Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie allezu unserer Plenarsitzung.Bevor wir in die Regierungsbefragung eintreten, habeich Ihnen noch Folgendes mitzuteilen: Interfraktionell istvereinbart worden, die Unterrichtung der Bundesregie-rung auf Drucksache 18/2150 zum Zwanzigsten Haupt-gutachten der Monopolkommission an den mitbera-tenden Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit zu überweisen. – Trotz allgemeinerVerblüffung stelle ich dazu jedenfalls keinen erkennba-ren Widerstand fest. Dann haben wir diese Überweisungso beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzeszur Änderung des Erneuerbare-Energien-GesetzesDrucksache 18/4891Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussEine Aussprache ist heute nicht vorgesehen. Daherkönnen wir gleich die Überweisung beschließen.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfes auf Drucksache 18/4891 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auchhierzu sehe ich keine anderen Vorschläge, also ist dieÜberweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Agrarpolitischer Bericht 2015der Bundesregierung.Hierzu erteile ich für den einleitenden fünfminütigenBericht dem Bundesminister für Ernährung und Land-wirtschaft, Christian Schmidt, das Wort.Ich bitte, einer inzwischen guten Übung folgend, mirHinweise zu geben, ob und, wenn ja, welche Kollegenspäter gegebenenfalls auch zu anderen Themen das Wortwünschen. Wenn die Geschäftsführer dies einmal vor-sortieren, erleichtert das die Aufrufung der entsprechen-den Kollegen.Herr Minister, bitte schön.Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichdarf aus der heutigen Sitzung des Bundeskabinetts mitdem Schwerpunktthema „Agrarpolitischer Bericht2015“ berichten.Nach dem Landwirtschaftsgesetz ist die Bundesregie-rung gehalten, im vierjährigen Turnus einen agrarpoliti-schen Bericht vorzulegen. Wir haben diesen Entwurf für2015 heute beschlossen. Er umfasst den Berichtszeit-raum von 2010 bis 2014.Agrarpolitik steht im gesellschaftlichen Fokus. Wirverlangen viel von den Landwirten. Sie leisten viel, undsie verdienen unsere Aufmerksamkeit. Die Agrar- undErnährungspolitik muss heute sowohl die Anforderun-gen der Verbraucherinnen und Verbraucher und des Um-weltschutzes als auch die ökonomischen Interessen desSektors im Blick haben. Der Agrarbericht greift diesesSpannungsfeld auf und dokumentiert sowohl bereits Er-reichtes als auch weiteren Handlungsbedarf. Er präsen-tiert die agrarpolitischen Weichenstellungen und Zieleder Bundesregierung und informiert über die gegenwär-tige Lage der Landwirtschaft im Rückblick der genann-ten Jahre.Der politische und gesellschaftliche Konsens, dieLandwirtschaft als elementaren Teil unserer ökonomi-schen, sozialen, ökologischen und kulturellen Gesell-schaftsstruktur anzuerkennen, ist in Teilen brüchig ge-worden. Das ist leider ebenso festzustellen wie einenicht gerechtfertigte Entfremdung von Teilen der Bür-
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Bundesminister Christian Schmidt
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gergesellschaft und der Politik von den Bäuerinnen undBauern. Deswegen ist unser Ziel, einen Dialog einzulei-ten und die Einbettung der Landwirtschaft in die Mitteder Gesellschaft zu unterstützen und zu fördern. Das ge-lingt mit praktikablen Lösungen und überlegtem, schritt-weisem Vorgehen besser als mit Schuldzuweisungenoder Abwendung.Einen Schwerpunkt legt der Bericht im Einklang mitdem Koalitionsvertrag auf die ländlichen Räume undihre Stärkung. Die Förderung der ländlichen Räumewird neu ausgerichtet, hin zu einer umfassenden ländli-chen Entwicklung. Dementsprechend wird die Schaf-fung der Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwick-lung“ als Zielvorgabe genannt. Grundlage hierfür ist dieKoalitionsvereinbarung, die eine Weiterentwicklung derGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstrukturund des Küstenschutzes“ vorsieht.Mit der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik der Euro-päischen Union wurde die Basis dafür geschaffen, dieWettbewerbsfähigkeit der Land- und Ernährungswirt-schaft zu erhalten. Gleichzeitig wurden mit der stärkerenUmweltorientierung wichtige Weichen gestellt.Nun geht es mir darum, unsere Bauern zu entlasten,wenn möglich, auch durch Vereinfachungen im Bereichder GAP. Die konsequente Marktorientierung der Land-und Ernährungswirtschaft hat sich bewährt. Für diesenKurs steht sowohl das Ende der Milchquotenregelung indiesem Jahr als auch das bereits beschlossene Auslaufender Zuckermarktordnung zum 30. September 2017.Flankiert wird die Marktausrichtung von Direktzahlun-gen und im Bereich der Milchwirtschaft zusätzlich durchdas Sicherheitsnetz der gemeinsamen Marktorganisa-tion.Der Agrarexport entwickelt sich positiv. Jeden viertenEuro erlöst die deutsche Landwirtschaft inzwischen imExport, die deutsche Ernährungswirtschaft sogar jedendritten Euro, und das ohne Exportsubventionen. Diesehaben wir grundsätzlich abgeschafft; die Bundesregie-rung möchte sie auch in der Europäischen Union nichtwieder eingeführt sehen.Das Schützen und das Nutzen unserer natürlichenRessourcen sind zwei Seiten einer Medaille. Der Agrar-bericht betont die Bedeutung eines verantwortungsvol-len Umgangs mit Tieren und Umwelt. Meine Initiative„Eine Frage der Haltung – Neue Wege für mehr Tier-wohl“ soll eine messbare Verbesserung des Tierwohlserreichen. Sie wird durchaus auch an den Kundenwün-schen orientiert; Tierschutz ist als Wettbewerbsvorteil zusehen. Die Branche hat diese Erkenntnis bereits in dergesamten Wertschöpfungskette aufgenommen.Pflanzenschutz- und Düngerecht sind die Kernfragender nachhaltigen Pflanzenerzeugung. Der Flächenanteildes ökologischen Landbaus soll zukünftig deutlich grö-ßer werden, damit deutsche Erzeuger von der steigendenInlandsnachfrage nach Bioprodukten, die sich seit demJahr 2000 vervierfacht hat, noch besser profitieren kön-nen. Mein Haus erarbeitet dazu die ZukunftsstrategieÖkologischer Landbau.Wichtige Basis ist eine gut aufgestellte, innovativeAgrarforschung, die praxisorientierte Kenntnisse liefert.Das ist allerdings auch der Punkt, an dem die Struktureninnerhalb des Ressorts noch verbessert werden müssen.Darüber hinaus darf festgehalten werden, dass das Ziel,ein Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzenumzusetzen, feststeht.Von der Lage der Landwirtschaft zeichnet der Berichtein differenziertes Bild. 285 000 landwirtschaftliche Be-triebe gibt es in Deutschland, fast möchte ich sagen:noch; denn die Zahl war früher größer.
Herr Minister, die können Sie jetzt nicht alle aufzäh-
len, weil Sie schon mehr als fünf Minuten geredet haben.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Ich habe es befürchtet, Herr Präsident. Aber ich hätte
noch so viel Gutes und Wichtiges zu sagen.
Möglicherweise geben Ihnen die vielen bereits ange-
meldeten Nachfragen der Kollegen die Gelegenheit, den
einen oder anderen Sachverhalt darzustellen. – Ich
wollte Ihnen jetzt aber nicht einen letzten Satz vorenthal-
ten. Wenn es eine ganz zentrale, motivierende Botschaft
gibt, sollte die dem Protokoll natürlich nicht vorenthal-
ten werden.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Das ist aber sehr nett. – Die Bruttowertschöpfung im
Bereich der Ernährungs- und Landwirtschaft beträgt
161 Milliarden Euro; das entspricht einem Anteil an der
gesamten Wertschöpfung von 6 Prozent. Allein diese
Zahl zeigt, dass dies ein wichtiger Bereich ist. Das
durchschnittliche Einkommen hat sich in den letzten
Jahren an das außerlandwirtschaftliche Einkommen an-
genähert; laut Prognose wird das durchschnittliche Ein-
kommen im nächsten Jahr allerdings wieder sinken. Man
sieht: Es besteht struktureller Unterstützungs- und Hand-
lungsbedarf.
Vielen Dank. – Frau Kollegin Tackmann.
Vielen Dank, Herr Minister. – Wir hatten vorhin imAusschuss Gelegenheit, das eine oder andere Thema zuerörtern. Leider konnten wir den Agrarpolitischen Be-richt noch nicht lesen, weil er uns erst wenige Stundenvorliegt.Sie haben im Ausschuss sehr ausführlich darauf hin-gewiesen, dass das Thema „Boden“ eine entscheidendeRolle spielt. Wenn wir gerade regionale Landwirtschaft,also ortsansässige Betriebe stärken wollen, dann ist esbesonders wichtig, ihnen die Produktionsgrundlage Bo-
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Dr. Kirsten Tackmann
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den nicht zu entziehen bzw. finanzierbar zu machen. Siehaben dargelegt, dass es eine sehr starke Preisentwick-lung gegeben hat und dass viele Pacht- und Bodenpreisedurch landwirtschaftliche Arbeit allein nicht mehr be-zahlbar sind. Es wird über verschiedene Vorschläge, wieman das ändern kann, diskutiert. Aber weder im Leitbildnoch in den politischen Zielen äußern Sie sich dazu.Deshalb möchte ich Ihnen jetzt die Gelegenheit geben,auszuführen, was die Bundesregierung gedenkt zu tun,damit sich diese Situation ändert.Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Vielen Dank, Frau Kollegin Tackmann. – Die Be-schreibung des Problems finden Sie in den Anlagen desAgrarberichts. Ich will Ihnen die wichtigsten Punktekurz nennen. Die Bodenpreise sowohl für Erwerb alsauch für Pacht sind dramatisch gestiegen, und zwar inden neuen Bundesländern und in den alten Bundeslän-dern. Wir werden die Vergabestruktur in Bezug auf diein Bundeseigentum befindlichen Flächen, die landwirt-schaftlich genutzt werden – das sind im Wesentlichendie BVVG-Flächen – anpassen müssen, um gerade jenezu unterstützen, die neu investieren wollen bzw. die ih-ren Bereich nach dem Kriterium Regionalität selbst be-wirtschaften wollen. Wir werden das im Rahmen dessen,was das Verfassungsrecht uns erlaubt, auch tun. DieBund-Länder-Kommission hat dazu einen entsprechen-den Bericht vorgelegt, der eine Reihe von Ansätzen be-inhaltet, die ich jetzt im Einzelnen nicht aufzählen kann.
Das geht tatsächlich nicht? – Gut. Dann stellt die
nächste Frage der Kollege Brase.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, wir ha-
ben im Bericht gelesen, dass es bei der Abstimmung
zwischen den Ressorts bezüglich der Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-
schutzes“ und der Reform gewisse Verzögerungen gibt.
Rechnen Sie damit, dass wir noch in dieser Amtsperiode
eine Grundgesetzänderung beschließen werden? Wir ha-
ben schon ein bisschen Zeit verloren, und es dauert eine
Zeit, wenn man hier im Bundestag eine Grundgesetz-
änderung beschließen will. Außerdem muss auch der
Bundesrat zustimmen.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Lieber Kollege Brase, wir haben eine nicht ganz or-
thodoxe Herangehensweise. Ich kann mich glücklich
schätzen – ich vermute, dass wird gegenwärtig in der
Sitzung des Haushaltsausschusses beschlossen –, dass
dieses Hohe Haus den Vorschlag der Bundesregierung in
Bezug auf einen Nachtragshaushalt mitträgt. Damit kann
mehr Geld für diese Gemeinschaftsaufgabe zur Verfü-
gung gestellt werden, ohne formal den Aufgabenbereich
zu erweitern.
Wir prüfen derzeit, welche Schritte notwendig sind,
um diese Aufgabenerweiterung, die konzertiert ist, um-
zusetzen. Dies geht bis hin zu der Frage, ob das im Rah-
men des bestehenden Rechts der Gemeinschaftsaufga-
ben möglich ist oder ob man dafür die Rechtsgrundlage
– das hieße in diesem Fall: das Grundgesetz – ändern
muss. Einen Punkt haben wir in Zusammenhang mit Ar-
tikel 91 a Grundgesetz in dieser Legislaturperiode be-
reits relativ schnell erledigt. Wir prüfen also, und ich bin
optimistisch, dass wir das noch in dieser Legislaturpe-
riode schaffen.
Kollege Ostendorff.
Herr Minister, der Agrarpolitische Bericht beginntdieses Mal mit einem achtzeiligen Leitbild. Das ist neu.Dieses Leitbild gibt aber keine Antwort auf die Fragender Betriebe, für die in diesem Jahr eine sehr schwierigeLage vorausgeschätzt wird.Die sehr positive Entwicklung der letzten beidenJahre wird dieses Jahr jäh beendet, und es geht in einenstrammen Sinkflug. Was sind denn nun außer dem, waswir seit 2011 immer hören, dass nämlich der Export esrichten muss, die konkreten Antworten darauf? Die Ex-portdaten geben das ja nicht her. Diese Fragen werdenvon Ihnen zu beantworten sein: Was kann man heute denBetrieben sagen, die mit ständig sinkenden Einkommenzu kämpfen haben? Wo ist die Hoffnung in diesemAgrarbericht? Worin drückt sie sich aus?Sie sagen, der Dialog mit der Gesellschaft müsse ge-führt werden. Hier bleibt natürlich die Frage: Wie denn?Was sind die Angebote? Sie schreiben, wir brauchen ver-lässliche Rahmenbedingungen. Was sind denn die ver-lässlichen Rahmenbedingungen für diejenigen, derenEinkommen jetzt sinken? Was wollen Sie der Gesell-schaft anbieten? Wie will man miteinander ins Gesprächkommen?Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Hier ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess notwen-dig. Es muss Diskussionen geben, nicht nur seitens derBundesregierung, sondern auch solche, die durch dieBundesregierung angestoßen und gefördert werden – so-wohl innerhalb unserer politischen Strukturen, auch desParlaments, als auch gerade in der Zivilgesellschaft. Hiersetze ich auch durch eine entsprechende Förderung desDialogs darauf, mit verschiedenen Gruppen ins Ge-spräch zu kommen und Themen konkret zu erörtern.Dazu wird auch die Dialogreihe „Gut leben in Deutsch-land“ einen wichtigen Beitrag leisten, mit der die Bun-desregierung in diesem Jahr beginnt.Zu den Preisen. Es bleibt in der Tat bei der mittelfris-tigen Erwartung, dass die Preise durch die Nachfrage– auch im Exportbereich – wieder steigen. Wir sind ge-genwärtig in einer volatilen Phase und werden nicht mitMitteln der Marktregulierung, die bisher leider versagthaben, tätig werden, sondern mit Vorschlägen zur struk-turellen Unterstützung und Entlastung der Landwirt-schaft für die Bereiche aufwarten, in denen sie bürokra-tisch und sonst wie besonders stark belastet ist.
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Frau Möhring.
Herr Bundesminister, meine Frage schließt an die
vorhergehende vom Kollegen Ostendorff an. – Sie haben
ja auch selber angedeutet, dass damit zu rechnen ist, dass
es beim Milchpreis deutliche Schwankungen nach unten
geben wird. Meine Frage ist, wie Sie als Bundesregie-
rung die zukünftige Entwicklung und die Auswirkungen
auf die Milcherzeugerinnen und Milcherzeuger konkret
bewerten.
Wenn man sich die bisherigen Schwankungen in den
letzten Jahren anschaut, dann sieht man, dass der Milch-
preis zur Zeit der Milchkrise bei 22 Cent lag und sich
nach einer Erholung auf 42 Cent erhöhte. Mit einem sin-
kenden Milchpreis wird der Druck auf die Erzeugerin-
nen und Erzeuger extrem steigen. Die Frage, die sich da-
ran anschließt, lautet: Was beabsichtigen Sie, wirklich
konkret zu tun, damit es auch weiterhin eine regionale
Milchproduktion geben kann?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Vielen Dank. – Die Struktur des Milchmarktes in un-
serem Lande – von der Produktion über die Molkereien
bis zur abnehmenden Hand – ist weitaus besser als vor
30 Jahren. Wir werden nicht zu einer Milchquotenrege-
lung zurückgehen, die gerade das, was Sie beschrieben
haben, nämlich den Einbruch des Milchpreises auf
22 Cent, nicht verhindern konnte.
Krisenreaktion und Sicherheitsnetz sind hier wichtige
Stichworte. In diesem Jahr werden viele Betriebe wirt-
schaftlich darunter leiden, dass sie die Superabgabe zur
Vermeidung einer Überproduktion im letzten Quotenjahr
bezahlen müssen. Für diejenigen, die investiert haben
und damit vielleicht auch hohe Erwartungen verbunden
haben, bieten wir mit einem Programm der Landwirt-
schaftlichen Rentenbank eine Überbrückung an. Mittel-
fristig gehen wir mit der EU-Kommission davon aus,
dass der Milchpreis nach oben geht. Eine Zielmarge von
35 Cent in den nächsten Jahren ist angesetzt.
Kollege Westermayer.
Herr Bundesminister, ich habe zwei Fragen zum Min-
destlohn, der seit Anfang des Jahres gilt. Hat er sich be-
währt, und wo genau sehen Sie Änderungsbedarf?
Eine weitere Frage betrifft den Russlandexportboy-
kott für Agrarprodukte. Wie groß ist der Schaden für
deutsche Bauern?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Zur ersten Frage: Nachdem der Deutsche Bundestag
das Mindestlohngesetz beschlossen hat, sind wir gegen-
wärtig in der Phase der Sammlung von Erfahrungen und
Informationen über die Auswirkungen des Gesetzes. Sie
haben sicherlich registriert, dass die Europäische Kom-
mission in einigen Bereichen Gesprächsbedarf mit der
Bundesregierung sieht. Dem wird selbstverständlich
nachgekommen.
Wir sehen, dass es im Bereich der geringfügig Be-
schäftigten und Saisonarbeitskräfte durchaus Verände-
rungen gibt. Die Minijob-Zentrale berichtet von dem
Verlust von circa 250 000 Minijobs. Ob und wie sich das
weiterentwickelt, wird sich zeigen. Die Bundesregierung
ist im Gespräch und im Dialog und wird ausgehend von
der Mindestlohnregelung, die gesetzlich beschlossen ist
und bei der es auch bleibt, mögliche Fragen in diese
Richtung besprechen und klären.
Nicole Maisch.
Herr Minister, wir haben den Bericht zwar sehr kurz-
fristig bekommen, aber das Kapitel zu den Nutztieren ist
recht kurz, sodass man es noch lesen konnte. Deshalb
frage ich Sie, warum das Gutachten Ihres Wissenschaft-
lichen Beirates für Agrarpolitik zum Thema „Wege einer
gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ keinen
Eingang in Ihren Bericht gefunden hat. In diesem Gut-
achten werden erhebliche Defizite vor allem im Bereich
Tierschutz konstatiert. Es wird gesagt, dass ein Großteil
der Nutztiere in diesem Land unter nicht zukunftsfähi-
gen Haltungsbedingungen leben muss. Welche Schlüsse
ziehen Sie aus diesem vernichtenden Urteil Ihres eige-
nen Sachverständigenrates zum Thema Tierhaltung?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Gestatten Sie mir noch
einen Satz zu der vorherigen Frage: Das russische Em-
bargo hat zu einem Verlust von 600 Millionen Euro für
die deutsche Landwirtschaft und Nahrungsmittelindus-
trie geführt.
Zu Ihrer Frage: Es ist kein vernichtendes Urteil, son-
dern ein wissenschaftlicher Text, der sehr viele Aspekte
beinhaltet, und ich empfehle, ihn nicht nur in der kom-
primierten Kurzfassung, sondern als Gesamtlektüre zu
lesen. Es ist das zweite wissenschaftliche Gutachten die-
ses Beirats im Berichtszeitraum. Wir haben beide nicht
aufgenommen, weil ich keine ohnehin publizierten Be-
richte wiedergeben möchte.
Sie erwarten zu Recht, dass ich politische Schlussfol-
gerungen ziehe, was ich im Rahmen des Tierschutzbe-
richtes auch tun werde. Ich bin durchaus der Ansicht,
dass Wissenschaft gut und interessant ist, aber nicht im-
mer zielstrebig eins zu eins in politische Maßnahmen
umgesetzt werden muss.
Dieter Stier.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, unsere
landwirtschaftlichen Betriebe produzieren zweifelsohne
Nahrungsmittel und landwirtschaftliche Erzeugnisse auf
einem hohen Niveau. Allerdings erzählen mir auch die
Landwirte in meinem Heimatbundesland, dass sie nach
der GAP-Reform mehr am Schreibtisch sitzen als Zeit
für ihre Tiere und Felder zu haben. Was tut die Bundes-
regierung, um die bürokratischen Belastungen unserer
Betriebe entsprechend zu vermindern oder weiter abzu-
bauen?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Die Bundesregierung sieht und erkennt, dass das Vo-
lumen der dem Minister vorgelegten Mappe auch einen
Mehrfachantrag beinhalten könnte, und hat deswegen
Verständnis für die Klagen der Landwirte über den zu-
nehmenden bürokratischen Aufwand.
Sie versucht, diesen bürokratischen Aufwand auf ein
vernünftiges Maß zu reduzieren. Das wird nur gelingen,
wenn die Europäische Kommission bereit ist, entspre-
chende Schritte mitzugehen. Erfreulicherweise hat die
Kommission unter Präsident Juncker entsprechende
Schritte eingeleitet. Ich bin mit dem zuständigen Kom-
missar Hogan bereits in intensiven Gesprächen darüber.
Bei den Ratssitzungen in der nächsten Zeit werden wir
diese Schritte konkretisieren – mit dem Ziel, die Land-
wirte in bürokratischer Hinsicht zu entlasten.
Kollege Ebner.
Herr Minister, Ihr Bericht enthält ein sehr kurzes Ka-
pitel zur Agrogentechnik, in dem es unter anderem um
Opt-outs geht. Ich möchte Sie bitten, da Sie dazu nichts
geschrieben haben, hier Ihre Beweggründe zu erklären.
Wie begründen Sie Ihre Haltung zu dem Vorschlag von
Kommissionspräsident Juncker zu den Opt-outs bei Im-
portzulassungen für gentechnisch veränderte Pflanzen?
Ein zweiter Punkt: Sie haben gesagt, dass es in der
EU auf absehbare Zeit keine Möglichkeit gebe, die
Kennzeichnungslücke hinsichtlich tierischer Produkte
– Milch, Fleisch, Eier – von Tieren, die mit gentechnisch
veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, zu schließen.
Meine Frage dazu lautet: Haben Sie sich damit vom In-
halt des Koalitionsvertrages verabschiedet?
Das kann sich kein Mensch vorstellen.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herr Präsident, kann ich außerhalb der Zeitberech-
nung eine Verständnisfrage an den Kollegen stellen?
Ja, das ist ja auch ein ungeheuerlicher Verdacht.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Ich möchte ihn bitten, zu bestätigen, ob meine Vermu-
tung richtig ist: Meinen Sie, lieber Herr Kollege, den
Opt-out-Vorschlag für Importprodukte – so sagten Sie
das –, also nicht für Anbau? Ich frage, um richtig ant-
worten zu können.
Genau. Den meinte ich jetzt.
Jetzt läuft die Zeit.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herzlichen Dank. – Zur ersten Frage: Ich sehe diesen
leicht überraschenden Vorschlag der Kommission, gen-
technisch veränderte Organismen auch im Nutzungsbe-
reich nicht einzusetzen, sehr skeptisch. Ich muss das mit
Blick auf die Veredelungswirtschaft auch sein. Das
würde die Hälfte der Veredelungswirtschaft – ich sage es
einmal mit einem politischen Fachbegriff – außer Funk-
tion setzen; denn mit importierten Futtermitteln, die gen-
technisch verändert sind, wird die Ernährung der Tiere
insbesondere hinsichtlich der Versorgung mit Eiweiß zu
einem Großteil bestritten.
Zur zweiten Frage: Ich bin durchaus der Meinung,
dass wir mit einer praktikablen Kennzeichnung im Gen-
technikbereich dem Auftrag des Koalitionsvertrages und
einem Beschluss des Deutschen Bundestages nachkom-
men. Wir müssen in Deutschland und in Europa auf die-
sem Gebiet weiter kämpfen und arbeiten, und das tue
ich.
– Für mich sind die Beschlüsse des Deutschen Bundesta-
ges sogar noch wichtiger, und darin steht: eine praktika-
ble Kennzeichnung.
Ich habe jetzt noch neun weitere Nachfragen zu dem
vorgetragenen Bericht. Damit würde ich es gerne bewen-
den lassen, weil ich sonst keine Möglichkeit sehe, dass
weitere Fragen, die angemeldet sind, im Rahmen der Re-
gierungsbefragung gestellt werden können. Darf ich
dazu Einvernehmen feststellen? – Das ist der Fall.
Als Nächste fragt die Kollegin Binder. Weiter habe
ich notiert die Kollegen Priesmeier, Ostendorff, Maisch,
Kekeritz, Connemann, Beermann, Stauche – wenn auch
in gemischter Reihenfolge. Ich glaube, das bekommen
wir hin. – Bitte schön, Frau Binder.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Da es sich bei demvorliegenden Bericht nicht nur um einen agrarpoliti-
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Karin Binder
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schen Bericht, sondern auch um einen ernährungspoliti-schen Bericht handeln sollte, möchte ich gerne eineFrage zum Schulobstprogramm stellen, das insbesondereim letzten Jahr infolge der Ukraine-Krise und des Em-bargos durch Russland einen gewissen Aufschwung er-fahren hat. Ich wüsste gerne, welche positiven Meldun-gen es diesbezüglich zu berichten gibt? Wie viel mehrSchulen, wie viel mehr Schülerinnen und Schüler habenvon diesem Zuwachs profitiert? Wäre es unter diesenUmständen nicht eine Überlegung wert, bei diesem Pro-gramm noch einmal etwas draufzulegen? Der Berichtmüsste doch eigentlich auf einen Mehrbedarf bei diesemProgramm hinweisen.Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Frau Kollegin Binder, herzlichen Dank für diese Hin-weise. Ich will vorneweg sagen: Der Agrarbericht um-fasst in der Tat ausführlich die Punkte Ernährung, Land-wirtschaft, Forsten und Gartenbau. Nun zu Ihrer Fragenach dem Schulobstprogramm. Gegenwärtig beteiligensich zehn Bundesländer an diesem Programm. Es sindunterschiedliche Formen in der Kofinanzierung gege-ben, und zwar sowohl beim Schulobstprogramm wiebeim Schulmilchprogramm, die wir zusammenführen.Ich bin fest der Ansicht, dass wir dieses Programm imSinne einer guten Schulernährung ausbauen und fördernsollten.Ich darf der Vollständigkeit halber darauf hinweisen,dass mich Geräusche aus Brüssel, aus den Gängen derKommission, etwas irritieren. Es ist zu vernehmen, dassüber die Fortsetzung des Schulobstprogramms noch dis-kutiert wird. Wir – die Bundesregierung und ich – wer-den uns für die Fortsetzung des Schulobstprogrammseinsetzen und dafür sorgen, dass es finanziell besser aus-gestattet wird.
Frau Connemann.
Herr Minister, vielen Dank. – Der agrarpolitische Be-
richt dient ja nicht nur einer Bestandsaufnahme der Si-
tuation in der Landwirtschaft, sondern behandelt auch
die Frage der Weiterentwicklung. Darüber wird hier im
Parlament wie auch in der Gesellschaft hinlänglich ge-
stritten. Es gibt durchaus die Forderungen nach einer
Agrarwende. Brauchen wir eine Agrarwende, und wie
sind an dieser Stelle die agrarstrukturpolitischen Leitli-
nien Ihres Hauses?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Frau Kollegin Connemann, wir brauchen keine
Agrarwende, vielmehr müssen wir auf der Grundlage
der Situationen, der Fragestellungen, die sich in der Ge-
sellschaft, in der Ökonomie, in der Ökologie ergeben,
aus der Mitte der Gesellschaft heraus und in die Mitte
der Gesellschaft hinein Lösungen finden. Die Kolli-
sionsbereiche sind natürlich größer geworden, wenn ich
etwa den Vergleich mit der Situation von vor etwa
50 Jahren ziehe.
Dessen ist sich die Landwirtschaft aber auch bewusst.
Wir müssen Veränderungen da, wo sie notwendig sind,
anstoßen, unterstützen und fördern. Am liebsten sind mir
die Entscheidungen und Entwicklungen, die freiwillig
kommen, weil ich nicht der Ansicht bin, dass mit einer
regulierten – ich darf Ihr Wort aufnehmen – Wende
wirklich das Ziel, nämlich eine Landwirtschaft, die die
genannten Punkte beachtet und auf dieser Basis ökono-
misch erfolgreich ist, erreicht wird. Das heißt für mich,
dass wir daran nicht nur in Deutschland, sondern auch
europäisch arbeiten müssen. Ich bin bereit, wenn ich es
in die Antwort auf die nächste Frage einbringen darf,
Herr Präsident, noch einen Satz dazu zu sagen, wie ich
mir das vorstelle.
Wobei Sie für die nächste Antwort natürlich keine
Zeitgutschrift haben, nicht wahr? – Herr Kollege
Priesmeier.
Herr Minister, wir haben seit 2011 eine hervorragendeEntwicklung des gesamten Sektors gesehen, mit steigen-den Einkommen und einer relativ großen Zunahme derWettbewerbsfähigkeit. Das sieht man an den Exporten.Wir sind auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig. Wir ha-ben natürlich immer die großen Agrarreformen auf dereuropäischen Ebene vor Augen. Nach der Reform ist im-mer vor der Reform.Wir haben jetzt ein Zwei-Säulen-System, das sich inden Grundlagen auf 1992 bezieht und auf dieser Grund-lage Prämien zahlt. Wir nehmen jetzt aus der erstenSäule – sie umfasst 5 Milliarden Euro – etwa 225 Millio-nen Euro und geben sie zusätzlich in die zweite Säule.Können Sie sich vorstellen, dass wir dort im Hinblickauf 2017 und die erforderliche weitere Entwicklung dereuropäischen Agrarpolitik diesen Anteil erheblich erhö-hen und das ausschöpfen, was national möglich ist, näm-lich 15 Prozent?Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Lieber Kollege Priesmeier, wir haben in der Tat sehrviele Veränderungen auf europäischer Ebene erlebt. Ichdarf darauf hinweisen, dass die Entkopplung der Zahlun-gen an die Landwirtschaft – öffentliches Geld für öffent-liche Leistungen – von der Produktion ein ganz wesentli-cher Einschnitt war, zu dem ich stehe und den ich fürrichtig halte, ja, von dem ich ganz im Gegenteil sogarglaube, dass wir ihn noch zu 100 Prozent durchführenmüssen.Das Zweite ist, dass wir in der gegenwärtigen Förder-periode von 2014 bis 2020 rechtzeitig – das heißt fürmich: schon in diesem Augenblick – überlegen, welcheweiteren Herausforderungen es gibt. Sie haben die
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Bundesminister Christian Schmidt
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zweite Säule angesprochen. Es gibt gegenwärtig Diskus-sionen, ob es im Bereich der Veredelung Förderungenfür neue Maßnahmen geben sollte. Es gibt Fragen zumThema der Düngewirtschaft und des Düngemittelma-nagements und zu benachteiligten Gebieten. Wichtig ist:Es muss nach 2020 weiterhin dieses Programm, diesegemeinsame Politik geben. Aber sie wird sicherlich daund dort angepasst werden müssen. Ich lade schon jetztzur Diskussion ein.
