen Dialog, der im Januar 2014 zu Ende gegangen
ist, wieder aufnehmen kann mit seinen über 2 000 Emp-
fehlungen und vor allen Dingen auch mit dem Verfas-
sungsentwurf, den es dann zu implementieren gilt.

Ich möchte einen letzten Satz dazu sagen, dass wir es
im Jemen tatsächlich mit einem gescheiterten Staat zu
tun haben. Von daher geht es darum, Vertrauen zurück-
zugewinnen, eine Regierung der nationalen Einheit zu
schaffen und vor allen Dingen mitzuhelfen, dort wieder
staatliche Strukturen aufzubauen. Auch das wäre eine
Möglichkeit für die Europäische Union, ähnlich wie in
Somalia und anderen nordafrikanischen Ländern im
Rahmen eines Capacity Building und einer Trainings-
mission mitzuhelfen, staatliche Strukturen aufzubauen
und damit das Land in eine bessere Zukunft zu begleiten.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811529000

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Christine

Buchholz, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811529100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Dis-

kussion über die Lage im Jemen ist überfällig. Ehrlich
gesagt, Herr Frei, ich glaube, wir befinden uns hier in
zwei unterschiedlichen Veranstaltungen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Seit Monaten bombardiert eine von Saudi-Arabien ge-
führte Militärallianz dieses verarmte Land. Zahlreiche
zivile Ziele wurden und werden getroffen. Die Auswir-
kungen sind verheerend. Die Zahl der Toten geht in die
Tausende. 160 Krankenhäuser und Ambulanzen wurden
zerstört oder mussten geschlossen werden. Und die UN
sagt: Über 21 Millionen Menschen – das sind über
80 Prozent der Bevölkerung – sind auf Hilfe angewie-
sen. Doch das Land ist eingeschlossen, seit Saudi-Ara-
bien die Häfen im Jemen blockiert. Ich sage: Dieser von
Saudi-Arabien geführte Luftkrieg ist ein Verbrechen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Hauptverantwortlichen für die humanitäre Kata-
strophe im Jemen sind die Milliardäre in den Palästen
Riads. Im Kern geht es ihnen um den Einfluss in der Re-
gion im Konflikt mit dem Iran und seinen Verbündeten.
Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der LINKEN)


Man sollte meinen, die Haltung der Bundesregierung
wäre angesichts der Katastrophe klar. Aber Herr Frei hat
gerade eindrücklich demonstriert: Sie ist es nicht. Wir
hören kein offenes, nicht einmal ein verstecktes Wort der
Kritik an der saudischen Führung. Das ist ein wirklicher
Skandal.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Gegenteil: Es sind nicht nur die G3-Sturmgewehre
von Heckler & Koch, die über Aden abgeworfen wur-
den. Am Montag wurde der Bundestag darüber infor-
miert, dass die Bundesregierung die Lieferung von
15 bewaffneten Patrouillenbooten an Saudi-Arabien ge-
nehmigt hat, wohlgemerkt in einer Zeit, da die saudische
Regierung gegen den Jemen eine Seeblockade verhängt
hat. Das, meine Damen und Herren, ist Beihilfe zur Aus-
hungerung der jemenitischen Bevölkerung, und das ist
skandalös.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die zynische Haltung der Bundesregierung hat tat-
sächlich Geschichte. 2011 wurde die Lieferung von
200 Kampfpanzern nach Saudi-Arabien genehmigt. Das
war nur wenige Wochen, nachdem saudische Panzer die
Demokratiebewegung in Bahrain niedergewalzt haben.
Erst das Geschäft, dann die Moral. Wir sehen auch hier:
Minister Gabriel hat als Wirtschaftsminister an dieser
Prioritätensetzung nichts geändert. Dieser Tatsache müs-
sen Sie ins Auge sehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Rechtfertigungen sind ebenfalls die gleichen ge-
blieben. 2011 sagte de Maizière, Saudi-Arabien sei einer
der wichtigsten Stabilitätsanker in der Region. Heute
sagt die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion,
Saudi-Arabien spiele in der Region eine Schlüsselrolle
für die Sicherheit. Aber von welcher Sicherheit spricht
die Bundesregierung? Über den Jemen hat der saudische
Luftkrieg nur Unsicherheit und Verderben gebracht, und
auch im Inneren der saudischen Monarchie selbst bedeu-
tet Sicherheit vor allen Dingen Unterdrückung. Allein in





Christine Buchholz


(A) (C)



