Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sieherzlich und rufe gleich Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Bundesbericht Energiefor-schung 2015.Dazu erhält der Bundesminister für Wirtschaft undEnergie, Sigmar Gabriel, sofort das Wort für einen kur-zen einleitenden Bericht.Wenn es absehbar Fragen über diesen Bericht hinausgibt, wäre ich ganz dankbar, wenn ich vorher einen Hin-weis bekommen könnte; denn dann kann man diese vor-her thematisch etwas sortieren, damit wir nicht ständighin und her springen.Bitte schön, Herr Minister.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DasKabinett hat heute den Bundesbericht Energieforschung2015 verabschiedet. Dieser Bericht schafft Transparenzin der öffentlichen Förderung der Energieforschung inDeutschland, und er dokumentiert unsere Ausrichtungder Energieforschung an den Notwendigkeiten der Ener-giewende.Unser langfristiges Ziel bis 2050 ist es, den Primär-energieverbrauch zu halbieren und den Anteil erneuer-barer Energien am Bruttoendenergieverbrauch auf60 Prozent zu steigern. Gleichzeitig wollen wir die Wett-bewerbsfähigkeit unseres Industrielandes, unserer Un-ternehmen sichern, zum Klimaschutz beitragen, aberauch Versorgungssicherheit erhalten und neue Beschäfti-gungsmöglichkeiten schaffen, um die Energiewende zueinem Exportschlager zu machen. Das alles gelingt nurmit raschem technischen Fortschritt. Dafür brauchen wirForschung und Entwicklung. Wir müssen den Wirkungs-grad und die Systemintelligenz der erneuerbaren Ener-gien weiter erhöhen. Wir müssen auch effizienter wer-den bei der Bereitstellung, Verteilung und vor allem beider Nutzung von Energie. Wir müssen vorankommen beider Entwicklung intelligenter Netze und technologischwie wirtschaftlich tragfähiger Speicherlösungen, und wirwollen natürlich die energiebedingten Treibhausgas-emissionen weiter reduzieren.All das geht nicht ohne Forschung und ohne Offen-heit gegenüber technologischer Innovation. Die Bundes-regierung hat daher die Energieforschung neu aufgestelltund aufgewertet. Im vergangenen Jahr haben wir819 Millionen Euro dafür aufgewendet, neue Technolo-gien für die Energieversorgung zu erforschen und beste-hende weiterzuentwickeln. Meine Damen und Herren,das ist mehr als eine Verdopplung innerhalb der letztenzehn Jahre. Fast drei Viertel dieser Mittel, 74 Prozent,flossen in die Bereiche, die für den Erfolg der Energie-wende besonders wichtig sind: in die Energieeffizienzund in die erneuerbaren Energien. Wir haben die einzel-nen Felder der Energieforschungspolitik noch enger mit-einander verzahnt. Das ist ein Synergieeffekt, der unmit-telbar mit der Zusammenführung der Forschung imWirtschaftsministerium zusammenhängt. Vorher gab eseine Aufteilung zwischen Wirtschafts- und Umweltmi-nisterium.Zusammenarbeit und das Denken in systemischenZusammenhängen sind entscheidend, um bei den Net-zen, den Speichern und vor allen Dingen bei der effi-zienteren Energienutzung in Gebäuden voranzukommen.Deshalb bauen wir auch die Forschungszusammenarbeitmit den Bundesländern und auf europäischer Ebene aus.Zudem setzen wir auf flexible Förderung. Die Projekt-förderung ist hierfür das geeignete Instrument. Sie hatnunmehr einen Anteil von 63 Prozent erreicht, 515 Mil-lionen Euro. 2011 waren es noch deutlich weniger, näm-lich 57 Prozent. Dabei geht es um sehr vielfältige undspannende Projekte. In einem Monat zum Beispiel wirddas Informationssystem EnArgus an den Start gehen. Eserfasst die vielseitigen Energieforschungsaktivitäten undstellt Einzelprojekte transparent dar. Zu den 2 400 lau-fenden Projekten gehören solche wie AmpaCity inEssen, bei dem das weltweit längste supraleitende Kabelverlegt und ins Stromnetz integriert wurde. Dazu gehö-
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ren innovative Techniken, die die Schallemissionen vonOffshore-Windenergieanlagen verringern und so zumArtenschutz im Meer beitragen. Weiter gehört dazu bei-spielsweise die Erprobung sogenannter virtueller Kraft-werke, also Kombikraftwerke.Auch der wichtigen Frage, wie man die Energieeffi-zienz in der Industrie erhöhen kann, wird in Forschungs-projekten nachgegangen. Zum Beispiel wird in derneuen ETA-Fabrik an der TU Darmstadt erstmals einegesamte Fertigungskette der Metallverarbeitung energe-tisch optimiert. Dort wird eine Energieeinsparung um biszu 40 Prozent erwartet. Getragen wird das Projekt vonrund 20 Industriepartnern und Forschungsinstituten. Esist damit hervorragend in Industrie, Forschung undLehre eingebunden.Solche Vernetzungen wollen wir weiterentwickeln.Dafür haben wir beispielsweise Forschungsnetzwerkeins Leben gerufen, die in ausgewählten Bereichen– Stromnetze, Gebäudeeffizienz und Energiesystemana-lyse – als Schnittstelle zwischen Forschung, Praxis undauch Politik dienen.Unser Ziel ist es, die Anwendungsorientierung derEnergieforschung zu stärken. Wir wollen die Basis fürneue marktreife Lösungen und Produkte schaffen. – Das,meine Damen und Herren, als kurze Einführung.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Die erste Nachfrage kommt vom Kollegen Röspel.
Vielen Dank, Herr Minister. – Wenn es darum geht,
bei der Energiewende die erneuerbaren Energien stärker
auszubauen und einzubinden, wird es eine große Heraus-
forderung sein, diese trotz des ungleichmäßigen Ein-
gangs zu nutzen. Dabei geht es beispielsweise darum,
wie man den tagsüber produzierten Photovoltaik- oder
Solarstrom zu anderen Zeiten nutzen kann, in denen er
stärker gebraucht wird, aber nicht mehr zur Verfügung
steht. Meine Fragen lauten also: Inwieweit spielt das
Thema Energiespeicherung innerhalb des Energiefor-
schungsberichts eine Rolle? Wie kann die Speicherfor-
schung ausgebaut werden?
Herr Minister.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Herr Kollege Röspel, Speicherung ist eines der zen-
tralen Themen. Wir sind noch längst nicht an dem Punkt,
wo die unterschiedlichen Speichermöglichkeiten wirt-
schaftlich vertretbar eingesetzt werden können. Dafür
brauchen wir noch eine ganze Reihe an Forschungs- und
auch Demonstrationsvorhaben. Ein bisschen wird auch
die Entscheidung über den neuen Strommarkt einen Bei-
trag dazu leisten. Denn wir müssen, glaube ich, auch
marktgetriebene Anreize schaffen, wenn es um die Frage
geht, ob beispielsweise eine Kraftwerkskapazität genutzt
werden muss, um Lastspitzen auszugleichen, oder ob
Speicher oder ein Demand-Side-Management, also die
Anpassung der Nachfrage, genutzt werden können. Das
muss am Ende über den Preis am Markt entschieden
werden. Da erwarten wir auch noch einmal einen Schub
für Speichertechnologien. Wir müssen aber auch noch
eine ganze Reihe von Forschungs- und Entwicklungs-
vorhaben voranbringen, damit wir hier letztlich zu
marktfähigen Speicherkapazitäten kommen. Man sagt
immer so, dass man dafür etwa 70 bis 80 Prozent erneu-
erbare Energien am Strommarktspeicher verfügbar ha-
ben muss. Davon sind wir noch ein Stück weit entfernt.
Kollege Lenkert.
Herr Minister, ich möchte Sie fragen, ob Sie im Rah-men des Energieforschungsprogramms auch einForschungsprojekt aufgelegt haben, mit dem die Bun-desnetzagentur befähigt werden wird, in Zukunft selbst-ständig Berechnungen des Stromübertragungsnetzesdurchzuführen. Die derzeitige Situation ist folgende: DieBerechnungsprogramme wurden von den Netzbetreibernentwickelt. Von den Netzbetreibern wird mittels dieserProgramme ermittelt, welchen Netzausbaubedarf es gibt.Die Netzbetreiber erhalten entsprechend dem Netzaus-baubedarf für 40 Prozent ihrer Investitionssumme einegarantierte Rendite von 9 Prozent – und das in der heuti-gen Zeit. Die Bundesnetzagentur überprüft mit den Pro-grammen der Netzbetreiber, ob diese Berechnungenrichtig sind. Da ist natürlich ein gewisser Interessenkon-flikt nachvollziehbar. Der führte zu 26 000 Einwendun-gen beim Netzentwicklungsplan.Ich frage Sie, ob Sie diesem Missstand, dass mannicht unabhängig nachrechnen kann, durch ein For-schungsprogramm begegnen wollen, das die Bundes-netzagentur zukünftig in die Lage versetzen wird, selbst-ständig mit einem unabhängig entwickelten Programmdie Angaben der Netzbetreiber überprüfen zu können.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Die Bundesnetzagentur kann die Angaben der Netz-betreiber unabhängig überprüfen. Sie checkt sie auch ge-gen mit in Europa entwickelten Programmen zur Be-rechnung existierender Kapazitäten, der Entwicklungder Netze, der Grenzkuppelstellen und von vielem ande-ren mehr. Ich halte es nicht für sinnvoll, diejenigen ausder Verantwortung für die Entwicklung der Netze zu ent-lassen, die sie als Übertragungsnetzbetreiber letztlich fi-nanzieren müssen.
– Natürlich müssen sie investieren. Sie bekommen dannüber die Netzentgelte aber eine Refinanzierung ihrer In-vestition. So läuft das.Ich glaube, dass es richtig ist, dass die Übertragungs-netzbetreiber diese Berechnungen vorlegen müssen. Un-sere Behörde muss in der Lage sein, die Richtigkeit der
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Bundesminister Sigmar Gabriel
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Angaben zu überprüfen, um festzustellen und nachzu-prüfen, ob es objektivierbare Kriterien zum Beispiel fürdie ausgewählten Korridore und die als notwendig er-achteten Leitungen gibt. Das kann die Behörde. Dafürhat sie die Kapazitäten. Beim Thema Netze gibt es ganzandere Forschungsaufgaben, die Sie im Energiefor-schungsbericht auch wiederfinden.
Frau Kotting-Uhl.
Herr Minister, ich habe eine Frage zur Energiefor-
schung. Der Bericht, den wir vorhin bekommen haben,
enthält ein klares Bekenntnis zum ITER. Im deutschen
Energieforschungsprogramm sind für 2014 für die Kern-
fusionsforschung 138 Millionen Euro jenseits der Kos-
ten von ITER aufgeführt. Das sind immerhin 25 Prozent
dessen, was für Energieeffizienz und erneuerbare Ener-
gien eingestellt wird. Das ist also nicht zu vernachlässi-
gen.
Im neuen Bericht führen Sie die Fusionsforschung
unter „alle infrage kommenden Konzepte für eine zu-
künftige Energieversorgung“ auf. Ich möchte Sie daher
fragen, wie das zu dem Bekenntnis zur Energiewende
passt, von der wir wissen, dass wir völlig andere Struktu-
ren und einen völlig anderen Netzausbau als bei der bis-
herigen sehr zentralen Stromversorgung brauchen. Die
Kernfusion wäre eine Rückkehr zur absoluten zentralen
Stromversorgung. Wie passt das zusammen? Wie soll
das funktionieren, wenn im Jahr 2050 doch hoffentlich
eine andere Stromversorgung und eine andere Energie-
versorgungsstruktur in Deutschland aufgebaut sein wer-
den?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Frau Kollegin Kotting-Uhl, wir sind bei dem Thema
ITER an völkerrechtliche Verträge gebunden. Diese sind
übrigens noch zu rot-grünen Zeiten verhandelt und dann
– ich glaube, das war 2006 – vom Forschungsministe-
rium und Finanzministerium endgültig verabschiedet
worden. Wir haben 2017 zum ersten Mal die Möglich-
keit, aus dem Programm auszusteigen. Ich finde, Sie ha-
ben gerade kluge Argumente genannt, warum man das
ins Auge fassen sollte.
Kollege Diaby.
Herr Bundesminister, Sie haben die europäischen Di-
mensionen und die Zusammenarbeit angesprochen. Wir
wissen, dass im Bereich Forschung internationale Zu-
sammenarbeit eine ganz große Rolle spielt. Deshalb
meine Frage: Welche internationalen Kooperationen
wurden im Jahr 2014 im Bereich Energieforschung un-
terstützt?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Ich kann jetzt nicht aus dem Kopf sagen, welche kon-
kreten Kooperationsvorhaben darin enthalten sind. Das
liefern wir aber gerne nach.
Kollege Krischer.
Herr Kollege Pfeiffer, wir hätten eben im Wirtschafts-
ausschuss gerne eine Aussage von Ihnen dazu gehört.
Aber das passiert ja leider nie. Sie sprechen im Wirt-
schaftsausschuss leider nicht dazu.
Mit „Regierungsbefragung“ ist eigentlich nicht die
Auseinandersetzung zwischen den Fraktionen gemeint.
Der Kollege hat aber eben eine Bemerkung gemacht.
Herr Bundesminister, nun zum Thema Energiefor-schung. Kollegin Kotting-Uhl hat gefragt, was wir fürdie Fusionsforschung ausgeben. Im Jahr 2014 waren es138 Millionen Euro. Das ist ein Anteil von round about25 Prozent. Das ist nicht alles für ITER vorgesehen. Dasist auch nicht alles völkerrechtlich verpflichtend. Dasheißt, wir sind in einem ganz erheblichen Umfang auchdarüber hinaus tätig.Ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genom-men, dass Sie Wohlwollen demgegenüber hegen, 2017aus ITER auszusteigen. Meine Frage ist: Ist die Bundes-regierung denn bereit, schon vorher oder auch jetztschon Maßnahmen einzuleiten, um die darüber hinaus-gehenden Forschungsaktivitäten in diesem Bereich zureduzieren?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Ich kann nur davon abraten, die darüber hinausgehen-den Forschungsbereiche zu reduzieren, weil es sich umEndlagerforschung handelt.
– Vielleicht gibt es jetzt ein Missverständnis. Uns geht esdarum, dass wir im Wesentlichen die Bereiche der For-schung fortsetzen müssen – ich glaube, da sind wir auchnicht auseinander –, die nukleare Sicherheit zum Zielhat. Wir werden selbst nach dem Abschalten von Kern-kraftwerken zur Stromproduktion weiter Nuklearanla-gen, zum Beispiel im Forschungsbereich, und die Endla-gerforschung haben.
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Bundesminister Sigmar Gabriel
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– Durch Ihre Zwischenrufe merke ich, dass Sie den Teilmeinen, der die Kernfusionsforschung selbst betrifft.
Wir sind jedoch in Projekte eingebunden, bei denen wirnicht einfach aussteigen können.
– Die Nachfragen des Abgeordneten Krischer und vonFrau Kotting-Uhl weisen auf Folgendes hin: WelchenSinn macht es eigentlich, eine höchst zentrale Form derEnergieversorgung weiterzuentwickeln, wenn man da-von ausgehen muss, dass dafür bei all den Programmen,die diese, die letzte und die vorletzte Bundesregierungzur Energiewende beschlossen haben, kein Raum mehrist, jedenfalls dann nicht, wenn man diese Projekte ernstnimmt? Das ist eine durchaus berechtigte Frage.Wir sind in diese Projekte eingebunden. Jetzt einseitigauszuscheiden, ist für uns nicht möglich. Wir haben unsin einem völkerrechtlichen Vertrag gebunden. Wir sinddurch Projekte gebunden. Ich glaube, dass wir diese zuEnde führen müssen. Ich persönlich bin allerdings derAuffassung, dass wir ab 2017 die Möglichkeit nutzenmüssen, die Gelder für die Forschung zu verwenden,deren Ergebnisse die Bundesrepublik Deutschland amEnde sinnvoll nutzen kann. Das wird bei der Kernfu-sionsforschung nach meinem Eindruck nicht mehr mög-lich sein, jedenfalls dann nicht, wenn wir die Energie-wende konsequent zu Ende führen.
Frau Bulling-Schröter.
Danke schön. – Sehr geehrter Herr Minister, die Che-
fin der Internationalen Energieagentur, Frau Maria van
der Hoeven, hat diese Woche erklärt, dass wir die For-
schungsmittel verdreifachen müssten, um saubere Tech-
nologien zu entwickeln, und zwar im regenerativen Be-
reich, vermute ich – ich hoffe nicht, dass sie damit die
Atomforschung gemeint hat –, und so die Klimaschutz-
ziele zu erreichen. Wir wissen, wie brisant dieses ganze
Thema ist.
Ich frage Sie: Inwieweit sind Sie bereit, eine Auswei-
tung der Mittel zu forcieren? Ist da etwas geplant? In-
wieweit würden Sie sich da einbringen? Teilen Sie die
Meinung der Chefin der IEA?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Sie müssen mir erst gestatten, zu fragen, ob diese For-
derung sich nur auf Deutschland oder auf die internatio-
nale Energiepolitik bezieht.
Auf die internationale Energiepolitik natürlich. Aber
Deutschland ist ja ein Teil davon.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Dass es in der internationalen Energiepolitik wün-
schenswert wäre, dass andere Staaten ähnlich handeln
wie wir, unterstreiche ich. In Deutschland, finde ich, ha-
ben wir auf diesem Gebiet eine Menge getan. Ich habe es
schon gesagt: Der Forschungsetat wurde fast verdoppelt.
Übrigens beziehen sich die Zahlen in diesem Energie-
forschungsbericht auf das Jahr 2014. Das liegt daran,
dass wir bei Drucklegung des Energieforschungsberichts
die alte mittelfristige Finanzplanung als Grundlage neh-
men mussten. Schauen Sie sich an, wie die mittelfristige
Finanzplanung bis 2019 aussieht: Die Mittel steigen an,
und zwar auf über 1 Milliarde Euro. Also, wir steigern
unsere Ausgaben in diesem Bereich; aber die Chefin der
Internationalen Energieagentur hat mit ihrer Meinung
völlig recht, dass andere Staaten das genauso machen
sollten.
Herr Röspel.
Für eine erfolgreiche Energiewende werden die priva-
ten Haushalte eine zentrale Rolle spielen, was Effizienz,
aber eben auch die Steuerung der Nachfrage anbelangt.
Meine Frage ist, ob es geplant ist, Forschungsmittel in
diesem Bereich, Umgang mit Energie und Effizienz in
privaten Haushalten, verstärkt einzusetzen. Den Wirt-
schaftsminister möchte ich gerne fragen, ob überlegt
wird, Einführungsprogramme hinterherzuschieben.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Diese Programme gibt es schon. Wir in der Koalition
haben im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz für
die kommenden Jahre gerade 1,2 Milliarden Euro zur
Steigerung der Energieeffizienz zur Verfügung gestellt.
Davon ist ein großer Teil für private Haushalte vorgese-
hen, etwa die Erhöhung der Mittel für das Marktanreiz-
programm, für das Austauschprogramm für veraltete
Kessel, für die Heizungstechnik, und zwar von der Bera-
tung bis zum Zuschuss. Insofern tun wir schon das, wo-
nach Sie gefragt haben. Gleichzeitig haben Sie völlig
recht: Auch in der Energieforschung muss in diesem Be-
reich, auch was die Konsum- und Nachfrageseite angeht,
noch mehr passieren.
Übrigens diskutieren wir häufig über Industrie 4.0.
Wenn es einen Anwendungsbereich gibt, in dem Sie das
real sehen können und in dem man in den kommenden
Jahren die Entwicklung des Internets der Dinge erleben
kann, dann ist es der Bereich der Energieproduktion, der
Energienachfrage und vor allen Dingen der Energiever-
teilung. Das wird ohne intelligente Systemtechnik und
Smart Grids nicht gehen. Da spielt das, was Sie ange-
sprochen haben, eine zentrale Rolle.