Frau Maisch.
Herr Minister, wir hatten ja heute Morgen im Aus-
schuss schon die Gelegenheit, über den Bericht zu disku-
tieren. Da haben Sie – ich darf Sie zitieren – über mess-
bare Erfolge der Initiative Tierwohl gesprochen. Deshalb
möchte ich Sie gerne fragen: Was sind diese Erfolge,
und wie wurden sie gemessen?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Vielen Dank. – Die Erfolge wurden beispielsweise bei
den Rahmenbedingungen für Stallhaltungssysteme ge-
messen, die wir sowohl regulativ als auch im Bereich
von besten Beispielen fördern und unterstützen. Sie wur-
den auch bei der Reduzierung von nichtkurativen Ein-
griffen gemessen. Hier gibt es eine gesetzliche Maßgabe,
nämlich das Verbot der Kastration von Ferkeln ohne Be-
täubung. Ich sehe weitere Entwicklungen sowohl in der
Geflügelhaltung als auch im Bereich der Schweine- und
der Rinderhaltung. Wir sind in dem Kompetenzkreis,
den ich eingerichtet habe, bisher zu sehr guten Ergebnis-
sen gekommen. Ich will auch auf die Brancheninitiative
des Verbandes hinweisen. Was die Eier betrifft, haben
auch Sie sicherlich die Information erhalten, dass wir
technologisch sehr weit sind, sodass wir bald auf das Tö-
ten von Ersttagsküken verzichten können.
Maik Beermann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich bin
ein Kind des ländlichen Raumes und fühle mich da auch
sehr wohl. Ich möchte dies auch in Zukunft tun. Daher
würde mich, weil für mich die Landwirtschaft und die
Agrarwirtschaft zum ländlichen Raum gehören, interes-
sieren: Wie sehen Sie persönlich die Rolle der Landwirt-
schaft zukünftig bei uns in den ländlichen Räumen? Und
in Anlehnung daran: In welcher Rolle sehen Sie Ihr
Ministerium für die Weiterentwicklung der ländlichen
Räume?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Ich denke, ländliche Entwicklung ist eine über die
Landwirtschaft hinausgehende Querschnittsaufgabe,
aber ländliche Entwicklung ohne Landwirtschaft und Er-
nährungswirtschaft kann ich mir nicht vorstellen; sonst
müssten wir das Land in die Stadt bringen. Wir hatten
vor einiger Zeit versucht, ein Getreidefeld am Pariser
Platz genehmigt zu bekommen. Darüber war die Be-
zirksverwaltung von Berlin-Mitte nicht erfreut. Ich will
damit zeigen, dass die städtischen Bereiche nicht ohne
die ländlichen Strukturen leben können; diese muss es
für Produktionen und Lebensweisen geben, die in der
Stadt nicht präsentierbar sind. Deswegen: Kernaufgabe.
Kollege Kekeritz.
Herr Minister, als Entwicklungspolitiker müsste ichSie jetzt eigentlich zur Exportorientierung fragen, aberich habe vom Kreisrat Ihres Wahlkreises die Aufgabebekommen, Sie nach dem EU-Vertragsverletzungsver-fahren bezüglich der Trinkwasserversorgung zu fragen.Sie wissen, dass die Berechnungen besagen, dass, wennes so weitergeht, bis zum Jahr 2020 circa 40 Prozent un-seres gesamten Trinkwassers mit zu hohen Nitratwertenbelastet sein werden. Wir wissen auch, dass das Nitratvon der Oberfläche bis zum Trinkwasser im Schnitt40 Jahre braucht. Das heißt, wenn wir heute jeglichenEintrag von Nitrat verhindern würden, würde es noch40 Jahre lang immer schlechter werden. Wie ist IhrePosition dazu? Was gedenkt die Bundesregierung, wasgedenken Sie, a) in Bezug auf das Vertragsverletzungs-verfahren zu unternehmen und b) tatsächlich auf demLand zu tun?Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Vielen Dank. – Herr Präsident, ich werte diese Frageals eigenständige Frage des Kollegen; denn Auftragsfra-gen werden, glaube ich, im Deutschen Bundestag nichtbesprochen und beantwortet. Ich antworte daher in eige-ner Kompetenz:
In der Tat ist die Umsetzung der Anforderungen der Eu-ropäischen Kommission im Hinblick auf die Nitratricht-linie ein Thema, das uns allen am Herzen liegt. Das Was-ser muss sauber und trinkbar bleiben. Der Grenzwertvon höchstens 50 Milligramm Nitrat pro Liter muss be-achtet werden. Es gibt Bereiche in unserem Land, wodieser Wert überschritten wird. Deswegen steht die Bun-desregierung in sehr intensiven Gesprächen mit denBundesländern, die über den Bundesrat in dieser Ange-legenheit ganz wesentlich mitentscheiden und daran mit-wirken, eine ökonomisch tragbare und ökologisch sinn-volle Lösung für die Düngeausbringung zu finden. Wirsind unter der Drohung eines Vertragsverletzungsverfah-rens gehalten, dies zügig zu tun. Wir werden zeitnah eineÄnderung des Düngegesetzes zur Beratung in den Deut-schen Bundestag einbringen. Dann können wir über die-ses Thema noch einmal reden.
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9982 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
(C)
Frau Stauche, eine letzte Frage zu diesem Bericht.
Eigentlich schließt meine Frage an die von Frau
Maisch an. Wir wissen ja, wie sehr sich die Nutztierhal-
tung in den letzten Jahren geändert hat. Wir wissen aber
auch, dass wir trotz vieler Veränderungen immer noch
große Probleme haben, für die es keine praxistauglichen
Lösungen gibt. Ich möchte die Bundesregierung daher
fragen, was sie in den nächsten Jahren im Bereich der
Agrarforschung tut, um der Landwirtschaft weiterzuhel-
fen.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Vielen Dank, Frau Kollegin Stauche. – Wenn es mein
politischer Ansatz wäre – was es nicht ist –, durch den
Hinweis auf nicht funktionierende Forschung die Lö-
sung der Probleme nur zu verschieben, dann hätten wir,
glaube ich, weder für die landwirtschaftliche Produktion
noch für das Verbrauchervertrauen, noch für unsere poli-
tische und gesellschaftliche Diskussion wirklich etwas
gewonnen. Deswegen muss gelten: Es geht nicht, dass
wir alles auf die Erzeuger abwälzen. Wir müssen auch an
die Wertschöpfungskette denken. Das kostet Geld.
Zur Frage vom Kollegen Stier: Ich möchte auch, dass
wir auf europäischer Ebene einheitliche Regelungen
schaffen. Es ist dem Tier nicht geholfen, wenn es in ein
anderes europäisches Land übersiedelt und in diesem
Land die Tierschutzregeln nicht so streng sind wie bei
uns.
Deswegen habe ich mit den Niederlanden und Dänemark
eine gemeinsame Initiative gegründet. Wir haben uns be-
reits in den Niederlanden und in Kopenhagen in Däne-
mark getroffen und werden uns jetzt in Deutschland tref-
fen. Wir wollen die Kommission ganz gezielt auf die
Interessenlage aufmerksam machen und eine gemein-
same Ebene bzw. gemeinsame Standards schaffen.
Den Namen des Kollegen Krischer habe ich vorhin
notiert, ihn aber nicht verlesen. Muss das noch unbedingt
sein? Nein, oder?
– Gut. Ich bedanke mich für das Entgegenkommen.
Dann können wir, wie vereinbart, diesen Bereich ab-
schließen. Der Minister ist auch ganz erleichtert. Es
herrscht allgemeine Begeisterung.
Ich darf dann mögliche andere Fragen zu Themen der
heutigen Kabinettssitzung aufrufen. Die Kollegin
Haßelmann hat um das Wort gebeten.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Krischer konnte
jetzt, glaube ich, nicht anders antworten. Da hat er jetzt
bestimmt einen gut.
Meine Frage betrifft einen ganz anderen Themenkom-
plex, nämlich den der BND-Affäre und des No-Spy-Ab-
kommens. Herr Minister, mich würde interessieren, ob
dieses Thema heute im Kabinett erörtert worden ist.
Falls das nicht der Fall ist, bitte ich Sie, mir einmal zu
erklären, warum sich das Kabinett in der zweiten Sit-
zungswoche hintereinander nicht mit einem innen- und
außenpolitisch so relevanten Thema befasst.
Ich habe mir die Geschäftsordnung des Kabinetts und
der Bundesregierung angesehen. Darin steht explizit ge-
schrieben – das ist § 15 Absatz 1 –:
Der Bundesregierung sind … zu unterbreiten alle
Angelegenheiten von allgemeiner innen- und au-
ßenpolitischer … Bedeutung …
Da die BND-Affäre und das No-Spy-Abkommen in-
nen- und außenpolitisch unglaublich bedeutsame The-
men sind, haben weder ich als Parlamentarierin noch,
glaube ich, viele Menschen draußen Verständnis dafür,
dass sich das Kabinett nicht mit dieser Frage befasst.
Herr Minister.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Liebe Kollegin Haßelmann, in der Tat entspricht es
der Geschäftsordnung, dass sich das Kabinett grundsätz-
lich mit allen Fragen, die es an sich zieht und die von
Relevanz sind, befassen kann. Das kann nicht in jeder
Sitzung und in jeder Stunde der Fall sein.
Um auf Ihre Frage zu antworten: Wir haben uns heute
nicht mit diesem Thema beschäftigt. Ich erlaube mir al-
lerdings, darauf hinzuweisen, dass in diesem Haus ein
Untersuchungsausschuss zu dem Thema NSA besteht –
– ja –, der auch von der Bundesregierung informiert wird
bzw. mit dem die Bundesregierung im Gespräch ist. Die
Gespräche innerhalb des Kabinetts sind das eine. Sie
wissen und können davon ausgehen, dass das Kabinett
eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit allen Persön-
lichkeiten, die dem Kabinett angehören, innerhalb und
außerhalb des Kabinetts hat.
Herr Petzold.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 9983
(C)
(B)
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte gerne
nachfragen, ob sich das Kabinett mit der Praxis der Be-
antwortung Kleiner Anfragen bzw. der Darstellung der
Rechtsposition der Bundesregierung und einzelner Fach-
minister befasst hat, da es am Wochenende eine Aufre-
gung wegen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage
zum Thema „Notwendigkeit der Änderung des Grundge-
setzes für die Öffnung der Ehe“ gegeben hat. Kurz nach
der Beantwortung einer Kleinen Anfrage ist de facto die
Antwort durch den zuständigen Fachminister, den Bun-
desminister der Justiz und für Verbraucherschutz, wider-
rufen worden.
Ich möchte gerne wissen, ob diese Beantwortung
heute Thema im Kabinett war und welchen Standpunkt
die Bundesregierung denn nun tatsächlich vertritt.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Das Kabinett hat keine Veranlassung gesehen, sich zu
diesem Thema auszutauschen. Sowohl die Bundesregie-
rung in der Beantwortung der Kleinen Anfrage als auch
Kollege Maas mit seiner Äußerung haben dazu das Rich-
tige gesagt.
Volker Beck.
Darauf bezieht sich auch meine Frage. Sie richtet sich
natürlich auch an den Geschäftsbereich des Bundes-
ministers der Justiz und für Verbraucherschutz. Die
Süddeutsche Zeitung fasst den Vorgang mit folgenden
Worten treffend zusammen:
Einen derartigen Vorgang hat es im politischen Ber-
lin schon länger nicht mehr gegeben. Bundesjustiz-
minister Heiko Maas sah sich am Wochen-
ende genötigt, eine Antwort seines eigenen
Ministeriums zu einer wichtigen Frage öffentlich zu
korrigieren.
Wir hatten danach gefragt, warum im Referentenent-
wurf zum Lebenspartnerschaftsgesetz unter „Alterna-
tive“ „keine“ steht, obwohl der Bundesrat alternativ
dazu vorgeschlagen hat, die Ehe für gleichgeschlechtli-
che Paare zu öffnen.
Darauf antwortet das Bundesjustizministerium in der
mir vorliegenden Drucksache, über deren Gültigkeit ich
zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts weiß, das sei keine
Alternative:
Mit Blick auf die einschlägige ständige Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts … würde
eine Öffnung der Ehe für Paare gleichen Ge-
schlechts eine Änderung des Grundgesetzes … vo-
raussetzen.
Der Bundesjustizminister hat auf Facebook – das ist
gewöhnlich im parlamentarischen Bereich nicht die offi-
zielle Methode, zu antworten – gesagt, eine Grundge-
setzänderung sei dafür nicht zwingend.
Schauen Sie gelegentlich auf die Zeit.
Ich frage die Bundesregierung: Gilt die schriftlich ge-
gebene Antwort in der Drucksache, oder ist das nicht die
aktuelle Rechtsauffassung? Wenn Letzteres der Fall ist:
Welche aktuelle Rechtsauffassung zu dieser Frage ver-
tritt die Bundesregierung?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Da sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht ver-
bindlich auf Facebook äußert, sondern in Drucksachen,
die Thematik aber eine weiter gehende ist, würde ich
gerne den Vertreter des zuständigen Bundesministeriums
der Justiz und für Verbraucherschutz um Übernahme und
Stellungnahme zu der Frage bitten.
Es scheint mir jetzt schon vernünftig, wenn überhaupt
eine Antwort zu der Frage erwartet wird, dass der anwe-
sende Staatssekretär den Versuch einer solchen unter-
nimmt. – Bitte schön.
C
Herr Präsident, das mache ich gerne.
Bundesminister Heiko Maas hat in seiner in der Frage
zitierten Nachricht auf Facebook, die Sie gerade erwähnt
haben, gesagt, dass er der Auffassung ist, für eine ein-
fachrechtliche Öffnung der Ehe für Partner desselben
Geschlechts sei nicht zwingend eine Grundgesetzände-
rung erforderlich. Dies entspricht einer in der Literatur
vertretenen Einschätzung, etwa von Professor Dr. Frauke
Brosius-Gersdorf im Dreier-Kommentar zum Grundge-
setz; gemeint ist ihr Kommentar zu Artikel 6 des Grund-
gesetzes, Randnummer 81. Danach liegt eine Öffnung
der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in der Gestal-
tungsfreiheit des Gesetzgebers. Die Haltung der Bundes-
regierung hat zuletzt der Regierungssprecher in der Re-
gierungspressekonferenz am Montag, 18. Mai 2015,
wiedergegeben. Herr Kollege Seibert sagte: Es ist darauf
hingewiesen worden, „dass der Koalitionsvertrag die
vollständige Gleichstellung von Ehe und Lebenspartner-
schaft nicht vorsieht; deshalb wird das in dieser Legisla-
turperiode auch kein Projekt dieser Bundesregierung
werden“.
Matthias Gastel, bitte.
Vielen Dank. – Meine Frage bezieht sich darauf, dassbei der Bahn inzwischen zum neunten Mal gestreikt wirdund die Fahrgäste immer stärker unter diesen Streiks lei-den. Ich möchte von Ihnen, der Bundesregierung, gerne
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9984 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
Matthias Gastel
(C)
(B)
wissen, was Sie ganz konkret unternehmen, um diese Si-tuation zu entschärfen. Ich beziehe mich auf Ihre Rolleals Gesetzgeber: Sie können Gesetze erlassen oder esausdrücklich und bewusst auch bleiben lassen.
Da muss ich doch darauf hinweisen, dass für die Ge-
setzgebung der Bundestag zuständig ist und nicht die
Bundesregierung.
Die Bundesregierung kann Gesetzentwürfe einbrin-
gen oder auch zurückziehen, wie auch immer.
Ich spreche den Bund auch in seiner Rolle als Eigen-
tümer der DB AG an. Was tun Sie, die Bundesregierung,
konkret, um die Situation zu entschärfen?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Zu Ihrer ersten Frage darf ich Folgendes sagen: Wir
sind dieser Aufforderung sogar nachgekommen und ha-
ben einen Gesetzentwurf eingebracht, der, wenn ich es
richtig sehe, am Freitag dieser Woche in zweiter und
dritter Beratung behandelt wird.
Dieser Gesetzentwurf könnte mit diesem Streik, jeden-
falls was das Ergebnis angeht, in Verbindung gebracht
werden.
Herr Präsident, muss ich den Abgeordneten um Er-
laubnis fragen, oder kann ich selber das Wort an einen
anderen Regierungsvertreter weitergeben?
Sie müssen den Fragesteller fragen, ob er damit ein-
verstanden ist.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herr Gastel, sind Sie damit einverstanden, dass ich
die weitere Beantwortung an den Kollegen Parlamentari-
schen Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur weitergebe?
Wenn es der Qualität der Antwort dienlich ist, ja.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Also, ja.
Herr Staatssekretär Ferlemann, bitte schön.
E
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister,
auch Ihnen vielen Dank für das Lob, das mit Ihrer Ein-
schätzung einhergeht, dass wir kompetent antworten
können. – Sicherlich ist es so, dass dieser Streik die deut-
sche Wirtschaft und den Personenverkehr auf der
Schiene in Deutschland extrem belastet. Es ist nicht Auf-
gabe des Bundesverkehrsministers, in einen Tarifkon-
flikt einzugreifen.
Gleichwohl ist es so, dass wir in öffentlichen Äuße-
rungen natürlich deutlich machen, dass ein Streik ver-
hältnismäßig sein muss, unabhängig davon, dass eine
Gewerkschaft das Recht hat, einen Streik auszurufen.
Wir sind der Auffassung, dass die Verhältnismäßigkeit
dieser Maßnahme angesichts der Länge dieses Streiks
bei weitem nicht mehr gerechtfertigt ist. Deswegen ver-
handelt die Gewerkschaft auch mit der Deutschen Bahn
AG darüber, einen Schlichtungsprozess in Gang zu set-
zen, und wir haben die Hoffnung, dass es zu dieser
Schlichtung kommen wird.
Kollege Krischer.
Herr Minister Schmidt, seit mehreren Wochen wird
öffentlich ein Vorschlag des Bundeswirtschaftsministe-
riums zum Thema Klimaschutzabgabe diskutiert. Die
Position des Bundeswirtschaftsministers ist bekannt.
Mich würde interessieren: War dieses Thema Gegen-
stand einer Kabinettssitzung? Hat die Bundesregierung
eine Auffassung darüber, wie mit dem Thema Klima-
schutzabgabe weiter verfahren werden soll? Ich frage
dies vor dem Hintergrund von Presseberichterstattungen
insbesondere in den letzten Tagen, dass der Vorschlag
quasi aufgeweicht und wirkungslos gemacht werden
soll.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Vielen Dank, für diese Beschreibung und den Hin-
weis auf die Diskussionen der letzten Wochen. – Der
Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Zuständigkeit
einen Vorschlag zu einer Frage vorgelegt, die ihm und
uns als eine wichtige erscheint. Die Bundesregierung ist
über diese Frage noch im weiteren Gespräch und wird
sich zu gegebener Zeit dazu positionieren.
Frau Haßelmann.
Vielen Dank. – Herr Schmidt, ich will noch einmalkurz auf meine Eingangsfrage zum BND und zum No-Spy-Abkommen zurückkommen. Sie müssen mir dasnoch einmal erklären.Wie muss ich mir das vorstellen? Wie entscheidet einKabinett überhaupt darüber, was es für wichtig oder un-wichtig hält? Allein in der letzten Woche haben Ministerde Maizière, wichtiger Minister, Minister des Innern, dasKanzleramt, Vizekanzler Gabriel und der Justizminister
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 9985
Britta Haßelmann
(C)
über die Presse Vorschläge gemacht, Anforderungen for-muliert oder sogar Forderungen aufgestellt, was im Hin-blick auf die BND-Affäre und das No-Spy-Abkommenvon der Bundesregierung jetzt zu erwarten ist. Sie sindTeil der Bundesregierung – die vier Genannten sind auchTeil der Bundesregierung –, und Sie erklären mir jetzt,dass Sie sich entgegen Ihrer Geschäftsordnung – es gehtum wichtige innen- und außenpolitische Dinge – mit sol-chen Fragen das zweite Mal hintereinander in einer Sit-zungswoche nicht befassen. Das kann man doch nichtverstehen.Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Liebe Kollegin Haßelmann, wir alle, die wir hier, inwelcher Funktion auch immer, Regierungsverantwor-tung tragen oder getragen haben, wissen, dass sich Kabi-nettssitzungen dadurch auszeichnen, dass in ihnen überTagesordnungspunkte entschieden wird.
Deswegen gibt es in Kabinettssitzungen Vorlagen, Ge-setzentwürfe und Berichte. Der Teil des allgemeinen Ge-sprächs ist immer sehr kurz gehalten, und das ist auchgut so. Diese Diskussionen und Fragen gehören in denpolitischen Diskussionsprozess. Soweit Entscheidungs-bedarf für die Bundesregierung besteht, wird er selbst-verständlich im Bundeskabinett befriedigt. Solch einEntscheidungsbedarf ist für mich nicht erkennbar.
Letzte Frage. – Volker Beck.
Eine Frage, die den Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisters des Innern betrifft. – Der Focus berichtete gestern
über Aufstände in Mazedonien und meldete, in diesem
Land mitten in Europa drohe uns ein Brandherd wie in
der Ukraine. Mazedonien ist von uns als sicheres Her-
kunftsland eingestuft. In der Stadt Kumanovo gab es bei
einer Schießerei mit Aufständischen 22 Tote. Die bulga-
rische Regierung hat gestern erklärt, sie verlege ihre
Truppen an die Grenze zu Mazedonien – für den Fall,
dass sich die Lage dramatisch verschlechtere.
Ich frage die Bundesregierung, welche Konsequenzen
dies für die Einstufung von Mazedonien als sicherer
Herkunftsstaat im Rahmen des Asylrechts aktuell hat.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Die Bundesregierung betrachtet die Entwicklung in
Mazedonien mit Sorge. Sie ist darüber in Gesprächen
und im Kontakt mit der dortigen Seite. Es handelt sich in
der Tat um gewalttätige Auseinandersetzungen. Deren
Hintergründe sind nicht genau erkennbar. Eine Auswir-
kung auf die Einstufung als sicheres Herkunftsland wird
aber nicht gesehen.
Jetzt gibt es noch eine Frage zu sonstigen Themen au-
ßerhalb der Kabinettssitzung. – Frau Haßelmann.
Ich habe noch eine Frage, auch wieder zum Komplex
„BND-Affäre“ und vor allen Dingen zu den Selektoren-
listen BND/NSA. – In der gemeinsamen Sitzung des
Parlamentarischen Kontrollgremiums und der Obleute
des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses am
22. April hat der Chef des Bundeskanzleramts, Peter
Altmaier, den dort Anwesenden fest zugesagt, dass es
nur eine Frage von Tagen sei, bis eine Entscheidung da-
rüber falle, in welcher Form die Selektorenlisten den
Parlamentariern, also dem Parlamentarischen Kontroll-
gremium und dem Untersuchungsausschuss, übergeben
werden.
Warum bricht jetzt an dieser Stelle das Kanzleramt
seine Zusage gegenüber den Parlamentariern? Ich habe
vorhin einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur
entnommen, dass vor Pfingsten nicht mit einer Entschei-
dung in dieser Sache zu rechnen ist.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Liebe Kollegin Haßelmann, ich darf die Aussage in
Ihrer Frage, dass die Bundesregierung Zusagen bricht,
zurückweisen. Die Bundesregierung bricht nie Zusagen.
Ich darf zur weiteren Beantwortung an den Staats-
minister bei der Bundeskanzlerin übergeben.
D
Liebe Frau Kollegin Haßelmann, wie Sie wissen undwie wir auch öffentlich dargelegt haben, ist Grundlagefür die Entscheidung ein Konsultationsverfahren. Nachdem Völkerrecht sind wir verpflichtet, ein solches Ver-fahren mit den Vereinigten Staaten von Amerika durch-zuführen. Da dieses noch andauert, können wir uns imAugenblick nicht dazu äußern, an welchem konkretenTag wir zu einer Entscheidung der Bundesregierung überdie Offenlegung kommen.
– Nein, die war richtig.
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9986 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
(C)
(B)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind nun selbst
bei großzügiger Auslegung unseres eigenen Reglements
am Ende des dafür vorgesehenen Befragungszeitraums.
Deswegen bitte ich um Nachsicht, dass ich jetzt keine
weiteren Zusatzfragen zulasse, die es zweifellos zu die-
sem Thema noch gibt.
Ich beende nun die Regierungsbefragung und rufe
den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
Drucksachen 18/4907, 18/4927
Die Fragestunde beginnt wie immer, wenn es dringli-
che Fragen gibt, mit der Beantwortung ebendieser Fra-
gen.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 des Kollegen
Oliver Krischer aus dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Energie auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Forderungen der bayerischen Landesregierung zur Verlegung
wären damit nach Einschätzung der Bundesregierung verbun-
den?
Herr Staatssekretär Beckmeyer, bitte.
U
Gerne beantworte ich die Frage des Abgeordneten
Krischer zu den Forderungen der bayerischen Landes-
regierung zur Verlegung der SuedLink-Stromtrasse.
Die von der bayerischen Landesregierung im Rahmen
der bis zum 15. Mai 2015 laufenden Konsultationen zum
Netzentwicklungsplan 2024 eingereichte Stellungnahme
wird die Bundesnetzagentur ebenso wie andere Stellung-
nahmen intensiv prüfen und in ihre finale Bestätigung
des Netzentwicklungsplans gemäß § 12 c Absatz 4 Ener-
giewirtschaftsgesetz einfließen lassen. Die Bundesnetz-
agentur prüft vor ihrer Bestätigung des Netzentwicklungs-
planes, ob der energiewirtschaftliche Übertragungsbedarf
der einzelnen Vorhaben zwischen den von den Netzüber-
tragungsbetreibern jeweils vorgeschlagenen Anfangs-
und Endpunkten tatsächlich besteht.
Die konkrete Trassenführung zwischen bestimmten
Anfangs- und Endpunkten ist bei den Vorhaben in Bun-
deszuständigkeit, wie zum Beispiel dem sogenannten
SuedLink – Bundesbedarfsplanvorhaben Nummern 3
und 4 –, erst Aufgabe der dann nachfolgenden Verfahren
der Bundesfachplanung und der Planfeststellung, in de-
nen eine Trasse mit den geringstmöglichen Auswirkun-
gen auf Mensch, Natur und weitere Schutzgüter ermittelt
wird. Diesen Verfahren kann die Bundesregierung nicht
vorgreifen, und dementsprechend wird auch keine Be-
wertung bestimmter Trassenführungsvorschläge vorge-
nommen.
Die Kosten einer bestimmten Trasse ergeben sich so-
wohl aus der Länge der Trasse als auch aus örtlichen Be-
gebenheiten und den Verkabelungsanteilen. Daher kön-
nen auch aktuell nähere Aussagen zu Kostenfolgen
möglicher Trassenführungen seitens der Bundesregie-
rung nicht gemacht werden. So weit die Antwort.
Vielen Dank. – Herr Kollege Krischer.
Herr Beckmeyer, entschuldigen Sie bitte, aber ich
frage mich ehrlich – das ist vielleicht nicht ganz parla-
mentarisch –, ob Sie mich und die deutsche Öffentlich-
keit veräppeln wollen. Sie lesen uns hier den Gesetzes-
text und die Rechtsgrundlagen vor. Dabei führen wir
eine öffentliche Diskussion darüber, dass ein Bundes-
land, in dem eine Partei regiert, die Koalitionspartner ist,
den Netzausbau ablehnt und dass eine Landeswirt-
schaftsministerin sagt: Bei uns sollen keine Leitungen
gebaut werden, sondern sie sollen durch Hessen und Ba-
den-Württemberg verlaufen. Bayern soll zwar den Strom
erhalten, aber keine Leitungen bekommen. – Ich ver-
stehe überhaupt nicht, wie all das technisch gehen soll.
Das wäre all das, was hinter der Frage steht.
Da die Bundesregierung offensichtlich keine Mei-
nung zu all diesen Vorgängen hat, möchte ich Sie fragen
– der Wirtschaftsminister hat sich dazu ja schon in frühe-
ren Diskussionen geäußert –: Wird es in irgendeiner
Weise eine politische Lösung dieses Konfliktes geben,
oder ist das am Ende alles nur eine Frage des formalen
Verfahrens bei der Bundesnetzagentur in der Art, wie Sie
es mir gerade vorgelesen haben?
Herr Kollege Beckmeyer, bitte.
U
Herr Krischer, wenn Sie das ernst meinen, was Sie in
Ihrer Frage geschrieben haben, so geht es darum, dass
Sie nach den Konsequenzen fragen, die die Bundesregie-
rung zu ziehen hat. Die Bundesregierung kann zurzeit
keine Konsequenzen aus dem, was Sie in Ihrer Frage
formuliert haben, ziehen, weil das Verfahren, das ich Ih-
nen eben geschildert habe, das Verfahren ist, nach dem
gehandelt wird. Und dieses Verfahren ist eindeutig: Die
Bundesnetzagentur hat in dieser Angelegenheit eine sehr
wichtige Rolle inne, da sie bei dem Thema Bundesfach-
planung im Grunde – man würde es neudeutsch so sa-
gen – die Hosen anhat.
Herr Kollege Krischer.
Dann darf ich hier feststellen, dass die Bundesregie-rung keinerlei Aktivitäten unternimmt, um eine Klärunghinsichtich der Position Bayerns – die sagen ja: wir stel-len den gesamten Netzausbau im Bereich HGÜ infrage –herbeizuführen. Das kommt bei Ihnen also überhauptnicht vor, und es hat für Sie keinerlei politische Rele-vanz, in irgendeiner Weise zu klären, wie wir beimNetzausbau vorankommen. Habe ich Sie da richtig ver-http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-85491.htmlhttp://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-85491.htmlhttp://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-85491.html
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 9987
Oliver Krischer
(C)
(B)
standen, dass dies im Moment die Rolle der Bundes-regierung ist, dass sie sich also für alles Mögliche inte-ressiert, aber nicht für das, wofür sie zuständig ist?
Herr Staatssekretär.
U
Nein, Herr Krischer, da haben Sie mich nicht richtig
verstanden. Die Bayerische Staatsregierung hat nämlich
ihre Stellungnahme in ihrem Schreiben an die Bundes-
netzagentur mit Datum vom 5. Mai 2015 im Rahmen
eines laufenden Planungsprozesses abgegeben. Die Bun-
desnetzagentur nimmt diese Stellungnahme der Staats-
regierung wie andere Stellungnahmen auf, prüft und be-
wertet sie.