(B)

den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden 78 Men-
schen öffentlich hingerichtet. Die Bundesregierung un-
terstützt nicht die Stabilisierung in der Region, sondern
Tyrannei.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dank des vorliegenden Antrages der Grünen haben
wir die Möglichkeit, die Lage im Jemen zu debattieren.
Es ist gut, dass im Antrag die Forderung nach einem
Stopp von Waffenexporten nach Saudi-Arabien erhoben
wird. Allerdings sehen wir auch Lücken in dem Antrag
und müssen darüber noch weiter diskutieren. Es ist ein
Problem, dass der Drohnenterror der USA gegen den Je-
men kaum und die stillschweigende Unterstützung die-
ses Krieges durch Deutschland gar keine Erwähnung fin-
den. Es reicht auch nicht, von der Bundesregierung die
Distanzierung vom saudischen Luftkrieg zu fordern. Die
Bundesregierung muss das Bombardement des Jemen
verurteilen und endlich die Zusammenarbeit mit dem
saudischen Regime beenden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Menschen im Jemen brauchen keine Bomben. Sie
brauchen Wasser, Nahrung und Medikamente. Das sind
Dinge, die Deutschland auf die arabische Halbinsel lie-
fern sollte, keine Kampfpanzer oder Militärboote.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811529200

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, der

Kollege Niels Annen hat wegen eines andauernden
Termins im Auswärtigen Amt gebeten, seine Rede zu
Protokoll geben zu dürfen.1)


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Party! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da ist eine Party!)


Sind Sie damit einverstanden? – Dann hat jetzt die Kol-
legin Motschmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1811529300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Militärische Intervention stoppen“, das ist die erste For-
derung im Antrag der Grünen. Natürlich, Herr
Nouripour, muss es das Ziel sein, diese Intervention zu
stoppen. Niemand kann wollen, dass dort dauerhaft
Krieg herrscht oder dass dort gebombt wird, von wem
auch immer. Täglich sterben im Jemen Soldaten, Zivilis-
ten und Kinder. Das muss aufhören.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Huthi-Rebellen kämpfen gegen die staatlichen jeme-
nitischen Strukturen und haben diese weitgehend lahm-

1) Anlage 16
gelegt und zerstört. Al-Qaida-Terroristen kämpfen mal
gegen den Staat, mal gegen die Huthis. Zu allem Über-
fluss sind nun auch noch IS-Terroristen im Land und an
den Kämpfen beteiligt. Präsident Hadi ist von Sanaa
nach Aden und später nach Saudi-Arabien geflüchtet;
das ist ja hier erwähnt worden. Eine Regierung besteht
de facto nicht. Es besteht eine große Unsicherheit im
Land, eine humanitäre Katastrophe; das haben Sie ja
richtig beschrieben. Auch in dieser völlig verfahrenen,
desolaten Situation müssen erneut Friedensverhandlun-
gen beginnen. Da sind wir ganz bei Ihnen; niemand wird
das ernsthaft bestreiten.

Es stellt sich aber die Frage: Wer soll denn hier ei-
gentlich mit wem verhandeln? Wer erkennt denn den je-
weils anderen als Verhandlungspartner an? Das ist die
erste Schwierigkeit. Bei den Friedensverhandlungen in
Genf war es so, dass der UN-Sonderbeauftragte mehr
Zeit mit dem Pendeln zwischen den Hotels verbracht hat
als in den Sitzungen selber. So einfach ist das also nicht.
Trotzdem müssen diese Verhandlungen möglichst
schnell – da würde ich Sie voll unterstützen – wiederauf-
genommen werden, um eine politische Lösung, wenn es
sie denn gibt – wir hoffen das alle; das ist doch klar –,
überhaupt zu ermöglichen.

Ich denke, wir sind uns auch alle einig, dass wir nicht
tatenlos zusehen können, wie ein Anschlag nach dem an-
deren das Land im Chaos versinken lässt. Allein in den
letzten Tagen gab es wieder zahlreiche Tote. 17. Juni:
30 Tote, 20. Juni: 3 Tote, 30. Juni: 28 Tote.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und was machen wir? Wir liefern Waffen!)


Darüber hinaus war der Jemen auch Ausgangspunkt für
die feigen Attentäter, die im Januar in Paris die Redak-
tion von Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt
angegriffen haben und dabei 17 unschuldige Menschen
töteten.

Der Jemen steht also vor einem totalen Zerfall und
wird in seinem jetzigen Zustand natürlich auch zur leich-
ten Beute des sogenannten „Islamischen Staats“ sowie
von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel. Das muss
man einfach sehen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!)