Kollege Rossmann.
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Herr Minister, als Abgeordneter für die einzige deut-
sche Hochseeinsel Helgoland muss ich Sie zu Ihrer Ein-
schätzung, was Offshore angeht, fragen, speziell zu dem
Beitrag, den Sie über das Forschungsprogramm für die
gute Einbindung ökologischer und anderer Belange von
Offshore geleistet haben. Generell habe ich noch die
Frage, wie Sie die weitere Offshoreentwicklung ein-
schätzen.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Herr Kollege Rossmann, wir haben gerade am letzten
Wochenende erleben können, dass sich die frühere Ent-
scheidung, in Forschung zu investieren, die schon unter
meinem Amtsvorgänger als Bundesumweltminister,
nämlich Jürgen Trittin, getroffen wurde, sehr gelohnt
hat. Wir haben damals die Forschungsplattform Alpha
Ventus mit großen Schwierigkeiten in Gang bekommen.
Wir können jetzt, round about zehn Jahre später, se-
hen, dass wir den Durchbruch in der Industrialisierung
bei Offshore erleben. Dafür war die Forschung die zen-
trale Voraussetzung. Sie ist auch noch nicht zu Ende. Wir
werden in Europa über Standardisierungen reden müs-
sen, um den Industrialisierungsgrad immer mehr zu er-
höhen. Industrialisierung heißt nichts anderes, als dass
eine höhere Anzahl von Projekten, die standardisiert
sind, realisiert wird, um die dadurch entstehenden Preis-
vorteile den Kunden anbieten zu können.
In dieser Phase sind wir jetzt. Wir haben gerade das
Projekt DanTysk von Vattenfall an der deutsch-däni-
schen Grenze eröffnen können. Das ist ein gewaltiger
Park mit 80 Anlagen. Der nächste ist schon in Planung.
Das zeigt, dass sich die Forschungsaktivitäten gelohnt
haben. Sie kommen aus Schleswig-Holstein.
Herr Minister, achten Sie bitte auf die Zeit.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Dann höre ich jetzt auf.
Das wird alles in Echtzeit übertragen.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Herr Präsident, ich wollte eigentlich nur noch sagen,
dass wir uns in Norddeutschland insgesamt freuen kön-
nen, dass wir nach Jahrzehnten der Deindustrialisierung
und des Verlustes industrieller Arbeitsplätze jetzt das
Gegenteil erleben. Das zeigt den Erfolg, der mit der For-
schung begonnen hat.
Ich habe jetzt noch die Wortmeldungen von Frau
Kotting-Uhl, Herrn Lenkert, Herrn Heil, Herrn Ebner
und Herrn Diaby. Damit würde ich gerne die Fragen zu
diesem Bericht abschließen. Dann sind wir ziemlich ge-
nau in der Zeit, die wir üblicherweise für die Regie-
rungsbefragung vorgesehen haben, und haben dann noch
einige bereits angemeldete zusätzliche Fragen an die
Bundesregierung. – Ich stelle Einvernehmen fest.
Frau Kotting-Uhl.
Dann quäle ich Sie jetzt nicht mehr mit Aussagen zur
Kernfusion in Ihrem Bericht, die nicht zu dem passen,
was Sie gerade sagten.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Sie quälen mich überhaupt nicht.
Ich frage Sie noch zur nuklearen Sicherheitsfor-
schung, die – da sind wir uns völlig einig – absolut wich-
tig ist. Ich mache in meinem Karlsruher Institut KIT die
Erfahrung, dass dort unter diesem Begriff auch andere
Forschung betrieben wird, zum Beispiel die Forschung
zur Sicherheit von Brennelementen für Reaktoren der
vierten Generation. Ist Ihnen das bewusst? Weiß das
Ministerium, dass das unter dem Begriff der nuklearen
Sicherheitsforschung betrieben wird, und wie wird das
dann begründet?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Mir ist es nicht bewusst. Ob das Ministerium das
weiß, muss ich fragen. Dann kann ich Ihnen sagen, ob es
dafür eine kluge Begründung gibt. Das mache ich übri-
gens gerne.
Kollege Lenkert.
Herr Minister, Sie führten vorhin aus, dass es von derEntwicklung der ersten Offshoreplattform bis zum in-dustriellen Durchbruch zehn Jahre gedauert hat. Dassind in etwa die Forschungszeiträume. Sie führten auchaus, dass Sie bei den Speichern noch keinen Bedarf be-trachte. Wenn ich die Pläne der Bundesregierung zumEinsatz erneuerbarer Energien betrachte, dann sehe ich,dass der Bedarf an Speichern in absehbarer Zeit auf unszukommt. Zumindest in 10, 15 Jahren könnte es schonso weit sein.Deswegen meine Frage: Investieren Sie größere Sum-men in die Speicherentwicklung, in neue Speichertech-nologien, sei es auf Batteriebasis, sei es auf chemischerBasis? Inwieweit werden diese Forschungsprojekte von
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Ralph Lenkert
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Ihrem Haus deutlich unterstützt? Wir haben bei derE-Mobilität einen Rückstand der einheimischen Indus-trie erlebt. Die Firma Tesla möchte die Bundesrepublikjetzt mit preiswerten Speichern beliefern. Das heißt,auch auf diesem Gebiet scheint ein Rückstand zu entste-hen. Wie sehen Sie das als Wirtschaftsminister? Waswollen Sie tun, um diesen Rückstand aufzuholen? Wol-len Sie mit einem massiven Forschungsprogramm ge-gensteuern?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Die Antwort finden Sie auf Seite 15 des Energiefor-schungsberichts. Dort wird über Energieverteilung undEnergienutzung berichtet. Unter dem Punkt „Speicher“steht zum Beispiel, dass wir in den beteiligten Ressorts– mein Haus und das BMBF – aus dem Energie- undKlimafonds 283 Projekte mit einer Gesamtförderungvon 190 Millionen Euro fördern. Im Jahr 2014 wurdenFördermittel in Höhe von rund 57 Millionen Euro ausge-zahlt. 67 Projekte wurden neu angestoßen. – Dort findenSie eine relativ lange Ausführung, die die Frage nochkonkreter beantwortet.
Hubertus Heil.
Herr Bundesminister Gabriel, Sie haben vorhin in Ih-
rem Bericht ausgeführt, dass das Zusammenführen von
Energiepolitik und den Teilen im Bereich der Energie-
forschung, die aus dem Bundesumweltministerium ge-
kommen sind, in einem Haus, nämlich seit der Bundes-
tagswahl in Ihrem Haus, sehr gut funktioniert. Können
Sie uns ein bisschen näher berichten, welche Synergie-
möglichkeiten diese Bündelung von Energieforschung
und Energiepolitik in einer Hand für die Energiewende
bedeutet?
In einer Minute!
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Solche Möglichkeiten entstehen erstens dadurch, dass
Häuser nicht mehr gegeneinander arbeiten, und zweitens
dadurch, dass man die Abteilungen nicht einfach in ein
anderes Haus überführt, sondern die Abteilungen auflöst
und ein gemeinschaftliches Arbeiten bewirkt, damit die
nicht weiter in ihren Silos denken. – Das war unter einer
Minute, Herr Präsident.
Ich war fast versucht, Ihnen eine Gutschrift in Aus-
sicht zu stellen.
Aber da ich sicher bin, dass Sie davon sofort Gebrauch
gemacht hätten, habe ich dieser Versuchung tapfer wi-
derstanden. – Ich habe das aber mit Respekt registriert.
Kollege Ebner.
Herr Minister, es steht auch die Weiterentwicklung
des 6. Energieforschungsprogramms an. Ich möchte Sie
fragen, ob denn die Bundesregierung trotz des fraktions-
übergreifend beschlossenen Atomausstiegs plant, dort
weitere Gelder für die Erforschung atomarer Technolo-
gien wie Kernfusion, Transmutation und diese Dinge be-
reitzustellen und, wenn ja, mit welcher Begründung.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Die Debatten darüber laufen. Wir werden das sicher
im Rahmen der internationalen Verträge tun müssen; ich
glaube, dass wir da keine Chance haben. Ansonsten gibt
es darüber natürlich eine Diskussion innerhalb der Re-
gierung, und die ist nicht abgeschlossen.
Kollege Diaby.
Herr Minister, die Bürgerinnen und Bürger interessie-
ren sich für das Thema selbstverständlich immer noch
sehr. Deshalb meine Frage: Welche Rolle spielt der ge-
sellschaftliche Dialog im Bereich Energieforschung?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Was wir natürlich versuchen, ist, auch Projekte zu un-
terstützen, die die Akzeptanzforschung vorantreiben.
Wir alle wissen, dass das nicht nur in der Energiepolitik
eine Rolle spielt, sondern bei fast allen Infrastrukturpro-
jekten größerer Natur, manchmal auch bei kleineren Pro-
jekten. Deswegen ist Akzeptanzforschung auch ein Teil
dessen, was wir tun.
Damit schließen wir diesen Bereich ab.Bevor ich die angemeldeten sonstigen Fragen an dieBundesregierung aufrufe, frage ich der guten Ordnunghalber, ob jemand noch Fragen zur heutigen Kabinetts-sitzung hat. – Das ist nicht der Fall.Ich rufe jetzt die sonstigen Fragen an die Bundesre-gierung auf. – Kollege Hofreiter.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, michwürde interessieren, ob das Modell, das Sie am Montagvorgestellt haben, und zwar das Modell „Investitions-schutzvertrag“, auch Ihre persönliche Position ist oder
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9743
Dr. Anton Hofreiter
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ob das nur die Position des Gutachters ist, und ob Sievorhaben, diese Position zur Position des Kabinetts zumachen, oder ob das de facto eine Privatmeinung bleibt.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Es ist erstens natürlich die Position des Gutachters,zweitens meine, drittens im Kern die von mindestensfünf weiteren Handelsministern in der EuropäischenUnion, viertens, wenn ich richtig verstanden habe, wasFrau Malmström dem Europäischen Parlament und mor-gen dem Handelsministerrat vorstellen will, grundsätz-lich auch die Position der zuständigen Kommissarin derEU. Wenn die Vorschläge konkretisiert sind, dann wirdsich darüber sicherlich auch die gesamte Bundesregie-rung eine Meinung bilden müssen.
Frau Kollegin Dröge.
Schon einmal vielen Dank, Herr Minister Gabriel, für
diese erste Antwort. Wir hatten Sie schon einmal nach
den Positionen der Handelsminister gefragt. Ihr Staats-
sekretär hat auf die Frage, ob das Gutachten der Position
der Bundesregierung entspricht, nie eine Antwort gege-
ben. Deshalb: Wenn Sie jetzt vorhaben, das Ergebnis des
Gutachtens zur Position der Bundesregierung zu ma-
chen, ist das schon einmal eine interessante Aussage von
Ihnen. Frau Zypries hat eben im Wirtschaftsausschuss
gesagt: Das ist erst einmal nicht die Position der Bundes-
regierung.
Wir haben jetzt bei CETA einen Vertragsentwurf auf
dem Tisch, der andere Regelungen vorsieht. Wenn Sie
das, was Sie ausgeführt haben, ernst meinten, müssten
Sie die entsprechenden Regelungen auch im Rahmen
von CETA durchsetzen. Ansonsten ist es aus meiner
Sicht wenig wahrscheinlich, dass Sie es bei TTIP hinbe-
kommen. Deswegen die konkrete Frage: Wird die Bun-
desregierung bei den Verhandlungen über CETA ent-
sprechende Regelungen einfordern, oder wird sie mit
den bisher vorgesehenen Schiedsgerichten vorliebneh-
men?
Zur zweiten Frage. Frau Malmström hat aus meiner
Sicht einen multilateralen Gerichtshof nur in Aussicht
gestellt, aber nicht konkret vorgeschlagen, ihn im Rah-
men von TTIP durchzusetzen. Wie würden Sie damit
umgehen, wenn Frau Malmström nicht anstrebte, den
multilateralen Gerichtshof im Rahmen von TTIP durch-
zusetzen, und es bei der Schaffung von Schiedsgerichten
bliebe?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Erstens. Ich glaube, dass die Reihenfolge umgekehrt
ist: Die Kommission ist die Verhandlerin, sie muss eine
Position entwickeln; danach müssen sich die beteiligten
Regierungen dazu eine Meinung bilden. Ich glaube, dass
es sinnvoll ist, dann in der Bundesregierung über die
Frage zu reden, wenn Frau Malmström ihren Vorschlag
vorgelegt hat. Das will sie morgen im Handelsminister-
rat tun.
Zweitens. Ich habe Frau Malmström anders verstan-
den als Sie – wir werden es sehen. Insofern halte ich Ihre
Schlussfolgerung, man könne das, wenn man CETA so
lasse, wie es ist, nicht in den Verhandlungen mit den
USA durchsetzen, für falsch. Frau Malmström argumen-
tiert genau umgekehrt. Sie sagt: Ich mache diesen Vor-
schlag jetzt, damit niemand den Eindruck hat, das Ab-
kommen mit Kanada sei eine Blaupause für das
Abkommen mit den USA. – Es gibt sogar die Absicht,
wichtige Schritte in den Verhandlungen mit den USA bis
Ende des Jahres abzuschließen. Ob das gelingt, wird
man sehen. Der Abschluss der Verhandlungen mit Kanada
könnte sogar danach liegen, weil das Legal Scrubbing,
wie wir hören, wahrscheinlich sogar bis Januar andauert
– vielleicht auch nur bis Ende dieses Jahres –, sodass ich
Ihre Auffassung, das eine Abkommen sei eine Blau-
pause für das andere, überhaupt nicht teile. Vielmehr ist
das Abkommen mit Kanada ausverhandelt; das habe ich
mehrfach hier im Deutschen Bundestag gesagt. Wir ver-
suchen trotzdem, im Rahmen der Möglichkeiten, die es
gibt, Veränderungen herbeizuführen, die auch die
Schiedsgerichte betreffen. Aber ich habe immer gesagt,
dass dies bei einem ausverhandelten Abkommen sehr
schwierig ist – nicht unmöglich, aber schwierig.
Dagegen ist bei TTIP wirklich alles offen. Es gab ein
Konsultationsverfahren, das zu den entsprechenden Er-
gebnissen geführt hat. Warum sollten wir, wenn Frau
Malmström jetzt einen Vorschlag für die Verhandlungen
mit den Vereinigten Staaten unterbreitet, der in Richtung
eines Handelsgerichtshofes geht, nicht versuchen, ihn
gegenüber den Vereinigten Staaten vor Ende des Jahres
durchzusetzen? Dann wären Ihre Sorgen nicht mehr be-
rechtigt, und die Arbeit hätte sich gelohnt. Ich bin sehr
sicher: Die Bundesregierung würde sich, wenn sie über
einen solchen Vorschlag von Frau Malmström beraten
würde, garantiert nicht dagegenstellen, sondern den Vor-
schlag – ganz im Gegenteil – unterstützen.
Herr Minister, wir sind uns einig, dass die nicht vor-
handene Zeitgutschrift jetzt verbraucht ist?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Wir sind uns einig, Herr Präsident.
Herr Kollege Krischer.
Herr Minister Gabriel, Sie haben vor einigen Wocheneinen Vorschlag gemacht – Stichwort „Klimaschutzab-gabe“ –, der für interessante, spannende Debatten, Dis-kussionen und auch Demonstrationen sorgt. Wenn ichSie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt: DieserVorschlag ist mit der Frau Bundeskanzlerin abgestimmt,zumindest ist er ihr im Vorfeld bekannt gewesen. MeineFrage ist: Könnten Sie uns erläutern, in welcher Weise,
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9744 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015
Oliver Krischer
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in welcher Form diese Abstimmung erfolgt ist und wiedie Reaktion der Frau Bundeskanzlerin war?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Ich kann nur wiederholen, was ich damals schon ge-sagt habe: Selbstverständlich gehe ich nicht mit einemsolchen Vorschlag an die Öffentlichkeit, ohne ihn vorhermit dem Kanzleramt zu beraten. Jetzt gibt es eine Dis-kussion darüber, ob die Sorgen, die die Beschäftigtenund die Unternehmen haben, gerechtfertigt sind odernicht. Wären sie gerechtfertigt, müssten wir natürlich ei-nen anderen Vorschlag entwickeln. Wir glauben nicht,dass die Sorgen gerechtfertigt sind. Trotzdem gibt eseine Debatte über denkbare Alternativen. Ich habe übri-gens immer gesagt: Wenn jemand Alternativen hat, diedas gleiche Ergebnis erzielen, nämlich Substanz im Kli-maschutz, also Senkung der Emissionen um 40 Prozentbis 2020, dann spricht nichts dagegen, zu prüfen, obdiese Alternativen kostengünstiger oder einfacher sind.Bislang kenne ich solche Alternativen nicht.Wir sind in den Beratungen. Das gilt für mich und an-dere Mitglieder der Bundesregierung. Das ist ein ganznormaler Prozess.
Kollege Lenkert.
Herr Minister, Sie führten zu Recht aus, dass TTIP
nicht unbedingt eine Kopie von CETA ist. Aber Tatsache
ist nun einmal: Sollte CETA mit den vorgesehenen In-
vestitionsschutzklauseln in Kraft treten, dann braucht
beispielsweise ein amerikanisches Unternehmen nur
eine Niederlassung in Kanada, um unter den kanadi-
schen Vertragstext zu fallen. Unter diesem Aspekt ist die
Frage sehr wichtig, inwieweit Sie CETA zustimmen
werden, wenn in dem Abkommen die Schiedsgerichte in
der jetzigen Form beibehalten werden.
Ergänzend möchte ich Sie fragen: Wir haben Infor-
mationen, dass es nicht die kanadische Seite gewesen ist,
die auf den Schiedsgerichtsverfahren im Abkommen be-
standen hat, sondern dass die EU dies so haben wollte.
Wo sind die Widerstände gegen eine Streichung der
Schiedsgerichte in dem Abkommen größer: in Teilen der
Europäischen Union oder in Kanada?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Ihre zweite Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Zu Ihrer ersten Frage: Wenn das stimmen würde, was
Sie sagen, dann könnte man sich fragen, warum es nicht
schon seit Jahrzehnten derartige Klagen gegen Deutsch-
land gibt. Denn Deutschland hat, glaube ich, über
130 Investitionsschutzabkommen mit vielen Ländern,
die im Übrigen wesentlich höhere Schutzstandards für
Investoren vorsehen und daher für Investoren viel attrak-
tiver sind. In den meisten dieser Länder gibt es auch
amerikanische Unternehmen. Wenn Ihre Befürchtung
also gerechtfertigt wäre – ein amerikanischer Konzern
sucht sich eine Filiale irgendeines Unternehmens aus,
um gegen Deutschland zu klagen –, müsste es wenigs-
tens eine solche Klage gegeben haben. Es gab eine ein-
zige relevante Klage, und zwar die berühmte Klage von
Vattenfall, aber die hat nichts mit den USA zu tun. Ich
sehe in der Realität die Gefahr einer solchen Klage nicht.
Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Ihre
Antwort auf die Frage von Kollegen Krischer klingt
nach Rolle rückwärts. Sie haben das jetzt also nicht mit
der Kanzlerin besprochen, sondern nur noch mit dem
Kanzleramt. Ist das darauf zurückzuführen, dass es in
der Union und in den Gewerkschaften einen Aufstand
gegen Ihren Vorschlag gibt? Können wir das so werten,
dass Sie in Bezug auf Ihren Vorschlag auf dem Rückzug
sind?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Ich bin schon allein körperlich nicht geneigt zur Rolle
rückwärts, intellektuell und politisch auch nicht.
Zu Ihrer Frage: Sie können das nicht so werten. Ich füge
hinzu: Die Bundeskanzlerin sitzt im Kanzleramt.
Das wird sicher auch noch Gegenstand intensiver
Nachprüfungen werden. – Nun ist die Kollegin Kotting-
Uhl an der Reihe.