Das Entscheidende, Herr Krischer – daran ändert
auch diese Stellungnahme der Bayerischen Staatsregie-
rung überhaupt nichts –, ist: Anfangs- und Endpunkte
der entsprechenden Leitungen sind in der letzten Legis-
laturperiode durch den Bundestag beschlossen worden;
und daran halten wir uns. Das ist die Ausgangslage, und
vor diesem Hintergrund wird die Bundesfachplanung
durch die Bundesnetzagentur betrieben werden.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Fragen zu die-
ser dringlichen Frage. Damit danke ich Ihnen, Herr Par-
lamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zu den dringlichen Fragen zum Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Ole Schröder zur Verfügung.
Als Erstes rufe ich die dringliche Frage 2 der Kollegin
Mihalic auf:
Inwieweit unterstützt die Bundesregierung angesichts der
Berichterstattung im Norddeutschen Rundfunk, NDR, vom
17. Mai 2015 zur mutmaßlichen Misshandlung von Gewahr-
samsinsassen durch Beamte der Bundespolizei die Forderung,
die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten zu schaf-
fen, bei dem unter anderem Hinweise zu solchen Vorgängen
anonym außerhalb der Hierarchie gemeldet werden können?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte.
D
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Mihalic! Ich beant-
worte die Frage wie folgt: Derzeit wird an den Sachver-
haltsaufklärungen der Vorwürfe gearbeitet. Die Staats-
anwaltschaft Hannover ermittelt den Sachverhalt und hat
mit den Zeugenvernehmungen begonnen. Die Bundes-
polizei unterstützt die Ermittlungen der Staatsanwalt-
schaft Hannover mit allen zur Verfügung stehenden Mit-
teln.
Da eine Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsan-
waltschaft Hannover bislang noch nicht möglich war,
liegen der Bundespolizei selbst noch keine umfassenden
Erkenntnisse zum Sachverhalt vor. Die Bundespolizei
hat Akteneinsicht beantragt. Diese ist nach Aussage der
zuständigen Staatsanwältin frühestens nach den Zeugen-
vernehmungen im Ermittlungsverfahren möglich.
Die Bundespolizei führt ein Disziplinarverfahren ge-
gen den Beamten; in diesem Verfahren werden auf
Bitten der Staatsanwaltschaft Hannover derzeit keine ei-
genen Zeugenvernehmungen vorgenommen, um das lau-
fende Ermittlungsverfahren nicht zu stören.
Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, werden wir
– das heißt das Bundesministerium des Innern und die
Bundespolizei – mit allen Konsequenzen dagegen vorge-
hen und auch alle weiteren Möglichkeiten in Betracht
ziehen, die helfen können, solche Vorfälle künftig zu
vermeiden bzw. schnell aufzuklären.
Frau Kollegin Mihalic.
Vielen Dank, Herr Dr. Schröder. Die Antwort auf
meine Frage wäre noch gut, also inwieweit die Bundes-
regierung im Hinblick auf die Vorfälle, die wir aus Han-
nover zur Kenntnis nehmen mussten, die Einrichtung der
Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten bewertet,
an die sich auch Bedienstete innerhalb der Polizei wen-
den können, um solche Vorgänge auch außerhalb der
Hierarchie vortragen zu können.
Es wäre sehr freundlich, wenn Sie mir zunächst meine
Ausgangsfrage beantworten würden, bevor ich dazu eine
Nachfrage stelle.
Herr Schröder.
D
Das war ein Missverständnis. Ich habe dann die
dringliche Frage 3 als Frage 2 angesehen. Insofern
schlage ich vor, dass ich Ihnen erst einmal die Antwort
auf die Frage, um die es Ihnen eigentlich ging, vorlese.
Es geht also darum, an welche Stelle außerhalb der Hie-
rarchie sich Polizistinnen und Polizisten der Bundespoli-
zei oder auch des BKA angesichts der aktuellen Miss-
handlungsvorwürfe gegen Beamte der Bundespolizei
aktuell wenden können, um Hinweise auf solche Vor-
gänge zu melden.
Grundsätzlich haben alle Beamten der Bundespolizei
die Möglichkeit, sich außerhalb des Dienstweges an die
Stabsstellen Innenrevision ihrer jeweiligen Bundespoli-
zeidirektionen zu wenden. Unabhängig davon besteht
auch für Bundespolizisten die Möglichkeit, derartige
Vorfälle bei der zuständigen Staatsanwaltschaft oder
Landespolizeibehörde anzuzeigen. Hierzu sind sie auf-
grund des Legalitätsprinzips verpflichtet, wenn sie
Kenntnis von einer Straftat erlangt haben, die kein reines
Antragsdelikt ist.
Vielen Dank. – Frau Kollegin Mihalic.
Metadaten/Kopzeile:
9988 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
(C)
(B)
Ich möchte dazu gerne eine Nachfrage stellen. Das
Problem war ja – wir haben vorhin schon im Innenaus-
schuss darüber gesprochen –, dass die Vorfälle erst so
spät bekannt geworden sind, dass es also ungefähr ein
Jahr gedauert hat, bis überhaupt innerhalb der Bundes-
polizei bekannt wurde, dass es auf dieser Dienststelle
mutmaßlich solche Vorfälle gegeben hat, und dann na-
türlich auch erst der Öffentlichkeit bekannt werden
konnte.
Wie würden Sie es angesichts der Tatsache, dass die
Vorfälle erst ein Jahr später bekannt geworden sind, ein-
schätzen, dass sich Polizeibeamte, die solche Vorfälle
nicht sofort, sondern erst verzögert melden, selbst der
Gefahr der Strafverfolgung im Hinblick auf Straftaten
wie Strafvereitelung im Amt aussetzen? Sehen Sie einen
gesetzgeberischen Handlungsbedarf, in diesem Bereich
irgendetwas zu verändern, um meldende Polizeibeamte
nicht unmittelbar der Gefahr der Strafverfolgung auszu-
setzen?
Herr Staatssekretär.
D
Dieses Dilemma besteht natürlich immer. Wenn ein
Polizeibeamter wegguckt, wenn solche Misshandlungen
passieren, oder es erst verzögert meldet, wenn er davon
Kenntnis erlangt, dann belastet er sich automatisch im-
mer selbst. Entweder ist es unterlassene Hilfeleistung
– unter Umständen Strafvereitelung im Amt –, oder es
ist die Vortäuschung einer Straftat, wenn er Meldung
macht, aber nichts vorgefallen ist. Selbst wenn ein Poli-
zeibeamter einen solchen Vorfall anonym an eine völlig
unabhängige Stelle meldet, muss dieser Meldung in ei-
nem Rechtsstaat ja nachgegangen werden. Insofern
glaube ich nicht, dass wir aus diesem Dilemma heraus-
kommen, auch wenn wir uns noch so sehr darum bemü-
hen. Wichtig ist, dass innerhalb der Polizei eine Kultur
herrscht, derzufolge solche Vorfälle sofort gemeldet wer-
den. Das ist entscheidend.
Wir müssen jetzt genau analysieren, was an diesen
Vorfällen dran ist und weshalb auf diese Vorfälle, wenn
sie sich bestätigen, nicht adäquat reagiert wurde.
Frau Kollegin, Sie haben hierzu keine Fragen mehr.
Ihre erste Frage war ja eben nicht richtig beantwortet
worden.
– Sie haben noch eine Frage? – Eben wurden ja die Ant-
worten vertauscht. Deshalb können Sie jetzt Ihre zweite
Nachfrage stellen.
Genau, das ist vorhin etwas durcheinandergeraten.
Deswegen möchte ich jetzt in diesem Zusammenhang
noch eine Frage stellen.
Die Frage bezieht sich auf die Möglichkeit der parla-
mentarischen Kontrolle, um solchen Vorgängen in ir-
gendeiner Art und Weise nachgehen oder davon erfahren
zu können. Da besteht für uns im Moment wirklich nur
die Möglichkeit, das im Innenausschuss zu erfragen. Es
gibt eben keine Einrichtung im Parlament, beispiels-
weise analog zu der des Wehrbeauftragten, die uns bei
der parlamentarischen Kontrolle der Bundespolizei und
der Sicherheitsbehörden unterstützt. Deswegen stellt
sich mir die Frage – da bitte ich um Beantwortung –, was
die Bundesregierung zurzeit tut oder bei solchen Vorfäl-
len proaktiv leisten kann, um uns bei der Aufgabe der
parlamentarischen Kontrolle zu unterstützen.
Ich habe heute einmal in den Raum gestellt: Wenn wir
von solchen Vorfällen nicht aus den Medien erfahren
hätten, hätte es dann zum Beispiel eine proaktive Unter-
richtung der Bundesregierung gegeben?
Herr Staatssekretär.
D
Parlamentarische Kontrolle wird ja vor allen Dingen
dadurch ausgeübt, dass sich betroffene Beamte direkt an
ihren Abgeordneten wenden. Das ist die sinnvollste, di-
rekteste und wirkungsvollste Form der parlamentari-
schen Kontrolle.
Das erleben wir tagtäglich, gerade auch im Zusammen-
hang mit der Bundespolizei. Wenn es dort Missstände
gibt, können sich die Bundespolizeibeamtinnen und
Bundespolizeibeamten natürlich an die Beschwerde-
stelle ihrer Dienststelle wenden. Wenn es wirklich um
Straftaten geht, können sie sich an die Staatsanwaltschaft
bzw. an die Landespolizei – auch anonym – wenden. Sie
können sich aber selbstverständlich auch an den Abge-
ordneten wenden.
Nach derzeitigem Stand – wir sind ja jetzt bei der
Sachverhaltsaufklärung – sind wir aber noch nicht so
weit, dass über weitere Konsequenzen nachzudenken
wäre, insbesondere über die Frage, inwieweit es beson-
dere Beauftragte geben muss.
Vielen Dank. – Dann hat jetzt der Kollege ChristianStröbele die Gelegenheit zu einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben darauf hingewiesen,dass ein Ermittlungsverfahren gegen eine Person anhän-gig ist. Das ist schön. Sie haben auch darauf hingewie-sen, dass möglicherweise Beamte, die zur gleichen Zeitim Dienst waren, keine Meldung erstattet haben, weil siesich in dem Zuge vielleicht selbst bezichtigen müssten,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 9989
Hans-Christian Ströbele
(C)
(B)
dass sie nichts unternommen haben, es geduldet, hinge-nommen haben, vielleicht sogar mitgemacht haben.Haben Sie als Behörde die notwendigen Ermittlungenangestellt, um festzustellen, wer in dieser Zeit, in der daspassiert sein soll, mit dem Verdächtigen zusammenDienst gehabt hat? Ich kann mir vorstellen, dass jeder,der im Hauptbahnhof von Hannover in eine schwierigeSituation kommt, nun fürchten muss, dass er mit Beam-ten konfrontiert wird und Beamten ausgeliefert wird, diebei einer solchen Sache schon einmal dabei gewesensind oder zumindest etwas mitbekommen haben undnichts unternommen haben.
Herr Kollege.
D
Zunächst: Wir sind bei der Sachverhaltsaufklärung.
Es geht um schwerwiegende Vorwürfe. Es muss durch
die Staatsanwaltschaft genau aufgeklärt werden, ob sich
diese Vorwürfe bestätigen. Es ist auch gut, dass das eine
unabhängige Behörde macht und nicht die Bundespoli-
zei selbst.
Selbstverständlich unterstützt die Bundespolizei die
Staatsanwaltschaft. Dabei geht es natürlich auch darum,
sämtliche Unterlagen und insbesondere das Gewahr-
samsbuch, in dem all das ja genau dokumentiert ist,
herauszugeben, genau zu benennen, wer zu diesem Zeit-
punkt Dienst hatte und wann die Person, die in Gewahr-
sam genommen wurde, an die Landespolizei übergeben
wurde, die dann ja wegen möglicher Rauschgiftdelikte
weiter ermittelt. Es ist innerhalb dieses staatsanwalt-
schaftlichen Ermittlungsverfahrens natürlich eine Selbst-
verständlichkeit, dass diese Unterlagen jetzt unmittelbar
zur Verfügung gestellt werden.
Vielen Dank. – Als Nächste hat die Kollegin Britta
Haßelmann die Gelegenheit, eine Frage zu stellen.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ich
habe Ihre Ausführungen vorhin nicht verstanden. Wie
kommen Sie auf die Idee, vorzuschlagen, dass Polizeibe-
amte der Bundespolizei die Möglichkeit hätten, sich in
einem solchen Kontext, den wir hier erfragen, an den
Abgeordneten im Wahlkreis zu wenden? Wie soll ich
mir das vorstellen: Jemand kommt in mein Wahlkreis-
büro, und ich berate ihn auch noch darüber? Das kann
doch kein Ersatz sein für rechtlich klare Verfahrensrege-
lungen, die wir haben oder eben nicht haben, sodass wir
solche installieren müssten.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
D
Sie interpretieren mich bewusst falsch. Deshalb
möchte ich es auch klarstellen. Ich habe gerade erklärt,
dass wir selbstverständlich die notwendigen Kontroll-
mechanismen innerhalb der Behörde Bundespolizei ha-
ben müssen.
Die Kollegin Mihalic hat mich gefragt, was bei der
parlamentarischen Kontrolle noch verbessert werden
kann. Dies ist zunächst einmal eine Frage des Parla-
ments selbst. Dann habe ich darauf hingewiesen, dass
die parlamentarische Kontrolle generell bzw. zumeist
dadurch ausgeübt wird, dass der Bundestagsabgeordnete
Hinweise bekommt. Das bezieht sich jetzt aber nicht
speziell auf Vorgänge bei der Bundespolizei, sondern gilt
ganz generell.
Vielen Dank. – Die Kollegin Keul möchte noch eine
Nachfrage stellen. – Bitte schön.
Bevor jetzt die Verwirrung vollständig ist: Ich glaube,
Kollegin Mihalic so verstanden zu haben, dass sie fragte,
ob denn die Bundesregierung als oberste Dienstherrin
der Bundespolizei von dem Vorfall erfahren hätte, nicht
das Parlament.
Herr Staatssekretär, bitte schön.
D
Frau Mihalic hat danach gefragt, inwieweit der Bun-
destag seine Kontrolle besser ausüben kann; das war die
Frage von Frau Mihalic.
Ich habe jetzt aber Ihre Frage nicht verstanden.
Ich habe keine weiteren Nachfragen zu dieser Frage.Wir kommen zur dringlichen Frage 3 der KolleginMihalic:An welche Stelle außerhalb der Hierarchie können sich an-gesichts der Misshandlungsvorwürfe gegen Beamte der Bun-despolizei Polizistinnen und Polizisten der Bundespolizeioder auch des Bundeskriminalamtes aktuell wenden, um Hin-weise auf solche Vorgänge zu melden?Frau Mihalic, wenn Sie damit einverstanden sind,dass wir die Beantwortung durch die Antwort des Staats-sekretärs von vorhin als gegeben ansehen, würde ich Ih-nen jetzt die Gelegenheit geben, Ihre Nachfragen zu stel-len.
Metadaten/Kopzeile:
9990 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
(C)
(B)
D
Ich habe die Antwort auf die dringliche Frage 3 be-
reits zusammen mit der Antwort auf die dringliche
Frage 2 vorgelesen.
Ja, Sie haben sie eben schon beantwortet.
D
Ich kann die Antwort gerne noch mal vortragen, wenn
das gewünscht ist.
Darauf können wir vielleicht verzichten, und stattdes-
sen kann Ihnen die Kollegin Mihalic jetzt Zusatzfragen
stellen. – Bitte schön, Frau Kollegin Mihalic.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte gerne
meine Zusatzfrage stellen und dabei die Gelegenheit nut-
zen, das vorhin Gesagte noch einmal aufzugreifen, weil
sich meine Frage auf denselben Sachzusammenhang be-
zieht.
Es gibt aktuell ja keine unabhängige Stelle, an die
sich Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wenden kön-
nen; alles ist entweder in die Hierarchie der Bundespoli-
zei oder in einen anderen öffentlich-rechtlichen Kontext
eingebunden, der nicht unbedingt als unabhängig be-
zeichnet werden kann. Da stellt sich natürlich schon die
Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Stelle sozusagen
außerhalb jeder Hierarchie zu schaffen – auch um zum
Beispiel eine bessere parlamentarische Kontrolle zu ge-
währleisten –, an die sich Beamte und Beamtinnen in ei-
nem solchen Fall wenden können. Ich möchte noch ein-
mal nachfragen, inwiefern die Bundesregierung ein
solches Ansinnen unterstützt, auch unter dem Gesichts-
punkt, die parlamentarische Kontrolle zu verbessern.
Herr Staatssekretär.
D
Selbstverständlich gibt es schon jetzt unabhängige
Stellen, an die sich ein Bundespolizist wenden kann,
wenn er Gesetzesverstöße mitbekommt. Er kann sich
zum Beispiel an die Landespolizei wenden. Sie ist unab-
hängig, ist nicht in die Hierarchie der Bundespolizei ein-
gebunden. Selbstverständlich kann er sich auch an die
Staatsanwaltschaft wenden. Das ist auch die richtige
Stelle, wenn es um die Verfolgung von Straftaten geht.
Insofern glaube ich nicht, dass wir durch die Schaf-
fung von weiteren Stellen aus dem Dilemma herauskom-
men, das Sie vorhin angesprochen haben, nämlich dass
sich derjenige, der bei einer Straftat nicht hingeguckt hat
oder Beteiligter war, unter Umständen selbst belastet,
wenn er diese Straftat anzeigt. Aus diesem Dilemma
kommt man auch nicht heraus, wenn man eine zusätzli-
che Stelle schafft, die beispielsweise bei der Bundespoli-
zei oder eben auch woanders angesiedelt ist. Nichtsdes-
totrotz werden wir natürlich nach Aufklärung des
Sachverhaltes, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermitt-
lungen abgeschlossen hat, auch über solche Dinge reden
müssen.
Frau Kollegin Mihalic.
Ich möchte noch einmal meine Frage von vorhin auf-
greifen, die meine Kollegin zwar auch schon einzugren-
zen versucht hat, was aber nicht zu einer hinreichenden
Beantwortung Ihrerseits geführt hat: Wie unterstützt die
Bundesregierung konkret die heutigen Möglichkeiten
der parlamentarischen Kontrolle, wenn es darum geht,
von solchen Vorfällen bei der Bundespolizei Kenntnis zu
erlangen?
Bitte schön.
D
Wir unterstützen die parlamentarische Kontrolle als
Bundesregierung vor allen Dingen dadurch, dass wir In-
formationen zur Verfügung stellen. Das haben wir heute
im Innenausschuss gemacht. Der Präsident des Bundes-
polizeipräsidiums ist heute sofort in den Innenausschuss
gekommen, aber auch der Präsident der zuständigen
Bundespolizeidirektion. Das ist nach unserer Auffassung
die beste Form der Unterstützung der parlamentarischen
Kontrolle.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Nachfragen.
Dann kommen wir zur dringlichen Frage 4 des Abge-
ordneten Hans-Christian Ströbele:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich
der Beihilfe oder des Unterlassens von Hilfeleistungen durch
Beamte der Bundespolizei während der mutmaßlichen Miss-
handlungen von Flüchtlingen in den Gewahrsamszellen der
Bundespolizeiinspektion Hannover am 9. März 2014 und am
25. September 2014 durch den von der Staatsanwaltschaft
che ähnlichen Vorfälle bei der Bundespolizei sind der Bundes-
regierung in den letzten drei Jahren bekannt geworden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Ich beantworte die Frage des Abgeordneten Ströbelewie folgt: Der Sachverhalt bezüglich der angenommenenMisshandlungen von Flüchtlingen wird derzeit von derStaatsanwaltschaft Hannover ermittelt. Die Staats-anwaltschaft hat darum gebeten, die eigenen Ermittlun-gen der Bundespolizei ruhen zu lassen, bis die staats-anwaltschaftlichen Ermittlungen abgeschlossen sind.Über mögliche weitere Beteiligungen kann daher keineAussage getroffen werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 9991
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
(C)
(B)
Der Bundespolizei liegen keine Erkenntnisse über dieMisshandlung von Flüchtlingen in Gewahrsamszellen inden vergangenen drei Jahren vor.
Herr Kollege Ströbele.
Da Sie vorhin eine ähnliche Frage von mir nur zu ei-
nem ganz kleinen Teil beantwortet haben, stelle ich sie
jetzt noch einmal ganz konkret: Sind die Mitarbeiter der
Bundespolizei, gegen die entweder direkt ein strafrecht-
liches Ermittlungsverfahren läuft, gegen die ein Ver-
dacht besteht oder die zumindest während der Zeit, in
der die Vorfälle passiert sein sollen, anwesend gewesen
sind, noch im Dienst? Müssen also Personen, die den
Hauptbahnhof in Hannover aufsuchen, gewärtig sein,
dass sie mit solchen Mitarbeitern der Bundespolizei kon-
frontiert werden?
Bitte schön.
D
Der Hauptbeschuldigte ist nicht im Dienst. Ob die an-
deren zurzeit im Dienst sind oder sich noch im Urlaub
befinden oder anderswo sind, das kann ich nicht sagen;
das entzieht sich momentan meiner Kenntnis. Aber es ist
dafür gesorgt worden, dass der Hauptbeschuldigte nicht
mehr berechtigt ist, in der Öffentlichkeit eine Waffe oder
eine Uniform zu tragen.
Herr Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, sind Sie, nach dem, was Sie vor-
hin schon ausgeführt und auch jetzt angedeutet haben,
mit mir der Auffassung, dass auch Personen, die anwe-
send waren, die möglicherweise Wahrnehmungen ge-
macht haben, aber offensichtlich nichts unternommen
haben, ungeeignet sind, weiterhin an der Dienststelle
Dienst zu tun, zumindest so lange, bis die Vorfälle ge-
klärt und Konsequenzen gezogen worden sind?
Herr Staatssekretär.
D
Das muss jetzt die Sachverhaltsaufklärung ergeben.
Nach meinem Kenntnisstand sind weitere Beschuldigte
nicht mehr an dieser Dienststelle im Dienst, sondern sind
bereits an anderen Dienststellen tätig. Die Antwort
würde ich Ihnen aber gerne schriftlich nachreichen, um
detaillierter Stellung nehmen zu können.
Ich sehe keine weiteren Meldungen zu einer Nach-
frage. Damit sind die dringlichen Fragen aufgerufen und
beantwortet.
Ich rufe die mündlichen Fragen auf Drucksache 18/4907
in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend.
Die Fragen 1 und 2 der Abgeordneten Katrin Kunert
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Enak Ferlemann zur Verfügung.
Die Frage 3 des Abgeordneten Matthias Gastel wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Matthias
Gastel auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
Tatsache, dass sich das Land Baden-Württemberg an der
Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen an der Rheintal-
bahn beteiligt, die eigentlich in der Zuständigkeit des Bundes
inwieweit teilt die Bundesregierung die Kritik an der Finan-
zierung von Lärmschutzmaßnahmen durch die Länder insbe-
sondere vor dem Hintergrund unterschiedlicher Finanzstärken
der Bundesländer ?
Bitte schön, Herr Kollege.
E
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Kollege Gastel fragt danach, ob die
Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen, die an der
Rheintalbahn getätigt worden sind, und zwar von Drit-
ten, in dem Fall vom Land Baden-Württemberg, obwohl
eigentlich der Bund zuständig ist, sinnvoll ist. Dazu gebe
ich folgende Antwort: Die Finanzierungszuständigkeit
des Bundes bezüglich der Lärmvorsorge im Rahmen von
Maßnahmen des Bedarfsplans Schiene ist auf den in den
einschlägigen gesetzlichen Vorschriften verankerten
Umfang begrenzt. Zur Umsetzung darüber hinausgehen-
der Forderungen bedarf es, wie im Falle der Rheintal-
bahn, auch künftig zusätzlicher Finanzierungsquellen
und eines expliziten Auftrags des Haushaltsgesetzge-
bers.
Herr Kollege, Sie haben die Möglichkeit, nachzufra-
gen. – Bitte schön.
Das muss ich auch tun, weil der zweite Teil der Fragenicht beantwortet wurde. Herr Staatssekretär, ich bitte daum Antwort.Zu dem ersten Teil meiner Frage, den Sie teilweisebeantwortet haben: Ich habe nicht in Abrede gestellt,
Metadaten/Kopzeile:
9992 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
Matthias Gastel
(C)
(B)
dass diese Maßnahmen sinnvoll sind. Vielmehr geht esmir um die Frage: Wer finanziert die Maßnahmen? Dennletztlich geht es darum – und das betrifft den zweitenTeil meiner Frage –, dass sich Länder, die finanziell bes-ser dastehen, über die gesetzlichen Normen hinausge-hende Lärmschutzmaßnahmen für ihre Bürgerinnen undBürger leisten können und andere nicht. Das führt danndazu, dass es in den Bundesländern unterschiedlicheLärmstandards gibt. Deswegen die Frage: Betrachtet dieBundesregierung dies als ein Problem?E
Das betrachten wir nicht als ein Problem. Ich teile
Ihre Einschätzung nicht, dass es eine Unterscheidung
gibt zwischen Ländern, die sich das leisten können, und
Ländern, die sich das nicht leisten können. Das ist eine
Frage der Prioritätensetzung der Länder.
Es gibt klare Grundlagen für den Lärmschutz in
Deutschland, die die Bundesregierung auch einhält.
Über diesen Rahmen dürfen wir nur hinausgehen, wenn
Dritte diese Maßnahmen finanzieren oder wenn der
Deutsche Bundestag uns über diesen gesetzlichen Rah-
men hinausgehende Lärmschutzmaßnahmen bewilligt.
Das tun wir auch, und in aller Regel gibt es dann, wie im
Fall der Rheintalbahn, eine Mitfinanzierung: 50 Prozent
Bund, 50 Prozent Land. Das ist durchaus üblich, und das
konnten sich bisher auch alle Länder leisten, wenn sie
die Priorität entsprechend gesetzt haben.
Herr Kollege Gastel, möchten Sie noch eine weitere
Frage stellen? – Bitte schön.
Ja, das möchte ich; vielen Dank für die Möglichkeit. –
Nach meiner Wahrnehmung wird beim Lärmschutz an
der Schiene immer häufiger über die gesetzlichen Stan-
dards hinausgegangen, indem die Kommunen oder die
Länder eigene Mittel in die Hand nehmen und damit eine
Aufgabe übernehmen, die eigentlich eine Bundesauf-
gabe oder eine Aufgabe der DB ist. Meine Frage lautet:
Kann man das aus Sicht der Bundesregierung so inter-
pretieren, dass die geltenden Gesetze und Lärmschutz-
verordnungen – all das, was es in dieser Richtung gibt –
nicht ausreichen, oder wie kann man es sich erklären,
dass immer häufiger über die geltenden Normen hinaus
Lärmschutzmaßnahmen finanziert werden?
Herr Staatssekretär, bitte.
E
Frau Präsidentin, das waren viele Fragen in einer
Frage. Es wäre ein abendfüllendes Kolloquium, das alles
zu beantworten; aber ich bemühe mich einmal, das in der
Kürze der Zeit zu tun.
Die Bundesregierung freut sich über jeden Euro, den
ein Dritter zum Lärmschutz beiträgt. Ob es nun Kommu-
nen oder Länder sind, wir machen das gerne, wenn man
in der Bürgerschaft und in den Ländern und Kommunen
über den bestehenden Schallschutz hinausgehen will.
Warum möchten die Menschen das? Es gibt beim Schie-
nengüterverkehr ein Akzeptanzproblem hinsichtlich des
Lärmschutzes. Deswegen forciert die Bundesregierung
massiv die Umrüstung am Rad-Schiene-System mittels
anderer Bremssysteme, um den Schienenlärm in Deutsch-
land bis 2020 flächendeckend zu halbieren. Das ist die
Maßnahme, die am weitesten geht.
Die Menschen haben aber heute erhöhte Anforderun-
gen – vor allem bei Neubaumaßnahmen –, wofür wir
nach unseren gesetzlichen Normen keinen Anlass sehen.
Wenn diese Anforderungen erfüllt werden sollen, dann
muss eben ein Dritter dafür bezahlen. Das ist die derzei-
tige Lage.
Ich teile nicht Ihre Einschätzung, dass das überall der
Fall ist; aber es gibt einige Strecken, zu denen eine Dis-
kussion in besonderem Maße tobt, und das ist unter an-
derem die Rheintalbahn.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Nachfragen.
Die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Herbert
Behrens und die Frage 7 der Abgeordneten Sabine
Leidig werden schriftlich beantwortet.
Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staats-
sekretär für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-
Sutter zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Jeweils welcher Sicherheitsebene sind die sicherheitstech-
nisch wichtigen Hilfssysteme der Atomkraftwerke Gundrem-
mingen B und C – insbesondere das Steuerluftsystem – ge-
nehmigungsrechtlich oder laut Betriebshandbuch zugeordnet
wichtigen Hilfssysteme der Atomkraftwerke Gundremmingen
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ri
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl, die in der Fragestel-lung verwendete Bezeichnung „sicherheitstechnischwichtige Hilfssysteme“ wird in den Genehmigungsun-terlagen und im Betriebshandbuch des KernkraftwerksGundremmingen nicht verwendet. Die Steuerluftversor-gung des Schnellabschaltsystems gehört laut Betriebs-handbuch des Kernkraftwerks Gundremmingen nicht zuden sicherheitstechnisch wichtigen System- und An-lagenteilen und ist damit, wie bereits in der Antwort auf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 9993
Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
(C)
(B)
die Fragen 7 und 8 der Kleinen Anfrage auf Drucksa-che 18/4742 mitgeteilt, insbesondere nicht Bestandteildes Sicherheitssystems.Bereits im Sicherheitsbericht von 1974 zur Errichtungdes Kernkraftwerks ist in einer Genehmigungsunterlageausgeführt, dass das Reaktorschnellabschaltsystem soausgelegt ist, dass die Reaktorschnellabschaltung beimAusfall der Steuerluft automatisch abläuft.
Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie haben jetzt die Mög-
lichkeit einer Nachfrage.
Ja, vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank für
die Antwort, Frau Staatssekretärin. Mich nimmt das et-
was wunder, weil die Sicherheitsvorgaben im Allgemei-
nen nicht von den Atomaufsichten der Länder festgelegt
werden, sondern eine Ebene höher, also im BMUB. Mei-
nes Wissens gehört das Steuerluftsystem nach den ak-
tuellen, seit 2012 gültigen Sicherheitsanforderungen an
Atomkraftwerke, also nach dem Stand von Wissenschaft
und Technik, der zugrunde zu legen ist, zu den sicher-
heitstechnisch wichtigen Einrichtungen. Deswegen habe
ich diesen Begriff gewählt. Können Sie das bestätigen,
oder bestreiten Sie das?
Frau Staatssekretärin.
Ri
Bei diesem Kernkraftwerk ist die Bezeichnung „si-
cherheitstechnisch wichtige Hilfssysteme“ eben nicht in
den Genehmigungsunterlagen und im Betriebshandbuch
enthalten. Die Sicherheitseinrichtungen sind blockzuge-
ordnet und auch getrennt. Danach hatten Sie in Ihrer
Kleinen Anfrage gefragt.
Sicherheitstechnisch wichtige Systeme und Anlagen-
teile der Blöcke B und C des Kernkraftwerks Gundrem-
mingen werden in dem ihm zugehörigen Betriebshand-
buch aufgelistet. Das sind mehr als 100 Einträge und ist
für die Entscheidung hinsichtlich der Meldepflicht von
Ereignissen nach der Verordnung über den kerntechni-
schen Sicherheitsbeauftragten und über die Meldung von
Störfällen und sonstigen Ereignissen von Bedeutung.