Wir müssen davon ausgehen, dass die Aggressionen der
Huthis – Sie haben es auch gesagt – zusätzlich aus dem
Iran befeuert, unterstützt und gegebenenfalls sogar ge-
steuert werden. Saudi-Arabien spielt in der Arabischen
Liga und im Golfkooperationsrat eine entscheidende
Rolle. Das kann niemand bestreiten. Trotz aller Kritik,
die wir alle an diesem Staat haben, brauchen wir sicher
die Saudis. Hier denke ich allein an die mittelalterliche
Rechtsordnung, die dort herrscht. Sie alle haben noch die
tausend Stockschläge für Raif Badawi in Erinnerung und
wissen, dass wir es mit einem Staat zu tun haben, der mit
unseren demokratischen Maßstäben überhaupt nicht zu
messen ist; es gibt auch nichts zu beschönigen. Trotzdem
werden wir ohne Saudi-Arabien Sicherheit und Stabilität
in der Region schwer herstellen können.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Unsinn!)


(D)






Elisabeth Motschmann


(A) (C)



(D)(B)

Auch das ist die Wahrheit. An dieser Stelle berühren wir
ein grundsätzliches Problem der Ethik. Es gibt Kon-
flikte, in denen man sich auf keine Seite stellen möchte.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das macht die Bundesregierung eben nicht!)


Genau das ist hier der Fall. Wir stellen uns auf die Seite
der Menschen, die in dem Land leben –


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie stellen sich auf die Seite der Saudis!)


– nein, ich stelle mich gar nicht auf irgendeine Seite –


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie nicht, aber die Bundesregierung!)


– hören Sie einmal gut zu –, und müssen trotzdem in der
Abwägung dann das kleinere Übel wählen; denn ohne
Saudis wird es keine Lösung des Konfliktes geben. – Ich
bin sofort fertig, Frau Präsidentin.

Entscheidend wird sein, Angriffe auf das Militär und
die terroristischen Anschläge auf die Zivilbevölkerung
zu beenden. Darin sind wir uns einig.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht die Saudis!)


Dass dies ohne eine militärische Intervention gelingen
kann, muss zum jetzigen Zeitpunkt mindestens bezwei-
felt werden. Das wird sehr schwer, auch wenn das von
jedem gewünscht wird. Ich wünschte auch, wir könnten
das mit gutem Zureden oder allein mit Verhandlungen
schaffen. Befriedete Zonen sind unerlässliche Vorausset-
zungen zu humanitärer Hilfe.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird es nicht! Es werden Waffen geliefert!)


Das ist das Nächste, was wir tun müssen: humanitäre
Hilfe, die dringend erforderlich ist. Hier müssen wir
Saudi-Arabien auch fordern. Sie müssen natürlich auch
Flüchtlinge aufnehmen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen erst einmal aufhören, zu bombardieren!)


– Sie müssen humanitär helfen, das wäre besser als bom-
bardieren. Da bin ich ganz bei Ihnen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Bei diesem Vorhaben dürfen wir keine Zeit vergeuden.
Auch das ist richtig. Die menschliche Katastrophe ist in
vollem Gange. Sie haben es gesagt: Vier Fünftel der Be-
völkerung, so die Vereinten Nationen, sind auf Hilfe an-
gewiesen, unter ihnen etwa 1,8 Millionen Kinder, was
uns zutiefst bedrücken muss.


(Lachen des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])


– Was lachen Sie eigentlich? Es gibt hier nichts zu la-
chen.

Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811529400

Frau Kollegin Motschmann.


Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1811529500

Die Rede ist zu Ende, Frau Präsidentin.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Doch welche Konsequenzen ziehen Sie mit Ihrer Politik daraus?)


– Ich rede mich hier gar nicht raus. Ich sage nur, wie die
Lage ist und wie schwer es ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Welche Konsequenzen ziehen Sie mit Ihrer Politik daraus?)


– Das habe ich Ihnen doch gesagt, aber Sie müssen ein-
mal zuhören. Für Sie gibt es nur eine einfache Lösung.
Die gibt es hier aber nicht, gerade hier nicht. Die Lage
ist so verworren, und Sie meinen, man könnte mit gutem
Zureden oder mit Hände-in-den-Schoß-Legen den Je-
men befrieden. So einfach ist das nicht. Deshalb sind
wir, die Bundesrepublik Deutschland, verpflichtet, uns
hier nach bestem Wissen und Gewissen einzubringen.
Aber dass es so einfach wäre, wie es sich manche wün-
schen – ich übrigens auch, Herr Nouripour –, ist nicht
der Fall.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811529600

Frau Kollegin, ich darf Sie jetzt bitten, zum Schluss

zu kommen. Sie haben jetzt fast drei Minuten mehr ge-
habt.


Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1811529700

Danke schön, Frau Präsidentin.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1811529800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5380 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatz-
punkt 7 auf:

17 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Durch Stärkung der Digitalen Bildung Me-
dienkompetenz fördern und digitale Spal-
tung überwinden

Drucksachen 18/4422, 18/5368





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Tabea Rößner, Kai Gehring, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Empfehlungen der Enquete-Kommission „In-
ternet und digitale Gesellschaft“ zur digitalen
Bildung umsetzen

Drucksache 18/5105

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so be-
schlossen.

Tagesordnungspunkt 17. Wir kommen zur Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5368,
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/4422 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Zusatzpunkt 7. Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5105.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Schummer, Karl Schiewerling, Jutta Eckenbach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kerstin
Tack, Katja Mast, Dr. Matthias Bartke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen
für schwerbehinderte Menschen auf dem ers-
ten Arbeitsmarkt eröffnen

Drucksache 18/5377
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5377 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-

1) Anlage 17
2) Anlage 18
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem An-
trag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bericht der Bundesregierung zur weltweiten
Lage der Religions- und Glaubensfreiheit

Drucksachen 18/5206, 18/5408

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden.3) – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5408, den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5206 anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des gesamten
Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Fischetikettierungsge-
setzes und des Tiergesundheitsgesetzes

Drucksache 18/4892

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Ernährung und Landwirtschaft

(10. Ausschuss)


Drucksache 18/5413

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden.4) – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/5413, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4892 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD und Linken bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenom-
men.

3) Anlage 19
4) Anlage 20





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Neun-
ten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes

Drucksachen 18/4656, 18/4947

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Ernährung und Landwirtschaft

(10. Ausschuss)


Drucksache 18/5414

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden.1) – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-
nährung und Landwirtschaft empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5414,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/4656 und 18/4947 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/5414 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes
und zur Bereinigung des Bundesvertriebenen-
gesetzes

Drucksache 18/4625

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


Drucksache 18/5404

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/5410

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) –
Ich sehe, Sie sind einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-

1) Anlage 21
2) Anlage 22
che 18/5404, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4625 anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthal-
tung der Oppositionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüs-
siggas über 2018 hinaus verlängern

Drucksache 18/5378

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 18/5378 mit dem Titel
„Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas über
2018 hinaus verlängern“. Die Fraktionen der CDU/CSU
und SPD wünschen Abstimmung in der Sache, die Frak-
tionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen
Überweisung an den Finanzausschuss. Nach ständiger
Übung stimmen wir zunächst über den Antrag auf Aus-
schussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für
die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen abgelehnt.

Wir kommen daher zur Abstimmung über den Antrag
auf Drucksache 18/5378. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuor-
ganisation der Zollverwaltung

Drucksache 18/5294
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Die Reden werden, Ihr Einverständnis vorausgesetzt,
zu Protokoll gegeben.4)

3) Anlage 23
4) Anlage 24





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/5294 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar
1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steu-
ersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai
2010 zur Änderung des Übereinkommens
über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersa-
chen

Drucksachen 18/5173, 18/5220

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/5409

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Sie sind einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/5409, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/5173 und 18/5220 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Entlastung insbesondere der
mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie

(Bürokratieentlastungsgesetz)


Drucksache 18/4948

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(9. Ausschuss)


Drucksache 18/5418

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae,

1) Anlage 25
Dieter Janecek, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bürokratie gezielt abbauen statt Stillstand
manifestieren

Drucksachen 18/4693, 18/5418

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.

Die Reden werden zu Protokoll gegeben, sofern Sie
damit einverstanden sind.2) – Ich sehe, das ist der Fall.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5418,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/4948 in der Ausschussfassung anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5430 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 b. Wir setzen die Abstim-
mung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/5418 fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4693.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Herstellung des Einvernehmens des Deut-
schen Bundestages mit der Bestellung des
Max-Planck-Instituts für ausländisches und
internationales Strafrecht in Freiburg als wis-

2) Anlage 26





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(B)

senschaftlicher Sachverständiger im Rahmen
der Evaluierung der Gefahrenabwehrbefug-
nisse nach den §§ 4a, 20j und 20k des Geset-
zes über das Bundeskriminalamt und die Zu-
sammenarbeit des Bundes und der Länder in

(Bundeskriminalamtgesetz – BKAG)


Drucksache 18/5379

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden, obwohl das sehr bedauerlich ist.1) – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache

1) Anlage 27
18/5379. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich
für die Aufmerksamkeit. Wir sind jetzt auch am Schluss
der heutigen Tagesordnung angekommen.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 3. Juli 2015, 9 Uhr,
ein.

Ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Abend
und schließe hiermit die Sitzung.