Ich möchte auf das Modell Investitionsschutzvertragin TTIP zu sprechen kommen. Ein Teil davon ist derHandelsgerichtshof, der öffentlich tagen soll. In derPresse war zu lesen, dass Sie das sehr positiv bewerten.Kollege Miersch, der umweltpolitische Sprecher derSPD-Fraktion, hat das heute in der TTIP-Debatte imUmweltausschuss positiv eingebracht. Aber die Frageist, ob das in der EU mehrheitsfähig wäre. Würden Siesich, Herr Minister, dafür einsetzen, dass sich die Bun-desregierung gegen die Aufnahme eines ISDS-Mecha-nismus in TTIP ausspricht, falls ein solcher Handelsge-richtshof in der EU nicht mehrheitsfähig wäre?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Da der Vorschlag, einen Handelsgerichtshof einzu-richten, mein eigener ist, für den ich Unterstützung beimindestens fünf meiner Kollegen gefunden habe – dasist schon wieder ein Vierteljahr her, wahrscheinlich sindes heute mehr –, werde ich zunächst in der EU für diesenVorschlag werben, damit er mehrheitsfähig wird. Bis-lang gibt es keine Anzeichen für massiven Widerstand.Wenn die Handelskommissarin den Vorschlag ebenfalls
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Bundesminister Sigmar Gabriel
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aufgreift, dann ist das eher ein Zeichen dafür, dass manoptimistisch sein kann, den Vorschlag durchzusetzen.Zu Ihrer Frage nach der Haltung der Bundesregie-rung, falls der Vorschlag nicht durchzusetzen wäre: Ichmöchte in diesem Zusammenhang auf die letzte Bundes-regierung verweisen – das war eine Bundesregierung ausCDU, CSU und FDP –, die bei der Mandatserteilung inBezug auf TTIP zu Protokoll gegeben hat, dass sie derÜberzeugung sei, dass zwischen entwickelten Rechts-staaten diese Art privater Schiedsgerichte nicht notwen-dig sei. Daran erkennen Sie, dass sich schon in der letz-ten Regierung eine kritische Haltung gegenüber dieserArt Schiedsgerichte entwickelt hat. Ich bin aber sehr op-timistisch, was moderne Schiedsverfahren vor öffent-lich-rechtlichen Handelsgerichtshöfen angeht.
Kollege Ebner.
Herr Minister, wenn wir über Schiedsgerichtsverfah-
ren reden, dann ist damit oft die Sorge verbunden, dass
durch Schiedsgerichtsverfahren an unseren berühmten
Standards, an unseren Regulierungskompetenzen und
Festsetzungskompetenzen für Standards gerüttelt wer-
den kann. Wir haben viele Beteuerungen und Verspre-
chungen gehört, dass natürlich niemand an den Stan-
dards rüttele, dass die europäischen Standards erhalten
blieben.
Ich möchte Sie fragen, wie Sie das Angebot der Euro-
päischen Union an die USA bewerten, beispielsweise bei
Pestizidrückstandswerten die Vorgaben des Codex Ali-
mentarius zu übernehmen, der in weiten Bereichen ganz
andere Werte enthält als unsere bislang geltenden euro-
päischen Grenzwerte. Ich nenne nur ein Beispiel: das
Pestizid Captan. In Europa haben wir dafür einen Rück-
standswert von 3 Milligramm pro Kilogramm, und der
Codex Alimentarius sieht 15 Milligramm pro Kilo-
gramm vor. Da gibt es also erhebliche Standardunter-
schiede. Wie bewerten Sie dieses Angebot vor dem Hin-
tergrund der Aussagen, niemand wolle Standards
antasten?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Das ist ganz einfach: Geltende Rechtsvorschriften zu
solchen Standards in der Europäischen Union können
durch kein Freihandelsabkommen der Welt geändert
werden. Dazu müssten Sie ein entsprechendes Verfahren
zur Änderung der Richtlinie, nationaler Gesetze oder
was immer durchführen. Dazu wird uns niemand zwin-
gen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Es gibt keine Möglichkeit,
rechtlich durch ein Freihandelsabkommen bestehende
gesetzliche Standards oder Richtlinien unmittelbar zu
ändern. Da hat sich irgendwie eine komische Verfas-
sungsvorstellung entwickelt.
Übrigens sind auch Regulatory Bodies, in denen so
etwas beraten wird, nicht in der Lage, das zu ändern. Wir
müssen nach wie vor das tun, was wir nach WTO-Recht
schon immer tun mussten: Wir müssen mit den Handels-
partnern Änderungen unserer Standards besprechen. Es
gibt keine Möglichkeit, durch ein Handelsabkommen
geltendes europäisches Recht unmittelbar außer Kraft zu
setzen.
Frau Haßelmann.
Herr Minister, ich habe eine Frage zu einem anderen
Thema.
Ist das jetzt ein anderer Komplex?
Ja, das ist ein anderer Komplex.
Ich habe den Eindruck, dass Frau Dröge und Frau
Hänsel noch zu diesem Komplex Fragen stellen wollen.
Alles klar.
Dann nehmen wir zunächst die beiden dran. – Frau
Dröge.
Vielen Dank für die Gelegenheit, noch einmal nach-zufragen. – Meine Frage schließt sich an die Frage vonFrau Kotting-Uhl an. Ich habe den Eindruck, Siescheuen wie der Teufel das Weihwasser eine klare Posi-tionierung der Bundesregierung. Es scheint mir so zusein, dass Sie eher glauben, mit Frau Malmström etwasdurchsetzen zu können, als im eigenen Kabinett einenBeschluss hinzubekommen, obwohl auch das ein mögli-cher Weg wäre. Angesichts der Tatsache, dass FrauMalmström den internationalen multilateralen Handels-gerichtshof nur als langfristige Perspektive beschriebenhat, muss man ihre Chancen, ihn auf europäischer Ebenedurchzusetzen, aber erst einmal vorsichtig bewerten.Weil wir diese Debatte nun schon wirklich lange mit-einander führen, frage ich Sie: Warum gibt es keineKlarheit über das Konzept der Bundesregierung? Bisherführen Sie nette Ablenkungsmanöver durch. Solange Sieden Eindruck erwecken, dass Sie das in Brüssel verhan-deln, müssen Sie nicht die Frage beantworten, was dieBundesregierung tun wird, wenn Sie keinen Erfolg ha-ben. Wenn Sie aber einen Kabinettsbeschluss mit einerklaren Position der Bundesregierung hätten – das Kon-zept hätten Sie am Montag vorstellen können –, dannhätten die Bürgerinnen und Bürger Klarheit darüber, wassie tun würde, wenn die Schiedsgerichte so, wie sie imEU-Konsultationsentwurf für TTIP und CETA vorgese-hen sind, eingesetzt würden. Deshalb lautet meine Frage:Warum gibt es keine gemeinsame Position der Bundes-
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Katharina Dröge
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regierung? Warum gibt es immer nur ausweichende Ant-worten?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Ich will Ihnen nicht unterstellen, dass Ihr Gedächtnisdafür nicht ausreicht.
– Ja. – Das vorweggeschickt, möchte ich Sie daran erin-nern, dass wir im Rahmen der Haushaltsberatungen inder Debatte über meinen Haushalt eine intensive Debattedarüber geführt haben, in der ich Ihnen gesagt habe, dassmein Haus am 12. September des vergangenen Jahres imRahmen des Handelsministerrates eine Stellungnahmeabgab, die natürlich innerhalb der Bundesregierung ab-gestimmt war, mit der wir klargemacht haben, was wirvon diesen privaten Schiedsgerichten halten.Das haben wir abgestimmt in der Bundesregierunggemacht. Dies ist im Protokoll des Handelsministerratesnachlesbar und wurde Ihnen gegenüber hier von mirmehrfach erläutert. Abgesehen davon, dass ich Luthera-ner bin und deshalb den Teufel nicht scheue und erstrecht kein Weihwasser, halte ich das, ehrlich gesagt, füreinen nicht zu rechtfertigenden Vorwurf.
Zweitens. Die Europäische Union – als Abgeordneterund Politiker weiß ich, dass man sich an Verfahren derEuropäischen Union nicht halten muss; als Regierungs-mitglied muss man das – hat die Verhandlungen über einSchiedsgerichtsverfahren ausgesetzt, und zwar wegendes Protestes der Mitgliedstaaten und des Parlaments.Sie hat dann ein sehr umfangreiches Konsultationsver-fahren durchgeführt, und jetzt, heute und morgen, stelltFrau Malmström die Konsequenz dieses Konsultations-verfahrens vor. Monatelang sind die Verhandlungen mitden USA mit der Begründung ausgesetzt worden: Wirwollen jetzt erst einmal hören, was die Mitgliedstaaten,die Bürger und die Stakeholder darüber denken. – Heuteund morgen macht sie einen Vorschlag.Jetzt müssen Sie mir einmal erklären, warum sich dieBundesregierung mitten in diesem Verfahren aus derTiefe ihres Gemüts eine Meinung dazu bilden soll. Esmacht doch Sinn, dass wir uns anhören, zu welcher Kon-sequenz Frau Malmström gekommen ist, und uns danneine Meinung dazu bilden. Ich finde, das ist ein effizien-teres Verfahren, als sich etwas auszudenken und zu gu-cken, was dann passiert.
Frau Hänsel.
Danke schön. – Herr Minister Gabriel, ich verfahre da
aber lieber nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle
ist besser. Ich möchte noch einmal auf die Standards Be-
zug nehmen. Sie sagten: Kein Vertrag der Welt kann die
Standards absenken. Meine Frage ist: Wird bei gegensei-
tiger Anerkennung von Standards die Möglichkeit eröff-
net, dass sich Unternehmen aus Europa in den USA nie-
derlassen, unter den dortigen Standards produzieren und
im Rahmen des Freihandelsabkommens ihre Produkte in
die EU einführen? Wird es durch eine gegenseitige Ak-
zeptanz der Standards zu dieser Möglichkeit kommen,
oder können Sie das definitiv ausschließen?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Die gegenseitige Anerkennung von Standards ist nur
möglich, wenn sie vergleichbar sind. Wenn sie ver-
gleichbar sind, spricht schon heute nichts dagegen, dass
ein Unternehmen, egal in wessen Besitz es sich befindet,
nach Europa exportiert. Es geht um die Frage: Ist etwas
vergleichbar oder nicht?
Ein Beispiel: Im Bereich der Chemikaliensicherheit
scheint es zurzeit sehr schwierig zu sein, die Amerikaner
davon zu überzeugen, REACH, einen in Europa entwi-
ckelten hohen Standard, zu akzeptieren. Es kann sein,
dass das Ergebnis davon, dass wir keine vergleichbaren
Standards haben, ist, dass es keine Marktöffnung in die-
sem Bereich geben wird. Das kann sein. Das ist ein
denkbares Ergebnis.
Verhandlungen bedeuten nicht, dass überall gleiche
Standards entstehen müssen. Es kann durchaus sein, dass
es dort, wo es keine Vergleichbarkeit gibt, keine Markt-
öffnung gibt. Ich finde, das wird immer ein bisschen ver-
gessen. Übrigens ist das kanadische Abkommen wirk-
lich eine schöne Blaupause; denn dort wird klargemacht,
warum das nicht geht.
Ansonsten erlaube ich mir die Bemerkung, dass ich
an Ihrer Stelle dieses Zitat zumindest in Ihrer Partei nicht
verwenden würde,
weil es historische Wurzeln bei Lenin hat, die wir viel-
leicht nicht zur Grundlage unserer Art des Umgangs ma-
chen sollten.
Frau Haßelmann, ich ziehe Frau Höhn, die jetzt,
glaube ich, zum gleichen Sachverhalt eine Nachfrage
hat, vor. – Bitte.
Herr Minister Gabriel, eben ist von meiner Kolleginschon nach den Schiedsgerichten gefragt worden. Ichhabe noch eine Frage zu CETA. Es wird hinsichtlich derSchiedsgerichte versucht, im Legal Scrubbing – in die-sem Verfahren sind wir momentan – noch Veränderun-gen zu erreichen. Gibt es Bemühungen der Bundesregie-rung, nicht nur hinsichtlich der Schiedsgerichte beiCETA, sondern auch bei anderen Punkten, wie zum Bei-
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Bärbel Höhn
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spiel der regulatorischen Kooperation, in diesem LegalScrubbing noch Änderungen zu erreichen?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Die Vorschläge zur Veränderung beziehen sich nichtnur auf das Thema Schiedsgerichte, sondern auch aufandere. Zum Beispiel hat das BMF Hinweise zumThema Haftung für Umschuldungsmaßnahmen vonStaatsanleihen gemacht. Wir haben, glaube ich, nochweitere Vorschläge zur Klärung von Begriffen im Be-reich „Kultur und Medien“ gemacht. Es geht ja immerum diesen unscharfen Rechtsbegriff „fair and equitabletreatment“. Die Diskussionen beziehen sich also nichtnur auf das Thema Schiedsgerichte.Die Erfolgsaussichten sind offen.
Frau Haßelmann.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, ich habe eine
Frage zu einem anderen Thema, und zwar zur BND-Af-
färe.
– Ich finde es ganz naheliegend. Denn ich glaube, die
Öffentlichkeit und auch uns im Parlament muss es inte-
ressieren; das tut es auch. Ich habe das Gefühl, im Kabi-
nett ist es merklich ruhiger um dieses Thema; aber das
war nur eine Vorbemerkung.
Meine Frage an Sie: Wenn dem Bundeskanzleramt
seit spätestens 2008 und dem Bundesinnenministerium
seit 2005 bekannt war, dass es eine Kooperation zwi-
schen NSA und BND gab, und wenn auch der Vorgang
der Wirtschaftsspionage bekannt war, können Sie mir
dann erklären, warum das Thema Wirtschaftsspionage,
das ja mit Ihrem Haus zu tun hat – auch ich habe gese-
hen, wie empört Sie gestern reagiert haben –, bisher
überhaupt keine Relevanz im Hinblick auf das Handeln
der Bundesregierung insgesamt hatte? War das jemals
Thema im Kabinett? Was ist eigentlich damit? Ich kann
mir nicht vorstellen, dass man das seit 2008 oder 2005
weiß, dass der Wirtschaftsminister plötzlich und ganz
spontan erfährt, dass es so etwas wie Wirtschaftsspio-
nage gibt, aber in Ihrer Bundesregierung nicht darüber
gesprochen wird.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Erstens ist Wirtschaftsspionage schon beim Aufkom-
men des NSA-Skandals ein Thema gewesen. Das war
vor der letzten Bundestagswahl. Es ist auch damals
schon öffentlich darüber philosophiert worden, ob es,
über den bekannten EADS-Fall hinaus, Hinweise darauf
gab.
Zweitens gehe ich natürlich davon aus, dass die Bun-
desregierung, egal in welcher Zusammensetzung, oder
die zuständigen Aufsichtsbehörden diesen Fragen nach-
gegangen sind. Im Übrigen wird das ja Gegenstand der
Beratungen sowohl im PKGr als auch im NSA-Untersu-
chungsausschuss sein. Ich finde, das sollten wir jetzt erst
einmal abwarten.
Drittens. Dass wir im Kabinett nicht darüber reden,
liegt daran, dass eine intensive Debatte vor dem Hinter-
grund von Geheimhaltungspflichten und aus anderen
Gründen nicht in einer Kabinettssitzung, sondern in den
dafür zuständigen Gremien zu erfolgen hat. Deswegen
gab es bisher noch keine Beratungen dazu. Ich wüsste
auch nicht, was das Kabinett jetzt darüber beraten sollte.
– Sie haben ja nach Kabinettsberatungen gefragt. Ich
finde, die Geschäftsordnung der Bundesregierung lässt,
wenn ich sie richtig verstehe, nur wenig Spielraum, um
in einer Kabinettssitzung über geheimhaltungspflichtige
Dinge zu reden. Dafür gibt es im Zweifel Gremien wie
den Bundessicherheitsrat. Aber jetzt geht es doch erst
einmal darum, dass das Parlamentarische Kontrollgre-
mium und der NSA-Untersuchungsausschuss ihre Arbeit
machen. Ich würde sagen: Wenn das erledigt ist, dann
kann man über Bewertungen diskutieren, aber nicht vor-
her.
Weitere Nachfragen gibt es erstaunlicherweise nicht.
Dann schließe ich hiermit die Regierungsbefragung mit
Dank an den Bundesminister.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/4773
Ich werde in der bekannten Reihenfolge der Ressorts
die zur mündlichen Beantwortung eingereichten Fragen
aufrufen.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Verteidigung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Höger auf:
Wie positioniert sich die Bundesregierung zur Frage der
eventuellen Beschaffung von Munition mit abgereichertem
Uran durch die Bundeswehr vor dem Hintergrund entspre-
chender Überlegungen des ehemaligen Planungsstabchefs im
Ich bitte den Parlamentarischen Staatssekretär
Brauksiepe um Antwort.
D
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, ich ant-worte Ihnen wie folgt – und sicherlich unter Einhaltungaller vom Herrn Präsidenten eingeforderten Zeitbegren-zungen –: Die Beschaffung von Munition mit abgerei-chertem Uran wird durch die Bundesregierung nicht er-wogen.
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Zusatzfrage?
Ja. – Vielen Dank erst einmal. Ich kann das nur begrü-
ßen, wenn Sie ausdrücklich dabei bleiben.
Herr Rühle hat ja im Zusammenhang mit neuen russi-
schen Panzern ins Gespräch gebracht, dass panzerbre-
chende Munition aufseiten der Bundeswehr notwendig
sei. Gibt es irgendwelche anderen Planspiele in Ihrem
Hause zu diesem Fakt?
D
Frau Kollegin, ich versuche, mir jetzt vorzustellen,
was Sie sich unter Planspielen vorstellen.
Hierzu kann ich Ihnen nur sagen: Zu den Panzern, über
die die Bundeswehr verfügt, gehört auch Munition, und
das wird auch in Zukunft so sein. Die Bundeswehr arbei-
tet wie andere Länder auch immer an der Verbesserung
ihres Materials.
Ich kann mir jetzt unter Planspielen nichts anderes
vorstellen. Ich kann nur wiederholen, dass die Beschaf-
fung der von Ihnen angesprochenen Munition durch die
Bundesregierung nicht erwogen wird.
Zweite Zusatzfrage.
Warum hat die Bundesregierung dazu bisher nicht öf-
fentlich Stellung genommen, obwohl das ja in der Öf-
fentlichkeit ein Thema war?
D
Frau Kollegin, die Bundesregierung hat nach dem,
was mir bekannt ist, auf entsprechende Nachfragen auch
Stellung genommen. Jedenfalls liegt mir mindestens
eine Presseveröffentlichung vor, in der das Bundes-
ministerium der Verteidigung zitiert wird, eine Anfrage
der Welt am Sonntag beispielsweise.
Dann rufe ich jetzt die Frage 2 der Kollegin Höger
auf:
Welche Abstürze, „kontrollierten Landungen“ oder sonsti-
gen Zwischenfälle mit Sach- oder Totalschäden haben sich
seit September 2014 mit Drohnen der Bundeswehr und der
Bundespolizei ereignet , und
welche ähnlichen Vorkommnisse ereigneten sich anlässlich
der Vorbereitung einer Anfang Juni 2015 geplanten „Heeres-
ausbildungswoche“, zu deren Anlass das Eutiner Aufklä-
rungsbataillon sechs Aufklärungsdrohnen in einem eigens
D
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, ich ant-
worte Ihnen wie folgt: Die Bundespolizei verwendet un-
bemannte Luftfahrtsysteme nach den Regeln der Zivil-
luftfahrt, insbesondere § 1 Absatz 2 Luftverkehrsgesetz.
Treten Sach- oder Totalschäden ein, so handelt es sich
um Unfälle mit zivilen Luftfahrzeugen. Unfälle mit un-
bemannten Luftfahrtsystemen sind im Bereich der Bun-
despolizei seit September 2014 nicht eingetreten.
Kontrollierte Landungen entsprechen bei der Bundes-
polizei der gewünschten Beendigung eines Fluges, also
dem normalen Verfahren. Dies trifft auch auf die Nut-
zung von unbemannten Luftfahrtsystemen zu. Sach-
oder Totalschäden treten natürlicherweise bei einer ge-
wünschten Beendigung eines Fluges nicht auf. Im Be-
reich der Bundeswehr hat es im angefragten Zeitraum
keine Abstürze oder Zwischenfälle von unbemannten
Luftfahrzeugen mit meldepflichtigen Sach- oder Total-
schäden gegeben.