Laut einleitender Erläuterung im Betriebshandbuch
gehört zum Betrachtungsumfang der in der Liste aufge-
führten entsprechend eingestuften Komponenten auch
die zugehörige Steuerungs-, Energie- und Hilfsmedium-
versorgung, soweit sie für die sicherheitstechnische
Funktion von Bedeutung ist.
Eine weitere Nachfrage.
Ja; danke schön, Frau Präsidentin. – Ich habe in der
Tat schon in der schriftlichen Kleinen Anfrage danach
gefragt. Darin hatte ich aber ausdrücklich danach ge-
fragt, welcher Sicherheitsebene die Bundesregierung das
Steuerluftsystem und vergleichbare Systeme zuordnet.
Sie haben sich dann ausschließlich auf die Auskunft des
Bayerischen Staatsministeriums berufen. Nun soll es ein
weiteres Fachgespräch geben. Die Fachgespräche fan-
den schon in den Jahren 2013 und 2014 statt, und meines
Wissens sollte das Fachgespräch im September 2014 ei-
gentlich das letzte sein, um die letzten noch offenen Fra-
gen zu klären und die Informationen und Angaben zu be-
sprechen, die Ihr Ministerium noch von dem zuständigen
Bayerischen Staatsministerium brauchte.
Deshalb habe ich jetzt die Frage: Wann soll das Gund-
remmingen-Fachgespräch zwischen BMUB und Landes-
aufsichtsbehörde stattfinden, das mir in der Antwort
vom 7. Mai genannt wurde, und aus welchen Gründen
bedarf es dieses erneuten Fachgesprächs überhaupt?
Gibt es immer noch ungeklärte Aspekte?
Ri
Ich kann Ihnen das genaue Datum nicht mitteilen und
würde Ihnen das gerne schriftlich nachreichen, weil das
auf der Arbeitsebene geklärt wird. Ich würde es Ihnen
dann zukommen lassen.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Nachfragen.
Dann kommen wir zur Frage 9 der Abgeordneten
Dr. Julia Verlinden:
Wie setzt die Bundesregierung die Empfehlungen der
Europäischen Kommission zur Regulierung von Fracking
destabstände zu Wohnbebauung, Mindestabstände zwischen
Grundwasser und der zu frackenden Horizonte sowie die
Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung, SUP, vor-
geben, im laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Fracking
um und, wenn nicht, warum nicht?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ri
Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Verlinden, die Emp-fehlung 2014/70 der EU-Kommission enthält eine Viel-zahl von Einzelempfehlungen zu den unterschiedlichstenAspekten im Zusammenhang mit der Exploration undFörderung von Kohlenwasserstoffen, zum BeispielSchiefergas, unter Einsatz der Fracking-Technologie.Diese Einzelempfehlungen sollen überwiegend durchden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wasser- undnaturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und
Metadaten/Kopzeile:
9994 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
(C)
(B)
zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie sowie die Verordnung zur Einführung vonUmweltverträglichkeitsprüfungen und über bergbaulicheAnforderungen beim Einsatz der Fracking-Technologieund Tiefbohrungen im Bundesrecht umgesetzt werden.Wie Sie wissen, sind der Gesetzentwurf und die Verord-nung von der Bundesregierung am 1. April 2015 be-schlossen worden.Bereits in deutsches Recht umgesetzt worden ist da-gegen die Empfehlung der Europäischen Kommissionzur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfungvor der Erteilung von Lizenzen zum Einsatz der Fra-cking-Technologie. Insoweit besteht hier kein weitererBedarf zur Umsetzung.
Frau Kollegin.
Vielen Dank für die Antwort. – Ich bin etwas über-
rascht, weil es auch andere Einschätzungen bezüglich
sozusagen der Synchronität der Empfehlungen der EU-
Kommission und des von Ihnen vorgeschlagenen Fra-
cking-Regelungspakets gibt. Aber ich nehme es zur
Kenntnis, dass Sie der Ansicht sind, dass die Empfehlun-
gen der EU-Kommission in dem Gesetzespaketvor-
schlag entsprechend umgesetzt werden.
Mich interessiert, ob sich die Bundesregierung in Zu-
kunft auf europäischer Ebene dafür einsetzt, dass diese
Empfehlungen der EU weiter verschärft werden. Denn
die Mindestempfehlungen werden gerade evaluiert. Ich
fände es spannend, ob Sie sich als Bundesregierung auf
EU-Ebene zum Beispiel dafür einsetzen, dass es weitere
verbindliche Vorgaben zum Schutz der Umwelt und der
Gesundheit geben soll, oder ob Sie sich vielleicht sogar
für ein verbindliches Fracking-Verbot einsetzen; denn
ich möchte einschätzen können, wie Sie die bundespoli-
tische Debatte auf die europäische Ebene weitertragen
werden. Sie haben wahrscheinlich zur Kenntnis genom-
men, dass die große Mehrheit der Bevölkerung in
Deutschland für ein absolutes Fracking-Verbot ist, wie
die jüngste Umfrage von Infratest dimap gezeigt hat.
Bitte schön.
Ri
Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf einge-
bracht. Er befindet sich im parlamentarischen Verfahren.
Dieses parlamentarische Verfahren werden wir abwar-
ten.
Möchten Sie eine weitere Nachfrage stellen? – Bitte
schön, Frau Kollegin.
Ich habe das so verstanden: Sie wollen vor der Eva-
luation dieser Mindestempfehlungen, die auf EU-Ebene
gelten, erst einmal das parlamentarische Verfahren in
Deutschland abwarten, um sich dann zu entscheiden, wie
man auf EU-Ebene weiter mit dem Thema Fracking um-
geht. – Okay.
Ich hätte noch eine weitere Frage. Der Bundesrat hat
sehr viele Verschärfungen des geplanten Fracking-Rege-
lungspakets angemahnt und die Bundesregierung aufge-
fordert, diesbezüglich aktiv zu werden. Mich würde inte-
ressieren, wie die Bundesregierung zu diesen
Forderungen steht, ob sie Forderungen des Bundesrates
umsetzen wird und, wenn ja, welche. Kann man zum
Beispiel hinsichtlich der gebietsbezogenen Verbotsrege-
lungen mit den vom Bundesrat geforderten Verschärfun-
gen rechnen? Welche Kriterien legen Sie zugrunde, um
zu entscheiden, welche der Forderungen des Bundes-
rates, die mit großer Mehrheit beschlossen wurden, in
diesen Prozess einfließen?
Frau Staatssekretärin.
Ri
Die Bundesregierung hat heute eine Gegenäußerung
zu der Stellungnahme des Bundesrates beschlossen. Da-
rin werden die einzelnen Punkte abgearbeitet.
Vielen Dank. – Damit sind die Fragen zu dem Ge-schäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Na-turschutz, Bau und Reaktorsicherheit beantwortet. Ichbedanke mich bei der Parlamentarischen Staatssekretä-rin.Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-lerin und des Bundeskanzleramtes.Die Frage 10 des Abgeordneten Hans-ChristianStröbele wird zurückgezogen.Die Frage 11 des Abgeordneten Hans-ChristianStröbele und die Frage 12 der Abgeordneten BrittaHaßelmann werden schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwor-tung steht der Parlamentarische Staatssekretär UweBeckmeyer zur Verfügung.Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Britta Haßelmannauf:Welche Unterschiede sieht die Bundesregierung im Detailzwischen dem von Bundesminister für Wirtschaft und Ener-gie, Sigmar Gabriel, und Professor Dr. Markus Krajewski vor-
kommen TTIP (siehe www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/M-O/modell-investitionsschutzvertrag-mit-investor-staat-schiedsverfahren-gutachten,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf) und dem Vorschlag der EU-KommissarinCecilia Malmström zur Reform der Schiedsgerichte in TTIP
Bitte schön.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 9995
(C)
(B)
U
Gerne beantworte ich die Frage der Kollegin
Haßelmann zum Thema „Reform der Schiedsgerichte in
TTIP“. Die Antwort lautet: EU-Kommissarin Malmström
hat am 4. Mai dieses Jahres ein Konzeptpapier mit Vor-
schlägen zur Reform von Investitionsschutz und Inves-
tor-Staat-Schiedsverfahren vorgelegt, das sich auf die
vier Bereiche bezieht, für die die EU-Kommission nach
Abschluss der Konsultation zu Investitionsschutz und
ISDS weiteren Diskussionsbedarf gesehen hat. Das Kon-
zeptpapier enthält noch keine konkreten Formulierungs-
vorschläge für Rechtstexte, sondern beschreibt mögliche
Ansätze für Reformen. Nach den ersten positiven Re-
aktionen von Abgeordneten aus dem Europäischen Par-
lament und den EU-Mitgliedstaaten will die Kommis-
sion bis zur Sommerpause konkrete Textvorschläge
vorlegen. Bis dahin werden die Mitgliedstaaten mit der
Kommission weitere Gespräche führen, um die Vor-
schläge zu konkretisieren.
Das Gutachten von Professor Krajewski greift dage-
gen die Vorschläge des sogenannten Madrid-Papieres
von Bundesminister Sigmar Gabriel und seinen Amts-
kollegen aus Frankreich, den Niederlanden, Dänemark,
Schweden und Luxemburg zur Reform von Investitions-
schutz und ISDS in den vier von der Kommission im
Rahmen der Konsultation identifizierten Bereichen auf.
Professor Krajewski hat auf dieser Grundlage einen kon-
kreten Rechtstext ausformuliert. Das Gutachten von Pro-
fessor Krajewski ist insoweit deutlich detaillierter als das
Papier der Kommission.
Wegen des unterschiedlichen Charakters der Papiere
ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich, das
Konzeptpapier der Kommission und das Gutachten von
Professor Krajewski direkt miteinander zu vergleichen.
Erst nach Vorlage der konkreten Textvorschläge der
Kommission wird ein Vergleich zwischen der Position
der Kommission und dem Gutachten von Professor
Krajewski möglich sein.
Das Konzeptpapier von Kommissarin Malmström
enthält jedoch Vorschläge, die grundsätzlich in dieselbe
Richtung wie diejenigen des Gutachtens gehen. So
möchte die Kommission das Recht nationaler Parla-
mente, Gesetze zu erlassen, das Right to Regulate, in ei-
ner verbindlichen Vorschrift verankern. Auch möchte die
Kommission ebenso wie Professor Krajewski die
Schiedsrichter durch die Vertragsparteien vorauswählen
lassen und verbindliche Vorgaben für deren Qualifika-
tion im Abkommen vorsehen.
Die Kommission schlägt ebenso wie Krajewski vor,
einen festen Berufungsmechanismus einzurichten. Auch
beim Verhältnis nationaler Gerichtsverfahren zu ISDS
zieht die Kommission ähnlich wie Krajewski eine ver-
bindliche Entscheidung des Investors vor Klageerhe-
bung zwischen nationalem Rechtsschutz und Investiti-
onsschutz als einen von zwei möglichen Ansätzen in
Betracht.
Vielen Dank. – Vielleicht kann die Bundesregierung
zukünftig darauf achten, dass für die Beantwortung nur
zwei Minuten zur Verfügung stehen, wie wir es gemein-
sam vereinbart haben. – Die Kollegin Haßelmann hat
jetzt sicherlich noch eine Nachfrage.
Ja; vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekre-
tär, danke für die Antwort. Ich habe eine Nachfrage. Sie
hatten vorhin betont, dass die Bundesregierung in den
nächsten Wochen und Monaten in Brüssel weitere Ge-
spräche über die Frage der Schiedsgerichte führen wird.
Mich würde jetzt interessieren, welche Position Sie als
Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission vertre-
ten, wenn Sie mit Frau Malmström reden. Spricht sich
dann Sigmar Gabriel als Parteichef oder Privatperson ge-
gen private Schiedsgerichte aus, oder vertreten Sie die
bisherige gemeinsame Auffassung der Bundesregierung
– so wird uns das ja immer übermittelt –, sich für private
Schiedsgerichte auszusprechen? Mich würde interessie-
ren: Welche Haltung nehmen Sie dort ein? Mit welcher
Linie verhandeln Sie: Handelsgerichtshof etc. nach
Krajewski oder private Schiedsgerichte nach Merkel?
Die zweite Nachfrage – die kann ich vielleicht gleich
anschließen; dann ist das erledigt –: Wann werden Sie
innerhalb der Bundesregierung einen Beschluss im Ka-
binett fassen, um im Hinblick auf die Verhandlungen
endlich eine klare Haltung zum Thema Investitions-
schutz, private Schiedsgerichte und Daseinsvorsorge
einzunehmen?
Herr Staatssekretär, jetzt dürfen Sie beide Fragen
gleichzeitig beantworten. Sie haben damit für die Beant-
wortung zwei Minuten.
Ja, gern, Frau Präsidentin. Herzlichen Dank. – Bun-desminister Gabriel bzw. das Wirtschaftsministerium istja das entscheidende Ressort für die Fragen, die im Han-delsministerrat beraten werden. Im Handelsministerratist am 7. Mai dieses Jahres zum ersten Mal dieses Kon-zeptpapier beraten worden. Seitens des Vertreters derBundesregierung dort ist klargestellt worden, dass das indie richtige Richtung geht.Gleichwohl wissen wir, dass wir den Dialog mit denanderen Mitgliedstaaten als Partner hinsichtlich einer ge-meinsamen Position gegenüber der Kommission – vordem Hintergrund des Madrid-Papiers – weiterzuführenhaben. Wir hoffen, dass sich auch die Kommission – dasist ja der entscheidende Fakt – in diese Richtung bewe-gen möchte und bewegen wird. Wenn wir einen konkre-ten Textvorschlag haben, kann man darüber auch kon-kret sprechen. Dann werden wir ihn mit demvergleichen, was Krajewski vorgeschlagen hat, und wirhoffen, dass wir dann auch in der Diskussion mit derKommission die entsprechenden Klarstellungen hin-sichtlich der Fähigkeiten von Personen, die in solchenSchiedsgerichten sitzen, des Verfahrens für die formaleBerufung solcher Personen und des gesamten Prozede-res, das notwendigerweise dazugehört, fixieren können.Wichtiger Punkt ist, dass Europa in dieser Frage eineeinheitliche Position findet. Wir wollen alles dafür tun,
Metadaten/Kopzeile:
9996 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
Uwe Beckmeyer
(C)
(B)
dass das auch gelingt. Gott sei Dank haben wir diverseMitgliedstaaten, die sich in diesen Madrid-Prozess eben-falls eingebracht haben, auf unserer Seite. Ich denke, dasist schon einmal ein gutes Ergebnis.
Vielen Dank.
U
Den Kabinettsbeschluss kann ich zurzeit leider noch
nicht in irgendeiner Weise avisieren. Ich denke, er wird
wie üblich im Laufe dieses Prozesses kommen; aber ter-
minieren kann ich ihn zurzeit nicht.
Wunderbar. – Der Kollege Kekeritz hat noch eine
Nachfrage. Bitte schön.
Danke schön. – Es ist ja interessant, dass sich im Be-
reich des Schiedsgerichtsverfahrens bei TTIP sehr viel
tut. Dort bewegt sich offensichtlich etwas. Welche Rele-
vanz hat eigentlich diese Veränderung, wenn man davon
ausgehen kann, dass 80 Prozent sämtlicher amerikani-
schen Konzerne Niederlassungen in Kanada haben und
diese über das traditionelle Schiedsgerichtsverfahren in
Kanada klagen können?
U
Weil ich mit dieser Frage gerechnet habe
und sie ja auch auf der Hand liegt, kann ich Ihnen fol-
gende Antwort geben: Auch die Kommission denkt über
diese Frage nach. Die Kommission hat auch Gespräche
über mögliche Verbesserungen hinsichtlich dieses Kon-
textes mit Kanada aufgenommen. Zurzeit läuft die
Rechtsförmlichkeitsprüfung. Das ist eine Gelegenheit,
noch einmal mit Kanada in dieser Frage ins Gespräch zu
kommen. Bei substanziellen Änderungen werden wir se-
hen, wie sich die kanadische Seite verhält. Ich habe je-
denfalls Kenntnis davon, dass aus Kanada Signale ge-
kommen sind, dass man durchaus bereit ist, in dieser
Frage noch eine Nachbesserung zuzulassen, einfach
auch aus dem Interesse heraus, dass das Abkommen
Gültigkeit erlangt.
Danke schön.
Wir kommen zur Frage 14 der Abgeordneten Kotting-
Uhl:
Jeweils von wem sollen nach aktueller Planung die drei
hinsichtlich der Rückstellungen der Atomkraftwerke betrei-
benden Energiekonzerne für AKW-Rückbau und Atommül-
lentsorgung angekündigten Vorhaben Stresstest der Werthal-
tigkeit, Gewährleistung der Konzernhaftung auch bei
Konzernumstrukturierungen und Prüfung der Etablierung ei-
ner internen oder externen Fondslösung bearbeitet werden,
Bitte schön.
U
Auch diese Frage beantworte ich gerne. Bei der Frage
geht es um die Rückstellungen der Atomkraftwerke. Die
Antwort der Bundesregierung lautet wie folgt: Für die
Frage der Rückstellungen im Kernenergiebereich ist in-
nerhalb der Bundesregierung das Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie federführend zuständig. Die drei
von der Fragestellerin genannten Maßnahmen werden
daher federführend vom BMWi in Abstimmung mit dem
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit bearbeitet. Derzeit entwickelt das
BMWi ebenfalls in Abstimmung mit dem BMUB die
Eckpunkte dieser Maßnahmen und wird voraussichtlich
zeitnah einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer mit der
Untersuchung der Rückstellungen der Energieversor-
gungsunternehmen beauftragen. Die beiden anderen
Maßnahmen werden derzeit rechtlich vertieft geprüft.
Frau Kotting-Uhl.
Danke für die Gelegenheit zur Nachfrage. – Herr
Staatssekretär, wir alle lesen im Allgemeinen ja den
Spiegel. Sicherlich haben auch Sie die Meldung gelesen,
dass das Kanzleramt, dass Kanzleramtsminister
Altmaier jetzt ankündigt, dass bis zum Sommer über die
Frage, welche Lösung für die Rückstellungen gefunden
werden soll, entschieden werden soll. Ich sehe zwischen
den Auskünften, die Sie mir geben und die mir auch
Frau Zypries schon gegeben hat, wann denn nun die Ent-
scheidungsgrundlagen vorhanden sein sollen, und der
Ankündigung von Kanzleramtsminister Altmaier ein ge-
wisses Delta. Deswegen frage ich zum einen: Können
Sie die Meldung in der aktuellen Spiegel-Ausgabe, dass
das Kanzleramt noch vor der Sommerpause entscheiden
will, bestätigen? Zum anderen: Ist das BMWi als das zu-
ständige Fachressort in der Lage, bis dahin die Entschei-
dungsgrundlagen zu haben, präsentieren zu können? Es
geht ja nicht nur um die Beauftragung, sondern der Auf-
trag muss dann auch ausgeführt sein.
Bitte schön.
U
Ich kann für die Bundesregierung hier nicht irgend-welche Texte aus dem Spiegel bestätigen; das sei dahin-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 9997
Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
(C)
(B)
gestellt. Das ist hier heute auch nicht meine Aufgabe. Ichkann für das Bundeswirtschaftsministerium an dieserStelle nur ausführen, dass wir vor dem Hintergrund derDiskussionen, die Sie mit Ihrer Frage berührt haben, dieRisiken der Rückstellungen der KKW-Betreiber einemStresstest unterziehen – das haben wir auch öffentlichgesagt –, um Klarheit darüber zu gewinnen, ob alle Auf-gaben und die damit voraussichtlich verbundenen Kos-ten in den gebildeten Rückstellungen vollständig enthal-ten sind. Das ist, denke ich, der erste notwendige undwichtige Schritt. Ein damit verbundenes Ziel ist auch,die Transparenz für die allgemeine Öffentlichkeit zu er-höhen.Als Ergebnis der Prüfung der Rückstellungen soll dar-gestellt werden, unter welchen Annahmen und beson-ders für welche Aufgaben und erwarteten Kosten Rück-stellungen in den Bilanzen gebildet sind. Ziel ist es, dieRückstellungen auf Vollständigkeit und Angemessenheitzu prüfen. Ein weiteres Ziel auch im Hinblick auf dieKostentragungspflichten der KKW-Betreiber bzw. derKonzerngesellschaften ist es, einen gewissen Einblick indas Vermögen der Unternehmen im Hinblick auf dieRückstellungszwecke zu gewinnen. Das ist, denke ich,die logische Konsequenz aus dem jetzigen Prozess. Die-sen Prozess müssen wir jetzt erst einmal vorantreiben,um diese Erkenntnisse zu erlangen.
Frau Kollegin.
Danke. – Zweite Nachfrage. Das ist völlig richtig. All
das, was Sie gesagt haben, sehe auch ich als richtig an.
Aber darum ging es in meiner Frage nicht. Sie müssen
den Spiegel nicht lesen oder Spiegel-Meldungen bestäti-
gen; aber ich erwarte von Ihnen schon, dass Sie inner-
halb der Bundesregierung auch über solche Fragen einen
gewissen Austausch pflegen. Wenn nun der Kanzler-
amtsminister ankündigt, dass bis zur Sommerpause eine
Entscheidung vorliegen soll, dann ist es mir ein bisschen
zu wenig, wenn Sie nur referieren, was der Inhalt der
Entscheidungsgrundlage sein soll. Denn das, mit Ver-
laub, weiß ich bereits.
Ich muss also noch einmal die gleiche Frage stellen:
Gibt es eine Abstimmung zwischen dem Kanzleramt und
dem Bundeswirtschaftsministerium? Wie sieht es mit
der Zeitspanne aus? Gibt es bis zum Sommer Entschei-
dungsgrundlagen, oder ist das wieder einmal einfach ein
Schuss ins Blaue, der seinen Weg in den Spiegel findet,
in dem dann zu lesen ist, dass bis zum Sommer entschie-
den werden muss, obwohl das überhaupt nicht zur De-
batte steht?
Herr Staatssekretär.
U
Liebe Kollegin, seien Sie gewiss, dass wir nicht trom-
meln, sondern dass wir Telefone haben und miteinander
kommunizieren
und dass auch zwischen dem Wirtschaftsministerium
und dem Kanzleramt ordentlich kommuniziert wird.
Ich habe Ihnen eben plausibel dargelegt – Sie haben
das bestätigt –, was notwendigerweise von allen, die da
aktiv sind, gewusst werden muss. Der Stresstest, den wir
durchführen, ist die Grundlage für alle Entscheidungen –
von wem auch immer sie getroffen werden. Am Ende
wird die Bundesregierung insgesamt eine Entscheidung
zu treffen haben. Das muss ordentlich vorbereitet werden.
Danke schön. – Der Kollege Krischer hat eine Nach-
frage. Bitte.
Herr Beckmeyer, mich würde interessieren – das war
auch die Frage der Kollegin Kotting-Uhl –, ob Sie es für
realistisch halten, dass Ihre Entscheidungsgrundlagen
bis zum Sommer vorliegen und dass das, was Peter
Altmaier im Spiegel ankündigt, dann auch angegangen
werden kann. Ist das eine realistische Perspektive, oder
schätzen Sie es so ein, dass das bis zum Sommer über-
haupt nicht zu leisten ist?
Herr Staatssekretär.
U
Ich bin nicht hierhergekommen, um in irgendeiner
Weise Terminsetzungen zu bestätigen.
Was wir leisten können, ist, dass der Stresstest jetzt or-
dentlich durchgeführt wird.
Ich möchte an dieser Stelle Folgendes sagen: Wenn
Sie sich das Atomgesetz anschauen, aus dem wir das
Recht, nachzufragen, ableiten, sehen Sie, dass wir kaum
Instrumente in der Hand haben, die Unternehmen zu
zwingen, alles offenzulegen. Wir sind daher auf Koope-
rationen mit den Unternehmen angewiesen. Wir setzen
darauf, dass wir diese Fragen durch gute Gespräche mit
den Unternehmen möglichst zügig und umfassend klären
können und auf diese Art und Weise ein ausreichendes
Bild davon bekommen, wo wir stehen und welche Maß-
nahmen wir ergreifen müssen, um das Ziel, das wir alle,
denke ich, gemeinschaftlich verfolgen, zu erreichen.
Da es keine weiteren Nachfragen gibt, kommen wirzur Frage 15 des Kollegen Oliver Krischer:Hält die Bundesregierung die Rückstellungen für Atom-kraftwerke für gesichert, vor dem Hintergrund der Aussagedes Vorstandsvorsitzenden der RWE AG, Peter Terium
, der angab, dass die
Rückstellungen für Atomkraftwerke erst noch verdient wer-den müssten?Herr Staatssekretär.
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9998 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
(C)
(B)
U
Auch Ihre Frage, Herr Krischer, beantworte ich gerne.
Es geht um die Aussagen von Herrn Terium hinsichtlich
der Rückstellungen für Atomkraftwerke. Das ist also ein
ähnliches Thema wie das, das wir eben gehabt haben.
Die Bundesregierung beantwortet die Frage wie folgt:
Das Recht der Rechnungslegung schreibt vor, dass
Rückstellungen mit nach vernünftiger kaufmännischer
Beurteilung notwendigem Erfüllungsbetrag anzusetzen
sind und unter Berücksichtigung des marktüblichen
Zinsniveaus abgezinst werden müssen. Dahinter steht
der wirtschaftliche Gedanke, dass die Vermögenswertan-
lagen der Unternehmen eine Rendite erwirtschaften, die
auch für die Erfüllung der den Rückstellungen zugrunde-
liegenden Verpflichtungen verwandt werden kann. Blei-
ben alle Kosten unverändert, ist also jährlich die Rück-
stellung aufzuzinsen und eine entsprechende Zuführung
zu bilanzieren. Insofern entspricht es handelsrechtlichen
Vorgaben, dass Erfüllungsbeträge von Rückstellungen
bis zum Fälligkeitszeitpunkt noch teilweise erwirtschaf-
tet werden müssen.
Im Übrigen sind die Kernkraftwerke betreibenden
Energieversorgungsunternehmen als Verursacher gesetz-
lich verpflichtet, sämtliche Stilllegungs- und Rückbau-
kosten der Kernkraftwerke sowie die Kosten zur Entsor-
gung radioaktiver Abfälle zu tragen. Sie sind angesichts
ihrer Verpflichtung, entsprechende Rückstellungen zu
bilden, auch für etwaige Kostenberechnungen und Kos-
tenschätzungen verantwortlich. Dabei muss gewährleis-
tet sein, dass die erforderlichen finanziellen Mittel im
Bedarfsfall in der notwendigen Höhe zur Verfügung ste-
hen.
Vielen Dank. – Es gibt eine Nachfrage. Bitte schön.
Herr Kollege Beckmeyer, ich glaube, heute haben wir
beide das Problem, dass Sie mir immer die Gesetzestexte
vorlesen.
U
Das ist doch kein Gesetzestext.
Es ist aber eine Erläuterung bzw. die Übersetzung des
Gesetzestexts. Mit der Antwort konterkarieren Sie völlig
das, was Sie eben der Kollegin Kotting-Uhl gesagt ha-
ben; denn Sie sagen nichts anderes, als dass alles gut ist
und man Peter Terium an dieser Stelle durchaus recht ge-
ben kann. Anders kann ich das nicht interpretieren; denn
er sagt uns, dass das Geld, das er als Rückstellung in
seine Bilanz eingestellt hat, faktisch nicht da ist.
Sie haben eben netterweise gesagt, Sie seien bei der
Frage der Rückstellungen auf die freundliche Koopera-
tion der Energieversorgungsunternehmen – so ungefähr
war Ihr Wortlaut – angewiesen. Deshalb würde mich an-
gesichts der Äußerung von Peter Terium, die ich nur so
interpretieren kann, dass das Geld nicht da ist und dass
die ernsthafte Situation eintreten kann, dass das Geld
nicht mehr realisierbar ist, interessieren – das ist meine
Frage –: Ist es nicht notwendig, dass wir schnell gesetzli-
che Grundlagen schaffen, damit Sie anders handeln kön-
nen?
Bitte schön.
U
Auf die letzte Frage antworte ich rundheraus Ja. Wir
müssen eine Basis schaffen, mit der wir sicherstellen,
dass die notwendigen Finanzen zur Verfügung stehen,
wenn der Fall eintritt, dass rückgebaut werden muss
und dass weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Das ist zweifelsohne völlig richtig. Da sind wir völlig
d’accord.
Was über das wirtschaftliche Agieren von RWE ge-
sagt wird, ist aber auch richtig. RWE hat das Geld natür-
lich nicht irgendwo auf einem Konto liegen, sondern das
Geld steckt in dem Unternehmen und das Unternehmen
wirtschaftet damit. Auf der Passiv- und Aktivseite in der
Bilanz gibt es unterschiedliche Bewertungsmöglichkei-
ten. Das ist eine Frage, die ebenfalls richtig ist. Sie wird
nur draußen falsch interpretiert, und zwar nach der Me-
lodie: Wir haben das Geld nicht, und deshalb müssen wir
das Geld erst einmal verdienen. – Nein, die haben Geld,
die müssen aber auch Geld verdienen, und zwar mit den
Anlagen, die sie besitzen. Das ist genau der Punkt, den
ich hier zum Ausdruck gebracht habe.
Vielen Dank. – Eine weitere Frage.
Herr Kollege Beckmeyer, ich habe das bisher immerso verstanden, dass das Geld für die Rückstellungen fürden Rückbau und die Endlagerung schon in der Vergan-genheit durch die Atomkraft selber verdient worden istund dass über die subventionierte Produktionsform amEnde das Geld bei den Konzernen gelandet und für dieRückstellungen verwendet worden ist. Herrn Teriumverstehe ich aber so, dass genau das nicht passiert ist,sondern dass keine Rückstellungen aus dieser Energieer-zeugungsform erwirtschaftet worden sind. Deshalb sagter in einem weiteren Schritt: Wir brauchen unsere altenKohlekraftwerke, um damit das Geld für die Atomrück-stellungen und andere Verbindlichkeiten des Konzernszu verdienen.Deshalb meine Frage an Sie: Ist es aus Ihrer Sicht einErwägungsgrund für die Bundesregierung, dass dieEnergiekonzerne, zum Beispiel RWE, um Atomrückstel-lungen bedienen zu können, Kohlekraftwerke länger, alsdas vielleicht einmal mit Klimaschutzabgaben oder an-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 9999
Oliver Krischer
(C)
(B)
deren Maßnahmen von der Bundesregierung vorgesehenwar, weiter betreiben können?
Herr Staatssekretär.
U
Herr Krischer, noch einmal: Wenn Sie der Meinung
sind, dass das Geld thesauriert ist, dann sind Sie naiv.
Thesauriert worden ist das nicht, sondern es ist im han-
delsrechtlichen System der Passivierung von Rückstel-
lungen insgesamt im Unternehmen. Das Unternehmen
haftet mit dem vollständigen Vermögen für die durch die
Rückstellungen abgebildeten Verbindlichkeiten.
Die haben aber 30 Milliarden Euro Schulden. Womit
will das Unternehmen haften?
U
Wenn das Unternehmen Außenstände hat, heißt das
nicht, dass es überschuldet ist. Wenn dem so wäre, müss-
ten Sie hier feststellen, dass das Unternehmen überschul-
det ist. Das möchte ich im Bundestag nicht tun, weil das
nicht zutreffend ist. Insofern seien Sie vorsichtig mit sol-
chen Äußerungen hinsichtlich der Kondition von großen
Unternehmen in Deutschland.
Ich sage an dieser Stelle nur: Eine Zuordnung konkre-
ter Vermögenswerte zu den einzelnen Verbindlichkeiten
bzw. Rückstellungsposten findet im Handelsrecht nicht
statt. Insofern muss man diese öffentliche Aussage von
Herrn Terium auch so aufnehmen. Er verhält sich im
handelsrechtlichen Rahmen völlig korrekt. Dass das
draußen anders aufgenommen wird, liegt immer an der
Interpretation des jeweils anderen, der das möglicher-
weise missverstehen möchte.
Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Kotting-Uhl
eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich jetzt einige Ihrer Aussa-
gen zitiere, dann werden Sie vielleicht mit mir zusam-
men Widersprüche darin finden. Sie sagten zum einen:
Die Betreiber sind verpflichtet. – Das wissen wir ja auch.
Dann sagten Sie: Es muss gewährleistet sein, dass die
Mittel zur Verfügung stehen. – Außerdem sagten Sie:
Wir müssen eine Basis schaffen, die sicherstellt, dass das
Nötige vorhanden ist. – Zum Schluss sagten Sie noch in
einer Antwort auf eine Frage von Herrn Krischer: Die
haben Geld.
Wenn ich das alles jetzt zusammenfüge, dann kann
ich daraus eigentlich nur schließen, dass Sie ganz genau
wissen, dass diese Äußerungen von Herrn Terium ein
Erpressungsversuch sind, für die es eigentlich keine
Grundlage gibt; denn die Unternehmen sind verpflichtet,
Rückstellungen zu bilden. Sie haben Geld; denn sie ha-
ben Geld verdient. Es kann also nur ein Erpressungsver-
such sein, um das Wirtschaftsministerium zu zwingen,
von der geplanten Klimaschutzabgabe abzurücken, zu-
mindest so weit, dass es Herrn Terium wieder passt. Sie
müssten doch mit mir einig sein, wenn ich behaupte,
dass man diesen Erpressungsversuch eigentlich mit Em-
pörung zurückweisen müsste. Sind Sie da nicht meiner
Meinung?
Herr Staatssekretär.
U
Erstens. Ihre Behauptung, ich hätte etwas gesagt, was
sich widerspricht, weise ich zurück; das stimmt nämlich
nicht. Zweitens. Ich sehe das nicht als einen Erpres-
sungsversuch, auch wenn Sie es als einen solchen verste-
hen.
Sie haben in diesem Bereich viel Erfahrung, da Sie im
politischen Raum schon lange tätig sind. Womit haben
wir es zurzeit zu tun? Wir haben eine entsprechende
steuerliche Berichterstattung, die in den Finanzbehörden
vertraulich behandelt wird und die uns für die Beurtei-
lung nicht zur Verfügung steht. Was wir zusätzlich ha-
ben, ist das, was solche Gesellschaften veröffentlichen,
nämlich ihre Bilanzen, und in diese Bilanzen wollen wir
jetzt hineinschauen. Wir wollen herausfinden, in welcher
Werthaltigkeit das, was vorhanden ist, existiert. Das be-
deutet, dass wir uns gemeinsam mit den Unternehmen
diesem Stresstest nähern. Damit bekommen wir im
Grunde eine gute, solide Basis von Kenntnissen über die
Werthaltigkeit der verschiedenen Bereiche des Unter-
nehmens.
Ich will nicht ausschließen, verehrte Kollegin, dass
bezogen auf Marktsituationen Risiken da sind; das ist
zweifelsohne so. Es wäre politisch töricht, das auszu-
schließen. Aber diese Risiken muss man ebenfalls beur-
teilen, und im Stresstest werden wir das Entsprechende
feststellen.
Jetzt hat die Kollegin Steffi Lemke das Wort.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für Ihre bisherigenAntworten. Ich finde diese Antworten durchaus auf-schlussreich. Wenn wir schon einmal dabei sind, dannmöchte ich Ihnen natürlich auch bestätigen, dass Sienicht naiv sind. Deshalb gehe ich fest davon aus, dassSie nicht glauben, dass Herr Terium diese Aussage pres-seöffentlich getroffen hat, um der Bundesregierung oderder Öffentlichkeit anzukündigen, dass sein Unternehmengerade ganz vehement dabei ist, die Rückstellungen ge-setzeskonform vorzunehmen. Das kann nicht Sinn undZweck dieser Aussage gewesen sein; vielmehr muss hin-ter dieser Aussage eine andere Absicht stecken.
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10000 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
Steffi Lemke
(C)
(B)
Die Interpretation, dass es ein Erpressungsversuch ist,haben Sie gerade zurückgewiesen. Sie haben aber ebenbestätigt, dass in Abhängigkeit von Marktsituationen na-türlich Risiken vorhanden sind. Eine Absicht kann alsogewesen sein, anzukündigen, dass RWE nicht in derLage sein könnte, die Bereitstellung dieser Rückstellun-gen vollständig zu gewährleisten. Sie haben auch ausge-führt: Dann müssen wir – Sie benutzten das Wort „wir“ –Maßnahmen ergreifen, dass die Verpflichtung, Rückstel-lungen bereitzustellen, nichtsdestotrotz erfüllbar ist. –Welche Maßnahmen plant denn die Bundesregierung fürden Fall, dass die von Ihnen hier eben in den Raum ge-stellten Marktrisiken dazu führen, dass RWE die Rück-stellungen nicht bedient?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
U
Ich möchte mich nicht selbst interpretieren.
Die Bundesregierung versucht, nach besten Wissen und
Gewissen vorzugehen.
– Ja, genau.
Bitte keine Zwiegespräche.
U
Ich habe eben ausgeführt, dass wir einen Stresstest
machen, um Klarheit darüber zu gewinnen, wie es in den
Unternehmen aussieht. Da kooperieren wir mit Unter-
nehmen, und die Unternehmen kooperieren auch mit
uns. Das ist auch schon angekündigt, und das ist erst ein-
mal positiv und wichtig. Wenn wir diesen Stresstest ab-
geschlossen haben, dann werden wir über Maßnahmen
nachdenken müssen und gegebenenfalls auch Maßnah-
men ergreifen müssen. Aber jetzt schon vor dem Stress-
test über Maßnahmen zu reden, wäre, glaube ich, falsch.
Insofern: Eins nach dem anderen; das ist klug, das ist
richtige Politik und angemessen.
Danke schön. – Die Frage 16 des Kollegen Krischer
ist zurückgezogen.
Wir kommen zur Frage 17 der Kollegin Dr. Julia
Verlinden:
Mit welchen konkreten Maßnahmen über die bereits im
minister Sigmar Gabriel in seinem Schreiben vom 5. Mai
2015 an die Mitglieder der SPD-Fraktion angekündigt, ineffi-
zienten Ölheizungen „zu Leibe rücken“, und ab welchem Jahr
plant die Bundesregierung, den Einbau von Ölheizungen in
Neu- und Altbauten generell zu beenden?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Beckmeyer.
U
Auch diese Frage beantworte ich gern. – Die Bundes-
regierung wird den Austausch besonders ineffizienter
Heizungsanlagen durch besonders effiziente Anlagen in
Form einer verstärkten Zuschussförderung anreizen. Die
konkreten Förderbedingungen werden derzeit spezifi-
ziert. Zusammen mit den im Nationalen Aktionsplan
Energieeffizienz genannten Maßnahmen wie Heizungs-
check, Label für Heizungskessel, Fortentwicklung des
Marktanreizprogramms für erneuerbare Energien schaf-
fen wir damit ein Maßnahmenbündel, das alten Heizun-
gen zu Leibe rückt. Pläne zur Beendigung des Einbaus
von Ölheizungen in Neu- und Altbauten liegen nicht vor.
Bitte schön.
Sie haben gesagt, dass Sie im Wirtschaftsministerium
verschiedene Maßnahmen planen, um den Ölheizungen
zu Leibe zu rücken, wie es in dem Schreiben von Herrn
Gabriel so schön heißt. Aber dann schlagen Sie nur vor
– ein Beispiel –, bunte Aufkleber auf Bestandsheizungen
aufzukleben, oder verweisen auf Projekte und Pro-
gramme, die es bereits gibt oder die schon im Nationalen
Aktionsplan Energieeffizienz genannt werden. Was ist
jetzt das Neue an diesen Maßnahmen? Vor allen Dingen
– das interessiert mich noch viel mehr –: Was soll den
durchschlagenden Effekt bei der Heizungserneuerung
bringen? Sie brauchen ja ein Programm, mit dem der
Wegfall des sogenannten Steuerbonus kompensiert wird.
Herr Staatssekretär.
U
Das sind auch zwei Fragen. Ich versuche, sie zu be-
antworten.
Aber trotzdem nur eine Minute.
U
Ich korrigiere Ihre Aussage. Wir rücken alten, ineffi-zienten Heizungen zu Leibe. Es kann auch Ölheizungengeben, die – ich will das nicht ausschließen – effizientsind. Ich möchte hier nichts Falsches im Raum stehenlassen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 10001
Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
(C)
(B)
Was wir tun müssen, ist – das ist richtig –, bei der be-stehenden KfW-Förderung und dem Marktanreizpro-gramm ein Thema noch zu besetzen; das werden wirauch tun. Wir werden neben der Ergänzung der Zu-schuss- und Kreditförderung natürlich auch einige wei-tere Elemente berücksichtigen, die bisher noch nicht soim Fokus standen, wie wir uns das aktuell gewünschthätten. Das kann die Brennstoffzelle sein, im Kleinenoder im Großen. Ich sage es an dieser Stelle mit der ge-botenen Vorsicht. Darüber müssen wir uns noch ein biss-chen konkreter mit den Fachleuten auseinandersetzen,sodass es richtig funktioniert. Wir sind momentan dabei;die Fachleute unterhalten sich sehr intensiv darüber. Ichglaube, dass wir im Bereich der Energieeffizienz amEnde gemeinsam noch deutlich besser werden.
Danke.
U
Ich habe noch einen Satz hinzuzufügen. – Ich habe
gerade in dieser Woche das Thema Nichtwohngebäude-
förderung ganz prominent hier in Berlin vorgestellt.
Auch da werden wir, gerade was Energieeffizienz an-
geht, noch richtig Gas geben und im Rahmen guter Pro-
gramme und guter Beratung, auch aus den Verbänden
heraus, konkrete Inhalte präsentieren.
Vielen Dank.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass dort
oben ein Licht leuchtet, für jeden sichtbar. „Grün“ heißt:
Man ist im Zeitrahmen. „Gelb“ heißt: Achtung, komme
zum Schluss! „Rot“ heißt: Die Zeit ist absolut über-
schritten. – Wenn alle immer so lange reden, bis es rot
leuchtet, dann werden wir heute nicht mehr fertig, und
viele bekommen ihre Frage nicht beantwortet. Bitte den-
ken Sie alle an die Zeit!
Die Kollegin Verlinden hat jetzt noch einmal das Wort
und die Gelegenheit, eine Nachfrage zu stellen.
Vielen Dank. – Herr Beckmeyer, Sie haben mich
heute im Wirtschaftsausschuss explizit aufgefordert,
Herrn Gabriel irgendwann einmal zu loben. So weit
würde ich nicht gehen. Aber ich finde es immerhin inte-
ressant, dass er in seinem Brief schreibt, dass Öl die am
stärksten begrenzte Brennstoffressource ist und dass Sie
daher diesen ineffizienten Heizungen mit einem Maß-
nahmenbündel zu Leibe rücken wollen; das ist durchaus
diskussionswürdig.
Aber Sie haben mir meine eigentliche Frage nicht be-
antwortet; denn Sie haben nicht erklärt, wie sich die
40 Petajoule, die Sie nun nicht einsparen werden, weil
der Steuerbonus nicht umgesetzt werden kann, im Rah-
men der neuen Programme, die Sie angeblich noch in
der Pipeline haben, einsparen lassen. Wenn Sie den Öl-
heizungen wirklich zu Leibe rücken wollen, dann sollten
Sie einmal nach Dänemark schauen. Dort gibt es ent-
sprechende Programme, um voranzukommen, und zwar
mit etwas größeren Schritten als in Deutschland.
Herr Staatssekretär Beckmeyer.
U
Liebe Kollegin, es gibt vier konkrete Förderfelder:
erstens forcierte Markteinführung der hocheffizienten
Heizungstechnik Brennstoffzelle durch Investitions-
zuschüsse, zweitens besondere Zuschussförderung für
hocheffiziente Heizungen mit einem unterlegten Maß-
nahmenbündel, drittens Sonderzuschussförderung für
die Kombination aus wohnwertsteigernden Maßnahmen
und viertens Begleitung der genannten Maßnahmen
durch Qualitäts-, Beratungs- und Bildungsoffensiven.
Wenn das kein ordentliches Programm ist, dann weiß ich
es auch nicht.
Vielen Dank. – Der Kollege Krischer hat noch eine
Nachfrage.
Herr Beckmeyer, dass Herr Gabriel den Heizungen zu
Leibe rückt, habe ich mir gerade bildlich vorgestellt.
Aber danach möchte ich nicht fragen. Sie haben eine in-
teressante Unterscheidung vorgenommen. Sie haben ge-
sagt: Es gibt alte, ineffiziente Ölheizungen, denen man
zu Leibe rücken will, und andere, denen man nicht zu
Leibe rücken will. Mich interessiert, wie Sie das genau
unterscheiden. Was ist nach den Vorstellungen des Bun-
deswirtschaftsministeriums eine alte, ineffiziente Ölhei-
zung, und was ist eine neue, effiziente Ölheizung?
Bitte schön.
U
Ich habe bewusst gesagt, dass es nicht nur um Ölhei-
zungen geht, sondern um alte Heizungsanlagen. Das
können auch Gasheizungen sein, die mit einer Technolo-
gie ausgestattet sind, die von vorgestern ist.
Meine Fachabteilung wird sich mit den technischen De-
tails befassen, und ich werde Ihnen dann berichten. Ich
bitte daher um schriftliche Beantwortung.
Vielen Dank. – Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Par-lamentarischer Staatssekretär, für die geduldige Beant-wortung der Fragen.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswär-tigen Amtes. Für die Beantwortung steht die Staats-ministerin Professor Dr. Maria Böhmer zur Verfügung.
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10002 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Ich rufe als Erstes die Frage 18 der AbgeordnetenDr. Franziska Brantner auf:Was hat die Bundesregierung bewogen, ungeachtet derAnnullierung des ägyptischen Wahlgesetzes durch das Verfas-
schen Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi an vor einem Deutsch-landbesuch abzuhaltende Parlamentswahlen fallen zu lassen,und über welche Informationen verfügt sie, wann diese Wah-len stattfinden sollen?Bitte schön.D
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Brantner, die Bun-
deskanzlerin Dr. Angela Merkel hatte den ägyptischen
Präsidenten el-Sisi bereits im September 2014 zu einem
Besuch nach den Parlamentswahlen in Ägypten eingela-
den. Die zuletzt für März/April 2015 geplanten Wahlen
wurden inzwischen aufgrund eines Urteils des obersten
Verfassungsgerichts verschoben. Ein neues Datum
wurde noch nicht festgelegt. Aufgrund diverser Krisen-
herde und der prekären Lage in der Region hält es die
Bundesregierung für wichtig, das Gespräch nicht länger
zu verschieben.
Frau Kollegin Brantner.
Danke, Frau Präsidentin. – Es gibt aufgrund des aus-
gesprochenen Todesurteils gegen den ehemaligen Präsi-
denten Mursi eine neue Situation. Herr Lammert hat des-
wegen Gespräche abgesagt. Meine Frage an Sie lautet:
Am 2. Juni wird in Ägypten darüber entschieden, ob das
Todesurteil bestätigt wird oder nicht. Wenn am 2. Juni
das Todesurteil bestätigt wird: Halten Sie trotzdem an
der Einladung fest?
D
Frau Kollegin Brantner, es ist zunächst angezeigt,
dies abzuwarten. Aber ich möchte Ihnen zwei Dinge sa-
gen:
Wie Sie wissen, ist das eine ausgesprochen schwie-
rige Entscheidung. Ich war mit Sicherheit genauso be-
stürzt wie Sie, als ich von den Todesurteilen in der ver-
gangenen Woche erfahren habe. Sie betreffen nicht nur
Mursi, sondern weit mehr Menschen. Das ist etwas, was
uns zutiefst erschüttert, was aber auch immer wieder un-
seren Protest und Widerstand gegen Todesurteile hervor-
ruft.
Sie wissen aber auch, wie sich die Bundesregierung
für Menschenrechte in Ägypten einsetzt. Ein solcher Be-
such gibt natürlich die Chance, gerade über diese kriti-
schen Punkte zu sprechen. Ich habe vorhin über den
ägyptischen Botschafter erfahren, dass der ägyptische
Präsident die Bitte bzw. das Interesse geäußert hat, mit
Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu sprechen. Es
ist jetzt an Ihnen, zu entscheiden, ob Sie unmittelbar das
Gespräch mit ihm suchen wollen.
Frau Kollegin Brantner.
Ich habe noch eine Rückfrage. Mich würde interessie-
ren, was aus Ihrer Sicht noch passieren müsste, damit ein
solcher Besuch nicht stattfindet. Es gibt keine Wahlen,
obwohl diese angesetzt waren. Es gibt massenhaft Ver-
haftungen und Todesurteile, und es gibt mittlerweile eine
politische Justiz. Es gibt immer noch keine Regelung für
die Konrad-Adenauer-Stiftung. Es geht nicht nur gegen
die Muslimbrüder, sondern gegen große Teile der Men-
schenrechtsorganisationen. Was müsste aus Ihrer Sicht
menschenrechtspolitisch noch geschehen, damit man
Herrn el-Sisi nicht den roten Teppich ausrollt und ihn
willkommen heißt?
D
Ich glaube, es geht nicht darum, den roten Teppich
auszurollen. Das will niemand von uns. Es geht darum,
das Gespräch zu führen, gerade angesichts einer außer-
ordentlich schwierigen Situation in der Region.
Der Bundesaußenminister war anfangs persönlich
dort und hat keine Möglichkeit ausgelassen, mit Vertre-
tern der Zivilgesellschaft zu sprechen. Natürlich werden
uns all diese Punkte, die Sie eben genannt haben, eben-
falls umtreiben, wenn der Präsident nach Deutschland
kommt. Ich kann Ihnen nur anheimstellen, ebenfalls das
unmittelbare Gespräch zu suchen. Aber das ist eine Ent-
scheidung, die jeder und jede Abgeordnete für sich zu
treffen hat.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 19 der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner:
Teilt die Bundesregierung die von Präsident Abdel Fattah
el-Sisi mehrfach vorgetragene Sorge hinsichtlich einer Desta-
bilisierung seines Landes durch innere und äußere Kräfte so-
wie die Einschätzung des Fraktionsvorsitzenden der CDU/
CSU, Volker Kauder, wonach Ägypten als regionaler Stabili-
Ich bitte Sie um Beantwortung, Frau Staatssekretärin.
D
Gerne, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin, die Regionrund um Ägypten ist von Krisen geschüttelt, die sich di-rekt auf das Land auswirken. So ermöglicht zum Bei-spiel die instabile Lage in Libyen Waffenschmuggelüber die Grenze nach Ägypten zu extremistischen Grup-pen, die weiterhin regelmäßig Terroranschläge durchfüh-ren, insbesondere im Norden des Sinai, aber auch aufdem Festland.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 10003
Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
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Ägypten bleibt ein wichtiger und unverzichtbarerPartner bei der Lösung der Konflikte in der Region, seies in Libyen, im Gazastreifen oder im Jemen. Das heißtnicht, dass wir mit dem innenpolitischen Vorgehen derägyptischen Regierung einverstanden sind. Wir befürch-ten vielmehr, dass das repressive Vorgehen gegen dieOpposition und die Zivilgesellschaft und insbesonderedie Ausgrenzung der gewaltfreien Teile der Muslimbrü-der die Spaltung der ägyptischen Gesellschaft vertieft.Aus unserer Sicht sind die Wahrung der Menschen-rechte und eine freie und unabhängige ZivilgesellschaftVoraussetzung für die langfristige Stabilität und Ent-wicklung des Landes. Die Bundesregierung bringt in al-len Gesprächen mit Ägypten ihre Sorge über die Lageder Menschenrechte sowie der Zivilgesellschaft zumAusdruck.
Danke schön. – Frau Kollegin Brantner.
Ich fahre übrigens in der nächsten Woche nach Ägyp-
ten. Ich bin regelmäßig dort, um einen Meinungsaus-
tausch zu führen.
Sie sagten gerade, es gehe um den Dialog und es sei
eine schwierige Situation. Darin würde ich Ihnen zu-
stimmen, aber die Frage ist trotzdem, ob die Einladung
an Herrn el-Sisi von ihm nicht auch als ein Symbol ver-
standen und dementsprechend genutzt wird; denn er ver-
kauft in Ägypten seinen Besuch als Zeichen der Unter-
stützung Deutschlands für seinen Kurs, und das ist
natürlich mehr, als wenn man jemanden einlädt und in
einen Dialog mit ihm – Frau Merkel und Herr Gauck
werden ihn treffen – eintritt.
Dieser Besuch wird in Ägypten ganz stark als eine
Unterstützung für el-Sisis Kurs wahrgenommen. Wollen
Sie sich nicht lieber der Verantwortung stellen und diese
Einladung nicht aufrechterhalten?
Bitte schön.
D
Frau Kollegin Brantner, ich sehe, Sie stellen sich auch
der Verantwortung, indem Sie unmittelbar nach Ägypten
reisen. Wahrscheinlich wird das dort genauso registriert;
denn wenn eine Abgeordnete des Deutschen Bundesta-
ges reist, dann ist das natürlich auch ein Signal. Ich
nehme an, dass Sie dort die kritischen Fragen genauso
ansprechen, wie es der Bundesaußenminister und die
Bundeskanzlerin – ich bin mir sicher, auch der Bundes-
präsident – im Gespräch mit dem ägyptischen Präsiden-
ten tun werden.
Ich kann nur noch einmal betonen: Auch bei seiner
letzten Reise hat Bundesaußenminister Steinmeier ganz
gezielt Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft
geführt. Bei Fragen wie der nach den Menschenrechten
genauso wie der nach der Verhängung von Todesurteilen
ist es so, wie ich es eben gesagt habe: Wir haben in die-
sem Zusammenhang erhebliche Zweifel an der Rechts-
staatlichkeit. Keiner wird diesen Themen ausweichen,
sondern wir werden damit sehr offensiv umgehen.
Danke schön.
In meiner Frage beziehe ich mich auf die Formulie-
rung von Ägypten als „Stabilitätsanker“ in der Region.
Wir haben in den letzten Tagen und Wochen mit Blick
auf die Flüchtlingskatastrophe und -tragödien auch viel
über Libyen gesprochen. Dabei wird Ägypten leider
nicht als „Stabilitätsanker“ wahrgenommen, sondern
eher als destabilisierender Faktor. Das Land treibt die
Spaltung des Landes voran. Es tritt zwar offiziell für den
Dialog ein, liefert aber andererseits an eine Seite Waffen
und ist selber militärisch aktiv.
Die Frage ist doch: Ist Ägypten nicht eher ein destabi-
lisierender Faktor in der Region, der eben nicht als „Sta-
bilitätsanker“ bezeichnet werden sollte? Mich würde in-
teressieren, ob das Auswärtige Amt es so sieht wie Herr
Kauder, der davon spricht, dass Ägypten ein Stabilitäts-
anker in der Region ist.
Frau Staatsministerin.
D
Wir haben wiederholt gesagt: Wir müssen beides tun.
Wir müssen die Gespräche über die kritischen Punkte
führen; denn nur das wird auch zu Veränderungen füh-
ren. Das wird übrigens auch von vielen wahrgenommen,
die in Ägypten aufgestanden sind und deren Zahl inzwi-
schen zu einer kleinen Gruppe herangewachsen ist. Man
kann aber auf der anderen Seite nicht bestreiten, dass
Ägypten für uns ein zentraler politischer Partner ist.
Die Lage in der Region – das wissen wir alle – ist
mehr als instabil und außerordentlich kritisch. Ich denke
da etwa an Libyen; wir werden gleich über die Flücht-
lingsfrage sprechen. Man muss hier alles tun, um die
Verhältnisse ein wenig nach vorne zu bringen. Das ist
ungemein schwierig. Aber das Auswärtige Amt und die
Bundesregierung setzen sich mit aller Kraft dafür ein.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Uwe Kekeritzauf:Welche Bemühungen unternimmt die ägyptische Führungnach Erkenntnissen der Bundesregierung derzeit, um einenProzess der nationalen Versöhnung einzuleiten, der insbeson-dere die verfolgten und inhaftierten, aber auch die nichtradi-kalisierten Anhänger der Muslimbruderschaft einbezieht?Frau Staatsministerin.
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D
Gerne, Frau Präsidentin. – Herr Kekeritz, die Frage 20
darf ich wie folgt beantworten: In der am 3. Juli 2013
veröffentlichten Roadmap hatte sich die ägyptische Re-
gierung dazu verpflichtet, staatliche Institutionen zu
schaffen, die die nationale Aussöhnung vorantreiben sol-
len. Dies ist bislang nicht geschehen. Die ägyptische Re-
gierung verweist als Begründung auf die terroristische
Bedrohung im Land und in der Region. Insbesondere
Anhänger der Muslimbrüderschaft werden verfolgt und
von einer Beteiligung am politischen Prozess ausge-
schlossen. Weit darüber hinaus sind auch viele andere
politische Gruppierungen von Verfolgung betroffen.
Danke schön. – Herr Kekeritz, bitte.
In diesem Zusammenhang eine Nachfrage. Nach wie
vor besteht die ägyptische Regierung darauf, dass sämt-
liche zivilgesellschaftliche Projekte, die mit Geldern aus
Deutschland gefördert werden, einzeln genehmigt wer-
den. Wie hängt das mit der Terrorismusbedrohung in
Ägypten zusammen? Wie schätzen Sie das ein?
D
Wir sehen das als sehr bedenklich an; denn die Pro-
jekte leider unter diesen Repressalien. Wir haben des-
halb die Projekte auslaufen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage?
Nein.
Dann rufe ich die Frage 21 des Abgeordneten
Kekeritz auf:
Inwieweit sieht die Bundesregierung im repressiven Vorge-
hen der ägyptischen Regierung gegen die islamistisch orientierte
Opposition einen sinnvollen Beitrag zu den „gemeinsame(n)
sache, dass sie innerhalb Ägyptens zu einer Welle der Gewalt,
der Sinai-Halbinsel (vergleiche etwa www.bbc.com/news/
world-middle-east-32277286) geführt hat?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
D
Auf die Frage 21 darf ich Ihnen wie folgt antworten:
Die Bundesregierung spricht in ihren Kontakten mit der
ägyptischen Regierung stets an, dass die Wahrung und
der Schutz von Menschenrechten und Rechtsstaatlich-
keit wichtige Voraussetzungen für einen erfolgreichen
Übergang und politische Stabilisierung sind.
Auch in sicherheitspolitisch schwierigen Zeiten muss
zwischen Terror und gewaltfreier innenpolitischer Oppo-
sition unterschieden werden. Nur durch einen inklusiven
politischen Prozess, der alle Teile der Gesellschaft ein-
bezieht, kann eine langfristige Stabilisierung des Landes
und der Region erreicht werden. Mit Blick auf die Situa-
tion auf dem Sinai ist die Bundesregierung überzeugt,
dass militärische Maßnahmen nicht das alleinige Mittel
der Terrorbekämpfung sein dürfen.
Herr Kollege.
Frau Staatsministerin, ich hätte von Ihnen gerne ir-
gendetwas Positives zu Ägypten gehört. In diesem Zu-
sammenhang frage ich mich dann doch: Wie kommen
Sie dazu, den ägyptischen Präsidenten einzuladen? Sie
haben gerade darauf hingewiesen, dass man mit solchen
Menschen reden muss, um den Kontakt nicht zu verlie-
ren. Aber dafür gibt es doch auch die diplomatische
Ebene. Das muss nicht gerade ein Staatsbesuch sein.
Zu Ihrem Hinweis, dass auch die Kollegin Brantner
ihre Verantwortung wahrnimmt: Es ist doch etwas ganz
anderes, ob die Bundeskanzlerin, die mächtigste Frau
der Erde, diesen Präsidenten empfängt oder ob eine Ab-
geordnete von Bündnis 90/Die Grünen nach Ägypten
fährt. Sie wissen, wie das in den Medien aufgegriffen
wird. Sicherlich kann Frau Brantner in Ägypten in den
Zeitungen erscheinen. Aber der Besuch des Präsidenten
bei uns wird in der gesamten Region, in der ganzen Welt
publiziert. Das ist somit eine enorme Public-Relations-
Kampagne für den Präsidenten.
Frau Staatsministerin, bitte.
D
Herr Kekeritz, ich darf richtigstellen: Es handelt sich
hier nicht um einen Staatsbesuch, sondern um einen Ar-
beitsbesuch. Nachdem Sie das Wort der Bundeskanzlerin
so deutlich in den Blick gerückt haben – ich glaube, da
stimmen wir jetzt mal sehr überein –, will ich betonen:
Es ist wichtig, dass aus den Worten, die die Bundeskanz-
lerin finden wird, deutlich wird, wie wichtig die Achtung
der Menschenrechte ist, wie wichtig die Einbeziehung
der Zivilgesellschaft ist und dass es darum geht, den Pro-
zess nach vorne zu bringen, und dass es keinen Stillstand
geben darf.
Danke schön. – Dann rufe ich Frage 22 der Abgeord-neten Katja Keul auf:Welche Projekte im Rahmen der internationalen rechtli-chen Zusammenarbeit führt die Bundesregierung seit derWahl des Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi mit Ägypten durch,und wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der insge-
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Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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samt seit dem Jahr 2011 mit Ägypten durchgeführten Projektein diesem Bereich vor dem Hintergrund der gegenwärtigen
Bitte schön, Frau Staatsministerin.D
Die Antwort zu Frage 22, Frau Keul: Die Bundesre-
gierung hat im Rahmen ihrer internationalen rechtlichen
Zusammenarbeit seit dem Amtsantritt von Präsident el-
Sisi am 8. Juni 2014 nur ein Projekt in Ägypten finan-
ziert; ich darf es nennen: ein Projekt der IRZ, Deutsche
Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit,
und zwar vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember
2014 mit Veranstaltungen zu Verfassungsrecht, Men-
schenrechten, Zivil- und Wirtschaftsrecht, Strafrecht und
Strafverfahrensrecht. Aufgrund politischer Restriktionen
seitens der ägyptischen Regierung wurde im Dezember
2014 beschlossen, dass die Projektarbeit des IRZ im Jahr
2015 nicht mehr fortgesetzt werden kann. Die seit 2011
insgesamt drei jeweils einjährigen Folgeprojekte der IRZ
im Bereich der rechtlichen Zusammenarbeit zielten auf
die Vermittlung richterlicher Unabhängigkeit, menschen-
rechtlicher Standards und effizienter Organisationsstruk-
turen. Zielgruppe waren Richter, Anwälte und Mitarbei-
ter des Justizministeriums. Die geförderten Projekte
dienten der Schulung und Vernetzung innerhalb der Ziel-
gruppe. Die Bundesregierung hält grundsätzlich Fort-
schritte im Bereich der Rechtsstaatlichkeit für prioritär.