Zusatzfrage.
Es hat im Ostholsteiner Anzeiger vom 26. April 2015
einen Hinweis gegeben, dass zur Vorbereitung der Hee-
resausbildungswoche durch das Eutiner Aufklärungsba-
taillon Aufklärungsdrohnen getestet worden seien und
dass es dabei auch zu kontrollierten Abstürzen gekom-
men sei.
Es soll also kontrollierte Abstürze von Drohnen bei der
Bundeswehr gegeben haben, und die Frage ist: Wie viele
waren es, und was sind die Ursachen dafür?
D
Frau Kollegin, ich habe ausgeführt, dass es im ange-
fragten Zeitraum bundesweit keine Abstürze oder Zwi-
schenfälle von unbemannten Luftfahrzeugen mit melde-
pflichtigen Sach- oder Totalschäden gegeben hat. Dies
schließt selbstverständlich auch den Bereich Eutin ein,
der sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht
in dem von Ihnen in der Frage angesprochenen Bereich
liegt.
Mir ist nichts von solchen Zwischenfällen bekannt,
auch nicht davon, dass es Sicherheitslandungen im Zu-
sammenhang mit dem eingerichteten Sperrgebiet gege-
ben hätte. Die hat es anderswo gegeben, aber nach mei-
nem Kenntnisstand nicht in diesem Gebiet.
Noch einmal Frau Höger.
Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, dassfür die Drohne LUNA, bei der es eine höhere Absturz-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9749
Inge Höger
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rate gegeben haben soll, weiterhin die Zulassung für denallgemeinen, auch zivil genutzten Luftverkehr beantragtwerden soll?D
Entschuldigung, die Frage habe ich nicht verstanden.
Können Sie sie wiederholen, bitte?
Ist Ihnen bekannt, dass der Hersteller der Drohne
LUNA, die schon häufiger im Zusammenhang mit kon-
trollierten Abstürzen und mit Fehlern aufgefallen ist,
weiterhin die Zulassung für diese Drohnen für den zivi-
len Luftraum beantragen will?
D
Frau Kollegin, das ist mir so nicht bekannt. Ich sehe
hier auch keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem
Thema der Frage.
Ich kann Ihnen sagen, dass es bundesweit – nicht im
Bereich Eutin – im Zusammenhang mit LUNA seit Sep-
tember 2014 vier Sicherheitslandungen gegeben hat, al-
lerdings ohne meldepflichtige Totalschäden oder Schä-
den Dritter. Das kann ich Ihnen im Zusammenhang mit
dem Fragekomplex dazu sagen.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Gesundheit.
Die Frage 3 des Abgeordneten Volker Beck wird
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Die Fragen werden vom Parlamentarischen Staatsse-
kretär Ferlemann beantwortet.
Die Fragen 4 und 5 wurden vom Abgeordneten
Herbert Behrens, Fraktion Die Linke, gestellt. Da er
nicht anwesend ist, wird verfahren, wie in der Geschäfts-
ordnung vorgesehen.
Die Fragen 6 und 7 des Abgeordneten Stephan Kühn
werden schriftlich beantwortet.
Damit ist Ihr Geschäftsbereich schon abgeschlossen,
Herr Ferlemann. Wunderbar! Danke schön, dass Sie da
waren.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit.
Die Fragen werden von der Parlamentarischen Staats-
sekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter beantwortet.
Ich rufe die Frage 8 der Abgeordneten Bärbel Höhn
auf:
Wie viele Langzeitarbeitslose wurden seit dem Start des
Programms Stromspar-Check PLUS zu Stromsparhelfern aus-
gebildet, und wie viele Haushalte erhielten bislang den Zu-
schuss von 150 Euro für den Geräteaustausch im Rahmen des
Kühlschrank-Abwrackprogramms für einkommensschwache
Haushalte?
Bitte schön.
Ri
Sehr geehrte Frau Höhn, seit Beginn des Projekts
„Stromspar-Check für einkommensschwache Haushalte“
Ende 2008 wurden knapp 4 600 langzeitarbeitslose
Menschen zu Stromsparhelfern geschult. Zurzeit sind
1 200 Stromsparhelfer im Rahmen des Programms
Stromspar-Check PLUS aktiv tätig. Seit Beginn des Pro-
gramms wurden circa 10 000 Kühlgerätegutscheine an
Haushalte mit geringem Einkommen verteilt. Eingelöst
wurden bis dato 2 000.
Frau Kollegin Höhn.
Speziell zu diesen Kühlschränken habe ich eine
Frage. Es geht hier ja um Kühlschränke der Klasse
A+++. Hierfür gibt es einen Zuschuss von 150 Euro. Ein
Kühlschrank der Klasse A+++ ist über 200 Euro teurer
als ein Kühlschrank der Klasse A++. Unter diesem Ge-
sichtspunkt stellt sich die Frage: Können sich einkom-
mensschwache Haushalte diesen teuren Kühlschrank
trotzdem leisten? Glauben Sie, dass so das Ziel dieses
Programms, 16 000 alte Kühlschränke in einkommens-
schwachen Haushalten zu ersetzen, erreicht werden
kann?
Ri
Wir prüfen zurzeit, wie das Programm verbessert
werden kann. Sicherlich gehört dazu nicht nur, zu prü-
fen, wie man einkommensschwache Haushalte beraten
kann, sondern auch, wie man dafür sorgen kann, dass
dieses Programm bei ihnen auch tatsächlich wirkt. Wie
gesagt: Wir prüfen zurzeit, wie es noch effektiver wirken
kann.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Frau Höhn?
Ja, ich habe noch eine.
Bitte schön.
Herzlichen Dank. – Sie haben ja gesagt, dass schon10 000 Gutscheine vergeben worden sind. Bedeutet dieTatsache, dass sie vergeben worden sind, auch wenn sienicht eingelöst werden, dass sie abgebucht werden und
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9750 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015
Bärbel Höhn
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nicht mehr zur Verfügung stehen? Oder werden die Mit-tel, die frei werden, weil nicht genügend Kühlgerätegut-scheine eingelöst werden, anderweitig verwendet?Ri
Frau Höhn, die Antwort auf die Frage, wie das ganz
konkret abgewickelt wird, liefere ich Ihnen nach.
Vielen Dank. – Gibt es weitere Zusatzfragen zu die-
sem Punkt? – Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Ich rufe dann als Nächstes die Frage 9 der Kollegin
Sylvia Kotting-Uhl auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über ge-
plante oder laufende Verfahren zur Laufzeitverlängerung
ukrainischer Atomkraftwerke – beispielsweise durch Informa-
tionen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Ent-
wicklung oder
der mit der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde zusammenar-
beitenden Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit,
die in erster Linie als Sachverständigenorganisation des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
Botschaft in der Ukraine –, und welche derzeitigen fiskali-
schen oder sonstigen Einschränkungen des ukrainischen
Atomaufsichtsvollzugs sind der Bundesregierung bekannt?
Bitte schön.
Ri
Liebe Frau Kollegin Kotting-Uhl, die Ukraine ver-
fügt an vier Kernkraftwerkstandorten über 15 Reak-
torblöcke mit einer installierten Kapazität von ungefähr
13 800 Megawatt. Der Anteil der Atomkraft an der Ge-
samtstromproduktion beläuft sich derzeit auf circa die
Hälfte.
Die Lage im ukrainischen Energiewesen ist, wie wir
alle wissen, angespannt. Das ist vor allem Folge des
Konflikts mit Russland bzw. im Osten der Ukraine und
der damit verbundenen drastischen Reduzierung des Gas-
imports bzw. der Schwierigkeiten bei der Kohleversor-
gung aus den Kampfgebieten im Osten der Ukraine so-
wie der Devisenknappheit aufgrund der erheblichen
Wirtschaftskrise, welche Energieträgerimporte erschwert.
Angesichts der angespannten Lage im ukrainischen
Energiewesen geht deshalb die Tendenz der Ukraine in
Richtung einer maximalen Nutzung der Atomstromka-
pazitäten und nicht in Richtung einer Reduzierung der
Nutzung in absehbarer Zukunft.
Die Ukraine hat in ihrer schon 2010 verabschiedeten
Nationalen Energiestrategie bis 2030 eine Verlängerung
der Laufzeit aller derzeit betriebenen Reaktoren bzw.
Atomkraftwerke vorgesehen. Bereits 2010 wurden die
Betriebslizenzen für die Reaktoren 1 und 2 am Kern-
kraftwerk Rowno um 20 Jahre bis 2030 bzw. 2031 ver-
längert. 2013 wurde die Laufzeit des Reaktorblocks
Nummer 1 am Kernkraftwerk Yuzhno-Ukrainska um
10 Jahre bis 2023 verlängert. Im laufenden Jahr 2015
wird über eine Laufzeitverlängerung für den Reaktor
Nummer 2 am Kernkraftwerk Yuzhno-Ukrainska, für die
Reaktoren Nummer 1 und Nummer 2 am Kernkraftwerk
Zaporizhzhja und von Block 3 des Kernkraftwerks
Rowno entschieden. Mit einer Verlängerung der Lauf-
zeiten ist also zu rechnen. Eine Laufzeitverlängerung für
alle restlichen Reaktoren soll bis 2019 erfolgen.
Die Finanzierung einschlägiger Modernisierungs-
maßnahmen erfolgt aus Eigenmitteln des Betreibers, des
staatlichen Unternehmens Energoatom. Es handelt sich
also nicht um Mittel aus dem ukrainischen Budget.
Das ukrainische Parlament hat einen Gesetzentwurf
über die Lizensierung von einigen ökonomischen Akti-
vitäten verabschiedet. Durch dieses Gesetz scheint es zu
einer Gleichsetzung von Lizensierungen ökonomischer
Aktivitäten mit der staatlichen atomrechtlichen Geneh-
migung zur unabhängigen Gewährleistung der notwen-
digen nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes zu
kommen, sodass die Unabhängigkeit der ukrainischen
Atomaufsicht durch den Gesetzentwurf beeinträchtigt
und somit eine international übliche Best Practice ver-
letzt werden könnte.
Denken Sie bitte an die Zeit! Sie haben sie schon
mehr als eine Minute überschritten.
Ri
Ja, es handelt sich aber auch um ein ernstes Thema,
das einer gewissen Ausführlichkeit bedurfte.
Vielen Dank. – Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie haben
sicherlich noch eine Nachfrage.
Ja, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Frau Staatssekre-tärin für die in der Tat sehr umfangreiche Antwort, dieviel umfangreicher als meine Frage war. Aber es ist nichtverkehrt bei diesem Thema; da haben Sie völlig recht.Ich habe stark den Eindruck, dass die ganzen Lauf-zeitverlängerungen, die dort schon stattgefunden haben,ohne grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprü-fungen stattfanden, was ja eigentlich nicht ganz in Ord-nung ist. Deshalb meine Frage: Gibt es Erkenntnisse ausder Ukraine oder Nachrichten an die Bundesregierung,dass schon eine Notifizierung bezüglich der Laufzeitver-längerungen, die noch anstehen, erfolgt ist, und wennnein, was ich jetzt eher vermute, beabsichtigt die Bun-desregierung, die Ukraine darauf hinzuweisen, dassgrenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungenin diesem Fall angebracht wären?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9751
(C)
(B)
Ri
Mir ist nicht bekannt, inwieweit eine Notifizierung
stattgefunden hat oder inwieweit die Ukraine jetzt Um-
weltverträglichkeitsprüfungen vornimmt. Ich würde Sie
darüber informieren.
Der zweite Teil meiner Frage – das war ja eine Art
Doppelfrage – bezog sich darauf, ob es in der Ukraine
derzeit fiskalische oder andere Einschränkungen beim
Vollzug der Atomaufsicht gibt. Das wäre ja angesichts
der gesamten Gemengelage vorstellbar. So möchte ich
fragen, ob es diesbezügliche Erkenntnisse der Bundesre-
gierung gibt, und, falls ja, ob man der Ukraine Unterstüt-
zung angeboten hat. Ich will hinterherschieben, dass ich
es sehr gut fände, wenn man dies täte, weil gerade bei
den ukrainischen Atomkraftwerken eine gut vollzogene
Atomaufsicht wirklich angebracht wäre.
Ri
Es ist sicherlich in unser aller Interesse, dass die Si-
cherheit bei Kernkraftwerken an erster Stelle steht. Des-
halb auch meine ausführlichere Antwort, in der ich Ih-
nen beschrieben habe, dass Nachrüstungsmaßnahmen
von dem Unternehmen selber aus Eigenmitteln finan-
ziert werden und nicht das ukrainische Haushaltsbudget
als solches angetastet wird.
Die Antwort auf die Frage, inwieweit hier andere Fi-
nanzierungen angedacht werden, würde ich Ihnen auch
gerne nachliefern.
Vielen Dank. – Gibt es weitere Fragen zu diesem The-
menbereich? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann
herzlichen Dank, Frau Parlamentarische Staatssekretä-
rin, für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-
lerin und des Bundeskanzleramtes.
Die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, die Frage 12 der Abgeordneten
Sevim Dağdelen und die Frage 13 des Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele werden schriftlich beantwortet.
Da alle Fragen dieses Geschäftsbereichs schriftlich be-
antwortet werden, muss Herr Staatsminister Braun keine
beantworten.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwor-
tung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte
Zypries zur Verfügung.
Die Frage 14 des Kollegen Hans-Christian Ströbele
wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu Frage 15 der Abgeordneten Bärbel
Höhn:
Wann ist nach Einschätzung der Bundesregierung mit der
Vorlage der Stellungnahme des Europäischen Gerichtshofes
zum EU-Singapur-Abkommen zu rechnen, und hält die Bun-
desregierung es für möglich, dass das EU-Kanada-Abkom-
men CETA noch vor der Vorlage dieser Stellungnahme in eine
nächste Stufe des politischen Prozesses geht, zum Beispiel Pa-
raphierung bzw. Beginn des Ratifizierungsprozesses?
Bitte schön, Frau Zypries.
B
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Höhn, die Bun-
desregierung kann keine belastbare Prognose dazu abge-
ben. Wenn die Kommission, wie sie jetzt angekündigt
hat, dem Europäischen Gerichtshof im Juni tatsächlich
einen Antrag zu einem Gutachtenverfahren zum EU-Sin-
gapur-Abkommen vorlegt, dann spricht viel dafür, dass
das Gutachten wohl kaum vor Ablauf eines weiteren
Jahres vorliegen wird.
Bei dem CETA-Abkommen ist die nächste Stufe im
Beschlussfassungsprozess ein Beschluss des Rates zur
Unterzeichnung des Abkommens, der erst nach Ab-
schluss der laufenden Rechtsförmlichkeitsprüfung und
der anschließenden Übersetzung des Abkommentextes
in alle Amtssprachen erfolgen kann. Die Bundesregie-
rung rechnet bislang damit, dass der Rat Ende 2015, An-
fang 2016 befasst werden wird.
Bitte schön.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Die Bundesregie-
rung in Person insbesondere des Bundeswirtschafts-
ministers hat nun einen Vorschlag bezüglich neu einzu-
richtender bilateraler Handelsgerichtshöfe gemacht. Ist
damit nur beabsichtigt, die Schiedsgerichtsverfahren zu
ersetzen, sodass es in dem Vorschlag nur um Investitio-
nen und wirtschaftliche Fragen ginge, oder ist auch
vorgesehen, dass zum Beispiel Umweltverbände oder
Verbraucherverbände im Sinne von Umweltschutz und
Verbraucherschutz klagen können?
B
Beim Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers?
Ja.
B
Soweit ich den Vorschlag kenne, ist das nicht vorge-
sehen; denn wir wollen die Klagebefugnisse nicht erwei-
tern, sondern nur das Verfahren regeln.
Noch eine Frage? – Bitte.
Metadaten/Kopzeile:
9752 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015
(B)
Danke schön, Frau Präsidentin. – Im CETA-Abkom-
men ist vorgesehen, dass man zum Erreichen legitimer
Politikinteressen auch weiterhin regulieren kann. Neu-
erdings haben wir die Situation, dass der Herbizidwirk-
stoff Glyphosat von der WHO als wahrscheinlich
krebserregend eingeschätzt wird. Würde eine solche
Neueinschätzung der WHO die Möglichkeit eröffnen,
die Verlängerung der Genehmigung für Glyphosat auf
EU-Ebene zu untersagen bzw. ein Moratorium auszu-
sprechen, oder in wie viel Prozent der Studien müsste
nachgewiesen sein, dass es sich um einen krebserregen-
den Wirkstoff handelt, um gegen entsprechende Klagen
im Rahmen von CETA gewappnet zu sein?
B
Liebe Frau Höhn, da diese Frage überhaupt nichts mit
Ihrer Ausgangsfrage zu tun hat, kann ich sie leider nicht
beantworten. Ich reiche Ihnen die Antwort darauf gerne
schriftlich nach.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Fragen hierzu.
Die Frage 16 der Abgeordneten Sylvia-Kotting-Uhl
wird schriftlich beantwortet.
Ich bedanke mich bei der Parlamentarischen Staatsse-
kretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes.
Alle Fragen werden schriftlich beantwortet. Das sind
die Fragen 17 und 18 der Abgeordneten Heike Hänsel,
die Frage 19 der Abgeordneten Sevim Dağdelen und die
Frage 20 des Abgeordneten Andrej Hunko.
– Danke schön, dass Sie hier waren, Herr Staatsminister
Roth.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Die Fragen werden beantwortet
vom Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Ole Schröder.
Die Frage 21 des Abgeordneten Andrej Hunko, die
Fragen 22 und 23 der Abgeordneten Ulla Jelpke sowie
die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Hubertus
Zdebel werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu Frage 26 der Abgeordneten Martina
Renner, Fraktion Die Linke:
Wie viele Straftaten haben nach Kenntnis der Bundesre-
gierung die Strafverfolgungsbehörden bundesweit seit der De-
monstration der „Hooligans Gegen Salafisten“ am
26. Oktober 2014 in Köln bis heute registriert, bei denen Täter
und Tatverdächtige dem Spektrum der HoGeSa oder anderen
extrem rechten Hooligan- und Fanzusammenschlüssen oder
der Kategorie „Gewalttäter Sport“ zugerechnet werden?
Bitte schön.
D
Frau Abgeordnete, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die in der Fragestellung enthaltenen Kriterien
können aus der Datenbank des Bundeskriminalamts zum
Kriminalpolizeilichen Meldedienst „Politisch motivierte
Kriminalität“ technisch nicht ermittelt werden. Daher
bezieht sich meine Antwort auf die beiden bisherigen of-
fiziellen „Hooligans Gegen Salafisten“-Veranstaltungen
am 26. Oktober 2014 in Köln und am 15. November
2014 in Hannover.
Zum 26. Oktober 2014 in Köln: Es wurden 70 Straf-
taten im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität
erfasst. Hierzu zählen 28 Verstöße gegen das Versamm-
lungsgesetz, 14 Beleidigungen, 12 Sachbeschädigungen,
10 Fälle des Verwendens von Kennzeichen verfassungs-
widriger Organisationen, 2 Fälle der Zerstörung wichti-
ger Arbeitsmittel nach § 305 a des Strafgesetzbuchs,
1 Volksverhetzung, 1 Diebstahl, 1 Gefangenenbefreiung
sowie ein Verstoß gegen das Waffengesetz.
Zum 15. November 2014 in Hannover: Es wurden
9 Straftaten im Bereich der Politisch motivierten Krimi-
nalität erfasst. Hierzu zählen 3 Fälle des Verwendens
von Kennzeichnen verfassungswidriger Organisationen,
2 Beleidigungen, 2 Verstöße gegen das Versammlungs-
gesetz, 1 Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz und ein
Verstoß gegen das Waffengesetz. Hinzuzurechnen sind
jeweils die Gewalttaten, auf die sich ja Ihre zweite Frage
bezieht.