Dazu zählt auch die Aufarbeitung von Vorfällen staatli-
cher bzw. polizeilicher Gewalt, wie zum Beispiel des ge-
waltsamen Vorgehens bei der Massendemonstration im
Oktober 2011 oder der Auflösung der Rabia-Sit-ins im
August 2013.
Danke schön. – Eine Nachfrage?
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wurden all
diese Projekte spätestens jetzt eingestellt, sodass derzeit
keine IRZ-Projekte stattfinden. Richtig?
D
Ja.
Keine weiteren Nachfragen.
Danke. – Dann kommen wir zur Frage 23 der Abge-
ordneten Katja Keul:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das mili-
tärische Eingreifen Ägyptens in Libyen, und welche völker-
rechtliche Grundlage sieht sie für diese Intervention?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
D
Die Bundesregierung hat Kenntnis davon, dass die
ägyptische Luftwaffe nach der Ermordung von ägypti-
schen Gastarbeitern durch ISIS deren Stellungen in Li-
byen angegriffen hat. Die Bundesregierung will nicht
der Bewertung der Ereignisse durch die beiden haupt-
sächlich betroffenen Staaten, Ägypten und Libyen, vor-
greifen.
Eine Nachfrage?
Dazu habe ich eine Nachfrage: Ich wüsste gerne, wel-
che Kenntnis die Bundesregierung davon hat, dass
Ägypten libysche Gruppierungen mit Waffenlieferungen
unterstützt.
D
Dazu kann ich Ihnen jetzt nichts sagen. Also, ich habe
persönlich keine Kenntnis davon.
Daran schließt sich meine weitere Nachfrage an – da
Ägypten nach wie vor Interesse an Waffenlieferungen
seitens der Bundesrepublik hat und kürzlich der Export
von Waffensystemen wieder genehmigt worden ist –:
Wird die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die
Frage von Waffenlieferungen nach Libyen mit Ägypten
erörtern, bevor sie weitere Waffenlieferungen geneh-
migt?
D
Sie wissen um die Position der Bundesregierung,
nämlich dass wir beispielsweise die Forderung, die
Ägypten bei der Arabischen Liga erhoben hat, das Waf-
fenembargo aufzuheben, außerordentlich kritisch sehen.
Das trifft auch auf Forderungen nach einer militärischen
Intervention zu.
Danke schön. – Die Kollegin Brantner hat eine Nach-
frage. – Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Staatsministerin, die aktuelle Lage in Libyen
und die Rolle Ägyptens wurden gerade angesprochen.
Sie haben gesagt, Sie hätten keinerlei Kenntnisse von
ägyptischen Waffenlieferungen.
D
Also, ich persönlich.
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Vielleicht können Sie da eine schriftliche Antwortnachliefern; das würde mich interessieren.In dem Zusammenhang stelle ich noch mal die Frage:Sehen Sie Ägypten wirklich als einen Stabilitätsanker anoder eher als einen Akteur, der die Region auch mit de-stabilisiert?D
Frau Kollegin Brantner, ich glaube, Sie haben die
Frage eben schon einmal gestellt, und ich habe sie Ihnen
auch schon beantwortet. Ich beziehe mich auf die Ant-
wort, die ich gegeben habe.
Vielen Dank. – Die Frage 24 des Kollegen Gehrcke
und die Fragen 25 und 26 der Kollegin Dağdelen werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 27 der Kollegin Heike Hänsel auf:
Mit welcher Begründung will die EU ein UN-Mandat im
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erwirken, und sieht die
Bundesregierung vor dem Hintergrund der Äußerung des
Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier,
Schlepper rechnet, eine Bedrohung des Weltfriedens?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
D
Frau Kollegin Hänsel, Frage 27 darf ich wie folgt
beantworten: Die Hohe Vertreterin der EU, Federica
Mogherini, hat vor dem VN-Sicherheitsrat am 11. Mai
2015 um Unterstützung beim Vorgehen gegen Schleu-
serkriminalität und Menschenschmuggel geworben. Die
Autorisierung durch den VN-Sicherheitsrat ist aus Sicht
der Bundesregierung Voraussetzung für die Übernahme
von Aufgaben im Rahmen einer GSVP-Mission, die
über Überwachung und Beobachtung der Schleuserakti-
vitäten auf hoher See hinausgehen. Es ist Aufgabe des
Sicherheitsrats, im Zusammenhang mit der Verabschie-
dung der Resolution auch darüber zu entscheiden, ob
eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen
Sicherheit vorliegt.
Bitte schön, Frau Hänsel.
Danke schön. – Da würde ich gerne nachfragen.
Meine Frage war ja auch, ob die Bundesregierung die
Schlepperboote als Bedrohung des Weltfriedens einord-
net. Mich würde vor allem interessieren: Was ist in den
aktuellen Verhandlungen über ein mögliches UN-Man-
dat die Haltung Russlands und Chinas?
D
Das hat wohl alle interessiert, die von EU-Seite an
den Verhandlungen beteiligt waren. Uns hat über Frau
Mogherini die Botschaft erreicht, dass dort keine Beden-
ken gegen eine solche Resolution zu erwarten sind.
Frau Kollegin Hänsel, bitte schön.
Dann würde mich konkret interessieren: Wie stellt
sich die Bundesregierung vor, militärisch gegen Schlep-
perboote vorzugehen? Könnten Sie mir erklären, wie die
Bundesregierung zum Beispiel den Unterschied zwi-
schen Fischerbooten und Schlepperbooten definiert?
Wie wollen Sie eigentlich die militärischen Ziele defi-
nieren, gegen die vorgegangen werden soll?
Mich würde auch interessieren, was Sie zu der Kritik
sagen, die es mittlerweile auch aus den eigenen Reihen
gibt. Entwicklungsminister Müller sieht das ganze Un-
terfangen eher als unangebracht an, wenn es darum geht,
sich der Flüchtlingsfrage zu stellen.
Frau Staatsministerin.
D
Ich glaube, man muss zum einen davon ausgehen,
dass wir es bei den Schlepperbanden mit hochkriminel-
len Organisationen und Personen zu tun haben, die die
Situation von Flüchtlingen in dramatischer Art und
Weise ausnutzen.
Das Zweite, das man zu bedenken hat, ist, dass die
Mission ein Baustein ist und man das Gesamtpaket be-
trachten muss. Sie wissen, dass am Montag ein Be-
schluss zu der Mission getroffen worden ist und sehr
deutlich gesagt worden ist: Es gibt drei Phasen. – Die
erste Phase wird dazu dienen, sich ein solides Lagebild
von den Schleuseraktivitäten auf hoher See zu machen.
Später sollen dann jeweils die weiteren Entscheidungen
innerhalb der EU getroffen werden. Wir haben ein ge-
meinsames Interesse daran, dass es bei den Entscheidun-
gen keinen Automatismus gibt, sondern sie den Fort-
schritten bei den Erkenntnissen entsprechend getroffen
werden. Ich glaube, dass niemand daran zweifeln kann,
dass es wichtig ist, sich jetzt in dieser ersten Phase ein
solides Lagebild von den Schleuseraktivitäten zu ma-
chen, von dem aus sich alle weiteren Entscheidungen
entwickeln werden.
Frau Kollegin Hänsel, haben Sie noch eine Nach-
frage?
Ich habe noch eine zweite Frage zum Thema Flücht-linge bzw. Fluchtursachen eingereicht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 10007
(C)
(B)
Dann rufe ich die Frage 28 der Abgeordneten Heike
Hänsel auf:
Welche Fluchtursachen sieht die
Bundesregierung vor dem Hintergrund der Äußerung des
Bundesministers des Auswärtigen, dass die EU sich stärker
bei der Bekämpfung von Fluchtursachen engagieren soll
,
und wie sollen diese konkret bekämpft werden?
Bitte schön.
D
Ich beantworte Ihre Frage, Frau Kollegin Hänsel, wie
folgt: Der aktuelle Zustrom an Flüchtlingen ist die Folge
mannigfaltiger Krisen im Nahen und Mittleren Osten so-
wie in Afrika. Staatliche Unterdrückung, Terrorismus,
bürgerkriegsähnliche Zustände, Verfolgung politischer,
ethnischer oder religiöser Gruppen, zum Beispiel in Sy-
rien und im Irak, Verfolgung ethnischer oder religiöser
Gruppen oder politisch Andersdenkender, zum Beispiel
in Eritrea, zerfallende Staatlichkeit, zum Beispiel in So-
malia, Armut, zum Beispiel in Westafrika, und Wegfall
wirtschaftlicher Lebensgrundlagen, unter anderem auf-
grund klimatischer Veränderungen, sind nur einige der
Probleme in den Herkunftsstaaten der Flüchtlinge und
Migranten. Sie zu bekämpfen, bedarf einer Gesamtstra-
tegie in europäischer Verantwortung. Es geht insbeson-
dere darum, das Potenzial Afrikas zu entwickeln, Migra-
tion und Mobilität in ein der Entwicklung förderliches
Verhältnis zu bringen, fairen Handel zu fördern und die
Sicherheitszusammenarbeit zu stärken. Dazu wird es im
Herbst einen Gipfel der EU mit der Afrikanischen Union
in Malta geben. Der Khartoum- und der Rabat-Prozess
helfen Transitstaaten beim menschenwürdigen Umgang
mit Flüchtlingen und Migranten.
Die europäische Entwicklungszusammenarbeit leis-
tet mit fast 100 Milliarden Euro für die Jahre 2014 bis
2020 einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von Ar-
mut und Unsicherheit. Die bereits existierenden zivilen
GSVP-Missionen in Niger und Mali werden um eine
Grenzschutz- und Migrationskomponente erweitert. Ge-
rade mit Blick auf eine wirksame Bekämpfung von Flucht-
ursachen wird die Bundesregierung weiter entschlossen
die VN-Vermittlungsbemühungen um eine politische
Lösung der Lage in Libyen und Syrien unterstützen. Mit
der Berliner Syrien-Flüchtlingskonferenz Ende Oktober
2014 leistete die Bundesregierung einen international
anerkannten Beitrag zur Stärkung der Fähigkeit der
Nachbarländer Syriens, Millionen von Flüchtlingen zu
beherbergen. Bundesminister Steinmeier hat dazu in der
vergangenen Woche Gespräche im Libanon und in Jor-
danien geführt.
So, jetzt lasse ich nur noch die Nachfragen der Kolle-
gin Hänsel zu; denn die Zeit für die Fragestunde ist ab-
gelaufen. Ich bitte Sie jetzt alle, die Redezeit einzuhal-
ten. – Bitte schön.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Böhmer, Sie
haben vor allem von den Krisen- und Kriegsregionen
dieser Welt gesprochen. Aber in Ihrer Antwort dazu, wie
Sie Fluchtursachen bekämpfen wollen, fehlt mir ein
ganz entscheidendes Wort, nämlich „Rüstungsexporte“.
Wir wissen, dass die Bundesregierung auch in Krisen-
und Kriegsregionen Waffen exportiert. Nach wie vor
werden Waffen nach Saudi-Arabien geliefert, obwohl
sich Saudi-Arabien an einer militärischen Intervention
im Jemen beteiligt. Es wurden in den Irak Waffen gelie-
fert, die vom IS erbeutet wurden; das sind in diesem Fall
US-amerikanische Waffen, aber das kann auch deutsche
Waffen betreffen. Meine Frage: Wann ändert die Bun-
desregierung ihre Rüstungsexportpolitik? Denn das wäre
notwendig, wenn sie Fluchtursachen ernsthaft bekämp-
fen will.
Frau Staatsministerin.
D
Frau Kollegin Hänsel, ich will Ihnen in aller Deutlich-
keit sagen, dass die Bundesregierung eine sehr restrik-
tive Rüstungspolitik verfolgt. Sie können sicher sein,
dass wir bei einer solchen restriktiven Rüstungspolitik
auch bleiben werden.
Vielen Dank. – Die Kollegin Hänsel hat noch eine
Nachfrage, ganz schnell.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Sie sprachen kurz
das Thema „fairer Handel“ an. Wir wissen, dass die EU-
Fischereipolitik – Sie haben von der Armut in West-
afrika gesprochen – massiv dazu beiträgt, dass viele
Fischerfamilien verarmen. Daher müssen sie ihre Boote
verleihen, auch an Flüchtlinge oder an Schleppergrup-
pen; wie auch immer Sie die bezeichnen wollen. Das
heißt, es gibt direkte Zusammenhänge zwischen Fische-
reipolitik und Fluchtursachen.
Die EU-Fischereipolitik und die EU-Freihandelspoli-
tik bedrohen viele Existenzen in den afrikanischen Län-
dern. Selbst der Afrika-Beauftragte der Bundesregierung
hat die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen stark kriti-
siert. Wann gibt es hier endlich einen Richtungswechsel?
Setzt sich die Bundesregierung auch in der EU dafür
ein? Das müssten Sie tun, wenn Sie ernsthaft über die
Bekämpfung von Fluchtursachen sprechen wollen.
D
Frau Kollegen Hänsel, ich weiß um Ihr Engagementin diesen Fragen, und Sie können sicher sein, dass dasEngagement der Bundesregierung groß ist, die Fluchtur-sachen in den afrikanischen Regionen zu bekämpfen.Wir haben hierfür eine eigene Afrika-Strategie entwi-ckelt.
Metadaten/Kopzeile:
10008 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
(C)
(B)
All das, was wir tun, geht weit über die Punkte hi-naus, die Sie angesprochen haben. Es geht darum, dassdie Menschen ihre eigene Existenz sichern können, dassKorruption bekämpft wird und dass es dort stabile Staa-ten gibt. Das ist etwas – das muss ich Ihnen in aller Ehr-lichkeit sagen –, was nicht von heute auf morgen gelin-gen wird. Deshalb werden uns die Themen „Flüchtlinge“und „Bekämpfung von Flüchtlingsursachen“ leider im-mer wieder hier im Parlament beschäftigen. Wir werdenvon unserer Seite aus alle Anstrengungen unternehmen,um den Menschen zu helfen.
Ich bedanke mich bei der Staatsministerin für die Be-
antwortung der Fragen.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde angekom-
men. Alle weiteren Fragen werden schriftlich beantwor-
tet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Aktuelle Prognose des IWF – Perspektiven
für Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes-
regierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer.
U
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, derAufschwung der deutschen Wirtschaft setzt sich fort.Das ist auch das Ergebnis der Beobachtungen internatio-naler Organisationen, wie des IWF und auch der Euro-päischen Kommission.Sie haben ihre Prognosen aktuell korrigiert und ange-hoben. So erwartet der IWF in seinem World EconomicOutlook vom April dieses Jahres für Deutschland einWachstum von 1,6 Prozent im laufenden Jahr und für2016 ein Wachstum von 1,7 Prozent. Da der IWF dieWachstumsraten kalenderbereinigt ausweist, entsprichtdas exakt der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung.Wir rechnen im laufenden Jahr – unbereinigt – mit ei-nem Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts um1,8 Prozent und im kommenden Jahr mit einem weiterenZuwachs – unbereinigt – um erneut 1,8 Prozent.Besonders erfreulich ist, dass dieser Aufschwung beiden Menschen in unserem Lande ankommt; denn er wirdvor allem auch vom Konsum getragen. Die Einkommensteigen, der Arbeitsmarkt entwickelt sich hervorragend,die Arbeitslosigkeit bewegt sich auf einem historischenTiefstand, und die Beschäftigung erreicht von Jahr zuJahr neue Höchststände.Dass sich die deutsche Wirtschaft auf einem solidenWachstumspfad befindet, ist umso beachtlicher, als dasaußenwirtschaftliche Umfeld weiterhin schwierig ist.Für die Weltwirtschaft rechnet der IWF in 2015 lediglichmit einem Wachstum von 3,5 Prozent und für 2016 mit3,7 Prozent. Das sind vergleichsweise moderate Wachs-tumsraten. Die weltwirtschaftliche Belebung bleibt fra-gil, aber sie setzt sich fort. Für die Industriestaaten habensich die Wachstumsaussichten laut IWF eingetrübt. DasPotenzialwachstum liegt 0,5 Prozentpunkte unter denSzenarien der Vorkrisenzeit.Zu den Risiken im außenwirtschaftlichen Umfeld ge-hören die zahlreichen geopolitischen Konflikte, zumBeispiel in der Ukraine oder auch im Nahen Osten. Hiersieht der IWF durchaus Gefahren einer Abschwächung– auch des chinesischen Wachstums – und Probleme inSchwellenländern. Schauen Sie zum Beispiel nach Bra-silien, wo die Investitionen der dortigen staatlichen Öl-industrie vor allem vor dem Hintergrund des schwachenÖlpreises konsolidiert und auf fast 50 Prozent reduziertworden sind.Wir haben es also mit einer nicht ganz wolkenfreienGroßwetterlage zu tun. Unser Wachstum ist solide, aberwir sind uns der Risiken bewusst.Die gute Entwicklung ist dennoch kein Grund, sichzurückzulehnen. Wir leben in einer Welt des ständigenWandels mit immer neuen Herausforderungen, denenwir uns stellen müssen. Die Bundesregierung arbeitetdeshalb weiter entschlossen an den Wachstumsperspek-tiven für Deutschland. Eine zentrale Rolle spielen dabeiInvestitionen. Diese Einschätzung deckt sich auch mitden diesjährigen Konsultationen des IWF und den län-derspezifischen Empfehlungen der Europäischen Kom-mission.Um Deutschlands Zukunft zu sichern, brauchen wirmehr öffentliche Investitionen in Bildung und Forschungund in die Infrastruktur. Wir brauchen aber auch die rich-tigen Rahmenbedingungen für die privaten Investitio-nen, vor allem für junge, innovative Unternehmen. In-vestitionen bedeuten zweierlei: Erstens erhöhen undverbessern sie mittel- und langfristig die produktivenKapazitäten und damit, technisch gesprochen, dasWachstumspotenzial, und zweitens stärken sie kurzfris-tig die nationale, aber auch die globale Nachfrage.Die Bundesregierung hat die Stärkung der Investitio-nen zu ihrer wesentlichen Priorität erklärt.
Unser Ziel ist, dass Deutschland mit Blick auf das Inves-titionsniveau im gesamtwirtschaftlichen Maßstab wiedereinen Spitzenplatz unter den Industrieländern einnimmt,und wir haben dafür erhebliche Anstrengungen unter-nommen.
Der Bund wird 2017 zusätzlich 5 Milliarden Euro fürdie Verkehrsinfrastruktur einsetzen. Hinzu kommt eineweitere Entlastung von Kommunen und Ländern. Damitunterstützen wir sie, ihren Aufgaben bei Krippen, Kitas,Schulen und Hochschulen besser nachzukommen. Dafür
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Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
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werden bis zum Jahr 2017 rund 10 Milliarden Euro zu-sätzlich bereitgestellt.Finanzhilfen des Bundes in Höhe von 3,5 MilliardenEuro sollen gezielt finanzschwachen Kommunen zugu-tekommen. Das ist ein weiterer dicker Punkt, den wirhier auch ansprechen sollten. Weitere 10 Milliarden Eurosind für den Zeitraum 2016 bis 2018 vorgesehen, um öf-fentliche Zukunftsinvestitionen anzustoßen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Bundes-wirtschaftsministerium setzt sich dafür ein, dass nebender Förderung der Energieeffizienz und der Verkehrsin-frastruktur auch Mittel zum Anstoß kommunaler Investi-tionen eingesetzt werden. Zudem investiert die Bundes-regierung zusätzlich 3 Milliarden Euro im BereichForschung und Entwicklung.Die vom Bundesministerium und insbesondere vonBundesminister Sigmar Gabriel eingesetzte hochrangigeExpertenkommission aus Wissenschaft und Praxis hatdarüber hinaus eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt,wie die Investitionsdynamik in Deutschland im öffentli-chen und privaten Bereich weiter gefördert werden kann.Diese Vorschläge sind auch vom IWF in seiner Deutsch-land-Prüfung gewürdigt worden.Wir werden diese Vorschläge innerhalb der Bundesre-gierung und mit den Ländern und Gemeinden genau ana-lysieren und, wo machbar und konsensfähig, an der kon-kreten Umsetzung arbeiten. Dazu gehören zum Beispielauch gründer- und wachstumsfreundliche Rahmenbedin-gungen, um die Innovationskraft und Wettbewerbsfähig-keit der deutschen Wirtschaft zu stärken. Hierzu zählennicht zuletzt die steuerlichen Rahmenbedingungen. Zuwachstumsfreundlichen Rahmenbedingungen gehörtaber auch die erfolgreiche Energiewende, über die wiruns heute schon in verschiedenen Facetten in der Frage-stunde auseinandergesetzt haben.Die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz ist da-bei ein wichtiger Schritt. Nun steht das nächste Großpro-jekt dieser Energiewende an. Neben der Energieeffizienzgeht es auch um die Frage des zukünftigen Strommarkt-designs.Darüber hinaus werden wir auch mit dem Bündnis„Zukunft der Industrie“ und der Digitalen Agenda einenBeitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit leisten.Ich glaube, das ist ebenfalls ausgezeichnet und unterstüt-zenswert. Denn wenn wir von guten Voraussetzungenfür Wohlstand, Wachstum, Innovationen und zukunfts-sichere Arbeitsplätze sprechen, meint das die Industrieund auch den gesellschaftlichen Dialog mit den Men-schen, die die Zukunft unseres Landes sichern. MeineDamen und Herren, arbeiten wir weiter daran!Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Klaus Ernst, Frak-
tion Die Linke.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsi-dentin! Zum Jubeln gibt dieser Bericht der Koalition kei-nen großen Anlass.
– Ich weiß nicht, was ihr habt. Nehmen wir doch gleichden ersten Punkt. In den Medien ist zu lesen: IWF for-dert von Berlin höhere Investitionen. – Das zeigt dochoffensichtlich, dass die Investitionen der Bundesregie-rung nach Meinung des IWF nicht ausreichen.
Sie ziehen den IWF heran, um zu sagen: Wir sind sogut! – Wissen Sie: Dem Unterbewusstsein ist es egal,wer einem auf die Schulter klopft, Kollege Straubinger.Das ist ein bisschen das Problem dieser Regierung.
Meine Damen und Herren, in diesem Bericht heißt esauf Seite 2 – ich möchte das zitieren –:Der Privatverbrauch, untermauert durch einen star-ken Anstieg des real verfügbaren Einkommens,wird vermutlich den größten Beitrag zum Wachs-tum leisten …Das ist immer unsere Position gewesen. Unsere!
– Nein, nein, nein. – Die Realität ist: Das Bruttoinlands-produkt ist von 2000 bis 2014 real um fast 16 Prozentgewachsen, die realen Arbeitnehmerentgelte je Beschäf-tigten sind im selben Zeitraum aber um 1,4 Prozent ge-sunken.
Sie können doch nicht sagen, dass das eine gesunde Ent-wicklung ist. Da könnt ihr lachen, so viel ihr wollt.Wenn jetzt selbst der IWF schreibt, dass der privateVerbrauch offensichtlich ein Schlüssel ist, müssen Siesich einmal an die eigene Nase fassen und sich selbst fra-gen: Was haben wir in der letzten Zeit eigentlich für einePolitik betrieben – diese Frage müssen sich übrigensauch die Sozialdemokraten angesichts ihrer Agendapoli-tik stellen –, dass sich die Löhne in diesem Land so ent-wickelt haben, wie sie sich entwickelt haben?
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10010 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
Klaus Ernst
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Nächster Punkt. In diesem Bericht heißt es auch:Unseren Prognosen zufolge wird der Überschuss– der Leistungsbilanzüberschuss –dieses Jahres mehr als 8 Prozent des BIP betra-gen …Finden Sie das wirklich gut? Finden Sie das klasse?Selbst die Europäische Kommission sagt: Alles, wasüber 6 Prozent ist, ist ein Problem. – Der IWF beschei-nigt der Bundesregierung eine Politik, die im Ergebnisdazu führt, dass andere Länder wegen unserer Leistungs-bilanz Schaden nehmen. Das ist ein Problem.
Das, was Sie hier machen, ist die größte Form derIgnoranz: Sie ignorieren einfach, was in diesen Berich-ten steht. Aber sich dann noch hinzustellen, eine Ak-tuelle Stunde zu machen und zu sagen: „Jubel, Jubel, wieklasse wir sind“ – das ist wirklich eine hervorragendeLeistung!
In diesem Bericht heißt es auch – Zitat –:Gleichwohl gibt der anhaltend große Leistungsbil-anzüberschuss auch Anlass zur Sorge, insbesondereangesichts der aktuellen Nachfrage in den Industri-eländern, die trotz ultra-expansiver Geldpolitikschwach ist.Sie müssen doch selbst merken, dass das kein Lob ist.
In diesem Bericht heißt es weiter:Die Aussicht auf eine sinkende Bevölkerung im er-werbsfähigen Alter drückt künftiges Wachstumnach unten. Deshalb müssen die Hemmnisse fürFrauen, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen,abgebaut werden.
Weiter heißt es:Darüber hinaus könnte die Versorgung mit zusätzli-chen und besseren Betreuungsangeboten für Klein-und Schulkinder die Entscheidungen berufstätigerEltern erleichtern.Und ihr macht eine Herdprämie! Das ist doch das klassi-sche Gegenteil von dem, was der IWF euch vorschlägt.
Und jetzt sitzt ihr hier in der ersten Reihe und machteuch über das, was wir sagen, lustig. Interessant!
Das muss man erst mal hinkriegen.Jetzt kommen wir zur Steigerung der öffentlichen In-vestitionen. Ich höre immer, wie toll die Bundesregie-rung ist. Wir haben die schwarze Null. – Seid mir nichtböse, aber langsam habe ich den Eindruck, die meistenschwarzen Nullen sitzen in dieser Bundesregierung.
Nicht nur Die Welt, sondern auch der IWF stellt fest:Es würde auch die kurz- bis mittelfristige Binnen-nachfrage stützen, den aktuellen Leistungsbilanz-überschuss abbauen helfen und positive Übertra-gungswirkungen im übrigen Euroraum erzeugen …hier sind größere Anstrengungen gefragt. DieseAusgaben wären unter dem bestehenden fiskali-schen Regelwerk möglich.Der IWF plädiert also, so steht es auch in der Welt, fürmehr Investitionen, mehr, als Sie machen.
– Ja, noch mehr. – Es zeugt wirklich von Ignoranz ge-genüber dem Bericht, den Sie hier zur Debatte stellen,wenn Sie ihn als großes Lob für die Bundesregierung be-greifen. Ich würde lieber meine Hausaufgaben machen,bevor ich solche Berichte als Lob verstehe und hier zurDebatte stelle.Danke fürs Zuhören.
Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU
der Kollege Axel Knoerig.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchtemir vorweg eine kurze Anmerkung zum Bahnstreik er-lauben: Dieser erneute Streik verursacht hohe volkswirt-schaftliche Kosten und vor allem emotionale Belastun-gen bei den betroffenen Fahrgästen. Das ist aber nichtnur allein der GDL anzulasten, sondern auch dem Vor-stand der Deutschen Bahn.
Der Reiseverkehr wird voraussichtlich auch während desPfingstfestes betroffen sein. Man kann wirklich nur hof-fen, dass bald eine Einigung zwischen den Vertragspar-teien erzielt wird.
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Aber nun zum eigentlichen Thema, das wir heute ha-ben: die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Das lässtsich am besten mit Zahlen bemessen. Die Zahlen bele-gen eindeutig die Erfolge unserer Wirtschaftspolitik. DasBruttoinlandsprodukt wird laut der Prognose des Bun-deswirtschaftsministeriums um weitere 1,8 Prozent zu-nehmen. Für 2016 erwarten wir einen neuen Beschäfti-gungsrekord mit über 43 Millionen Personen.
Deswegen ist es jetzt folgerichtig, zu fragen: Was istjetzt zu tun, um diese positive Entwicklung auch in Zu-kunft fortzusetzen?Wir müssen uns von dem Gedanken leiten lassen,dass die entscheidenden Ressourcen unseres Landesnicht mehr ausschließlich Bodenschätze, Kapital oderPersonal sind. Die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts sindDaten. Wir haben bereits vielfältige Maßnahmen auf denWeg gebracht, um den digitalen Wandel aktiv mitzuge-stalten. Einmal haben wir mit der Digitalen Agenda neueLeitlinien in der Wirtschafts- und Innovationspolitikfestgelegt.
Schon in der vergangenen Legislaturperiode haben wirmit der Hightech-Strategie dazu beigetragen, dass unsereLeitbranchen im internationalen Wettbewerb an derSpitze bleiben. Wir haben über die Jahre hinweg denEtat für Bildung und Forschung verdoppelt, um dadurchinsbesondere eine Stärkung des ForschungsstandortsDeutschland herbeizuführen.Doch nun gilt es, den digitalen Wandel in unsererWirtschaft voranzutreiben; denn dieser Wandel muss insämtlichen Bereichen von Industrie, Handel und Dienst-leistungen umgesetzt werden, und das sofort. Nur soschaffen wir die Grundlagen, um im Internetzeitalter in-ternational wettbewerbsfähig zu bleiben.Es ist wichtig, dass neben den großen Konzernen vorallem die kleineren, mittelständischen IT-Firmen inDeutschland das annehmen. Das haben die auch sehrwohl verstanden; denn sie decken mittlerweile rund50 Prozent des europäischen Marktes ab. Gerade im IT-Bereich ist der Zugang zu internationalen Märkten be-sonders wichtig. Dazu brauchen wir Freihandelsabkom-men – davon haben wir über 130 an der Zahl –, und da-bei ist auch das TTIP-Abkommen mit den Amerikanernzu nennen. Gerade unser Mittelstand als größter Arbeit-geber in Deutschland kann von TTIP erheblich profitie-ren.
In der Digitalwirtschaft gibt es hierzulande über 90 000 Un-ternehmen, die mittlerweile Millionen Erwerbstätige be-schäftigen und jährlich über 15 Milliarden Euro investie-ren.Aber nicht nur dieser Bereich, sondern auch die ande-ren Mittelständler und vor allem das Handwerk müssenstärker an elektronische Geschäftsprozesse herangeführtwerden; denn im Gegensatz zu Großunternehmen verfü-gen diese kaum über IT-Personal oder ein Budget für ex-terne Dienstleister. Deshalb ist das Programm „Mittel-stand Digital“, das das Bundeswirtschaftsministeriumaufgelegt hat, sehr wichtig, um die digitale Kompetenzin kleineren Betrieben zu fördern.Für die Kompetenz unserer Fachkräfte ist maßgeb-lich, dass die berufliche und die akademische Bildunggestärkt werden, und das sehr wohl in gleichem Maße.Wir brauchen keinen „Akademisierungswahn“, sonderneine Aufwertung der beruflichen Bildung, also: „Berufs-schule 4.0“.
In kleineren Betrieben unterstützen wir deshalb auchForschung und Innovation. Da gibt es das „ZentraleInnovationsprogramm Mittelstand“, kurz ZIM genannt.Ich kann einmal an einem Beispiel die Wirkung diesesProgramms kurz darstellen. Bei mir im Wahlkreis Diep-holz – Nienburg sind mittlerweile über 50 kleine mittel-ständische Unternehmen mit 5,6 Millionen Euro geför-dert worden. Wenn man das bundesweit hochrechnet,wurde dieser Etat mittlerweile auf 780 Millionen Euroaufgestockt. Diese ZIM-Projekte tun der heimischenWirtschaft außerordentlich gut.Grundvoraussetzung für die Digitalisierung ist aberauch, dass der Ausbau des Breitbandnetzes gelingt.
Auch hier gilt, dass die Kommunen überall – das sageich insbesondere als Vertreter des ländlichen Raumes –an das schnelle Internet angebunden werden müssen.
Hier strebt ja die Bundesregierung eine flächendeckendeVersorgung bis 2018 mit mindestens 50 Mbit/s an. Abergerade weil wir die Technikabfolgen kennen, frage ich,ob wir da nicht immer schneller werden müssen. Undwir müssen uns selbstkritisch fragen: Reichen diese Vor-gaben und die veranschlagten Mittel überhaupt aus, undkönnen wir uns dafür wirklich weitere drei Jahre Zeitlassen?Aber ganz wichtig ist auch – um das europäisch zuformulieren –: Wir brauchen einen einheitlichen euro-päischen Binnenmarkt im Digitalbereich, und es mussuns bis 2016 gelingen, dass diese 28 nationalen Märkteentsprechend zusammengeführt werden.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die KolleginKerstin Andreae.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirhaben zurzeit wirklich große Probleme und über vieleSachen zu diskutieren. Wir hätten zum Beispiel gernüber die Kohleabgabe gesprochen, wir hätten gern überdie NSA gesprochen und, und, und.
Jetzt haben wir eine Aktuelle Stunde über eine Art Zeug-nis, das wir unterschiedlich interpretieren. Das erinnertmich an die Sache mit den Gummibärchen. Das kennenSie bestimmt, wenn Sie Kinder haben. Wenn Sie IhrenKindern sagen: „Räumt einmal das Zimmer auf“, dannhören die gar nichts. Wenn Sie sagen: „Es gibt Gummi-bärchen“, dann stehen sie sofort bei Fuß. Denn man hörtnur das, was man hören will.
Sie machen das Gleiche bei diesem IWF-Bericht. Siehören: Deutschland hat eine gute wirtschaftliche Lage.
Aber das ist nicht das Ergebnis Ihrer Wirtschaftspolitik.
Vielmehr ist es das Ergebnis des Dauerdopings vonNiedrigzinsen. Das ist das Ergebnis eines niedrigen Öl-preises, und das ist das Ergebnis eines schwachen Euro-Kurses.
Das würden Sie wissen, wenn Sie den IWF-Bericht ein-mal zu Ende gelesen hätten. Denn dort steht auch, dassSie bei den öffentlichen Investitionen viel zu wenig ma-chen. Wir haben zwischen 2015 und 2019 zusätzlicheSteuereinnahmen von 160 Milliarden Euro.
– Nein, nein, wegen Niedrigzinsen und niedrigem Öl-preis. Das können Sie alles genau nachlesen.
Sie machen ein Investitionspaket mit zusätzlichen In-vestitionen im öffentlichen Bereich in Höhe von geradeeinmal 10 Milliarden Euro über die kommenden dreiJahre. Das ist zu wenig. Das hat Ihnen der IWF konsta-tiert. Er hat Ihnen gesagt: Um als Lokomotive in Europavoranzugehen,
um wirtschaftliche Perspektive in Europa zu erreichen,müsst ihr investieren und mehr investieren. Das ist dieAufforderung des IWF an die Bundesregierung, und wirteilen diese Aufforderung.
Sie hören auch nicht, dass gesagt wird: Die Rahmen-bedingungen für private Investitionen stimmen nichtmehr. Wo ist denn die wirtschaftspolitische Agenda die-ser Bundesregierung? Wo wollen wir denn in zehn Jah-ren stehen? Nehmen wir einmal die Energiewende: Es istdoch nicht so, dass die Industrie Arbeitsplätze ausEuropa verlagert oder Industrien und Fabriken abzieht,weil sie sagt, dass der Industriestrom anderswo so billigist. Das ist Quatsch. Das macht sie, weil sie überhauptnicht weiß, wie die Energiewende hier eigentlich weiter-geht. Es gibt einen mäandernden bayerischen Minister-präsidenten, der bei der Trassenführung querschießt.Niemand weiß, wie eigentlich die Rahmenbedingungenfür die Energiewende in der Zukunft sind. Das ist dochdas Problem.
Wie wird Deutschland digitale Souveränität zurücker-langen? Wir reden immer über Breitbandausbau. Das istnotwendig. Da machen Sie etwas, da macht die Industrieetwas, da muss mehr geschehen. Der ländliche Raummuss angebunden werden etc. Aber wir verlieren digi-tale Souveränität. Die anderen Länder hängen uns ab beider Frage, wie es weitergeht mit der Implementierungvon digitalem Know-how, mit Industrie 4.0, mit demMittelstand, der hier Antworten braucht, mit der Verzah-nung von Digitalisierung und Produktion. Da werdenwir abgehängt. Das ist digitale Souveränität. Wir fordernin diesem Bereich mehr private Investitionen und Förde-rung.Schließlich gibt es ein Fachkräfteproblem. Wir habenein gigantisches Fachkräfteproblem. Dazu kommt dieSituation, dass wir älter werden und dass wir wenigerwerden. Das heißt, wir brauchen Zuwanderung. Wirbrauchen Qualifizierung. Die Ressourcen, die da sind,müssen wir schöpfen. Heute bildet noch jedes fünfte Un-ternehmen aus. 250 000 Jugendliche sind ohne Ausbil-dungsplatz. Das sind die Probleme, die wir angehenmüssen, wenn wir die Investitionsbedingungen bzw. diewirtschaftlichen Bedingungen verbessern wollen.Sie sagen: Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland istgut. Ich sage Ihnen: Sie stehen auf Treibsand. Ja, diewirtschaftliche Lage ist gut. Aber der Boden, auf demwir uns bewegen, ist dünn. Es fehlen viele Initiativen,die Sicherheit geben, die Planungssicherheit geben, dieden Rahmen für Investitionen im öffentlichen Bereichund im privaten Bereich sichern. Nach wie vor fehlendie Punkte zu Innovationen und zur steuerlichen For-schungsförderung. Das schreibt Ihnen nicht nur der IWF,sondern im Übrigen auch die Fratzscher-Kommission.Fangen Sie an, Innovationen von kleinen und mittelstän-dischen Unternehmen jenseits des ZIM zu fördern! Fan-gen Sie an, Kreativität herauszuholen!
Das sind die Rahmenbedingungen, die wir brauchen.Der Schlüssel für den Wirtschaftsstandort Deutschland
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Kerstin Andreae
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liegt in Investitionen und Innovationen. Wir haben diePotenziale, und wir haben die kreativen Köpfe. Wir ha-ben die besondere Situation, dass wir derzeit auch ge-nügend Mittel haben. Setzen Sie diese Mittel klug ein!Machen Sie eine kluge und zukunftsgewandte Haus-haltspolitik und nicht Rentenpakete, die zu Fachkräfte-mangel führen. Machen Sie eine zukunftsgewandte Poli-tik, die die Ökologie in den Schwerpunkt rückt undwirksame Anreize setzt, damit die Unternehmen inves-tieren und gute Arbeitsplätze schaffen! Damit schaffenSie ein Fundament für Wettbewerbsfähigkeit.Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde wird fortgesetzt durch den Kolle-
gen Ingbert Liebing von der CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass wir heute einesolche Debatte führen könnten. Wer hätte 2010 auf demHöhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise geglaubt,dass wir heute über negative Auswirkungen des Außen-handelsbilanzüberschusses, über einen hohen Beschäfti-gungsgrad und über einen ausgeglichenen Haushalt spre-chen könnten. Davon hätte vor fünf Jahren niemandträumen mögen.Wenn uns der IWF heute bescheinigt, dass wir guteErgebnisse erzielt haben, und wir gute Perspektiven ausdiesem Bericht herauslesen können, dann ist dies ersteinmal auch ein Grund zur Freude. Ich kann nur diejeni-gen bedauern, die im Zweifelsfall jedes Papier nur nacheiner negativen Botschaft durchkämmen. Als ob wir unsin Deutschland nicht auch einmal über gute Nachrichtenund über eine gute Situation freuen könnten.
Das möchte ich ausdrücklich vorwegschicken, und zwarinsbesondere im Vergleich zu dem, was wir in den ver-gangenen fünf Jahren durchgemacht haben.Diese Freude ist vor allem gut für die Menschen inunserem Land, für die Menschen, die vor Jahren noch ar-beitslos waren und jetzt in Lohn und Brot stehen. Das istgut für die Arbeitnehmer, die inzwischen auch wiederreale Einkommenszuwächse erzielen können. Es ist auchfür die nächste Generation gut, dass wir seit dem vergan-genen Jahr wieder ausgeglichene Bundeshaushalte be-schließen und damit der nächsten Generation keine zu-sätzlichen Schulden hinterlassen.
Diese Situation und diese guten Nachrichten fallenaber nicht vom Himmel. Sie sind sicherlich, FrauAndreae, auch Ergebnis von externen Faktoren, die Siegenannt haben, wie einem niedrigen Ölpreis und demWechselkurs des Euro. Sie sind aber auch Ergebnis klu-ger Politik, die wir hier in der Koalition seit Jahren be-treiben. Denn wir haben umgesteuert. Wir haben die Er-gebnisse guter Konjunktur und Steuermehreinnahmenklug für eine Kurskorrektur genutzt. Wir haben trotzsteigender Einnahmen die Ausgaben konstant gehalten.Das wiederum hat Luft geschaffen, umzusteuern, hin zuden Investitionen, die der IWF zu Recht einfordert. Wirtun dies, indem wir jetzt mit dem Nachtragshaushalt unddem Investitionspaket für die Kommunen – Staatssekre-tär Beckmeyer hat dies bereits erläutert – den Schwer-punkt bei den Investitionen setzen.Nichts ist für den wirtschaftlichen Erfolg so wichtigwie die öffentlichen Investitionen. Wir müssen unsereInfrastruktur in Ordnung bringen. Das Thema Breitbandist angesprochen worden. Es ist gut, dass mit zusätzli-chen 1,1 Milliarden Euro endlich auch auf Bundesebeneeine nennenswerte Größenordnung für die Breitbandför-derung zur Verfügung steht. Wenn wir über 3 MilliardenEuro in die Infrastruktur geben, davon allein fast 2 Mil-liarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur, dann sind dasebenfalls wichtige Beiträge, die wir morgen beschließenwerden.Investitionen hängen aber nicht nur vom Geld ab. Wirkönnen nur dann investieren, wenn wir auch fertige, bau-reife Projekte haben. Wir müssen aber feststellen, dasswir hier in Deutschland Defizite haben. Ich möchte aus-drücklich die Situation in meinem HeimatbundeslandSchleswig-Holstein ansprechen. Wir könnten noch ein-mal 3 Milliarden Euro zusätzlich für Investitionen inStraßen zur Verfügung stellen: In Schleswig-Holsteinkann aber nicht ein einziges neues Projekt begonnenwerden, weil es keine Baureife gibt. Aber dafür tragendie jeweiligen Landesregierungen über ihre Straßenbau-verwaltungen die Verantwortung.
Wir haben nicht ein einziges baureifes Projekt. Von die-sen Milliarden wird nichts ins Land Schleswig-Holsteinhineinfließen – bestenfalls für eine Lärmschutzwand.Deswegen müssen wir Bund, Länder und Kommunenzusammen betrachten. Da ist es schon ein Armutszeug-nis, wenn einzelne Bundesländer bei den Investitionennicht Schritt halten. Wir tun dies auf Bundesebene. Bay-ern hat eine Investitionsquote von über 12 Prozent, wäh-rend wir in Schleswig-Holstein bei gerade einmal 7 Pro-zent herumkrebsen und im nächsten Jahr unter 7 Prozentrutschen werden.
Da besteht Nachholbedarf, und deswegen müssen wirdies als eine Einheit betrachten. Wir helfen auf Bundes-ebene auch den Kommunen, gerade denen, die unter In-vestitionsschwäche leiden. Mit 3,5 Milliarden Euro le-gen wir auf die finanzschwächeren Kommunen einenzusätzlichen Schwerpunkt. Deswegen müssen wir den
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Ingbert Liebing
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Gesamtzusammenhang bei den Investitionen sehen. Je-der muss seinen Beitrag leisten. Wir tun dies auf Bun-desebene, die Länder müssen dies ebenfalls tun. Wir hel-fen den Kommunen.Insgesamt steht Deutschland gut da, aber es gibt im-mer noch Aufgaben, an denen wir zu arbeiten haben.Wir haben keinen Grund zur Selbstzufriedenheit, son-dern müssen diese gute Situation nutzen, um Vorsorgefür schwierigere Zeiten zu treffen. Dies tun wir mit klu-ger Politik in der Koalition.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege
Alexander Ulrich das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auch nach dem fünften Redner erschließt sich uns im-mer noch nicht, was diese heutige Aktuelle Stunde ei-gentlich soll.
Wir hätten über so viele Themen reden können, aber wasdiese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionenheute machen, ist nichts anderes als Selbstbeweihräu-cherung. Wenn ich die Reden höre, wie gut es uns inDeutschland geht, und sehe, dass man sich gegenseitigauf die Schultern klopft, offensichtlich aber ganz außerAcht lässt, zu welcher sozialen Spaltung Ihre Politik inden letzten Jahren beigetragen hat, dann kommt mir dasso vor, als ob Sie wirklich nur noch im Interesse derdeutschen Wirtschaft handeln, aber nicht mehr im Inte-resse der Menschen in diesem Land.
Generell sollte man sich die Frage stellen, ob manüberhaupt auf den IWF so großen Wert legen sollte.
Wir wissen, dass der IWF dazu beiträgt, eine neoliberalePolitik auf der ganzen Welt und als Mitglied der Troikaauch in Europa umzusetzen. Wir wissen, was er in Portu-gal, Spanien und auch in Griechenland angerichtet hat.Wenn eine neoliberale Organisation eine neoliberalePolitik lobt, dann sollte man sich einen solchen Berichtzweimal durchlesen.
Ja, Deutschland ist exportstark, Deutschland ist wett-bewerbsfähig. Aber warum ist das denn so? Grundlagefür diese wirtschaftliche Stärke war doch über 15 JahreLohndumping auf hohem Niveau. Lohndumping inDeutschland ist die Grundlage für wirtschaftliche Stärke.Wir sagen: Ein Land ist nur dann erfolgreich, wenn wirt-schaftliche Stärke mit sozialem Fortschritt einhergeht.Leider ist sozialer Fortschritt in diesem Land unter IhrerRegierung nicht mehr möglich.
Bitte beschäftigen Sie sich nicht nur mit dem IWF,sondern schauen Sie sich an, was zum Beispiel der Pari-tätische Wohlfahrtsverband sagt.
– Ja, der beschreibt genau die Auswirkungen auf dieMenschen in diesem Land.
Wir haben zum Beispiel die Situation, dass Armutgravierend zunimmt. Immer mehr Menschen in diesemLand sind armutsgefährdet oder arm. Immer mehr Men-schen in diesem Land können von ihren Löhnen nichtmehr leben. Immer mehr Menschen haben überhauptkeinen Fortschritt mehr durch Lohnsteigerungen, weilsie aus der Tarifbindung herausfallen. Alles das ist dieFolge einer Politik, die mit der Agenda 2010 undHartz IV einen deutlichen Schub bekommen hat. Daraufkönnen wir in diesem Land wirklich nicht stolz sein.
Dann behaupten Sie immer wieder aufs Neue, wirhätten eine Rekordbeschäftigung.
Schauen wir uns die Arbeitsstunden in diesem Land an,dann stellen wir fest, dass sich die Zahl der Arbeitsstun-den in den letzten 13 Jahren überhaupt nicht erhöht hat.
Es gibt vielleicht mehr Köpfe, die in Arbeit sind – aberzu welchen Bedingungen? Wir haben Vollzeiterwerbstä-tigkeit abgebaut und haben immer mehr prekäre Be-schäftigung. Jeder vierte Beschäftigte in diesem Land ar-beitet prekär. Das muss verändert werden. Nur dannhaben auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Landetwas von diesem wirtschaftlichen Fortschritt.
Es sind mittlerweile im Prinzip 4,5 Millionen BadJobs seit 2000 entstanden. 1,7 Millionen Vollzeitstellen,von denen man leben konnte, sind vernichtet worden,weil jetzt die Menschen mit zwei oder drei Jobs versu-chen müssen, durch den Monat zu kommen. Das ist dieAuswirkung Ihrer Wirtschaftspolitik.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 10015
Alexander Ulrich
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Der IWF sagt Ihnen ganz deutlich, dass das, was Sietun, auch auf Kosten unserer Nachbarländer geht. Nocheinmal: Deutschland ist Mitverursacher der Euro-Krise.
Die riesigen Außenhandelsüberschüsse sind Mitverursa-cher der Euro-Krise gewesen. Wenn Sie immer nochglauben, man könnte immer mehr Produkte und Dienst-leistungen verkaufen, als man selbst braucht, und die an-deren Länder sollten sich immer weiter verschulden, umdas zu finanzieren, dann muss ich Ihnen sagen: Wir ar-beiten auf Kosten der anderen Länder. Wenn Deutsch-land ein Interesse daran hat, dass die Euro-Zone beruhigtwird, dann muss es seine Außenhandelsüberschüssedrastisch abbauen.
Zum vierten oder fünften Mal in Folge bewegen sie sichaußerhalb der Richtlinien der EU-Kommission. Die EU-Kommission hat noch einmal gesagt, Sie müssten dieAußenhandelsüberschüsse abbauen. Aber Sie ignorierenalle Hinweise, auch die aus Brüssel.
Insofern ist Ihre Wirtschaftspolitik alles andere alsglanzvoll. Die Menschen in diesem Land merken auch,dass sie von diesem scheinbaren Wirtschaftswachstumnichts mehr haben. Was wir endlich bräuchten, ist einEnde der Agenda-2010- und der Hartz-IV-Politik.
Was wir endlich bräuchten, wäre ein Mindestlohn vonmindestens 10 Euro pro Stunde, von dem man tatsäch-lich leben kann.
Wir bräuchten viel mehr Investitionen. Allein dasAussetzen der von uns ja abgelehnten Schuldenbremsewürde Ihnen die Möglichkeit geben, pro Jahr bis zu18 Milliarden Euro mehr zu investieren. Sie fahren mitIhrer Schwarze-Null-Politik das Land auf Verschleiß.Fragen Sie die Länder, fragen Sie die Kommunen, wieviel Geld notwendig wäre, um wenigstens das Notwen-digste instand zu halten! Sie lassen die Länder und dieKommunen im Stich, weil Sie im Prinzip an dieserschwarzen Null festhalten.Was wir auch bräuchten, ist die Beendigung einerPolitik, die noch mehr auf Sozialabbau setzt. Deshalb sa-gen wir als Linke: Die Bundesregierung ist dringend auf-gefordert, die Verhandlungen über die Freihandelsab-kommen TTIP und CETA abzubrechen.
Ihre heutige Beweihräucherung geht leider an den In-teressen der Menschen vorbei. Dass so viele Menschenim Land auf der Straße sind und zurzeit auch streiken, istauch ein Ausdruck dessen, dass sie mit diesen Verhält-nissen nicht mehr einverstanden sind. Wir freuen unsüber den Streik der Lokführer. Sie haben unsere Unter-stützung genauso wie die Erzieherinnen in den Kinder-gärten.Vielen Dank.
Der Kollege Matthias Ilgen hat jetzt das Wort für die
SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde,der „Weltwirtschaftsausblick“ – so lautet die Überset-zung ins Deutsche des vom IWF gebrauchten Wortes –zeigt vor allem eines, nämlich dass die Befürchtungender Opposition in diesem Hause unberechtigt sind. Ichhabe das alles vom letzten Jahr noch im Ohr. Ich zitiereeinmal Frau Wagenknecht: Die hartnäckigen, starrköpfi-gen Konservativen und die rückgratlosen, wirrköpfigenPolitiker der gemäßigten Linken – damit müssen wohlwir gemeint gewesen sein; so hat sie das untermauert –würden Deutschland auf den Weg in den Abschwungführen. – Wenn ich mir die Ergebnisse unserer Politikanschaue, kann ich nur das Gegenteil feststellen: Wir ha-ben in diesem und im nächsten Jahr in dieser Republikeinen stabilen Wirtschaftsaufschwung.
Meine Damen und Herren von der Linkspartei, Siesollten sich wirklich einmal um Ihre Schwesterpartei inGriechenland kümmern, bevor Sie hier solche Redenhalten.
Sie ist nämlich mit der Politik, die Sie uns hier geradevorgeschlagen haben, auf dem besten Weg, Griechen-land aus der Euro-Zone zu katapultieren. Nehmen Siedas zur Kenntnis, und kümmern Sie sich um sie!
– Wie auch immer.Auch wir in Deutschland müssen natürlich aus derAnalyse des IWF – sie enthält ja einige Punkte, die nach-denkenswert sind – Konsequenzen für unsere eigeneWirtschaftspolitik ziehen. Ich möchte heute auf zwei Be-reiche eingehen: Zum einen ist die Stärkung der privaten
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Matthias Ilgen
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und öffentlichen Investitionen, genau wie es schon HerrBeckmeyer für die Bundesregierung beschrieben hat, ei-ner der wichtigen Punkte in den kommenden Jahren. Derzweite Bereich ist der Ausbau unserer mittelfristigenWachstumspotenziale; denn ohne die wird es mittel- undvor allem langfristig nicht gehen.Zur Stärkung der Investitionen tragen zuallererst un-ser ausgeglichener Bundeshaushalt und vor allem einausgeglichener gesamtstaatlicher Haushalt bei; denn dasist – Euro-Krise hin, Euro-Krise her; Zentralbank hin,Zentralbank her – die Grundvoraussetzung für ein lang-fristig niedriges Zinsniveau, wie wir es in Deutschlandhaben.
Dies wirkt sich bekanntermaßen – um das festzustellen,muss man kein Volkswirt sein – auch auf das Investi-tionsklima positiv aus.Nach der erfolgreichen Reform des EEG, die wir imletzten Jahr gemeinsam durchgeführt haben, konzipierenwir nun auch ein neues Strommarktdesign, das die Ener-giewende mit unseren energiepolitischen Zielen – be-zahlbare Energiepreise, Versorgungssicherheit und Kli-maschutz – zusammenbringt. In diesem Bereich sindnämlich verlässliche Rahmenbedingungen für die Unter-nehmen unverzichtbar. Wir brauchen diese Planungssi-cherheit in Deutschland. Dies bleibt wahrscheinlich diewichtigste Aufgabe, die wir in diesem Jahr zu lösen ha-ben.Bei den öffentlichen Investitionen – das hat HerrBeckmeyer alles angesprochen – legen wir ordentlichnach. Hier geht es uns als Sozialdemokraten vor allemdarum, noch einmal zu erwähnen, dass das 5-Milliarden-Euro-Paket für die Kommunen das größte ist, das wir indiesem Bundestag in den letzten zehn Jahren beschlos-sen haben. Deswegen ist und bleibt es richtig.
Wir werden mittelfristig, was Investitionen angeht,auch mehr im Bildungsbereich tun müssen. Da gibt eseinen ersten Ansatz. Einer der Schwerpunkte – nebenKlimaschutz und Infrastruktur – ist die Bildung, ist dieFrage: Wie schaffen wir einen stärkeren Ausbau vonKitas, Schulen und Hochschulen? Wenn wir das Ziel„10 Prozent am Bruttoinlandsprodukt“ halten wollen,werden wir hier in den nächsten Jahren nachlegen müs-sen.Der zweite Punkt. Wenn wir darüber sprechen, wieunsere Wachstumspotenziale mittelfristig sind, ist es in-teressant, sich im IWF-Bericht einmal anzugucken: Wastun andere Länder? Es gibt ein weltwirtschaftlichesWachstum von 3,5 Prozent oder 4 Prozent in den kom-menden Jahren, während das Wachstum in Deutschlandlaut IWF – wir haben es gehört – bei 1,8 Prozent bis2 Prozent liegt. Warum eigentlich? Das Wachstum inEuropa liegt darunter; da ist Deutschland verhältnismä-ßig gut.Einer der Gründe dafür, dass das Wachstum in denUSA am oberen Ende dieser Skala liegt, ist, dass dieUSA eine Einwanderungsgesellschaft sind, eine Gesell-schaft, die einen Bevölkerungszuwachs hat. Alle Länder,die einen Bevölkerungszuwachs haben – das sind natür-lich vor allem die Schwellenländer und die Entwick-lungsländer –, haben einen Drive in ihrer ökonomischenEntwicklung. Wir in Deutschland haben – das wissenwir – eine verhältnismäßig niedrige Geburtenrate, diewir auch mit aller guten Familienpolitik, die wir hier ge-meinsam im Hause machen, nicht von heute auf morgenwerden erhöhen können. Wir müssen auch auf Zuwande-rung setzen; wir jedenfalls tun das.
– Die Sozialdemokraten klatschen.Um ein Einwanderungsland zu werden, das die He-rausforderungen der Integration schultert, brauchen wirin Deutschland einen stärkeren Bewusstseinswandel,nicht nur bei den Kollegen der Union, sondern ein Stückweit bei uns allen, glaube ich.Neben einer Willkommenskultur geht es auch darum,die Einwanderer, die zu uns kommen, insbesondereFlüchtlinge aus Krisenstaaten, schnellstmöglich an Bil-dung heranzuführen sowie für eine Integration in denArbeitsmarkt und für ein vernünftiges Wohnumfeld zusorgen. Wir Sozialdemokraten jedenfalls wollen die Zu-kunftschancen ergreifen, die in den Talenten stecken, diediese Menschen mitbringen. Wir wollen diese Menschenin den nächsten Jahren noch stärker in unseren Wirt-schafts- und Arbeitsprozess einbeziehen, um die Defizite– der Fachkräftemangel ist in diesem Hause mehrfachangesprochen worden – ausgleichen zu können.Vielen Dank.
Der Kollege Dieter Janecek spricht jetzt für Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren von der Koalition! Mir ist ein bisschenschleierhaft, was Sie hier machen. Sie feiern ziemlichleidenschaftslos die gute wirtschaftliche Lage; über diefreue ich mich auch ausdrücklich. Herr Liebing, ichfinde es super, dass es uns steuerlich gut geht und dass esder Wirtschaft gut geht. Aber was haben Sie damit zutun? Das haben Sie uns in Ihrer Rede nicht erklären kön-nen.
Ich sage es Ihnen einmal ganz konkret: Was Sie bishergetan haben, ist, in Ihrer Reformpolitik – so nennen Siesie – den künftigen Generationen neue Lasten aufzubür-den: Rente mit 63, Mütterrente, Einknicken gegenüber
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Dieter Janecek
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der Kohlelobby jetzt jüngst und Ausbremsen der Ener-giewende.
Das ist Ihre Politik, die Sie hier als zukunftsgewandt ver-kaufen wollen.
Jetzt komme ich speziell zur Union. Bei manchem,was Minister Gabriel – er ist heute nicht da – macht, ge-hen wir mit, zum Beispiel, wenn er sagt: Bei der Kohle-abgabe müssen wir vorangehen; da müssen wir etwastun. – Da geht er voran. Und was machen Sie? Sie brem-sen ihn aus. Sie schaffen es nicht, hier ein zukunftsfähi-ges Signal zu setzen. – Punkt Nummer eins.
Punkt Nummer zwei. Energiewende, Trassenausbauin Bayern.
Herr Straubinger, schauen Sie da einmal hin! GanzDeutschland lacht über Sie, lacht über diesen Minister-präsidenten. Sie kriegen es nicht hin, in Bayern eineEnergiewende zu organisieren. Sie schaffen die Wind-kraft ab. Sie schaffen keine Stromleitungen. Sie wollendie Leitungen am besten noch nach Baden-Württembergverlegen. Sie kriegen überhaupt keine zukunftsfähigePolitik hin.
Sie ducken sich weg. Die Kanzlerin duckt sich weg. Siehatten die CSU nicht im Griff. Sie mäandert durch dieGegend und boykottiert alles, was an Sinnvollem vonder anderen Seite kommt.Wir reden heute über den IWF-Bericht. Es gibt nocheinen zweiten Bericht; er ist aus dieser Woche. Den fandich in Teilen weitaus spannender als den ersten. Dererste hat ein paar Signale gesetzt – auf die will ich auchnoch eingehen –, aber der zweite hat eine Grundaussagegetroffen. Es wurde ermittelt, wie viele Subventionenweltweit für Energieträger gegeben werden, und man istauf die Zahl von 5 Billionen Dollar jährlich gekommen.Das ist mehr als die gesamten Gesundheitsausgaben derWelt. Der Anteil am globalen Bruttosozialprodukt istdramatisch hoch, nämlich 6,5 Prozent.
In Deutschland sind es 50 Milliarden Euro. Wo sind IhreAnsätze, an die umweltschädlichen Subventionen heran-zugehen und für Zukunftsfähigkeit zu sorgen? Es istschön, dass wir gute Steuereinnahmen haben. Das wäreaber auch die Gelegenheit, mal eine zukunftsfähige Poli-tik zu machen. Aber das kriegen Sie nicht hin.
Die energetische Gebäudesanierung ist der nächstePunkt. Ich weiß nicht, was die CSU will. Woher wollenSie denn Strom bekommen, Herr Straubinger?
Aus der Steckdose kommt der Strom weiterhin. Aberohne Trassenausbau gibt es bald keine Kabel mehr,durch die Strom fließen kann. Wenn Sie es nicht schaf-fen, gegen zwölf Bundesländer im Bundesrat eine ge-meinsame Lösung zugunsten der energetischen Gebäu-desanierung zu finden,
dann ist das nichts anderes als Versagen auf der ganzenLinie. Auch hier ducken Sie sich weg. Sie handeln gegenjedwede Vernunft.
Zukunftsthema Elektromobilität. 1 Million Elektro-fahrzeuge wollten wir bis 2020 auf die Straße bringen.Aktuell sind es 20 000. Wenn es gut läuft, dann fahren2020 rund 100 000 Elektrofahrzeuge auf unseren Stra-ßen.