Frau Kollegin.
Danke, Herr Dr. Schröder. – Eingangs erwähnten Sie,
dass es keinen speziellen Ausweis in der polizeilichen
Kriminalstatistik zu diesen Straftaten mit Bezug auf
– ich nenne es einmal so – Neonazi-Hooliganismus gibt.
Nun gibt es eine Schlussfolgerung aus dem NSU-Unter-
suchungsausschuss in diesem Haus, die Kriterien der
PMK zu überarbeiten, insbesondere die der PMK-rechts.
Können Sie etwas darüber sagen, inwieweit man zum
Beispiel in diesen Phänomenbereich neue Unterkatego-
rien einziehen möchte, die aktuelle Entwicklungen im
Neonazismus abbilden, also nicht nur die Frage Neo-
nazi-Hooliganismus, sondern zum Beispiel auch die
Frage extrem rechter Rockergruppierungen? Wäre das
eine Überlegung, um in Zukunft vielleicht sprech- und
aussagefähig zu diesem Phänomen zu sein?
D
Natürlich gibt es dazu Überlegungen; die sind aber
bisher noch nicht abgeschlossen.
Weitere Zusatzfragen? – Das ist nicht der Fall.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9753
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
(B)
Dann rufe ich Frage 27 der Abgeordneten MartinaRenner auf:Wie viele Gewalttaten haben nach Kenntnis der Bundesre-gierung die Strafverfolgungsbehörden bundesweit seit der De-monstration der HoGeSa am 26. Oktober 2014 in Köln bisheute registriert, bei denen Täter und Tatverdächtige demSpektrum der HoGeSa oder anderen extrem rechten Hooli-gan- und Fanzusammenschlüssen oder der Kategorie „Ge-walttäter Sport“ zugerechnet werden?Bitte schön.D
Auch hinsichtlich der erfassten Gewalttaten kann, wie
soeben ausgeführt, nur zu den beiden offiziellen „Hooli-
gans Gegen Salafisten“-Veranstaltungen am 26. Oktober
2014 in Köln und am 15. November 2014 in Hannover
Stellung genommen werden.
Zum 26. Oktober 2014 in Köln: Insgesamt wurden
176 Straftaten im Bereich der politisch motivierten Ge-
waltkriminalität polizeilich festgestellt. Hierzu zählen
154 gefährliche Körperverletzungen, 7 Körperverletzun-
gen, 8 Fälle des Widerstands gegen Vollstreckungsbe-
amte, 4 Fälle von Landfriedensbruch nach § 125 des
Strafgesetzbuchs und 3 Fälle des besonders schweren
Falls des Landfriedensbruchs nach § 125 a des Strafge-
setzbuchs.
Zum 15. November 2014 in Hannover: Hier wurden
2 gefährliche Körperverletzungen im Bereich der poli-
tisch motivierten Gewaltkriminalität polizeilich festge-
stellt.
Zusatzfragen?
Danke, Frau Präsidentin, auch hierzu habe ich eine
Nachfrage. – Am 11. April dieses Jahres ereignete sich
in Wuppertal eine schwere Gewalttat gegen einen Besu-
cher mit Migrationshintergrund eines linksalternativen
Zentrums. Vorangegangen waren Sprüche von und Pöbe-
leien mit HoGeSa, also „Hooligans Gegen Salafisten“;
ein Tatbeteiligter entstammt diesem Umfeld. Gibt es
nicht die Notwendigkeit, speziell diese Gruppierung in
den Fokus auch der Aufmerksamkeit durch Polizei und
Strafverfolgungsbehörden zu stellen, um explizit auch
den organisierten Hintergrund solcher Gewalttätigkeiten
zu erkennen?
D
Selbstverständlich gibt es die Notwendigkeit, auch
diese Phänomene genau zu beobachten und genau zu
analysieren, um festzustellen, wie weit hier rechtsextre-
mistische Tendenzen weiterhin verfolgt werden.
Frau Kollegin Renner.
Ich habe da noch eine Nachfrage: Inwieweit gibt es in
den Strukturen, zum Beispiel im Gemeinsamen Extre-
mismus- und Terrorismusabwehrzentrum GETZ, be-
stimmte Boards, in denen man sich unter den Sicher-
heitsbehörden über bestimmte Organisationen wie
HoGeSa austauscht? Es geht hier ja um ein schweres Ge-
waltdelikt. Der Mann ist durch mehrere Messerstiche
verletzt worden. Das gibt Aufschluss darüber, dass es
sich hierbei tatsächlich um von Ideologie geprägte und
gewaltbereite Organisationen handelt. Also was ist ei-
gentlich nach den auch von Ihnen erwähnten Vorfällen
im Zusammenhang mit den Aufmärschen in Hannover
und Köln passiert, damit die Sicherheitsbehörden dieses
Phänomen adäquat – repressiv, aber auch präventiv – be-
handeln können?
Herr Staatssekretär.
D
Schon die von mir aufgeführte Anzahl an Straftaten
zeigt, dass die Sicherheitsbehörden der Länder hier sehr
sensibel reagiert haben. Am 26. Oktober 2014 in Köln
waren ja, wie Sie sehen können, noch wesentlich mehr
Straftaten zu verzeichnen als in Hannover, wo die Poli-
zei entsprechend aufmerksam war.
Vielen Dank. – Zu einer Nachfrage hat sich jetzt der
Kollege Behrens gemeldet.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
Sie haben sicherlich erkennen können, dass hinter den
Fragen der Kollegin Renner noch eine weitere Frage
stand: Bedarf es nicht einer besseren Durchdringung die-
ser Straftaten, um erkennen zu können, ob sich dort
schon Strukturen entwickelt haben, und ist das nicht
vielleicht sogar notwendig, um weitere Schlüsse ziehen
zu können? – Sie haben gesagt, dass das durchaus über-
legenswert sei. Im Prozess dieser Überlegungen haben
sich vielleicht auch schon Konturen herausgeschält, die
solche differenzierten Betrachtungsweisen zulassen.
Können Sie sich also Strukturen vorstellen, gemäß de-
nen diese Straftaten künftig kategorisiert und dann auch
entsprechend behandelt werden?
Herr Staatssekretär.
D
Natürlich gibt es immer wieder neue Überlegungen,wie man die kriminalpolizeilichen Statistiken weiterent-wickeln kann. Sicherlich gibt es die Notwendigkeit, im-mer wieder darüber nachzudenken. Mir sind aber keinekonkreten Maßnahmen bekannt, die aufgrund des Phä-nomens von Hooligandemonstrationen darauf abzielen,die gesamte statistische Aufbereitung zu ändern.
Metadaten/Kopzeile:
9754 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
(C)
(B)
Ich glaube, man muss auch aufpassen, dass man nichtbei jedem neuen Phänomen die gesamte Statistik wiederüber den Haufen wirft; denn dadurch wird sie am Endenicht aussagekräftiger. Wichtig ist, dass die Sicherheits-behörden insgesamt sehr genau beobachten, was dortpassiert bzw. inwieweit es klare Verflechtungen mitrechtsextremistischen Tendenzen gibt. Das wird selbst-verständlich sehr genau beobachtet.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Fragen.
Die Frage 28 des Abgeordneten Volker Beck wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereiches des
Bundesministeriums des Innern.
Die Fragen 29 und 30 der Abgeordneten Katrin
Kunert zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir sind somit am Ende der Fragestunde angekom-
men.
Ich unterbreche jetzt die Sitzung bis zur Aktuellen
Stunde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatz-
punkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
BND und NSA – Notwendigkeit und Grenzen
der internationalen Zusammenarbeit
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Erinnern Sie sich noch an die Sauerland-Gruppe?Im September 2007 wurde eine Personengruppe mit isla-mistisch-terroristischem Hintergrund verhaftet, die sichzuvor ein großes Fass mit Wasserstoffperoxid, Zünderund Weiteres beschafft hatte. Durch die gute Arbeit un-serer Polizistinnen und Polizisten sowie der Kriminalbe-amten in den Landeskriminalämtern und im Bundeskri-minalamt wurde ein schweres Attentat in Deutschlandverhindert.Geplant war ein Synchronattentat mit jeweils einerkleinen Bombe in einem Kaufhaus an einem halben Dut-zend Orten in Deutschland: Die Menschen strömen inPanik heraus, die Sicherheitskräfte rücken an. Wenn dieMenschenmassen und die Sicherheitskräfte dann vordem Kaufhaus zusammentreffen, steht mittendrin derLastwagen mit der großen Bombe. – Das sollte zur glei-chen Zeit an mehreren Orten in Deutschland geschehen.So war der infernalische Plan.Dieser Plan wurde durch die Arbeit unserer Polizis-tinnen und Polizisten und unserer Dienste verhindert.Der entscheidende Hinweis, auf den alles zurückging,kam von den amerikanischen Sicherheitsbehörden. DieZusammenarbeit, die 2002 die rot-grüne Bundesregie-rung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder mit denAmerikanern verabredet hat, war daher gut und richtigund hat ihre Berechtigung bis heute.
Die Bedrohungslage dauert an. Letzte Woche, einenTag bevor ein großes Radrennen in Hessen stattfindensollte, wurde ein türkisch-deutsches Ehepaar mit isla-mistischem Hintergrund verhaftet. Auch sie besaßenWasserstoffperoxid. Ein mögliches Attentat wurde ver-hindert.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben inDeutschland nicht auf einer Insel der Glückseligen. Wasin Paris, Madrid und Kopenhagen passiert ist, ist auch inBerlin, München, Köln, Düsseldorf und Stuttgart mög-lich. Dass bei uns bisher nichts passiert ist, liegt auch da-ran, dass wir verdammtes Glück gehabt haben. DerKommissar Zufall hat uns manchmal geholfen. Im letz-ten Fall waren es aber tüchtige Mitarbeiter in einem Bau-markt.Dass bisher bei uns nichts passiert ist, verdanken wiraber auch der Arbeit unserer Polizisten, unserer Diensteund der internationalen Zusammenarbeit unsererDienste. Deswegen muss von dieser Aktuellen Stundevor allem eine Botschaft ausgehen: Wir stehen zu unse-rer Polizei. Wir stehen zu unseren Diensten. Wir sagenDank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in denDiensten und den Polizistinnen und Polizisten, die jedenTag für die Sicherheit in diesem Land den Kopf hinhal-ten.
Erstens. Bei uns sind Polizei und Nachrichtendienstean Recht und Gesetz gebunden. Das unterscheidet unsvon Nachrichtendiensten in anderen Ländern.
Zweitens. Nicht alles, was technisch möglich ist, dür-fen und sollen Nachrichtendienste in Deutschland ma-chen. Auch das unterscheidet uns von anderen Ländern.
Drittens. Da überall Fehler passieren, weil Menschennun einmal Fehler machen, gibt es bei uns Kontrolle.
Auch das unterscheidet uns von anderen Ländern. Ichnenne hier beispielsweise eine unabhängige parlamenta-rische Kontrolle.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9755
Thomas Strobl
(C)
(B)
Auch sind wir dabei, das Ganze stetig zu optimieren,beispielsweise die gesetzlichen Grundlagen und auch dieKontrolle. Dass wir das seit einigen Jahren insbesonderenach den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses„Nationalsozialistischer Untergrund“ – ich erwähne hierKollegen Binninger – machen, ist in Ordnung.Wir brauchen aber weitere Optimierungen der gesetz-lichen Grundlagen. Natürlich brauchen wir eine klareRechtsgrundlage für die strategische Fernmeldeaufklä-rung; das haben die letzten Tage gezeigt. Wir brauchenauch Optimierungen in der parlamentarischen Kontrolle.Deswegen finde ich den Vorschlag gut, einen hauptamt-lichen Nachrichtendienstebeauftragten einzusetzen, dervom Deutschen Bundestag gewählt wird und der sich da-her mit weitgehenden Kompetenzen und aus einer star-ken Stellung heraus um die Kontrolle der Dienste küm-mern kann. Lassen Sie uns doch über die Optimierungsolcher Kontrollmöglichkeiten miteinander reden.
Wir reichen Ihnen nicht nur eine Hand, sondern beideHände, um das gemeinsam zu machen und weiter zu op-timieren.
Wenn aber das Ergebnis von Beratungen vorwegge-nommen wird, wenn „Landesverrat“ und „Rücktritt“ vonder Linken gerufen werden, und zwar schon in der erstenSekunde, noch bevor sich ein parlamentarisches Gre-mium mit den aktuellen Vorgängen überhaupt beschäfti-gen kann,
dann ist das die falsche Reihenfolge.
Lassen Sie uns die gesetzlichen Grundlagen und dieKontrolle weiter verbessern.Ein letzter Satz. Unsere Polizei und unsere Dienste ar-beiten nicht im Auftrag der Bundesregierung. Sie arbei-ten schon gar nicht im Auftrag einer Partei oder einerPerson. Vielmehr ist es so: Ohne unsere Polizistinnenund Polizisten und ohne die Mitarbeiter in den Dienstenwerden wir die Sicherheit in diesem Lande nicht ge-währleisten. Darum geht es: um die Sicherheit der Bür-gerinnen und Bürger in diesem Lande.
Sicherheit ist nicht absolut und nicht alles. Aber ohneSicherheit ist vieles andere nichts.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist Jan
Korte, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Rede gerade ging bemerkenswert weit am Themavorbei.
Der Genosse Sigmar Gabriel hat mit seiner Äußerungin dieser Woche natürlich recht. Es geht hier nicht in ers-ter Linie um Geheimdienstskandale, sondern es ist einSkandal der Bundeskanzlerin. Sie ist dafür verantwort-lich; das hat Genosse Gabriel richtig erkannt.
Da wir bei der zentralen Figur sind, nämlich der Bun-deskanzlerin, muss man Folgendes anmerken: Die Ab-gehobenheit und die Arroganz der Bundesregierung, desKanzleramtes und vor allem von Frau Merkel erinnernmittlerweile wirklich an Helmut Kohl nach 16 JahrenRegierung.
Angela Merkel hat dieses Verhaltensstadium bereitsnach zehn Jahren erreicht.
Was für Kohl die Spendenliste gewesen ist, das könntenfür Angela Merkel die Selektorenlisten werden. Das istdie Situation am heutigen Tag, liebe Kolleginnen undKollegen.
Sie hätten sich heute ganz viel Stress und Ärger erspa-ren können, wenn Sie nach den Veröffentlichungen vonSnowden gehandelt hätten. Das haben Sie nicht ge-macht. Sie haben so weitergemacht wie vorher.Ich will noch einmal daran erinnern, wie das Ganzeabgelaufen ist. Geprägt war die Zeit nach den Enthüllun-gen von Snowden durch ein völliges Desinteresse dieserBundesregierung an Aufklärung. Das änderte sich nachdem Handygate. Da gab es die erste spürbare Erregungim Kanzleramt. Dann sagte Angela Merkel 2013 – ichzitiere –: Ausspähen unter Feinden – das geht gar nicht.
– Ich zitiere Ihre Bundeskanzlerin: „Ausspähen unterFreunden – das geht gar nicht.“
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9756 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015
Jan Korte
(C)
(B)
Heute sagt sie: Ausspähen – jetzt Zitat: – „sollte nichtpassieren“. Sie ist bereits im Konjunktiv angekommen.Die Frage ist: Sagt sie morgen, dass Ausspähen normalist? Das ist der Zustand der Bundeskanzlerin.
Noch eine Frage: Was ist eigentlich aus den Verhand-lungen zum No-Spy-Abkommen geworden? Wie sindsie denn ausgegangen? Amtlich ist nur eines: dass dieGroße Koalition bei den Geheimdiensten aufgestocktund mehr Mittel, mehr Geld und mehr Personal bereitge-stellt hat. Das ist wohl die falsche Antwort, die wir zur-zeit sehen.
Es gibt offenbar nicht nur ein Problem bei der Kon-trolle der Geheimdienste. Die Frage, die wir uns hier imBundestag stellen müssen, ist die, ob die Bundesregie-rung eigentlich glaubt, über dem Parlament zu stehen.Das ist eine für die Demokratie sehr grundsätzlicheFrage. Ich will das konkretisieren. In zwei Kleinen An-fragen vom Sommer 2014 und vom April 2015, alsoganz aktuell, haben wir konkret nach Wirtschaftsspio-nage gefragt. Noch am 16. April 2015 antwortet dieBundesregierung – ich darf zitieren –:Es liegen … keine Erkenntnisse zu angeblicherWirtschaftsspionage durch die NSA oder anderenUS-Diensten in anderen Staaten vor.Da haben Sie doch offensichtlich gelogen, oder Sie ha-ben nichts mitbekommen.
– Kollege Kauder, es ist unwürdig, gegenüber dem Par-lament nicht die Wahrheit zu sagen, um das einmal klarauszudrücken.
Ich will noch eine Anmerkung machen. Allein die Be-grifflichkeit „angebliche Wirtschaftsspionage“ machtIhre ganze Haltung deutlich. Sie wollen nämlich mitdem Begriff „angeblich“ sagen, dass überhaupt schondie Frage nach Wirtschaftsspionage aus dem Reich derVerschwörung kommt und irre ist. Auch das ist unwür-dig gegenüber den Rechten von Abgeordneten, gleichwelcher Fraktion sie angehören.
Ich fasse zusammen. Legen Sie jetzt alle Karten aufden Tisch. Das Kanzleramt und Angela Merkel müssenfolgende Fragen beantworten: Hat diese Praxis aufge-hört, oder geht sie weiter? Ist Ihnen parlamentarischeKontrolle einfach nur lästig, oder erkennen Sie darineine demokratische Notwendigkeit? Was mich auchnach dieser Woche interessieren würde: Halten Sie ei-gentlich kritische Fragen und Nachfragen von frei ge-wählten Abgeordneten für ein Sicherheitsrisiko oder füreine große Chance für die Demokratie? Soll weiter derZweck die Mittel im Kampf gegen den internationalenTerrorismus heiligen?
Zum Schluss: Angela Merkel muss überhaupt ersteinmal umfänglich etwas sagen, und dann muss sie fol-gende zwei zentrale Fragen beantworten: Erstens. Solldie Europäische Union weiter geschwächt werden unddie deutsch-französische Freundschaft – damit übrigensder bessere Teil des Erbes von Helmut Kohl – weiter be-schädigt werden, ja oder nein?
Zweitens. Kann man sich darauf verlassen, dass IhreTreue zur Verfassung und zum demokratischen Rechts-staat dann, wenn es darauf ankommt, gegenüber allenanderen Interessen, auch gegenüber Geheimdienst-kooperationen, Bestand hat oder nicht?
Klären Sie jetzt endlich auf! Die Linke unterstützt Siedabei, gewohnt kompetent, leidenschaftlich und enga-giert.
Das ist ein ernstgemeintes Angebot, das angesichts derSituation, in der Sie sich befinden, unbedingt angenom-men werden sollte.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Christian Flisek.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir aus An-lass einer Aktuellen Stunde im Plenum wieder einmalGelegenheit haben, über die Arbeit des NSA-Untersu-chungsausschusses zu reden; denn der NSA-Untersu-chungsausschuss hat seit seiner Konstituierung im letz-ten Jahr, wie ich finde, seine Arbeit gemacht, und er hat– auch das betone ich ausdrücklich – durch die gemein-same Arbeit aller Fraktionen in diesem Ausschuss Be-achtliches geleistet. Wenn man ein erstes Zwischenfazitziehen will, dann kann es aus meiner Sicht nur lauten,dass die parlamentarische Kontrolle über die Geheim-dienste in Deutschland im Grundsatz funktioniert.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9757
Christian Flisek
(C)
(B)
Es ist die Kontrolle dieses Parlaments und seiner Ab-geordneten in diesem Untersuchungsausschuss und imParlamentarischen Kontrollgremium, die aktuell dafürSorge getragen hat, dass offensichtliche Missstände inden deutschen Geheimdiensten und bei der Aufsichtüber die deutschen Geheimdienste auf den Tisch kom-men. Wir werden das vollständig weiterhin aufklären,wir werden das sachlich politisch bewerten, und wirwerden uns dann auch darüber unterhalten und verstän-digen, welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind.