Aber Sie haben hier keinen Zukunftsplan. Wir haben et-was vorgelegt, und Sie haben es abgeschmettert. Siekommen auch hier nicht voran. Ich kann Ihnen bis heuteum Mitternacht einen Strauß aus Zukunftsthemen auf-zählen, bei denen nichts geschieht. Da ich nur noch zweiMinuten Redezeit habe, möchte ich folgende Punkte bei-spielhaft nennen.Ausbau der digitalen Infrastruktur. Wo sind die Zah-len, die das Ausbauziel von 50 MBit unterlegen? Ichkann davon nichts sehen. Sie haben es nicht geschafft,1 Milliarde Euro im Koalitionsvertrag zu verankern.Ähnliches gilt für die steuerliche Forschungsförderung.Im IWF-Bericht wird ausdrücklich erwähnt, dass wirhier nachlegen müssen. Sie schaffen es außerdem nicht,Hemmnisse für Frauen auf dem Arbeitsmarkt abzu-bauen. Das ist ein ganz zentraler Punkt im IWF-Bericht.Ich glaube, die SPD würde hier ein Stück weit mit unsmitgehen. Aber Sie, meine Damen und Herren von derCDU/CSU, tun das nicht. Sie blockieren. Sie sind auchbei Familienfreundlichkeit und Kinderbetreuung nochimmer nicht dort, wo wir sein könnten.Noch ein Punkt. Ich bin Münchner. Vielleicht habenSie den IWF-Bericht tatsächlich gelesen. Sie beantrageneine Aktuelle Stunde, um sich abzufeiern. Aber wir lesenauch die Berichte, über die wir reden. Das ist vielleichtein Unterschied. Bei den Preisen für Wohnimmobilienblinken jedenfalls die Warnleuchten auf. In meiner Hei-matstadt München sind die Preise in den letzten zweiJahren um 12 Prozent angestiegen. Die Mietpreisbremsemag ein erster Ansatz sein. Aber wie wollen Sie das wei-ter gestalten?
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10018 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
Dieter Janecek
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Was Sie schon zweieinhalb Jahre vor der nächstenBundestagswahl machen – NSA, Stromtrassen und vieleandere Themen –, erinnert mich stark an die Vorberei-tungen auf diese Wahl. Sachpolitik findet nicht mehrstatt. Sie haben einen enormen Spielraum. Darüber soll-ten Sie genauso wie wir glücklich sein. Aber Sie nutzendiesen Spielraum nicht, insbesondere bei einem zentra-len Thema nicht, mit dem ich abschließen möchte. Esgibt eine digitale Revolution; das ist gut. Die Mitgliederdes Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastrukturhaben gestern den Bundespräsidenten besucht. Er hatsich gegenüber diesem Thema sehr aufgeschlossen ge-zeigt. Ich weiß auch, dass im BMWi an entsprechendenLösungen gearbeitet wird. Aber wo schaffen Sie den Zu-sammenhang zwischen digitaler Technologie und ökolo-gischer Wirtschaftsweise? Auch dieses Thema verschla-fen Sie. All die Zukunftschancen, die wir brauchen,werden nicht genutzt. Sie feiern sich nur ab und verwal-ten, anstatt zu gestalten.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Jan Metzler, CDU/
CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Vorbe-merkung: Man muss den Bericht des IWF auf besondereArt und Weise lesen, wenn man seine positiven Punktenicht herauslesen möchte. Obwohl er ein eindeutig posi-tives Zeugnis ausstellt, handelt es sich nicht um Lobhu-delei. Es wird nicht nur auf die positive Bilanz Deutsch-lands verwiesen, sondern auch darauf, dass Deutschlandseine Hausaufgaben gemacht hat.
Ich zitiere:Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer güns-tigen Phase des Konjunkturzyklus, die durch starkeBilanzen untermauert und zum Teil durch kurzfris-tige Faktoren unterstützt wird.Das heißt nichts anderes, als: Erstens. Die deutscheWirtschaft ist stark und weiter auf Wachstumskurs. DieBundesregierung hat erst kürzlich die Wachstumspro-gnose für dieses Jahr auf 1,8 Prozent angehoben, übri-gens deutlich vorsichtiger als einige Wirtschaftsfor-schungsinstitute.Zweitens. Deutschland ist solide finanziert, mit aus-geglichenem Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung.Das mag man kaputtreden, wie man will, aber das isteine exzellente Bilanz, die hervorgehoben gehört.
Drittens. Besonders die andauernde Konsumlaunesorgt für gute Konjunkturstimmung. Laut dem Nürnber-ger Marktforscher GfK ist die Kauflaune so gut wie seitmehr als zehn Jahren nicht mehr.Viertens. Speziell der deutsche Arbeitsmarkt wird imBericht als stark hervorgehoben, und das auch zu Recht.Insofern ist die Ausgangslage mehr als ordentlich.Dazu gehört auch – das mag ich an dieser Stelle über-haupt nicht verschweigen –, dass natürlich Faktoren wiebilliges Öl, dauerhaft niedrige Zinsen und ein günstigerEuro-Kurs ihren Anteil dazu beitragen. Aber wer den an-deren Teil des Berichts absichtlich verschweigt, der willdie positive Bilanz ins Negative verkehren. Das ent-spricht nicht der Tendenz des gesamten Berichts.
Ich kann Ihnen im Allgemeinen nur zustimmen: Ent-scheidend sind jetzt die richtigen Weichenstellungen fürdie Zukunft und die zukünftige Wettbewerbsfähigkeitunseres Landes. Dabei haben wir bereits viel auf denWeg gebracht – Kollege Liebing hat bereits einigePunkte dazu genannt –: 10 Milliarden Euro Investitions-paket, 5 Milliarden Euro Stärkung der Kommunen, be-sonders der finanzschwächeren, sowie der avisierte Ab-bau der kalten Progression.Da auch ein Stück weit durchgedrungen ist, dass jen-seits des ZIM für kleine und mittelständische Betriebekeine Fördermaßnahmen bereitgestellt werden, möchteich an den Topf des Bundesforschungsministeriums erin-nern, aus dem seit 2008 insgesamt 1 800 Betriebe kleinerund mittelständischer Prägung mit über 750 MillionenEuro gefördert werden. Wer das in diesem Haus ver-schweigt, der verschweigt auch einen Teil der Gesamtbi-lanz, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Insgesamt sind wir auf einem guten Kurs. Klar ist da-bei: Eine florierende Wirtschaft ist Dreh- und Angel-punkt für den Wohlstand unseres Landes. Dazu gehöreneine gute Infrastruktur, gut ausgebaute Verkehrswege,schnelles flächendeckendes Internet und zuverlässigeEnergie. Erinnern möchte ich jenseits der bereits ange-sprochenen Punkte, auch zum Thema Familienfreund-lichkeit, daran – Herr Janecek, Sie haben es angespro-chen –: Der Bund steckt insgesamt über 6 MilliardenEuro in den Ausbau von Betreuungseinrichtungen imBereich U 3. Auch hier sehe ich, dass wir unsere Haus-aufgaben gemacht haben, was letztlich ebenfalls positivin die Gesamtbilanz einzubringen ist.Es bleibt also festzuhalten: Wettbewerbsfähig zu blei-ben ist ein Kraftakt, den wir alle gemeinsam – Bund,Länder und Kommunen – bewältigen müssen. Hervorra-gende Perspektiven für unser Land können nur gemein-sam gestaltet werden. Wir dürfen und wollen uns nichtauf den Lorbeeren von gestern oder heute ausruhen, son-dern müssen die richtigen Entscheidungen für die Zu-kunft treffen. Das ist eine gemeinsame Anstrengung.Dieser werden wir uns gern stellen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 10019
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein,
SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es ist eine Tatsache: Die wirtschaftliche Lagein Deutschland sieht ausgesprochen positiv aus. Alle wich-tigen Indikatoren belegen den anhaltenden Aufschwung.Klar ist auch, dass wir dennoch mehr in die Infrastruktur,in Straßen, Schulen und Brücken, investieren müssen.Das nehmen wir ernst, dies tun wir. Dazu haben unserStaatssekretär Uwe Beckmeyer und mein KollegeMatthias Ilgen bereits etwas gesagt.Wenn wir über mehr private und öffentliche Investi-tionen sprechen, dann muss es uns aber auch um mehrInvestitionen in gute Ideen, in Innovationen und jungeUnternehmen gehen. Wir sind auf dem richtigen Weg,aber wir können noch mehr. Deshalb liegt mir ein Themabesonders am Herzen: Wie schaffen wir es, so wie imKoalitionsvertrag formuliert, eine „Neue Gründerzeit“ inDeutschland zu initiieren? Denn Gründungen, geradeauch im innovativen Bereich, sind für Fortschritt, Wohl-stand und Wettbewerbsfähigkeit ebenso wichtig wie einemoderne Infrastruktur.
Die Voraussetzungen für Gründungen sind im Mo-ment offensichtlich besser denn je. Galten die Deutschenvor nicht allzu langer Zeit als Gründungsmuffel, siehtdas heute schon ganz anders aus. Nach einer repräsenta-tiven Studie der Markt- und MeinungsforschungsfirmaYouGov sind die Deutschen inzwischen sogar eher be-reit als die US-Amerikaner, ein Unternehmen zu grün-den. Hört! Hört! Sage und schreibe 44 Prozent der Be-fragten trauen sich grundsätzlich zu, eine eigene Firmazu gründen. Es ist ein beachtliches Ergebnis, dass es al-lein im Jahr 2014 in Deutschland über 800 000 Neugrün-dungen gab. Berlin, unsere Hauptstadt, steht dabei an derSpitze. Als internationale Metropole für Start-ups weistBerlin eine hohe Gründungsdynamik auf.
Was besonders erfreulich ist: Jede fünfte Gründung inDeutschland geht auf Migrantinnen und Migranten zu-rück. Darunter sind immer mehr innovative Start-ups.Mit ihrer höheren Neigung, sich selbstständig zu machenund dabei auch Arbeitsplätze zu schaffen, stellen Mi-grantinnen und Migranten eine tragende Säule des Grün-dungsgeschehens in Deutschland dar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese positive Ent-wicklung zeigt, dass wir in den vergangenen Jahren vie-les richtig gemacht haben. Dazu gehören nicht zuletztdie zahlreichen konkreten Fördermaßnahmen und Initia-tiven, mit denen wir speziell junge innovative Unterneh-men unterstützen, wie zum Beispiel das EXIST-Grün-derstipendium oder der High-Tech Gründerfonds sowiedas Programm INVEST, das einen Zuschuss für Wagnis-kapital beinhaltet. Insgesamt stellt der Bund für dienächsten Jahre 2 Milliarden Euro für die Weiterentwick-lung und Aufstockung dieser bestehenden Programmebereit.
Doch auf dem Erreichten ruhen wir uns nicht aus;denn wir wissen, dass das Gründungspotenzial inDeutschland noch lange nicht ausgeschöpft ist und dassGründerinnen und Gründer noch bessere Rahmenbedin-gungen brauchen. Viele erfolgversprechende Start-upssind noch zu klein und wachsen zu langsam, oder sieverlassen Deutschland sogar, weil sie hier das notwen-dige Wagniskapital nicht vorfinden.Wenn wir uns im internationalen Vergleich umsehen,müssen wir feststellen, dass bei uns zu wenig privatesKapital in Gründungen und Wachstum investiert wird. Inanderen Ländern wird ein Vielfaches investiert, bei-spielsweise in Amerika oder Israel. Auch in anderen eu-ropäischen Ländern wie Schweden, Frankreich oderGroßbritannien wird deutlich mehr an Wagniskapital in-vestiert als bei uns. Wir werden deshalb, so wie es imKoalitionsvertrag festgelegt ist, Deutschland als Investi-tionsstandort für Wagniskapital attraktiver und interna-tional wettbewerbsfähiger machen.
Deshalb ist es gut, dass wir gemeinsam mit unseremWirtschaftsminister daran arbeiten, die rechtlichen undsteuerlichen Rahmenbedingungen für Wagniskapital zuverbessern.Noch ein weiterer Punkt ist mir wichtig. Wir werdenauch beim Abbau von unnötiger Bürokratie für Existenz-gründerinnen und Existenzgründer sowie für junge Un-ternehmen mit dem Bürokratieentlastungsgesetz einenwichtigen Schritt in die richtige Richtung gehen. Nochim Juni soll der entsprechende Gesetzentwurf im Deut-schen Bundestag diskutiert und verabschiedet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen also, dasswir uns trotz des guten Zeugnisses, das uns der IWF aus-stellt, nicht auf dem Erreichten ausruhen. Wir werdendie Chancen des aktuellen Aufschwungs nutzen, um inDeutschland neben einer besseren Infrastruktur auch dienotwendigen Rahmenbedingungen für eine höhereGründungsdynamik zu schaffen.
Wir wollen, dass sich noch mehr Menschen nicht nurvorstellen können, ein Unternehmen zu gründen, son-dern das auch tun.Vielen Dank.
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10020 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015
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Der Kollege Klaus-Peter Flosbach hat jetzt für die
CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inder Tat hat vor wenigen Tagen der IWF seine Prognosenund Empfehlungen abgegeben, was er regelmäßigmacht. Der IWF ist für die Überwachung der weltweitenFinanzstabilität und die Förderung dessen zuständig. Zu-nächst einmal ist festzuhalten: Er hat Deutschland einunglaublich positives Zeugnis ausstellt.
Wir haben Wachstum, wir haben wachsende Einkom-men, und wir haben eine stabile Wirtschaft. Der wich-tigste Punkt für den Internationalen Währungsfonds istnämlich die Frage: Ist dieses Land stabil?Herr Kollege Ulrich, Sie haben sich hier hingestelltund erklärt, wir seien in unserer Leistungsbilanz zu sta-bil und zu leistungsfähig. Dazu kann ich Ihnen nur sa-gen: Gehen Sie doch einmal in einen Betrieb, sprechenSie mit den Arbeitnehmern und sagen Sie ihnen: Sie sindeinfach zu leistungsfähig,
Sie exportieren zu viel. Hören Sie damit auf; Sie gefähr-den die weltweite Finanzstabilität. – Das ist natürlichnicht der Fall. Aber diskutieren Sie einmal mit diesenMenschen. Dabei machen Sie völlig andere Erfahrun-gen.
Sie können den Erfolg, den wir hier erleben, nicht klein-reden.
Der Kollege Liebing hat deutlich gemacht: Wir kom-men nicht aus einer Phase, in der alles optimal gelaufenist und es uns gut gegangen ist. Noch vor wenigen Jah-ren hatten wir mit drei Krisen zu kämpfen: Es gab 2008die Bankenkrise. Im Jahr darauf hatten wir eine Wirt-schaftskrise und ein Jahr später eine Staatsschuldenkrise,die oftmals Euro-Krise genannt wird.In der Bankenkrise haben wir viele Maßnahmen – über40 Maßnahmen – umgesetzt. Auch der Bericht des IWFweist darauf hin, dass wir vieles richtig gemacht haben.Große Banken werden heute in Europa umfangreichkontrolliert. Wir haben ein Abwicklungsregime gegrün-det. Wenn also große Banken in eine Schieflage geraten,müssen sie nicht vom Steuerzahler aufgefangen werden.Die Eigentümer, die Gläubiger werden herangezogen,und gegebenenfalls muss ein Fonds, der von den Bankenselbst finanziert wird, herangezogen werden. Das wertetder Internationale Währungsfonds als Stabilität. Deswe-gen sollten wir darauf stolz sein, dass wir zum Beispieldieses Thema gelöst haben.
Wir haben auch – das möchte ich ausdrücklich beto-nen – in der damaligen Phase einen Garantierahmen von168 Milliarden Euro bereitgestellt. Dieser Rahmen istdamals ausgenutzt worden, aber alle Garantien, die wirdamals herausgegeben haben, sind zurückgeführt wor-den. Wir haben gemeinsam mit der SPD schon im Jahre2009 manche Maßnahmen in der Krise eingeführt. Den-ken wir einmal an die Ausweitung der Kurzarbeit, den-ken wir an die Konjunkturpakete, die gerade den Kom-munen zugutegekommen sind, und denken wir an dieSchuldenbremse. All das hat hinterher gewirkt. Wir wa-ren in der Lage, den anderen Ländern in Europa zu hel-fen. Wir konnten anderen helfen.
Mit 27 Prozent sind wir bei allen Rettungsmaßnahmendabei, weil wir in dieser Zeit stark geworden sind.
Das lag sicherlich nicht allein an der Politik, sondern anallen Akteuren, auch in der Wirtschaft. Ich denke hier anmeinen eigenen Wahlkreis. Wir hatten bis zu 10 000 zu-sätzliche Arbeitslose. Wir hatten Einbrüche von bis zu80, 90 Prozent. Aber durch die Kurzarbeit konnte da-mals Stabilität geschaffen werden. Als wir aus der Kriseherauskamen, hatten alle Unternehmen ihre Stammbe-legschaften und konnten weiterarbeiten.Heute haben wir ein Wachstum von 1,8 Prozent. DieBruttolöhne sind um 4 Prozent gestiegen. Wir haben stei-gende Unternehmensgewinne. 52 Prozent unseres Bundes-haushalts – das sollten wir auch einmal festhalten – gehenin die Sozialpolitik. Wir sind heute in der Lage, 52 Pro-zent unserer gesamten Ausgaben, über 150 MilliardenEuro, in die Sozialpolitik hineinzustecken. Das soll unserst einmal einer nachmachen, meine Damen und Her-ren.
Wir hatten im Haushalt 2009 eine Nettoneuverschul-dung von 86 Milliarden Euro. Jeder vierte Euro warnicht gedeckt. Heute haben wir – man sagt: eineschwarze Null – Überschüsse. Dafür werden wir kriti-siert. Wer hat uns denn geglaubt, dass wir die Schulden-bremse einhalten würden? Wer hat denn geglaubt, dasswir einen ausgeglichenen Haushalt schaffen würden?Wer hat uns denn geglaubt, dass wir das ohne Steuer-erhöhungen machen? Herr Janecek hat gerade gesagt:Damit haben Sie nichts zu tun. – Wenn Sie an die Regie-rung gekommen wären, hätten Sie durch Ihre Vermö-gensabgabe dem Mittelstand 100 Milliarden Euro entzo-gen. Dann hätten wir heute eine völlig andere Situationin Deutschland.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 10021
Klaus-Peter Flosbach
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Meine Damen und Herren, der IWF hat auch daraufhingewiesen: Wir sollten Warnungen nicht überhören. Erhat – ich bin im Finanzausschuss tätig – deutlich gesagt:Derzeit sind die Banken nicht in der Lage, Erträge zu ge-nerieren – wir haben derzeit sehr schwache Banken –;passen Sie also auf, dass kein neues Risiko entsteht wiebei den Lebensversicherungsgesellschaften. Die Ver-sicherungsgesellschaften haben in ihren Erträgen soniedrige Zinsen, dass es nicht nur für die Altersvorsorgeein Problem ist, sondern auch für die Lebensversiche-rungsverträge. Herr Hufeld, der neue Chef der Banken-aufsicht – er kommt aus dem Bereich der Versicherun-gen –, hat deutlich gesagt, dass er hier einenSchwerpunkt setzen wird. Aber wir haben in der Koali-tion das Lebensversicherungsreformgesetz umgesetzt,um zu stärken, dass die Lebensversicherungen stabilsind. Die Linken und die Grünen waren völlig andererMeinung. Sie waren nicht der Meinung, dass wir dieVersicherungsgesellschaften stärken sollten, damit siedie Erträge für alle Versicherten zahlen können.Liebe Kollegen, ich komme zum Ende. Der IWF lobtin dieser Prognose unsere Leistungen, aber er bestätigtvor allen Dingen den Weg, den wir in dieser Koalitiongehen:
Stabilität und Sicherheit für unsere Bürger herzustellen.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Sabine
Poschmann für die SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So lang-weilig wie angenommen ist die Debatte eigentlich garnicht, wenn Sie einmal ehrlich sind.
Der Internationale Währungsfonds bestätigt uns, auchentsprechend Ihrer Aussagen, gute Perspektiven undkommt zu dem Schluss, dass unsere Wirtschaft „aufeinem soliden Fundament“ steht. Damit zu tun hat einesolide Wirtschaftspolitik – natürlich auch andere Dinge,das bestreite ich gar nicht. Ich glaube aber, mit „Funda-ment“ ist auch dies gemeint.Wir haben das unter anderem aber auch dem Mittel-stand und dem Handwerk in Deutschland zu verdanken.Die Unternehmer kleiner und mittelständischer Betriebesorgen mit ihrer Leidenschaft und ihren Ideen dafür, dassDeutschland in vielen Bereichen Vorreiter ist undwettbewerbsfähig bleibt, weil sich diese Unternehmenaufgrund ihrer Größe schneller an den Markt, an dieNachfrage nach anderen Produkten und an das Verbrau-cherverhalten anpassen können. Zudem haben sie in derFinanzkrise Standhaftigkeit bewiesen. Das macht diedeutsche Wirtschaft insgesamt krisenfester, und das istunser Fundament.
Die meisten dieser Unternehmen – auch das unter-scheidet sie von manch großem Unternehmen – zweifelnnicht den Wirtschaftsstandort Deutschland an. Sie gehenauch nicht wegen Dumpinglöhnen im Ausland an andereStandorte, sondern sehen sich in der Verantwortung– das ist uns Sozialdemokraten wichtig – gegenüber denArbeitnehmern. Sie zahlen häufig Löhne weit über demMindestlohn. Deshalb ist der Mindestlohn an sich für sienicht das Thema.Die Frage ist: Wie können wir diese starke Wirt-schaftskraft, die gute Arbeitsplätze schafft, stabil haltenund ausbauen? Das zu tun, hat uns der IWF mit auf denWeg gegeben. Die Handlungsfelder sind weitgehend be-kannt; denn wir haben verstärkt – das ist das Wesentlichean dieser Regierung und den Koalitionsfraktionen – aufDialog gesetzt. Wir haben alle mitgenommen; wir habeneinen großen Beteiligungsprozess angestrebt, in dem wirGewerkschaften, Unternehmen und Verbände nach An-satzpunkten und Verbesserungsvorschlägen gefragt ha-ben.Erst gestern fand der Branchendialog zu Potenzialenund Herausforderungen im Handwerk im Wirtschafts-ministerium statt. Auch hier kristallisierten sich dreiThemen heraus: Fachkräftesicherung – sie wurde heuteschon erwähnt –, Digitalisierung und Investitionen. Nungilt es, Handlungsoptionen zu identifizieren und Maß-nahmen zu entwickeln, die über das Bisherige hinausge-hen und durch ihre Passgenauigkeit noch effektiver grei-fen. Dabei darf nicht nur der Staat gefragt sein: Wirmüssen auch Unternehmen und Verbände stärker in diePflicht nehmen, sich selber dieser Verantwortung zu stel-len. Aber auch hier gibt es gute Vorschläge, die zum Teilschon in die Tat umgesetzt worden sind.Einige Beispiele: Das Gütesiegel für eine gute Aus-bildung könnte durchaus ein Anreiz für junge Fachkräftesein, sich verstärkt dem Handwerk zu widmen. Ich haltees auch für einen guten Ansatz des Handwerks, jungenFlüchtlingen eine Chance auf eine Ausbildung zu geben.Auch im Handwerk – Herr Janecek, da bin ich bei Ihnen –darf das Potenzial der Frauen nicht außer Acht gelassenwerden. In einigen Handwerksbereichen sollte man sichgedanklich – das ist das Mindeste – gegenüber Frauenöffnen.
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Sabine Poschmann
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Die Polizei hat es uns vorgemacht: Woran vor Jahrennoch keiner denken konnte – Frauen bei der Polizei –,das ist heute etwas ganz Selbstverständliches.Ein weiteres drängendes Thema ist die zurückhal-tende Investitionstätigkeit der Unternehmen; auch dashaben meine Kollegen schon angesprochen. Deutsch-land braucht mehr Investitionen für Innovationen. Dashält unsere Unternehmen wettbewerbsfähig. Das Kapitalist vorhanden, die Notwendigkeit auch. Also, was hältunsere Unternehmen davon ab, selber zu investieren?Eine aktuelle Studie der KfW zeigt, dass ältere Arbeit-geber weniger investieren, vor allen Dingen, wenn dieUnternehmensnachfolge unklar ist. Bei einer fehlendenUnternehmensnachfolge stehen wir vor dem großen Pro-blem, wie wir die beiden Parteien zueinanderbringen.Aber hier hat das Wirtschaftsministerium gestern dasProjekt „Nachfolge beginnt jetzt!“ ins Leben gerufen– alle Projekte, die ich genannt habe, haben wir bereitsangepackt –, das innovativen Content zum Thema Un-ternehmensnachfolge bietet. Das Projekt dockt an die„nexxt“-Initiative an – sie ist Ihnen bekannt –, die seitvielen Jahren erfolgreich Inhaber und Nachfolger zu-sammenbringt. Durch praxistaugliche Informationenund durch die Nutzung neuer Medien wird das beste-hende Angebot verbessert. Vor allen Dingen werden da-durch neue Zielgruppen erschlossen.Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich in ihrer neuenProjektgruppe „Neue Erfolge – Vorsprung durch Innova-tion“ ebenfalls sehr auf die Verbesserung der Rahmenbe-dingungen, vor allem auf die Stärkung von Innovatio-nen, konzentrieren.
Ziel dabei ist es, Deutschland zukünftig noch innovati-ver zu machen. Technologische Trends müssen frühzei-tig erkannt und genutzt werden, um auch soziale Ziele zuerreichen; das sollte unser aller Bestreben sein. Wir sindnicht dafür angetreten, der Wirtschaft Geld in den Ra-chen zu stecken. Unser Ziel muss vielmehr sein, neueund bessere Arbeitsplätze zu schaffen und für eine in-takte Umwelt, für ein gutes Leben in Deutschland insge-samt zu sorgen.
Frau Kollegin Poschmann, ich darf Sie darauf hinwei-
sen, dass bisher alle Kolleginnen und Kollegen sehr dis-
zipliniert waren, was die Redezeit betrifft.
Auch ich werde mich an die Redezeit halten, Herr
Präsident.
Ich komme zum Schluss. Ich wünsche uns, dass wir
auch in Zukunft eine positive Kritik vom IWF bekom-
men und dass wir alle zusammen positiv in die Zukunft
schauen.
Herzlichen Dank.
Zum Abschluss der Aktuellen Stunde hat das Wort
der Kollege Dr. Hans Michelbach.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eswurde die Frage gestellt: Warum gibt es heute diese Ak-tuelle Stunde? Ja, warum denn?
Diese Aktuelle Stunde wurde heute auf die Tagesord-nung gesetzt, weil Leistung und Erfolg Anerkennungfinden sollten und weil wir wissen, dass sich die Opposi-tion darüber richtig ärgert.
Das haben Sie heute, wie immer sehr defätistisch, zumAusdruck gebracht. Sie haben einfach nicht die Größe,sich über den Aufschwung,
über die Wachstumsentwicklung und über den Wohl-stand der Menschen zu freuen.
Nicht einmal Mitfreude ist ihnen gegönnt.Herr Janecek, Ihre Frage, was wir als Regierungsko-alition damit zu tun hätten, beantworte ich Ihnen natür-lich sehr gerne. Das ist ganz einfach: Wir haben dieWirtschafts- und Finanzmarktkrise in Europa mit über40 Gesetzen zur Finanzmarktregulierung am besten be-kämpft. Wir haben neue Investitionsanreize geschaffen.Mit uns gab es keine Steuererhöhungen, wie Sie sie ge-fordert haben.
Wir haben eine zweiläufige Finanzpolitik verfolgt miteinem guten Mix aus Haushaltskonsolidierung, einerNettoneuverschuldung, die bei Null liegt, und mehr In-vestitionen für Forschung und Entwicklung. Wir habenmit großem Erfolg für mehr Finanzstabilität gesorgt. Invier Jahren haben wir für Steuermehreinnahmen in Höhevon über 100 Milliarden Euro gesorgt. Damit haben wireine Vertrauensbasis für die Zukunftsfähigkeit unseresWirtschaftsstandortes geschaffen, und ohne Vertrauengibt es kein Fundament für die Zukunft.
Natürlich dürfen wir uns auf den Erfolgen nicht aus-ruhen. Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen.Die vorgetragene Sorge der Opposition, unsere Leis-tungsbilanzüberschüsse seien etwas Schlimmes, etwasNegatives, ist natürlich Unsinn.
Gerade durch unsere starke Wirtschaftsleistung schaffenwir eine erhebliche Nachfrage nach Importgütern aus
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Mai 2015 10023
Dr. h. c. Hans Michelbach
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anderen Ländern; darauf können Sie sich einen Reimmachen. Das, was Sie hier vortragen, ist reine Voodoo-Ökonomie.
Das ist der falsche Ansatz. Wir müssen positiv über un-sere Wirtschaftsleistung und über unsere Leistungsbi-lanzüberschüsse sprechen; denn wir stärken mit unsererWirtschaftsleistung die anderen Länder um uns herum,weil wir mehr importieren, sie mehr in unser Land ex-portieren können. So wird ein Schuh draus. Wir müssenunsere Bemühungen offensiv, optimistisch und positivvoranbringen.Wenn wir über die Aufgaben, die vor uns liegen, spre-chen – weiterhin Anreize zu schaffen, die Vertrauensba-sis zu stärken –, dann werden wir uns immer an demPrinzip orientieren müssen: Das, was erwirtschaftetwird, hat Vorrang vor dem, was man ausgibt. Deswegenist es wichtig, dass wir erkennen: Nicht der Staat mit sei-nen Einnahmen kommt zuerst, sondern der Bürger, derdiese erarbeitet. Der Bürger hat Vorrang.Deswegen sind die steuerlichen Rahmenbedingungenweiter zu verbessern. Das ist unsere Aufgabe.Bei der anstehenden Reform der Erbschaftsteuer müs-sen wir eine Generationenbrücke für Familienunterneh-men einführen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, damitwir unsere mittelständische Wirtschaftsstruktur inDeutschland erhalten. Das ist ja unsere Stärke.Wir müssen die kalte Progression abbauen. Es darfnicht sein, dass die Menschen trotz einer Lohnerhöhungaufgrund der Inflation letzten Endes weniger Geld zurVerfügung haben. Abschreibungsverbesserungen unddie Förderung der energetischen Gebäudesanierung sindhier weitere wichtige Themen.
– Wer blockiert das denn, Herr Kollege Straubinger? DieGrünen blockieren das!
Ich kann Ihnen eines sagen, Herr Janecek – und daskann ich Ihnen auch ins Stammbuch schreiben, liebeKolleginnen und Kollegen von den Grünen –: Die Ener-giewendepolitik der Grünen ist für mich der Gipfel derHeuchelei!
Das, was Sie tun, ist Heuchelei. Vor Ort führen Sie dieBürgerinitiativen gegen die Stromtrassen an, und hierfordern Sie, dass die Stromtrassen möglichst schnellohne Bürgerbeteiligung gebaut werden.
Das ist Heuchelei, was Sie hier betreiben.
Ich kann Ihnen sagen: Sie haben in der Bevölkerungeinfach kein Vertrauen für Ihre Heucheleipolitik.
Sie müssten sich einmal anstrengen, Ihre Widersprücheaufzulösen. Darum geht es! Wir haben das Vertrauen derBevölkerung für die Zukunft, und das ist der wesentlichePunkt.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit zugleich am Schluss unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 21. Mai 2015,
9 Uhr, ein. Kommen Sie alle gesund wieder.
Die Sitzung ist geschlossen.