Man kann in dieser Aktuellen Stunde – ich sage eseinmal so – tüchtig auf die Pauke hauen, aber dafür sinddie Dinge eigentlich zu ernst. Es ist eine ganze Reihevon Fragen, die den Anlass für diese Aktuelle Stundebildet.
– Wir nehmen sie ernst, Frau Göring-Eckardt.
Eine ganze Reihe von Fragen steht auf der Tagesord-nung. Hat der Bundesnachrichtendienst über Jahre hin-weg bei seiner Fernmeldeaufklärung Suchbegriffe derNSA verwendet, die gegen deutsches Recht oder – wasgleichbedeutend wäre – gegen deutsche Interessen mas-siv verstoßen haben? In welchem Umfang ist das ge-schehen? Welche Qualität haben die Informationen, dieauf der Grundlage dieser Suchbegriffe an andere Ge-heimdienste gegeben worden sind? Waren es Informa-tionen über deutsche Unternehmen, europäische Unter-nehmen, deutsche Politiker, europäische Politiker,europäische Institutionen? Wie konnte es dazu kommen?Wie können wir sicher sein, dass aktuell, also heute,sichergestellt ist, dass auf der Grundlage solcher Such-begriffe keine Informationen mehr an amerikanische Ge-heimdienste weitergegeben werden?Und auch das ist eine Frage: Warum haben offensicht-lich Mitarbeiter im Bundesnachrichtendienst über einenlängeren Zeitraum diesen Umstand nicht nach oben, andie Hausspitze, gemeldet, und warum ist dieser Umstandnicht an das Bundeskanzleramt als Aufsichtsbehördeweitergegeben worden? Offensichtlich – davon müssenwir ausgehen – ist nur aufgrund der Arbeit des Untersu-chungsausschusses dem Bundeskanzleramt überhauptzur Kenntnis gelangt, dass es solche Selektorenlistengibt. Das alles deutet auf Organisationsdefizite, viel-leicht auch auf Aufsichtsdefizite hin. Aber, meine Da-men und Herren – das sage ich gezielt an die Kollegin-nen und Kollegen von der Opposition –, wir müssen dassachlich aufklären, und zwar genau in dieser Reihen-folge.
Ich sage eines deutlich, zumindest für meine Fraktionin diesem Untersuchungsausschuss: Wir sind ein Auf-klärungsgremium und kein Rücktrittsforderungsgre-mium. Aber weil das genau so ist, weil wir – das wieder-hole ich gern – ein Aufklärungsgremium sind
– seien Sie nicht so hysterisch, bleiben Sie nüchtern –,
müssen die Selektorenlisten dem Untersuchungsaus-schuss so schnell wie möglich zur Verfügung gestelltwerden. Sie sind ein Kernbereich für unsere Aufklä-rungsarbeit, Herr Gysi. Wir brauchen diese Listen. Esgibt für die Vorlage auch geeignete abgestufte Verfahren.Da gibt es nicht nur Schwarz und Weiß; da gibt es Grau-bereiche. Das muss dem Bundesnachrichtendienst klarsein. Das ist mit Sicherheit dem Kanzleramt klar. Not-falls müssen wir davon auch unsere amerikanischenFreunde überzeugen.Meine Damen und Herren, wir werden als SPD beider Reform, die ansteht, klare Schwerpunkte setzen. Wirwerden die Ausland-Ausland-Überwachung – da stehenwir an der Seite des ehemaligen Bundesverfassungsge-richtspräsidenten Papier – regeln. Ich bin davon über-zeugt, dass wir das tun müssen; denn das, was wir ge-rade hier diskutieren, betrifft genau den Kernbereich.Wir können nicht immer nur empört mit dem Zeigefin-ger über den Atlantik zeigen und Standards für denSchutz deutscher Bürger und Unternehmen einfordernund selber genau das nicht leisten.
Wir müssen hier in Vorleistung gehen. Wenn dieser Un-tersuchungsausschuss ein Ergebnis haben sollte, dann istes das, dass wir als Deutsche bereit sind, diese Pionierar-beit zu leisten.In globalen Zeiten und angesichts global tätiger deut-scher Unternehmen, in denen Menschen vieler Nationenarbeiten, macht der Unterschied zwischen Inländern undAusländern überhaupt keinen Sinn mehr, schon gar nichtin Bezug auf unsere europäischen Partner. Deswegenmüssen wir das auf eine solide rechtsstaatliche Basisstellen und die Ausland-Ausland-Überwachung aus demGraubereich herausholen. Wir müssen sie vor allen Din-gen einer parlamentarischen Kontrolle zuführen. Das istunsere Überzeugung. Die SPD-Kolleginnen und -Kolle-gen im PKGr und im Untersuchungsausschuss werdenihren Beitrag dazu leisten.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Es spricht jetzt Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.
Metadaten/Kopzeile:
9758 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015
(C)
(B)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Strobl, nein, es ist kein Skandal, wenn ein Geheim-dienst spioniert; dafür ist er schließlich gegründet wor-den.
Es ist auch kein Skandal, wenn der Bundesnachrichten-dienst zur Terrorismusbekämpfung mit ausländischenDiensten kooperiert.
Das ist kein Skandal, wenn es dafür klare Regeln gibt,wie sie beispielsweise im Jahr 2002 im Memorandum ofUnderstanding
verabredet worden sind, und wenn diese Regeln einge-halten werden. Aber hier ist das Problem.
Es ist nämlich ein Skandal, wenn die obersten Diensther-ren und -frauen – das muss man an dieser Stelle aus-drücklich sagen – die Geheimdienste nicht kontrollieren,ja offenbar nicht einmal kontrollieren wollen. Wenn dieBundeskanzlerin seit Jahren Aufklärung verspricht unddoch nichts tut, dann ist das ein Skandal.
Wenn zugelassen wird, dass deutsche Unternehmen ganzoffensichtlich ausgespäht wurden,
wenn zugelassen wird, dass europäische Partner ganz of-fensichtlich ausgespäht wurden, dann ist das ein Skan-dal.
Die Kanzlerin hat ja gesagt: „Ausspähen unter Freun-den – das geht gar nicht“. Seit den Enthüllungen vonEdward Snowden, seit 2013, wussten wir doch aber alle,dass etwas faul ist, und Sie haben nichts getan. Die Bun-deskanzlerin ist nach dem Motto verfahren: vertuschen,verschleiern, aussitzen. Da liegt das Problem.
Man muss sich fragen: Wusste man da wirklich nichts,oder wollte man in der Dienst- und Fachaufsicht imKanzleramt gar nicht wissen, was passiert? Das muss derUntersuchungsausschuss klären.
Seit 2013 wurde viel geredet, und Aufklärung brau-chen wir auch bei diesem Skandal. Das ist wichtig, weiles auch mit der Frage der Aufsicht zu tun hat. Denn die-ser Skandal kam dadurch ans Licht, dass Hans-ChristianStröbele im Untersuchungsausschuss einen Beweisan-trag gestellt hat,
also nicht etwa durch die Fachaufsicht, sondern dadurch.Und jetzt fragt man sich – wir fragen das –: Hat sich dieBundeskanzlerin eigentlich einmal Herrn Schindler zurBrust genommen? Was hat sie ihrem Nachrichtendienst-abteilungsleiter Günter Heiß gesagt? Das ist eine derStellen, an denen die BND-Berichte an das Kanzleramtaus den Jahren 2010 und 2013 untergegangen sein müs-sen. Oder wusste sie doch davon? Haben Sie eigentlichbeim BND auf häufigere, auf unangekündigte Prüfungengedrängt? Wurden technische, wurden organisatorischeVorkehrungen getroffen, damit es keinen Missbrauchdurch andere Dienste gibt? Das alles wissen wir nicht.Diese Fragen müssen geklärt werden, und sie werden imUntersuchungsausschuss geklärt.
Allerdings: Das Wenige, das wir über die sogenannteAufklärung im Kanzleramt wissen, stimmt nicht geradeoptimistisch. Das Ende der Amtszeit von Kanzleramts-minister Ronald Pofalla erscheint ja plötzlich irgendwiein anderem Licht.
Anfang des Jahres 2014 ist mit dem Beauftragten für dieNachrichtendienste, Staatssekretär Fritsche, plötzlich soeine Art Puffer zwischen dem neuen Kanzleramtsminis-ter und der Aufsicht installiert worden. Da fragt mansich: Warum ist das eigentlich geschehen? Ging es daum mehr Aufklärung, oder ging es darum, dass man jetzteinen neuen Rücktrittspuffer hat, den man im Zweifels-fall nutzen kann?
Was Sie tun, ist Folgendes: Sie lassen den BND erstan der langen Leine, und wenn er etwas ausgefressen ha-ben soll, werfen Sie die Leine weg. Das hat mit Verant-wortung nichts zu tun. Ich finde, die ganze Sache ist zuweit getrieben worden. Die Dienste reagieren spürbargenervter, wenn es wieder heißt, das Kanzleramt seinicht informiert worden. Hier geht es auch um eine Mit-schuld durch Unterlassen, meine Damen und Herren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9759
Katrin Göring-Eckardt
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Das sage ich Ihnen als überzeugte Transatlantikerin aus-drücklich.
Denn ich finde, die Tatsache, dass in der Bevölkerungdas Verständnis für die Zusammenarbeit mit den Verei-nigten Staaten in der Terrorismusbekämpfung sinkt, hatgenau damit zu tun.
Wenn wir als Parlamentarier warten müssen, weil dieNSA erst mal gefragt werden muss, was sie zur Verfü-gung stellt, führt das doch dazu, dass die Geheimdienst-kontrolle nicht mehr im Kanzleramt stattfindet, sonderngleich bei der NSA. Wo sind wir eigentlich hingekom-men?
Wenn Sie den BND nicht kontrollieren wollen, dannleisten Sie doch dem Eindruck Vorschub, dass Sie einePolitik in Dienstbarkeit gegenüber der NSA betreiben,die nichts mehr mit unserer Souveränität zu tun hat.Meine Damen und Herren, worüber ich mir die meis-ten Sorgen mache, ist die Vertrauenskrise, die dadurchentsteht. Der BND-Skandal ist nämlich längst genau das:Er ist eine Vertrauenskrise. Das bezieht sich auf das Ver-trauen der Unternehmen, das Vertrauen der europäischenPartner, auch das Vertrauen der transatlantischen Partner.Und Sie haben auch das Vertrauen dieses Parlamentsenttäuscht.
Es geht eben auch um das Vertrauen der Bürgerinnenund Bürger in die Demokratie. Wir werden für Aufklä-rung sorgen, Sie aber sollten sie wollen, und zwar mit al-lem Nachdruck.
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
der Kollege Stephan Mayer das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Während einer Mitglied-schaft im Deutschen Bundestag macht man so einigesmit. Aber selten klaffen in einer Angelegenheit die öf-fentliche Darstellung und die tatsächlich vorhandeneSubstanz so weit auseinander.
Es ist beileibe kein BND-Skandal, über den wir hier de-battieren. Vielmehr ist es ein Skandal, wie die Opposi-tion mit dieser Thematik umgeht.
Für die Hysterie, die teilweise in unserem Land Einzuggehalten hat, besteht überhaupt kein Grund.Ich muss schon sagen: Am einfachsten machen essich die Kollegen, die von der Sache keine Ahnung ha-ben,
die weder Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgre-miums noch Mitglied des NSA-Untersuchungsausschus-ses sind. Denn dann ist es leicht, von Lüge und von Lan-desverrat zu reden und Rücktritte zu fordern.Wir sollten uns eine andere Marschroute geben. DieReihenfolge muss lauten: zuerst den Sachverhalt voll-ständig, umfassend und lückenlos aufklären, dann eineBewertung vornehmen und erst dann die Konsequenzenziehen. Aber Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kol-legen von der Opposition, machen es sich sehr einfachund drehen die Reihenfolge einfach um.Wir hatten gerade eine hochinteressante Sitzung desParlamentarischen Kontrollgremiums. Ich werde dasGeheimhaltungsgebot natürlich nicht brechen; aber ichdarf darüber Auskunft geben, dass sich die Vorwürfe unddie bodenlosen Unterstellungen gegenüber unserem der-zeitigen Bundesinnenminister Thomas de Maizière alshaltlos erwiesen haben und restlos aufgeklärt sind.
Ich würde Ihnen wirklich wünschen – leider geht esnicht –, dass Sie Einblick in die Vermerke nehmen könn-ten, die uns zur Vorbereitung der Sitzung vorgelegt wur-den. Ich darf so viel sagen: In keinem dieser Vermerkesteht auch nur ein Unternehmensname. In keinem dieserVermerke, die Thomas de Maizière zur Vorbereitung sei-ner Reise nach Washington Ende Februar 2008 dienten,steht der Suchbegriff „Selektor“ – ganz im Gegenteil.Es war hochinteressant, diese Vermerke zu studieren.Der Bundesnachrichtendienst warnt für die Zukunftdeutlich vor einer Ausweitung der Kooperation mit denUS-Amerikanern. Er weist deutlich auf die Gefahr desMissbrauchs hin, wenn man die Kooperation intensivie-ren würde. Aber es gibt keinerlei Hinweise darauf, dassin der Vergangenheit Wirtschaftsspionage betriebenwurde. Die Vorwürfe haben sich also restlos in Luft auf-gelöst. Für mich ist das ein beredtes Beispiel dafür, dassin diesem konkreten Fall Schindluder getrieben und dassmit unserem Innenminister Scharlatanerie betriebenwurde. Das war unanständig, das war bodenlos, und daswar unredlich.
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9760 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015
Stephan Mayer
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Ich möchte gar nicht so weit gehen, zu sagen, dass inder Angelegenheit keine Fehler gemacht wurden. Aberes ist nicht redlich, aus jedem Fehler automatisch einenSkandal zu machen.
Fehler werden überall gemacht: Jeder Mensch machtFehler, jeder Politiker macht Fehler; in jeder Behörde, injedem Unternehmen werden Fehler gemacht. Daher soll-ten wir alle uns davor hüten, jeden Fehler sofort alsSkandal zu inszenieren. Das wurde aus meiner Sicht imvorliegenden Fall gemacht.Wir können im Nachgang zu dieser Angelegenheitüber eine Neujustierung der parlamentarischen Kontrolledebattieren; aber ich warne vor falschen Erwartungen.Wir können nicht hinter jeden der zehntausend Mitarbei-ter unserer Dienste einen parlamentarischen Kontrolleurstellen. Trotz der besten, effektivsten und intensivstenparlamentarischen Kontrolle: In den Diensten werdenFehler passieren. Ich bin der festen Überzeugung, dassgerade im Vergleich zu anderen Ländern die parlamenta-rische Kontrolle unserer Dienste gut funktioniert.Man sagt so schön: Es gibt nichts Schlechtes, an demnicht auch etwas Gutes ist. So unsäglich diese Skandali-sierung und diese Hysterie um die Arbeit des Bundes-nachrichtendienstes ist: Vielleicht kann man durch diegewonnenen Erkenntnisse ein anderes Bewusstsein inunserer Bevölkerung in Bezug auf die Notwendigkeitvon Nachrichtendiensten schaffen.In anderen Ländern ist das anders. In anderen Län-dern hat man ein anderes Verständnis von der Arbeit derDienste. Ich bin der festen Überzeugung: Wir brauchenauch in Zukunft gut funktionierende, gut aufgestellteNachrichtendienste. Ich möchte an dieser Stelle eineLanze für die Mitarbeiter in den Diensten brechen; dennsie leisten eine gute, eine ordentliche Arbeit.Zum Schluss noch ein sehr ernst gemeinter Hinweis:Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass alleindurch die intensive Kooperation zwischen dem BNDund der NSA seit 2011 19 geplante Anschläge auf An-gehörige der Bundeswehr in Afghanistan rechtzeitig ver-hindert werden konnten. Daran sieht man ganz konkret,wie wichtig es ist, dass wir einen gut aufgestellten Bun-desnachrichtendienst haben und dieser Bundesnachrich-tendienst eng mit den Diensten anderer Länder koope-riert. Ich glaube, das ist etwas, was auch wir alle hierbeherzigen sollten.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Martina
Renner von der Fraktion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die eben gehörte Rede von Herrn Kollegen Mayer hatgezeigt, dass die Bundesregierung hinsichtlich der Auf-klärungsbemühungen dieses Parlaments mit zweierleiMaß misst. Während wir als Opposition falsche Antwor-ten auf Kleine Anfragen zu den Themen „Wirtschafts-spionage“ und „Verwicklung der NSA“ erhalten unddurch Herrn Altmaier als Aufklärer im NSA-Untersu-chungsausschuss bedroht werden –
wenn wir öffentlich den Überwachungs- und Spionage-skandal thematisieren, wird uns mit einem Verfahrenwegen Geheimnisverrat gedroht –, berichtet Herr Mayerhier aus geheimen Unterlagen, die dem PKGr heute vor-gelegen haben.
Er interpretiert sie einseitig, und wir können hier nicht inangemessener Form reagieren.
Das zeugt davon, dass man mit zweierlei Maß misst,wenn es um die Rechte des Parlaments und der Abgeord-neten geht.
Das ist insbesondere angesichts des Aufklärungsauftragsdes NSA-Untersuchungsausschusses kein würdiges Ver-halten.
Seit einem Jahr mühen wir uns in diesem Ausschuss,einen der größten, vielleicht sogar den größten Geheim-dienstskandal in der Geschichte der Bundesrepublik auf-zuklären. Es geht hier nicht um Fehler und Pannen. Esgeht um einen Skandal; ich sage das ganz bewusst.Unser aller Kommunikation wird überwacht. Seien esE-Mails, Kurznachrichten, Telefongespräche oder unserSurfverhalten im Internet, alles wird überwacht. Nie-mand ist mehr sicher vor der Spionage der Geheim-dienste, die deutsche Regierung ebenso wenig wie be-freundete europäische Regierungen, Institutionen,Parlamente, Medien, Unternehmen und Konzerne.
Wir alle kennen die Spione, und wir sprechen es aus:Das sind die NSA und der BundesnachrichtendienstHand in Hand.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9761
Martina Renner
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Die Massenüberwachung, die wir als Ausschuss fest-gestellt haben, zum Beispiel durch den Abgriff der Tele-kommunikationsdaten bei der Deutschen Telekom inFrankfurt, hat ebenso wie die politische und wirtschaftli-che Spionage nichts, aber auch rein gar nichts mit denpostulierten Zielen der Geheimdienste zu tun. Diese Pra-xis, die wir untersuchen, ist illegal und demokratieschä-digend.
Warum wissen wir überhaupt davon? Warum hat sichder Untersuchungsausschuss auf den Weg gemacht? Wirwissen davon, weil Edward Snowden den Mut hatte, dieWelt über die Massenausspähung durch die NSA zu in-formieren. Er hat den Stein ins Rollen gebracht. Dochbis heute verweigern Sie dem Kronzeugen im NSA-Un-tersuchungsausschuss eine Aussage hier in Berlin.
Seit diesen Enthüllungen in 2013 beschäftigt uns alledie Frage – die muss uns als Parlament interessieren –,inwieweit der BND an dieser Praxis der NSA, der Mas-senüberwachung und Spionage, beteiligt war und ist.Natürlich ist damit untrennbar die Frage verbunden, obder BND dabei seinen gesetzlichen Rahmen verlassenhat.Seit knapp zehn Tagen erfahren wir nun aus den Me-dien, dass dieses Ausspähen und Überwachen gezielt ge-gen europäische Partner, gegen europäische Industrieun-ternehmen mit deutscher Beteiligung und gegenbefreundete Regierungen gerichtet war und dass dasBundeskanzleramt über diese Praxis des BND seit mehrals fünf Jahren informiert gewesen ist und nicht erst seit2015. In diesem Punkt muss ich dem Kollegen ChristianFlisek leider widersprechen.Momentan steht im Raum, dass der Bundesrepublikdie NSA offenbar nähersteht als der Élysée-Palast, dasEuropaparlament oder unser Nachbarland Österreich.Damit beginnt der zweite Teil der Affäre. Die Bundesre-gierung und allen voran der jetzige Bundesinnenministerund langjährige Staatsminister im BundeskanzleramtThomas de Maizière versprechen jeden Tag eine Aufklä-rung der Öffentlichkeit. Doch passiert ist bislang nichts –nichts, was auch nur annährend das Wort Aufklärungverdienen würde.An dieser Stelle möchte ich auf zwei eklatante Bei-spiele abstellen. Seit mehr als zwei Wochen warten wirauf die Liste der Spionageziele. Was ist passiert? Nichts!Stattdessen fragt die Bundesregierung in den USA umErlaubnis, hier ihrer Pflicht gegenüber dem Parlamentnachzukommen. Es kann nicht sein, dass BND undNSA, die hier möglicherweise Straftaten begangen ha-ben, nun selbst entscheiden dürfen, welche Informatio-nen über ihr Handeln sie dem Ausschuss übergeben, derdas untersuchen soll. Solange diese Liste zurückgehaltenwird, werden, so sagen wir, die Spione geschützt und dieparlamentarische Aufklärung sabotiert.
Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Werjetzt meint, die Aufklärung könnte beim BND stehenbleiben und dass wir nicht nach den Verantwortlichen imBundeskanzleramt fragen, dass wir nicht fragen, wasdort wann gewusst wurde, wer diese Spionage zugelas-sen und nicht unterbunden hat, wer die europäischenPartner nicht informiert hat, der täuscht sich. Das werdenwir als Untersuchungsausschuss fragen. Falls in dennächsten Stunden und Tagen klar wird, dass die von unsals Opposition gemeinsam vorgelegten Beweisanträgeabgelehnt werden bzw. die Listen zu den Spionagezielender NSA nicht vorgelegt werden, dann müssen wir sa-gen: Das ist nicht nur eine Blockade der Arbeit, sonderndas ist der Versuch der Verschleppung. Es steht imRaum, dass wir die entsprechenden Zeugen aus demBundeskanzleramt möglicherweise erst im Sommer odersogar erst nach der parlamentarischen Sommerpause hö-ren werden. Das ist nicht das, was die Öffentlichkeit der-zeit erwartet.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie
haben Ihre Redezeit schon deutlich überzogen.
Ich komme zum Schluss. – Ich denke, Sie haben jetzt
allen Anlass, diesen Skandal nicht weiter auszusitzen.
Ansonsten werden diejenigen, die das tun, den Stuhl ris-
kieren, auf dem sie gerade erst Platz genommen haben.
Danke.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Susanne
Mittag von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Zuschauer! Das Thema ist sehr interes-sant; das ist sehr schön. Ich bin froh, dass diese AktuelleStunde von der SPD- und der CDU/CSU-Fraktion bean-
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9762 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015
Susanne Mittag
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tragt worden ist, um über die Kooperationen von BNDund NSA in Deutschland zu sprechen.
Denn die Vorwürfe, die dem BND und auch dem Bun-deskanzleramt in den letzten Tagen gemacht wurden,sind erheblich und erreichen zumindest in der Öffent-lichkeit – deswegen ist der Zuspruch so groß – immerneue Dimensionen.Aber die Presseberichte lenken die öffentliche Auf-merksamkeit auch endlich wieder vermehrt auf denNSA-Untersuchungsausschuss. Hoffentlich hilft unsdiese öffentliche Resonanz bei der Durchsetzung unsererBeweisbeschlüsse im Ausschuss. Das sind inzwischenfast 300. Wir sind ja nicht untätig geblieben. Ich denke,seit einigen Tagen mehren sich offene Fragen, und damitsteigt auch die Zahl der Beweisbeschlüsse. Aberschnelle Schlussfolgerungen, wie sie in den letzten Ta-gen geäußert wurden, helfen bei der wichtigen Aufklä-rungsarbeit des Untersuchungsausschusses nicht wirk-lich weiter.
Wir als Untersuchungsausschuss haben einen klar de-finierten Untersuchungsauftrag und klare Forderungen,um einen hochproblematischen Sachverhalt zu klären,sowohl öffentlich als auch nicht öffentlich. Dabei geht esnicht um Hörensagen, Schlussfolgerungen, Empfindun-gen oder Ähnliches, sondern es geht um belastende undentlastende Momente. Diese zu bekommen – das habenwir gemerkt –, wird wohl nicht ganz einfach sein. Dashaben wir schon gemerkt, als wir schwarze Seiten, blaueSeiten und sogar gar keine Seiten in den Akten hatten.Es gibt externe Orte zum Lesen. Konsultationen ohneErgebnis hatten wir auch schon. Es wird also nicht auf-hören. Aber wir werden die Beweise bekommen. Siesind unverzichtbar, so unangenehm es vielleicht für deneinen oder anderen auch werden könnte.
Eine sachliche öffentliche Diskussion kann da nur hilf-reich sein. Ich betone: sachlich.Es müssten jetzt alle Fakten auf den Tisch, und dannmüssen die Zeugen befragt werden; so herum wird einSchuh daraus. Einige werden wir eventuell erneut ver-nehmen müssen; da ist, denke ich, die Belehrung vor derAussage wohl nicht komplett angekommen.
Erst dann ist es sinnvoll, Konsequenzen zu fordern: or-ganisatorisch oder rechtlich oder personell. Nur so blei-ben der Ausschuss, das Parlament und die Politik glaub-würdig. Auch eine Regierung ist nur so glaubwürdig,wie sie mit eigenen Mängeln umgehen kann.Die in den vergangenen beiden Wochen aufgeworfe-nen Fragen zeigen nur die Richtigkeit und Wichtigkeitdes NSA-Untersuchungsausschusses. Denn erst durchdie Beweisbeschlüsse dieses Ausschusses – es warennicht die Grünen alleine – scheint sowohl dem BND alsauch dem Kanzleramt die Brisanz der von den USA ein-gesteuerten Selektoren bewusst geworden zu sein. Dieaufgeworfenen Fragen bestätigen auch die Richtigkeitund Wichtigkeit unserer im Ausschuss beschlossenenVorgehensweise. Nur noch einmal zur Erinnerung: Erstkehren wir vor der eigenen Tür, also beim BND und beidessen Kontrolle. Da scheinen wir mit der parlamentari-schen Aufarbeitung offenbar noch lange nicht fertig zusein.Aber – vielleicht geht das in der einen oder anderenDiskussion unter –: Die Aufgabe des BND ist unter an-derem die Unterstützung der Bundesregierung bei ihrensicherheits- und außenpolitischen Entscheidungen durchBereitstellung von Erkenntnissen über das Ausland.Manchmal habe ich in dieser Diskussion das Gefühl, daswird ein bisschen vermischt.Eine weitere Aufgabe ist die informatorische Unter-stützung der Bundeswehr bei ihren Auslandseinsätzen.Es ist schon erwähnt worden: Die Bundeswehr ist in14 Ländern im Einsatz. Das Stichwort lautet hier„Schutz der Truppe vor terroristischen Anschlägen“; dashat das eine oder andere Mal ja offensichtlich geklappt.Hinzu kommt die Aufgabe, Informationen in Krisenoder bei Entführungen deutscher Staatsangehöriger be-reitzustellen. Zurzeit gibt es mehrere Entführungsfälle.Darüber wird nicht öffentlich diskutiert – das ist auchrichtig so –; aber das ist wichtig.Es waren die Entwicklungen nach dem 11. September2001, die zum Memorandum of Agreement mit der NSAgeführt haben. Der Rahmen dieses Agreements ist klardefiniert und nachvollziehbar. Wir müssen nun klären,ob und inwieweit sich beim BND im Laufe der Jahre eingewisses Eigenleben und/oder ein großzügiges Interpre-tieren der rechtlichen und vertraglichen Rahmen breitge-macht hat – um es einmal milde auszudrücken. Das istunsere Aufgabe. Wir müssen außerdem klären, ob undwann bei offenkundigen Verstößen des ausländischenPartners Meldungen an die BND-Spitze und das Kanz-leramt gegangen sind und welche Folgen dies für dieweitere Zusammenarbeit hatte. Ganz besonders interes-sant sind natürlich die Fragen: Wann und mit welchenFolgen?Die Aufklärungsarbeit des Ausschusses wird sichdann in einem weiteren Schritt mit den USA und mitGroßbritannien und deren Nachrichtendiensten beschäf-tigen; da sind wir nämlich noch gar nicht angekommen. Esgeht um die Fragen: Was haben diese explizit in Deutsch-land unternommen, um, so wie es Edward Snowden nahe-legt, ein engmaschiges Spionagenetz anzulegen, um dieweltweite Kommunikation – Stichwort „full take“ –überwachen zu können? Bei all dem müssen wir nochklären, was zutrifft.Diese Aufklärungsarbeit ist die Aufgabe, der wir nunschon seit über einem Jahr jeden Donnerstag in jederPlenarwoche bis spät in die Nacht nachgehen. Die poli-zeiliche Ermittlungsarbeit hat als Grundlage die siebengoldenen W – der eine oder andere Polizist wird sie ken-nen –: Wer hat wann wo was wie mit wem warum ge-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9763
Susanne Mittag
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macht? Das ist die Grundlage der Ermittlungsarbeit. Sowerden auch wir weiter vorgehen.
Dazu gehören Sachbeweise, und die brauchen wir bismorgen – es ist nun einmal so –, und zwar in Form vonSelektorenlisten. Sie sind wichtig; denn sie sind Sachbe-weise. Auch wenn ich mich da wiederhole: Die Selek-torenlisten sind elementar für die Aufklärung. ErsteZeugenbefragungen dazu haben wir letzte Woche be-schlossen; da haben wir unseren Plan schon geändert.Im vergangenen Jahr und bis heute war die Zusam-menarbeit im NSA-Untersuchungsausschuss – um aucheinmal etwas Positives zu sagen – über die Fraktions-grenzen hinweg sehr kooperativ und kollegial. Auchwenn es hier und da und bei der einen oder anderenFrage unterschiedliche Meinungen gab, hat uns bisherimmer der gemeinsame Aufklärungswille gute Lösungenfür die Arbeit des Ausschusses finden lassen. Das wün-sche ich mir bei aller Aufgeregtheit der letzten Tageauch weiterhin.Eins ist klar: Nur wenn wir – als vom Bundestag ein-stimmig eingesetzter Untersuchungsausschuss – zusam-menarbeiten, können wir unserem Auftrag gerechtwerden. Denn die Widerstände gegen unseren Aufklä-rungsauftrag sind auf beiden Seiten des Atlantiks gewal-tig. Diese Widerstände gilt es zu überwinden. Da sindwir auf einem guten Weg. Als selbstbewusstes Parlamentwerden wir zusammen einen Weg finden, um sowohl be-rechtigten Geheimhaltungsinteressen –
Frau Kollegin, ich muss auch Sie ermahnen.
– ja; ich komme zu meinem letzten Satz – als auch
dem öffentlichen und unserem eigenen parlamentari-
schen Anspruch auf Aufklärung gerecht zu werden. Ich
denke, das bekommen wir hin.
Herzlichen Dank.
Als nächster Redner hat Hans-Christian Ströbele vomBündnis 90/Die Grünen das Wort.
Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir reden heute über Fehler im Kanzleramt.Der Meinung, dass es diese Fehler gab, war ja auch HerrMayer. Deshalb bedauere ich außerordentlich, dass dieChefin des Kanzleramtes nicht hier ist und dass ihr Platzfrei ist.
– Ist er jetzt der Chef?
– Na gut. Das können Sie der Kanzlerin schonend bei-bringen.
Ich hätte nämlich erwartet, dass die Kanzlerin sich alsErstes einmal hier an dieses Pult stellt und definitiv ge-genüber dem Parlament, gegenüber der Öffentlichkeiterklärt, dass ihre Aussage im Wahlkampf 2013, dass eskeinerlei Wirtschaftsausspähung, keinerlei Wirtschafts-spionage in Deutschland durch die NSA gibt, falsch war.Diese Aussage war falsch, und sie muss sofort korrigiertwerden.
Ich will einmal versuchen, nicht für die Ahnungslo-sen, die Herr Mayer hier genannt hat, sondern für die,die Ahnung haben, die Themen zu sortieren. Es geht hiernicht um Daten über terroristische Anschläge.
Es geht hier auch nicht um Daten von Wirtschaftsunter-nehmen, deutschen oder europäischen, die möglicher-weise Beziehungen zu Waffenhandel haben,
zu Drogenhandel, zu Terrorismus oder was auch immer.Es geht hier um Informationen über Personen inDeutschland und in Europa sowie über Firmen inDeutschland und in Europa, die all das nicht haben, son-dern die nur in den Fokus der NSA und des Bundesnach-richtendienstes gekommen sind, weil die NSA die Ver-einbarung mit dem Bundesnachrichtendienst nichteingehalten hat. Das, Herr Kollege Mayer, verstößt ekla-tant gegen deutsches Recht, gegen das deutsche Grund-gesetz, und das hat die Bundesregierung zu verantwor-ten. Nur darum geht es.
Dass es nur darum geht, können Sie daraus ersehen,dass diese Selektoren – zum Beispiel „EADS“ oder „Euro-copter“ oder „französische Politiker“ –, die da dauernddurch die Gegend geistern, vom Bundesnachrichten-dienst aussortiert und auch nicht wieder hineingenom-men wurden, weil sie Ergebnis eklatanter Verstöße ge-
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9764 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015
Hans-Christian Ströbele
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gen die Vereinbarung mit Deutschland waren. So einfachist das.
Lassen Sie uns darüber reden.Wir werfen der Bundesregierung nicht vor, dass siemit den USA zusammenarbeitet, auch nicht, dass sie esim Geheimdienstbereich tut. Ich bin damit seit 15 Jahrenoder länger beschäftigt.
Wir werfen der Bundesregierung vielmehr vor, dass siediese Rechtsbrüche – Brüche des deutschen Rechts, desdeutschen Grundgesetzes und der Vereinbarungen mitden USA – nicht nur geduldet, toleriert, übersehen, son-dern sogar mitgemacht und gefördert hat, und dies, weilder Bundesnachrichtendienst diese Selektoren nicht aus-geschlossen hat.
Wir werfen Herrn de Maizière nach wie vor, also auchnoch nach der Sitzung vorhin, vor, dass er als zuständi-ger Chef im Kanzleramt
nicht das Notwendige getan hat, um das abzustellen.
Sie haben nämlich vorhin nicht erwähnt, dass dies seit2005 im Bundesnachrichtendienst bekannt war, dass esspätestens seit 2010, aber auch schon vorher im Kanzler-amt hätte bekannt sein müssen.Sie haben gesagt, es hätten diese Namen – EADS unddie anderer Firmen – vorgelegen; sie seien nicht Gegen-stand der Vermerke gewesen.
Sie haben aber nicht gesagt, dass es in den Vermerkensehr wohl Anhaltspunkte dafür gibt, dass Herr deMaizière hätte tätig werden müssen. Dennoch ist er nichttätig geworden, weder in seinem Amt noch beim Bun-desnachrichtendienst noch gegenüber der NSA und denUS-amerikanischen Freunden. Das werfen wir ihm vor.
Herr Mayer, auch Sie sagen, es habe Fehler gegeben.Ja, es hat Fehler gegeben. Aber, Herr Mayer: Diese Feh-ler sind so schlimm, dass dies organisatorische und per-sonelle Konsequenzen haben muss, sowohl im Bundes-kanzleramt als auch im Bundesnachrichtendienst, undzwar erhebliche.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Manfred
Grund von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Herr Kollege Ströbele, Fakten, Fakten, Fakten –und immer in Sichtweite der Wahrheit bleiben!
Aus allen Dokumenten, die uns heute im Parlamentari-schen Kontrollgremium vorgelegt worden sind, insbe-sondere das Jahr 2005 betreffend, und deren Inhalt auchSie nicht angezweifelt haben, ist nichts herauszulesen– und man kann dort noch nicht einmal etwas hinein-interpretieren –, was mit Rechtsbrüchen, Fehlern imKanzleramt oder Industriespionage zu tun hat. Bitte,bleiben Sie bei dem, was Sie auch heute gehört haben,und verbreiten Sie nicht andere Behauptungen.
Frau Kollegin Renner, Sie sprechen von Massenüber-wachung. Seit zwei Jahren steht der Begriff „Massen-überwachung“ im Raum. Seit einem Jahr bemühen Siesich neben anderen Kollegen offensichtlich auch im Un-tersuchungsausschuss, diese Massenüberwachung zu be-legen. Sie haben nichts gefunden. Sie sind auch heuteden schlüssigen Beweis für Massenüberwachung inDeutschland schuldig geblieben.
Meine Damen und Herren, die BundesrepublikDeutschland hat zum Schutz ihrer Bürger und damitauch in unserem Interesse drei Nachrichtendienste. Einerdavon ist der Bundesnachrichtendienst. Frau KolleginGöring-Eckardt, wir haben Nachrichtendienste und Gottsei Dank keine Geheimdienste.Zum Kernauftrag des Bundesnachrichtendienstes ge-hören die Beobachtung von Krisengebieten und Regio-nen, die von besonderer Bedeutung für die Sicherheit derBundesrepublik sind, sowie die Aufklärung im Einsatz-gebiet der Bundeswehr, und zwar zum Schutz der dorteingesetzten Bundeswehrsoldaten. Darauf, Informatio-nen zu sammeln und diese auch auszuwerten, zielt dergesetzliche Auftrag an den Bundesnachrichtendienst.Dabei bedient sich der Bundesnachrichtendienst na-türlich nachrichtendienstlicher Mittel. Dem Einsatz die-ser nachrichtendienstlichen Mittel sind bereits durch un-sere Verfassung enge Grenzen gesetzt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9765
Manfred Grund
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– Ja, „ganz enge Grenzen“. – Dazu gehören der Grund-satz der Verhältnismäßigkeit, der Schutz des Kernbe-reichs der privaten Lebensführung sowie der Grundsatzdes Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes.Noch einmal: Unsere Nachrichtendienste sind keineGeheimdienste, weil ihr Tätigkeitsbereich gesetzlich we-sentlich enger gefasst ist. Sie sind aber auch kein öffent-licher und kein offener Dienst, dessen Strukturen, Ar-beitsweise, Erkenntnisse oder auch Defizite auf denMarktplätzen unserer Republik oder der Welt ausgebrei-tet werden können.Weil das so ist, unterliegt auch der Bundesnachrich-tendienst einer besonderen Kontrolle des DeutschenBundestages, insbesondere der Kontrolle des Parlamen-tarischen Kontrollgremiums, der G 10-Kommission unddes Vertrauensgremiums des Haushaltsauschusses. Selbst-verständlich gibt es darüber hinaus die Kontrolle durchGerichte, Datenschutzbeauftragte und den Bundesrech-nungshof.Das Parlamentarische Kontrollgremium kontrolliertdie Arbeit der Bundesregierung hinsichtlich der Tätig-keit der Nachrichtendienste des Bundes. Die Bundes-regierung ist verpflichtet, das Parlamentarische Kon-trollgremium umfassend über die allgemeine Tätigkeitder Nachrichtendienste und über Vorgänge von besonde-rer Bedeutung zu unterrichten. Mitglieder des Parlamen-tarischen Kontrollgremiums haben Zutritt zu allenDienststellen der Nachrichtendienste. Sie können Aktenund Dateien abrufen, Angehörige der Nachrichten-dienste befragen und zur Wahrnehmung ihrer Kontroll-aufgaben einen Sachverständigen als Sonderermittlereinsetzen.So weit die Theorie, so weit die gesetzliche Grund-lage, so weit auch die Praxis, eine Praxis, die ich alslangjähriger Kontrolleur der nachrichtendienstlichen Tä-tigkeit nicht zu beanstanden habe. Dies war und ist übri-gens bis heute auch die Sicht des ParlamentarischenKontrollgremiums. So steht in der Unterrichtung durchdas Parlamentarische Kontrollgremium an das Parla-ment, Drucksache 18/217, für den Berichtszeitraum No-vember 2011 bis 2013:Auch im vorliegenden Berichtszeitraum unterrich-tete die Bundesregierung … angemessen, zeitnahund im gebotenen Umfang … Für die Informationdurch die Nachrichtendienste gilt dies grundsätzlichebenfalls.Ich will zum Erkenntnisgewinn noch hinzufügen,dass dem Parlamentarischen Kontrollgremium innerhalbder Bundestagsverwaltung mehr als ein Dutzend Beamteund Angestellte zuarbeiten und es unterstützen.Und ich will der guten Ordnung halber darauf hinwei-sen, dass die Beratungen des Parlamentarischen Kon-trollgremiums geheim sind und die Mitglieder zur Ge-heimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet sind. SeitBeginn 2015 ist ein Mitglied der Fraktion Die LinkeVorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.Leider ist mit dem Wahlkampf 2013 unter dem damali-gen Vorsitzenden die Unsitte eingetreten, dass einigeMitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums vorund nach den – geheimen – Sitzungen die lokale und dieWeltpresse unterrichten. Dies hilft vielleicht der eigenenProfilierung, schadet aber dem Gremium.
Schaden für die parlamentarische Kontrolle entstehtauch dadurch, dass permanent hochvertrauliche Doku-mente durchgestochen werden. Damit wird Misstrauenkultiviert, und die Nachrichtendienste werden diffamiertund diskreditiert.
Ich will zum Abschluss noch einmal aus dem Berichtdes Parlamentarischen Kontrollgremiums zitieren – FrauVorsitzende, ich bin gleich fertig –:
Auf Nachfragen der Mitglieder des Gremiums er-läutert die Bundesregierung zur Herkunft der demNachrichtendienst NSA aus Deutschland übermit-telten Daten, dass diese aus der Auslandsaufklärungdes BND stammten. Die Daten erhebe der BND imRahmen gesetzlicher Vorgaben und leite sie erstweiter, nachdem man Daten über Deutsche in ei-nem mehrstufigen Verfahren herausgefiltert habe.Alles, was wir heute gehört und gesehen haben, lässtüberhaupt keinen Schluss zu, dass diese Praxis nichtfortgesetzt wird und weiterhin angewandt wird, sodassfür die Skandalisierung, die hier betrieben worden ist,überhaupt kein Hintergrund vorhanden ist.
Als nächster Redner hat Uli Grötsch von der SPD-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wissen Sie, was das Positive an der jetzigen Situationist?
– Ich sage es Ihnen gerne.
Jetzt haben wir alle – wir Parlamentarier, das Bundes-kanzleramt – die Gelegenheit, den Menschen inDeutschland die Aufgaben und die Notwendigkeiten, de-nen der BND auch unterliegt, zu erklären;
denn natürlich geht es ohne internationale Zusammenar-beit und ohne den internationalen Verbund der Nachrich-tendienste ausdrücklich nicht.
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9766 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015
Uli Grötsch
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Jetzt ist für uns die Chance, die Nachrichtendiensteaus der Grauzone zu holen, in der sie sich zurzeit wo-möglich befinden. Ich begrüße es deshalb sehr ausdrück-lich, dass die Bundeskanzlerin ihre Aussage vor demNSA-Untersuchungsausschuss angekündigt hat. Ichhoffe, dass es in diesem Zusammenhang auch klareWorte von Frau Merkel geben wird.Lassen Sie uns alle gemeinsam, liebe Kolleginnenund Kollegen, den Verschwörungstheoretikern undselbsternannten Geheimdienstexperten in Deutschlandund überall auf der Welt den Nährboden entziehen unddie Arbeit der Nachrichtendienste einer nüchternen Be-trachtung unterziehen.
Lassen Sie uns auch Verantwortung als Gesetzgeberübernehmen, um durch klare Gesetze und Vorgaben dieNachrichtendienste aus ebendieser Grauzone zu holen,in der sich die Dienste zudem auch selbst nicht befindenwollen. Damit meine ich Gesetze, die auch den Gege-benheiten im Jahr 2015 und darüber hinaus entsprechenund insoweit angemessen sind. Erst am Freitag vorletz-ter Woche haben wir an dieser Stelle über die Neustruk-turierung des Bundesamtes für Verfassungsschutz disku-tiert. Mit dem entsprechenden Gesetzentwurf sind wir,liebe Kolleginnen und Kollegen, einen wichtigen undrichtigen Schritt gegangen. Ich glaube, was für das BfVgut sein wird, das wird auch – durch eine klare Gesetz-gebung – für den BND gut sein. Die Dienste dürfennicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Sündenbockfür womöglich strukturelle Schwächen und Gesetzeslü-cken herhalten.
Gerade in diesem höchst sensiblen Arbeitsbereich sindklare Regelungen ohne Zweifel erforderlich.Ich sage es noch einmal ganz ausdrücklich: Für unsmuss Aufklärung an erster Stelle stehen. Die Faktenmüssen auf den Tisch, und wir müssen auch dabei blei-ben. Auch ich komme aus der Sitzung des Parlamentari-schen Kontrollgremiums von eben, und ich glaube, dassdas, was dort heute erklärt und vorgelegt wurde, Rück-trittsforderungen und den lauten Schrei „Skandal“schlichtweg unmöglich macht, wenn man seriös bleibenwill.
Lassen Sie mich auch sagen: Gut, dass wir mit demNSA-Untersuchungsausschuss ein Gremium haben, dasder Thematik und allen Fragen bis ins Detail nachgehenwird. Der Ausschuss hat in den letzten Monaten enormviel und enorm erfolgreich gearbeitet. Ich sage: Respekt,liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass wir Sie ha-ben!
Aber der Untersuchungsausschuss stößt natürlich anseine Grenzen, wenn ihm Informationen vorenthaltenwerden.Ich hoffe, dass es jetzt tatsächlich den Willen und diepolitische Bereitschaft gibt, das Parlament in seinerFunktion als Kontrollinstanz zu stärken. Das meine ichin Bezug auf das Parlamentarische Kontrollgremium inpersoneller Hinsicht ebenso wie in der Mittelausstattung.Wir brauchen eine nachhaltige, eine ernstgemeinte unddeutlich spürbare Stärkung der parlamentarischen Kon-trolle der Nachrichtendienste. Behörden mit ZigtausendMitarbeitern, die in den verschiedensten Bereichen, ver-teilt über den ganzen Globus, im Einsatz sind, könnennicht durch einige wenige Personen effektiv kontrolliertwerden.Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz zurStruktur der Fachaufsicht und zu der Kontrolle durch dieBundesregierung sagen, wenn es um die Nachrichten-dienste geht. Ich halte nichts davon, noch einen neuenBeauftragten im Deutschen Bundestag zu installieren.
Wir haben nämlich schon eine Fachaufsicht im Kanzler-amt, wir haben einen Geheimdienstkoordinator, derschon von Amts wegen für das zuständig ist, worüberwir hier reden. Wir haben seit 2014 sogar einen zusätz-lichen Beauftragten der Bundesregierung für die Nach-richtendienste. Somit sind wir hinsichtlich der Struk-turen wirklich nicht schlecht aufgestellt. Aber dieStrukturen und die Abläufe müssen beachtet bzw. einge-halten werden. Der Informationsfluss von ganz untennach ganz oben muss gewährleistet und im Sinne derparlamentarischen Kontrolle nachvollziehbar sein.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Nina
Warken von der CDU/CSU das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich bin froh, die heutige Debatte dazu nutzen zu können,uns noch einmal vor Augen zu führen, was eigentlichAuftrag und Aufgabe des 1. Untersuchungsausschussesist, den wir gemeinsam vor gut einem Jahr eingesetzt ha-ben. Zudem möchte ich darlegen, welche Rolle dieNachrichtendienste für die Sicherheitsarchitektur unse-res Landes spielen.Zum Untersuchungsausschuss. Hier muss es um Auf-klärung gehen. „Aufklärung“ muss bedeuten, dass Miss-stände angesprochen und näher untersucht werden.„Aufklärung“ muss aber auch bedeuten, dass man un-voreingenommen und mit dem festen Willen herangeht,umfassend und nachhaltig alle relevanten Sachverhalteund Verhaltensweisen aufzuarbeiten. Wir müssen dabeisehr sorgfältig vorgehen, auch weil das im Grundgesetzverbriefte Recht des Parlaments, einen Untersuchungs-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Mai 2015 9767
Nina Warken
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ausschuss einzusetzen, eines der wichtigsten Rechte die-ses Parlaments überhaupt ist.Der Untersuchungsausschuss ist unser schärfstesSchwert, und wir lassen uns hier sicher nicht durch laut-starke Parolen von vielfach bewährten Prinzipien abbrin-gen.
Unsere Prinzipien sind Gründlichkeit, Genauigkeit undAufarbeitung des Sachverhalts von unten nach oben,auch was Zeugenbefragungen angeht. So haben wir dasganz im Sinne einer effektiven und sachgerechten Auf-klärung bisher stets getan, und so wollen wir es weiter-hin tun. Dabei erwarten wir von allen Beteiligten eineMitwirkung nach besten Kräften, nach bestem Wissenund Gewissen. Das ist die Verantwortung gegenüber un-serem Land.Ganz im Sinne dieser Verantwortung hätte ich es sehrbegrüßt, wenn man in den letzten Tagen nicht ständighätte lesen können, wovon man bereits jetzt ausgeht oderwelche Schlussfolgerungen man bereits heute zieht, son-dern wenn man seitens der Opposition die Sachaufklä-rung an den Anfang gestellt hätte. Die betriebene Effekt-hascherei ist unverantwortlich und alles andere als imSinne einer echten Aufklärung.
Fast reflexartig wurde da von Wirtschaftsspionage ge-sprochen, vom systematischen Ausspionieren der Bevöl-kerung oder vom willfährigen BND, der der NSA ohneBedenken und Skrupel gegen deutsches Recht und Ge-setz zuliefert, dies alles ohne Belege. Statt dieser Parolenhätte ich mir gewünscht, dass man vom Ende her ge-dacht hätte. Zuerst müssen die Fakten auf den Tisch, undzwar alle Fakten. Erst dann folgt die Bewertung, und erstdann wird entschieden, welche Maßnahmen zu ergreifensind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin fest davonüberzeugt, dass wir in Deutschland Nachrichtendienstebrauchen, Nachrichtendienste, die sich selbstverständ-lich an Recht und Gesetz halten und die kontrolliert wer-den, aber auch Nachrichtendienste, die gut und effektivarbeiten, unsere Bürgerinnen und Bürger schützen undTerroranschläge auf unser Land verhindern. Klar ist: DerBundesnachrichtendienst dient dem Land. Er arbeitetnicht in eigenem Auftrag. Die Bundesregierung musswissen, was dort geschieht. Wir als Parlament nehmenKontrollrechte wahr.Man hört dieser Tage immer nur, was vermeintlichnicht gut läuft beim BND. Man sollte aber auch ruhigeinmal auf die Erfolge hinweisen. Allein in den vergan-genen Jahren hat der BND mitgeholfen, mindestens fünfgrößere Anschläge in Deutschland zu verhindern. Insbe-sondere möchte ich hier den Fall der Sauerland-Gruppenennen; das wurde schon angesprochen. Auch das, liebeKolleginnen und Kollegen, gehört zur Wahrheit.
Lassen Sie mich einmal einen Blick zurück werfen.Die Anschläge vom 11. September haben die Sicher-heitsarchitektur in der ganzen westlichen Welt verändert.Der damalige grüne Außenminister Joschka Fischersagte wenige Wochen später hier an diesem Ort:Es ist eine mörderische, eine totalitäre Herausforde-rung, vor der wir stehen.
Kanzler Schröder hat den Amerikanern damals unsere– ich zitiere – „uneingeschränkte Solidarität“ zugesagt.Die Situation damals war ernst, und die Bedrohungs-lage hat sich bis heute nicht wirklich verändert. Sie istnicht nur abstrakt, sie ist längst real, was wir jüngst amvereitelten Anschlag in Hessen gesehen haben. Deshalbappelliere ich an uns alle: Lassen Sie uns die Debattesachlich führen, die Fakten beleuchten und die Gescheh-nisse aufklären, statt in Parteiengezänk zu verfallen.Deutschland ist nicht isoliert in der Welt, wir brauchendie Zusammenarbeit mit verbündeten Ländern und derenDiensten. Wenn wir einen funktionierenden und vor al-lem effektiven Dienst wollen, sind wir auf deren Infor-mationen angewiesen, nicht zuletzt auch deshalb, um un-sere Soldatinnen und Soldaten zu schützen, die wir alsParlament in Auslandseinsätze schicken. Die Möglich-keit der Zusammenarbeit unserer Dienste mit ausländi-schen Diensten ist im Gesetz klar geregelt und ausdrück-lich vorgesehen; dies muss auch einmal deutlich gesagtwerden. Man könnte in der aktuellen Diskussion beinaheden Eindruck gewinnen, eine solche Zusammenarbeit seiper se wider Recht und Gesetz.Genauso wie wir von den Nachrichtendiensten hier-bei selbstverständlich Korrektheit erwarten, müssen wirjedoch auch zu deren Notwendigkeit stehen. Forderun-gen, nach denen Nachrichtendienste abgeschafft werdensollen, wie sie seit Jahren immer wieder von den Linkenzu hören sind, halte ich für schlicht unverantwortlichund naiv.Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Ver-zichten wir in den kommenden Wochen also auf ideolo-gieverblendete Diskussionen und Effekthascherei in derÖffentlichkeit, und nehmen wir unseren Untersuchungs-auftrag ernst. Das ist unsere Verantwortung. Die CDU/CSU wird sich hierfür mit ganzer Kraft einsetzen.Vielen Dank.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat ClemensBinninger, ebenfalls von der CDU/CSU-Fraktion, dasWort.
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Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Vor Beginn meines Beitrages hätte ich gerne etwaszur Kollegin Renner gesagt.
– Sie ist vielleicht verhindert.
Ich will nur, damit wir keine falsche Schärfe in dieDebatte bekommen, sagen: Kollegin Renner hat zu derRede des Kollegen Mayer angedeutet, dass er aus gehei-men Dokumenten zitieren würde. Es steht immer gleichein schwerer Vorwurf im Raum. Ich will klarstellen– das habe ich mit meinem Kollegen Hahn von den Lin-ken abgesprochen –, dass wir vorhin im Gremium einenBeschluss gefasst haben, der uns erlaubt, eine Bewer-tung über die Sitzung abzugeben. Das, was KollegeMayer und übrigens auch Kollege Ströbele gesagt ha-ben, war im Wesentlichen das, was wir vorher auch indie Mikros gesagt haben. Es gibt also keinen Grund fürirgendeine Schärfe.
Ich glaube, dass wir hier eine sachliche Debatte haben,die sicher, hoffe ich, dazu beiträgt, dass wir alle dieSach- und Aufklärungsarbeit im Gremium und auch imUntersuchungsausschuss wieder in den Mittelpunkt un-serer Arbeit stellen.Ich glaube, dass wir auch einmal darauf hinweisenmüssen, was der BND macht und worum es konkretgeht. Es geht nicht um Kommunikation in Deutschland.Es geht um Kommunikation aus Krisenregionen, die wirbrauchen für die Sicherheit unserer Soldaten, die wirbrauchen zur Bekämpfung des Terrorismus, die wirbrauchen, um die Verbreitung von Kriegswaffen zu ver-hindern, und die wir auch brauchen, um organisierte Kri-minalität zu bekämpfen.
All das steht übrigens im Gesetz. Im Gesetz stehtauch, dass bei diesen Aufgabenfeldern – Bekämpfungvon Terrorismus, Proliferation und organisierter Krimi-nalität – ein Austausch von Informationen mit anderenNachrichtendiensten erfolgen darf. Das geschieht imRahmen der Rechtslage.Ich finde, wir sollten keine pauschalen Vorwürfe, Lü-gen, Skandalisierungen und Rücktrittsforderungen anden Beginn der Debatte stellen, sondern am Beginn einerDebatte muss eine Betrachtung der Rechtslage stehen:Was darf der Dienst? Was haben wir, dieses Parlament,ihm als Erlaubnis mitgegeben? Und dann ist konkret zufragen: Gab es bei der Arbeit Verstöße gegen dieseRechtslage? Das kann und muss der einzige Maßstab fürunsere Aufklärung sein.
Ich will bei aller Unterschiedlichkeit eines deutlichfeststellen; ich war froh, dass das fast alle Redner so ge-sehen haben. Das gilt auch für Sie, Herr KollegeStröbele. Dafür bin ich Ihnen, was selten vorkommt,wirklich dankbar; ab und an darf man das sagen. Sie ha-ben es vielleicht nicht so deutlich gesagt, wie ich es jetzttue; bei Ihnen war es eher so ein dahingehuschter Satz.
Wer angesichts der Bedrohungslage, mit der wir kon-frontiert sind – wir reden aktuell über dreieinhalbTausend Dschihadisten allein aus Europa, die sich inKrisenregionen, im Irak, in Syrien, beim IS, befindenund für unsere Sicherheit eine große Bedrohung darstel-len –, sagen würde: „Wir brauchen keine Zusammenar-beit mit ausländischen Nachrichtendiensten“, der scha-det der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in diesemLand. Und das dürfen wir nicht zulassen!
In den letzten Tagen ging es um den Bundesinnen-minister. Ich glaube, er hat einen Anspruch auf einen fai-ren Umgang. Es gibt eine Reihe von Fragen, die die Kol-leginnen und Kollegen im Untersuchungsausschuss nochaufklären müssen – Herr Kollege Flisek, Sie haben dasskizziert –; ich habe da absolut großes Vertrauen. DenFragen muss man nachgehen: Warum wurde nicht ge-meldet? Wie sind die abgelehnten Begriffe zustande ge-kommen und warum in dieser Zahl?Letzte Woche stand vor allem der Bundesinnenminis-ter im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Die Vor-würfe waren kaum noch zu überbieten. Ich wiederholedie in diesem Zusammenhang erwähnten Begriffe nichtnoch einmal. Es ging bei uns heute Mittag im Parlamen-tarischen Kontrollgremium speziell darum, diesen Vor-würfen nachzugehen und ihm – das gehört sich, finde ich –Gelegenheit zu geben, selber dazu Stellung zu nehmen.Wir konnten diese Vermerke aus dem Jahr 2008 ein-sehen. Die Regierung hat sie uns zur Verfügung gestellt.Wir sind dann – es mag da Unterschiede im Detail geben –zu einer Bewertung gelangt. Aber eines ist klar: In kei-nem dieser Vermerke ist auch nur eine Firma genanntworden, und in keinem Vermerk – das ist unsere Auffas-sung – gab es eine Aufforderung an den damaligen BK-Chef, im Sinne von „Das geht hier alles nicht; das mussman dringend beenden“ tätig zu werden. Ganz im Ge-genteil: Es wurde darauf verwiesen, dass die Rechtslageeingehalten werde und dass es keinen Bedarf gibt, diesesMemorandum zu ändern.Ich finde, angesichts dieser Aktenlage sind die Vor-würfe gegen den Bundesinnenminister nicht länger halt-bar.
Das heißt nicht, dass es nicht noch Fragen gibt, etwa:Warum gibt es so viele abgelehnte Suchbegriffe? Das
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Clemens Binninger
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heißt auch nicht, nicht zu hinterfragen: Warum wurdedas nicht an das Kanzleramt gemeldet? Weiter heißt dasauch nicht, dass wir uns nicht vielleicht grundsätzlichmit der Frage befassen müssen: Wie können wir bei gro-ßen Datenmengen sicherstellen, dass der Filter im Prin-zip auch immer passt? Das alles wird sicher Aufgabe dernächsten Monate sein. Die Erledigung dieser Aufgabeaber sollten wir ruhig, sachlich, konstruktiv und weitest-gehend – so hoffe ich doch – parteiübergreifend voran-treiben, damit wir Nachrichtendienste haben, die arbeits-fähig bleiben. Weiterhin muss klar sein, dass hier imLande unsere Regeln gelten und dass wir alles tun, damitdie Sicherheit in unserem Land nicht gefährdet wird.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 7. Mai 2015,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.